https://innen.thueringen.de/ Verfassungsschutzbericht 2019 Freistaat Thüringen Pressefassung Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2019 Pressefassung 1 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................... 2 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz .................................................... 5 1. Verfassungsschutz - Instrument der wehrhaften Demokratie ........................... 5 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales................................................................................................... 7 Exkurs: Prävention und Aufklärung der Öffentlichkeit ...........................................................15 II. Rechtsextremismus ..............................................................................................22 1. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen .....................................................22 2. Rechtsextremistische Parteien ............................................................................25 2.1 NPD Landesverband Thüringen..............................................................................25 2.2 "Der III. Weg" in Thüringen .....................................................................................27 3. Parteiunabhängiges bzw. parteiungebundenes Spektrum ................................29 3.1 Überregionale Personenzusammenschlüsse mit Bezug nach Thüringen ................29 3.1.1 "Blood & Honour" ....................................................................................................30 3.1.2 "Combat 18" (C18) ..................................................................................................30 3.1.3 "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) .....................................................................31 3.1.4 "Verein Gedächtnisstätte e. V." (Guthmannshausen) ..............................................32 3.2 Thüringer Personenzusammenschlüsse .................................................................35 3.2.1 "Bruderschaft Thüringen" (Turonen, Garde 20) .......................................................35 3.2.2 Bündnis Zukunft Hildburghausen" (BZH) und Gasthaus "Goldener Löwe" ..............36 3.2.3 "Thing-Kreis" ...........................................................................................................39 4. Weitgehend unstrukturierte Rechtsextremisten.................................................39 4.1 Rechtsextremistische Musik ...................................................................................39 4.1.1 Überblick ................................................................................................................39 Exkurs: Indizierung jugendgefährdender Medien ..................................................................43 4.1.2 "Tage der nationalen Bewegung" (TdnB) ................................................................46 4.1.3 Veranstaltungsobjekt in Kirchheim (Ilmkreis) ..........................................................50 Exkurs: Radikalisierung im Internet ......................................................................................50 4.2 Kampfsport als rechtsextremistisches Aktionsfeld...................................................52 5. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick ....................................58 III. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ...............................................................59 1. Überblick ...............................................................................................................59 2 2. Ideologie ................................................................................................................59 3. Reichsbürger und Selbstverwalter in Thüringen................................................61 4. Gefährdungspotenzial ..........................................................................................64 IV. Islamismus ............................................................................................................66 1. Ideologischer Hintergrund ...................................................................................66 1.1 Salafismus ..............................................................................................................66 1.2 Legalistischer Islamismus .......................................................................................69 1.3 Schiitischer Islamismus...........................................................................................69 2. Gefährdungsbewertung für die Bundesrepublik Deutschland ..........................69 Exkurs: Antisemitismus im Islamismus .................................................................................71 3. Islamismus in Thüringen......................................................................................76 3.1 Überblick ................................................................................................................76 3.2 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen ...............................................................76 3.3 Salafismus in Thüringen .........................................................................................77 3.4 Exekutivmaßnahmen ..............................................................................................79 V. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) ................................................................................................80 1. Hintergrund ...........................................................................................................80 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ......................................................................80 2.1 Überblick, allgemeine Lage.....................................................................................81 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen.....................................................................83 2.3 Finanzierung ...........................................................................................................84 2.4 Propaganda und Themenschwerpunkte .................................................................84 3. Bewertung .............................................................................................................85 VI. Linksextremismus ................................................................................................86 1. Überblick und Schwerpunktsetzung ...................................................................86 2. Ideologischer Hintergrund ...................................................................................87 3. Das linksextremistische Personenpotenzial .......................................................87 4. Autonome - gewaltorientierte Linksextremisten................................................88 4.1 Allgemeines ............................................................................................................88 4.2 Die autonome Szene in Thüringen ..........................................................................92 4.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis ....................................94 4.4 Das Aktionsfeld "Antigentrifizierung" .....................................................................104 5. Sonstige linksextremistische Organisationen ..................................................106 3 Exkurs: Thüringer Linksextremisten und die Landtagswahl ................................................109 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick .....................................112 VII. Scientology Organisation (SO) ..........................................................................114 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO ..................................................114 2. Strukturen der SO ...............................................................................................115 3. SO in Thüringen ..................................................................................................115 VIII. Spionageabwehr .................................................................................................117 1. Aufgabe und Überblick.......................................................................................117 2. Methoden der Nachrichtendienste ....................................................................119 3. Wirtschaftsschutz / Cyberabwehr......................................................................120 4. Proliferation ........................................................................................................122 IX. Geheimschutz .....................................................................................................124 1. Allgemeines ........................................................................................................124 2. Personeller Geheimschutz .................................................................................124 3. Materieller Geheimschutz ..................................................................................126 4. Sonstige Überprüfungen ....................................................................................127 4 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der wehrhaften Demokratie Das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Republik ist es die Aufgabe der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das GG legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Die wehrhafte Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Rechtsstaat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte - wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht - zu. Jedoch liefert sich die wehrhafte Demokratie den Bestrebungen politischer Extremisten nicht schutzlos aus. So sind beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 GG das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 GG die Aberkennung von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als "Frühwarnsystem" politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die Länder unterhalten (Artikel 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Freistaat Thüringen wurde die Verfassungsschutzbehörde 1991 errichtet. Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach, aus welchen Parteien und Gruppierungen sich das extremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt. Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste auf. Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu treffen. 5 Einen erheblichen Teil seiner Informationen gewinnt der Verfassungsschutz aus allgemein zugänglichen Quellen. Extremistische Akteure, Terroristen und fremde Nachrichtendienste agieren jedoch im Verborgenen und legen ihre Ziele nicht offen dar. Der Verfassungsschutz ist befugt, im Rahmen gesetzlich festgelegter Grenzen und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsgewinnung einzusetzen, um insbesondere terroristische Gefahren für die Bevölkerung frühzeitig erkennen und abwenden zu können. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere durch die von den Parlamenten eingesetzten Kontrollgremien, durch die Innenministerien, durch die Gerichte sowie durch die Bundesbzw. Landesbeauftragten für Datenschutz. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen (Artikel 97 Verfassung des Freistaats Thüringen). Sie unterscheiden sich damit grundlegend sowohl von der "Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) der ehemaligen DDR. Jene Institutionen waren darauf ausgerichtet, totalitäre Systeme abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik schützt. Für Verfassungsschutzbehörden besteht eine strikte Bindung an Recht und Gesetz. Sie dienen keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem als essentiellem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet. Vor dem Hintergrund, dass bei dem Thüringer Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Zusammenhang mit den Vorkommnissen um die Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ein weitreichendes Behördenversagen vorlag, wurden Verfassungsschutzgesetze geändert, bzw. in Thüringen neu gefasst. Damit wurden präzise rechtliche Vorgaben für eine erfolgreiche und transparente Tätigkeit des Thüringer Verfassungsschutzes geschaffen. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen ist geboten, wenn auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung führen, dass ein Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit die Feststellung seines extremistischen Charakters verbunden ist. Die Darstellungen im Verfassungsschutzbericht sind nicht abschließend, sondern geben wesentliche Entwicklungen während eines konkreten Berichtszeitraums wieder. Eine Berichterstattung kann bereits dann in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Ver- 6 dacht extremistischer Bestrebungen vorliegen, die aufgrund eines im konkreten Fall hinzutretenden besonderen Aufklärungsinteresses der Öffentlichkeit eine Erwähnung erfordern. Diese Verdachtsfälle sind als solche im Text kenntlich gemacht. 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales Aufgaben und Befugnisse Mit dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVerfSchG) bestehen präzise rechtliche Vorgaben für eine erfolgreiche und transparente Tätigkeit des Thüringer Verfassungsschutzes im demokratischen Rechtsstaat. Kernaufgaben des AfV sind die Sammlung und Auswertung von Informationen zum politischen Extremismus, zu Terrorismus und Spionage im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen. Zu diesem Zweck beobachtet es gemäß SS 4 ThürVerfSchG: 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Einen nicht unerheblichen Teil seiner Informationen - insbesondere solche, ob tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen bestehen - schöpft das AfV aus öffentlich zugänglichen Quellen. Darüber hinaus ist das AfV in gesetzlich festgelegten Grenzen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit befugt, im Rahmen seines Beobachtungsauftrags Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen, Telefonüberwachungen) zu beschaffen. 7 Die in Berichten, Lagebildern und Analysen zusammengefassten Erkenntnisse ermöglichen es der Landesregierung, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuleiten. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben übermittelt das AfV relevante Erkenntnisse unverzüglich nach Bekanntwerden an die Strafverfolgungsbehörden. Das AfV ist in den gemeinsamen Informationsund Kommunikationsplattformen der deutschen Sicherheitsbehörden (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum - GTAZ, Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus und der Spionage einschließlich proliferationsrelevanter Aspekte - GETZ) vertreten. Des Weiteren obliegen dem AfV Mitwirkungspflichten im Bereich des Geheimund Sabotageschutzes (z. B. Sicherheitsüberprüfungen für in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätige Personen). Das ThürVerfSchG sieht in SS 5 zudem eine geeignete Informationsund Öffentlichkeitsarbeit des Amtes vor. Zudem bestehen ausführliche Regelungen über Umfang und Grenzen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel einschließlich des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung 1 sowie die beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einzuhaltenden Verfahren. Die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei in der Thüringer Informationsund Auswertungszentrale (TIAZ) wurde in einer eigenständigen gesetzlichen Regelung verankert. 2 1 Der Kernbereich privater Lebensgestaltung stellt einen Raum höchstpersönlicher Privatheit dar, welcher verfassungsmäßig geschützt und einem Zugriff durch staatliche Überwachungsmaßnahmen vollumfänglich entzogen ist. Hinweise auf begangene oder geplante Straftaten fallen aufgrund ihres Sozialbezugs nicht hierunter. Einfachgesetzliche Regelungen zum Schutz des Kernbereiches privater Lebensführung finden sich etwa in SS 10 Abs. 6 ThürVerfSchG und SS 3a Artikel 10-Gesetz (G10). 2 Siehe dazu SS 4 Abs. 4 ThürVerfSchG. 8 Aufbau und Organisation Der Thüringer Verfassungsschutz verfügte im Haushaltsjahr 2019 über 96 Stellen und Planstellen. 3 Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch das Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 7.152.900 Euro zugewiesen. Struktur des AfV Stabsstelle Controlling Die Stabsstelle Controlling unterstützt den Präsidenten des AfV durch unabhängige und objektive Prüfungsund Beratungsdienstleistungen in seiner Leitungsfunktion. Sie hat die Aufgabe, regelmäßig die Rechtund Zweckmäßigkeit der nachrichtendienstlichen und sonstigen ihr zugewiesenen Maßnahmen zu überprüfen und dem Präsidenten des AfV Bericht zu erstatten (SS 2 Absatz 4 ThürVerfSchG). Die Stabsstelle ist dem Präsidenten des AfV unmittelbar zugeordnet, jedoch in der Beurteilung der Rechtund Zweckmäßigkeit der eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel nicht an Weisungen des Präsidenten, seines Vertreters oder des zuständigen Ministeriums gebunden. Die Stabsstelle Controlling ist darüber hinaus personell und organisatorisch von den übrigen Referaten des AfV getrennt, nicht zuletzt, um auch insoweit eine unabhängige Prüfung zu gewährleisten. 3 Siehe dazu Landeshaushaltsplan 2018 / 2019, Einzelplan 03, S. 70 ff. 9 Die Referate des AfV haben der Stabsstelle Controlling kontinuierlich schriftlich Bericht darüber zu erstatten, in welchen Phänomenbereichen und beobachteten Personenzusammenschlüssen nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Diese Berichtspflichten betreffen besondere grundrechtsund sicherheitsrelevante Vorkommnisse, die sich im Rahmen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel ereignen können. Bei besonderen oder schwierigen Vorkommnissen kann die Parlamentarische Kontrollkommission verlangen, dass die Stabsstelle Controlling diese auch unmittelbar unterrichtet (SS 2 Abs. 4 Satz 6 ThürVerfSchG). Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Der Stabsstelle obliegen die Beantwortung von Presseund Bürgeranfragen, die Herausgabe von Publikationen, die Organisation und Durchführung diverser Informationsveranstaltungen sowie die Pflege der Internetpräsenz des AfV. Der Thüringer Verfassungsschutz lässt andere an seinen Erkenntnissen teilhaben und versteht sich konsequent als Partner von Institutionen, Organisationen und der Zivilgesellschaft. Daher haben Mitarbeiter des AfV im Berichtszeitraum wieder zahlreiche Vorträge über extremistische Phänomenbereiche und Wirtschaftsschutz gehalten. Mitarbeiter des AfV nahmen etwa 90 Vortragstermine wahr. Auf Einladung des jeweiligen Veranstalters informierten sie über alle gesetzlichen Aufgabenbereiche des Verfassungsschutzes und standen für Fragen der Zuhörer zur Verfügung. Die Themenfelder Rechtsextremismus und "Reichsbürger" dominierten die Anfragen. Vor dem Hintergrund des hohen Personenpotenzials und der vielfältigen Szene-Aktivitäten in Thüringen zeigten u. a. Behörden, Polizeidienststellen und die Arbeitsverwaltung einen weiterhin hohen Informationsbedarf. Dieses Angebot wurde durch mehrere Diskussionsveranstaltungen verschiedener Institutionen und Organisationen - z. B. zu den Themen Antisemitismus oder Cyberspionage - ergänzt, an denen AfV-Präsident Stephan J. Kramer als Diskutant oder Referent mitwirkte. Auch durch regelmäßige Interviews, Hintergrundgespräche und Kontakte zu den Medien konnte der Devise des Thüringer Verfassungsschutzes "Verfassungsschutz durch Aufklärung" Rechnung getragen werden. 10 Die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, z. B. aus dem Bereich der Gewerkschaften, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände, erfuhr im Berichtszeitraum eine Fortsetzung. In Kooperation mit dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (TMMJV) und mehreren Justizbehörden wurde im Berichtszeitraum die Präventionsund Informationsarbeit im Rahmen einer langjährig bestehenden Sicherheitspartnerschaft mit dem Justizvollzug gestaltet. Das 17. Symposium des Thüringer Verfassungsschutzes in Zusammenarbeit mit der Industrieund Handelskammer Erfurt (IHK) beschäftigte sich mit dem Thema "Digitale Wirtschaftsspionage - Thüringens Wirtschaft im Fokus fremder Staaten". Darüber hinaus wirkte der Thüringer Verfassungsschutz am sechsten gemeinsamen Symposium der Verfassungsschutzbehörden der ostdeutschen Länder und Berlins im Rahmen der von den Innenministern beschlossenen "Sicherheitskooperation" (SIKOOP) mit. Die Veranstaltung am 23. Mai in Schwerin widmete sich der Fragestellung "Ist unsere Demokratie noch wehrhaft?". Der Verfassungsschutz Thüringen ist für die interessierte Öffentlichkeit über folgende Kontakte erreichbar: Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales Postfach 450 121 99051 Erfurt Telefon: 0361 573313-850 Telefax: 0361 573313-482 Internet: www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz E-Mail: afvkontakt@tmik.thueringen.de Die Behörde hält eine "Aussteigerhotline für Rechtsextremisten" (0361 573313-817) und ein "Hinweistelefon Islamismus" (0361 573313-480) vor. Die Wanderausstellung des AfV kann von allen interessierten Institutionen kostenfrei angefordert werden. 11 Referat 50 "Grundsatzund Rechtsangelegenheiten, G10, Gremienarbeit" Das Referat 50 bearbeitet die Grundsatzund Rechtsangelegenheiten des Amtes. Weiterhin werden in diesem Arbeitsbereich Sitzungen verschiedener Gremien, z. B. der Parlamentarischen Kontrollkommission und der G10-Kommission des Thüringer Landtags sowie verschiedener Bund-Länder-Gremien vorbereitet. Die Bearbeitung von parlamentarischen Anfragen, Petitionen und Auskunftsersuchen von Bürgern zählt ebenso zu den Aufgaben des Referates wie die Begleitung der Rechtsetzung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes, des Geheimschutzes oder relevanter Bundesratsverfahren. Das große Interesse der Mitglieder des Thüringer Landtags an den Themenfeldern, die vom AfV zu bearbeiten sind, zeigt sich an der Anzahl diesbezüglicher parlamentarischen Anfragen, auch wenn die Anzahl im Berichtszeitraum rückläufig war. So war das AfV mit der Bearbeitung von zwei Großen Anfragen (davon eine federführend), rund 85 Kleinen Anfragen und sieben Mündlichen Anfragen befasst. Darüber hinaus ist das Referat mit der Durchführung der Verfahren zur Postund Telekommunikationsüberwachung (G10) betraut. Referat 51 "Auswertung Ausländerextremismus/Islamismus" Das Referat 51 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Islamismus, sonstiger Ausländerextremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Referat 52 "Auswertung Rechtsextremismus/Linksextremismus, Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz (TIAZ)" Das Referat 52 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu den Bereichen Rechtsund Linksextremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Aufgabe der seit 2007 bestehenden TIAZ, einer Projektorganisation des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und des Thüringer Verfassungsschutzes, ist es, Informationen zu politisch motivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Ausländer" sowie den Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen. Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der "Antiterrordatei" (ATD). 12 Referat 53 "Beschaffung" Dieses Referat hat die Aufgabe, durch Ermittlungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen. Referat 54 "Querschnittsaufgaben, Geheimschutz, Spionageabwehr, Scientology Organisation" Das dem Referat zugehörige Sachgebiet "Querschnittsaufgaben" ist für den inneren Dienstbetrieb zuständig. Angelegenheiten des personellen und materiellen Geheimschutzes sowie Mitwirkungspflichten des Verfassungsschutzes gemäß dem Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz werden im Sachgebiet "Geheimschutz" wahrgenommen. Dem Sachgebiet "Spionageabwehr" obliegt es, die unerlaubte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären. Zudem wird etwaigen Hinweisen auf frühere, fortwirkende Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR nachgegangen. In einem weiteren Sachgebiet werden Hinweise auf mögliche Betätigungen der in Thüringen bislang nicht organisatorisch vertretenen "Scientology Organisation" bearbeitet. Kontrollinstanzen des Verfassungsschutzes Allgemeine parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrollkommission des Thü(parlamentarische Anfragen, Petitionen von Bürringer Landtags gern) Amt für Verfassungsschutz (Stabsstelle Controlling) Verwaltungsgerichte Landesrechnungshof Landesbeauftragter für den Datenschutz und die G10-Kommission des Thüringer Landtags Informationsfreiheit 13 Parlamentarische Kontrolle Gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission besteht eine umfassende Unterrichtungspflicht über die allgemeine Tätigkeit des AfV (SS 27 Abs. 1 ThürVerfSchG). Dabei bilden die mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Erkenntnisse einen Schwerpunkt. Zudem ist der Landesregierung eine strukturierte Berichterstattung über die maßgeblichen operativen Vorgänge im Verfassungsschutz gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission aufgegeben (SS 27 Abs. 2 ThürVerfSchG). Dies betrifft im Einzelnen eine Übersicht über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in den verschiedenen Phänomenbereichen, die Information über die Festlegung der einzelnen Beobachtungsobjekte, die Information über die Herstellung des Einvernehmens beziehungsweise des Benehmens für das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Länder respektive des Bundes in Thüringen, die Vorlage von Regelungen über die Vergütung von V-Leuten zur Kenntnis und die Unterrichtung über die Feststellung eines Informationsübermittlungsverbotes durch den Verfassungsschutz. Darüber hinaus ist die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission über den Erlass und jede Änderung von Dienstanweisungen (SS 27 Abs. 5 ThürVerfSchG) gesetzlich verankert. Für den Erlass und die Änderung der Dienstanweisung zum Einsatz von V-Leuten ist eine Anhörung der Parlamentarischen Kontrollkommission vorgeschrieben (SS 12 Abs. 6 Sätze 6 und 7 ThürVerfSchG). Die umfangreichen Unterrichtungspflichten der Landesregierung und Kontrollbefugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission ermöglichen eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit des AfV und eine zusätzliche Sicherung der Grundrechte betroffener Personen. Nach SS 33 ThürVerfSchG unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. 14 Exkurs: Prävention und Aufklärung der Öffentlichkeit Bei der Bekämpfung von Extremismus in Thüringen kommt der Aufklärung und Vorsorge eine hohe Bedeutung zu. Prävention ist und bleibt ein Schlüsselelement in der Auseinandersetzung mit Extremismus, insbesondere mit Rechtsextremismus. Während es Stimmen gibt, die die Hauptaufgabe der Verfassungsschutzbehörden in der Terrorabwehr sehen und eine präventive, in das Vorfeld von Straftaten und Abschlägen zielende Rolle ablehnen, mahnen andere Stimmen an, dass Verfassungsschutzbehörden die Aufgabe haben, die freiheitliche Ausrichtung des sozialen Miteinanders der Menschen gegen extremistische Bedrohungen zu verteidigen. Dazu müssen sie sich auch in angemessener Form in die Gesellschaft hinein öffnen und deutlich machen, dass Gesellschaft und Verfassungsschutz in einer Demokratie nicht in einem Gegensatz zueinander stehen. "Prävention" heißt "Zuvorkommen" Der Thüringer Verfassungsschutz sieht es als eine seiner wichtigsten Aufgaben an, einen Beitrag dazu zu leisten, die Bürger und Gäste Thüringens vor Gefahren und Straftaten zu schützen. Das betrifft vor allem auch die Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden. Der beste Schutz vor Straftaten ist es aber noch immer, sie gar nicht erst entstehen zu lassen - ihnen "zuvorzukommen". In Thüringen stellt die Prävention bereits seit vielen Jahren eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar. Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und andere staatliche Einrichtungen haben hierbei ebenso ihre Pflichten und Möglichkeiten, wie die vielen nichtstaatlichen Organisationen und letztlich jeder einzelne Bürger selbst. Im Sinne eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes setzen die Verfassungsschutzbehörden in der Bundesrepublik Deutschland daher auch auf Maßnahmen der Prävention und Deradikalisierung. Solche Maßnahmen können einen wichtigen Beitrag leisten, um Radikalisierungen zu verhindern oder radikalisierten Menschen ein Angebot zurück in die Gesellschaft zu unterbreiten. Vor allem junge Menschen müssen vor dem Abgleiten in die Radikalität und Extremismus bewahrt werden. 15 Rechtliche Grundlagen in Thüringen Der Verfassungsschutz hat gemäß SS 5 des ThürVerfSchG den gesetzlichen Auftrag, die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten, von denen Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen, zu informieren und dadurch dazu beizutragen, das gesellschaftliche Bewusstsein zu stärken. Den Bestrebungen und Tätigkeiten soll auch durch Angebote zur Information entgegengetreten werden. Die Aufklärung von Bürgerinnen und Bürgern ist ein wichtiger Beitrag für eine wehrhafte Demokratie. Präventionsmaßnahmen Von zentraler Bedeutung ist die gesamtgesellschaftliche Anstrengung zur Ächtung rassistischer, antisemitischer und fremdenfeindlicher Positionen und Aktionen. Das große zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus wird durch eine Vielzahl von Initiativen in Thüringen belegt. Der Verfassungsschutz unterstützt im Rahmen verschiedener Angebote bürgerschaftliches Engagement für demokratische Werte und gegen extremistische Einflüsse in der Gesellschaft. Er lässt andere an seinen Erkenntnissen teilhaben und versteht sich als Partner der Zivilgesellschaft. Darauf beruht das zentrale Konzept "Verfassungsschutz durch Aufklärung". Die Maßnahmen des Thüringer Verfassungsschutzes bieten wichtige Gelegenheiten zum Dialog mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft, aber auch mit Vertreterinnen und Vertretern anderer Behörden. So war der Thüringer Verfassungsschutz im Berichtszeitraum bei vielen Veranstaltungen vertreten. Bei diesen Treffen gab es oft Kritik an der Arbeit des AfV, es konnten aber auch die Gründe für das Handeln des Amtes transparent gemacht werden. Der Dialog mit der kritischen Zivilgesellschaft ist für den Thüringer Verfassungsschutz unverzichtbar, da Ergebnisse des Dialogs in seine Arbeit einfließen. Das Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales (AfV) agierte im Berichtszeitraum über - Vorträge und Empfang von Besuchergruppen im AfV - Mitarbeit in Präventionsräten - Pressearbeit - Internetpräsenz - Berichte und Publikationen (Verfassungsschutzbericht, Broschüren, Faltblätter) 16 - Informationsstand bei Veranstaltungen - jährliches Fachsymposium und - eine Wanderausstellung. Im Jahr 2019 haben Mitarbeiter des AfV ca. 90 Fachvorträge über extremistische Phänomenbereiche und Wirtschaftsschutz gehalten. Allen Terminen gingen Einladungen von Institutionen und Organisationen voraus. Die Wahrnehmung von Vortragsterminen richtete sich nach dem jeweiligen Veranstalter. Auf das Vortragsangebot wurde im Internet und mit einem Faltblatt aufmerksam gemacht. Insgesamt nahmen an diesen Veranstaltungen rund 2.500 Besucher teil. Die Besucheranzahl lag jeweils zwischen 10 und 200 Personen. Darunter waren interessierte Bürger, Feuerwehrangehörige, Parteimitglieder, Justizbedienstete, Unternehmer, Polizisten, Soldaten, Gewerkschaftler, Sozialarbeiter, Auszubildende, Mitarbeiter von Verwaltungen und noch viele mehr. Die Informationsvorträge des Verfassungsschutzes hatten jeweils "ergänzenden Charakter", d. h. sie dienten als Impuls für eine kritische Auseinandersetzung oder Diskussion. Im Rahmen der Vorträge entwickelten sich Gespräche, Diskussionen und ein Erfahrungsaustausch, woraus sich hin und wieder wichtige Erkenntnisse für das Amt ergaben. Zahlreiche Termine wurden im Berichtszeitraum am Justizausbildungszentrum in Gotha, bei Polizeibehörden, bei Bundeswehreinrichtungen und bei Verwaltungen - hier insbesondere zu dem Thema "Reichsbürger" - wahrgenommen. Darüber hinaus fragten z. B. Einrichtungen der Jugendund Erwachsenenbildung, Stiftungen und Hochschulen nach. Auch im Amt wurden Besuchergruppen zu Vorträgen empfangen. Eingehende Einladungen von allgemeinbildenden Schulen wurden - anders als in anderen Bundesländern - gemäß den Festlegungen im Koalitionsvertrag der Thüringer Landesverbände der Parteien "Die Linke", "SPD" und "Bündnis 90/Die Grünen" für die 6. Wahlperiode des Thüringer Landtags nicht wahrgenommen. 4 4 Dort heißt es auf S. 47: "Künftig sollen an Schulen im Sinne des Beutelsbacher Konsenses keine unterrichts-, informationsund Bildungsveranstaltungen in alleiniger Durchführung der Bundeswehr mehr stattfinden. Die gesetzlich garantierte Eigenverantwortung der Schulen bleibt davon unberührt. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz wird angewiesen, keine informationsund Bildungsveranstaltungen an Schulen mehr durchzuführen." Weiterhin auf S. 86: "Das Landesamt für Verfassungsschutz hat keinen Präventionsauftrag durch gesellschaftliche Information und Bildung." 17 Der Thüringer Verfassungsschutz arbeitet bei der Planung und Durchführung seiner Vorträge mit Multiplikatoren von Institutionen und Organisationen zusammen. Die Vorträge des Verfassungsschutzes haben nicht in erster Linie Bildungscharakter, sondern sie unterstützen die Sensibilisierung und die Aufklärung. Damit dienen sie auch den allgemeinen Zielen der Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutzbehörden in Deutschland: - Informationen über aktuelle Strömungen und Phänomene im Bereich des politischen Extremismus und Terrorismus, - Vermittlungen von Informationen über Symbolik, Erscheinungsformen, Aktionsformen und relevante Akteure bestimmter Phänomenbereiche, - gleichzeitige Vermittlung eines Ansprechpartners sowie das Angebot, sich bei Fragen oder Unklarheiten hinsichtlich vermeintlicher extremistischer Bestrebungen an das Amt zu wenden, - Informationen über die gesetzlichen Aufgaben, die Arbeitsweise und die Kontrolle des Verfassungsschutzes, - Abbau gefestigter gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und anderer extremistischer Einstellungen. - Wichtige präventive Bausteine bei der Vermeidung religiöser Radikalisierungen und extremistischer Bestrebungen sind Wertevermittlung, die Förderung von Demokratie und Toleranz sowie Aufklärung über die Religionen. Gleichzeitig gilt es, Familienangehörigen und radikalisierungsgefährdeten Personen Beratungsangebote zum Ausstieg (z. B. Hotline, Aussteigerangebote) zur Verfügung zu stellen und den Dialog mit ihnen zu stärken. Mitarbeit in Präventionsräten Es erfolgten Anfragen von Präventionsräten aus Thüringen - inhaltlich ausgerichtet gegen rechtsextremistische Tendenzen in Kommunen. Durch den Kontakt zu den Präventionsräten ist es möglich, direkter Ansprechpartner für Kommunen zu sein und diesen Hinweise zu rechtsextremistischen Entwicklungen zu geben. 18 Presseanfragen Die zahlreichen Anfragen der Medien betrafen überwiegend den Bereich des Rechtsextremismus. Allen Ersuchen wurde im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten entsprochen. Auf Wunsch stand der Präsident des Amtes für Interviews, Gespräche oder Podiumsdiskussionen zur Verfügung. Internetpräsentation des AfV Auf der Homepage des AfV (https://www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz/) sind aktuelle Informationen des Thüringer Verfassungsschutzes, ein Überblick über extremistische Bestrebungen in Thüringen, Vortragsangebote sowie die Verfassungsschutzberichte des Freistaats Thüringen der letzten fünf Jahre eingestellt. Publikationen Beim AfV können alle interessierten Bürgerinnen und Bürger, insbesondere auch Multiplikatoren, kostenfreies Informationsmaterial zu den Arbeitsgebieten des Verfassungsschutzes anfordern. Angeboten werden Broschüren des Thüringer Verfassungsschutzes und des Verfassungsschutzverbundes zu den Themen Rechtsextremismus, Antisemitismus, "Reichsbürger und Selbstverwalter", Linksextremismus, Ausländerextremismus, Islamismus, Spionageund Proliferationsabwehr, Cyberabwehr, Geheim-, Sabotageund Wirtschaftsschutz sowie Scientology. Die Broschüre "Verfassungsschutz Thüringen - Sicherheit - Aufklärung - Transparenz" war im Berichtszeitraum besonders gefragt. Sie gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des AfV. Teilnahme an Veranstaltungen Das AfV verfügt über einen Informationsstand. Auf Anfrage nimmt das Amt an Veranstaltungen, wie z. B. Messen, Stadtfeste, teil und informiert über seine Arbeit. Symposium Etabliert hat sich ebenso die Durchführung der jährlichen Fachtagung des Verfassungsschutzes. Das 17. Symposium des Thüringer Verfassungsschutzes am 9. September stand unter dem Titel "Digitale Wirtschaftsspionage - Thüringens Wirtschaft im Fokus fremder Staaten". Es wurde in Zusammenarbeit mit der IHK Erfurt ausgerichtet. Die Veranstaltung 19 brachte Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammen, die in praxisnahen Vorträgen aktuelle Themenund Handlungsbereiche im Spannungsfeld "Sicherheit" aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten. Darüber hinaus diskutierten die mehr als 100 Gäste die bestehende Gefährdungslage und die daraus resultierenden Herausforderungen und Chancen für Unternehmen. Darüber hinaus haben die Verfassungsschutzbehörden der ostdeutschen Flächenländer und Berlins am Verfassungstag, dem 23. Mai, in Schwerin ihr diesjähriges gemeinsames Symposium zu einem hochaktuellen Thema durchgeführt. Das Jahr 2019 erinnerte an bedeutende Daten deutscher Geschichte: 100 Jahre Weimarer Republik, 70 Jahre Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und 30 Jahre "Mauerfall". Im Rahmen des Symposiums wurde ausgehend von der zugrundeliegenden Konzeption des Grundgesetzes der Frage nachgegangen, ob und inwieweit dieser Anspruch heute gelebt wird und welche Gefährdungen für das demokratische Gemeinwesen heute und in Zukunft bestehen. Wanderausstellung Die Wanderausstellung des Thüringer Verfassungsschutzes "Feinde der Demokratie", richtet sich an alle interessierten Bürger. Diese Ausstellung soll einen ersten Überblick über die Gefahren des politischen Extremismus vermitteln, sie soll sensibilisieren und damit zu weiteren Aufklärungsmaßnahmen, z. B. zu Diskussionen anregen. Diese Ausstellung beschäftigt sich vorrangig mit dem Rechtsextremismus. Sie wurde bereits 2018 um die Module "Linksextremismus" und "Islamismus" erweitert. Teile der Ausstellung wurden z. B. bei Veranstaltungen der Bundeswehr in Gotha oder bei Kommunen gezeigt. Die Exposition ist von ihrer Stellfläche her so gehalten, dass sie auch auf engstem Raum gezeigt werden kann. Sie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Ausstellung kann von allen interessierten Institutionen und Organisationen in Thüringen kostenfrei - je nach zeitlicher Verfügbarkeit - angefordert werden. 20 Fazit Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland geht von dem Kerngedanken einer streitbaren, wehrhaften Demokratie aus. Es sieht vor, Angriffen von Extremisten auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv zu begegnen. So können z. B. Parteien vom Bundesverfassungsgericht verboten oder von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden (Artikel 21 Absatz 2 bis 4 GG). Auch Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, können verboten werden (Artikel 9 Absatz 2 GG). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Staat entsprechende Bestrebungen oder Aktivitäten - sie werden als extremistisch oder verfassungsfeindlich bezeichnet - rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als "Frühwarnsystem" zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Dazu gehört auch die gesetzliche Pflicht der Information und Aufklärung der Öffentlichkeit. Der Thüringer Verfassungsschutz sieht in der Bekämpfung von Extremismus, Rassismus und jeder Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit eine Daueraufgabe auf allen gesellschaftlichen Ebenen. Dazu können Informationen, Aufklärung und Transparenz einen wichtigen präventiven Beitrag leisten. 21 II. Rechtsextremismus 1. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen Der Rechtsextremismus stellt nach wie vor den Bearbeitungsschwerpunkt des AfV dar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die signifikante Gewaltneigung bzw. Gewaltorientierung eines erheblichen Personenpotenzials (280), die sich im Freistaat durch eine hohe Anzahl rechtsmotivierter Strafund Gewalttaten offenbart. Insgesamt konnte das AfV eine erhebliche Radikalisierung der Szene - vor allem über das Internet - und die weitere Verfestigung einer digitalen Subkultur beobachten. Damit einhergehend ist eine immer weiter sinkende Hemmschwelle zur Gewaltanwendung zu konstatieren. Im Lichte dieser Entwicklungen sind auch erhebliche Gewaltstraftaten außerhalb Thüringens zu betrachten. So wurde in der Nacht vom 1./2. Juni der Präsident des Regierungspräsidiums Kassel, Dr. Walter Lübcke, auf seinem Wohngrundstück in Wolfhagen (Hessen) aus nächster Nähe erschossen. Ein tatauslösendes Motiv soll eine Äußerung des späteren Opfers auf einer öffentlichen Informationsveranstaltung in Lohfelden (Hessen) vom 14. Oktober 2015 zum Thema Flüchtlinge gewesen sein. Dr. Lübcke hatte sich zu der humanitären Verpflichtung, Schutzsuchenden zu helfen, bekannt und in Reaktion auf wiederholte, migrantenfeindliche Zwischenrufe geäußert "Wer diese Werte nicht vertritt, kann dieses Land jederzeit verlassen". In der Folge erhielt er bedrohende oder beleidigende Zuschriften. Am 9. Oktober erschoss ein noch am gleichen Tag festgenommener Tatverdächtiger in Halle a. d. Saale vor einer Synagoge und in einem Döner-Imbiss zwei zufällig anwesende Personen und verletzte während seiner Flucht mehrere Personen. Der Tatverdächtige hatte zunächst erfolglos versucht, mithilfe von Waffen und Sprengmitteln in eine Synagoge einzudringen. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft plante der Tatverdächtige aus seiner rechtsextremistischen und antisemitischen Gesinnung heraus am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur einen Mordanschlag auf Mitbürger jüdischen Glaubens. Der Tatverdächtige filmte das Tatgeschehen und stellte die Aufnahmen als Live-Stream ins Internet. Dies macht deutlich, dass das Internet und die dort zu erwartende Resonanz auf die Tat in seiner Gedankenwelt eine zentrale Rolle spielten. In den Aufnahmen inszenierte sich der Tatverdächtige wie ein Computerspieler in der realen Welt. So setzte er sich "Ziele" - z. B. Anschlag auf eine Synagoge in Halle, die Tötung von Juden - die er dann im Rahmen der Tatausführung zu erreichen versuchte. 22 Die avisierten Opfer, die Tatausführung wie auch das vom Tatverdächtigen erstellte Manifest im Zusammenhang mit der Tat, weisen deutliche Bezüge zum Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland) am 15. März auf. Hier drang der Täter, ebenfalls zum Zeitpunkt religiöser Feierlichkeiten, in zwei Moscheen ein, um dort mittels Schusswaffengebrauch insgesamt 51 Menschen zu töten. Sowohl der Täter von Halle als auch jener von Christchurch übertrugen ihr Vorgehen live ins Internet und verfassten vor der Tatbegehung Textdokumente, die im Kontext des jeweils geplanten Verbrechens stehen. Beide Täter handelten aus antisemitischen und rassistischen Motiven. Thüringen Bund 2017 2018 2019 2018 2019 NPD 170 170 120 4.000 3.600 DIE RECHTE 30 - - 600 550 Der III. Weg 25 30 50 530 580 parteiunabhängiges 180 200 250 6.600 6.600 bzw. parteiungebundenes Spektrum weitgehend unstruk500 550 550 13.240 13.500 turierte Rechtsextremisten davon gewaltorien250 250 280 12.700 13.000 tierte Rechtsextremisten Tabelle 1: Geschätztes rechtsextremistisches Mitgliederund Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Thüringen belief sich im Berichtszeitraum auf insgesamt 920 5 Personen. Dies entspricht einem Zuwachs von 20 Personen im Vergleich zum Vorjahr (2018: 900). In Thüringen wurden insgesamt 170 Mitglieder und Sympathisanten rechtsextremistischer Parteien und parteinaher Gruppen erfasst (2018: 200). Während sich das Personenpotenzial der NPD auf 120 Personen deutlich reduzierte (2018: 170), stieg das Personenpotenzial der Partei 5 Summe aller Einzelpotenziale (Zeilen 1 bis 5 der obigen Tabelle) nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften. 23 "Der III. Weg" im Vergleich zum Vorjahr auf nunmehr 50 Personen an (2018: 30). Damit verbunden war bei der Partei "Der III. Weg" eine deutliche Verfestigung der Strukturen und Steigerung der Aktivitäten, vor allem in Erfurt. Der Anteil von Parteimitgliedern am gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzial lag im Berichtszeitraum bei 18 Prozent (2018: 22 Prozent). Die Zugewinne von der Partei "Der III: Weg" (+20) blieben hinter den deutlichen Einbußen der NPD zurück (-50), was eine insgesamt schwindende Parteienpräferenz im rechtsextremistischen Lager verdeutlicht. Es gestaltet sich für rechtsextremistische Parteien zunehmend schwieriger, Anhänger oder Sympathisanten zu gewinnen und an sich zu binden. Hinzukommt, dass sich ein Großteil der Rechtsextremisten moderneren und dezentral organisierten Aktionsformen (z. B. via Sozialer Medien) zuwendet. Diese Entwicklung spiegelt sich in den deutlich gestiegenen Zahlen im Bereich der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wieder. Diese Kategorie umfasst ca. 250 (2018: 200) Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. Dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation zugerechnet werden können, z. B. rechtsextremistische Strafund Gewalttäter, rechtsextremistische Internetaktivisten oder auch subkulturelle Rechtsextremisten 6. Dieses mit Abstand größte Teilspektrum zählt in Thüringen etwa 550 Personen (2018: 500). Dabei geht insbesondere das im Internet aktive unstrukturierte Personenpotenzial weit über das bekannte parteiund organisationsgebundene rechtsextremistische Spektrum hinaus und ist zahlenmäßigen Schwankungen unterworfen. Das Internet wird von rechtsextremistischen Einzelpersonen dazu genutzt, manipulative und extremistische Inhalte zu verbreiten. Sie wollen ein Klima von Misstrauen und Hass insbesondere gegenüber Flüchtlingen und Andersdenkenden, aber auch gegenüber etablierten Medien, staatlichen Einrichtungen und demokratischen Prozessen schaffen. Soziale Medien bieten diesen Einzelpersonen niedrigschwellige Möglichkeiten, in virtuellen Räumen verfassungsfeindliche Propaganda zu betreiben, sich zu 6 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten verfügen meist nicht über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, sondern werden von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst und geprägt. Aktivitäten mit Erlebnischarakter stehen für sie im Vordergrund, etwa der Besuch entsprechender Musikveranstaltungen oder die Teilnahme an Demonstrationen. Der mangelnde Wille zu politisch zielgerichteten Aktivitäten und zur Einbindung in feste organisatorische Strukturen sowie der fehlende ideologische Überbau sind charakteristische Merkmale der subkulturell geprägten Rechtsextremisten. 24 vernetzen und Aktionen zu planen, die im äußersten Fall zur Begehung von schweren Straftaten in der Realwelt, wie Angriffe gegen Kommunalpolitiker, führen können. 2. Rechtsextremistische Parteien 2.1 NPD Landesverband Thüringen Im Berichtszeitraum zeigte der NPD Landesverband Thüringen kaum Aktivitäten. Wie schon in den Vorjahren war die Partei nur in wenigen Regionen aktiv. Dazu zählten insbesondere der Wartburgkreis und der Kyffhäuserkreis. Patrick Weber aus Sondershausen stand dem Landesverband vor. Thorsten Heise vertritt den Thüringer Landesverband auf Bundesebene. Er gehört dem NPD Bundesvorstand als stellvertretender Parteivorsitzender an. Trotz der Teilnahme an drei Wahlen im Berichtszeitraum verharrte das Aktivitätsniveau der NPD in Thüringen auf einem niedrigen Niveau. Nur regional führte der Wahlkampf zu verstärkten Bemühungen, was sich lokal in überdurchschnittlichen Wahlergebnissen niederschlug. Schwerpunkt bildete hierbei Eisenach. Das dortige "Flieder Volkshaus", in dem sich auch die Landesgeschäftsstelle der Thüringer NPD befindet, entwickelte sich in den vergangenen Jahren zu einem rechtsextremistischen Zentrum. Hier fanden Parteiaktivitäten, rechtsextremistische Musik-, Vortragsund Kampfsportveranstaltungen sowie subkulturelle Treffen statt. Veranstaltungen, wie Tage der offenen Tür, Discoabende, Familienund Straßenfeste kam eine sog. Türöffnerfunktion gegenüber dem bürgerlichen Spektrum zu. Bereits seit 2018 ist das Objekt Teil der bundesweiten "Schutzzonenkampagne" der NPD, die Räume zum "Schutz vor Gewalt, Bedrohung und Verfolgung" bieten will. Die NPD versuchte hiermit, bestehende Ängste in der Bevölkerung vor gestiegener Kriminalität durch Zuwanderer aufzugreifen. Angeblich seien "Übergriffe von Menschen aus aller Herren Länder auf deutsche Bürger" ein Massenphänomen geworden. Eine weitere Schutzzone propagierte die NPD im Mai in Sondershausen unmittelbar vor der Kommunalwahl. In der Stadt käme "es immer wieder, vor allem durch Asylbewerber, zu Übergriffen, Belästigungen, Sachbeschädigungen oder Diebstahl", hieß es. 25 Teilnahme der NPD an den Europaund Kommunalwahlen am 26. Mai Die NPD trat - anders als 2014 - nur in einigen Kommunen zur Wahl an. Dabei erlangte sie 26 Mandate (2014: 60 7), davon zehn Sitze in Kreistagen bzw. Stadträten kreisfreier Städte, 14 Sitze in Gemeindebzw. Stadträten sowie zwei Sitze in Ortsteilräten. Insgesamt erfuhr die NPD deutliche Verluste und büßte den Großteil der 2014 erlangten Kommunalmandate ein. Entgegen diesem allgemeinen Trend gelangen der NPD in einigen Regionen auch Erfolge. In Eisenach erhielt sie bei einem Stimmenanteil von 10,2 Prozent ein zusätzliches Stadtratsmandat und erhöhte die Zahl ihrer Sitze damit auf vier. Weitere Schwerpunkte der NPD neben Eisenach und dem Wartburgkreis waren der Kyffhäuserkreis sowie die Landkreise Sömmerda und Eichsfeld. Die Partei hatte dort Erfolg, wo sie mit lokal bekannten Personen antrat. Bei der gleichzeitig stattfindenden Europawahl erreichte die NPD in Thüringen mit 10.003 Stimmen einen Anteil von einem Prozent (2014: 3,4 Prozent). Obgleich dieser Wert deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 0,3 Prozent lag, büßte die Partei gegenüber der Europawahl 2014 in Thüringen erheblich an Zuspruch ein. Ihren höchsten Wert erzielte sie hier wiederum in Eisenach (4,6 Prozent). Die NPD hatte ihre Liste für die Europawahl am 5. Mai in Büdingen gewählt. Dabei war mit Antje Vogt eine Aktivistin aus Thüringen auf Platz 8 aufgestellt worden. Ihren Europawahlkampf gestaltete die NPD in Thüringen wenig ambitioniert. Als Wahlkampfabschluss diente der jährlich ausgerichtete "Eichsfeldtag" unter dem Motto "Udo Voigt für Deutschland und Europa - Die NPD erneut ins Europaparlament" am 18. Mai in Leinefelde. Mit ca. 130 Besuchern (2018: 170) erreichte das Format einen vorläufigen Tiefpunkt. Ein erneutes Mandat im Europaparlament errang die NPD bei der Wahl nicht. Teilnahme der NPD an der Landtagswahl am 27. Oktober Mit einem Ergebnis von 6.044 Stimmen und damit 0,5 Prozent (2014: 3,1 Prozent) blieb die NPD bei der Landtagswahl bedeutungslos. Auch gegenüber der Europawahl im Mai verlor sie deutlich an Zustimmung. Analog zu den Wahlen im Frühjahr war die NPD in den Regionen Eisenach, Wartburgkreis, Kyffhäuserkreis und im Landkreis Eichsfeld in Relation zu dem schlechten Gesamtergebnis relativ erfolgreich. Ihren höchsten Wert erlangte sie mit 2,5 Prozent im Wahlkreis Wartburgkreis II/Eisenach. 7 Durch Amtsniederlegung und Parteiwechsel reduzierte sich die Zahl der Mandate im Verlauf der Legislatur auf 58, davon entfielen 32 auf Kreistage bzw. Stadträte kreisfreier Städte, 22 auf Gemeindeund Stadträte sowie vier Ortsteilräte. 26 Die NPD hatte ihre Landesliste für die Wahl frühzeitig auf dem Landesparteitag am 24. November 2018 in Eisenach beschlossen. Als Spitzenkandidatin fungierte Antje Vogt, gefolgt von Patrick Weber und Thorsten Heise. Der Wahlkampf der NPD gestaltete sich im Vergleich zu vergangenen Landtagswahlen ambitionslos. Die Partei mobilisierte im Internet und führte einige Informationsstände, u. a. in Erfurt, Eisenach und Sondershausen durch. Inhaltlich beschränkte sich der Landesverband weitgehend auf migrationsfeindliche Themen. So ging ein Wahlwerbespot mit Vogt ausschließlich auf angebliche Gefahren durch den Bau einer Moschee in Erfurt und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Migranten ein. Plakate enthielten Slogans wie "Migration tötet" und "Stoppt die Invasion". Im Berichtszeitraum verlor die NPD Thüringen weiter an Bedeutung. Der Landesverband führte keine größeren Veranstaltungen durch. Selbst während der Wahlkämpfe war die Partei in weiten Teilen des Freistaates öffentlich kaum wahrnehmbar. Gleichwohl ist sie in einzelnen Regionen weiter präsent, was auf das lokale Wirken einzelner Personen zurückzuführen ist. Dies trifft insbesondere auf Eisenach zu. Hier ist es der NPD unter dem maßgeblichen Einfluss von Patrick Wieschke gelungen, dauerhaft ein Wählerpotenzial zu sichern. In der Folge spitzten sich dort politische Auseinandersetzungen zu. Am 18. September wurde ein Farbbeutelanschlag auf das "Flieder Volkshaus" verübt. Wenig später, am 19. Oktober, wurde die Szenekneipe "Bulls Eye" Ziel eines Angriffs und am 14. Dezember kam es zu einem Überfall auf dessen Betreiber. Wieschke organisierte daraufhin am 19. Dezember eine Kundgebung unter dem Motto "Stoppt die Gewalt!" in Eisenach. 2.2 "Der III. Weg" in Thüringen Die Partei "Der III. Weg" ist in Thüringen durch die "Stützpunkte Ostthüringen" und "Thüringer Wald/Ost" vertreten. Beide Stützpunkte gehören dem "Gebietsverband Mitte" der Partei an. Vor allem im ersten Halbjahr lag der Schwerpunkt der Aktivitäten in Erfurt. "Der III. Weg" versuchte sich in der Landeshauptstadt zu etablieren und führte einen sehr aufwendigen Kommunalwahlkampf. Der hier agierende Personenkreis dürfte dem "Stützpunkt Ostthüringen" zuzurechnen gewesen sein. Eine klare organisatorische Zuordnung mag vor dem Hintergrund, gegebenenfalls einen eigenen Stützpunkt zu etablieren, vermieden worden sein. Aktivitäten der Partei fanden zudem u. a. in Gera, dem Saale-Orla-Kreis, den Landkreisen Greiz und Gotha sowie in Hildburghausen statt. Meist handelte es sich dabei um Flugblattverteilungen, von denen die Partei im Internet berichtete. Die Thüringer Untergliederungen nahmen an überregionalen Kampagnen der Partei mit eigenen Aktionen teil. Wie schon in den 27 Vorjahren fanden in diesem Rahmen z. B. Aktionen gegen "Homopropaganda" statt, so etwa eine Kundgebung gegen den "Christopher Street Day" am 24. August in Erfurt. Anfang Oktober führte "Der III. Weg" eine Aktion unter dem Motto "Unser Europa ist nicht Eure Union!" durch, die sich gegen Symbole der Europäischen Union richtete. Der "Stützpunkt Ostthüringen" verbrannte dabei eine EU-Fahne und veröffentlichte ein Video im Internet. "Deutsche Winterhilfe" lautete eine Ende des Jahres betriebene Kampagne der Partei. Sie war sprachlich an das nationalsozialistische "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes" angelehnt und ausschließlich auf bedürftige Deutsche ausgerichtet. Entsprechend stand die am 21. Dezember in Erfurt nahe der örtlichen Tafel durchgeführte Kundgebung unter dem Motto "Vom Ich zum Wir! - Erst unser Volk, dann all die anderen - Erst unsere Heimat und dann die Welt!" Zudem wurden Flugblätter in Gera, Hildburghausen und dem Landkreis Gotha verteilt. Teilnahme von "Der III. Weg" an den Europaund Kommunalwahlen am 26. Mai "Der III. Weg" trat ausschließlich in Erfurt zur Kommunalwahl in Thüringen an. Die Partei führte hier einen sehr regen Wahlkampf mit zahlreichen Kundgebungen, Informationsständen sowie Plakatierungen durch. Damit erreichte sie auch die für die Zulassung zur Wahl erforderlichen mindestens 200 Unterstützungsunterschriften. Durch den Parteieintritt von Enrico Biczysko verfügte "Der III. Weg" seit Mitte 2018 über ein Mandat im Stadtrat Erfurt. 8 Trotz des intensiven Wahlkampfes erhielt die Partei lediglich 1.635 Stimmen, was einem Anteil von 0,6 Prozent der Stimmen entsprach. Das Ziel, weiterhin im Stadtrat Erfurt vertreten zu sein, wurde verfehlt. Der Versuch, mit einer Kandidatin die Position des Ortsteilbürgermeisters in Erfurt-Herrenberg zu besetzen, scheiterte ebenfalls. Sie erreichte 37,3 Prozent der Stimmen. Die Partei verfügt in den Ortsteilräten Erfurt-Herrenberg und Erfurt-Melchendorf - hier zog Biczysko als Nachrücker ein - über jeweils ein Mandat. Bei der Europawahl blieb "Der III. Weg" chancenlos. Mit 1.153 Stimmen erhielt die Partei in Thüringen 0,1 Prozent der abgegebenen Stimmen. Bundesweit blieben die Stimmen für die Partei wegen Geringfügigkeit unberücksichtigt. An der Landtagswahl am 27. Oktober nahm die Partei nicht teil. Die Partei "Der III. Weg" betrieb in der Stielerstraße in Erfurt ein "nationalrevolutionäres Zentrum". Ihre Arbeitsgruppe "Körper & Geist" bot dort u. a. Kampfsporttrainings. an. Des Weiteren 8 Biczysko hatte es 2014 für die NPD erworben, war danach zunächst zur Partei "Die Rechte" und später zu "Der III. Weg" gewechselt. Das Mandat behielt er ungeachtet seiner jeweiligen Parteizugehörigkeit. 28 fanden Veranstaltungen von "Der III. Weg" statt. Seit dem 6. Juli war die Nutzung der Immobilie für öffentliche Veranstaltungen allerdings behördlich untersagt. Dies wirkte sich unmittelbar auf die am gleichen Tag geplante Gemeinschaftsveranstaltung "Jugend im Sturm" aus, die u. a. Kampfsportund Musikvorführungen umfassen sollte. "Der III. Weg" führte daraufhin eine spontane Demonstration unter dem Motto "Gegen polizeiliche Repression" durch. Auch ein geplanter Liederabend mit dem Szenemusiker "Lunikoff" am 26. August wurde verboten. "Der III. Weg" reagierte mit einer spontanen Protestveranstaltung unter dem Motto "Gegen Behördenund Polizeiwillkür - wir lassen uns nicht kriminalisieren". Ein Herbstfest der Partei fand am 21. September vor dem Objekt statt. Während des Kommunalwahlkampfes kam es am 24. Mai zu Sachbeschädigungen am Gebäude. Zudem wurde ein vor dem Gebäude geparktes Fahrzeug in Brand gesetzt. Am 17. November gab es einen Einbruch und Sachbeschädigungen an der Immobilie. Die Partei richtete am 28. September ihren Gesamtparteitag in Kirchheim aus. Im Rahmen der Vorstandswahl wurden der bisherige Parteivorsitzende Klaus Armstroff und sein Stellvertreter in ihren Funktionen bestätigt. Im Anschluss fand ein Rahmenprogramm mit Kampfsportvorführungen, Redebeiträgen und Auftritten von "Studio Drei" und "Makss Damage" statt. "Der III. Weg" war gegenüber der vormals dominierenden NPD die deutlich aktivere rechtsextremistische Partei. Aktivitäten der Thüringer Strukturen gingen in Kampagnen der Gesamtpartei auf. Auch die ideologische Ausrichtung von "Der III. Weg" fand in ihnen Niederschlag. Dies betraf u. a. die auf eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft ausgerichtete Bevölkerungspolitik. So bezog sich das Wahlprogramm zur Kommunalwahl in Erfurt ausschließlich auf die Bevorzugung von "Deutschen". Migranten bezeichnete die Partei darin als "Artund Kulturfremde", die sie u. a. bei Sozialleistungen benachteiligen wollte. Auch die durch die Partei vertretene Abwehrpolitik gegen Homosexuelle wurde wie schon in den Vorjahren auch in Thüringen praktiziert. Homosexualität und abweichende Geschlechterverständnisse gelten in der Partei als krankhaft und ungesund sowie als Verstoß gegen angebliche Naturgesetze. Personell waren die Thüringer Untergliederungen weiterhin nicht in übergeordneten Parteiebenen, wie dem Parteivorstand und dem Gebietsvorstand "Mitte", eingebunden. Der Einfluss von Thüringer Aktivisten auf die Politik der Gesamtpartei war offenbar gering. 3. Parteiunabhängiges bzw. parteiungebundenes Spektrum 3.1 Überregionale Personenzusammenschlüsse mit Bezug nach Thüringen 29 3.1.1 "Blood & Honour" "Blood & Honour" (B&H) entstand in den 1980er Jahren in England. Gegründet wurde die rechtsextremistische Gruppierung von Ian Stuart Donaldson, dem Sänger der rechtsextremen Band "Skrewdriver". Die Gruppierung B&H ist in Deutschland seit dem Jahr 2000 verboten. Dennoch stellt sie immer noch einen Anknüpfungsund Identifikationspunkt für Rechtsextremisten, vor allem der subkulturellen Szene dar. In den Nachbarländern Deutschlands ist B&H nicht verboten. Das Netzwerk existiert daher nach wie vor. Das Logo von B&H ist in den Farben schwarzweiß-rot gehalten. Neben dem Schriftzug bildet es eine Triskele ab. In rechtsextremistischen Kreisen wird die Triskele oft als "dreiarmiges Hakenkreuz" gedeutet. Trotz des Verbots betätigten sich immer wieder kleinere Gruppierungen unter dem Label B&H. Sie agieren meist äußerst konspirativ, um sich dem staatlichen Verfolgungsdruck zu entziehen. In Thüringen gab es in den Jahren 2016 und 2018 Ermittlungen gegen Rechtsextremisten wegen des Vorwurfs der Gründung einer Ersatzorganisation für die verbotene Gruppierung bzw. wegen des Verdachts der Fortführung einer verbotenen Vereinigung gemäß SS 85 Strafgesetzbuch. 3.1.2 "Combat 18" (C18) "Combat 18" (C18) ist ein rechtsextremistisches Netzwerk, welches europaweit agiert. Die Gründung fand bereits im Jahr 1992 als sog. bewaffneter Arm des Netzwerkes B&H in Großbritannien statt. Die Kombination "C18" bedeutet "Kampfgruppe Adolf Hitler". Das Logo der Gruppierung "Combat 18 Deutschland" 9 ist in schwarz-weiß-rot gehalten und bildet neben den Schriftzügen "C18" und "Deutschland" einen Drachen ab. Die Mitgliedschaft in der Gruppierung "C18" unterliegt strengen Regeln. So gibt es u. a. eine Anwärterzeit, während der sich die neuen Mitglieder etablieren müssen. Darüber hinaus existiert eine "Bruderpflicht", wonach sich die Mitglieder nicht gegenseitig schaden dürfen. Zudem 9 "Combat 18 Deutschland" wurde am 23. Januar 2020 durch den Bundesinnenminister verboten. 30 ist die Weitergabe von Interna an Nicht-Mitglieder untersagt. Ein Verstoß gegen die auferlegten Regeln führt zum Ausschluss aus der Gruppierung. Die Mitglieder der Gruppierung sind sowohl bundesweit als auch international sehr gut vernetzt. Sie besuchen regelmäßig rechtsextremistische Veranstaltungen im Inund Ausland zur Kontaktpflege. Auch in Thüringen gibt es Mitglieder der Gruppierung "Combat 18 Deutschland", darunter die 2018 nach Thüringen verzogene Führungsfigur Stanley Röske. 3.1.3 "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) Die 1951 gegründete germanisch-heidnische "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) hat ihren Sitz in Berlin. Ihrem Selbstverständnis nach sieht sich die AG - GGG als "größte heidnische Gemeinschaft Deutschlands". Bundesweit lassen sich der AG - GGG ca. 100 bis 150 Mitglieder zurechnen, darunter nur vereinzelt Personen aus Thüringen. Hinsichtlich ihrer Programmatik fordert die AG - GGG in ihrem "Artbekenntnis" und dem "Sittengesetz unserer Art", sich für die "Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art" einzusetzen, "dem besseren Führer" Gefolgschaft zu leisten und eine "gleichgeartete Gattenwahl (als) Gewähr für gleichgeartete Kinder" anzustreben. Zu diesem Zweck ist man bestrebt, nur "Artverwandte nordischen Menschentums" zu gewinnen. Die "reine Weitergabe unseres Erbes" wird als das höchste Gut angesehen. Zu den von der AG - GGG in durchgeführten Veranstaltungen in Harztor, OT Ilfeld zählten: 22.-24. März Frühlingsfest 21.-23. Juni Gemeinschaftstage zur Sonnenwendfeier 20.-22. September Herbstfest 8.-10. November Gemeinschaftswochenende 6.-8. Dezember Julfest. Die in geschlossenen Veranstaltungen abgehaltenen Zusammenkünfte kommen dem äußeren Anschein nach Volksfesten oder geselligen Familienveranstaltungen gleich. Unter Vorgabe germanischer Brauchtumspflege wird eine "Lagerfeuerromantik" inszeniert, die das Interesse 31 insbesondere junger Teilnehmer an dem offen rechtsextremistischen Regelwerk der "Artgemeinschaft" wecken soll. Hierbei verbindet sie germanisch-heidnische Glaubensansätze mit rassistischem, antichristlichem, antisemitischem und revisionistischem Gedankengut. Unterstützt wird die Verbreitung des rechtsextremistischen Gedankenguts durch die vierteljährliche Herausgabe der "Nordischen Zeitung". Weiterhin erscheinen regelmäßig die "Schriftenreihe der Artgemeinschaft" sowie "Werden und Wesen der Artreligion". Auf der Homepage werden der Anhängerschaft und Interessierten Informationen zu Verfügung gestellt. Der Buchdienst der AG - GGG veröffentlicht und versendet vor allem als Standardwerke angesehene ältere Bücher und Schriften zu heidnischen Themen und religiösem Brauchtum auf rassistischer Grundlage. Für sog. Heidenkinder können Adventskalender, Malbücher und ein Stundenplan mit einschlägigen Motiven bestellt werden. Mit dem Buch "Zwerg Hüting zeigt Heiner den Weg - Eine Einführung in das nordisch-germanische Weltbild für artgläubige Kinder" soll das Kind laut Beschreibung alles "Fremde" als "böse" kennenlernen. Die AG - GGG bietet Rechtsextremisten mit Veranstaltungen wie Sonnenwendfeiern, einem eigenen Glaubensbekenntnis und traditionellem Brauchtum einen theoretischen und kulturellen Rahmen. Dieser soll Familien und Kinder an rassistische Überzeugungen heranführen und zu einer dauerhaften Bindung an die Organisation führen. Die AG - GGG vollzieht dementsprechend nach außen eine Strategie der Abschottung, um ihre offen rechtsextremistische Ausrichtung zu verschleiern. Den Mitgliedern - zum Teil ehemalige Anhänger verbotener Organisationen - wird auf diese Weise ein gesicherter Rückzugsraum geboten. Dieser Rückzugsraum wird durch Ideale wie die "eigene Art" und "Rasse" geprägt. Die Artgemeinschaft versucht stetig, ihre Bedeutung zu festigen und auszubauen. Es bestehen gleichwohl ausgewählte, d. h. strategische Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen. Ein wesentliches Ziel der AG - GGG ist es weiterhin, im intellektuellen und kulturellen Bereich des Rechtsextremismus eine herausgehobene Stellung zu besetzen. Die Anerkennung des Führertums, die Forderung nach Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft, wie auch die Verpflichtung zur Reinheit der Rasse bzw. Art stehen den Wertprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten entgegen. 3.1.4 "Verein Gedächtnisstätte e. V." (Guthmannshausen) Der Verein "Gedächtnisstätte e. V." wurde 1992 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet; seinen Sitz hat er zwischenzeitlich nach Guthmannshausen verlegt. Unter dem Deckmantel des Gedenkens der deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs agitiert der Verein gegen den 32 demokratischen Verfassungsstaat und versucht, mit geschichtsrevisionistischem Gedankengut Anschluss an weitere Kreise der Gesellschaft zu erlangen. Der Verein unterhielt seit seiner Gründung vielfältige Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen (z. B. "Gesellschaft für freie Publizistik" - GfP) und Parteien (z. B. NPD) sowie in die neonazistische Szene (Kameradschaften). Seit 2011 verfügt der Verein über eine Immobilie in Guthmannshausen, die als "Kulturund Tagungsstätte" genutzt wird. 10 Veranstaltungen im Vereinssitz Guthmannshausen: 16./17. Februar Vortragwochenende 23./24. März Vortragswochenende 13. April Vortragsveranstaltung 27./28. April Vortragswochenende 19. Mai Vortrag 18./19. Mai "Drei-Generationen-Wochenende" 22./23. Juni Vortragsveranstaltung 3./4. August 5. Sommerfest des Vereins 21./22. September Vortragswochenende 12. Oktober Zeitzeugenvortrag 19./20. Oktober Vortragswochenende 14./15. November Arbeitseinsatz 16./17. November Vortragswochenende 21./22. Dezember "Drei-Generationen-Wochenende" Auf dem weitläufigen Grundstück in Guthmannshausen befindet sich eine sog. Kulturund Tagungsstätte, die bis zu 180 Zuhörern und ca. 30 Übernachtungsgästen Platz bietet. Diese Räumlichkeiten werden nicht nur für die im Programm angekündigten Vortragsveranstaltungen genutzt, sondern verschiedenen rechtsextremistischen Gruppierungen zur Verfügung gestellt. 10 Im Jahr 2011 erwarb eine als Privatperson auftretende Käuferin die zuvor in Landesbesitz befindliche Immobilie in Guthmannshausen. Später wurde bekannt, dass die neue Eigentümerin seit dem Jahr 2010 dem Verein "Gedächtnisstätte e.V." angehören soll. Die vom Freistaat Thüringen daraufhin wegen arglistiger Täuschung angestrengte Anfechtungsklage wies das Landgericht Erfurt mit Urteil vom 26. April 2013 als unbegründet zurück. 33 Intention des Vereins ist eine verdeckte Einflussnahme auf das politische Klima zur Erlangung der Diskurshoheit. So wurden u. a. "Seminare für rechte Metapolitik" durchführt. "Metapolitik" ist hierbei in Abgrenzung zu "Politik" (Parteien, Wahlen) als eine Ergänzung im vorpolitischen Raum um Kultur, Ideen, Sprache und Emotionen zu verstehen. Über vermeintlich neutral klingende Vortragsthemen werden fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Inhalte transportiert. Die deutschen Opfer des Nationalsozialismus werden zur Relativierung der Kriegsverbrechen instrumentalisiert. Die Referenten verfügen hierbei zumeist über einen akademischen Hintergrund und streben ein "wissenschaftliches" Niveau bei der Wissensvermittlung an. Bei den Vortragenden handelte es sich überwiegend um exponierte Protagonisten des rechtsextremistischen Spektrums, z. B. Roland Wuttke (Schriftleiter "Volk in Bewegung - Der Reichsbote") oder einen bundesweit aktiven Vertreter der "neuen Rechten". Der "Verein Gedächtnisstätte e. V." bietet Rechtsextremisten verschiedener Strömungen eine etablierte Plattform zum intellektuellen Diskurs. Der mittlerweile etwas offenere Umgang mit rechtsextremistischen Positionen und Protagonisten geht mutmaßlich darauf zurück, dass insbesondere der Vereinsvorsitzende Klaus-Wolfram Schiedewitz einen Umschwung des gesamtgesellschaftlichen Meinungsklimas wahrgenommen zu haben glaubt, der eine radikalere Diktion und Ausrichtung zu erlauben scheint, ohne Unterstützer außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums zu verlieren. Darüber hinaus erfüllt der Verein eine organisationsübergreifende Vernetzungsfunktion innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Ein verbindendes Kollektivbewusstsein wird als Voraussetzung für eine "nationale Gegenbewegung" angesehen. Durch geistige Veränderung im vorparlamentarischen Raum soll eine kulturelle Hegemonie erreicht werden. Langfristig sollen auf diese Weise institutionelle Veränderungen herbeigeführt werden. 34 3.2 Thüringer Personenzusammenschlüsse 3.2.1 "Bruderschaft Thüringen" (Turonen, Garde 20) Seit dem Jahr 2014 ist die rechtsextremistische Gruppierung "Bruderschaft Thüringen" dem Amt für Verfassungsschutz bekannt. Die "Bruderschaft Thüringen" besteht aus den Gruppen "Turonen" und "Garde 20", wobei das hierarchische Verhältnis beider Gruppen aus den Bezeichnungen hervorgeht. Der Gruppenname "Garde 20" bezieht sich auf das "T" als 20. Buchstaben des Alphabets, und kennzeichnet deren Mitglieder als sog. Supporter (Unterstützer) der "Turonen". Der "Bruderschaft Thüringen" werden aktuell bis zu 30 Personen zugeordnet. Hauptprotagonisten der Gruppierung sind die langjährigen Rechtsextremisten Steffen Richter und Thomas Wagner. Die Gruppen pflegen u. a. durch das Tragen von Lederkutten einen Rocker-Habitus, ohne jedoch dort angebunden zu sein. Unter anderem sind auf den Kutten ein Pfeilkreuz sowie eine Raute mit der Zahl 20 abgebildet. Die 20 repräsentiert wiederum das Wort "Turonen". Bei dem Pfeilkreuz handelt es sich um das Symbol der ungarischen Faschisten (1935-1945). Der "Bruderschaft Thüringen" gehören Rechtsextremisten aus verschiedenen Teilen Thüringens an. Sie unterhalten bundesweit Kontakte in die rechtsextremistische Szene. Als Treffort dient ihnen u. a. das sog. Gelbe Haus in Ballstädt, welches auch als Wohnobjekt genutzt wird. Einige Mitglieder der "Bruderschaft" sind in rechtsextremistischen Bandprojekten engagiert. In der Vergangenheit organisierte die "Bruderschaft" schwerpunktmäßig rechtsextremistische Konzerte mit mehreren Tausend Teilnehmern. 11 Im Berichtszeitraum blieben vergleichbare Großveranstaltungen aus. Hintergrund dürften Widrigkeiten um die Veranstaltungsreihe "Rock gegen Überfremdung" im Jahr 2018 sein. Aufgrund behördlicher Maßnahmen konnte Veranstaltung nicht wie geplant stattfinden. 12 Die Ersatzvariante fand einen nur geringen Teilnehmerzuspruch. Dieser Umstand führte zu einem Imageverlust der "Bruderschaft Thüringen" in 11 2016: "Rocktoberfest", Unterwasser (Schweiz), ca. 5.000 Teilnehmer; 2017: "Rock gegen Überfremdung II", Themar, ca. 6.000 Teilnehmer. 12 Die Organisatoren der 2018 zunächst behördlich verhinderten Veranstaltung "Rock gegen Überfremdung III" in Magdala legten juristische Mittel gegen die damalige Entscheidung ein. Dem Urteil des Landgerichts Erfurt vom 4. Juli 2019 zufolge war die behördliche Untersagung der Nutzung eines Zuweges (Feldweg) zum Veranstaltungsgelände rechtswidrig. 35 der Szene. Darüber hinaus kann wohl auch von einem finanziellen Verlust ausgegangen werden. 3.2.2 Bündnis Zukunft Hildburghausen" (BZH) und Gasthaus "Goldener Löwe" "Bündnis Zukunft Hildburghausen" (BZH) Im Jahr 2009 gründete der ehemalige NPD-Funktionär Tommy Frenck die Wählergemeinschaft "Bündnis Zukunft Hildburghausen" (BZH). Das BZH blieb auch im Berichtszeitraum die führende rechtsextremistische Vereinigung im Landkreis Hildburghausen. Bereits bei der Kommunalwahl 2014 errang das BZH ein Kreistagsmandat, welches durch Frenck wahrgenommen wurde. Ende Januar verkündete Frenck, dass das BZH auch zur Kommunalwahl am 26. Mai antreten werde. Unter Bezug auf die Landratswahl 2018, bei der Frenck 16,6 Prozent der Stimmen erhielt, sah er auch für das BZH ein erhebliches Wählerpotenzial. Das BZH führte seinen Wahlkampf unter dem Motto "Südthüringen bleibt Deutsch" und betrieb eine aufwendige Plakatkampagne. Im Ergebnis verfügt das BZH mit zwei weiteren Mandaten nunmehr über insgesamt drei Sitze im Kreistag Hildburghausen. Kandidaten des BZH zogen zudem in zehn Stadtund Gemeinderäte ein. 13 Die im Vergleich zu rechtsextremistischen Parteien überdurchschnittlich hohen Wahlergebnisse bzw. auf kommunaler Ebene errungenen Mandate lassen erkennen, dass es dem BZH gelungen ist, in breite Bevölkerungsschichten vorzudringen und eine Stammwählerschaft in Hildburghausen und Umgebung aufzubauen. Die öffentliche Wahrnehmung des BZH beschränkte sich im Wesentlichen auf Frencks Berichterstattung in sozialen Medien. Das BZH trat darüber hinaus im Berichtszeitraum öffentlich in Erscheinung, als Frenck die Bürger von Themar zu einer Protestversammlung gegen den Auftritt der Musikgruppe "Feine Sahne Fischfilet" am 19. Oktober im Bürgerhaus Themar mobilisierte. Das BZH wolle "diese antideutsche Hetze, sowie Aufrufe zur Gewalt gegen Polizisten in unsere Heimat nicht widerspruchslos hinnehmen...". Die Protestversammlung fand mit 58 Teilnehmern statt. Der rechtsextremistische Liedermacher Axel Schlimper trat auf. 13 Im Einzelnen: Kloster Veßra, Heldburg, Schleusingen, Henfstädt, Auengrund, Themar, Straufhain, Schleusegrund, Römhild und Eisfeld. 36 Am 16. November führte Frenck die jährliche Kundgebung zum "Heldengedenken" in Schleusingen durch. An dieser Kundgebung mit Aufzug nahmen ca. 90 Personen teil. Neben Frenck trat Axel Schlimper als Redner auf. Letzterer sorgte als Liedermacher wiederum für die musikalische Umrahmung. Gasthaus "Goldener Löwe" Seit 2015 betreibt der Südthüringer Rechtsextremist Tommy Frenck das Gasthaus "Goldener Löwe" in Kloster Veßra. Dieses hat sich als bedeutende Szeneimmobilie in Südthüringen und als bundesweiter Anlaufpunkt von Rechtsextremisten verschiedener Strömungen etabliert. Frenck unternahm in der Vergangenheit mehrfach - erfolglose - Versuche weitere Immobilien zu erwerben, so u. a. auch eine gegenüber dem Gasthaus befindliche Villa. Mit der Durchführung von Veranstaltungen wie Konzerten, Liederund Balladenabenden, Vortragsund Spendenveranstaltungen, politischen Kundgebungen fördert Frenck intensive Vernetzung der rechtsextremistischen Szene. Das Gasthaus ist ebenfalls Sitz des von Frenck geführten Szenelabels "Druck18". Es blieb Treffund Anlaufobjekt der rechtsextremistischen Szene innerhalb und außerhalb Thüringens. Bedeutende Akteure (u. a. Parteivertreter, Bands und Liedermacher) waren im Berichtszeitraum zu Gast im "Goldenen Löwen". Datum Veranstaltung Liedermacher und Bands 8. März Kennenlernabend 17. März Spendenaktion und Versteigerung 22. März Metund Likörverkostung 5. April Liederabend Liedermacher "Eugen" aus Moskau 14. April Kinderbasar #DeutschehelfenDeutschen 20. April "Wir feiern Geburtstag - vier Jahre Gasthaus "Goldener Löwe" 4. Mai Versammlung: "Europäischer "Sturmwehr" Traum - Für ein Europa der Vaterländer - Gemeinsame Probleme bekämpfen" 25. Mai "BZH in Stadtund Kreistag - Mu"Sleipnir" und "Barny" sik und Redebeiträge für eine bessere Heimat" 37 1. Juni Liederabend "FLAK" 8. September Kinderbasar 14. September "Gegen staatliche Repression - "FLAK" (Balladen), Axel Schlim"Musik & Redebeiträge für die Verper, Tobias Winter ("Bienensammlungs- & Meinungsfreiheit in mann") Deutschland" 8. oder 9. November Liederabend "Kategorie C" 14. Dezember Kennenlernabend für Patrioten 21. Dezember Weihnachtsaktion für Kinder und Axel Schlimper Familien Tabelle 2: Veranstaltungen im Szeneobjekt "Goldener Löwe" 14 Hervorzuheben sind insbesondere folgende Versammlungen: BZH-Versammlung am 4. Mai mit Auftritt von "Sturmwehr" Unter dem Motto "Europäischer Traum - Für ein Europa der Vaterländer - Gemeinsame Probleme bekämpfen" fand am 4. Mai auf dem Gartengrundstück der Gaststätte "Goldener Löwe" eine von Frenck angemeldete und organisierte Kundgebung statt. Dabei wurden 263 Anreisen aus acht Bundesländern sowie Österreich festgestellt. Die Veranstaltung war Teil des Kommunalwahlkampfes des von Frenck geführten BZH. Es trat die rechtsextremistische Band "Sturmwehr" auf. Redebeiträge lieferten Frenck und Sebastian Schmidtke, ein früherer NPD-Funktionär aus Berlin, der nach Thüringen verzog. Versammlung "BZH in Stadt & Kreistag - Musik und Redebeiträge für eine bessere Heimat" am 25. Mai Die von Frenck angemeldete Versammlung stand ebenfalls im Zeichen des BZH-Kommunalwahlkampfes. Zu dem Treffen im Gartenbereich der Gaststätte "Goldener Löwe" fanden sich bis zu 162 Teilnehmer aus Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern und Hessen ein. Als Redner trat wiederum Sebastian Schmidtke auf. Das einschlägige musikalische Programm bestritten die rechtsextremistische Band "Sleipnir" und der Liedermacher "Barny". 14 Thüringer Bands und Liedermacher sowie Musikprojekte, denen auch Thüringer angehören wurden fett gedruckt. 38 3.2.3 "Thing-Kreis" Seit Ende 2017 versuchten die Thüringer Rechtsextremisten Axel Schlimper und Angela Schaller die regionale rechtsextremistische Szene Südthüringens bei dem sogenannten ThingKreis in Themar zum gemeinsamen Gedankenaustausch zusammenzuführen. Die ThingKreise fanden regelmäßig zu Vollmond auf dem bekannten Veranstaltungsgelände der Rechtsrockkonzerte in Themar statt. In dem dort von Schlimper errichteten Steinkreis wurde zu den Veranstaltungen eine Jurte aufgebaut und ein Lagerfeuer entzündet. Für die musikalische Umrahmung sorgte meist Schlimper. Im Frühjahr kam es zu einem Zerwürfnis zwischen Schlimper und Schaller, in dessen Folge sich Schlimper aus der Organisation des Thing-Kreises zurückzog. Schaller führte den ThingKreis fort. Ab Juli fand dieser nicht mehr in Themar, sondern in Haselbach bei Sonneberg statt. Einen neuen Unterstützer fand Schaller in dem bundesweit bekannten rechtsextremistischen Liedermacher Frank Rennicke. Zusätzlich führte Schaller am gleichen Ort regelmäßig einen "Nationalen Stammtisch" durch. Bei diesen Treffen handelte es sich um interne Veranstaltungen, welche auf geschlossenen Privatgrundstücken stattfanden und in der rechtsextremistischen Szene nur geringe Relevanz entfalteten. 4. Weitgehend unstrukturierte Rechtsextremisten 4.1 Rechtsextremistische Musik 4.1.1 Überblick Rechtsextremistische Musik besitzt als Kommunikationsmittel für die rechtsextremistische Szene einen hohen Stellenwert. Sie wird gezielt zur Verbreitung entsprechender Ideologie genutzt. Die Palette der verwendeten Musikstile (u. a. Rock, Heavy Metal, Gothic, Dark Wave, Black Metal, Hardcore, Schlager, Rockabilly, Volkslieder) ist breit. In rechtsextremistischen Liedtexten werden mit höchst unterschiedlicher Deutlichkeit rassistische, antisemitische, menschenverachtende oder gewaltverherrlichende Ansichten propagiert, staatliche Institutionen verunglimpft oder die nationalsozialistische Gewaltherrschaft glorifiziert. Dadurch geschürte Feindbilder prägen die häufig noch ungefestigten ideologischen Einstellungen der meist jugendlichen Konsumenten. Konzertveranstaltungen einschlägiger Bands erzeugen bei den Besuchern ein Gefühl der Gemeinschaft und Stärke. Auch auf Jugendliche, die der Szene noch 39 nicht fest angehören, sondern sich vorerst in deren Umfeld bewegen, üben die Musikveranstaltungen eine besondere Anziehungskraft aus. Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen Zugehörigkeit zur "White-Power"-Bewegung und weitgehend übereinstimmenden Feindbildern basiert. Einschlägige Bands aus dem Ausland - u.a. aus Großbritannien, Australien und den USA - sind auch bei deutschen Rechtsextremisten beliebt. Entsprechende Gruppen treten regelmäßig bei Konzerten in Deutschland auf. Im Gegenzug beteiligen sich deutsche Bands an Veranstaltungen im Ausland. Aus Sicht der Veranstalter dienen vor allem Großveranstaltungen der Finanzierung eigener Strukturen. So ist insbesondere bei wiederkehrenden, in der Szene in erster Linie als Musikfestival wahrgenommenen Veranstaltungen regelmäßig festzustellen, dass diese von Personen bzw. Gruppierungen organisiert und verantwortet werden, welche mittelbar oder unmittelbar an für die rechtsextremistische Szene charakteristischen Unternehmen beteiligt sind, z. B. in den Sparten Versandhandel, Musiklabel oder Konzertveranstaltung. Es bleibt festzuhalten, dass die Veranstalter mit der Organisation dieser Großveranstaltungen in erster Linie Werbung und Unterstützung für die eigenen gewerblichen Aktivitäten erhalten. Neben den unmittelbaren Effekten im Rahmen der Veranstaltungen selbst, tragen diese dazu bei, dass die Binnenstruktur und Rekrutierungswege des rechtsextremistischen Spektrums nachhaltig gestärkt werden. Mittelund langfristig wurde eine Professionalisierung erreicht. Die Nutzung des Internets als Vertriebsplattform und das Erkennen des wirtschaftlichen Potenzials von Großveranstaltungen sind nur zwei Beispiele dieser Entwicklung. Hinzu tritt eine Kommerzialisierung bei der Bereitstellung und Weiterentwicklung rechtsextremistischer "Erlebnisund Bekenntniswelten" in Bezug auf möglichst viele Teilbereiche des Lebens. War es bis vor einigen Jahren noch üblich, etablierte und an sich unpolitische Marken als "Erkennungszeichen" zu tragen, sind an deren Stelle vielfach eigene Labels gerückt, die zudem nicht selten die Bandbreite von Szenekleidung über Musik bis hin zu Alltagsgegenständen anbieten. 40 Jahr 2017 2018 2019 Konzerte 11 9 8 davon aufgelöst 1 0 1 verhindert 0 3 1 Tabelle 3: Statistik rechtsextremistische Konzertveranstaltungen Im Berichtszeitraum fanden acht Konzerte der rechtsextremistischen Szene in Thüringen statt, davon wurde ein Konzert polizeilich aufgelöst. Ein weiteres Konzert wurde bereits im Vorfeld verhindert. Die Konzerte fanden vorwiegend in den Veranstaltungsobjekten in Kirchheim und Ronneburg statt. Datum Ort Teilnehmerzahl (angekündigte) Bands/Liedermacher 2. Februar Apolda (auf59 "Exzess" u. A. gelöst) 16. Februar Sonneberg - (verhindert) 23. Februar Ronneburg nicht bekannt "Todesmarsch", "Acherontas", zwei weitere Bands 27. April Kirchheim 216 Scott und Steve von "Fortress", "Kraftschlag", "Killuminati", "Notwehr", Caroline von "Snöfrid" 25. Mai Kirchheim 250 "Kraft durch Froide", "Berlin Breed", "Kommando Skin", "True Aggression", "Eskalation" 15. Juni Sonneberg 60 "Sköll Dagaz", "Heiliger Krieg solo", "Ostfront", zwei Überraschungsbands 19. Oktober Kirchheim 190 "Legion of Thor", "D.S.T.", "FLAK", "Projekt Chaos" 26. Oktober Ronneburg nicht bekannt "Burning Hate", "Feindnah", "Fight Tonight" 41 14. Dezember Ronneburg 82 "Thoytonia", "12 Golden Years", "Oidoxie", "Odwet 88", "M.A.T. Project" Tabelle 4: Übersicht rechtsextremistische Konzertveranstaltungen 15 Jahr 2017 2018 2019 Liederabende 11 9 13 davon aufgelöst 0 0 1 verhindert 1 0 1 Tabelle 5: Statistik rechtsextremistische Liederabende Es fanden 13 Liederabende in Thüringen statt, wovon einer polizeilich aufgelöst wurde. Ein weiterer Liederabend konnte bereits im Vorfeld verhindert werden. Wichtige Szeneobjekte für die Veranstaltungen waren u .a. das "Flieder Volkshaus" in Eisenach und das Gasthaus "Goldener Löwe" in Kloster Veßra. Datum Ort Teilnehmerzahl (angekündigte) Bands/Liedermacher 2. April Erfurt 55 "Lunikoff" 26. April Kloster Veßra nicht bekannt Scott und Steve von "Fortress" 11. Mai Eichsfeld nicht bekannt "Zeitnah" 1. Juni Südthüringen nicht bekannt "FLAK solo" 8. Juni Eisenach 80 "FLAK solo", "Hermunduren solo", "Zeitnah" vermutl. Sonneberg nicht bekannt "Unbeliebte Jungs" 22. Juni 20. Juli Kloster Veßra (ver- - "Frontalkraft akustik", "Flatlander" hindert) 20. Juli Eisenach - Ersatz70 "Frontalkraft akustik", "Flatlander" veranstaltung (aufgelöst) 20. Juli Eisenach - Ersatznicht bekannt "Frontalkraft akustik", "Flatlander" veranstaltung 15 Thüringer Bands und Liedermacher sowie Musikprojekte, denen auch Thüringer angehören wurden fett gedruckt. 42 24. August Eisenach 80 "Zeitnah", "Wegbereiter", Martin von "Sturmwehr", "Blutlinie", "Odur" 26. August Erfurt (verhindert) - "Lunikoff" 5. Oktober Eisenach 50 "Hermunduren", "Zeitnah", "RAC'n'Roll Teufel" 9. November Kloster Veßra nicht bekannt "Kategorie C" 10. November Eisenach 100 "Lunikoff" 30. November Gera nicht bekannt "FreilichFrei" Tabelle 6: Übersicht rechtsextremistische Liederabende 16 Neben diesen Konzerten und Liederabenden als reine Musikveranstaltungen traten rechtsextremistische Bands und Liedermacher auch bei Veranstaltungen der NPD und/oder der Neonaziszene auf. Dies betrifft sowohl größere Veranstaltungen wie z. B. "Tage der nationalen Bewegung" am 5./6. Juli als auch kleinere Veranstaltungen wie z. B. Geburtstagsfeiern, Vortragsveranstaltungen, "Thing-Kreise". Exkurs: Indizierung jugendgefährdender Medien Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) mit Sitz in Bonn ist gemäß Jugendschutzgesetz (JuSchG) zuständig für die Indizierung von Trägerund Telemedien mit jugendgefährdendem Inhalt. Medien gelten als jugendgefährdend, wenn sie geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden (SS 18 Abs. 1 JuSchG). Die BPjM wird im Rahmen eines Indizierungsverfahrens auf Antrag oder von Amts wegen tätig (SS 21 JuSchG). Ein Gremium überprüft anschließend das verfahrensgegenständliche Medium auf jugendgefährdende Inhalte und entscheidet über die Indizierung. Im Falle einer Indizierung wird das Medium in die gesetzlich vorgeschriebene Liste jugendgefährdender Medien eingetragen. Diese Liste besteht aus vier Teilen (A bis D) und unterscheidet folgendermaßen zwischen sog. Trägermedien (SS 1 Abs. 2 JuSchG) und Telemedien (SS 1 Abs. 3 JuSchG): Listenteil A = Trägermedien, die jugendgefährdend sind Listenteil B = Trägermedien, die jugendgefährdend sind und nach Einschätzung der BPjM 16 Thüringer Bands und Liedermacher sowie Musikprojekte, denen auch Thüringer angehören wurden fett gedruckt. 43 einen strafrechtlich relevanten Inhalt haben Listenteil C = Telemedien, die jugendgefährdend sind Listenteil D = Telemedien, die jugendgefährdend sind und nach Einschätzung der BPjM einen strafrechtlich relevanten Inhalt haben Eine Indizierung von jugendgefährdenden Medien führt zu weitreichenden Verbreitungsund Werbebeschränkungen; bezüglich Trägermedien gemäß SS 15 JuSchG und bezüglich Telemedien gemäß Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV). Das Thüringer Amt für Verfassungsschutz prüft im Rahmen seines gesetzlichen Auftrages ihm bekanntgewordene Medien auf jugendgefährdende Inhalte und teilt seine Einschätzung dem Thüringer Landeskriminalamt mit, um ein Indizierungsverfahren bei der BPjM zu ermöglichen. Exemplarisch für den Ablauf und die Einschätzung des oben dargestellten Indizierungsverfahrens ist die Indizierungsentscheidung im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Band "Erschießungskommando". Die rechtsextremistische Band "Erschießungskommando" veröffentlichte 2019 ihr viertes Album unter dem Namen "Henkerszeit". Die Liedtexte sind menschenverachtend und vermitteln dem Hörer die rechtsextremistische Ideologie auf sehr radikale Art und Weise. So wird in einem der Titel unverhohlen die Beseitigung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten thematisiert. Die Indizierung dieser CD wurde bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) angeregt. Der Anregung lag u. a. folgende Einschätzung zugrunde: 44 Titel Textpassage rechtsextremistisches Ideologieelement "Henkerszeit" "...Jetzt wird es wieder unbequem. Eintreten für den politischen AutoriKeine Atempause für das System. tarismus Die Besatzer und ihre Schergen. (Verächtlichmachung der DemokraKeiner kommt zu kurz, alle werden tie bzw. Anprangern von angeblisterben! chen Missständen der demokratiHabt ihr gedacht eure Paragraschen Gesellschaftsform) phen,eure lächerlichen Strafen, könnten uns zur Umkehr zwingen,könnten uns zum Schweigen bringen?..." "...Unser Terrornetzwerk steht. In Gitarren, schwarze Knarren: Die Antwort auf die Republik der Narren!..." "Ist mir egal" "Ist mir egal, wie du heißt! Ungleichwertigkeit Ist mir egal, wer du bist! (Rassismus - Aufteilung der MenIch will nur, dass du dich aus meischen in Gruppen anhand unverännem Land verpisst!..." derlicher angeborener Merkmale und Aufwertung der eignen, Abwer"...Ist mir egal, was geschah! tung der anderen Gruppe) Ist mir egal, was du bist! Ob man dich vertrieben hat, ob du Moslem oder Christ. Lass dich nicht lange aufhalten und nimm deine dunklen Gestalten: vom Schwager bis zum Großpapa und dann zurück nach Afrika!..." "Wenn das der "... Islamisierung, eine rote RegieUngleichwertigkeit Führer wüsste" rung, es kann kaum noch schlim(Antisemitismus, Fremdenfeindlichmer werden! keit) Genderwahn, Frauen mit Bart und 45 Titel Textpassage rechtsextremistisches Ideologieelement Männer haben Brüste und dann gibt's da noch Israel ..." "Wenn das der "... Ich sehe noch die Fahnen weIdentitäre Gesellschaftsvorstellung Führer wüsste" hen in der alten Wochenschau. (völkisches/deutschnationales DenMädchen glücklich durch die Straken, Glorifizierung des Dritten Reißen gehen und ich spür' haargeches) nau: die Liebe und die Treue zu ihrer Art, ihrer Nation. Sie vertrauen ihrem Führer - des Volkes größter Sohn...." Tabelle 7: Indizierte rechtsextremistische Musiktitel Daraufhin wurde zunächst durch die BPjM im dritten Quartal 2019 eine Unterseite (URL) eines sozialen Netzwerkes, auf dem das Musikalbum "Henkerszeit" der Gruppe "Erschießungskommando" abgespielt werden konnte, gemäß SS 18 Abs. 2 Nr. 4 JuSchG in Teil D der Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen, da die dargestellten Inhalte nach Ansicht des Gremiums volksverhetzend im Sinne des SS 130 StGB sind. 4.1.2 "Tage der nationalen Bewegung" (TdnB) Die Veranstaltung "Tage der nationalen Bewegung - Musikund Redebeiträge für Deutschland" fand vom 5. bis 6. Juli in Themar (Landkreis Hildburghausen) statt. Wie im Vorjahr diente eine bereits für andere Rechtsrockveranstaltungen genutzte Freifläche in dem Ort als Versammlungsareal. Anmeldung und Versammlungsleitung oblagen Sebastian Schmidtke, als sein Stellvertreter fungierte ein Rechtsextremist aus Bayern. Logistische Unterstützung leistete Tommy Frenck. Zur Mobilisierung wurde eine eigens für die Veranstaltungsreihe eingerichtete Homepage genutzt. Auch der Erwerb von Tickets zum Preis von 15 Euro (Freitag), 35 Euro (Samstag) oder 45 Euro (Wochenende) war dort online möglich. Zu jedem Ticket wurde eine "Unterstützer-CD" mit Titeln der auftretenden Bands ausgereicht. Eigenangaben der Organisatoren zufolge dienten die so gewonnenen Einnahmen ausschließlich der Kostendeckung. 46 Das Landratsamt Hildburghausen hatte für die Veranstaltung umfangreiche Auflagen beschieden. Demnach waren alle Musikbeiträge im Vorfeld an die Versammlungsbehörde zu melden, der Ausschank alkoholschischer Getränke mit Einschränkungen (ausschließlich Leichtbier und Biermischgetränke) nur am Auftaktabend zulässig und das Parken auf dem Gelände untersagt. Zuund Abgänge zum Gelände erfolgten ausschließlich zu Fuß durch einen polizeilich abgegitterten Bereich. Zur Auftaktveranstaltung versammelten sich ca. 380 Personen, am Folgetag nochmals ca. 920 (2018: ca. 1.000 bzw. 2.250). 17 Anreisen erfolgten auch aus dem Ausland, insbesondere aus Tschechien, Italien, Russland und der Slowakei. Im Laufe der Veranstaltung traten einschlägige Musiker und Bands aus dem Ausland ("Acciaio Vincente"), dem Bundesgebiet ("Oidoxie", "Sturmwehr Akustik", "Übermensch", "Feindnah", "Blutlinie", "Germanium", Liedermacherin "Aria"), und Thüringen ("Sköll Dagaz") bzw. solche mit Beteiligung Thüringer Szenemusiker ("Unbeliebte Jungs", "Killuminati") auf. Verstöße zweier Bands ("Sturmwehr Akustik" und "Unbeliebte Jungs") gegen behördliche Auflagen wurden umgehend durch Abbruch und Verhängung eines Auftrittsverbots für die übrige Dauer der Veranstaltung geahndet. Auslöser war das Darbieten indizierter bzw. nicht angemeldeter Titel. Redebeiträge lieferten u. a. der Veranstalter, die Vorsitzende des "Rings Nationaler Frauen" (RNF), der stellvertretende Bundesvorsitzende der NPD, der Bundesvorsitzende der "Jungen Nationalisten" (JN), der Bundesvorsitzende der Partei "DIE RECHTE" und ein rechtsextremistischer Publizist. Zudem waren zahlreiche Informationsund Verkaufsstände auf dem Gelände präsent. Exemplarisch zu nennen sind Stände von NPD, JN, "Ansgar Aryan", "Druck 18", "NS Heute" und "Netzradio Germania". Das beauflagte Alkoholverbot wurde konsequent umgesetzt. So beschlagnahmte die Polizei am Samstag 16 Bierfässer und 188 Sixpacks Bier auf dem Versammlungsgelände. Zudem wurde das Verbot am Samstag auf die nahegelegene und von Tommy Frenck betriebene Gaststätte "Goldener Löwe" in Kloster Veßra erweitert. Die dort vorhandenen Lagerräume mit Alkoholvorräten wurden versiegelt. Des Weiteren pachtete die Polizei eine in der Nähe des 17 Etliche Teilnehmer dürften an beiden Tagen vor Ort gewesen sein. Insofern ist eine Addition beider Werte nicht sinnvoll. 47 Veranstaltungsortes befindliche Tankstelle vorübergehend zum Zwecke der Einsatzkoordination. Der Erwerb alkoholischer Getränke war den Veranstaltungsteilnehmern somit - anders als im Vorjahr - auch dort nicht möglich. Im Veranstaltungsverlauf kam es zu szenetypischen Straftaten (45) und Ordnungswidrigkeiten (13). Vorwiegend handelte es sich um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (40). Auch Verstöße gegen das Versammlungsgesetz (7) wurden festgestellt. Trotz der im Vergleich zum Vorjahr deutlich geringeren Teilnehmerzahl gaben sich die Veranstalter im Nachgang betont zufrieden mit dem Veranstaltungsverlauf. Auch die aufgetretenen Bands "Killuminati" und "Unbeliebte Jungs" bedankten sich via Facebook bei den Teilnehmern für die gute Stimmung "trotz aller staatlicher Willkür" und der "lächerlichen Auflagen & erschwerten Anreise". In jener "Jetzt erst recht"-Stimmung wurde für September eine weitere zweitägige Kundgebung mit Musikund Redebeiträgen in Themar unter dem Motto "Wann Rechtsrock gespielt wird, bestimmen wir und nicht der Innenminister!" angekündigt. "Gegen staatliche Repression - Musik & Redebeiträge für die Versammlungs- & Meinungsfreiheit in Deutschland" In der rechtsextremistischen Szene kam es nach den TdnB durchaus zu erheblichen Diskussionen. Das bei der Veranstaltung strikt durchgesetzte Alkoholverbot entfaltete bereits im Vorfeld eine abschreckende Wirkung auf sog. erlebnisorientierte Teilnehmer und führte folglich später - zumindest diesbezüglich - zu einer offen negativen Bewertung derselben. Die Stimmung bei derartigen Veranstaltungen hängt in erheblichem Maße von der Möglichkeit des Konsums alkoholischer Getränke ab. Die starke Polizeipräsenz und das konsequente Durchgreifen von Polizeiund Ordnungsbehörden bei Gesetzesverstößen vor Ort als auch die starke Medienpräsenz während der Veranstaltung dürften sich ebenfalls als störend auf die Teilnehmer ausgewirkt haben. Auch die fehlenden Parkmöglichkeiten im Umfeld des Veranstaltungsgeländes und die daraus resultierenden weiten Wege zu Fuß wirkten standen einer "Wohlfühlatmosphäre" entgegen. Frenck versuchte sich im Nachgang als "Opfer staatlicher Repression" zu stilisieren. Er kündigte zusammen mit Schmidtke als Folgeveranstaltung der TdnB für den 14. September eine weitere Großkundgebung in Themar an. Diese sollte unter dem Motto "Gegen staatliche Repression - Musik & Redebeiträge für die Versammlungs- & Meinungsfreiheit in Deutschland" stehen. 48 Das Vorhaben wurde in der Szene durchaus kritisch betrachtet. Man vermutete, dass diese Veranstaltung als Kompensation für den "Fehlschlag" im Juli geplant wurde, um die finanziellen Verluste der Veranstalter auszugleichen. Für die Veranstaltung kündigte Frenck an, dass es keine Eintrittskarten geben werde. Wer die Kundgebung unterstützen möchte, könne am Eingang eine Spende entrichten. Im Rahmen der Mobilisierung sollten Angehörige der rechtsextremistischen Szene mittels einer "Jetzt erst recht"-Stimmung, zu einem Besuch der Veranstaltungen bewegt werden. Die Resonanz fiel dennoch verhalten aus. Aufgrund von absehbar geringen Teilnehmerzahlen und Absagen mehrerer Bands konnten Frenck und Schmidtke die Kundgebung nicht wie geplant durchführen. Letztendlich wurde der Veranstaltungsort von Themar nach Kloster Veßra verlegt. Die Versammlung fand am 14. September mit bis zu 157 Personen auf dem Grundstück des Gasthauses "Goldener Löwe" in Kloster Veßra statt. Die musikalischen Beiträge kamen von den rechtsextremistischen Liedermachern "FLAK" und Axel Schlimper. Obgleich Frenck weiterhin über ein gewisses Mobilisierungspotenzial verfügt, blieb es in diesem Fall bei weitem hinter seinen eigenen Erwartungen und Ankündigungen zurück. Es ist ihm nicht gelungen, zugkräftige Bands für die Auftritte zu gewinnen. Dieser Umstand, die mit Unterstützung der im TMIK eingerichteten Task Force "Versammlungslagen" ergangenen strengen Auflage der zuständigen Behörden und das strikte Durchgreifen von Polizei und Ordnungsbehörden gegen Rechtsverstöße dürften ausschlaggebend für die aus Sicht der Organisatoren mäßigen Teilnehmerzahlen gewesen sein. Das Konzept der Kombination von Musikund Redebeiträgen hat sich in der Szene etabliert. Bei der ersten Ausrichtung der TdnB im Jahr 2018 erscheinen zum Auftakt ca. 1.000 und am Folgetag nochmals ca. 2.250 Personen. Dieser Zuspruch führte zur Wiederholung des Konzeptes im Berichtszeitraum. Ein Rückgang der Teilnehmerzahl um fast 60 Prozent dämpfte die ursprünglichen Erwartungen jedoch erheblich. Der Einbruch dürfte im Wesentlichen auf die umfangreichen Auflagen, insbesondere das strikte Alkoholverbot, die fehlenden Parkplätze und damit einhergehend weite Wege zu Fuß sowie die hohe Polizeipräsenz zurückzuführen sein, was offenbar viele Teilnehmer bereits im Vorfeld abschreckte. Auch das Scheitern der ursprünglich für zwei Tage angedachten Folgeveranstaltung im September stellt einen herben Rückschlag für die Veranstalter dar. Daher bleibt abzuwarten, ob das bisherige Format eine weitere Fortsetzung erleben wird. Trotz des eher mäßigen Erfolges für die rechtsextremistische Szene bleibt festzuhalten, dass die Veranstaltung durch den Auftritt von internationalen Szenemusikern und die teils aus dem 49 Ausland angereisten Teilnehmer die bedeutendste Kundgebung mit Musikdarbietung während des Berichtszeitraumes in Thüringen darstellte. Auch bundesweit gelang es nur in einem weiteren vergleichbaren Fall ("Schild & Schwert"-Festival am 21./22. Juni, Ostritz, Sachsen) hinsichtlich der Teilnehmerzahl an die Schwelle zu einer vierstelligen Größenordnung zu gelangen. 4.1.3 Veranstaltungsobjekt in Kirchheim (Ilmkreis) In Kirchheim befindet sich das seit etwa 2009 von Rechtsextremisten genutzte Veranstaltungsobjekt "Romantischer Fachwerkhof" sowie die zugehörige "Erlebnisscheune"; vormals auch als "Veranstaltungszentrum Erfurter Kreuz" bezeichnet. Das Objekt bietet Platz für bis zu 200 Personen und wird von Rechtsextremisten überwiegend für einschlägige Konzerte, aber auch für Großveranstaltungen von Parteien angemietet. Zudem dient es zur Ausrichtung von Vortragsveranstaltungen, internen Treffen und Schulungen. Die Nutzung erfolgt spektrenübergreifend und aufgrund der zentralen Lage auch für überregionale Zusammenkünfte. Insoweit kommt der Immobilie hinsichtlich der Vernetzung diverser rechtsextremistischer Gruppen besondere Bedeutung zu. Datum Bands/ Redner Teilnehmerzahl Veranstalter 28. September 150-200 Gesamtparteitag "Der III. Weg" 19. Oktober "DST", "FLAK", ca. 190 "Joe Rowan Memorial""Legion of Thor", Konzert "Project Chaos" 16. November ca. 100-120 Privatveranstaltung der "Bruderschaft Thüringen" Tabelle 8: Rechtsextremistische Treffen im Veranstaltungsobjekt in Kirchheim Exkurs: Radikalisierung im Internet In der privaten Informationsbeschaffung haben die sozialen Medien längst eine zentrale Stellung eingenommen. Durch ihren dezentralen Charakter ermöglichen sie es dem Nutzer, sich nahezu über jeden Teilbereich des Lebens zu informieren. Soziale Medien beruhen auf schier unüberblickbaren Datenmengen, die eine Nutzung ohne Filter unmöglich machen würden. Filter beruhen auf Algorithmen, die es ermöglichen in den riesigen Datenmengen die Informatio50 nen zu finden, für die sich der Nutzer interessiert. Soziale Netzwerke versuchen dabei, Wünsche ihrer Nutzer möglichst vorauszubestimmen. Dies schlägt sich z. B. in Vorschlägen zu Personen oder Themen nieder, die auf dem bisherigen Nutzerverhalten basieren. Bewegt sich ein Nutzer mit seinem Profil in den sozialen Medien beispielsweise kontinuierlich in Themenbereichen mit Berührungspunkten zum Rechtsextremismus, wird er durch Filter auf weitere Nutzer-Profile, Gruppen oder Inhalte verwiesen, von denen viele ähnliche politische Grundpositionen aufweisen, einige jedoch dem Rechtsextremismus zuordenbar sind. So wirkt der Algorithmus als Katalysator. Werden politische Auffassungen nicht kritisch hinterfragt, entstehen sog. Echokammern - soziale Räume, in denen nur die eigenen politischen Positionen Bestätigung finden. In solchen "Echokammern" finden wesentliche Radikalisierungsprozesse im Internet statt. Ab dem Zeitpunkt, wo sich der Nutzer in seiner Echokammer befindet, können sich verschiedene Radikalisierungseffekte (zusammen oder für sich) anschließen: 1. Ähnliche politische Meinungen verfestigen sich durch die elektronische Interaktion der Nutzer sozialer Medien. Dies führt dazu, dass die Teilnehmer ihre Positionen noch selbstsicherer vertreten und sich für noch extremere Ansichten öffnen. 2. Hier kommt hinzu, dass Rechtsextremisten das Internet längst gezielt als Propagandainstrument erkannt haben. Zu diesem Zweck bereiten sie ihre Botschaften multimedial und optisch ansprechend auf. Der extremistische Kern wird dabei nicht selten subtil gehalten. 3. Wird die extremistische Botschaft durch den Nutzer aufgenommen, können Filter die Realitätswahrnehmung des Nutzers verzerren. Ein indoktrinierter Nutzer sozialer Medien kann sich dazu motiviert fühlen, selbst extremistisch aktiv zu werden. Für die Planung und Durchführung von Anschlägen terroristischer Gruppierungen sind regelmäßige Kontakte zwischen durchführenden Personen und im Hintergrund agierenden (planenden) Personen unerlässlich. Hierbei nutzen die Akteure immer neue Technologien zum Verschlüsseln von Nachrichten. In den Fokus der Sicherheitsbehörden rückte unter anderem auch die Kommunikation mittels Spiele-Plattformen und Programmen, die zur Kommunikation im Rahmen von Online-Spielen genutzt werden. Vor allem die Funktionen des sog. Ingameund des Party-Chats der Spiele-Plattformen stellen hinsichtlich der Interaktionsund Kommunikationsmöglichkeiten eine Alternative für Extremis51 ten dar, um sich Überwachungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden weitgehend zu entziehen. Bei Ingame-Chats ist es notwendig über genaue Informationen zu dem jeweiligen Spiel, dem Zeitpunkt, den Ort und den Nutzern zu verfügen, um gezielt eingreifen und entsprechende Informationen erheben zu können. Darüber hinaus ist es möglich, dass Extremisten beispielsweise in Ego-Shootern Nachrichten verschlüsselt mitteilen, indem sie bestimmte Codes, Botschaften oder Symbole in Elementen des Spiels platzieren. Dies könnte auch während einer Spielsitzung geschehen, sodass es nicht zwangsläufig nötig wäre, miteinander zu reden. Extremisten bzw. Terroristen machen sich ein solches Vorgehen zu eigen, um sich von Sicherheitsbehörden möglichst unbemerkt auszutauschen. Die Vernetzung und Organisation der extremistischen Szene über Onlinedienste sowie über entsprechende Gaming-Gruppen und Kanäle von Messengerdiensten schreitet weiter voran. Insbesondere die rechtsextremistisch motivierten Ereignisse von Halle am 9. Oktober haben gezeigt, dass die Kombination nachfolgender Kriterien zu verheerenden Gewalttaten führen kann: - Soziale Isolation, - Bewegung in Parallelwelten (z. B. Spieleforen oder sonstige o. g. OnlineDienste), - Politische Radikalisierung. Übereinstimmendes Merkmal solcher Gewalttaten ist die starke Orientierung an früheren Anschlägen mit dem Drang, diese zu überbieten. Es besteht Grund zu der Sorge, dass sich auch künftig weitere Nachahmer finden und die Zahl der durch das Internet radikalisierten Einzelpersonen zunimmt. Dies wird die Sicherheitsbehörden weiterhin vor erhebliche Herausforderungen stellen. 4.2 Kampfsport als rechtsextremistisches Aktionsfeld Die Bedeutung des Kampfsports für die rechtsextremistische Szene ist im Laufe der letzten Jahre deutlich gestiegen. Mittlerweile existiert ein europaweites Netzwerk unterschiedlicher Kampfsportlabels, Bekleidungsvertriebe und Veranstaltungsorganisatoren. Auch ideologisch betten die unterschiedlichen Akteure - einhergehend mit einer schon zwanghaften Selbsterhöhung - den Kampfsport in ihr rechtsextremistisches Weltbild ein, dem sie damit einen elitären Anstrich geben. 52 Während in der Vergangenheit insbesondere einschlägige Musikveranstaltungen die rechtsextremistische Erlebniswelt dominierten, besitzt mittlerweile der Kampfsport eine nicht unerhebliche Rekrutierungsfunktion. Zudem hat der Kampfsport einen maßgeblichen Anteil an der Professionalisierung und Kommerzialisierung der rechtsextremistischen Szene. Noch in den frühen 2000er Jahren beschränkte sich die damals kleine rechtsextremistische Kampfsportszene darauf, durch die bloße Teilnahme an unpolitischen Kampfsportereignissen ihre Zielgruppe zu erreichen. Zuletzt war jedoch ein rapider Zuwachs an rechtsextremistischen Veranstaltungen im Bereich des Kampfsports zu beobachten, die in Eigenregie organisiert werden. Dieser Umstand ist auf eine gestiegene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zurückzuführen, da unpolitische Veranstalter kommerzieller Kampfsportevents zunehmend unter Druck gerieten, wenn sie einen bekannten Neonazi in das Kämpferverzeichnis aufnahmen. Demzufolge gaben sich die rechtsextremistischen Akteure schließlich nicht mehr damit zufrieden, an Wettkämpfen anderer Organisatoren teilzunehmen. Stattdessen gingen sie dazu über, diese selbst zu veranstalten. Zu beobachten ist eine rapide zunehmende Professionalisierung sowie ein hoher Vernetzungsgrad zwischen den Veranstaltern verschiedener Events, welche regelmäßig internationale rechtsextremistische Protagonisten anziehen. Der Kampfsport dient hierbei als Bindeglied, dessen ideologische Komponente in den Kernbereich der gesamten rechtsextremistischen Szene einwirkt und gleichzeitig durch seinen Event-Charakter die Attraktivität und das Rekrutierungspotenzial massiv stärkt. Die Attraktivität und "Massenkompatibilität" der rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen ist auch auf die strikte Einhaltung behördlicher Auflagen sowie die Eindämmung von Alkoholexzessen bei den Besuchern zurückzuführen. Negative Auswüchse, die in der Vergangenheit oftmals charakteristisch für Veranstaltungen der Szene waren und eine abschreckende Wirkung hatten, sucht man bei diesen Events vergeblich. Neben den Kampfsportarten Boxen und Kickboxen wird klassisches Mixed Martial Arts (MMA) mit Vollkontakt betrieben, was dem kriegerischen Selbstbild und den allgemeinen Anforderungen an die "Wehrkraft des Volkskörpers" gerecht wird. Diese Kampfsportvariante vereint Standund Bodenkampf sowie verschiedene Schlag-, Trittund Hebeltechniken zu einem schnellen und brutalen Konzept, welches den Anforderungen des waffenlosen Straßenkampfes am ehesten entspricht. Die dahinterstehende Ideologie ist eine Abgrenzung zu einer - in den Augen der Protagonisten - verweichlichten Gesellschaft. Das harte Training, das hohe Verletzungsrisiko beim MMA und das Stählen des eigenen Körpers sind weitaus mehr als die Vorbereitung auf einen Wettkampf 53 oder die Pflege der persönlichen Fitness. Propagiert wird vielmehr eine vermeintlich mystische Pflicht, die "Volksgesundheit" und "Wehrhaftigkeit" hochzuhalten und einen "neuen Menschenschlag" zu schaffen, der stark an das im Nationalsozialismus propagierte Ideal des "Herrenmenschen" angelehnt ist. Eine wesentliche ideologische Komponente ist in dieser Hinsicht der "Straight Edge" 18-Gedanke. Er entstammt ursprünglich der Hardcore-Punk-Szene der 1980er-Jahre und sollte eine Gegenbewegung zu den ausufernden Alkoholund Drogenexzessen der Jugendkultur darstellen, wobei es im Kern um den Verzicht auf Rauschmittel, um gesunde Ernährung bis hin zum Veganismus und sexueller Enthaltsamkeit geht. Symbol der Bewegung ist ein "X". Die rechtsextremistische Szene knüpft hieran an. Unter ihr erlebt diese Strömung eine gewaltbetonte und rassistische Renaissance als "NS Straight Edge". Die Reinheit des Körpers, erlangt durch Abstinenz und hartes Training, ist dieser Philosophie zufolge eine Grundvoraussetzung für die Umwandlung einzelner Individuen hin zu einem wehrhaften und grundgesunden "Volkskörper". Nur durch sie könne die "nächste Ebene" erreicht werden. Auf Alkoholexzesse und den subkulturellen Lebensstil in den eigenen Reihen wird verächtlich herabgeschaut. Die Mitglieder der Kampfsportszene haben in der Regel ein elitäres Selbstbild, welches von Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Härte bestimmt wird. Ein ewig wiederkehrendes Mantra der Szene, das sich aus ihrem Weltbild ergibt, ist der "Kampf gegen die Moderne", welche als Sinnbild von Dekadenz und Verweichlichung strikt abgelehnt wird 19. Der vermeintliche Verfall der Gesellschaft wird mit einer empfundenen Erosion der "Volksgesundheit" gleichgesetzt. Kampfsportvereinigung "WARDON" Bei "WARDON" oder auch "WARDON 21" handelt es sich um eine rechtsextremistische Kampfsportvereinigung, die 2017 von zwei langjährigen Rechtsextremisten aus dem Raum Südthüringen gegründet wurde. Die Vereinigung ist dabei in vielfältiger Weise in die Organisation von Kampfsportveranstaltungen eingebunden und stellt auch einen eigenen Kampfsportkader. Die ideologische Ausrichtung dieser Gruppe ist offenkundig. Auf ihrem Facebook-Profil ist folgendes Statement zu finden: 18 "Straight Edge" - deutsch sinngemäß: "klare Kante" oder "Geradlinigkeit". 19 www.facebook.com, Eintrag vom 7. Oktober 2018, abgerufen am 5. Juni 2019. 54 "Unser Körper ist unsere Festung, die einen gesunden Geist birgt. Wir verstärken den Schildwall unseres Glaubens durch das vorangetragene Kreuzen unserer Arme und als Bekenntnis zur Freiheit durch eine volksgesundheitliche Lebensweise in Verhalten und Konsum." 20 Hier wird deutlich, dass diese Gruppierung den Kampfsport nicht nur als solchen wahrnimmt, sondern ihm eine völkisch-mystische Verteidigungsfunktion beimisst, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckt und sich - sowohl argumentativ als auch durch die zu einem "X" gekreuzten Arme im Logo symbolisch - bei der "Straight Edge" - Bewegung bedient. Weiter heißt es im Eingangsstatement in den sozialen Netzwerken: "WARDON schenkt den niederen Auswüchsen dieser morschen Zeit keinerlei Beachtung. Unbeirrbarkeit ist selbstbewusste Konsequenz. Wer uns jedoch herausfordert und als Feind gegenübertritt, dem weisen wir den Weg mit unserer kampferprobten Faust. In Wort UND Tat!" 21 Auch hier wird eine klare Freund-Feind-Unterscheidung deutlich, die sich nicht nur auf den sportlichen Wettstreit, sondern ebenfalls auf den politischen Kampf bezieht. Zudem orientiert sich auch diese Gruppe an einem von der "Straight Edge"-Bewegung geprägten Lebensstil mit Enthaltsamkeit, Sport und allgemein an einer "volksgesundheitlichen Lebensweise". Was darunter zu verstehen ist, kann nur vermutet werden. Allerdings ist bekannt, dass die Gruppierung bei Kampfsportveranstaltungen im Rahmen des "Kampf der Nibelungen" das Catering übernahm und dort ausschließlich veganes Essen anbot. Im Mai führte die Gruppierung mit dem "Heureka II"-Kongress eine eigene Veranstaltung durch. In dem Austauschforum für Führungskader der rechtsextremistischen Kampfsportszene wurde eine "volksgesundheitliche Lebensweise in Verhalten und Konsum", beispielsweise durch den Verzicht von Alkohol und Drogen, thematisiert. Den Darstellungen zufolge komme dem Kampfsport eine völkisch-mystische Verteidigungsfunktion zu, um "einen neuen Menschenschlag aus alten Werten [zu] erschaffen." Der Gedanke einer "Kampfsportvereinigung" wurde unter anderem durch die Teilnahme an den Kampfsportveranstaltungen "Pro Patria Fest" im April in Athen/Griechenland sowie "TIWAZ" im Juni und "Kampf der Nibelungen" im Oktober deutlich. Im Rahmen der Veranstaltung "TIWAZ" war "WARDON" mit einem eigenen Kämpfer vertreten. 20 Ebenda. 21 Ebenda. 55 Außerdem unterhalten die Führungspersonen von "WARDON" Kontakte nach Moskau zu der russischen "NS Straight Edge"-Gruppe PPDM 22. Diese Verbindung steht exemplarisch für die internationale Vernetzung der rechtsextremistischen Kampfsportszene. Unter anderem traten die Protagonisten von "WARDON" in einem Ende 2018 auf dem YouTube-Kanal von PPDM veröffentlichten Motivationsvideo auf. Kampfsportvereinigung "Knockout 51" Die rechtsextremistische Kampfsportvereinigung "Knockout" oder auch "Knockout 51" trat erstmals Anfang 2019 in den sozialen Medien öffentlich in Erscheinung. Bei den Hauptprotagonisten handelt es sich um mitunter langjährige Rechtsextremisten aus dem Raum Eisenach. Die Zahl 51 steht hierbei vermutlich exemplarisch für die Buchstaben E und A und gibt somit einen Hinweis auf die Stadt Eisenach (Kfz-Kennzeichen EA). Für die Kampfsporttrainings der Gruppierung wurden wiederholt die Räumlichkeiten des "Flieder Volkshaus" der NPD in Eisenach genutzt. Im Laufe des Jahres professionalisierte die Gruppierung ihre Tätigkeiten beginnend mit Kraftund Kampfsporttrainings sowie der zugehörigen Berichterstattung in den sozialen Medien, hin zu dem Besuch von Kampfsportveranstaltungen wie dem "TIWAZ" im Juni in Sachsen, bis zur aktiven Unterstützung der geplanten rechtsextremistischen Großveranstaltung "Kampf der Nibelungen" im Oktober in Ostritz/ Sachsen sowie dem Besuch eines Schießstandes im europäischen Ausland. Auffällig waren hierbei die intensiven Vernetzungsbestrebungen der Gruppierung sowohl regional und überregional als auch in die Kampfsportund Hooligan-Szene. Die professionelle Ausrichtung der Kampfsport-Events, die geschickte Selbstinszenierung in den sozialen Medien sowie deren ideologische Unterfütterung haben dafür gesorgt, dass sich der Kampfsport neben der rechtsextremistischen Musikkultur zu einem wesentlichen Element des erlebnisorientierten rechtsextremistischen Lebensstils herausgebildet hat. 22 Po Programme Dedushki Moroza" (PPDM, deutsch "Nach dem Programm von Väterchen Frost"); Trainingsprogramm russischer Rechtsextremisten mit eigenem Modelabel. 56 Dabei erfährt insbesondere die Kriegerideologie der Nationalsozialisten durch die Verknüpfung von Gewaltästhetik und dem durch den "Straight Edge" befeuerten Körperkult eine Renaissance. Diese "reine Lebensweise", gemischt mit dem Verzicht auf Alkohol und Drogen, macht diese Events auch für Personen der unpolitischen Kraftund Kampfsportszene interessant, die bisher keine rechtsextremistischen Bezüge aufweisen. Gerade das Angebot von Attraktionen für Kinder und Jugendliche sowie das offene Bewerben der Veranstaltungen zeigt das gestiegene Selbstbewusstsein der Szene. Dies äußert sich ebenfalls durch die geschickte Eigendarstellung und Dokumentation der Szene im Internet. Die Websites und Auftritte der Gruppierungen in den sozialen Medien vermitteln teilweise den Eindruck, dass es sich hierbei eher um moderne, international ausgerichtete Unternehmen als um gewaltbereite, rassistische und neonazistische Vereinigungen mit demokratiefeindlichen Zielsetzungen handelt. Das Aktionsfeld "Kampfsport" hat im Jahresverlauf an Bedeutung in der rechtsextremistischen Szene gewonnen, was sich generell an der Anzahl der Kampfsportveranstaltungen und den vermehrten Aktivitäten sowie der gestiegenen Professionalisierung von "WARDON" und "Knockout 51" im Speziellen widerspiegelt. Die enge Kooperation von "WARDON" und "Knockout 51" mit dem bekanntesten Veranstalter rechtsextremistischer Kampfsportevents, dem "Kampf der Nibelungen", die bestehenden Kontakte zu PPDM nach Moskau sowie die Kooperation mit führenden rechtsextremistischen Bekleidungsmarken, zeigen, dass die Vereinigungen mit den wichtigsten Akteuren der rechtsextremistischen Kampfsportszene vernetzt sind und sich aktiv an prominenten Kampfsportveranstaltungen national und international beteiligen. Das künftige Potenzial von "WARDON" und "Knockout 51" liegt vor allem in dem Angebot an die Generation junger Neonazis, sich als Teil einer Gemeinschaft aus "Kriegern gegen die moderne Welt" verstehen zu können. Die größte Gefahr durch die rechtsextremistische Kampfsportszene im Allgemeinen sowie durch die Kampfsportvereinigungen "WARDON" und "Knockout 51" im Speziellen geht jedoch nicht von trainierten Straßenkämpfern aus, sondern von den so entstandenen transnationalen Netzwerken, die an weite Kreise der Szene die Akzeptanz von zielgerichteter physischer Gewalt gegen rechtsextremistische Feindbilder vermitteln. 57 5. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Rechts weist die Statistik des Landeskriminalamts Thüringen (TLKA) 23 folgende Zahlen aus: Straftaten 2017 2018 2019 Insgesamt 1.353 1.228 1.301 davon u.a. Propagandadelikte 850 821 883 Gewaltdelikte 78 67 49 Sonstige 24 425 340 369 Tabelle 9: Politisch motivierte Kriminalität - Rechts Rund 52 Prozent aller politisch motivierten Straftaten, die im Berichtszeitraum im Freistaat Thüringen begangen wurden, sind dem Phänomenbereich "Rechts" zuzuordnen. Nachdem im Jahr 2017 mit 1.353 Fällen im Vergleich zum Jahr 2018 mit 1.228 Fälle ein leichter Rückgang zu verzeichnen war, ist diese Zahl zuletzt mit 1.301 Fällen leicht angestiegen, ohne jedoch das Niveau von 2017 wieder zu erreichen. Ebenfalls angestiegen ist die Zahl der mit 883 Fällen weitaus größten Fallgruppe der Propagandadelikte. Hier waren im Vorjahr noch 821 Fälle und im Jahr 2017 850 Fälle zu verzeichnen. Wenngleich auch im Bereich der politisch rechts motivierten Gewaltkriminalität ein Rückgang um 18 Fälle von vormals 67 auf nunmehr 49 Straftaten festgestellt wurde, bewegt sich diese Fallgruppe noch deutlich über den Werten früherer Jahre. So waren 2011 mit 34 und 2012 mit 22 Fällen noch weitaus weniger Gewaltstraftaten in diesem Phänomenbereich zu verzeichnen. 23 Veröffentlicht am 1. April 2020. 24 Bei den sonstigen staatsschutzrelevanten Delikten an der PMK im Freistaat Thüringen handelt es sich bei den meisten Straftaten um Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Beleidigungen, Diebstähle und Bedrohungen. 58 III. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 1. Überblick Reichsbürger" und "Selbstverwalter" bilden eine organisatorisch und ideologisch heterogene Szene, welche die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, seiner Repräsentanten sowie die gesamte Rechtsordnung ablehnt. Die Szene ist überwiegend auf sich selbst bezogen. Es agieren größtenteils Einzelpersonen und (lose) Personenzusammenschlüsse. Vereinzelt bilden sich stabile Gruppen, welche sich jedoch häufig nach szeneinternen Konflikten spalten. Aus der grundsätzlichen Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte für die Bewertung des Phänomenbereichs als verfassungsfeindliche Bestrebung und einer damit verbundenen Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Das Phänomen ist den Behörden in Deutschland seit Jahren bekannt, erfuhr jedoch im Jahr 2016 wegen schwerwiegender Vorfälle eine besondere Aufmerksamkeit. 25 In deren Folge wurde eine ganzheitliche Betrachtungsweise initiiert, welche eine Intensivierung der Beobachtung der Szene nach sich zog. Auch wenn nur ein zahlenmäßig geringer Teil der Szene ideologisch ebenfalls dem Rechtsextremismus zugerechnet wird, besteht die Argumentation der "Reichsbürger" überwiegend aus rechtsextremistischen Ideologiefragmenten, geschichtsrevisionistischen Ansätzen sowie Verschwörungstheorien. 2. Ideologie Die Ideologie der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist von grotesken politischen Ansichten geprägt. Mit meist pseudojuristischen und pseudohistorischen sowie verschwörungstheoretischen Argumentationsmustern oder mit selbst definierten Naturrechten begründen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ihre Motive zur Leugnung der Existenz der Bundesrepublik 25 Zum Beispiel Schusswaffengebrauch gegen Polizeibeamte; so geschehen am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd (Bayern), als ein Polizeibeamter während eines Einsatzes von einem bekennenden Reichsbürger erschossen wurde. 59 Deutschland und des zugrundeliegenden Rechtssystems. Zudem erkennen sie die Legitimation von demokratisch gewählten Repräsentanten nicht an und definieren schließlich ihre eigene Rechtsordnung. Einige Gruppierungen sowie einzelne Vertreter der Szene nehmen für sich in Anspruch, eine eigene "Staatsgewalt" auszuüben. Sie bilden "Reichsregierungen", "Bundesstaaten" oder "Gemeinden", ernennen entsprechende Funktionäre, z. B. "Reichskanzler" oder "Minister", und "legitimieren" sich mit selbst gestalteten Ausweisdokumenten. Ihre Argumentation bezieht sich auf unterschiedliche historische und völkerrechtliche Situationen Deutschlands und ist zumeist von folgenden Kernaussagen geprägt: * Das Deutsche Reich ist nicht untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland ist kein souveräner Staat. * Deutschland befindet sich weiterhin im Kriegszustand. Es gibt keinen Friedensvertrag mit den Alliierten. * Es gilt die Haager Landkriegsordnung. * Das Grundgesetz ist keine Verfassung. * Die Bundesrepublik ist untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat, sondern eine privatrechtliche "BRD GmbH". * Der wirkliche Herrscher der Welt ist das "finanzmächtige internationale Judentum". Ziel ihrer Agitation ist zumeist, keine Steuern, Bußgelder oder Gebühren zu entrichten oder drohende Zwangsvollstreckungen abzuwenden. Hierzu werden durch zum Teil seitenlange Schreiben die Mitarbeiter von Behörden mit völlig unberechtigten Zahlungsaufforderungen bedroht, beschimpft und/oder beleidigt. "Selbstverwalter" nehmen darüber hinaus für sich in Anspruch, aus der Bundesrepublik "austreten" zu können. Sie reklamieren rechtliche Autonomie mit einem territorialen Hoheitsanspruch für sich. In der Regel erfolgt das Ausrufen einer Selbstverwaltung unter Berufung auf "die Menschenrechte" oder auf Artikel 9 der UN-Resolution A/RES/56/83 vom 28. Januar 2002 und wird durch das Versenden von entsprechenden "Proklamationen" an Verwaltungsbehörden nach außen verdeutlicht. Meist bezeichnen sich "Selbstverwalter" in ihren Schreiben als "natürliche Person im Sinne von SS 1 BGB". Die Vorstellung, ein Deutsches Reich bestünde fort, spielt hierbei nur bedingt eine Rolle. Die Grenzen zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind fließend. 60 Bei der Verbreitung der Ideologie kommt dem Internet und den sozialen Medien aufgrund der schier unbegrenzten Möglichkeiten an Plattformen und Multiplikatoren eine besondere Bedeutung zu. Das Internet begleitet einen "Reichsbürger bzw. Selbstverwalter" in seinem gesamten Werdegang. Der ersten Suche nach Gleichgesinnten folgt mitunter - der Austausch über Foren, - der Zugriff auf Vordrucke, Vorlagen und Textbausteine, - die weitergehende Vernetzung mit Gleichgesinnten, - die Darstellung eigener Aktionen, um den "Propagandaerfolg" zu dokmetieren und - die Bestellung/Buchung szenetypischer Produkte sowie Dienstleistungen, wie z. B. Bücher, Fantasiedokumente und Seminare. 3. Reichsbürger und Selbstverwalter in Thüringen Dem Phänomenbereich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" wurden in Thüringen im Berichtszeitraum ca. 750 Personen (2018: ca. 1.000) zugerechnet. Der Rückgang ist zum einen auf die staatlichen Maßnahmen gegen die "Reichsbürger"-Szene und zum anderen auf die (datenschutz-)rechtlichen Vorgaben zur Erfassungsdauer von "Reichsbürgern" zurückzuführen. Obgleich sich "Reichsbürger" überwiegend als Einzelakteure betätigten, stieg die Anzahl derer" im Vergleich zum Vorjahr überproportional an, die sich einschlägigen bundesweit aktiven Gruppierungen oder Vereinen außerhalb Thüringens anschlossen, z. B.: - "Königreich Deutschland", - "Geeinte deutsche Völker und Stämme" 26, - "staatenlos.info - Comedian e.V." und - "Verfassunggebende Versammlung". Die Aktivitäten der Thüringer "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" richteten sich gegen Landes-, Kommunal-, Polizeiund Justizbehörden. Mit umfangreichen querulatorischen Schreiben reagierten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" auf Maßnahmen der staatlichen Eingriffsverwaltung (Bußgeldbescheide, Gebührenund Beitragsbescheide, Vollstreckungsverfahren). Sie stellten zudem zahlreiche Anträge auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit 26 Der Verein sowie seine Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" wurde am 19. März 2020 vom Bundesinnenminister auf Grundlage von Art. 9 Abs. 2 GG in Verbindung mit SS 3 VereinsG verboten. 61 (Staatsangehörigkeitsausweis). Es erfolgten Mitteilungen über die sog. Reaktivierung von Gemeinden sowie Vorlagen von Fantasiepapieren. "Reichsbürger" führten regelmäßig Veranstaltungen und öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. So wurden unter anderem in einem Restaurant in Saalfeld Stammtische und Gespräche mit einschlägigen Inhalten beworben und durchgeführt. Eine dem "Reichbürger"-Spektrum zuzurechnende Gruppierung richtete in Ilmenau Versammlungen unter freiem Himmel aus. Querulatorische Schreiben bzw. Vielschreiberei Mit dem Ziel, sich der staatlichen Maßnahme zu entziehen, legen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" im Zuge von Verwaltungsund Gerichtsverfahren zahlreiche, in der Regel ausladende Schriftsätze vor, in denen sie der Behörde bzw. dem Amtsträger Autorität oder Existenz absprechen. Häufig wird auf völlig aus dem Kontext gerissene Gerichtsentscheidungen oder eigene - meist abstruse - "Gutachten" verwiesen. Nicht selten sind die Entscheidungsträger einer anmaßenden und aggressiven Diktion in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Belehrungen, Erpressung, Nötigung und Bedrohung mit "Bußgeldern" und "Unterlassungsverfügungen mit Strafzahlungen" ausgesetzt. Diese Schreiben stellen aufgrund der Unerfüllbarkeit der aufgestellten Forderungen für die betroffenen Behörden eine erhebliche Zeitund Ressourcenverschwendung dar. Es ist naheliegend, dass die Arbeit der Behörden damit sabotiert werden soll. 62 Anträge auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis, sog. Gelber Schein) "Reichsbürger" hängen der absurden Theorie nach, ohne Staatsangehörigkeitsausweis 27 staatenlos zu sein, Sie propagieren die Beantragung eines solchen Dokuments, da weder Personalausweis noch Reisepass zum Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit dienten. Sie behaupten zudem, die Bezeichnung "Name" im Personalausweis kennzeichne die betreffende Person als "Firma, also eine inländische juristische Person" ohne Grundrechtsberechtigung. Ein Staatsangehörigkeitsausweis ("Gelber Schein") mit dem Parameter "Identität Familienname = Natürliche Person" sichere hingegen die volle Rechtsfähigkeit als Grundrechtsträger. Hinter diesen von "Reichsbürgern" und Selbstverwaltern" gestellten Anträgen zum sog. Gelben Schein steht kein nachvollziehbarer rechtlicher Grund. Die Beantragung des "Gelben Scheins" weist insbesondere dann auf Szeneangehörige hin, wenn als Rechtsgrundlage das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) angeführt wird und in der Rubrik "Geburtsort" Angaben zu Königreichen, Herzogoder Fürstentümern ( z. B. "Königreich Preußen", "Fürstentum Reuß jüngere Linie", "Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha") erfolgen. Dies belegt, dass der Antragssteller die Bundesrepublik Deutschland nicht als souveränen Staat anerkennt. Mitteilungen über die "Reaktivierung" von Gemeinden Die "Reaktivierung" bzw. "Reorganisation" von Gemeinden ist ein bundesweites Phänomen. Ziel ist es, die jeweilige Gemeinde unter "Selbstverwaltung" zu stellen. So erklären die Vertreter der "reaktivierten" Gemeinden in "Selbstermächtigungsschreiben", dass das Gebiet nunmehr unabhängig von der Bundesrepublik Deutschland sei und zum Teil weiterführend der EU exterritorial gegenüberstehe. Die Bundesrepublik besitze demnach keine gültige Verfassung, das Deutsche (Kaiser-)Reich sei bis heute nicht untergegangen. Die Mitglieder der "reaktivierten" Gemeinden, die ihre "Abstammung gemäß RuStAG von 1913 nachgewiesen" hätten, sollen als tatsächliche Wahlberechtigte identifiziert werden; diese wählen wiederum die Wahlkommission und schließlich die "echten" Gemeinderepräsentanten. 27 Gemäß SS 30 Staatsangehörigkeitsrecht (StAG) kann die Ausfertigung eines Staatsangehörigkeitsausweises dann beantragt werden, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit einer Person zweifelhaft ist bzw. von anderen Behörden in Frage gestellt wird. 63 Im Berichtszeitraum wurden drei Thüringer Gemeinden "reaktiviert". 28 Entsprechende Veranlassungen gingen jeweils von der Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" mit Sitz in Berlin aus, unter deren Verwaltung die Gemeinden nach "Rückübertragung" stehen sollen. Schreiben zu den "Reaktivierungen" wurden mit dem Ziel der "völkerrechtlichen" Anerkennung an Landesund Bundesbehörden sowie ausländische Botschaften gesandt. Als angebliche Hoheitsträger, z. B. "Gemeindevorsteher im Notstand des Hoheitsgebietes ...", treten Szeneangehörige der jeweiligen "reaktivierten" Gemeinde in Erscheinung. Fantasiepapiere Szeneangehörige "legitimieren" sich häufig mit selbst produzierten Fantasiepapieren, wie "Reichspersonenausweise", "Reichsführerscheine" oder Papiere, die sie als "Natürliche Person nach SS 1 staatl. BGB" ausweisen. Diese Papiere besitzen keinen rechtsverbindlichen Charakter. Ihre Nutzer wollen damit ihre Lossagung von der Bundesrepublik Deutschland dokumentieren. Oftmals wurden im Vorfeld die amtlichen Ausweisdokumente bei der Meldebehörde abgegeben. Die Ausfertigung derartiger Fantasiepapiere erfolgt meist von Szeneanhängern, die damit vordringlich finanzielle Interessen verwirklichen. 4. Gefährdungspotenzial Das Spektrum der "Reichsbürger" reicht vom gefestigten Rechtsextremisten über Querulanten und Trittbrettfahrer mit einer reinen Zahlungsverweigerungsabsicht bis hin zu geistig Verwirrten bzw. psychisch erkrankten Personen. Personen mit dieser Ideologie sind einem geschlossenen verschwörungstheoretischen Weltbild verhaftet. Das fundamentale Misstrauen gegenüber dem "politischem System" und staatlichen Maßnahmen, verbunden mit dem persönlichen Empfinden, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden, kann erhebliche Aggressionen und Gefahrensituationen auslösen. Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist besonders waffenaffin. Hinsichtlich des im Berichtszeitraum bekannten Personenpotenzials in Thüringen lag die Quote derer mit waffenrechtlicher Erlaubnis im Vergleich zur Gesamtbevölkerung bei ca. acht Prozent. Soweit bekannte "Reichsbürger" im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis sind, wird die zuständige 28 Ronneburg, Molsdorf und Meiningen wurden als "Hoheitsgebiete erhoben". 64 Waffenbehörde in Kenntnis gesetzt. Ziel ist es, eine Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit zu initiieren. Ebenso wird bei entsprechenden Anhaltspunkten im Vorfeld der Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis durch die zuständigen Waffenbehörden beim AfV angefragt. Die schwerwiegenden Gewalttaten aus dem Jahr 2016, die - oftmals gewaltorientierten - Widerstandshandlungen bei der Vollstreckung behördlicher Maßnahmen sowie die szenetypische Affinität für Waffen belegen das besondere Gefährdungspotenzial des "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Spektrums. Im Berichtszeitraum traten Thüringer "Reichsbürger" hoheitlichem Handeln, d. h. dem Vollzug von Zwangsund Vollstreckungsmaßnahmen, verbal und körperlich aggressiv entgegen. In diesem Zusammenhang wurden in der Regel die Straftatbestände Beleidigung, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte festgestellt. Beispielsweise widersetzten sich zwei dem Phänomenbereich zuzurechnende Personen jeweils der Vollstreckung von Haftbefehlen wegen Nötigung. Zum einen wurden die eingesetzten Polizeivollzugsbeamten körperlich angegriffen und zum anderen konnten sie nur durch den Einsatz unmittelbaren Zwangs desjenigen habhaft werden. Der Bundesgesetzgeber agierte im Bewusstsein des dargestellten Gefährdungspotenzials und ebnete im Berichtsjahr den Weg für die Einführung einer Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden im Rahmen waffenrechtlicher Erlaubnisverfahren. 65 IV. Islamismus 1. Ideologischer Hintergrund Islamismus stellt eine Form des politischen Extremismus dar, der die Religion des Islam für politische Zwecke missbraucht und ideologisiert. Der Islam als Glaubenslehre ist klar von dieser extremistischen Ideologie abzugrenzen. Sowohl der Glaube als auch die religiöse Praxis sind durch das in Artikel 4 Grundgesetz verbriefte Recht auf Religionsfreiheit geschützt. In Abgrenzung zum Islam beginnt Islamismus dort, wo religiöse islamische Gebote und Normen als verbindliche politische Handlungsanweisungen einen Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber anderen gesellschaftlichen Modellen postulieren. So reklamieren Islamisten für sich, den einzig "wahren Islam" zu vertreten und streben in Deutschland nach einer teilweisen bzw. vollständigen Abschaffung zentraler Kernelemente des Grundgesetzes zugunsten der Verwirklichung einer dogmatisch rigorosen islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung als Gegenentwurf zur westlichen Demokratie. Richtschnur für das angestrebte Modell eines islamischen Staates ist die Anwendung des islamischen - gottgegebenen - Rechts, das von einem eng gefassten, konservativen Islamverständnis geprägt wird. Diese Staatsund Gesellschaftsordnung ist in weiten Teilen nicht mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar. 1.1 Salafismus Die einflussreichste Strömung innerhalb des sunnitischen Islamismus verkörpert der Salafismus. Das salafistische Personenpotenzial konsolidierte sich bundesweit auf hohem Niveau, wobei sich derzeit nicht mehr jenes rasante Wachstum der vergangenen Jahre abzeichnet. Im Berichtszeitraum waren dem Verfassungsschutzverbund insgesamt 12.150 Salafisten bekannt (2018: 11.300). Infolge diverser Vereinsverbote in den vergangenen drei Jahren und des Verfolgungsdrucks durch die Sicherheitsbehörden setzt sich bundesweit die Fragmentierung der salafistischen Szene fort. 29 Dabei lässt sich ein Verschwimmen von Grenzen infolge von Überschneidungen zwischen verschiedenen islamistischen Strömungen beobachten. 29 Im November 2016 wurden das Missionierungsnetzwerk "Die wahre Religion" (DWR) und die damit assoziierte Koranverteilaktion "LIES!" verboten, das Verbot des Berliner Moscheevereins "Fussilet 33 e.V." folgte im Februar 2017. Weitere Verbote ergingen im März 2017 bezüglich der Vereine "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim 66 Der Salafismus orientiert sich an einer idealisierten muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten und achten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel vermeintlich existierte. Anhänger dieser Strömung zeigen sich überzeugt, im Koran und in prophetischen Überlieferungen ein genaues Abbild dieser Frühzeit des Islam gefunden zu haben und versuchen, die in diesem Sinne verstandenen Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Salafisten lassen dabei theologische und sozio-politische Entwicklungen unberücksichtigt, die sich in den vergangenen 1.300 Jahren vollzogen haben. Scharia * nach muslimischem VerDie salafistische Ideologie widerspricht in wesentlichen ständnis gottgegebenes Punkten der freiheitlich demokratischen Grundordnung, Recht allen voran dem Gebot, dass alle Staatsgewalt vom Volk * keine fixierte Gesetzessammausgeht, das seinen Einfluss durch Wahlen und Abstimlung, sondern Methode der mungen ausübt. Der Kern der salafistischen Ideologie Rechtsfindung läuft dieser gesetzlich verankerten Volkssouveränität * umfassendes System von zuwider, indem Gott als der einzig legitime Souverän Werten und Vorschriften im und Gesetzgeber postuliert wird. Demzufolge bildet für Koran und in prophetischen die Salafisten nicht die Selbstbestimmung des Volkes Überlieferungen, das im Rahdie Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung, sonmen der Rechtswissenschaft interpretiert und angewendet dern ausschließlich der Wille Gottes. Verwirklicht wird wird dieser durch die uneingeschränkte Anwendung der Scharia auf der Basis eines wörtlichen und strengen Sunna Verständnisses von Koran und Sunna. Die Bildung und Aus- * Aussprüche und norübung einer parlamentarischen Opposition ist in diesem politimative Handlungsweischen System der Salafisten folglich ebenso wenig vorgesehen sen des Propheten wie eine Gewaltenteilung oder die Unabhängigkeit der Gerichte. Muhammad Salafisten lehnen alle Normen ab, die auf menschlicher Ratio- * bildet neben dem Konalität und Logik basieren. Die Implementierung der Scharia ran die zweitwichtigste geht mit der Einschränkung der Menschenrechte einher. Quelle des islamischen Rechts Es wird zwischen dem politischen und jihadistischen Salafismus unterschieden. Die Anhänger beider Strömungen eint eine extremistische Ideologie und die e. V." und "Almadinah Islamischer Kulturverein e. V." in Kassel im März 2017. Die Verbote gründen jeweils auf dem Agieren der Netzwerke und Moscheevereine gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung unter Verbreitung und Verfestigung der salafistischen Ideologie. Dies reicht von einer Befürwortung von sowie dem Aufruf zu Gewalt bis hin zur Ausreise in die Jihadgebiete, um sich dort dem Kampf terroristischer Gruppierungen anzuschließen. 67 damit verbundenen Ziele. Sie unterscheiden sich lediglich in der Option der Gewaltanwendung, um ihre Ziele umzusetzen. Gemein sind ihnen ein Alleinvertretungsanspruch bezüglich einer absoluten göttlichen Wahrheit und die darin wurzelnde Absicht, die deutsche Rechtsordnung und Gesellschaft langfristig entsprechend ihres enggefassten ideologisierten Islamverständnisses umzugestalten. Sie streben nach der Errichtung eines politischen Systems auf der Grundlage ihrer strengen Interpretation der Scharia, mit einem Kalifen als religiösem und politischem Oberhaupt. Der politische Salafismus ist eine breite heterogene Sammlungsbewegung. Anhänger dieser Strömung folgen einer streng puristischen Lebensweise nach dem von ihnen wahrgenommenen Vorbild der islamischen Frühzeit z. T. unter Ablehnung theologischer und realpolitischer Entwicklungen. Hauptkennzeichen des politischen Salafismus ist die systematische Missionierung (Da'wa), mit deren Hilfe die extremistische Ideologie weite Verbreitung findet. Diese Propagandaarbeit erfolgt virtuell in Form unzähliger salafistischer Auftritte im Internet, auf denen mit Islam-Interessierten über Fragen zur Religion diskutiert und salafistische Literatur verbreitet wird, und in der Realwelt in Form von islamischen Informationsständen, Islamseminaren und Spendenaktionen. Der Übergang zum jihadistischen Salafismus ist angesichts des ambivalenten Verhältnisses politischer Salafisten zur Gewalt fließend. Während die Mehrheit der politischen Salafisten religiös legitimierte Gewalt zur Verteidigung ihres Islamverständnisses nicht prinzipiell ablehnt, vermeidet sie es jedoch, offen zur Anwendung von Gewalt aufzurufen. Jihadistische Salafisten erachten es im Gegensatz dazu für unerlässlich, dass der Geltungsanspruch ihrer Ideologie sowie der Wandel bestehender sozialer und politischer Verhältnisse nach den Vorgaben eines göttlichen Heilsplans mit Gewalt verwirklicht werden müsse. So deuten sie das klassisch islamische Jihad-Konzept, das primär die Überwindung innerer Widerstände im Streben nach einem gottgefälligen Leben und dem untergeordnet ursprünglich eine defensive Form der Kriegsführung verkörpert, in ein revolutionäres Jihad-Konzept um. Damit erklären Jihadisten die Teilnahme am bewaffneten Kampf zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims und rufen zum Kampf gegen vermeintliche Feinde des Islam auf, d. h. all jene, die sich außerhalb ihres eigenen strengen salafistischen Regelwerks bewegen wie Atheisten, Polytheisten, Christen, Juden und sogar kritische und weniger puristische Muslime. Anhänger dieser militanten Gewaltideologie wähnen sich in einem Jihad gegen "den Westen", in dem sie eine Avantgarde verkörperten, die die Initiative zur Verteidigung des Islam ergreife 68 und eine gewaltsame Ausbreitung des Islam bzw. ihres rigorosen Islamverständnisses anstrebe. 1.2 Legalistischer Islamismus Neben dem politischen und jihadistischen Salafismus befasst sich der Verfassungsschutzverbund ebenso mit dem legalistischen Islamismus. Dieser versammelt nicht-gewaltorientierte islamistische Gruppen, die mit Hilfe von Missionierung Anhänger für ihre Lesart des Islams zu gewinnen versuchen und teilweise langfristig über karitative und gesellschaftspolitische Lobbyarbeit die Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamischen Staat unter Anwendung der islamischen Rechtsprechung anstreben. Richtschnur ihres Handelns ist eine strenge Lesart des Korans und die Anwendung der Scharia, was einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes darstellt. Beispielhaft seien die ägyptische "Muslimbruderschaft" und ihre Ableger in Deutschland, die in Indien gegründete transnationale Missionierungsbewegung "Tablighi Jama'at" als auch die türkisch geprägte "Milli Görüs"-Bewegung und "Furkan-Gemeinschaft" genannt. 1.3 Schiitischer Islamismus Schiitischer Islamismus knüpft in Abgrenzung zum sunnitischen Islamismus an spezifische Vorstellungen der schiitischen Theologie und politischen Lehre an und wird vom theokratischen Herrschaftskonzept des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Ruhollah Khomeini 30 "Velayat-e faqih" gekennzeichnet. Dieses umfasst die Verwirklichung eines islamischen Staats auf der Grundlage der Scharia, angeführt von schiitischen Rechtsgelehrten, die den seit 941 in die Verborgenheit entrückten Mahdi, ein Nachfahre des Propheten Muhammad, über dessen Tochter Fatima und Schwiegersohn Ali Ibn Abi Talib, stellvertreten. Khomeini forderte einst ebenso wie sunnitische islamistische Gruppierungen eine Rückbesinnung auf die Ursprünge des Islam und propagierte unter Ablehnung von Demokratie und Säkularismus die Vision einer weltweiten Islamisierung. 2. Gefährdungsbewertung für die Bundesrepublik Deutschland 30 Der Religionsgelehrte Khomeini (1902-1989) führte die Islamische Revolution 1978/1979 im Iran an und lenkte nach dem Sturz des Schahs Mohammad Reza Pahlavi die Staatsgeschäfte der neu gegründeten Islamischen Republik Iran als religiöses und politisches Oberhaupt bis zu seinem Tod. 69 In der Bundesrepublik hat sich eine abstrakte Gefährdungslage auf hohem Niveau stabilisiert. Es muss weiterhin jederzeit mit unkoordinierten Spontantaten und Anschlägen durch radikalisierte Einzeltäter und Kleinstgruppen gerechnet werden. Trotz seiner militärischen Niederlagen seit 2018 im Irak und in Syrien vermochte der "Islamische Staat" (IS) sich im Untergrund neu zu konsolidieren. Die Organisation verfügt nach wie vor über ein weltweites Netzwerk von affiliierten Gruppen und einzelnen nicht organisierten Anhängern, die ihren jihadistischen Kampf fortsetzen werden. Seit Längerem ist festzustellen, dass jihadistisch motivierte Attentate weniger komplex und mit leicht zu beschaffenden und einzusetzenden Tatmitteln geplant und ausgeführt werden. Neben Schusswaffen und Unkonventionellen Sprengund Brandvorrichtungen (USBV) kommen verstärkt Hiebund Stichwaffen sowie Fahrzeuge als primäres Tatmittel vorzugsweisen an sog. weichen und symbolträchtigen Zielen zum Einsatz. Darunter sind ungeschützte bzw. schwer zu schützende Ziele wie größere Menschenansammlungen, Sehenswürdigkeiten und Straßen mit hohem Publikumsverkehr und Großveranstaltungen wie Konzerte, Kundgebungen, Feste und Sportereignisse zu verstehen. Ein unkalkulierbares Risiko diesbezüglich stellen aus den Jihadgebieten in Syrien und Irak zurückgekehrte bzw. zur Rückkehr anstehende Jihadisten und Jihadistinnen dar. Von den seit 2013 mehr als 1.050 aus Deutschland in Richtung Syrien/Irak ausgereisten Islamisten hielt sich im Berichtszeitraum etwa ein Drittel wieder in Deutschland auf. Eine vergleichbare Zahl an IS-Kämpfern aus Deutschland, deren Ehefrauen und Kindern befindet sich aktuell in von kurdischen Milizionären bewachten Gefangenenlagern im Norden Syriens. Zumindest perspektivisch stehen auch sie vor einer Rückkehr in die Bundesrepublik. In diesen Lagern sind insgesamt rund 100.000 mutmaßliche IS-Kämpfer verschiedener Nationalitäten und deren Angehörige interniert. Neben den in verschiedener Hinsicht spartanischen Zuständen dürfte das vielerorts etablierte interne IS-Regiment zu einer erneuten bzw. weiteren Radikalisierung führen, sodass diese Gefangenenlager als Brutstätten der nächsten Jihad-Generation betrachtet werden müssen. IS-Rückkehrer verfügen vielfach über Kenntnisse im Umgang mit Waffen, Sprengund Kampfstoffen. Es ist davon auszugehen, dass ihre Hemmschwelle bezüglich der Anwendung von Gewalt angesichts ihrer Kriegserfahrungen deutlich gesunken ist. Schwer einschätzbar bleibt, ob Rückkehrer hinsichtlich ihrer vertretenen jihadistischen Ideologie wirklich geläutert sind, oder sie gegebenenfalls nur Lippenbekenntnisse abgeben und ihre Mission des Jihad gegen die ihnen verhasste liberale Gesellschaft in der alten Heimat fortzuführen beabsichtigen. Grundsätzlich muss in den meisten Fällen von einer weiterhin bestehenden islamistischen 70 Grundhaltung ausgegangen werden. Als potenziell gefährlich werden nicht nur IS-Kämpfer eingeschätzt, sondern ebenso indoktrinierte und möglicherweise traumatisierte Frauen, Jugendliche und Kinder. In der islamistischen Szene genießen diese Rückkehrer ein hohes Ansehen mit Vorbildfunktion. Dieser Umstand dürfte einer Radikalisierung bislang nicht gewaltorientierter Islamisten und deren Kampf gegen das Feindbild Westen und verpönte westliche Lebensart Vorschub leisten. Jene Rückkehrer, die sich nachweislich im Jihadgebiet Syrien/Irak aufgehalten haben bzw. mit dieser Zielrichtung ausgereist waren, unterliegen einer intensiven Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden. Im Rahmen der Strafverfolgung werden Ermittlungsverfahren - auch in länderübergreifenden Kooperationen - gegen die Personen betrieben. Hierbei ist vor allem die Nachweisbarkeit, beispielsweise hinsichtlich der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung, des Besuchs eines Ausbildungslagers, von Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz oder der Beteiligung an Kriegsverbrechen, problematisch. Es steht außer Frage, dass all jene Personen, denen keine Straftaten in den Jihadgebieten nachgewiesen werden können, zum Schutz der Bevölkerung Deradikalisierungsmaßnahmen zugeführt bzw. umfassend überwacht werden sollten. Neben spezifischen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden kommt einer funktionierenden gesamtgesellschaftlichen Islamismusprävention und -deradikalisierung und damit verbunden einem reibungslosen Informationsaustausch aller beteiligter Akteure dieser Programme, eine besondere Bedeutung zu. Dies gilt auch für den Freistaat Thüringen. Exkurs: Antisemitismus im Islamismus Ausprägungen des Antisemitismus Antisemitismus zählt international zu den beharrlichsten Vorurteilskomplexen und zeigt sich sehr facettenreich. In Deutschland sind antisemitische Ressentiments nicht nur im Rechtsextremismus vertreten, sondern ebenso in linksextremistischen Milieus als auch im Islamismus. Antisemitismus bezeichnet eine religiös, sozial, politisch oder rassistisch begründete Diskriminierung und Feindschaft gegenüber Juden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit. Der Rückgriff auf Stereotype und die Unterstellung negativer Charakterzüge und Verhaltensweisen zielt nicht nur auf Abwertung oder Benachteiligung von Mitbürgern jüdischen Glaubens ab, sondern führt mithin zu deren Verfolgung und sogar Tötung. 71 Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe werden. Diese antimoderne Weltanschauung tritt historisch gewachsen in verschiedenen Ausprägungen auf. Die älteste Form ist der religiöse Antisemitismus, der aus einer Absolutsetzung der eigenen religiösen Überzeugungen entstand, die einhergehen mit Ablehnung, Herabwürdigung und Diskriminierung anderer Glaubensformen. Beispielhaft seien hier die christliche Behauptung genannt, die Juden hätten Jesu Christi getötet sowie der macht-politische Konflikt zwischen jüdischen Stämmen und der im siebten Jahrhundert ent-standenen muslimischen Gemeinde bezüglich der verweigerten Konversion zum Islam. Im Mittelalter wurde sodann in Europa der Grundstein für sozialen Antisemitismus gelegt, als Juden aufgrund ihres Ausschlusses aus Zünften, dem Staatsdienst und von Grundbesitz in eine gesellschaftliche Außenseiterrolle gedrängt wurden. Als Folge dessen spezialisierten sie sich auf den Finanzund Handelssektor, was wiederum eine ökonomisch begründete Judenfeindschaft und Brandmarkung als Wucherer, Betrüger, Spekulanten und Ausbeuter hervorbrachte. Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts nahm schließlich der rassistische Antisemitismus seine Anfänge, als sich in der völkischen Bewegung erste Gedanken zu vermeintlichen biologischen Defiziten der jüdischen Rasse entwickelten, an die die Nationalsozialisten nahtlos anknüpften. Durch den Einfluss nationalsozialistischer Propaganda verbreiteten sich auch in der islamischen Welt antisemitische und rassistische Stereotype bezüglich der Juden, wobei sich zuweilen Phantasien von einer ethnischen Überlegenheit nicht auf Juden beschränken, sondern vielmehr auf Nichtaraber. 72 Parallel dazu bildeten sich im 20. Jahrhundert Grundlagen des politischen Antisemitis"Protokolle der Weisen von Zion" mus und der damit verbundenen Idee einer gefälschtes "jüdisches Geheimdokuweltumspannenden geheimen Verschwöment", das vermeintliches Streben rung des Judentums heraus, dem unterstellt der Juden nach Weltherrschaft thewird, die Politik sämtlicher Staaten kontrolliematisiert ren und dirigieren zu wollen. Diese Verum 1898 unter Urheberschaft der zaschwörungstheorie brach sich in der musliristischen Geheimpolizei Russlands mischen Welt erst mit der Gründung Israels entstanden 1948, dem Nahostkonflikt und der Rezeption zirkulierte erstmals 1919 im deutdes antisemitischen Pamphlets "Protokolle schen Sprachraum nach Kriegsnieder Weisen von Zion" Bahn. derlage und bolschewistischer Revolution Als Unterform des Antisemitismus kann der bedient Verschwörungslegende, Antizionismus verstanden werden, der häudass geheime jüdische Verbindung fig als Ausflucht benutzt wird, um der Ächdie Zerstörung traditioneller geselltung des Antisemitismus und strafrechtlichen schaftlicher Strukturen mit Hilfe von Sanktionen zu entgehen. Kennzeichen sind Demokratie, Liberalismus und Kapidie Ablehnung des Rechts des jüdischen talismus anstrebe Volkes auf Selbstbestimmung, das Bestremit Machtantritt der Nationalsozialisben, alle Juden kollektiv für Handlungen des ten offizieller Lehrstoff an deutschen Staates Israel verantwortlich zu machen als Schulen auch das Ziel, den Staat Israel vollständig zu beseitigen. Ideengeschichtliche Wurzeln antisemitischen Denkens im Islamismus Bedingt durch die Auswanderung europäischer Juden nach Palästina nahmen in den 1920er Jahren gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Muslimen und Juden zu, da die beiden Bevölkerungsgruppen in wirtschaftliche und politische Konkurrenz zueinander gerieten. So verwundert es nicht, dass ab den 1930er Jahren arabische Übersetzungen europäischer antisemitischer Schriften innerhalb der 1928 in Ägypten gegründeten Muslimbruderschaft großen Anklang fanden. 73 Als Wegbereiter antisemitischen Gedankenguts in der islamischen Welt ist Sayyid Qutb (19061966), Lehrer und Ideologe der Muslimbruderschaft, zu verstehen. In seiner 1950 verfassten Broschüre "Unser Kampf gegen die Juden" verschmolz er europäisch-antisemitische Stereotype und Verschwörungstheorien der "Protokolle der Weisen von Zion" mit antijüdischen Koranstellen zu einer Einheit und schuf so die ideologische Grundlage für einen islamistischen Antisemitismus. In seinem Werk unterstellt Qutb den Juden subversives Wirken seit der frühislamischen Periode und behauptet, sie hätten 1.400 Jahre lang Krieg mit dem Ziel geführt, den Islam zu zerstören. Im Rahmen seiner Kernthese, dass Juden im Verborgenen nach der Weltherrschaft strebten, argumentiert Qutb, dass die gesellschaftliche Elite in der islamischen Welt von jüdischem und westlichem Gedankengut verdorben sei und die Juden Herrscher und Regime in der islamischen Welt etabliert hätten, um ihre Verschwörung gegen die Gemeinschaft der Muslime voranzutreiben. Palästina stellt für Qutb heiliges islamisches Gebiet dar, weswegen nach der Gründung des Staates Israel die Vernichtung Israels religiöse Pflicht der Muslime sei. Qutbs Verschwörungstheorien fanden sodann insbesondere nach dem Sechstagekrieg 1967 große Verbreitung in der islamischen Welt, nachdem sich infolge des Verlusts Jerusalems der Hass auf den Staat Israel im Nahen Osten weiter Bahn brach und der Topos vom "Raub Palästinas" durch die Juden nicht nur im islamistischen Milieu eine große Anhängerschaft fand. In der Folgezeit lässt sich bei zahlreichen islamistischen Organisationen antisemitische Agitation feststellen, die so weit geht, dass das Existenzrecht Israels negiert und die Vernichtung Israels gefordert werden (u. a. AMAL-Bewegung, Palästinensischer Islamischer Jihad, "Hizb Allah", HAMAS, "al-Qaida", "Islamischer Staat"). Herausforderung für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben in Deutschland Antisemitisches Gedankengut ist nicht nur unter Anhängern islamistischer Organisationen vertreten, sondern kommt ebenso in muslimischen Gesellschaftsteilen vor, die keine Islamismus74 bezüge aufweisen. Mit dem Beginn der Zweiten Intifada im Herbst 2000 beeinflussten antisemitische Stereotypisierung und Propaganda auch in Europa und Deutschland lebende Muslime. Einflussfaktoren auf muslimischen Antisemitismus im Allgemeinen erstrecken sich sowohl auf die Sozialisierung in den Herkunftsländern bzw. der Elterngeneration, auf den Grad der schulischen Bildung, eine individuelle Migrationsgeschichte der Familie und z. T. eine undifferenzierte Identifikation mit dem Nahostkonflikt einhergehend mit einer Wahrnehmung der Palästinenser als alleinige Opfer dieses Konflikts. Folgende Motive kennzeichnen antisemitische Denkmuster: Herrschaft der Juden über die Finanzund Wirtschaftssysteme ewiger religiöser Kampf zwischen Muslimen und Juden Schüren von Konflikten und Kriegen durch Juden weltweit jüdische Strippenzieher i. F. v. Geheimagenten bei internationalen Organisationen Unterstellung, Juden seien schuld an der Omnipräsenz der Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen Umkehr des Täter-Opfer-Schemas im Sinne einer Gleichsetzung von Nationalsozialismus und israelischer Politik. Der Ideologietransfer dieser Denkmuster erfolgt hauptsächlich über Satelliten-TV, deutsche und fremdsprachliche Mainstream-Medien wie das Internet und Druckerzeugnisse sowie mündliche Weitergabe. Ausdruck findet antisemitische Hetze beispielsweise im Internet in Form von beleidigenden Posts, in Beleidigungen gegen Privatpersonen in der Öffentlichkeit, teilweise in Predigten in Moscheen, über die Anwendung physischer Gewalt bis hin zu Anschlägen31 auf jüdische Einrichtungen (Kindergärten, Schulen, Kulturinstitute, Synagogen). Diese Geisteshaltung stellt eine Herausforderung für ein friedliches und tolerantes Zusammenleben in Deutschland dar. 31 Beispielhaft beschränkt sich hier die Auflistung islamistisch motivierter Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Deutschland: 2. Oktober 2000 - Anschlag mit Molotow-Cocktails auf die Düsseldorfer Synagoge durch arabischstämmige Jugendliche; 7. Oktober 2000 - Angriff mit Steinwürfen auf die Essener Synagoge durch mehrere hundert Palästinenser; 29. Juli 2014 - Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge durch drei Palästinenser. 75 3. Islamismus in Thüringen 3.1 Überblick Islamistische Gruppierungen haben sich in Thüringen bislang kaum strukturell etabliert. Feste, formale Organisationsstrukturen existieren in diesem Sinne im Freistaat weiterhin nicht. Nach wie vor agieren lose Personennetzwerke oder Einzelpersonen, die vorwiegend salafistische Aktivitäten entfalten. Etwa 135 Personen (2018: 130) sind der Strömung des Salafismus zuzurechnen, weitere 31 (2018: 30) der "Islamistischen nordkaukasischen Szene" (INS). Darüber hinaus stehen ca. 25 Islamisten den legalistisch ausgerichteten Gruppierungen "Tablighi Jama'at", "Muslimbruderschaft", "Hizb Allah" und HAMAS nahe. 3.2 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen Im Freistaat existieren Moscheevereine im unteren zweistelligen Bereich, von denen einzelne als islamistisch beeinflusst sowie als teilweise von Islamisten frequentierte Einrichtungen bewertet werden. Die Mehrheit dient lediglich islamistisch orientierten Einzelpersonen und Personengruppen als Anlaufstelle zur Verrichtung des freitäglichen Pflichtgebets. Diese Moscheevereine, deren Mitglieder und Besucher sich überwiegend im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung betätigen, treten bisher nicht selbst als Multiplikatoren der islamistischen Ideologie in Erscheinung. Einige sind unwissentlich über einzelne Besucher islamistischen Einflüssen ausgesetzt und können somit sowohl der Rekrutierung für islamistische Netzwerke als auch als Orte der Radikalisierung dienen. Infolge dessen werden sie auch als mögliche Anlaufstellen und Trefforte zur Kontaktaufnahme und für Zusammenkünfte entsprechender Personen genutzt. Dabei bestehen auch Kennverhältnisse zu Personen aus dem jihadistischen Spektrum. Aufgrund dessen werden Moscheevereine und Gebetsräume im Freistaat nicht insgesamt als salafistische Bestrebung bzw. allgemein islamistisch nachrichtendienstlich beobachtet, sondern vielmehr einzelne relevante Personengruppen. 76 3.3 Salafismus in Thüringen Salafistisches Personenpotenzial Die einflussreichste Strömung des islamistischen Spektrums in Thüringen bildet analog zum Bundestrend der Salafismus. Obgleich er deutlich männlich dominiert ist, liegt Frauenanteil in Thüringen inzwischen bei 11 Prozent. Es handelt sich dabei um einige Konvertitinnen, im Schwerpunkt sind die Frauen zugewandert. Sie entfalten ausschließlich in den sozialen Netzwerken Aktivitäten, wobei bislang offenbar keine Vernetzungen untereinander in der Realwelt bestehen. Was die Altersstruktur anbelangt, überwiegt noch immer die Gruppe der Über-36-Jährigen mit 44 Prozent (2018: 53 Prozent), gefolgt von der Gruppe der 26bis 36-Jährigen mit 31 Prozent (2018: 30 Prozent). Trotz eines gewissen Zuwachses macht die Gruppe der 16bis 25-Jährigen mit 25 Prozent (2018: 16 Prozent) den geringsten Anteil aus. Beim Blick auf diese Zahlen drängt sich der Eindruck auf, dass salafistische Ideologie bei Teilen der deutschen Gesellschaft mit Migrationshintergrund Anklang findet, die teils identitätsstiftende Traditionen der Herkunftsländer bzw. ihrer Vorfahren zu bewahren anstreben und vornehmlich darin Orientierung in einem ansonsten dauerhaft als fremd wahrgenommenen Umfeld suchen. Hinter dem Anstieg der salafistischen Gesinnung von insbesondere asylsuchenden 16 bis 25-Jährigen werden Orientierungslosigkeit infolge einer erschwerten Integration und möglicherweise eine religiöse Prägung aus den Heimatländern vermutet. Der Rückgang bei den Über-36-Jährigen liegt u. a. im Wegzug zahlreicher Anhänger begründet. 77 Besonderes Augenmerk legen die Thüringer Sicherheitsbehörden auf jene 12,2 Prozent (2018: 18,4 Prozent) der Thüringer Salafisten, die einen Gewaltbezug aufweisen. Diese Zahl beschränkt sich nicht nur auf Jihadisten, sondern umfasst ebenso Islamisten, die im Zusammenhang mit Körperverletzungsdelikten und gewaltbefürwortenden Äußerungen sowie Drohungen in Erscheinung getreten sind. Der Rückgang des o. g. Wertes ist u. a. auf den Fortzug bzw. die Abschiebung von Jihadisten zurückzuführen. Die Migrationsbewegungen nach Deutschland, die im Vergleich zu den Jahren 2016/2017 deutlich abgenommen haben, stellen die deutschen Sicherheitsbehörden weiterhin vor vielseitige Herausforderungen. Ihr Fokus ist dabei neben der Beobachtung salafistischer Bestrebungen in Moscheevereinen und von Einzelpersonen auch auf Sachverhalte mit Bezügen zum Islamistischen Terrorismus gerichtet. Im AfV gehen regelmäßig Einzelhinweise zu mutmaßlichen aktiven und ehemaligen Kämpfern, Unterstützern und Sympathisanten terroristischer Organisationen im Sinne der SSSS 129a und 129b Strafgesetzbuch wie dem IS, den Taliban, "al-Qaida" und der "al-Shabaab-Miliz" unter Geflüchteten ein. Ihre Abklärung ist oft aufwendig und erstreckt sich mitunter über einen längeren Zeitraum. Im Berichtszeitraum handelte es sich um ein zu prüfendes Aufkommen im unteren dreistelligen Bereich, bei dem tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung vorlagen. Die rückläufigen Zahlen gestellter Asylanträge im Jahr 2019 spiegeln sich in der Anzahl neu eingegangener Hinweise mit Bezügen zum islamistischen Terrorismus wider. Im Berichtszeitraum verringerte sich das Aufkommen zum Vorjahresniveau um ca. ein Drittel auf einen Wert im oberen zweistelligen Bereich. Davon befindet sich knapp die Hälfte in fortdauernder Abklärung. Es wurden tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung festgestellt. Größtenteils bezogen sich die Hinweise auf Aktivitäten im Zusammenhang mit dem IS. Hinweise auf Bezüge zu den Taliban, "al-Qaida" affiliierten Gruppierungen und der "al-Shabaab-Miliz" bewegen sich jeweils im unteren einstelligen Bereich. 78 3.4 Exekutivmaßnahmen Abschiebung eines islamistischen Gefährders und seiner Familie Nach knapp dreijährigen Bemühungen von Thüringer Behörden erfolgte im August die Abschiebung eines islamistischen Gefährders in sein Heimatland. Bei dem Gefährder handelt es sich um einen Russen tschetschenischer Volkszugehörigkeit, der seit 2013 im Bundesgebiet aufhältig war. Sein Asylantrag wurde im Juli 2018 abgelehnt. Unmittelbar vor der Abschiebung befand sich der Russe aufgrund eines entsprechenden Haftbefehls des Verwaltungsgerichts Weimar in Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt Tonna. 79 V. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 1. Hintergrund Ausländerextremismus ist ein Sammelbegriff für Aktivitäten von heterogenen extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen außerhalb des Islamismus, die überwiegend aus politischen, sozialen oder ethnischen Konflikten in den jeweiligen Herkunftsländern hervorgegangen sind. Ausländerextremistische Bestrebungen zielen auf mitunter gewaltsame Veränderungen der Verhältnisse in den Herkunftsländern ab, wobei Deutschland überwiegend als sicherer Rückzugsraum genutzt wird. Diese Aktivitäten können die innere Sicherheit bzw. das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährden, z. T. verstoßen sie auch gegen das Prinzip der Völkerverständigung. Zu Personenzusammenschlüssen dieser Art zählt auch die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die in Deutschland seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt ist. Sie bildet in Thüringen unter den ausländerextremistischen Gruppierungen den Bearbeitungsschwerpunkt. 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung 1978 in der Türkei als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) weitere Bezeichnungen: "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Betätigungsverbot Verbotsverfügung vom 22. November 1993 des Bundesministers des Inneren Diese gilt auch für sämtliche o. g. Nachfolgeorganisationen. Aufgrund der strukturellen Gleichheit zur Ursprungsorganisation wird von den Sicherheitsbehörden weiterhin die Bezeichnung PKK verwandt. 80 Leitung Abdullah Öcalan Publikationen u. a. "SERXWEBUN" ("Unabhängigkeit"), monatlich; "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), täglich Mitglieder/Anhänger (Bund) 2019: ca. 14.500 2018: ca. 14.500 2017: ca. 14.500 Teilgebiet Erfurt 2019: ca. 130 2018: ca. 150 2017: ca. 150 Tabelle 10: Zahlen und Fakten zur PKK 2.1 Überblick, allgemeine Lage Der seit 1999 inhaftierte Parteigründer Abdullah Öcalan steht weiterhin formal an der Spitze der Organisation. Er wird von ihren Anhängern nach wie vor als Symbolfigur verehrt. Einzig das Anliegen der Partei erfuhr in der Vergangenheit eine Neujustierung. Statt des früher geführten Guerillakriegs zur Verwirklichung eines autonomen Kurdenstaates, setzt sich die Organisation für die Anerkennung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei ein. Dabei bedient sich die PKK weiterhin einer Doppelstrategie. Um ein friedliches Erscheinungsbild gegenüber der westeuropäischen Öffentlichkeit bemüht, werben ihre Anhänger bei Kundgebungen oder anlassbezogenen Gedenkund Kulturveranstaltungen vordergründig um politische Anerkennung ihrer Interessen. Zugleich unterhält sie in der Türkei und der nordirakischen Grenzregion bewaffnete "Volksverteidigungskräfte" (HPG), um ihre Ziele auch mit militärischer Gewalt zu erreichen. 32 Neben den fest im Jahresverlauf verankerten Veranstaltungen (z. B. Demonstration zum Jahrestag der Festnahme Öcalans am 15. Februar, "Newroz"-Fest 33 im März, Kurdistanfestival im 32 Nachdem der Europäische Rat im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem vorrangigen Ziel der EU erklärte, ist die PKK seit 2002 auf der in diesem Zusammenhang eingerichteten sog. EU-Terrorliste notiert. Dort können Personen, Vereinigungen und Körperschaften erfasst werden, wenn eine zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaats über Beweise oder schlüssige Indizien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Konsequenz der Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtiger Personen und Organisationen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied 2018, dass die Listung der PKK im Zeitraum 2014 bis 2017 mangels einer ausreichenden Begründung rechtswidrig war. Konkrete Auswirkungen hat das Urteil allerdings nicht, da es seit 2018 eine neue Durchführungsverordnung des Rates der Europäischen Union zur sog. EU-Terrorliste gibt, in der die PKK aufgeführt ist und die durch das Urteil nicht infrage gestellt wird. 33 Das "Newroz"-Fest ist ein Neujahrsund Frühlingsfest, welches von Kurden, iranischen Völkern und Turkvölkern zum Dank an die Großzügigkeit der Natur und zur Feier des Beginns eines neuen Jahres begangen wird. Im kurdischen Kulturkreis werden die "Newroz"-Feierlichkeiten auch für politische Kundgebungen und Demonstrationen genutzt, sodass sie heute den Zusammenhalt des kurdischen Volkes gegen Unterdrückung ihrer Kultur und den Kampf für kulturelle und territoriale Selbstbestimmung symbolisieren. Infolge dieser Politisierung des "Newroz"-Festes werden auf Demonstrationszügen mitunter verbotene Parolen skandiert und verbotene Flaggen mit PKK-Symboliken und Abbildungen des PKK-Führers Abdullah Öcalan gezeigt. 81 September) setzten sich die Aktivitäten von PKK-Anhängern, die einen Bezug zur Heimatregion bzw. zum PKK-Führer Öcalan aufwiesen, im Berichtszeitraum fort. Die am 9. Oktober unter der Bezeichnung "Quelle des Friedens" begonnene türkische Militäroperation in Nordsyrien stellte im Berichtszeitraum einen besonderen Anlass für Aktivitäten von PKK-Anhängern dar. In diesem kurdisch besiedelten Gebiet hatte sich in den letzten Jahren eine kurdische Autonomieregion 34 entwickelt, welche vor allem von der syrischen PKKSchwesterpartei "Partei der Demokratischen Union" (PYD) und deren militärischen Strängen, den "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) und "Frauenverteidigungseinheiten" (YPJ), dominiert wird. Durch den Abzug der amerikanischen Truppen Anfang Oktober, die gemeinsam mit kurdischen Verbänden gegen den IS kämpften, hatten die dort ansässigen - von der Türkei als Terrororganisationen bezeichneten - Organisationen ihren internationalen Schutz verloren, sodass die Türkei als "Selbstverteidigung gegen eine terroristische Bedrohung" Luftund Artillerieangriffe startete. Die YPG sind die dominierende Kraft im Norden und Osten Syriens, wo sie im Laufe des mehr als achtjährigen Bürgerkriegs ein großes Gebiet an den Grenzen zur Türkei und zum Irak unter ihre Kontrolle bringen konnten. Dort haben die Kurden eine Selbstverwaltung mit Kantonen eingerichtet. Die YPG-Miliz führt auch die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) an, in deren Reihen neben kurdischen auch arabische Einheiten kämpfen. Die SDF waren in Syrien der wichtigste Partner der USA im Kampf gegen die Terrormiliz IS. Ihre Einheiten rückten am Boden gegen die Extremisten vor. Im Frühjahr 2019 nahmen SDF-Truppen im Osten Syriens die letzte ISHochburg ein. Die türkische Militäroffensive und die sich dadurch verschärfenden militärischen Auseinandersetzungen in der als "Rojava" bezeichneten Heimatregion führten auch in Deutschland zu zahlreichen Solidaritätsveranstaltungen seitens der PKK. Bundesweit fanden in diesem Zusammenhang in vielen Städten zahlreiche Demonstrationen statt. Es kam zu größeren Protestkundgebungen in Köln (ca. 10.000 Teilnehmer), Berlin (ca. 2.300 Teilnehmer), Hannover (ca. 2.000 Teilnehmer) und Stuttgart (ca. 1.600 Teilnehmer). Die Veranstaltungen verliefen zumeist 34 Die von Kurden besiedelten Gebiete in Nordsyrien werden als "Rojava" bezeichnet. Bei "Rojava" handelt es sich um eine kurdische Bezeichnung, auch "Demokratische Föderation Nordsyrien" bzw. "Westkurdistan" genannt. Dieses Gebiet umfasst die Kantone Afrin, Kobane und Cizire, welche als symbolträchtiges Aushängeschild für die Realisierung der von der PKK betriebenen kurdischen Autonomie in Nordsyrien stehen. 82 störungsfrei. Bei einigen Demonstrationen kam es jedoch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen bzw. Angriffen auf Einsatzkräfte der Polizei. Seit dem Beginn der Militäroffensive fanden auch in Thüringen regelmäßig pro-kurdische Solidaritätsveranstaltungen statt. Bei Kundgebungen in Erfurt, Jena, Gera, Nordhausen, Eisenach und Gotha bewegten sich die Teilnahmerzahlen zwischen 10 und 400 Personen. Die Veranstaltungen verliefen, unter Berücksichtigung von Verstößen gegen das Versammlungsund Vereinsgesetz, weitestgehend störungsfrei. Die Forderung nach "Freiheit für Öcalan" stellt - neben der Forderung nach Aufhebung seiner "Isolationshaft" - weiterhin ein zentrales Element der PKK-Propaganda in Deutschland dar. Sowohl bei jährlich wiederkehrenden Anlässen für Versammlungen als auch bei außerordentlichen Ereignissen nehmen die Anhänger der PKK regelmäßig Bezug auf das Schicksal des in der Türkei inhaftierten Pateigründers. Am 23. März fand das zentrale "Newroz"-Fest in Frankfurt am Main (Hessen) mit bis zu 25.000 Teilnehmern unter dem Motto "Die Isolation durchbrechen - Freiheit für Abdullah Öcalan" statt. Bereits am 15. März wurde in Erfurt eine "Newroz"-Feier mit ca. 300 Teilnehmern durchgeführt. Der als Friedensmarsch deklarierte "Lange Marsch" der kurdischen Jugendbewegung im September gab ebenfalls die Forderung nach Aufhebung der Isolationshaft Öcalans sowie jene nach Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen mit der Türkei aus. "Den Widerstand für die Freiheit Abdullah Öcalans, den Status Rojavas und gegen das Zwangsverwalter-Regime verstärken" lautete das Motto des "Internationalen Kurdischen Kulturfestivals" am 21. September in Maastricht (Niederlande), zu dem sich etwa 7.000 Personen - auch aus Deutschland - versammelten. 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen Die politischen Aktivitäten der PKK werden in Europa durch den "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (KCDK-E) bestimmt. In der Bundesrepublik Deutschland besteht die hierarchische Struktur der PKK aus neun Regionen mit 31 "Gebieten", die sich wiederum in "Teilgebiete" untergliedern. Das "Teilgebiet Erfurt" stellt die einzige in Thüringen etablierte Struktur der PKK dar. Es ist dem "Gebiet Kassel" organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum Erfurt auch Weimar und Teile Nord-, Westsowie Südwestthüringens. Ein von der Partei bestimmter 83 Teilgebietsleiter ist u. a. für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, die Verteilung und den Verkauf von Propagandamaterial sowie die Spendensammlungen verantwortlich. Die PKK-Anhängerschaft im "Teilgebiet Erfurt" umfasst ca. 130 Personen. Die umzusetzenden Vorgaben und Anordnungen der KCDK-E-Leitung werden durch die Gebietsund Teilgebietsleiter zur Basis transportiert. Diese ist vornehmlich in kurdischen Kulturvereinen organisiert. In Deutschland existieren ca. 46 solcher Vereine, die dem Dachverband "Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED) angeschlossen sind. 35 Der Verein "Demokratische Gesellschaft der Kurdinnen Thüringen e. V." 36 hat seinen Sitz in Erfurt. 2.3 Finanzierung Die PKK nutzt verschiedene Finanzierungsquellen, u. a. Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungseinnahmen und den Publikationsverkauf. Den weitaus größten Einnahmenanteil erzielt sie während der alljährlich unter den Anhängern in Europa durchgeführten Spendenkampagne. Allein in Deutschland wurden anlässlich der jeweiligen Jahresspendenkampagne mehrere Millionen Euro gesammelt. Sonderspendenkampagnen zu aktuellen Themen sollen zusätzliche Spendenbereitschaft generieren. Die eingenommenen Gelder dienen vorrangig der Finanzierung der Guerillaeinheiten und dem Unterhalt der umfangreichen PKK-Strukturen. Darüber hinaus werden PKK-Großveranstaltungen damit finanziert. 2.4 Propaganda und Themenschwerpunkte Die PKK-Gliederungen in Deutschland sind weiterhin bestrebt, mit diversen Veranstaltungen und Aktionen sowie unter Einbindung anderer politischer Akteure das öffentliche Meinungsbild 35 Der vormalige Dachverband "Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Deutschland e. V." (NAVDEM) wurde im Rahmen der Gründungsveranstaltung der KON-MED im Mai in das neue Organisationsmodell überführt. 36 Der im Jahr 2012 als "Kulturverein Mesopotamien e. V." gegründete Verein nannte sich ab Mai 2018 bis zur erneuten Anpassung im Berichtszeitraum "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Thüringen e. V.". Den Umbenennungen waren jeweils Beschlüsse des PKK-nahen (Europa)-Dachverbandes (jetzt: KONMED) über Neustrukturierungen der kurdischen Vereine in Europa vorausgegangen. 84 in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Berichtszeitraum dominierten bundesweit die Themenschwerpunkte "Freiheit für Öcalan" und die Situation der Kurden im Irak und Syrien. In den vergangenen Jahren spiegelten sich die bundesweiten Themenschwerpunkte auch bei Veranstaltungen in Thüringen wider, den Aktivitätsschwerpunkt bildete dabei Erfurt. Im März 2018 kam es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zu Durchsuchungen an vier Wohn-, Vereinsund Geschäftsadressen in Erfurt und Schalkau (Landkreis Sonneberg), darunter auch auf die Räumlichkeiten des Erfurter Vereins "Demokratische Gesellschaft der Kurdinnen e. V.". 37 Seit den Exekutivmaßnahmen wurden keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen des Vereins bekannt. 3. Bewertung Die Aktionsbeispiele verdeutlichen, dass die PKK noch immer kurzfristig auf Ereignisse im Ausland zu reagieren vermag und bundesweit ihre Anhänger für Proteste mobilisieren kann. Auch die regelmäßig von der PKK besetzten Themen anlässlich organisationsbezogener Jahresoder Gedenktage sowie Kulturveranstaltungen haben grundsätzlich nicht an Zugkraft verloren. Im Berichtszeitraum gingen die Teilnehmerzahlen bei einigen Großveranstaltungen allerdings stark zurück. Behördliche Auflagen hinsichtlich der Austragungsorte und die nachdrückliche Durchsetzung des Kennzeichenverbots mögen dazu beigetragen haben. Der Gesundheitszustand des Organisationsgründers und die Forderung nach seiner Freilassung sind nach wie vor zentrale, vor allem auch emotionalisierende Elemente der Kundgebungen. Organisationsübergreifende Kooperationen u. a. mit der linksextremistischen Szene finden mitunter Ausdruck in Massenkundgebungen. Im Berichtszeitraum kam es bundesweit vermehrt zu Sachbeschädigungen im Nachgang zu Demonstrationen der PKK Anhänger und Unterstützer gegen die türkische Militäroffensive in Syrien. Polizeibeamte, die das behördliche PKK-Kennzeichenverbot im Rahmen der Veranstaltungen durchsetzten, waren mitunter von tätlichen Übergriffen betroffen. Vergleichbares blieb bei den wenigen einschlägigen Veranstaltungen in Thüringen aus. 37 Die Ermittlungen dauerten zum Redaktionsschluss an. 85 VI. Linksextremismus 1. Überblick und Schwerpunktsetzung Der Schwerpunkt bei der Beobachtung der linksextremistischen Szene liegt bundesweit auf dem gewaltorientierten Linksextremismus, der eine unmittelbare Bedrohung für die innere Sicherheit und damit eine Gefährdung für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland darstellt. Dies trifft ebenso auf Thüringen und das hier aktive linksextremistische Spektrum zu. Es ist sowohl in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt und als auch in Thüringen breit gefächert und folgt verschiedenen ideologischen Positionen. Gemeinsam ist allen Spielarten des Linksextremismus das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Ihre - wie unterschiedlich auch immer gearteten - Bestrebungen richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Gewaltorientierte Aktivitäten verlangen dabei jedoch eine sofortige und unmittelbare Intervention. Die in Thüringen vertretenen linksextremistischen Parteien, Organisationen und sonstigen Personenzusammenschlüsse sind Teil der bundesweit bestehenden linksextremistischen Strukturen bzw. Szene, ohne dass alle bundesweit existierenden Gruppierungen ein entsprechendes Pendant in Thüringen hätten. Das gewaltorientierte linksextremistische Spektrum wird zu einem wesentlichen Teil von den Autonomen gebildet. Sie verüben auch das Gros der einschlägigen Gewalttaten. Gewaltorientierung gehört zu den identitätsstiftenden Merkmalen dieser Linksextremisten. Sie äußert sich in Varianten und Stufen verschiedener Intensität als Befürwortung von Gewalt oder Werbung für Gewalt, in Form von konkreten Unterstützungshandlungen oder auch als unmittelbare Gewalttätigkeit. Auf die - im Bundesvergleich wenigen - Thüringer Linksextremisten entfällt ein entsprechend geringer Anteil der Strafund Gewalttaten. Die Thüringer Szene ist jedoch überregional sehr gut vernetzt und in bundesweite Zusammenhänge eingebunden. Nicht (unmittelbar) gewaltorientierte Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln zunächst innerhalb der bestehenden Rechtsordnung. Gegenüber den gewaltorientierten Linksextremisten scheinen sie weiter an Bedeutung zu verlieren. Gleichwohl sind sie durchaus in der Lage, neue wie langjährige Anhänger politisch und ideologisch so 86 auszubilden und zu festigen, dass damit perspektivisch auch eine tragfähige Basis für potenzielle Gewalttaten geschaffen werden kann. Diesem Spektrum gehören zum Beispiel die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) an. 2. Ideologischer Hintergrund Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Es schließt Anhänger der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Insbesondere die Werke von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Stalin und Mao Zedong stellen die Grundlagen der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebäude dar. Anarchistische Vorstellungen folgen ebenfalls verschiedenen Theoretikern wie Bakunin, Kropotkin. Linksextremisten wollen im Ergebnis entweder einen marxistischleninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. 3. Das linksextremistische Personenpotenzial Bundesweit überwiegt bei summarischer Betrachtung das Potenzial der nicht gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten. Es umfasste im Berichtszeitraum etwa 25.300 Mitglieder. Hinzu kamen jeweils ca. 9.200 Personen, die der gewaltorientierten linksextremistischen Szene zugerechnet wurden. Hierzu zählten auch etwa 7.400 Autonome. Thüringen Bund 2017 2018 2019 2017 2018 2019 Gewaltorientierte 140 140 140 9.000 9.000 9.200 Linksextremisten davon: Autonome 130 130 130 7.000 7.400 7.400 87 Anarchisten 38 10 10 10 800 800 900 Linksextremistische 60 70 70 4.800 5.650 5.650 Parteien 39 Rote Hilfe e. V. 140 140 140 8.300 9.200 11.000 Tabelle 11: Geschätzte linksextremistische Mitgliederbzw. Anhängerpotenziale Maßgebliche Gruppen des autonomen Spektrums in Thüringen blieben bestehen. Regionale Schwerpunkte existieren weiterhin in Jena und Weimar, ebenso hält die Fokussierung auf das Betätigungsfeld "Antifaschismus" an. Die in diesem Zusammenhang durchgeführten Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen der "rechten" bzw. rechtsextremistischen Szene bzw. deren Strukturen. Dabei suchten Autonome durchaus die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und der Polizei. Den in Thüringen vertretenen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen gelang es im Berichtszeitraum teilweise durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen zu werden. Maßgebliche Aktivitäten der DKP wurden nicht festgestellt. Jedoch gelang es der in diesem Spektrum isolierten MLPD ihre politischen Anliegen in der Öffentlichkeit darzustellen. Im Zusammenhang mit der Landtagswahl am 27. Oktober organisierte die Partei in Thüringen eine Vielzahl von Informationsständen und Veranstaltungen, zudem plakatierte sie umfangreich. 4. Autonome - gewaltorientierte Linksextremisten 4.1 Allgemeines Die Entstehungsgeschichte der autonomen Bewegung reicht in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, in denen die radikalen und militanten Teile der Studentenbewegung zerfielen. Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 1970er Jahre aktiv. Heute agieren sie vor allem in größeren Städten. Schwerpunkte bilden Ballungsräume wie Berlin, Hamburg, das Rhein-Main-Gebiet und Leipzig oder auch Universitätsstädte. Der gewaltorientierten autonomen Szene waren bundesweit erneut etwa 7.400 Anhänger zuzurechnen. Damit hat sich 38 Hierunter fällt auch die in geringem Umfang in Thüringen vertretene "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Ihr Aktionsschwerpunkt beschränkt sich auf Jena; was durch die seit 2017 Bezeichnung "FAU Jena" unterstrichen wird. 39 Die Zahlenangaben beziehen sich auf die organisatorisch in Thüringen vertretenen Parteien "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). 88 das Potenzial der weitaus größten Personengruppe des gewaltorientierten deutschen Linksextremismus vorerst offenbar auf hohem Niveau konsolidiert. Bestrebungen, verschiedene Strömungen des Linksextremismus zusammenzuführen, hielten ebenso an wie das Bemühen durch eine Entgrenzung zwischen Extremisten und Nichtextremisten eine Anschlussfähigkeit an die demokratische Mehrheitsgesellschaft herzustellen. Als ein maßgeblicher Akteur trat dabei erneut die "Interventionistische Linke" (IL) in Erscheinung. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet ihre paradoxe Devise. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus, anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, sozialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Versatzstücken. Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung der Gesellschaft. Aus ihrer Selbstsicht heraus nehmen Autonome Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre gewalttätigen Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Dabei spielen Überlegungen zur Haltung möglicher Bündnispartner ebenso eine Rolle wie Stärke und Vorgehensweise eingesetzter Polizeikräfte oder des politischen Gegners. Gelegentlich kommt es jedoch auch zu Gewaltausbrüchen zwischen Angehörigen des linksund rechtsextremistischen Spektrums, die jeweils "Vergeltungsaktionen" nach sich ziehen können. Die von Autonomen angestrebte Veränderung zielt auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. Daher sind Autonome als Linksextremisten im Sinne der Definition zu bewerten. Die szeneinterne - oft auch konspirativ abgeschottete - Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung elektronischer Medien. Die Szene betreibt oder nutzt eine Vielzahl von Homepages und Portalen. Unter diesen hatte in den letzten Jahren das linksextremistische Internetportal "linksunten.indymedia" zunehmend an Bedeutung gewonnen und sich zu einem zentralen An89 gebot für die Szene insgesamt entwickelt. Sein Verbot im Jahr 2017 und die juristische Aufarbeitung 40 beschäftigen die Szene daher weiterhin, zumal ein gleichrangiges zentrales Ersatzangebot nach wie vor fehlt. Zumindest teilweise wurde auf "de.indymedia.org" ausgewichen. Darüber hinaus dienen diverse Szeneblätter, die z. T. konspirativ verbreitet werden, als Informationsquellen. Zur Werbung von Nachwuchs für die meist jugendliche, vielfältige und starker Fluktuation unterworfene Szene bieten sich szenetypische Konzerte, verschiedene Angebote in Szeneobjekten, Veranstaltungen zu relevanten Themen wie insbesondere "Antifaschismus" und die Möglichkeiten universitärer Einrichtungen an. Kampagnenfähige Themen Wie auch andere Linksextremisten engagieren sich Autonome in verschiedensten gesellschaftlichen Konfliktfeldern und sind bemüht, ihre grundsätzliche Systemkritik dort über den sachbezogenen Protest hinaus in den öffentlichen Diskurs einfließen zulassen. So versuchen sie Bündnispartner zu gewinnen und ihre extremistischen Ziele zu verfolgen. Im Berichtszeitraum bestimmten folgende Themen die Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: "Antifaschismus", "Antirepression", "Antigentrifizierung", "Antirassismus", "Antikapitalismus", "Antiglobalisierung", "Klimaund Umweltschutz". Gewaltpotenzial Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome regelmäßig die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und Einsatzkräften der Polizei. Vermehrt kam es jedoch auch in weiteren Themenfeldern zu gezielten, gewalttätigen Übergriffen auf "politisch Andersdenkende" oder vermeintlich Verantwortliche für szenerelevante 40 Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig wies am 29. Januar 2020 die Klage von fünf betroffenen Aktivisten gegen das Vereinsverbot aus formalen Gründen ab. Sie hatten das Verbot als Einzelpersonen, die eine Mitgliedschaft in dem Verein bestritten, angefochten, vgl. Pressemitteilung des BVerwG Nr. 5/2020 vom 30. Januar 2020. Die Verhandlung war Anlass für eine bundesweite Solidarisierung mit "linksunten" und der Forderung nach "uneingeschränkter und grenzenloser Pressefreiheit" sowie für gewaltsame Proteste und Ausschreitungen unter Beteiligung von Linksextremisten in Leipzig. 90 "Missstände". Insbesondere gegen Polizisten im Einsatz scheint dabei jede Hemmschwelle zu fallen, so dass auch tödliche Verletzungen zumindest von einigen Akteuren offenbar billigend in Kauf genommen werden. Auch bei Sachbeschädigungen und Brandstiftungen kam es wiederholt zu Anschlägen von enormen Schadenssummen, im Einzelfall sogar in Millionenhöhe. Ein weiterer Ausdruck der anhaltenden Gewaltorientierung von Linksextremisten und der grundsätzlichen Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt auch durch Autonome ist das Fehlen einer eindeutigen und unmissverständlichen Distanzierung von linksterroristischen Gruppierungen, sei es die "Rote Armee Fraktion" (RAF), die bereits 1999 ihre Auflösung erklärte und deren Straftaten auch wegen der anhaltenden Solidarisierung mit ihr noch immer nicht restlos aufgeklärt werden konnten, oder seien es ausländische "Befreiungsbewegungen" und "Widerstandskämpfe". Aktuell bestehen keine Anhaltspunkte, die auf eine Existenz linksterroristischer Strukturen schließen lassen. Derartige Entwicklungen bereits im Ansatz zu erkennen, bleibt jedoch eine beständige Aufgabe und Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. Insofern ist es notwendig, eine weitere mögliche Häufung von schweren Straftaten auch unterhalb der Schwelle des Terrorismus genauestens hinsichtlich ihres Gewaltpotenzials, ihrer Vermittelbarkeit in Szene und Umfeld zu prüfen, um Hinweise auf eine weitere Radikalisierung frühzeitig erkennen zu können. (De)-Zentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der autonomen Szene. Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der traditionellen Autonomen. Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie lehnt Hierarchien und Führungsstrukturen ab. Autonome agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen. Um die wegen des niedrigen Organisationsniveaus begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, gibt es immer wieder Versuche, übergreifende Organisationsformen und Strukturen zu schaffen. Mehrere bundesweite Zusammenschlüsse und Bündnisprojekte spiegeln die Dynamik und Widersprüchlichkeit im bundesweiten linksextremistischen Spektrum wider. Eines dieser Projekte ist die 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppierungen und Aktivisten gegründete IL. Als eine Art "Scharnier" zu nicht gewaltorientierten Linksextremisten und auch nicht extremistischen Gruppierungen lehnt sie Gewalt nicht grundsätzlich ab. Ihr Ziel ist die Zusammenführung von (links)extremistischen Akteuren unterschiedlicher ideologischer Prägung und auch Nichtextremisten, um eine erhöhte Handlungsfähigkeit - Interventionsmöglichkeit - zu erlangen. Die IL zielt dabei letztlich auf eine 91 Überwindung des "Kapitalismus" durch einen revolutionären Umsturz ab. Organisationsstrukturen der IL in Thüringen bestehen nicht. Aber auch Thüringer Gruppierungen weisen kontinuierlich Verbindungen zur IL auf. So werden wesentliche Themen der IL auch in Thüringen aufgegriffen. In Jena erfolgte z. B. die thematische und organisatorische Verbindung zu den "Klimakämpfen" durch die Gruppierung "PEKARI" 41. In einer bundesweiten, linksextremistisch beeinflussten Klimaprotest-Kampagne spielt die IL eine führende Rolle. 4.2 Die autonome Szene in Thüringen Das Anhängerpotenzial der gewaltorientierten autonomen Szene Thüringens umfasste im Berichtszeitraum ca. 130 Personen. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung beimaß, gelang es ihr, einen auch überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren. Regionale Schwerpunkte befinden sich in Jena und Weimar. Szenetypische Anlaufstellen sind "Infoläden" in Arnstadt, Erfurt, Jena und Gotha. Über verschiedene Veranstaltungen versuchte die linksextremistische autonome Szene offenbar im jugendlichen Spektrum Sympathisanten und neue Mitstreiter zu gewinnen. Autonome Gruppen aus Thüringen nutzen verschiedene elektronische Kommunikationskanäle, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten veröffentlichen sie zum Teil umfangreiche Rechercheberichte über den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften oder Audiostreams mit Informationen zum "rechten" Spektrum werden auf diesem Wege verbreitet. Bei der internen Kommunikation werden spezielle Möglichkeiten zur besonderen Nachrichtenverschlüsselung genutzt, die über die gängige End-zu-End-Sicherung hinausreichen. Der Schwerpunkt öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten lag im Berichtszeitraum vor allem in Jena, einer Region mit einer personell relativ starken und aktiven autonomen Szene. Inhaltlich dominierte weiterhin das Themengebiet "Antifaschismus". Weitere Aktionsfelder von Bedeutung waren "Antigentrifizierung" und "Antirepression". Das auch für Linksextremisten relevante Themenfeld "Umweltund Klimaschutz" gewann erheblich an Bedeutung. Die Aktionen der autonomen Szene reichten von der Mobilisierung für die von breiten, nichtextremistischen Bündnissen organisierten Proteste gegen rechtsextremistische Veranstaltun41 "PEKARI - Linke Basisgruppe Jena" (PEKARI) rekrutiert "Nachwuchs für die radikale Linke in Jena". Die Gruppe ist im linksextremistischen Spektrum auch über Thüringen hinaus gut vernetzt. Sie wird der linksextremistischen (post)autonomen Szene zugerechnet. 92 gen und die gewaltfreie Beteiligung daran bis hin zu gezielten Blockadeaktionen sowie Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums, aber auch gegen Einsatzkräfte der Polizei. Aus Szenesicht gelungene Gegenaktionen, die die Verzögerung oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich machten, wertete sie als äußerst positiv. Entsprechend kritisch berichtete sie im Nachgang über Ereignisse und - insbesondere polizeiliche - Maßnahmen, die sie am Erreichen ihrer Ziele gehindert haben. Gleichwohl gelang es ihren Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen. Stehen Autonome diesen taktisch motivierten Kooperationen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren stets skeptisch gegenüber, distanzieren sie sich mitunter deutlich von solchen ihren Idealen widerstrebenden Zweckbündnissen. Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten meist im Vorfeld zu Blockadeund Störaktionen aufgerufen. Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner, um den "Naziaufmarsch mit allen Mitteln" zu verhindern. Mitunter missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Berichtszeitraum zu Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. Persönliche Kontakte von Thüringer Autonomen insbesondere auch in bundesweite Szenehochburgen wie Leipzig, Berlin und Hamburg, Mobilisierungen für überregionale Veranstaltungen und Proteste, Verlinkungen, Vernetzungsbemühungen und die Beteiligung an Aktivitäten im Bundesgebiet belegen eine enge Einbindung und bundesweite Verflechtung der Thüringer autonomen Szene. Im Berichtszeitraum beteiligten sich Thüringer Autonome an Aktivitäten in anderen, insbesondere angrenzenden Bundesländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt. So bot PEKARI im August einen Workshop zum Thema "Lithiumabbau - die Kehrseite der E- Mobilität in Südamerika" im Rahmen des "2. Klimacamp Leipziger Land" an. An dem Camp vom 3. bis 12. August in Pödelwitz (Sachsen) beteiligten sich mehr als 1.000 Personen, unter ihnen auch Linksextremisten aus Thüringen. Ebenso belegen Auftritte linksextremistischer Bands aus anderen Bundesländern in Thüringen überregionale Kontakte und Verflechtungen innerhalb der linksextremistischen Szene, die auch auf diese Weise gepflegt und gestärkt werden. 93 4.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis Sachbeschädigungen und Recherche Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherchebis zu sog. Outing-Aktionen. Linksextremisten setzen mit "Outing"-Aktionen darauf, mutmaßliche oder tatsächliche politische Gegner als Rechtsextremisten z. B. durch Internetdarstellungen, Flugblattaktionen im Wohnoder Arbeitsumfeld öffentlich zu machen und so über deren politische Ausrichtung "aufzuklären" sowie diese nach Möglichkeiten in ihrem privaten Umfeld und sozial zu isolieren. "Outing"-Aktionen führen mitunter zu weiteren Straftaten. Insoweit sind verbale Attacken, Sachbeschädigungen (an Haus oder Auto des Betroffenen) oder aber auch (körperliche) Übergriffe nicht auszuschließen und werden seitens der Täter begrüßt und gefördert. Ziel ist es, ein Bedrohungsszenario gegenüber der "geouteten" Person aufzubauen. So "outete" zum Beispiel das "Antifa Rechercheportal Jena-Saale-Holzland-Kreis" im Juli einen "Nazi" unter der Überschrift "Heimatschutz 2.0. Der Jenaer Nazi ... zwischen dem früheren NSU-Umfeld und der Identitären Bewegung". Neben dem "Geouteten" sind weitere (mutmaßliche) Rechtsextremisten namentlich genannt, Verbindungen zu (vermeintlich) rechtsextremistischen Gruppierungen sowie zur Kampfsportszene aufgezeigt. Kontakte in andere Bundesländer und ins Ausland werden im Kontext entsprechender Netzwerke dargestellt. Explizit werden persönliche Daten des "Geouteten" wie Anschrift, Fahrzeugkennzeichen, Fahrzeugmarke, Parkplatz des Fahrzeugs genannt und Lichtbilder veröffentlicht. PEKARI zufolge werfe der Text "einen genauen Blick auf die politische Biographie eines zentralen Jenaer Nazikader" und schildere dabei viel "über die Geschichte und Strategien der Jenaer Naziszene". Regelmäßig kommt es zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene oder an Immobilien, die mit ihr in Verbindung gebracht werden bzw. deren Nähe zu dieser - mitunter auch fälschlicherweise - angenommen wird. Auch private Anwesen und Kraftfahrzeuge von "politischen Gegnern" stehen stellvertretend für diese im besonderen Fokus der gewaltorientierten Linksextremisten. Graffiti wie "Nazis auf's Maul", "Nazis raus", "ANTIFA FCK NZS", Farbanschläge, Buttersäure-Angriffe u. Ä., mitunter ergänzt durch wohlwollende und lobende Kommentare auf Szeneseiten oder auch Selbstbekennungen, sind keine Seltenheit. 94 So kam beispielsweise in den frühen Morgenstunden des 24. Mai in Erfurt zu einem Farbanschlag auf den Sitz der rechtsextremistischen Partei "Der III. Weg" und einen Brandanschlag auf das vor dem Objekt geparkte Parteifahrzeug. Unbekannte setzen den mit Aufklebern gekennzeichneten VW-Transporter in Brand und zerstörten ihn völlig. Zudem wurden teerhaltige Farbbomben auf die Fassade und in den Innenraum des Parteibüros geworfen, eine Glasscheibe eingeschlagen, Kameras am Gebäude schwarz beschmiert und teilweise abgerissen. 42 Die Vorgehensweise ist szenetypisch. Der "Infoladen Sabotnik" thematisierte den Brandanschlag auf seiner Website noch am Tattag. Unter einem Banner "Den Rechten Konsens brechen", versehen mit dem Symbol der Antifaschistischen Aktion, wurde über die Partei, ihr Domizil und über die Brandstiftung an dem "Wahlkampfauto" berichtet verbunden mit einem Protestaufruf gegen eine Parteikundgebung zum Abschluss ihres Kommunalwahlkampfs und der Spekulation, ob diese überhaupt noch stattfinden könne. Der Beitrag wurde auch durch "de. Indymedia.org" verlinkt. Im Berichtszeitraum kam es sowohl quantitativ als auch qualitativ weit über die sonst typischen und üblichen Sachbeschädigungen hinaus thüringenweit zu Straftaten gegen "politische Gegner". Dabei dürften auch die Kommunal-, Europaund Landtagswahlen in Thüringen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben. Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft Autonome sehen in der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen Auslöser für "faschistische" Tendenzen. Ihrer Meinung nach förderten "staatlicher Rassismus" und die "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" auch in der Bevölkerung die Entwicklung "rechter" Tendenzen. Die Kritik und die Aktionen des autonomen Spektrums richten sich deshalb auch gegen die Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang distanzieren sich Autonome von den Aktivitäten demokratischer Bündnisse, schließen sich deren Veranstaltungen, insbesondere solchen gegen Rechtsextremismus, aber auch immer wieder an. Dies geschieht einerseits in der Annahme, über szenetypische Slogans und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren zu können, andererseits, um die etwaige behördliche Untersagung des selbst organisierten Protests zu umgehen. Als Ausdruck ihrer Eigenständigkeit sind Abgrenzungsversuche üblich. So rufen Autonome zur Beteiligung an "antifaschistischen" oder "antikapitalistischen" Blöcken innerhalb von Demonstrationen auf. 42 Die Ermittlungen wegen Schwerer Brandstiftung und Sachbeschädigung dauerten zum Redaktionsschluss an. 95 "Die Wartburgstadt ins Wanken bringen" - bundesweite Antifa-Demonstration am 16. März in Eisenach Bis zu 850 Personen beteiligten sich an der unter dem Motto "Die Wartburgstadt ins Wanken bringen" veranstalteten Demonstration. Nach einer Auftaktkundgebung mit ca. 500 größtenteils schwarz gekleideten Personen wuchs die Zahl der Teilnehmer in kurzer Zeit an. Etwa eine Stunde später setzte sich der Aufzug mit ca. 800 Personen, darunter zahlreiche Linksextremisten, in Bewegung. Wegen der Vermummung vieler Teilnehmer musste er vorüberlegend stoppen. Der Protestzug "gegen Antirassismus und Rechtsextremismus" war in seiner Erscheinung eindeutig von Linksextremisten geprägt; der "Schwarze Block" 43 mit einschlägiger Symbolik nahm breiten Raum ein. Anreisen erfolgten aus Jena, Erfurt, Gotha und Weimar sowie überregional aus Sachsen, Niedersachsen, Hessen und Hamburg. Die Demonstration verlief insgesamt weitgehend friedlich. Es wurden Verstöße gegen das Versammlungsgesetz und Waffengesetz und eine Sachbeschädigung festgestellt. Identitätsfeststellungen wurden vorgenommen. Die Demonstration war unter den Motto "Für eine humane Gesellschaft kämpfen - Gegen Nazis handeln!" aus dem nicht extremistischen Spektrum für deutlich weniger Teilnehmer angemeldet worden. Sie wurde bundesweit intensiv auch in der linksextremistischen Szene beworben. Das von Linksextremisten genutzten Internetportal "de. indymedia.org" mobilisierte unter dem Motto "Die Wartburgstadt ins Wanken bringen" zu einer bundesweiten Antifa-Demonstration. Es hieß u. a., Eisenach sei exemplarisch "als Spiegel gesamtgesellschaftlicher Verhältnisse und rechter Hegemonie in deutschen (Klein-)Städten. Die Aufforderung lautete: "Kommt nach Eisenach! Unterstützt uns! Fahrt mit uns! Antifa in die Offensive!" In Thüringen mobilisierten u. a. der "Infoladen Gotha", der "Infoladen Sabotnik" in Erfurt, der "Infoladen Jena", die "Antifaschistischen Gruppen Südthüringen" (AGST) und PEKARI. "Antifaschist*innen aus Thüringen" unterstützten den Aufruf mit einer lokalen Chronik auf "de indymedia.org". Der "Infoladen Gotha" distanzierte sich von den Protesten des zivilgesellschaftlichen Bündnisses gegen Rechtsextremismus Eisenach. Er kritisierte dieses als "ganz im Sinne der Extremismusdoktrin" und unterstellte mangelnde Unterstützung sowie "Stimmungsmache". Das Statement schloss mit dem Slogan "Antifa bleibt Handarbeit!". 43 Der "Schwarze Block" ist eine insbesondere von Autonomen genutzte Demonstrationstaktik. Vermummte, schwarz gekleidete Aktivisten formieren sich in uniformer "Kampfausrüstung", um das Gemeinschaftsgefühl zu festigen, Stärke zu vermitteln und die Identifizierung von Straftätern sowie deren Strafverfolgung zu erschweren. 96 Mobilisierungsund Informationsveranstaltungen fanden in Jena und Erfurt statt. In Jena wurde am 14. Februar eine Plakatierung (Plane) mit der Aufschrift "16.3. Eisenach Nazis angreifen" festgestellt. Thematisch einschlägige Mobilisierungs-Sticker fanden sich zudem am 22. Februar an einem Büro der AfD in Altenburg. Bundesweit wurden Informationsveranstaltungen angekündigt, z. T. in bekannten Szeneobjekten. So war für den 9. März eine Mobilisierungsveranstaltung mit anschließendem Soli-Konzert in der "Roten Flora" in Hamburg geplant. Bereits mit Post vom 18. Februar bedankte sich der "Infoladen Gotha" auf Facebook für die "unversöhnlichen Grüße aus St. Pauli". Dort waren während eines Fußballspiels im Stadion des FC St. Pauli Plakate mit der Aufschrift "Unversöhnlich nach Thüringen" zum "16.3. Eisenach Antifademo" gezeigt worden. Weitere Infoveranstaltungen wurden in Hessen, Berlin und Sachsen angekündigt, z.T. auch entsprechende Busanreisen avisiert. Überregional wurde auch auf Twitter und in der Presse sowie von einzelnen Gruppierungen in benachbarten Bundesländern mobilisiert. Es gab darüber hinaus einen "Mobi-Jingle". Im Rahmen der Mobilisierung waren im Stile eines "Outings" das der NPD zuzuordnende "Flieder Volkshaus" in Eisenach und um die "Vormachtstellung" in der Stadt kämpfende Neonazis thematisiert worden, ein NPD-Stadtrat wurde namentlich benannt. 44 Unbekannte hatten bereits am Vortag der Antifa-Demonstration eine zusammengenähte Schweinehaut im Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses aufgehängt, in dem sich auch ein Wahlkreisbüro der CDU befindet. Da es sich bei dem Abgeordneten um einen ehemaligen Polizeibeamten handelt, ist eine Anspielung für die bei Linksextremisten typische Bezeichnung von Polizisten als "(Bullen)Schweine" naheliegend. 44 Das "Fliedervolkshaus" war am 18. September Ziel eines nächtlichen Farbanschlages mit enormem Sachschaden. Ein unbekannter, vermummter Täter hat die Fassade großflächig mit Farbbomben attackiert und dabei ein in der Nähe befindliches Fahrzeug ebenfalls beschädigt. 97 Linksextremisten am Protest gegen Kundgebung des rechtsextremistischen "Bündnis Zukunft Landkreis Gotha" (BZLG) am 13. April in Gotha beteiligt Gegen die Kundgebung des BZLG unter dem Motto "Aufmarsch gegen Überfremdung" waren aus dem demokratischen Spektrum mehrere Gegenkundgebungen angemeldet worden. An ihnen beteiligten sich mehr als 400 Personen weitgehend friedlich. Einige Protestteilnehmer vermummten sich jedoch. Es kam zu einer Sitzblockade und Sachbeschädigung mit Pyrotechnik, zudem zu Beleidigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Entsprechende Strafanzeigen wurden gefertigt. Ein Transparent vor dem Bahnhof rief zu Protesten am 1. Mai in Erfurt auf: "Es gibt keine Alternative zu Schnauze voll - den rechten Aufmarsch beenden!" Für die Proteste in Gotha war bereits im Januar auf der Internetseite einer "Autonomen Antifa Gotha" geworben worden. Auf einer wenig später eigens für diese Proteste geschalteten Internetseite "nofuturefornazisgotha.noblogs.org" wurde am 26. Februar ein Protestaufruf veröffentlicht. "Am 13. April werden wir den Nazis die Straße nicht überlassen" und "Wir rufen daher zu einem aktiven Antifaschismus in Gotha auf! Kommt auf die Straßen!", hieß es. Eine hessische Gruppierung veröffentlichte das Mobilisierungsvideo und den Aufruf auf seiner FacebookSeite mit dem Zusatz "Der Osten ist immer eine Reise wert". Die Mobilisierung erfolgte thüringenweit und überregional. Der "Infoladen Sabotnik" warb dabei mit dem Slogan "den Nazis am 13.4. in die braune Suppe spucken". Der "Infoladen Gotha" forderte mittels Transparent "13.4 RAUS AUS'M SESSEL REIN IN DEN KESSEL". Es gab Mobilisierungsvorträge und -veranstaltungen in Nordhausen, Erfurt und Leipzig, zudem einschlägige Graffiti und Plakate in Gotha, Leipzig und Hamburg. Einem Foto auf der FacebookSeite des "Infoladen Gotha" zufolge wurde bei einem Heimspiel des Fußballclubs St. Pauli ein Transparent mit dem Text "13.4. GOTHA NAZIS STOPPEN" gezeigt. Ein "Ermittlungsausschuss" 45 wurde angekündigt und eine Aktionskarte zur Verfügung gestellt. 45 Ein "Ermittlungsausschuss" ist ein unentgeltliches Rechtshilfeangebot, oft anlässlich von Demonstrationen und Aktionen, das von der Telefonbetreuung, der Organisation von Anwälten bis hin zur Betreuung bei Festnahmen oder in U-Haft reicht. Zum Teil handelt es sich um temporäre Einrichtungen, deren telefonische Erreichbarkeit kurzfristig bekanntgegeben wird, zum Teil sind es dauerhafte, fest etablierte Einrichtungen, mitunter begleitet von Sprechstundenangeboten. 98 Linksextremisten maßgeblich an Protesten gegen Demonstration der "Alternative für Deutschland" (AfD) am 1. Mai in Erfurt beteiligt Gegen die Demonstration der AfD unter dem Motto "1. Mai - Blauer Frühling" mit ca. 800 Teilnehmern protestierten im Rahmen von demokratisch initiierter Protestveranstaltungen Tausende Menschen, darunter auch Linksextremisten. Bis zu 10.000 Personen schlossen sich gewerkschaftlich organisierten Protesten mit einem Konzert an, ca. 4.000 Personen versammelten sich bei einer Demonstration "Alles muss man selber machen - solidarisch, klimagerecht und feministisch gegen die AfD". Die Proteste verliefen zum Teil unfriedlich. Es kam zu Sitzblockaden und Durchbruchversuchen in Richtung der AfD-Aufzugsstrecke. Zudem versuchten Demonstranten Steine aufzunehmen. Während der Proteste kam es zum Einsatz der szenetypischen "Finger-Taktik" 46 mit Farbmarkierungen. Gegen acht Personen waren freiheitsentziehende polizeiliche Maßnahmen erforderlich. Insgesamt trugen 13 Polizeibeamte während des Einsatzes Verletzungen davon. Es ergingen mehr als 20 Strafanzeigen u. a. wegen Sachbeschädigung, Vermummung, Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Auf veröffentlichtem Bildmaterial ist eine Beteiligung von Linksextremisten, u. a. Autonome, IL, "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) 47 und MLPD, ersichtlich. Es wurden Symbole der "Antifaschistischen Aktion", das "Anarchiezeichen" (großes A im Kreis) verwendet. Busund Zuganreisen erfolgten aus dem Bundesgebiet. Die Proteste waren zuvor intensiv beworben worden. Eine Mobilisierung fand im Internet und durch Mobilisierungsveranstaltungen in Thüringen (Suhl, Jena, Gotha) und überregional in Sachsen, Hessen, Berlin und Hamburg statt. Eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung und Koordinierung der Proteste spielte das Bündnis "Schnauze voll" 48, in dem auch der "Infoladen Sabotnik" mitarbeitete. 46 Unter anderem bei Demonstrationen angewandte Taktik zur Umgehung polizeilicher Absperrmaßnahmen; folgt dem Sinnbild der gespreizten Finger einer Hand, wobei diese für einzelne, oft farbig zugeordnete Blöcke im Demonstrationszug stehen. 47 Bei NIKA handelt es sich um eine seit 2016 bestehende, bundesweite linksextremistische Mitmach-Kampagne, die vom "Ums Ganze"-Bündnis getragen wird. 48 Das Bündnis war im Vorfeld der Proteste gegen den geplanten zentralen Wahlkampfauftakt der AfD anlässlich der in Brandenburg, Sachsen und Thüringen bevorstehenden Landtagswahlen am 1. Mai in Erfurt in Erscheinung getreten. Der Erfurter "Infoladen Sabotnik" wird als ein Teil des Bündnisses benannt. Dieses zeigt im Zusammenhang mit den von ihm maßgeblich mitorganisierten Protesten in Vorgehensweise, Äußerungen und seiner expliziten Distanzierung zum "bürgerlichen Protest" für Linksextremisten typische Muster wie z. B. auch die Bereitstellung eines "Ermittlungsausschusses". 99 Der "Infoladen Sabotnik" mobilisierte mit einem Aufruf "Schnauze voll? Heraus zum 1. Mai!" für die Proteste. Auf der eigens geschalteten Website hieß es u. a.: "Deshalb wird der 1. Mai für uns ein Tag, an dem wir gemeinsam kämpfen - für eine Welt, in der alle ein gutes Leben haben - heute und über Generationen hinweg. Wir werden viele sein und wir werden vielfältig und konsequent stören. Dafür brauchen wir Dich! Komm am 1. Mai nach Erfurt und bring deine Freund*innen (in Bezugsgruppen) mit! Denn vielfältige Aktionen brauchen viele Menschen!" In einer Nachbetrachtung äußerte sich der "Infoladen Sabotnik" anerkennend über "mehrere entschlossene Ausbruchsversuche aus beiden Demos", die Mitwirkung vieler Kleingruppen sowie eine Blockade auf der AfD-Route. Die szenetypische Darstellung zum polizeilichen Handeln während der Demonstrationsgeschehen lautete: "Wer nicht rockt, sind die vermummten und gewaltbereiten Einsatzkräfte, die mit Pfefferspray und Knüppeln ca. 100 Genoss*innen verletzt und die DIY 49-Demo eingekesselt haben". Aktivitäten gewaltorientierter Linksextremisten in Zusammenhang mit politischen Wahlen Im Rahmen des Wahlkampfes kam es bei nahezu allen Parteien zu Attacken und Angriffen, die mit dem demokratischen Diskurs unvereinbar sind. Die anonyme Hetze, die sich im Netz ausgebreitet hat, fand den Weg auf die Straßen. Eingeworfene Scheiben von Parteibüros, Pöbelattacken an Infoständen, systematische Zerstörung von Wahlplakaten und die Einschüchterung von Wahlhelferinnen und Wahlhelfern gehörten auch in Thüringen zum politischen Alltag in Wahl-Auseinandersetzungen. Aktivitäten gewaltorientierter Linksextremisten richten sich im Zusammenhang mit Wahlen direkt gegen den politischen Gegner, sobald er mit Wahlkampfaktivitäten in irgendeiner Form in Erscheinung tritt, seien es Wahlplakate, Infostände der Parteien, öffentliche oder nicht öffentliche Veranstaltungen, fremdgenutzte Veranstaltungsräume oder parteieigene Immobilien, Wohnsitze oder Kraftfahrzeuge von bekannten Funktionären (gelegentlich sogar von deren Familienangehörigen). Die so verursachten Sachschäden sind enorm, erreichen mitunter schon im Einzelfall mehrere Tausend Euro. Anlässlich früherer Landtagsund Bundestagswahlen richteten sich in Thüringen die für Linksextremisten typischen Sachbeschädigungen und weitere Aktivitäten vorzugsweise gegen die rechtsextremistische NPD, die offenbar aufgrund ihrer politischen Bedeutungslosigkeit in den Hintergrund des Interesses von Linksextremisten getreten ist. In den Jahren zwischen 2015 und 2018 wurden pro Jahr zwischen 33 und 49 Gemeint ist die Demonstration "Alles muss man selber machen ...". Der gängige Szeneslogan "Do it yourself" bedeutet, selbst aktiv zu werden. Autonome setzen auf "von unten" getragene Initiativen und Strukturen, die im Kampf gegen "Nazis" und "Repressionsstaat" alles selber machen. 100 53 Straftaten gegen Amtsträger und Abgeordnete registriert. Im Jahr der Landtagswahl 2019 waren es bereits 101 solcher Straftaten. 50 Im Berichtszeitraum kam es auch in Thüringen zu zahlreichen Angriffen auf nahezu alle im Landtag vertretenen Parteien. Diese äußerten sich unter anderem in eingeworfenen Scheiben von Parteibüros, Pöbelattacken an Infoständen, systematische Zerstörung von Wahlplakaten oder der Einschüchterung von Wahlhelferinnen und Wahlhelfern. Besonders im Zusammenhang mit Wahlen werden Straftaten wie Sachbeschädigung und Diebstahl insbesondere von Wahlplakaten, Nötigung, Bedrohung, Beleidigung, gefährliche Körperverletzung, Hausfriedensbruch und auch Brandstiftung registriert. Regelmäßig handelt es sich hier um politische Gegner bzw. um Akteure aus den unterschiedlichen Bereichen des politischen Extremismus. Ein nicht unerheblicher Teil davon entfällt auf die Politisch motivierte Kriminalität - Links. Auffallend häufig wurden bei diesen Straftaten zuletzt Repräsentanten der AfD und entsprechende Sachwerte geschädigt. 51 In wenigen Fällen richteten sie sich gegen die NPD oder die Partei "Der III. Weg". Besonders häufig wurden Wahlplakate beschädigt oder gestohlen. Der dabei betriebene Aufwand war mitunter erheblich. Allein in der Nacht 16./17. September wurden 140 und in der Nacht vom 27./28. September nochmals 130 Wahlplakate der AfD entlang einer Bundesstraße abgehängt und entwendet. Zudem kam es insbesondere über das Internet zu zahlreichen Drohungen gegen im Wahlkampf engagierte Landesund Bundespolitiker. Auch das Arbeitsund Lebensumfeld der politischen Verantwortungsträger rückt dabei in den Fokus von Extremisten. Die Täter bleiben häufig unerkannt, eine linksextremistische Tatmotivation ist durch Angriffsziel und Vorgehensweise lediglich zu vermuten. Mitunter geben die Inhalte von Slogans, verwandte Symbole oder Selbstbezichtigungsschreiben Anhaltspunkte für eine Zuordnung. Nachstehend exemplarische einzelne Vorkommnisse mit deutlichen Hinweisen auf linksextremistische Akteure: 50 Siehe dazu u. a. ZEIT ONLINE, Beitrag vom 20. Februar 2020. 51 Siehe dazu auch Drucksache 7/591 des Thüringer Landtags. 101 Störung einer AfD-Wahlkampfveranstaltung am 28. September in Großrettbach Während einer AfD-Wahlkampfveranstaltung am 28. September im Bürgersaal der Gemeinde Großrettbach (Landkreis Gotha) mit etwa 120 Besuchern, u. a. hochrangigen Bundesvertretern der Partei, kam es zu Übelkeit bei mehreren Anwesenden und einer starken Geruchsentwicklung. Als Ursache wurde schließlich im Eingangsbereich des Saales eine dort offenbar durch Unbekannte aufgebrachte Substanz festgestellt, bei der es sich um Buttersäure gehandelt haben dürfte. Brandstiftung an Wahlkampffahrzeug und -ausrüstung der AfD am 18./19. Oktober in Reinsdorf Ein auf einem Firmengelände in Reinsdorf (Kyffhäuserkreis) abgestellter, mit Veranstaltungstechnik und einer Lautsprecheranlage beladener LKW wurde von bislang unbekannten Tätern in den frühen Morgenstunden angezündet. Die Technik war zuvor beim Landtagswahlkampf der Partei genutzt worden. Das Mietfahrzeug war äußerlich nicht mit der AfD in Verbindung zu bringen, allerdings bei zahlreichen Veranstaltungen zuvor eingesetzt. Auf der einem Parteimitglied zuzuordnenden Immobilie befand sich ein Wohnhaus in unmittelbarer Nähe des Brandherdes. LKW und Ladung brannten vollständig ab. Der Gesamtschaden habe mehr als 70.000 Euro betragen. Die "Infoläden Sabotnik" und "Gotha" thematisierten den Brandanschlag. Spontankundgebung am 27. Oktober in Jena Am Wahlabend zogen ca. 50 vermummte Personen durch die Jenaer Innenstadt. Sie riefen Parolen wie "Antifa", "Klassenkampf" und "AfD-Faschisten". Sie waren teilweise szenetypisch ausgestattet. Es wurden Quarzhandschuhe, Messer und ein Reizstoffsprühgerät festgestellt. Sachbeschädigung am Burschenschaftsdenkmal in Eisenach am 29. Oktober In der Nacht des 29. Oktober kam es im Nachgang zur Landtagswahl zu einer Sachbeschädigung am Eisenacher Burschenschaftsdenkmal. Die unbekannten Täter besprühten das Denkmal großflächig im Außenund Innenbereich mit Farbe, beschädigten ein Fenster und verklebten das Schloss der Zugangstür mit flüssigem Silikon. Der Sachschaden lag im fünfstelligen Bereich. Auf dem auch von Linksextremisten genutzten Internetportal "de.indymedia.org" wurde am 31. Oktober eine anonyme Bekennung eingestellt: "24 Stunden nach den finalen Wahlergebnissen in Thüringen haben wir das Burschenschafts-Denkmal in Eisenach beschä102 digt". Zudem findet sich auf der Facebook-Seite "Burschenschaft Normannia zu Jena" ein Beitrag zu dem Vorfall, dessen Verfasser einen Zusammenhang mit dem Wahlergebnis der AfD vermuten. AfD und Burschenschaften stehen regelmäßig im Focus der linksextremistischen Antifa-Szene. Es bestehen daher Anhaltspunkte für eine Beteiligung von Linksextremisten. Gewalt als Aktionsmittel Autonomer Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Angriffe auf Personen meint man regelmäßig damit rechtfertigen zu können, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese Bezeichnung wird dabei zum Teil willkürlich verwendet, ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum rechtsextremistischen Spektrum gegeben haben muss. Letztlich dient sie nur als Staffage, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. So kam es insbesondere in Jena mehrfach gezielt zu tätlichen Angriffen auf (vermeintliche) "Nazis", Burschenschaftler und Corps-Studenten, die zumindest teilweise zu sehr schweren Verletzungen der Betroffenen führten. Während eines Überfalls am 21. Juni schlugen Unbekannte in den frühen Morgenstunden während einer Prügelorgie auf drei Opfer derart ein, dass zwei von ihnen das Bewusstsein verloren. Im Weggehen riefen sie: "Kein Platz für Faschos!" Mehrfach wurde die als Treffpunkt des "rechten" Spektrums bekannte Gaststätte "Bulls Eye" in Eisenach zum Ziel gewalttätiger Attacken. So betraten etwa fünfzehn unbekannte maskierte und mit Teleskopschlagstöcken ausgestattete Täter in den frühen Morgenstunden des 19. Oktober das Lokal, warfen mit Gläsern und versprühten Reizgas. Auf Grund massiver Gegenwehr seien die Angreifer schließlich geflüchtet. Sechs Personen wurden leicht verletzt. Die Strafverfolgungsbehörden leiteten Ermittlungen wegen des Verdachts des Landfriedenbruchs, Hausfriedensbruch, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung ein. Zuvor soll es bereits am 5. Oktober zu einem nächtlichen Überfall gekommen sein: "Heute Nacht wurde unsere Kneipe in einer feigen und hinterlistigen Aktion von vermutlich Linksextremisten angegriffen, wobei sämtliche Scheiben zu Bruch gegangen sind." Allein die Sachschäden beliefen sich auf mehrere Tausende Euro. Der als Rechtsextremist bekannte Inhaber des Lokals wurde wenig später erneut zum Ziel eines Überfalls. So passten ihn am 14. Dezember mehrere Täter in den frühen Morgenstunden ab und griffen ihn und seine Begleiter mit Reizsprühgeräten und Schlagstöcken tätlich an. Die "wehrhaften" Geschädigten erlitten leichte Verletzungen. Zudem 103 wurde das Kraftfahrzeug beschädigt. Einige der Tatverdächtigen konnten vorläufig festgenommen werden. Zwei Tätern gelang die Flucht unerkannt. 52 Die Region Eisenach ist kein Schwerpunkt der hiesigen autonomen Szene. Es gibt Hinweise, dass bei den o. a. Angriffen möglicherweise Linksextremisten oder linksextremistische Strukturen aus anderen Bundesländern oder Regionen involviert waren. 4.4 Das Aktionsfeld "Antigentrifizierung" Autonome nutzen das Thema "Gentrifizierung", um eigene Interessen - die Schaffung und den Erhalt von "Freiräumen" (z. B. besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte, Szeneviertel) - in einen breiteren gesellschaftlichen Rahmen und dort bestehende soziale Fragen einzubringen. Das Streben nach derartigen von "kapitalistischer Verwertungslogik" und staatlichem Zugriff freien Objekten reicht bis in die Anfangstage der Autonomen zurück. Entsprechend hoch ist der Stellenwert einzelner, noch verbliebener Szeneobjekte. Auf den drohenden Verlust reagiert die Szene daher meist äußerst aggressiv. Der Kampf um "Freiräume" ist Vorstufe und Teil des Kampfes um eine herrschaftsfreie klassenlose Gesellschaft, ein Leben ohne fremde Zwänge und Vorgaben, nach eigenen Regeln. Im Zusammenhang damit unterstützten auch Thüringer Linksextremisten regelmäßig Hausbesetzungen und von Räumung bedrohte "Freiräume". So solidarisierte sich im Hinblick auf ein befürchtetes "Aus" für viele "rebellische" Hausprojekte noch im Dezember des Vorjahres ein anonymer Verfasser auf "de.indymedia.org" "mit bedrohten Projekten in ganz Deutschland!" und sandte "Liebesgrüße aus Weimar an alle emanzipatorischen und autonomen Projekte und Zusammenhänge!". Unbekannte Täter besprühten in Weimar am 12. November in den frühen Morgenstunden insgesamt zehn Hausfassaden in verschiedenen Straßenzügen mit Sprühfarbe in violett, pink und schwarz. Einige der Zeichen und Spruchformeln bekundeten Solidarität mit der Berliner Hausbesetzerszene, u. a. mit dem räumungsbedrohten Wohnprojekt "Liebigstraße 34". Eine zeitnah anberaumte Gerichtsverhandlung in Berlin war von entsprechenden Protesten begleitet worden. 52 Die Ermittlungen dauerten zum Redaktionsschluss an. 104 Staatliche Maßnahmen, z. B. die Räumung von Hausbesetzungen im Athener Szenestadtteil "Exarchia", waren Anlass für bundesweite Proteste, Solidaritätsbekundungen, und Sachbeschädigungen. In Weimar fand am 13. September eine Demonstration "Autonome Freiräume erkämpfen und verteidigen" statt. An der Demonstration in die Weimarer Innenstadt beteiligten sich ca. 70 Personen, unter ihnen auch Linksextremisten. Eine Mobilisierung fand im Internet auf Jenaer Szeneseiten und auf der von Linksextremisten genutzten Plattform "de. Indymedia.org" statt. In dem Demonstrationsaufruf eines anonymen Verfassers werden die Hintergründe der "Wut über die staatliche Repression" erläutert sowie "Solidarität mit den anarchistischen und antiautoritären Gefährt*innen in Griechenland und der ganzen Welt!" gefordert. Bereits im Vorfeld der Demonstration kam es zu zahlreichen Sachbeschädigungen durch Graffiti in der Weimarer Innenstadt. Sie zeigen Anarchiezeichen und einschlägige Slogans wie "Support Ex-Archia!" u. a. an öffentlichen Gebäuden. Zahlreiche weitere Sachbeschädigungen in Weimar gab es in der Zeit vom 7. bis 9. Dezember. So beschädigten am 7. Dezember Unbekannte Schaufensterscheiben, ein Werbeschild eines Versicherungsbüros sowie alle Scheiben einer in der Nähe befindlichen Sparkassenfiliale. Außerdem sprühten Unbekannte auf die Hausfassade eines Versicherungsbüros mit schwarzer Farbe ein Anarchiezeichen sowie den Schriftzug "Rache für Alexis". Dem am Folgetag auf "de.indymedia.org" veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreibens "Remember, Remember, the 6th of December" zufolge galt die Aktion dem 11. Jahrestag des Todes von Alexandros Grigoropoulos, der am 6. Dezember 2008 bei Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei im Athener Stadtteil "Exarchia" tödlich verletzt worden war: "Dieser Angriff soll die Lebendigkeit unserer Trauer ausdrücken und ein Ventil unserer Wut sein." Das Thema "Exarchia" und der Tod eines Jugendlichen während eines Polizeieinsatzes spielt in der autonomen Szene Weimars seit Jahren eine Rolle und führt dort zu einschlägigen Aktivitäten anlässlich des Todestages. In der Universitätsstadt Jena unterstützte "im angesichts steigender Mieten notwendigen Kampf gegen Verdrängung und Entmietung", für unkommerzielle Kulturprojekte und selbstverwaltete Räume neben der "Freien Arbeiterinnen und Arbeiter-Union Jena" (FAU Jena) erneut auch PEKARI Forderungen nach Mietpreissenkung und Enteignung. Sie mobilisierten für Proteste unter dem Slogan "Keine Profite mit unserer Miete!". Einzelne Szeneangehörige aus Thüringen beteiligten sich an thematisch einschlägigen gewalttätigen Protesten und Auseinandersetzungen außerhalb Thüringens. 105 5. Sonstige linksextremistische Organisationen "Rote Hilfe e. V." (RH) Bund Thüringen Gründung 1975 Sitz Göttingen Jena, Erfurt, Arnstadt Mitglieder 2019 ca. 11.000 140 2018 ca. 9.200 140 2017 ca. 8.300 140 Publikationen "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich) - Internet eigener Internetauftritt eigene Internetauftritte der örtlichen Gliederungen Tabelle 12: Zahlen und Fakten zur RH Die von Linksextremisten unterschiedlicher Ausrichtung getragene RH definiert sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem gesamten "linken" und linksextremistischen Spektrum politisch und materiell unterstützt. Sofern die in der Satzung genannten Zwecke der RH erfüllt sind, erhalten von juristischen Verfahren Betroffene und rechtskräftig Verurteilte auf Antrag eine den vereinseigenen Regelungen entsprechende Kostenerstattung. Als Voraussetzung dafür muss jegliche Kooperation mit Sicherheitsbehörden unterbleiben, z. B. im Rahmen einer Aussage oder einer Distanzierung von den vorgeworfenen Taten. Andernfalls wird die Erstattung gekürzt oder in Gänze abgelehnt. Die Zuwendungen richten sich auch an militante Linksextremisten. Die RH selbst betont, "keine karitative Einrichtung" zu sein. Die Unterstützung für die Einzelnen sei zugleich ein "Beitrag zur Stärkung der Bewegung". Der durch exemplarische Strafverfolgung Einzelner bezweckten Abschreckung stellt die RH explizit "das Prinzip der Solidarität entgegen und ermutigt damit zum [W]eiterkämpfen." Zudem soll grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden und eine daraus resultierende Aufklärung von Straftaten unterbunden werden. Sowohl durch ihr Wirken als "Gefangenhilfsorganisation" als auch durch die gezielte Meinungsbildung und -beeinflussung in der Öffentlichkeit - durch Publikationen, Veranstaltungen, Kampagnen - diskreditiert die Organisation den demokratischen Rechtsstaat als "Willkürregime", behindert staatliches Handeln und versucht letztlich szenestabilisierend und -stärkend zu wirken. Ohne selbst gewalttätig zu agieren, befürwortet und unterstützt sie so die Gewaltanwendung durch Szeneangehörige. 106 Die RH organisiert Informationsund Diskussionsveranstaltungen zu den Themenfeldern "Rechtshilfe" und "staatliche Repression". Sie versteht das Handeln von Polizei, Justiz und Strafvollzug als politisch motiviert, es diene zur Herrschaftssicherung der Machthabenden. Sie lehnt das staatliche Gewaltmonopol ab. Die der Bekämpfung des Terrorismus dienenden AntiTerror-Gesetze deutet die RH als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr gelten" würden. Vielmehr dienten sie dazu, jegliche "Politische Aktivität gegen die herrschenden Zustände unmöglich" und durch "ausgeübte oder angedrohte Gewalt [...] Menschen gefügig zu machen". Diesem Verständnis entsprechend solidarisiert sie sich wiederholt auch mit gesuchten und "von staatlicher Repression betroffenen" ehemaligen RAF-Terroristen, nutzt sie Texte der früheren Terrororganisation zur "Wiederaneignung der Geschichte des Kampfes gegen Repressionsapparat, Zwangsanstalten und Knast". Ungebrochene Sympathie und Unterstützung gelten auch terroristischen Organisationen oder unter Terrorverdacht stehenden Organisationen im Ausland bzw. deren Repräsentanten. So würdigte auch die RH den 25. Jahrestag des "PKK 53-Verbotes" als Beispiel von "Repression und Demokratieabbau im Dienste der deutschen Außenpolitik". Die Hilfsangebote der RH sind nicht an ein zuvor gewaltfreies Handeln der von Strafverfolgung betroffenen oder bereits verurteilten Personen geknüpft. Auch in Thüringen sind in der Vergangenheit Fälle der institutionellen Übernahme von Geldstrafen durch die RH bekannt geworden. Die RH ist die mitgliederstärkste Organisation im Bereich des Linksextremismus und weist bundesweit seit Jahren einen beständigen Zuwachs an Mitgliedern auf. Die Organisation gliederte sich bundesweit in ca. 50 Ortsbzw. Regionalgruppen. In Thüringen existieren "Ortsgruppen" in Jena und Erfurt sowie eine "Regionalgruppe" in Südthüringen. Die RH in Thüringen beteiligt sich im Rahmen ihrer Antirepressionsarbeit an Demonstrationen und Protesten oder unterstützt diese, auch hinsichtlich der szenetypischen "Ermittlungsausschüsse". Mit einem eigenem Redebeitrag zur "Free the three"-Kampagne 54 trat die "Regionalgruppe Südthüringen" auf einer Demonstration von "Antifaschisten" am 16. März in Eisenach auf und machte "auf die Repression und die Machenschaften der lokalen Neonaziszene 53 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), s. Abschnitt V. 54 Die Solidaritätsund Spendenkampagne "Free the three" dient der Unterstützung von drei im September 2016 in Gotha wegen versuchten Raubes und Körperverletzung festgenommenen - "von Nazis bezichtigten" - Personen, die sich vor dem Amtsgericht Gotha verantworten müssen. 107 in der Nachbarstadt Gotha aufmerksam". Die "Ortsgruppe Erfurt" der RH bot im Nachgang zu den unter maßgeblicher Beteiligung von Linksextremisten abgelaufenen Protesten gegen einen "AfD-Aufmarsch" am 1. Mai in Erfurt "Betroffenen von Repression" Unterstützung im Rahmen sog. Anlaufstellen an. Anlässlich des von Linksextremisten traditionell begangenen "Tages des politischen Gefangenen" am 18. März 55 beteiligte sich u. a. die RH "Ortsgruppe Erfurt" an einer Veranstaltung zur Thematik der Repression in der DDR am 21. März in Erfurt. Der RH e. V. gibt darüber hinaus zum "Tag des politischen Gefangenen" am 18. März jährlich eine Sonderzeitung heraus, die auch der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt" beiliegt. Den thematischen Schwerpunkt "Freiheit für alle politischen Gefangenen" widmet sie "der Prozessführung aus der (Untersuchungs-)Haft heraus". Der Sinn von Haft und politischen Prozessen sei, "linke" Proteste insgesamt zu delegitimieren und zu kriminalisieren. "Unvergessen" bliebe daher "die Prozesserklärung des G20-Gegners Fabio, der trotz perfidester Anklage einen sehr politischen Prozess führte, das Gericht zur Bühne erklärte und als freier Aktivist aus dem Gerichtssaal spazieren konnte". 56 Nicht allen Thüringer Gliederungen der RH gelang es im Berichtszeitraum regulär und kontinuierlich Sprechstunden anzubieten oder abzuhalten. Die "Ortsgruppe Jena" verweist auf zwei monatliche Termine im Infoladen, die "Ortsgruppe Erfurt" gibt eine monatliche "Anlaufstelle" an. Zudem waren die Ortsgruppen über Post, E-Mail und z. T. auch Telefon im Bedarfsfall erreichbar. Für die Kontaktaufnahme per E-Mail ist in allen Fällen eine Verschlüsselung der Kommunikation vorgesehen. Aktivitäten der Thüringer RH-Gliederungen werden durch Berichte im Internet ergänzt - über "rechtswidrige" polizeiliche Maßnahmen, "Polizeigewalt", Verlauf und Ergebnis relevanter Gerichtsverhandlungen, Veranstaltungen, Solidaritätsaufrufe und Spendenkampagnen. Dazu 55 Der von der RH am 18. März 1923 ausgerufene "Internationalen Tag der Hilfe für politische Gefangene" geht auf einen Arbeiteraufstand der Pariser Kommune vom 18. März 1871 zurück; alljährlich wird zu diesem Anlass zu Veranstaltungen und Demonstrationen gegen "staatliche Repression" und für "die Freiheit aller politischen Gefangenen" aufgerufen. 56 Der 19-jährige Italiener Fabio V. war am 7. Juli 2017 im Zusammenhang mit einer gewalttätig verlaufenen Demonstration im Rahmen der G20-Proteste in Hamburg wegen des Verdachts auf versuchte Körperverletzung, Angriff auf Vollstreckungsbeamte und schweren Landfriedensbruch festgenommen und angeklagt worden. Der Prozess endete nach mehrmonatiger Untersuchungshaft wegen kurzfristigen Ausfalls der zuständigen Richterin ohne Urteil und muss neu aufgerollt werde. 108 werden auch entsprechende Konten angegeben. Die gegen "staatliche Repression" gerichteten Beiträge folgen dabei szenerelevanten Themen wie "Verhalten bei einer Hausdurchsuchung - praktische Hinweise für den Kontakt mit der Staatsmacht". Von der RH im Berichtszeitraum fortgeführte Kampagnen offenbaren ihre gute Vernetzung und aktive Einbindung in die Thüringer linksextremistische Szene. So berichtete die "Regionalgruppe Südthüringen" erneut über die von ihr initiierte und von anderen Thüringer RH-Gliederungen unterstützte Solidaritätsund Spendenkampagne "Free the three". Verhandlungstage beim zuständigen Amtsgericht in Gotha wurden angekündigt, zu solidarischer Prozessbegleitung aufgerufen und auf Prozessberichte - eingestellt auf dem von Linksextremisten genutzten Portal "de.indymedia.org" - verwiesen. Auch die Solidaritätsund Spendenkampagne "United we stand", die wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs Angeklagte unterstützt, wurde fortgeführt. Im Januar 2017 war es bei Protesten gegen einen rechtsextremistischen THÜGIDA-Aufmarsch in Saalfeld bei Protesten unter den Motto "Make racists afraid again!" zu gewalttätigen Übergriffen von "Antifaschisten" auf "Nazis" gekommen. Dabei waren Geschädigten auch massive Verletzungen zugefügt worden. Geplante Verhandlungstage beim zuständigen Amtsgericht in Rudolstadt wurden angekündigt, zur solidarischen Prozessbegleitung und Solidaritätskundgebungen aufgerufen und weiterhin um Spenden geworben. Bei den RH-Aktivitäten in Thüringen fallen über das eigene Territorium hinausgehende Unterstützungsleistungen auf. Sie lassen personelle Schwachstellen in den einzelnen Untergliederungen ebenso annehmen wie - durchaus damit vereinbare - intensive Verbindungen zwischen den regionalen Gliederungen und deren Aktivisten. Durch zielgerichtete Unterstützung von Szeneangehörigen oder mit dem Staat in Konflikt stehenden Personen wird versucht, zumindest perspektivisch stärkeren Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von (linksextremistisch motivierten) Straftaten, Tätern und damit auf gesellschaftliche Normen insgesamt zu gewinnen. Mit anlassbezogenen Kampagnen gelingt es der RH mitunter, ihre politischen Anliegen erfolgreich in der Öffentlichkeit zu platzieren. Exkurs: Thüringer Linksextremisten und die Landtagswahl Von den in Thüringen organisatorisch vertretenen linksextremistischen Parteien beteiligten sich die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und die "Kommunistische 109 Partei Deutschlands" (KPD) an der Landtagswahl am 27. Oktober. Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verzichtete offenbar aufgrund struktureller Schwäche und fehlender Erfolgsaussichten auf eine Wahlbeteiligung. 57 Im Ergebnis erzielte die KPD 724 Zweitstimmen (0,1 Prozent) und erlitt damit im Vergleich zur letzten Landtagswahl im Jahr 2014 nochmals einen Stimmenverlust von 453 Stimmen. Nachdem die Partei im Januar angekündigt hatte, sich an der Landtagswahl beteiligen zu wollen, wurden Parteimitglieder und Sympathisanten aufgefordert, ihre Unterstützungsunterschrift 58 postalisch an die Parteizentrale in Berlin zu senden. Die sonst übliche Form, die zur Wahlzulassung einer Partei notwendigen Unterstützungsunterschriften an Informationsständen persönlich zu sammeln, konnte offenbar durch die wenigen Mitglieder der Partei in Thüringen nicht erfolgen. Unter den sechs Kandidaten der Partei befand sich auch der Thüringer Landesvorsitzende Torsten Schöwitz, der zugleich die Funktion des Bundesvorsitzenden der marginalen Kleinstpartei wahrnimmt. Partei-Aufbau und Landtagswahl - ein "Erfolgs"-Projekt der MLPD Die MLPD Thüringen beteiligte sich an der Landtagswahl als "Internationalistische Liste/MLPD". Zu den 35 Kandidaten zählten auch der ehemalige Bundesvorsitzende der Partei, Stefan Engel, und auf Listenplatz 1 der Landesvorsitzende Tassilo Timm 59. Insgesamt 18 Kandidaten verlegten aufgrund entsprechender Anforderungen des Thüringer Wahlgesetzes ihren Hauptwohnsitz anlassbezogen in das Bundesland. Die Partei kandidierte "flächendeckend" in fast allen 44 Wahlkreisen. Im Ergebnis erreichte die MLPD 2.354 Erststimmen (0,2 Prozent) und 2.945 Zweitstimmen. (0,3 Prozent). Damit erzielte sie ihr bisher bestes Wahlergebnis bei einer Landtagswahl bundesweit. Dies ist insoweit bemerkenswert, als die Partei in Thüringen erstmals bei einer Landtagswahl kandidierte. Der Landesvorsitzende der Partei 57 Bereits am 26. Mai hatten sich MLPD und DKP an den Wahlen zum Europa-Parlament beteiligt, nachdem sie beim Bundeswahlleiter die zur Zulassung erforderliche Anzahl an Unterstützungsunterschriften eingereicht hatten. Die MLPD erzielte mit 18.340 Stimmen (0,1Prozent) im Vergleich zu 2014 einen geringfügigen Zuwachs, die DKP mit 20.419 Stimmen (0,1Prozent) nochmals einen Stimmenverlust. Auf den Kandidatenlisten waren jeweils zwei Personen aus Thüringen vertreten. Die MLPD, die unter dem Motto "Rebellion gegen die imperialistische EU! Hoch die internationale Solidarität" Unterschriften gesammelt hatte, führte im Vorfeld bundesweit eine konzentrierte Wahlkampagne mit mehr als 90 Kundgebungen und dem Einsatz von 90.000 Wahlplakaten durch. 58 Nach dem Thüringer Wahlgesetz müssen Parteien, die seit der letzten Wahl nicht ununterbrochen im Bundesoder Landtag vertreten sind, eine bestimmte Anzahl an Unterstützungsunterschriften für ihre Wahlvorschläge vorlegen, um zur anstehenden Wahl zugelassen werden zu können. 59 Der 33-jährige, aus Halle (ST) stammende Parteikader Timm ist seit März 2018 Landesvorsitzender der neu gegründeten MLPD Thüringen. 110 zeigte sich mit dem Wahlergebnis ausgesprochen zufrieden. 60 Zudem sei es der Partei gelungen, den Wahlkampf als eine "erfolgreiche Schule des Parteiaufbaus" sowie zur "Stärkung der eigenen ... [und] Gewinnung und Ausbildung neuer Kräfte" zu nutzen. Eigenen Angaben zufolge führte die Partei im Rahmen der Wahlvorbereitung in Thüringen insgesamt 86 Veranstaltungen - Informationsstände, Kundgebungen und Straßenumzüge - durch. Um die erforderliche Anzahl an Unterstützungsunterschriften zu erlangen, initiierte die Partei landesweit eine Vielzahl von Informationsständen zur Sammlung von Unterschriften. Dabei erhielt sie viel Unterstützung von erfahrenen Parteimitgliedern aus den westdeutschen Bundesländern. Bereits auf einem Kongress am 11. November 2018 in Erfurt gab sie bekannt, dass die erforderlichen Unterschriften bereits vorlägen - Stand damals: 1.238 - und die Beteiligung an der Landtagswahl damit gesichert sei. Wenig später wurde von 1.400 erlangten Unterstützungsunterschriften berichtet. Im Zusammenhang mit der Landtagswahl führte die MLPD von Oktober 2018 bis Dezember 2019 eine Spendenkampagne durch, in deren Ergebnis das Spendenziel von 300.000 Euro mit insgesamt 318.816 Euro als übertroffen angegeben wurde. Die finanzstarke Partei fällt im Zusammenhang mit Wahlen immer wieder durch eine intensive Plakatierung auf. Allein in Erfurt warb die Partei Eigenangaben nach zuletzt mit 1.200 Wahlplakaten, thüringenweit mit 40.000. Bereits seit dem Jahr 2018 konzentrierten sich die Aktivitäten der Partei auf die Vorbereitung der Landtagswahl und den strukturellen Aufund Ausbau ihrer Strukturen in Thüringen "mit seiner revolutionären Tradition und industriellen Prägung". Während die hiesigen Parteigliederungen seit 2008 ebenso wie jene in Sachsen und Sachsen-Anhalt einem Landesverband "Elbe-Saale" mit Sitz in Leipzig angehörten, berichtete die Partei im März 2018 von der Gründung eines separaten Landesverbandes im Freistaat, zu dessen Vorsitzenden Tassilo Timm gewählt wurde. Ein Gründungsdatum oder weitere Details gab sie wie üblich nicht an. Fortan galt es "viele neue Mitstreiter" zu gewinnen, "neue Ortsgruppen bzw. Kreisverbände auf[zu]bauen". Die systematische Aufbauarbeit sollte die Partei, den Jugendverband REBELL, alle Unterstützer und Bündnispartner dauerhaft stärken. Um in allen Städten mit mehr als 60 Der MLPD war es bereits bei den Bundestagswahlen im Jahr 2017 im Vergleich zu 2013 gelungen, bei den Erststimmen einen deutlichen Zuwachs und bei den Zweitstimmen einen geringen Stimmengewinn zu erreichen. In Thüringen hätte die MLPD dabei überdurchschnittliche Ergebnisse in ihren regionalen "Einflussgebieten" - u. a. in Eisenach und Schalkau / Lkr. Sonneberg - erzielt. 111 20.000 Einwohnern neue Parteigruppen zu etablieren, war vorgesehen, dass andere Landesverbände Städtepartnerschaften in Thüringen übernehmen - auch um die "Überwindung der Spaltung und die Förderung der Arbeitereinheit in Ost und West" zu erreichen. Besonderes Augenmerk richte sich auf den Aufbau von Partei-Betriebsgruppen in Industriebetrieben, wie z. B. in Eisenach und Jena. Zur Realisierung dieser Pläne wurden "Aktivisten" gesucht. Ein weiterer Schwerpunkt der Parteiarbeit läge in der Jugendarbeit. Zu den bisher in Thüringen existierenden organisatorischen Schwerpunkten Eisenach, Sonneberg und Suhl kamen mit Jena, Gera, Erfurt und Nordhausen zwischenzeitlich vier weitere hinzu. In Jena und Gera entstanden dabei formelle Ortsgruppen. Auch vier REBELL-Gruppen wurden in Eisenach, Gera, Pößneck und Nordhausen initiiert. Das Mitgliederpotenzial der Thüringer Parteistrukturen blieb dennoch mit ca. 40 Personen überschaubar. Ein maßgeblicher Zuwachs an Mitgliedern in Thüringen zeichnete sich im Berichtszeitraum nicht ab. Bundesweit werden der Partei 2.800 Mitglieder zugerechnet. Die Partei verfügt in Südthüringen mit der Ferienund Freizeitanlage in Schalkau/OT Truckenthal (Landkreis Sonneberg) über eine Immobilie von bundesweiter Bedeutung, die regelmäßig zu zentralen Bildungs-, Schulungs-, Freizeitund Ferienangeboten der Partei und ihrer Jugendorganisation genutzt wird. Seit 2003 findet hier regelmäßig das traditionelle "Sommercamp" für mehrere Hundert Kinder und Jugendliche statt, seit 2014 zusätzlich im Zwei-Jahres-Turnus ein "Rebellisches Musikfestival". Die an Kinder und Jugendliche gerichteten (Freizeit-)Angebote dienen letztlich der Nachwuchsgewinnung und ideologischen Schulung. 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Links weist die Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) 61 folgende Zahlen aus: Straftaten 2017 2018 2019 Insgesamt 434 310 646 davon u. a.: Gewaltkriminalität 25 30 42 Sachbeschädigungen 326 197 407 Verstöße gegen das 24 19 39 Versammlungsgesetz Tabelle 13: Politisch motivierten Kriminalität - Links 61 Siehe Abschnitt Rechtsextremismus, Fn. 25. 112 Es entfielen mit 646 von 2.493 in Thüringen insgesamt erfassten politisch motivierten Straftaten 25,9 Prozent auf den Phänomenbereich "Links". Im Vergleich zum Vorjahr ist bei Betrachtung der absoluten Deliktszahlen somit eine deutliche Steigerung zu konstatieren. Im Hinblick auf die einzelnen Deliktqualitäten ist bei den Gewaltstraftaten mit 42 Delikten erneut ein Anstieg - hier um 12 Delikte im Vergleich zum Vorjahr - festzustellen. Ebenso weist die Zahl der Sachbeschädigungen mit 407 Delikten im Berichtszeitraum eine deutliche Steigerung auf und erreicht damit mehr als das doppelte Niveau des Vorjahres. Bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz verhält es sich mit 39 Straftaten ebenso. Zusammenfassend war im Berichtszeitraum für den Phänomenbereich der PMK-Links im Vergleich mit dem Vorjahr eine deutliche Zunahme an Straftaten und - wenngleich in geringerem Umfang - auch eine Zunahme an Gewalttaten festzustellen. Regionale Schwerpunkte waren den polizeilichen Statistiken zufolge der Raum Jena, Gotha und Nordhausen. Ein nicht unerheblicher Anteil der hier statistisch erfassten Szeneaktivitäten dürfte allerdings der Abfolge von drei Wahlen im Berichtszeitraum geschuldet sein sowie insbesondere dem jeweiligen Wahlkampf und -erfolg der AfD. Bei Demonstrationen und Protesten im Berichtszeitraum gab es - wie offenbar auch bei anderen Szeneaktivitäten - eine überregionale und bundesweite Anreise von Teilnehmern. An die durch die linksextremistische Szene wahrgenommene Zunahme "rechter" Strukturen und Aktivitäten 62 sind regelmäßig entsprechende Reaktionen gekoppelt. Im Vergleich ist das Niveau von Strafund Gewalttaten der PMK-Links in Thüringen von einem deutlichen Abstand zu bundesweiten Hotspots und dortigen Gewaltexzessen geprägt. Bei einigen herausragenden Vorfällen gibt es Hinweise auf auswärtige Tatbeteiligte. Insofern ist nicht abzusehen, ob es sich hinsichtlich der Steigerungen um einen anhaltenden Entwicklungstrend und eine möglicherweise zunehmende Radikalisierung der Szene handeln könnte. 62 Vgl. dazu die entsprechenden Statistiken der PMK Rechts. 113 VII. Scientology Organisation (SO) Gründung 1954 in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Hauptsitz Los Angeles Leitung David Miscavige Vorstandsvorsitzender der "Religious Technology Center" (RTC) Publikationen (Auswahl) u. a. "Impact", "Freewinds" Mitglieder/Anhänger (Bund) 2019 ca. 3.500 2018 ca. 3.400 2017 ca. 3.500 Mitglieder/Anhänger (Thüringen) 2019 ca. 10 2018 ca. 10 2017 ca. 10 Tabelle 14: Zahlen und Fakten zur SO 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO In einer scientologisch geprägten Gesellschaft besäßen die durch das Grundgesetz garantierten Rechte keineswegs einen für die Allgemeinheit verbindlichen Charakter. Die Ideologie der SO entwickelt sich nicht aus der permanenten, rationalen, diskussionsund lernbereiten Auseinandersetzung mit der Geistesund Ideengeschichte, sondern beruft sich auf die angeblich "ewige" Wahrheit ihrer Lehrsätze. Selbst konstruktive Kritik an diesen Lehrsätzen gilt bereits als sanktionswürdiges Verhalten. Wesentliche Grundund Menschenrechte, wie jene auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Gleichbehandlung, würden durch eine scientologische Gesellschaftsordnung eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt. Die auf den ideologischen Vordenker und Organisationsgründer L. Ron Hubbard zurückgehende scientologische "Rechtsordnung" unterwirft den Einzelnen dem willkürlichen Ermessen der SO. Allgemeine und gleiche Wahlen lehnt die SO ab. Obgleich sich die SO gern als Kirche präsentiert, ist sie in Deutschland nicht als solche anerkannt. 114 2. Strukturen der SO Die SO unterhält im Bundesgebiet "Missionen", "Orgs" und "Celebrity Centers" (CCs) der SO. Bei den "Missionen" handelt es sich um Basisorganisationen, die einführende Dienste anbieten. Die "Orgs" stellen darüber hinaus ein breiteres Angebot an Kursen, insbesondere zum "Auditing" - der maßgeblichen Psychotechnik, mit der Menschen in das System "Scientology" hineingezogen werden - zur Verfügung. In den CCs werden mit eben jenen Diensten ausschließlich Prominente (Sportler, Künstler und Geschäftsleute) betreut, um diese später als Imageträger für die Organisation einzusetzen. Besondere Bedeutung kommt den als "ideale Orgs" bezeichneten Einrichtungen in den der SO strategisch wichtig erscheinenden Städten zu. In Deutschland haben ihre Niederlassungen in Berlin und Hamburg und Stuttgart diesen Status erreicht. 3. SO in Thüringen Im Freistaat Thüringen sind weder Strukturen in Form von Niederlassungen noch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der SO feststellbar. Die Organisation beschränkt sich weitestgehend auf das Versenden bzw. Verteilen von Broschüren und sonstigen Informationsmaterialien an öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen, wobei ein derartiges Engagement jeweils von SO-Niederlassungen außerhalb Thüringens ausgeht. Erwähnenswert für den Berichtszeitraum ist in diesem Zusammenhang ein an den Thüringer Landtag adressiertes Schreiben der "Scientology Kirche Frankfurt e. V.", in dem den Abgeordneten der seit März 2018 existierende "Scientology Fernsehkanal" vorgestellt werden sollte. Der Sender kann über das Internet sowie diverse Social Media Formate bzw. Apps empfangen werden. Den Ausführungen der SO zufolge biete das Programm nicht nur Antworten auf Fragen zur "Scientology Religion", sondern führe die Besucher auch in diese ein. Gesendet werden in diesem Rahmen die Serien "Inside Scientology", "Meet a Scientologist", "Voices for Humanity" und "I am a Scientologist", welche die Zuschauer in einer Reihe von Episoden u. a. mit den wichtigsten Einrichtungen der Organisation - z. B. dem "spirituelle(n) Hauptsitz in Clearwater", dem Schulungsschiff "Freewinds" als "religiöse(m) Rückzugsort der Scientology Kirche" sowie dem "historische(n) Zuhause von L. Ron Hubbard" in East Grinstead bekannt machen. Zudem wird "eine interessante Reihe von Scientologen" vorgestellt, "deren Leben durch Scientology verändert und bereichert wurde". Auch Beiträge zu vermeintlich humanitären Projekte der SO sind Teil des Programms. 115 116 VIII. Spionageabwehr 1. Aufgabe und Überblick Innerhalb der Verfassungsschutzbehörde hat die Spionageabwehr gemäß SS 4 Abs. 1, Satz 2 Nr. 2 ThürVerfSchG die gesetzliche Aufgabe, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht zu beobachten, Informationen darüber zu sammeln und diese auszuwerten. Hierbei wird eine vertrauensvolle und enge Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz sowie den Verfassungsschutzbehörden in den Ländern gepflegt. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor durch ihre geopolitische Lage, der bedeutenden Position innerhalb der Europäischen Union und der NATO sowie als eine der führenden Industrienationen mit Standorten zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie ein prioritäres Aufklärungsziel für Nachrichtendienste fremder Staaten. Wie bereits in den vergangenen Jahren auch, gingen Spionageaktivitäten von der Russischen Föderation, der Volkrepublik China, dem Iran sowie einigen Staaten aus dem nah-, mittelund fernöstlichen aber auch dem nordafrikanischen Raum aus. Der türkische Nachrichtendienst entwickelte zunehmend Bemühungen für den Aufbau eines Informationsund Einflussnetzes in Deutschland. Zudem gab es auch Belege dafür, dass Nachrichtendienste freundschaftlich verbundener Staaten Aufklärung durch den Einsatz menschlicher Quellen (HUMINT) 63 gegen die Bundesrepublik Deutschland betrieben haben. Exemplarisch sei hier die Tätigkeit eines deutschen Staatsbürgers für den jordanischen Geheimdienst benannt, der im Oktober vom Oberlandesgericht Jena wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit verurteilt wurde. 64 Die vorgenannten Länder sind mit ihren jeweiligen Diensten in Deutschland personell sehr unterschiedlich an ihren amtlichen und halbamtlichen Vertretungen präsent. Sie operieren aus sog. Legalresidenturen 65 heraus. Die Beschaffungsaktivitäten der Nachrichtendienste richten sich nicht allein nach der jeweiligen gesetzlichen Aufgabenzuweisung, sondern sie orientieren sich zudem an aktuellen politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten der Staaten. 63 Human Intelligence (HUMINT) ist die Beschaffung von Informationen mittels menschlicher Quellen. 64 Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 22. Oktober 2019; Aktenzeichen 3 St 3 BJs 20/17. 65 Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer offiziellen oder halboffiziellen Vertretung (beispielsweise in Botschaften, Generalkonsulaten, Presseagenturen, Fluggesellschaften, etc.) seines Landes im Gastland. 117 Die Informationsbeschaffung zielt schwerpunktmäßig auf die Bereiche Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Technik. Eine große Zahl von Menschen suchte in den vergangenen Jahren Zuflucht und Schutz in Europa aufgrund einer desolaten und existenzbedrohenden Sicherheitslage in ihren Heimatländern. Auch Deutschland ist Ziel von Flüchtlingsbewegungen, die überwiegend von den Kriegsund Krisengebieten in Afghanistan, im Irak und Syrien sowie in afrikanischen Ländern ausgehen. Damit einhergehend betreiben fremde Dienste in Deutschland intensiv die Ausspähung oppositioneller Aktivitäten und die Unterwanderung der Exilgemeinden. Hinzu kommen die Aktivitäten des türkischen Staates als Reaktion auf den gescheiterten Putschversuch von Angehörigen des türkischen Militärs im Juli 2016, für dessen Ursprung die türkische Regierung die nach dem Prediger Fetullah Gülen benannte "Gülen-Bewegung" verantwortlich macht. In der Folge wurden mutmaßliche Gülen-Anhänger strafrechtlich verfolgt und verurteilt. Weitere Personen, die sich den staatlichen Repressalien durch ihre Flucht aus der Türkei entziehen konnten, wurden in Abwesenheit verurteilt und durch den türkischen Staat als Zugehörige der "Fetullahistischen Terrororganisation" (FETÖ) eingestuft sowie auf Fahndungslisten aufgeführt. Es kann davon ausgegangen werden, dass der türkische Nachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) insbesondere in Deutschland lebende Oppositionelle auch weiterhin versucht auszuspähen und zu einer Rückkehr zu bewegen. Auch in Thüringen wurden Sensibilisierungsgespräche mit betroffenen Personen geführt. Darüber hinaus bemühen sich einige Länder weiterhin darum, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen und der hierfür erforderlichen Trägersysteme zu gelangen. Sie bedienen sich u. a. ihrer Nachrichtendienste bei der Beschaffung notwendiger Güter zu deren Herstellung sowie des erforderlichen Know-hows. Die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Technik nehmen als Aufklärungsziele für Nachrichtendienste ein immer breiteres Spektrum ein. Insbesondere Staaten mit Forschungsund Technologierückständen haben großes Interesse an Informationen über Fertigungstechniken und technisches Know-how. Andere Staaten wie Russland und China haben ihre Nachrichtendienste mit gesetzlichen Befugnissen ausgestattet, um aktiv Spionage zur Förderung der heimischen Wirtschaft zu betreiben. Daher sind Information und Aufklärung von potenziell gefährdeten Unternehmen sowie wissenschaftlichen Einrichtungen und die Durchführung von Sensibilisierungsgesprächen über die Gefahren der Wirtschaftsspionage als wichtige Aufgaben der Spionageabwehr unverzichtbar. Vor diesem Hintergrund wurde am 9. September in Zusammenarbeit mit der Industrieund Handelskammer Erfurt ein Symposium zu dem Thema 118 "Digitale Wirtschaftsspionage - Thüringens Wirtschaft im Fokus fremder Staaten" durchgeführt. Auch der stetig wachsende Einfluss moderner Informationstechnologien (IT) stellt eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Der Schutz vor bzw. das Erkennen von elektronischen Angriffen auf Wirtschaftsunternehmen, Regierungsstellen und Einzelpersonen in exponierter Stellung erfordert immer intensivere Anstrengungen und Aufwendungen. 2. Methoden der Nachrichtendienste Bei der Informationsbeschaffung bedienen sich die Nachrichtendienste neben allgemein zugänglichen Quellen (z. B. Fachliteratur, Onlinebibliotheken, Fachkongresse) in immer größerem Umfang modernster IT-Verfahren. Durch die stetig zunehmende Nutzung sog. smarter Technologien in allen Arbeitsund Lebensbereichen gelangen Informationen aus der Realwelt in die digitale Welt. Diese Daten sind weltweit verfügbar und werden zu begehrten Informationsquellen. Zunehmend werden elektronische Angriffe mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund auf Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen festgestellt. Derartige Maßnahmen können nahezu ohne Eigenrisiko von den Heimatstaaten der Akteure aus initiiert werden. Eigens geschaffene, mit modernster Technik ausgestattete Arbeitseinheiten agieren mit staatlichem Aufklärungsauftrag. Sie sind zum Teil als eigenständige Organisationseinheiten im jeweiligen Nachrichtendienst angesiedelt. Häufig bleiben Datenverluste bei den Adressaten dieser Angriffe unerkannt oder werden nur mit erheblichem Zeitverzug festgestellt. Ein Problem stellt dabei z. B. speziell entwickelte Schadsoftware dar, die erst im konkreten Bedarfsfall - mitunter Monate oder Jahre nach ihrer Installation - aktiviert wird. Diese Art der Informationsbeschaffung ist als Spionagemethode fest etabliert und gewinnt für ausländische Nachrichtendienste immer mehr an Bedeutung. Daneben sind verstärkte Aktivitäten über soziale Medien zur Beeinflussung von gesellschaftlichen Gruppen in Deutschland erkennbar. Auf diesem Weg versuchen fremde Nachrichtendienste mit "Fake News" auf gesellschaftliche und politische Meinungsbildungsprozesse Einfluss zu nehmen und somit auch auf mögliche politische Entscheidung zumindest indirekt einzuwirken. Diese Arten der Informationsgewinnung ergänzen die nachrichtendienstliche Ausforschung mit menschlichen Quellen, sind in Echtzeit durchführbar, haben kalkulierbare Kosten und Risiken sowie hohe Erfolgsaussichten. Des Weiteren bedienen sich die Angreifer ausgereifter 119 Tarnstrategien und vielfältiger Verschleierungsmechanismen. Sie erschweren damit nachhaltig die Aufklärung und Abwehr der elektronischen Angriffe und stellen eine enorme Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Die Themen Cyberabwehr und Cybersicherheit haben sich zu Schwerpunktaufgaben in der Spionageabwehr ausgebildet. Menschlichen Quellen kommt bei der Informationsbeschaffung eine unverändert große Bedeutung zu. Oft werden entsprechende Kontakte aus Legalresidenturen heraus von dort vorgeblich als Diplomaten oder Journalisten tätigen Mitarbeitern des Nachrichtendienstes initiiert. Solche Verbindungen können im Rahmen der offenen Gesprächsführung unverfänglich aufrechterhalten werden, aber auch - über die gezielte "Pflege" eines solchen Kontakts - zum Aufbau einer geheimdienstlichen Agentenverbindung führen. Den Sicherheitsbehörden in Deutschland gelang es auch im Berichtsjahr, als Agenten tätige Personen festzustellen, deren geheimdienstliche Aktivitäten sich gegen Deutschland und deutsche Interessen richteten. 3. Wirtschaftsschutz / Cyberabwehr Die deutsche Wirtschaft investiert große Summen in Forschung und Entwicklung. So schafft sie die Grundlagen für Innovationen und Knowhow. Hierdurch besitzt sie einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Diese internationale Spitzenrolle weckt bei Konkurrenzunternehmen, aber auch fremden Staaten nach wie vor Begehrlichkeiten. Die Widerstandsfähigkeit kleiner, mittlerer und großer Unternehmen in Deutschland steht täglich auf dem Prüfstand. Die Bedrohungen reichen von Cyberattacken bis hin zu allen Erscheinungsformen der Wirtschaftskriminalität, Konkurrenzausspähung, Sabotage und Wirtschaftsspionage. Neben dem Einsatz klassischer Mittel und Methoden der Spionage hat die zunehmende elektronische Vernetzung zu neuartigen und erhöhten Risiken im Cyberraum geführt. Interne und externe Sicherheitsrisiken in der realen und Cyberwelt erfordern einen ganzheitlichen Wirtschaftsschutz. Wirtschaftsbetriebe müssen dafür Sorge tragen, dass sie nicht zum Instrument feindlicher Angriffe auf das Gemeinwohl werden. Große Konzerne können viele Maßnahmen selbst in die Wege leiten. Bei der Mehrzahl der kleinen und mittleren Unternehmen fehlt allerdings häufig 120 das Bewusstsein, dass sie selbst ein lohnendes Ziel für Spionageund Ausspähungsaktivitäten sein können. Die Erschließung neuer Märkte im Ausland eröffnet Unternehmen viele wirtschaftliche Chancen, birgt zugleich aber auch eine Vielzahl an Sicherheitsrisiken. Fremde Nachrichtendienste besitzen auf Ihrem Hoheitsgebiet "Heimvorteil". Sie handeln häufig mit umfassenden Exekutivbefugnissen. Die Auswertungen von Cyberangriffen ergaben, dass die Akteure technisch sehr fortschrittlich und mit viel Geduld arbeiten. So etwa APT 66-Gruppen wie BlackEnergy 67 mit ihren Angriffen auf Firmen der Ölindustrie oder Stromversorger. Gleichzeitig nutzen Unternehmen aus Kostengründen mitunter veraltete IT-Systeme und Technologien, wodurch teils erhebliche Sicherheitslücken und damit Möglichkeiten für unerlaubten Datenzugriff entstehen können. Häufig kommt Spear-Phishing 68 als Angriffsmethode zur Anwendung, wobei jede Attacke mit hohem Aufwand speziell auf ein Ziel zugeschnitten wird. Die Kritische Infrastruktur (KRITIS) 69 ist aufgrund ihres Wesens ein stets interessantes Angriffsziel für einen fremden Staat. Die Anbindung industrieller Steuerungssysteme an das Internet nimmt stetig zu. Eine beträchtliche Anzahl von heute verwendeten Systemen wurde allerdings konstruiert und installiert, noch bevor permanente Internetverbindungen Standard waren. So eröffneten sich Angriffswege etwa für den Computerwurm Stuxnet 70. Auf KRITIS zielende Cyberattacken sind häufig auch gegen relevante Unternehmen gerichtete Sabotagemanöver. Von Staaten gesponserte APT-Gruppen sind auf der Suche nach angreifbaren, strukturkritischen Netzwerkpunkten, Spionagemöglichkeiten und Möglichkeiten politischer Einflussnahme. Sieben von zehn Wirtschaftsunternehmen sind im Bundesdurchschnitt von APT-Angriffen betroffen. Auch in Thüringen hat es im Berichtszeitraum entsprechende Vorkommnisse 66 Advanced Persistent Threat - APT (deutsch: fortgeschrittene, andauernde Bedrohung) steht für komplexe, zielgerichtete und effektive Cyberangriffe auf kritische IT-Infrastruktur und vertrauliche Daten von Behörden, Großund Mittelstandsunternehmen aller Branchen. 67 Bei BlackEnergy handelt es sich um eine iranische, mutmaßlich staatlich organisierte Hackergruppe, deren Angriffsschwerpunkt elektronische Industriesteuersysteme sind. 68 Unter Spear-Phishing werden Angriffe per elektronischer Kommunikation gefasst, die auf bestimmte Personen, Organisationen oder Unternehmen abzielen. 69 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. 70 Stuxnet war speziell für den Angriff auf ein System zur Überwachung und Steuerung des Herstellers Siemens entwickelt worden. 121 gegeben. Wegen eines befürchteten Imageverlustes zeigen Unternehmen die Vorfälle nur selten bei den zuständigen Stellen an. Dabei ist die Zusammenarbeit von Unternehmen und Sicherheitsbehörden wichtig, um Schutzmaßnahmen fest zu etablieren. 4. Proliferation Unter Proliferation versteht man die unerlaubte Weitergabe von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie entsprechender Waffenträgersysteme (z. B. Raketen und Drohnen) einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Proliferationsrelevante Staaten 71 geben durch ihr Verhalten auf der internationalen politischen Bühne nach wie vor Anlass zu der Befürchtung, solche Waffen in einem bewaffneten Konflikt einzusetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele anzudrohen. Die Herstellung von Massenvernichtungswaffen stellt eine ernsthafte Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Da jene Staaten ihren Bedarf an den zur Herstellung und Weiterentwicklung von ABC-Waffen notwendigen Komponenten nur zum Teil selbst decken können, sind sie bestrebt, bestehende technologische wie produktbezogene Defizite durch Beschaffungen aus dem Ausland zu beheben. Im Mittelpunkt stehen dabei solche Ausfuhrprodukte, die als sog. Dual-use-Güter sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich Anwendung finden können. Die strenge Gesetzgebung und restriktive Exportkontrollen stellen für entsprechende Beschaffungsvorhaben hohe Hürden dar. Um diese zu umgehen, werden auf verdeckte Weise - teilweise durch sog. Umweglieferungen über Drittländer, Verwendung gefälschter Endnutzerzertifikate, zuweilen aber auch unter direkter Einbindung von Mitarbeitern der jeweiligen Nachrichtendienste - mitunter konspirativ agierende Beschaffungsnetzwerke genutzt. Ziel ist es, die tatsächliche Endverwendung der Güter gegenüber den überwachenden Behörden und den potenziellen Lieferanten zu verschleiern. 71 Als solche gelten Nordkorea, Pakistan, Syrien und der Iran. 122 Zur Verhinderung derartiger Beschaffungsaktivitäten sensibilisiert der Verfassungsschutz Thüringen regional ansässige Unternehmen und Forschungseinrichtungen über die Proliferationsthematik und ihre Risiken. Dabei ist oftmals ersichtlich, dass die Problematik bei den Firmen präsent ist und diese auch sorgsam mit entsprechenden Anfragen umgehen. 123 IX. Geheimschutz 1. Allgemeines Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines Bundeslandes gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Im Rahmen ihrer Organisationsgewalt haben Behörden Vorkehrungen zur Gewährleistung des Geheimschutzes zu treffen. Zu den Aufgaben des AfV zählt gemäß SS 4 Abs. 2 Satz 1 ThürVerfSchG die Mitwirkung im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes. 2. Personeller Geheimschutz Unter dem Begriff "Geheimschutz" werden sämtliche Vorkehrungen im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen dienen. Nicht jede Person, nicht jeder Amtsträger erfüllt die für den Umgang mit Geheimnissen erforderlichen Voraussetzungen. Folglich gilt es, Personen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen für Verrat, Erpressung oder Spionage anfällig scheinen, von vornherein den Zugriff auf Geheimnisse zu verwehren. Diesem Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung. Dabei wird festgestellt, ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an. Rechtsgrundlage für das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist das Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) 72 vom 17. März 2003 in der Fassung vom 6. Juni 2018. Sicherheitsüberprüfungen werden für Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit gemäß SS 1 Abs. 2 ThürSÜG ausüben sollen, durchgeführt. Betroffen sind in erster Linie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen haben oder sich diesen verschaffen können. 72 Unter http:/www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz/ueber_uns/rechtsgrundlagen/thuersueg/index.aspx online abrufbar. 124 Als Verschlusssache werden alle im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse - unabhängig von ihrer Darstellungsform - bezeichnet. Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische Einrichtungen können ebenso wie das gesprochene Wort oder Zwischenmaterial (z. B. Entwürfe), das im Zusammenhang mit Verschlusssachen anfällt, eine solche Klassifizierung erfordern. Für eine Sicherheitsüberprüfung ist der Geheimschutzbeauftragte der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde verantwortlich. Der Thüringer Verfassungsschutz wirkt an der Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ThürVerfSchG i. V. m. SS 3 Abs. 3 ThürSÜG mit. Die Sicherheitsüberprüfung wird je nach Geheimhaltungsgrad abgestuft. Gemäß SSSS 8 ff. ThürSÜG wird sie als einfache (Ü 1), erweiterte (Ü 2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt. Sie bedarf der vorherigen Zustimmung sowohl des Betroffenen als auch der gegebenenfalls einzubeziehenden Person (Ehegatte/-in oder Lebenspartner/-in). Das AfV wurde in 313 Fällen als mitwirkende Behörde an Sicherheitsüberprüfungen beteiligt und hat jeweils sein Votum gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten der einleitenden Dienststelle abgegeben. Im Einzelnen wurden folgende Überprüfungen durchgeführt: Jahr Ü1 Ü2 Ü3 gesamt 2019 112 155 46 313 2018 91 103 44 238 2017 85 149 30 264 Tabelle 15: Statistik Mitwirkung Sicherheitsüberprüfungen 125 3. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimhaltungsbedürftigen Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme durch Unbefugte dienen. Zu technischen Sicherheitsmaßnahmen sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den Geheimschutz verbessern. Als Rechtsgrundlagen dient die "Verschlusssachenanweisung für den Freistaat Thüringen" (VSA) 73 in der Fassung vom 1. Januar 2017. Die VSA richtet sich an Landesbehörden, landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen und die sonstigen der Aufsicht des Freistaats Thüringen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben, die einen solchen eröffnet und die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen erfordert. Für Kommunen gilt die VSA nur im Bereich der Aufgabenerfüllung im übertragenen Wirkungskreis. Den Kommunen wird empfohlen, die VSA auch im eigenen Wirkungskreis anzuwenden. Entsprechend der Schutzbedürftigkeit der Verschlusssache nehmen die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen der in SS 4 Abs. 2 ThürSÜG bestimmten Geheimhaltungsgrade 74 vor. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. Hinsichtlich des materiellen Geheimschutzes enthält die VSA eine Reihe von Vorschriften, welche die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen, die Dienstpflichten zum Schutz von Verschlusssachen, die Aufbewahrung, Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes sowie Maßnahmen bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften betreffen. Das Amt für Verfassungsschutz berät öffentliche Stellen über den Umgang mit Verschlusssachen und sichere Organisationsabläufe, u. a. auch über technische Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmsysteme oder Stahlschränke (sog. Verwahrgelasse). Auskünfte zur Geheimschutzbetreuung von Wirtschaftsunternehmen erteilt das: 73 Thüringer Staatsanzeiger, Nr. 29/2011 S. 927 ff.; geändert zum 1. Januar 2017, Thüringer Staatsanzeiger, Nr. 52/2016 S. 1624; online (http://www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz/geheimschutz/index.aspx) abrufbar. 74 "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH", "VS-VERTRAULICH", "GEHEIM" oder "STRENG GEHEIM". 126 Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft Der Geheimschutzbeauftragte für die Wirtschaft Postfach 90 02 25 Max-Reger-Straße 4-8 99105 Erfurt 99096 Erfurt Telefon: 0361 3797-140. 4. Sonstige Überprüfungen Neben seiner Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wird das AfV an Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. In diesem Zusammenhang erreichten die Behörde Anfragen nach dem Luftsicherheitsgesetz (1.293), Staatsangehörigkeitsgesetz (1.113), Sprengstoffgesetz (180), Waffengesetz (40) sowie dem Aufenthaltsgesetz und der Gewerbeordnung. Am 13. Dezember beschloss der Deutsche Bundestag eine Verschärfung des Waffenrechts. Das Waffengesetz gibt fortan eine Regelanfrage beim Verfassungsschutz im Rahmen der Waffenerlaubniserteilung vor. Eine gesetzliche Regelung dieser Art bestand zuvor nicht. Mitgliedern verfassungsfeindlicher Vereinigungen soll die Erlangung einer Waffenerlaubnis verwehrt werden. 127