www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2018 Pressefassung Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ............................................................................................................ 2 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz ......................................... 5 1. Verfassungsschutz - Instrument der wehrhaften Demokratie ........................... 5 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales ..................................................................................... 6 II. Rechtsextremismus ................................................................................... 15 1. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick ....................................15 2. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen .....................................................16 3. Rechtsextremistische Parteien ............................................................................18 3.1. NPD Landesverband Thüringen..............................................................................18 3.1.1 Aktivitäten des Thorsten Heise und "Völkischer Flügel" ..........................................21 3.2. Aktivitäten von "Der III. Weg" in Thüringen..............................................................22 3.2.1 Ideologie von "Der III. Weg" ....................................................................................25 4. Immobilien in der Hand von Rechtsextremisten ................................................26 4.1 "Flieder Volkshaus" in Eisenach..............................................................................27 4.2 Immobilie in der Stielerstraße in Erfurt ....................................................................29 4.3 Gasthaus "Goldener Löwe" .....................................................................................30 4.4 Freifläche in Themar - Veranstaltungsort für die "Tage der Nationalen Bewegung"35 4.5 Sonstige Szeneobjekte in Kirchheim und Sonneberg ..............................................38 5. Gewaltbereiter Rechtsextremismus ....................................................................41 5.1 Kampfsport als rechtsextremistisches Aktionsfeld...................................................42 5.2 "Bruderschaft Thüringen" ........................................................................................46 5.3 "Blood & Honour" ....................................................................................................50 5.4 "Combat 18" (C18) ..................................................................................................51 6. Weitere rechtsextremistische Gruppen...............................................................53 6.1 Ehemaliges Rittergut in Guthmannshausen - "Verein Gedächtnisstätte e.V." ........53 6.2 "Thing-Kreis" in Themar ..........................................................................................57 6.3 "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) .....................................................................59 III. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter".................................................... 62 2 1. Überblick ...............................................................................................................62 2. Ideologie ................................................................................................................63 3. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Thüringen.........................................64 4. Gefährdungspotenzial ..........................................................................................67 IV. Islamismus ................................................................................................. 69 1. Ideologischer Hintergrund ...................................................................................69 1.1 Islamismus..............................................................................................................69 1.2 Salafismus ..............................................................................................................69 1.3 Politischer und jihaistischer Salafismus ..................................................................70 2. Gefährdungsbewertung für die Bundesrepublik Deutschland ..........................72 3. Lagebild Thüringen ..............................................................................................75 3.1 Islamismus in Thüringen .........................................................................................75 3.2 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen ...............................................................75 3.3 Salafismus in Thüringen .........................................................................................76 3.3.1 Salafistisches Personenpotenzial ...........................................................................76 3.3.2 Staatliche Maßnahmen ...........................................................................................79 V. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) ................................................................. 81 1. Hintergrund ...........................................................................................................81 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ......................................................................81 2.1 Überblick, allgemeine Lage.....................................................................................82 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen.....................................................................83 2.3 Finanzierung ...........................................................................................................84 2.4 Propaganda und Themenschwerpunkte .................................................................84 3. Bewertung .............................................................................................................85 VI. Linksextremismus ..................................................................................... 86 1. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick .......................................86 2. Überblick und Schwerpunktsetzung ...................................................................87 3. Ideologischer Hintergrund ...................................................................................88 4. Das linksextremistische Personenpotenzial .......................................................88 5. Autonome - gewaltorientierte Linksextremisten................................................89 5.1 Allgemeines ............................................................................................................89 5.2 Die autonome Szene in Thüringen ..........................................................................93 5.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis ....................................96 3 5.4 Das Aktionsfeld "Antigentrifizierung" .....................................................................102 6. Sonstige linksextremistische Organisationen ..................................................104 6.1 "Rote Hilfe e. V." (RH) ...........................................................................................104 Anhang .................................................................................................................. 109 4 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der wehrhaften Demokratie Das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Republik ist es die Aufgabe der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das GG legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Die wehrhafte Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Rechtsstaat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte - wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht - zu. Jedoch liefert sich die wehrhafte Demokratie den Bestrebungen politischer Extremisten nicht schutzlos aus. So sind beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 GG das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 GG die Aberkennung von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als "Frühwarnsystem" politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die Länder unterhalten (Artikel 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Freistaat Thüringen wurde die Verfassungsschutzbehörde 1991 errichtet. Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach, aus welchen Parteien und Gruppierungen sich das extremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt. Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste auf. Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu treffen. 5 Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen ist dann geboten, wenn auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung führen, dass ein Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit die Feststellung seines extremistischen Charakters verbunden ist. Die Darstellungen im Verfassungsschutzbericht sind nicht abschließend, sondern geben wesentliche Entwicklungen während eines konkreten Berichtszeitraums wieder. Eine Berichterstattung kann bereits dann in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen, die aufgrund eines im konkreten Fall hinzutretenden besonderen Aufklärungsinteresses der Öffentlichkeit eine Erwähnung erfordern. Diese Verdachtsfälle sind als solche im Text kenntlich gemacht. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere durch die von den Parlamenten eingesetzten Kontrollgremien, durch die Innenministerien, durch die Gerichte sowie durch die Bundesbzw. Landesbeauftragten für Datenschutz. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen (Artikel 97 Verfassung des Freistaats Thüringen). Sie unterscheiden sich damit grundlegend sowohl von der "Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) der ehemaligen DDR. Jene Institutionen waren darauf ausgerichtet, totalitäre Systeme abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik schützt. Für Verfassungsschutzbehörden besteht eine strikte Bindung an Recht und Gesetz. Sie dienen keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem als essentiellem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet. 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales Aufgaben und Befugnisse Mit dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVerfSchG) bestehen präzise rechtliche Vorgaben für eine erfolgreiche und transparente Tätigkeit des Thüringer Verfassungsschutzes im demokratischen Rechtsstaat. Kernaufgaben des AfV sind die Sammlung und Auswertung von Informationen zum politischen Extremismus, zu Terrorismus und Spionage im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen. Zu diesem Zweck beobachtet es gemäß SS 4 ThürVerfSchG: 6 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Einen nicht unerheblichen Teil seiner Informationen - insbesondere solche, ob tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen bestehen - schöpft das AfV aus öffentlich zugänglichen Quellen. Darüber hinaus ist das AfV in gesetzlich festgelegten Grenzen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit befugt, im Rahmen seines Beobachtungsauftrags Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen, Telefonüberwachungen) zu beschaffen. Die in Berichten, Lagebildern und Analysen zusammengefassten Erkenntnisse ermöglichen es der Landesregierung, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuleiten. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben übermittelt das AfV relevante Erkenntnisse unverzüglich nach Bekanntwerden an die Strafverfolgungsbehörden. Das AfV ist in den gemeinsamen Informationsund Kommunikationsplattformen der deutschen Sicherheitsbehörden (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum - GTAZ, Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/terrorismus und der Spionage einschließlich proliferationsrelevanter Aspekte - GETZ) vertreten. Des Weiteren obliegen dem AfV Mitwirkungspflichten im Bereich des Geheimund Sabotageschutzes (z. B. Sicherheitsüberprüfungen für in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätige Personen). 7 Das ThürVerfSchG sieht in SS 5 zudem eine geeignete Informationsund Öffentlichkeitsarbeit des Amtes vor. Zudem bestehen ausführliche Regelungen über Umfang und Grenzen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel einschließlich des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung 1 sowie die beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einzuhaltenden Verfahren. Die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei in der Thüringer Informationsund Auswertungszentrale (TIAZ) wurde in einer eigenständigen gesetzlichen Regelung verankert. 2 Aufbau und Organisation Der Thüringer Verfassungsschutz verfügte im Haushaltsjahr 2018 über 95 Stellen und Planstellen. 3 Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch das Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 7.061.600 Euro zugewiesen. Struktur des AfV 1 Der Kernbereich privater Lebensgestaltung stellt einen Raum höchstpersönlicher Privatheit dar, welcher verfassungsmäßig geschützt und einem Zugriff durch staatliche Überwachungsmaßnahmen vollumfänglich entzogen ist. Hinweise auf begangene oder geplante Straftaten fallen aufgrund ihres Sozialbezugs nicht hierunter. Einfachgesetzliche Regelungen zum Schutz des Kernbereiches privater Lebensführung finden sich etwa in SS 10 Abs. 6 ThürVerfSchG und SS 3a Artikel 10-Gesetz (G10). 2 Siehe dazu SS 4 Abs. 4 ThürVerfSchG. 3 Siehe dazu Landeshaushaltsplan 2018 / 2019, Einzelplan 03, S. 70 f. 8 Stabsstelle Controlling Die Stabsstelle Controlling unterstützt den Präsidenten des AfV durch unabhängige und objektive Prüfungsund Beratungsdienstleistungen in seiner Leitungsfunktion. Sie hat die Aufgabe, regelmäßig die Rechtund Zweckmäßigkeit der nachrichtendienstlichen und sonstigen ihr zugewiesenen Maßnahmen zu überprüfen und dem Präsidenten des AfV Bericht zu erstatten (SS 2 Absatz 4 ThürVerfSchG). Die Stabsstelle ist dem Präsidenten des AfV unmittelbar zugeordnet, jedoch in der Beurteilung der Rechtund Zweckmäßigkeit der eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel nicht an Weisungen des Präsidenten, seines Vertreters oder des zuständigen Ministeriums gebunden. Die Stabsstelle Controlling ist darüber hinaus personell und organisatorisch von den übrigen Referaten des AfV getrennt, nicht zuletzt, um auch insoweit eine unabhängige Prüfung zu gewährleisten. Die Referate des AfV haben der Stabsstelle Controlling kontinuierlich schriftlich Bericht darüber zu erstatten, in welchen Phänomenbereichen und beobachteten Personenzusammenschlüssen nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Diese Berichtspflichten betreffen besondere grundrechtsund sicherheitsrelevante Vorkommnisse, die sich im Rahmen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel ereignen können. Bei besonderen oder schwierigen Vorkommnissen kann die Parlamentarische Kontrollkommission verlangen, dass die Stabsstelle Controlling diese auch unmittelbar unterrichtet (SS 2 Abs. 4 Satz 6 ThürVerfSchG). Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Der Stabsstelle obliegen die Beantwortung von Presseund Bürgeranfragen, die Herausgabe von Publikationen, die Organisation und Durchführung diverser Informationsveranstaltungen sowie die Pflege der Internetpräsenz des AfV. Mitarbeiter des AfV nahmen im Jahr 2018 etwa 100 Vortragstermine wahr. Auf Einladung diverser Institutionen und Organisationen informierten sie über alle gesetzlichen Aufgabenbereiche des Verfassungsschutzes. Die Themenfelder Rechtsextremismus und "Reichsbürger" dominierten die Anfragen. Vor dem Hintergrund des angestiegenen "Reichsbürger"Potenzials zeigten insbesondere kommunale Behörden und die Arbeitsverwaltung ein wei- 9 terhin hohes Informationsinteresse. Des Weiteren wurden zahlreiche Vorträge bei Thüringer Polizeidienststellen, bei der Bundeswehr, der Justiz und anderen Behörden gehalten. Dieses Angebot wurde durch zahlreiche Diskussionsveranstaltungen verschiedener Institutionen und Organisationen ergänzt, an denen der AfV-Präsident als Diskutant oder Referent mitwirkte. Auch durch regelmäßige Interviews, Hintergrundgespräche und Kontakte zu den Medien konnte der Devise des Thüringer Verfassungsschutzes "Mehr Transparenz durch Information" Rechnung getragen werden. Die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, z. B. aus dem Bereich der Gewerkschaften, der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände, erfuhr im Berichtszeitraum weitere Intensivierung. Die Wanderausstellung des AfV "Feinde der Demokratie" machte in den Monaten Juli und August Station in der Karl-Günther-Kaserne in Sondershausen. Dort ist das Feldwebel/Unteroffiziersanwärterbataillon 1 des Heeres aufgestellt. In Kooperation mit dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz (TMMJV) und mehreren Justizbehörden wurde im Berichtszeitraum die Präventionsund Informationsarbeit im Rahmen einer bestehenden Sicherheitspartnerschaft mit dem Justizvollzug fortgesetzt. Der Thüringer Verfassungsschutz richtete am 5. November gemeinsam mit dem Kriminologischen Dienst des TMMJV ein Symposium zu dem Thema "Radikalisierung im Strafvollzug" aus. Etwa 100 Gäste, darunter Vertreter der Politik, der Kirchen, der Tarifpartner, der Sicherheitsbehörden und der Zivilgesellschaft waren bei der Veranstaltung zugegen. Darüber hinaus wirkte der Thüringer Verfassungsschutz an einem gemeinsamen Symposium der Verfassungsschutzbehörden Berlins und der ostdeutschen Länder im Rahmen der von den Innenministern beschlossenen "Sicherheitskooperation" (SIKOOP) mit. Bei der Veranstaltung am 31. Mai in Magdeburg unter dem Titel "Provokation und Propaganda - Neue Dynamiken antisemitischer Agitation", warfen die Verfassungsschutzbehörden einen aktuellen Blick auf Antisemitismus in Deutschland. 10 Der Verfassungsschutz Thüringen ist für die interessierte Öffentlichkeit über folgende Kontakte erreichbar: Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales Postfach 450 121 99051 Erfurt Telefon: 0361 573313-850 Telefax: 0361 573313-482 Internet: www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz E-Mail: afvkontakt@tmik.thueringen.de Die Behörde hält eine "Aussteigerhotline für Rechtsextremisten" (0361 573313-817) und ein "Hinweistelefon Islamismus" (0361 573313-480) vor. Die Wanderausstellung des AfV kann - bei zeitlicher Verfügbarkeit - von allen interessierten Institutionen kostenfrei angefordert werden. Referat 50 "Grundsatzund Rechtsangelegenheiten, G10, Gremienarbeit" Das Referat 50 bearbeitet die Grundsatzund Rechtsangelegenheiten des Amtes. Weiterhin werden in diesem Arbeitsbereich Sitzungen verschiedener Gremien, z. B. der Parlamentarischen Kontrollkommission und der G10-Kommission des Thüringer Landtags sowie verschiedener Bund-Länder-Gremien vorbereitet. Die Bearbeitung von parlamentarischen Anfragen und Auskunftsersuchen von Bürgern zählt ebenso zu den Aufgaben des Referates wie die Begleitung der Rechtsetzung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes, des Geheimschutzes oder relevanter Bundesratsverfahren. Das große Interesse der Mitglieder des Thüringer Landtags an den Themenfeldern, die vom AfV zu bearbeiten sind, zeigt sich an der Anzahl diesbezüglicher parlamentarischen Anfragen. So war das AfV im Berichtszeitraum mit der Beantwortung von zwei Großen Anfragen, 139 Kleinen Anfragen und 17 Mündlichen Anfragen befasst. Darüber hinaus ist das Referat mit der Durchführung der Verfahren zur Postund Telekommunikationsüberwachung (G10) betraut. Referat 51 "Auswertung Ausländerextremismus/Islamismus" Das Referat 51 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Islamismus, sonstiger Ausländerextremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Er11 kenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Referat 52 "Auswertung Rechtsextremismus/Linksextremismus, Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz (TIAZ)" Das Referat 52 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu den Bereichen Rechtsund Linksextremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Aufgabe der seit 2007 bestehenden TIAZ, einer Projektorganisation des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und des Thüringer Verfassungsschutzes, ist es, Informationen zu politisch motivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Ausländer" sowie den Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen. Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der "Antiterrordatei" (ATD). Referat 53 "Beschaffung" Dieses Referat hat die Aufgabe, durch Ermittlungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen. Referat 54 "Querschnittsaufgaben, Geheimschutz, Spionageabwehr, Scientology Organisation" Das dem Referat zugehörige Sachgebiet "Querschnittsaufgaben" ist für den inneren Dienstbetrieb zuständig. Angelegenheiten des personellen und materiellen Geheimschutzes sowie Mitwirkungspflichten des Verfassungsschutzes gemäß dem Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz werden im Sachgebiet "Geheimschutz" wahrgenommen. Dem Sachgebiet "Spionageabwehr" obliegt es, die unerlaubte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären. Zudem wird etwaigen Hinweisen auf frühere, fortwirkende Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR nachgegangen. In einem weiteren Sachgebiet werden Hinweise auf mögliche Betätigungen der in Thüringen bislang nicht organisatorisch vertretenen "Scientology Organisation" bearbeitet. 12 Kontrollinstanzen des Verfassungsschutzes Allgemeine parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrollkommission des Thü(parlamentarische Anfragen, Petitionen von ringer Landtags Bürgern) Landesrechnungshof Amt für Verfassungsschutz Verwaltungsgerichte (Stabsstelle Controlling) Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit G10-Kommission des Thüringer Landtags Parlamentarische Kontrolle Gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission besteht eine umfassende Unterrichtungspflicht über die allgemeine Tätigkeit des AfV (SS 27 Abs. 1 ThürVerfSchG). Dabei bilden die mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Erkenntnisse einen Schwerpunkt. Zudem ist der Landesregierung eine strukturierte Berichterstattung über die maßgeblichen operativen Vorgänge im Verfassungsschutz gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission aufgegeben (SS 27 Abs. 2 ThürVerfSchG). Dies betrifft im Einzelnen eine Übersicht über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in den verschiedenen Phänomenbereichen, die Information über die Festlegung der einzelnen Beobachtungsobjekte, die Information über die Herstellung des Einvernehmens beziehungsweise des Benehmens für das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Länder respektive des Bundes in Thüringen, die Vorlage von Regelungen über die Vergütung von V- Leuten zur Kenntnis und die Unterrichtung über die Feststellung eines Informationsübermittlungsverbotes durch den Verfassungsschutz. Darüber hinaus ist die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission über den Erlass und jede Änderung von Dienstanweisungen (SS 27 Abs. 5 ThürVerfSchG) gesetzlich verankert. Für den Erlass und die Änderung der Dienstanweisung zum Einsatz von V-Leuten ist eine Anhörung der Parlamentarischen Kontrollkommission vorgeschrieben (SS 12 Abs. 6 Sätze 6 und 7 ThürVerfSchG). Die umfangreichen Unterrichtungspflichten der Landesregierung und Kontrollbefugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission ermöglichen eine umfassende parlamentarische 13 Kontrolle der Tätigkeit des AfV und eine zusätzliche Sicherung der Grundrechte betroffener Personen. Nach SS 33 ThürVerfSchG unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. 14 II. Rechtsextremismus 1. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Rechts weist die Statistik des Landeskriminalamts Thüringen (TLKA) 4 folgende Zahlen aus: Straftaten 2016 2017 2018 Insgesamt 1.570 1.353 1.228 davon u.a. Propagandadelikte 908 850 821 Gewaltdelikte 128 78 67 Sonstige 5 534 425 340 Rund 68 % aller politisch motivierten Straftaten, die im Berichtszeitraum im Freistaat Thüringen begangen wurden, sind dem Phänomenbereich "Rechts" zuzuordnen. Insgesamt ist diese Zahl von 1.570 Fällen im Jahr 2016 und 1.353 Fällen im Jahr 2017 erneut leicht auf 1.228 Fälle im Jahr 2018 gesunken. Ebenfalls gesunken ist die Zahl der mit 821 Fällen weitaus größten Fallgruppe der Propagandadelikte. Hier waren im Vorjahr noch 850 Fälle und im Jahr 2016 noch 908 Fälle zu verzeichnen. Wenngleich auch im Bereich der politisch rechts motivierten Gewaltkriminalität ein Rückgang um 11 Fälle von vormals 78 auf nunmehr 67 Straftaten festgestellt wurde, bewegt sich diese Fallgruppe noch deutlich über den Werten der Vorjahre. So waren 2011 mit 34 und 2012 mit 22 Fällen noch weitaus weniger Gewaltstraftaten in diesem Phänomenbereich zu beklagen. 4 Veröffentlicht am 27. März 2019. 5 Bei den sonstigen staatsschutzrelevanten Delikten an der PMK im Freistaat Thüringen handelt es sich bei den meisten Straftaten um Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Beleidigungen, Diebstähle und Bedrohungen. 15 2. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen Geschätztes Mitgliederund Personenpotenzial Thüringen Bund 2016 2017 2018 2017 2018 NPD 170 170 170 4.500 4.000 DIE RECHTE 30 30 - 650 600 Der III. Weg 25 25 30 500 530 parteiunabhängiges - 180 200 6.300 6.600 bzw. parteiungebundenes Spektrum 6 weitgehend unstruktu- - 500 550 12.900 13.240 rierte Rechtsextremisten 7 davon gewaltorientier- - 250 250 12.700 12.700 8 te Rechtsextremisten Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Thüringen lag im Berichtsjahr bei etwa 900 9 Personen. Dies entspricht einem Zuwachs von 65 Personen im Vergleich zum Vorjahr (2017: 835). Das Kategoriensystem zur Erfassung des rechtsextremistischen Personenpotenzials wurde im Jahr 2017 überarbeitet. Unterschieden werden die drei Kategorien - Parteien - parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen - weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial. Der Rechtsextremismus stellt nach wie vor den Bearbeitungsschwerpunkt des AfV dar. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die signifikante Gewaltneigung bzw. Gewaltorientierung eines erheblichen Personenpotenzials (250), die sich im Freistaat durch eine hohe Anzahl rechtsmotivierter Strafund Gewalttaten offenbart. 6 Die Kategorie wird seit 2017 ausgewiesen. 7 Siehe Fn. 6. 8 Siehe Fn. 6. 9 Summe aller Einzelpotenziale (Zeilen 1 bis 5 der obigen Tabelle) nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften. 16 Im Berichtszeitraum wurden in Thüringen insgesamt 200 Mitglieder rechtsextremistischer Parteien erfasst. Dem Thüringer Landesverband der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) gelang es auch im Jahr 2018 nicht, ihre Mitgliederzahl zu steigern. Sie verharrt wie schon in den Jahren 2016 und 2017 auf einem Niveau von ca. 170 Personen. Der NPD ist es damit nicht gelungen, ihre frühere dominierende Stellung im rechtsextremistischen Spektrum wieder zu erlangen. Hinsichtlich der Partei "DIE RECHTE" konnten im Jahr 2018 in Thüringen keine Aktivitäten festgestellt werden. Führende Akteure der Partei wechselten zu "Der III. Weg". Mit diesem Wechsel ging eine deutliche Steigerung von Aktionen von der Partei "Der III. Weg" in Thüringen einher. Der Partei gelang es, ihre Strukturen zu festigen und im Zuge einer der Partei in Erfurt fest zur Verfügung stehenden Immobilie auch auszubauen. Die Partei konnte zwar einen geringen Mitgliederzuwachs im Berichtszeitraum verzeichnen, dennoch verharrt sie im Status einer rechtsextremistischen Kleinstpartei. Der Anteil von Parteimitgliedern am gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzial beträgt noch ca. 22 %. Dies verdeutlicht, dass es für rechtsextremistische Parteien zunehmend schwieriger wird Anhänger oder Sympathisanten zu gewinnen und an sich zu binden. Dies ist einhergehend mit einem Verlust von Einfluss auf die rechtsextremistische Szene. Hinzukommt, dass sich ein Großteil dieser moderneren und dezentral organisierten Aktionsformen (z.B. via Sozialer Medien) zuwendet. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den gestiegenen Zahlen im Bereich der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen sowie dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial wieder. Die Kategorie der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen umfasst Personen in rechtsextremistischen Zusammenschlüssen und Vereinen, die beispielsweise in subkulturell geprägten Gruppen oder in neonazistischen Kameradschaften. Im Berichtszeitraum konnten diesen Strukturen ca. 200 Personen zugeordnet werden. Dies ist ein leichter Anstieg um 20 Personen im Vergleich zum Jahr 2017. Dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation zugerechnet werden können, wie beispielsweise rechtsextremistische Straftäter, Internetaktivisten oder einzelne subkulturelle Rechtsextremisten. Auch in diesem Bereich ergab sich eine Steigerung des Personenpotenzials um 50 Personen auf ca. 550 im Jahr 2018. 17 3. Rechtsextremistische Parteien 3.1. NPD Landesverband Thüringen Der seit 1990 bestehende Landesverband der NPD in Thüringen gliedert sich nach Parteiangaben in 17 Kreisverbände. Nur einige der Kreisverbände, darunter die Kreisverbände Eichsfeld und Kyffhäuserkreis, zeigten wahrnehmbare Aktivitäten. Im Bereich Eisenach verfestigte sich der Trend, dass dortige Aktivitäten als parteiübergreifend dargestellt und durch Funktionäre als Privatpersonen durchgeführt werden. Einige seit mehreren Jahren inaktive Kreisverbände dürften lediglich auf dem Papier existieren. Zu diesen gehören die Kreisverbände Hildburghausen, Schmalkalden-Meiningen und Altenburg. Patrick Weber war ab November Vorsitzender des Landesverbandes. Zuvor hatte Thorsten Heise dieses Amt inne. Er verblieb als Beisitzer im Landesvorstand. Stellvertretende Landesvorsitzende wurden Antje Vogt und Ralf Friedrich. Weber betreibt mit dem "Germaniaversand" einen rechtsextremen Versandhandel. 10 Dieser bietet nicht nur Szeneartikel, wie Tonträger, Bekleidung und Devotionalien an, sondern produziert auch eigene Tonträger mit verschiedenen Liedermachern und Bands. Über den "Germaniaversand" werden zudem Musikveranstaltungen organisiert, u. a. im "Flieder Volkshaus". 10 Daneben betreibt Weber die Label "Aggressive Zone Records" und "Schwarzburg Produktionen". 18 Das Aktivitätsniveau der NPD blieb auch 2018 auf niedrigem Niveau. Zwar führte der Landesvorstand 2018 mehrere Klausurtagungen zur Vorbereitung von Wahlen und Aktionen durch, diese führten allerdings nicht zu einem Anstieg der Aktivitäten in Thüringen. Der Partei gelang es kaum noch, öffentlich Präsenz zu zeigen. Heise und anschließend Weber war es offensichtlich nicht gelungen, die Partei in Thüringen in Richtung der früheren Dominanz im rechtsextremistischen Spektrum zu führen. Im Berichtszeitraum ging die Mitgliederzahl des Landesverbandes weiterhin nicht über ca. 170 Personen (2017: ca. 170) hinaus. Seit November 2018 ist das "Flieder Volkshaus" Teil der NPD-Kampagne "Schutzzonen". Die Kampagne wurde bei den "Tagen der nationalen Bewegung" am 8. Juni in Themar erstmalig vorgestellt. Sie war 2018 ein bedeutendes Projekt des Bundesverbandes der NPD, dem die Parteizeitung "Deutsche Stimme" (DS) eine Sonderausgabe widmete. Mit der Kampagne wolle man Räume schaffen, die "Schutz vor Gewalt, Bedrohung und Verfolgung" bieten. Die NPD versucht hiermit, bestehende Ängste in der Bevölkerung vor gestiegener Kriminalität durch Zuwanderer aufzugreifen. Angeblich seien "Übergriffe von Menschen aus aller Herren Länder auf deutsche Bürger" ein Massenphänomen geworden. Die NPD führte 2018 lediglich zwei größere Versammlungen in Thüringen durch. Kundgebung am 1. Mai in Erfurt Am 1. Mai organisierte die Partei in Erfurt eine Demonstration unter dem Motto "Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen - Die etablierte Politik macht Deutschland arm". Es nahmen ca. 700 auch überregional angereiste Personen teil, darunter zahlreiche Anhänger der Partei "DIE RECHTE; sie hatte im Vorfeld ebenfalls entsprechend mobilisiert. Auch parteiungebundene Rechtsextremisten schlossen sich dem Demonstrationszug an. Es bildete sich ein schwarzer antikapitalistischer Block. 19 Für NPD und "DIE RECHTE" war die Versammlung in Erfurt die bedeutendste Veranstaltung zum 1. Mai im Bundesgebiet. Die gemeinsame Demonstration von NPD und "DIE RECHTE" verdeutlichte die inzwischen bestehende Bereitschaft der NPD, mit anderen rechtsextremistischen Akteuren - auch konkurrierenden Parteien - offen zu kooperieren. Heise ist seit Langem ein Verfechter dieses Ansatzes, fand dafür bisher aber keine Zustimmung bei der Parteiführung. In früheren Jahren hatte die Parteiführung solche Bestrebungen noch verhindert. So wollte Heise 2013 in Dortmund als Redner bei einer Demonstration zum 1. Mai von "DIE RECHTE" auftreten, was die Parteiführung der NPD untersagte. Insgesamt steht diese Entwicklung für einen erheblichen Bedeutungsverlust der NPD innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. In Thüringen war sie noch 2013 die dominierende Kraft innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Diese Bedeutung hatte sie 2018 längst verloren. "Eichsfeldtag" am 1. September in Leinefelde Unter dem Motto "Das Eichsfeld im Herzen, Deutschland im Sinn" fand am 1. September in Leinefelde erneut ein "Eichsfeldtag" des NPD-Kreisverbands Eichsfeld statt. An der politischen Versammlung nahmen ca. 170 Personen (2017: 480, 2016: 290). Gegenüber den Vorjahren verlor das Format erneut an Zuspruch. Der "Eichsfeldtag" war als regionale Veranstaltung konzipiert und sollte mit einem Mix aus einschlägigen Balladen und Re20 debeiträgen vor allem ein familiäres Publikum ansprechen. Offensichtlich reagierten die Organisatoren damit auf die starke Konkurrenz anderer rechtsextremistischer Veranstaltungen im Berichtsjahr, wie etwa die von Thorsten Heise im April und November organisierten "Schild & Schwert"-Festivals in Ostritz (Sachsen). Die Durchführung des "Eichsfeldtages" vermittelte den Eindruck, eine aus Sicht des NPD-Kreisverbandes traditionelle Veranstaltungsreihe ohne größere Ambitionen fortsetzen zu wollen. Die gesunkene Bedeutung zeigte sich auch darin, dass Heise, anders als in den Vorjahren, nicht als Redner auftrat. 3.1.1 Aktivitäten des Thorsten Heise und "Völkischer Flügel" Thorsten Heise steht für eine völkische Ausrichtung der Partei und für eine parteiübergreifende Zusammenarbeit. Zu diesem Zweck gründete er im Januar das Bündnis "Völkischer Flügel", einen Zusammenschluss von Mitgliedern der NPD, "Freunden derselben und parteilosen Kräften". Er verstehe sich als "ein nationalistisch und völkisch orientiertes Bündnis innerhalb der NPD" und strebe "eine parteiübergreifende Zusammenarbeit mit anderen, gleichgesinnten Organisationen und Personen" an. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten u. a. mehrere Vorsitzende von NPD-Landesverbänden, weitere NPD-Funktionäre und Personen aus dem Umfeld von Heise. Der "Völkische Flügel" ist in Fretterode ansässig. In dem privaten Objekt des Heise sind zudem der "Nordland-Verlag" und "W&B Medien" untergebracht. Der Immobilie kommt ähnlich wie dem "Flieder Volkshaus" in Eisenach eine "Bündelungsfunktion" zu. Im Berichtszeitraum wurden dort mehrere "Kameradschaftsabende" veranstaltet. Am 8. November fand z. B. ein "Zeitzeugenvortrag" statt, bei dem ein wegen Beteiligung am Massaker von Ascq 11 verurteilter ehemaliger Angehöriger der Waffen-SS referierte. "Nordland-Verlag" und "W&B Medien" sind sowohl Szeneversand als auch Verlag für rechtsextremistische Publikationen sind. Neben der als "Theorieorgan der völkisch nationalen Bewegung der BRD" bezeichneten Zeitschrift "Volk in Bewegung / Der Reichsbote" mit jährlich sechs Ausgaben erschien im März die erste Ausgabe des Journals "Werk Kodex" im "Nordland-Verlag". 11 Bei dem Kriegsverbrechen der WaffenSSDivision "Hitlerjugend" am 1./2. April 1944 im französischen Ascq wurden 86 Zivilisten ermordet. 21 Übergriff auf Journalisten Am 29. April kam es im Umfeld der Immobile zu einem Übergriff auf zwei Journalisten, die Fotos von dem Grundstück machten. Als sie sich mit ihrem Fahrzeug entfernten, wurden sie von mehreren Personen verfolgt und angegriffen. Die Täter verübten Körperverletzungsdelikte an den Geschädigten, zerschlugen u. a. Scheiben des Pkw und raubten die Fotoausrüstung der Geschädigten. 3.2. Aktivitäten von "Der III. Weg" in Thüringen Die Partei "Der III. Weg" ist in Thüringen durch die "Stützpunkte Ostthüringen" und "Thüringer Wald/Ost" vertreten. Beide Stützpunkte gehören dem "Gebietsverband Mitte" der Partei an. Obgleich die Partei im Berichtszeitraum Aktivitäten im Bereich Erfurt entfaltete, bestand hier keine weitere Untergliederung. Die "Stützpunkte Ostthüringen" und "Thüringer Wald/Ost" traten 2018 nur vereinzelt öffentlich in Erscheinung. Sie führten u. a. Aktionen gegen den "Christopher Street Day" am 25. August in Erfurt und am 29. September in Gera durch, richteten ein sog. Ostarafest sowie eine "Kulturfahrt" zum Kyffhäuserdenkmal aus und unterstützten den rechtsextremistischen Trauermarsch anlässlich des "Heldengedenkens" am 18. November in Friedrichroda. Bei beiden Stützpunkten setzte sich der Trend des Vorjahres fort, lediglich durch Berichte über Aktivitäten, weniger durch die Aktivitäten selbst, die Öffentlichkeit erreichen zu wollen. Das Mitgliederpotenzial der Stützpunkte erscheint gering. Innerhalb der Gesamtpartei "Der III. Weg" kommt ihren Protagonisten kaum Bedeutung zu. Auch die durchgeführten Aktivitäten sind bislang nicht geeignet, die Partei und ihre Ideologie über die eigenen Reihen hinaus bekannt zu machen oder gar zu verankern. Die Aktivitäten der Partei in Erfurt wurden durch die maßgeblichen Akteure Biczysko und Fischer geprägt, die jeweils über einen Vorlauf in unterschiedlichen rechtsextremistischen Gruppierungen verfügen. Sie und ihr Unterstützerkreis beteiligten sich an Demonstrationen der Partei am 17. Februar in Nordhausen und am 1. Mai in Chemnitz teil. Ab Juli führte "Der 22 III. Weg" mehrere Veranstaltungen in Erfurt durch, wie etwa den Parteitag des "Gebietsverbandes Mitte" am 21. Oktober. Für die Partei war nicht nur der Aktivismus von Biczysko und Fischer von Interesse, sondern auch die Zugriffsmöglichkeit auf eine Immobilie in der Mitte Deutschlands. Schon zuvor hatte "Der III. Weg" die Region um Erfurt für Veranstaltungen, wie Gesamtparteitage in Kirchheim, genutzt. Die Zusammenarbeit der Partei und der Protagonisten in Erfurt war folglich wenig überraschend, war sie doch eine sog. Win-Win-Situation für beide Seiten. Mittelfristig ist zu erwarten, dass in Erfurt das stärkste Potenzial für die Partei "Der III. Weg" in Thüringen besteht und sich hier Strukturen der Partei etablieren. Dies kann durch die Gründung eines eigenen Stützpunktes oder durch den Anschluss an einen bestehenden Thüringer Stützpunkt geschehen. "Der III. Weg" führte 2018 zwei für die Gesamtpartei bedeutende Versammlungen in Thüringen durch. "Ein Licht für Dresden" am 17. Februar in Nordhausen Am 17. Februar fand unter dem Motto "Ein Licht für Dresden" in Nordhausen eine Demonstration mit ca. 200 Teilnehmern statt. Als Redner traten der Parteivorsitzende Klaus Armstroff und ein Funktionär des Gebietsverbandes Mitte auf. Die Versammlung war die Folgeveranstaltung einer Demonstration im Februar 2017 unter gleichem Motto in Würzburg. Im Dezember 2017 führten Angehörige von "Der III. Weg" unter dem Motto "Wir tragen das Licht für Dresden weiter" eine Art Fackelmarsch von Würzburg nach Nordhausen durch, bei dem symbolisch ein "Feuer" von einem Veranstaltungsort zum nächsten getragen wurde. Im Dezember 2018 wurde diese Aktion wiederholt und das symbolische Feuer von Nordhausen nach Fulda getragen. Die Veranstaltungen thematisieren jeweils die Luftangriffe auf die Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg, insbesondere die Angriffswellen im Februar 1945. Seit Jahren instrumentalisieren Rechtsextremisten diese Ereignisse und sprechen im Sinne einer geschichtsverfälschenden Täter-Opfer-Umkehr u. a. vom "Bombenholocaust" der Alliierten. 23 "Jugend im Sturm" am 7. Juli in Kirchheim Die Veranstaltung "Jugend im Sturm" am 7. Juli in Kirchheim beinhaltete Infound Verkaufsstände von rechtsextremistischen Vertrieben und Unternehmen sowie Auftritte rechtsextremistischer Musiker, darunter "Die Lunikoff Verschwörung". Als Redner traten insbesondere Kader von "Der III. Weg" sowie eine Gastrednerin des mit dem "Regiment Asow" verbundenen "Nationalen Korps" aus der Ukraine auf. Weiterhin fand eine Kampfsportvorführung der parteiinternen Arbeitsgruppe "Körper und Geist" statt. Die Arbeitsgruppe sieht Kampfsport vor allem als Vorbereitung auf den politischen Kampf und versucht hiermit, die Attraktivität der Partei für Neonazis und Angehörige des subkulturellen rechtsextremistischen Spektrums zu erhöhen. In Kirchheim betrieb sie einen Informationsstand und führte einen Wettbewerb im Armdrücken sowie fünf Boxund Kickboxkämpfe durch. Das Konzept, sich mit "Jugend im Sturm" von konkurrierenden rechtsextremistischen Formaten abzugrenzen, indem "eine Gegenkultur zum vorherrschenden individualisierten, egoistischen und maroden Zeitgeist" geboten und ein Bekenntnis für "eine revolutionäre und kämpferische Gemeinschaft" gefördert werde, griff nicht. Mit etwa 200 Teilnehmern blieb die Veranstaltung "unter den Erwartungen" der Organisatoren. Zur Begründung hieß es die Ausrichtung "auf Politik und Gemeinschaft habe nicht dem auf Konsum fokussierten Zeitgeist entsprochen. Tatsächlich verfügt die Kleinstpartei außerhalb ihrer Parteistrukturen kaum über Sympathisanten, was sich in entsprechend begrenzten Teilnehmerzahlen niederschlägt. "Jugend im Sturm" wurde nahezu ausschließlich durch die Partei geprägt, ohne andere rechtsextremistische Strömungen und Anbieter zu integrieren. Es war kaum überraschend, dass "Jugend im Sturm" innerhalb der Szene nicht als attraktives Zusatzoder gar Konkurrenzangebot zu professionelleren Veranstaltungen, wie z. B. in Themar ("Tage der nationalen Bewegung") oder Ostritz ("Schild & Schwert"), wahrgenommen wurde. 24 3.2.1 Ideologie von "Der III. Weg" Die Partei "Der III. Weg" vertritt einen stark an den Nationalsozialismus angelegten Rechtsextremismus. In ihrem "Zehn-Punkte-Programm" werden Elemente des "25-PunkteProgramms" der NSDAP aufgegriffen. Zentrales Element ist ein an ethnischen Grundsätzen ausgerichteter Volksbegriff. "Der III. Weg" spricht in diesem Zusammenhang von der "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" und dem "Volk als naturgesetzliche Gemeinschaft". Auch der NSDAP-Begriff "Volksgenosse" wird von der Partei verwandt. So war in einer Veröffentlichung des "Stützpunktes Thüringer Wald/Ost" zu einer Gedenkaktion in Unterweißbach die Formulierung "Unvergessen das Leid unserer Volksgenossen" enthalten. In einer Veröffentlichung des Stützpunktes Ostthüringen vom Februar werden Nichtdeutsche als "Artfremde" bezeichnet. Ein solches politisches Konzept missachtet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar". Mit der Menschenwürde unvereinbar ist auch die durch die Partei vertretene Abwehrpolitik gegen Minderheiten. Beispielhaft wird dies am "Aktionstag gegen Homo-Propaganda" deutlich. Homosexualität und abweichende Geschlechterverständnisse gelten in der Partei als krankhaft, ungesund und gegen angebliche Naturgesetze. Sie haben in der Bevölkerungspolitik von "Der III. Weg" keinen Platz, die in der "Förderung kinderreicher Familien zur Abwendung des drohenden Volkstodes" besteht. Die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus als bedeutendes Indiz für die Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele ist bei "Der III. Weg" deutlicher wahrnehmbar, als bei anderen rechtsextremistischen Parteien. Die Partei verwendet Symbole aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dazu gehören das Zahnrad als Symbol der Deutschen Arbeitsfront sowie ein Hammer und ein Schwert, die sich kreuzen. Hammer und Schwert waren seit 1929 Feldgauzeichen der Hitlerjugend als Symbol für die Vereinigung von Soldaten und Arbeitern. "Der III. Weg" versteht sich als elitäre Kaderpartei. Mit Arbeitsgruppen wie "Körper & Geist" stellt die Partei Freizeitaktivitäten ihrer Mitglieder in den Kontext einer ganzheitlichen Weltanschauung. So wird ihre sportliche Betätigung gezielt zur Vorbereitung für den politischen Kampf beworben. Durch die Einbindung privater Aktivitäten in den organisatorischen Rahmen der Partei versucht "Der III. Weg" zudem, seine Mitglieder stärker an sich zu binden. Die Betonung des Kampfsportes als Aktivitätsfeld folgt jüngsten Trends in der rechtsextremistischen Szene. Durch Präsenz bei von anderen rechtsextremistischen 25 Akteuren durchgeführten Kampfsportveranstaltungen könnte "Der III. Weg" seine Anziehungskraft auf das Neonaziund subkulturelle rechtsextremistische Spektrum ausbauen. Allerdings steht dem auch sein Elitegebahren und die teils unverhohlene Ablehnung von Teilen des subkulturellen Spektrums entgegen. 4. Immobilien in der Hand von Rechtsextremisten Rechtsextremistisch genutzte Immobilien sind solche, die politisch zielund zweckgerichtet sowie wiederkehrend als Treffund Veranstaltungsstätte für Mitglieder und Angehörige der verschiedenen Teilspektren dienen. Rechtsextremisten verfügen in diesen Fällen über eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit, etwa in Form von Eigentum, Miete, Pacht oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen. Davon abzugrenzen sind Objekte, die Rechtsextremisten nahezu ausschließlich zu Wohnzwecken dienen. Rechtsextremisten nutzen Immobilien, um regionale Strukturen und Anlaufstellen zu schaffen. Sie sind in Ballungsräumen ebenso wie im ländlichen Raum ständig auf der Suche nach Räumlichkeiten für Feiern, Konzerte, Schulungen, Parteiveranstaltungen oder interne Treffen. Für kleinere Treffen nutzen Rechtsextremisten häufig ihre privaten Wohnobjekte. Sie finden in der breiten Öffentlichkeit keine Akzeptanz und mögliche Vermieter lehnen eine Vermietung an rechtsextremistische Gruppierungen zumeist ab. Eine nachhaltige "Wertschöpfung" für die rechtsextremistische Szene ist erst dann möglich, wenn eine rechtlich und räumlich abgesicherte Immobilie vorhanden ist. In Thüringen verfügt die rechtsextremistische Szene über zahlreiche etablierte Immobilien. Zum Teil befinden sie sich im Besitz oder Eigentum rechtsextremistischer Gruppierungen oder Einzelpersonen. Nicht zuletzt dieser Umstand gepaart mit der Tatsache, dass entsprechende Szeneveranstaltungen zuverlässig durchgeführt werden können, da eine Kündigung eines Mietoder Pachtvertrages nicht zu befürchten ist, führt zu einer Vielzahl von Veranstaltungen und Aktivitäten in Thüringen. Anhand der im Folgenden exemplarisch dargestellten Immobilien, welche sich in der Hand von Rechtsextremisten befinden, soll die Bedeutung von derartigen Immobilien für die rechtsextremistische Szene verdeutlicht werden. Darüber hinaus gibt es noch eine Vielzahl weiterer Immobilien, die nicht im Eigentum von Rechtsextremisten sind oder von ihnen betrieben werden, aber wiederkehrend genutzt werden können. 26 4.1 "Flieder Volkshaus" in Eisenach Bei dem "Flieder Volkshaus" in Eisenach handelt es sich um ein im Jahr 2014 von der NPD Thüringen etabliertes Objekt. Namensgebend ist die Fassadenfarbe des Gebäudes. Das Objekt wird seit 2015 durch den Verein "Flieder Volkshaus e. V." betrieben. Maßgeblicher Verantwortlicher ist der langjährige Rechtsextremist und NPD-Stadtrat Patrick Wieschke. Im "Flieder Volkshaus" befindet sich die Landesgeschäftsstelle der Thüringer NPD, auch die NPD-Fraktion im Stadtrat Eisenach nutzt das Objekt. Das "Flieder Volkshaus" ist ein typisches Beispiel für die Schaffung eines rechtsextremistischen Hotspots, in dem Parteiaktivitäten, subkulturelle Veranstaltungen, Kampfsport und Wirtschaftsinteressen verschmelzen und sich verschiedene Strömungen des Rechtsextremismus vernetzen. Wie in den Vorjahren tagte der NPD Landesvorstand mehrfach in der Immobilie. Der Thüringer Landesverband führte den Landesparteitag am 27. November dort durch. Die Immobilie hatte über Parteiaktivitäten hinaus eine Schlüsselstellung für die NPD. Es wurden diverse Musikund Vortragsveranstaltungen durchgeführt, die sich vor allem, aber nicht ausschließlich, an subkulturell orientierte Rechtsextremisten richteten. Auftritte von populären Szenemusikern (z. B. "Lunikoff") oder Rednern (z. B. Ursula Haverbeck-Wetzel) sorgten für Prestige innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Daneben sollten Veranstaltungen wie Tage der offenen Tür, Discoabende, Familienund Straßenfeste als Scharnier zum bürgerlichen Spektrum dienen. Obgleich die Aktivitäten im "Flieder Volkshaus" von NPD-Mitgliedern oder Funktionären ausgehen, sind sie nicht ausschließlich der NPD als Partei zuzurechnen. Vielmehr erscheinen sie als Veranstaltungen des Vereins "Flieder Volkshaus e. V.", Privat27 veranstaltungen oder Veranstaltungen des von dem NPD-Landesvorsitzenden Patrick Weber betriebenen "Germaniaversandes". Auch Kampfsporttrainings fanden 2018 im "Flieder Volkshaus" statt. Am 1. Dezember führten zudem die Kampfsportgruppierung "WARDON" und Personen aus dem Umfeld der Veranstaltungsreihe "Kampf der Nibelungen" eine gemeinsame "Jahresabschlussfeier" mit anschließendem Liederabend durch. Die Adresse des "Flieder Volkshauses" wurde außerdem durch das von Wieschke betriebene Antiquariat "Zeitgenoss" und den Versand "Hemdster" von Tobias Kammler genutzt. Bei "Zeitgenoss" wurden insbesondere Bücher mit Bezug zum Nationalsozialismus, überwiegend aus der Zeit zwischen 1933 und 1945, vertrieben. Eine besondere Rubrik bestand in historischen Ausgaben von "Mein Kampf". Im Jahr 2018 fanden u. a. folgende rechtsextremistische Veranstaltungen im "Flieder Volkshaus" statt (Auflistung nicht abschließend): 21. Januar Liederabend mit "Lunikoff", ca. 100 Teilnehmer 10. Februar Liederabend mit "Oidoxie" unplugged, 50-60 Teilnehmer 3. März Vortragsund Liederabend mit dem Liedermacher "Torstein" und Ursula Haverbeck-Wetzel, ca. 80 Teilnehmer 9./10. März Tag der offenen Tür 17. März Regionalkonferenz der NPD Thüringen 2. Juni Familienfest 13. Juli Treffen der Generationen 18. August Treffen der Generationen mit dem Liedermacher Frank Rennicke, ca. 70 Teilnehmer 1. September Vier Jahre "Flieder Volkshaus" 15. September Liederabend mit "Aria S.", "Fylgien", "Barny", "Bienenmann", ca. 100 Teilnehmer 29. September Liederabend mit "Blutlinie" Akustik-Duo, "Hermunduren" Akustik, ca. 60 Teilnehmer 20. Oktober Flohmarkt 11. November Liederabend mit "Lunikoff", ca. 100 Teilnehmer 24. November Landesparteitag der NPD 1. Dezember Jahresabschluss mit Kampfsportbezug 28 8. Dezember Jahresabschluss des Wartburgkreisboten mit "Sturmwehr", ca. 80 Teilnehmer Das sog. Flieder Volkshaus ist eine der bedeutendsten rechtsextremistischen Szeneimmobilien in Thüringen. Sie stellt nicht nur einen zentralen Anlaufpunkt der NPD in Thüringen dar und bildet insoweit auch die Basis der Parteiarbeit in Thüringen, sie dient auch als "Vernetzungspunkt" der NPD in andere Teilbereiche des Rechtsextremismus. Daneben versucht sich die Partei mittels Flohmärkten, Familienfesten und sog. Treffen der Generationen ein "Kümmererimage" zu verleihen und nutzt hierfür maßgeblich die Immobilie. Hervorzuheben sind die Bezüge zur rechtsextremistischen Musikszene, welche durch die zahlreichen Liederabende und Auftritte von zum Teil bundesweit herausgehobenen Bands wie "Oidoxie" und Liedermachern wie "Lunikoff" belegt wird. Mit Vortragsabenden wie am 3. März unter Beteiligung der mehrfach wegen Volksverhetzung vorbestraften antisemitischen Rednerin Ursula Haverbeck-Wetzel ist man bemüht, Anschluss an revisionistische Kreise zu gewinnen. Entsprechende Veranstaltungen und Aktionen sowie die Vernetzung der NPD in andere Teilbereiche der rechtsextremistischen Szene sind in Thüringen nur mittels einer "sicheren" Parteiimmobilie möglich, was deren Bedeutung für die NPD unterstreicht. Nicht zuletzt kann die Partei mit diversen zunächst unpolitisch anmutenden Veranstaltungen eine Art "Türöffnerfunktion" gegenüber dem bürgerlichen Spektrum umsetzen. 4.2 Immobilie in der Stielerstraße in Erfurt Im Jahr 2015 gründete sich in Erfurt der Verein "Volksgemeinschaft Erfurt e. V.". Dieser mietete sich Räumlichkeiten in einer ehemaligen Kaufhalle in der Stielerstraße in Erfurt und nutzte diese als Clubhaus. In den Folgejahren diente das Objekt zur Durchführung verschiedener Veranstaltungen des rechtsextremistischen Spektrums. Hierfür wurden umfangreiche Umbauarbeiten vorgenommen und die Räumlichkeiten u. a. mit einer Bar und einer Bühne sowie einem Sportraum ausgestattet. Neben Liederabenden fanden in dem Objekt Parteiveranstaltungen von "DIE RECHTE" und Kampfsporttrainings statt. Seit 2016 besteht eine Nutzungsuntersagung für öffentliche Veranstaltungen. Nachdem der Personenkreis um die Rechtsextremisten Enrico Biczysko und Michel Fischer Ende 2017 aus der Partei "Die Rechte" ausgetreten war, gingen die öffentlich wahrnehmba29 ren Aktivitäten des "Volksgemeinschaft Erfurt e. V." vorübergehend zurück. Mitte 2018 trat man der Partei "Der III. Weg" bei. Anschließend fanden in den Räumlichkeiten vermehrt Veranstaltungen von "Der III. Weg" statt, am 21. Oktober ein Parteitag des überregionalen "Gebietsverbandes Mitte". Zudem wurde die Fassade des Clubhauses umgestaltet und als Lokalität der Partei kenntlich gemacht. Im Jahr 2018 fanden unter anderem folgende Veranstaltungen in der Immobilie statt: 24. Februar Liederabend mit "Sturmwehr" 2. Juni Familienfest/Veranstaltung mit Live-Musik von "Sleipnir" Akustik 4. August Treffen 22. August Versammlung 25. August Versammlung Die Immobilie in Erfurt ist ein zentraler Anlaufpunkt für die Partei in Thüringen und Mitteldeutschland. Nahezu alle Thüringer Parteiveranstaltungen fanden in diesem Objekt statt. Darüber hinaus dient das Objekt der Festigung der internen Parteistrukturen, was mehrere Parteiveranstaltungen und insbesondere der Parteitag des "Gebietsverbandes Mitte" verdeutlichen. Ebenso dient die Immobilie in erheblichem Umfang der Außendarstellung der Partei. Dies unterstreicht bereits die Fassadengestaltung des Gebäudes. Die Partei ist bestrebt, mithilfe des Objekts Beziehungen zu anderen Teilspektren (z. B. rechtsextremistische Musikszene) aufzubauen, indem sie einen festen Veranstaltungsort für Aktivitäten anbietet. Angesichts der geschilderten Aktivitäten sowie der Möglichkeiten, welche die Immobilie der Partei bietet, ist davon auszugehen, dass sich "Der III. Weg" in Erfurt etablieren und seine Aktivitäten durchaus steigern wird. 4.3 Gasthaus "Goldener Löwe" Seit dem Jahr 2015 betreibt der Südthüringer Rechtsextremist Tommy Frenck das Gasthaus "Goldener Löwe" in Kloster Veßra. Dieses hat sich in den letzten Jahren als bedeutende rechtsextremistische Szeneimmobilie in Südthüringen und als Anlaufpunkt von Rechtsextremisten aller Couleur etabliert. Frenck verfolgt mit der Durchführung verschiedenster 30 Veranstaltungen wie Konzerte, Liederund Balladenabende, Vortragsund Spendenveranstaltungen, politischer Kundgebungen usw. eine intensive Vernetzungsstrategie der rechtsextremistischen Szene innerhalb und außerhalb Thüringens. Das Gasthaus ist auch Sitz des von Frenck geführten Szenelabels "Druck18". Das Gasthaus "Goldener Löwe" ist regelmäßig Treffpunkt der von Frenck geleiteten Wählervereinigung "Bündnis-Zukunft-Hildburghausen" (BZH). Zur Landratswahl im Kreis Hildburghausen am 15. April trat er als Kandidat an und erhielt 16,6 Prozent der Stimmen. Im Jahr 2018 waren neben führenden Parteiund Szenevertretern auch einschlägige Liedermacher und Bands aus dem Inuns Ausland im "Goldenen Löwe" zu Gast. Nachstehend eine Auswahl der Veranstaltungen: Datum Veranstaltung/ TeilnehmerRedner/Liedermacher/Bands 12 Teilnehmer zahl 18. Januar Liederabend des BZH Axel Schlimper keine Angaben 10. März Buchvorstellung "Einer für Udo Voigt/Frank Rennicke ca. 35 Deutschland"/Auftritt Liedermacher 04. April Kundgebung des BZH mit "Lunikoff" (Solist) keine AnLive-Musik gaben 7. April Vortragsveranstaltung "Der u. a. Dr. Olaf Rose (NPD) ca. 60 Wahrheit verpflichtet" 15. April Versammlung des BZH mit Axel Schlimper keine AnLiedermacher gaben 20. April "Wir feiern Geburtstag - Alle - Schnitzel 8,88 Euro - Nur gültig am 20. April 2018" 28. April Vortragveranstaltung mit Mu"Sleipnir" ca. 200 sik "Sköll Dagaz" 7. Juni Ausklangveranstaltung für die Axel Schlimper ca. 40 Helfer bei "Tage der nationalen Bewegung" 12 Thüringer Bands/Liedermacher wurden durch Fettdruck hervorgehoben. 31 Datum Veranstaltung/ TeilnehmerRedner/Liedermacher/Bands 12 Teilnehmer zahl 13. Juli Konzertveranstaltung "Gigi und den braunen Stadtbis zu 300 musikanten" "TreueOrden" 25. August Ersatzveranstaltung für die Liedermacher "Axel" bis zu 450 behördlich untersagte Kund"Kategorie C" gebung "Rock gegen Über"Nahkampf" (Solo) fremdung III" in Mattstedt "F.I.E.L. " "Der Bienenmann" "Lunikoff" "Sleipnir" (Solo) 27. OktoKundgebung "Europäischer "Sleipnir" ca. 250 ber Traum - Gemeinsam für ein "Barny" Europa der Vaterländer" "Acciaio Vincente" 22. DeKinderweihnachtsfeier Axel Schlimper keine Anzember gaben Einzelne Veranstaltungen im Gasthaus "Goldener Löwe" waren für die rechtsextremistische Szene von herausgehobener Bedeutung. Hierzu zählen die folgenden: Der ehemalige NPD-Europaabgeordnete Udo Voigt stellte am 10. März sein Buch "Einer für Deutschland" vor. Für die musikalische Umrahmung sorgte der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke. 32 Am 7. April hielt Dr. Olaf Rose (NPD) einen Vortrag unter dem Motto "Der Wahrheit verpflichtet" im Gasthaus "Goldener Löwe". Als besonderer Gast war der letzte Krankenpfleger von Rudolf Heß anwesend. Die Umstände des Todes von Rudolf Heß (Stellvertreter Adolf Hitlers und verurteilter Kriegsverbrecher) werden in der rechtsextremistischen Szene regelmäßig thematisiert, vorrangig an dessen Todestag, und sind Gegenstand verschiedener Verschwörungstheorien. Am 28. April traten im "Goldenen Löwen" die rechtsextremistischen Bands "Sleipnir" und "Sköll Dagaz" auf. "Sleipnir" ist seit den 1990er Jahren aktiv und gehört bundesweit zu den angesehensten Bands in der rechtsextremistischen Szene. "Sköll Dagaz" ist eine Thüringer Band, die nach langer Pause seit dem Jahr 2017 wieder in Erscheinung tritt. Beide Bandnamen nehmen Bezug auf die nordische Mythologie. Am 13. Juli fand im "Goldenen Löwen" in Kloster Veßra eine Veranstaltung mit Auftritten der Bands "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" und "TreueOrden" statt. "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" ist ein Projekt der rechtsextremistischen Band "Stahlgewitter". Die Band "TreueOrden" gehört zum Umfeld der "Bruderschaft Thüringen" und ist ebenfalls eine bedeutsame Band der rechtsextremistischen Szene. Die Auftritte verdeutlichen, dass Frenck auch in der rechtsextremistischen Musikszene gut vernetzt ist. Durch Tommy Frenck wurde am 25. August aufgrund der verhinderten Veranstaltung "Rock gegen Überfremdung III" in Mattstedt eine Eilversammlung in der Gaststätte "Goldener Löwe" angemeldet. Über Facebook teilte Frenck mit, dass er seinen Gasthof für "alle Gestrandeten" öffnen werde. Im Rahmen der Versammlung traten szenetypische Bands und Redner auf: Liedermacher "Axel", "Nahkampf" Solo, "F.I.E.L.", "Der Bienenmann", "Lunikoff", "Sleipnir" Solo. Anreisen erfolgten sowohl überregional aus dem Bundesgebiet als auch aus dem Ausland (Schweiz, Tschechien und Österreich). Frenck bestätigte mit dieser Eilversammlung, dass er innerhalb kürzester Zeit logistisch in der Lage ist, Veranstaltungen für eine dreistellige Personenzahl zu organisieren. Hierin zeigt sich exemplarisch der Vorteil einer für die Szene "sicheren" Immobilie. Dass Frenck auch bei dieser Veranstaltung vorrangig eigene wirtschaftliche Interessen verfolgte, wird von einem großen Teil der Szene ignoriert oder nicht wahrgenommen. 33 Am 27. Oktober fand wiederum im Gasthaus "Goldener Löwe" eine als Kundgebung angemeldete Veranstaltung unter dem Motto "Europäischer Traum - Gemeinsam für ein Europa der Vaterländer" statt. Dort traten die rechtsextremistische Bands und Liedermacher "Sleipnir", "Barny" und "Acciaio Vincente" auf. Bei "Acciaio Vincente" handelt es sich um eine Rechtsrockband aus Italien. Der Name bedeutet übersetzt "Stahl gewinnt". Die Band stammt aus Mantua (Norditalien) und beschreibt ihre Musik als "Heavy R.A.C." ("Rock against Communism", klassische Rechtsrock-Musik). Laut Internetangaben wurde sie 2011 gegründet; der erste bekannt gewordene Auftritt in Deutschland war im Jahr 2014. Darüber hinaus waren im Berichtszeitraum der NPD-Bundesvorsitzende Frank Franz und der NPD-Funktionär Sebastian Schmidtke im "Goldenen Löwen" zu Gast. Letzterer besitzt intensive Kontakte zu Frenck und war Anmelder der Großveranstaltung "Tage der nationalen Bewegung - Musik und Redebeiträge für Deutschland" am 8./9. Juni in Themar. Frenck war in die Organisation dieser Veranstaltung eingebunden. Offensichtlich ist Frenck eine zentrale Figur innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Über seinen Gastronomiebetrieb, den Handel mit Bekleidung und Szenedevotionalien als auch über diverse Vortragsund Musikveranstaltungen mit Auftritten bedeutender rechtsextremistischer Bands erreicht er ein breit gefächertes Publikum und betreibt eine intensive Vernetzung von parteigebundenen und ungebundenen Rechtsextremisten sowie subkulturell orientierten Szeneanhängern. Sein Agieren ist jedoch stark von den eigenen wirtschaftlichen Interessen geprägt. Er hat es nachhaltig geschafft, seine wirtschaftlichen Interessen mit seinen rechtsextremistischen Aktivitäten zu verbinden. Er nutzt hierfür auch das Narrativ des "staatlich verfolgten nationalen Aktivisten". Gegenüber seinem Umfeld und letztlich seinen (zahlenden) Kunden präsentiert sich Frenck als eine Art Widerstandskämpfer gegen staatliche Repressionen. Folglich etablierte Frenck erfolgreich zwei sämtliche Geschehensabläufe abdeckende Narrative: Der erfolgreiche rechtsextremistische Politiker, Organisator, Unternehmer und Gastwirt sowie der gegen staatliche Repression kämpfende Aktivist. In jedem Fall wird sein eigentliches wirtschaftliches Interesse überdeckt. 34 4.4 Freifläche in Themar - Veranstaltungsort für die "Tage der Nationalen Bewegung" Am 8./9. Juni fanden in Themar die "Tage der nationalen Bewegung - Musikund Redebeiträge für Deutschland" statt. Diese bestanden im Wesentlichen aus rechtsextremistischen Redeund Musikbeiträgen und wurde erneut auf der bereits im Jahr 2017 für gleichgelagerte Veranstaltungen genutzten Freifläche in Themar ausgerichtet. Der Veranstaltung ging ein Rechtsstreit voraus. Sie war aus Gründen des Naturschutzes zunächst verboten worden. Dieses Verbot hielt der Überprüfung durch das Verwaltungsgericht Meiningen und das Thüringer Oberverwaltungsgericht jedoch nicht stand. Sebastian Schmidtke, ein NPD-Funktionär aus Berlin, trat als Anmelder und Versammlungsleiter auf. Über eine eigens für die Veranstaltung eingerichtete Homepage wurden Tagesund Wochenendtickets zum Preis von 15, 35 oder 45 Euro sowie spezielle T-Shirts angeboten. Anreisen erfolgten aus dem Bundesgebiet und darüber hinaus auch aus Tschechien, Italien, Russland, Kroatien, Schweiz, Frankreich und Slowakei. 35 Insgesamt waren an dem Wochenende ca. 3.250 Teilnehmer vor Ort. Es handelte sich um die publikumsstärkste Rechtsrockveranstaltung 2018 in Deutschland. Im Veranstaltungsverlauf traten rechtsextremistische Musikgruppen aus dem Inund Ausland, mitunter Bandmitglieder als Solisten sowie Liedermacher auf; im Einzelnen: "Die Lunikoff Verschwörung", "Nahkampf", "Acciaio Vincente", "Flak", "Brutal Attack", "Kategorie C", "Kraftschlag", "Blutlinie", "Painful Awakening", "Hausmannskost", "Mic Revolt", "Zeitnah", "Sleipnir", "Mortuary", "Sturmwehr", und Frank Rennicke. Mit "Brutal Attack" aus Großbritannien war eine seit mehreren Jahrzehnten aktive Band vor Ort, die dem internationalen Netzwerk "Blood & Honour" (B&H) entstammt. Ihr Sänger genießt als letztes verbliebenes Gründungsmitglied der Band und als frühere Kontaktperson des B&H-Gründers Ian Stuart Donaldson Kultstatus in der rechtsextremistischen Szene. Der Auftritt der Band wurde wegen eines Verstoßes gegen SS 130 Strafgesetzbuch abgebrochen, ein Bandmitglied wurde des Platzes verwiesen. Neben Musikund Redebeiträgen umfasste das Programm auch zwei Podiumsdiskussionen "Von der Szene zur Bewegung" und "Kampf gegen Terror". An der Erstgenannten nahmen die Bundesvorsitzenden der NPD, ihrer Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) und der Partei "DIE RECHTE" sowie ein freier Aktivist teil. Thematischer Schwerpunkt war die trotz der bestehenden Unterschiede in den Strukturen und Ausrichtungen anzustrebende Einigkeit der nationalen Bewegung. Es gelte, politische Strukturen der nationalen Opposition schlagkräftiger aufzustellen, um sich insgesamt zu einer nationalistischen Bewegung weiterentwickeln zu können. "Wir sind die letzte Generation, die Deutschland vor dem großen Austausch retten kann", hieß es. Ein Redner postulierte unter Applaus, dass es Menschen brauche, die die Grenzen, die dieser Staat setzt, überschreiten. Es müsse Leute geben, die genau über diese Grenzen hinüber gehen und diese Republik "nach rechts" rücken. Die Teilnehmer der zweiten Diskussionsrunde verlautbarten, der "Terror von rechts" wäre nicht selten staatlich inszeniert; vielmehr müssten Nationalisten unbedingt auf Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung verzichten. Auf dem Gelände waren Informationsstände verschiedener Organisationen und Gruppierungen (u. a. NPD, JN, "Ring Nationaler Frauen" - RNF, "DIE RECHTE", Gefangenenhilfe, "Wir lieben Meiningen") und Verkaufsstände für Szeneartikel ("Ansgar Aryan", "Deutsches Warenhaus", "Rebel Records" und "Germania Versand") vertreten. 36 Im Verlauf der Veranstaltung wurden 72 Straftaten und 27 Ordnungswidrigkeiten festgestellt. Es ergingen Anzeigen z. B. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (45), Volksverhetzung (2), Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (4) und gegen das Versammlungsgesetz (12). Zudem kam es zu einem Übergriff eines Versammlungsteilnehmers auf einen Journalisten. "Das schreit nach Wiederholung!", so der Kommentar von Patrick Weber im Nachgang zur Veranstaltung. Auch die Resonanz aus dem NPD-Bundesvorstand war positiv. Als einzigen Kritikpunkt führten weitere Facebook-Kommentatoren an, dass man den polizeilichen Maßnahmen gegen einen britischen Musiker nichts entgegengesetzt habe. Auch dieses Format diente neben der Ausübung politischer Betätigung zugleich der Verwirklichung kommerzieller Interessen. Angesicht des über zwei Tage reichenden breit aufgestellten Programms und der hohen Besucherresonanz dürfte der Umsatz nicht unerheblich gewesen sein. In der Gesamtschau zeigt sich, dass das bereits im Vorjahr angewandte Veranstaltungskonzept einer als politische Kundgebung angemeldeten Musikund Rednerveranstaltung aus Szenesicht erneut erfolgreich verlief. Das Konzept der Kombination von Musikund Redebeiträgen hat sich in der Szene erneut bewährt. 37 Neben der Verwirklichung kommerzieller Interessen diente dieses Format auch der Vernetzung der rechtsextremistischen Szene, was sich darin zeigt, dass eine Vielzahl bedeutender Akteure auf der Veranstaltung vertreten war. Es ist daher davon auszugehen, dass auch weiterhin an dem Konzept festgehalten und so mit den "Tagen der nationalen Bewegung" eine neue Veranstaltungsreihe in Thüringen etabliert wird. 4.5 Sonstige Szeneobjekte in Kirchheim und Sonneberg Die rechtsextremistische Musikszene wurde in den vergangenen Jahren durch Szeneobjekte in Kirchheim und Sonneberg geprägt. Obschon die organisatorischen Hintergründe unterschiedlich sind, konnten sich beide Objekte nachhaltig etablieren. "Veranstaltungszentrum Erfurter Kreuz" in Kirchheim Seit dem Jahr 2009 wird das in Besitz Dritter befindliche Objekt in Kirchheim für rechtsextremistische Versammlungen genutzt. Zu dem als "Veranstaltungszentrum Erfurter Kreuz" bezeichneten Gelände zählen der "Romantische Fachwerkhof" und eine "Erlebnisscheune". Die Räumlichkeiten des "Fachwerkhofes" werden bevorzugt für Vortragsveranstaltungen, interne Treffen und Schulungen genutzt. Die "Erlebnisscheune" ist für bis zu 200 Personen zugelassen und wird überwiegend für Rechtsrockkonzerte, aber auch für Großveranstaltungen von Parteien gemietet. Im Gegensatz zu von Rechtsextremisten betriebenen Szeneobjekten handelt es sich bei dem Objekt in Kirchheim um eine Dritten gehörende Immobilie, welche speziell für rechtsextremistische Veranstaltungen angemietet wird. Vernetzungsbestrebungen gehen aufgrund der fehlenden permanenten Zugriffsmöglichkeit nur in geringem Umfang von solchen Immobilien aus. Da es sich um ein Privatobjekt Dritter handelt und die Veranstaltungen keine Außenwirkung erzeugen, können diese in der Regel ohne behördlichen Eingriff stattfinden. Für die rechtsextremistische Szene war der Veranstaltungsort längere Zeit von großer Bedeutung. Die Zahl der Veranstaltungen war zuletzt jedoch rückläufig. Im Jahr 2018 hielt dieser Abwärtstrend mit insgesamt sechs Veranstaltungen (2017: 9, 2016: 12) an. 38 Folgende Veranstaltungen fanden unter anderem in dem Objekt in Kirchheim statt: 13 Datum Bands/ Redner Teilnehmerzahl Veranstalter 7. April "Overdressed", "True ca. 200 Hammerskins Aggression", "Kraft durch Froide", "Mistreat" 7. Juli "Uwocaust", "Die ca. 220 "Jugend im Sturm" Lunikoff-Verschwöder Partei "Der III. rung", "Varghona", Weg" "Killuminati" 11. August "TreueOrden", ca. 120 "TreueOrden" "NAPOLA", "Unbeliebte Jungs", "Exzess", "Kahlkopf/Der Metzger" 20. Oktober "Blackout", "Komca. 190 Hammerskins mando Skin", "Sleipnir", "Smart Violence", "Kodex Frei" 10. November "Uwocaust", "Flak", ca. 230 Hammerskins "Exzess", "Confident of Victory" "Waldhaus" in Sonneberg Die frühere Gaststätte "Waldhaus" in Sonneberg wird seit dem Jahr 2015 von einem langjährigen Thüringer Rechtsextremisten betrieben. In Anlehnung an die ehemalige Residenz Adolf Hitlers im Berchtesgadener Land ist szeneintern für das Objekt die Bezeichnung "Obersalzberg" gebräuchlich. 13 Thüringer Bands/Liedermacher wurden durch Fettdruck hervorgehoben. 39 Das "Waldhaus" hat sich als Treffund Veranstaltungsort der regionalen rechtsextremistischen Szene etabliert. Es werden vorrangig Geburtstagsfeiern mit Live-Musik und Konzerte durchgeführt. Zudem wird das Objekt rechtsextremistischen Bands als Proberaum zur Verfügung gestellt. Im Jahr 2018 wurden unter anderen folgende Aktivitäten festgestellt: Datum Veranstaltung Teilnehmerzahl Sonstiges 27. Januar rechtsextremistisches - polizeilich untersagt Konzert 7. April Geburtstagsfeier mit ca. 50 Auftritt der Band Livemusik "Sturmwehr" 26. Mai rechtsextremistisches - im Vorfeld verhindert Konzert 18. August Rechtsextremistische ca. 85 Auftritt der Band Musikveranstaltung "Nordwind" "Viking Party" 7./8. Dezember Geburtstagsfeier ca. 50 Auftritt von "Griffin" (Solist) und der Band "Unbeliebte Jungs" Im Vergleich zu den Vorjahren hat die Bedeutung des "Waldhauses" merklich abgenommen. Auch die bauliche Substanz des Gebäudes ist marode. Die Nutzung beschränkt sich auf Veranstaltungen im kleineren Rahmen, an denen größtenteils derselbe Personenkreis teilnimmt. Die Szeneobjekte in Kirchheim und Sonneberg haben merklich an Attraktivität verloren. Beide Veranstaltungsorte wurden durch die rechtsextremistische Szene weniger genutzt als in den Vorjahren. Es bleibt abzuwarten, ob die jeweiligen Betreiber dieser Entwicklung entgegentreten werden. 40 5. Gewaltbereiter Rechtsextremismus Zahlreiche Rechtsextremisten, nicht selten die Führungspersonen, sind wegen der Begehung von Körperverletzungsdelikten vorbestraft. In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern vermeiden es Rechtsextremisten allerdings in der Regel, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Dies sollte nicht über das in großen Teilen der Szene immanente Gewaltpotenzial hinwegtäuschen. Ihr ideologischer Hintergrund impliziert ein ausgeprägtes Freund-Feind-Schema mit stark ausgrenzenden und herabwürdigenden Elementen dem vermeintlichen Feind gegenüber. Zufälliges Aufeinandertreffen mit aus ihrer Sicht als Feinde zu betrachtenden Dritten kann mitunter zu aggressivem Verhalten bis hin zu Körperverletzungen führen. Dabei sind durch Rechtsextremisten begangene Gewalttaten in den meisten Fällen spontane Äußerungen ihrer Gewaltbereitschaft, aber es ist feststellbar, dass die mentale und körperliche Vorbereitung - insbesondere durch die Praktizierung von Kampfsport - zunimmt. Im selben Maße ist zu befürchten, dass auch die Hemmschwelle zum Einsatz der hierfür erworbenen Kampftechniken absinkt. Durch die Kombination von aggressiver Freund-Feind-Rhetorik, wie sie in weiten Teilen des rechtsextremistischen Spektrums anzutreffen ist, mit einem anschlussfähigen Bedrohungsszenario (z. B. Anti-Asyl-Kampagnen) besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten bei der Ausübung von Gewalt von der Zustimmung breiter Teile der Bevölkerung ausgehen. Bezeichnenderweise tragen zu diesem Zusammenhang gerade auch Anhänger der "Neuen Rechten" - bei, die sich ansonsten betont gewaltfrei geben, aber Ängste, Ressentiments und Hass gegenüber Fremden schüren. Neben der in weiten Teilen der rechtsextremistischen Szene zu beobachtenden Gewaltaffinität tritt regelmäßig eine hohe Affinität zu Waffen und Sprengstoff zu Tage. Im Zuge von Durchsuchungen bei Angehörigen der rechtsextremistischen Szene kommt es regelmäßig zum Auffinden von Waffen bzw. Waffenteilen und Substanzen, welche unter das Sprengstoffgesetz fallen. Der Besitz von Waffen und Sprengstoffen dient auch der späteren Verwendung zur Durchsetzung von politischen Zielen. So beschaffte sich die rechtsextremistische Gruppierung "Oldschool Society" (OSS) im Jahr 2015 einschlägige Sprengmittel und Waffen mit dem Ziel, Anschläge auf Flüchtlinge beziehungsweise deren Unterkünfte zu begehen. Durch das OLG München erfolgte am 15. März 2017 die Verurteilung von 4 Mitgliedern der OSS zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren. Das Gericht sah es hierbei als erwiesen an, dass die Angeklagten eine terroristische Vereinigung bildeten. 41 5.1 Kampfsport als rechtsextremistisches Aktionsfeld Die Bedeutung des Kampfsports für die rechtsextremistische Szene ist im Laufe der letzten Jahre deutlich gestiegen. Mittlerweile existiert ein europaweites Netzwerk unterschiedlicher Kampfsportlabels, Bekleidungsvertriebe und Veranstaltungsorganisatoren. Auch ideologisch betten die unterschiedlichen Akteure - einhergehend mit einer schon zwanghaften Selbsterhöhung - den Kampfsport in ihr rechtsextremistisches Weltbild ein, dem sie damit einen elitären Anstrich geben. Während in der Vergangenheit insbesondere einschlägige Musikveranstaltungen die rechtsextremistische Erlebniswelt dominierten, besitzt mittlerweile der Kampfsport eine nicht unerhebliche Rekrutierungsfunktion. Zudem hat der Kampfsport einen maßgeblichen Anteil an der Professionalisierung und Kommerzialisierung der rechtsextremistischen Szene. Noch in den 2000er Jahren beschränkte sich die damals kleine rechtsextremistische Kampfsportszene darauf, durch die bloße Teilnahme an unpolitischen Kampfsportereignissen ihre Zielgruppe zu erreichen. Zuletzt war ein rapider Zuwachs an rechtsextremistischen Veranstaltungen im Bereich des Kampfsports zu beobachten, die in Eigenregie organisiert werden. Dies ist auf eine gestiegene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit zurückzuführen: Unpolitische Veranstalter kommerzieller Events gerieten zunehmend unter Druck, wenn sie einen bekannten Neonazi in das Kämpferverzeichnis aufnahmen. So gaben sich die rechtsextremistischen Akteure schließlich nicht mehr damit zufrieden, an Wettkämpfen anderer Organisatoren teilzunehmen. Stattdessen gingen sie dazu über, diese selbst zu veranstalten. Zu beobachten ist eine rapide zunehmende Professionalisierung sowie ein hoher Vernetzungsgrad zwischen den Veranstaltern verschiedener Events, welche regelmäßig internationale rechtsextremistische Protagonisten anziehen. Der Kampfsport dient als Bindeglied, dessen ideologische Komponente in den Kernbereich der gesamten rechtsextremistischen Szene einwirkt und gleichzeitig durch seinen EventCharakter die Attraktivität und das Rekrutierungspotenzial massiv stärkt. Die "Massenkompatibilität" der rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen ist auch auf die strikte Einhaltung behördlicher Auflagen und die Eindämmung von Alkoholexzessen bei den Besuchern zurückzuführen. Negative Auswüchse, die in der Vergangenheit oftmals charakteristisch für Veranstaltungen der Szene waren und eine abschreckende Wirkung hatten, sucht man bei diesen Events vergeblich. 42 Neben den Kampfsportarten Boxen und Kickboxen wird klassisches Mixed Martial Arts (MMA) mit Vollkontakt betrieben, was dem kriegerischen Selbstbild und den allgemeinen Anforderungen an die "Wehrkraft des Volkskörpers" gerecht wird. Diese Kampfsportvariante vereint Standund Bodenkampf sowie verschiedene Schlag-, Trittund Hebeltechniken zu einem schnellen und brutalen Konzept, welches den Anforderungen des waffenlosen Straßenkampfes am ehesten entspricht. Trainiert wird in Sportschulen, die nicht zwingend dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen sind. Allerdings ist angesichts der oft vorhandenen markanten und einschlägigen Tätowierungen anzunehmen, dass die Gesinnung der Rechtsextremisten dort zumindest bekannt ist und geduldet wird. Die dahinterstehende Ideologie ist eine Abgrenzung zu einer - in den Augen der Protagonisten - verweichlichten Gesellschaft. Das harte Training, das hohe Verletzungsrisiko beim MMA und die Stählung des eigenen Körpers sind weitaus mehr als die Vorbereitung auf einen Wettkampf oder die Pflege der persönlichen Fitness. Propagiert wird vielmehr eine vermeintlich mystische Pflicht, die "Volksgesundheit" und "Wehrhaftigkeit" hochzuhalten und einen "neuen Menschenschlag" zu schaffen, der stark an das im Nationalsozialismus propagierte Ideal des Herrenmenschen angelehnt ist. Eine wesentliche ideologische Komponente ist in dieser Hinsicht der "Straight Edge"Gedanke. Er entstammt ursprünglich der Punk-Szene der 1980er-Jahre und sollte eine Gegenbewegung zu den ausufernden Alkoholund Drogenexzessen der Jugendkultur darstellen, wobei es im Kern um den Verzicht auf Rauschmittel, um gesunde Ernährung bis hin zu Veganismus und sexueller Enthaltsamkeit geht. Symbol der Bewegung ist ein "X". Die rechtsextremistische Szene knüpft hieran an. Unter ihr erlebt diese Strömung eine gewaltbetonte und rassistische Renaissance als "NS Straight Edge". Die Reinheit des Körpers, erlangt durch Abstinenz und hartes Training, ist dieser Philosophie zufolge eine Grundvoraussetzung für die Umwandlung einzelner Individuen hin zu einem wehrhaften und grundgesunden "Volkskörper". Nur durch sie könne die "nächste Ebene" erreicht werden. Auf Alkoholexzesse und den subkulturellen Lebensstil in den eigenen Reihen wird verächtlich herabgeschaut. Die Mitglieder der Kampfsportszene haben in der Regel ein elitäres Selbstbild, welches von Tugenden wie Fleiß, Disziplin und Härte bestimmt wird. Ein ewig wiederkehrendes Mantra der Szene, das sich aus ihrem Weltbild ergibt, ist der "Kampf gegen die Moderne", welche als Sinnbild von Dekadenz und Verweichlichung strikt abgelehnt wird. Der vermeintliche Verfall der Gesellschaft wird mit einer empfundenen Erosion der "Volksgesundheit" gleichgesetzt. 43 Kampfsportvereinigung "WARDON" Bei "WARDON" oder auch "WARDON 21" handelt es sich um eine rechtsextremistische Kampfsportvereinigung, die 2017 von zwei langjährigen Rechtsextremisten aus dem Raum Südthüringen gegründet wurde. Die Vereinigung ist dabei in vielfältiger Weise in die Organisation von Kampfsportveranstaltungen eingebunden und stellt auch einen eigenen Kampfsportkader. Die ideologische Ausrichtung dieser Gruppe ist offenkundig. Auf ihrem Facebook-Profil ist folgendes Statement zu finden: "Unser Körper ist unsere Festung, die einen gesunden Geist birgt. Wir verstärken den Schildwall unseres Glaubens durch das vorangetragene Kreuzen unserer Arme und als Bekenntnis zur Freiheit durch eine volksgesundheitliche Lebensweise in Verhalten und Konsum." Hier wird deutlich, dass diese Gruppierung den Kampfsport nicht nur als solchen wahrnimmt, sondern ihm eine völkisch-mystische Verteidigungsfunktion beimisst, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckt und sich - sowohl argumentativ als auch durch die zu einem "X" gekreuzten Arme im Logo symbolisch - bei der "Straight Edge"-Bewegung bedient. Weiter heißt es im Eingangsstatement in den sozialen Netzwerken: "WARDON schenkt den niederen Auswüchsen dieser morschen Zeit keinerlei Beachtung. Unbeirrbarkeit ist selbstbewusste Konsequenz. Wer uns jedoch herausfordert und als Feind gegenübertritt, dem weisen wir den Weg mit unserer kampferprobten Faust. In Wort UND Tat!" 14 Auch hier wird eine klare Freund-Feind-Unterscheidung deutlich, die sich nicht nur auf den sportlichen Wettstreit, sondern ebenfalls auf den politischen Kampf bezieht. Zudem orientiert sich auch diese Gruppe an einem von der "Straight Edge"-Bewegung geprägten Lebensstil mit Enthaltsamkeit, Sport und allgemein an einer "volksgesundheitlichen Lebensweise". Es ist bekannt, dass die Gruppierung bei Kampfsportveranstaltungen im Rahmen des "Kampf der Nibelungen" das Catering übernahm und dort ausschließlich veganes Essen, Smoothies und Proteinkuchen anbot. Nach eigener Aussage wurden hierbei ausschließlich biologisch abbaubares beziehungsweise wiederverwendbares Besteck und Geschirr verwendet. 15 14 www.facebook.com, Eintrag vom 7. Oktober 2018. 15 Ebenda. 44 Im Mai führte die Gruppierung zum ersten Mal mit dem "Heureka"-Kongress eine eigene Veranstaltung durch. Hierbei handelte es sich nicht um ein Kampfsport-Event, sondern um ein Austauschforum mit Redebeiträgen von Führungskadern der rechtsextremistischen Kampfsportszene. Im Rahmen des von der Partei "Der III. Weg" organisierten "Tags der Gemeinschaft" unter dem Motto "Jugend im Sturm" am 7. Juli in Kirchheim beteiligte sich "WARDON" mit einem Redebeitrag. Außerdem unterhalten die Führungspersonen von "WARDON" enge Kontakte zu der russischen "NS Straight Edge"-Szene um die Gruppe PPDM 16. Diese Verbindung steht exemplarisch für die internationale Vernetzung der rechtsextremistischen Kampfsportszene. Unter anderem traten die Protagonisten von "WARDON" in einem Ende 2018 auf dem YouTubeKanal von PPDM veröffentlichten Motivationsvideo auf. Die professionelle Ausrichtung der Kampfsport-Events, die Selbstinszenierung in den sozialen Medien sowie deren ideologische Unterfütterung haben wesentlich dazu beigetragen, dass sich der Kampfsport neben der rechtsextremistischen Musikkultur zu einem wesentlichen Element des erlebnisorientierten rechtsextremistischen Lebensstils herausgebildet hat. Dabei erfährt insbesondere die Kriegerideologie der Nationalsozialisten durch die Verknüpfung von Gewaltästhetik und dem durch den "Straight Edge" befeuerten Körperkult eine Renaissance. Diese "reine Lebensweise", gemischt mit dem Verzicht auf Alkohol und Drogen, macht diese Events auch für Personen der unpolitischen Kraftund Kampfsportszene interessant, die bisher keine rechtsextremistischen Bezüge aufweisen. Gerade das Angebot von Attraktionen für Kinder sowie das offene Bewerben der Veranstaltungen zeigt das gestiegene Selbstbewusstsein der Szene. Dies äußert sich ebenfalls durch die geschickte Eigendarstellung und Dokumentation der Szene im Internet. Die Websites und Auftritte der Gruppierungen in den sozialen Medien vermitteln teilweise den Eindruck, dass es sich hierbei eher um moderne, international ausgerichtete Unternehmen als um gewaltbereite, rassistische und neonazistische Vereinigungen mit demokratiefeindlichen Zielsetzungen handelt. 16 "Po Programme Dedushki Moroza" (PPDM, deutsch "Nach dem Programm von Väterchen Frost"); Trainingsprogramm russischer Rechtsextremisten mit eigenem Modelabel. 45 Das Aktionsfeld "Kampfsport" hat im Jahr 2018 zunehmend an Bedeutung in der rechtsextremistischen Szene gewonnen, was sich generell an der Anzahl der Kampfsportveranstaltungen und den vermehrten Aktivitäten von "WARDON" im Speziellen widerspiegelt. Die enge Kooperation von "WARDON" mit dem bekanntesten Veranstalter rechtsextremistischer Kampfsportevents, dem "Kampf der Nibelungen", die bestehenden Kontakte zu PPDM nach Moskau sowie die Kooperation mit führenden rechtsextremistischen Bekleidungsmarken, zeigen, dass die Vereinigung mit den wichtigsten Akteuren der rechtsextremistischen Kampfsportszene vernetzt ist und sich aktiv an prominenten Kampfsportveranstaltungen national und international beteiligt. Das zukünftige Potenzial von "WARDON" liegt vor allem in dem Angebot an die Generation junger Neonazis, sich als Teil einer Gemeinschaft aus "Kriegern gegen die moderne Welt" verstehen zu können. Die größte Gefahr durch die rechtsextremistische Kampfsportszene im Allgemeinen sowie durch die Kampfsportvereinigung "WARDON" im Speziellen geht jedoch nicht von trainierten Straßenkämpfern aus, sondern von den so entstandenen transnationalen Netzwerken, die an weite Kreise der Szene die Akzeptanz von zielgerichteter physischer Gewalt gegen rechtsextremistische Feindbilder vermitteln. 5.2 "Bruderschaft Thüringen" Die "Bruderschaft Thüringen" besteht aus den Untergruppen "Turonen" und "Garde 20", wobei das hierarchische Verhältnis beider Gruppen bereits aus den Bezeichnungen hervorgeht. Der Gruppenname "Garde 20" bezieht sich auf das "T" als 20. Buchstaben des Alphabets, und kennzeichnet deren Mitglieder als sog. Supporter (Unterstützer) der "Turonen". Insgesamt werden der "Bruderschaft Thüringen" etwa 20 bis 30 Personen zugerechnet. Es handelt sich zu einem großen Teil um langjährige Szeneaktivisten aus verschiedenen Teilen Thüringens, insbesondere aus den Regionen Gotha und Saalfeld. Einige Mitglieder der "Bruderschaft Thüringen" sind auch in rechtsextremistischen Bandprojekten engagiert. Als Anlaufstelle dient das sog. Gelbe Haus in Ballstädt. 46 Das öffentliche Auftreten ist durch das Tragen einer Lederkutte geprägt, wodurch ein gewisser der Rocker-Szene ähnlicher Habitus erzeugt werden soll, ohne jedoch dort angebunden zu sein. Die Kutten sind mit Abzeichen (Patches) versehen, die verschiedene Symbole aufweisen. Unter anderem sind ein Pfeilkreuz sowie eine Raute mit der Zahl 20 abgebildet. Die 20 repräsentiert wiederum das Wort "Turonen". Bei dem Pfeilkreuz handelt es sich um das Symbol der ungarischen Faschisten (1935-1945). Das öffentliche Verwenden des Pfeilkreuzes ist nicht strafbar nach SS 86a StGB. Ausgeprägte Gewaltbereitschaft Mitglieder der "Bruderschaft Thüringen" fielen bereits durch Gewalttätigkeiten auf. In Zusammenhang mit einem 2014 verübten Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt wurden im Mai 2017 11 Personen wegen gefährlicher Körperverletzung von der Jugendstrafkammer des Landgerichts Erfurt zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Revisionsverfahren vor dem Bundesgerichtshof dauerten im Berichtszeitraum an. Aktivitätsschwerpunkte Die "Bruderschaft Thüringen" ist sowohl bundesweit als auch im europäischen Raum in der rechtsextremistischen Szene vernetzt. Besonders deutlich zeigt sich dies im Rahmen der Organisation und Durchführung von rechtsextremistischen Großveranstaltungen. Seit dem Jahr 2016 liegt hierin ein Schwerpunkt der Aktivitäten. Im August 2016 startete die Veranstaltungsreihe "Rock gegen Überfremdung" im thüringischen Kirchheim. Im Oktober desselben Jahres wurde das "Rocktoberfest" (ca. 5.000 Teilnehmer) gemeinsam mit Rechtsextremisten aus der Schweiz als bis dato größtes rechtsextremistisches Konzert im deutschsprachigen Raum in Unterwasser (Schweiz) ausgerichtet. Im Juli 2017 fand die Veranstaltungsreihe "Rock gegen Überfremdung" in Themar mit der Unterstützung von Tommy Frenck ihre Fortsetzung und eine Vergleich zum "Rocktoberfest" nochmals gestiegene Resonanz (ca. 6.000 Teilnehmer). 47 Die für den 25. August in Mattstedt geplante Kundgebung "Rock gegen Überfremdung III" wurde behördlich verhindert. Steffen Richter, einer der führenden Akteure der "Bruderschaft Thüringen", meldete daraufhin für den 5./6. Oktober die Ersatzveranstaltungen "Rocktoberfest gegen Überfremdung" und "Rock gegen Überfremdung III" an. Als Veranstaltungsort war ursprünglich eine landwirtschaftliche Fläche nahe Magdala vorgesehen. Beide Veranstaltungen sollten Auftritte verschiedener Bands und Redner umfassen. Für die Veranstaltungsreihe wurde eigens eine Homepage eingerichtet, die auch dem Kartenverkauf diente. Aufgrund einer kurzfristigen behördlichen Nutzungsuntersagung für den Zuweg zum Veranstaltungsgelände fand das "Rocktoberfest gegen Überfremdung" auf einem Areal des Marktplatzes in Apolda statt. Nachdem die vom Veranstalter für den Folgetag angemeldete Eilversammlung im Szeneobjekt "Erfurter Kreuz" in Kirchheim durch die dortige Versammlungsbehörde untersagt worden war, wich man abermals auf den Apoldaer Marktplatz aus. Bereits gegen 18 Uhr kam es durch wartende Teilnehmer an einer Polizeieinlasskontrolle zu Durchbruchsversuchen, die unterbunden wurden. Aufgrund massiver Übergriffe auf Polizeibeamte während des weiteren Verlaufs löste der Versammlungsleiter gegen 20 Uhr, nach nur einem Bandauftritt, die Veranstaltung schließlich auf. An beiden Veranstaltungstagen gab es keine der geplanten Informationsund Versorgungsstände. Die Veranstaltungsreihe "Rock gegen Überfremdung" sowie das damit verbundene Konzept, mit einer politischen Veranstaltung zugleich erhebliche kommerzielle Einnahmen zu erzielen, kamen 2018 insbesondere wegen behördlicher Eingriffe nicht zur Umsetzung. Bereits die kurzfristige Untersagung der Nutzung des Geländes für die Veranstaltung am 25. August in Mattstedt traf den Organisator nachhaltig. Obgleich die zu einem Preis von 35 Euro über 48 eine eigens für die Veranstaltung eingerichtete Homepage verkauften Tickets ihre Gültigkeit für die Ersatzkundgebungen im Oktober behielten, blieben die Teilnehmerzahlen mit 750 und 800 Besuchern aufgrund der kurzfristigen Verlegung der Veranstaltungsort nach Apolda weit unter den Erwartungen des Anmelders (1.000 bis 3.000 Personen). Das im Vorfeld beworbene Programm von Redeund Musikbeiträgen kam nur ansatzweise zur Umsetzung. Die szeneinterne Resonanz reichte von deutlicher Kritik am Veranstalter bis zu Solidaritätsbekundungen und Spendenaufrufen für ihn. Die "Bruderschaft Thüringen" war auch im Jahr 2018 eine der herausragenden rechtsextremistischen Gruppierungen in Thüringen. Seit dem Jahr 2016 ist sie bundesweit eine der maßgeblichen Organisationen im Bereich rechtsextremistischer Großveranstaltungen. Hierbei helfen ihr die persönlichen Kontakte ihrer Akteure. Wegen der langjährigen Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Szene gibt es Kennverhältnisse zu Protagonisten bundesund europaweit. Nach dem regionalen "Testlauf" im August 2016 in Kirchheim ("Rock gegen Überfremdung I"), einer Veranstaltung mit einer dreistelligen Teilnehmerzahl, agierte die "Bruderschaft Thüringen" beim "Rocktoberfest" im Oktober 2016 gemeinsam mit befreundeten Rechtsextremisten aus der Schweiz. Diese internationale Kooperation führte zu einer deutlich gestiegenen Teilnehmerzahl im vierstelligen Bereich. Daran knüpfte man im Juli 2017 an, indem man mit Tommy Frenck bei der Organisation von "Rock gegen Überfremdung II" zusammenarbeitete. Die Teilnehmerzahl vom vorhergehenden "Rocktoberfest" konnte nun auf etwa 6.000 Teilnehmer erhöht werden. Hierbei ist auch zu konstatieren, dass das zuvor im Mai 2017 ergangene Urteil des Landgerichts Erfurt offenbar keinen Einfluss auf die Aktivitäten der Gruppierung hatte. Die "Bruderschaft Thüringen" scheiterte 2018 an ihrem Anspruch, die Federführung bei der Organisation einer Großveranstaltung auszuüben. Vielmehr erfuhr sie durch die Ereignisse in Mattstedt, Magdala und Apolda einen erheblichen Rückschlag. Inspiriert von früheren Veranstaltungsverläufen und den damit verbundenen wirtschaftlichen Erträgen dürfte die Gruppierung jedoch auch künftig bestrebt sein, Großveranstaltungen dieser Art durchzuführen. Zudem bleibt der Handlungsdruck hoch, die beschädigte Reputation innerhalb der rechtsextremistischen Szene wieder herzustellen. 49 5.3 "Blood & Honour" "Blood & Honour" (B&H, deutsch: Blut & Ehre; im Nationalsozialismus Leitspruch der Hitlerjugend) entstand in den 1980er Jahren in Großbritannien. Gegründet wurde dieses internationale Netzwerk von Ian Stuart Donaldson, zu jener Zeit Bandleader der rechtsextremistischen Band "Skrewdriver". In Deutschland gründete sich Anfang der 1990er Jahre ebenfalls ein Ableger (sog. Division Deutschland), welche jedoch im Jahr 2000 verboten wurde. Das Logo von B&H ist in den Farben schwarz-weiß-rot gehalten. Neben dem Schriftzug bildet es eine Triskele ab. In rechtsextremistischen Kreisen wird die Triskele oft als "dreiarmiges Hakenkreuz" gedeutet. In den Jahren nach dem Verbot gab es stets kleine Gruppen, die unter dem Label B&H in der Szene aktiv waren. Die Vorgehensweise war bzw. ist sehr konspirativ, da man wegen des Verbots mit Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden rechnen muss. Das Label B&H nimmt bis heute im Bereich der subkulturellen rechtsextremistischen Musik eine besondere Stellung ein. Vor allem Textilien jeglicher Art mit dem Schriftzug "Blood & Honour" und Konzerte, die mit der Zahlenkombination "28" werben, sind häufig zu finden. Die "28" (zweiter Buchstabe des Alphabets B und achter Buchstabe H) ist in der rechtsextremistischen Szene der Code für die Organisation B&H. B&H ist trotz Verbotes weiterhin ein bedeutender Anknüpfungsund Identifikationspunkt, vor allem für Rechtsextremisten der subkulturellen Musikszene. In den Nachbarländern Deutschlands ist B&H nicht verboten. Das internationale Netzwerk besteht nach wie vor. Bekannt geworden sind in den vergangenen Jahren u.a. die Teilnahme von Thüringer Sympathisanten am "Tag der Ehre" in Budapest/Ungarn (Gedenkveranstaltung anlässlich des Ausbruchs50 versuchs deutscher und verbündeter ungarischer Soldaten im Februar 1945) sowie an rechtsextremistischen Konzerten im Ausland. Am 12. Dezember fanden bei zwölf Beschuldigten in fünf Bundesländern, unter anderem in Thüringen, Durchsuchungsmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden statt. Hintergrund war ein Ermittlungsverfahren der Generalstaatsanwaltschaft München und des Polizeipräsidiums Niederbayern wegen des Verdachts der Fortführung einer verbotenen Vereinigung gemäß SS 85 StGB. Gegen vier Personen wurden Haftbefehle vollstreckt. Allen Beschuldigten wird vorgeworfen, sich als Mitglied oder Unterstützer der im Jahr 2000 verbotenen Vereinigung B&H zu betätigen oder dazu beizutragen, deren organisatorischen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten. Bei den Durchsuchungen konnte rechtsextremistisches Propagandamaterial sichergestellt werden. Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, vor allem Tonträger mit verbotenem rechtsextremistischen Liedgut sowie Merchandise-Artikel mit verbotenen Symbolen nach Deutschland eingeführt und vertrieben zu haben. In Thüringen gab es bereits im Jahr 2016 Ermittlungen gegen vier Rechtsextremisten, denen vorgeworfen wurde, unter dem Namen "Blood & Honour Südthüringen" eine Ersatzorganisation für die verbotene Organisation B&H gegründet zu haben. 5.4 "Combat 18" (C18) Im Fokus deutscher Sicherheitsbehörden steht auch die Gruppierung "Combat 18" (C18). Die Kombination aus dem englischen Wort "Combat" (deutsch "Kampf") und den Zahlen 1 und 8, welche für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet stehen, den Initialen Adolf Hitlers, steht für "Kampf" bzw. "Kampfgruppe Adolf Hitler". "Combat 18" entstand 1992 als Sicherheitsdienst für die rechtsextremistische "British National Party" (BNP). In der Folgezeit kooperierte die Gruppierung auch mit anderen rechtsextremistischen Organisationen und Hooligangruppierungen in Großbritannien. 51 "Combat 18" bezeichnete sich zudem als "Der offizielle bewaffnete Arm von Blood & Honour". Die Entwicklung in Großbritannien in der 1990er Jahren strahlte auch in andere Länder aus. Hierdurch bildeten sich auch in diesen Personenzusammenschlüsse mit Bezug zu "Combat 18" heraus. Auch in Deutschland werden seitens der Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren vermehrt Aktivitäten von "Combat 18" festgestellt. So existiert mittlerweile eine Gruppierung "Combat 18 Deutschland" (C18 - Deutschland), dessen maßgebliche Führungsfiguren in Thüringen ansässig sind. Der besondere Bezug der Gruppierung zu Gewalt und Waffen manifestierte sich unter anderem im Zuge einer Grenzkontrolle am Grenzübergang Schirnding (Bayern) im Jahr 2017. Dort kontrollierte die Bundespolizei 12 Angehörige von "Combat 18 - Deutschland" bei der Wiedereinreise aus der Tschechischen Republik, wo sie zuvor einen Schießstand besucht haben sollen. Bei der Durchführung der Grenzkontrolle wurden Patronen, Gewehrmunition und Flintenlaufgeschosse aufgefunden und beschlagnahmt. 52 6. Weitere rechtsextremistische Gruppen 6.1 Ehemaliges Rittergut in Guthmannshausen - "Verein Gedächtnisstätte e.V." Der Verein "Gedächtnisstätte e. V." wurde 1992 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet. Unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs agitiert der Verein gegen den demokratischen Verfassungsstaat und versucht, mit geschichtsrevisionistischem Gedankengut Anschluss an weitere Kreise der Gesellschaft zu erlangen. Er bietet Rechtsextremisten verschiedener Strömungen eine etablierte Plattform zum Diskurs und erfüllt damit eine organisationsübergreifende Vernetzungsfunktion innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Seit 2011 verfügt der Verein über eine Immobilie in Guthmannshausen. 17 Im Berichtszeitraum fanden unter anderem folgende Veranstaltungen statt: 17./18. Februar Vortragwochenende 24./25. März Vortragswochenende 7. April Seminar 21./22. April Vortragswochenende 12./13. Mai Vortragswochenende 16./17. Juni Vortragswochenende 7. Juli Sommerfest des Udo Voigt mit ca. 200 Teilnehmern 4./5. August 4. Sommerfest des Vereins 17. August Vortragsund Liederabend 22./23. September Vortragswochenende 20./21. Oktober Vortragswochenende 27.Oktober Zeitzeugenvortrag 17 Im Jahr 2011 erwarb eine als Privatperson auftretende Käuferin die zuvor in Landesbesitz befindliche Immobilie in Guthmannshausen. Später wurde bekannt, dass die neue Eigentümerin seit dem Jahr 2010 dem Verein "Gedächtnisstätte e. V." angehören soll. Die vom Freistaat Thüringen daraufhin wegen arglistiger Täuschung angestrengte Anfechtungsklage wies das Landgericht Erfurt mit Urteil vom 26. April 2013 als unbegründet zurück. 53 3. November Seminar 15./16. November Arbeitseinsatz in Guthmannshausen 17./18. November Vortragswochenende 15./16. Dezember Vortragswochenende Auf dem weitläufigen Grundstück in Guthmannshausen befindet sich eine sog. Kulturund Tagungsstätte, die bis zu 180 Zuhörern und ca. 30 Übernachtungsgästen Platz bietet. Die Räumlichkeiten werden nicht nur für eigene Vortragsveranstaltungen genutzt, sondern verschiedenen rechtsextremistischen Gruppierungen zur Verfügung gestellt. Der Verein errichtete auf dem Gelände zudem mit Spendengeldern finanzierte Gedenksteine für verschiedene deutsche Opfergruppen des Zweiten Weltkrieges. Der Verein bemühte sich stets, in der öffentlichen Darstellung den Vereinszweck (Errichtung einer Gedenkstätte für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges) ohne rechtsextremistische Bezüge zu vermitteln. Damit einher ging das Bestreben, Bevölkerungskreise außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums für sich zu gewinnen und ideologischen Einfluss auf bürgerliche, national-konservative Kreise zu erlangen. Zudem sah man von Vertreibung Betroffene als weitere mögliche Spender für die umfangreichen Renovierungsmaßnahmen des Rittergutes. Der Verein unterhielt seit seiner Gründung vielfältige Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen (z. B. "Europäische Aktion") und Parteien (z. B. NPD) sowie in die neonazistische Szene (Kameradschaften). Intention des Vereins ist eine verdeckte Einflussnahme auf das politische Klima. So wurden in der Vergangenheit u. a. "Seminare für rechte Metapolitik" durchführt. Die Referenten dieser Seminare verfügen zumeist über einen akademischen Hintergrund und streben ein "wissenschaftliches" Niveau bei der Wissensvermittlung an. Anders als der Titel dieser Veranstaltungen verheißen mag, handelt es sich nicht um ein Angebot zur politischen Bildung als vielmehr um eine Austausch individueller Denkansätze zu verschiedensten Themen (Kultur, Sprache, Emotion u. Ä.), wodurch eine "geistige Veränderung" im vorpolitischen Raum erreicht werden soll. Zentrales Anliegen ist auch hier, die Anschlussfähigkeit über die eigenen Kreise hinaus zu erhöhen. 54 In der zum 25-jährigen Bestehen des Vereins "Gedächtnisstätte e. V." herausgegebenen Broschüre heißt es: "Das Jahrhundert des Kapitalismus, das Jahrhundert der Lüge und der Ausbeutung neigt sich unweigerlich seinem Ende zu [...] Es ist ja kein Zufall, daß Menschenmassen unser Land wie bei einer Invasion besetzen. Man hat aus den letzten Kriegen gelernt: Ein zerstörtes Land kann man wieder aufbauen, ein zerstörtes Volk nicht! Multikultur ist ein Vernichtungsprogramm der 'Neuen Weltordnung' (NWO)." Der Verein deutet das Geschichtsbild - insbesondere über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus - zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Betrachtung mit dem Ziel um, die bisherige gesamtgesellschaftliche Delegitimierung rechtsextremistischer Ideologie sukzessive aufzuweichen. So heißt es in der Jubiläumsbroschüre: "Wir fragen schon lange und zu Recht: Wieso stößt man bei der Geschichtsforschung über die Zeit der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf so viel Widerstand? Warum werden von der verordneten Sichtweise abweichende Forschungsergebnisse teilweise sogar juristisch verfolgt? Wieso finden viele von den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges geäußerte Kriegssprüche keinen Eingang in unsere Geschichtsbücher? Warum ist man bemüht, die Opferzahlen der Unterlegenen des Zweiten Weltkrieges herunterzustufen, während man andererseits die Opferzahlen der Sieger des Zweiten Weltkrieges nicht hoch genug ansetzen kann?" "Zur Überwindung der großen geschichtlichen Lügen, die uns durch unsere ehemaligen Gegner und die von ihnen beherrschten Massenmedien auch heute noch - fast täglich - aufgetischt werden, braucht es Mut, Wissen und einen aufrechten Charakter." Fremdenfeindliche Positionen werden inzwischen offen vertreten und in Zusammenhang mit einer (jüdischen) Verschwörung gegen Deutschland gestellt: "Es gibt inzwischen Strömungen im Ausland und in großen Ansätzen auch bei uns, die die derzeitige Überfremdung unseres Kontinents nicht widerspruchslos hinnehmen wollen. Der Hooton-Plan 18 von 1943 in seinem finalen Erscheinungsbild muß 18 Der US-amerikanische Paläoanthropologe Ernest Albert Hooton veröffentlichte 1943 einen Aufsatz, in dem er u. a. für die Ansiedlung ausländischer Bevölkerung in Deutschland plädierte, um dem deutschen Nationalismus entgegenzuwirken. 55 gestoppt werden. Dann werden auch die kriegerischen Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts, die genau hier ihre Ursachen haben, völlig neu bewertet werden." Die Immobilie in Guthmannshausen diente auch 2018 als regelmäßig genutzter Veranstaltungsort. Die auf der eigenen Internetseite beworbenen Vorträge wie "Der Aufund Abstieg einer nationalen Partei in Deutschland", "Deutschland und die soziale Ordnung der Zukunft" oder "Englisch, Englisch über alles in der Welt" zeigen zunächst keine klare rechtsextremistische Ausrichtung. Jedoch handelt es sich bei den Vortragenden überwiegend um exponierte Protagonisten des rechtsextremistischen Spektrums. Beispielhaft für das Vernetzungsbestreben des Vereins steht das jährliche Sommerfest des "Freundeskreises Udo Voigt", das am 7. Juli erneut auf dem Grundstück der Gedächtnisstätte stattfand. Es nahmen Rechtsextremisten unterschiedlicher Strömungen aus dem Bundesgebiet und dem europäischen Ausland teil. Angehörige der NPD waren ebenso vertreten wie parteiungebundene Rechtsextremisten, so z. B. Tommy Frenck, und einschlägige Liedermacher. Der "Verein Gedächtnisstätte e. V." bietet Rechtsextremisten verschiedener Strömungen eine etablierte Plattform zum intellektuellen Diskurs. Er besitzt eine organisationsübergreifende Vernetzungsfunktion innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Es ist naheliegend, dass der Verein in Zukunft wiederum Kontakt zu verschiedenen rechtsextremistischen Gruppierungen sucht und diese Beziehungen vertiefen will. Der nunmehr feststellbare offenere Umgang mit rechtsextremistischen Positionen und Protagonisten geht mutmaßlich darauf zurück, dass insbesondere der Vereinsvorsitzende einen Umschwung des gesamtgesellschaftlichen Meinungsklimas wahrgenommen zu haben glaubt, der eine 56 radikalere Diktion und Ausrichtung zu erlauben scheint, ohne Unterstützer außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums zu verlieren. 6.2 "Thing-Kreis" in Themar Der Thüringer Rechtsextremist Axel Schlimper etablierte mit dem "Thing-Kreis" 19 in Themar monatliche Treffen, um die regionale rechtsextremistische Szene zu einem Gedankenaustausch zusammenzuführen. Seit Anfang 2018 versammelte sich der "Thing-Kreis" regelmäßig zu Vollmond auf einer auch Freifläche in Themar, die auch als Veranstaltungsgelände für Rechtsrockkonzerte genutzt wird. Die Treffen werden jeweils in einem vor Ort errichteten Steinkreis abgehalten, der eine Jurte und ein Lagerfeuer umschließt. Der auch als einschlägiger Liedermacher aktive Schlimper umrahmt die Versammlungen zumeist musikalisch. Die Veranstaltungen werden regelmäßig über soziale Medien, z. B. "Telegram", beworben. Schlimper engagierte sich vormals als "Gebietsleiter Thüringen" in der Gruppe "Europäische Aktion" (EA). Die antisemitisch und verschwörungstheoretisch geprägte EA verstand sich als überparteiliche europäische Sammlungsbewegung. Das Anhängerpotenzial war gemischt, blieb aber mit ca. 100 Personen weit hinter dem eigenen Anspruch zurück. Im Juni 2017 gab die Gruppe schließlich ihre Selbstauflösung bekannt, wobei abzuwarten bleibt, ob die EA auch zukünftig keinerlei Aktivitäten entfaltet In der Vorstellungswelt der EA war die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung ebenso fest verankert wie die Ablehnung "fremdkontinentaler" Einwanderung. Die "Thing-Kreise" befassten sich jeweils mit dem Thema "Sicherheitsrisiko durch Einwanderung". Der Teilnehmerkreis repräsentierte ein breites Spektrum der regionalen und überregionalen rechtsextremistischen Szene; mitunter versammelten sich bis zu 40 Personen. Maßgebliche organisatorische Unterstützung leistete eine der NPD angehörende Thüringerin. Sie pflegt Kontakte zu Protagonisten der Partei, wie Udo Voigt und Thorsten Heise, aber auch darüber hinaus in das übrige rechtsextremistische Spektrum, etwa zu Tommy Frenck oder der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel. Gemeinsam mit Schlimper vertrat sie den "Thing-Kreis" beim Sommerfest von Udo Voigt am 7. Juli in Guthmannhausen. 19 Ursprüngliche Bezeichnung für eine germanische Ratsversammlung. 57 Sonnenwendfeier am 23. Juni Die am 23. Juni durchgeführte Sommersonnenwendfeier des "Thing-Kreises" stand unter dem Motto "Unsere Heimat unser Recht - Aufrechterhaltung der deutschen Leitkultur durch Brauchtumspflege - Abgrenzung zur Einwanderung". Es nahmen 38 Personen teil, darunter auch der damalige Thüringer NPD-Vorsitzende Thorsten Heise. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurden Sonnenwendfeiern als Teil der "BlutBoden"-Ideologie praktiziert. "Abenteuer-Zeltlager" für Kinder Der "Thing-Kreis" warb im August über Facebook für ein "Abenteuer-Zeltlager" im Thüringer Wald für Kinder ab fünf Jahren. Späteren Verlautbarungen zufolge nahmen acht Kinder dieses Angebot wahr. Man habe Wanderungen und Spiele durchgeführt, Überlebensund Erste-Hilfe-Techniken vermittelt sowie Kräuterkunde betrieben. Zum Abschluss sei das Deutschlandlied vollständig gesungen worden. 20 Dem unverfänglich erscheinenden Angebot nach sollte der Bezug zur Natur gefördert werden. Tatsächlich dienen auch derartige als Kinderbetreuung verbrämte Offerten der Heranführung an extremistische Kreise und deren Ideologie. Fackelmarsch am 22. Dezember Als Jahresabschlussveranstaltung des "Thing-Kreises" wurde am 22. Dezember ein Fackelmarsch unter dem Motto: "Fackeln für die Freiheit, gegen DDR-Methoden und Unterdrückung" zusammen mit Tommy Frenck von dessen Gasthaus "Goldener Löwe" in Kloster Veßra nach Themar zur Veranstaltungswiese durchgeführt. Es nahmen ca. 40 Personen, darunter Kinder, teil. 20 Die deutsche Nationalhymne in der aktuellen Fassung ist die dritte Strophe des Deutschlandliedes, s. dazu Bulletin des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 89/1991 vom 27. August 1991. 58 Bei dem "Thing-Kreis" handelt es sich um eine Splittergruppe innerhalb der rechtsextremistischen Szene Thüringens. Der Wirkungskreis resultiert aus der Umtriebigkeit der maßgeblichen Südthüringer Akteurin, welche eine weitreichende Vernetzung innerhalb des gesamten rechtsextremistischen Spektrums besitzt. Dies verdeutlicht sich unter anderem in der 2018 erfolgten Zusammenarbeit mit Axel Schlimper, einem der führenden Aktivisten der ehemaligen EA. Des Weiteren verfügt sie durch ihre NPD-Zugehörigkeit über zahlreiche Kontakte in der Partei, unter anderem zu führenden Mitgliedern wie Udo Voigt und Thorsten Heise. Ebenfalls kann sie auf Kontakte zu bundesweit agierenden Rechtsextremisten wie die bekannte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel zurückgreifen. Neben der oben dargestellten rechtsextremistischen Ausrichtung und Vernetzung des "Thing-Kreises" ist von gesellschaftlich besonderer Relevanz, dass die Gruppierung versucht bereits Kinder an sich binden und ideologisch zu schulen. Die im Nachgang des KinderAbenteuer-Zeltlagers getätigte Aussage zu den diversen Freizeitangeboten und der zum Abschluss gesungenen früheren Version der Deutschlandhymne soll bewusst das zumindest ebenfalls verfolgte Ziel der ideologischen Einflussnahme auf Kinder überdecken. 6.3 "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) Die 1951 gegründete germanisch-heidnische "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) hat ihren Sitz in Berlin. Die AG - GGG versteht sich als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart bewahren, erneuern und weiterentwickeln" will und verbindet germanisch-heidnische Glaubensansätze mit rassistischen Vorstellungen und Zielen. Von ihren bundesweit ca. 100 Mitgliedern sind nur einzelne in Thüringen ansässig. 59 Die AG - GGG gibt eine Schriftenreihe heraus und verfügt über einen Buchdienst und eine Website. Der Buchdienst veröffentlicht als Standardwerke angesehene Bücher und Schriften zu heidnischen Themen und religiösem Brauchtum auf einer rassistischen Grundlage. Vierteljährlich erscheint die "Nordische Zeitung" (NZ). Zu den im Jahr 2018 durch die AG - GGG durchgeführten Veranstaltungen in Ilfeld zählten unter anderem: 23.-25. März Frühlingsfest 22.-24. Juni Gemeinschaftstage zur Sonnenwendfeier 21.-23. September Herbstfest 16.-18. November Treffen, ca. 90 Personen 7.-9. Dezember Julfest, ca. 110 Personen Ihre regelmäßigen überregionalen "Gemeinschaftstagungen" zu den Tagund Nachtgleichen sowie den Sommerbzw. Wintersonnenwenden führte die AG - GGG im Berichtszeitraum im Bereich Nordthüringen durch. Die in geschlossenen Veranstaltungen abgehaltenen Zusammenkünfte kommen dem äußeren Anschein nach Volksfesten oder geselligen Familienveranstaltungen gleich. Unter Vorgabe germanischer Brauchtumspflege wird eine "Lagerfeuerromantik" inszeniert, die das Interesse insbesondere junger Teilnehmer an dem offen rechtsextremistischen Regelwerk der AG - GGG wecken soll. Die AG - GGG bezeichnet sich als "größte heidnische Gemeinschaft Deutschlands". Sie stellt sich als "Glaubensbund" dar, welcher "der Bewahrung, Erneuerung und Weiterentwicklung der Kultur der nordeuropäischen Menschenart" dienen und an die Wertvorstellungen der heidnischen Vorfahren anknüpfen will. Die ethischen Vorstellungen der AG - GGG werden im "Sittengesetz unserer Art" beschrieben. Glaubensbekenntnisse wie das "Sittengesetz" sind auf "Menschen unserer Art" ausgerichtet, wobei "Menschenarten" als in "Gestalt und Wesen" verschieden angesehen werden. Mitglieder müssen "ersichtlich unserer (germanischen) Menschenart" angehören. In einer "gleichartigen Gattenwahl" wird die "Gewähr für gleichartige Kinder" gesehen. Tatsächlich 60 will sie vor allem die "nordische Rasse" erhalten, wendet sich vehement gegen jede Rassenmischung und vertritt völkisch-rassistisches, revisionistisches und antisemitisches Gedankengut. 21 Die Anerkennung des Führertums, die Forderung nach Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft, wie auch die Verpflichtung zur Reinheit der Rasse bzw. Art stehen den Wertprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten entgegen. Die AG-GGG bietet Rechtsextremisten mit Veranstaltungen wie Sonnenwendfeiern, einem eigenen Glaubensbekenntnis und traditionellem Brauchtum einen theoretischen und kulturellen Rahmen. Dieser soll Familien und Kinder an rassistische Überzeugungen heranführen und sie dauerhaft an die Organisation binden. Die AG - GGG schottet sich nach außen ab, um ihre rechtsextremistische Ausrichtung zu verschleiern. Den Mitgliedern - zum Teil ehemalige Anhänger verbotener Organisationen - wird auf diese Weise ein gesicherter Rückzugsraum geboten. Dieser Rückzugsraum wird durch Ideale wie die "eigene Art" und "Rasse" geprägt. Die Jugend ist angehalten, den eigenen Körper zu ertüchtigen, etwa durch den "Germanischem Sechskampf". Die AG - GGG versucht stetig, ihre Bedeutung zu festigen und auszubauen. Es bestehen gleichwohl ausgewählte, d. h. strategische Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen. Ein wesentliches Ziel der AG - GGG ist es weiterhin, im intellektuellen und kulturellen Bereich des Rechtsextremismus eine herausgehobene Stellung innezuhaben. 21 "Das Verhältnis des Juden zu seinem Gott wird trotz aller ,Erziehung' stets ein anderes bleiben als das des echten Deutschen. Mit anderen Worten: das Blut, die Rasse ist der Urgrund aller Weltanschauung. [...] Dies ist die Wurzel der germanischen Rassezuchtund Auslesegesetze, die überdies nur eine völlig kurzsichtige Weichlichkeit als hart oder gar ,unmenschlich' empfinden kann." ("Das deutsche Erbhofrecht" in "Nordische Zeitung" (NZ), Heft 3/Juli-Sept. 2012, S. 49 ff) Autor war Erwin Metzner (1890 - 1969), deutscher NSAgrarfunktionär und SS-Führer. 61 III. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 1. Überblick "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" bilden eine organisatorisch und ideologisch heterogene Szene, welche die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, seiner Repräsentanten sowie die gesamte Rechtsordnung ablehnt. Die Szene ist überwiegend auf sich selbst bezogen. Es agieren größtenteils Einzelpersonen, mit teils wahnhaft kranker Persönlichkeitsstörung bis hin zum politischen Provokateur, und (lose) Personenzusammenschlüsse. Nur vereinzelt bilden sich stabilere Gruppen, die allerdings starke Tendenz aufweisen, sich nach einiger Zeit erneut aufzuspalten. Aus der grundsätzlichen Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen ergeben sich tatsächliche Anhaltspunkte für die Bewertung des Phänomenbereichs als verfassungsfeindliche Bestrebung und einer damit verbundenen Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Das Phänomen ist den Behörden in Deutschland bereits seit Jahren bekannt, erfuhr jedoch im Jahr 2016 aufgrund von Vorfällen eine neue Bedeutung 22, als Reichsbürger u. a. Schusswaffen gegen Polizisten einsetzten. Daraus resultierten eine ganzheitliche Betrachtungsweise und eine Intensivierung der Beobachtung dieser Szene ein. Im Jahr 2018 waren ihr Deutschlandweit ca. 19.000 Personen - darunter ca. 950 Rechtsextremisten - zuzurechnen. Auch wenn nur ein zahlenmäßig geringer Teil der Szene ideologisch ebenfalls dem Rechtsextremismus zugeordnet werden kann, ist die Argumentation der "Reichsbürger" von rechtsextremistischen Ideologiefragmenten, geschichtsrevisionistischen Mythen sowie Verschwörungsfantasien durchsetzt. 22 Im Zuge eines Polizeieinsatzes am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd (Bayern) wurde ein Polizeibeamter von einem bekennenden Reichsbürger erschossen. 62 2. Ideologie Die Ideologie der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" umfasst ein Gewirr von grotesken politischen Ansichten. Mit meist pseudojuristischen, -historischen und verschwörungstheoretischen Argumentationsmustern oder mit selbst definierten Naturrechten begründen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ihre Motive zur Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem. Zudem erkennen sie die Legitimation von demokratisch gewählten Repräsentanten nicht an und definieren schließlich ihre eigene Rechtsordnung. Einige Gruppierungen sowie einzelne Vertreter der Szene nehmen für sich in Anspruch, eine eigene "Staatsgewalt" auszuüben. Sie bilden "Reichsregierungen", "Bundesstaaten" oder "Gemeinden", ernennen entsprechende Funktionäre wie z. B. "Reichskanzler" oder "Minister" und "legitimieren" sich mit selbst gestalteten Ausweisdokumenten. Ihre Argumentation bezieht sich auf unterschiedliche historische und völkerrechtliche Situationen Deutschlands und ist zumeist von folgenden Kernaussagen geprägt: * Das Deutsche Reich ist nicht untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland ist kein souveräner Staat. * Deutschland befindet sich weiterhin im Kriegszustand. Es gibt keinen Friedensvertrag mit den Alliierten. * Es gilt die Haager Landkriegsordnung. * Das Grundgesetz ist keine Verfassung. * Die Bundesrepublik ist untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Staat, sondern eine privatrechtliche "BRD GmbH". * Der wirkliche Herrscher der Welt ist das finanzmächtige internationale Judentum. Ziel ihrer Agitation ist zumeist, keine Steuern, Bußgelder und Gebühren zu zahlen oder drohende Zwangsvollstreckungen abzuwenden. Die Mitarbeiter von Behörden werden in diesem Zusammenhang durch zum Teil seitenlange Schreiben mit völlig abwegigen Zahlungsaufforderungen bedroht, beschimpft und/oder beleidigt. 63 "Selbstverwalter" nehmen für sich in Anspruch aus der Bundesrepublik "austreten" zu können und reklamieren für sich ihre rechtliche Autonomie mit territorialem Hoheitsanspruch. In der Regel erfolgt das Ausrufen einer Selbstverwaltung unter Berufung auf "die Menschenrechte" oder auf Artikel 9 der UN-Resolution A/RES/56/83 vom 28. Januar 2002 und wird durch das Versenden von entsprechenden "Proklamationen" an Verwaltungsbehörden nach außen verdeutlicht. Meist bezeichnen sich Selbstverwalter in ihren Schreiben auch als "natürliche Person im Sinne von SS 1 BGB". Die Vorstellung, ein Deutsches Reich bestünde fort, spielt hierbei nur bedingt eine Rolle. Die Grenzen zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind fließend. Die Ziele und Verhaltensweisen von Vertretern des "Reichsbürger"-Spektrums können nicht als "legitime Systemkritik" angesehen werden, denn sie zeigen tatsächliche Anhaltspunkte für die Bestrebungen auf, die gegen: * die freiheitliche demokratische Grundordnung * den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes * den Gedanken der Völkerverständigung und insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Aufgrund dessen unterliegt der Phänomenbereich der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" seit 2016 der nachrichtendienstlichen Beobachtung. 3. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Thüringen Dem Phänomenbereich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" wurden in Thüringen im Berichtszeitraum ca. 1.000 Personen (2017: ca. 650) zugerechnet. Davon wiesen ca. 50 Personen (2017: ca. 50) Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf. Etwa drei Prozent der Thüringer Reichsbürger agieren im Namen von Gruppierungen und Vereinen, die überregional tätig und in anderen Bundesländern ansässig sind. Die Aktivitäten richteten sich 2018 vorwiegend gegen Thüringer Kommunalbehörden aber auch Landessowie die Polizeiund Justizbehörden. Mit querulatorischen Schreiben reagierten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" auf Maßnahmen der staatlichen Eingriffsverwaltung (Bußgeldbescheide, Gebührenund Beitragsbescheide, Vollstreckungsverfahren). Weiterhin erfolgten zahlreiche Anträge auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis), Mitteilungen über die Reaktivierung von Gemeinden und Vorlagen von Fantasiepapieren. 64 * Querulatorische Schreiben Mit dem Ziel sich der staatlichen Maßnahme zu entziehen legen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" im Zuge von Verwaltungsund Gerichtsverfahren zahlreiche sowie umfangsreiche Schriftsätze vor, in denen sie der Behörde bzw. dem Amtsträger die Existenz oder Autorität absprechen. Häufig wird auch auf völlig aus dem Kontext gerissene Gerichtsentscheidungen oder eigene - meist abstruse - Gutachten verwiesen. Nicht selten sind die Entscheidungsträger einer anmaßenden und aggressiven Diktion in Form von Beleidigungen, Beschimpfungen, Belehrungen, Erpressung, Nötigung und Bedrohung mit "Bußgeldern" und "Unterlassungsverfügungen mit Strafzahlungen" ausgesetzt. Diese Schreiben stellen aufgrund der Unerfüllbarkeit der aufgestellten Forderungen für die betroffenen Behörden eine Zeitund Ressourcenverschwendung dar. Es ist anzunehmen, dass die Arbeit der Behörden damit bewusst sabotierten werden soll. * Anträge auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis, sog. Gelber Schein) Angehörige der Reichsbürgerszene propagieren die Beantragung eines solchen Dokuments, da sie weder einen Personalausweis noch einen Reisepass als Nachweis für den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ansehen. Zudem führen sie aus, die Bezeichnung "Name" auf dem Personalausweis kennzeichne die betreffende Person als "Firma, also eine inländische juristische Person" ohne Grundrechtsberechtigung. Ein offizieller Staatsangehörigkeitsausweis ("Gelber Schein") mit dem Parameter der "Identität Familienname = Natürliche Person" sichere wiederum die volle Rechtsfähigkeit als Grundrechtsträger. Der Staatsangehörigkeitsausweis ist ein amtliches Dokument der Bundesrepublik Deutschland, mit dem der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit dokumentiert wird. 23 Ein entsprechender Antrag nach SS 30 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) kann gestellt werden, wenn die deutsche Staatsangehörigkeit zweifelhaft oder klärungsbedürftig ist bzw. von anderen Behörden in Frage gestellt wird (Sachbescheidungsinteresse). Hinter den von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gestellten Anträgen zum sog. Gelben Schein steht demnach kein nachvollziehbarer rechtlicher Hintergrund. Die Beantragung des "Gelben Scheins" weist insbesondere dann auf Szeneangehörige hin, wenn als Rechtsgrundlage das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) angeführt wird 23 Rechtsgrundlage ist das im Jahr 2000 in Kraft getretene Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), das auf dem Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) vom 22. Juli 1913 basiert. 65 und in der Kategorie Geburtsort Einträge wie "Königreich Preußen", "Fürstentum Reuß jüngere Linie", "Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha" oder Ähnliches erfolgen. Der Antragssteller dokumentiert damit, die Bundesrepublik Deutschland nicht als souveränen Staat anzuerkennen. * Mitteilungen über die "Reaktivierung" von Gemeinden Die "Reaktivierung" bzw. "Reorganisation" von Gemeinden ist ein thüringenund bundesweites Phänomen. Ziel ist es, die jeweilige Gemeinde unter "Selbstverwaltung" zu stellen. So erklären die Vertreter der reaktivierten Gemeinden in "Selbstermächtigungsschreiben", dass das Gebiet nunmehr als unabhängig von der Bundesrepublik Deutschland gelte und zum Teil auch weiterführend der EU und dem vereinten Wirtschaftsgebiet exterritorial gegenüberstehe. Die Bundesrepublik besitze demnach keine gültige Verfassung, das Deutsche (Kaiser)Reich sei bis heute nicht untergegangen. Die Mitglieder der reaktivierten Gemeinden, die ihre "Abstammung gemäß RuStAG von 1913 nachgewiesen" haben, sollen als tatsächliche Wahlberechtigte identifiziert werden; diese wählen wiederum die Wahlkommission und schließlich die "echten" Gemeinderepräsentanten. In Thüringen wurden seit 2016 ca. 20 Gemeinden "reaktiviert". Die "Reaktivierungen" wurden Landes-, Bundesbehörden sowie ausländischen Botschaften übersandt, mit dem Ziel der "völkerrechtlichen" Anerkennungen und Einflussnahme auf die staatliche Eingriffsverwaltung. 66 Die Mehrzahl der im Berichtszeitraum in Thüringen bekannt gewordenen "Reaktivierungen" wurde durch die in Berlin ansässige Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" initiiert. Als angebliche Hoheitsträger, wie z. B. "Gemeindevorsteher im Notstand des Hoheitsgebietes ...", treten insbesondere Szeneangehörige der jeweiligen "reaktivierten" Gemeinde in Erscheinung. * Fantasiepapiere Außerdem "legitimieren" sich Szeneangehörige gern mit selbst produzierten Fantasiepapieren, wie "Reichspersonenausweise", "Reichsführerscheine" oder Papiere, die sie als "Natürliche Person nach SS 1 staatl. BGB" ausweisen. Diese Papiere besitzen keinen rechtsverbindlichen Charakter; meist werden sie von Szeneanhängern erstellt, die vordringlich kommerzielle Interessen verfolgen. Oftmals wurden im Vorfeld die amtlichen Ausweisdokumente bei der Meldebehörde abgegeben. 4. Gefährdungspotenzial Das Spektrum der "Reichsbürger-Bewegung" reicht vom gefestigten Rechtsextremisten über Querulanten, Trittbrettfahrer mit einer reinen Zahlungsverweigerungsabsicht bis hin zu geistig Verwirrten bzw. psychisch erkrankten Personen. Personen mit dieser Ideologie sind einem geschlossenen verschwörungstheoretischen Weltbild verhaftet. Die Verdrossenheit gegenüber dem "politischem System" und staatlichen Maßnahmen verbunden mit der Annahme, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden, können erhebliche Aggressionen und Gefahrenkonstellationen auslösen. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gelten zudem als besonders waffenaffin. Hinsichtlich des im Berichtszeitraum bekannten Personenpotenzials in Thüringen verfügten ca. zehn Prozent über eine waffenrechtliche Erlaubnis. Stellt der Verfassungsschutz neben der "Reichsbürger"-Eigenschaft auch den Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis fest, wird die zuständige Waffenbehörde informiert. Ziel ist es, eine erneute Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit anzustrengen, um den Widerruf der Erlaubnis zu erwirken. Die schwerwiegenden Gewalttaten aus dem Jahr 2016, die immer wieder feststellbaren - oftmals gewaltorientierten - Widerstandshandlungen bei der Vollstreckung von behördlichen Maßnahmen sowie die szenetypische Affinität zu Waffen belegen ein latentes Gefährdungspotenzial bei "Reichsbürgern" und Selbstverwaltern". 67 Die szenetypische Affinität für Waffen ist ein wesentlicher Parameter für die Bewertung des Gefährdungspotenzials von Personen des Phänomenbereichs "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Vor diesem Hintergrund steht das AfV in einem intensiven Informationsaustausch mit Behörden der allgemeinen Verwaltung, insbesondere mit den für waffenund sprengstoffrechtliche Erlaubnisse zuständigen Behörden, und unterstützt diese bei der Einleitung verwaltungsrechtlicher Maßnahmen. Diese umfassende Zusammenarbeit aller beteiligten Behörden, mit dem Ziel der Versagung oder des Widerrufs waffenbzw. sprengstoffrechtlicher Erlaubnisse, verdeutlicht nochmals das besondere Gefahrenpotenzial durch Personen des Phänomenbereichs "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Im Berichtszeitraum traten Thüringer "Reichsbürger" hoheitlichem Handeln, d. h. dem Vollzug von Zwangsund Vollstreckungsmaßnahmen, verbal und körperlich aggressiv entgegen. In diesem Zusammenhang wurden in der Regel die Straftatbestände Beleidigung, Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte festgestellt. 68 IV. Islamismus 1. Ideologischer Hintergrund 1.1 Islamismus Islamismus stellt eine Form des politischen Extremismus dar, der die Religion des Islam für politische Zwecke missbraucht und ideologisiert. Der Islam als Glaubenslehre ist klar von dieser extremistischen Ideologie abzugrenzen. Sowohl der Glaube als auch die religiöse Praxis sind durch das in Artikel 4 GG verbriefte Recht auf Religionsfreiheit geschützt. In Abgrenzung zum Islam beginnt Islamismus dort, wo religiöse islamische Gebote und Normen als verbindliche politische Handlungsanweisungen einen Ausschließlichkeitsanspruch gegenüber anderen gesellschaftlichen Modellen verlangen. So reklamieren Islamisten für sich, den einzig "wahren Islam" zu vertreten und streben in Deutschland nach einer teilweisen bzw. vollständigen Abschaffung zentraler Kernelemente des Grundgesetzes zugunsten der Verwirklichung einer dogmatisch rigorosen islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung als Gegenentwurf zur westlichen Demokratie. Diese Staatsund Gesellschaftsordnung ist in weiten Teilen nicht mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar. 1.2 Salafismus Der Salafismus verkörpert die einflussreichste Strömung innerhalb des sunnitischen Islamismus. Sie gilt sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene noch immer als die dynamischste islamistische Bewegung. Zum Jahresende 2018 wurden ihr in Deutschland ca. 11.500 Anhänger zugerechnet. Der Salafismus orientiert sich an einer idealisierten muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten und achten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel existiert haben soll. Anhänger dieser Strömung zeigen sich überzeugt, im Koran und in prophetischen Überlieferungen ein genaues Abbild dieser Frühzeit des Islam gefunden zu haben und versuchen, die in diesem Sinne verstandenen Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Sie lassen dabei theologische und sozio-politische Entwicklungen unberücksichtigt, die sich in den vergangenen 1.300 Jahren vollzogen haben. 69 Die Ideologie des Salafismus bildet ein in sich abgeschlossenes Weltbild mit einem exklusiven Erkenntnisanspruch, der einhergeht mit einer Umdeutung klassisch-islamischer Begriffe und Konzepte, teils durch Religionsgelehrte, teils durch Laienprediger. Oftmals ahistorisch und reduktionistisch, d. h. ohne Berücksichtigung des historischen, rechtswissenschaftlichen und geistesgeschichtlichen Kontexts interpretierten sie Begriffe und Konzepte um und reicherten sie mit neuen Bedeutungen entsprechend ihrer salafistischen Lehre an. Salafistische Auffassungen widersprechen in wesentlichen Punkten der freiheitlich demokratischen Grundordnung, allen voran dem Gebot, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, das seinen Einfluss durch Wahlen und Abstimmungen ausübt. Der Kern der salafistischen Ideologie läuft dieser gesetzlich Scharia verankerten Volkssouveränität zuwider, indem Gott als der * nach muslimischem Verständnis gottgegeeinzig legitime Souverän und Gesetzgeber postuliert wird. benes Recht Demzufolge bildet für die Salafisten nicht die Selbstbestim- * keine fixierte Gesetzessammlung, sondern mung des Volkes die Grundlage der staatlichen HerrschaftsMethode der Rechtsfindung ordnung, sondern ausschließlich der Wille Gottes. Verwirklicht * umfassendes System wird dieser durch die uneingeschränkte Anwendung der Schavon Werten und Vorschriften im Koran und ria auf der Basis eines wörtlichen und strengen Verständnisprophetischen Überlieferungen, das von ses von Koran und Sunna. Die Bildung und Ausübung einer Rechtsgelehrten interparlamentarischen Opposition ist in pretiert und angewendet wird diesem politischen System der SaSunna lafisten folglich ebensowenig vorge- * Aussprüche und norsehen wie eine Gewaltenteilung oder mative Handlungsweisen des Propheten die Unabhängigkeit der Gerichte. Muhammad * neben dem Koran die Salafisten lehnen alle Normen ab, zweitwichtigste Quelle die auf menschlicher Rationalität und des islamischen Rechts Logik basieren. Die Implementierung der Scharia geht mit der Einschränkung der Menschenrechte einher. 1.3 Politischer und jihaistischer Salafismus Es wird zwischen dem politischen und dem jihadistischen Salafismus unterschieden. Die Anhänger beider Richtungen eint die Ideologie. Sie unterscheiden sich lediglich in der Option der Gewaltanwendung, um ihre identischen Ziele umzusetzen. 70 Gemein sind ihnen ein Alleinvertretungsanspruch bezüglich einer absoluten göttlichen Wahrheit und die darin wurzelnde Absicht, die deutsche Rechtsordnung und Gesellschaft langfristig entsprechend ihres enggefassten ideologisierten Islamverständnisses komplett umzugestalten. Sie streben nach der Errichtung eines politischen Systems auf der Grundlage ihrer strengen Interpretation der Scharia, mit einem Kalifen als religiösem und politischem Oberhaupt. Der politische Salafismus ist eine breite heterogene Sammlungsbewegung. Anhänger dieser Strömung folgen einer streng puristischen Lebensweise nach dem von ihnen wahrgenommenen Vorbild der islamischen Frühzeit z. T. unter Ablehnung theologischer und realpolitischer Entwicklungen. Hauptkennzeichen des politischen Salafismus ist die systematische Missionierung (Da'wa), mit deren Hilfe die extremistische Ideologie weite Verbreitung findet. Diese Propagandaarbeit erfolgt sowohl virtuell in Form unzähliger salafistischer Auftritte im Internet, auf denen mit Islam-Interessierten über Fragen zur Religion diskutiert und salafistische Literatur verbreitet wird, als auch mittels islamischer Informationsständen, Islamseminaren und Spendenaktionen. Der Übergang zum jihadistischen Salafismus ist angesichts des ambivalenten Verhältnisses politischer Salafisten zur Gewalt als Mittel der Politik fließend. Während die Mehrheit der politischen Salafisten religiös legitimierte Gewalt zur Verteidigung ihres Islamverständnisses nicht prinzipiell ablehnt, vermeidet sie es jedoch, offen zur Anwendung von Gewalt aufzurufen. Jihadistische Salafisten erachten es im Gegensatz dazu für unerlässlich, dass der Geltungsanspruch ihrer Ideologie sowie der Wandel bestehender sozialer und politischer Verhältnisse nach den Vorgaben eines göttlichen Heilsplans mit Gewalt verwirklicht werden müsse. So deuten sie das klassisch islamische Jihad-Konzept, das primär die Überwindung innerer Widerstände im Streben nach einem gottgefälligen Leben und dem untergeordnet ursprünglich eine defensive Form der Kriegsführung verkörpert, in ein revolutionäres Jihad-Konzept um. Damit erklären Jihadisten die Teilnahme am bewaffneten Kampf zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims und rufen zum Kampf gegen vermeintliche Feinde des Islam auf. Als solche verstehen sie all jene, die sich außerhalb ihres eigenen strengen salafistischen Regelwerks bewegen: Atheisten, Polytheisten, Christen, Juden und selbst kritische und weniger puristische Muslime. Anhänger dieser militanten Gewaltideologie wähnen sich in einem Jihad gegen die westliche Zivilisation, in dem sie eine Avantgarde verkörperten, die die Initiative zur Verteidigung des 71 Islam ergreife und eine gewaltsame Ausbreitung des Islam bzw. ihres rigorosen Islamverständnisses anstrebe. 2. Gefährdungsbewertung für die Bundesrepublik Deutschland Die Gefährdungslage in der Bundesrepublik hat sich auf hohem Niveau stabilisiert. Es besteht eine anhaltend hohe abstrakte Gefahr jihadistisch motivierter Gewalttaten durch radikalisierte Einzeltäter und Kleinstgruppen. Jihadistisch motivierte Attentate sind in ihrer Planung und Vorbereitung inzwischen weniger komplex und werden mit leicht zu beschaffenden und einzusetzenden Tatmitteln ausgeführt. Neben Schusswaffen und Unkonventionellen Sprengund Brandvorrichtungen (USBV) kommen ergänzend verstärkt Hiebund Stichwaffen sowie Fahrzeuge als primäre Tatmittel vorzugsweisen an sogenannten weichen und symbolträchtigen Zielen - z. B. öffentliche Großveranstaltungen, stark frequentierte Sehenswürdigkeiten oder Straßen mit hohem Publikumsverkehr - zur Anwendung. Ein besonders hohes Gefahrenpotenzial geht hierbei von jenen Personen aus, die nach den militärischen Niederlagen und massiven Gebietsverlusten des IS von ihrem Aufenthalt in den Jihadgebieten in Syrien und Irak nach Deutschland zurückkehren. Seit 2013 waren mehr als 1.050 Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien/Irak ausgereist. Etwa ein Drittel dieser Personen hält sich inzwischen wieder in Deutschland auf. Eine vergleichbare Zahl an ISSympathisanten, -Unterstützern und -Kämpfern einschließlich deren Angehörige (Ehefrauen, Kinder) befindet sich in Flüchtlingsbzw. Gefangenenlagern vor Ort. Gefährdungspotenzial durch Rückkehrer IS-Rückkehrer verfügen vielfach über Kenntnisse im Umgang mit Waffen, Sprengund Kampfstoffen. Es ist davon auszugehen, dass ihre Hemmschwelle bei der Anwendung von Gewalt angesichts ihrer Erlebnisse in der Krisenregion bzw. eigener Kampferfahrungen niedrig ist. Als potenziell gefährlich gelten zudem indoktrinierte sowie traumatisierte Frauen, Jugendliche und Kinder. Schwer kalkulierbar bleibt, ob Rückkehrer, die sich geläutert zeigen, in jedem Falle dauerhaft von ihrer islamistischen Grundhaltung und einem entsprechend geprägten Umfeld abrücken. 72 In der islamistischen Szene genießen Rückkehrer hohes Ansehen. Ihnen kommt häufig eine Vorbildfunktion zu. Auch deshalb steht zu befürchten, dass sie einer Radikalisierung bislang nicht gewaltorientierter Islamisten Vorschub leisten könnten. Rückkehrer, die sich nachweislich im Jihadgebiet Syrien/Irak aufgehalten haben bzw. mit dieser Zielrichtung ausgereist waren, bedürfen einer intensiven Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden, was mit erheblichen personellen wie materiellen Aufwendungen verbunden ist. Darüber hinaus werden im Rahmen der Strafverfolgung Ermittlungsverfahren - auch in länderübergreifenden Kooperationen - geführt. Oftmals ist der gerichtsfeste Nachweis einer Zugehörigkeit zum IS, des Besuchs eines seiner Ausbildungslager oder einer Beteiligung an vom IS verübten Kriegsverbrechen jedoch schwierig. Lediglich bei einem Bruchteil der Beschuldigten liegen belastbare Erkenntnisse dieser Art vor. Wie bereits in den Vorjahren gingen im Verfassungsschutzverbund zahlreiche unspezifische Gefährdungshinweise zu Anschlagsvorhaben auf Weihnachtsmärkte - wegen ihrer christlichen Symbolik ein besonders prestigeträchtiges Anschlagsziel - und Silvester Großveranstaltungen in Deutschland ein. Zu einem aus Thüringen stammenden Hinweis bezüglich eines potenziellen Anschlags auf einen Weihnachtsmarkt im übrigen Bundesgebiet führte das AfV umfassende Ermittlungen durch. Der Verdacht auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SS 89 a StGB erhärtete sich dabei nicht. Exkurs: Radikalisierung in Haftanstalten Der Anteil Inhaftierter ohne Deutschkenntnisse in deutschen Justizvollzugsanstalten (JVA) ist in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen. Angesichts laufender Terrorismusverfahren gegen Personen, die seit Jahren in der jihadistischen Szene verwurzelt sind, Asylsuchende, die im Verdacht stehen, in vereitelte Anschlagsplanungen involviert zu sein sowie aus den Jihadgebieten zurückgekehrte Islamisten stellt dies eine wachsende Herausforderung dar. Schätzungen zufolge soll bereits heute jeder vierte oder fünfte Inhaftierte muslimischen Glaubens sein, im Jugendvollzug geht man sogar von 50 % aus. 24 Angesichts dieser Entwicklungen erscheint es dringend geboten, die muslimische Gefängnisseelsorge als einen 24 Vgl. Deutschlandfunk Kultur - Interview vom 14. Dezember 2018 mit dem Gefängnisseelsorger Husamuddin Meyer zum Thema Ideologisierung in Gefängnissen "Imame und Seelsorge als Gegenwehr". 73 Pfeiler der Präventionsund Deradikalisierungsmaßnahmen gegen Islamismus in Deutschland auszubauen, um einer potenziellen Radikalisierung in Haftanstalten entgegenzuwirken. Radikalisierung beschreibt im Allgemeinen einen Prozess, der eine Loslösung von bestehenden gesellschaftlichen und ethischen Vorstellungen sowie das Bestreben nach Etablierung neuer politischer Ideen umfasst. Dies bedeutet, dass ein Individuum bzw. eine Gruppe schrittweise extreme politische, soziale oder religiöse Überzeugungen entwickelt und schließlich ein totalitäres Glaubenssystem befürwortet unter Ablehnung pluralistischer Wertvorstellungen. Kennzeichnend ist die Bereitschaft, zur Verwirklichung der eigenen Zielvorstellungen illegitime Mittel, darunter auch Gewalt, anzuwenden. Vor allem Jugendliche, deren Persönlichkeitsentwicklung oft noch nicht abgeschlossen ist, als auch Menschen in Krisensituationen zeigen sich empfänglich für Radikalisierungstendenzen. Radikalisierung unterliegt mehrheitlich einem Zusammenspiel innerer und äußerer Einflussfaktoren und verläuft selten linear nach einem einheitlichen Muster. Vielmehr trägt der Prozess sehr individuelle Züge, die oft durch persönliche Lebensumstände beeinflusst werden. Die Brandmarkung einer Ideologie als Grundursache einer Radikalisierung greift zu kurz, vielmehr zeichnen sich soziopolitische Gründe wie u. a. Diskriminierung und Exklusion von Teilhabe verantwortlich. Daraus wird deutlich, dass einer Radikalisierung nicht selten Perspektivlosigkeit, Stigmatisierung sowie soziale und gesellschaftliche Marginalisierung und daraus erwachsende Wut vorausgehen. Menschen mit diesen Erfahrungen wiederum erscheinen empfänglich für eine Ideologie jedweder Art. Für einen zunächst orientierungslosen Neuzugang in einer Justizvollzugsanstalt sind die ersten Tage entscheidend. Oft schließen sich Neuzugänge in einer JVA Personen aus demselben Kulturkreis an, beeinflusst von der Suche nach Schutz und Gruppenzugehörigkeit. Gibt es in den Haftanstalten keinen Imam, der muslimischen Inhaftierten als Seelsorger und Ansprechpartner in religiösen Angelegenheiten zur Seite steht, übernehmen i.d.R. Inhaftierte diese Rolle. Mitunter treten zweifelhafte Mitgefangene als selbsternannte Imame auf, die sich die psychische Instabilität, fehlendes Selbstwertgefühl und die Suche von Mitgefangenen nach einem Sinn ihres Daseins und Vergebung ihrer Sünden zu Nutze machen. Charismatische Radikalisierer setzen auf das fehlende religiöse Vorwissen ihrer Anhänger und entfachen bei ihnen über manipulative Agitation eine unbändige Angst vor der drohenden Hölle. Dieser, so machen sie glauben, können die Anhänger nicht über Reue und Frömmigkeit entkommen, sondern einzig der Märtyrertod sühne ihre Sünden. Hier gilt es, mit geeigneten staatlichen Maßnahmen frühzeitig gegenzusteuern. 74 3. Lagebild Thüringen 3.1 Islamismus in Thüringen Islamistische Gruppierungen mit formalen Organisationstrukturen haben sich in Thüringen bislang kaum etabliert. Vielmehr agieren lose Netzwerke oder Einzelpersonen, die salafistische Aktivitäten entfalten. Das Potenzial dieser losen Anhängerschaft bewegt sich im Freistaat zwischen ca. 170 und 180 Islamisten (2017: 200). Davon sind ca. 130 Personen (2017: 160) der Strömung des Salafismus zuzurechnen. Die übrigen 40 bis 50 Personen stehen islamistischen Gruppierungen wie der "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" (INS), den legalistischen Gruppierungen "Tablighi Jama'at" (TJ) und der "Muslimbruderschaft" (MB) sowie der schiitischen "Hizb Allah" nahe. 3.2 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen Die Zahl der Thüringer Moscheevereine bewegte sich auch 2018 im unteren zweistelligen Bereich. Die Vereine betätigen sich überwiegend im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Einige werden auch von islamistisch geprägten Besuchern zur Verrichtung des freitäglichen Pflichtgebets angelaufen, ohne dass sie die Geschicke des Vereins maßgeblich bestimmen. Einzelne Einrichtungen sind hingegen als islamistisch beeinflusst zu bewerten . Sie können als einschlägige Kontaktstellen, mögliche Orte der Radikalisierung als auch zum Zwecke der Rekrutierung für islamistische Netzwerke in Betracht kommen. Mitunter bestehen auch (internationale) Kennverhältnisse zu Personen aus dem jihadistischen Spektrum. Im Fokus des AfV stehen nicht Moscheevereine und Gebetsräume, sondern einzelne relevante Personen/Personengruppen, die islamistischen Gruppen zugerechnet werden. Vereinsaktivitäten mit Bezügen zur "Muslimbruderschaft" (MB) Ende 2017 kam es im Südwestthüringer Raum zu einer Vereinsgründung, die aufgrund persönlicher Beziehungen beteiligter Personen Bezüge zur MB aufwies. Im Laufe des Berichtzeitraums veranstaltete der Verein öffentliche Aktivitäten, welche mäßigen Zuspruch erhielten. Eine offene Verbreitung der Ideologie der MB konnte hierbei nicht festgestellt werden. Im dritten Quartal des Berichtszeitraumes kam es zur Vereinsauflösung. Eine Nachfolgeorganisation ist seither nicht bekannt geworden. 75 3.3 Salafismus in Thüringen 3.3.1 Salafistisches Personenpotenzial Der Salafismus bildet analog dem Bundestrend die einflussreichste Strömung des islamistischen Spektrums in Thüringen. Von dem ca. 130 Personen umfassenden Anhängerpotenzial weisen 98 % einen Migrationshintergrund auf. Bezüglich der Altersstruktur überwiegt die Gruppe der Über-36-Jährigen mit 53 %, gefolgt von der Gruppe der 26bis 36-Jährigen mit 30 %. Das Schlusslicht bildet die Gruppe der 16bis 25-Jährigen mit 16 %. Diese Zahlen verdeutlichen, dass es sich beim Salafismus in Thüringen inzwischen nicht mehr um ein Jugendphänomen und Ausdruck einer Jugendkultur handelt. Offenbar findet diese Ideologie bei Teilen der seit Jahren in Thüringen lebenden Migranten nachhaltig Anklang. Die strikte Bewahrung der teils identitätstiftenden Traditionen ihrer Herkunfstländer bzw. ihrer Vorfahren scheint als alleinige Orientierungshilfe in einem von ihnen dauerhaft als fremd wahrgenommen gesellschaftlichen Umfeld zu dienen. Der Anteil von Salafisten mit Gewaltbezug hat sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich auf 18,4 % erhöht. Der Anstieg um knapp 9 % geht sowohl auf Erkenntnisse über Körperverletzungsdelikte als auch auf Sympathiebekundungen syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge für den Kampf islamistischer Gruppierungen gegen das Assad-Regime sowie Kampferfahrungen einzelner Asylsuchender bei den "Taliban" und der "al-Shabaab-Miliz" zurück. Hinweise mit Bezügen zum islamistischen Terrorismus Zum Jahresende bewegte sich das Aufkommen an zu prüfenden Hinweisen mit Terrorismusbezug im unteren dreistelligen Bereich. Es handelte sich dabei in der Regel um personenbezogene Hinweise zu mutmaßlichen aktiven und ehemaligen Kämpfern, Unterstützern und Sympathisanten terroristischer Organisationen im Sinne der SSSS 129a und 129b StGB wie IS, "Jabhat Fatah al-Sham" (ehemals "al-Nusra-Front"), "Lashkar-e Taiba", den "Taliban" und der "al-Shabaab-Miliz" unter Geflüchteten. Der Eingang an Neumeldungen sank im Vergleich 76 zum Vorjahr um ein Drittel, maßgeblich bedingt durch den bundesweiten Rückgang bei Asylanträgen. Der Bearbeitungsschwerpunkt lag bei der Aufklärung von Bezügen zum IS, zu den "Taliban" und der "al-Shabaab-Miliz". Bezüglich der beiden letztgenannten Gruppierungen gaben mehrheitlich unter-26jährige Asylsuchende in ihren Erstanhörungen gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auffallend häufig an, vor ihrer Flucht von den jeweiligen Organisationen zwangsrekrutiert worden zu sein. Hintergrund für diese Einlassungen könnte u. a. sein, dass sich Personen aus Staaten mit einer tendenziell schlechten Bleibeperspektive wie Afghanistan oder Somalia bisweilen nie begangene Straftaten selbst anlasten, in der Hoffnung, in Deutschland ein Bleiberecht zu erwirken. So kommt im Einzelfall eine vorübergehende Schutzgewährung nach dem Auftenthaltsgesetz in Betracht, wenn Asylsuchenden im Herkunftsland politische Verfolgung oder völkerrechtswidrige Strafen wie Folter und die Todesstrafe für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung drohen. Diese Selbstbezichtigungen ziehen mitunter langwierige Ermittlungen nach sich, die nicht selten eingestellt werden, weil der in ausländischen Krisenregionen gegebenenfalls erfolgte Straftatbestand nicht hinreichend geklärt werden kann. Im Berichtszeitraum war ein Rückgang von Hinweisen mit möglichem "Taliban"Bezug feststellbar. Das Aufkommen verschob sich insgesamt stärker auf etwaige Verbindungen zur "alShabaab-Miliz". Es bleibt zu vermuten, dass behördliche Ermittlungen und bereits erfolgte Abschiebungen von islamistischen Gefährdern nach Afghanistan abschreckende Wirkung entfaltet haben könnten und deshalb die in der Vergangenheit insbesondere von minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen vorgebrachten Selbstbezichtigungen mit "Taliban"-Bezug zurückgingen. 77 Hinweisaufkommen islamistischer Terrorismus im Jahresvergleich 2017 2018 In Konsequenz auf die territoriale Zerschlagung und die erlittenen militärischen Niederlagen des IS in Syrien und zuvor bereits im Irak ebbte die Migrationsbewegungen nach Europa, Deutschland und Thüringen ab. Davon unbenommen darf eine zumindest potenzielle Radikalisierungsgefahr bei all jenen Asylsuchenden mit unsicherer bzw. abgelehnter Bleibeperspektive nicht aus dem Blick geraten. Analysen der Sicherheitsbehörden und Erfahrungen von in der Prävention tätigen zivilgesellschaftlichen Trägern legen den Schluss nahe, dass eine Radikalisierung Geflüchteter nicht selten erst nach der Ankunft in Deutschland erfolgte und mitunter auf eine gefühlte Entwurzelung oder auch enttäuschte Hoffnungen zurückgeht. Daher ist eine angemessene Präventionsarbeit erforderlich, um etwaigen Radikalisierungstendenzen frühestmöglich entgegenzuwirken. 78 3.3.2 Staatliche Maßnahmen Durchsuchung im Verein "Haus des Orients e. V." in Weimar Am 5. September durchsuchten Beamte des Thüringer Landeskriminalamtes (TLKA) die Räumlichkeiten des Vereins "Haus des Orients e. V." in Weimar. Die Maßnahmen erfolgten wegen des Verdachts der Zuwiderhandlungen gegen Verbote nach dem Vereinsgesetz, da der Verein auf seiner Internetseite ein Video mit dem Logo der verbotenen salafistischen Organisation "Die Wahre Religion" (DWR) verbreitete. Am 15. November 2016 verkündete der Bundesinnenminister das Verbot gegen DWR alias "LIES! Stiftung"/ "Stiftung LIES!" einschließlich aller untergeordneten Teilorganisationen und Aktivitäten. Das Verbot erstreckt sich ebenso auf die Kennzeichen der Vereinigung DWR und deren Teilorganisationen für die Dauer der Vollziehbarkeit öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Tonoder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind. DWR richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Sie vertrat eine Ideologie, die die verfassungsmäßige Ordnung ersatzlos verdrängte, befürwortete den bewaffneten Jihad und stellte ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungsund Sammelbecken für jihadistische Islamisten und jene Personen dar, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien und in den Irak ausreisen wollten. In einer Erklärung, welche auf der Internetseite des Verein "Haus des Orients e.V." veröffentlicht wurde, nahm der Vereinsvorsitzende Stellung zu den Durchsuchungsmaßnahmen des TLKA sowie zum Grund der polizeilichen Ermittlungen. Er gab an, das Video mit dem Symbol der verbotenen Organisation DWR versehentlich auf der Webseite verlinkt zu haben. Er distanziere sich von salafistischem Gedankengut und entsprechenden Organisationen. Gleiches gelte für den von ihm geleiteten Moscheeverein. 79 Verurteilung wegen Verbreitung islamistischen Gedankenguts Im Januar 2019 fand der Strafprozess vor dem Landgericht Gera gegen einen aus Afghanistan stammenden Asylsuchenden seinen vorläufigen Abschluss 25, in dem dieser zu neun Monaten Haft, ausgesetzt zur Bewährung von zwei Jahren, verurteilt wurde. Ihm wurden die Verbreitung einer antisemitischen Hassbotschaft (2018) sowie Werbung für die Terrormiliz IS (2017) zur Last gelegt. Mit diesen Vergehen machte sich der Verurteilte nach der Entscheidung des Gerichts der Volksverhetzung und des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz 26 schuldig. Der Betroffene bestritt die Tatvorwürfe, räumte die Internet-Posts jedoch ein, wobei er sie als religiöse Botschaften verteidigte. Der Betroffene war den Sicherheitsbehörden bereits im Jahr 2016 durch mehrere Hinweise zu seinem islamistisch-missionarischen Verhalten bekannt geworden. 25 Das Urteil hatte bis zum Redaktionsschluss keine Rechtskraft erlangt. 26 Der IS unterliegt in Deutschland seit dem 12. September 2014 einem Betätigungsverbot gem. SS 3 Abs. 1 i. V. m. SS 15 Abs. 1 und SS 18 Satz 2 VereinsG. 80 V. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 1. Hintergrund Ausländerextremismus ist ein Sammelbegriff für Aktivitäten von heterogenen extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen außerhalb des Islamismus, die überwiegend aus politischen, sozialen oder ethnischen Konflikten in den jeweiligen Herkunftsländern hervorgegangen sind. Ausländerextremistische Bestrebungen zielen auf mitunter gewaltsame Veränderungen der Verhältnisse in den Herkunftsländern ab, wobei Deutschland überwiegend als sicherer Rückzugsraum genutzt wird. Diese Aktivitäten können die innere Sicherheit bzw. das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährden, z.T. verstoßen sie auch gegen das Prinzip der Völkerverständigung. Vor diesem Hintergrund steht auch die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die in Deutschland seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt ist, im Fokus der Verfassungsschutzbehörden. Sie bildet in Thüringen unter den ausländerextremistischen Gruppierungen den Bearbeitungsschwerpunkt. 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung 1978 in der Türkei als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), weitere Bezeichnungen im Zuge von Umbenennungen: "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Betätigungsverbot Verbotsverfügung vom 22. November 1993 Diese gilt auch für sämtliche o. g. Nachfolgeorganisationen. Aufgrund der strukturellen Gleichheit zur Ursprungsorganisation wird von den Sicherheitsbehörden weiterhin die Bezeichnung PKK verwandt. Leitung Abdullah ÖCALAN 81 Publikationen u. a. "SERXWEBUN" ("Unabhängigkeit"), monatlich; "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), täglich Mitglieder/Anhänger (Bund) 2018 ca. 14.500 2017 ca. 14.500 2016 ca. 14.000 Teilgebiet Erfurt 2018 ca. 150 2017 ca. 150 2016 ca. 100 bis 150 2.1 Überblick, allgemeine Lage Der seit 1999 inhaftierte Parteigründer Abdullah ÖCALAN steht weiterhin formal an der Spitze der Organisation. Er wird von ihren Anhängern nach wie vor als Symbolfigur verehrt. Einzig das Anliegen der Partei erfuhr in der Vergangenheit eine Neujustierung. Statt des früher geführten Guerillakriegs zur Verwirklichung eines autonomen Kurdenstaates setzt sich die Organisation für die Anerkennung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei ein. Dabei bedient sich die PKK weiterhin einer Doppelstrategie. Um ein friedliches Erscheinungsbild gegenüber der westeuropäischen Öffentlichkeit bemüht, werben ihre Anhänger bei Kundgebungen oder anlassbezogenen Gedenkund Kulturveranstaltungen vordergründig um politische Anerkennung ihrer Interessen. Zugleich unterhält sie in der Türkei und der nordirakischen Grenzregion bewaffnete "Volksverteidigungskräfte" (HPG), um ihre Ziele auch mit militärischer Gewalt zu erreichen. 27 Neben den fest im Jahresverlauf verankerten Veranstaltungen (z. B. Demonstration zum Jahrestag der Festnahme ÖCALANs am 15. Februar, Newroz-Fest im März, Kurdistanfestival im September) setzten sich die Aktivitäten von PKK-Anhängern, die einen Zusammenhang zur Heimatregion bzw. zum PKK-Führer ÖCALAN aufweisen, im Berichtszeitraum fort. Am 20. Januar begann unter dem Namen "Operation Olivenzweig" eine türkische Militäroffensive auf die Region Afrin. Afrin ist neben Kobane und Cizire einer von drei Kantonen im nordsyrischen Kurdengebiet, die von der PKK-Schwesterorganisation "Partei der Demokrati27 Nachdem der Europäische Rat im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem vorrangigen Ziel der EU erklärte, ist die PKK seit 2002 auf der in diesem Zusammenhang eingerichteten sog. EUTerrorliste notiert. Dort können Personen, Vereinigungen und Körperschaften erfasst werden, wenn eine zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaats über Beweise oder schlüssige Indizien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Konsequenz der Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtiger Personen und Organisationen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschied 2018, dass die Listung der PKK im Zeitraum 2014 bis 2017 mangels einer ausreichenden Begründung rechtswidrig war. Konkrete Auswirkungen hat das Urteil allerdings nicht, da es für 2018 eine neue Durchführungsverordnung des Rates der Europäischen Union zur sog. EU-Terrorliste gibt, in der die PKK aufgeführt ist und die durch das Urteil nicht infrage gestellt wird. 82 schen Union" (PYD) und deren militärischen Arm, den "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) dominiert werden. Als Teil von "Rojava" 28 kommt Afrin bei der Realisierung der von der PKK betriebenen kurdischen Autonomie in Nordsyrien besondere Symbolkraft zu. Die sich aufgrund der Militäroffensive verschärfende Entwicklung in der Heimatregion bzw. in "Rojava" führte auch in Deutschland zu zahlreichen Solidaritätsveranstaltungen seitens der PKK. Bundesweit fanden in diesem Zusammenhang zahlreiche Demonstrationen mit bis zu 2.000 Teilnehmern statt, bei denen auch verbotene Symbole der PKK gezeigt wurden. Darüber hinaus kam es außerhalb Thüringens zu mehreren Sachbeschädigungen an türkischen Einrichtungen. Der am 27. Januar vom Dachverband PKK-naher Vereine "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland" (NAV-DEM) aus Protest gegen die Offensive veranstalteten Großdemonstration in Köln schlossen sich etwa 13.000 Personen an. Die Versammlung wurde von der Polizei aufgelöst, da Demonstrationsteilnehmer wiederholt zahlreiche Fahnen mit verbotenen Symbolen der PKK gezeigt hatten. "Newroz heißt Widerstand - der Widerstand heißt Afrin" lautete das Motto der zentralen Großkundgebung zum traditionellen kurdischen Neujahrsfest "Newroz" am 17. März in Hannover. Etwa 11.000 Teilnehmer waren vor Ort. Zudem wurde am 24. März ein "Welt-AfrinTag" ausgerufen. Im August intensivierten Anhänger der PKK ihre Aktivitäten in Bezug auf das Schicksal des in der Türkei inhaftierten Parteigründers Abdullah Öcalan, welche bis zum Jahresende anhielten. Die Forderung nach "Freiheit für Öcalan" bzw. Aufhebung seiner "Isolationshaft" - blieb zentrales Element der PKK-Aktivitäten in Deutschland. Im Dezember wurde die Forderung nach Aufhebung der "Isolationshaft" durch Hungerstreikaktionen von PKK-Anhängern deutschlandund europaweit untermauert. 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen Die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (kurdisch "Civata Demokratik a Kurdistan" - CDK) 29 bestimmt die politischen Aktivitäten der PKK in Europa. 28 Kurdische Bezeichnung für "Demokratische Föderation Nordsyrien", auch "Westkurdistan" genannt. 29 Der vormals als "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) bezeichnete politische Arm der PKK war 1993 ebenfalls mit einem Betätigungsverbot belegt worden. 83 In der Bundesrepublik Deutschland besteht die hierarchische Struktur der PKK aus neun Regionen mit 31 Gebieten, die sich wiederum in "Teilgebiete" untergliedern. Das "Teilgebiet Erfurt" stellt die einzige in Thüringen etablierte Struktur der PKK dar. Es ist dem "Gebiet Kassel" organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum Erfurt auch Weimar und Teile Nord-, Westsowie Südwestthüringens. Ein von der Partei bestimmter Teilgebietsleiter ist u. a. für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, die Verteilung und den Verkauf von Propagandamaterial sowie die Spendensammlungen verantwortlich. Die PKK-Anhängerschaft im "Teilgebiet Erfurt" umfasste 2018 ca. 150 Personen (2017: 150). Die umzusetzenden Vorgaben und Anordnungen der CDK-Leitung werden durch die Gebietsund Teilgebietsleiter zur Basis transportiert. Diese ist vornehmlich in kurdischen Kulturvereinen organisiert. In Deutschland existieren ca. 46 solcher Vereine, die dem Dachverband "Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Deutschland e.V." (NAVDEM) angeschlossen sind. 2.3 Finanzierung Die PKK nutzt verschiedene Finanzierungsquellen, u. a. Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungseinnahmen und den Publikationsverkauf. Den weitaus größten Einnahmenanteil erzielt sie während der alljährlich unter den Anhängern in Europa durchgeführten Spendenkampagne. Allein in Deutschland wurden anlässlich der jeweiligen Jahresspendenkampagne mehrere Millionen Euro gesammelt. Sonderspendenkampagnen zu aktuellen Themen sollen zusätzliche Spendenbereitschaft generieren. Die eingenommenen Gelder dienen vorrangig der Finanzierung der Guerillaeinheiten und dem Unterhalt der umfangreichen PKK-Strukturen. Darüber hinaus werden PKK-Großveranstaltungen damit finanziert. 2.4 Propaganda und Themenschwerpunkte Die PKK-Gliederungen in Deutschland sind weiterhin bestrebt, mit diversen Veranstaltungen und Aktionen sowie unter Einbindung anderer politischer Akteure das öffentliche Meinungsbild in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Berichtszeitraum dominierten bundesweit die Themenschwerpunkte "Freiheit für Öcalan" und die Situation der Kurden im Irak und in Syrien. In den vergangenen Jahren spiegelten sich die bundesweiten Themenschwerpunkte auch bei Veranstaltungen in Thüringen wider, den Aktivitätsschwerpunkt bildete dabei Erfurt. 84 Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Gera kam es am 6. März zu polizeilichen Durchsuchungen an vier Wohnund zwei Vereinsobjekten in Erfurt sowie einer Wohn-/Geschäftsadresse in Schalkau (Landkreis Sonneberg). In Erfurt waren u. a. die Räume des Vereins "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Thüringen e. V." betroffen. Bei den Beschuldigten soll es sich um Mitglieder des Vereins handeln. Gegen sie besteht der Verdacht des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. 30 Seit den Exekutivmaßnahmen im März 2018 sind keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen des Vereins mehr bekannt geworden. 3. Bewertung Die Aktionsbeispiele verdeutlichen, dass die PKK noch immer kurzfristig auf Ereignisse im Ausland zu reagieren vermag und bundesweit ihre Anhänger für Proteste mobilisieren kann. Auch die regelmäßig von der PKK besetzten Themen anlässlich organisationsbezogener Jahresoder Gedenktage sowie Kulturveranstaltungen haben grundsätzlich nicht an Zugkraft verloren. Im Jahr 2018 waren bei einigen Großveranstaltungen allerdings stark rückläufige Teilnehmerzahlen festzustellen. Gründe dafür könnten behördliche Auflagen hinsichtlich der Austragungsorte und die nachdrückliche Durchsetzung des Kennzeichenverbots gewesen sein, aufgrund dessen es in der Vergangenheit zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstrationsteilnehmern gekommen ist. Der Gesundheitszustand des Organisationsgründers und die Forderung nach seiner Freilassung sind nach wie vor zentrale, vor allem auch emotionalisierende Elemente der Kundgebungen. Organisationsübergreifende Kooperationen u. a. mit der linksextremistischen Szene finden mitunter Ausdruck in Massenkundgebungen. Im Berichtszeitraum waren bundesweit vermehrt Sachbeschädigungen auf türkische Einrichtungen und Ausschreitungen im Nachgang von Demonstrationen oder Veranstaltungen zwischen PKK-Anhängern und Polizeibeamten aufgrund der türkischen Militäroffensive in Syrien und der verstärkten Durchsetzung des PKK-Kennzeichenverbotes durch deutsche Behörden festzustellen. Vergleichbares bei Demonstrationen der PKK-Anhänger und Unterstützer in Thüringen blieb bei den wenigen Veranstaltungen im Berichtszeitraum aus. 30 Zuwiderhandlungen gegen das PKK-Betätigungsverbot. 85 VI. Linksextremismus 1. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Links weist die Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) 31 folgende Zahlen aus: Straftaten 2016 2017 2018 Insgesamt 442 434 310 davon u. a.: Gewaltkriminalität 52 25 30 Sachbeschädigungen 181 326 189 Verstöße gegen das 92 24 19 Versammlungsgesetz Im Jahr 2018 entfielen mit 310 von 1.798 in Thüringen insgesamt erfassten politisch motivierten Straftaten 17,2 % auf den Phänomenbereich "Links". Im Vergleich zum Vorjahr ist bei Betrachtung der absoluten Deliktszahlen eine Minderung um 124 Fälle zu konstatieren. Dies entspricht einem Rückgang von 28,6 % Bei Betrachtung der einzelnen Deliktqualitäten ist bei den Gewaltstraftaten mit 30 Delikten ein Anstieg um 5 Delikte im Vergleich zum Vorjahr festzustellen. Die Zahl der Sachbeschädigungen weist mit 189 Delikten im Berichtszeitraum einen deutlichen Rückgang auf und erreicht damit fast das Niveau von 2016. Bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz ist mit 19 Straftaten im Jahr 2018 ein erneuter Rückgang zu verzeichnen. Zusammenfassend war im Berichtszeitraum im Phänomenbereich der PMK-Links eine sinkende Anzahl von Straftaten festzustellen. Regionale Schwerpunkte waren den polizeilichen Statistiken zufolge der Raum Jena, Suhl und Nordhausen. Dies dürfte im Phänomenbereich der PMK-Links insbesondere auf Aktivitäten, die ein Aufeinandertreffen der politischen Gegner und deren Konfrontation mit den Sicherheitskräften begünstigten, zurückzuführen sein. Eine zunehmende Zahl von Gewaltdelikten im Phänomenbereich "Links" richte sich gegen Einsatzbeamte der Polizei. Dies hänge nicht nur mit dem Kontrolldruck der Polizei zusammen, sondern zeige, "dass es an vielen Stellen der Gesellschaft an Respekt gegenüber Einsatzkräften mangelt." 31 Siehe Fn. 4 Abschnitt II. 86 2. Überblick und Schwerpunktsetzung Aufgrund der unmittelbaren und deutlich höheren Gefahren für die innere Sicherheit und der daraus resultierenden Gefährdung für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland liegt der Schwerpunkt bei der Beobachtung der linksextremistischen Szene bundesweit auf dem gewaltorientierten Linksextremismus. Dies trifft ebenso auf Thüringen und das hier aktive linksextremistische Spektrum zu. Dieses ist sowohl in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt und als auch in Thüringen breit gefächert und folgt verschiedenen ideologischen Positionen. Gemeinsam ist allen Spielarten des Linksextremismus das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Ihre - wie unterschiedlich auch immer gearteten - Bestrebungen richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Gewaltorientierte Aktivitäten verlangen dabei jedoch eine sofortige und unmittelbare Intervention. Die in Thüringen vertretenen linksextremistischen Parteien, Organisationen und sonstigen Personenzusammenschlüsse sind Teil der bundesweit bestehenden linksextremistischen Strukturen bzw. Szene, ohne dass alle bundesweit existierenden Gruppierungen ein entsprechendes Pendant in Thüringen hätten. Das gewaltorientierte linksextremistische Spektrum wird zu einem wesentlichen Teil von den Autonomen gebildet. Sie verüben auch das Gros der einschlägigen Gewalttaten. Gewaltorientierung gehört zu den identitätsstiftenden Merkmalen dieser Linksextremisten. Sie äußert sich in Varianten und Stufen verschiedener Intensität als Befürwortung von Gewalt oder Werbung für Gewalt, in Form von konkreten Unterstützungshandlungen oder auch als unmittelbare Gewaltausübung und -tätigkeit. Auf die - im Bundesvergleich wenigen - Thüringer Linksextremisten entfällt ein entsprechend geringer Anteil der Strafund Gewalttaten. Die Thüringer Szene ist jedoch überregional sehr gut vernetzt und in bundesweite Zusammenhänge eingebunden. Nicht (unmittelbar) gewaltorientierte Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln zunächst innerhalb der bestehenden Rechtsordnung und werden daher auch als legalistisches Spektrum bezeichnet. Gegenüber den gewaltorientierten Linksextremisten scheint dieses weiter an Bedeutung zu verlieren. Gleichwohl ist es durchaus in der Lage, neue wie langjährige Anhänger politisch und ideologisch so auszubilden und zu festigen, dass damit perspektivisch auch eine tragfähige Basis für potenzielle Gewalt87 taten geschaffen werden kann. Dem legalistischen Spektrum gehören zum Beispiel die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) an. 3. Ideologischer Hintergrund Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Es schließt Anhänger der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Insbesondere die Werke von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Stalin und Mao Tse-tung stellen die Grundlagen der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebäude dar. Anarchistische Vorstellungen folgen ebenfalls verschiedenen Theoretikern wie Bakunin, Kropotkin. Linksextremisten wollen im Ergebnis entweder einen marxistischleninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. 4. Das linksextremistische Personenpotenzial Bundesweit überwiegt bei summarischer Betrachtung das Potenzial der nicht gewaltorientierten legalistischen Linksextremisten. Es umfasste im Berichtszeitraum etwa 24.000 Mitglieder. Hinzu kamen jeweils ca. 9.000 Personen, die der gewaltorientierten linksextremistischen Szene zugerechnet wurden. Hierzu zählten auch etwa 7.400 Autonome. Geschätzte Mitgliederbzw. Anhängerpotenziale Thüringen Bund 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Gewaltorientierte Linksextremisten, 8.500 9.000 9.000 davon: Autonome 130 130 130 6.800 7.000 7.400 Anarchisten 32 10 10 10 800 800 800 32 Hierunter fällt auch die in geringem Umfang in Thüringen vertretene "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Ihr Aktionsschwerpunkt beschränkte sich seit 2015 überwiegend auf Jena, was 2017 die Umbenen88 Thüringen Bund 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Linksextremistische 65 60 70 4.800 4.800 5.650 33 Parteien Rote Hilfe e. V. 140 140 140 8.000 8.300 9.200 Maßgebliche Gruppen des autonomen Spektrums in Thüringen blieben bestehen. Regionale Schwerpunkte existieren weiterhin in Jena und Weimar, ebenso hält die Fokussierung auf das Betätigungsfeld "Antifaschismus" an. Die in diesem Zusammenhang durchgeführten Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen der "rechten" bzw. rechtsextremistischen Szene bzw. deren Strukturen. Dabei suchten Autonome durchaus die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und der Polizei. "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Linksextremisten versuchen den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus zu nutzen, um von Demokraten als Partner akzeptiert zu werden. Im linksextremistischen Sinn ist "Antifaschismus" mehr als das Engagement gegen Rechtsextremismus. Er steht hier für eine Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, bei dem jedes Mittel recht ist. Den in Thüringen vertretenen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen gelang es im Berichtszeitraum teilweise durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen zu werden. 5. Autonome - gewaltorientierte Linksextremisten 5.1 Allgemeines Die Entstehungsgeschichte der autonomen Bewegung reicht in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, in denen die radikalen und militanten Teile der Studentenbewegung zerfielen. Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 1970er Jahre aktiv. Heute agieren sie vor allem in größeren Städten. Schwerpunkte bilden Ballungsräume wie Berlin, nung in "FAU Jena" nach sich zog. Ein seither existierendes Ladenlokal wird auch vom "Anarchistisches Schwarzes Kreuz Jena" (ASKJ) genutzt. Das ASKJ war im Berichtszeitraum auch mit Vortragsveranstaltungen u. a. zur Repression "um und nach G20" und zum Verbot von "linksunten.indymedia" präsent. 33 Die Zahlenangaben beziehen sich auf die organisatorisch in Thüringen vertretenen Parteien "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). Maßgebliche Aktivitäten der DKP wurden im Berichtszeitraum nicht festgestellt. Jedoch gelang es der in diesem Spektrum isolierten MLPD ihre politischen Anliegen in der Öffentlichkeit darzustellen. 89 Hamburg, das Rhein-Main-Gebiet und Leipzig oder auch Universitätsstädte. Der gewaltorientierten autonomen Szene waren 2018 bundesweit etwa 7.400 Anhänger zuzurechnen. Damit verzeichnete die weitaus größte Personengruppe des gewaltorientierten deutschen Linksextremismus erneut einen Zuwachs. Bestrebungen, verschiedene Strömungen des Linksextremismus zusammenzuführen, hielten ebenso an wie das Bemühen durch eine Entgrenzung zwischen Extremisten und Nichtextremisten eine Anschlussfähigkeit an die demokratische Mehrheitsgesellschaft herzustellen. Als ein maßgeblicher Akteur trat dabei erneut die "Interventionistische Linke" (IL) in Erscheinung. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet ihre paradoxe Devise. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus, anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, sozialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Versatzstücken. Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung der Gesellschaft. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Aus ihrer Selbstsicht heraus nehmen sie Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Angriffe auf Personen meint man regelmäßig damit rechtfertigen zu können, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese Bezeichnung wird dabei zum Teil willkürlich verwendet, ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum rechtsextremistischen Spektrum gegeben haben muss. Letztlich dient sie nur als Staffage, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. Gewalttätige Aktionsformen werden taktisch eingesetzt. Dabei spielen Überlegungen zur Haltung möglicher Bündnispartner ebenso eine Rolle wie Stärke und Vorgehensweise eingesetzter Polizeikräfte oder des politischen Gegners. Gelegentlich kommt es jedoch auch zu Gewaltausbrüchen zwischen Angehörigen des linksund rechtsextremistischen Spektrums, die jeweils "Vergeltungsaktionen" nach sich ziehen können. Die von Autonomen angestrebte Veränderung zielt auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. Daher sind Autonome als Linksextremisten im Sinne der Definition zu bewerten. 90 Die szeneinterne - oft auch konspirativ abgeschottete - Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung elektronischer Medien. Die Szene betreibt oder nutzt eine Vielzahl von Homepages und Portalen. In den letzten Jahren hatte das linksextremistische Internetportal "linksunten.indymedia" zunehmend an Bedeutung gewonnen und sich zu einem zentralen Angebot für die Szene insgesamt entwickelt. Sein Verbot im Jahr 2017 und die noch nicht abgeschlossene juristische Aufarbeitung beschäftigen die Szene daher weiterhin, zumal ein gleichrangiges zentrales Ersatzangebot nach wie vor fehlt. Zumindest teilweise wurde auf "indymedia.org" ausgewichen. Darüber hinaus dienen diverse Szeneblätter, die z. T. konspirativ verbreitet werden, als Informationsquellen. Zur Werbung von Nachwuchs für die meist jugendliche, vielfältige und starker Fluktuation unterworfene Szene bieten sich Konzerte, verschiedene Angebote in Szeneobjekten, Veranstaltungen zu relevanten Themen wie insbesondere "Antifaschismus" und die Möglichkeiten universitärer Einrichtungen an. Kampagnenfähige Themen Wie auch andere Linksextremisten engagieren sich Autonome in verschiedensten gesellschaftlichen Konfliktfeldern und sind bemüht, ihre grundsätzliche Systemkritik dort über den sachbezogenen Protest hinaus in den öffentlichen Diskurs einfließen zulassen. So versuchen sie Bündnispartner zu gewinnen und ihre extremistischen Ziele zu verfolgen. Im Berichtszeitraum bestimmten folgende Themen die Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: "Antifaschismus", "Antirassismus", "Antikapitalismus", "Antiglobalisierung", "Antirepression", "Antigentrifizierung", "Klimaund Umweltschutz". Gewaltpotenzial Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und Einsatzkräften der Polizei. Ein Ausdruck der anhaltenden Gewaltorientierung von Linksextremisten und der grundsätzlichen Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt auch durch Autonome ist das Fehlen einer 91 eindeutigen und unmissverständlichen Distanzierung von linksterroristischen Gruppierungen, sei es die "Rote Armee Fraktion" (RAF), die bereits 1999 ihre Auflösung erklärte und deren Straftaten auch wegen der anhaltenden Solidarisierung mit ihr noch immer nicht restlos aufgeklärt werden konnten, oder seien es ausländische "Befreiungsbewegungen" und "Widerstandskämpfe". Anhaltspunkte, die auf eine Existenz linksterroristischer Strukturen schließen lassen konnten, bestanden im Jahr 2018 nicht. Derartige Entwicklung bereits im Ansatz zu erkennen, bleibt jedoch eine beständige Aufgabe und Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. (De)-Zentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der autonomen Szene. Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der traditionellen Autonomen. Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie lehnt Hierarchien und Führungsstrukturen ab. Autonome agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen. Um die wegen des niedrigen Organisationsniveaus begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, gibt es immer wieder Versuche, übergreifende Organisationsformen und Strukturen zu schaffen. Mehrere bundesweite Zusammenschlüsse und Bündnisprojekte spiegeln die Dynamik und Widersprüchlichkeit im bundesweiten linksextremistischen Spektrum wider. Eines dieser Projekte ist die 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppierungen und Aktivisten gegründete IL. Als eine Art "Scharnier" zu nicht gewaltorientierten Linksextremisten und auch nicht extremistischen Gruppierungen lehnt sie Gewalt nicht grundsätzlich ab. Ihr Ziel ist die Zusammenführung von (links)extremistischen Akteuren unterschiedlicher ideologischer Prägung und auch Nichtextremisten, um eine erhöhte Handlungsfähigkeit - Interventionsmöglichkeit - zu erlangen. Die IL zielt dabei letztlich auf eine Überwindung des "Kapitalismus" durch einen revolutionären Umsturz ab. Organisationsstrukturen der IL in Thüringen bestehen nicht. Aber auch Thüringer Gruppierungen weisen kontinuierlich Verbindungen zur IL auf. So werden wesentliche Themen der IL auch in Thüringen aufgegriffen. In Jena z. B. erfolgte die thematische und organisatorische Verbindung zu den "Klimakämpfen" durch die Gruppierung PEKARI 34, die die Gründung einer dortigen Ortsgruppe von "Ende Gelände" bekannt gab. In der gleichna34 PEKARI rekrutiert "Nachwuchs für die radikale Linke in Jena". Die Gruppe ist im linksextremistischen Spektrum auch über Thüringen hinaus gut vernetzt. Sie wird der linksextremistischen (post)autonomen Szene zugerechnet. 92 migen bundesweiten, linksextremistisch beeinflussten Kampagne zum "Kampf für Klimaschutz" spielt die IL eine führende Rolle. 5.2 Die autonome Szene in Thüringen Das Anhängerpotenzial der gewaltorientierten autonomen Szene Thüringens umfasste im Berichtszeitraum ca. 130 Personen. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung beimaß, gelang es ihr, einen auch überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren. Regionale Schwerpunkte befinden sich in Jena und Weimar. Szenetypische Anlaufstellen sind "Infoläden" in Arnstadt, Erfurt, Jena und Gotha. Über verschiedene Veranstaltungen versuchte die linksextremistische autonome Szene offenbar im jugendlichen Spektrum Sympathisanten und neue Mitstreiter zu gewinnen. Autonome Gruppen aus Thüringen nutzen das Internet und E-Mail-Verbindungen, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten veröffentlichen sie zum Teil umfangreiche Rechercheberichte über den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften oder Audiostreams mit Informationen zum "rechten" Spektrum werden auf diesem Wege verbreitet. Zudem wird die Möglichkeit, Nachrichten zu verschlüsseln genutzt bzw. regelmäßig angeboten. Der Schwerpunkt öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten lag im Berichtszeitraum vor allem in Jena, einer Region mit einer personell relativ starken und aktiven autonomen Szene. Inhaltlich dominierte das Themengebiet "Antifaschismus". Im Aktionsfeld "Antigentrifizierung" kam der "Freiraumthematik" weiterhin Bedeutung zu, auch hier insbesondere in Jena als einer überdurchschnittlich teuren Wohngegend. Zudem nahm das Thema "Antirepression" im Berichtszeitraum Raum ein. Einen Nachklang in Thüringen fanden hier im Berichtszeitraum die vor allem bundesweit bedeutenden Komplexe zur Strafverfolgung und Aufarbeitung der G20Proteste im Juli 2017 in Hamburg und jene zu juristischen Folgen des Verbotes der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia". Das auch für Linksextremisten relevante Themenfeld "Umweltund Klimaschutz" hat erheblich an Bedeutung gewonnen. So haben sich z. B. an den Protesten im Hambacher Forst (Nordrhein-Westfalen) auch Linksextremisten aus Thüringen beteiligt. Die Aktionen der autonomen Szene reichten von der Mobilisierung für die von breiten, nichtextremistischen Bündnissen organisierten Proteste gegen rechtsextremistische Veranstaltungen und die gewaltfreie Beteiligung daran bis hin zu gezielten Blockadeaktionen sowie Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums, aber auch gegen Ein93 satzkräfte der Polizei. Aus Szenesicht gelungene Gegenaktionen, die z. B. die Umleitung eines rechtsextremistischen Aufzugs, die Verzögerung oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich machten, wertet sie als äußerst positiv. Entsprechend kritisch berichtet sie im Nachgang über Ereignisse und - insbesondere polizeiliche - Maßnahmen, die sie am Erreichen ihrer Ziele gehindert haben. Gleichwohl gelang es ihren Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen. Standen Autonome diesen taktisch motivierten Kooperationen stets skeptisch gegenüber, distanzieren sie sich mitunter deutlich von den ihren Idealen widerstrebenden Zweckbündnissen. Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten meist im Vorfeld zu Blockadeund Störaktionen aufgerufen. Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner, um den "Naziaufmarsch mit allen Mitteln" zu verhindern. Mitunter missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2018 zu Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. Persönliche Kontakte von Thüringer Autonomen insbesondere auch in bundesweite Szenehochburgen wie Leipzig, Berlin und Hamburg, Mobilisierungen für überregionale Veranstaltungen und Proteste, Verlinkungen, Vernetzungsbemühungen und Beteiligung an Aktivitäten im Bundesgebiet belegen eine enge Einbindung und bundesweite Verflechtung der Thüringer autonomen Szene. Im Berichtszeitraum beteiligten sich Thüringer Autonome an Aktionen in anderen, insbesondere angrenzenden Bundesländern wie Sachsen und Sachsen-Anhalt, aber auch in Hamburg. Auftritte linksextremistischer Bands aus anderen Bundesländern in Thüringen, z. T. in Szeneobjekten, aber auch in nichtextremistischen Lokalitäten wie z. B. Jugendclubs oder gar im Rahmen kommerzieller Konzerttouren vor zahlreichen Zuhörern belegen zum einen überregionale Kontakte und Verflechtungen innerhalb der linksextremistischen Szene, die auch auf diese Weise gepflegt und gestärkt werden, zum anderen jedoch die mitunter fehlende Abgrenzung der demokratischen Mehrheitsgesellschaft zu extremistischen Akteuren. 94 Thüringer Linkextremisten begehen den 1. Jahrestag der Proteste gegen den G20-Gipfel am 7./8. Juli 2017 in Hamburg Der erste Jahrestag der von schweren Krawallen begleiteten Proteste war insbesondere in Hamburg Anlass für Veranstaltungen von linksextremistischen Gruppen, wie ein "Massencornern - ein Jahr nach G20 in Hamburg", oder eine Fotoausstellung "Repression und Widerstand nach G20 Protesten". Aufrufe zu dezentralen Aktionen ergingen bundesweit. Es fanden Resonanzaktionen, Sachbeschädigungen, Brandanschläge und Soli-Bekundungen anlässlich von Exekutivmaßnahmen gegen gewalttätige Protestteilnehmer statt. In Jena fand am 5. Juli die Vorführung eines Films "HAMBURGER GITTER - Der G20-Gipfel als Schaufenster moderner Polizeiarbeit" statt. Für die Veranstaltung wurde durch PEKARI und durch das regionale Medienprojekt "Wumm" 35 mobilisiert: "Pünktlich zum Einjährigen der Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg freuen wir uns in Jena den Dokumentarfilm "Hamburger Gitter" [...] zeigen zu können. Ein Film über Protest, Justiz, Sicherheit und Ordnung - und die Methoden eines Staates, der im Juli letzten Jahres sein ganzes Arsenal zu Schau trug." Auch eine zweite Veranstaltung zum Jubiläum wurde beworben. Auf dem auch von Linksextremisten genutzten, regionalen "was tun?"-Kalender und auf der Website "Wumm" war für ein "Cornern 1 Jahr nach #No G20" am 6. Juli mobilisiert worden: "Ein Jahr nach #NoG20 wollen wir uns diesem gesellschaftlichen Rechtsund Repressionsdruck entgegenstellen. Wir wollen mit euch gemeinsam im Paradiespark ein Massencornern veranstalten. Es wird Musik geben, Redebeiträge, Filmvorführungen ..." Die Veranstaltung sah sich dabei als Alternative für alle, die nicht nach Hamburg reisen können. Sie verlief mit etwa 40 Teilnehmern störungsfrei. Cornern, das Zusammenkommen und gemeinsame Biertrinken an der Straßenecke, das Treffen jugendlicher Musiker in der New Yorker Bronx in den 70-er Jahren, war schon im Vorfeld der G20-Proteste wiederentdeckt worden. Mit lauter Musik und Präsenz auf Straßen und Plätzen wurde "Cornern" hier jedoch als "Massencornern" im Rahmen der G20-Proteste als Form des politischen Protestes genutzt. Es erlaubt ein auch kurzfristiges Zusammenkommen größerer Menschenansammlungen in der Öffentlichkeit. Eine Regulierung des Ver35 "Wumm, emanzipatorische Meldungen aus Jena und Region", ist eigenem Bekunden nach eine "kleines Medienprojekt für Jena und Region", das weiterentwickelt werden solle. Es sammele über die entsprechenden Blogs Artikel diverser Gruppen und verfüge über ein Openposting-Angebot. Erste Beiträge erschienen im Juli 2018. Die Idee hätte es "schon vor dem Verbot von "Linksunten.indymedia" gegeben. Die Ereignisse hätten gezeigt, "dass es vielfältige dezentrale Medienarbeit für eine funktionierende Gegenöffentlichkeit" brauche. Das Medienprojekt ist den Autorenangaben zufolge umfassend in der regionalen linksextremistischen Szene vernetzt. 95 anstaltungsablaufs im Rahmen des Versammlungsrechtes - wie sonst für Veranstaltungen in der Öffentlichkeit üblich - entfällt hier bzw. wird so umgangen. 5.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis Sachbeschädigungen und Recherche Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherchebis zu sog. Outing-Aktionen. Linksextremisten setzen mit "Outing"-Aktionen darauf, mutmaßliche oder tatsächliche politische Gegner als Rechtsextremisten z. B. durch Internetdarstellungen, Flugblattaktionen im Wohnoder Arbeitsumfeld öffentlich zu machen und so über deren politische Ausrichtung "aufzuklären" sowie diese nach Möglichkeiten in ihrem privaten Umfeld und sozial zu isolieren. "Outing"-Aktionen führen mitunter zu weiteren Straftaten. Insoweit sind verbale Attacken, Sachbeschädigungen (an Haus oder Auto des Betroffenen) oder aber auch (körperliche) Übergriffe nicht auszuschließen und werden seitens der Täter begrüßt und gefördert. Ziel ist es, ein Bedrohungsszenario gegenüber der geouteten Person aufzubauen. So wurden bei einer "Outing"-Aktion vom 28./29. März zwei Personen als "Neonazis aus dem Weimarer Land geoutet". Am 27. April bekannte sich eine "Antifa" auf dem bundesweit von Linksextremisten genutzten Internetportal "indymedia" zur "Outing"-Aktion an einem mutmaßlichen Neonazi aus Weimar. Es wurden Namen, Anschrift, Arbeitsstelle, Fotos und Aktivitäten aus den vergangenen Jahre aufgelistet. Auf ein neues "Rechercheportal" für Jena und den Saale-Holzland-Kreis wies die Jenaer linksextremistische Gruppe "PEKARI" hin. Erste "Outing"-Aktionen erfolgten am 2. November und 1. Dezember. So hieß es dort unter der Überschrift "NAZI-SCHLÄGER BEIM NAMEN NENNEN!": "Lange ist nichts passiert in Sachen Antifa-Recherche in Jena. In den kommenden Wochen werden wir an dieser Stelle anfangen, Jenaer Nazis zu outen, die in den letzten Jahren durch Übergriffe aufgefallen sind. Mit der Veröffentlichung ihrer Namen, Fotos, Netzwerke und üblicher Aufenthaltsorte in Jena sollen ihnen die Räume streitig gemacht werden, aus denen heraus sie sich während ihrer brutalen Übergriffe scheinbar sicher fühlten." Um Übermittlung von relevanten Infos wurde gebeten. Die anonym agierenden Mitglieder der "Recherchegruppe", erreichbar allein per verschlüsselter Mail, stellen sich selbst unter das Label der "Antifaschistischen Aktion". Ihrem Selbstverständnis zufolge sei es ihr Ziel, Wissen 96 über Einzelpersonen und organisierte Strukturen der Naziszene allgemein zugänglich zu machen. Auch "andere Menschenfeinde [...], die trotz ihrer patriarchalen Gewalttätigkeit, als rassistische Schreibtischtäter_ innen oder als Uniformierte bislang Anonymität genossen, sollen öffentlich werden. "Was dann mit den Rechercheergebnissen passiert, liegt nicht mehr in unserer Hand." Regelmäßig kommt es zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene oder an Immobilien, die mit ihr in Verbindung gebracht werden bzw. deren Nähe zu dieser - mitunter auch fälschlicherweise - angenommen wird. Auch private Anwesen und Kraftfahrzeuge von "politischen Gegnern" stehen stellvertretend für diese im besonderen Fokus der gewaltorientierter Linksextremisten. Graffiti wie "Nazis auf's Maul", "Nazis raus", "ANTIFA FCK NZS", Farbanschläge, Buttersäure-Angriffe u. Ä., mitunter ergänzt durch wohlwollende und lobende Kommentare auf Szeneseiten oder auch Selbstbekennungen, sind keine Seltenheit. Auch im Berichtszeitraum gab es zahlreiche Vorfälle dieser Art an Polizeibüros in Jena, einer NPD-Geschäftsstelle, Parteibüros der AfD. Am 25./26. Oktober wurden in Weimar großflächig auf mehrere Objekte die Slogans "A.C.A.B.", "Antifa-Area" und "Antifa heißt Angriff" gesprüht. Der Sachschaden beträgt allein in diesem Fall ca. 10.000 Euro. Das von der Ehefrau eines bekannten Rechtsextremisten genutzte Fahrzeug wurde am 2. Dezember in Langenwetzendorf (Lkr. Greiz) von einem oder mehreren unbekannten Tätern beschädigt, während sie mit ihren Kindern einen Weihnachtsmarkt besuchte. Es wurden die Scheibenwischer abgerissen und Schäden an einem Seitenspiegel und der Frontscheibe verursacht. Durch den offensichtlich gezielten Angriff auf dieses Fahrzeug entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 1.500 Euro. In Zusammenhang mit der Kommunalwahl am 26. Mai waren zudem szenetypische Sachbeschädigungen an Wahlplakaten "politischer Gegner" thüringenweit festzustellen. In Jena wurde an Fahrzeugen von Kandidaten der Parteien AfD und CDU am 16./17. April durch Unbekannte der Auspuff mit Bauschaum verklebt. Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft Autonome sehen in der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen Auslöser für "faschistische" Tendenzen. Ihrer Meinung nach förderten "staatlicher Rassismus" und die "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" auch in der Bevölke97 rung die Entwicklung "rechter" Tendenzen. Die Kritik und die Aktionen des autonomen Spektrums richten sich deshalb auch gegen die Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang distanzieren sich Autonome von den Aktivitäten demokratischer Bündnisse, schließen sich deren Veranstaltungen, insbesondere solchen gegen Rechtsextremismus, aber auch immer wieder an. Dies geschieht einerseits in der Annahme, über szenetypische Slogans und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren zu können, andererseits, um die etwaige behördliche Untersagung des selbst organisierten Protests zu umgehen. Als Ausdruck ihrer Eigenständigkeit sind Abgrenzungsversuche üblich. So rufen Autonome zur Beteiligung an "antifaschistischen" oder "antikapitalistischen" Blöcken innerhalb von Demonstrationen auf. Linksextremisten an Protesten gegen Demonstration der rechtsextremistische Partei "Der III. Weg" am 17. Februar in Nordhausen beteiligt An den demokratisch initiierten Protestversammlungen u. a. unter dem Motto "Töne der Toleranz" beteiligten sich insgesamt etwa 300 Personen, darunter auch Linksextremisten. Teilnehmer der Versammlung störten mehrfach die Kundgebung von "Der III. Weg" durch Sitzblockaden. Zur polizeilichen Absicherung der Veranstaltungen mussten weitere Einsatzkräfte angefordert werden. Eine größere, koordiniert agierende Personengruppe verhielt sich aggressiv. Es kam zu Straßenblockaden und Provokationen gegen Polizeibeamte. Ein Polizeibeamter erlitt leichte Verletzungen. Von 14 versammlungstypischen Strafanzeigen betrafen 11 Gegendemonstranten, u. a. wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung. Sieben Personen wurden vorläufig festgenommen. In einem vorbereiteten Depot waren zudem Latten und Knüppel aufgefunden worden. Bereits in den frühen Morgenstunden war es zu Sachbeschädigungen in der Stadt gekommen. Es wurden thematisch einschlägige Plakate, Aufkleber und Graffiti auf Hausfassaden und der Straße angebracht. Flyer und Sticker verkündeten: "Nazis raus" "Antifa Aktion", "Nazi sein heißt Probleme kriegen", "I hate Nazis", "Beißt Nazis", "Antifaschismus ist Handarbeit", "Hauptsache es knallt". Für die Proteste war im linksextremistischen Spektrum nur verhalten mobilisiert worden, z. B. vom "Infoladen Sabotnik" in Erfurt. Auch eine sog. Mobi-Veranstaltung fand in Erfurt statt. Zudem wurde unter der Überschrift "Die haben Lichter, wir haben Bengalos" zum Protest aufgerufen. Das "Autonome Antifaschistische Komitee Nordhausen" (AAKNH) rief via Internet dazu auf, "den faschistischen und geschichtsrevisionistischen Mob nicht unwiderspro98 chen durch die Straßen marschieren zu lassen!" Ein "Ermittlungsausschuss" 36 wurde angekündigt. Abschließend hieß es: "Lasst uns alle zusammen den Nazis den Tag versauen! Kein Fußbreit den Faschisten! Antifa bleibt Landarbeit! Deutsche Täter sind keine Opfer !!!" In einer Nachbetrachtung der Proteste durch den "Infoladen Sabotnik" wird von "Kleingruppen" und erfolgreichen Blockadeversuchen berichtet: "[...] und so gelang es, mehrfach die Route zu blockieren. Die Versammlungsbehörde und die Polizei waren jedoch gewillt, die Nazis um jeden Preis laufen zu lassen. So leiteten sie den Marsch sogar über eine Bundesstraße oder trugen und pfefferten Antifas von der Straße." Linksextremisten an Protesten gegen Demonstration der rechtsextremistische NPD am 1. Mai in Erfurt beteiligt In Erfurt protestierten am 1. Mai ca. 1.500 Personen, darunter auch Linksextremisten, gegen einen Aufzug der NPD. Gegendemonstranten versuchten mehrfach, in die Aufzugsstrecke des politischen Gegners vorzudringen und diese zu blockieren. Dabei wurde auch ein Transparent "Antikapitalismus bleibt antifaschistisch. Keinen Meter den Nazis. Für eine solidarische Gesellschaft" mit dem Symbol der "Antifaschistischen Aktion" mitgeführt. Vier Polizeibeamte sowie ein Gegendemonstrant wurden leicht verletzt. Insgesamt ergingen 17 Strafanzeigen, u. a. wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Gegen 18 Personen wurden Platzverweise ausgesprochen. Im Vorfeld der Proteste kam es zu szenetypischen Straftaten, zwei versuchten Brandstiftungen an Polizeifahrzeugen und einer großflächigen Sachbeschädigung mit teerhaltiger Farbe am Gebäude der "Deutschen Bank", bei der ein Schaden in Höhe von ca. 4.000 Euro entstand. 37 Die Täter blieben mit einer Ausnahme unbekannt. Ein Zusammenhang zu den Protesten ist trotz fehlender Selbstbezichtigungen anzunehmen. Linksextremisten, u. a. PEKARI aus Jena, hatten zu gewalttätigen Protesten gegen den rechtsextremistischen Aufmarsch aufgerufen. Unter dem Motto "Work together! Naziaufmarsch sabotieren!" fanden Informationsveranstaltungen in Erfurt und Jena statt. Unter Ver36 Ein "Ermittlungsausschuss" ist ein unentgeltliches Rechtshilfeangebot, oft anlässlich von Demonstrationen und Aktionen, das von der Telefonbetreuung, der Organisation von Anwälten bis hin zur Betreuung bei Festnahmen oder in U-Haft reicht. Zum Teil handelt es sich um temporäre Einrichtungen, deren telefonische Erreichbarkeit kurzfristig bekanntgegeben wird, zum Teil sind es dauerhafte, fest etablierte Einrichtungen, mitunter begleitet von Sprechstundenangeboten. 37 Bereits im Jahr 2016 war es durch Unbekannte in Erfurt am 1. September zu einem Anschlag auf die PaxBank mit einem Schaden zwischen 30.000 und 35.000 Euro gekommen. Auch damals fand eine teerartige Substanz Verwendung. 99 weis auf "erfolgreiche Proteste am 1. Mai 2010" 38 wurde dafür geworben, "sich den rechten Versammlungen entgegenzustellen." Beteiligungen von Linksextremisten an Protestvorbereitung gegen "Rock gegen Überfremdung III" am 25. August in Mattstedt Gegen die rechtsextremistische Musikveranstaltung, die am 25. August in Mattstedt (Lkr. Weimarer Land) stattfinden sollte, formierte sich ein breiter aus dem demokratischen Spektrum getragener Protest, an dessen Vorbereitung sich auch Linksextremisten beteiligten. Die rechtsextremistische Veranstaltung fand letztlich nicht statt. Bei den planmäßig und unter Beteiligung von Linksextremisten durchgeführten Protesten wurden Fahnen mit dem Symbol der "Antifaschistischen Aktion" gezeigt. Mitglieder der MLPD und ihrer Jugendorganisation "REBELL" waren vor Ort. Der Thüringer Parteivorsitzende hielt einen Redebeitrag. Die Partei unterhielt einen Informationsstand. Im Zuge der Protestvorbereitung führte die der Weimarer autonomen Szene zuzuordnende Gruppierung reACT23 aus: "Wir müssen damit beginnen und weitermachen, Nazis klaren Widerstand zu geben. [...] Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir sie bekämpfen und die gesellschaftlichen Bedingungen angehen, die es ermöglichen, dass autoritäre und neonazistische Ideen wieder aufkeimen." Kurzfristig hatte auch "Black Kitchen" 39 zur Teilnahme an den "vielfältigen Protesten" aufgerufen und eine SoKü 40 mit "All Crepes Are Beautiful 41 Stand" angekündigt. Die "Antifa Gruppen Südthüringen (AGST)" distanzierten sich explizit vom demokratischen Protest in Mattstedt, nachdem sich ein Organisator der Proteste in einem Zeitungsinterview hinsichtlich einer linksextremistischen Beteiligung deutlich abgegrenzt hatte: "man werde dort Linksextremisten nicht dulden" Die so "Ausgeladenen" wurden durch die AGST stattdessen zum Protest am 1. September in Leinefelde gegen den sog. Eichsfeldtag willkommen geheißen: "Wir freuen uns über jeden Antifaschisten auf unserer Demonstration und laden hiermit alle, die sich in Mattstedt ausgeladen fühlen, zu uns ein." Es wird betont: "Wir lassen uns nicht spalten." 38 Aufgrund massiver Gegenproteste hätte die damalige NPD-Kundgebung kurzfristig eine Ausweichroute nutzen sollen, was die Versammlungsleitung ablehnte und den Aufzug in der Folge für beendet erklärte. 39 "Black Kitchen" beschreibt sich selbst als "Aktionskochkollektiv" mit dem Ziel, "eine vegane Essensversorgung für radikale und emanzipatorische Kämpfe zu stellen." Das Kollektiv setze sich u. a. aus "radikalen Linken" und "AnarchistInnen" zusammen. Man koche nicht für "reformistische Kackscheiße oder reaktionäre Arschlöcher". In der Eigendarstellung heißt es weiter: "Wir wollen kein Stück von eurem Kuchen - wir haben selbst eine Bäckerei! See us on the streets!" Bei den Protesten gegen den G7-Gipfel 2015 in Elmau (Bayern) trat "Black Kitchen" erstmals in Erscheinung. 40 Übliche Abkürzung für "Solidarische Küche". 41 Steht für die Abkürzung A.C.A.B (All Cops Are Bastards). 100 Im Nachgang brachten Unbekannte in der Nacht vom 1. auf den 2. September Graffiti mit Autonomiesymbolen auf einem zuvor aufgebrochenen Wohnwagen auf dem Veranstaltungsgelände an. Gewalt als Aktionsmittel Autonomer Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Aus ihrer kruden Selbstsicht heraus nehmen sie Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Angriffe auf Personen meint man regelmäßig damit rechtfertigen zu können, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese Bezeichnung wird dabei zum Teil willkürlich verwendet, ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum rechtsextremistischen Spektrum gegeben haben muss. Letztlich dient sie nur als Staffage, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. So wurde eine Person mittleren Alters, die ein Shirt der Marke "Thor-Steinar" trug, in den frühen Abendstunden des 19. September in Bad Blankenburg (Lkr. Saalfeld-Rudolstadt) Opfer einer gefährlichen Körperverletzung. Bei der Prügelattacke durch zwei Unbekannte erlitt der vermeintliche "Nazi" schwere Verletzungen, u. a. einen Jochbeinbruch. Während des brutalen Übergriffs riefen die Täter "Thor Steinar!", schlugen und traten gegen Kopf und Körper des Geschädigten, auch als dieser bereits am Boden lag. Sie rissen ihm das Shirt vom Körper und warfen es zusammen mit seinen Schuhen in einen nahe gelegenen Fluss. Das auch von Rechtsextremisten getragene Modelabel "Thor Steinar" hat für Linksextremisten "symbolischen Reiz". Eine mutmaßlich linksextremistische Handschrift trägt ein Überfall auf Gäste des "FliederVolkshauses" 42 am 18./19. August in Eisenach. Im Anschluss an einen im Internet beworbenen Vortragsund Liederabend, der in der bekannten NPD-Immobilie einen "Erlebnisbericht aus erster Hand" von der NS-Front versprach, wurden in den Nachtstunden drei Teilnehmer der Veranstaltung auf ihrem Nachhauseweg von einer zahlenmäßig deutlich überlegenen Gruppe Maskierter mit Pfefferspray und Schlagstöcken auf offener Straße angegriffen und zusammengeschlagen. Zwei der vermeintlichen "Nazis" erlitten hierbei schwere, einer leichte Verletzungen. Es kam zu Fingerund Rippenbrüchen. Die Täter flohen unerkannt. 43 42 Siehe Abschnitt II, Kapitel 5.1. 43 Die Ermittlungen wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung dauerten zum Redaktionsschluss an. 101 5.4 Das Aktionsfeld "Antigentrifizierung" Autonome nutzen das Thema "Gentrifizierung", um eigene Interessen - die Schaffung und den Erhalt von "Freiräumen" (z. B. besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte) - in einen breiteren gesellschaftlichen Rahmen und dort bestehende soziale Fragen einzubringen. Das Streben nach derartigen von "kapitalistischer Verwertungslogik" und staatlichem Zugriff freien Objekten reicht bis in die Anfangstage der Autonomen zurück. Entsprechend hoch ist der Stellenwert einzelner, noch verbliebener Szeneobjekte. Auf den drohenden Verlust reagiert die Szene daher meist äußerst aggressiv. Der Kampf um "Freiräume" ist Vorstufe und Teil des Kampfes um eine herrschaftsfreie klassenlose Gesellschaft, ein Leben ohne fremde Zwänge und Vorgaben, nach eigenen Regeln. Im Zusammenhang damit unterstützten auch Thüringer Linksextremisten regelmäßig Hausbesetzungen und von Räumung bedrohte "Freiräume". So kam es am 17. Dezember im Raum Nordhausen zu mehreren Plakataktionen, die sich mit dem von Räumung bedrohten Szeneobjekt "Hasi" 44 in Halle (Sachsen-Anhalt) solidarisierten. An Brücken fanden sich Transparente mit einschlägigen Aufschriften wie "GENTRIFIZIERUNG STOPPEN HASI BLEIBT". Es wurden Forderungen, alternative Freiräume zu erkämpfen bzw. zu verteidigen erhoben und nebulös formuliert: "Jede Räumung hat ihren Preis". Für das seinerzeit "umkämpfte" Szeneobjekt war zeitnah ein weiterer Räumungstermin angekündigt worden. Insbesondere in der thüringischen Universitätsstadt Jena ist das Themenfeld "Antigentrifizierung" bzw. "Freiraum" regelmäßig präsent. So wurde hier bereits in der Vergangenheit im Zusammenhang mit diversen Hausbesetzungen die Forderung nach einem "Autonomen Zentrum" nicht "zur Selbstbespaßung, nicht als staatlich genehmigte ,Soziokultur', sondern als Ausgangspunkt, als Stützpunkt für die Organisierung der Auseinandersetzungen um die befreite Gesellschaft" gestellt. In Jena fand am 23. Oktober ein Prozess wegen Hausfriedensbruch und Nötigung gegen zwei Personen statt, die am 17. Oktober 2016 an einer Hausbesetzung in Jena, Carl-ZeissStr. 10, beteiligt waren. 45 An einer Solidaritätskundgebung unter dem Motto "Hausbesitz, nicht Hausbesetzung ist das Verbrechen!" beteiligten sich ca. 20 Personen. Für die Kundgebung vor dem Gebäude und zu einer "solidarischen Begleitung des Prozesses im Amtsgericht" war in geringem Umfang mobilisiert worden. Nach einem Bericht von "wolja" hätte man seinerzeit das Haus besetzt, "um gegen die ungerechte Eigentumsordnung in un44 Das ab Januar 2016 besetzte Haus war mit einem "nichtkommerziellen, selbstorganisierten, soziokulturellen Zentrum" zunächst legalisiert; nach Auslaufen des Nutzungsvertrages und einsetzenden Räumungsmaßnahmen zogen die Bewohner noch im Dezember freiwillig in ein Ersatzobjekt. 45 Am 17. Oktober 2016 hatten mehrere Personen in Jena ein leerstehendes, im Eigentum der Ernst-AbbeStiftung befindliches Haus besetzt und trotz Aufforderung nicht verlassen. 102 serer Gesellschaft zu protestieren und um ein soziales Zentrum für verschiedene Bewegungen in unsrer Stadt zu erkämpfen." Auch wenn die Strategie der "Repressionsorgane" nicht aufgegangen sei46, sei offen, ob es nun heiße "Nach der Besetzung ist vor Besetzung". Der der autonomen Szene Jenas nahestehenden Blog "wolja" hatte sich bereits im Vorjahr zu "bedrohten Freiräumen" in Jena geäußert, u. a. zu dem "seit neun Jahren bestehenden alternativen Hausprojekt am Inselplatz", das der "Aufwertung des Universitätsstandortes Jena" weiche. Die im Berichtszeitraum begonnene Beräumung wurde von Protesten unter Beteiligung von Linksextremisten begleitet. Der angesichts steigender Mieten notwendige "Kampf gegen Verdrängung und Entmietung", und für unkommerzielle Kulturprojekte und selbstverwaltete Räume erfordere aus Szenesicht "eine grundlegend andere Stadtund Wohnraumpolitik". So gab z. B. eine Immobilienmesse am 10. März in Jena Anlass für Proteste von etwa 100 Personen unter dem Motto "Jena für Alle. Stoppt den Ausverkauf der Stadt!". Sie fanden unter Beteiligung linksextremistischer Akteure statt. Zu den Protesten vor dem Veranstaltungsort hatte die linksextremistische autonome Szene aufgerufen. Es gab zudem offene Infound Vorbereitungstreffen. Da Demonstrationen "für eine neue, nicht profit-orientierte Stadtund Wohnungspolitik" jedoch nicht ausreichen würden und es notwendig sei, "den Protest im Alltag zu verankern", wurde zu diesem Zweck seit Juni ein monatlicher "Miettreff" in einem Jenaer Szeneobjekt angeboten. In Rahmen einer Festwoche vom 6. bis 12. August zur Eröffnung eines "Sozio-kulturelle[n] Zentrum[s]" in Jena beteiligte sich die Gruppe PEKARI mit drei Veranstaltungen, u. a. einem Workshop "Recht auf Stadt". Sie begrüßte das Projekt: "Wir freuen uns mit Allen, die für ein selbstbestimmtes Leben kämpfen, über diesen neuen vielfältig dafür nutzbaren Raum!" Für die Festwoche war in der regionalen Szene mobilisiert worden: "Freiräume. Soziale Zentren. Stadt für Alle? Unter dem Slogan ,Recht auf Stadt' kämpfen wir für Bleiberecht, Selbstbestimmung und die Vergesellschaftung von Wohnraum." Zudem beteiligte sich PEKARI an einer universitären Veranstaltungsreihe mit einem Vortrag "Mietest du noch, oder kämpfst du schon?" zur Frage von "Handlungsmöglichkeiten und Protestformen gegen den aktuellen Mietenwahnsinn". 46 Der Prozess endete mit Freispruch hinsichtlich des Nötigungsvorwurfs sowie Verfahrenseinstellung wegen fehlender Vollmachten. 103 6. Sonstige linksextremistische Organisationen 6.1 "Rote Hilfe e. V." (RH) Bund Thüringen Gründung 1975 Sitz Göttingen Jena, Erfurt, Arnstadt Mitglieder 2018 ca. 9.200 140 2017 ca. 8.300 140 2016 ca. 8.000 140 Publikationen "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich) - Internet eigener Internetauftritt eigene Internetauftritte der örtlichen Gliederungen Die von Linksextremisten unterschiedlicher Ausrichtung getragene RH definiert sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem gesamten "linken" und linksextremistischen Spektrum politisch und materiell unterstützt. Sofern die in der Satzung genannten Zwecke der RH erfüllt sind, erhalten von juristischen Verfahren Betroffene und rechtskräftig Verurteilte auf Antrag eine den vereinseigenen Regelungen entsprechende Kostenerstattung. Als Voraussetzung dafür müssen ein Tatgeständnis und jegliche Kooperation mit Sicherheitsbehörden unterbleiben, z. B. im Rahmen einer Aussage oder einer Distanzierung von den vorgeworfenen Taten. Andernfalls wird die Erstattung gekürzt oder in Gänze abgelehnt. Die Zuwendungen richten sich auch an militante Linksextremisten. Die RH selbst betont, "keine karitative Einrichtung" zu sein. Die Unterstützung für die Einzelnen sei zugleich ein "Beitrag zur Stärkung der Bewegung". Der durch exemplarische Strafverfolgung Einzelner bezweckten Abschreckung stellt die RH explizit "das Prinzip der Solidarität entgegen und ermutigt damit zum [W]eiterkämpfen." Zudem soll grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden und eine daraus resultierende Aufklärung von Straftaten unterbunden werden. Sowohl durch ihr Wirken als "Gefangenhilfsorganisation" als auch durch die gezielte Meinungsbildung und -beeinflussung in der Öffentlichkeit - durch Publikationen, Veranstaltungen, Kampagnen - diskreditiert die Organisation den demokratischen Rechtsstaat als "Willkürregime", behindert staatliches Handeln und versucht letztlich szenestabilisierend und -stärkend zu wirken. Ohne selbst gewalttätig zu agieren, befürwortet und unterstützt sie so die Gewaltanwendung durch Szeneangehörige. 104 Die RH organisiert Informationsund Diskussionsveranstaltungen zu den Themenfeldern "Rechtshilfe" und "staatliche Repression". Sie versteht das Handeln von Polizei, Justiz und Strafvollzug als politisch motiviert, es diene zur Herrschaftssicherung der Machthabenden. Sie lehnt das staatliche Gewaltmonopol ab. Die der Bekämpfung des Terrorismus dienenden Anti-Terror-Gesetze deutet die RH als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr gelten" würden. Vielmehr dienten sie dazu, jegliche "Politische Aktivität gegen die herrschenden Zustände unmöglich" und durch "ausgeübte oder angedrohte Gewalt [...] Menschen gefügig zu machen". Diesem Verständnis entsprechend solidarisiert sie sich wiederholt auch mit gesuchten und "von staatlicher Repression betroffenen" ehemaligen RAF-Terroristen. Sie würdigte unkritisch und distanzlos den 40. Jahrestag des "Deutschen Herbst" 47 auch mit Texten der RAF zur "Wiederaneignung der Geschichte des Kampfes gegen Repressionsapparat, Zwangsanstalten und Knast". Ungebrochene Sympathie und Unterstützung gelten auch terroristischen Organisationen oder unter Terrorverdacht stehenden Organisationen im Ausland bzw. deren Repräsentanten. Im Berichtszeitraum berichtete sie unter dem Titel "No Justice - No Peace: erinnern, gedenken, kämpfen" zum 20. Todestag von "Andrea Wolf, eine(r) Internationalistin in Kurdistan", die 1998 bei ihrem Kampfeinsatz für die PKK in den kurdischen Bergen getötet wurde. 48 Die Hilfsangebote der RH sind nicht an ein zuvor gewaltfreies Handeln der von Strafverfolgung betroffenen oder bereits verurteilten Personen geknüpft. Auch in Thüringen wurden in der Vergangenheit Fälle der institutionellen Übernahme von Geldstrafen durch die RH bekannt. Die RH ist die mitgliederstärkste Organisation im Bereich des Linksextremismus und weist seit Jahren einen beständigen Zuwachs an Mitgliedern auf. Die Organisation gliederte sich im Jahr 2018 bundesweit in ca. 50 Ortsbzw. Regionalgruppen. In Thüringen existieren Ortsgruppen in Jena und Erfurt sowie eine Regionalgruppe in Südthüringen. Zum wiederholten Male fand die laut Satzung alle zwei Jahre durchzuführende Bundesdelegiertenversammlung der RH in Thüringen statt, vom 14. bis 16. September in Straußberg (Kyffhäuserkreis). 47 Als "Deutscher Herbst" wird die von den Anschlägen der RAF geprägte Zeit September und Oktober 1977 mit der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer, der Entführung des Lufthansa-Flugzeugs Landshut und den Selbstmorden der inhaftierten Führungsriege der ersten RAF-Generation bezeichnet. Er gilt als eine der schwersten Krisen der Bundesrepublik Deutschland. 48 Die wegen verschiedener Straftaten verurteilte Linksextremistin wurde auch mit der RAF in Verbindung gebracht. Nach ihrem Untertauchen schloss sie sich der PKK an und beteiligte sich aktiv am militärischen Kampf. 105 Die RH in Thüringen beteiligt sich im Rahmen ihrer "Antirepressionsarbeit" an Demonstrationen und Protesten oder unterstützt diese. Dazu wird auch auf Ermittlungsausschüsse (EA) verwiesen. Anlässlich der für den 1. Mai in Erfurt geplanten Veranstaltungen und Proteste gegen einen NPD-Aufmarsch hieß es bei der RH Ortsgruppe Erfurt: "Passt auf euch auf! Macht keine Aussagen! Unterschreibt nichts! Wendet euch an den EA! Wenn was passiert, schreibt Gedächtnisprotokolle und kontaktiert uns." Anlässlich des von Linksextremisten traditionell begangenen "Tages des politischen Gefangenen" am 18. März 49 veranstaltete die RH Ortsgruppe Erfurt in Erfurt am 14. März eine Veranstaltung "Die Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) in Thüringen" 50 in Kooperation mit einer Soligruppe aus Jena. Diese unterstütze seit November 2015 Gefangene in Thüringen und wolle zum "Gefängnissystem als einem Ort von Unterdrückung und Ausbeutung, aber auch von Widerstand und sozialen Kämpfen" berichten und auch davon, wie sie "vom Staat behindert und sogar bekämpft" werde. In der Veranstaltung sei deutlich geworden, "wie staatliche Repression Menschen in Knästen kaputt macht und wie wichtig es ist, den sozialen Kampf innerhalb von Gefängnismauern zu unterstützen.". Die RH gibt darüber hinaus zum "Tag des politischen Gefangenen" am 18. März jährlich eine Sonderzeitung heraus, die auch der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt" beiliegt. Den aktuellen thematischen Schwerpunkt "Die politischen Gefangenen brauchen die Solidarität der gesamten Linken!" widmet sie explizit "den politischen Gefangenen und den unzähligen von Repression Betroffenen und Verletzten im Zuge der Proteste gegen den G20Gipfel" 2017 in Hamburg 51. Der Staat sei bemüht "politische Gefangene" zu machen, rufe die Bevölkerung im Rahmen der polizeilichen Ermittlungen zur "Denunziation" auf. Politischer Protest solle weitestgehend unterbunden werden, durch die Androhung schwerer Strafen solle schon die Beteiligung an Demonstrationen als schwere Straftat stigmatisiert werden. In dem täglichen "Kampf zwischen Unterdrücker*innen und Unterdrückten" überall auf der Welt, "dort, wo Bewegungen gegen Ausbeutung, Krieg Umweltzerstörung [...] aufbegehren" bedürfe es der Solidarität. 49 Der von der RH am 18. März 1923 ausgerufene "Internationale Tag der Hilfe für politische Gefangene" geht auf einen Arbeiteraufstand der Pariser Kommune vom 18. März 1871 zurück; alljährlich wird zu diesem Anlass zu Veranstaltungen und Demonstrationen gegen "staatliche Repression" und für "die Freiheit aller politischen Gefangenen" aufgerufen. 50 Die fragliche "Gefangenengewerkschaft" unterliegt nicht der Beobachtung durch das AfV, erfährt jedoch regelmäßig Unterstützung und Solidarität durch Linksextremisten. 51 Am 7./8. Juli 2018 fand in Hamburg das jährliche Treffen der Staatsund Regierungschefs der "Gruppe der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenländer der Welt" (G20) statt. Neben diversen friedlichen Protestveranstaltungen kam es auch zu gewalttätigen Ausschreitungen und schweren Straftaten. Unter den Akteuren befanden sich zahlreiche Linksextremisten, u. a. auch aus Thüringen. 106 Nicht allen Thüringer Gliederungen der RH gelang es im Berichtszeitraum regulär und kontinuierlich Sprechstunden anzubieten oder abzuhalten. Die RH Ortsgruppe Jena verweist auf zwei monatliche Termine im Infoladen, die RH Ortsgruppe Erfurt gibt eine monatliche "Anlaufstelle" an. Zudem waren die Ortsgruppen über Post, E-Mail und z. T. auch Telefon im Bedarfsfall erreichbar. Für die Kontaktaufnahme per E-Mail ist in allen Fällen eine Verschlüsselung der Kommunikation vorgesehen. Aktivitäten der Thüringer Gliederungen der RH wurden durch Berichte im Internet ergänzt - über "rechtswidrige" polizeiliche Maßnahmen, "Polizeigewalt", Verlauf und Ergebnis relevanter Gerichtsverhandlungen, Veranstaltungen, Solidaritätsaufrufe und Spendenkampagnen. Dazu werden auch entsprechende Konten angegeben. Die gegen "staatliche Repression" gerichteten Beiträge folgen dabei szenerelevanten Themen - Hausbesetzung / Freiraumthematik, G20-Proteste, Proteste gegen Burschenschaften. Von der RH im Berichtszeitraum fortgeführte Kampagnen zeigen ihre gute Vernetzung und aktive Einbindung in die Thüringer linksextremistische Szene. So berichtete die Regionalgruppe Südthüringen erneut über die von ihr initiierte und von anderen Thüringer RHGliederungen unterstützte Solidaritätsund Spendenkampagne "Free the three". Verhandlungstage beim zuständigen Amtsgericht in Gotha wurden angekündigt, zur solidarischen Prozessbegleitung und Solidaritätskundgebungen aufgerufen. Die Solidaritätsund Spendenkampagne "Free the three" dient der Unterstützung von drei im September 2016 wegen versuchten Raubes und Körperverletzung festgenommenen - "von Nazis bezichtigten" - Personen. Auf Prozessberichte ("Ermittlungspannen und gesprächige Nazis mit Erinnerungslücken") auf dem von Linksextremisten genutzten Portal "indymedia" wurde verwiesen. Auch die Solidaritätsund Spendenkampagne "United we stand", die wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs Angeklagte unterstützt, wurde fortgeführt. Im Januar 2017 war es bei Protesten gegen einen rechtsextremistischen THÜGIDA-Aufmarsch in Saalfeld bei Protesten unter den Motto "Make racists afraid again!" zu gewalttätigen Übergriffen von "Antifaschisten" auf "Nazis" gekommen. Dabei waren Geschädigten auch massive Verletzungen zugefügt worden. Geplante Verhandlungstage beim zuständigen Amtsgericht in Rudolstadt wurden angekündigt, zur solidarischen Prozessbegleitung und Solidaritätskundgebungen aufgerufen und weiterhin um Spenden geworben. Konkret dieses Engagement wurde als einer der Gründe aufgeführt, weswegen ihr einer der anlässlich der Verleihung des "Thüringer Demokratiepreises" am 22. November Prämierten eine Spende aus seinem Preisgeld zukommen ließ: Die Preisverleihung sei "Anerkennung 107 aller Formen des Antifaschismus". Es gehe um einen "Antifaschismus, der sehr breit aufgestellt ist, und deswegen auf allen Ebenen mit allen Mitteln vorgeht." 52 Die RH Ortsgruppe Jena übernahm im September den Solidaritätsund Spendenaufruf der bundesweiten Kampagne "United We Stand! Unterstützt die aufgrund des G 20 von Strafverfahren und Haftstrafen Betroffenen!" des RH Vereins anlässlich einer erneuten Festnahme. In der Kritik stehen "bundesweite Razzien" und Wohnungsdurchsuchungen der Hamburger Ermittlungsbehörden im Nachgang der schweren Ausschreitungen im Juli 2017. Der Schwerpunkt der RH-Aktivitäten in Thüringer lag im Berichtszeitraum in Jena. Über das eigene Territorium hinausgehende Unterstützungsleistungen fielen auf. Sie lassen personelle Schwachstellen in den einzelnen Untergliederungen ebenso annehmen wie - durchaus damit vereinbare - intensive Verbindungen zwischen den regionalen Gliederungen und deren Aktivisten. Durch zielgerichtete Unterstützung von Szeneangehörigen oder mit dem Staat in Konflikt stehenden Personen wird versucht, zumindest perspektivisch stärkeren Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von (linksextremistisch motivierten) Straftaten, Tätern und damit auf gesellschaftliche Normen insgesamt zu gewinnen. Trotz ihres oftmals unspektakulären Agierens, kaum beachtet und oft ohne spürbare Resonanz in Presse und Öffentlichkeit, dürfte sie im "linken" Spektrum über "Anerkennung" und "Popularität" verfügen. Mit anlassbezogenen Kampagnen gelingt es der RH mitunter ihre politischen Anliegen erfolgreich in der Öffentlichkeit zu platzieren. Kommt es nicht zu einer Verurteilung Beschuldigter, gelten "Siege" vor Gericht als Beleg für eine "gute Antirepressionsarbeit". Beteiligte Staatsanwälte, Richter, als Zeugen geladene Polizeibeamte werden in publizierten Prozessberichten lächerlich gemacht. 52 Die fehlende Distanz zu linksextremistischen Gruppierungen wie der RH war hingegen ausschlaggebend dafür, dass der Preisträger wegen eines Vetos des Bundesinnministeriums (BMI) am 23. Mai in Berlin nicht zum "Botschafter für Demokratie und Toleranz" ernannt wurde. Er war von der insgesamt 189 Vorschläge umfassenden Liste auf Veranlassung des BMI als einziger wegen "verfassungsrechtlicher Aspekte" entfernt worden. Eine darauf veröffentlichte Erklärung einer Vorbereitungsgruppe wurde u. a. auch vom "Infoladen Sabotnik" in Erfurt unterzeichnet. 108 Anhang Glossar Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt und als solche auch militante Aktionsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners ab. Als Gegner werden dabei auch Angehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antideutsche Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden eine Besonderheit innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene und tragen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremistischen Gefüge bei. Hauptbestandteil antideutscher Ideologie ist die bedingungslose Solidarität mit der Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk. Antideutsche sprechen sich - in Befürchtung eines neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust - für eine massive Unterstützung des Staates Israels und des Judentums aus und stehen oft positiv zu den USA als deren Schutzmacht. Antideutsche befürchten ein Erstarken des deutschen Nationalismus und ein großdeutsches "Viertes Reich", sie lehnen daher einen deutschen Nationalstaat insgesamt ab. Im linksextremistischen Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Antifa, autonome Der "antifaschistische Kampf" ist ein Hauptagitationsfeld von Autonomen. Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen Faschisten und Rassisten in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche "Nazis" richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. 109 Antisemitismus Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen Jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen Jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als Jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein. Antisemitismus im Rechtsextremismus Antisemitismus ist ein zentrales Ideologieelement des Rechtsextremismus und in allen seinen Äußerungsformen virulent, seien sie publizistisch, parlamentarisch oder auch aktionistisch orientiert. Antisemitismus zielt auf die Diffamierung und Diskriminierung einer behaupteten Gesamtheit "der Juden" ab. Der rechtsextremistische Antisemitismus baut insbesondere auf dem rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus auf, der das Judentum als "nichtdeutsche, fremde Rasse" definierte und diesen "Feind der eigenen Rasse" "ausmerzen" wollte. Nicht zuletzt aufgrund der strafrechtlichen Konsequenzen meiden Rechtsextremisten mittlerweile in ihrer Propaganda offenen, rassistisch motivierten Antisemitismus. Vielmehr weichen sie auf einen angedeuteten Antisemitismus aus, insbesondere durch die Behauptung eines übermäßigen politischen Einflusses von Juden (politischer Antisemitismus). Auch religiös begründeter Antisemitismus ist gelegentlich zu beobachten. Oftmals findet antisemitische Propaganda nur unterschwellig statt, u. a. durch subtil judenfeindlich gefärbte Zeitungsartikel oder Anspielungen. Rechtsextremisten nutzen die im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an der Politik Israels, um die Existenzberechtigung des Staates Israel in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels basiert auf der prinzipiellen Ablehnung des Judentums. Gleichsetzungen der israelischen Politik mit den Verbrechen an Juden im Nationalsozialismus sind ebenfalls ein gängiges Muster des antizionistischen Antisemitismus. Im Rahmen des sekundären Antisemitismus wird den Juden vorgeworfen, sie benutzten die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust als Mittel der Erpressung, um finanzielle und politische Forderungen durchzusetzen. Antisemitischen Verschwörungstheorien zufolge wird Deutschland im Rahmen einer planvollen Konspiration instrumentalisiert, um den "jüdischen Einfluss" zu vergrößern oder das Ziel der jüdischen Weltherrschaft zu erreichen. Häufig wird ein "jüdischer Einfluss" auf politische Entscheidungen der Regierungsverantwortlichen behauptet. Antisemitismus im Islamismus Zu den Feindbildern islamistischer Organisationen gehören prinzipiell der Staat Israel bzw. "die Zionisten", denen - je nach Standort im islamistischen Spektrum mehr oder weniger offen - die verschwörerische Manipulation westlicher Staaten, vor allem der USA, unterstellt wird. Die jüdische Einwanderung in Palästina, die Entstehung des Staates Israel und der seither ungelöste Nahost-Konflikt waren Auslöser für die Entstehung eines islamistischen Antizionismus. Dieser war und ist stark antijüdisch gefärbt, insofern auch auf die prinzipielle, nach Auffassung von Islamisten im Koran belegte und durch die islamistische Geschichtsauffassung gestützte ewige Feindschaft "der Juden" gegen die Muslime/den Islam Bezug genommen wird. Im Unterschied zum Antisemitismus deutscher Rechtsextremisten ist der islamistische Antisemitismus nicht rassistisch begründet. 110 Antisemitismus im Linksextremismus Der Antisemitismus im Linksextremismus beginnt nicht mit der Kritik an Politik und Existenz des Staates Israel. Die Traditionslinie ist weit älter - sie reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück - und vielschichtiger. Gleichwohl ist der Antisemitismus kein Wesensmerkmal des Linksextremismus. Entsprechend seiner ideologischen Basis gibt es im Linksextremismus keinen rassistischen Antisemitismus. Die hier auftretenden codierten Formen sind schwieriger zu entschlüsseln. Antisemitische Ressentiments werden meist mit dem Begriff des Antizionismus verhüllt. Sie finden sich in der Gegenwart insbesondere in der "PalästinaSolidarität". So ist die Formulierung vom "Völkermord in Gaza" eine häufig gebrauchte rhetorische Figur. Auch Bezeichnungen wie "zionistische Apartheidpolitik" finden Gebrauch. Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden Den weitaus größten Teil ihrer Informationen gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Flugblättern, Programmen, Aufrufen und dem Internet. Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden besuchen öffentliche Veranstaltungen und sie befragen auch Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen auf freiwilliger Basis treten die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Gegenüber konspirativen Methoden versagen diese Mittel der Nachrichtengewinnung: Nicht alle Terroristen verfassen nach der Tat Selbstbezichtigungsschreiben oder nennen gar ihren wahren Namen. Spione veröffentlichen keine Programme und verteilen keine Flugblätter. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Dies sind Methoden der geheimen, verdeckten Nachrichtenbeschaffung. Dazu gehören insbesondere * die Observation, * der Einsatz von Vertrauensleuten (V-Leuten), Counter-Men und Gewährspersonen, * Bildund Tonaufzeichnungen, * die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses Artikel 10Gesetz - (G10). Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wurden die Befugnisse des Verfassungsschutzes durch Einräumung besonderer Auskunftsrechte gegenüber Finanz-, Luftfahrt-, Postdienstleistungsunternehmen sowie Telekommunikationsund Teledienstleistern erweitert. Diese Regelungen wurden später durch das am 5. Januar 2007 in Kraft getretene "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" praxisgerecht angepasst. Allerdings kommt die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel immer erst dann in Betracht, wenn alle anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind. In keinem Fall darf der Verfassungsschutz den Kernbereich eines Persönlichkeitsrechts, zu dem insbesondere die Intimsphäre gehört, verletzen. Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. 111 Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei zum Beispiel um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: * sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, * sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, * sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, * sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von AntiEinstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die so genannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Autonome Nationalisten Mit den "Autonomen Nationalisten" tritt eine Strömung innerhalb des deutschen Neonationalsozialismus öffentlichkeitswirksam in Erscheinung, die sich in lokalen Gruppierungen organisiert. Angehörige der "Autonomen Nationalisten" treten oft mit einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft gegen Polizeibeamte und politische Gegner auf, dies insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen, wo sich "Autonome Nationalisten" bisweilen vermummt zu sog. Schwarzen Blöcken zusammenschließen. Zudem übernehmen sie in Teilen Stilelemente anderer Jugendsubkulturen und treten ähnlich gekleidet auf wie militante Linksextremisten (Autonome). Innerhalb der Neonazi-Szene sind "Autonome Nationalisten" vor allem wegen ihres öffentlichen Erscheinungsbildes und ihrer Gewaltbereitschaft umstritten. Dessen ungeachtet beteiligen sich zunehmend auch "Freie Nationalisten" anlassbezogen an der Aktionsform des "Schwarzen Blockes" der "Autonomen Nationalisten". 112 Bestrebungen, extremistische Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichteten Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen * Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, * Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, * Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder eines Landesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen. Extremismus/Radikalismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. 113 Freie Nationalisten / Freie Kräfte Das Konzept der "Freien Nationalisten" (auch "Freie Kräfte" genannt) wurde Mitte der 1990er Jahre von Neonazis als Reaktion auf die zahlreichen Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, die zersplitterte neonazistische Szene unter Verzicht auf vereinsmäßige Strukturen ("Organisierung ohne Organisation") zu bündeln, ihre Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Ein Großteil der "Freien Nationalisten" sammelte sich in rechtsextremistischen Kameradschaften. Ab Mitte der 2000er Jahre setzte ein erneuter Strukturwandel in der Kameradschaftsszene ein, der von einer weiteren Lockerung der Organisationsstrukturen gekennzeichnet war. Damit wurde das Ziel verfolgt, dem Staat noch weniger Angriffsfläche zu bieten. Zudem ist seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein engeres Zusammenwirken von "Freien Nationalisten" mit der NPD zu beobachten, das 2004 in ein als "Volksfront von rechts" bezeichnetes informelles Bündnis mündete. Freiheitliche demokratische Grundordnung Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Diese fundamentalen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch die Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft, * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. G10-Maßnahme Die Verfassungsschutzbehörden dürfen zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes die Telekommunikation überwachen und aufzeichnen und die dem Briefoder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen öffnen und einsehen. Voraussetzung ist das Vorliegen von Anhaltspunkten für bestimmte, schwerwiegende Straftaten, z. B. Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung. Außerdem muss die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (G10Maßnahme) richtet sich nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmel114 degeheimnisses (Artikel 10-Gesetz, G10). Über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von G10Maßnahmen entscheidet ein unabhängiges parlamentarisches Gremium (G10-Kommission). Geheimschutz Der Geheimschutz umfasst alle personellen und materiellen (organisatorischen, baulichen und technischen) Maßnahmen zum Schutz von im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Unterlagen, Maßnahmen und Objekten. Der Geheimschutz sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. * Personeller Geheimschutz Die Verfassungsschutzbehörden wirken mit bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben, weil sie Zugang zu Verschlusssachen (VS) haben. Die Sicherheitsüberprüfung soll solche Personen aus sensiblen Bereichen fernhalten, die Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit oder an ihrem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geben oder für Ansprachen anderer Nachrichtendienste gefährdet erscheinen. * Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz beinhaltet organisatorische, bauliche, mechanische, elektrotechnische und informationstechnische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen (unabhängig von ihrer Darstellungsform) und von räumlichen Sicherheitsbereichen. Einer der Schwerpunkte ist die Sicherheit beim Umgang mit Informationen, die im staatlichen Interesse Unbefugten nicht zur Kenntnis gelangen dürfen. Dazu gehören insbesondere die richtige Einstufung von Dokumenten als Verschlusssachen (VS-Nur für den Dienstgebrauch, VS-Vertraulich, GEHEIM und Streng GEHEIM) sowie deren Herstellung, Aufbewahrung/Speicherung, Vervielfältigung, Weitergabe/Übermittlung und Aussonderung/Archivierung bzw. Vernichtung/Löschung. Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Das GIZ führt seit 2007 die offene Beobachtung des Internets nach islamistischen Inhalten durch. Dort sind sprachkundige Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder tätig. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und von Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. 115 Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des GG, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: * Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. * Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Unter "Homegrown"-Terrorismus sind islamistische Strukturen oder Strukturansätze zu verstehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen sind zumeist in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung einer islamistischen Gesellschaftsordnung für erstrebenswert. Gemeinsames Kennzeichen dieses Personenkreises ist, dass er von der panislamischen "al-Qaida"-Ideologie beeinflusst wird. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen macht sich islamistisches Gedankengut zu eigen und engagiert sich für islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in islamistischen/islamistisch-terroristischen Strukturen erklärt sich u.a. aus der Motivation, sich gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sog. großer Jihad) oder 116 der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sog. kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf/"heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist keine oder nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten "Freien Nationalisten" zu. Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte des Bürgers sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit der Bürger darauf vertrauen kann, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen. * Parlamentarische Kontrollgremien Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt u.a. der Kontrolle durch parlamentarische Kontrollgremien. Die Bundesund Landesregierungen unterrichten die Kontrollgremien regelmäßig über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden. Über Vorgänge von besonderer Bedeutung wird unverzüglich berichtet. Auf Verlangen der Kontrollgremien haben die Regierungen in Einzelfällen jederzeit zu berichten. Die Regierungen haben den Gremien außerdem grundsätzlich auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien der Verfassungsschutzbehörden zu gewähren, die Anhörung von Mitarbeitern zu gestatten und Zutritt zu den Räumlichkeiten der Verfassungsschutzbehörden zu ermöglichen. * Datenschutz Zweck des Datenschutzes ist, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Der Verfassungsschutz hat daher bei seiner Aufgabenerfüllung grundsätzlich die Bestimmungen der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder sowie anderer Vorschriften über den Datenschutz zu beachten. Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird fortlaufend vom Bundesbzw. den Landesbeauftragten für den Datenschutz unabhängig geprüft. Hierzu erhalten die Beauftragten u. a. weitgehende Akteneinsicht. Mit regelmäßig erscheinenden Tätigkeitsberichten werden die parlamentarischen Vertreter und die Öffentlichkeit über das Ergebnis ihrer Überprüfungen informiert. 117 Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: * Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Zedong und andere, * Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, * Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, * Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: * Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, * Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. Mujahid Als Mujahidin (wörtlich: Plural für "Kämpfer im Jihad") werden Islamisten bezeichnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich * am "gewaltsamen Jihad" selbst beteiligen oder beteiligt haben * oder für die Teilnahme am "gewaltsamen Jihad" ausbilden lassen oder bereits haben ausbilden lassen * oder am "gewaltsamen Jihad" beteiligen werden, z. B. auf Grund entsprechender Äußerungen. Arabische Muslime verschiedener Nationalität stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. Nachrichtendienstliche Mittel Mit nachrichtendienstlichen Mitteln als Oberbegriff werden technische Mittel und Arbeitsmethoden der geheimen Nachrichtenbeschaffung bezeichnet. So darf das AfV nach SS 10 Abs. 1 ThürVerfSchG Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dem AfV ist unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (nach SS 11 Abs. 1 ThürVerfSchG) die Erhebung von Informationen, insbesondere personenbezogener Daten, gestattet, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass 118 * auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder * dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Neonazismus / Neonationalsozialismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Nationalismus und Rassismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung wesentlicher Elemente demokratischer Gewaltenteilung. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind der bei Neonazi-Aktivisten stärker ausgeprägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes. Neue Rechte Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um eine in den 1970er Jahren in Frankreich aufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemüht. Sie beruft sich unter anderem auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung "Konservative Revolution" aktiv waren. Die Aktivisten der "Neuen Rechten" beabsichtigen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden kulturellen Einfluss zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern. Opportunitätsprinzip/Legalitätsprinzip Während die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) nach der Strafprozessordnung grundsätzlich verpflichtet sind, bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen einzuschreiten (Legalitätsprinzip), gilt für die Verfassungsschutzbehörden das Opportunitätsprinzip. Hiernach steht die Entscheidung, ob wegen einer Straftat eingeschritten werden soll, im Ermessen. So kann der Verfassungsschutz wegen einer zu erwartenden relevanten Erkenntnissteigerung auf ein unmittelbares Einschreiten verzichten. Das Opportunitätsprinzip ist Grundlage für (oftmals jahrelang) wachsende Vertrauensverhältnisse. Diese ermöglichen dem Verfassungsschutz einen exklusiven Zugang zu Informationsquellen, seien es V-Leute oder auch Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste. Damit dies so bleibt, müssen Nachrichtendienste einen besonderen Wert auf Quellenschutz legen. Hinweisgeber sind nicht selten Straftäter oder Opfer, die Sanktionen der Täter befürchten. Im Zweifel kann ein mögliches Strafverfolgungsinteresse dem Schutz der Quelle untergeordnet werden. Dadurch, dass der Verfassungsschutz vom Strafverfolgungszwang losgelöst ist, kann er weitergehend operieren, etwa, um eine extremistische bzw. terroristische Szene näher aufzuklären oder zur Entschärfung einer Gefahrensituation, indem er versucht, einzelne Täter aus der Szene herauszulösen und als Informanten zu gewinnen, um so ferner die Strukturen der Bestrebung zu schwächen. Ohne Strafverfolgungszwang hat der Verfassungsschutz Raum für umfassende Analysen und Methodik. Im Gegensatz zur Polizei kann er "flächendeckende" Strukturerkenntnisse sammeln. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sog. klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine poli119 tische Motivation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt. Die Straftaten werden folgenden Phänomenbereichen zugeordnet: - Politisch motivierte Kriminalität - rechts, - Politisch motivierte Kriminalität - links, - Politisch motivierte Ausländerkriminalität, - Sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). Revisionismus, rechtsextremistischer Der das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von Erkenntnissen beschreibende Begriff "Revisionismus" wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Vergangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektive Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbildes, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen und Methoden. So beinhaltet die Leugnung des "Holocaust", das Ausmaß der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch das NS-Regime zu verharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente auf unseriöse Weise fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung der Ereignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutig belegen, dass die "Endlösung der Judenfrage" unzweifelhaft stattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert. Schwarzer Block Der sog. "Schwarze Block", vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleich der "Schwarze Block" überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme ei120 nes "Schwarzen Blocks" an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. Seit einigen Jahren ist die Aktionsform des "Schwarzen Blocks" auch bei den rechtsextremistischen "Autonomen Nationalisten" zu beobachten. Subkulturelle Rechtsextremisten Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und häufig mehr auf Freizeitgestaltung als auf politische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen die meisten subkulturell geprägten Rechtsextremisten nicht über ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Sie vertreten jedoch rechtsextremistische Anschauungen, die sich in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus zeigen. Sie stellen ihre Zugehörigkeit zur "weißen Rasse" und deren angebliche Überlegenheit in den Mittelpunkt und definieren ihre Feindbilder auf diese Weise. Die rassistische Einstellung wird mit dem Schlagwort "white power" zusammengefasst. Jugendliche finden auch über die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen SkinheadSubkultur und insbesondere über die für die Szene wichtige rechtsextremistische Musik Zugang zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Gedankenwelt. Musik spielt nicht nur für die Skinhead-Bewegung eine wichtige identitätsstiftende Rolle. Texte von rechtsextremistischen Musikgruppen prägen weltanschauliche Vorstellungen, Konzerte haben eine bedeutende Rolle für den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Szene. Oft sind Musik und Konzerte Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Parteien oder Neonazis, die hierüber versuchen, Jugendliche an ihre politischen Vorstellungen heranzuführen. Weltweite Strömungen innerhalb der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene mit einer gewissen szeneinternen Bedeutung sind "Blood & Honour" und die "Hammerskins", beides rassistische Bewegungen, die ein elitäres Selbstverständnis pflegen. Vor allem "Blood & Honour", dessen deutscher Zweig, die "Blood & Honour-Division Deutschland", im Jahr 2000 durch den Bundesinnenminister verboten wurde, trat in der Vergangenheit immer wieder durch die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten in Erscheinung. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus, mit dem Ziel, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1, Nr. 2 BVerfSchG zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. 121 Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Trennungsgebot Durch das Trennungsgebot wird eine organisatorische und funktionelle Trennung von Verfassungsschutz und Polizei/Staatsschutz vorgegeben. Dies ist für das Bundesamt für Verfassungsschutz in SS 2 Abs. 1 und SS 8 Abs. 3 BVerfSchG geregelt. Die Landesverfassungsschutzgesetze enthalten entsprechende Vorschriften. Eine solche Trennung verbietet jedoch nicht den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Dieser ist vielmehr notwendig, um trotz der Trennung effektiv arbeiten zu können. Nur durch eine Vernetzung von Nachrichtendiensten und Polizeien ist es möglich, die in der jeweiligen Rechtssphäre gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen und zu analysieren. Verfassungsfeindlich Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig Umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktivkämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. V-Leute Vertrauensleute, sogenannte V-Leute, sind Personen, die planvoll und systematisch zur Gewinnung von Informationen über extremistische Bestrebungen eingesetzt werden. Sie sind keine Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Für ihre Informationen werden sie in der Regel entlohnt. Die Identität von Vertrauensleuten wird besonders geschützt (s. a. Quellenschutz). Bei dem Einsatz von V-Leuten handelt sich um ein nachrichtendienstliches Mittel/Instrument. 122