https://innen.thueringen.de/ Verfassungsschutzbericht 2024 Freistaat Thüringen Pressefassung Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz .....................................................3 1. Verfassungsschutz - Instrument der wehrhaften Demokratie ............................3 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres, Kommunales und Landesentwicklung ..................................................................5 II. Rechtsextremismus..............................................................................................12 1. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen .....................................................12 2. Rechtsextremistische Parteien ............................................................................15 3. Parteiunabhängiges bzw. parteiungebundenes Spektrum ................................28 4. Weitgehend unstrukturierte Rechtsextremisten.................................................35 5. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts...........................................................48 III. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ...............................................................49 1. Überblick ...............................................................................................................49 2. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Thüringen.........................................52 3. Entwicklung ..........................................................................................................55 IV. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates (VDS).....................57 V. Islamismus ............................................................................................................60 1. Ideologischer Hintergrund ...................................................................................60 1.1 Salafismus ..............................................................................................................60 1.2 Legalistischer Islamismus .......................................................................................63 1.3 Schiitischer Islamismus ..........................................................................................63 2. Gefährdungsbewertung für die Bundesrepublik Deutschland ..........................63 2.1 Militärischer Konflikt im Gazastreifen ......................................................................65 2.2 Antisemitismus und Desinformation im Islamismus.................................................66 2.3 Digitale Plattformen als Operationsbasis für Islamisten .........................................67 2.4 Staatliche Maßnahmen ...........................................................................................68 3. Islamismus in Thüringen......................................................................................68 3.1 Überblick ................................................................................................................68 3.2 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen ...............................................................69 3.3 Militärischer Konflikt im Gazastreifen - Reaktionen in Thüringen ............................71 3.4 Verfahren gegen Islamisten aus Gera.....................................................................72 1 VI. Auslandsbezogener Extremismus (ohne Islamismus).......................................73 1. Hintergrund ...........................................................................................................73 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ......................................................................73 2.1 Überblick, allgemeine Lage.....................................................................................73 2.2 Strukturen der Organisation ....................................................................................74 2.3 Themenschwerpunkte der Organisation .................................................................75 2.4 Bewertung ..............................................................................................................76 VII. Linksextremismus ................................................................................................79 1. Überblick, Ideologie, Schwerpunktsetzung, Radikalisierung ............................79 2. Das linksextremistische Personenpotenzial.......................................................80 3. Autonome ..............................................................................................................82 3.1 Allgemeines ............................................................................................................82 3.2 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis ....................................85 4. Sonstige linksextremistische Organisationen....................................................98 5. Politisch motivierte Kriminalität - Links ...........................................................103 VIII. Spionageabwehr .................................................................................................105 1. Aufgaben, Akteure und Aufklärungsinteressen ...............................................105 2. Methoden fremder Nachrichtendienste .............................................................107 3. Ausgewählte Entwicklungen und Themenbereiche der Spionageabwehr .....111 IX. Geheimschutz .....................................................................................................119 1. Allgemeines ........................................................................................................119 2. Personeller Geheimschutz .................................................................................119 3. Materieller Geheimschutz ..................................................................................121 X. Mitwirkungspflichten ..........................................................................................123 2 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der wehrhaften Demokratie Das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Republik ist es die Aufgabe der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das GG legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Die wehrhafte Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Rechtsstaat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte - wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht - zu. Jedoch liefert sich die wehrhafte Demokratie den Bestrebungen politischer Extremisten nicht schutzlos aus. So sind beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 GG das Verbot verfassungswidriger Vereine und Parteien oder nach Artikel 18 GG die Aberkennung von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als "Frühwarnsystem" politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die Länder unterhalten (Artikel 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Freistaat Thüringen wurde die Verfassungsschutzbehörde 1991 errichtet. Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach, aus welchen Parteien und Gruppierungen sich das extremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt. Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste auf. Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu treffen. 3 Einen erheblichen Teil seiner Informationen gewinnt der Verfassungsschutz aus allgemein zugänglichen Quellen. Extremistische Akteure, Terroristen und fremde Nachrichtendienste agieren jedoch im Verborgenen und legen ihre Ziele nicht offen dar. Der Verfassungsschutz ist befugt, im Rahmen gesetzlich festgelegter Grenzen und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsgewinnung einzusetzen, um insbesondere terroristische Gefahren für die Bevölkerung frühzeitig erkennen und gemeinsam mit anderen Behörden abwenden zu können. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere durch die von den Parlamenten eingesetzten Kontrollgremien, durch die Innenministerien, durch die Gerichte sowie durch die Bundesbzw. Landesbeauftragten für Datenschutz. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen (Artikel 97 Verfassung des Freistaats Thüringen). Sie unterscheiden sich damit grundlegend sowohl von der "Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) der ehemaligen DDR. Jene Institutionen waren darauf ausgerichtet, totalitäre Systeme abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik schützt. Für Verfassungsschutzbehörden besteht eine strikte Bindung an Recht und Gesetz. Sie dienen keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem als essentiellem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet. Vor dem Hintergrund, dass bei dem Thüringer Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ein weitreichendes Behördenversagen vorlag, wurden Verfassungsschutzgesetze geändert, bzw. in Thüringen neu gefasst. Damit wurden aus den Ergebnissen der Parlamentarischen Untersuchung präzise neue rechtliche Vorgaben für eine erfolgreiche und transparente Tätigkeit des Thüringer Verfassungsschutzes geschaffen. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen ist geboten, wenn auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung führen, dass eine Bestrebung gegen die Freiheitliche Demokratische Grundordnung vorliegt, d. h. ein Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit die Feststellung seines extremistischen Charakters verbunden ist. Die Darstellungen im Verfassungsschutzbericht sind nicht abschließend, sondern geben wesentliche Entwicklungen während eines konkreten Berichtszeitraums wieder. Eine Berichterstattung kann bereits dann 4 in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen, die aufgrund eines im konkreten Fall hinzutretenden besonderen Aufklärungsinteresses der Öffentlichkeit eine Erwähnung erfordern. Diese Verdachtsfälle sind als solche im Text kenntlich gemacht. 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres, Kommunales und Landesentwicklung Aufgaben und Befugnisse Mit dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVerfSchG) bestehen präzise rechtliche Vorgaben für eine erfolgreiche und transparente Tätigkeit des Thüringer Verfassungsschutzes im demokratischen Rechtsstaat. Kernaufgaben des AfV sind die Sammlung und Auswertung von Informationen zum politischen Extremismus, zu Terrorismus und Spionage im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen. Zu diesem Zweck beobachtet es gemäß SS 4 ThürVerfSchG: 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Einen nicht unerheblichen Teil seiner Informationen - insbesondere solche, ob tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen bestehen - schöpft das AfV aus öffentlich zugänglichen Quellen. Darüber hinaus ist das AfV in gesetzlich festgelegten Grenzen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit befugt, im Rahmen seines Beobachtungsauftrags Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen, Telefonüberwachungen) zu beschaffen. 5 Die in Berichten, Lagebildern und Analysen zusammengefassten Erkenntnisse ermöglichen es der Landesregierung, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuleiten. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben übermittelt das AfV relevante Erkenntnisse unverzüglich nach Bekanntwerden an die Strafverfolgungsbehörden. Das AfV ist in den gemeinsamen Informationsund Kommunikationsplattformen der deutschen Sicherheitsbehörden (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum - GTAZ, Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus und der Spionage einschließlich proliferationsrelevanter Aspekte - GETZ) vertreten. Des Weiteren obliegen dem AfV Mitwirkungspflichten im Bereich des Geheimund Sabotageschutzes (z. B. Sicherheitsüberprüfungen für in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätige Personen). Das ThürVerfSchG sieht in SS 5 zudem eine geeignete Informationsund Öffentlichkeitsarbeit des Amtes vor. Zudem bestehen ausführliche Regelungen über Umfang und Grenzen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel einschließlich des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung 1 sowie die beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einzuhaltenden Verfahren. Die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei in der Thüringer Informationsund Auswertungszentrale (TIAZ) wurde in einer eigenständigen gesetzlichen Regelung verankert. 2 1 Der Kernbereich privater Lebensgestaltung stellt einen Raum höchstpersönlicher Privatheit dar, welcher verfassungsmäßig geschützt und einem Zugriff durch staatliche Überwachungsmaßnahmen vollumfänglich entzogen ist. Hinweise auf begangene oder geplante Straftaten fallen aufgrund ihres Sozialbezugs nicht hierunter. Einfachgesetzliche Regelungen zum Schutz des Kernbereiches privater Lebensführung finden sich etwa in SS 10 Abs. 6 ThürVerfSchG und SS 3a Artikel 10-Gesetz (G10). 2 Siehe dazu SS 4 Abs. 4 ThürVerfSchG. 6 Aufbau und Organisation Der Thüringer Verfassungsschutz verfügte im Haushaltsjahr 2024 über 105 Stellen und Planstellen. Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch das Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 8.620.300 Euro zugewiesen. 3 Der Verfassungsschutz Thüringen ist für die interessierte Öffentlichkeit über folgende Kontakte erreichbar: Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres, Kommunales und Landesentwicklung Postfach 450 121 99051 Erfurt Telefon: 0361 573313-850 Telefax: 0361 573313-482 Internet: https://verfassungsschutz.thueringen.de E-Mail: afvkontakt@tmikl.thueringen.de Struktur des AfV 3 Siehe dazu Landeshaushaltsplan 2024, Einzelplan 03, S. 68 ff. 7 Stabsstelle Controlling Die Stabsstelle Controlling unterstützt den Präsidenten des AfV durch unabhängige und objektive Prüfungsund Beratungsdienstleistungen in seiner Leitungsfunktion. Sie hat die Aufgabe, regelmäßig die Rechtund Zweckmäßigkeit der nachrichtendienstlichen und sonstigen ihr zugewiesenen Maßnahmen zu überprüfen und dem Präsidenten des AfV Bericht zu erstatten (SS 2 Absatz 4 ThürVerfSchG). Die Stabsstelle ist dem Präsidenten des AfV unmittelbar zugeordnet, jedoch in der Beurteilung der Rechtund Zweckmäßigkeit der eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel nicht an Weisungen des Präsidenten, seines Vertreters oder des zuständigen Ministeriums gebunden. Die Stabsstelle Controlling ist darüber hinaus personell und organisatorisch von den übrigen Referaten des AfV getrennt, nicht zuletzt, um auch insoweit eine unabhängige Prüfung zu gewährleisten. Die Referate des AfV haben der Stabsstelle Controlling kontinuierlich schriftlich Bericht darüber zu erstatten, in welchen Phänomenbereichen und beobachteten Personenzusammenschlüssen nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Diese Berichtspflichten betreffen besondere grundrechtsund sicherheitsrelevante Vorkommnisse, die sich im Rahmen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel ereignen können. Bei besonderen oder schwierigen Vorkommnissen kann die Parlamentarische Kontrollkommission verlangen, dass die Stabsstelle Controlling diese auch unmittelbar unterrichtet (SS 2 Abs. 4 Satz 6 ThürVerfSchG). Referat 50 "Grundsatzund Rechtsangelegenheiten, G10, Gremienarbeit, Pressestelle" Das Referat 50 bearbeitet die Grundsatzund Rechtsangelegenheiten des Amtes. Weiterhin werden in diesem Arbeitsbereich Sitzungen verschiedener Gremien, z. B. der Parlamentarischen Kontrollkommission und der G10-Kommission des Thüringer Landtags sowie verschiedener Bund-Länder-Gremien vorbereitet. Die Bearbeitung von parlamentarischen Anfragen, Petitionen und Auskunftsersuchen von Bürgern zählt ebenso zu den Aufgaben des Referates wie die Begleitung der Rechtsetzung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes, des Geheimschutzes oder relevanter Bundesratsverfahren. Das große Interesse der Mitglieder des Thüringer Landtags an den Themenfeldern, die vom AfV zu bearbeiten sind, zeigt sich an der Anzahl diesbezüglicher parlamentarischen Anfragen. So war das AfV mit der Bearbeitung von 107 Kleinen Anfragen und 3 Mündlichen Anfragen befasst. 8 Darüber hinaus ist das Referat mit der Durchführung der Verfahren zur Postund Telekommunikationsüberwachung (G10) betraut. Des Weiteren ist die Pressestelle des AfV organisatorisch dem Referat zugeordnet. Referat 51 "Auswertung Islamismus/Auslandsbezogener Extremismus" Das Referat 51 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Islamismus und auslandsbezogener Extremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Referat 52 "Auswertung Rechtsextremismus/Linksextremismus, Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz (TIAZ)" Das Referat 52 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu den Bereichen Rechtsund Linksextremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Aufgabe der seit 2007 bestehenden TIAZ, einer Projektorganisation des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und des Thüringer Verfassungsschutzes, ist es, die in der jeweiligen Zuständigkeit erlangten Informationen zu politisch motivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Ausländer" sowie den Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen. Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der "Antiterrordatei" (ATD). Referat 53 "Beschaffung" Dieses Referat hat die Aufgabe, durch Ermittlungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen. 9 Referat 54 "Querschnittsaufgaben" Das Referat "Querschnittsaufgaben" ist für den inneren Dienstbetrieb und die Wahrnehmung von Mitwirkungspflichten nach dem Waffengesetz, dem Luftsicherheitsgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Sprengstoffgesetz sowie dem Aufenthaltsgesetz und der Gewerbeordnung zuständig. Referat 55 "Geheimschutz, Spionageabwehr, Scientology Organisation" In dem Sachgebiet "Geheimschutz" werden Angelegenheiten des personellen und materiellen Geheimschutzes sowie Mitwirkungspflichten des Verfassungsschutzes gemäß dem Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz wahrgenommen. Dem Sachgebiet "Spionageabwehr" obliegt es, die unerlaubte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären. Zudem wird etwaigen Hinweisen auf frühere, fortwirkende Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR nachgegangen. In einem weiteren Sachgebiet werden Hinweise auf mögliche Betätigungen der in Thüringen bislang nicht organisatorisch vertretenen "Scientology Organisation" bearbeitet. Kontrollinstanzen des Verfassungsschutzes Allgemeine parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrollkommission des Thü(parlamentarische Anfragen, Petitionen von Bürringer Landtags gern) Amt für Verfassungsschutz Landesrechnungshof (Stabsstelle Controlling) Verwaltungsgerichte Landesbeauftragter für den Datenschutz und die G10-Kommission des Thüringer Landtags Informationsfreiheit Parlamentarische Kontrolle Gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission besteht eine umfassende Unterrichtungspflicht über die allgemeine Tätigkeit des AfV (SS 27 Abs. 1 ThürVerfSchG). Dabei bilden die mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Erkenntnisse einen Schwerpunkt. 10 Zudem ist der Landesregierung eine strukturierte Berichterstattung über die maßgeblichen operativen Vorgänge im Verfassungsschutz gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission aufgegeben (SS 27 Abs. 2 ThürVerfSchG). Dies betrifft im Einzelnen eine Übersicht über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in den verschiedenen Phänomenbereichen, die Information über die Festlegung der einzelnen Beobachtungsobjekte, die Information über die Herstellung des Einvernehmens beziehungsweise des Benehmens für das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Länder respektive des Bundes in Thüringen, die Vorlage von Regelungen über die Vergütung von V-Leuten zur Kenntnis und die Unterrichtung über die Feststellung eines Informationsübermittlungsverbotes durch den Verfassungsschutz. Darüber hinaus ist die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission über den Erlass und jede Änderung von Dienstanweisungen (SS 27 Abs. 5 ThürVerfSchG) gesetzlich verankert. Für den Erlass und die Änderung der Dienstanweisung zum Einsatz von V-Leuten ist eine Anhörung der Parlamentarischen Kontrollkommission vorgeschrieben (SS 12 Abs. 6 Sätze 6 und 7 ThürVerfSchG). Die umfangreichen Unterrichtungspflichten der Landesregierung und Kontrollbefugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission ermöglichen eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit des AfV und eine zusätzliche Sicherung der Grundrechte betroffener Personen. Nach SS 33 ThürVerfSchG unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. 11 II. Rechtsextremismus 1. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen Die im Jahr 2024 durchgeführten Kommunal-, Europaund Landtagswahlen in Thüringen und die damit verbundenen Debatten haben einmal mehr die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung verdeutlicht. Waren noch zu Beginn des Jahres aufgrund der veröffentlichten "Correctiv"-Recherchen und den dadurch bekannt gewordenen umfassenden "Remigrationsplänen" diverser rechtsextremistischer Akteure die Normalisierung deren Ideologie Gegenstand bundesweiter Proteste, konnte doch bereits zu den Kommunalund Europawahlen im Mai ein nivellierter Effekt festgestellt werden: Der Landesverband Thüringen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD Thüringen) ging als zweitstärkste Kraft aus der Kommunalwahl hervor. Jedoch bereits bei der Europawahl erzielte er mit 30,7 % zwar nicht das eigens ausgegebene Ziel, schnitt jedoch dennoch als stärkste politische Kraft im Land ab. Dieser Trend verfestigte sich zu den im September durchgeführten Landtagswahlen, bei denen der Landesverband gar 32,8 % errang. Dass dies nicht zwangsläufig in eine spätere Regierungsbeteiligung mündete, dürfte Anhänger der Partei in ihrer Überzeugung, von den "etablierten Parteien" gleichsam grundlos ausgeschlossen zu werden, bestätigt haben. Das Wahljahr in Thüringen lässt eine besorgniserregende Entwicklung feststellen: Die rechtsextremistische AfD Thüringen erzielte - trotz fortwährender gesellschaftlicher, politischer und juristischer Debatten über die möglichen Auswirkungen und ungeachtet der Einstufung als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das AfV im Jahr 2021hohe Wahlergebnisse und breite Zustimmungswerte im Land. Vor allem hinsichtlich migrations-, gesellschaftsund außenpolitischer Fragestellungen nutzte die AfD Thüringen bestehende Unzufriedenheiten und Ängste der Bevölkerung zielgerichtet zum Zwecke der Agitation gegen Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Dabei orientiert sich die Partei in Thüringen weiterhin an einem ethnischen Volksbegriff, der unvereinbar mit dem Grundgesetz ist und Menschen in deren Menschsein abwertet. Eine Mäßigung der AfD Thüringen ist in Anbetracht dessen vorerst nicht zu erwarten. Auch die Jugendorganisation der Partei, die "Junge Alternative Thüringen" (JA), glich sich der Mutterpartei beständig weiter an und verfolgte das Ziel der sukzessiven Normalisierung verfassungsfeindlicher Positionen. Im März des Berichtsjahres wurde sie durch das AfV als erwiesen extremistische Bestrebung eingestuft. 12 Im Bereich der politisch rechtsmotivierten Strafund Gewalttaten im Freistaat Thüringen ist ein neuer Höchststand zu konstatieren. Der Gleichlauf von gesellschaftlicher Polarisierung sowie schleichender Normalisierung extremer und extremistischer Handlungen zeigt sich hier besonders deutlich. Handlungsund Aktionsformen, die sich verstärkt an Jugendliche oder junge Erwachsene richten, gewannen im Jahr 2024 insgesamt an Bedeutung. So hat sich beispielsweise die "Nationalrevolutionäre Jugend" (NRJ), die Jugendorganisation der Partei "Der III. Weg", in Thüringen etabliert. Deren Rekrutierungspotenzial verwirklicht sich primär durch die Nutzung sozialer Netzwerke und Bezüge zum (Kampf-)Sport. Vermehrt traten auch andere, virtuelle Gruppierungen auf, die die volatile Zielgruppe mit Hilfe niederschwelliger Ansprache und aktionsorientierten Handlungsformen bezogen auf gemeinsame Feindbilder für sich gewinnen konnten. Die rechtsextremistische Szene in Thüringen ist seit dem Jahr 2024 daher zum einen durch parteigebundene Nachwuchsorganisationen wie die NRJ und die "Jungen Nationalisten" (JN), zum anderen aber auch verstärkt durch neue Gruppierungen geprägt. Deren regelmäßig zunächst virtueller Charakter geht vermehrt auch in realweltliche Aktionsformen über, wobei als ein wesentlich prägendes Agitationsfeld die Queerfeindlichkeit benannt werden kann. Angehörige der LGBTQIA+-Community gehören schon lange zum zentralen Feindbild von Rechtsextremisten - der vermeintlichen "Entartung" oder dem "Genderwahn" wurde jedoch zunehmend offensiver, etwa durch Störaktionen von "Christopher Street Day"-Veranstaltungen, entgegengetreten. Hier zeigt sich die schleichende Normalisierung rechtsextremistischer Narrative besonders deutlich: Die Verächtlichmachung einzelner Bevölkerungsgruppen durch queerfeindliche Äußerungen wird mit teilweise aggressiver rechtsextremistischer Rhetorik und Agitation verbunden. Ohne dezidiert rechtsextremistische Programmatik in den Vordergrund zu stellen wird so versucht, eine immer jüngere, teilweise ideologisch noch nicht gefestigte Personengruppe über aktionsorientierte Handlungsformen an die rechtsextremistische Ideologie heranzuführen. Dabei sind sowohl gebundene als auch ungebundene Strukturen beteiligt, wodurch neue Resonanzen und Schnittmengen rechtsextremistischer Bestrebungen entstehen. Hinsichtlich rechtsextremistischer Musikveranstaltungen hat sich im Berichtszeitraum der Trend weg von größeren Konzerten hin zu kleineren, überschaubaren Veranstaltungen, die häufig konspirativ organisiert werden, weiter durchgesetzt. 13 Thüringen Bund 2022 2023 2024 2022 2023 2024 AfD (LV TH) 1.300 1.650 2.050 10.200 11.300 20.000 "Die Heimat" 100 100 80 3.000 2800 2.500 "Der III. Weg" 30 30 30 700 800 950 parteiunabhängiges 300 400 440 8.500 8.500 8.500 bzw. parteiungebundenes Spektrum weitgehend unstruktu670 700 700 16.000 17.000 18.000 rierte Rechtsextremisten davon gewaltorientierte 350 350 350 14.000 14.500 15.300 Rechtsextremisten Tabelle1: Geschätztes rechtsextremistisches Mitgliederund Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Thüringen belief sich 2024 insgesamt auf etwa 3.300 Personen (2023: 2.880) 14 2. Rechtsextremistische Parteien "Alternative für Deutschland" (AfD), Landesverband Thüringen Der AfD Landesverband Thüringen (AfD Thüringen) wurde im Jahr 2013 gegründet; seine Führung obliegt seit Juni 2014 den Rechtsextremisten Björn Höcke und Stefan Möller. Auf dem Landesparteitag im Dezember 2024 wurden beide mit über 90 Prozent wiedergewählt. Sie vertreten den Standpunkt der Partei zu gesellschaftlichen Themen nach außen und sind organisationsprägend für die AfD Thüringen. 4 Der Landesverband umfasst zwölf Kreisverbände, die sich wiederum in diverse Gebietsund Stadtverbände untergliedern. Aufgrund einer im Berichtszeitraum beschlossenen Organisationsreform sollen künftig weitere regionale Strukturen der Partei aufgebaut werden. Die AfD Thüringen verzeichnet auch im Jahr 2024 erhebliche Zuwächse; ihr Gesamtpotenzial beläuft sich auf ca. 2.050 Personen (2023: 1.650). Sie ist in allen kommunalen Gremien der Landkreise und kreisfreien Städte vertreten. Im Landkreis Sonneberg stellt sie derzeit den Landrat. Im Zuge der Kommunalwahl am 24. Mai konnte die AfD ihren kommunalpolitischen Einfluss in Thüringen weiter ausbauen. Bei der Landtagswahl in Thüringen am 1. September erreichte sie 32 Mandate und stellt damit die größte Fraktion im 8. Thüringer Landtag. Fünf Abgeordnete bilden im Berichtszeitraum die Thüringer Landesgruppe der AfD im Deutschen Bundestag. Die AfD Thüringen ist eine erwiesen rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Im Kern steht das - im Landesverband weitestgehend unumstrittene - ethnisch-abstammungsmäßig geprägte Volksverständnis, das die Grundannahme in sich geschlossener ethnischer Einheiten in sich trägt. Danach kann ein Volk nur auf der Basis einer - etwa sozial, kulturell, religiös oder intellektuell - homogenen Bevölkerung gebildet werden. Der Landesverband vertritt die Ansicht, dass das deutsche Volk nicht aus dessen Staatsangehörigen bestehe, sondern vielmehr aus der Gesamtheit der abstammungsmäßigen Deutschen. Verschiedene Ethnien sind hier dann jedoch auch nicht gleichberechtigt, sondern stünden aufgrund deren unterschiedlicher "Wertigkeit" in einem Über-Unterordnungsverhältnis. Diese gelte es durch Abgrenzung bzw. Ausgrenzung von allem Andersartigen zu wahren. 4 Vgl. Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 8. März 2022, 13 K 326/21 Rn. 104, 739; Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 13. Mai 2024, 5A 1217/22 Rn. 163. 15 Das Ziel ist die Erhaltung bzw. Wiederherstellung eines ethnisch-homogenen deutschen Staatsvolkes. Daraus werden Forderungen nach der Beendigung jeglichen Zuzuges von ethnisch "Fremden" und, so sich diese bereits in Deutschland aufhalten, nach einer umfassenden "Remigration" abgeleitet. Die Ausrichtung an einem ethnisch-kulturellen Volksbegriff hat, wie auch gerichtlich festgestellt worden ist, keinen "rein deskriptiv[en]" Charakter, sondern ist mit "Wertungen" verbunden, die nicht zuletzt unter Verwendung von "martialischen Begriffen" zu einer "Abwertung zugewanderter Menschen führen" und das Postulat des "Erhalt[s] der ethnisch-kulturellen Identität" zum Gegenstand haben. 5 Dabei wird von einer ethnisch begründeten und damit irreversiblen Ungleichheitsannahme zwischen einzelnen Menschen und Bevölkerungsgruppen ausgegangen. Der einzelne Mensch, der im Zentrum der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht, wird dadurch auf dessen biologisch abgeleitete ethnische Zugehörigkeit reduziert. Dies stellt einen Verstoß gegen das egalitäre Prinzip der Menschenwürde dar. Auch im Berichtszeitraum ist im Landesverband diesbezüglich keine politische Mäßigung eingetreten; vielmehr wird beständig das Ziel der gesellschaftlichen Normalisierung des aggressiven Duktus und die Herstellung der Anschlussfähigkeit von menschenfeindlichen Positionen im öffentlichen Diskurs verfolgt. Das ethnisch-abstammungsmäßig geprägte Volksverständnis wird durch die Verschwörungserzählung untermauert, Eliten in Deutschland betrieben gemeinsam mit globalistischen Akteuren die volksfeindliche Agenda einer "Umvolkung" oder eines "Bevölkerungsaustausches". Damit ist die schrittweise Ersetzung einer als "autochthon" 6 definierten Mehrheitsbevölkerung durch vornehmlich muslimische Zuwanderer aus Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten gemeint. Es wird der Eindruck einer Überwältigung des deutschen Volkes durch Zuwanderung erweckt, indem Björn Höcke etwa in einer Rede am 13. August unterstellt: "Die Kartellparteien schaffen sich gerade ein neues Volk. Freunde, das müssen wir verhindern, sonst verlieren wir diese Demokratie. Sonst verlieren wir diese deutsche Demokratie." Durch diese vermeintliche ethnische Zersetzung werde die Gesellschaft gezielt destabilisiert, wie er in seiner Rede am 20. Juli zum Auftakt des AfD-Landtagswahlkampfes in Thüringen ausführte: "Die Politiker, für die das thüringische Volk und das deutsche Volk nur eine Störgröße sind bei der Durchsetzung ihrer globalen Agenden, egal ob das die Transformation der Wirtschaft ist, die Energiewende, Great Reset, Gender Mainstream, Geschlechter-Irrsinn, Multikulturalität und so weiter und so weiter." Mit dieser Verschwörungserzählung geht regelmäßig die Behauptung einher, die "Mächtigen" würden ihr Vorgehen durch Denkund Sprechverbote zu decken versuchen. 5 Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 8. März 2022, 13 K 326/21 Rn. 816; vgl. auch Oberverwaltungsgericht Münster, Urteil vom 13. Mai 2024, 5 A 1217/22 Rn. 199. 6 Sinngemäß: einheimisch oder alteingesessen, auch im biologischen Sinn. 16 Bei der Agitation gegen staatlichen Akteure werden in der rechtsextremistischen Szene verbreitete Erzählungen übernommen. Als am 31. Mai in Mannheim ein in Deutschland lebender Afghane auf einer islamfeindlichen Veranstaltung Teilnehmer angriff und anschließend einen Polizeibeamten tödlich verletzte, der in dieser unübersichtlichen Situation einen Veranstaltungsordner am Boden fixierte, wurde diesem Sachverhalt eine symbolische Bedeutung zugemessen. Besondere Verbreitung fand ein Bild, in dem der Polizist mit dem Begriff "Staat", die am Boden fixierte Person mit dem Begriff "Volk" und der Angreifer mit dem Begriff "Migration" bezeichnet ist. Höcke griff das Bild in ähnlicher Weise auf und annotierte: "Die Polizei dreht der eigentlichen Gefahr den Rücken zu, fixiert stattdessen einen unschuldigen Deutschen und wird selbst zum Opfer". Ähnlich wie im ursprünglichen Meme wird mit der Aussage "Deutschlands Dilemma in einem Bild" vom Einzelfall auf die Gesamtheit abstrahiert. Die Tat soll somit als symptomatisch betrachtet werden: Der deutsche Staat unterdrücke Migrationskritik; Migration "töte" den deutschen Staat. Mit dem Aufgreifen exakt dieses Frames schließt Höcke zudem bewusst an rechtsextremistische Subkultur an und bedient sich deren Codes als Erkennungszeichen. In einem Facebook-Beitrag vom 30. Oktober empfiehlt Björn Höcke einen Online-Artikel 7 als "lesenswert", in dem eine Karikatur aus dem historischen Nationalsozialismus Verwendung fand. 8 Sie zeigt das "Feindbild Amerika" als monströse, paradoxe Gestalt, die die kulturelle Vernichtung ("Kultur-Terror") europäischer Völker betreibe. Amerika wird als kulturlose, ethnisch-durchmischte Plutokratie dargestellt. Verschiedene Symbole suggerieren insbesondere einen jüdischen Einfluss, wodurch die Erzählung einer globalistisch-jüdischen Weltverschwörung Verbreitung finden soll. Auch Höckes Kommentar stellt im Sinne der skizzierten Verschwörungserzählung in Frage, "in welchem Interesse Deutschland regiert wird." Als Beleg nennt er die "Zerstörung des Demos (Volkes) durch Multikulturalisierung". Außerdem betont er die Größe des Reformbedarfs hin zur einer (echten) 7 Zeitschrift für nationale Identität, Beitrag vom 29.10.2024: Wer regiert hier eigentlich? Die Karikatur wurde später aus dem Artikel entfernt. 8 Die Karikatur stammt von dem Norweger Harald Damsleth (1906-1971), der in den 1940er Jahren als Plakatpropagandist für die nationalsozialistische Partei Norwegens tätig war. Die Karikatur wurde 1944 in der niederländischen Zeitung "Storm SS" veröffentlicht. 17 "Volkssouveränität". Bereits in der Vergangenheit bediente Höcke vergleichbare Erklärungsmuster, wobei er zur Beschreibung dieser globalistischen Akteure antisemitische Stereotype verwendete. Durch regelmäßige pauschale Verächtlichmachung zielt die AfD Thüringen auf eine gesellschaftliche Segregation ethnisch Fremder ab. Robert Teske behauptete am 24. August in einem Telegram-Video: "Multikulturelle Gesellschaften werden zwangsläufig zu multikriminellen Gesellschaften". Eine AfD-Kandidatin für die Landtagswahl 2024 sagte bei einer Rede am 23. August in Heilbad Heiligenstadt: "Sie (gemeint sind Migranten) plündern unsere Sozialsysteme, die Kriminalität steigt sprunghaft und unser Vaterland wird immer mehr untergraben. [...] Deutschland hat mittlerweile 84 Millionen Einwohner. Davon sind 30 Millionen mit Migrationshintergrund. Damit unser Vaterland unser Vaterland bleibt, darf es nicht von Kulturfremden überrollt werden. Nur dann werden unsere Kinder und Enkelkinder auch eine Zukunft haben." Aus der Migrationsgeschichte werden pauschal negative Merkmale abgeleitet und Einzelne in menschenwürdewidriger Weise auf diese Gruppenmerkmale reduziert. Am 13. August stellte Björn Höcke in einer Rede in Suhl die Gewaltaffinität "migrantischer Gruppen" heraus. Diese gingen durch "systematisches Mobbing" und "systematische Gewalt" gezielt gegen "Biodeutsche" vor. Hier werden ethnische Konflikte konstruiert, um in der Gesellschaft "Feindbilder" zu etablieren und dadurch die eigene Partei bzw. ihren Landesverband in Thüringen als die einzig schlüssige Konsequenz zum Erhalt der - monoethnischen - deutschen Gesellschaft darzustellen. Dieser Sichtweise liegt die Auffassung einer feststehenden kulturellen Inkompatibilität zugrunde. Demnach werden Migranten aus islamisch geprägten Kontexten in derselben Rede Höckes als minderwertig dargestellt: "Für uns ist die Messerkultur eben nicht die Kultur, mit der wir das Recht des Stärkeren durchsetzen, wie die Verrückten, die das Messer nehmen, um genau das zu tun, weil sie aus archaischen kulturellen Kontexten kommen, die Gott sei Dank bei uns der Vergangenheit angehören." Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Kulturkreis wird so mit einem psychopathologischen Agieren gleichgesetzt. Am 31. Juli schrieb Höcke anlässlich eines Angriffs eines 17-Jährigen auf eine Tanzschule in Southport (Großbritannien), bei dem mehrere Menschen, teils tödlich verletzt wurden: "Unsere Kinder werden niedergemetzelt, während die Politik und die großen Medien der entscheidenden Frage ausweichen: Es gibt Menschen, die wollen sich nicht in unsere Gesellschaft integrieren und die hassen unsere Werte. Es gibt eine signifikante Häufung von diesen Problemen bei Angehörigen bestimmter Kulturkreise. Deswegen müssen wir uns fragen, ob wir mit einer so gearteten kul18 turfremden Einwanderung tatsächlich weiter machen wollen." Daraus folgt für Höcke: "Städtenamen sind austauschbar, die Täterprofile gleichen sich. [...] Remigration kann Menschenleben retten!" Ein besonders beachtetes Treffen u. a. mit Vertretern der AfD (ohne Thüringenbezug) in Potsdam führte zu Beginn des Berichtszeitraums zu öffentlicher Kritik an Remigrationsplänen der AfD. Björn Höcke reagierte in einem Facebook-Beitrag vom 11. Januar darauf. Die Auslegung des Begriffes "Remigration" ist in der Szene ambivalent. Für die AfD Thüringen geht "Remigration" über gesetzlich geregelte Abschiebungen ausreisepflichtiger Personen hinaus und richtet sich parallel zu ihrer Agitation pauschal gegen ethnisch Fremde. Er schließt folglich auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund ein. Demgemäß lautet das erklärte Ziel der AfD Thüringen: "Deutschland muss wieder deutscher werden." 9 Vertreter des Landesverbandes mahnen vor einem Szenario, in dem Deutsche zur Minderheit im eigenen Land werden. Deutschsein wird dabei in einem ethnisch-kulturellen Sinne verstanden; "Remigration" als Lösung propagiert. So forderte Robert Teske am 10. Dezember in einem Video auf der Plattform Telegram: "Schluss mit Ersetzungsmigration, Zeit für Remigration!" Von dem AfD-Kreisverband Kyffhäuser hieß es am 10. Oktober auf Telegram: "millionfache Remigration statt Talahon 10." Die Formulierungen stehen für eine menschenwürdewidrige Exklusion auch von deutschen Staatsangehöriger aufgrund als irreversibel verstandener ethnisch-kultureller Kriterien. Wegen der wiederholten öffentlichen Verwendung der SA-Losung "Alles für Deutschland" wurde Björn Höcke im Mai und Juli 2024 durch das Landgericht Halle zu Geldstrafen verurteilt. 11 Innerhalb der AfD Thüringen führte dies zu einer Verächtlichmachung des Rechtsstaates und seiner Akteure. Ein Vorstandsmitglied der AfD Thüringen sprach in einem Beitrag bei Facebook am 26. April von "Schauprozessen", die das Ziel hätten, den Wahlkampf zu beeinflussen. Zugleich wurde die Losung in abgewandelter Form u. a. 9 Konferenz der AfD-Fraktionsvorsitzenden Ost am 15.01.2024 in Erfurt. 10 Bezeichnung für junge Männer vorwiegend arabischer Herkunft, die (mitunter gefälschte) Luxusmodelabels sowie entsprechende Accessoires tragen und im sog. Gangsterstyle auftreten. 11 Landgericht Halle, Urteil vom 14.05.2024 - 5 KLs 6/2023 und 01.07.2024 - 5 KLs 802 Js 11101/24 (8/24). Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig. 19 von Höcke am 19. Juli weiterverwendet, in dem dieser auf Facebook für seine Homepage warb: "99,9% für Deutschland. Mehr gibt es nur auf: www.afd-bjoern-hoecke.de". Ein Vorstandmitglied des Kreisverbandes Gera - Jena - Saale-Holzland-Kreis beendete eine Wahlkampfrede am 16. August in Gera mit den Worten: "Für Deutschland alles!" Die AfD Thüringen steht im Zentrum eines Geflechtes rechtsextremistischer oder durch Rechtsextremisten geprägter Organisationen. Funktionsund Mandatsträger der Partei weisen gefestigte Beziehungen zu Akteuren insbesondere des rechtsextremistischen Teils der Neuen Rechten auf. Diese strukturellen Verbindungen deuten auf ein strategisch agierendes Netzwerk hin, das auf gemeinsamen oder zumindest ähnlichen politischen Überzeugungen beruht. Gegenseitige Teilnahmen an Veranstaltungen, Arbeitsbesprechungen, das Teilen von Social Media-Beiträgen, Bewerben von Produkten (insbesondere Büchern) sowie Interviews und Gastbeiträge in Onlineund Printmedien sind für diese Zusammenarbeit charakteristisch. Mit der auf dem Landesparteitag am 14. Dezember erfolgten Wiederwahl von Björn Höcke und Stefan Möller zu den Landessprechern der AfD Thüringen hat sich die dezidiert rechtsextremistische Grundausrichtung der Partei bestätigt. Dennoch konnte die Partei im Berichtszeitraum insbesondere bei der Kommunalwahl am 26. Mai und der Landtagswahl am 1. September weiteres Wählerpotenzial erschließen. Die Rolle als Fundamentalopposition erschwert ihr andererseits die Organisation politischer Mehrheiten. "Junge Alternative Thüringen" (JA Thüringen) Bei der JA Thüringen - eine von vormals 16 Untergliederungen der "Junge Alternative Deutschland" (JA) 12 - handelte es sich um die Jugendorganisation der AfD Thüringen. Die JA Thüringen ist mit Wirkung zum 28. März durch das AfV als gesichert rechtsextremistisch eingestuft worden. Die JA Thüringen wurde auch im Berichtszeitraum von Personen des "solidarisch-patriotischen Lagers" dominiert. Dieses "solidarisch-patriotische Lager" beruht auf der gegen Artikel 1 GG (Menschenwürde) verstoßenden Ideologie eines ethnischen Volksbegriffs, der den Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand sowie den Ausschluss "ethnisch Fremder" 12 Die JA beschloss auf dem Bundeskongress am 01.02.2025 in Apolda ihre Selbstauflösung zum 31.03.2025. Zahlreiche Mitglieder der JA traten sodann der AfD bei sofern sie ihr nicht ohnehin schon angehörten. Zuvor hatte sich die AfD auf dem Parteitag am 12.01.2025 in Riesa per Beschluss von der als eigenständiger Verein bestehenden Jugendorganisation getrennt und für die Gründung einer enger an die Partei gebundenen Organisation votiert. 20 postuliert. Für die Dominanz dieses Lagers spricht ebenfalls die bestehende Nähe zum und Ausrichtung am rechtsextremistischen Landessprecher der AfD Thüringen, Björn Höcke. Die Jugendorganisation zeigte auch im Berichtszeitraum eine Ausrichtung, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstößt. Wie bereits im Vorjahr prägte das Thema "Migration" die Aktivitäten und Veröffentlichungen der JA Thüringen. Hierbei stellte die Forderung nach "Remigration" erneut das zentrale Narrativ dar. Dazu schrieb der Landesvorsitzende der JA Thüringen am 10. Januar auf der Plattform X: "#Remigration ist unser Standpunkt, die Erwartung unserer Wähler an die AfD und die einzige Möglichkeit, unser Volk zu erhalten." Demnach werden Menschen mit Migrationshintergrund als Gefahr für den Fortbestand des deutschen Volkes und einer ethnisch-konturierten "deutschen Identität" gesehen. Zur Bewahrung eines ethnisch definierten deutschen Volkes wird daher die Ausweisung aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationsgeschichte gefordert - unabhängig von ihrem rechtlichen Aufenthaltsstatus oder ihrer deutschen Staatsangehörigkeit. Im Zusammenhang mit einer vermeintlich migrationsinduzierten 'Überfremdung' wird häufig auf die in rechtsextremistischen Kreisen verwendete Verschwörungstheorie des "Großen Austauschs" 13 rekurriert, wonach die autochthone Bevölkerung Europas bewusst verdrängt und durch Migranten ersetzt werden soll. Die JA Thüringen teilte in einer Instagram-Story vom 12. Januar einen Beitrag der österreichischen Plattform "Heimatkurier" zur sog. Ersetzungsmigration und positioniert sich damit offen als Anhänger der Verschwörungstheorie des "Großen Austauschs". Darin heißt es: "Ersetzungsmigration in Deutschland auf Rekordhoch". Darüber hinaus veröffentlichte der Landesvorsitzende der JA Thüringen in Reaktion auf einen Medienbericht 14 am 25. Februar auf der Plattform X die Aussage: "Es ist schon mehr als anmaßend, als Partei einer anderen Nation zu fordern, dass die seit Jahren anhaltende Ersetzungsmigration in einem anderen Land nicht rückabgewickelt werden darf." Der Begriff "Ersetzungsmigration" wird hierbei häufig als Synonym zum Begriff "Großer Austausch" verwendet. Die Ablehnung einer pluralistischen Gesellschaft unterstreicht der Landesvorsitzende der JA Thüringen mit einem X-Beitrag vom 3. Januar. Darin knüpft er an das Konzept des Ethnopluralismus an, dass alle Völker auf ein Territorium begrenzt und voneinander getrennt leben sollten: "Jedes Volk hat seinen Platz auf der Welt. Die Türkei ist das Land der Türken, Syrien, das Land der Syrer und Deutschland, das Land der Deutschen." Dem liegt die Annahme feststehender kollektiver Identitäten zugrunde, deren Erhalt nur durch die Verhinderung der Integration in andere ("fremde") Gesellschaften möglich ist. Das Framing einer solchen 13 Der Begriff 'Großer Austausch' bezeichnet ein Narrativ der Neuen Rechten, das auf den französischen Autor Renaud Camus zurückgeht. 14 Spiegel online, Beitrag vom 25.02.2025: Le Pen fordert von Weidel Distanzierung zu "Remigration". 21 Völkervielfalt - unter klarer Trennung der einzelnen Volksgruppen - schließt jegliche Form von Zuwanderung aus. Die Anzahl der Aktivitäten der JA Thüringen lag im Jahr 2024 im unteren zweitstelligen Bereich. Dabei handelte es sich um interne Veranstaltungen, gemeinsame Freizeitaktivitäten von Mitgliedern und Interessierten sowie um die Teilnahme an Veranstaltungen anderer Landesverbände und des Bundesverbands der JA. Im Juni beteiligte sich die JA Thüringen an der durch neurechte Akteure initiierten bundesweiten Kampagne "Stolzmonat", der Gegenbewegung zum "Pride Month", mit einer Aktion in Erfurt. 15 Am 23. Juni veranstaltete die JA Thüringen in Reaktion auf ein in den sozialen Medien häufig geteiltes Video, welches eine Gewalttat mehrerer Jugendlicher mit Migrationsgeschichte gegen einen 14-Jährigen am 11. Juni in Gera zeigt, eine Demonstration unter dem Motto "Deutsche Jugend steht zusammen" in Gera. Dabei wurde Migranten pauschalisierend strafbares Handeln unterstellt und eine von ihnen ausgehende konstante Bedrohungssituation konstruiert. An der durch die Forderung nach "Remigration" geprägten Veranstaltung nahmen zahlreiche Vertreter der AfD Thüringen sowie anderer Landesverbände der JA teil. Nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember führte die JA noch am selben Tag eine Mahnwache in Magdeburg durch, um auf die angenommene Bedrohungssituation durch Migranten aufmerksam zu machen. Auch Vertreter der JA Thüringen waren vor Ort. Zudem richtete die JA Thüringen am 17. November gemeinsam mit Vertretern des AfD-Kreisverbands Mittelthüringen anlässlich des Volkstrauertags, der von Rechtsextremisten zur "Heldenverehrung" der gefallenen deutschen Soldaten und Kriegsopfer der beiden Weltkriege genutzt wird, eine Gedenkveranstaltung in Erfurt aus. Die Teilnehmerzahl lag im unteren zweistelligen Bereich. Während des gesamten Berichtszeitraumes wirkten die AfD Thüringen und ihre Jugendorganisation eng zusammen. Nach der öffentlichen Bekanntgabe des AfV zur Einstufung der JA Thüringen als gesichert rechtsextremistische Bestrebung 16 solidarisierten sich neben den bei15 Bei der "Stolzmonat"-Kampagne handelt es sich um eine durch rechtsextremistische Akteure initiierte digitale sowie realweltliche Gegenbewegung zum "Pride Month" der LGBTQIA+ Community. 16 Presseinformation des AfV Nr. 01/2024 vom 23.05.2025. 22 den Landessprechern der AfD Thüringen, Björn Höcke und Stefan Möller, auch weitere Mitglieder der AfD Thüringen mit der Jugendorganisation. Des Weiteren ließen sich im Berichtszeitraum häufige gemeinsame Auftritte von Vertretern beider Verbände bei Veranstaltungen erkennen. Mitglieder der JA Thüringen nahmen an zahlreichen Parteiveranstaltungen, beispielsweise an den Landesparteitagen sowie an Wahlkampfveranstaltungen der AfD Thüringen teil. Im Rahmen der Landtagswahlen entwickelten die JA Landesverbände Brandenburg, Sachsen und Thüringen eine Kampagne unter dem Motto "DeutschlandRetter24", um insbesondere Jugendliche und Jungwähler anzusprechen. Dazu erfolgten zielgruppengerechte Veröffentlichungen in den sozialen Medien, darunter ein Onlinegame, ein Musikvideo sowie kurze Wahlvideos. Zugleich bestanden AfD-Mitgliedschaften von JA-Mitgliedern sowie Fördermitgliedschaften von AfD-Mitgliedern im Landesverband der JA Thüringen. Darüber hinaus intensivierte sich die Vernetzung der JA Thüringen mit dem rechtsextremistischen "Vorfeld". Im Rahmen des Verbots der "COMPACT-Magazin GmbH" 17 im Juli solidarisierten sich Mitglieder der JA Thüringen mit der Vereinigung und sprachen ihre Solidarität aus. Zudem veröffentlichte der Youtube-Kanal "COMPACTTV", wie bereits im Vorjahr, einen Beitrag über die JA Thüringen. Darin berichtete u. a. deren Landesvorsitzender über Beweggründe von jungen Menschen, die AfD zu wählen. In den Aussagen von Mitgliedern der JA Thüringen fanden zunehmend Begriffe der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" wie "Remigration", "Reconquista", "Festung Europa" Verwendung. Der historische Begriff der "Reconquista" wurde schon für die militärische Rückeroberung muslimischer Gebiete im spanischen Einflussgebiet des 15. Jahrhunderts verwendet. Heute wird der Begriff beispielsweise durch die "Identitäre Bewegung" als Kampfbegriff genutzt, um zu propagieren, dass die Bevölkerung Europas durch eine vermeintliche Islamisierung bedroht sei. Für den Bestand der europäischen Kultur und Identität müsse man die muslimischen Einflüsse in oder idealerweise aus Europa zurückdrängen und eine "Festung Europa" errichten. 17 Die "COMPACT-Magazin GmbH" sowie die "CONSPECT FILM GmbH" wurden mit Verfügung der Bundesinnenministerin vom 5. Juni 2024 - vollzogen am 16. Juli 2024 - als Organisationen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne von Artikel 9 Grundgesetz und SS 3 Vereinsgesetz richten, verboten. In einem von COMPACT angestrengten Eilverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht das Verbot zunächst teilweise außer Vollzug gesetzt; BVerwG 6 VR 1.24 - Beschluss vom 14.08.2024. Diese Entscheidung wurde im Hauptsacheverfahren bestätigt und das Verbot aufgehoben, Beschluss vom 24.06.2025 - BVerwG 6 A 4.24. 23 "Die Heimat" Die seit Juni 2023 unter dem Namen "Die Heimat" agierende frühere "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ist die älteste in der Bundesrepublik agierende rechtsextremistische Partei. Sie sieht sich als "Anti-Parteien Bewegung und patriotischer Dienstleister", der "starke patriotische Netzwerke, wirksame Bündnisse auf der Straße, in den Parlamenten und im vorpolitischen Raum" aufbauen will. Ziele der Partei sind die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Schaffung eines autoritär geprägten Nationalstaates auf Basis einer ethnisch definierten deutschen "Volksgemeinschaft". Deren Mitglieder sollen durch Abstammung definiert werden. Mithin sind die politischen Ziele von "Die Heimat" auf die Missachtung der Menschenwürde ausgerichtet. Durch das Bundesverfassungsgericht wurde im Jahr 2017 die Verfassungsfeindlichkeit der NPD erstmals bestätigt. In einem weiteren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht wurde "Die Heimat" mit Urteil vom 23. Januar für die Dauer von sechs Jahren von der staatlichen Finanzierung nach SS 18 Parteiengesetz ausgeschlossen. Auch in diesem Urteil befand das Gericht, dass die Partei "mit einer Vielzahl von Aktivitäten versucht, ihre verfassungsfeindlichen Ziele umzusetzen". Am 23./24. November fand in Zwickau ein Bundesparteitag von "Die Heimat" statt. Auf diesem wurde ein neuer Bundesvorstand gewählt. Mit Thorsten Heise als stellvertretendem Bundesvorsitzenden, Alexander Neidlein als Generalsekretär und Christian Klar als Beisitzer gehören dem Gremium seither insgesamt drei Vertreter des Thüringer Landesverbandes an. Der seit 1990 bestehende Landesverband Thüringen untergliederte sich in neun Kreisverbände. Zudem gab es einen Landesverband "Junge Nationalisten Thüringen" (JN Thüringen). Gleichwohl zeigte die Partei im Berichtszeitraum, wie schon im Vorjahr, kaum öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Sie ist nur in wenigen Regionen aktiv, wobei die Präsenz von "Die Heimat" abhängig vom lokalen Wirken einzelner Funktionäre war. Dies zeigte sich auch bei den Kommunalwahlen am 26. Mai, bei denen "Die Heimat" nur in wenigen Kommunen mit eigenen Kandidaten antrat. Sie erlangte lediglich zwei Kreistagsmandate und zehn Gemeindebzw. Stadtratsmandate. Bei der Europawahl am 26. Mai erhielt sie mit 2.879 Stimmen nur einen Stimmenanteil von 0,3 %. Zur Landtagswahl am 1. September trat sie nicht an. Auf dem Landesparteitag von "Die Heimat" am 14. September in Eisenach wurde ein neuer Landesvorstand gewählt. Patrick Wieschke, seit 2022 Vorsitzender des Thüringer Landesverbandes, und sein Stellvertreter Thosten Heise traten nicht erneut an. Zum Landesvorsitzenden wurde Max-Joseph Matthieß, als stellvertretender Landesvorsitzender Alexander Neidlein gewählt. 24 Zuvor war Matthieß Vorsitzender des Kreisverbandes Gotha und Funktionär der JN Thüringen. Der Kreisverband zeigte geringe Aktivitäten. Matthieß beabsichtigte, an der Stadtratswahl in Tambach-Dietharz teilzunehmen, wurde jedoch mangels ausreichender Unterstützerunterschriften nicht zur Wahl zugelassen. Schwerpunkt und zugleich aktivste Region der Partei "Die Heimat" war erneut der Raum Eisenach. Hier ist es der Partei unter der Führung von Wieschke gelungen, sich in der Gesellschaft zu verankern und sich ein dauerhaftes Wählerpotenzial zu sichern. Im Stadtrat Eisenach ist "Die Heimat" mit drei Mandaten vertreten; Wieschke errang zudem einen Sitz im Kreistag des Wartburgkreises. Das Eisenacher "Flieder Volkshaus", in dem sich auch die Landesgeschäftsstelle von "Die Heimat" befindet, entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einem rechtsextremistischen Zentrum mit einem vielfältigen Veranstaltungsangebot. Hier fanden in den vergangenen Jahren rechtsextremistische Musikund Vortragsveranstaltungen, Parteiaktivitäten, subkulturelle Veranstaltungen und Kampfsport statt. Daneben hatten Veranstaltungen wie z. B. Partyund Discoabende eine "Türöffnerfunktion" gegenüber dem bürgerlichen Spektrum. Auch im Kyffhäuserkreis entfaltete "Die Heimat" stärkere Aktivitäten. Sie errang erneut zwei Mandate im Stadtrat Sondershausen, jeweils ein Mandat in den Stadträten Artern und Ebeleben sowie ein Mandat im Kreistag des Kyffhäuserkreises. Der Vorsitzende des Kreisverbandes Kyffhäuser und Schatzmeister des Landesverbandes, Patrick Weber, nahm zudem in Sondershausen regelmäßig an sogenannten Montagsprotesten teil, trat als Redner auf und war auch organisatorisch eingebunden. Die politische Bedeutung von "Die Heimat" stagnierte im Berichtszeitraum weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Die im Jahr 2023 erfolgte Umbenennung und strategische Neuausrichtung zeigte bisher keine Wirkung. Der Wirkungskreis der Partei blieb auf wenige regionale Schwerpunkte beschränkt. Dies zeigte sich auch bei den Wahlen im Jahr 2024. Dass "Die Heimat" mittelfristig ihren Einflussbereich erweitern und an Gewicht gewinnen könnte, zeichnet sich nicht ab. Partei "Der III. Weg" Die bundesweit aktive rechtsextremistische Kleinstpartei "Der III. Weg" vertritt unvermindert eine nationalsozialistische, völkische und fremdenfeindliche Programmatik. Der ideologische Kampf der Partei richtet sich nach dem "Drei-Säulen-Konzept": Diese stehen für den politischen Kampf, den kulturellen Kampf und den Kampf um die Gemeinschaft. So 25 werden in den Zielen der Partei neben der Schaffung eines "Deutschen Sozialismus", der sich am historischen Nationalsozialismus orientiert, auch eine "gerechte soziale und völkische Ordnung" und die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" gefordert. In Thüringen trat von der Partei "Der III. Weg" im Berichtszeitraum einzig der Stützpunkt Erfurt/Gotha wahrnehmbar in Erscheinung. Vom Stützpunkt Thüringer Wald/Ost, der nach Angaben der Partei nach wie vor besteht, wurden im Berichtszeitraum keine Aktivitäten bekannt. Mit dem Bürgerund Parteibüro in Ohrdruf stand dem Stützpunkt Erfurt/Gotha bislang eine Anlaufstelle für die Parteiarbeit und ein Veranstaltungsort zur Verfügung. Im Herbst verlor die Partei den Zugriff auf diese Immobile, was einen Rückschlag für die Aktivitäten der Partei in Thüringen und bedeutete. Ihr Bemühungen, sich als politischer Akteur zu etablieren, stagnierten im Berichtszeitraum. Ein nennenswerter Zuspruch hinsichtlich der durch die Partei besetzten Themen und ein damit einhergehendes Interesse bei potenziellen Wählern konnte nicht festgestellt werden. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass das rechte Wählerpotenzial in Thüringen umfänglich durch die AfD Thüringen ausgeschöpft wird. Somit bleibt die Partei "Der III. Weg" mit ihren offensiv völkisch-nationalistischen Positionen hinsichtlich Anhängerschaft und Aufbau von örtlichen Parteistrukturen hinter ihren eigenen Erwartungen zurück. Anders verhält es sich bei der als "Nationalrevolutionäre Jugend" (NRJ) agierenden Jugendorganisation von "Der III. Weg". Unter der Organisationstruktur des Stützpunktes Erfurt/Gotha bildete sich im Frühjahr eine aus ca. 12 jungen Aktivisten bestehende Gruppe, die sich zur NRJ bekennt. Als "NRJ Thüringen" hat sie auf der Plattform Instagram mit Flugblattund Propagandaaktionen auf sich aufmerksam gemacht. Aufgrund der ideologisch gefestigten und zugleich auf körperliche Ertüchtigung fokussierten Ausrichtung der Partei und vor allem der NRJ, spielt (Kampf-)Sport im Hinblick auf die Stärkung des Körpers für den politischen Kampf und für die Gewinnung potenzieller Mitglieder auch zukünftig eine nicht unerhebliche Rolle. Über den Bezug zum (Kampf-)Sport, versucht die Jugendgruppe, vor allem über soziale Netzwerke, neue Mitstreiter zu rekrutieren. Dabei ist von einer latent niedrigschwelligen Gewaltbereitschaft - auch im Hinblick auf eine Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner - auszugehen. Zum Jahresbeginn versuchte die Partei "Der III. Weg" über ihre offizielle Webseite auf die bundesweiten Bauernproteste einzuwirken und rief "zum großen Bauernaufstand" auf. Dazu hieß es u. a.: "Im Zuge der bevorstehenden Bauernproteste wollen wir euch hier über die anstehenden Kundgebungen, Demonstrationen und Traktoren-Konvois informieren. Wir von der 26 Partei 'Der III. Weg' werden uns selbstverständlich nach unseren Möglichkeiten an den Aktionen beteiligen und auf dieser Seite über alle wesentlichen Ereignisse und Termine berichten. Ab dem 8. Januar 2024 ist deutschlandweit mit massiven Protesten und Blockaden seitens der Bauern zu rechnen. [...] Schon jetzt gibt es Tag für Tag lokale Aktionen in Nord, Süd, Ost und West der Republik. [...] Werdet Teil der Proteste! Leistet Widerstand! Steht auf und unterstützt den Bauernaufstand!" Einen prägenden Einfluss auf die Bauernproteste in Thüringen erlangte die Partei allerdings nicht. Zum 1. Mai rückte Thüringen ins Zentrum der Aktivitäten der Partei "Der III. Weg", da diese ihre bundesweite Maikundgebung unter dem Motto "Ausländerrückführung statt Zuwanderung" in Sonneberg abhielt. An dieser Versammlung mit Aufzug beteiligten sich ca. 170 Anhänger der Partei, die aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Im Berichtszeitraum war eine Orientierung der Partei "Der III. Weg" sowie der NRJ hin zu anderen rechtsextremistische Akteuren festzustellen. So nahmen Mitglieder der NRJ, gemeinsam mit anderen Rechtsextremisten als "Block" an der Abschlusskundgebung der AfD Thüringen zum Landtagswahlkampf am 31. August in Erfurt teil. Anhänger der Partei "Der III. Weg" schlossen sich am 17. November zum "Heldengedenken" auf der Kriegsgräberstätte Hötzelsrode (Eisenach) ebenso wie Anhänger von "Knockout 51" und der Partei "Die Heimat" einem Fackelmarsch mit insgesamt ca. 70 Teilnehmern an. Eigenangaben nach fanden anlassbezogen zudem Kranzniederlegungen von Parteianhängern in Erfurt, Eisenach, Warza, Illeben, Bad Langensalza und Arnstadt statt. Am 30. November veranstalteten Aktivisten des Stützpunktes Erfurt-Gotha mehrere Kundgebungen im Süden von Erfurt, an denen ca. 20 Personen teilnahmen. Diese Kundgebungen standen unter dem Motto "Erfurter wehrt euch! Vom Ich zum Wir!" Wenngleich die Kleinstpartei "Der III. Weg" nach wie vor stark von einem elitären Selbstbild geprägt ist, gingen von ihr im Berichtszeitraum deutliche Vernetzungsbestrebungen hin zu 27 anderen rechtsextremistischen Akteuren in Thüringen aus. Für ihre Jugendorganisation gilt das gleichermaßen. Nachhaltige Effekte zeigten diese Kooperationsbemühungen zunächst jedoch nicht. 3. Parteiunabhängiges bzw. parteiungebundenes Spektrum "Kontrakultur Erfurt" Bei "Kontrakultur Erfurt" handelt es sich um die Nachfolgebestrebung der "Identitären Bewegung Thüringen", die als lokale, erlebnisorientierte Aktionsgruppe mit Schwerpunkt in der Landeshauptstadt Erfurt auftritt. Die Gruppierung trat erstmalig im Sommer 2021 in Erscheinung. Die Gruppierung "Kontrakultur Erfurt" orientiert sich in ihrer Ideologie an den Positionen der "Identitären Bewegung" (IB). Die IB verfolgt eine antiliberale, antipluralistische sowie antiindividualistische Ideologie. Sie bekennt sich zum sogenannten Ethnopluralismus. Der Ethnopluralismus strebt einen ethnisch und kulturell homogenen Staat an. "Kontrakultur Erfurt" sieht diese vermeintlich erhaltenswerte ethnokulturelle Identität durch "Multikulturalismus" bedroht, der eine unkontrollierte Masseneinwanderung und damit die Heterogenisierung der Gesellschaft bewirke. Mit den Parolen "Grenzen schützen - Festung Europa jetzt", "Unser Volk zuerst" und "Remigration" stellt die Gruppierung öffentlichkeitswirksam ihre ablehnende Haltung gegenüber einer multikulturellen Gesellschaft, speziell gegenüber Asylbewerbern, dar. Im Berichtszeitraum trat "Kontrakultur Erfurt" in Thüringen mit fünf öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung. Im Januar befestigte die Gruppierung im Rahmen der bundesweiten Bauernproteste in Erfurt ein Banner mit der Aufschrift "Die Ampel vom Hof jagen - 15. Januar 2024 alle nach Berlin!" Mit einer Aktion im Juni in Gera, bei der ein Banner mit der Aufschrift "Remigration statt Angstzonen" gezeigt wurde, nahm die Gruppierung Bezug auf die Kriminalitätsstatistik und versuchte den Eindruck zu erzeugen, Straftaten würden überwiegend von Menschen mit Migrationsgeschichte begangen. In Reaktion auf eine Gewalttat mehrerer Jugendlicher mit Migrationsgeschichte gegen einen 14-Jährigen am 11. Juni in Gera folgte ebenfalls im Juni eine weitere Banneraktion in Gera. Auch hier wurde das Thema "Remigration" mit dem Slogan "Remigration schützt unsere Kinder" aufgegriffen. Auf dem Banner war zudem das von der IB als Organisationskennzeichen verwendete Lambda-Symbol abgebildet. Mit den genannten Aktionen sollen in der Bevölkerung Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund geschürt werden. Im Widerspruch zur polizeilichen Kriminalstatistik bzw. den dor28 tigen Angaben zu den Tatverdächtigen in Deutschland fordert die Gruppierung zur Verhinderung entsprechender Straftaten und dem damit verbundenen negativen Einfluss von Migration auf die deutsche Gesellschaft die Ausweisung aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationsgeschichte. Darüber hinaus beteiligte sich die Gruppierung an der Kampagne "Stolzmonat", der bundesweiten Gegenbewegung von Akteuren der "Neuen Rechten" zum "Pride Month", und führte bei einer Wanderung um Eisenach Ende Juni ein Banner in den Farben schwarz, rot, gold und der Aufschrift "Deutsch" mit sich. Am 24. August verwendeten vermummte Personen der Gruppierung bei einer Aktion am Flughafen Erfurt ein Banner mit der Aufschrift "Ab 2025 erster Remigrationsflughafen". Neben der Umbenennung des Flughafens in "Remigrationsflughafen" wurde dabei auch die "konsequente Abkehr von der jetzigen Migrationspolitik" gefordert. Auf mitgeführten Flugblättern hieß es in Unterstützung für die AfD und ihren Spitzenkandidaten zur Landtagswahl, Björn Höcke, zudem: "Am 01.09.2024 beide Stimmen für Höcke, damit Thüringen wieder sicher wird! Wählt am 01. September alle für Deutschland". Ein Mitglied der Gruppierung schloss sich der "Remigrationsdemo" der IB am 20. Juli in Wien (Österreich) an. Die IB nutzte diese Veranstaltung, um ihre zentrale Forderung nach "Remigration" öffentlich darzustellen und die internationale Vernetzung von Rechtsextremisten voranzutreiben. Im Berichtszeitraum steigerte die Gruppierung die Anzahl ihrer Aktionen im Vergleich zum Vorjahr und erweiterte ihren Betätigungsradius auf den Raum Gera. Dabei bediente sie überwiegend ihr Kernthema "Remigration". Wie die IB bundesweit orientiert sich auch "Kontrakultur Erfurt" an aktuellen gesellschaftspolitischen Debatten, die konsequent durch das neurechte Vorfeld bedient werden. Durch das Aufgreifen anschlussfähiger, aktueller politischer Themen und den auf bestehende Ängste der Bevölkerung gerichteten Fokus wird versucht, potenzielle Unterstützer sowie Plattformen zu gewinnen. Dadurch sollen die eigenen rechtsextremistischen Überzeugungen (weiter) verbreitet werden und so diskursprägend erscheinen. Es fällt wie bereits im letzten Jahr auf, dass die Gruppierung öffentliche Wahrnehmung vor allem im virtuellen Raum anstrebt: Realweltliche Aktionen sollen Mut und einen authentischen Aktivismus suggerieren, sind jedoch oft in ihrer Außenwirkung begrenzt und gewinnen erst durch mediale Inszenierung an Relevanz. 29 "Patrioten Ostthüringen" Bei den "Patrioten Ostthüringen" handelt es sich um einen mindestens seit dem Frühjahr 2020 bestehenden informellen Personenzusammenschluss mit erheblicher Vernetzungsfunktion in Ostthüringen. Die Gruppierung tritt geschichtsrevisionistisch auf, vertritt antisemitisch grundierte Verschwörungstheorien und lehnt aufgrund einer ethnischen Ungleichheitsannahme Migration ab. Im Berichtszeitraum nahm die Gruppierung an bundesweiten und regionalen geschichtsrevisionistischen Gedenkveranstaltungen teil, so beispielsweise an dem neonazistischen DresdenGedenken am 11. Februar. In Ostthüringen organisierte sie geschichtsrevisionistische Gedenkveranstaltungen mit positiven Bezügen zum historischen Nationalsozialismus, wie ein am 17. November in Gera durchgeführtes "Heldengedenken". Der Personenzusammenschluss bemüht sich weiterhin um Vernetzung von extremistischen Akteuren der Region sowie um ein koordiniertes Vorgehen gegen das bestehende "System" auch außerhalb demokratischer Prozesse. Der Rädelsführer der Gruppierung verwendete mehrmals in seinen Reden auf Versammlungen die verbotene Sentenz "Alles für Deutschland", bei der es sich um die Losung der paramilitärischen Kampforganisation "Sturmabteilung" (SA) der NSDAP handelt. 18 Während öffentlichkeitswirksame eigene Veranstaltungen von den "Patrioten Ostthüringen" nicht zu erwarten sind, ist die Rolle zu betonen, die der Gruppierung bei der Vernetzung und Professionalisierung der extremistischen Proteste zukommt. Beispielswiese wurden die sogenannten Schuldig-Plakate, die Politiker in Häftlingskleidung darstellen, von den "Patrioten Ostthüringen" kreiert und später von weiteren Protestinitiativen in Thüringen bei Kundgebungen mitgeführt. Durch personelle Überschneidungen bei Mitgliedschaften von "Patrioten Ostthüringen" und der AfD Thüringen ergibt sich zudem ein großes Personenpotenzial, das bei Demonstrationen mobilisiert werden kann. Es ist davon auszugehen, dass Mitglieder der "Patrioten Ostthüringen" weiterhin geschichtsrevisionistische Gedenkveranstaltungen in Ostthüringen mitorganisieren werden. 18 Zuletzt während der rechtsextremistischen Kundgebung zum Tag der Arbeit am 1. Mai in Sondershausen. 30 Tommy Frenck, "Bündnis Zukunft Hildburghausen" (BZH) und Gasthaus "Eiserner Löwe" Auch im Berichtszeitraum sorgte der bekannte Thüringer Rechtsextremist Tommy Frenck durch seine Aktivitäten bundesweit für mediales Aufsehen: Im Februar verkündete Frenck bei Facebook, dass er auf einer Versammlung seiner rechtsextremistischen Wählervereinigung "Bündnis Zukunft Hildburghausen" (BZH) zum Kandidaten für die Landratswahl am 26. Mai nominiert wurde. Er sehe für sich eine gute Chance, den "etablierten Parteien" neben Sonneberg in einem zweiten Südthüringer Landkreis einen weiteren Landratsposten den "abstreitig zu machen". Im Ergebnis der Wahl erhielt er fasst 25 % der Stimmen und kam somit als Zweitplatzierter in die Stichwahl um das Landratsamt im Kreis Hildburghausen. Bei dieser Abstimmung war Frenck (31 %) dem Wahlsieger (69 %) allerdings deutlich unterlegen. Mit dem BZH konnte Frenck seine Stimmenanteile im Landkreis im Vergleich zur Kommunalwahl 2019 nochmals steigern. Das BZH ist im Kreistag nunmehr mit fünf Mandaten (vormals drei) vertreten. Auch in mehreren Stadtund Gemeinderäten konnten BZH-Kandidaten Mandate erringen. 19 Das Wahlergebnis wurde von Frenck in den sozialen Medien als großer Erfolg dargestellt. 19 Das BZH ist in den Stadträten von Schleusingen, Eisfeld, Hildburghausen, Themar, Römhild, Heldburg und den Gemeinderäten von Kloster Veßra, Lengfeld, Oberstadt, Schleusegrund, Straufhaun, Auengrund vertreten. 31 Mit seiner Kandidatur als Landrat und dem zunächst positiven Abschneiden, erzielte Frenck bundesweit hohe mediale Aufmerksamkeit. Damit dürfte sich sein Kultstatus in der rechtsextremistischen Szene als Gastwirt, Unternehmer, Lokalpolitiker und "Widerstandkämpfer gegen staatliche Repression" weiter verfestigt haben. Es ist davon auszugehen, dass Frenck diesen Weg auch zukünftig unbeirrt fortsetzen wird. Seine Kandidatur für die nächste Landratswahl hat er bereits in Aussicht gestellt. Nach dem Verlust des Gasthauses "Goldener Löwe" in Kloster Veßra aufgrund des verlorenen Rechtsstreits mit der Gemeinde, bezog Frenck Anfang September mit dem Gasthaus "Eiserner Löwe" in Brattendorf ein neues Objekt. Das Objekt wird auf der Website mit "Erlebnisgastronomie der Superlative", "Afrika-Korps-Bar", Billard, Dart und Kegelbahn sowie dem "Druck18"-Warenhaus, das den bereits bestehenden Online-Versandhandel ergänzt, beworben. Mit dem Einzug in das Objekt markierte Frenck den Beginn einer langfristig angelegten Veranstaltungsreihe. So fanden bis zum Jahresende insgesamt acht "Liederabende" statt, wobei die Zahl der Gäste durch räumliche Gegebenheiten jeweils auf ca. 50 beschränkt ist. Der Kartenverkauf erfolgt ausschließlich online. Die Ticketpreise schwanken - je nach Status und Bekanntheitsgrad des auftretenden Musikers in der rechtsextremistischen Szene - zwischen 15 und 40 Euro. Für das Folgejahr sind bereits weitere "Liederabende" angekündigt. Darüber hinaus führte Frenck erneut eine Kindertagsveranstaltung als auch eine Kinderweihnachtsfeier durch, um Szeneangehörige und der Szene nahestehende Personen niederschwellig für sich zu gewinnen. Das alljährlich von Frenck in Schleusingen veranstaltete "Heldengedenken" fand am 16. November mit 87 Teilnehmern (2023: 95) statt. Der rechtsextremistische Liedermacher Axel Schlimper begleitete die Veranstaltung mit musikalischen Darbietungen. Anschließend trat er im Gasthof "Eiserner Löwe" zu einem "Liederabend" auf. 32 Frenck steht nach wie vor beispielhaft für Angehörige des organisierten Rechtsextremismus, die ihren Lebensunterhalt mit Angeboten für die Szene erwirtschaften - durch seinen hohen Bekanntheitsund Vernetzungsgrad in der rechtsextremistischen Szene sowie seine unternehmerischen Aktivitäten gelingt es ihm, lukrative Einnahmequellen zu generieren die regelmäßig an der Grenze der Legalität angesiedelt sind. Zugleich fungiert er als zentrale Figur des ungebundenen Rechtsextremismus in Thüringen und darüber hinaus: Frenck stellt mit seinem Objekt in Brattendorf einen zentralen Anlaufpunkt für Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum zum Zweck der extremistischen Freizeitgestaltung zur Verfügung - wobei er zugleich maximal auf Gewinnerwirtschaftung fokussiert ist. Er ist bestrebt, mit seinen Aktivitäten die Grenzen des rechtlich Zulässigen stetig zu verschieben, um auf diese Weise die öffentliche Wahrnehmung und Meinungsbildung zielgerichtet zu beeinflussen. EXKURS: Radikalisierung von Minderjährigen und Jugendlichen Im Berichtszeitraum wurde die rechtsextremistische Szene in Thüringen - neben den bekannten Parteien, wie etwa "Die Heimat" und "Der III. Weg" sowie deren Nachwuchsorganisationen "Junge Nationalisten" und "Nationalrevolutionäre Jugend" - durch neue Gruppierungen geprägt. Bei diesen Gruppen handelt es sich unter anderem um "Deutsche Jugend Voran", "Letzte Verteidigungs Welle" und "Gersche Jugend". Sie vereint der Umstand, dass sie sich zu einem Großteil aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen zusammensetzen. Regelmäßig erfolgt die Bildung zunächst virtuell, bis (Teile) der Gruppierungen auch realweltlich in Erscheinung treten, so etwa bei Störaktionen gegen "Christopher Street Day"-Veranstaltungen, bei rechtsextremistischen Demonstrationen oder durch Straftaten. Die vermehrte Bildung dieser neuen Gruppen und deren Zuwachs an jugendlichem Nachwuchs in der rechtsextremistischen Szene ist primär auf Social Media-Plattformen zurückzuführen. Die Möglichkeiten des virtuellen Raums wirken hierbei begünstigend: Zum einen ist das Potenzial zur Vernetzung durch die Reichweitenstärke und geschickte Nutzung der Algorithmen enorm. Zum anderen bietet sich die Gelegenheit, niederschwellig hybride Organisationsformen zu bilden, die sowohl virtuellen als auch realweltlichen Austausch und Zusammenarbeit verbinden. Ferner besteht eine gewisse Anonymität, die für eine Enthemmung hinsichtlich extremistischer Äußerungen sorgt und so zugleich eine Kontaktaufnahme mit ideologisch Gleichgesinnten oder Interessierten vereinfacht. Die Zugangsschwelle zu Inhalten rechtsextremistischer Gruppen und Akteure ist niedrig, da sich diese, aufgrund der stetigen Weiterentwicklungen der Szene sowie durch die Nutzung 33 von Künstlicher Intelligenz, auf die Interessenfelder junger Menschen ausrichten, sodass diese leichter beeinflusst und für die rechtsextremistische Szene gewonnen werden können. Auffällig ist hierbei, dass manche rechtsextremistischen Inhalte auf den ersten Blick nicht als solche erkennbar sind, sondern lediglich als Grundstein für die Befassung mit weiteren Inhalten der entsprechenden Gruppen und Akteure dienen sollen. Dabei werden die Social Media-Auftritte als Einfallstor in geschlossene Kanäle und Gruppen genutzt, in denen die Radikalisierung von (teilweise deutlich minderjährigen) Jugendlichen und jungen Erwachsenen durch Interaktion mit ideologisch gefestigten Extremisten, die gemeinsame Verherrlichung von Gewalt sowie das Anstacheln zu Aussagen und Straftaten gegen rechtsextremistische Feindbilder vorangetrieben wird. Rechtsextremistische Ideologien üben vor allem auf junge, emotional und sozial nicht gefestigte Personen eine beträchtliche Anziehungskraft aus. Diese Gruppenstrukturen können in ihrer Wirkung, aufgrund der Erzeugung eines Gemeinschaftsgefühls, der Vermittlung eines klaren Persönlichkeitsbildes sowie eines gewissen Überlegenheitsdenkens, besonders für Minderjährige im Rahmen ihrer Entwicklung, vermeintlich haltgebend und sinnstiftend sein. Die Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen trägt vor allem vor dem Hintergrund deren zunehmender Gewaltbereitschaft dazu bei, eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu werden. Dies zeigt sich beispielhaft bei Störaktionen gegen die LGBTQIA+-Community, die im Jahr 2024 merklich zugenommen haben. Unter dem Vorwand der Erhaltung und Stärkung der eigenen Reihen sehen rechtsextremistische Strömungen in der LGBTQIA+-Community eine Bedrohung für den Fortbestand des deutschen Volkes. In Thüringen konnten mehrere Störaktionen bzw. Gegenveranstaltungen gegen "Christopher Street Day"-Veranstaltungen festgestellt werden. So mobilisierten etwa Mitglieder der Gruppe "Deutsche Jugend Voran" im Internet gegen den Christopher Street Day am 25. August in Sonneberg und traten auch vor Ort realweltlich in Erscheinung. Rechtsextremistische Strömungen zeichnen sich unter anderem durch die Ideologie der Ungleichwertigkeit der Menschen aus. Dies spiegelt sich in zentralen Ideologieelementen wie Antisemitismus, Autoritarismus, Geschichtsrevisionismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit wider. 34 Die Mitglieder der Gruppe "Letzte Verteidigungs Welle" verstehen sich als letzte Instanz zur Verteidigung des deutschen Volkes. Ziel der "Letzten Verteidigungs Welle" ist es durch Sachbeschädigungen, Brandstiftung und Gewalttaten die politischen Gegner bzw. Andersdenkende einzuschüchtern und einen Zusammenbruch des demokratischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland herbeizuführen. So wurde im Berichtszeitraum eine Vielzahl an Sachbeschädigungen im Altenburger Land festgestellt, die neben angebrachten Hakenkreuzen und der Abkürzung "A.H." (Adolf Hitler) auch den Schriftzug "L.V.W." aufwiesen, der als Abkürzung für "Letzte Verteidigungs Welle" steht. Die Verherrlichung des Nationalsozialismus wird neben den vorgenannten Sachbeschädigungen auch durch den Kleidungsstil, der an die SkinheadSzene der 1990er Jahre anknüpft, öffentlichkeitswirksam ausgelebt. Die Gruppierung "Gersche Jugend", macht sich im Rahmen rechtsextremistischer Demonstrationen für vermeintlich bürgerliche Themen stark und schafft dabei, sowohl im virtuellen als auch realweltlichen Raum, ein Umfeld, das rassistische Einstellungen akzeptiert, als Normalzustand betrachtet und diese verbreitet. Die Gruppe setzt mithilfe ihres Social Media-Auftrittes auf eine landesweite Vernetzung und nutzt diesen auch zur aktiven Mitgliederwerbung. Die Thematisierung aktueller politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen im Kontext der Nutzung rechtsextremistischer Narrative führt auch realweltlich, unter anderem bei den rechtsextremistischen Demonstrationen, zur Gewinnung weiterer Sympathisanten und Szeneanhänger. 4. Weitgehend unstrukturierte Rechtsextremisten Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musikgruppen und Einzelmusiker ("Liedermacher") transportieren durch ihre Texte rechtsextremes Gedankengut. Sie vermitteln diese Ideologie den Zuhörern oft auf einfache und eingängige Art und Weise und dienen so als "Türöffner" in die rechtsextremistische Szene. Zudem stellt rechtsextremistische Musik ein ideologisches Fundament niedrigschwelliger Vernetzung innerhalb des Rechtsextremismus, aber auch darüber hinaus, dar. Die Palette der verwendeten Musikstile (u. a. Rock, Heavy Metal, Gothic, Dark Wave, Black Metal, Hardcore, Rap, Schlager, Volkslieder) ist umfänglich und bei weitem nicht mehr so eindimensional, wie noch vor einigen Jahren. In rechtsextremistischen Liedtexten werden mit höchst unterschiedlicher Deutlichkeit rassistische, antisemitische, menschenverachtende oder gewaltverherrlichende Ansichten propagiert, staatliche Institutionen verunglimpft oder die 35 nationalsozialistische Gewaltherrschaft glorifiziert. Dadurch geschürte Feindbilder prägen zum einen die häufig noch ungefestigten ideologischen Einstellungen der oft jugendlichen Konsumenten. Zum anderen dienen sie denen, deren rechtsextremistische Ideologie bereits verfestigt ist, als Bestätigung. Musikveranstaltungen einschlägiger Bands erzeugen bei den Besuchern ein Gefühl der Gemeinschaft und Stärke, dienen aber zugleich auch der Vernetzung innerhalb der Szene. Auch auf Jugendliche, die der Szene noch nicht fest angehören, sondern sich vorerst in deren Umfeld bewegen, üben die Musikveranstaltungen eine besondere Anziehungskraft aus. Rechtsextremistische Musikgruppen und Einzelmusiker ("Liedermacher") In Thüringen waren im Berichtszeitraum Musikgruppen im unteren zweistelligen Bereich sowie Einzelmusiker im untersten zweistelligen Bereich "aktiv". Im Vergleich mit den Vorjahren ist festzustellen, dass die Anzahl grundsätzlich stabil bleibt. Mittelfristig ist allerdings ein sukzessives Anwachsen festzustellen. Dieser Umstand lässt sich zum Teil auf Neugründungen und auch auf Umzüge beteiligter Personen nach Thüringen zurückführen. Als Aktivitäten wurden Veröffentlichungen von neuen Alben und Auftritte festgestellt. Bei den Musikgruppen wurden mitunter zusätzlich Proben registriert. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen Zugehörigkeit zur "White-Power"-Bewegung und weitgehend übereinstimmenden Feindbildern basiert. 20 Einschlägige Bands aus dem Ausland sind auch bei deutschen Rechtsextremisten beliebt. Entsprechende Gruppen treten auch bei Konzerten in Deutschland auf. Im Gegenzug beteiligen sich deutsche Bands an Veranstaltungen im Ausland. Im Folgenden wird auf die im Berichtszeitraum in Thüringen durchgeführten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen näher eingegangen, soweit sie ein gewisses Maß an öffentlicher Wahrnehmung erlangten. 20 Unter "White Power" wird ein Slogan der äußerst heterogenen US-amerikanischen rechtsextremistischen Bewegung verstanden, der auf rassistischer Grundlage die Überlegenheit der "weißen Rasse" annimmt und diese - auch unter Anwendung von Gewalt - sichern will. 36 Die Verfassungsschutzbehörden bewerten eine Musikveranstaltung als rechtsextremistisch, sofern folgende Kriterien erfüllt sind: * Live-Auftritt mindestens einer als rechtsextremistisch bewerteten Band bzw. eines Liedermachers * Szeneöffentlichkeit * Vortrag rechtsextremistischer Liedtexte bzw. Feststellung rechtsextremistischer Aktivitäten der Interpreten anlässlich der Veranstaltungen * Organisation der Veranstaltung durch rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzelpersonen. Hierbei ist nicht erforderlich, dass Informationen zu allen Kriterien vorliegen. Mindestvoraussetzung sind der szeneöffentliche Live-Auftritt sowie Indizien für rechtsextremistische Inhalte, die sich insbesondere aus dem Auftritt einschlägiger Bands oder aus dem Vortrag entsprechender Lieder ergeben können. Zu berücksichtigen sind bei der Würdigung die Gesamtumstände der Veranstaltung, wie etwa der Ablauf, die Liedtexte, der Teilnehmerkreis, das Verhalten der Organisatoren, Bands und Teilnehmer und der Vertrieb rechtsextremistischer Tonträger und Devotionalien. Inwieweit es sich bei der rechtsextremistischen Veranstaltung um ein Konzert oder einen "Liederabend" handelt, hängt von den Gesamtumständen der Veranstaltung ab und ist im Einzelfall zu prüfen. Anhaltspunkte zur Differenzierung sind beispielsweise die Anzahl der Musiker und das für den Auftritt gewählte Format (Einzelinterpret, Band), das Musik-Genre, die eingesetzte Technik (Verstärkung vers. akustische Auftritte) und die Liedtexte. Rechtsextremistische Konzerte Im Berichtszeitraum wurde in Thüringen eine rechtsextremistische Konzertveranstaltung öffentlich bekannt. Datum Ort TeilnehmerBands/Liedermacher zahl 1. März Zeulenroda-Trie136 "Sturmtrupp", "Eskalation", "The Tenbes derizers" Tabelle 2: Übersicht rechtsextremistische Konzerte 37 Das nur verhaltene Aufleben des Konzertgeschehens nach der Pandemie setzt sich in Thüringen folglich auch im Jahr 2024 fort. Ein Anknüpfen der Anzahl der hier bekannt gewordenen Konzerte an das Niveau in den Jahren vor der Pandemie erfolgte nicht. Rechtsextremistische "Liederabende" Im Jahr 2024 war erneut eine Vielzahl rechtsextremistischer "Liederabende" in Thüringen zu verzeichnen. Zwei "Liederabende", welche im Mai in Zeulenroda-Triebes und im Dezember in Suhl geplant waren, konnten bereits im Vorfeld verhindert werden. Durch die Art der Darbietung (zumeist Einzelinterpret mit Akustikgitarre) geraten die Texte und deren politische Inhalte bei diesem Veranstaltungsformat besonders in den Vordergrund. Trotz der harmlos klingenden Bezeichnung "Liederabend" schaffen derartige rechtsextremistische Veranstaltungen im kleineren Kreis eine gemeinschaftliche Atmosphäre, die zum Feiern, Singen, zum Planen und Vernetzen einlädt. Die damit verbundenen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung dürfen nicht unterschätzt werden. Zu den Veranstaltungen im Einzelnen: Datum Ort TeilnehmerBand/Liedermacher zahl 10. FebEisenach unbekannt Einzelperson ruar 2. März Eisenach ca. 60 Einzelperson 16. März Suhl unbekannt "Unbeliebte Jungs" 6. April Eisenach 98 "Sleipnir" Solo 7. Juni Weida unbekannt Einzelperson 22. Juni Guthmannshausen unbekannt Einzelperson 13. Juli Eisenach ca. 34 Einzelperson 1. NovemAuengrund-Brat37 Einzelperson ber tendorf 2. NovemAuengrund-Brat34 Einzelperson ber tendorf 3. NovemAuengrund-Brat34 Einzelperson ber tendorf 38 Datum Ort TeilnehmerBand/Liedermacher zahl 16. NoAuengrund-Brat35 Einzelperson vember tendorf 29. NoAuengrund-Brat31 "Unbeliebte Jungs" vember tendorf 29. NoEisenach 38 Einzelperson vember 6. DezemOettersdorf ca. 60 Einzelperson ber 20. DeAuengrund-Brat36 Zwei Einzelpersonen zember tendorf 21. DeAuengrund-Brat38 Zwei Einzelpersonen zember tendorf 22. DeAuengrund-Bratmax. 40 Zwei Einzelpersonen zember tendorf Tabelle 3: Übersicht rechtsextremistische "Liederabende" Daneben traten rechtsextremistische Liedermacher auch im Rahmen zahlreicher anderer Veranstaltungen wie z. B. "Heldengedenken", Geburtstagsfeiern und Vortragsveranstaltungen auf. Hier bewegt sich die Anzahl der Veranstaltungen im Berichtszeitraum auf konstant hohem Niveau. Darüber hinaus haben rechtsextremistische Liedermacher spätestens im Jahr 2022 begonnen, ihren Radius zu erweitern und sog. Graubereiche für sich zu erschließen. Ebenso wie rechtsextremistische Parteien versuchten sie, die in Teilen der Bevölkerung vorhandene Unzufriedenheit mit der politischen Situation für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So kam es beispielsweise zu Darbietungen rechtsextremistischer Liedermacher auf von Akteuren der Protestbewegung 21 organisierten Veranstaltungen. Der Trend weg von größeren Konzerten hin zu kleineren, überschaubaren Musikveranstaltungen hat sich im Berichtszeitraum weiter verstetigt. Vornehmlich strategische Aspekte bestimmen diese Vorgehensweise: Der logistische sowie der finanzielle Aufwand des jeweiligen Veranstalters werden minimiert, die Risikoabwägung für den Veranstalter insgesamt erleichtert. 21 Zu dieser Protestbewegung siehe Abschnitt IV: Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates (VDS). 39 Zugleich bleiben Organisation und Durchführung der Veranstaltung weiter verstärkt im Verborgenen. Eine Ausnahme von dieser Praxis bildeten im Berichtszeitraum primär die Veranstaltungen im Gasthaus "Eiserner Löwe" in Auengrund-Brattendorf, die stets im Vorfeld angezeigt wurden. Da sich der rechtsextremistische Musikbereich seit Jahren dynamisch entwickelt und sich an gesellschaftliche und politische Entwicklungen anpasst, ist über das Berichtsjahr hinaus etwa mit der Erschließung neuer Formate und/oder Veranstaltungsobjekte zu rechnen. Kampfsport als rechtsextremistisches Aktionsfeld Die Bedeutung des Kampfsports für die rechtsextremistische Szene ist im Laufe der letzten Jahre deutlich gestiegen und hat sich dort inzwischen fest etabliert. Es existiert ein stabiles europaweites Netzwerk unterschiedlicher Kampfsportlabels, Bekleidungsvertriebe und Veranstaltungsorganisatoren. Dadurch trägt der Kampfsport einen maßgeblichen Anteil zur Professionalisierung und Kommerzialisierung der rechtsextremistischen Szene bei. Auch ideologisch betten die unterschiedlichen Akteure den - grundsätzlich zunächst ideologiefreien - Kampfsport in ihr rechtsextremistisches Weltbild ein, um so die sportliche Aktivität und mittelbar auch sich selbst als eine selbsternannte nationale Elite aufzuwerten. Gemeinsame Trainings und Events tragen zu Ausbau und Verstetigung der rechtsextremistischen Gemeinschaft bei und bilden zugleich eine niedrigschwellige Rekrutierungsmöglichkeit neuer, vorwiegend männlicher und ideologisch noch nicht gefestigter Personen. Kampfsport hat sich, neben rechtsextremistischen Musikveranstaltungen, zu einer festen Konstante im Bereich des aktionsorientierten Rechtsextremismus entwickelt und prägt große Teile dieser Lebenswelt. Entwicklung Noch in den frühen 2000er Jahren beschränkte sich die damals kleine rechtsextremistische Kampfsportszene darauf, durch die bloße Teilnahme an unpolitischen Kampfsportereignissen ihre Zielgruppe zu erreichen. In den letzten Jahren war jedoch ein rapider Zuwachs an rechtsextremistischen Veranstaltungen im Bereich des Kampfsports zu beobachten, die in Eigenregie organisiert wurden. Dieser Umstand ist auch auf eine gestiegene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zurückzuführen. Unpolitische Veranstalter kommerzieller Kampfsportevents gerieten zunehmend unter Druck, wenn sie einen bekannten Rechtsextremisten in das Kämpferverzeichnis aufnahmen. Demzufolge gaben sich die rechtsextremistischen Akteure schließlich nicht mehr damit zufrieden, an Wettkämpfen anderer Organisatoren teilzunehmen. Stattdessen gingen sie dazu über, diese selbst zu veranstalten. Vor dem Hintergrund einer gewissen 40 Gewinnerzielungsabsicht, stellten sich eine Professionalisierung sowie ein hoher Vernetzungsgrad zwischen den Veranstaltern verschiedener Events ein. Solche Veranstaltungen ziehen regelmäßig internationale rechtsextremistische Protagonisten an. Zudem ist mittlerweile erkennbar, dass die rechtsextremistische Kampfsportszene aufgrund des Erfahrungsgewinns und der Erweiterung des Zielgruppen-Spektrums auch wieder vermehrt an unpolitischen Kampfsportereignissen teilnimmt, dabei jedoch ihre Gesinnung nicht offen zur Schau stellt. Ein Grund dafür könnte sein, neben den eigenen Fähigkeiten auch das rechtsextremistische Weltbild in Kämpfen mit Personen etwa mit Migrationshintergrund erproben zu wollen. Ferner ist, bedingt durch die zunehmend konsequente Umsetzung repressiver Maßnahmen, wie beispielsweise das rechtskräftige Verbot des größten deutschen rechtsextremistischen Kampfsportformates "Kampf der Nibelungen" 2019 22, und durch die Corona-Pandemie in den Jahren 2020 bis 2022, ein Rückgang groß angelegter rechtsextremistischer Kampfsportveranstaltungen in Deutschland zu verzeichnen. Indes wurden in den letzten Jahren vermehrt Ausreisebewegungen zu rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen im europäischen Ausland bekannt, die zum Teil von Initiatoren des rechtsextremistischen Kampfsportformats "Kampf der Nibelungen" mit organisiert oder beworben worden sind. Ideologie und Kommerzialisierung Die Vorteile für die Organisatoren und die Teilnehmer im Bereich des rechtsextremistischen Kampfsportes scheinen sich in einer Weise zu ergänzen, die dessen Aufstieg begünstigt hat: Ebenso wie die rechtsextremistische Musik ermöglicht der Kampfsport eine erhebliche Kommerzialisierung politischer Betätigung, was ihn in den Augen der Organisatoren positiv von klassischen Betätigungsfeldern wie Demonstrationen oder politischer Agitation abgrenzt. Zugleich bestehen für die Kampfsportler relativ geringe Hürden des Zugangs, da zunächst nicht der ideologische und politische Austausch, sondern die körperliche Aktivität im Vordergrund steht. Zudem führt die Betätigung in einer Bestrebung, die oft nicht augenfällig rechtsextremistisch ist, nicht zu einer sozialen Ächtung. 22 VG Dresden, Beschluss vom 09.10.2019 - 6 L 788/19 sowie OVG Sachsen, Beschluss vom 11.10.2019 - 3 B 274/19. 41 Vor diesem Hintergrund wird der Kampfsport in der Szene als Bindeglied genutzt, dessen ideologische Komponente in den Kernbereich der gesamten rechtsextremistischen Szene einwirkt und gleichzeitig durch seinen Event-Charakter deren Attraktivität und das Rekrutierungspotenzial stärkt. Neben den Kampfsportarten Boxen und Kickboxen wird klassisches Mixed Martial Arts (MMA) mit Vollkontakt betrieben, was dem kriegerischen Selbstbild und den allgemeinen Anforderungen an die "Wehrkraft des Volkskörpers" gerecht wird. Diese Kampfsportvariante vereint Standund Bodenkampf sowie verschiedene Schlag-, Trittund Hebeltechniken zu einem schnellen und brutalen Konzept. Die dahinterstehende Ideologie ist eine Abgrenzung zu einer - in den Augen der Protagonisten - verweichlichten Gesellschaft. Das harte Training, das hohe Verletzungsrisiko beim MMA und das Stählen des eigenen Körpers sind weitaus mehr als die Vorbereitung auf einen Wettkampf oder die Pflege der persönlichen Fitness. Propagiert wird vielmehr eine vermeintlich mystische Pflicht, die "Volksgesundheit" und "Wehrhaftigkeit" hochzuhalten und einen "neuen Menschenschlag" zu schaffen, der stark an das im Nationalsozialismus propagierte Ideal des "Herrenmenschen" angelehnt ist. Eine wesentliche ideologische Komponente ist in dieser Hinsicht der "Straight Edge" 23-Gedanke. Er entstammt ursprünglich der Hardcore-Punk-Szene der 1980er-Jahre und sollte eine Gegenbewegung zu den ausufernden Alkoholund Drogenexzessen der Jugendkultur darstellen, wobei es im Kern um den Verzicht auf Rauschmittel, um gesunde Ernährung bis hin zum Veganismus und sexueller Enthaltsamkeit geht. Symbol der Bewegung ist ein "X". Die rechtsextremistische Szene knüpft hieran an. Unter ihr erlebt diese Strömung eine gewaltbetonte und rassistische Renaissance als "NS Straight Edge". Die Reinheit des Körpers, erlangt durch Abstinenz und hartes Training, ist dieser Ideologie zufolge eine Grundvoraussetzung für die Umwandlung einzelner Individuen hin zu einem wehrhaften und grundgesunden "Volkskörper". Auf Alkoholexzesse und den subkulturellen Lebensstil in den eigenen Reihen wird verächtlich herabgeschaut. Die Mitglieder der Kampfsportszene haben in der Regel ein elitäres Selbstbild, welches von Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Härte bestimmt wird. Ein wiederkehrendes Mantra der Szene, das sich aus ihrem Weltbild ergibt, ist der "Kampf gegen die Moderne", welche als Sinnbild von Dekadenz und Verweichlichung strikt abgelehnt wird. Der vermeintliche Verfall der Gesellschaft wird mit einer empfundenen Erosion der "Volksgesundheit" gleichgesetzt. 23 "Straight Edge" - deutsch sinngemäß: "klare Kante" oder "Geradlinigkeit". 42 In Thüringen wird diese Szene insbesondere durch nachfolgende Gruppierungen geprägt: Kampfsportvereinigung "WARDON" Bei "WARDON" oder auch "WARDON 21" handelt es sich um eine überregionale rechtsextremistische Kampfsportvereinigung, die im Jahr 2017 gegründet wurde. Die Vereinigung ist dabei in vielfältiger Weise in die Organisation von Kampfsportveranstaltungen eingebunden und stellt auch einen eigenen Kampfsportkader. Die ideologische Ausrichtung kommunizierte die Gruppe öffentlich. So war auf ihrem mittlerweile gelöschten Facebook-Profil folgendes Statement zu finden: "Unser Körper ist unsere Festung, die einen gesunden Geist birgt. Wir verstärken den Schildwall unseres Glaubens durch das vorangetragene Kreuzen unserer Arme und als Bekenntnis zur Freiheit durch eine volksgesundheitliche Lebensweise in Verhalten und Konsum." 24 Hier wird deutlich, dass diese Gruppierung den Kampfsport nicht nur als solchen wahrnimmt, sondern ihm eine völkisch-mystische Verteidigungsfunktion beimisst, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckt und sich - sowohl argumentativ als auch durch die zu einem "X" gekreuzten Arme im Logo symbolisch - bei der "Straight Edge"-Bewegung bedient. Weiter hieß es im Eingangsstatement in den sozialen Netzwerken: "WARDON" schenkt den niederen Auswüchsen dieser morschen Zeit keinerlei Beachtung. Unbeirrbarkeit ist selbstbewusste Konsequenz. Wer uns jedoch herausfordert und als Feind gegenübertritt, dem weisen wir den Weg mit unserer kampferprobten Faust. In Wort UND Tat!" Auch hier wird eine klare Freund-Feind-Unterscheidung deutlich, die sich nicht nur auf den sportlichen Wettstreit, sondern ebenfalls auf den politischen Kampf bezieht. Zudem orientiert sich auch diese Gruppe an einem von der "Straight Edge"-Bewegung geprägten Lebensstil mit Enthaltsamkeit, Sport und allgemein an einer "volksgesundheitlichen Lebensweise". Was die Gruppe darunter versteht, wurde unter anderem deutlich, als sie bei Kampfsportveranstaltungen im Rahmen des "Kampf der Nibelungen" das Catering übernahm 43 und dort ausschließlich veganes Essen anbot. Ferner werden vor dem Hintergrund des "Straight-Edge"-Gedanken Kletterund Wandertouren durchgeführt, die zusätzlich den Gemeinschaftsgedanken stärken sollen. Am 15. Juni fand die von französischen Rechtsextremisten organisierte rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung "Day of Glory" in Frankreich statt, an der auch das deutsche Kampfsportformat "Kampf der Nibelungen" teilnahm. Der "Day of Glory" kann als mögliche Ersatzveranstaltung des rechtsextremistischen Kampfsportformates "Kampf der Nibelungen" gewertet werden. Auch Mitglieder von "WARDON" nahmen an der Veranstaltung teil. Kampfsportvereinigung "Knockout 51" Die rechtsextremistische Kampfsportvereinigung "Knockout 51" trat erstmals Anfang 2019 in den sozialen Medien öffentlich in Erscheinung. Bei den Hauptprotagonisten handelte es sich um mitunter langjährige Rechtsextremisten aus dem Raum Eisenach. Die Zahl 51 steht hierbei offenbar für die Buchstaben E und A und gibt somit einen Hinweis auf die Stadt Eisenach (Kfz-Kennzeichen EA). Für die Kampfsporttrainings der Gruppierung wurden wiederholt die Räumlichkeiten des "Flieder Volkshaus" der Partei "Die Heimat" in Eisenach genutzt. Unter dem Deckmantel des gemeinsamen Kampfsport-Trainings wurden junge und nationalistisch gesinnte Personen angelockt und bewusst mit rechtsextremistischem Gedankengut in Verbindung gebracht. Zudem diente das Training zur Vorbereitung auf den politischen Kampf sowie zur Etablierung als bestimmende Ordnungsmacht in Eisenach. Im Laufe der Zeit professionalisierte die Gruppierung weiterhin ihre Tätigkeiten mit Kraftund Kampfsporttrainings. Die Ende November 2021 verkündete (Schein-)Auflösung der Vereinigung hatte keine Auswirkungen auf die Aktivitäten und den Stellenwert der Gruppierung in der rechtsextremistischen Szene. Im Zusammenhang mit der Gruppierung "Knockout 51" ist eine Vielzahl von (Ermittlungs-)Verfahren anhängig, die sich auf unterschiedliche Personenkreise innerhalb der Gruppierung beziehen. Anfang April 2022 fanden Durchsuchungsmaßnahmen bei insgesamt 50 Beschuldigten in elf Bundesländern wegen des Verdachts rechtsextremistischer Straftaten statt - darunter bei 14 44 Personen im Zusammenhang mit "Knockout 51". Vier mutmaßliche Gruppenmitglieder wurden wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung - "Knockout 51" - gem. SS 129 Strafgesetzbuch (StGB) festgenommen. Es handelte sich hierbei um den Anführer sowie um drei weitere Personen, die Führungspositionen innerhalb der Vereinigung innehatten. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof erhob im Jahr 2023 schließlich Anklage gegen sie wegen der Gründung und mitgliedschaftlichen Betätigung einer inländischen kriminellen und terroristischen Vereinigung gem. SSSS 129, 129a StGB. Die Anklage wurde indes nur hinsichtlich des Vorwurfs der kriminellen Vereinigung gem. SS 129 StGB zugelassen, da das Thüringer Oberlandesgericht in Jena (OLG Jena) den Vorwurf der terroristischen Vereinigung nach Aktenlage als nicht hinreichend wahrscheinlich einordnete. Die anschließende von August 2023 bis Juli 2024 währende Hauptverhandlung wurde von Rechtsextremisten aus verschiedenen Bundesländern durch Teilnahme begleitet. Auch dies belegt die ungebrochene Solidarität und Anerkennung der rechtsextremistischen Szene mit "Knockout 51" - den vier in diesem Verfahren Beschuldigten wurde so bedeutende Unterstützung zuteil. In der mündlichen Urteilsbegründung vom 1. Juli führte der Senat aus, dass es sich bei der Vereinigung "Knockout 51" um eine rechtsextremistische Kampfgruppe nationalsozialistischer Prägung gehandelt habe, die zur Umsetzung ihres Ziels, in Eisenach einen "Nazi Kiez" zu schaffen und sich dort als bestimmende Ordnungsmacht zu etablieren, auf die Begehung von Körperverletzungsdelikten und anderen Straftaten angelegt gewesen sei. In Verfolgung dieses Zwecks hätten die Angeklagten zahlreiche Körperverletzungsdelikte begangen, bei denen teilweise, neben dem Gruppenziel, auch private Interessen der Gruppenmitglieder eine Rolle gespielt hätten. Das Urteil, das in der Gruppierung "Knockout 51" eine kriminelle Vereinigung verwirklicht sah, ist aufgrund der durch den Generalbundesanwalt eingelegten Revision noch nicht rechtskräftig. Ende 2023 wurden im Zuge weiterer Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegenüber drei weiteren Personen Haftbefehle vollstreckt. Einem Beschuldigten wird zudem zur Last gelegt, die Vereinigung "Knockout 51" gegründet und als ein führender Protagonist agiert zu haben. In diesem Zusammenhang wurde im September 2024 seitens der Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Thüringer Oberlandesgerichts Anklage wegen Mitgliedschaft bzw. Unterstützung einer rechtsextremistischen kriminellen und terroristischen Vereinigung, "Knockout 51" erhoben. Die Frage, ob es sich bei "Knockout 51" um eine kriminelle oder um eine terroristische Vereinigung handelt, war auch hier streitig: Das OLG Jena eröffnete das Hauptverfahren zunächst vor einer Staatsschutzkammer des Landgerichts und verdeutlichte 45 so seine weiterhin bestehende Annahme, es handele sich bei "Knockout 51" lediglich um eine kriminelle Vereinigung. Auf die darauffolgende sofortige Beschwerde des Generalbundesanwalts entschied der Bundesgerichtshof jedoch, dass die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts wegen des hinreichenden Tatverdachts bzgl. einer terroristischen Vereinigung sowie auch die besondere Bedeutung des Falles gegeben sei. Ebenso wurden im Jahr 2023 in zwei Bundesländern weitere Durchsuchungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Kampfsportgruppierung "Knockout 51" bei 12 Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft Gera durchgeführt. Gegen einen Beschuldigten wurde ein Haftbefehl vollstreckt, wobei der Tatvorwurf auf Mitgliedschaft, jedoch überwiegend Unterstützung der kriminellen Vereinigung, "Knockout 51", lautete. Im Berichtszeitraum fanden zudem weitere Durchsuchungsmaßnahmen in insgesamt acht Objekten bei drei weiteren Beschuldigten in Eisenach im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Kampfsportgruppierung "Knockout 51", statt. Auch hier handelt sich um ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes wegen des Verdachts der Unterstützung einer kriminellen und einer terroristischen Vereinigung im Inland ("Knockout 51"). Die komplexen und zahlreichen Strafverfahren rund um die Personen des Umfeldes der Kampfsportgruppierung "Knockout 51" belegen die Relevanz der Gruppe - nicht nur in der rechtsextremistischen Szene in Thüringen. Unter dem Vorwand der gemeinschaftlichen körperlichen Ertüchtigung ist es gelungen, vorwiegend junge Männer mit bereits bestehender rechtsextremistischer Ideologie für den gemeinsamen, gewaltbereiten Kampf gegen den politischen Gegner zu gewinnen. Eine ideologische Mäßigung der Beteiligten ist indes nicht zu erwarten. Vielmehr ist anzunehmen, dass sowohl das gesellschaftliche Umfeld in Eisenach - mit seinen Szeneimmobilien und gefestigten rechtsextremistischen Strukturen - als auch die aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen anhaltende Aufmerksamkeit gebieten. Die weiterhin gefestigte Ideologie der Mitglieder und Unterstützer der Gruppierung zeigt sich auch anhand von Veranstaltungsorganisationen oder -teilnahmen. So meldete ein verurteiltes Mitglied von "Knockout 51" im September eine rechtsextremistische Versammlung an, die sich gegen den am gleichen Tag durchgeführten "Christopher Street Day" (CSD) in Eisenach richtete. Zudem führte dieses Mitglied im November eine rechtsextremistische "Heldengedenken"-Veranstaltung am Friedhof in Hötzelsroda durch. Dabei trat auch der Rädelsführer von "Knockout 46 51" - zugleich Hauptangeklagter in dem Verfahren 2023 vor dem OLG Jena eröffneten Verfahren - mit einem Redebeitrag öffentlich in Erscheinung. "Active Clubs" Die Idee von "Active Clubs" ist auf einen US-amerikanischen Rechtsextremisten und einen russischen Rechtsextremisten zurückzuführen, die hauptsächlich bessere Rekrutierungserfolge für eine neonazistische Bewegung sehen, wenn zumindest über Sport, als gemeinsam verbindendes Element, rekrutiert wird. Erstmalige Feststellungen in Deutschland konnten auf der Plattform "Telegram" im Mai getätigt werden. Der Telegram-Kanal "ACTIVE CLUB GERMANIA" bietet sich unter dem Motto "Kontrakultur" als Plattform zur Verbreitung von "Aktionen, Sporteinheiten, Freizeitgeschichten oder sonstigen Aktivitäten" mit dem Ziel der Gewinnung von Personen für die rechtsextremistische Szene sowie der "Normalisierung" rechtsextremistischen Gedankengutes im Alltag an. So wird unter anderem auch Bezug auf die Skinhead-Szene der 90er Jahre und deren "metapolitisch, kontrakulturellen Durchbruch" genommen, der eine Vielzahl an Jugendlichen in die rechtsextremistische Szene brachte. Ein wichtiger Fokus der "Active Clubs" liegt unter anderem im Sportbereich (hauptsächlich Kampfsport). So wird die eigene sportliche Betätigung in "Zeiten der völligen Verwahrlosung in allen Bereichen" auch als ein politisches Statement und Widerstandsakt gegenüber den politischen Gegnern (Polizei, Verfassungsschutz, Antifa) gesehen. In Thüringen sind bisher der "Active Club Saalfeld" und der "Active Club Erfurt" bekannt. Letzter entfaltete bisher keine bekannten realweltlichen Aktivitäten. Der "Active Club Saalfeld" trat von Mai bis August vorwiegend über einen gleichnamigen Telegram Kanal in Erscheinung. Dort wurden zumeist Beiträge und Videos z. B. von (Kampfsport)Trainingseinheiten anderer "Active Clubs" oder rechtsextremistischer Gruppierungen geteilt. Als einzige nachweisbar realweltliche Aktivität des "Active Club Saalfeld" ist eine am 5. Mai veröffentlichte Graffiti-Aktion zu erwähnen, als sich zwei vermummte, augenscheinlich männliche Personen vor einem gesprayten "Active Club"-Schriftzug fotografierten. 47 Aufgrund der oben genannten, bislang nur vereinzelten Aktivitäten, der vorherrschenden lebensjüngeren Altersstruktur sowie bisher fehlender Erfahrungswerte wird eine Etablierung fester Strukturen von "Active Clubs" in der rechtsextremistischen Szene in Thüringen eher als wenig wahrscheinlich eingeschätzt. 5. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts Das System der "politisch motivierten Kriminalität" (PMK) ist eine polizeiliche Kategorisierung zur Einordnung von Straftaten. Die Zahlen werden als ergänzende Information in diesen Bericht aufgenommen. Für die PMK - Rechts weist die Statistik des Landeskriminalamts Thüringen25 folgende Zahlen aus: PMK 2022 2023 2024 PMK gesamt 3.156 3.097 5.234 davon PMK rechts 1.555 1.835 2.839 davon Gewaltkriminalität 93 93 133 Tabelle 4: Statistik politisch motivierte Kriminalität - Rechts Rund 54 % aller politisch motivierten Straftaten, die im Berichtszeitraum im Freistaat Thüringen begangen wurden, sind dem Phänomenbereich "Rechts" zuzuordnen. Die Fallzahl (2.839) übertrifft jene des vergangenen Jahres (2023: 1.835) mit einem Plus von 1.004 erfassten Straftaten deutlich, was einem Anstieg von 54,7 % entspricht. Dieser Wert steht daher stellvertretend für den deutlichen Zuwachs an Straftaten im Bereich politisch motivierter Kriminalität, der sich auf insgesamt 69 % im Vergleich zum Vorjahr bemisst. Die Propagandadelikte bilden weiterhin die größte Fallgruppe der PMK. Bei einem Gesamtanstieg dieser Deliktsgruppe von 57,3 % auf insgesamt 1.785 Taten (2023: 1.135) sind 91,3 % (1.630 Fälle) dem Phänomenbereich "rechts" zuzuordnen. Ebenso ist bei der politisch rechts motivierten Gewaltkriminalität ein hoher Zuwachs auf 133 Fälle (2023: 93) zu verzeichnen. Dies ist Ausdruck der insgesamt hohen Gewaltbereitschaft innerhalb der rechtextremistischen Szene, aber auch der phänomenbereichsübergreifend grassierenden steigenden Bereitschaft, politisch motivierte (Gewalt-)Straftaten zu begehen. 25 Veröffentlicht am 31. März 2025; abrufbar unter https://innen.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Statistiken/PMK_2024.pdf. 48 III. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 1. Überblick Dem Phänomenbereich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zuzurechnende Personen waren auch 2024 in Thüringen aktiv. Ihrer Ideologie entsprechend, lehnen Angehörige dieses Phänomenbereichs grundsätzlich staatliche Institutionen, behördliche Repräsentanten sowie deren Maßnahmen ab. Mit unterschiedlichen Begründungen leugnen sie die Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat und erklären die bestehende Rechtsordnung als für sie nicht bindend. Die Bestrebungen der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" richten sich demnach gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Angehörige und Argumentation Der Phänomenbereich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zeichnet sich durch eine organisatorisch und ideologisch heterogene Szene aus, die überwiegend auf sich selbst bezogen ist. In der Regel agieren diese Personen für sich oder als (loser) Personenzusammenschluss. Vereinzelt bilden sich lokal größere Gruppen. Darüber hinaus existieren aber auch bundesweit aktive Gruppierungen oder Vereine. Die Intentionen der einzelnen Akteure sind so vielfältig, wie die Zusammensetzung der Szene. Unter ihnen finden sich selbsternannte "Systemaussteiger", Querulanten und politische Provokateure sowie Anhänger von Verschwörungserzählungen. Einige finanzieren sich über die Szene, z. B. durch die Ausstellung von Fantasiedokumenten oder durch den Vertrieb von szenetypischen Merchandise Artikeln. Nur ein kleiner Teil der "Reichsbürger"-Szene kann ideologisch ebenfalls dem Rechtsextremismus zugeordnet werden. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" vertreten zumeist politische Ansichten, die nicht im Einklang mit dem Grundgesetz stehen. Sie begründen Ihre Motive häufig mit pseudojuristischen und pseudohistorischen Argumentationsmustern, mit verschwörungserzählerischen Ansätzen oder mit selbst definierten Naturrechten. Folgende Kernaussagen sind regelmäßig zu finden: * Das Deutsche Kaiserreich ist nicht untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland ist kein souveräner Staat. 49 * Deutschland befindet sich weiterhin im Kriegszustand. Dabei gibt es verschiedene Vorstellungen, die entweder auf einem seit November 1918 fortdauernden Kriegszustand oder dem Fehlen eines Friedensvertrages mit den Alliierten nach 1945 beruhen. * Es gilt die Haager Landkriegsordnung. * Das Grundgesetz ist keine Verfassung. * Die Bundesrepublik ist untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat, sondern eine privatrechtliche "BRD GmbH". * Das Recht der Bundesrepublik widerspricht dem Gewohnheitsrecht nach Brauch und Sitte vor der gegenwärtigen Zeitrechnung. * Der wirkliche Herrscher der Welt ist das "finanzmächtige internationale Judentum". Darüber hinaus nehmen "Selbstverwalter" für sich in Anspruch, aus der Bundesrepublik "austreten" zu können und reklamieren rechtliche Autonomie mit territorialem Hoheitsanspruch für sich. Sie bezeichnen sich als "natürliche Personen im Sinne des SS 1 BGB", die in keinem "Vertragsverhältnis" mit der "BRD-GmbH" stehen. Die Abgabe dieser Erklärung erfolgt vielfach über "Proklamationen", fiktive Urkunden oder "Privatautonome Willenserklärungen", die den Verwaltungsbehörden übersandt werden. "Gelber Schein" und Fantasiepapiere Personen, die sich der "Reichsbürgerszene" zugehörig fühlen, hängen der absurden Vorstellung an, ohne Staatsangehörigkeitsausweis staatenlos zu sein. Sie propagieren die Beantragung eines solchen Dokuments, da weder der Personalausweis noch Reisepass als Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit dienen würden. Sie behaupten, die Bezeichnung "Name" im Personalausweis kennzeichne die betreffende Person als "Firma, also eine inländische juristische Person" ohne Grundrechtsberechtigung. Ein Staatsangehörigkeitsausweis ("Gelber Schein") mit dem Parameter "Identität Familienname = Natürliche Person" sichere hingegen die volle Rechtsfähigkeit als Grundrechtsträger. Zudem "legitimieren" sich Szeneangehörige darüber hinaus häufig mit weiteren, selbst produzierten Fantasiepapieren, wie "Reichspersonenausweisen" oder "Reichsführerscheinen". Die Nutzer solcher Papiere wollen damit ihre Lossagung von der Bundesrepublik Deutschland dokumentieren und geben oft auch im Vorfeld ihre amtlichen Ausweisdokumente bei den Meldebehörden zurück. Die Ausfertigung derartiger Fantasiepapiere erfolgt meist von Szeneanhängern, die damit in der Regel finanzielle Interessen verwirklichen. Einige Gruppierungen sowie einzelne Vertreter der Szene nehmen für sich sogar in Anspruch, eine eigene "Staatsgewalt" 50 auszuüben. Sie bilden "Gemeinen", "Bundesstaaten" oder "Reichsregierungen", ernennen entsprechende Funktionäre, wie z. B. "Verweser", "Reichskanzler" oder "Minister", die sich wiederum mit selbst gestalteten Ausweisdokumenten "legitimieren". Rechtsverbindlichen Charakter besitzen die "Dokumente" nicht. Querulatorische Schreiben und Vernetzung "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" versuchen, sich durch ihre Argumentation verschiedenen staatlichen Maßnahmen zu entziehen mit dem Ziel, keine Steuern, Bußgelder oder Gebühren entrichten zu müssen oder drohende Zwangsvollstreckungen abzuwenden. Sie sprechen Behörden und Amtsträgern ihre hoheitlichen Befugnisse ab und weisen behördliche Schreiben oder Maßnahmen als illegitim zurück. Häufig geschieht dies durch zahlreiche und umfangreiche Schriftsätze, mit denen die Arbeit der Behörden sabotiert werden soll. Nicht selten sind die Schreiben in anmaßendem und aggressivem Ton verfasst, verbunden mit Beleidigungen, Beschimpfungen, Belehrungen, Erpressung, Nötigung und Androhung von "Bußgeldern" in Teils erheblicher Höhe und "Unterlassungsverfügungen mit Strafzahlungen", auch persönlich gegen einzelne Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörden. Vordrucke, Vorlagen und Textbausteine für solche Schreiben mit vorgefertigten Argumentationsmustern finden sich hierbei zahlreich online. Überhaupt kommt dem Internet und den sozialen Medien auf Grund der beinahe unbegrenzten Möglichkeiten an Plattformen und Multiplikatoren eine besondere Bedeutung bei der Verbreitung der Ideologie der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zu. Zudem bietet es bei Bedarf die notwendige Anonymität, um sich bei ersten Recherchen nach Denkansätzen und der Suche nach Gleichgesinnten sicher zu fühlen. In einem Austausch über Foren erfolgt häufig die weitergehende Vernetzung bis hin zu Verabredungen zu realweltlichen Treffen im konspirativen Kreis oder größeren öffentlichen Veranstaltungen. Auch findet sich in einschlägigen Online-Shops und Präsenzen ein breites Angebot buchbarer Seminare oder ergänzender Literatur, die die Ideologie näherbringen und vertiefen sollen. Bei Realwelttreffen werden Beurkundungen vorgenommen, bei denen Zeugen die Identität von Personen oder ihre Zugehörigkeit zu einer "Gemeine" oder einem Stamm mit ihrer Unterschrift und Fingerabdrücken bestätigen. Diese Urkunden werden danach oft mit umfangreichen Anlagen an Behörden versandt. 51 2. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Thüringen Dem Phänomenbereich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" wurden in Thüringen im Jahr 2024 ca. 1.000 Personen (2023: ca. 1.000) zugerechnet. Das Personenpotenzial bewegte sich somit weiterhin auf einem konstanten hohen Niveau. Der Personenkreis selbst ist jedoch nicht statisch - Personen traten erstmals im Zusammenhang mit "Reichsbürger"-Aktivitäten auf, andere wurden nicht mehr als Szeneakteure wahrgenommen. Eine Ursache für eine Distanzierung von dieser Ideologie ist konsequentes Verwaltungshandeln und die robuste Durchsetzung des Rechtsstaates gegenüber Angehörigen des Phänomenbereichs. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" agieren in Thüringen überwiegend als Einzelakteure. Daneben gibt es bundesweit bzw. überregional agierende Gruppierungen, in denen auch "Reichsbürger" aus Thüringen aktiv waren. Bundesweite bekanntestes Beispiel einer solchen Vernetzung ist die Gruppierung um Heinrich XIII. Prinz Reuß, gegen die am 7. Dezember 2022 bundesweit umfangreiche Exekutivmaßnahmen im Zusammenhang mit einem Strafverfahren des Generalbundesanwalts wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung durchgeführt wurden. Am 11. Dezember 2023 klagte der Generalbundesanwalt ursprünglich insgesamt 27 Mitglieder oder Unterstützer der Vereinigung u. a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens an. 26 Ein Beschuldigter aus Thüringen verstarb im März 2024. Wegen der Größe des Verfahrens wurden die Anklagen an drei Oberlandesgerichten erhoben - in Frankfurt, München und Stuttgart. Die Prozesse begannen ab April 2024 und dauerten bis zum Jahresende an. Bezug auf das deutsche Kaiserreich / "1871'er Bewegung" Bezugspunkt der "1871'er Bewegung" ist die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches von 1871. In diesem Zusammenhang agierten in Thüringen verschiedenste Gruppierungen, u. a. "Wahlkommissionen" (WK) und der "Vaterländische Hilfsdienst" (VHD). Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist der Irrglaube an die fortdauernde Gültigkeit dieser Verfassung und die Gliederung des "Reichs" in "25+1 Bundesstaaten". Typisch für dieses Teilspektrum sind die Zahl 1871 und Flaggen oder Wappen dieser früheren Bundestaaten auf Kleidungsstücken. 26 Presseerklärungen des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof vom 12.12.2023. 52 In Anlehnung an die seinerzeit existierenden (Groß-)Herzogtümer und Preußischen Bundesstaaten waren "Wahlkommissionen" (WK) in Thüringen aktiv. Öffentlich wurden diese vor allem durch Aushänge wahrgenommen. Mit als "Öffentliche Bekanntmachung" deklarierten Plakaten riefen sie zum Eintrag in Wahllisten auf. Als Ersteller waren die "Wahlkommission Preußische Provinz Sachsen" bzw. die "Wahlkommission Reuß" mit Kontaktmöglichkeiten angegeben. Nach Auffassung der Anhänger der WK bestehen das Wilhelminische Kaiserreich von 1871 und seine Verfassung fort. Die Bundesrepublik wird nicht als Staat, sondern als Firmenkonstrukt wahrgenommen. Derzeit herrsche ein "Notstand", den man durch die Organisation eigener Strukturen beheben will. Dazu führen die Gruppierungen Wahlen durch, aus denen "Verweser" hervorgehen. Dem folgend behauptete die "Wahlkommission der Gemeindeverwaltung Sachsen-Weimar-Eisenach" im Internet, am 25. und 26. November 2023 eine Wahl im entsprechenden Herzogtum durchgeführt zu haben und nun als "Gemeindevereinigung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach" zu firmieren. Bundesweit agieren WK auch unter einem "Verband Deutscher Wahlkommissionen" (VDWK). Im Berichtszeitraum fanden zudem Treffen und Veranstaltungen in Thüringen statt, welche durch die WK über soziale Medien beworben und organisiert wurden. Auch die Organisation "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) richtete im Berichtszeitraum mehrere Treffen in Thüringen aus. Die Bedeutung dieser Gruppierung nahm gegenüber dem Vorjahr jedoch deutlich ab. Der VHD zählt zu der bundesweit agierenden Bestrebung "Bismarcks Erben", auch bekannt als "Ewiger Bund" oder "Preußisches Institut". Auch der VHD beruft sich auf die Verfassung von 1871, jedoch im Gebietszustand vom 27. Juli 1914. Es habe nie einen Friedensvertrag zur Beendigung des Ersten Weltkrieges gegeben und daher befinde sich Deutschland nach wie vor im Kriegszustand. Als Legitimation beruft sich der VHD auf das am 6. Dezember 1916 in Kraft getretene "Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst", das damals alle nicht zum Kriegsdienst einberufenen männlichen Deutschen zwischen 17 und 60 Jahren zum Hilfsdienst in kriegswichtigen Tätigkeiten verpflichtete. Nach Auffassung der Gruppierung ist dieses Gesetz weiter in Kraft und legitimiert den VHD, eine eigene Verwaltungsstruktur aufzubauen. Diese ist in Anlehnung an die Gliederung der deutschen Armee ab 1914 in Armeekorpsbezirke (AKB) aufgeteilt. Thüringen ist dabei den AKB IV und XI zugeordnet. Ziele sind die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit und die Wiedererlangung völkerrechtlicher Souveränität unter der Führung des Oberhauptes des Hauses Hohenzollern. Neben lokalen Treffen fanden in Thüringen erstmals zwei größere Versammlungen der "1871'er Bewegung" mit bundesweiter Beteiligung statt. 53 Zu einer als "Das Große Treffen der 25+1 Bundesstaaten" bezeichneten Veranstaltung versammelten sich am 6. April in Gera zahlreiche "Reichsbürger"; in der Spitze waren es bis zu 900 Personen. Bei einzelnen Teilnehmern handelte es sich um Rechtsextremisten oder Akteure des Bereiches "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Ein weiteres "Großes Treffen" wurde am 31. August in München veranstaltet. Bereits im Vorjahr hatte es in Magdeburg und Dresden "Große Treffen der 25+1 Bundesstaaten" gegeben. "Die Großen Treffen der 25+1 Bundesstaaten" sind bislang die personenstärksten Zusammenkünfte der "Reichsbürgerszene". Mit ihnen geht die Forderung zur Rückkehr der Reichsverfassung von 1871 einher, die als höchstes Gesetz der Deutschen angesehen wird. Mehrere hundert Personen führten am 16. November in Heilbad Heiligenstadt eine nicht angemeldete Demonstration im Rahmen eines "Staatsvolktreffens" durch. Die Teilnehmer führten Fahnen von Bundesstaaten des Kaiserreiches mit sich und propagierten dessen angeblichen Fortbestand. "Selbstverwalter" Im Berichtszeitraum waren Aktivitäten der in Wittenberg gegründeten Gruppierung "Königreich Deutschland" (KRD) 27 in Thüringen feststellbar. Das KRD verfügte mit dem "Käseturm" in Gera über eine Immobilie. Zudem fanden Veranstaltungen der Untergruppierung "LeuchtTurm" statt. Das KRD behauptete, dass in seinem Einflussbereich kein "BRD-Recht" gelte. Es bezeichnete sich als "Gemeinwohlstaat" und verstand sich als eigenständiges System, losgelöst von den bestehenden staatlichen Strukturen. Eigenangaben zufolge stand das KRD "für einen Neuanfang des deutschen Staates nach den Grundsätzen des Völkerrechts und der Völkerfreundschaft." Es gab vor, "praktische Lösungen für alle aktuellen systemischen, menschlichen und gesellschaftlichen Probleme: Von einem zinsund schuldfreien Geldwesen und einem autarken Wirtschaftskreislauf bis hin zu einem erneuerten, ganzheitlichen Gesundheitsund Bildungswesen" zu bieten. Das KRD warb offensiv um Gewerbetreibende und Geldgeber. Unternehmen wurde ein Wechsel in den "Rechtskreis des KRD" angeboten, in dem keine Mehrwertsteuer anfalle und die Gründung eines Betriebes "steuerund erklärungsfrei" vollzogen würde. Die Gewinnung von neuen Mitgliedern erfolgte seit 2023 insbesondere über den "Leucht-Turm". Dieser bot als Einstieg Infoseminare an. Über ein mehrstufiges - kostenpflichtiges - Seminarsystem wurden Interessenten an die Gruppierung herangeführt. Zur Stärkung des Zugehörigkeitsgefühls organisierte der "Leucht-Turm" gemeinsame Wanderungen. 27 Das KRD wurde gemäß Verfügung des Bundesministers des Inneren vom 13.05.2025 unter Bezugnahme auf Artikel 9 Abs. 2 Grundgesetz i. V. m. SS 3 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 bis 3 Vereinsgesetz verboten. 54 Auch in Thüringen fühlten sich einzelne Gewerbetreibende dem KRD zugehörig. So gaben sie das KRD auf ihren Homepages als "Aufsichtsbehörde" an oder wiesen darauf hin, dass der Kunde "für die Dauer der Geschäftsbeziehung [...] eine temporäre Zugehörigkeit zum Gemeinwohlstaat Königreich Deutschland" besitze. Mitunter boten Unternehmen und Personen zudem Waren und Dienstleistungen über das KRD-eigene Portal "KaDaRi" an. Die Abwicklung des Zahlungsverkehrs erfolgte dabei über die Fantasiewährung "Engelsmark" ("EMark") des KRD. Auch im Berichtszeitraum 2024 konnten Aktivitäten der bundesweit agierenden und gut vernetzten Gruppierung "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) wahrgenommen werden. Eigenen Angaben zufolge erfolgte die Gründung des IVG bereits in 2010. Angehörige dieser Gruppierung bezeichnen sich als "Nachfahren der germanischen Völker/Stämme" und betrachten sich als eigenständiges Volk, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nicht in Frage stellen. Einem Staat oder Reich rechnen sie sich jedoch auch nicht zu. Im Umkehrschluss ist es naheliegend, dass geltendes Recht für nicht bindend erachtet wird. So werden beispielsweise bundesdeutsche Ausweisdokumente als rechtswidrig abgelehnt. Thüringer Behörden werden mitunter mit dem Anliegen kontaktiert, die Löschung der Geburtsurkunde zu veranlassen, da mit dieser "Urkunde" die Wahlmöglichkeit zwischen "Staatsangehörigkeit" und "Volkszugehörigkeit" vorenthalten wurde. Realweltliche Treffen in Thüringen wurden bisher nicht bekannt. 3. Entwicklung Die Relevanz des Phänomenbereichs "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist weiterhin hoch. Die Szene umfasst ideologisch stark gefestigte Personen, aber auch Trittbrettfahrer weitgehend ohne ideologischen Bezug. Bei Trittbrettfahrern herrscht in der Regel eine hohe Fluktuation innerhalb des Spektrums. Im Berichtszeitraum konnten umfangreiche Erkenntnisse zu Akteuren gewonnen werden, die sich entweder erstmals mit der Ideologie befassten oder sich bereits in der Vergangenheit mit der Ideologie identifiziert haben und diese nun offensiver als zuvor praktizieren. Die Akteure prägt eine tief verwurzelte Unzufriedenheit und ein fundamentales Misstrauen gegenüber dem politischen System und den Behörden. Die Ablehnung staatlicher Maßnahmen verankern Szeneangehörige in einem geschlossenen, von Verschwörungserzählungen geprägten Weltbild. Je nach Tiefe der Ausprägung können sich hieraus erhebliche Aggressionen und Gefahrensituationen entwickeln. Immer wieder werden - oftmals gewaltorientierte - Wi55 derstandshandlungen und Bedrohungen bei der Umsetzung behördlicher Maßnahmen registriert. Das Gefährdungspotenzial, welches von der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ausgeht, ist durch eine hohe Affinität für Waffen geprägt. Die Entwicklung des Phänomenbereichs der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" hängt maßgeblich von dem szeneintern empfundenen staatlichen Verfolgungsdruck ab. Entschlossenes Behördenhandeln dürfte zumindest den noch nicht gefestigt ideologisierten Teil der Szene zum Umdenken bewegen. Dies betrifft vorrangig den Entzug von waffenrechtlichen Erlaubnissen bzw. die Ablehnung von Anträgen auf Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis bei "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern". An diesen Verfahren wirkt das AfV Thüringen durch Meldungen an die örtlich zuständigen Waffenbehörden nach den Regelungen im Waffengesetz (SSSS 4 und 5) sowie auf Grundlage von SS 21 ThürVerfSchG mit. Ohne ein resolutes Vorgehen des Staates gegenüber den Akteuren des Phänomenbereichs könnte sich das Anhängerpotenzial weiter stabilisieren oder sogar deutlich anwachsen. 56 IV. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates (VDS) Seit April 2021 bearbeitet das AfV in Abstimmung mit anderen Behörden im Verfassungsschutzverbund den Phänomenbereich der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" (VDS), der sich im Kontext der Corona-Pandemie herausgebildet hat. Die Verfassungsschutzrelevanz von Delegitimierung ergibt sich aus einer gezielt gegen den Staat gerichteten Agitation, mit der staatlichen Institutionen, Strukturen und Verfahren sowie deren Repräsentanten die demokratische Legitimität abgesprochen wird. Unter Szeneangehörigen vermischt sich eine grundlegend ablehnende Haltung gegenüber staatlichen Institutionen mit einem verschwörungsgläubigen Weltbild. So sind Akteure des Bereichs VDS häufig davon überzeugt, dass staatliches Handeln "fremdbestimmt" sei und vor allem der Bereicherung "interessierter Kreise im Ausland" diene. Dabei beabsichtigen Akteure des Phänomenbereiches durch systematische Verächtlichmachung kollektiv bindender demokratischer Entscheidungen und Prozesse das Vertrauen in staatliche Repräsentanten und Strukturen nachhaltig zu untergraben und die Funktionsfähigkeit des Staates insgesamt erheblich zu beeinträchtigen. VDS - Aktivitäten in Thüringen Der Phänomenbereich VDS zeichnet sich durch eine organisatorisch und ideologisch ausgesprochen heterogene Zusammensetzung und flexible Zielsetzung aus. Meist agieren die zugerechneten Personen als Einzelakteure oder in losen Personenzusammenschlüssen, die jedoch durch virtuelle Agitation oft weit über ihr soziales Umfeld hinauswirken. Insgesamt wurden im Berichtszeitraum etwa 45 Personen dem VDS-Spektrum in Thüringen zugeordnet, davon waren 15 als gewaltorientiert einzustufen. Mit dem Ende der Corona-Pandemie war ein Abflachen der allgemeinen Protestbewegung zu beobachten. Die Teilnehmerzahlen der wöchentlich stattfindenden Montagsspaziergänge bewegten sich im Berichtszeitraum auf dem gleichen Niveau wie im Jahr 2023, an 26 Orten wurden ca. 1.500 Personen mobilisiert. Im Kreis der Versammlungsteilnehmenden haben sich etwa in Erfurt, Weimar, Zeulenroda und Meiningen extremistische Kerngruppen etabliert. 57 Der thematische Schwerpunkt bei den Montagsprotesten orientiert sich am aktuellen politischen Geschehen und lag im Berichtszeitraum insbesondere auf der Migrationsund Flüchtlingspolitik. Die "Bauernproteste" sowie der russische Angriffskrieg auf die Ukraine standen wiederholt auch im Fokus dieser Veranstaltungen. Es wurde thüringenweit zur Demonstration der Bauernverbände am 8. Januar mobilisiert. Obwohl der Deutsche Bauernverband sich ausdrücklich distanziert hatte, versuchten die VDS-Akteure, den Protest der Bauern für sich einzunehmen und staatsdelegimitierende Äußerungen zu verbreiteten. Die Unterstützung der VDS-geprägten Protestaktionen durch die AfD Thüringen intensivierte sich im Rahmen der Wahlkämpfe zur Kommunalwahl und Landtagswahl in Thüringen. So traten Mitglieder der AfD Thüringen bei Versammlungen der Protestinitiativen auf; durch die Protestinitiativen wiederum wurde für Veranstaltungen der AfD Thüringen mobilisiert. Zudem konnte eine Unterstützung der Protestinitiativen des rechtsextremistischen "COMPACT-Magazins" festgestellt werden, die sich insbesondere im Rahmen des COMPACT-Verbotes 28 im Juli durch Solidarisierungsproteste gegen das Verbot zeigte. Die Vernetzung der Protestinitiativen in die rechtsextremistische Szene wird unter anderem dazu genutzt, durch wechselseitige Besuche bei Veranstaltungen die Teilnehmerzahlen lokal zu steigern. Damit soll der Eindruck größerer Breitenwirkung und gesellschaftlicher Akzeptanz erzeugt werden. Als zentrale Mobilisationsplattform für das Protestgeschehen in Thüringen fungiert weiterhin der Telegram-Kanal "Freies Thüringen". Dabei wird, entgegen der tatsächlichen Umstände, mittels Bildunterschriften, Videoschnitt und wechselseitiger Weiterleitungen suggeriert, es gäbe gleichsam "Massenproteste" für die jeweils verfolgten Ziele. Ausblick Die weitere Entwicklung des Phänomenbereichs wird von der Bewertung der politischen Schwerpunktsetzung durch die Szene und deren Fähigkeit, ausgewählte Themen für sich zur Mobilisierung zu nutzen, abhängen. Insbesondere der Komplex Migration und Asylpolitik, aber auch andere, durch die Zielgruppe als gleichsam existenzbedrohend bewertete Angelegenheiten sind dazu geeignet, Personen des Phänomenbereichs - wie auch solche, die anderen Phänomenbereichen zuzuordnen sind - zu mobilisieren. Bürgern vor Ort soll signalisiert werden, man trete - anders als die "etablierte Politik" - für 'ihre' Interessen ein. Erklärtes Ziel ist hierbei stets die Anschlussfähigkeit an diverse politische und ideologische Lager, weshalb das 28 Siehe Fn. 17. 58 Portfolio der Szene Versatzstücke verschiedenster verschwörungsideologischer Thesen beinhaltet. Eine eigene, klare Positionierung hinsichtlich der Art der angestrebten "Systemveränderung" besteht jedoch nicht. 59 V. Islamismus 1. Ideologischer Hintergrund Islamismus stellt eine Form des politischen Extremismus dar, der die Religion des Islam für politische Zwecke missbraucht und ideologisiert. Der Islam als Glaubenslehre ist klar von dieser extremistischen Ideologie abzugrenzen. Sowohl der Glaube als auch die religiöse Praxis sind durch das in Artikel 4 Grundgesetz verbriefte Recht auf Religionsfreiheit geschützt. In Abgrenzung zum Islam beginnt Islamismus dort, wo durch religiöse islamische Gebote und Normen als verbindliche politische Handlungsanweisungen ein Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber anderen gesellschaftlichen Modellen postuliert wird. So reklamieren Islamisten für sich, den einzig "wahren Islam" zu vertreten und streben in Deutschland nach einer teilweisen bzw. vollständigen Abschaffung zentraler Kernelemente des Grundgesetzes zugunsten der Verwirklichung einer dogmatisch rigorosen islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung als Gegenentwurf zur westlichen Demokratie. Richtschnur für das angestrebte Modell eines islamischen Staates ist die Anwendung des islamischen - gottgegebenen - Rechts, das von einem eng gefassten, konservativen Islamverständnis geprägt wird. Diese Staatsund Gesellschaftsordnung ist in weiten Teilen nicht mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar. 1.1 Salafismus Der Salafismus war über eineinhalb Jahrzehnte die islamistische Strömung mit dem stärksten Wachstum in Deutschland, wenngleich seit den letzten Jahren die Anhängerzahlen leicht zurückgingen. Im Berichtszeitraum wuchs das Personenpotenzial wieder leicht auf 11.000 Anhänger (2023: 10.500) an. Der Salafismus orientiert sich an einer idealisierten muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten und achten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel vermeintlich existierte. Anhänger dieser Strömung zeigen sich überzeugt, im Koran und in prophetischen Überlieferungen ein genaues Abbild dieser Frühzeit des Islam gefunden zu haben und versuchen, die in diesem Sinne verstandenen Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Salafisten lassen dabei theologische und soziopolitische Entwicklungen unberücksichtigt, die sich in den vergangenen 1.300 Jahren vollzogen haben. 60 Infolge diverser Vereinsverbote in den vergangenen fünf Jahren und des Verfolgungsdrucks durch die Sicherheitsbehörden setzt sich bundesweit die Fragmentierung der salafistischen Szene fort. 29 Dabei lässt sich ein Verschwimmen von Grenzen infolge von Überschneidungen zwischen verschiedenen islamistischen Strömungen ausmachen. Die salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen Punkten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, allen voran dem Gebot, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, das seinen Einfluss durch Wahlen und Abstimmungen ausübt. Der Kern der salafistischen Ideologie läuft dieser gesetzlich verankerten Volkssouveränität zuwider, indem Gott als der einzig legitime Souverän und Gesetzgeber postuliert wird. Demzufolge bildet für die Salafisten nicht die Selbstbestimmung des Volkes die Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung, sondern ausschließlich der Wille Gottes. Verwirklicht wird dieser durch die uneingeschränkte Anwendung der Scharia auf der Basis eines wörtlichen und strengen Verständnisses von Koran und Sunna. Die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition ist in diesem politischen System der Salafisten folglich eben so wenig vorgesehen wie eine Gewaltenteilung oder die Unabhängigkeit der Gerichte. Salafisten lehnen alle Normen ab, die auf menschlicher Rationalität und Logik basieren. Die Implementierung der Scharia geht mit der Einschränkung der Menschenrechte einher. Es wird zwischen dem politischen und jihadistischen Salafismus unterschieden. Die Anhänger beider Strömungen eint eine extremistische Ideologie und die damit verbundenen Ziele. Sie unterscheiden sich lediglich in der Option der Gewaltanwendung, um ihre Ziele umzusetzen. Gemein sind ihnen ein Alleinvertretungsanspruch bezüglich einer absoluten göttlichen 29 Im November 2016 wurden das Missionierungsnetzwerk "Die wahre Religion" (DWR) und die damit assoziierte Koranverteilaktion "LIES!" verboten. Das Verbot des Berliner Moscheevereins "Fussilet 33 e. V." folgte im Februar 2017. Weitere Verbote ergingen im März 2017 bezüglich der Vereine "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V." und "Almadinah Islamischer Kulturverein e. V." in Kassel im März 2017. Die Verbote gründen jeweils auf dem Agieren der Netzwerke und Moscheevereine gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung unter Verbreitung und Verfestigung der salafistischen Ideologie. Dies reicht von einer Befürwortung sowie dem Aufruf zu Gewalt bis hin zur Ausreise in die Jihadgebiete, um sich dort dem Kampf terroristischer Gruppierungen anzuschließen. Zudem hat das BMI im Mai 2021 den salafistischen Spendensammelverein "Ansaar International e. V." und seine Nebenorganisationen verboten. Der Verein richtete sich mit seinen Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung sowie die verfassungsmäßige Ordnung. 61 Wahrheit und die darin wurzelnde Absicht, die deutsche Rechtsordnung und Gesellschaft langfristig entsprechend ihres enggefassten ideologisierten Islamverständnisses umzugestalten. Sie streben nach der Errichtung eines politischen Systems auf der Grundlage ihrer strengen Interpretation der Scharia, mit einem Kalifen als religiösem und politischem Oberhaupt. Der politische Salafismus bezeichnet eine breit gefasste heterogene Sammlungsbewegung. Anhänger dieser Strömung folgen einer streng puristischen Lebensweise nach dem von ihnen wahrgenommenen Vorbild der islamischen Frühzeit z. T. unter Ablehnung theologischer und politischer Entwicklungen. Hauptkennzeichen des politischen Salafismus ist die systematische Missionierung (Da'wa), mit deren Hilfe die extremistische Ideologie weite Verbreitung findet. Diese Propagandaarbeit erfolgt virtuell in Form unzähliger salafistischer Auftritte im Internet, auf denen mit Islaminteressierten über Fragen zur Religion diskutiert und salafistische Literatur verbreitet wird, und in der Realwelt in Form von islamischen Informationsständen, Islamseminaren und Spendenaktionen. Der Übergang zum jihadistischen Salafismus ist angesichts des ambivalenten Verhältnisses politischer Salafisten zur Gewalt fließend. Während die Mehrheit der politischen Salafisten religiös legitimierte Gewalt zur Verteidigung ihres Glaubens nicht prinzipiell ablehnt, vermeidet sie es jedoch, offen zur Anwendung von Gewalt aufzurufen. Jihadistische Salafisten erachten es im Gegensatz dazu für unerlässlich, dass der Geltungsanspruch ihrer Ideologie sowie der Wandel bestehender sozialer und politischer Verhältnisse nach den Vorgaben eines göttlichen Heilsplans mit Gewalt verwirklicht werden müsse. So deuten sie das klassisch islamische Jihad-Konzept, das primär die Überwindung innerer Widerstände im Streben nach einem gottgefälligen Leben und dem untergeordnet ursprünglich eine defensive Form der Kriegsführung verkörpert, in ein revolutionäres Jihad-Konzept um. Damit erklären Jihadisten die Teilnahme am bewaffneten Kampf zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims und rufen zum Kampf gegen vermeintliche Feinde des Islam auf, d. h. all jene, die sich außerhalb ihres eigenen strengen salafistischen Regelwerks bewegen wie Atheisten, Polytheisten, Christen, Juden und sogar kritische und weniger puristische Muslime. Anhänger dieser militanten Gewaltideologie wähnen sich in einem Jihad gegen "den Westen", in dem sie eine Avantgarde verkörperten, die die Initiative zur Verteidigung des Islam ergreife und eine gewaltsame Ausbreitung des Islam bzw. ihres rigorosen Islamverständnisses anstrebe. 62 1.2 Legalistischer Islamismus Anders als jihadistische Gruppierungen sind legalistische, nicht gewaltorientierte islamistische Gruppen bestrebt, durch Missionierung Anhänger für ihre Lesart des Islam zu gewinnen und über karitative und gesellschaftspolitische Lobbyarbeit die Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamischen Staat unter Anwendung der islamischen Rechtsprechung zu erlangen. Richtschnur ihres Handelns ist eine strenge Lesart des Korans und die Anwendung der Scharia, was einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes darstellt. Beispielhaft seien die ägyptische "Muslimbruderschaft" und ihre Ableger in Deutschland, die in Indien gegründete transnationale Missionierungsbewegung "Tablighi Jama'at" als auch die "Milli Görüs"-Bewegung und "Garde 20-Gemeinschaft" - beide türkisch geprägt - genannt. 1.3 Schiitischer Islamismus Schiitischer Islamismus knüpft in Abgrenzung zum sunnitischen Islamismus an spezifische Vorstellungen der schiitischen Theologie und politischen Lehre an und wird vom theokratischen Herrschaftskonzept "Velayat-e faqih" des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini 30 gekennzeichnet. Dieses umfasst die Verwirklichung eines islamischen Staats auf der Grundlage der Scharia, angeführt von schiitischen Rechtsgelehrten, die den seit 941 in die Verborgenheit entrückten Mahdi, ein Nachfahre des Propheten Muhammad über dessen Tochter Fatima und Schwiegersohn Ali Ibn Abi Talib, stellvertreten. Khomeini forderte einst ebenso wie sunnitische islamistische Gruppierungen eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Islam und propagierte unter Ablehnung von Demokratie und Säkularismus die Vision einer weltweiten Islamisierung. 2. Gefährdungsbewertung für die Bundesrepublik Deutschland In den zurückliegenden Jahren hatte sich die Bedrohungslage auf hohem Niveau in der Bundesrepublik Deutschland stabilisiert. Die in den letzten Jahren erfolgten Koranschändungen in einigen europäischen Ländern sowie die Entwicklungen im Nahen Osten als Folge der Terroranschläge gegen den Staat Israel im Oktober 2023 bewirkten eine weitere Anspannung der 30 Der Religionsgelehrte Khomeini (1902-1989) führte die Islamische Revolution 1978/1979 im Iran an und lenkte nach dem Sturz des Schahs Mohammad Reza Pahlavi die Staatsgeschäfte der neu gegründeten Islamischen Republik Iran als religiöses und politisches Oberhaupt bis zu seinem Tod. 63 Sicherheitslage, die sich mit jedem weiteren eingreifenden Akteur und der Verschlechterung der humanitären Situation im Gazastreifen sowie dem Konflikt im Südlibanon verschärfte. Islamistische Terrororganisationen wie der "Islamische Staat" (IS) nutzen Deutschland längst nicht mehr als Rückzugsraum oder zur Finanzierung von Aktivitäten im Ausland, sondern betrachten Deutschland als legitimes Ziel für Anschlagspläne. Bereits die Koranverbrennungen in Schweden wurden zum Anlass genommen, die jihadistische Szene zu mobilisieren und zu Racheakten im Westen aufzurufen. Trotz gegensätzlicher ideologischer Ausrichtung solidarisieren sich Terrororganisationen wie der IS und das "al-Qaida"-Netzwerk (AQ) nach dem Angriff der "Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS) 31 auf Israel mit ihr und der "Hizb Allah" 32. Verbunden durch einen tiefen Antisemitismus und das Ziel, den Staat Israel zu vernichten, machen sich IS und AQ das Emotionalisierungsund Mobilisierungspotenzial jihadistischer Akteure im In-und Ausland zunutze und rufen im Kampf gegen Israel, das Judentum und den verbündeten Westen zu Terroranschlägen auf. Das Gefahrenpotenzial in der Bundesrepublik Deutschland ist dadurch deutlich gestiegen. Gezielte Desinformation und Propaganda treten verschärfend hinzu, wodurch radikalisierte, auch irrational agierende, allein handelnde Akteure inspiriert werden können, den gegenwärtigen Konflikt zum Anlass für spontane Gewalttaten zu nehmen. In diesem Zusammenhang geht eine akute Gefahr von dem zentralasiatischen IS-Ableger "Provinz Khorasan" (ISPK) aus. Der Ableger mit Ursprung in Afghanistan gründete sich 2014. "Khorasan" ist eine historische Region in Zentralasien, welche Gebiete des heutigen Iran, Afghanistan, Turkmenistan, Tadschikistan sowie Usbekistan umfasst. In Afghanistan steht der ISPK in Konkurrenz zu den Taliban und wird von diesen bekämpft. Die Ideologie des ISPK zielt darauf ab, sein Territorium sowie die islamische Welt von "Kreuzfahrern" und deren Einfluss zu reinigen und ein weltweites Kalifat zu schaffen. Das Netzwerk hat seinen Fokus auf das Ausland erweitert und beschränkt seine terroristischen Aktivitäten nicht nur auf Afghanistan, sondern hat bereits Anschläge in verschiedenen Ländern verübt und auch für Deutschland Anschlagsvorhaben formuliert und geplant. Der ISPK ist derzeit die größte islamistische 31 Bei der HAMAS handelt es sich um eine sunnitisch-extremistische Organisation, die sich aus dem palästinensischen Teil der Muslimbruderschaft entwickelte und mit Beginn der ersten Intifada (Palästinenseraufstand) im Jahre 1987 gegründet wurde. Ziel der HAMAS ist die Vernichtung des Staates Israel und die damit einhergehende Errichtung eines eigenen Staates auf dem gesamten Gebiet "Palästinas". Im Gazastreifen stellt sie die führende politische Kraft dar. Ihre Mitgliederzahl wird auf etwa 80.000 Personen geschätzt. Seit dem Jahr 2003 steht die HAMAS als Terrororganisation auf der EU-Sanktionsliste. Am 02.11.2023 hat das BMI die Betätigung der HAMAS in Deutschland verboten. 32 Die "Hizb Allah" - "Partei Gottes" ist eine islamistisch-schiitische Partei und Miliz im Libanon. Ihr Ziel ist der Widerstand gegen Israel, die Befreiung des Libanon von westlichen Einflüssen sowie die Sicherung der eigenen politischen Machtbasis. Seit dem 26.03.2020 besteht eine Verbotsverfügung des BMI, aus der sich auch die Strafbarkeit der Symbole ergibt. 64 Bedrohung und stellt die Behörden vor besondere Herausforderungen hinsichtlich Schutzund Sicherheitsmaßnahmen. Im Jahr 2024 gab es zwei islamistisch motivierte Anschläge in Deutschland. Ein afghanischer Staatsangehöriger griff am 31. Mai Teilnehmer einer Kundgebung der islamkritischen Bewegung "PAX Europa" in Mannheim mit einem Messer an und verletzte mehrere Personen schwer, ein Polizist erlag seinen Verletzungen. Der Attentäter befindet sich seither in Haft, die Bundesanwaltschaft erhob Klage wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Ein weiterer Anschlag ereignete sich am 23. August in Solingen, wo ein Attentäter auf mehrere Besucher eines Stadtfestes einstach. Drei Opfer erlagen ihren Verletzungen. Der Attentäter befindet sich in Haft. Versuchte Anschläge, wie der Schusswaffenangriff in München und der Angriff mit einer Machete auf eine Polizeiinspektion in Linz (Österreich), beides im September 2024, konnten durch die Polizei abgewehrt werden. Zudem sind zahlreiche Gefährdungssachverhalte bekannt geworden, die Anschlagspläne sowie -vorbereitungen umfassten und durch die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden aufgeklärt und verhindert werden konnten. Das verdeutlicht, dass das Gefahrenpotenzial für mögliche Terroranschläge in Deutschland weiterhin real und akut ist, sodass jederzeit mit unkoordinierten Spontantaten und Anschlägen durch radikalisierte Einzeltäter und Kleinstgruppen gerechnet werden muss. Neben großen, schwer zu schützenden Zielen sind jüdische/israelische Einrichtungen und Personen besonders gefährdet. 2.1 Militärischer Konflikt im Gazastreifen Am 7. Oktober 2023 startete die HAMAS einen terroristischen Großangriff unter der Bezeichnung "al-Aqsa-Flut" auf das südliche und mittlere Staatsgebiet Israels. Hierbei wurden mehrere tausend Raketen aus dem Gazastreifen auf verschiedene israelische Ziele abgeschossen. Trotz des israelischen Raketenabwehrsystems kam es aufgrund der hohen Anzahl von Raketen zu Einschlägen auf israelischer Seite. Parallel drangen Kämpfer der HAMAS auf israelisches Staatsgebiet vor, töteten mehr als 1.200 Menschen und nahmen über 200 Geiseln. Die israelische Regierung hat mit einer militärischen Gegenoffensive auf die Angriffe der HAMAS 65 reagiert. Die HAMAS wurde durch das militärische Eingreifen Israels stark geschwächt, stellt aber auch weiterhin einen kontinuierlichen Akteur im Konflikt dar. Am 8. Oktober schoss die "Hizb Allah" Raketen auf israelisches Staatsgebiet und zwang zehntausende israelische Bürger zur Flucht. Darauffolgend entwickelte sich ein fortwährender militärischer Konflikt, welcher in einer israelischen Bodenoffensive im Südlibanon mündete. Im Zusammenhang mit dem Terrorangriff der HAMAS, der darauffolgenden israelischen Offensive und den Gewaltaufrufen jihadistischer Organisationen ist auch die Bundesrepublik Deutschland in den Fokus der HAMAS gerückt. Zurückliegend nutzte die HAMAS Deutschland eher als Rückzugsraum sowie als Operationsgebiet für Spendensammlungen und Mitgliedergewinnung. Am 14. Dezember 2023 wurden vier Tatverdächtige - drei in Berlin, einer auf Grundlage eines Europäischen Haftbefehls in den Niederlanden - wegen Vorbereitungshandlungen für Anschläge auf israelische und militärische Einrichtungen in Deutschland vorläufig festgenommen. Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft am 8. November Anklage gegen die Angeschuldigten wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (HAMAS) erhoben. Während des Berichtszeitraums fanden sowohl pro-israelische als auch pro-palästinensische Veranstaltungen im Bundesgebiet statt, einhergehend mit einem erhöhten Emotionalisierungsund zugleich Mobilisierungspotenzial. Dies hat sich unter anderem auch in einem deutlichen Anstieg der politisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund niedergeschlagen. 2.2 Antisemitismus und Desinformation im Islamismus Die älteste Erscheinungsform des Antisemitismus ist die religiös begründete Feindschaft gegenüber Juden. Diese entstand aus einer Absolutsetzung der eigenen religiösen Überzeugungen, die einhergehen mit Ablehnung, Herabwürdigung und Diskriminierung anderer Glaubensformen. Bei zahlreichen islamistischen Organisationen lässt sich eine antisemitische Agitation feststellen, die so weit geht, dass das Existenzrecht Israels negiert und die Vernichtung Israels gefordert wird. Antisemitisches Gedankengut ist aber nicht nur unter Anhängern islamistischer Organisationen vertreten, sondern kommt ebenso in muslimischen Gesellschaftsteilen vor, die keine Islamismusbezüge aufweisen. 66 Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel verbreiten sich viele Falschmeldungen und antiisraelische Narrative. Sie knüpfen an bestehende Feindbilder an und sind im Kern antisemitisch. Desinformation stellt ein Propagandamittel mit dem Ziel der Manipulation von Einstellungen, Meinungen und Gefühlen dar. Sie wird gezielt für politische Zwecke, wie auch bei Konflikten und Kriegen, eingesetzt. Eine besondere Funktion als Multiplikatoren von Desinformationen haben soziale Medien. Auf Facebook, "X", Telegram und Co. können in Sekundenschnelle Nachrichten weitergeleitet und kommentiert werden. So führen auch die im Netz verbreiteten unzähligen falschen Behauptungen, verstörenden Bilder und Videos im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt in Deutschland zu einer Täter-Opfer-Umkehr und heizen die Stimmung auf beiden Seiten der Konfliktparteien weiter auf. Sie tragen zur Emotionalisierung bei und können als Radikalisierungsfaktor fungieren. 2.3 Digitale Plattformen als Operationsbasis für Islamisten Islamisten bedienen sich intensiv der sozialen Medien, um ihre Propaganda an ein breit gefächertes Publikum unterschiedlicher Altersklassen zu richten. Das Videoportal TikTok wird dabei bevorzugt genutzt. Zum einen ist TikTok unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen besonders beliebt, zum anderen unterstützt der Algorithmus der App bei extremistisch orientierten Nutzern, extremistische Inhalte zu verbreiten, indem bei Konsum von Videos mit islamistischem Inhalt ähnliche Inhalte vermehrt angezeigt werden. Dabei werden auch Hashtags verwendet, um in anderen "Filterblasen" sozialer Medien stattzufinden. Der Nutzer taucht somit immer tiefer in islamistische Inhalte ein, während andere Videos ohne extremistischen Inhalt seltener angezeigt werden. Dadurch können Islamisten ein Millionenpublikum erreichen und für sich vereinnahmen. Islamisten präsentieren ein Lebensmodell von Werten, Ansichten und Normen, welches nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Es verfängt zumeist in eher sozial schwachen Milieus und droht dort sowohl die Deutungshoheit in Fragen von Demokratie und Integration zu gewinnen als auch die individuelle Lebensführung der Adressaten massiv zu beeinflussen. Unterstützt wird diese Entwicklung durch den Zusammenschluss mit etablierten (islamistischen) Influencern, welche als Multiplikatoren von islamistischen Botschaften fungieren, da sie über eine große Followerzahl und Bekanntheit verfügen. So treten Influencer mit islamistischen Predigern gemeinsam online auf oder nehmen immer wieder aufeinander Bezug. Ein solches Phänomen ist auch bezüglich des Nahostkonflikts zu verzeichnen, wo sich ein großes Mobilisierungspotenzial durch Influencer zeigt. 67 Die Botschaften von Islamisten sind dabei von Relativierung, einer vermeintlichen Opferrolle gegenüber der Mehrheitsgesellschaft sowie israelund judenfeindlicher Rhetorik geprägt. Ebenso werden islamistische Gewalttaten relativiert, entschuldigt oder gar befürwortet. Mit dieser Strategie verfolgen Islamisten das Ziel, sich bei sozialen Fragen als legitime Fürsprecher der Muslime zu etablieren, um diese schrittweise von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu entfremden und für demokratiefeindliche Positionen empfänglich zu machen. 2.4 Staatliche Maßnahmen Am 24. Juli hat das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) den Verein "Islamisches Zentrum Hamburg e. V." (IZH) sowie dessen bundesweite Teilorganisationen verboten. Das BMI stellte fest, dass es sich bei dem IZH um einen Verein handelte, der eine islamistische, totalitäre Ideologie in Deutschland propagierte, die Terroristen der "Hizb Allah" unterstützte und aktiv einen aggressiven Antisemitismus verbreitete. Die Werte des IZH und seiner Teilorganisationen richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Zudem laufen sie den Strafgesetzen zuwider, ebenso wie den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und fördern Bestrebungen außerhalb des Bundesgebietes, deren Ziele bzw. Mittel mit den Grundwerten einer die Würde des Menschen achtenden staatlichen Ordnung unvereinbar sind (Art 9. Absatz 2 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 3 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz bzw. Art. 14 Absatz 2 Nr. 2 und 3 Vereinsgesetz). 3. Islamismus in Thüringen 3.1 Überblick Islamistische Gruppierungen haben sich in Thüringen bislang kaum strukturell etabliert. Feste, formale Organisationsstrukturen existieren in diesem Sinne im Freistaat weiterhin nicht. Nach wie vor agieren lose Personennetzwerke oder Einzelpersonen, die islamistische Aktivitäten entfalten. In Thüringen lässt sich eine Koexistenz und vereinzelt ein Miteinander der mehrheitlich aus Einzelpersonen bestehenden salafistischen Szene mit anderen islamistischen Strömungen wie der "Islamistischen nordkaukasischen Szene" (INS), "Tablighi Jama'at" (TJ) und "Muslimbruderschaft" (MB) ausmachen. Gründe hierfür werden u. a. in der nicht vorgenommenen 68 Selbst-Kategorisierung als Salafi und Tablighi, sondern stattdessen als praktizierender, gläubiger Muslim sowie dem Mangel eines umfangreicheren Moscheenangebots im Freistaat gesehen. Darüber hinaus scheinen Kennverhältnisse aufgrund der gemeinsam bewohnten Gemeinschaftsunterkünfte zu bestehen. Das Potenzial der losen islamistischen Anhängerschaft beläuft sich im Freistaat Thüringen auf ca. 210 Personen (2023: 200). Etwa 75 Prozent davon sind der Strömung des Salafismus zuzurechnen. Die übrigen dem AfV bekannten Islamisten verteilen sich auf die Gruppierungen TJ, MB, "Hizb Allah" und HAMAS sowie die INS. Logo "Muslimbruderschaft" Wappen HAMAS Logo der "Hizb Allah" 3.2 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen Im Freistaat bewegt sich die Zahl der Moscheevereine im unteren zweistelligen Bereich. Einzelne Vereine werden als islamistisch beeinflusst sowie als teils von Islamisten frequentierte Einrichtungen bewertet. Mehrheitlich dienen sie Muslimen als Anlaufstelle zur Verrichtung des freitäglichen Pflichtgebets, zur Pflege der Gemeinschaft und zur Kommunikation. Die Moscheevereine, deren Mitglieder und Besucher sich überwiegend im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung betätigen, treten bisher nicht selbst als Multiplikatoren der islamistischen Ideologie in Erscheinung. Einige sind unwissentlich über einzelne Besucher islamistischen Einflüssen ausgesetzt und können somit sowohl der Rekrutierung für islamistische Netzwerke als auch als Orte der Radikalisierung dienen. Allerdings gibt es auch Akteure in Thüringer Vereinen, die Islamisten bewusst eine Plattform bieten und somit dabei unterstützen, deren extremistische Ansichten zu verbreiten - so z. B. in Islamseminaren. Bei diesen mehrtägigen Veranstaltungen wird durch bundesweit agierende szenebekannte Gastprediger ein salafistisches Islamverständnis vermittelt. Bei ihren Vorträgen achten sie in 69 der Regel darauf, Äußerungen zu vermeiden, die Anlass für staatliche Sanktionen bieten könnten. In der salafistischen Szene stoßen die Seminare auf überregionales Interesse und dienen zugleich als Kontaktbörse. Im Berichtszeitraum fanden mehrere derartige Veranstaltungen in Thüringen statt. Als Vortragende waren überregional bekannte Multiplikatoren des politischen Salafismus in Deutschland etwa aus Sachsen und Berlin eingeladen. Das Hauptaktionsfeld politischer Salafisten ist, ihre Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten. Dadurch wollen sie Staat und Gesellschaft in einem langfristigen Prozess nach salafistischen Normen umgestalten. Mit den Auftritten der salafistischen Prediger bei Islamseminaren und der späteren Veröffentlichung ihrer Reden in den sozialen Netzwerken sowie auf verschiedenen Internetportalen wird die Reichweite für ihre verfassungsfeindlichen Aussagen erhöht, was letztlich die Bildung von Parallelgesellschaften außerhalb der freiheitlich demokratischen Grundordnung verstärkt. Infolgedessen werden Moscheevereine auch als mögliche Anlaufstellen und Trefforte zur Kontaktaufnahme und für Zusammenkünfte entsprechender Personen genutzt. Dabei bestehen auch Kennverhältnisse zu Personen aus dem jihadistischen Spektrum. Aufgrund dessen werden Moscheevereine und Gebetsräume im Freistaat nicht insgesamt als salafistische Bestrebung bzw. allgemein islamistisch nachrichtendienstlich beobachtet, sondern vielmehr einzelne relevante Personengruppen. Salafismus in Thüringen Die einflussreichste Strömung des islamistischen Spektrums in Thüringen bildet analog zum Bundestrend der Salafismus. Die hier vertretene Ideologie ist deutlich männlich dominiert. In den vergangenen Jahren war die salafistische Szene aufgrund von Verbotsund Ermittlungsverfahren sowie durch die Pandemiebeschränkungen öffentlich nicht wahrnehmbar. Aktivitäten und Missionierungstätigkeiten verlagerten sich in den privaten Bereich oder den virtuellen Raum. Dort professionalisierte sich die Szene zunehmend. Neben den etablierten Kanälen You-Tube und Facebook wurde das Angebot auf die Plattformen Telegram, Instagram und TikTok ausgeweitet. Seit Mitte 2022 ist die Szene wieder verstärkt in der Öffentlichkeit aktiv. Vortragsveranstaltungen, das Auftreten salafistischer Prediger und Aktionen wie Infostände in Fußgängerzonen haben bundesweit zugenommen. So auch in Thüringen, wo im Jahr 2023 70 wieder einschlägige Unterrichtsangebote und Seminare überregional agierender salafistischer Akteure festgestellt werden konnten. Dieser Trend setzte sich im Berichtszeitraum fort. Aktivitäten von Salafisten im Internet lassen sich seit Jahren beobachten. Es ist das wichtigste Kommunikationsund Propagandamedium, da es grenzüberschreitend schnelle Kommunikation und Interaktion ermöglicht. Neben der leichten Verfügbarkeit von Informationen ermöglicht es das Internet, unkompliziert Kontakt zu Gleichgesinnten aufzunehmen und sich miteinander auszutauschen. Durch das Internet erhalten Akteure Zugang zur digitalen Öffentlichkeit, um Propaganda im Netz zu konsumieren und auch zu verbreiten. So genießt das Internet gerade bei Jugendlichen einen hohen Stellenwert und verhilft oftmals zum Einstieg in die Szene. Die Aussagen der salafistischen Influencer können erhebliche Auswirkungen im Lebensalltag für Jugendliche haben. Durch extremistische Medieninhalte werden Radikalisierungsprozesse verstärkt und beschleunigt. Dabei gilt das Internet nicht als alleiniger Auslöser, da eine Radikalisierung von einer Vielzahl von Faktoren abhängt. 3.3 Militärischer Konflikt im Gazastreifen - Reaktionen in Thüringen Auch in Thüringen kam es infolge des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel zu einem Anstieg des Veranstaltungsgeschehens, welches eng mit der Entwicklung im Nahen Osten verknüpft und somit schwankend ist. Es überwogen pro Israel-Demonstrationen gegenüber den Veranstaltungen mit pro palästinensischem Charakter. Bis auf sehr wenige Ausnahmen verliefen die Veranstaltungen störungsfrei. Ebenso kam es in sehr wenigen Fällen zu politisch motivierten Straftaten. Die Reaktionen der islamistischen Szene in den sozialen Medien zum terroristischen Angriff der HAMAS waren zurückhaltend. Neben Aufforderungen zur Solidarität mit Palästina, der Forderungen nach Beendigung der Kampfhandlungen, antisemitischen Äußerungen, wie die Aberkennung des Existenzrechts Israels, wurden in Thüringen offene Sympathiebekundungen für die HAMAS kaum kommuniziert. Auf pro-palästinensischen Demonstrationen wurde jedoch auch für den Libanon demonstriert, wenngleich es auch hier keine direkten Sympathiebekundungen für die "Hizb Allah" gab. 71 3.4 Verfahren gegen Islamisten aus Gera Im März erließ der Generalbundesanwalt Haftbefehl gegen zwei in Gera ansässige afghanische Staatsangehörige, die einen Anschlag auf Polizisten und Zivilisten rund um das schwedische Parlament planten. Beide hatten sich über Monate hinweg konspirativ verhalten und waren durch einen Hinweis in den Fokus des AfV sowie der Bundesbehörden gerückt. Beide stammen aus Afghanistan, waren 2015 bzw. 2016 nach Deutschland gekommen und lebten bis zu ihrer Festnahme in Gera. Dort radikalisierten sie sich. Einer der beiden stand ab Frühjahr 2023 mit dem ISPK in Kontakt. So war zunächst geplant, Geld zur Unterstützung von inhaftierten IS-Anhängerinnen in Syrien sammeln, um sich für größere Vorhaben zu beweisen. Ursprünglich hatten beide eine Ausreise nach Nigeria geplant, um sich dortigen IS-Kämpfern anzuschließen. Dies misslang, woraufhin ein IS-Funktionär sie zu dem Anschlag in Schweden anleitete, welcher als Reaktion auf die seit 2020 in Schweden stattgefundenen öffentlichen Koranverbrennungen dienen sollte. Plan war es, Schusswaffen zu besorgen, die örtlichen Gegebenheiten auszukundschaften, um in der Folge ein Attentat mit vielen Opfern zu verüben. Im Rahmen der nachrichtendienstlichen Sachverhaltsklärung wurde eine Reise in die Tschechische Republik zum Zweck der - letztlich nicht realisierten - illegalen Beschaffung von Schusswaffen festgestellt. Nach Erkenntnisfunden auf den Mobiltelefonen der potenziellen Attentäter wurden beide am 19. März verhaftet. Ab dem 15. November mussten sie sich vor dem Oberlandesgericht Jena wegen Mitgliedschaft und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung sowie Verabredung zum Mord verantworten (SS 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, SS 89b, SS 89c). 33 33 Das Oberlandesgericht Jena verurteilte die Angeklagten am 27.02.2025 zu Haftstrafen von fünf Jahren und sechs Monaten bzw. vier Jahren und zwei Monaten. Das Urteil hatte bis zum Redaktionsschluss noch keine Rechtskraft erlangt. 72 VI. Auslandsbezogener Extremismus (ohne Islamismus) 1. Hintergrund Auslandsbezogener Extremismus ist ein Sammelbegriff für Aktivitäten von heterogenen extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen außerhalb des Islamismus, die überwiegend aus politischen, sozialen oder ethnischen Konflikten in den jeweiligen Herkunftsländern hervorgegangen sind. Ausländerextremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzes zielen auf mitunter gewaltsame Veränderungen der Verhältnisse in den Herkunftsländern ab, wobei Deutschland überwiegend als sicherer Rückzugsraum oder für propagandistische Zwecke genutzt wird. Diese Aktivitäten können gleichwohl die innere Sicherheit bzw. das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährden, mitunter verstoßen sie auch gegen das Prinzip der Völkerverständigung. Akteure des auslandsbezogenen Extremismus, die auch ideologische Elemente des Rechtsund Linksextremismus aufweisen, sind u. a. die rechtsextremistische türkische "Ülkücü"-Bewegung, die marxistisch-leninistische "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP), die seit 2002 als Terrororganisation gelistet ist, separatistische Sikh-Organisationen und die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), welche in Thüringen unter den ausländerextremistischen Gruppierungen den Bearbeitungsschwerpunkt darstellt. 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 2.1 Überblick, allgemeine Lage Die PKK wurde 1978 in der Türkei von Abdullah Öcalan gegründet. In der Folgezeit sind im Zusammenhang mit ihr auch die Bezeichnungen "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL), "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) und "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) in Erscheinung getreten. 34 34 Die Strukturen blieben denen der Ursprungsorganisation gleich, weswegen von den Sicherheitsbehörden weiterhin die Bezeichnung PKK verwendet wird. 73 Seit dem 22. November 1993 unterliegt die Partei in Deutschland einem Betätigungsverbot, welches sich auch auf die o. g. Nachfolgeorganisationen erstreckt. Darüber hinaus steht sie als terroristische Organisation seit 2002 auf der EU-Terrorliste. 35 Der seit 1999 inhaftierte Parteigründer Abdullah Öcalan steht weiterhin formal an der Spitze der Organisation. Er wird von ihren Anhängern nach wie vor als Symbolfigur verehrt. Dementsprechend ist die Forderung nach seiner Freilassung eines der Hauptanliegen der Partei und ihrer Unterstützer, auch in Deutschland. Eine Änderung der grundsätzlich angestrebten Ziele ergab sich hingegen seit etwa 20 Jahren dahingehend, dass nicht mehr ein autonomer Kurdenstaat - auch unter Gewalteinsatz in Form eines Guerillakrieges - geschaffen werden soll, sondern die Anerkennung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei eingefordert wird. Dabei bedient sich die PKK im Berichtszeitraum weiterhin einer Doppelstrategie: Um ein friedliches Erscheinungsbild gegenüber der westeuropäischen Öffentlichkeit bemüht, werben ihre Anhänger bei Kundgebungen oder anlassbezogenen Gedenkund Kulturveranstaltungen vordergründig um politische Anerkennung ihrer Interessen. Zugleich unterhält die Partei in der Türkei und der nordirakischen Grenzregion noch immer bewaffnete "Volksverteidigungskräfte" (HPG), die ihre Ziele mit militärischer Gewalt erreichen sollen. 36 2.2 Strukturen der Organisation Auf Europaebene bestimmt der "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (KCDK-E) die politischen Geschicke der Partei. Diesem sind die Strukturen auf Nationalstaatsebene untergeordnet. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es dabei neun Regionen mit 31 Gebieten, die sich wiederum in "Teilgebiete" untergliedern. 35 Nachdem der Europäische Rat im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem vorrangigen Ziel der EU erklärte, ist die PKK seit 2002 auf der in diesem Zusammenhang eingerichteten sogenannten EU-Terrorliste notiert. Dort können Personen, Vereinigungen und Körperschaften erfasst werden, wenn eine zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaats über Beweise oder schlüssige Indizien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Konsequenz der Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtiger Personen und Organisationen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied 2018, dass die Listung der PKK im Zeitraum 2014 bis 2017 mangels einer ausreichenden Begründung rechtswidrig war. Konkrete Auswirkungen hatte das Urteil allerdings nicht, da es für 2018 eine neue Durchführungsverordnung des Rates der Europäischen Union zur sogenannten EU-Terrorliste gab, in der die PKK aufgeführt und die durch das Urteil nicht infrage gestellt wurde. 36 Im Februar 2025 rief der inhaftierte PKK-Gründer seine Anhänger zu Niederlegung der Waffen auf und verkündete zudem die Auflösung der von ihm gegründeten Partei. 74 In Thüringen besteht mit dem "Teilgebiet Erfurt" bislang eine etablierte Struktur der PKK. Die PKK-Anhängerschaft im "Teilgebiet Erfurt" umfasst ca. 130 Personen (2023: 130). Die umzusetzenden Vorgaben und Anordnungen der KCDK-E-Leitung werden durch Gebietsund Teilgebietsleiter zur Basis transportiert. Der Teilgebietsleiter ist zudem für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, die Verteilung und den Verkauf von Propagandamaterial sowie die Spendensammlungen verantwortlich. Die Basis wiederum findet ihren organisatorischen Zusammenhalt in PKK-nahen Vereinen. In Deutschland sind diese Vereine überwiegend dem Dachverband "Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED) angeschlossen. Für Erfurt ist hier der Verein "Demokratische Gesellschaft der KurdInnen Thüringen e. V." zu nennen. 37 2.3 Themenschwerpunkte der Organisation Zur Finanzierung ihrer Guerillaeinheiten, aber auch sonstiger Aktivitäten in Europa und Deutschland nutzt die PKK verschiedene Quellen, u. a. Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungseinnahmen und den Publikationsverkauf. Den weitaus größten Einnahmenanteil erzielt sie jedoch während der alljährlich unter den Anhängern in Europa durchgeführten Spendenkampagne. Allein in Deutschland werden in diesen Kampagnen mehrere Millionen Euro gesammelt. Sonderspendenkampagnen zu aktuellen Themen sollen eine zusätzliche Spendenbereitschaft generieren. Neben den fest im Jahresverlauf verankerten Veranstaltungen (Demonstration zum Jahrestag der Festnahme Öcalans am 15. Februar, Newroz-Fest 38 im März, Kurdistanfestival im September u. A.) setzten sich die Aktivitäten von PKK-Anhängern, die einen Zusammenhang zur Heimatregion bzw. zum PKK-Führer Öcalan aufweisen, im Berichtszeitraum fort. Als Reaktion auf den am 23. Oktober nahe Ankara verübten Terroranschlag auf ein Rüstungsunternehmen, zu welchem sich die PKK bekannte, verübte die Türkei erneut Luftangriffe auf PKK-Stellungen in kurdisch besiedelten Gebieten im Nordirak und in Syrien. In der Folge rief die Europaführung KCDK-E zum Protest auf. 37 Im Jahr 2012 als "Kulturverein Mesopotamien e. V." in Erfurt gegründet, 2018 zunächst in "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Thüringen e. V." und 2019 schließlich in "Demokratische Gesellschaft der KurdInnen Thüringen e. V." umbenannt. Den Änderungen waren Beschlüsse des PKK-nahen Dachverbands KON-MED über Neustrukturierungen der kurdischen Vereine in Europa vorausgegangen. 38 Mit dem kurdischen Neujahrsfest "Newroz" wird neben dem Beginn eines neuen Jahres der Frühlingsanfang gefeiert. "Newroz" wird aber auch als Fest des Widerstands gegen Tyrannei und als Symbol für den kurdischen Freiheitskampf verstanden. Die PKK nutzt dieses Fest, um kurdische Volkszugehörige auf die politischen Anliegen der Organisation aufmerksam zu machen, die Bindung der Anhängerschaft an die Organisation zu stärken, neue Anhänger zu werben sowie als Treffpunkt für hochrangige Kaderfunktionäre. 75 Einen weiteren Themenschwerpunkt stellte die Debatte um die mögliche Beendigung der Isolationshaft für den PKK-Gründer Öcalan und der damit einhergehende - erneut angestrebte - Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK dar. Insbesondere die Sorge der Anhängerschaft um Öcalans Gesundheitszustand und seine Haftbedingungen sind immer wieder zentrales Thema bei Kundgebungen, verbunden mit der bestehenden Forderung nach Aufhebung seiner Isolationshaft. Im Hinblick auf die Veranstaltungslage in Thüringen konnten bereits in der Vergangenheit anlässlich der von der Türkei ausgeübten Militäroffensiven Solidaritätsaktionen, auch von Anhängern aus dem linksextremistischen Spektrum, festgestellt werden. Im Berichtszeitraum haben sich diese Solidaritätsaktionen, insbesondere in Form von anlassbezogenen Kundgebungen und Protestaktionen, verstärkt fortgesetzt. 2.4 Bewertung Die PKK wird auch weiterhin auf verschiedenen politischen Ebenen und unter Einbindung politischer Akteure versuchen, die Einordnung als terroristische Organisation zu revidieren und das öffentliche Meinungsbild in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch hierbei findet sie - ebenso wie bei der Umsetzung diverser Aktionen und der Durchführung von Veranstaltungen und Versammlungen - Unterstützung in linken bzw. linksextremistischen Strukturen. Das Mobilisierungspotenzial ist noch immer recht hoch und kurzfristig aktivierbar. Gerade emotional besetzte Themen, insbesondere der Gesundheitszustand des Organisationsgründers und die Forderung nach seiner Freilassung, aber auch die fortwährenden Militärangriffe auf kurdische Siedlungsgebiete (überwiegend in der Region "Rojava" 39), finden Ausdruck u. a. in (bundesweiten) Massenkundgebungen. Obwohl die Organisation im Bundesgebiet behördlichen Auflagen hinsichtlich der Austragungsorte von Veranstaltungen und Kundgebungen sowie der nachdrücklichen Durchsetzung des Kennzeichenverbots unterliegt, fanden im Berichtszeitraum vermehrt Veranstaltungen statt, um die Hauptanliegen der Organisation öffentlichkeitswirksam zu präsentieren. Insbesondere im Hinblick auf die Bestrebungen zur Anerkennung als "legale" Organisation und zur Aufhebung des bestehenden PKK-Verbotes in Deutschland haben sich die Verantwortlichen stets 39 Die de-facto-Autonomieregion "Rojava" im nordsyrischen Kurdengebiet stellt das symbolträchtige Aushängeschild für die Realisierung der von der PKK betriebenen kurdischen Autonomie dar. 76 bemüht, die Einhaltung staatlicher Vorgaben zu berücksichtigen, um der Kategorisierung als Terrororganisation entgegenzuwirken. EXKURS: Anlassbezogenes Zusammenwirken von auslandsbezogenem Extremismus und deutschem Linksextremismus Im Zusammenhang mit dem seit Oktober 2023 bestehenden militärischen Konflikt im Gazastreifen und den seit Jahrzehnten schwelenden Auseinandersetzungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung haben zuletzt - auch in Thüringen - vermehrt Demonstrationsveranstaltungen und Solidaritätsaktionen stattgefunden. Dabei konnte insbesondere ein phänomenbereichsübergreifendes Zusammenwirken von Einzelakteuren und Gruppierungen des deutschen Linksextremismus mit bestehenden Strukturen des auslandsbezogenen Extremismus - basierend auf ideologisch gleich gearteten Themenfeldern - festgestellt werden. Es handelt sich hierbei schwerpunktmäßig um die sog. Kurdistansolidarität und das pro-palästinensische Protestgeschehen. Kurdistansolidarität Das Bemühen der PKK, als legitimer, alleiniger Vertreter und Ansprechpartner in der "Kurdenfrage" anerkannt zu werden und auf die Anliegen der Organisation (öffentlichkeitswirksam) aufmerksam zu machen, bestimmen die Aufgabenwahrnehmung in Europa und somit auch in der Bundesrepublik Deutschland. Dafür wird auch der Kontakt zu linksextremistischen Strukturen gesucht, mit denen basierend unter anderem auf dem sozialistischen Internationalismusgedanken zusammengearbeitet werden kann. In den vergangenen Jahren konnten zunehmende Solidaritätsaktionen diverser Gruppierungen, welchen sich Akteure aus dem linksextremistischem Spektrum auf Grund der thematischen Bezüge zum auslandsbezogenen Extremismus anschlossen, - insbesondere aus dem Raum Jena - festgestellt werden. Dabei lag der Schwerpunkt hauptsächlich in der Forderung nach Aufhebung der Isolationshaft Öcalans und der Solidarität mit den kurdisch geprägten Gebieten unter Verweis auf die militärischen Maßnahmen der Türkei in dieser Region. Die Autonomieregion "Rojava" als neues Gesellschaftsmodell und die Frauenbewegung in den kurdischen Siedlungsgebieten im Nordosten Syriens stellen hierbei die Grundlagen dar, welche insbesondere in den linksextremistischen Strukturen als essentiell im Kampf gegen das Patriarchat und gegen die Unterdrückung betrachtet werden. Für die andauernde "Revolution", 77 die auch in Deutschland in vorgenannten Kreisen Zuspruch und Unterstützung findet, gilt das Vorbild der kurdischen Freiheitsbewegung als sinnstiftend. Die Verwendung der Parole "Jin Jiyan Azadi - Frauen Leben Freiheit" hebt in erster Linie die Bedeutung von Frauen hervor. Sie wurde ursprünglich von den weiblichen Anhängern der PKK als Reaktion auf die politische Verfolgung durch die Regierungen des Irans, Iraks, Syriens und der Türkei verwendet und durch Öcalan in seinen Schriften weiterverbreitet. Pro-palästinensisches Protestgeschehen Der terroristische Angriff der islamistischen HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 und die darauffolgende israelische Militäroperation im Gaza-Streifen hat im Berichtszeitraum auch in Thüringen zu einem regen Protestgeschehen, vornehmlich in Erfurt, Weimar und Jena, geführt. Vorherrschende Themen der Veranstaltungen waren die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung, die humanitäre Lage im Gazastreifen und die Forderung nach einem "Ende der israelischen Okkupation". Parolen, wie "Genozid am palästinensischen Volk" verlagerten die Verantwortung für den Konflikt weg von den Taten der HAMAS und stellten Israel als Aggressor dar, ohne die Taten der HAMAS zu thematisieren oder zu verurteilen. Neben einer Beteiligung von Akteuren des auslandsbezogenen Extremismus anderer Bundesländer solidarisierten sich vereinzelt auch linksextremistische Gruppierungen mit der pro-palästinensischen Protestbewegung in Thüringen und wurden unterschiedlich aktiv. Durch die Schnittmengen beider Phänomenbereiche, was die Forderungen und Anliegen in Bezug auf die Palästinasolidarität, Beendigung des Konflikts, Ablehnung und Feindschaft gegenüber dem Staat Israel betrifft, entstanden neue Verbindungen und Aktionsmöglichkeiten. Diese wirkten sich unter anderem auch auf das Mobilisierungspotenzial aus. So zählte die pro-palästinensische Demonstration am 18. Mai in Erfurt anlässlich des palästinensischen "AlNakba"-Gedenktages 40 zeitweise 300 Teilnehmer. Diese waren u. a. aus Jena, Weimar und Leipzig angereist. Zu der Veranstaltung hatten diverse pro-palästinensische Gruppierungen aus Thüringen und Sachsen aufgerufen und so auch den Akteuren beider extremistischen Spektren eine gemeinsame Plattform geboten. 40 Palästinenser erinnern jährlich am 15. Mai an Flucht und Vertreibung von ca. 700.000 Palästinensern aus dem britischen Mandatsgebiet Palästina während des ersten Nahost-Krieges 1947-1949 und der am 14.05. 1948 erfolgten Gründung des Staates Israel. In diesem Zusammenhang finden regelmäßig auch im Bundesgebiet Veranstaltungen statt. 78 VII. Linksextremismus 1. Überblick, Ideologie, Schwerpunktsetzung, Radikalisierung Gemeinsam ist allen Formen des Linksextremismus das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Ihre durchaus unterschiedlichen Bestrebungen richten sich gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Letztlich wollen sie einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" errichten. Viele linksextremistische Bestrebungen eint ein Bekenntnis zur revolutionären Gewalt. Dass sich die von ihnen angestrebten Veränderungen einzig durch Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. Das linksextremistische Spektrum ist ideologisch breit gefächert. Es schließt Anhänger der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Die in Thüringen vertretenen linksextremistischen Parteien, Organisationen und sonstigen Personenzusammenschlüsse sind Teil bundesweit bestehender Strukturen. Der Schwerpunkt bei der Beobachtung des linksextremistischen Spektrums liegt auf dem gewaltorientierten Linksextremismus. Die Gewaltorientierung gehört zu den identitäts-stiftenden Merkmalen dieser Linksextremisten. Autonome, die dieses Spektrum zu einem wesentlichen Teil bilden, verüben auch das Gros der einschlägigen Strafund Gewalttaten. Auf die im bundesweiten Vergleich geringe Anzahl Thüringer Linksextremisten entfällt ein entsprechend geringer (bundesweiter) Anteil an Strafund Gewalttaten. Im Berichtszeitraum war in Thüringen ein erheblicher Anstieg bei der Gesamtzahl der registrierten linksextremistisch motivierten Straftaten zu verzeichnen, auch die Zahl linksextremistisch motivierter Gewaltdelikte stieg deutlich. Dennoch ist aufgrund der in den vergangenen Jahren fortgesetzten schweren Einzelstrafund Gewalttaten gegen Objekte und Personen der rechtsextremistischen Szene in Thüringen von einem hohen Radikalisierungspotenzial eines Teils der gewaltorientierten linksextremistischen Szene im Freistaat auszugehen. Dabei agiert die gewaltbereite linksextremistische Szene konspirativ und abgeschottet. Selbst Taten mit einer hohen Gewaltintensität scheinen szeneintern als legitim zu gelten. Sie finden keinen expliziten Widerspruch. Eine Gefährdung von Menschenleben wird billigend in Kauf genommen. Es scheint jedoch fraglich, ob es sich tatsächlich um eine weitere bzw. verstetigte Radikalisierung speziell der regionalen Thüringer Szene handelt. Art und Umfang der Beteiligung von 79 Thüringer Linksextremisten lassen sich aktuell nur teilweise fundiert bewerten. Es gibt Anhaltspunkte, die auf eine nicht unerhebliche Beteiligung von auswärtigen Szeneangehörigen an Aktionen in Thüringen deuten. Thüringen ist im Vergleich zu anderen Bundesländern zentral gelegen mit guten Verkehrsanbindungen nach Berlin und Leipzig. Regelmäßige Kontakte der Thüringer linksextremistischen Szene zu den aktiven linksextremistischen Szenen in beiden Städten sind bekannt. Die Thüringer Szene ist überregional sehr gut vernetzt und in bundesweite Zusammenhänge eingebunden. Nicht gewaltorientierte linksextremistische Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln zunächst innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Gegenüber den gewaltorientierten Linksextremisten verlieren sie zunehmend an Bedeutung. Den in Thüringen vertretenen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen gelingt es teilweise durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen zu werden. 2. Das linksextremistische Personenpotenzial Das linksextremistische Personenpotenzial in Thüringen beläuft sich im Berichtszeitraum auf etwa 500 Personen, die u. a. folgenden Teilspektren zugeordnet werden: 2022 2023 2024 Gewaltorientierte 145 150 190 Linksextremisten davon: Autonome 135 140 150 Postautonome 41 - - 20 Anarchisten 42 10 10 20 Linksextremistische 85 90 110 43 Parteien Rote Hilfe e. V. (RH) 170 180 190 Tabelle 5: Geschätzte linksextremistische Mitgliederbzw. Anhängerpotenziale 41 Postautonome, die sich in Organisation, Bündnisarbeit und politischer Praxis von den grundlegenden Prinzipien traditioneller Autonomer absetzen, versuchen über die Vernetzung mit nicht gewaltorientierten Linksextremisten und nicht extremistischen Akteuren die Akzeptanz autonomer Ziele und Aktionen in der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung zu erhöhen und so die Effizienz und Wirksamkeit ihres eigenen politischen Handelns und Wollens zu steigern. Die Zahlenangabe bezieht sich auf eine Thüringer Ortsgruppe der bundesweiten Organisation "Interventionistische Linke" (IL). 42 Die Zahlenangabe zu den Anarchisten bezieht sich auf das personell stärkste anarchistische Teilspektrum, die "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Die FAU ist in geringem Umfang in Thüringen vertreten. Ihr Aktionsschwerpunkt beschränkt sich wie in den Vorjahren auf Jena. Sie bietet in ihrem FAU-Lokal regelmäßige Sprechzeiten und Veranstaltungen an. Sie unterstützte einen "Klima-Aktivisten" im Nachgang zu seiner Kündigung erfolgreich im Arbeitsrechtsstreit mit der Universität Jena. 43 Die Zahlenangabe zu den linksextremistischen Parteien setzt sich aus dem Personenpotenzial der organisatorisch in Thüringen vertretenen Parteien "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) - ca. 30 Mitglieder - und "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) - ca. 80 Mitglieder - zusammen. 80 Die Anzahl der gewaltorientierten Linksextremisten im Freistaat, die der (post-)autonomen Szene zugerechnet werden, ist im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Ein regionaler Schwerpunkt besteht in Jena und Umgebung. Die Fokussierung auf das Betätigungsfeld "Antifaschismus" hält an. In Verbindung damit kommt auch dem Aktionsfeld "Antirepression" aktuell eine gewachsene Bedeutung zu. Verstärkt wurden ebenfalls dem Aktionsfeld "Kurdistan-Solidarität" zuzurechnende Aktivitäten festgestellt. Die in Thüringen vertretenen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen rückten im Berichtszeitraum auch aufgrund von Wahlkampfund Wahlgeschehen in die öffentliche Wahrnehmung. Der im linksextremistischen Spektrum isolierten MLPD gelang es, ihre politischen Anliegen in der Öffentlichkeit mit erheblichem logistischen und propagandistischen Aufwand darzustellen. 44 Auch Aktivitäten der DKP wurden festgestellt. 45 Die RH ist die mitgliederstärkste Organisation im Bereich des Thüringer Linksextremismus und weist bundeswie auch thüringenweit in den letzten Jahren einen Zuwachs an Mitgliedern auf, eine adäquate Steigerung ihrer öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten in Thüringen war bisher nicht feststellbar. 44 Der 2018 gegründete Landesverband Thüringen der "Marxistisch-leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) verfügt seit 2020 über eine eigene Geschäftsstelle in Erfurt. Parteivorsitzender ist Tassilo Timm. Die Partei ist in den Städten Eisenach, Erfurt, Gera, Jena, Sonneberg und Sömmerda mit Ortsgruppen vertreten. Sie verfügt über einen eigenen Jugendverband "REBELL" mit mehreren Ortsgruppen in Thüringen. Die meisten Aktivitäten - wie Kundgebungen und Informationsstände - entfaltet sie in Erfurt, Eisenach und Sonneberg. Zudem führte die Partei mit dem 21. Internationalen Pfingstjugendtreffen im Mai und dem 21. Sommercamp von REBELL und Rotfüchsen im Juli/August in ihrer parteieigenen Immobilie in Truckenthal (Lkr. Sonneberg) erneut etablierte Veranstaltungen mit mehreren Hundert Teilnehmern durch. Sie beteiligt sich als Internationalistische Liste/MLPD an der Europa-Wahl (in Thüringen 536 Stimmen, 0,1 %) und an der Landtagswahl (617 Erststimmen, 0,1 %, sowie 1.342 Zweitstimmen, 0,1 %), in beiden Fällen mit Verlusten im Vergleich zur jeweils letzten Wahl. Es gelingt ihr, im Wahlkampf zahlreiche neue Kontakte zu knüpfen. 45 Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verfügt in Thüringen verfügt über Ortsgruppen in Weimar-Jena, Erfurt und Sonneberg. Eine eigene Geschäftsstelle unterhält sie in Thüringen nicht, Ansprechpartner ist die Geschäftsstelle der Bundespartei in Essen. Mitglieder der DKP Thüringen nehmen an traditionellen Gedenkfeiern wie z. B. für Ernst Thälmann, von 1925 bis 1933 Vorsitzender der KPD, teil, ebenso an Demonstrationen am 30.03.2024 in Ohrdruf, Lkr. Gotha, (Ostermarsch) und am 1. Mai in Erfurt. Die DKP beteiligt sich an der Europawahl (in Thüringen 374 Stimmen, 0,0 %). Auf eine Beteiligung an der Landtagswahl verzichtet sie offenbar aufgrund struktureller Schwäche und fehlender Erfolgsaussichten. Im Berichtszeitraum trat eine in Thüringen 2022 neu gegründete, mit Ortsgruppen in Erfurt und Jena vertretene "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) in Erscheinung. Die der Partei eng verbundene, organisatorisch unabhängige Nachwuchsorganisation engagiert sich auch außerhalb der parteiüblichen Gedenkveranstaltungen und fällt mit propalästinensischen Sympathiebekundungen und Kritik an Israel auf. Ihr Potenzial wird auf ca. zehn Personen geschätzt. 81 3. Autonome 3.1 Allgemeines Autonome, die den überwiegenden Teil der gewaltorientierten deutschen Linksextremisten ausmachen, sind seit Ende der 1970er Jahre aktiv. Sie agieren vor allem in Großstädten wie Berlin, Hamburg, Leipzig, in Universitätsstädten oder Ballungsräumen wie dem Rhein-MainGebiet. Der gewaltorientierten autonomen Szene werden bundesweit etwa 8.600 Anhänger (2023: 8.300) zugerechnet. Das bundesweite Personenpotenzial hat im Vergleich zum Vorjahr weiter zugenommen und sich auf hohem Niveau konsolidiert. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen zu leben. Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche Normen lehnen sie ab. Sie sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. In ihren oft diffusen ideologischen Vorstellungen mischen sich anarchistische Elemente mit nihilistischen, sozialrevolutionären und auch marxistischen Versatzstücken. Ihr ausgeprägter Individualismus verlangt zur Veränderung der Gesellschaft nicht nach in sich geschlossenen Theorien oder Konzeptionen. Autonome nehmen Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre gewalttätigen Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Dabei spielen Überlegungen zur Haltung möglicher Bündnispartner ebenso eine Rolle wie Stärke und Vorgehensweise eingesetzter Polizeikräfte oder des politischen Gegners. Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen des linksund rechtsextremistischen Spektrums ziehen nicht selten "Vergeltungsaktionen" nach sich. Die szeneinterne Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung elektronischer Medien. Dazu wird eine Vielzahl von Homepages und Portalen betrieben oder genutzt. Unter diesen hat sich das linksextremistische Internetportal "de.indymedia" zum wichtigsten Informationsund Propagandamedium in Deutschland entwickelt. Darüber hinaus dienen diverse, zum Teil konspirativ verbreitete Szeneblätter als Informationsquellen. Bei der internen, oft auch konspirativ abgeschotteten Kommunikation werden spezielle Möglichkeiten zur Nachrichtenverschlüsselung genutzt, die über die gängige End-to-End-Verschlüsselung hinausreichen. Zur Werbung von Nachwuchs für die meist jugendliche, vielfältige Szene bieten sich bestimmte Konzerte, Veranstaltungen zu relevanten Themen wie "Antifaschismus", Angebote in Szeneobjekten und die Möglichkeiten universitärer Einrichtungen, wie etwa Infotage, an. 82 Wie auch andere Linksextremisten engagieren sich Autonome in verschiedensten gesellschaftlichen Konfliktfeldern und sind bemüht, ihre grundsätzliche Systemkritik dort über den sachbezogenen Protest hinaus in den öffentlichen Diskurs einfließen zulassen. So versuchen sie Bündnispartner zu gewinnen und ihre extremistischen Ziele zu verfolgen. Themenfelder wie "Antifaschismus", "Antirepression", "Antigentrifizierung", "Antirassismus", "Antikapitalismus", "Antiglobalisierung", "Internationalismus" und "Kurdistan-Solidarität", "Klimaund Umweltschutz" bestimmen neben tagespolitischen Ereignissen die Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene grundlegend. Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der traditionellen Autonomen. Die heterogene Szene lehnt Hierarchien und Führungsstrukturen ab, agiert meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Zusammenschlüssen. Um die wegen des niedrigen Organisationsniveaus begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, gibt es immer wieder Versuche, übergreifende Organisationsformen oder Vernetzungsangebote zu schaffen. Bundesweite Zusammenschlüsse und Bündnisprojekte spiegeln die Dynamik und Widersprüchlichkeit im linksextremistischen Spektrum wider. Eines dieser Projekte ist die 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppierungen und Aktivisten gegründete postautonome "Interventionistische Linke" (IL). Als eine Art "Scharnier" zwischen militanten, nicht gewaltorientierten Linksextremisten und nicht extremistischen Gruppierungen lehnt sie Gewalt nicht grundsätzlich ab. Ihr Ziel ist die Zusammenführung von (links)extremistischen Akteuren unterschiedlicher ideologischer Prägung und Nichtextremisten, um eine erhöhte Handlungsfähigkeit - Interventionsmöglichkeit - zu erlangen. Die IL zielt dabei letztlich auf eine Überwindung des "Kapitalismus" durch einen revolutionären Umsturz ab. Organisationsstrukturen der IL in Thüringen bestehen in Jena. Das Aktionsspektrum und die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen, Protesten und Demonstrationen über Straßenkrawalle, Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen und schwerer Körperverletzung. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Strafund Gewalttaten richten sich insbesondere gegen Angehörige oder vermeintliche Personen und Objekte des rechtsextremistischen Spektrums sowie Einsatzkräfte der Polizei. In Thüringen umfasst das Anhängerpotenzial der gewaltorientierten autonomen Szene im Berichtszeitraum ca. 150 Personen, dazu kommen ca. 20 Anhänger der postautonomen IL. Ein 83 regionaler Schwerpunkt mit einer personell relativ starken und aktiven autonomen Szene befindet sich in Jena und Umgebung. Szenetypische Anlaufstellen sind "Infoläden" wie in Erfurt und Jena. Sie stellen für die örtliche linksextremistische, insbesondere autonome Szene Informationsund Kommunikationszentren dar. In Thüringen dominiert inhaltlich weiterhin das Themengebiet "Antifaschismus". Persönliche Kontakte von Thüringer Autonomen insbesondere auch in bundesweite Szenehochburgen wie Leipzig, Berlin und Hamburg, das Aufgreifen aktueller Themen und Kampagnen, die Mobilisierung für überregionale Veranstaltungen und Proteste sowie die Beteiligung an entsprechenden Aktivitäten im Bundesgebiet belegen ebenso wie Verlinkungen, Vernetzungsbemühungen und Bündnisarbeit eine enge Einbindung und bundesweite Verflechtung der regionalen Akteure. Störung eines AfD-Infostands am 9. August in Erfurt durch Linksextremisten aus verschiedenen Bundesländern Etwa 25 teilweise vermummte Personen störten einen Infostand der AfD in Erfurt erheblich. Sie umstellten den Stand, setzen Banner und Absperrbänder ein, riefen lautstark Parolen. Zwei Personen versuchten, ausgelegte Infomaterialien zu entwenden. Als die Standbetreiber eingriffen, kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Die beiden Angreifer wurden dabei zu Boden gestoßen und leicht verletzt, Infotheke und Aufsteller erheblich beschädigt. Die Tatbeteiligten stammten aus verschiedenen Bundesländern. Eine Spontankundgebung unter dem Motto "Bunt statt Braun" mit ca. 80 Teilnehmern schloss sich in unmittelbarer Nähe an. Deren Teilnehmer entfernten sich später in Richtung eines bundesweiten Camps, an dem sich auch linksextremistische Gruppierungen und Personen beteiligten. Das unter dem Motto "Gemeinsam gegen Rechts, für ein Klima der Gerechtigkeit" mit ca. 1.000 Teilnehmern durchgeführte Camp widmete sich vor dem Hintergrund eines erwartet hohen Zuspruchs für die AfD bei der Landtagswahl am 1. September neben Klimathemen dem inhaltlichen Schwerpunkt "Antifaschismus". Es umfasste Angebote für politische Bildung, Wissensaustausch, Vernetzung und Strategieprozesse. Im Internet und in sozialen Medien wurde bundesweit und international, u. a. auch von Linksextremisten, für das Camp geworben. Bezüge zu den bevorstehenden Landtagswahlen in Thüringen und weiteren ostdeutschen Bundesländen und der damit einhergehenden Befürchtung eines möglichen Aufstiegs "der nachweislich rechtsradikalen AfD" wurden hergestellt. 84 Beteiligung von Thüringer Linksextremisten an Besetzung des Brandenburger Tores am 16. Dezember in Berlin An einer "spontanen" Besetzung des Brandenburger Tores am 16. Dezember in Berlin sind auch Linksextremisten aus Thüringen beteiligt gewesen. Mit Transparenten und Parolen forderten sie, die "Demokratie in Syrien" und "Rojava" 46 zu verteidigen. Eine Spontankundgebung schloss sich an. Eine Thüringer Antifa-Gruppe mit Bezügen zur linksextremistischen Szene berichtete über die Besetzung. Am Folgetag wird auf dem linksextremistischen Szeneportal "de.indymedia" der Artikel einer PKK-nahen Nachrichtenagentur veröffentlicht, die auch über Aktionen im Rahmen des linksextremistischen Aktionsfeldes der "Kurdistan-Solidarität" berichtet. 3.2 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis Sachbeschädigung, Recherche und "Outing" Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherchebis zu sog. Outing-Aktionen. Bei "Outings" handelt es sich in der Regel um Dossiers zu mutmaßlichen oder tatsächlichen politischen Gegnern ("Nazi", "Fascho"). Zu Personen, ggf. auch Gruppierungen oder Organisation werden dabei Informationen über einen längeren - zum Teil Jahre zurückliegenden - Zeitraum hinweg recherchiert, gesammelt, ausgetauscht und schließlich über das Internet oder als Flyer veröffentlicht. Mit diesen "Outing"-Aktionen setzen Linksextremisten darauf, mutmaßliche oder tatsächliche politische Gegner als "Nazis" im Wohnoder Arbeitsumfeld öffentlich zu machen, über ihre politische Ausrichtung "aufzuklären" und sie möglichst sozial zu isolieren. "Outing"-Aktionen führen mitunter zu weiteren Straftaten. Insoweit sind verbale Attacken, Sachbeschädigungen (an Haus oder Auto der Betroffenen) oder aber auch (körperliche) Übergriffe nicht auszuschließen. Ziel ist es, ein Bedrohungsszenario gegenüber der "geouteten" Person aufzubauen. 46 Die de-facto Autonomieverwaltung Rojava - kurdisches Siedlungsgebiet in Nordostsyrien - ist Ziel andauernder Militäroperationen der türkischen Regierung in ihrem Kampf gegen die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). 85 Für Betroffene stellen "Outings" einen wesentlichen Eingriff in die Privatsphäre dar. Im Rahmen dieser "Outings" wird alles veröffentlicht, was der linksextremistischen Szene bekannt geworden ist oder wesentlich erscheint. So können in einem "Outing" ganze Lebensläufe, alte und neue Kontakte, Wohnund Arbeitsorte, Einschreibungen an Universitäten, Familienmitglieder/Lebenspartner, Teilnahmen an Veranstaltungen und Fotos enthalten sein. Die weitere Verwendung der so öffentlich zur Verfügung gestellten Informationen obliegt in der Folge allein der uneingeschränkten persönlichen Verantwortung und "Kreativität" des interessierten Nutzers. Für Betroffene von "Outings" besteht folglich eine (abstrakte) Gefahr, Opfer von Gegenmaßnahmen und Übergriffen der linksextremistischen Szene zu werden. "Outing"-Beiträge mit thematischem Schwerpunkt AfD im Vorfeld von Wahlen Das der autonomen Szene zuzurechnende "Rechercheportal Jena-SHK" veröffentlichte im Berichtszeitraum erneut zahlreiche Beiträge zu tatsächlichen oder vermeintlichen "Nazis", Mitgliedern und Funktionären "rechter" oder rechtsextremistischer Parteien und Gruppierungen sowie von Burschenschaftlern und Burschenschaften aus Jena und Umgebung auf seiner Internetseite und der Plattform X. Im Jahr 2024 galt das Interesse insbesondere auch Mitgliedern, Funktionären und Kandidaten der AfD. Im Vorfeld der Kommunal-, Landratsund Landtagswahlen wurden Ortsund Kreisverbände in und um Jena durch detaillierte Recherchen aufund abgeklärt ebenso wie die politischen, beruflichen und privaten Kontakte ihrer mehr oder weniger prominenten Mitglieder. Auch Einzelpersonen in hervorgehobenen Funktionen der Partei standen im Fokus der Veröffentlichungen zu "rechter Vielfalt" und einem "Potpouri brauner Netzwerke". "Outing"-Beiträge, Bedrohung und Sachbeschädigungen zum Nachteil eines bekannten Thüringer Rechtsextremisten Ein als Regionalpolitiker und Geschäftsmann tätiger, bekannter Rechtsextremist war wiederholt Gegenstand anonymer Veröffentlichungen, u. a. auf der linksextremistischen Plattform "de.indymedia", und ebenso Ziel von Beleidigungen, Bedrohungen und Sachbeschädigungen. So hieß es zum Beispiel: "Liebe Grüße von Lina. wir kommen gerne mal vorbei! Das wird hammermäßigk ...". 47 Unter Anspielung auf eine Brandstiftung an einer von ihm genutzten 47 Fehler im Original. Der linksextremistischen Gewalttäterin Lina E. wird eine Beteiligung an verschiedenen schweren Straftaten vorgeworfen, u. a. an Übergriffen auf eine "rechte" Szenekneipe und deren Pächter im Jahr 2019 in Eisenach. Sie wurde am 05.11.2020 in Leipzig (Sachsen) verhaftet. Bundesweit kam es zu Resonanzen und Solidaritätsbekundungen, auch durch erhebliche Straftaten. Lina E. und "ihre Hammerbande" gelten der linksextremistischen Szene als Symbol für "konsequenten Antifaschismus". Sie und drei weitere Angeklagte wurden am 31.05.2023 vor dem Oberlandesgericht Dresden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Der Bundesgerichtshof bestätigte die Haftstrafe gegen Lina E. am 19.03.2025 im Ergebnis eines Berufungsverfahrens. 86 Immobilie im Jahr 2021 48 wurde verklausuliert eine Renovierung "mit Benzin" angedroht. Zeitnah ist es zu Sachbeschädigungen durch großflächige, mit Sprühfarbe aufgebrachte Graffiti u. a. mit einem NS-Symbol an seiner Geschäftsimmobilie gekommen. Unter dem Titel "Der Neonazi ... muss unbedingt gestoppt werden!!!" erging am 16. April im Internet der Aufruf, gegen ihn und seine Verbündeten "mit kreativen Aktionen ... vorzugehen und etwas zu unternehmen!!!!!" Im Zusammenhang mit seiner Kandidatur anlässlich der Kommunalund Landratswahlen wurde er am 16. Mai durch Unbekannte beim Aufhängen von Wahlplakaten beleidigt. In einem Anruf über eine öffentlich recherchierbare Telefonnummer wurde am 15. August gedroht, das Geschäftsgebäude in den nächsten drei Tagen in die Luft zu sprengen. Am 5. September erschien auf "de.indymedia" erneut ein detaillierter Bericht zu ihm und seinen (geschäftlichen) Aktivitäten. Es gelte "antifaschistisch aktiv zu werden", "dagegen mit allen Mitteln etwas zu unternehmen". Publik machen, Einschüchterung und Bedrohung eines - politisch unerwünschten - Akteurs sind übliche Vorgehensweisen von Linksextremisten. Mitunter ist die zeitliche Abfolge von "Outing" und Aktion ein Hinweis auf eine detaillierte Planung bei der Vorbereitung und Begehung der Straftaten. Die Sachbeschädigungen von Geschäftsräumen und -immobilien verfolgen das Ziel ihrer Schließung, das bei fehlender Sofortreaktion durchaus wiederholt und auch mit mehr Nachdruck verfolgt werden kann. Sachbeschädigung und besonders schwerer Fall des Diebstahls am 7. Juli in Gera mit mutmaßlich linksextremistischem Hintergrund Im Umfeld der auf einem privaten Grundstück ausgerichteten Geburtstagsfeier eines bekannten Rechtsextremisten, die durch laut abgespielte, inhaltlich einschlägige Musik Aufmerksamkeit erregte, kam es durch Unbekannte zum Einbruch in ein geparktes Fahrzeug von Besuchern und zum Diebstahl von Geld, Dokumenten und Wertgegenständen, am Fahrzeug entstand Sachschaden. Bereits in der Vergangenheit kam es zu einem mutmaßlich linksextremistischen, nächtlichen Übergriff auf diesem Grundstück. Der Betroffene war zuvor Gegenstand von "Outings" und öffentlicher Berichterstattung. 48 Im Frühjahr 2021 kam es zu einer Serie von Brandanschlägen auf Immobilien, die von Rechtsextremisten in Thüringen für ihre Zwecke genutzt wurden. 87 Sachbeschädigung an Immobilie der rechtsextremistischen Partei "Die Heimat" am 20. September in Eisenach Am 20. September verübten Unbekannte einen Farbangriff auf die Fassade der Landesgeschäftsstelle der rechtsextremistischen Partei durch mehrere mit Farbe gefüllte Luftballons. Das Objekt war auch in der Vergangenheit bereits Ziel von Sachbeschädigungen. Wiederholte Sachbeschädigungen am Thor-Steinar-Ladengeschäft in Erfurt Das Thor-Steinar-Ladengeschäft "Trondheim" in Erfurt war im April, Mai, November und Dezember erneut Ziel von Sachbeschädigungen, insbesondere Graffiti-Sprüh-Aktionen, dabei wurde auch der Schriftzug "RAUS" hinterlassen. Die Modemarke wird von der linksextremistischen Szene seit längerem als "rechtsradikales" Modelabel betrachtet und immer wieder attackiert. Das Ladengeschäft ist seit seiner Eröffnung im Januar 2009 Ziel von Sachbeschädigungen unterschiedlicher Intensität. Im April 2022 war es Gegenstand einer überregionalen Anschlagsserie. Regelmäßig kommt es zu ähnlich gelagerten Sachbeschädigungen und weiteren Straftaten an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene oder an Immobilien, die mit ihr in Verbindung gebracht werden bzw. deren Nähe zu dieser - mitunter auch fälschlicherweise - angenommen wird. Auch private Anwesen und Kraftfahrzeuge von "politischen Gegnern" stehen stellvertretend für diese im besonderen Fokus gewaltorientierter Linksextremisten. Typisch sind regelmäßig festzustellende Graffiti wie "Nazis auf's Maul", "Nazis raus", "ANTIFA FCK NZS", Farbanschläge, Buttersäure-Angriffe, mitunter ergänzt durch wohlwollende Kommentare auf Szeneseiten oder auch Selbstbezichtigungsschreiben. Ziel dieser Übergriffe ist es mitunter auch, einen möglichst hohen Schaden für den Betroffenen zu bewirken. Gewalt als selbstverständliches Aktionsmittel Autonomer Gewaltsame Angriffe auf Personen werden regelmäßig damit gerechtfertigt, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese zum Teil willkürlich verwendete Bezeichnung dient als Begründung, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. Dabei konnte mehrfach auch ein planvolles, zielgerichtetes 88 Vorgehen gegen zuvor ausgespähte Opfer festgestellt werden. Die Gewaltintensität verschiedener Übergriffe war extrem hoch. Offenbar wurden lebensbedrohliche Verletzungen zumindest in Kauf genommen. Spontaner Überfall auf einen "Rechten" am 7. März in Bad Klosterlausnitz Zu dem offenbar spontanen Übergriff durch zwei unbekannte Radfahrer kam es in den frühen Abendstunden beim Zusammentreffen mit einem Fußgänger, der ein mit "Fuck Antifa" beschriftetes Kleidungsstück trug. Er wurde in den Straßengraben gestoßen, zur Herausgabe des Pullovers aufgefordert und verletzt. Mit der Aussage "Wir dulden hier keine Rechten!" und Androhung weiterer Gewalt belegten die Täter die politische Motivation der Straftat und ihre Einstellung. Abendlicher Übergriff auf einen "Nazi" am 3. Mai in Jena Am späten Abend griff eine größere, zum Teil maskierte, szenetypisch aussehende Personengruppe einen "Nazi" an. Dieser wurde ins Gesicht geschlagen und verletzt, ging zu Boden und verlor sein Mobiltelefon. Beim Versuch, dieses aufzunehmen, schlugen mehrere Täter gemeinsam auf den am Boden Liegenden ein und entwendeten das Gerät. Ein angeblich zuvor wahrgenommener Hitlergruß des Betroffenen wurde beim Überfall hinterfragt. Die Täter flüchteten unerkannt. Spontaner Überfall auf einen "Fascho" am 21. September in Erfurt Unbekannte stießen einen mit einem Thor-Steinar-Gürtel bekleideten Fahrgast aus dem haltenden Zug auf den Bahnsteig, bezeichneten ihn als "Scheiß Fascho" und schlugen weiter auf ihn ein. Sie flüchteten mit dem weiterfahrendem Zug und verklebten zum Schutz der eigenen Identität die dortige Videoaufzeichnung. 49 49 Zur Bekleidungsmarke siehe den Beitrag "Wiederholte Sachbeschädigungen am Thor-Steinar-Ladengeschäft in Erfurt". 89 Mutmaßlich linksextremistisch motivierter Überfall auf Burschenschaft am 23. November in Jena In den frühen Abendstunden griff eine Gruppe von ca. 20 Vermummten das Verbindungshaus in Jena an, als Personen das Haus verlassen wollen. Beim versuchten Rückzug dieser verschafften sich die Angreifer Zutritt. Drei Burschenschaftler wurden verletzt. Zudem kam es zu Sachbeschädigungen. Die Täter flüchten. Nur wenige Tage später soll am 29./30. November ein "Winterfest" der "Alten Herren" der Burschenschaft stattfinden, mit Jahresversammlung und "Kneipe" in traditioneller Kleidung (Mütze und Schärpe). Zuvor war die Burschenschaft im August "als Bastion von AfD und Naziszene" Gegenstand einer ausführlichen Veröffentlichung durch das der autonomen Szene zuzurechnende "Rechercheportal Jena-SHK", in der zur Historie der Verbindung, ihren Mitgliedern und Alten Herren, deren politischen und beruflichen Umfeld und Aktivitäten berichtet wurde. Sie sei "in erster Linie eine extrem rechte Kaderschmiede". Auch Neumitglieder würden schnell in AfD-Strukturen auftauchen. 50 Bereits im Oktober war es anlässlich der jährlichen "Burschentage" der "Allgemeinen Deutschen Burschenschaft" zu Farbangriffen auf entsprechende Gebäude und störungsfrei verlaufenden Protesten gekommen, zu denen auch Linksextremisten mobilisierten. Vergleichbare Vorfälle - neben Sachbeschädigungen auch Übergriffe auf Personen, deren Zugehörigkeit an den von ihnen getragenen Insignien, Bändern und Mützen erkennbar war - hatte es in Jena schon in der Vergangenheit gegeben. Aufforderungen zur Gewalt und zum Töten von politischen Gegnern Im Nachgang zu einer der wöchentlich in Gera von einem Rechtsextremisten organisierten "Montagsdemonstrationen" rief ein "Antifaschist" am 23. September an die Teilnehmer gerichtet: "Ich steche euch alle ab, ihr scheiß Nazis!" Anlässlich eines vor dem Oberlandesgericht Jena geführten Verfahrens gegen die rechtsextremistische Kampfsportgruppierung "Knockout 51" reagierte die Szene mit Sachbeschädigungen. So wurden im April an der Parkplatzmauer des Justizzentrums Graffiti wie "Nazis aufs 50 Die Burschenschaft unterliegt nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Thüringer Verfassungsschutzes. 90 Maul" aufgebracht, mutmaßlich als Resonanz auf die zuvor gerichtlich verfügte Haftentlassung eines der Beschuldigten. 51 Thüringenweit belegen Inhalte von Graffiti oder Aufklebern im öffentlichen Raum seit Jahren eine gesunkene Hemmschwelle zur Gewaltanwendung, explizit wird auch zur Tötung von politischen Gegnern aufgerufen. Anhaltende Solidarisierung mit mutmaßlichen linksextremistischen Gewalttätern im Komplex der Überfallserie auf (vermeintliche) Rechtsextremisten in der Zeit vom 9. bis 11. Februar 2023 in Budapest (Ungarn) 52 Nach dem "Untertauchen" von Tatverdächtigen, u. a. aus Thüringen, war am 11. Dezember 2023 zunächst eine Person in Berlin ermittelt und durch die Polizei festgenommen worden. Der Verbleib der weiteren vier Thüringer Tatverdächtigen blieb im Berichtszeitraum unklar. 53 Gerichtsverhandlungen in Budapest, u. a. gegen deutsche Tatverdächtige aus Berlin, das Verfahren des Generalbundesanwalt wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und weiterer Straftaten sowie Fahndungserfolge und Festnahmen einzelner Tatverdächtiger im Inund Ausland folgten. So wurde auch in Thüringen in der Nähe von Weimar am 8. November ein weiterer Tatverdächtiger im Antifa-Ost-Verfahren und Budapest-Komplex festgenommen, nach dem als Rädelsführer seit September 2023 öffentlich gefahndet wurde. Er soll im Netzwerk der Tatverdächtigen als "Kopf der Hammerbande" eine zentrale Position innegehabt haben. Insbesondere in den Tagen nach der Verhaftung erfolgten bundesweit zahlreiche Solidaritätsbekundungen aus der linksextremistischen Szene, auch in Thüringen. 51 Verfahren vor dem Oberlandesgericht Jena wegen des Verdachts der Gründung und Mitgliedschaft in einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung "Knockout 51". Gegen das am 01.07.2024 ergangene, ausschließlich auf den kriminellen Charakter der Vereinigung abstellende Urteil (Az. 3 St 2 BJs 4/21) legte die Bundesanwaltschaft erfolgreich Beschwerde beim Bundesgerichtshof ein. Der Entscheidung vom März 2025 zufolge ist in einem Hauptsacheverfahren der Tatverdacht hinsichtlich einer terroristischen Vereinigung zu prüfen. 52 Seit den Übergriffen fahnden ungarische, deutsche und weitere Strafverfolgungsbehörden nach den Tatverdächtigen mit europäischen und teilweise auch nationalen Haftbefehlen. Unter den Verdächtigen befinden sich deutsche Staatsangehörige aus Bayern, Sachsen, Berlin und Thüringen. In Thüringen wurde durch die Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen vier Frauen und einen Mann wegen gefährlicher Körperverletzung im Rahmen von "Spiegelverfahren" gemäß SS 7 StGB ermittelt. Auf deren Grundlage wurden nationale Haftbefehle ausgestellt. Nachdem im Rahmen von Durchsuchungsmaßnahmen in Thüringen und Sachsen am 15.03.2023 bestehende Haftbefehle nicht umgesetzt werden konnten und sich der tatsächliche Aufenthaltsort der Tatverdächtigen nicht aufklären ließ, musste davon ausgegangen werden, dass sich diese Personen absichtlich dem Behördenzugriff entziehen wollen und in die Illegalität "untergetaucht" sind. Das Verfahren wurde am 29.02.2024 wegen der besonderen Bedeutung des Falles vom Generalbundesanwalt übernommen. 53 Am 20.01.2025 stellten sich sieben von seinerzeit neun "untergetauchten", mit Haftbefehl im Budapest-Komplex gesuchten mutmaßlichen Linksextremisten bei Polizeiund Justizbehörden verschiedener Bundesländer in einer offenbar koordinierten Aktion in Begleitung von Rechtsanwälten und Pressevertretern. Darunter befanden sich drei Personen aus Thüringen. Eine weitere bis dahin flüchtige Person aus Thüringen offenbarte sich am 20.03.2025 gegenüber den Behörden. 91 Die staatlichen Maßnahmen gegen die potenziellen Täter der Gewaltstraftaten führten weit über die linksextremistische Szene hinaus bundesweit zu zahlreichen Solidaritätserklärungen im Internet, durch Graffiti im öffentlichen Raum oder im Rahmen von Veranstaltungen. Erwirtschaftete "Soli-Einnahmen" flossen in die Arbeit gegen die Repression zugunsten der im Budapest-Kontext betroffenen "Antifas". Die drohende Auslieferung inhaftierter Beschuldigter in das "faschistisch geprägte" Ungarn und dortige "unhaltbare und diskriminierende Haftbedingungen" standen im Fokus der Szene. Zudem wurden erhebliche Zweifel an einem rechtsstaatlichen, "gerechten" Gerichtsverfahren erhoben, was im Falle einer Verurteilung nach ungarischem Recht auch ein deutlich höheres Strafmaß mit langjährigen Haftstrafen bedeuten würde. Entsprechend fokussierte sich in Thüringen die Solidarität auf die aus Jena stammende tatverdächtige Person "Maja" 54 sowohl im Nachgang zu deren Festnahme im Dezember 2023 in Berlin als auch nach der erfolgten Auslieferung an Ungarn im Juni. 55 "Scheiß auf Staat und Polizeiapparat. ... Für Maja und alle inhaftierte Antifas!" und "Free Maja" verbinden als Forderung alle entsprechenden Verlautbarungen und Aktivitäten insbesondere in Jena - ob SoliKonzert, Antirepressionsworkshop, Demonstrationen, Graffiti in der städtischen Öffentlichkeit (mit erheblichen Sachschäden) oder Verlautbarungen im Internet. 54 In der Öffentlichkeit verwendeter Szenename für die sich als non-binär verstehende tatverdächtige Person. 55 "Maja" wurde am 28.06.2024 nach Beschluss des Berliner Landgerichts an die ungarischen Behörden überstellt. Ein Beschluss des BVerfG, die Auslieferung zu stoppen, konnte nicht mehr umgesetzt werden, da "Maja" zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr in Deutschland aufhältig war. Mit Beschluss des BVerfG vom 24.01. 2025 wurde der Verfassungsbeschwerde von "Maja" über die Auslieferung nach Ungarn stattgegeben. In dem dortigen Verfahren wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Körperverletzung droht eine Haftstrafe von bis zu 24 Jahren. 92 Im Zusammenhang mit einer Bannerverbrennung am 5. Februar in Jena hieß es in einem anonymen Selbstbezichtigungsschreiben auf "de.indymedia": "Antifaschismus und der Kampf gegen Repression gehen Hand in Hand. Wir lassen uns nicht unterkriegen! Nazis aufs Maul! Alerta!" Am 14. Dezember auf dem linksextremistischen Portal "de.indymedia" veröffentlichte "antifaschistische" Geburtstagsgrüße bekräftigen: "Wir stehen zusammen gegen Repression! Wir denken an Dich, Maja! FREIHEIT FÜR MAJA! FREIHEIT FÜR ALLE ANTIFAS! AUF DIE SOLIDARITÄT!" Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft Autonome sehen in der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen Auslöser für "faschistische" Tendenzen. Ihrer Meinung nach förderten "staatlicher Rassismus" und die "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" auch in der Bevölkerung die Entwicklung "rechter" Tendenzen. Die Kritik und die Aktionen des autonomen Spektrums richten sich deshalb auch gegen die Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang distanzieren sich Autonome von den Aktivitäten demokratischer Bündnisse, schließen sich deren Veranstaltungen, insbesondere solchen gegen Rechtsextremismus, aber auch immer wieder an. Dies geschieht einerseits in der Annahme, über szenetypische Slogans und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren zu können, andererseits, um die etwaige behördliche Untersagung des selbst organisierten Protests zu umgehen. Als Ausdruck ihrer Eigenständigkeit sind Abgrenzungsversuche üblich. So rufen Autonome zur Beteiligung an "antifaschistischen" oder "antikapitalistischen" Blöcken innerhalb von Demonstrationen auf. 93 Maßgebliche Beteiligung von Linksextremisten an Antifa-Demonstration am 2. März in Weimar Etwa 400 Personen demonstrierten Eigenangaben zufolge unter dem Motto "Rechte Strukturen offenlegen, Faschismus von den Straßen fegen!" am 2. März in Weimar. Sie waren u. a. aus Thüringen, Halle und Leipzig angereist und zum Teil szenetypisch vermummt. Transparente zeigten Aufschriften wie "Björn Höcke ist ein Nazi", "Freiheit für alle politischen Gefangenen", "Antifa in die Offensive, rechte Strukturen zerschlagen, Naziaufmärsche verhindern", "Antifa bleibt Handarbeit, NZS bxn". Ein unbekannter Täter zündete einen Nebeltopf. Redebeiträge kritisierten polizeiliche Maßnahmen des Vorjahres zum "Tag X" in Leipzig und am 1. Mai in Gera. Die Stimmung während des Aufzugs war polizeifeindlich, was durch entsprechende Parolen wie "Scheiß Polizei Schalalalala", "Ganz Weimar hasst die Polizei", "Überall Polizei, nirgendwo Gerechtigkeit", "Auch Bullen haben Namen und Adressen", "Ihr seid gut bezahlte Hooligangs", "Deutschland Bullenstaat, wir haben dich zum Kotzen satt" oder "ACAB" zum Ausdruck kam. Für die durch eine bislang unbekannte Antifa-Gruppierung initiierte Demonstration mobilisierten linksextremistische Gruppierungen vor allem in den sozialen Netzwerken. Beteiligung von Linksextremisten an Protesten gegen ein "Familienfest" der AfD am 27. Juli in Saalfeld Gegen eine von der AfD am 27. Juli auf dem Marktplatz in Saalfeld als "Familienfest" durchgeführte Wahlkampfveranstaltung mit ca. 500 Besuchern protestierten im Rahmen einer demokratisch initiierten Veranstaltung ebenfalls ca. 500 Personen, unter ihnen Linksextremisten. Gegendemonstranten waren u. a. aus Thüringen und aus Sachsen angereist. Die Wahlkampf-Veranstaltung wurde lautstark durch Einsatz von Tröten gestört. Der Versuch einer Straßenblockade blieb erfolglos. Als ein Protestteilnehmer in den Veranstaltungsraum der AfD eindrang, kam es zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit Faustschlägen in dessen Gesicht. Im weiteren Verlauf der Proteste folgten zunächst Provokationen, später auf 94 dem Rückweg zum Bahnhof ein szenetypischer Angriff aus der Überzahl durch ca. zehn Personen auf zwei vorherige Versammlungsteilnehmer der AfD. Im Zuge des tätlichen Angriffs mit Schlägen und Tritten erlitt eine Person nicht unerhebliche Verletzungen. Die Täter entfernten sich zügig. Es wurden Strafanzeigen wegen Körperverletzungsdelikten und einem Verstoß gegen das Versammlungsgesetz gefertigt. Maßgebliche Beteiligung von Linksextremisten an Blockadeaktionen und Störung einer AfDVeranstaltung am 20. August in Jena Gegen eine Wahlkampfveranstaltung der AfD mit ca. 200 erwarteten Teilnehmern und deren Parteivorsitzenden als Redner demonstrierten unter dem Motto "Höcke stoppen! Für ein solidarisches Jena" im Rahmen von drei Protestveranstaltungen statt der hierfür angemeldeten 200 Veranstaltungsteilnehmer ca. 2.000 Personen, unter ihnen auch zahlreiche Linksextremisten. Zufahrtswege und Zuwege zum Veranstaltungsort wurden massiv blockiert. Es gab mehrfach (versuchte) Übergriffe auf potenzielle Veranstaltungsteilnehmer, den Redner und gewalttätige Aktionen gegen Einsatzkräfte. Die "Finger-Taktik" 56 wurde eingesetzt, Personengruppen bewegten sich abwechselnd im Versammlungsraum, zeigten ein koordiniertes, aufeinander abgestimmtes und geplantes Verhalten. Aus einem Aufzug heraus kam es zu mehreren Durchbruchversuchen, von denen einer gelang. Im Ergebnis mussten Personen evakuiert oder aus Schutzgründen abgewiesen werden. Eine Teilnehmergruppe konnte aufgrund des Gegenprotestes den Versammlungsort nicht verlassen und benötigte polizeilichen Schutz. Auch ein umgebautes Feuerwehrfahrzeug wurde gezielt als Blockademittel eingesetzt. Andere Teilnehmer zeigten Plakate der MLPD. Die Polizei setzte im Einsatzverlauf mehrfach Reizstoffe und Schlagstöcke ein. Ein Polizist wurde verletzt. Zudem kam es zu Diebstahlsund Sachbeschädigungsdelikten an Polizeidienstfahrzeugen. Mehrere Strafanzeigen, u. a. wegen Landfriedensbruchs, wurden erstattet. Die Aggressionsbereitschaft der Gegendemonstranten war enorm. Insgesamt führt der Protestverlauf mit massenhaftem zivilen Ungehorsam, der Vielzahl von (Sitz-)Blockaden - in einem Fall mit bis zu 400 Personen -, mindestens drei tätlichen Angriffen auf Polizisten und der "Finger-Taktik" dazu, dass die AfD-Veranstaltung nicht wie geplant und angemeldet durchgeführt werden konnte. 56 Orchestrierte Vorgehensweise bei Protestaktionen, um polizeiliche Absperrungen bei Veranstaltungen unter freiem Himmel mit fünf oder mehr durch Farboder Symbolzuordnung gelenkten Demonstrationsblöcken ("Fingern") in verschiedene Richtungen zu durchdringen und das eigentliche Versammlungsgeschehen dadurch massiv zu stören. 95 Bereits im Vorfeld der Veranstaltung kam es durch Unbekannte zu einer Sachbeschädigung durch zwei Graffiti auf der Straße vor dem Veranstaltungsort. Für die Proteste wurde regional auf Szeneportalen und einem auch von Linksextremisten genutzten Kalender geworben, Mobilisierungsaufrufe von linksextremistischen Gruppierungen wurden festgestellt. Zudem gab es Info-Veranstaltungen. Eine Aktionskarte und die Telefonnummer eines Ermittlungsausschusses 57 wurden bekanntgegeben. Ein Antifa-Bündnis aus Jena, das aktiv zum Kampf gegen die AfD aufruft und insbesondere im Vorfeld der Landtagswahlen zahlreiche Veranstaltungen in Thüringen durchführte, trat im Verlauf der Proteste organisationsprägend auf. An dem Bündnis sind auch Linksextremisten beteiligt. Im Nachgang wurden die erfolgreiche Blockade der AfD-Veranstaltung und der verhinderte Auftritt des AfD-Parteivorsitzenden innerhalb der linksextremistischen Szene als großer Erfolg gewertet, so schrieb z. B. die "Undogmatische radikale Linke Jena" (URL): "Wir haben in Jena heute erfolgreich Höcke blockiert - kein Fußbreit den Faschisten!" 58 Szenetypisch wurde in Resonanzen der Polizeieinsatz kritisiert. Das Protestgeschehen war von massenhaftem zivilen Ungehorsam geprägt, der in vorsätzlich ausgeübtem, gewaltsamen Widerstand gegen das staatliche Gewaltmonopol mündete. Gewaltfreier, demokratischer Protest ging - offenbar ohne jede Kritik aus diesem Teilnehmerkreis - unter. Es bleibt festzuhalten, dass in dem konkreten Fall eine Vernetzung zwischen Autonomen, nicht gewaltorientierten Linksextremisten und nicht extremistischen Akteuren erreicht wurde, was letztlich eine zunehmende Akzeptanz in der Zivilgesellschaft für die autonomen Ziele und Aktionenformen ausdrückt. 57 Ein "Ermittlungsausschuss" ist ein unentgeltliches Rechtshilfeangebot, oft anlässlich von Demonstrationen und Aktionen, das von der Telefonbetreuung, der Organisation von Anwälten bis hin zur Betreuung bei Festnahmen oder in U-Haft reicht. Zum Teil handelt es sich um temporäre Einrichtungen, deren telefonische Erreichbarkeit kurzfristig bekanntgegeben wird, zum Teil sind es dauerhafte, fest etablierte Einrichtungen, mitunter begleitet von Sprechstundenangeboten. 58 Die "Undogmatische radikale Linke Jena" (URL) wird dem (post-)autonomen Spektrum zugeordnet. Sie tritt öffentlich als Mitgliedsgruppe der bundesweiten Organisation "Interventionistische Linke" (IL) auf. In ihrem Selbstverständnis vom September 2022 bekennt sich die thematisch breit aufgestellte Gruppe mit bündnisorientiertem Politikansatz: "Es ist klar: es braucht ein anderes System.... Fest steht: Ein Kampf gegen Klimakrise, Rassismus, Patriarchat, etc. muss immer antikapitalistisch sein. Daher braucht es eine radikale Linke, die sich dagegenstellt." 96 Beteiligung von Linksextremisten an Versammlungslagen und begleitende Aktivitäten am Wahlwochenende 31. August/1. September Am 31. August beteiligten sich in Erfurt ca. 3.000 Personen an einer nichtextremistisch initiierten Veranstaltung unter dem Motto "Thüringen bleibt bunt, Faschisten raus aus den Parlamenten", unter ihnen auch mehrere Hundert bundesweit angereiste sowie mindestens 200 gewaltbereite Personen. Ein "Schwarzer Block" 59 mit ca. 250 Teilnehmern trat in Erscheinung. Blockadeversuche oder das Aufeinandertreffen rivalisierender Personen konnten durch die Polizei konsequent verhindert werden. Trotz des weitgehend störungsfreien Verlaufs kam es vereinzelt zu Vorkommnissen wie Beleidigung, Nötigung, Vermummungen, Widerstandsdelikten und dem Zünden eines Nebeltopfes. Kurzfristig wurde ein Ermittlungsausschuss 60 eingerichtet. Am 1. September demonstrierten unter dem Motto "Jetzt erst recht gegen den Faschismus" ca. 1.200 Personen in Erfurt im Rahmen einer nichtextremistisch initiierten Kundgebung, unter ihnen ca. 100 angereiste Linksextremisten. Anfänglich kam es zu Vermummungen. Ein ca. 100 Personen zählender "Schwarzer Block", darunter auch Personen aus Berlin, formierte sich. "Demosanitäter" befanden sich im Einsatz. Ein mutmaßliches Depot mit "Schlagwerkzeugen" ist vor Veranstaltungsbeginn beräumt worden. Für die Veranstaltung war bundesweit auch im linksextremistischen Spektrum, z. T. mit einem eher militant geprägten Charakter, mobilisiert worden. Eine "Bettenbörse" für angereiste Protestteilnehmer war eingerichtet. In der Gesamtschau dürften die Veranstaltungen jedoch nicht wie szeneintern geplant stattgefunden haben, insgesamt verlief das Wochenende rund um die Landtagswahl ohne größere Störungen. Es ist davon auszugehen, dass gewalttätige Aktionen und Störungen, insbesondere am 1. September durch die linksextremistische Szene geplant waren. Bereits Monate zuvor hatten das in Süddeutschland zu verortende Bündnis "Antifaschistische Aktion Süd" 61 und weitere linksextremistische Gruppierungen mit ihrer Kampagne "Zeit zu handeln" u. a. gegen den Wahlkampfauftritt der AfD Thüringen aufgerufen: "Mit Faschist: innen wird nicht diskutiert, Faschist:innen werden bekämpft. Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln, die dafür notwen59 Der "Schwarze Block" ist eine besonders von Autonomen genutzte Demonstrationstaktik. Vermummte, schwarz gekleidete Aktivisten formieren sich in uniformer "Kampfausrüstung", um das Gemeinschaftsgefühl zu festigen, Stärke zu vermitteln und die Identifizierung von Straftätern sowie deren Strafverfolgung zu erschweren. 60 Siehe Fn. 57. 61 Die 2022 gegründete "Antifaschistische Aktion Süd" mit Mitgliedsgruppen aus den Bundesländern BW, BY und RP hat das Ziel, antifaschistische Kräfte bundesweit stärker zu bündeln und überregional "schlagkräftig" zu intervenieren. Gegner will sie durch direkte Konfrontation "handlungsunfähig machen". Perspektivisch strebt das dem militanten Antifaschismus zuzuordnende Bündnis eine bundesweite Antifaschistische Aktion an, in der Vergangenheit initiierte und koordinierte es bereits außerhalb Thüringens von gewaltsamen Ausschreitungen geprägte Proteste gegen die AfD. 97 dig sind. [...] Wir werden deshalb die Wahlsiege der Faschist:innen im September nicht unwidersprochen hinnehmen. Wir werden den Wahlkampf der AfD und ihre Wahlpartys stören, Proteste gegen das Erstarken der Rechten organisieren und den Faschist:innen im Osten nicht die Straße überlassen. Wir rufen bundesweit alle Antifaschist:innen auf, sich lokal wie überregional an den Protesten gegen die Wahlerfolge der AfD zu beteiligen ... Die Zeit zu handeln ist jetzt.". Für den Zeitraum um das Wahlwochenende war bundesweit, insbesondere in den szenetypischen sozialen Netzwerken, mobilisiert worden. Sowohl vor als auch unmittelbar nach der Landtagswahl wurden szenetypische Sachbeschädigungen an Wahlkreisbüros der AfD, an Wohnund Geschäftsobjekten mit Parteibezug festgestellt. So sprühten Unbekannte in den frühen Morgenstunden des 1. September vor insgesamt 11 Wahllokale in Erfurt Slogans wie "AFD= FASCHOS", "HÖCKE IST EIN NAZI", "NIE WIEDER IST JETZT" auf den Boden. In der Nacht zum 2. September kam es in Erfurt zur Sachbeschädigung an einer Anwaltskanzlei eines in den Landtag gewählten AfD-Kandidaten. Die Doppelverglasung der Eingangstür wurde, im Eingangsbereich wurden zudem Schriftzüge wie "Nazis raus", "161" 62 und ein Anarchiesymbol sowie Aufkleber "Gegen Polizeistaat und Faschisten" angebracht. 4. Sonstige linksextremistische Organisationen "Rote Hilfe e. V." (RH) Bund Thüringen Gründung 1975 Sitz Göttingen Jena, Erfurt, Arnstadt Mitglieder 2024 14.400 190 2023 13.700 180 2022 13.100 170 Publikationen "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich) Internet eigener Internetauftritt eigene Internetauftritte der örtlichen Gliederungen Tabelle 6: Zahlen und Fakten zur RH Die von Linksextremisten unterschiedlicher Ausrichtung getragene RH definiert sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem gesamten "linken" und linksextremistischen Spektrum 62 Zahlencode für "Antifaschistische Aktion". 98 politisch und materiell unterstützt. Sofern die in der Satzung genannten Zwecke der RH erfüllt sind, erhalten von juristischen Verfahren Betroffene und rechtskräftig Verurteilte auf Antrag eine den vereinseigenen Regelungen entsprechende Kostenerstattung. Als Voraussetzung dafür muss jegliche Kooperation mit Justizoder Sicherheitsbehörden unterbleiben. Die RH selbst betont, "keine karitative Einrichtung" zu sein. Die Unterstützung für die Einzelnen sei ein "Beitrag zur Stärkung der Bewegung". Der durch exemplarische Strafverfolgung bezweckten Abschreckung stelle die RH explizit "das Prinzip der Solidarität" entgegen und ermutige damit zum Weiterkämpfen. Sowohl durch ihr Wirken als "Gefangenenhilfsorganisation" als auch durch die gezielte Meinungsbildung und -beeinflussung in der Öffentlichkeit - durch Publikationen, Veranstaltungen, Kampagnen - diskreditiert die Organisation den demokratischen Rechtsstaat als "Willkürregime", behindert staatliches Handeln und versucht letztlich szenestabilisierend und -stärkend zu wirken. Ohne selbst gewalttätig zu agieren, befürwortet und unterstützt sie so die Gewaltanwendung durch Szeneangehörige. 63 Die RH versteht das Handeln von Polizei, Justiz und Strafvollzug als politisch motiviert, es diene zur "Herrschaftssicherung der Machthabenden". Sie lehnt das staatliche Gewaltmonopol ab. Der Bekämpfung des Terrorismus dienende Gesetze deutet die RH als "Feindstrafrecht", das die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung missachte. Sein Ziel sei es, "politische Aktivität gegen die herrschenden Zustände unmöglich" und Menschen durch "ausgeübte oder angedrohte Gewalt" gefügig zu machen. So hält die RH im Rahmen der "Kurdistan-Solidarität" u. a. an ihrem Engagement für Mitglieder und Sympathisanten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) fest und entsprechend auch an wiederkehrenden Forderungen nach einer Aufhebung des PKK-Verbots 64. Ebenso unterstützt sie die am 26. Februar in Berlin verhaftete, dort in der Illegalität lebende und mit der früheren terroristischen Vereinigung "Rote Armee Fraktion" (RAF) in Verbindung gebrachte Daniela Klette 65 propagandistisch und "praktisch". In einer Pressemitteilung vom 19. November galt die Kritik der RH im Nachgang zur 63 Ihre Ziele und Betätigung richten sich damit gegen das Rechtstaatsprinzip, das zum essentiellen Kern der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählt. Neben der Bekämpfung der staatlichen Ordnung unterstützt sie durch die Solidarisierung mit Linksextremisten ebenfalls die Zielsetzungen von Autonomen oder Anarchisten, die eine Systemüberwindung durch Aushebelung von Elementen des Demokratieprinzips, wie des Prinzips der Volkssouveränität oder des Rechts der Bildung und Ausübung einer Opposition, anstreben. Außerdem spricht die RH im Rahmen ihres Engagements "gegen Rechts" und insbesondere gegen mutmaßliche Rechtsextremisten den betroffenen politischen Gegnern bestimmte Grundund Menschenrechte ab, was einen Verstoß gegen das Prinzip der Menschenwürde darstellt. 64 Die mitgliederstärkste und schlagkräftigste Organisation im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus in Deutschland unterliegt hier seit 1993 einem Betätigungsverbot, seit 2002 wird sie von der EU als Terrororganisation gelistet. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten und Rekrutierungsbemühen zielen erfolgreich auch auf potenzielle Sympathisanten und Unterstützer im Bereich des deutschen Linksextremismus. 65 Die wegen zahlreicher Straftaten, u.a. versuchten Mordes Gesuchte wird der dritten Generation der RAF zugerechnet, sie lebte Jahrzehnte in der Illegalität, zuletzt mit falscher Identität ein "bürgerlich" anmutendes Leben in Berlin. 99 Verhaftung der mutmaßlichen Terroristin "staatlicher Rachsucht", einem "grotesken Bedrohungsszenario" gegen die Tatverdächtige und schikanöser "Repression bei Solidaritätsgesten" von Sympathisanten und Unterstützern der Inhaftierten. Die RH ist die mitgliederstärkste Organisation im Bereich des Linksextremismus und weist bundesweit seit Jahren einen beständigen Zuwachs an Mitgliedern auf. Die Organisation gliederte sich bundesweit in ca. 50 Ortsbzw. Regionalgruppen. In Thüringen existieren "Ortsgruppen" in Jena und Erfurt sowie eine "Regionalgruppe" in Südthüringen. Die laut Satzung alle zwei Jahre durchzuführende Bundesdelegiertenversammlung der RH fand zuletzt im Jahr 2023 in Bielefeld (Nordrhein-Westfalen) statt und regelt grundlegende Fragen der Vereinsarbeit. Zum "Tag der politischen Gefangenen" am 18. März 66 ruft die RH regelmäßig zu zahlreichen Veranstaltungen und Kundgebungen auf. Sie gibt darüber hinaus jährlich eine Sonderzeitung heraus, die zur Erweiterung der medialen Reichweite auch weiteren Publikationen, u. a. der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt", beiliegt. Den thematischen Schwerpunkt unter der Losung "Freiheit für alle politischen Gefangenen!" setzte die RH im Jahr 2024 auf das Motto "Egal ob drinnen oder draußen - wir sind eins". Weltweit würden linke Aktivisten eingesperrt, weil sie sich den herrschenden Zuständen widersetzen, eine Vielzahl an Willkürmaßnahmen gegen diese Gefangenen solle sie dazu bringen, vom politischen Kampf abzulassen. Gefängnisse als letztes Repressionsinstrument des Staates zielten darauf, die Gefangenen zu brechen. Aufgabe sei es daher, "unsere Genoss*innen zu unterstützen, mit allen politischen Mitteln für ihre Freiheit zu kämpfen". "Wir möchten euch deshalb alle umso mehr ermutigen, die Debatte um Knast und den Umgang damit intensiv zu führen. ... Kämpfe innerund außerhalb der Mauern zu organisieren, aber auch die Entscheidung zu treffen, sich einer drohenden Inhaftierung zu entziehen. Die Strategien, mit Knast umzugehen, sind so vielfältig wie die linke Bewegung. Unsere Solidarität muss ihnen allen gelten", forderte der Bundesvorstands der Roten Hilfe im Vorwort. Eine Form "praktischer Solidarität" bestehe darin, Briefe an "gefangene Genoss*innen" zu schreiben, so auch im Kontext des Budapest-Verfahrens an "Antifa-Gefangene" wie 66 Der von der RH am 18.03.1923 ausgerufene "Internationale Tag der Hilfe für politische Gefangene" geht auf einen Arbeiteraufstand der Pariser Kommune vom 18.03.1871 zurück; alljährlich wird zu diesem Anlass zu Veranstaltungen und Demonstrationen gegen "staatliche Repression" und für "die Freiheit aller politischen Gefangenen" weltweit aufgerufen. 100 "Maja, ... Nele, Paula und Luca" 67 oder an Gefangene wie Daniela Klette, die mit terroristischen Anschlägen in Verbindung stehen. Auch in Thüringen fanden in Erfurt, Jena und Nordhausen aus Anlass des "Tages der politischen Gefangenen" verschiedene Aktivitäten und Veranstaltungen unter dem Motto "Demo & Briefeschreiben" o- der "Vortrag zum Budapest-Komplex", "Flucht als Verbrechen?" sowie eine Filmvorführung zur "politischen Repression gegen die oppositionelle Bewegung in der Türkei" statt. Im Zusammenhang mit Verfahren zum "Tag der Ehre" im Februar 2023 in Budapest (Ungarn) wird mutmaßlichen Linksextremisten verschiedener Nationalitäten, u. a. Personen aus Thüringen, vorgeworfen, an Angriffen auf mutmaßliche Rechtsextremisten beteiligt gewesen zu sein. Mehrfach solidarisierte sich die RH in Veröffentlichungen mit den Betroffenen sowie untergetauchten Personen, kritisierte "Verfolgungswut" der Behörden und unangemessene, der Einschüchterung dienende Maßnahmen gegen Antifaschist*innen. Ein "Solidaritätskonto" wurde zur Sammlung von Spenden angeboten und für "praktische Solidarität" in Form von "Briefe schreiben an Gefangene" geworben. Im Rahmen der Jubiläumsfeierlichkeiten "100 Jahre Rote Hilfe e. V." fanden im Berichtszeitraum bundesweit Veranstaltungen von zentraler oder lokaler Bedeutung statt. Neben der Geschichte, Entwicklung und Arbeit des Vereins war die Darstellung staatlichen Handelns als "Repression" und "Kriminalisierung" politischer Aktivisten inhaltliches Anliegen der Veranstaltungen. Auch in Thüringen fanden Veranstaltungen aus Anlass des Jubiläums statt, so wurden z. B. in Erfurt am 18. Oktober ein Filmabend "Solidarität verbindet - 100 Jahre Rote Hilfe" und am 12. Dezember ein historischer "Stadtrundgang 100 Jahre Rote Hilfe" angeboten, um Geschichte und Gegenwart der "Solidaritätsarbeit" darzustellen. 67 In der Öffentlichkeit verwendete Szenenamen von Tatverdächtigen aus Thüringen. 101 Die RH in Thüringen beteiligt sich im Rahmen ihrer "Antirepressionsarbeit" an bundesweiten Themenschwerpunkten mit eigenen Veranstaltungen vor Ort, Statements oder Veröffentlichungen, sie schließt sich Demonstrationen und Protesten an oder unterstützt diese. Im Berichtszeitraum boten die RH-Ortsgruppen Erfurt und Jena regelmäßige Sprechzeiten an. 68 Dabei betonte die RH-Ortsgruppe Erfurt: "Bestes Wetter, trotzdem repressive Zeiten: Stress mit Cops ..." und "Wie immer gilt: Keine Panik, ihr seid nicht allein! Anna und Arthur halten's Maul 69 - kommt lieber bei uns vorbei mit euren Fragen und Problemen." Kampagnen, Solidaritätserklärungen und -aktionen der RH in Thüringen zeigen ebenso wie ihre Beteiligung an adäquaten bundesweiten Aktivitäten gute Verbindungen in die linksextremistische Szene. Sie unterstützt so auch die gewünschte Vernetzung antifaschistischer Akteure und lokaler Gruppen, das "Bekenntnis zu konsequentem Antifaschismus" und die Forderung nach Freiheit für "alle inhaftierten Antifaschist:innen". So thematisierte die RH-Ortsgruppe Erfurt Neuigkeiten aus dem Budapest-Komplex angesichts der beginnenden Verhandlungen vor dem dortigen Stadtgericht und der drohenden Auslieferung von Tatverdächtigen. Sie forderte "Free Maja!", verfasste eine "Soli-Erklärung für die verfolgten Antifas", rief zu Spenden auf und verwies mehrfach auf entsprechende Veröffentlichungen der RH Jena. Weiteren "Antifaschist:innen", die sich bisher den Ermittlungsbehörden entziehen konnten, wünschte sie "Kraft, Glück und Mut". Sie beteiligte sich an einer "Veranstaltung zum Umgang mit der Polizei" am 18. Mai in Erfurt und am 12. Dezember an einem "Vortrag zum Verfassungsschutz" sowie an thematisch einschlägigen Lesungen, Vorträgen, Filmvorführungen. Im Dezember veröffentlichte die RH Erfurt unter der Überschrift "Einspruch! Strafbefehl nach Kessel am 1. Mai 2023 in Gera" einen Post zu einem Landfriedensbruch am 1. Mai 2023 in Gera. Den von Hausdurchsuchungen und Strafbefehlen Betroffenen wurde empfohlen "ruhig" zu bleiben, sich "nicht zu Vorwürfen" zu äußern, sich bei der RH zu melden und Einspruch einzulegen. 70 Die RH-Ortsgruppe Jena befasste sich im Nachgang zu den "körperlichen Auseinandersetzungen mit Nazis in Budapest" wiederholt mit den "Repressionsangriffen" und "Hausdurchsuchungen gegen Antifaschist*innen" auch in Jena. Mit einem Post vom 7. Februar rief eine 68 Der Regionalgruppe in Südthüringen gelang dies offenbar nicht. Sie trat im Berichtszeitraum nicht mit Aktivitäten in Erscheinung. 69 Der auf eine frühere Kampagne der autonomen Bewegung zurückgehende Slogan fordert Beschuldigte und Zeugen zur Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit mit Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden auf. "Anna und Arthur" stehen hier fiktiv für alle potenziell Betroffenen. 70 Die von zahlreichen Linksextremisten unterstützte Kundgebung "Revolutionärer 1. Mai; 1. Mai Straße frei" am 01.05.2024 in Gera nahm einen unfriedlichen Verlauf. Etwa 250 Teilnehmer aus dem "schwarzen Block", die wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung polizeilichen Identitätsfeststellungen unterzogen wurden, leisteten massiven Widerstand; übrige Versammlungsteilnehmer zeigten deutliche Solidarisierungseffekte. 102 "ehemalige Josef-Soligruppe" 71 zur Solidarität auf und forderte: "Gemeinsam die Auslieferung von Antifaschist:innen nach Ungarn verhindern". Im Dezember veröffentlichten die RH-Ortsgruppen Jena und Erfurt Geburtstagsgrüße für einen betroffenen Gefangenen. Ein Spendenkonto der RH zum Stichwort "Budapest" wurde ergänzend angegeben. Zudem bot die RH Jena für Interessenten Infoveranstaltungen zu szenerelevanten Themen, Informationsmaterial zum Download und zusammen mit weiteren Akteuren einen monatlichen "Repressionsstammtisch" an. Durch zielgerichtete Unterstützung von Szeneangehörigen oder mit dem Staat in Konflikt stehenden Personen wird versucht, zumindest perspektivisch stärkeren Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von (linksextremistisch motivierten) Straftaten, Tätern und damit auf gesellschaftliche Normen insgesamt zu gewinnen. Mit anlassbezogenen Kampagnen gelingt es der RH mitunter, ihre politischen Anliegen erfolgreich in der Öffentlichkeit zu platzieren, zudem arbeitet sie insbesondere im Rahmen von thematisch einschlägigen Veranstaltungen auch mit nichtextremistischen Partnern aus Gewerkschaft, Kirche oder Politik zusammen. 5. Politisch motivierte Kriminalität - Links Das System der "Politisch motivierten Kriminalität" (PMK) ist eine polizeiliche Kategorisierung zur Einordnung von Straftaten. Die Zahlen werden als ergänzende Information in diesen Bericht aufgenommen. Für die PMK - Links weist die Statistik des Landeskriminalamts Thüringen72 folgende Zahlen aus: PMK 2022 2023 2024 PMK gesamt 3.156 3.097 5.234 davon 353 444 PMK Links 73 960 davon Gewaltkriminalität 23 24 42 Tabelle 7: Statistik politisch motivierte Kriminalität - Links Im Jahr 2024 entfielen mit 960 von 5.234 (2023: 3.097) in Thüringen insgesamt erfassten politisch motivierten Straftaten etwa 18,3 % auf den Phänomenbereich "Links". Im Vergleich zum 71 Die "Soligruppe" hatte sich im Jahr 2014 zur Unterstützung eines an Gewaltexzessen gegen den "Wiener Akademikerball" und teilnehmende Burschenschaften 2014 in Wien beteiligten "Antifaschisten" und verurteilten Straftäters aus Jena gebildet. 72 Veröffentlicht am 31.03.2025; abrufbar unter https://innen.thueringen.de/fileadmin/Thueringer_Polizei/polizei/Statistiken/PMK_2024.pdf. 73 Die polizeiliche Kategorie "PMK-Links" ist nicht auf nachweislich linksextremistische Straftaten begrenzt. 103 Vorjahr ist bei Betrachtung der absoluten Deliktszahlen der PMK - Links ein Anstieg um 516 Fälle (116,2 %) zu verzeichnen. Damit liegt der Anstieg im Bereich der PMK-Links deutlich über dem polizeilich mit 69 % bezifferten Anstieg der PMK insgesamt. Im Jahr 2024 wurde mit 42 Gewaltdelikten das Vorjahresniveau im Bereich der PMK-Links mit einer Zunahme um 18 Delikte (75 %) deutlich überschritten. Der prozentuale Anstieg fällt im Vergleich zu der im Berichtszeitraum festzustellenden Steigerung um 39,5 % bei der politisch motivierten Gewaltkriminalität (226 Fälle, 2023: 162) insgesamt, hier ebenfalls höher aus. Straftaten mit Bezügen zum Terrorismus wurden im Bereich der PMK-Links nicht festgestellt. 104 VIII. Spionageabwehr 1. Aufgaben, Akteure und Aufklärungsinteressen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden Innerhalb der Verfassungsschutzbehörde hat die Spionageabwehr gemäß SS 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ThürVerfSchG die gesetzliche Aufgabe, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht zu beobachten, Informationen darüber zu sammeln und diese auszuwerten. Hierbei wird eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz sowie den Behörden im Verfassungsschutzverbund gepflegt. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor durch ihre geopolitische Lage, der bedeutenden Position innerhalb der Europäischen Union und der NATO, ihrer Eigenschaft als eine der führenden Industrienationen mit Standorten zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie sowie als bedeutsamer Forschungsstandort ein prioritäres Aufklärungsziel für Nachrichtendienste fremder Staaten. Für die Spionageabwehr auf Landesebene gilt es, Thüringen als Teil der föderalen Struktur und erfolgreichen Forschungsund Wirtschaftsstandort vor derartigen Tätigkeiten fremder Staaten und ihrer Nachrichtendienste zu bewahren und den Schutz für die Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Im Berichtszeitraum ist auf Seiten der Gesprächspartner (z. B. im Rahmen des Schutzes vor Wirtschaftund Wissenschaftsspionage, Proliferationsabwehr) eine gesteigerte Sensibilität für die Aufklärungstätigkeit fremder Nachrichtendienste und den Bedarf zum Schutz eigener Interessenlagen auszumachen gewesen. So erreichten die Verfassungsschutzbehörde kontinuierlich Hinweise von öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen in Thüringen, die für die Aufgabenerfüllung relevant und Ausdruck der gesteigerten Aufmerksamkeit der Hinweisgeber sind. Akteure und Aufklärungsinteressen Die Hauptakteure der gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Spionage sind weiterhin die Russische Föderation, die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran und die Republik Türkei; ergänzend treten einige Staaten aus dem nah-, mittelund fernöstlichen aber auch dem nordafrikanischen Raum hinzu. Daneben werden im Rahmen der Spionageabwehr des Verfassungsschutzverbundes auch nachrichtendienstliche Aktivitäten solcher Staaten in Deutschland bearbeitet, mit denen die Bundesrepublik in anderen Zusammenhängen ggf. partnerschaftlich zusammenarbeitet (sog. 360deg-Blick). 105 Die innen-, außensowie wirtschaftspolitischen Ziele dieser Länder bestimmen die Schwerpunkte der Aktivitäten ihrer jeweiligen Nachrichtendienste. Die Nachrichtendienste fremder Staaten werden daher mit erheblichen personellen und technischen Ressourcen ausgestattet und in weitem Umfang zur Durchsetzung der kurzwie auch langfristigen insbesondere außen- , sicherheitsund wirtschaftspolitischen Ambitionen dieser Staaten eingesetzt. Die Beschaffungsaktivitäten der Nachrichtendienste richten sich daher nicht allein nach der jeweiligen gesetzlichen Aufgabenzuweisung, sondern sie orientieren sich zudem an aktuellen politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten der Staaten bzw. der jeweiligen Staatsführung. Typischerweise ist die Informationsbeschaffung der Nachrichtendienste fremder Staaten schwerpunktmäßig auf die Bereiche Politik, Wirtschaft, militärische Fähigkeiten/Außenund Verteidigungspolitik, Wissenschaft und Technik gerichtet. Ziel ist die Erlangung eines Informations/Wissensvorsprungs in politischen Vorgängen, um so eine Erweiterung und Anpassung von Handlungsoptionen für die Durchsetzung eigener politischer Ziele zu ermöglichen, weiter ein illegaler Technologietransfer aus Wirtschaft und Forschung und die Möglichkeit der Einflussnahme auf Willensbildungsund Entscheidungsprozesse (z. B. durch Kenntniserlangung über politische/gesellschaftliche Konflikte im Zielland), mit denen letztlich eine Schwächung der Position der Bundesrepublik Deutschland in den Beziehungen zu anderen Staaten oder eine Beeinträchtigung deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen im internationalen Wettbewerb verbunden sind. Im Berichtszeitraum ließ der Generalbundesanwalt auf Grundlage eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofes eine chinesische Staatsangehörige in Leipzig wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit festnehmen. Der Beschuldigten wird zur Last gelegt, einem Mitarbeiter eines chinesischen Nachrichtendienstes mehrfach ihr im Rahmen ihrer Beschäftigung bei einem Logistikunternehmen bekannt gewordene Informationen u. a. zum Transport von Rüstungsgütern und zu Personen mit Verbindungen zu deutschen Rüstungsunternehmen übermittelt zu haben. 74 Daneben bedienen sich die Führungen fremder Staaten der eigenen Nachrichtendienste, um ihren Herrschaftsanspruch im Inland auch durch Maßnahmen im Ausland gegenüber dort lebenden (ehemaligen) Staatsangehörigen, insbesondere aus ihrer Sicht oppositionellen Einzelpersonen oder Vereinigungen, durchzusetzen. Zu diesem Zweck betreiben fremde Nachrichtendienste in Deutschland intensiv die Ausspähung oppositioneller Aktivitäten, die Unterwanderung der Exilgemeinden oder von diesen gegründeten Vereinen, etwa indem sie personenbezogene Daten von oppositionellen Personen und sonstige Informationen zu Aktivitäten von 74 Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 01.10.2024. 106 entsprechenden Vereinigungen in Deutschland sammeln. Entsprechende Bemühungen fremder Staaten unter Beteiligung ihrer Nachrichtendienste reichen indes auch bis zur Ausübung staatsterroristischer Aktivitäten im Ausland. Der Generalbundesanwalt führte im Berichtszeitraum Exekutivmaßnahmen in Dresden und Brüssel gegen einen deutschen Staatsangehörigen aufgrund des gegen diesen gerichteten Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit durch. 75 Der Beschuldigte ist verdächtig, Mitarbeiter eines chinesischen Nachrichtendienstes zu sein und neben Informationen über Verhandlungen und Entscheidungen im Europäischen Parlament auch Informationen zu chinesischen Oppositionellen in Deutschland erhoben und weitergeleitet zu haben. 76 Darüber hinaus bemühen sich einige Staaten weiterhin darum, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen und der hierfür erforderlichen Trägersysteme zu gelangen. Sie bedienen sich u. a. ihrer Nachrichtendienste bei der Beschaffung notwendiger Güter zu deren Herstellung sowie des erforderlichen Know-hows. Die Spionageabwehr des Verfassungsschutzverbundes tritt solchen Beschaffungsbemühungen entgegen (Proliferationsabwehr) und arbeitet hierfür u. a. mit dem Zollkriminalamt und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zusammen. 2. Methoden fremder Nachrichtendienste Bei der Informationsbeschaffung bedienen sich die Nachrichtendienste neben allgemein zugänglicher Quellen (z. B. Fachliteratur, Onlinebibliotheken und sonstige öffentlich einsehbare Informationen im Internet einschließlich sozialer Netzwerke, Fachkongresse und Vortragsveranstaltungen), die neben der unmittelbaren Erlangung fachlicher Informationen auch dem vorangehenden Aufbau von Kontakten zu aus nachrichtendienstlicher Sicht interessanten Personen dienen, einer Vielzahl von Methodiken. Informationsgewinnung mit Personen Menschlichen Quellen kommt bei der Informationsbeschaffung eine unverändert große Bedeutung zu. Dabei sind die Nachrichtendienste fremder Staaten in Deutschland personell sehr unterschiedlich an ihren amtlichen und halbamtlichen Vertretungen (Botschaften, Konsulate) präsent. Oft werden entsprechende Kontakte aus sogenannten Legalresidenturen 77 heraus 75 Pressemitteilungen des Generalbundesanwalts vom 23. und 24.04.2024 sowie 07.05.2024. 76 Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 23.04.2024. 77 Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer offiziellen oder halboffiziellen Vertretung (beispielsweise in Botschaften, Generalkonsulaten, Presseagenturen, Fluggesellschaften, etc.) seines Landes im Gastland. 107 von dort vorgeblich als Diplomaten tätigen Mitarbeitern des Nachrichtendienstes initiiert. Solche Verbindungen können im Rahmen der offenen Gesprächsführung - auch unter Nutzung elektronischer Kommunikationsmittel, insbesondere Messengerdienste bzw. sozialer Netzwerke - angebahnt und unverfänglich aufrechterhalten werden, aber auch - über die gezielte "Pflege" eines solchen Kontakts - zum Aufbau einer geheimdienstlichen Agentenverbindung führen. Auch deutsche Bürger, die sich für längere Zeit beruflich oder privat auf dem Gebiet eines fremden Staates aufhalten oder regelmäßig dorthin reisen und Kontakte pflegen, sind für die Nachrichtendienste dieser Staaten von Interesse. Diese genießen im eigenen Land "Heimvorteil". Zu dem aus Sicht fremder Nachrichtendienste interessanten Personenkreis zählen neben Angehörigen diplomatischer Vertretungen und weiteren Vertretern aus Politik und Verwaltung (hier z. B. Personen in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit) insbesondere Firmenrepräsentanten, Wissenschaftler oder Studierende/Gastwissenschaftler. Der Aufenthalt dieser Personen auf dem Gebiet des fremden Staates und die damit verbundenen rechtlichen und tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeiten - z. B. auf Grundlage bereits im Rahmen der Einreise erhobener Daten zum Zweck der Reise, beruflicher Vita, Aufenthaltsorten, elektronischen Erreichbarkeiten/Kommunikationsmitteln - bieten den Nachrichtendiensten fremder Staaten eine Vielzahl von Zugangsmöglichkeiten zu den aus ihrer Sicht interessanten Zielpersonen. Entsprechende, teils auch zunächst unverfänglich im Rahmen von persönlichen Gesprächen oder über Karrierenetzwerke bzw. sonstige soziale Netzwerke anhand der dort offenbarten persönlichen Informationen (z. B. Beruf/Arbeitsplatz, Kollegen, Freundeskreis, Hobbys) aufgebaute Kontakte werden bei einer erneuten Einreise oder auch nach der Rückkehr nach Deutschland gepflegt und sowohl realweltlich als auch durch Kommunikation in der virtuellen Welt weiter vertieft. Die Verfassungsschutzbehörden halten über ihre Internetauftritte eine Reihe von Hinweisen für (Geschäfts-)Reisen in o. g. Staaten bereit. Informationsgewinnung mit technischen Mitteln, insbesondere Cyberspionage Die zunehmende Digitalisierung und Vernetzung zahlreicher Prozesse - nicht zuletzt vorangetrieben durch die Pandemielage der letzten Jahre - bietet für Nachrichtendienste einerseits eine Informationsquelle für im Internet veröffentlichte, teils auch sensible Informationen von öffentlichen und privaten Einrichtungen sowie andererseits neue potenzielle Einfallstore in ITSysteme von Verwaltungen und Unternehmen und damit einen erweiterten Aktionsradius. Die voranschreitende Digitalisierung hat der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung somit neue Möglichkeiten eröffnet. Informationen, die früher nur durch menschliche Quellen zu 108 erlangen waren, sind heutzutage verhältnismäßig leicht und ohne größere Risiken auf technischem Weg zu beschaffen. Gängige Angriffswege sind neben der Ausnutzung noch unbekannter oder nicht durch Updates behobener Schwachstellen informationstechnischer Systeme weiterhin Phishing bzw. Spear-Phishing-Angriffe78 auf zuvor in Erfahrung gebrachte lohnenswerte Zielpersonen oder -institutionen oder die Ausnutzung aus vorangegangenen Maßnahmen bekannt gewordener Zugangskennungen oder durch vorangegangene Cyberangriffe erfolgreich eingerichtete Accounts mit administrativen Funktionen. Außer zur unmittelbaren Erlangung sensibler Informationen werden IT-Systeme auch zu dem Zweck kompromittiert, um mit deren Hilfe und unter Verschleierung des Urhebers nachfolgende Cyberangriffe auf die eigentlich im Aufklärungsinteresse liegenden Ziele auszuführen. Insoweit können als Zwischenschritt auch Personen oder Einrichtungen zum Ziel von staatlich gesteuerten Cyberangriffen werden, deren Relevanz für die Aufklärungsinteressen fremder Dienste sich nicht unmittelbar erschließt. Auch werden erlangte Zugänge z. B. zu Mail-Accounts oder Accounts in sozialen Netzwerken für anschließende Desinformationsund Einflussnahmeversuche genutzt; z. B. für "Hack and Leak"-Operationen, bei denen erbeutete Daten teils in manipulierter Form öffentlich gemacht und/oder "Hack and Publish"-Operationen, in denen Falschinformationen über gekaperte reichweitenstarke Kommunikationskanäle, z. B. Accounts in sozialen Netzwerken, veröffentlicht werden. Nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberangriffe stellen im Kern eines von mehreren Mitteln der Informationsgewinnung und Sabotage dar und bieten fremden Nachrichtendiensten in allen Feldern der Spionage (klassisch politisch-wirtschaftliche Spionage, Proliferation/Wissenschaftsspionage, Desinformation/Einflussnahme) ein flexibel einsetzbares Aufklärungsmittel. Sie können mit geringem Risiko von den Heimatstaaten der Akteure aus oder über Drittstaaten initiiert werden; sind teils hochkomplex, erfolgen teils mit erheblichem zeitlichen Vorlauf und mit hoher Professionalität. Sie bieten hohe Erfolgsaussichten zur Erlangung sensibler Informationen bei überschaubarem eigenen Ressourceneinsatz und sind geeignet, auch kurzfristige Informationsbedarfe fremder Staaten zu erfüllen. Zudem ist eine Identifizierung der Urheber zwar möglich, häufig jedoch mit verbleibenden Unsicherheiten verbunden. Das Risiko, von Cyberangriffen mit nachrichtendienstlichem Hintergrund betroffen zu sein, besteht neben dem wirtschaftlichen und wissenschaftlichen generell auch für den politischen Bereich als klassischem Betätigungsfeld von Nachrichtendiensten. So werden zunehmend elektronische Angriffe mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund auf Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Regierungsstellen festgestellt. Anhaltspunkte für eine staatliche 78 Spear-Phishing bezeichnet Angriffe mittels elektronischer Kommunikation, die auf bestimmte Personen, Organisationen oder Unternehmen abzielen. Ausgangspunkt ist auch hier oft ein ausgefeiltes "Social Engineering". 109 Steuerung bzw. Anbindung an Nachrichtendienste fremder Staaten können sich außer aus der konkreten Ausgestaltung des Vorgehens etwa aus der Auswahl der angegriffenen Ziele, den dadurch erkennbar werdenden konkreten Aufklärungsinteressen und der Langfristigkeit ihres Auftretens ergeben. Häufig bleiben Datenverluste bei den Adressaten dieser Angriffe unerkannt oder werden nur mit erheblichem Zeitverzug festgestellt. Ein Problem stellt dabei z. B. speziell entwickelte Schadsoftware dar, die erst im konkreten Bedarfsfall - mitunter Monate oder Jahre nach ihrer Installation - aktiviert wird. Diese Arten der Informationsbeschaffung sind als Spionagemethode inzwischen fest etabliert und gewinnen für fremde Nachrichtendienste an Bedeutung. Der Schutz vor bzw. das Erkennen von elektronischen Angriffen auf Einrichtungen von Politik und Verwaltung, Wirtschaftsunternehmen, Einzelpersonen in exponierter Stellung sowie Forschungseinrichtungen - hier insbesondere solchen mit einer thematischen Ausrichtung auf innovative Technologien oder konfliktreiche Regionen und Staaten - wird daher künftig immer intensivere Anstrengungen und Aufwendungen von den Betroffenen fordern. Gefährdung durch Einflussnahmeversuche und Desinformation Neben der reinen Informationsbeschaffung spielt auch für fremde Staaten angesichts der immer komplexeren weltpolitischen Entwicklungen, sich abzeichnender Verschiebungen im globalen Kräfteverhältnis sowie einer rasanten Digitalisierung des Informationsraumes das Bestreben nach Deutungshoheit über aktuelle Vorgänge und Entwicklungen mittels gezielter Einflussnahmeversuche, Desinformation und Propaganda eine immer größere Rolle. Einflussnahmeaktivitäten ausländischer staatlicher Stellen, von ihnen herangezogener oder unterstützter nicht-staatlicher Akteure und unter Beteiligung von Nachrichtendiensten fremder Staaten zielen dabei auf unterschiedliche Adressatengruppen, wie Entscheidungsträger aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft ab und sprechen Diaspora-Gruppen in den Zielländern an. So sind verstärkte Aktivitäten über Onlinemedien und insbesondere soziale Netzwerke zur Beeinflussung von gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland erkennbar. Derartige Einflussnahmeversuche und Desinformationen knüpfen regelmäßig reaktionsschnell an aktuelle Vorgänge an, setzen sie in ein für den Urheber günstiges Bild und zielen letztlich auch durch eine Vielzahl von Nachrichten, vielfältige Verbreitungswege und damit einhergehende eine niedrigschwellige Erreichbarkeit auf eine Vielzahl von Empfängern ab. Mit der gesteuerten Verbreitung von Narrativen versuchen fremde Nachrichtendienste Einfluss auf gesellschaftliche und politische Meinungsbildungsprozesse zu nehmen und zumindest indirekt auf politische Entscheidungen einzuwirken. Sie greifen absehbare gesellschaftliche 110 Konflikte auf oder verstärken diese mit dem Ziel der Destabilisierung und Delegitimierung der gesellschaftlichen Institutionen in den Zielländern sowie um Zweifel an der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen und des demokratischen Rechtsstaates insgesamt zu erzeugen. Das Portfolio hierbei eingesetzter Mittel ist vielfältig und kann von dem bereits aus der Vergangenheit bekannten Einsatz von Einflussagenten mit Anbindung an russische staatliche oder staatsnahe Stellen, der Nachbildung bekannter Online-Nachrichtenportale zur Verbreitung vermeintlich authentischer Nachrichten einschließlich der Reichweitensteigerung durch Weiterleitung über eine Vielzahl von Accounts in sozialen Netzwerken, über den zielgerichteten Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft bis hin zu Einflussnahme-Aktivitäten in der Wirtschaft reichen. Gezielte chinesische Firmenbeteiligungen in ausgewählten Schlüsselbranchen im Ausland sind erklärter Bestandteil der Industriestrategie "Made in China 2025". In die Prozesse der staatlichen Direktion von Investitionen staatlicher, halbstaatlicher und privater chinesischer Unternehmen sind auch Nachrichtendienste eingebunden. Darüber hinaus unternimmt insbesondere Russland mit zunehmender Intensität den Versuch, die politische und öffentliche Meinung in Deutschland u. a. durch die mediale Verbreitung von Desinformationen in seinem Sinne zu beeinflussen. Als Mittel zum Zweck dienen dabei neben den sozialen Netzwerken die staatlich geförderten sowie privaten Institute ("Think Tanks") und die russischen Staatsmedien. So verbreiten weltweit sendende TV-, Radiound Internetkanäle auch in Deutschland gezielt Narrative im Sinne der russischen Führung. Staatliche Unternehmen kaschieren ihre Aktivitäten, indem sie als unabhängige Medien auftreten, um sich als Alternative zu anderen etablierten Medienangeboten zu positionieren. Die seitens Russlands verfolgten Ziele sind die Diskreditierung der Bundesregierung und der Landesregierungen, die polarisierende Zuspitzung des politischen Diskurses und das Untergraben des Vertrauens in staatliche Stellen. 3. Ausgewählte Entwicklungen und Themenbereiche der Spionageabwehr Auswirkungen des russischen Angriffes auf die Ukraine Im Berichtszeitraum verblieb es insbesondere aufgrund des seit dem Februar 2022 andauernde Krieges Russlands gegen die Ukraine bei einer signifikanten Anspannung der Sicherheitslage, auf die sich auch die Verfassungsschutzbehörden in Angelegenheiten der Spionageabwehr einstellen müssen. Sowohl der Krieg in der Ukraine als solcher, von Deutschland unterstützte Sanktionen gegen Russland als auch Waffenlieferungen westlicher Staaten an 111 die ukrainischen Streitkräfte und diesbezügliche Ausbildungsvorhaben für Angehörige der ukrainischen Streitkräfte u. a. in Deutschland lösen einen steigenden Informationsbedarf seitens staatlicher russischer Stellen aus, die - nachdem der Zugang russischer Vertreter zu sonstigen Gesprächsformaten und offenen Veranstaltungen eingeschränkt ist - maßgeblich auch unter Einsatz der russischen Nachrichtendienste erfüllt werden wird. Nachdem die Bundesregierung bereits in den Vorjahren mit der Ausweisung von 40 Mitarbeitern der Russischen Botschaft in Berlin und der russischen Generalkonsulate in Deutschland erste Maßnahmen ergriffen hatte, um die Präsenz russischer Nachrichtendienste zu reduzieren, verbleibt seit Schließung von vier der bisher fünf russischen Generalkonsulate zum 31. Dezember 2023 ein verringerter Personenkreis an diesen Einrichtungen, die bisher klassischer Ausgangspunkt für Spionagebemühungen waren. Es ist davon auszugehen, dass sich nicht allein die nachrichtendienstlichen Aufklärungsbemühungen Russlands in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie Militär, sondern ebenfalls Versuche, die durch die Sanktionen hervorgerufenen Beschränkungen aufgrund der nicht ausreichenden Substituierbarkeit durch einheimische Kapazitäten zu umgehen, künftig weiter verstärken werden, auch um durch die Sanktionen bedingten Nachteile zu kompensieren. Die bisher stark botschaftsund konsulatsgestützte Aufklärungstätigkeit russischer Nachrichtendienste wurde durch die o. g. Ausweisungen bzw. Schließungen und die weitere Verringerung von Personal an der Botschaft und im Generalkonsulat zunächst geschwächt. Angesichts der auch in vielen anderen Staaten der Europäischen Union und G7 vollzogenen Ausweisungen der in russischen Botschaften und Generalkonsulaten eingesetzten Mitarbeiter russischer Nachrichtendienste erfolgt sie nunmehr mittels veränderter Methodik, z. B. durch Steuerung von Operationen aus den Zentralen der russischen Nachrichtendienste oder durch niedrigschwellig - ggf. unter Einschaltung von Mittelspersonen oder über soziale Netzwerke - rekrutierten und geführten Personen. Ein Beispiel ergab sich aus einem beim Generalbundesanwalt geführten Ermittlungsverfahren: So führte der Generalbundesanwalt im Berichtszeitraum Exekutivmaßnahmen gegen drei deutsch-russische Staatsangehörige durch und erhob am 9. Dezember schließlich Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München u. a. wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit und der Agententätigkeit zu Sabotagezwecken. Einer der Beschuldigten sei hinreichend verdächtig, sich gegenüber einem ihm bekannten Mitarbeiter eines russischen Nachrichtendienstes zur Durchführung von Sprengstoffund Brandanschlägen auf militärisch genutzte (Bahn-)Infrastruktur und Industrieeinrichtungen in Deutschland bereit erklärt und hierfür vorbereitende Ausspähung geeigneter Objekte betrieben zu haben. Die Mitangeklagten seien verdächtig, hierbei Unterstützung geleistet zu haben. 79 79 Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 30.12.2024. 112 Des Weiteren sind seit Kriegsbeginn in steigendem Umfang russische Desinformationsaktivitäten gegen politische und mediale Strukturen auch in Deutschland zu verzeichnen, die sich auch im Berichtszeitraum fortgesetzt haben. Ihnen liegt das Bestreben zugrunde, in Aussicht gestellte russische Sanktionen und das militärische Vorgehen Russlands gegen die Ukraine in der Öffentlichkeit als reaktiv gegenüber den Sanktionen westlicher Staaten bzw. deren Unterstützungshandlungen für die Ukraine (insbesondere militärische Unterstützungsleistungen) darzustellen und so zu legitimieren. Dabei wurde der Versuch unternommen, das Bild eines verbreiteten Nachlassens der Akzeptanz der Unterstützung der Ukraine und der Sanktionen gegen Russland in europäischen Staaten einschließlich einer Entfremdung von Teilen der Bevölkerung von politischen Entscheidungsträgern zu zeichnen und so gesellschaftliche Konflikte auch in Deutschland zu initiieren oder zu verstärken. Äußerungen von deutschen öffentlichen Stellen bzw. von Vertretern anderer Staaten der Europäischen Union einerseits, ebenso wie entgegenstehende Äußerungen wurden durch russische staatliche bzw. staatsnahe Stellen unmittelbar aufgegriffen, für eigene Zwecke instrumentalisiert und die Rolle Russlands als Opfer eines vermeintlichen Stellvertreterkrieges westlicher Staaten bzw. der NATO entwickelt. Auf eine breite öffentliche Wahrnehmung ausgerichtet waren zudem Cyberangriffe von parteiergreifenden pro-russischen, nicht-staatlichen Gruppierungen (sog. Hacktivisten) auf zivile Infrastrukturen (u. a. Flughäfen, Banken) und die Websites u. a. von Sicherheitsbehörden und politischen Entscheidungsträgern in Deutschland. Die Angriffe erfolgten regelmäßig als Überlastungsangriffe (DDos-Angriff) und in unmittelbarem Nachgang zu politischen Entscheidungen z. B. in Bezug auf weitere Unterstützungsleistungen Deutschlands und anderer Staaten für die Ukraine. Sie wurden durch die Urheber in sozialen Medien angekündigt, zielten auf eine Verunsicherung bzw. Einschüchterung in den Zielländern, verursachten indes bisher lediglich kurzfristige Störungen bei den betroffenen Stellen. Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage Die deutsche Wirtschaft investiert große Summen in Forschung und Entwicklung. So schafft sie die Grundlagen für Innovationen und Know-how. Hierdurch besitzt sie einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Insbesondere Staaten mit Forschungsund Technologierückständen oder ausgeprägten wirtschaftspolitischen Ambitionen haben großes Interesse an Informationen über Fertigungstechniken und technischem Know-how. Die damit angesprochenen Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Technik nehmen als Aufklärungsziele für Nachrichtendienste daher ein immer breiteres Spektrum ein. Diese internationale Spitzenrolle weckt bei Konkurrenzunternehmen einerseits, aber auch fremden Staaten andererseits nach wie vor Begehrlichkeiten. An Grenzen stößt diese Differenzierung dort, wo es wegen der engen Verflechtung von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft im Einzelfall kaum möglich ist, zwischen staatlich 113 betriebener Wirtschaftsspionage durch Nachrichtendienste fremder Staaten und der Ausspähung durch konkurrierende Unternehmen ohne staatliche Steuerung zu unterscheiden. So sind etwa in Russland und China Nachrichtendienste gesetzlich befugt, aktiv Spionage zur Förderung der heimischen Wirtschaft und damit zur Verfolgung ihrer wirtschaftsund sicherheitspolitischen Ambitionen zu betreiben. Ausländische Nachrichtendienste versuchen in einem ersten Schritt, innovationsund leistungsfähige Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu detektieren. Von besonderer Bedeutung sind dabei innovative, in der Entwicklung befindliche Technologien, mit einem möglicherweise auch bedeutsamen militärischen Nutzwert (sog. Emerging Technologies, EMT). Hierzu zählen u. a. Entwicklungen in den Bereichen der Quantentechnologie, Künstlichen Intelligenz (KI) oder Werkstoffund Biotechnologie. Auch unterliegen Unternehmen und Forschungseinrichtungen u. a. in China und Russland einer weitgehenden Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den eigenen Nachrichtendiensten und können daher auch zur Informationsbeschaffung und erforderlichen Vorbereitungsmaßnahmen - etwa zur Kontaktanbahnung/-pflege mit deutschen Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen und den hier tätigen Personen (z. B. im Rahmen von Forschungskooperationen oder wechselseitigen Forschungsaufenthalten im Gastland) - durch die Nachrichtendienste dieser Staaten herangezogen werden. Die Erschließung neuer Märkte im Ausland und das Eingehen von Produktionsund Forschungskooperationen eröffnet daher für die beteiligten deutschen Unternehmen und Forschungseinrichtungen bzw. Hochschulen viele wirtschaftliche und fachliche Chancen, birgt zugleich aber auch eine Vielzahl an Sicherheitsrisiken. Fremde Nachrichtendienste besitzen auf ihrem Hoheitsgebiet "Heimvorteil". Sie handeln häufig mit umfassenden Exekutivbefugnissen. Wesentlich dabei sind Bemühungen fremder Nachrichtendienste und der von ihnen eingebundenen zivilen Einrichtungen in fremden Staaten (u. a. dort beheimatete Unternehmen, Forschungseinrichtungen/Hochschulen), Kontakte zu Entscheidungsund Kompetenzträgern in Wirtschaft und Wissenschaft aufoder bestehende Kontakte auszubauen. Neben dem Einsatz klassischer Mittel und Methoden der Wirtschaftsspionage hat die zunehmende elektronische Vernetzung auch für Unternehmen zu neuartigen und erhöhten Risiken im Cyberraum geführt. Die Informationsbeschaffung fremder Nachrichtendienste durch den Einsatz technischer Mittel gehört im Bereich der Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage zum Alltag. Dies gilt umso mehr, als neben ohnehin öffentlichen auch nicht öffentlich zugängliche Informationen oft leicht und ohne größere Risiken für fremde Nachrichtendienste erreichbar sind und z. B. Grundlage 114 für eine anschließende Kontaktaufnahme zu menschlichen Quellen sein können. Diese Versuche sind nicht begrenzt auf die aus den Medien bekannten Kampagnen mittels "Fake-Profilen" auf Plattformen wie LinkedIn. Die besondere Gefahr der Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage besteht darin, dass den Mitarbeitern der meisten Unternehmen und Forschungseinrichtungen nachrichtendienstliche Mittel und Vorgehensweisen nicht bekannt sind. Seitens des Angreifenden stehen jedoch professionelles nachrichtendienstliches Know-how bzw. eine entsprechende Anleitung und die erforderlichen Mittel zur Verfügung. Anders als im Bereich der Sicherung der Informationstechnologie und sonstiger Anlagen des Unternehmens entzieht sich die neben technischen Mitteln auch weiterhin relevante Informationsgewinnung fremder Nachrichtendienste durch menschliche Quellen - unabhängig davon, ob diese durch Anwerbung bereits im Unternehmen beschäftigter geeigneter Personen oder durch Einschleusung erfolgt - häufig der Kontrolle seitens der Verantwortlichen des Unternehmens. Geeignetes Mittel gegen - auch zunächst unverfänglich wirkende - Ausforschungsversuche sind hinreichend sensibilisierte Mitarbeiter in den Unternehmen und deren Bereitschaft, sich im Falle eines entsprechenden Verdachts einer verantwortlichen Stelle (z. B. Unternehmenssicherheit) und letztlich auch den Verfassungsschutzbehörden als Ansprechpartner in Angelegenheiten des Wirtschaftsschutzes anzuvertrauen. Wegen eines befürchteten Imageverlustes zeigen Unternehmen und Forschungseinrichtungen Vorfälle indes nur selten bei den zuständigen Stellen an. Dabei ist die Zusammenarbeit von Unternehmen und Sicherheitsbehörden wichtig, um Schutzmaßnahmen fest zu etablieren. Große Konzerne verfügen in der Regel über ausreichend Potenzial, geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Bei der Mehrzahl der kleinen und mittleren Unternehmen fehlt mitunter das Bewusstsein, dass auch sie durchaus ein lohnendes Ziel für Spionageund Ausspähungsaktivitäten sein können. Es muss davon ausgegangen werden, dass auch künftig Unternehmen und Forschungseinrichtungen insbesondere in den o. g. Bereichen der Biotechnologie und Quantentechnologie, ebenso der Luftund Raumfahrttechnik, neuer Werkstoffe, erneuerbarer Energien und der maritimen Wirtschaft im Fokus von Aufklärungsbemühungen fremder Nachrichtendienste stehen. Schließlich bleiben Information und Aufklärung von potenziell gefährdeten Unternehmen sowie wissenschaftlichen Einrichtungen in Thüringen und die Durchführung von anlassbezogenen Sensibilisierungsgesprächen über die Gefahren der Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage als wichtige Aufgabe der Spionageabwehr unverzichtbar. Hierfür steht allen Thüringer Unter115 nehmen, Unternehmensverbänden, Forschungseinrichtungen und Hochschulen der Wirtschaftsschutz des Verfassungsschutzes mit Publikationen, Sensibilisierungen und Vorträgen kostenfrei zur Verfügung und nimmt Hinweise auf Sachverhalte mit Verdacht auf einen nachrichtendienstlichen Hintergrund vertraulich entgegen. Bei der Verfassungsschutzbehörde eingehende Hinweise wurden auch im Berichtszeitraum an betroffene Unternehmen bzw. Privatpersonen und die fachlich zuständigen Ministerien mit einem Weitersteuerungsvermerk z. B. an Verbände, Unternehmen, öffentliche Einrichtungen übermittelt. Im Berichtszeitraum führte der Generalbundesanwalt Exekutivmaßnahmen gegen drei deutsche Staatsangehörige wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit für einen chinesischen Nachrichtendienst in Verbindung mit Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz durch. Ein Beschuldigter wird verdächtigt, im Auftrag eines chinesischen Nachrichtendienstes in Deutschland Informationen zu militärisch nutzbaren innovativen Technologien (hier Maschinenteile für den Betrieb von Schiffsmotoren) beschafft und hierzu unter Einbindung der zwei weiteren Beschuldigten Kontakt mit hiesigen Personen und Einrichtungen aus dem Bereich der Wissenschaft und Forschung, u. a. einer deutschen Universität, aufgenommen zu haben. Weiter werden die Beschuldigten verdächtigt, im Auftrag eines chinesischen Nachrichtendienstes einen Speziallaser beschafft und ohne die hierfür erforderlichen Genehmigungen gem. der EU-Dual-Use-Verordnung nach China ausgeführt zu haben. 80 Proliferation Unter Proliferation versteht man die unerlaubte Weitergabe von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie entsprechender Trägersysteme (z. B. Raketen und Drohnen) einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Hinzu treten Versuche, internationale Sanktionsmaßnahmen, die sich auch auf Beschaffung und Lieferung von sonstigen militärischen Produkten oder Bauteilen beziehen, unter Einsatz der Nachrichtendienste fremder Staaten und ihrer Methoden zu umgehen. Proliferationsrelevante Staaten 81 geben durch ihr Verhalten auf der internationalen politischen Bühne nach wie vor Anlass zu der Befürchtung, solche Waffen in einem bewaffneten Konflikt einzusetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele anzudrohen. Sie sind wesentlicher Teil der rüstungsund militärpolitischen Ambitionen fremder Staaten und wirken sich damit mittelfristig auf Konflikte aus, an denen diese Staaten beteiligt sind. Die Herstellung von 80 Pressemitteilungen des Generalbundesanwalts vom 22. und 23.04.2024. 81 Als solche können insbesondere Nordkorea, Pakistan, Syrien und der Iran angesehen werden. 116 Massenvernichtungswaffen stellt eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Da jene Staaten ihren Bedarf an den zur Herstellung und Weiterentwicklung von ABC-Waffen notwendigen Komponenten und des hierfür erforderlichen Know-hows nur zum Teil selbst decken können, sind sie bestrebt, bestehende technologische wie produktbezogene Defizite durch Beschaffungen aus dem Ausland zu beheben. Im Mittelpunkt stehen dabei solche Ausfuhrprodukte, die als sogenannte Dual-Use-Güter sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich Anwendung finden können. Die strenge Gesetzgebung und restriktive Exportkontrollen stellen für entsprechende Beschaffungsvorhaben hohe Hürden dar. Um diese zu umgehen, werden auf verdeckte Weise - teilweise durch sog. Umweglieferungen über Drittländer, Verwendung gefälschter Endnutzerzertifikate, zuweilen aber auch unter direkter Einbindung von Mitarbeitern der jeweiligen Nachrichtendienste - mitunter konspirativ agierende Beschaffungsnetzwerke genutzt. Ziel ist es, die tatsächliche Endverwendung der Güter gegenüber den überwachenden Behörden und den potenziellen Lieferanten zu verschleiern. Auch kleinere und mittlere Unternehmen oder z. B. solche Forschungseinrichtungen, in denen (Gast-)Wissenschaftler oder Studierende aus dem Heimatland des betreffenden Nachrichtendienstes tätig sind, können von entsprechenden Beschaffungsversuchen betroffen sein. Zur Verhinderung derartiger Beschaffungsaktivitäten sensibilisiert der Verfassungsschutz Thüringen regional ansässige Unternehmen und Forschungseinrichtungen über die Proliferationsthematik und ihre Risiken. Dabei ist oftmals ersichtlich, dass die Problematik bei den Firmen präsent ist und diese auch sorgsam mit entsprechenden Anfragen umgehen. Kritische Infrastrukturen und Gefahr der Sabotage Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) 82 - insbesondere in den Bereichen Energiebzw. Wasserversorgung, Verkehr/Logistik und Telekommunikation - sind aufgrund der mit einer Störung oder einem Ausfall verbundenen einschneidenden Auswirkungen für Bürger und Unternehmen ein für die Nachrichtendienste fremder Staaten oder parteiergreifende hacktivistische Akteure lohnenswertes Ziel der Cyberspionage und -sabotage und vorgelagerten Ausforschungsbemühungen solcher Akteure im Vorfeld eines tatsächlichen cybergestützten oder 82 Kritische Infrastruktur umfasst nach gängigem Begriffsverständnis Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Hierunter fallen u.a. die Sektoren Energie, Ernährung, Finanzund Versicherungswesen, Gesundheit, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Wasser sowie Staat und Verwaltung, Medien und Kultur, Siedlungsabfallentsorgung. 117 auch physischen Angriffes bzw. einer Sabotagehandlung. Gleiches gilt für Angreifer mit allgemeinkriminellem oder extremistischem Hintergrund. Störungen oder die Gefahr der Störung ihrer Funktionsfähigkeit und jederzeitigen Verfügbarkeit wirken sich nicht allein negativ auf die Versorgung eines ggf. erheblichen Teils der Bevölkerung aus, sondern sollen entsprechend der Intention von Angreifern auch Unsicherheiten in Teilen der Bevölkerung und bei Unternehmen bewirken, gesellschaftliche Konflikte verstärken und die Meinungsbildung zu tagesaktuellen Themen in eine für den Angreifer vorteilhafte Richtung lenken. Für Angreifer stellen insbesondere öffentlich einsehbare Informationen zu Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur, die teils aufgrund gesetzlicher Veröffentlichungsund Transparenzpflichten auch für (staatliche) Angreifer zur Verfügung stehen, eine erste Erkenntnisquelle dar. So sind auf Homepages der Betreiber wertige Informationen u. a. zur Lage einer Einrichtung der Kritischen Infrastruktur, Gebäudepläne, Leitungswege zu ihrer Erschließung und Versorgung sowie Handlungsanweisungen und Ansprechpartner einschließlich deren telefonischer oder elektronischer Erreichbarkeit im Falle von Störungen allgemein zugänglich. Derartige Informationen bilden bereits einzeln, erst Recht jedoch in der Verbundenheit mit den auf Karriereplattformen, in sonstigen sozialen Netzwerken oder Unternehmensbroschüren verfügbaren Informationen zu Mitarbeitern der Einrichtung, ihren persönlichen Werdegängen und Interessenlagen, ggf. bestehenden Bezügen zum fremden Staat (familiär oder beruflich infolge von Auslandsaufenthalten) und fachlichen Fähigkeiten (z. B. in Bezug auf konkret genutzte Software oder Produktionsund Steuerungseinrichtungen) einen Ausgangspunkt für die Vorbereitung von cybergestützten oder realweltlich-physischen Angriffen auf die Einrichtung. Auch bezüglich der damit einhergehenden Gefährdungen war im Berichtszeitraum eine gesteigerte Sensibilität sowohl bei Behörden als auch Betreibern Kritischer Infrastruktur festzustellen. 118 IX. Geheimschutz 1. Allgemeines Zu den Aufgaben des AfV zählt gemäß SS 4 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG die Mitwirkung im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes. Unter dem Begriff "Geheimschutz" werden sämtliche Vorkehrungen im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen dienen. Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines Bundeslandes gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Im Rahmen ihrer Organisationsgewalt haben Behörden und auch geheimschutzbetreute Unternehmen personelle und materielle Vorkehrungen zur Gewährleistung des Geheimschutzes zu treffen. Rechtsgrundlage für Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes in Thüringen, insbesondere das Sicherheitsüberprüfungsverfahren, sind das Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) 83 vom 17. März 2003 in der Fassung vom 6. Juni 2018 und die Verschlusssachenanweisung für den Freistaat Thüringen (VSA). 84 2. Personeller Geheimschutz Nicht jede Person, nicht jeder Amtsträger erfüllt die für den Umgang mit Geheimnissen erforderlichen Voraussetzungen. Folglich gilt es, Personen, bei denen aufgrund bestimmter Verhaltensweisen Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit oder am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bestehen oder eine besondere Gefährdung für Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste zu besorgen ist (z. B. Erpressbarkeit), von vornherein den Zugriff auf Geheimnisse zu versagen (vgl. SS 5 Abs. 1 ThürSÜG). Diesem Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung. Dabei wird festgestellt, ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an. 83 Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) vom 17. März 2003 (GVBI. S. 185), zuletzt geändert durch Artikel 16 des Thüringer Gesetzes zur Anpassung des Allgemeinen Datenschutzrechts an die Verordnung (EU) 2016/679 und zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2016/680 vom 06.06.2018 (GVBl. S. 229, 263). 84 Veröffentlicht im Thüringer Staatsanzeiger Nr. 50/2021 S. 2023 ff.; in Kraft getreten am 01.01.2022. 119 Sicherheitsüberprüfungen werden für Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit gemäß SS 1 Abs. 2 ThürSÜG ausüben sollen, durchgeführt. Betroffen sind in erster Linie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen haben bzw. sich diesen verschaffen können oder die in einer Behörde oder einzelnen Teilbereichen innerhalb dieser tätig werden sollen, die aufgrund des Umfangs bzw. der Bedeutung dort anfallender Verschlusssachen durch die zuständigen Stellen zum Sicherheitsbereich erklärt worden sind. Zweckmäßig wird der o. g. Kreis der Personen, die Verschlusssachen bearbeiten oder sich Zugang zu Verschlusssachen verschaffen können, durch behördeninterne Aufgabenzuweisungen klein gehalten. Es gilt der Grundsatz: Kenntnis nur wenn nötig. Als Verschlusssache werden alle im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse - unabhängig von ihrer Darstellungsform - bezeichnet. Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische Einrichtungen können ebenso wie das gesprochene Wort oder Zwischenmaterial (z. B. Entwürfe), das im Zusammenhang mit Verschlusssachen anfällt, eine solche Klassifizierung erfordern. Bei Behörden ist zuständige Stelle in Angelegenheiten des Geheimschutzes gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ThürSÜG sowie SS 5 VSA grundsätzlich die Behördenleitung. Diese nimmt - soweit ein Geheimschutzbeauftragter nicht bestellt ist - Aufsichtsfunktionen im personellen und materiellen Geheimschutz war und ist zuständige Stelle gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ThürSÜG bei der Durchführung von Sicherheitsüberprüfungen. Arbeiten oberste oder obere Landesbehörden mit Verschlusssachen des Geheimhaltungsgrades VS-VERTRAULICH oder höher, so ist gemäß SS 5 Abs. 3 VSA ein Geheimschutzbeauftragter und eine zur Vertretung berechtigte Person zu bestellen. Für die Einleitung und Durchführung der Sicherheitsüberprüfung ist dann der Geheimschutzbeauftragte der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde verantwortlich. Das AfV wirkt an der Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ThürVerfSchG i. V. m. SS 3 Abs. 3 ThürSÜG mit und erstellt auf der Grundlage der eingeholten Informationen ein Votum gegenüber der zuständigen Stelle. Daneben ist das AfV selbst zuständige Stelle für das bei ihm tätige Personal (vgl. SS 3 Abs. 4 ThürSÜG). Die Art der Sicherheitsüberprüfung und der in diesem Rahmen durchzuführenden Maßnahmen wird je nach Umfang des Zugangs zu Verschlusssachen bzw. der Tätigkeit in Sicherheitsbereichen abgestuft. Gemäß SSSS 8 ff. ThürSÜG wird die Sicherheitsüberprüfung als einfache (Ü 1), erweiterte (Ü 2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen 120 (Ü 3) durchgeführt. Die Zustimmung der betroffenen Person und ggf. einzubeziehender Personen (Ehepartner, Lebensgefährten usw.) ist gemäß SS 6 Abs. 2, 5 ThürSÜG ausnahmslos Voraussetzung für die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung. Im Berichtszeitraum war eine weiterhin hohe Zahl von Anträgen auf Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung und an Fallbearbeitungen feststellbar, in denen vor Abgabe eines Votums teils umfangreiche Auswertungen von beigezogenen Akten anderer Sicherheitsbehörden oder Befragungen erforderlich wurden. 3. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimhaltungsbedürftigen Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme durch Unbefugte dienen. Zu technischen Sicherheitsmaßnahmen sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den Geheimschutz verbessern. Als Rechtsgrundlage dient die auf Grundlage von SS 34 Abs. 1 ThürSÜG erlassene Verschlusssachenanweisung für den Freistaat Thüringen (VSA). Die VSA richtet sich an Landesbehörden, landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen und die sonstigen der Aufsicht des Freistaats Thüringen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben, die einen solchen eröffnet und die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen erfordert. Für Kommunen gilt die VSA nur im Bereich der Aufgabenerfüllung im übertragenen Wirkungskreis. Den Kommunen wird empfohlen, die VSA auch im eigenen Wirkungskreis anzuwenden. Entsprechend der Schutzbedürftigkeit der Verschlusssache nehmen die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen der in SS 4 Abs. 2 ThürSÜG bestimmten Geheimhaltungsgrade 85 vor. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. Hinsichtlich des materiellen Geheimschutzes enthält die VSA eine Reihe von Vorschriften, welche die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen, die Dienstpflichten zum Schutz von Verschlusssachen, die Aufbewahrung, Übertragung, Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes sowie Maßnahmen bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften betreffen. Die VSA hält in ihren Anlagen zudem eine Vielzahl von Vorlagen zur 85 "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH", "VS-VERTRAULICH", "GEHEIM" oder "STRENG GEHEIM". 121 Dokumentation von Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes für die zuständigen Stellen bereit. Die Aufsicht über die Einhaltung der Vorgaben der Verschlusssachenanweisung obliegt der zuständigen Stelle, i. d. R. dem Geheimschutzbeauftragten derjenigen Stelle, bei der Verschlusssachen bearbeitet werden, im Übrigen der Behördenleitung. Das AfV berät diese über die Vorgaben der VSA zum Umgang mit Verschlusssachen und sichere Organisationsabläufe, u. a. auch über technische Sicherheitsmaßnahmen wie Einbruchmeldeanlagen, Zutrittskontrollsysteme, baulich-räumliche Maßnahmen des Abhörschutzes bzw. der Abhörsicherheit und Anforderungen an die Aufbewahrung von Verschlusssachen (sog. VS-Verwahrgelasse, VSTüren). Derartige ihrer Konzeption nach mehrschichtige Maßnahmen verfolgen u. a. das Ziel, unbemerkte und unbefugte Zutrittsversuche in Sicherheitsbereiche oder entsprechende Zugriffsversuche auf Verschlusssachen zu verhindern oder durch einen hohen Widerstandswert eingesetzter Produkte jedenfalls zeitlich so zu erschweren, dass eine weitere Aufklärung und Verhinderung durch hinzugezogene Kräfte ermöglicht wird (Interventionszeit). In zunehmendem Maße ergeben sich Bedarfe nach einer Beratung von öffentlichen Stellen zu Vorgaben der VSA hinsichtlich der Ertüchtigung informationstechnischer Systeme zur Verarbeitung von Verschlusssachen (IT-Geheimschutz), hier konkret in Bezug auf die eingesetzten Endgeräte, deren Nutzungsumgebung und sichere Wege der elektronischen Übertragung von Verschlusssachen. Auskünfte zur Geheimschutzbetreuung von Wirtschaftsunternehmen erteilt das: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Landwirtschaft und Ländlichen Raum Geheimschutz in der Wirtschaft Postfach 90 02 25 Max-Reger-Straße 4-8 99105 Erfurt 99096 Erfurt Telefon: 0361 57 37 1-1145. 122 X. Mitwirkungspflichten Neben der Mitwirkung des Verfassungsschutzes an Sicherheitsüberprüfungen bestehen gesetzliche Pflichten zu seiner Beteiligung an Zuverlässigkeitsprüfungen anderer Behörden in sicherheitsempfindlichen Bereichen. Demgemäß wirkt das AfV bei Zuverlässigkeitsanfragen nach dem Waffengesetz (14.572), dem Luftsicherheitsgesetz (1.181), dem Staatsangehörigkeitsgesetz (2.852), dem Sprengstoffgesetz (740), der Gewerbeordnung (2.035) sowie dem Aufenthaltsgesetz (20.915) mit. Im Waffengesetz ist die Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Rahmen der Waffenerlaubniserteilung normiert. Sofern dem AfV Erkenntnisse zu verfassungsfeindlichen Betätigungen der Antragsteller vorliegen, werden diese den gesetzlichen Regelungen gemäß der zuständigen Waffenerlaubnisbehörde für die dortige Prüfung übermittelt. Verfassungsfeinden und Extremisten soll so die Erlangung einer Waffenerlaubnis verwehrt bzw. eine vorliegende waffenrechtliche Erlaubnis entzogen werden können. Das AfV versteht sich hierbei als Fachbehörde, die mit ihrer sicherheitsrelevanten Expertise in den einzelnen Phänomenbereichen die jeweils zuständigen Behörden bei ihren Entscheidungsfindungen unterstützt. Durch das erhebliche Gefahrenpotenzial gerade im Bereich der Regelanfrage Waffe, ist eine zügige und fundierte Mitteilung, die als Grundlage für die Entscheidung der Waffenbehörde dient, unerlässlich. Dies gilt auch für Zuverlässigkeitsanfragen im Zusammenhang mit Sprengstofferlaubnissen oder der notwendigen Zuverlässigkeit von Bewachungspersonal. In all diesen Fragestellungen sollen potentielle Gefahren für die Gesellschaft möglichst früh erkannt und abgewehrt werden. Die Einbindung des Verfassungsschutzes in diese sensiblen staatlichen Aufgabenbereiche ist damit Teil der "wehrhaften Demokratie" und trägt zu einem großen Teil dazu bei, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen und so unsere Gesellschaft sicherer zu machen. 123 Anfragen 2022 2023 2024 WaffG 30.963 15.822 14.572 SprengG 2.760 1.343 740 GewO 771 872 2035 LuftSiG 1.075 1.011 1.181 StAG 2.171 2.003 2.852 AufenthG 21.672 21.857 20.915 Anfragen Gesamt 59.412 42.908 42.295 Tabelle 8: Mitwirkungspflichten - Anfrage-Aufkommen im Jahresvergleich 124