Amt für Verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 Vorwort "Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Frucht derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit." (Wilhelm von Humboldt, 1767-1835) Trotz völlig unterschiedlicher ideologischer Ausrichtungen verfolgen politische Extremisten in Deutschland ein Ziel: Sie streben die Ablösung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an, um sodann ein Gesellschaftsmodell nach ihrer Fasson zu konstruieren. Rechtsextremisten etwa bekämpfen die von der Akzeptanz des Anderen geprägte demokratische Gesellschaftsordnung aufgrund ihres rassistischen und nationalistischen Weltbildes. Gleichwohl drängen sie durch Teilnahme an freien Wahlen in Parlamente, machen sich also die im demokratischen Willensbildungsprozess üblichen Mitbestimmungsrechte zu eigen, um im Falle des Erfolgs genau jene auszuhebeln. Gleichermaßen nutzen sie das hohe Gut der Versammlungsfreiheit für ihre Zwecke. "Reichsbürger" erkennen weder Verfassung noch Rechtsprechung an, bezeichnen die Bundesrepublik als GmbH, statten sich mit Pseudodokumenten aus und wähnen sich in ihrem ganz eigenen, von staatlichem Zugriff freien Kosmos. Diesen meinen sie auch mit Waffengewalt verteidigen zu können, wie die Ereignisse 2016 in Georgensgmünd dramatisch belegen, als ein Polizist im Einsatz gegen einen bewaffneten "Reichsbürger" zu Tode kam. Islamistische Extremisten erkennen weltliche Ordnungen mit von Menschen gemachten Gesetzen nicht an, erklären vielmehr ausschließlich gottgewollte Regeln und die islamische Rechtsordnung als verbindlich. Zugleich fordern sie u. a. das im demokratischen Wertesystem geltende Recht auf freie Religionsausübung für sich ein. Autonome Linksextremisten lehnen generell jede staatliche Ordnung ab, setzen diese gemeinhin mit Repression gleich. Der von ihnen proklamierte "Antifaschismus" bezeichnet den Kampf gegen eine ihrer Auffassung nach insgesamt faschistisch geprägte Gesellschaft. Mithin überschreiten politische wie islamistische Extremisten Grenzen bei der Wahrnehmung verfassungsmäßig verbriefter Grundrechte. Wegen ihrer den Grundgedanken einer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft entgegenstehenden Zielrichtungen unterliegen sie der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 1 Die freiheitliche Demokratie muss sich ihrer Feinde erwehren können. Das geschieht weit überwiegend im öffentlichen wie politischen Diskurs, erfordert darüber hinaus mitunter aber auch Reglementierungen durch hinnehmbare gesetzlich normierte Grundrechtseingriffe, die ein Abwägen zwischen den Freiheitsrechten des Einzelnen und der staatlichen Verantwortung für das Gemeinwohl bedingen. Verfassungsschutzbehörden sind Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur, sie beobachten und analysieren extremistische Bestrebungen im Vorfeld, um insbesondere politischen Verantwortungsträgern notwendigen Handlungsbedarf aufzuzeigen. In engen gesetzlichen Grenzen sind sie zum Einsatz bestimmter nachrichtendienstlicher Mittel befugt, um z. B. im Verborgenen agierende extremistische Gruppen erhellen zu können. Eingriffe etwa in das Postund Fernmeldegeheimnis unterliegen ebenso der parlamentarischen Kontrolle wie die Arbeit der Behörden an sich. Ihrem gesetzlichen Auftrag gemäß leisten Verfassungsschutzbehörden einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit in der Bundesrepublik. Den Mitarbeitern des Thüringer Verfassungsschutzes danke ich hierfür ausdrücklich. Wie sich die einzelnen Extremismusphänomene 2017 in Thüringen widerspiegelten, ist diesem Verfassungsschutzbericht zu entnehmen. Das Bild des Rechtsextremismus in Thüringen war maßgeblich von Großkundgebungen mit erheblichem Musikanteil geprägt, die Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet und dem angrenzenden Ausland anzogen. Eine Mischung aus politischer Propaganda, szenetypischer Musik und Merchandising erreichte mit Teilnehmerzahlen von bis zu 6.000 Besuchern bei einer Veranstaltung am 15. Juli in Themar negative Höchstwerte. Obgleich das rechtsextremistische Personenpotenzial in Thüringen im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken ist, bedeutet dies bei Weitem keine Abschwächung in Gänze. Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) dominierte das rechtsextremistische Parteienspektrum auch nach den Etablierungsversuchen von Kleinparteien wie "DIE RECHTE" oder " Der III. Weg". Es gelang ihr aufgrund des repressiven und präventiven staatlichen Drucks jedoch nicht, ihren Mitgliederbestand auszubauen. "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" konnten ihre Positionen im rechtsextremistischen Spektrum nicht stärken. Ihre Mitgliederzahlen stagnierten auf niedrigem Niveau. Im Vergleich dazu blieb die Anhängerschaft des weitgehend unstrukturierten Spektrums unverändert hoch. Auch ist eine zunehmende Entgrenzung des Rechtsextremismus hin zu einer "Mosaik-Rechten" zu verzeichnen. Als ein Akteur der "Neuen Rechten" trat die "Identitäre Bewegung Thüringen" in Erscheinung. Gruppen wie sie verneinen eine Nähe zu nationalsozialistischem Gedankengut, um ihre Anschlussfähigkeit in der breiten Gesellschaft zu erhöhen, lassen aber zugleich antidemokratische Tendenzen mit Bezug zur "Konservativen Revolution" der Weimarer Republik erkennen. Um ihren Wirkungskreis zu erhöhen, setzen die Gruppen verstärkt auf soziale Medien. Ihre Aktionen stehen meist in asylkritischem Kontext. 2 Vorwort Im besonderen Fokus standen erneut "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", deren Anhängerschaft einen deutlichen Zuwachs erfuhr. Der Personenkreis weist eine hohe Affinität zu Waffen auf, woraus eine besondere Gefährdung erwächst. Die Aktivitäten der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" richteten sich 2017 vorwiegend gegen Thüringer Kommunalbehörden aber auch Landes-, Polizeiund Justizbehörden. Mit querulatorischen Schreiben reagierten sie auf Maßnahmen der staatlichen Verwaltung. Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus blieb unverändert hoch. Als Indikator für diese Einschätzung diente neben einer latenten Anschlagsgefahr, die westlich geprägte Gesellschaften weltweit betrifft, zuletzt verstärkt die Rückreisebewegung von Islamisten aus Deutschland, die sich zum Jihad im Namen des "Islamischen Staats" nach Syrien oder in den Irak begeben hatten. Zurück in Deutschland könnten die meist in hohem Maße radikalisierten Personen nach Einfluss in muslimischen Gemeinden streben und sich dort ggf. als Multiplikatoren für ihre extremistische Ideologie inszenieren. Hinweise auf einen Radikalisierungsverdacht unter oftmals jungen Flüchtlingen fielen im Berichtsjahr häufiger an. Darüber hinaus waren erste Anzeichen auszumachen, wonach der legalistische Islamismus versuchen könnte, auch in Thüringen Fuß zu fassen. Im Bereich des Linksextremismus dominierten erneut Gruppierungen des gewaltorientierten autonomen Spektrums sowohl hinsichtlich des Personenpotenzials als auch was die Betätigungen betraf. Diese blieben auf das Thema "Antifaschismus" fokussiert. Im Rahmen des Aktionsfeldes "Antigentrifizierung" kam der "Freiraumthematik" weiterhin Bedeutung zu. Zudem nahm das Thema "Antirepression" Raum ein. Kontakte von Thüringer Autonomen auch in bundesweite Szenehochburgen, Mobilisierungen für überregionale Veranstaltungen sowie Vernetzungsbemühungen verdeutlichten die enge Einbindung und bundesweite Verflechtung der Thüringer autonomen Szene. Da extremistische Personenzusammenschlüsse konstitutionell verankerte Freiheitsrechte missbrauchen, um das demokratische Wertesystem der Bundesrepublik abzuschaffen, müssen staatliche Abwehrmechanismen greifen. Dieses von Extremisten gern als undemokratisch bezeichnete Vorgehen ist Ausdruck staatlicher Verantwortung, mit der es die Freiheitsrechte für die Allgemeinheit vor Einschränkungen durch eine extremistische Minderheit zu sichern gilt. Denn "ohne Sicherheit ist keine Freiheit". Georg Maier Thüringer Minister für Inneres und Kommunales Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 3 Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie 9 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales 10 II. Rechtsextremismus 1. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick 19 2. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen im Wandel 20 3. Gewaltbereiter Rechtsextremismus 22 4. Rechtsextremistische Großveranstaltungen - Vernetzung, Ideologietransfer, Finanzierung 24 4.1 Kundgebung "Rock gegen Überfremdung" am 15. Juli in Themar 26 4.1.1 Überblick 26 4.1.2 Organisation 26 4.1.3 Durchführung 29 4.1.4 Finanzen 32 4.1.5 Juristische Auseinandersetzung 32 4.1.6 Bewertung 33 4.2 Kundgebung "Rock für Deutschland" am 1. Juli in Gera 33 4.3 Kundgebung "Rock für Identität" am 29. Juli in Themar 35 4.4 Kundgebung "Rock gegen Links" am 28. Oktober in Themar 36 5. "Neue Rechte" 37 6. Rechtsextremistische Parteien 43 6.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) - Landesverband Thüringen 43 6.2 "DIE RECHTE" in Thüringen 47 6.3 "Der III. Weg" in Thüringen 49 7. Sonstige rechtsextremistische Gruppierungen und Vereine 51 III. "Reichsbürger und Selbstverwalter" 1. Überblick 59 2. Ideologie 59 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 5 3. Gefährdungspotenzial 63 4. Maßnahmen 63 IV. Islamismus 1. Ideologischer Hintergrund 65 1.1 Islamismus 65 1.2 Salafismus 65 2. Trends in der salafistischen Szene 67 3. Lagebild Deutschland 68 4. Lagebild Thüringen 69 4.1 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen 70 4.2 Hinweise auf Islamisten unter Migranten 71 4.3 Spannungsfeld Integration und Radikalisierung 73 V. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 1. Hintergrund 75 2. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 75 2.1 Allgemeine Lage 76 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen 77 2.3 Finanzierung 78 2.4 Propaganda und Themenschwerpunkte 78 2.5 Bewertung 79 VI. Linksextremismus 1. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick 81 2. Überblick und Schwerpunktsetzung 82 3. Ideologischer Hintergrund 83 4. Das linksextremistische Personenpotenzial 83 5. Autonome - gewaltorientierte Linksextremisten 84 5.1 Allgemeines 84 5.2 Die autonome Szene in Thüringen 87 5.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis 90 5.4 Das Aktionsfeld "Antigentrifizierung" 94 6. Sonstige linksextremistische Organisationen 96 7. Thüringer Linksextremisten und die Bundestagswahl 101 Exkurs: Antisemitismus heute 105 6 Inhaltsverzeichnis Anhang Glossar 109 Register 128 Registeranhang 135 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 7 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Das Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Republik ist es die Aufgabe der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das GG legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Die wehrhafte Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Rechtsstaat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte - wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht - zu. Jedoch liefert sich die wehrhafte Demokratie den Bestrebungen politischer Extremisten nicht schutzlos aus. So sind beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 GG das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 GG die Aberkennung von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als "Frühwarnsystem" politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die Länder unterhalten (Artikel 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Freistaat Thüringen wurde die Verfassungsschutzbehörde 1991 errichtet. Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach, aus welchen Parteien und Gruppierungen sich das extremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt. Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste auf. Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu treffen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 9 Die Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen ist dann geboten, wenn auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung führen, dass ein Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit die Feststellung seines extremistischen Charakters verbunden ist. Die Darstellungen im Verfassungsschutzbericht sind nicht abschließend, sondern geben wesentliche Entwicklungen während eines konkreten Berichtszeitraums wieder. Eine Berichterstattung kann bereits dann in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen, die aufgrund eines im konkreten Fall hinzutretenden besonderen Aufklärungsinteresses der Öffentlichkeit eine Erwähnung erfordern. Diese Verdachtsfälle sind als solche im Text kenntlich gemacht. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere durch die von den Parlamenten eingesetzten Kontrollgremien, durch die Innenministerien, durch die Gerichte sowie durch die Bundesbzw. Landesbeauftragten für Datenschutz. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen (Artikel 97 Verfassung des Freistaats Thüringen). Sie unterscheiden sich damit grundlegend sowohl von der "Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) der ehemaligen DDR. Jene Institutionen waren darauf ausgerichtet, totalitäre Systeme abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Bundesrepublik schützt. Für Verfassungsschutzbehörden besteht eine strikte Bindung an Recht und Gesetz. Sie dienen keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem als essentiellem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet. 2. Das Amt für Verfassungsschutz (AfV) beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales Aufgaben und Befugnisse Mit dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVerfSchG) bestehen präzise rechtliche Vorgaben für eine erfolgreiche und transparente Tätigkeit des Thüringer Verfassungsschutzes im demokratischen Rechtsstaat. Kernaufgaben des AfV sind die Sammlung und Auswertung von Informationen zum politischen Extremismus, zu Terrorismus und Spionage im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen. Zu diesem Zweck beobachtet es gemäß SS 4 ThürVerfSchG: 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 10 Informationen zum Verfassungsschutz 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Einen nicht unerheblichen Teil seiner Informationen - insbesondere solche, ob tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen bestehen - schöpft das AfV aus öffentlich zugänglichen Quellen. Darüber hinaus ist das AfV in gesetzlich festgelegten Grenzen und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit befugt, im Rahmen seines Beobachtungsauftrags Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen, Telefonüberwachungen) zu beschaffen. Die in Berichten, Lagebildern und Analysen zusammengefassten Erkenntnisse ermöglichen es der Landesregierung, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung einzuleiten. Gemäß den gesetzlichen Vorgaben übermittelt das AfV relevante Erkenntnisse unverzüglich nach Bekanntwerden an die Strafverfolgungsbehörden. Das AfV ist in den gemeinsamen Informationsund Kommunikationsplattformen der deutschen Sicherheitsbehörden (Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum - GTAZ, Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus und der Spionage einschließlich proliferationsrelevanter Aspekte - GETZ) vertreten. Des Weiteren obliegen dem AfV Mitwirkungspflichten im Bereich des Geheimund Sabotageschutzes (z. B. Sicherheitsüberprüfungen für in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätige Personen). Das ThürVerfSchG sieht in SS 5 zudem eine geeignete Informationsund Öffentlichkeitsarbeit des Amtes vor. Es bestehen ausführliche Regelungen über Umfang und Grenzen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel einschließlich des Schutzes des Kernbereichs privater Lebensgestaltung1 sowie die beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einzuhaltenden Verfahren. 1 Der Kernbereich privater Lebensgestaltung stellt einen Raum höchstpersönlicher Privatheit dar, welcher verfassungsmäßig geschützt und einem Zugriff durch staatliche Überwachungsmaßnahmen vollumfänglich entzogen ist. Hinweise auf begangene oder geplante Straftaten fallen aufgrund ihres Sozialbezugs nicht hierunter. Einfachgesetzliche Regelungen zum Schutz des Kernbereiches privater Lebensführung finden sich etwa in SS 10 Abs. 6 ThürVerfSchG und SS 3a Artikel 10-Gesetz (G10). Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 11 Die Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei in der Thüringer Informationsund Auswertungszentrale (TIAZ) wurde in einer eigenständigen gesetzlichen Regelung verankert.2 Aufbau und Organisation Der Thüringer Verfassungsschutz verfügte im Haushaltsjahr 2017 über 96 Stellen und Planstellen.3 Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch das Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 6.912.200 Euro zugewiesen. Struktur des AfV Stabsstelle Controlling Die Stabsstelle Controlling unterstützt den Präsidenten des AfV durch unabhängige und objektive Prüfungsund Beratungsdienstleistungen in seiner Leitungsfunktion. Sie hat die Aufgabe, regelmäßig die Rechtund Zweckmäßigkeit der nachrichtendienstlichen und sonstigen ihr zugewiesenen Maßnahmen zu überprüfen und dem Präsidenten des AfV Bericht zu erstatten (SS 2 Absatz 4 ThürVerfSchG). Die Stabsstelle ist dem Präsidenten des AfV unmittelbar zugeordnet, jedoch in der Beurteilung der Rechtund Zweckmäßigkeit der eingesetzten nachrichtendienstlichen Mittel nicht an Weisungen des Präsidenten, seines Vertreters oder des zuständigen Ministeriums gebunden. Die Stabsstelle Controlling ist darüber hinaus personell und organisatorisch von den übrigen Referaten des AfV getrennt, nicht zuletzt, um auch insoweit eine unabhängige Prüfung zu gewährleisten. 2 Siehe dazu SS 4 Abs. 4 ThürVerfSchG. 3 Siehe dazu Landeshaushaltsplan 2016 / 2017, Einzelplan 03, S. 71 f. 12 Informationen zum Verfassungsschutz Die Referate des AfV haben der Stabsstelle Controlling kontinuierlich schriftlich Bericht darüber zu erstatten, in welchen Phänomenbereichen und beobachteten Personenzusammenschlüssen nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Diese Berichtspflichten betreffen besondere grundrechtsund sicherheitsrelevante Vorkommnisse, die sich im Rahmen des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel ereignen können. Bei besonderen oder schwierigen Vorkommnissen kann die Parlamentarische Kontrollkommission verlangen, dass die Stabsstelle Controlling diese auch unmittelbar unterrichtet (SS 2 Abs. 4 Satz 6 ThürVerfSchG). Stabsstelle Presse und Öffentlichkeitsarbeit Der Stabsstelle obliegen die Beantwortung von Presseund Bürgeranfragen, die Herausgabe von Publikationen, die Organisation und Durchführung diverser Informationsveranstaltungen sowie die Pflege der Internetpräsenz des AfV. Im Jahr 2017 nahmen Referenten des AfV etwa 100 Vortragstermine wahr. Auf Einladung diverser Institutionen und Organisationen informierten sie über alle gesetzlichen Aufgabenbereiche des Verfassungsschutzes. Die Themenfelder Rechtsextremismus und "Reichsbürger" dominierten die Anfragen. Vor dem Hintergrund des angestiegenen "Reichsbürger"-Potenzials zeigten insbesondere kommunale Behörden und die Arbeitsverwaltung ein erhöhtes Informationsinteresse. Des Weiteren wurden auch zahlreiche Vorträge bei Thüringer Polizeidienststellen, bei der Bundeswehr, der Justiz und anderen Behörden gehalten. Dieses Angebot wurde durch zahlreiche Diskussionsveranstaltungen verschiedener Institutionen und Organisationen ergänzt, an denen der AfV-Präsident als Diskutant oder Referent mitwirkte. Auch durch regelmäßige Interviews, Hintergrundgespräche und Kontakte zu den Medien konnte der Devise des Thüringer Verfassungsschutzes "Mehr Transparenz durch Information" Rechnung getragen werden. Der Thüringer Verfassungsschutz richtete 2017 erneut ein Symposium aus. In Erfurt diskutierten ca. 150 Teilnehmer zum Thema "Extremisten - Die besseren Sozialarbeiter?". In diesem Zusammenhang wurde auch die Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, z. B. mit dem Wohlfahrtsverband "Der Paritätische Thüringen", verstärkt. Darüber hinaus wirkte der Thüringer Verfassungsschutz 2017 an einem gemeinsamen Symposium der Verfassungsschutzbehörden Berlins und der ostdeutschen Länder im Rahmen der von den Innenministern beschlossenen "Sicherheitskooperation" (SIKOOP) mit. Die Veranstaltung fand in Dresden unter dem Titel "Verschwörungstheorien - Lackmustest für die Demokratie und Einfallstor für Extremisten?" statt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 13 In Zusammenarbeit mit dem Thüringer Justizministerium und mehreren Justizbehörden wurde im Berichtszeitraum die Präventionsund Informationsarbeit im Rahmen einer bestehenden Sicherheitspartnerschaft mit dem Justizvollzug intensiviert. Der Verfassungsschutz Thüringen ist für die interessierte Öffentlichkeit über folgende Kontakte erreichbar: Amt für Verfassungsschutz beim Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales Postfach 450 121 99051 Erfurt Telefon: 0361 573313-850 Telefax: 0361 573313-482 Internet: www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz E-Mail: afvkontakt@tmik.thueringen.de Er hält eine "Aussteigerhotline für Rechtsextremisten" (0361 573313-817) und ein "Hinweistelefon Islamismus" (0361 573313-480) vor. Referat 50 "Grundsatzund Rechtsangelegenheiten, G10, Gremienarbeit" Das Referat 50 bearbeitet die Grundsatzund Rechtsangelegenheiten des Amtes. Weiterhin werden in diesem Arbeitsbereich Sitzungen verschiedener Gremien, z. B. der Parlamentarischen Kontrollkommission und der G10-Kommission des Thüringer Landtags sowie verschiedener Bund-Länder-Gremien vorbereitet. Die Bearbeitung von parlamentarischen Anfragen und Auskunftsersuchen von Bürgern zählt ebenso zu den Aufgaben des Referates wie die Begleitung der Rechtsetzung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes, des Geheimschutzes oder relevanter Bundesratsverfahren. Das große Interesse der Mitglieder des Thüringer Landtags an den Themenfeldern, die vom AfV zu bearbeiten sind, zeigt sich an der Anzahl diesbezüglicher parlamentarischen Anfragen. So war das AfV im Berichtszeitraum mit der Beantwortung von einer Großen Anfrage, 119 Kleinen Anfragen und 18 Mündlichen Anfragen befasst. Darüber hinaus ist das Referat mit der Durchführung der Verfahren zur Postund Telekommunikationsüberwachung (G10) betraut. Referat 51 "Auswertung Ausländerextremismus/Islamismus" Das Referat 51 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Islamismus, sonstiger Ausländerextremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. 14 Informationen zum Verfassungsschutz Referat 52 "Auswertung Rechtsextremismus/Linksextremismus, Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz (TIAZ)" Das Referat 52 erhält vom Referat "Beschaffung" Informationen zu dem Bereich Rechtsextremismus. Es lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Aufgabe der seit 2007 bestehenden TIAZ, einer Projektorganisation des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und des Thüringer Verfassungsschutzes, ist es, Informationen zu politisch motivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Ausländer" sowie den Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen. Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der "Antiterrordatei" (ATD). Referat 53 "Beschaffung" Dieses Referat hat die Aufgabe, durch Ermittlungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen. Referat 54 "Querschnittsaufgaben, Geheimschutz, Spionageabwehr, Scientology Organisation (SO)" Das dem Referat zugehörige Sachgebiet "Querschnittsaufgaben" ist für den inneren Dienstbetrieb zuständig. Angelegenheiten des personellen und materiellen Geheimschutzes sowie Mitwirkungspflichten des Verfassungsschutzes gemäß dem Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz werden im Sachgebiet "Geheimschutz" wahrgenommen. Dem Sachgebiet "Spionageabwehr" obliegt es, die unerlaubte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären. Zudem wird etwaigen Hinweisen auf frühere, fortwirkende Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR nachgegangen. In einem weiteren Sachgebiet werden Hinweise auf mögliche Betätigungen der in Thüringen bislang nicht organisatorisch vertretenen "Scientology Organisation" bearbeitet. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 15 Kontrollinstanzen des Verfassungsschutzes Allgemeine parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrollkommission des Thü(parlamentarische Anfragen, Petitionen von ringer Landtags Bürgern) Landesrechnungshof Amt für Verfassungsschutz Verwaltungsgerichte (Stabsstelle Controlling) Landesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit G10-Kommission des Thüringer Landtags Parlamentarische Kontrolle Gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission besteht eine umfassende Unterrichtungspflicht über die allgemeine Tätigkeit des AfV (SS 27 Abs. 1 ThürVerfSchG). Dabei bilden die mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnenen Erkenntnisse einen Schwerpunkt. Zudem ist der Landesregierung eine strukturierte Berichterstattung über die maßgeblichen operativen Vorgänge im Verfassungsschutz gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission aufgegeben (SS 27 Abs. 2 ThürVerfSchG). Dies betrifft im Einzelnen eine Übersicht über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel in den verschiedenen Phänomenbereichen, die Information über die Festlegung der einzelnen Beobachtungsobjekte, die Information über die Herstellung des Einvernehmens beziehungsweise des Benehmens für das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Länder respektive des Bundes in Thüringen, die Vorlage von Regelungen über die Vergütung von V-Leuten zur Kenntnis und die Unterrichtung über die Feststellung eines Informationsübermittlungsverbotes durch den Verfassungsschutz. Darüber hinaus ist die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission über den Erlass und jede Änderung von Dienstanweisungen (SS 27 Abs. 5 ThürVerfSchG) gesetzlich verankert. Für den Erlass und die Änderung der Dienstanweisung zum Einsatz von V-Leuten ist eine Anhörung der Parlamentarischen Kontrollkommission vorgeschrieben (SS 12 Abs. 6 Sätze 6 und 7 ThürVerfSchG). Die umfangreichen Unterrichtungspflichten der Landesregierung und Kontrollbefugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission ermöglichen eine umfassende parlamentarische Kontrolle der Tätigkeit des AfV und eine zusätzliche Sicherung der Grundrechte betroffener Personen. 16 Informationen zum Verfassungsschutz Nach SS 33 ThürVerfSchG unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 17 II. Rechtsextremismus 1. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Rechts weist die Statistik des Landeskriminalamts Thüringen (TLKA)4 folgende Zahlen aus: Straftaten 2015 2016 2017 Insgesamt 1.412 1.570 1.353 Davon u.a. Propagandadelikte 816 908 850 Gewaltdelikte 92 128 78 Sonstige5 504 534 425 Rund 64 Prozent aller politisch motivierten Straftaten, die im Berichtszeitraum im Freistaat Thüringen begangen wurden, sind dem Phänomenbereich "Rechts" zuzuordnen. Insgesamt ist diese Zahl von 1.570 Fällen im Jahr 2016 um 217 Fälle auf 1.353 im Jahr 2017 gesunken. Ebenfalls gesunken ist die Zahl der mit 850 Fällen weitaus größten Fallgruppe der Propagandadelikte. Hier waren im Vorjahr noch 908 Fälle zu verzeichnen. Wenngleich auch im Bereich der politisch rechts motivierten Gewaltkriminalität ein Rückgang um 50 Fälle von vormals 128 auf nunmehr 78 Straftaten festgestellt wurde, bewegt sich diese Fallgruppe noch deutlich über den Werten früherer Jahre (2011: 34, 2012: 22). 4 Veröffentlicht am 28. März 2018. 5 Bei den sonstigen staatsschutzrelevanten Delikten der PMK im Freistaat Thüringen handelt es sich überwiegend um Sachbeschädigungen, Volksverhetzungen, Verstöße gegen das Versammlungsgesetz, Beleidigungen, Diebstähle und Bedrohungen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 19 2. Überblick: Rechtsextremismus in Thüringen im Wandel Geschätztes Mitgliederund Personenpotenzial Thüringen Bund 2015 2016 2017 2016 2017 NPD 220 170 170 5.000 4.500 DIE RECHTE 40 30 30 700 650 Der III. Weg 20 25 25 350 500 parteiunabhängiges bzw. - - 180 - 6.300 parteiungebundenes Spektrum6 weitgehend unstrukturierte - - 500 - 12.900 Rechtsextremisten7 davon gewaltorientierte - - 250 - 12.700 Rechtsextremisten8 Das Gesamtpotenzial der bekannten aktiven Rechtsextremisten lag im Berichtsjahr bei etwa 8359 Personen (2016: 855). Der Rechtsextremismus stellt einen der Bearbeitungsschwerpunkte des AfV dar. Ausschlaggebend hierfür ist insbesondere die signifikante Gewaltneigung eines erheblichen Personenpotenzials (250), die sich im Freistaat durch eine hohe Anzahl rechtsmotivierter Strafund Gewalttaten offenbart. Rechtsextremistische Gewalt entlädt sich zwar oft spontan, jedoch aus einer Ideologie heraus, die Gewalt nicht nur als Mittel, sondern dem historischen Vorbild des Nationalsozialismus folgend auch als politisches Ziel propagiert. Fremdenhass, Antisemitismus und aggressiver Nationalismus als prägende Elemente einer rechtsextremistischen Ideologie finden so ihren unmittelbarsten Ausdruck im individuellen Verhalten von Rechtsextremisten. Der Rechtsextremismus sieht sich Veränderungsprozessen ausgesetzt, die sich auf die Organisationsformen, die Aktionsformen, aber nicht auf die ihm zugrundeliegenden Ideologie auswirken. So zeigen sich insbesondere die aktionistisch ausgerichteten Teile der rechtsextremistischen Szene flexibel und anpassungsfähig in ihrem Bemühen, mit ihren Themen eine größere Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Bevölkerungsteile zu erreichen. Gut zu beobachten war dies zum einen im Themenfeld "Anti-Asyl" und zum anderen durch die Etablierung neuer Aktionsformen, insbesondere durch die "Identitäre Bewegung". Aber auch traditionell dem Rechtsextremismus zuordenbare Themen, die in deutlicherer Weise neonazistisch geprägt sind, finden ihren Platz auf der Agenda der Szene. Dazu gehören sog. Zeitzeugenvorträge, das im August statt- 6 Die Kategorie wird erstmals ausgewiesen, Vergleichszahlen der Vorjahre liegen nicht vor. 7 Siehe Fn. 6. 8 Siehe Fn. 6. 9 Summe aller Einzelpotenziale (Zeilen 1 bis 5 der obigen Tabelle) nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften. 20 Rechtsextremismus findende Heß-Gedenken, eine neonazistisch konnotierte Brauchtumspflege oder die Solidaritätsbekundungen für inhaftierte Szeneangehörige oder führende Holocaustleugner. Die Auflistung lässt bereits erkennen, dass diese Themen deutlicher auf die Stärkung der rechtsextremistischen Binnenstruktur ausgerichtet sind als jene, die wie das Thema "Anti-Asyl" auch auf die Gewinnung neuer Anhänger zielen. Gesellschaftliche Entwicklungen veranlassen auch den Rechtsextremismus, variable Aktionsformen anzuwenden, die in ihrer Gesamtheit jugendadäquater, individueller, kommunikativer, aber auch kurzlebiger sind. Streng hierarchisch aufgebaute Parteien und Organisationen oder straff geführte neonazistische Kameradschaften wurden in den letzten Jahren durch informelle, flexible und kurzlebige Personenzusammenschlüsse ergänzt. Die parteiungebundene rechtsextremistische Szene ist kleinteiliger geworden. Parteien besitzen einen vergleichsweise hohen Organisationsgrad und sind aus dieser Sicht besonders in der Lage, zielund zweckgerichtet und konzentriert die freiheitliche demokratische Ordnung anzugreifen. In Thüringen ist die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) auch nach dem Versuch von Kleinparteien wie "DIE RECHTE" oder " Der III. Weg" sich in Thüringen zu etablieren, als wesentliche Größe im rechtsextremistischen Parteienspektrum zu nennen. Es ist ihr aufgrund des repressiven und präventiven staatlichen Drucks jedoch nicht gelungen, ihren Mitgliederbestand über die bereits im Vorjahr auf ca. 170 gesunkene Personenzahl hinaus auszubauen. Die rechtsextremistischen Kleinparteien "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" konnten im Berichtsjahr ihre Positionen im rechtsextremistischen Spektrum nicht stärken. Der Landesverband Thüringen der Partei "DIE RECHTE" war maßgeblich mitverantwortlich für den Rücktritt des damaligen Bundesvorsitzenden und Parteigründers Worch. In der Folge trat auch der Thüringer Landesvorstand zurück, viele Mitglieder verließen die Partei. Die Neonaziszene ist nach wie vor von einer hohen Heterogenität geprägt. Große bundesweit agierende Kameradschaftsverbände der 1990er-Jahre sind in kleinteilige Gebilde zerfallen, die oft nur eine geringe Bestandskraft besitzen. Der Szene fehlt es zumeist an kreativen Führungspersonen, die in der Lage sind, über den engeren Kreis ihrer Kameradschaft hinaus größere Integrationskraft zu entfalten, weshalb in diesem Bereich belastbare bundesweite Strukturen nur selten erreicht werden. Die quasi unbegrenzt zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel insbesondere im Bereich der sozialen Medien erleichtern der rechtsextremistischen Szene sowohl die Mobilisierung für ihre Themen, ermöglichen aber auch den direkten Austausch über den unmittelbaren persönlichen Kontakt hinaus, was die Sensibilität für aktuelle Themen weiter erhöht. Das Interesse an Musikveranstaltungen bei Rechtsextremisten in Thüringen ist aus vielfältigen Gründen ungebrochen. Die bereits in der Vergangenheit zu beobachtenden Großveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene haben inzwischen deutlich an Dimension hinzugewonnen. So fand im Juli in Themar/Kreis Hildburghausen das mit rund 6.000 Besuchern größte rechtsextremistische Konzert statt, das es jemals in der Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Gerade diese Veranstaltung Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 21 zeigt allerdings auch einen Trend zur Kommerzialisierung von Teilen des Rechtsextremismus. Darüber hinaus finden viele Konzerte und Liederabende im Kleinen und Verborgenen statt, in der Regel mit höchstens 100 bis 200 Teilnehmern. Die unstrukturierte rechtsextremistische Szene stellt seit Jahren die größte Gruppe im Rechtsextremismus. Während die organisatorisch gebundenen Rechtsextremisten zahlenmäßig zwar ein geringeres Potenzial aufweisen, ergänzen sich beide Szenen jedoch im Hinblick auf ihre Mobilisierungsfähigkeit. Im Bundestagswahlkampf 2017 kam es erneut zu zahlreichen Beschädigungen an Wahlkampfplakaten der unterschiedlichen Parteien. Zumindest ein Teil davon dürfte rechtsextremistischen Tätern zugerechnet werden können. Direkte Aktionen gegen politische Parteien durch Rechtsextremisten kommen in Thüringen immer wieder vor, auch wenn sie kein Hauptaktionsfeld in Thüringen sind. Die Auswahl der betroffenen Parteien deutete den rechtsextremistischen Hintergrund an. Am 18. Februar führte "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen"10 eine Demonstration unter dem Motto "Auge um Auge - Dem antideutschen Terror eine Adresse geben!" in Saalfeld durch. Eine Zwischenkundgebung fand in der Nähe eines Wahlkreisbüros einer Politikerin der Partei "DIE LINKE." stand, die damit offensichtlich eingeschüchtert werden sollte. Rechtsextremisten lehnen das demokratische System der Bundesrepublik ab. Parteien sind Repräsentanten dieses Systems und damit Ziel von rechtsextremistischen Aktionen. 3. Gewaltbereiter Rechtsextremismus Zahlreiche Rechtsextremisten, nicht selten die Führungspersonen, sind wegen der Begehung von Körperverletzungsdelikten vorbestraft. In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern vermeiden es Rechtsextremisten allerdings in der Regel, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Dies sollte nicht über das in großen Teilen der Szene immanente Gewaltpotenzial hinwegtäuschen. Ihr ideologischer Hintergrund impliziert ein ausgeprägtes Freund-Feind-Schema mit stark ausgrenzenden und herabwürdigenden Elementen dem vermeintlichen Feind gegenüber. Zufälliges Aufeinandertreffen mit aus ihrer Sicht als Feinde zu betrachtenden Dritten kann mitunter zu aggressivem Verhalten bis hin zu Körperverletzungen führen. Dabei sind durch Rechtsextremisten begangene Gewalttaten in den meisten Fällen spontane Äußerungen ihrer Gewaltbereitschaft. 1. Mai 2017 Apolda Für den 1. Mai war in Halle (Sachsen-Anhalt) eine Demonstration der rechtsextremistischen Partei "DIE RECHTE" unter dem Motto "Tradition verpflichtet! 84. Tag der deutschen Arbeit! Gemeinsam gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Überfremdung" an10 Siehe Kapitel 7. 22 Rechtsextremismus gemeldet worden. Aufgrund starker Proteste beendeten die Veranstalter die auf eine Kundgebung im Bahnhofsbereich reduzierte Versammlung schon kurz nach deren Beginn. Ein Teil der ca. 700 Teilnehmer reiste per Bahn in Richtung Thüringen zurück. Während eines regulären Halts in Apolda stieg eine etwa 150 Personen umfassende Gruppe aus und formierte sich zu einem nicht angemeldeten Demonstrationszug durch Apolda. Dabei bildete sich eine Art "Schwarzer Block". Aus der Personengruppe heraus wurden Polizeikräfte u. a. mit Steinen und Flaschen angegriffen. Darüber hinaus kam es zu Sachbeschädigungen im Stadtgebiet Apolda. Die zusammengekommenen Polizeikräfte reagierten sofort und adäquat. Etwa 100 Personen wurden vorläufig festgenommen. Die Polizei eröffnete gegen sie Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Landfriedensbruch. An der Aktion nahmen neben Angehörigen des "Antikapitalistischen Kollektivs" (AKK) u. a. auch Aktivisten der Partei "DIE RECHTE" und der "Freien Kräfte" teil. Etwa die Hälfte der festgestellten Personen stammte aus Thüringen. Das AKK veröffentlichte im Internet ein Video der Spontandemonstration auf dem Banner des AKK und schwarz gekleidete, teils vermummte, Personen zu sehen waren. Die Versammlung in Halle nahm mit ihrem Motto direkten Bezug auf die Vereinnahmung des ursprünglichen internationalen Arbeiterkampftages durch das nationalsozialistische Regime im Jahr 1933. Wie schon die Vorgängerveranstaltung 2016 in Erfurt wurde die Versammlung mit einem gespiegelten Motiv aus einem Wahlkampfplakat von Adolf Hitler beworben. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 23 Aus Thüringen wurde die Versammlung in Halle durch die damals dem AKK zuzurechnenden Gruppen "Kollektiv 56" und "Jugendoffensive WAK" sowie den Thüringer Landesverband von "DIE RECHTE" unterstützt. Das AKK war schon 2016 im Zusammenhang mit einer 1. Mai-Demonstration von "Der III. Weg" in Plauen mit Gewalttätigkeiten in Erscheinung getreten. Dort hatte es einen ca. 200 Personen umfassenden "Schwarzen Block" gebildet. Danach kam es zu einem Zerwürfnis zwischen den Veranstaltern und dem AKK, sodass dieser Personenkreis am 1. Mai 2017 nicht an der Demonstration von "Der III. Weg" in Gera teilnahm. Im AKK waren Personen und Gruppen vernetzt, die aus einer rechtsextremistischen Perspektive antikapitalistische Ideologie betrieben. Der vom AKK propagierte Antikapitalismus fußte auf Ideen, die an der Nation als "Lebensund Wirtschaftsraum des Volkes" und der Durchsetzung eines "Sozialismus innerhalb dieser Nation" ausgerichtet waren. Nicht nur sprachlich war dies an den klassischen Nationalsozialismus angelehnt und stand damit im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik. Seit Mitte 2017 trat das AKK nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Die Ereignisse in Apolda stehen exemplarisch für das in Teilen des rechtsextremistischen Spektrums vorhandene Gewaltpotential und konterkarieren damit seine Eigendarstellungen deutlich. In einer Veröffentlichung vom 23. März hatte das AKK verkündet, dass - ginge es nach ihnen - "unsere Demonstrationen ohne Repressionen vollkommen friedlich durch die Stadt laufen" würden. Gewalt des AKK wäre eine Reaktion auf Repression durch Staat und Gegendemonstranten. Das Geschehen in Apolda widerlegt diese Ausführungen. Das scheinbare Gefühl von Überlegenheit angesichts anfänglich geringer Polizeipräsenz ließ Gewalt gegen offensichtlich beliebige Ziele ausbrechen. 4. Rechtsextremistische Großveranstaltungen - Vernetzung, Ideologietransfer, Finanzierung Die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene in Thüringen wurden 2017 maßgeblich durch Großveranstaltungen wie: * "Rock für Deutschland" am 1. Juli in Gera, * "Rock gegen Überfremdung II" am 15. Juli in Themar, * "Rock für Identität" am 29. Juli in Themar und * "Rock gegen Links" am 28. Oktober in Themar. geprägt. Sie wiesen unabhängig vom ideologischen Hintergrund der Veranstalter eine übereinstimmende Struktur auf: Im Wechsel erfolgende Auftritte von Rednern und Musikgruppen sowie begleitend angebotene Informationsund Verkaufsstände in hoher 24 Rechtsextremismus Zahl. Vernetzung untereinander, Ideologietransfer vom Auftretenden zum Publikum und Finanzierung der veranstaltenden Strukturen sind die drei maßgeblichen Ziele solcher Großveranstaltungen. Die dargebotene Musik ist aus Sicht der Teilnehmer das wesentliche Element der Veranstaltung. Sie ist ein nicht unerheblicher Vernetzungsund Identifikationsfaktor. Der Transfer rechtsextremistischer Ideologie erfolgt nahezu ausschließlich durch die Musikbeiträge. Demgegenüber treten die politischen Redebeiträge in den Hintergrund. Gleichwohl werden diese Veranstaltungen als Versammlungen nach Art. 8 GG bewertet und stehen unter grundrechtlichem Schutz. Aus Sicht der Veranstalter dienen v. a. Großveranstaltungen der Finanzierung eigener Strukturen. So ist insbesondere bei wiederkehrenden, in der Szene in erster Linie als Musikfestival wahrgenommenen Veranstaltungen regelmäßig festzustellen, dass diese von Personen bzw. Gruppierungen organisiert und verantwortet werden, welche mittelbar oder unmittelbar an für die rechtsextremistische Szene charakteristischen Unternehmen beteiligt sind, z. B. in den Sparten Versandhandel, Musiklabel oder Konzertveranstaltung. In welchem Umfang erzielte Einnahmen auch in die politische Arbeit investiert werden, ist im Einzelnen nicht feststellbar. Es bleibt, dass die Veranstalter mit der Organisation dieser Großveranstaltungen v. a. Werbung und Unterstützung für die eigenen gewerblichen Aktivitäten erhalten. Neben den unmittelbaren Effekten im Rahmen der Veranstaltungen selbst, tragen diese dazu bei, dass die Binnenstruktur und Rekrutierungswege des rechtsextremistischen Spektrums nachhaltig gestärkt werden. Mittelund langfristig wurde eine Professionalisierung erreicht. Die Nutzung des Internets als Vertriebsplattform und das Erkennen des wirtschaftlichen Potenzials von Großveranstaltungen sind nur zwei Beispiele dieser Entwicklung. Hinzu tritt eine Kommerzialisierung bei der Bereitstellung und Weiterentwicklung rechtsextremistischer "Erlebnisund Bekenntniswelten" in Bezug auf möglichst viele Teilbereiche des Lebens. War es bis vor einigen Jahren noch üblich, etablierte und an sich unpolitische Marken als "Erkennungszeichen" zu tragen, sind an deren Stelle vielfach eigene Labels gerückt, die zudem nicht selten die Bandbreite von Szenekleidung über Musik bis hin zu Alltagsgegenständen anbieten. Auch vor dem Bereich des Kampfsports hat diese Entwicklung nicht halt gemacht. So fand am 14. Oktober 2017 in einer Halle in Kirchhundem (Nordrhein-Westfalen) zum fünften Mal in Folge der "Kampf der Nibelungen", die wichtigste Kampfsportveranstaltung der rechtsextremistischen Szene, statt. Sie zog mit ca. 500 Zuschauern deutlich mehr Interessenten an als in den Vorjahren. Während der Kampfsportveranstaltung, die professionell und konspirativ vorbereitet worden war, fanden ca. 20 Kämpfe in den Disziplinen Boxen, K1 und Mixed-Material-Arts statt. Von den Organisatoren hieß es im Nachgang, beim "Kampf der Nibelungen" habe es sich um die "größte nationale Kampfsportveranstaltung in Europa" gehandelt, an der Sportler "ohne das Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 25 Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung" teilnehmen konnten. Der Sport sei "nicht als Teil eines faulenden politischen Systems" zu verstehen, sondern vielmehr ein "fundamentales Element einer Alternative zu eben jenem". Die Anzahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen ist bundesweit gestiegen. Während die Zahl rechtsextremistischer Konzerte mit 68 im Vergleich zum Vorjahr konstant blieb, wurden 88 Liederabende und damit 17 mehr als im Vorjahr (71) durchgeführt. Ein noch stärkerer Anstieg war im Bereich der sonstigen Veranstaltungen mit Live-Musik auf bundesweit 103 (2016: 84) zu verzeichnen. Entgegen dem Bundestrend ließ die Zahl in Thüringen in diesem Bereich von 24 im Jahr 2016 auf 17 im Jahr 2017 nach. Auf etwa gleichem Niveau blieb die Anzahl der rechtsextremistischen Konzerte in Thüringen mit 11 (2016: 12) sowie jene der Liederabende mit ebenfalls 11 (2016: 12). Ein weiterer Liederabend wurde verhindert. 4.1 Kundgebung "Rock gegen Überfremdung" am 15. Juli in Themar 4.1.1 Überblick Unter dem Motto "Rock gegen Überfremdung II - Identität und Kultur bewahren - Redeund Musikbeiträge gegen den Zeitgeist" fand am 15. Juli in Themar die in Deutschland bislang größte Musikund Redebeiträgen umfassende rechtsextremistische Veranstaltung statt. Etwa 6.000 Rechtsextremisten aus Deutschland und dem benachbarten Ausland nahmen daran teil. Sie reisten mit 15 Bussen und etwa 1.200 privaten Pkw an. Die eingesetzte Polizei vor Ort registrierte Besucher u. a. aus Italien, Österreich, der Schweiz, der Slowakei, Tschechien und Ungarn. Am Nachmittag waren bereits mehr als jene 3.000 Teilnehmer vor Ort, die ihre Karten - über einen "freiwilligen Unkostenbeitrag" - im Vorverkauf zu je 35 Euro erworben hatten. 4.1.2 Organisation Die gemeinsam agierenden Verantwortlichen der Veranstaltung waren Tommy Frenck und die "Bruderschaft Thüringen". 26 Rechtsextremismus Tommy Frenck ist seit Jahren in der rechtsextremistischen Szene aktiv. Er vertritt das rechtsextremistische "Bündnis-Zukunft-Hildburghausen" (BZH) im Kreistag Hildburghausen, ist Betreiber der Gaststätte "Goldener Löwe" in Kloster Veßra sowie Inhaber des rechtsextremistischen Szenevertriebs "Druck 18". "Goldener Löwe" und "Druck18" Das Gasthaus "Goldener Löwe" in Kloster Veßra ist Treffpunkt und Anlaufobjekt der rechtsextremistischen Szene in Südthüringen. Es wird seit 2015 betrieben. Neben einem Gastraum für ca. 60 Personen umfasst das Objekt einen Saal für 150 bis 200 Personen. Regelmäßig ist die Gaststätte Veranstaltungsort für Konzerte, Liederund Balladenabende, Vortragsund Spendenveranstaltungen, politische Kundgebungen und Rechtsschulungen. Frenck erweist sich aufgrund seiner Umtriebigkeit als führender Rechtsextremist in der Region. Durch die Vielzahl der durchgeführten Veranstaltungen besteht ein hoher Vernetzungsgrad der unterschiedlichen Spektren der regionalen rechtsextremistischen Szene. Ein nicht unerheblicher Aspekt dieser Umtriebigkeit dürfte auch das gewerbliche Interesse von Frenck sein. Schließlich sind die Veranstaltungen im "Goldenen Löwen" eine Möglichkeit, vor Ort Produkte von "Druck 18" zu vertreiben. Vernetzung der rechtsextremistischen Szene, Ideologietransfer, wirtschaftlicher Nutzen für den "Goldenen Löwen" und "Druck 18" sind Bestandteile einer umfassenden Strategie. Die Kundgebung wurde als "Rock gegen Überfremdung II" beworben, nachdem bereits im August 2016 eine erste Veranstaltung dieser Art mit etwa 610 Besuchern in Kirchheim stattfand. Szeneintern galt die Kundgebung indes auch als Folgeveranstaltung für das "Rocktoberfest" am 15. Oktober 2016 in der Schweiz (ca. 5.000 Teilnehmer); war das unter der fiktiven Bezeichnung "Reichsmusikkammer" durchgeführte Konzert doch von demselben Personenkreis organisiert worden, wie die Kundgebung im August 2016 in Kirchheim. Mit der Reservierung der Eintrittskarten für die Veranstaltung am 15. Juli in Themar ebenfalls unter der Bezeichnung "Reichsmusikkammer" bot sich eine weitere Parallele, die entgegen den Darstellungen Frencks, er sei alleiniger Organisator von "Rock gegen Überfremdung II", ein Zusammenwirken mit den Veranstaltern der besagten Konzerte in Kirchheim und der Schweiz erkennen lässt. Bei der ersten Auflage von "Rock gegen Überfremdung" im August 2016 waren zwei Thüringer Rechtsextremisten aus dem Umfeld der regionalen Gruppierung "BruderVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 27 schaft Thüringen" als Anmelder und Versammlungsleiter in Erscheinung getreten. Auch bei "Rock gegen Überfremdung II" war die "Bruderschaft Thüringen" als Veranstalter aktiv. Sie stellte gemeinsam mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen, u. a. aus Brandenburg, den Ordnerdienst, war für die Abwicklung des Kartenverkaufs sowie für die Buchung der Musikgruppen verantwortlich. "Bruderschaft Thüringen" - Struktur Die "Bruderschaft Thüringen" ist eine rechtsextremistische Gruppierung, die sich aus zwei Subgruppen - der "Garde 20" und den "Turonen" - zusammensetzt. Ihr Wirken wird maßgeblich durch das Handeln der Hauptprotagonisten Steffen Richter und Thomas Wagner geprägt. Beide sind seit vielen Jahren in der rechtsextremistischen Szene aktiv, dementsprechend gut vernetzt und prägen die rechtsextremistische "Konzertlandschaft" in Deutschland. "Garde 20" und "Turonen" treten häufig gemeinsam auf und pflegen zumindest äußerlich u. a. durch das Tragen von Lederkutten einen der Rockerszene ähnlichen Habitus, ohne jedoch dort angebunden zu sein. Auch das bestehende Über-Unterordnungsverhältnis zwischen den Gruppierungen - die Mitglieder von "Garde 20" sind die "Supporter" (deutsch: Unterstützer) der "Turonen" - orientiert sich an entsprechenden Strukturen. Der "Bruderschaft Thüringen" und deren Umfeld werden ca. 40 Personen aus Westund Südthüringen zugerechnet, wobei die "Garde 20" überwiegt. Als Szenetreff nutzen die Mitglieder u. a. das "Gelbe Haus" in Ballstädt. Verhielten sich die Mitglieder der Bruderschaft in den ersten Jahren ihres Bestehens seit dem Jahr 2014 eher konspirativ und traten selten öffentlich erkennbar als Gruppe auf, so änderte sich dies im Jahr 2017. Auch während der Veranstaltung am 15. Juli zeigte sich die Gruppe - gemeinsam mit weiteren Helfern - in einheitlich gelben T-Shirts, Wagner erschien in Kutte. Neben der Großveranstaltung "Rock gegen Überfremdung II" in Themar organisierte die "Bruderschaft Thüringen" im Jahr 2017 weitere rechtsextremistische Konzerte. Sie zeichnete sowohl für ein angemeldetes Konzert in Kirchheim als auch für mehrere unangemeldete Konzerte im Szeneobjekt "Waldhaus" in Sonneberg verantwortlich. Die regelmäßige Verpflichtung von rechtsextremistischen Musikgruppen aus dem Inund Ausland sowie die Zusammensetzung des Konzertpublikums zeigen die gute Vernetzung der Mitglieder der Bruderschaft. Dabei verfügen sie nicht nur über Kontakte zu Rechtsextremisten im In-, sondern auch im Ausland. Beispielhaft sei die Zusammenarbeit bei der Organisation des "Rocktoberfestes" genannt. Das rechtsextremistische Konzert wurde gemeinsam mit Personen vorbereitet und durchgeführt, die dem Netzwerk "Blood&Honour" in der Schweiz zugerechnet werden. 28 Rechtsextremismus "Bruderschaft Thüringen" - Gewaltbereitschaft Ein Großteil der Angehörigen der "Bruderschaft" verfügt über ein umfangreiches Vorstrafenregister, insbesondere im Bereich der Körperverletzungsdelikte. Im Mai 2017 wurden mehrere Mitglieder, u. a. Thomas Wagner und Marcus Rußwurm, im sog. Ballstädtprozess zu Freiheitsstrafen verurteilt. Hintergrund des Verfahrens vor dem Landgericht Erfurt war der Überfall auf eine Veranstaltung der Kirmesgesellschaft in Ballstädt in der Nacht vom 8./9. Februar 2014. Seinerzeit drang eine Gruppe vermummter Personen in das Veranstaltungsobjekt ein, zerstörte das Inventar und verletzte zehn Personen.11 Am 19. August fielen Thüringer Teilnehmer bei einer Rudolf-Heß-Gedenkkundgebung12 "Mord verjährt nicht, gebt die Akten frei - Recht statt Rache!" in Berlin-Spandau polizeilich auf. Neben einzelnen Strafanzeigen wegen diverser Verstöße gegen das Versammlungsgesetz handelte es sich um ein Körperverletzungsdelikt gegen einen Polizeibeamten durch Marcus Rußwurm, Mitglied der "Bruderschaft Thüringen". Am 14. Oktober fand in Kirchhundem (Nordrhein-Westfalen) zum fünften Mal in Folge der "Kampf der Nibelungen" statt, die wichtigste Kampfsportveranstaltung der rechtsextremistischen Szene. Während der Veranstaltung, die professionell und konspirativ vorbereitet war, fanden ca. 20 Kämpfe in den Disziplinen Boxen, K113 und "Mixed-Martial-Arts"14 statt. Unter den Kämpfern aus dem Inund Ausland befanden sich auch mindestens zwei Rechtsextremisten aus Thüringen, u. a. Sebastian Dahl, Mitglied der "Bruderschaft Thüringen". 4.1.3 Durchführung Die Einsatzkräfte der Polizei nahmen insgesamt 46 Vorfälle - überwiegend Propagandadelikte und Verstöße gegen das Versammlungsgesetz - auf. Teilnehmer hatten strafrechtlich relevante Tätowierungen überwiegend abgeklebt, einzelne Besucher trugen jedoch Bekleidung mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Veranstalter wurde polizeilich ermahnt, nachdem bei Auftritten der Musikgruppen "TreueOrden" und "Blutzeugen" - letztgenannte trugen schwarzen Masken - 11 Das Urteil hatte wegen eines laufenden Revisionsverfahrens bis zum Redaktionsschluss noch keine Rechtskraft erlangt. 12 Der zeitweilige Hitlerstellvertreter Rudolf Heß beging am 17. August 1987 in dem damaligen Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau Suizid. 13 K1 ist keine eigene Kampfsportkunst, sondern eine Wettkampfart. Im Rahmen von K1-Kämpfen messen sich Vertreter verschiedener Kampfsportarten (z. B. Karate, Kung-Fu, Kickboxen), welche sich an gemeinsame Regeln halten. 14 "Mixed-Martial-Arts" ist eine Vollkontaktsportart. Die Kämpfer bedienen sich Schlagund Tritttechniken aus verschiedenen Kampfsportarten. Im Unterschied zu anderen Vollkontaktsportarten darf auch im Bodenkampf geschlagen und zum Teil getreten werden. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 29 indizierte Lieder präsentiert und Bandmitglieder von "Blutzeugen" auf der Bühne "Sieg Heil" skandierten. Die mit etwa 900 Beamten vor Ort befindliche Polizei dokumentierte die Verstöße. Auf dem Veranstaltungsgelände waren verschiedene rechtsextremistische Vertriebe und Initiativen mit Informationsund Verkaufsständen präsent. So verteilten "Der III. Weg", die Organisatoren des "Tages der deutschen Zukunft" und die Bürgerinitiative "Wir lieben Meiningen" Informationsmaterial. Rechtsextremistische Vertriebe wie "Opos Records", "Zeughaus" und der "Hermannsland-Versand" verkauften Tonträger und Szenebekleidung. Außerdem waren das Zeitungsprojekt "N. S. Heute" und "Die Gefangenenhilfe" mit einem Informationsstand vertreten. Redner Bei der Kundgebung traten mehr als zehn Redner aus verschiedenen Bundesländern auf. Sie repräsentierten rechtsextremistische Organisationen, wie die inzwischen aufgelöste "Europäische Aktion" (EA), "DIE RECHTE", "Der III. Weg" und die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), aber auch die Spektren des parteiunabhängigen und subkulturellen Rechtsextremismus. Aus Thüringen waren neben Tommy Frenck auch Michael Zeise, Axel Schlimper (EA) und David Köckert ("THÜGIDA & Wir lieben Sachsen") als Redner vorgesehen. Ausdruck der internationalen Vernetzung war die Einladung eines führenden Vertreters der osteuropäischen bzw. russischen rechtsextremistische Szene. Bands Mit "FLAK", "Sleipnir", "Division Germania", "Uwocaust", "Blutzeugen" und "TreueOrden" hatten die Veranstalter sechs Musikgruppen verpflichtet, die zu den bekannteren des subkulturellen rechtsextremistischen Spektrums gehören. Besondere Zugkraft erzeugte bereits im Vorfeld die Ankündigung der Haupt-Acts von "Die Lunikoff-Verschwörung" und "Stahlgewitter". Sie besitzen in der subkulturellen rechtsextremistischen Szene wegen ihres jahrzehntelangen Bestehens und ihrer Texte Kultstatus. Entsprechend war die höchste Beteiligung von rund 6.000 Besuchern beim Auftritt der beiden Musikgruppen am späten Abend zu verzeichnen. Gegen den Sänger von "Stahlgewitter" wurden im Nachgang zur Veranstaltung drei Ermittlungsverfahren gemäß SSSS 130, 86 und 90a Strafgesetzbuch (StGB) aufgrund der dargebotenen Titel "Einen Tag regieren", "Zurück zu unseren Traditionen" und "Auftrag Deutsches Reich" eingeleitet. 30 Rechtsextremismus "Einen Tag regieren" (aus: "Das eiserne Gebet") In Hannover ist's gewesen, so wie jedes Jahr, asozialer Abschaum - Punker waren da. Der größte Haufen Dreck haust im ganzen Land, gibt sich völlig frei, die Klinke in die Hand. Refrain: Fegt die Scheiße aus dem Land, dieser ganze Abschaum nennt sich Punk. Einen Tag regieren, das wär' schön, keiner würd' den Pöbel jemals wiedersehn. Bullen sind Nullen, das haben sie bewiesen. Machen sich zum Narren und ließen sich beschießen. Chaostage - man muss fast drüber lachen wie sie diesen Staat zum Affen machen. Refrain Um Chaos zu vermeiden, muss man nicht viel reden. Schreien sie nach Chaos, muss man's ihnen geben. Haut sie von der Straße, steckt sie in den Knast, oder in den Steinbruch, so einfach ist das. Refrain Auf Wiederseh'n "Bruderschaft Thüringen" - Aktionsfeld Musik Auch über den 15. Juli hinaus besteht eine enge Kooperation zwischen den Mitgliedern der "Bruderschaft Thüringen" - insbesondere Thomas Wagner - und dem Sänger der Band "Stahlgewitter" aus Niedersachsen. Im November 2017 wurde ein Musikvideo des Bandprojekts "In Tyrannos" auf YouTube veröffentlicht. Nicht nur, dass Wagner darin gemeinsam mit dem o. g. Sänger als Bandmitglied zu sehen ist, das Video verweist auch auf "Frontschwein Medien" und wurde vermutlich von Wagner produziert. Dieser ist eigenen Angaben zufolge Geschäftsführer der Firma "Frontschwein Records". Wagner ist ebenfalls Mitglied der aufgetretenen Musikgruppe "TreueOrden" aus dem Raum Gotha. Wie die Band "Stahlgewitter" veröffentlichte sie Tonträger, welche z. B. den Tatbestand des SS 130 StGB erfüllen. Auf dem Tonträger "SA voran" von "TreueOrden" wird im Titel "Ausklang" dazu aufgerufen, das Judentum in Europa auszurotten. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 31 "Ausklang" "Auch eine andere Macht, die sehr gewaltig war in Deutschland, hat unterdes die Erfahrung erleben können, dass die nationalsozialistischen Prophezeiungen keine Phrasen sind. Es ist die Hauptmacht, der wir all dieses Unglück verdanken: das internationale Judentum. Sie werden sich noch erinnern an die Reichstagssitzung, in der ich erklärte, wenn das Judentum sich etwa einbildet, einen internationalen Weltkrieg zur Ausrottung der europäischen Rassen herbeiführen zu können, dann wird das Ergebnis nicht die Ausrottung der europäischen Rassen sondern die Ausrottung des Judentums in Europa sein. Sie haben mich immer als Prophet ausgelacht. Von denen, die damals lachten, lachen heute unzählige nicht mehr. Die jetzt noch lachen, werden in einiger Zeit vielleicht auch nicht mehr lachen." (Fehler im Original) 4.1.4 Finanzen Die Abwicklung des Ticketverkaufs erfolgte über private Konten eines Mitglieds der "Bruderschaft Thüringen". Bei Zugrundelegung des Eintrittsgeldes in Höhe von 35 Euro und einer Teilnehmerzahl von 6.000 Personen ergeben sich rein rechnerisch Einnahmen von etwa 200.000 Euro. Zudem wurden Umsätze durch sonstige gewerbliche Angebote (z. B. Speisen, Getränke, Verkauf von Szeneartikeln) erzielt. Die erwirtschafteten Gelder fließen zu Teilen in die private Lebensführung der Veranstalter. Sie dienen zudem der Finanzierung verschiedener Szeneobjekte, der Vorbereitung weiterer Großveranstaltungen, oder auch der finanziellen Unterstützung von strafrechtlich belangten Szeneangehörigen etwa durch Übernahme von Prozesskosten. 4.1.5 Juristische Auseinandersetzung Um den Status der Veranstaltung als politische Versammlung nach dem Versammlungsgesetz war zuvor verwaltungsgerichtlich gerungen worden. Das Landratsamt des Kreises Hildburghausen als zuständige Versammlungsbehörde hatte diese Bewertung verneint und in seinem ablehnenden Bescheid insbesondere den überwiegend kommerziellen Charakter der Veranstaltung und die zahlreichen Musikdarbietungen herausgestellt. Die Veranstalter gingen gegen den Bescheid, der ihnen die Absicherung der Veranstaltung mit eigenen Kräften vorgab und eine Vielzahl von Auflagen enthielt, gerichtlich vor. Sie obsiegten in zwei Instanzen vor dem Verwaltungsgericht (VG) Meiningen und dem Oberverwaltungsgericht (OVG) Weimar im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, das summarische Prüfungen vorsieht. 32 Rechtsextremismus In seinem Beschluss vom 3. Juli hatte das VG Meiningen darauf abgestellt, dass das Gesamtgepräge einer "gemischten" Veranstaltung ausschlaggebend für eine Bewertung als "politische Versammlung" sei. Auch im Zweifelsfalle bewirke das hohe Grundrecht der Versammlungsfreiheit, dass eine derartige Veranstaltung als Versammlung behandelt werden müsse. Als wesentliche Argumente führte das Gericht den Auftritt der Redner sowie die beabsichtigten Informationsstände an, die darauf abzielten, einen Prozess der Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung zu initiieren. Darüber hinaus stehe jedoch auch der Auftritt von Musikgruppen, die über Liedtexte politische Botschaften vermittelten, dem Versammlungscharakter einer Veranstaltung nicht entgegen. Im Gegenteil hebe sich ein solches Konzert, das den Zweck verfolge, die eigene weltanschauliche und politische Identität zu bestätigen, deutlich von anderen Konzerten ab, bei denen der Musikgenuss im Vordergrund stehe. Das OVG wies die durch den Landrat gegen diesen Beschluss eingelegte Beschwerde mit Beschluss vom 12. Juli zurück. Das VG habe "die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsund Bundesverfassungsgerichts konsequent angewandt und den Sachverhalt zutreffend so gewürdigt, dass der geplanten Veranstaltung nach einer Gesamtschau aller relevanten Umstände der Charakter als Versammlung im grundrechtlich geschützten Sinne nicht abgesprochen werden könne." 4.1.6 Bewertung "Rock gegen Überfremdung II" war die größte bislang in Deutschland ausgerichtete rechtsextremistische Musikveranstaltung überhaupt. Dass der enorme Besucherstrom die Erwartungen der Organisatoren deutlich übertraf, dürfte einem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren geschuldet gewesen sein: Die zentrale Lage des Veranstaltungsortes erleichterte die Anreisen aus anderen Bundesländern und zum Teil auch aus dem Ausland erheblich. Die frühzeitige Anmeldung, aus der eine Planungssicherheit für potenziell Anreisewillige resultierte, und die Verfügbarkeit einer ausreichenden Veranstaltungsfläche wirkten sich ebenfalls begünstigend aus. Daneben agierten die Veranstalter mit einer Professionalität, die in der subkulturellen rechtsextremistischen Szene sonst kaum zu finden ist. Besondere Zugkraft ging jedoch von den für das Festival verpflichteten Rednern und Musikgruppen aus. Ihre jeweilige szeneinterne Bedeutung bzw. Popularität wirkte stark mobilisierend. 4.2 Kundgebung "Rock für Deutschland" am 1. Juli in Gera Am 1. Juli fand die erste von drei Großveranstaltungen des rechtsextremistischen Spektrums in Thüringen statt. Der NPD-Kreisverband Gera hatte eine politische Versammlung unter dem Motto "Rock für Deutschland" angemeldet. Das Programm umfasste im Wechsel dargebotene einschlägige Musik15und Redebeiträge. Die Redner 15 Im Einzelnen: "Confident of Victory", "Division Germania", "Frontalkraft", Frontfeuer", "Green Arrows", "Hausmannskost". Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 33 repräsentierten sowohl die NPD als auch das parteiunabhängige neonazistische Spektrum. Zu der Veranstaltung im Hofwiesenpark in Gera fanden sich bis zu 860 Personen ein. Darüber hinaus wurden Informationsund Verkaufsstände angeboten, u.a. von "Germania Versand/Germania Records", "Rebel Records", "Ansgar Aryan" und "Kollektiv Nordharz". Ebenso war der NPD-Landesverband Thüringen mit einem Stand vertreten. Mit der Veranstaltungsreihe "Rock für Deutschland" hält die NPD an ihrer Strategie fest, rechtsextremistische Musik mit politischer Propaganda zu verbinden. Ziel ist es, wieder mehr Teilnehmer für öffentlichkeitswirksame Aktionen der NPD zu gewinnen, die Akzeptanz der Partei im aktionsorientierten rechtsextremistischen Spektrum zu steigern und in der Öffentlichkeit nach dem Abschluss des Verbotsverfahrens eine größere Präsenz zu zeigen. Der Erfolg derartiger Veranstaltungen hängt maßgeblich von den auftretenden Musikgruppen ab. Vorliegend handelte es sich um langjährig bekannte rechtsextremistische Akteure aus dem Inund Ausland. Dieses Angebot sorgte in der rechtsextremistischen Szene bundesweit für eine entsprechend hohe Nachfrage, zumal die Veranstaltungsreihe "Rock für Deutschland" in den Jahren 2015 und 2016 nicht durchgeführt wurde. Ebenso waren die aufgetretenen Redner langjährig bekannt und sehr gut vernetzt. Es ist davon auszugehen, dass die NPD Thüringen versuchen wird, ihre im Zuge des mehrjährigen Parteiverbotsverfahrens16 eingebüßte Stellung innerhalb der rechtsextremistischen Szene neu zu beleben und sich mit Veranstaltungen wie "Rock für Deutschland" in Erinnerung zu bringen. Dabei dienen diese Versammlungen auch als Vernetzungsplattform zwischen den unterschiedlichsten Parteien und Gruppierungen. So können durch das dort präsentierte Angebot von Vertrieben und Labeln Aussagen und Botschaften der NPD sowie anderer rechtsextremistischer Gruppierungen transportiert werden. Daher wird die NPD wohl auch zukünftig derartige Veranstaltungen nutzen, um wieder mehr Akzeptanz innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Thüringen zu erlangen. 16 Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 s. Kap. 6.1. 34 Rechtsextremismus 4.3 Kundgebung "Rock für Identität" am 29. Juli in Themar Am 29. Juli fand auf einer Wiese in Themar die dritte rechtsextremistische Großveranstaltung in Thüringen im Juli 2017 statt, an der etwa 1.050 Besucher aus Deutschland und dem europäischen Ausland teilnahmen. Bei der als politische Kundgebung unter dem Motto "Rock für Identität - Musikund Redebeiträge gegen die Abschaffung Deutschlands" angemeldeten und in der Szene als "Live H8" (steht für "Live Hate", deutsch: "Live Hass") beworbenen Veranstaltung traten abwechselnd rechtsextremistische Musikgruppen17 und Redner aus unterschiedlichen Teilspektren auf, z. B. Axel Schlimper (EA), Patrick Weber (NPD), Michael Zeise (freier Aktivist). Weitere, überregional angereiste Redner vertraten "DIE RECHTE" und die "Identitäre Aktion". Bei der Veranstaltung waren Informationsund Verkaufsstände verschiedener Organisationen und Vertriebe vertreten. Durch die Polizei wurden insgesamt 40 Straftaten festgestellt, überwiegend wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz. Mit dieser Veranstaltung wurden seit 2013 nunmehr fünf sog. Live H8-Kundgebungen durchgeführt; seit 2014 in Südthüringen. Die vierte Auflage am 7. Mai 2016 war mit rund 3.500 Teilnehmern bis dato eine der größten rechtsextremistischen Veranstaltungen der letzten Jahre in Deutschland. "Rock für Identität" bildete den Abschluss einer Reihe von rechtsextremistischen Großveranstaltungen im Monat Juli. Eine derartige Häufung teilnehmerstarker Formate innerhalb eines Monats in nur einem Bundesland stellt ein Novum dar und unterstreicht die These, dass sich Thüringen in den letzten Jahren kontinuierlich zum überregionalen Schwerpunkt derartiger Veranstaltungen entwickelt hat. Eine Gesamtbesucherzahl von etwa 8.000 Personen ist Beleg für die überregionale Anziehungskraft solcher Szenetreffen. Für die Veranstalter hat sich ein finanziell vorteilhaftes Betätigungsfeld aufgetan, an dem sie zumindest mittelfristig festhalten werden. 17 Im Einzelnen: "Blutlinie", "Faust", "Frontalkraft", "Phönix", "Sköll Dagaz", "Sturmwehr". Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 35 4.4 Kundgebung "Rock gegen Links" am 28. Oktober in Themar Unter dem Motto "Rock gegen Links - Musik und Redebeiträge gegen den Zeitgeist" versammelten sich am 28. Oktober mehr als 1.000 Teilnehmer bei einer rechtsextremistischen Großveranstaltung in Themar. Es war nach "Rock gegen Überfremdung II" am 15. Juli und "Rock für Identität" am 29. Juli die dritte Großveranstaltung auf diesem Grundstück im Berichtszeitraum. Die Teilnehmer reisten aus dem Bundesgebiet und dem europäischen Ausland an. Insgesamt dokumentierten die eingesetzten Polizeikräfte 17 Strafanzeigen, darunter fünf wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Den Veranstaltungsteilnehmern wurden in abwechselnder Reihenfolge fünf Rednerbeiträge und neun Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen18 aus verschiedenen Bundesländern offeriert. Sowohl die Redner, darunter Axel Schlimper und Michael Zeise, als auch die Musikgruppen sind verschiedenen Teilspektren des Rechtsextremismus (NPD, EA, AKK, freie Aktivisten) zuzurechnen. Zudem waren neben den offiziellen Programmpunkten zehn Informationsund Verkaufsstände angemeldet, unter anderem des AKK, der NPD Thüringen und des Vertriebes "Frontmusik". Ein Rechtsextremist aus Bayern trat als Anmelder und Versammlungsleiter der Kundgebung auf. Organisatorische Unterstützung leistete ein rheinland-pfälzischer NPDFunktionär. Bei der Vorbereitung der Veranstaltung wurde mit Aktivisten der "Hammerskins"19 kooperiert. Vor allem deren weitreichende Kontakte in der rechtsextremistischen Musikszene waren für diese Veranstaltung von enormer Bedeutung. Im Vorfeld der Veranstaltung kam es in sozialen Medien zu Kritik am Organisator, der ausschließlich an der Szene und den Konzertbesuchern verdienen, aber nichts in die Bewegung zurückfließen lassen wolle. 18 Im Einzelnen: "Blue Eyed Devils", "Confident of Victory","Fortress", "Frontalkraft", "Germanium", "Hausmannskost", "Kategorie C", "Oidoxie", "Sköll Dagaz". 19 Die "Hammerskins" stellen eine international aktive Bewegung von Rechtsextremisten dar, die 1986 in den USA gegründet wurde und seit Mitte der 1990er Jahre auch in Deutschland mit Sektionen vertreten ist. Die Bewegung versteht sich als Elite innerhalb der Skinheadszene. Sie verherrlicht bzw. propagiert rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Symbol der Bewegung sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer in einer Raute, die für Kraft und Stärke der "weißen Arbeiterklasse" stehen sollen. 36 Rechtsextremismus In der nachfolgenden szeneinternen Debatte hieß es, dass Musikangebot der Veranstaltung sei zwar attraktiv, eine Teilnahme wegen der Person des Veranstalters jedoch ausgeschlossen. Somit lag die Teilnehmerzahl trotz der Ankündigung teils hochkarätiger Musikgruppen mit rund 1.100 Personen unter den allgemeinen Erwartungen. Fazit Die Veranstaltungsfläche in Themar war im Jahr 2017 einer der Aktivitätsschwerpunkte der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Die dort abgehaltenen Kundgebungen am 15. und 29. Juli sowie am 28. Oktober aber auch jene am 1. Juli in Gera verdeutlichen die nicht zu unterschätzende Mobilisierungskraft rechtsextremistischer Musik und zugleich ihre Bedeutung als verbindendes Element zwischen den unterschiedlichen Spektren der rechtsextremistischen Szene. Aufgelöstes rechtsextremistisches Konzert am 22. April in Ranis-Ziegenrück Im Jahr 2017 konnte in Thüringen ein rechtsextremistisches Konzert durch Einsatzkräfte der Polizei aufgelöst werden. Dieses Konzert war im Vorfeld weder behördlich angezeigt noch öffentlichkeitswirksam beworben worden. Dem AfV lagen jedoch Hinweise vor, dass am 22. April unter der Bezeichnung "Radau im Kessel 2.0" ein rechtsextremistisches Konzert im Großraum Pößneck stattfinden sollte. Angekündigt waren die Auftritte verschiedener Bands und Liedermacher, darunter "FLAK Solo" (Rheinland-Pfalz) und "Überzeugungstäter Vogtland" (Sachsen). Durch weiterführende Ermittlungen konnte den Einsatzkräften der Polizei der Veranstaltungsort (Gemeinde Paska) mitgeteilt werden. Schließlich beendete der zuständige Bürgermeister das Konzert. Die Polizei stellte ca. 120 Personen der rechtsextremistischen Szene fest, dokumentierte fünf Anzeigen, u. a. wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, und erteilte Platzverweise. 5. "Neue Rechte" Auch im Jahr 2017 besaß das Thema "Asyl" eine stark mobilisierende Wirkung für das gesamte rechtsextremistische Spektrum. Davon konnten erneut auch Vertreter der sog. Neuen Rechten profitieren. Der Großteil der Szeneangehörigen hat sich bislang nicht durch große Affinität zu einer "intellektualisierten" Interpretation ihrer Ideologie ausgezeichnet. Abgesehen von einigen wenigen führenden Protagonisten ist das rechtsextremistische Personenpotenzial nicht in der Lage, Rassismus, Ausländerhass und sonstige Ressentiments in einer Weise zu vertreten, die über die Nachahmung üblicher Stereotype hinausgeht. Zugleich bestand bei einem kleineren Teil des Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 37 Spektrums immer auch das Bestreben einer stärker intellektuell geprägten Begründung seiner Ansichten. Damit fand bei einigen auch der Wunsch Ausdruck, sich vom subkulturell und mitunter als "dumpf" empfundenen übrigen Spektrum abzugrenzen. Das Angebot an Mitwirkungsmöglichkeiten dieser Art ist im Rechtsextremismus nicht groß, es beschränkt sich in aller Regel auf kleinere, theoretisch ausgerichtete Debattierzirkel mit in der Regel schon lebensälteren Mitstreitern ohne besonderen Einfluss auf die Gesamtszene. Besonders jene, die dem Rechtsextremismus einen modernen und anschlussfähigeren Anstrich verleihen wollten, trafen mehrheitlich auf enorme Skepsis der übrigen Szene. Der Hauptvorwurf war regelmäßig, zu wenig radikal zu sein. Das Kalkül dieses "modernisierten" Rechtsextremismus, nämlich über eine insgesamt weniger bedrohlich wirkende Erscheinung rechtsextremistische Ansichten in weitere Kreise der Bevölkerung zu tragen, richtete sich insofern häufiger gegen die Vertreter dieser Strategie selbst, als dass sie damit die übrige Szene überzeugen konnten. Während der lediglich auf das äußere Erscheinungsbild von Rechtsextremisten gerichtete Teil dieser Strategie von breiteren Kreisen der rechtsextremistischen Szene übernommen wurde, blieben die auf die bessere Anschlussfähigkeit rechtsextremistischer Argumentationen gerichteten Appelle weitestgehend ungehört. So traten Rechtsextremisten bei Demonstrationen weniger häufiger in klassischer Skinhead-Kluft auf, sondern bemühten sich um korrektes Auftreten unter Verzicht auf Bomberjacke und Springerstiefel - auch Alkoholund Rauchverbote gehörten bei solchen Anlässen dazu. Inhaltlich blieben diese Rechtsextremisten jedoch dem Nationalsozialismus als anzustrebendes Ideal verhaftet. Eine Haltung, die sich selbst oft schnell enttarnt und sich direkt negativ auf ihre Anschlussfähigkeit in bürgerliche Kreise auswirkt. Schlüsselthema "Asyl" Für die lange ein Nischendasein führende "Neue Rechte" bedeutete das Thema "Asyl" hingegen ein regelrechtes Konjunkturund Verjüngungsprogramm. Die sich intellektuell gebenden Angehörigen der rechtsextremistischen Szene waren bislang eher lebensälter und wenig aktionsorientiert. Ihre Treffen, Tagungen und sonstigen Veranstaltungen erreichten kein größeres Publikum - weder innerhalb der rechtsextremistischen Szene noch darüber hinaus. Ihre Wirkung blieb insofern auch meist begrenzt. Ein Beispiel ist die "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GfP). Trotz ihrer bundesweit mehr als 500 Mitglieder ist ihr Einfluss auf die ideologische und strategische Ausrichtung, das Auftreten und Verhalten weiter Teile des übrigen rechtsextremistischen Spektrums sehr überschaubar. Insbesondere blieb in dem vorgenannten Fall die dahinter stehende Strategie, nämlich der Versuch auf den intellektuell-kulturellen Diskurs der Gesellschaft Einfluss auszuüben, um eine rechtsextremistisch geprägte 38 Rechtsextremismus "kulturelle Hegemonie" (Antonio Gramsci) herzustellen, schon im Ansatz stecken. Der Grund hierfür liegt vor allem in der weitgehend funktionierenden Identifizierung und entsprechenden Benennung solcher Versuche durch gesellschaftliche Akteure des demokratischen Spektrums. Der vorgenannte gesellschaftliche Konsens ist im Rahmen der seit dem Jahr 2015 angelaufenen Diskussion um die richtige Flüchtlingspolitik an einigen Stellen jedoch brüchig geworden. Diese Entwicklung wiederum wurde vor allem durch Gruppierungen der "Neuen Rechten" recht geschickt genutzt, die sich bislang nicht ohne Weiteres dem übrigen rechtsextremistischen Spektrum zurechnen ließen. Dass diese Gruppierungen wiederum zahlreiche auch langjährig bekannte Rechtsextremisten nicht nur in ihren Reihen haben, sondern diese zugleich oftmals zu den Funktionären gehören, gibt bereits starke Hinweise auf den eigentlichen ideologischen Hintergrund der sich ansonsten beredt von der sog. Alten Rechten abgrenzenden extremistischen Strömung. Mehrheitsgesellschaft im Blick Erklärtes Ziel der "Neuen Rechten" ist ein Abbau der bisher vorhandenen gesellschaftlichen Abgrenzung zu rechtsextremistischen Positionen. In der Diktion der Vordenker dieses Ziels wird dies in Anlehnung an den italienischen Kommunisten Antonio Gramsci die Herstellung "kultureller Hegemonie" genannt. Erst wenn es gelänge, die Mehrheit von den eigenen neurechten Ansichten über die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit zu überzeugen, könne man im Anschluss auch das politische System nach diesen Ansichten formen. Der Drehund Angelpunkt dieses Ansatzes ist die Anschlussfähigkeit neurechter Thesen. Je weniger klar die eigenen Positionen als jene des rechtsextremistischen Spektrums identifizierbar seien, desto größer sei die Chance, dass diese in allgemeine gesellschaftliche Mehrheitspositionen Eingang fänden. Inhaltlich glauben sich die Vertreter der "Neuen Rechten" dabei sogar in Distanz zum historischen Nationalsozialismus, dessen Anhänger sie unter dem Begriff der "Alten Rechten" zusammenfassen. Sie beziehen sich zwar vornehmlich auf die Theoretiker der Konservativen Revolution, den antidemokratischen Gehalt ihrer Ansichten können sie damit aber kaum übertünchen. Soweit sich die Vertreter der Konservativen Revolution vom Nationalsozialismus distanzierten, geschah dies in erster Linie aus der Ablehnung seines Charakters als Massenbewegung heraus und nicht, weil seine Positionen konträr gewesen wären. Die Konservative Revolution wollte keine Massenoder Volksbewegung, sondern eine Art Herrschaft des intellektuellen "Adels" herleiten. In dem dann wieder anzustrebenden "natürlichen" Gesellschaftsgefüge unter "Herrschaft der geistigen Elite" sollten alle darunter befindlichen Teile der Gesellschaft ihren Platz freiwillig akzeptieren und auf politische Teilhabe aus der Einsicht in die Herrschaftsfähigkeiten ihrer Führer heraus verzichten. Ähnlich verhält es sich mit einem im Sinne der "Neuen Rechten" noch herzustellenden gesellschaftlichen Konsens zur Umformung unseres politischen SysVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 39 tems. Danach soll ein Zustand erreicht werden, in dem die Abschaffung elementarer demokratischer Prinzipien gewissermaßen auf Wunsch aller erfolgt und sich jeder Einzelne freiwillig in den identitären "Volkskörper" einfügt. Dies muss stets mitbedacht werden, wenn die "Neue Rechte" versucht, aktuelle gesellschaftliche Diskurse zu beeinflussen. Neurechte Deutungsmuster Der Weg der "Neuen Rechten" zur Herstellung "kultureller Hegemonie" führt über verschiedene Ansätze. Die zwei wichtigsten sind der Versuch, sich mittels sprachlicher Mimikry von anderen rechtsextremistischen Akteuren zugleich abzugrenzen und dennoch eine Art Brücke in die dahinter stehende Ideologie zu bauen sowie sich auch aktionistisch von den bislang üblichen Ausdrucksformen der "Alten Rechten" abzusetzen. Ersteres geschieht durch die Verwendung sprachlich modernisierter Beschreibungen rechtsextremistischer Positionen. Es heißt dann eben nicht "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!", sondern man spricht von einer für den Erhalt anderer Kulturen notwendigen Remigration von Ausländern. Ziel sei nicht der oftmals plump daherkommende Nationalismus mit seinen abgegriffenen und leicht zu entlarvenden Parolen, sondern der "Ethnopluralismus", der andere Kulturen achtet, und zugleich postuliert, dass ein Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer Gruppen in einer Gesellschaft zur Zerstörung nicht nur der eigenen - der deutschen - Identität führt, sondern auch alle anderen, schützenswerten Kulturen auf lange Sicht vernichtet. Daher wolle man seine eigene wie auch die Identität aller anderen Ethnien schützen, indem man möglichst homogene Gesellschaften bewahre. Das dahinter stehende totalitäre Ziel des Ausschlusses integraler Teile unserer heutigen Gesellschaft und des Anspruchs, letztendlich bestimmen zu dürfen, wer dazu gehört und wer nicht, wird verschleiert zugunsten einer größeren Anschlussfähigkeit dieser Position. Diese Vorgehensweise soll die herrschende Abgrenzung der Mehrheitsgesellschaft zum Rechtsextremismus abbauen und im Kern rechtsextremistische Positionen für weitere Kreise anschlussfähig machen. Die Grenzen des Diskurses mit den extremistischen Rändern der Gesellschaft sollen dergestalt erodieren. Versuche direkter Einflussnahme Im Rahmen dieser Strategie werden unterschiedliche Möglichkeiten der inhaltlichen Einflussnahme auf den gesellschaftlichen Diskurs genutzt und miteinander verknüpft. Während die Gruppierungen der Neuen Rechten meist nur einen sehr begrenzten Mitgliederoder Aktivistenstamm aufzuweisen haben, steht die Reichweite ihrer Positionen durch die Nutzung des gesamten Katalogs neuer Medien in einem sprichwörtlich umgekehrten Verhältnis. Lassen sich bundesweit tatsächlich vielleicht nur wenige hundert Kernaktivisten mobilisieren, fällt deren Aktionismus - verbreitet 40 Rechtsextremismus über eigene, oftmals interaktive Internetseiten, über Facebook, Twitter, Youtube und andere Verbreitungsplattformen - auf den fruchtbaren Boden der sozialen Medien. Der so gewonnene Zuspruch durch nicht selten tausende Likes und zahlreiche persönliche Unterstützungskommentare wirkt sich wiederum verstärkend auf den Aktionismus der Protagonisten aus. Ein anderes Feld möglicher Einflussnahme ist die Etablierung oder Nutzung von Gelegenheiten, zumindest temporär sog. Mischszenen herzustellen. Während der "AntiAsyl"-Proteste der Jahre 2015 und 2016 konnte man dies sehr gut beobachten. Von Rechtsextremisten angemeldete Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik Deutschland wurden nicht selten auch von Angehörigen des bürgerlichen Spektrums genutzt, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Auf welche Seite sie sich damit stellten, war der Mehrheit dabei meist nicht bewusst. So erreichten rechtsextremistische Demonstrationen und Kundgebungen unter dem Thema "AntiAsyl" teils um ein Vielfaches höhere Teilnehmerzahlen, als ausgehend von der originären Anhängerschaft der Anmelder eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Zwar gingen die Teilnehmerzahlen bei Folgeveranstaltungen zumeist deutlich zurück und bewegten sich schließlich in den erwartbaren Bereich, aber der zunächst einsetzende Erfolg zeigt, dass der Aspekt der Anschlussfähigkeit entscheidend für die Strategie der "Neuen Rechten" ist. Der Versuch der "Neuen Rechten", nicht nur argumentativ im gesellschaftlichen Diskurs ernsthaft Fuß zu fassen, wird flankiert durch eine Übernahme bislang eher aus dem "linken" politischen Spektrum und der Umweltbewegung bekannten Aktionsformen. Am besten illustriert und sicher am erfolgreichsten umgesetzt sieht man dies bei der "Identitären Bewegung". Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) als Akteur der "Neuen Rechten" Mit dem Thema "Asyl" und seiner mobilisierenden Wirkung über das rechtsextremistische Kernspektrum hinaus hat sich eine Trendwende in der Reichweite und in dem Einfluss stärker intellektuell ausgerichteter Teilspektren der rechtsextremistischen Szene abgezeichnet. Hauptprofiteur dieser Entwicklung dürfte die IBD sein. Die IBD wurde 2012 im sozialen Netzwerk Facebook gegründet. Sie geht auf die französische Bewegung "Generation Identitaire" zurück. Die Gemeinschaft will sich u. a. für den Erhalt der "ethnokulturellen Identität" einsetzen, sie wendet sich gegen "Islamisierung" und "Multikulturalismus". In den vergangenen Jahren wurde aus einer rein virtuellen Gruppe eine Bewegung, die auch in der Realwelt Aktivitäten entfaltet. Der Verein "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." ist beim Amtsgericht Paderborn eingetragen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 41 Die IBD selbst distanziert sich vom Nationalsozialismus, sie bezeichnet das Spektrum des übrigen Rechtsextremismus als "Alte Rechte" und verortet sich selbst im Bereich der "Neuen Rechten". In verschiedenen Stellungnahmen zu den von ihr verwendeten Begrifflichkeiten bleibt sie aber in vielen Bereichen bewusst vage in den Ausführungen. Beispielhaft dafür stehen die Darlegungen zu ihrem Verständnis von "Identität" und "identitär". Ähnlich wie offenbar bei den vor einigen Jahren verstärkt aufgetretenen "Autonomen Nationalisten" verfolgte die IBD eine Art Strategie des Minimalkonsenses. Es sei nicht wichtig, genau zu definieren, was mit Identität eigentlich gemeint sei. Wichtig sei vielmehr aktuell, jene Kräfte zu mobilisieren und unter einem Dach zu vereinen, die feindlich gegenüber dem "herrschenden System" ausgerichtet seien. Wenn das Maß an "kultureller Hegemonie" erreicht sei, die es erlaube, das System nach eigenem Gutdünken umzubauen, könne man die erforderlichen "Binnenkämpfe" immer noch austragen. Ein ehemaliger NPD-Kader leitete die "Regionalgruppe Thüringen" bis er im November 2017 einem Absetzungsbeschluss der Regionalleiterkonferenz durch eigenen Rückzug zuvorkam. Untergliederungen existierten mit den "Ortsgruppen" Gera/Greiz, Erfurt, Jena sowie Westthüringen und Ostthüringen. Das Personenpotenzial belief sich auf ca. 20 aktive Mitglieder, davon mehrere mit einem rechtsextremistischen Vorlauf. Die Aktivisten der IB Thüringen führten verschiedenste Aktionen, so u. a. Flyerverteilungen, Transparentaktionen, Mahnwachen, "Flashmobund Straßentheateraktionen" durch, meist in einem asylkritischen Kontext. Darüber hinaus wurden durch die IB Thüringen mehrere Stammtischtreffen, zunächst in einem Landgasthof in Marlishausen und zum Jahresende hin in Lokalitäten in Westthüringen durchgeführt. Auch entsprechende Aktionen im Vorfeld zur Bundestagswahl wurden geplant und durchgeführt. So organisierte die IB-Thüringen am 28. August einen "Identitären Protest zum Wahlkampfauftritt der Bundeskanzlerin in Vacha mit einem Straßentheater und einer Flyerverteilaktion". Bei der Verteilung von "Osterkörbchen" am 17. April an Passanten in Gera und Saalfeld wurden zugleich Flugblättern der Gruppierung ausgereicht. Einen ähnlichen Verlauf nahm die "Weihnachtskampagne", welche mit einem "Identitären Weihnachtsmann" durchgeführt wurde, der neben kleinen Präsenten Werbematerial der IBD u. a. in Eisenach und Saalfeld verteilte. Die Regionalgruppe organisierte ein überregionales IB-Treffen - die "Thüringenakademie 2017" - in dessen Rahmen die Teilnehmer sowohl ideologisch geschult als auch in der Umsetzung ihrer politischen Ideen unterwiesen wurden. Die IB Thüringen betreibt über Facebook eine Internetpräsenz, welche von einzelnen Aktivisten regelmäßig genutzt und gepflegt wird. 42 Rechtsextremismus 6. Rechtsextremistische Parteien 6.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) - Landesverband Thüringen In Thüringen besteht seit 1990 ein Landesverband der NPD. Diesem gehörten 2017 nach Angaben der Partei 17 Kreisverbände an. Insbesondere die Kreisverbände Wartburgkreis, Eichsfeld, Kyffhäuserkreis, Nordhausen und Sömmerda traten aktiv in Erscheinung. Im Gegensatz dazu dürften einige Untergliederungen seit mehreren Jahren lediglich auf dem Papier existieren. Dies scheint zumindest bei den Kreisverbänden Hildburghausen, Schmalkalden-Meiningen und Altenburg der Fall. Die Partei versucht mit den Angaben zu ihrem organisatorischen Unterbau vermutlich, eine geschlossene und breite Aufstellung in ganz Thüringen zu suggerieren. Dies wird allerdings nicht durch Aktivitäten untermauert. Auf dem Landesparteitag am 18. Februar wurde Thorsten Heise zum Vorsitzenden des Thüringer Landesverbandes gewählt. Der vorherige Landesvorsitzende, Tobias Kammler ist neben Patrick Weber stellvertretender Landesvorsitzender. Dem Landesvorstand gehören insgesamt 11 Mitglieder an. Mit der Wahl Heises nahmen die Aktivitäten der NPD in Thüringen wieder zu. Zudem wurde die Außendarstellung verändert, deren Schwerpunkt insbesondere in den sozialen Netzwerken lag. Zur Kommunikation mit seinen Anhängern erweiterte der Landesverband den Anteil seiner veröffentlichten Videos. Diese wurden teils als Livestream ausgestrahlt. Seit April wurden mehrmals längere Livesendungen mit dem Landesvorsitzenden gestreamt. Auch im Bundestagswahlkampf richtete sich die NPD durch Videobotschaften an ihre potenziellen Wähler und Unterstützer. Im Gegensatz zu vorangegangenen Wahlkämpfen traten dafür herkömmliche Wahlkampfaktivitäten in den Hintergrund. So waren Kundgebungen und Informationsstände, aber auch Plakatierungen, deutlich reduziert. Die NPD führte stattdessen u. a. Lautsprecherfahrten durch. Bei der Wahl erreichte sie in Thüringen einen Anteil von 1,2 Prozent der Zweitstimmen20. Mit Patrick Wiescke stellte die NPD lediglich in einem Wahlkreis einen Direktkandidaten auf. Er erhielt zwei Prozent der Erststimmen. 20 Bundesweites Ergebnis: 0,1 Prozent Erstimmen, 0,4 Prozent Zweitstimmen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 43 Die Mitgliederzahl des Landesverbandes blieb im Berichtszeitraum mit ca. 170 Personen stabil. Mit dem sog. Flieder Volkshaus steht der NPD seit 2014 eine Immobilie in Eisenach zur Verfügung. Hier befindet sich die Geschäftsstelle des Thüringer Landesverbandes. Wie in den Vorjahren tagte der NPDLandesvorstand auch 2017 in der Immobilie. Die erste Übertragung der Livestreams des Landesvorsitzenden Heise erfolgte am 12. April offensichtlich aus dem "Flieder Volkshaus". Auch die Fraktion der NPD im Stadtrat Eisenach nutzt die Räumlichkeiten. Zudem wird das Objekt auch für Parteiveranstaltungen genutzt. So tagte dort am 1. April der Vorstand der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN)21; anwesend war auch der Bundesvorsitzende der NPD, Frank Franz. Die Immobilie hatte über die Parteiaktivitäten hinaus eine Schlüsselstellung für die Partei. So wurden dort diverse Musikund Vortragsveranstaltungen durchgeführt, die sich vor allem, aber nicht ausschließlich, an subkulturell orientierte Rechtsextremisten richteten. Auftritte von populären Szenemusikern wie "Lunikoff" oder Frank Renni21 Seit Januar 2018 "Junge Nationalisten". 44 Rechtsextremismus cke sorgten für Prestige innerhalb des rechtsextremistischen Musikspektrums. Daneben sollten Veranstaltungen wie Tage der offenen Tür, Familienund Straßenfeste als "Türöffner" zum bürgerlichen Spektrum dienen. Auffallend war hierbei, dass die NPD in Eisenach zuletzt - abgesehen von der Bundestagswahl 2017 und den Aktivitäten im Stadtrat - nicht als Partei agierte. Bei Versammlungen wurde hier immer ein überparteilicher Rahmen vorgegeben. Anmeldungen erfolgten durch den Vorsitzenden der NPD-Fraktion im Stadtrat Eisenach, Patrick Wieschke. "Eichsfeldtag" am 6. Mai in Leinefelde Unter dem Motto "Sozial geht nur national - deutschen Kindern eine Zukunft!" fand am 6. Mai in Leinefelde erneut ein "Eichsfeldtag" des NPD-Kreisverbands Eichsfeld statt. An der politischen Versammlung nahmen ca. 480 Personen (2016: 290) teil. Als Redner traten u. a. Thorsten Heise, Udo Voigt und Axel Schlimper auf. Den musikalischen Teil der Veranstaltung bestritten der Liedermacher Frank Rennicke sowie die Bands "Randgruppe Deutsch", "Nahkampf", "Amok" und "Die Lunikoff Verschwörung". Zudem gab es diverse Verkaufsstände. Der "Eichsfeldtag" wird seit 2011 jährlich von dem NPD-Kreisverband Eichsfeld ausgerichtet. Die Veranstaltung erfuhr weniger Resonanz als von den Organisatoren erwartet - sie gingen von ca. 800 Teilnehmern aus. Die Versammlung verzeichnete dennoch im Vergleich zum Vorjahr ein deutliches Besucherplus. Der "Eichsfeldtag" steht nicht nur für das Bemühen der NPD, an dem Geschäft mit Musikveranstaltungen teilzuhaben, sondern dient auch als wichtige Schnittstelle bei der Vernetzung von rechtsextremistischer Musikszene und Partei. Der Auftritt des ehemaligen Bundesvorsitzenden und heutigen Europaabgeordneten der NPD, Udo Voigt, unterstreicht sowohl die Bedeutung der Veranstaltung als auch die Stellung von Heise innerhalb der NPD. Veranstaltungen wie der "Eichfeldtag" werden als Möglichkeit der besseren Vernetzung verschiedenster Akteure und zum Knüpfen von Kontakten genutzt. Präsenz im Bundesverband der NPD Heise bewarb sich auf dem Bundesparteitag der NPD am 11./12. März in Saarbrücken ohne Erfolg um das Amt des Bundesvorsitzenden, wurde jedoch als einer der drei Stellvertreter des Parteivorsitzenden Frank Franz gewählt. Heise steht für eine völkische Ausrichtung der Partei und eine parteiübergreifende Zusammenarbeit von Rechtsextremisten. Letzteres führte in der Vergangenheit zu Konflikten mit der Parteiführung. Etwa als er 2013 beabsichtigte, bei einer Demonstration von "DIE RECHTE" Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 45 als Redner aufzutreten. Inzwischen gibt sich die NPD allerdings deutlich offener. Insbesondere Heise macht sich für eine strömungsund parteiübergreifende Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen und Einzelpersonen stark. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Verbotsantrag gegen die NPD Am 17. Januar urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) auf Grundlage eines Antrages des Bundesrates über ein Verbot der NPD. Wenn auch das Gericht den Antrag insgesamt als unbegründet ablehnte, so bejahte es in den Leitsätzen des Urteils das Streben der NPD nach Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Auch arbeite die Partei planvoll und qualifiziert auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Damit stellte das Gericht die Verfassungswidrigkeit der Partei fest. Allerdings fehlen nach Auffassung des BVerfG konkrete Anhaltspunkte von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führen könnte. Einzig aus diesem Grund sah es letztlich von einem Verbot ab. Das BVerfG hat jedoch die Möglichkeit aufgezeigt, dass es dem Gesetzgeber unbenommen bleibt, gegenüber verfassungswidrigen Parteien gestufte Sanktionsmöglichkeiten zu eröffnen. Der verfassungsgebende Gesetzgeber hat durch das "Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 21 Absatz 3) vom 13. Juli und durch das "Gesetz zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung" vom 18. Juli davon Gebrauch gemacht. Nach der Änderung des Art. 21 GG können Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat beim BVerfG ein Verfahren einleiten, das darauf abzielt, Parteien von staatlicher Finanzierung auszuschließen. Voraussetzung ist, dass die Partei nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden.22 Die NPD ist eine rechtsextremistische Partei, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Das Streben der NPD nach Schaffung eines nach ethnischen Gesichtspunkten ausgerichteten nationalen Staates verstößt gegen die Menschenwürde. Menschen mit nichtdeutschen Vorfahren haben aus Sicht der NPD keinen Platz in der von ihr anvisierten Gesellschaft. Deutlich machte dies z. B. das NPD-Bundesvorstandsmitglied Baldur Landogart23 bei einer Wahlkampfveranstaltung am 23. September in Heilbad 22 Der Bundestag hat am 26. April 2018 den Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung beschlossen. 23 Es handelt sich um ein Pseudonym. 46 Rechtsextremismus Heiligenstadt. Zuwanderer könnten niemals Deutsche werden, denn "Ein Kamel, das in einem Pferdestall geboren wird, das ist und bleibt ein Kamel und wird nicht einfach über Nacht oder weil es in einem Pferdestall ist zu einer Hengst oder zu einer Stute" (Fehler im Original). Auch Heise sagte bei einem Wahlkampfauftritt in Vacha, er "könnte auch in keiner Partei meinem Befehl des Gewissens folgen, in dem ein Schwarzafrikaner auf kommunaler Ebene antritt". Die Abgrenzung der NPD betrifft auch Homosexuelle, denen Heise gleichwertige Rechte absprach. Er könnte niemals einer Partei angehören, die Homosexuelle als Spitzenkandidaten aufstellen. Auch das Recht auf Gründung einer Familie hätten diese nicht. Ebenfalls in Vacha äußerte er: "Eine Familie kann nicht aus Mann und Mann und Frau und Frau bestehen, sondern aus Männern und Frauen und Kindern. Und alles andere ist eine Verhöhnung der deutschen Familien." Außenpolitisch will die NPD weiterhin die heute zu Polen, Tschechien und Russland gehörenden ehemaligen "Ostgebiete" an Deutschland angliedern. Heise machte dies in einem Livestream am 10. Juni deutlich. Am 17. Juni habe er früher "dafür protestiert, dass endlich wieder die DDR an Deutschland angeschlossen wird. Und später dann natürlich auch die deutschen Ostgebiete, die nach wie vor noch unter polnischer Verwaltung stehen. Das ist einfach so." 6.2 "DIE RECHTE" in Thüringen Die Partei "DIE RECHTE" wurde am 12. Mai 2012 in Hamburg gegründet. Der damalige Gründerkreis um den Rechtsextremisten Christian Worch setzte sich vor allem aus ehemaligen Mitgliedern der "Deutschen Volksunion" (DVU) zusammen. Mit der Gründung des Landesverbands Nordrhein-Westfalen im Herbst 2012 änderte sich die Zusammensetzung der Partei. Dort traten Mitglieder und Führungskräfte der im August desselben Jahres verbotenen neonazistischen Gruppierungen "Nationalen Widerstand Dortmund" (NWDO) und "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm) in "DIE RECHTE" ein und prägen seitdem diesen Landesverband. Das Programm der Partei lehnt sich an jenes der ehemaligen DVU an. Es enthält u. a. Forderungen nach "Eindämmung ungezügelter Zuwanderung", "Zurückdrängen der Amerikanisierung" und anderer "übermäßiger fremder Einflüsse" und "Aufhebung der Duldung von Ausländern". Der im Juli 2015 gegründete Thüringer Landesverband der Partei "DIE RECHTE" war im Beobachtungszeitraum bis November aktiv. Am 20. November verkündete der Landesvorstand überraschend seinen Rücktritt und den Austritt der Mehrzahl der Thüringer Mitglieder aus der Partei. Danach bestanden der Landesverband und seine Untergliederungen formal fort. Aktivitäten gingen von ihnen jedoch nicht mehr aus. Noch zum Jahresbeginn schien sich der Thüringer Landesverband weiter entwickeln zu wollen. Am 7. Januar wurden die Stützpunkte Ostund Westthüringen gegründet. Ende Mai veröffentlichte der Landesverband ein eigenes Programm. Zudem wurde Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 47 im Jahresverlauf eine Reihe von öffentlichen Versammlungen durchgeführt. Die Teilnehmerzahl lag jeweils im unteren oder mittleren zweistelligen Bereich. Wie andere rechtsextremistische Parteien und Organisationen versuchte sich auch "DIE RECHTE" in Thüringen durch soziales Engagement zu profilieren. Ein für den 24. Juni geplantes "Familienfest für hilfsbedürftige deutsche Familien" wurde allerdings abgesagt. Der Landesverband führte statt dessen mehrere Kundgebungen in Erfurt durch. Am 30. September plante der Landesverband eine Kundgebungstour mit Versammlungen in 12 Thüringer Städten. Es wurde allerdings nur eine Kundgebung mit lediglich zehn Teilnehmern in Suhl realisiert. Der Thüringer Landesverband besaß innerhalb des Bundesverbandes eine relativ starke Position. Er war - auch außerhalb der Partei - gut vernetzt. Dies schlug sich in der Vergangenheit z. B. in wechselseitigen Unterstützungen bei Veranstaltungen nieder. So nahmen Aktivisten aus Thüringen an einem Fackelmarsch am 28. Januar in Nienburg (Niedersachsen) teil. Im Februar verzichtete der Landesverband auf die Durchführung einer Demonstration anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Weimars im Zweiten Weltkrieg, um stattdessen eine Demonstration in Dresden zu unterstützen. In Weimar fand lediglich eine kleine Kundgebung statt. Am 28. Mai beteiligte sich der Thüringer Landesverband an einem Aktionstag von "DIE RECHTE" unter dem Motto "Freiheit für Horst Mahler". Der stellvertretende Landesvorsitzende Michel Fischer war bis Ende Oktober Mitglied des Bundesvorstandes. Enrico Biczysko gehörte dem Gremium Kraft seiner Funktion als Landesvorsitzender an. Auch bei dem Versuch, der Partei ein neues Programm und ggf. eine radikalere Richtung zu geben, dürfte der Thüringer Landesverband eine maßgebliche Rolle gespielt haben. Ein erstes Arbeitstreffen einer Programmkommission fand am 7. Mai in Erfurt statt. Auf dem Bundesparteitag am 28. Oktober in Dortmund gelang es dem Thüringer Landesverband, die Verankerung des Bekenntnisses der Partei zur "Volksgemeinschaft aller Deutschen" im Parteiprogramm durchzusetzten. Der auf der Veranstaltung als Bundesvorsitzender bestätigte Parteigründer Christian Worch nahm dies zum Anlass, den Parteivorsitz wenige Tage später niederzulegen. Insgesamt setzte sich bei dem Parteitag der Landesverband Nordrhein-Westfalen als maßgebend durch. Der Vorstand der Partei - der amtierende Parteivorsitzende eingeschlossen - gehört mehrheitlich diesem Landesverband an. Im Rahmen seines Rücktritts erklärte der Thüringer Landesvorstand, "dass spätestens seit dem Bundesparteitag am 28. Oktober ein Zerwürfnis mit der Bundespartei vorlag". Es sei deutlich geworden, "dass die führenden Mitglieder keinerlei konstruktive Zusammenarbeit wünschen und Posten wie auf einem türkischen Basar, in 48 Rechtsextremismus bester Bierlaune verschachert" würden. Zuvor hatte der Bundesvorstand erklärt, dass der Rücktritt erfolgt sei, nachdem der Bundesschatzmeister ausstehende Mitgliedsbeiträge eingefordert habe. Der Thüringer Landesverband habe sich innerhalb und außerhalb der Partei weitgehend isoliert. Die Partei "DIE RECHTE" ist eine neonazistisch geprägte Partei. Ein besonderes Wesensmerkmal des Thüringer Landesverbandes war die Ausrichtung auf das Bekenntnis zur "Volksgemeinschaft". In der Zeit des Nationalsozialismus hatte dieser Begriff eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung. Nationalsozialisten verstanden darunter eine ethnisch homogene Schicksalsgemeinschaft, die frei von Standesund Klassenschranken sein sollte. Die Interessen Einzelner waren dabei den Interessen der "Volksgemeinschaft" untergeordnet. Die von dem Thüringer Landesverband von "DIE RECHTE" angestrebte "Volksgemeinschaft" lehnte sich an dieses nationalsozialistische Modell an. Die im Programm des Landesverbandes skizzierte Gesellschaft inkludiert ausschließlich ethnisch Deutsche in vollem Maße. Der Landesverband bezeichnet sich dort als "national und sozialistisch". Die Bezüge zum Dritten Reich gehen soweit, dass das Programm sogar die Auflösung aller Gewerkschaften - wie am 2. Mai 1933 geschehen - vorsieht. 6.3 "Der III. Weg" in Thüringen Die Partei "Der III. Weg" wurde am 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Ihr Wirkungsbereich erstreckt sich auf die gesamte Bundesrepublik. Nachdem sich die Partei anfangs vor allem über sog. Stützpunkte präsentierte, wurden später "Gebietsverbände" gebildet. Thüringer Untergliederungen gehören dem "Gebietsverband Mitte" an. Das Zehn-Punkte-Programm der Partei beinhaltet u. a. die Schaffung eines Deutschen Sozialismus, Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien sowie Ausweisung von kriminellen und langzeitarbeitslosen Ausländern. Überfremdung und Asylmissbrauch seien zu stoppen. Ideologisch vertritt "Der III. Weg" eine auf dem Abstammungsprinzip ausgerichtete "Volksgemeinschaft", deren Werte schon von Urahnen vorgegeben seien. Nur "artgleiche" Menschen sind Teil dieser "Volksgemeinschaft", während andere Menschen als "artfremd" bezeichnet werden. Deren Zuwanderung wird als volksfeindlich empfunden. Die Partei bezeichnet sich als "national und sozialistisch". Die Partei "Der III. Weg" ist in Thüringen durch die "Stützpunkte Ostthüringen" und "Thüringer Wald/Ost" vertreten. Sie gehören dem "Gebietsverband Mitte" der Partei an. Zudem kam es zu Betätigungen im Bereich Nordhausen, ohne dass dort eine Untergliederung bestand. Die Stützpunkte traVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 49 ten 2017 kaum öffentlich in Erscheinung. Sie beteiligten sich u. a. an bundesweiten Aktionstagen der Partei etwa gegen "Homo-Propaganda" am 29. Juli aus Protest gegen die Verabschiedung des Gesetzes zur "Ehe für alle" durch den Deutschen Bundestag und den Christopher Street Day, oder für "Heimatvertriebene" am 10. September. Demonstration am 1. Mai in Gera Wie schon 2015 führte "Der III. Weg" eine zentrale 1.-Mai-Demonstration in Thüringen durch. Etwa 400 Personen beteiligten sich in Gera an der Versammlung unter dem Motto "Kapitalismus zerschlagen! Für Familie, Heimat, Tradition!". Als Redner traten u. a. ein Gebietsverbandsvorsitzender sowie der stellvertretende Vorsitzende des "Stützpunktes Ostthüringen", Nico Metze, auf. Die Partei zeigte sich zufrieden mit der Demonstration und betonte "die außerordentliche Disziplin und das vorbildliche Auftreten aller Teilnehmer". Im Vorfeld fand am 22. April in Gera einen Aktionstag, u.a. mit zwei Kundgebungen und einer Demonstration, statt. Am 30. September veranstaltete "Der III. Weg" wie in den Vorjahren seinen Gesamtparteitag in Thüringen. Nach Parteiangaben nahmen "über 200 Mitglieder, Förderer und Interessenten" teil. Zentraler Tagungsordnungspunkt war die Wahl des Bundesvorstands. Klaus Armstroff wurde dabei in seinem Amt als Bundesvorsitzender bestätigt. Im Anschluss fand ein "Tag der Gemeinschaft" mit Redebeiträgen, Liedermacherauftritten, Ständen und Vorführungen statt. Die Partei "Der III. Weg" vertritt einen stark an den Nationalsozialismus angelehnten Rechtsextremismus. In ihrem "Zehn-Punkte-Programm" werden Elemente des "25-Punkte-Programms" der NSDAP aufgegriffen. Zentraler Punkt ist bei beiden ein an ethnischen Grundsätzen ausgerichteter Volksbegriff. "Volksgenosse" konnte nach An50 Rechtsextremismus sicht der NSDAP nur sein, "wer deutschen Blutes ist". "Der III. Weg" spricht in diesem Zusammenhang von der "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" und dem "Volk als naturgesetzliche Gemeinschaft". Auch der NSDAP-Begriff "Volksgenosse" wird von der Partei verwandt. So war in einer Veröffentlichung des "Stützpunktes Thüringer Wald/Ost" zu einer Gedenkaktion in Unterweißbach die Formulierung "unvergessen das Leid unserer Volksgenossen" enthalten. Ein solches politisches Konzept missachtet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts "die Menschenwürde aller, die der ethnischen Volksgemeinschaft nicht angehören, und ist mit dem grundgesetzlichen Demokratieprinzip unvereinbar". Eine Missachtung der Menschenwürde ergibt sich auch aus der durch die Partei vertretenen Abwehrpolitik gegen Minderheiten. Beispielhaft wird dies am "Aktionstag gegen Homo-Propaganda" deutlich. Homosexualität und abweichende Geschlechterverständnisse gelten in der Partei als krankhaft, ungesund und gegen Naturgesetze verstoßend. Sie haben in der Bevölkerungspolitik von "Der III. Weg" keinen Platz, die in der "Förderung kinderreicher Familien zur Abwendung des drohenden Volkstodes" besteht. Die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus als bedeutendes Indiz für die Verfolgung verfassungsfeindlicher Ziele ist bei "Der III. Weg" deutlicher wahrnehmbar, als bei anderen rechtsextremistischen Parteien. Die Partei verwendet Symbole, die auch in der Zeit des Nationalsozialismus gebraucht wurden. Dazu gehören das Zahnrad als Symbol der Deutschen Arbeitsfront sowie ein Hammer und ein Schwert, die sich kreuzen. Hammer und Schert waren seit 1929 Feldgauzeichen der Hitlerjugend als Symbol für die Vereinigung von Soldaten und Arbeitern. Alle drei Symbole waren auf den anlässlich der Demonstration am 1. Mai in Gera durch die Partei vertrieben Demo-T-Shirts aufgedruckt. 7. Sonstige rechtsextremistische Gruppierungen und Vereine "Europäische Aktion" (EA) Die im Jahr 2010 unter Beteiligung von ehemaligen Mitgliedern der seit Frühjahr 2008 verbotenen Vereine "Collegium Humanum" (CH) und "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) gegründete EA bezeichnet sich als "Bewegung zur Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 51 politisch-kulturellen Erneuerung ganz Europas". Ihren organisatorischen Schwerpunkt hält die EA in der Schweiz. Dort betreibt sie ein sog. Zentralsekretariat und einen Verlag (Ghibellinum-Verlag). Die Mehrzahl ihrer Anhänger zählt die Gruppierung jedoch in Deutschland. In Thüringen existierten auch im Jahr 2017 mehrere Kleingruppen und "Stützpunkte". Als Gebietsleiter Thüringen fungierte Axel Schlimper Er ist auch als rechtsextremistischer Liedermacher bekannt. Schlimper trat im Berichtszeitraum mehrfach als Redner bei diversen rechtsextremistischen Veranstaltungen (u. a. Vortragsabende des "Gedächtnisstätte e. V." in Guthmannshausen, Redner am 15. Juli in Themar) in Erscheinung. Als ihr Ziel gibt sie an, eine "gesamteuropäischen Freiheitsbewegung" bilden zu wollen, um "Freiheit und Selbstbestimmung für alle Europäer" zu erreichen. Dies schließe die "Wiederherstellung der freien Rede", die "Repatriierung außereuropäischer Einwanderer", das Ende der "Fremdbestimmung in Deutschland und dem zugehörigen Österreich", die "Überführung des Geldund Medienwesens in Volkseigentum" sowie den Kampf gegen "Dekadenz" ein. Nach den Vorstellungen der EA sei die Europäische Union durch eine "Europäische Eidgenossenschaft" zu ersetzen. Die EA vertritt rassistische und antisemitische Positionen. In ihrer Vorstellung ist die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung ebenso fest verankert wie die Ablehnung "fremdkontinentaler" Einwanderung. Angelehnt an die christliche Rückeroberung Spaniens propagiert die EA eine "RECONQUISTA - Rückeroberung" Europas. Im Berichtszeitraum kam es zu einer Maßnahme der Sicherheitsbehörden gegen einzelne Mitglieder der Bewegung. Am 23. Juni erfolgten durch das Thüringer Landeskriminalamt (TLKA) unter Beteiligung von Spezialeinsatzkräften aus sechs Bundesländern sowie der GSG 9 der Bundespolizei Durchsuchungsmaßnahmen in insgesamt 13 Objekten, darunter 12 in Thüringen und eines in Göttingen. Hintergrund der polizeilichen Maßnahmen bildete ein Ermittlungsverfahren des TLKA gegen einzelne Mitglieder der Bewegung. Im Rahmen der Durchsuchungen konnte bei den Betroffenen umfangreiches Beweismaterial sichergestellt werden, darunter eine Langwaffe, drei Kurzwaffen, zwei Armbrüste mit Zubehör, mehrere Hiebund Stichwaffen, Elektroschocker, Mobiltelefone und Datenträger sowie eine Vielzahl an Propagandamaterialien. Bei einem Beschuldigten wurden zudem fiktive Dokumente mit "Reichsbürger"-Bezug sowie erlaubnispflichtige Waffen aufgefunden, für die der Beschuldigte waffenbehördliche Genehmigungen besitzt. Die Waffen wurden mit dem Ziel des Entzugs der waffenrechtlichen Erlaubnis sichergestellt. In der Folge gab die EA am 26. September24 auf ihrer Homepage ihre Auflösung bekannt, jedoch lebe die Idee der Organisation "als geistiges Werkzeug zur Befreiung der Völker Europas" und als Schutz "gegen die von außen einbrechenden Todesgefahren" weiter: "Unsere 7 Ziele bilden das geistige Rüstzeug, um Deutschland und 24 Bereits am 10. Juni stellte der NPD-Landesverband Thüringen auf seiner Facebook-Präsenz ein Video mit dem EA-Funktionär Axel Schlimper ein, der die Auflösung der EA-Organisationsstrukturen bekannt gab. 52 Rechtsextremismus Europa aus dieser lebensbedrohlichen Winterstarre zu befreien. [...] Künftig gilt es, eigenverantwortlich und pflichtbewusst im Geiste dieser 7 Ziele weiterzuarbeiten, jeder seinen Fähigkeiten und Kapazitäten entsprechend". 25 Die Homepage bestand fort. Zudem waren ein Auftritt bei Facebook und ein eigener youtube-Kanal vorhanden, wo u. a. über Aktivitäten der Bewegung berichtet wurde und Reden ihrer Funktionäre abrufbar waren. Allerdings nahmen die Online-Aktivitäten der Gruppierung nach den Exekutivmaßnahmen Mitte des Jahres stark ab. Eigene Großveranstaltungen und Demonstrationen führte die EA im Jahr 2017 nicht durch. Einzelne Akteure der Gruppierung suchten nach Bekanntgabe der organisatorischen Auflösung neue Aktionsfelder im Bereich des Rechtsextremismus. So rief Schlimper den "Thing-Kreis Themar" ins Leben, der zu Vollmondnächten Gesprächsrunden in einem Steinkreis auf der von Rechtsextremisten genutzten Veranstaltungswiese in Themar anbietet. Es fanden mehrere solche Treffen im Berichtszeitraum statt, an denen jeweils kleinere Personengruppen teilnahmen. Die Treffen werden über den Facebook-Auftritt "ThingKreis Themar" organisiert. Der EA ist es 2017 nicht gelungen, tragfähige und längerfristige Strukturen zu etablieren. Durch den Verfolgungsdruck der Exekutivbehörden und die endgültige Auflösung sind die öffentlichen Aktivitäten der EA zum Erliegen gekommen. Ihr Ziel, "den partei-, organisationsund grenzübergreifenden Kampf um Europa nun endlich konkretisieren und umsetzen zu können", verfolgte die EA bis zu ihrer Auflösung, indem sie als Bindeglied zwischen diversen rechtsextremistischen Gruppen, Parteien und "Freien Kräften" fungierte. "Gedächtnisstätte e. V." Der Verein "Gedächtnisstätte e. V." wurde im Mai 1992 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet. Unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs agitiert der rechtsextremistische Verein gegen den demokratischen Verfassungsstaat und versucht, geschichtsrevisionistisches Gedankengut in demokratische Bevölkerungskreise zu transportieren. Seit 2011 verfügt der Verein über eine Immobilie in Guthmannshausen. Von 2007 bis 2009 lag der Wirkungschwerpunkt des Vereins in einem Objekt in Borna (Sachsen). 25 Homepage der EA, "Mitteilung in eigener Sache" vom 26.September 2017. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 53 Der Verein "Gedächtnisstätte e. V.", gab im Jahr 2017 einen deutlichen Einblick in seine tatsächliche Ausrichtung - etwa durch die Präsentation von Vorträgen rechtsextremistischer Funktionäre auf seiner neu gestalteten Homepage und die Verwendung offen rechtsextremis-tischer Argumentationsmuster in der Korrespondenz des Vereins. Auch die in den Halbjahresprogrammen aufgeführten Referenten entstammen mehrheitlich dem rechtsextremistischen Lager. Der Verein, der das Rittergut Guthmannshausen in Form eines Seminarhotels betreibt, trat nach außen hin lange lediglich für die Errichtung und Pflege einer Gedenkstätte für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges ein. Im Jahr 2014 weihte der Verein anlässlich seines 22-jährigen Bestehens ein Denkmal für die "zivilendeutschen Opfer"26 des Zweiten Weltkriegs ein. Der Verein stellt sich auf seiner Website als "überparteilich" und "überkonfessionell" sowie "auf den Grundlagen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland" stehend vor. Gleichzeitig veröffentlichte er 2017 Videobeiträge von Vorträgen rechtsextremistischer Funktionäre z. B. des "Thule-Seminars" oder der EA Thüringen. Die rechtsextremistische Ausrichtung des Vereins und dessen Bestrebungen, die rechtsextremistische Szene zu vernetzen, wurden u. a. in dem auf der vereinseigenen Website veröffentlichten Programm für das erste Halbjahr 2017, das fünf Seminarveranstaltungen vorsah, deutlich. Ein Schwerpunktthema des Halbjahresprogramms war die "rechtliche Grundlage unserer Staatlichkeit" - eine Themenstellung, die auf Thesen aus dem Spektrum der sog. Reichsbürger hinweist. Im Programm erschien dieses Thema mit dem Vortrag "Die Souveränität des Menschen", der sich dem "Umgang mit Menschen als natürliche und juristische Personen" widmete - Formulierungen, die im Spektrum der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" auf eine Ablehnung der staatlichen Rechtsordnung hinweisen. Ein weiterer Vortrag befasste sich mit der Fragestellung, ob die Deutschen "staatenlos" seien. Ferner, hieß es im Einleitungstext des Programms, sollten Gegenstrategien zur "identitätszerstörenden Entwicklung in Deutschland" beleuchtet werden. Zu monatlichen "Vortragswochenenden" wurden diverse rechtsextremistische Publizisten aus dem Bundesgebiet geladen, die über Themen wie "Vom Siegeszug germanischer Lebensart" referierten. Eine mehrfach wegen Volksverhetzung und Leugnung des Holocaust verurteilte Mitbegründerin des Vereins wurde anlässlich des 25-jährigen Vereinsbestehens begrüßt und als "aktive Kämpferin für die historische Wahrheit" 26 Gemeint sind auch die "deutschen Soldaten in Gefangenschaft". 54 Rechtsextremismus vorgestellt. Über einen weiteren nicht namentlich benannten Referenten zu dem Thema "Deutschland in der Weltpolitik - Vergangenheit und Zukunft" hieß es, seine Thesen würden "in der Zeitgeschichtsforschung als Geschichtsrevisionismus beurteilt". Vom 4. bis 6. Juni fanden in Guthmannshausen ein Sommerfest und zugleich die Jubiläumsfeier zum 25-jährigen Bestehen des Vereins "Gedächtnisstätte e. V." statt. Dabei zeigte sich, dass der Verein vielfältige Verbindungen zu rechtsextremistischen Organisationen und Parteien sowie in die rechtsextremistische Kameradschaftsszene unterhält und damit ein wichtiges Bindeglied für das gesamte Spektrum darstellt. Für die weitreichenden Vernetzungsversuche steht auch eine Buchlesung des Europa-Abgeordneten der NPD Udo Voigt im Dezember. Der Verein bietet Rechtsextremisten verschiedener Spektren eine Plattform zum Diskurs und mit seiner Liegenschaft eine Begegnungsstätte. Er erfüllt damit eine wichtige organisationsübergreifende Vernetzungsfunktion. Das Aufgreifen von Themen der die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland ablehnenden "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" folgt einem in jüngerer Zeit festzustellenden Trend. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die diese Szene zuletzt mit Widerstandshandlungen und Gewalttaten erreichte, steigert auch deren Attraktivität für die rechtsextremistische Szene. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass der Verein auch in Zukunft Kontakte zu diversen Gruppierungen im Bereich Rechtsextremismus, zu Parteien des rechten Spektrums, aber auch zu Verschwörungstheoretikern pflegt und weiter festigt. "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" Der im Oktober 2016 gegründete Verein "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" setzte 2017 seine Aktivitäten fort. Seine anfängliche Bedeutung als strömungsübergreifendes Sammelbecken innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums in Thüringen ging jedoch weitestgehend verloren. Diesem Bedeutungsverlust versuchte der Verein durch sein Bemühen nach bundesweiter Vernetzung und der damit verbundenen Darstellung als "Volksbewegung" entgegenzuwirken. Tatsächlich unterhielt er Beziehungen zu verschiedenen Akteuren des asylund islamfeindlichen Spektrums im Bundesgebiet. Dabei handelte es sich jedoch eher um ein persönliches Beziehungsgeflecht zwischen untereinander vernetzten Einzelpersonen, als um eine tatsächliche bundesweite Struktur. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 55 Neben der Durchführung von öffentlichen Versammlungen intensivierte "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" insbesondere das Projekt "Ein Volk hilft sich selbst", mit dem durch Sammeln und Verteilen von Spenden eine angebliche soziale Benachteiligung von "Blutsdeutschen" gegenüber Zugewanderten ausgeglichen werden sollte. Die Teilnehmerzahlen an den Demonstrationen und Kundgebungen des Vereins bewegten sich zumeist im unteren zweistelligen Bereich. Lediglich an einer Demonstration am 18. Februar in Saalfeld beteiligten sich ca. 100 Personen. Im zweiten Halbjahr kamen die öffentlichen Aktivitäten weitgehend zum Erliegen. Zuletzt führte der Verein eine Kundgebung am 17. August in Apolda durch. Außerdem verbreitete er seit dem Frühjahr Livestreams im Internet. Gäste, wie z. B. überregional bekannte Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern, wirkten dabei mit. Der Verein erklärte Ende August, eine "deutliche Kursänderung" vornehmen und auf Demonstrationen und Kundgebungen verzichten zu wollen. Schwerpunkt sollte "Ein Volk hilft sich selbst" sein, zudem wollte man "neue Themenfelder erschließen, wie alternative Heilmethoden und Selbstversorgung". Mit diesem Kurswechsel war auch eine Neuordnung des Vereinsvorstandes verbunden. So gab David Köckert, vormals maßgeblicher Akteur, den Vereinsvorsitz bei den Vorstandsneuwahlen am 21. Oktober ab. In der Folge führte "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" am 18. November eine Vortragsveranstaltung zum Thema "Krisenvorsorge" durch. Darüber hinaus trat der Verein vor allem virtuell und über das Projekt "Ein Volk hilft sich selbst" in Erscheinung. THÜGIDA-Kundgebungen: Teilnehmerzahlen im Jahresvergleich 56 Rechtsextremismus Der Verein "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" vertritt eine rechtsextremistische Ideologie, die vor allem durch rassistische, antiislamische, verschwörungstheoretische und den Nationalsozialismus verherrlichende Züge geprägt ist. Die Bundesrepublik sei kein souveräner Staat, aktuelle Migrationsbewegungen hätten die Auslöschung des deutschen Volkes zum Ziel. Der Begriff "deutsches Volk" ist dabei rein ethnisch definiert und schließt "nicht Blutsdeutsche" aus. Vor allem durch Äußerungen in Redebeiträgen bei Veranstaltungen, aber auch im Gesamtkontext der Veröffentlichungen des Vereins, insbesondere im Internet, wird das auf rassistische Diskriminierung ausgerichtete Konzept von "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" deutlich. Migranten wird die Menschenwürde abgesprochen. Sie werden oft als "Invasoren" bezeichnet. Beispiele für die Herabwürdigung von Menschen mit anderer Hautfarbe sind z. B. Gleichsetzungen mit Tieren durch Äußerungen wie "Fremdrassige" würden sich "wie die letzten Säue" benehmen, oder eine "etwas stark pigmentierte" Person, "die sich leider benommen hat wie als wenn sie hier aus irgendeinem Gehege entlaufen ist". THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" lehnt das demokratische System der Bundesrepublik ab. Politiker und Behörden werden als "Volksverräter" bezeichnet, Polizisten als "Söldner". Die Bundesrepublik wird als "asoziale antideutsche Diktatur" beschimpft, die Bundeskanzlerin in vielen Redebeiträgen der Vereinsführung als "bucklige Brotspinne" bezeichnet. Beachtenswert ist eine Äußerung Köckerts bei der Kundgebung am 17. August in Apolda: "Ich will der Wolf sein, der dieses Rudel dahin führt und diese bucklige Brotspinne zur Hölle fahren lässt." Köckert forderte nicht nur den Sturz der Kanzlerin, er griff auch auf nationalsozialistische Propagandamuster zurück, in denen der Wolf als Figur der germanischen Mythologie verwandt wurde. Beispiele hierfür waren das Führerhauptquartier "Wolfsschanze", als "graue Wölfe" bzw. "Wolfsrudel" bezeichnete U-Boote, oder die Operation "Werwolf" am Ende des Zweiten Weltkrieges. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 57 III. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 1. Überblick "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" bilden eine organisatorisch und ideologisch heterogene Szene, welche die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, seiner Repräsentanten sowie die gesamte Rechtsordnung ablehnt. Die Szene ist überwiegend auf sich selbst bezogen. Nur vereinzelt bilden sich stabile Gruppen, die allerdings eine starke Tendenz aufweisen, sich nach einiger Zeit erneut aufzuspalten. Das Phänomen ist den Behörden in Deutschland bereits seit Jahren bekannt, erfuhr jedoch im Jahr 2016 aufgrund von Vorfällen eine neue Bedeutung, in deren Rahmen "Reichsbürger" u. a. Schusswaffen gegen Polizisten einsetzten.27 Daraus resultierten eine neue ganzheitliche Betrachtungsweise und die Intensivierung der Beobachtung dieser Szene. Auch wenn nur ein zahlenmäßig geringer Teil der Szene ideologisch dem Rechtsextremismus zugerechnet werden kann, gibt es starke Überschneidungen in den Themen und Ideen, die in beiden Spektren verbreitet werden. 2. Ideologie Mit meist pseudojuristischen, -historischen und verschwörungstheoretischen Argumentationsmustern oder mit selbst definierten Naturrechten begründen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ihre Motive zur Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem. Zudem erkennen sie die Legitimation von demokratisch gewählten Repräsentanten nicht an und definieren schließlich ihre eigene Rechtsordnung. 27 Im Zuge eines Polizeieinsatzes am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd (Bayern) wurde ein Polizeibeamter durch einen bekennenden Reichsbürger erschossen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 59 Einige Gruppierungen sowie einzelne Vertreter der Szene nehmen für sich in Anspruch, eine eigene "Staatsgewalt" auszuüben. Sie bilden "Reichsregierungen", "Bundesstaaten" oder "Gemeinden", ernennen entsprechende Funktionäre, wie z. B. "Reichskanzler" oder "Minister", und "legitimieren" sich mit selbst gestalteten Ausweisdokumenten. Ihre Argumentation bezieht sich auf unterschiedliche historische und völkerrechtliche Situationen Deutschlands und ist zumeist von folgenden Kernaussagen geprägt: * Das Deutsche Reich ist nicht untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland ist kein souveräner Staat. * Deutschland befindet sich weiterhin im Kriegszustand. Es gibt keinen Friedensvertrag mit den Alliierten. * Geltung der Haager Landkriegsordnung * Das Grundgesetz ist keine Verfassung. * Die Bundesrepublik ist untergegangen. * Die Bundesrepublik Deutschland sei kein Staat, sondern eine privatrechtliche "BRD GmbH". * Die wirklichen Herrscher der Welt sei das finanzmächtige internationale Judentum.28 Ziel ihrer Agitation ist zumeist, keine Steuern, Bußgelder und Gebühren zu zahlen oder drohende Zwangsvollstreckungen abzuwenden. Hierzu werden durch zum Teil seitenlange Schreiben die Mitarbeiter von Behörden mit völlig unberechtigten Zahlungsaufforderungen bedroht, beschimpft und/oder beleidigt. "Selbstverwalter" nehmen für sich in Anspruch aus der Bundesrepublik "austreten" zu können und reklamieren für sich ihre rechtliche Autonomie. In der Regel erfolgt das Ausrufen einer Selbstverwaltung unter Berufung auf "die Menschenrechte" oder auf Art. 9 der UN-Resolution A/ RES/56/83 vom 28. Januar 2002 und wird durch das Versenden von entsprechenden "Proklamationen" an Verwaltungsbehörden nach außen verdeutlicht. Meist bezeichnen sich "Selbstverwalter" in ihren Schreiben auch als "natürliche Person im Sinne von SS 1 BGB". Die Vorstellung, ein Deutsches Reich bestünde fort, spielt hierbei nur bedingt eine Rolle. Die Grenzen zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind fließend. Die Ziele und Verhaltensweisen von Vertretern des Reichsbürgerspektrums zeigen tatsächliche Anhaltspunkte für die Bestrebungen auf, die gegen: 28 Siehe dazu auch die Publikation des AfV ",Reichsbürger' - Querulanten oder Verfassungsfeinde?". 60 Reichsbürger und Selbstverwalter * die freiheitliche demokratische Grundordnung * den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes * den Gedanken der Völkerverständigung und insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Aufgrund dessen unterliegt der Phänomenbereich der "Reichsbürger und Selbstverwalter" seit 2016 der nachrichtendienstlichen Beobachtung. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Thüringen Dem Phänomenbereich "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" wurden in Thüringen im Berichtszeitraum ca. 650 Personen (2016: ca. 550) zugerechnet. Davon wiesen ca. 50 Personen (2016: ca. 50) Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf. Bundesweit belief sich das Personenpotenzial auf ca. 16.500 Personen; darunter 900 Rechtsextremisten. In Thüringen agieren zahlreiche Einzelpersonen und vereinzelte lose Gruppierungen, welche dem Spektrum der "Reichsbürger" zuzuordnen sind. Deren Aktivitäten richteten sich 2017 vorwiegend gegen Thüringer Kommunalbehörden aber auch Landes-, Polizeiund Justizbehörden. Mit querulatorischen Schreiben reagierten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" auf Maßnahmen der staatlichen Eingriffsverwaltung (Bußgeldbescheide, Gebührenund Beitragsbescheide, Vollstreckungsverfahren). Weiterhin erfolgten zahlreiche Anträge auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis), Mitteilungen über die Reaktivierung von Gemeinden und Vorlagen von Fantasiepapieren. * Querulatorische Schreiben Mit dem Ziel, sich der staatlichen Maßnahme zu entziehen, legen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" im Zuge von Verwaltungsund Gerichtsverfahren umfangsreiche Schriftsätze vor, in denen sie der Behörde bzw. dem Amtsträger ihre Autorität oder ihre Existenz absprechen. Häufig wird auch auf völlig aus dem Kontext gerissene Gerichtsentscheidungen oder eigene - meist abstruse - Gutachten verwiesen. Nicht selten drohten sie auch den Entscheidungsträgern zum Beispiel "Bußgelder" und "Unterlassungsverfügungen mit Strafzahlungen" an. * Anträge auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit (Staatsangehörigkeitsausweis, sog. Gelber Schein) Angehörige der "Reichsbürger"-Szene propagieren die Beantragung eines solchen Dokuments, da sie weder einen Personalausweis noch einen Reisepass als Nachweis über den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit ansehen. Zudem führen sie aus, die Bezeichnung "Name" auf dem Personalausweis kennzeichne die betreffende Person als "Firma, also eine inländische juristische Person" ohne Grundrechtsberechtigung. Ein offizieller Staatsangehörigkeitsausweis ("Gelber Schein") Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 61 mit dem Parameter der "Identität Familienname = Natürliche Person" sichere die volle Rechtsfähigkeit als Grundrechtsträger. Der Staatsangehörigkeitsausweis ist ein amtliches Dokument der Bundesrepublik Deutschland, mit dem der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit dokumentiert wird.29 Eine große Anzahl von Anträgen zum sog. Gelben Schein hat aber keinen nachvollziehbaren rechtlichen Hintergrund, sondern geht auf die Aktivitäten der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" zurück. Die Beantragung des "Gelben Scheines" weist insbesondere dann auf Szeneangehörige hin, wenn unter "Geburtsort" z. B. "Königreich Preußen", "Fürstentum Reuß jüngere Linie", "Herzogtum Sachsen-Coburg-Gotha" oder Ähnliches von dem Antragssteller eingetragen wird. * Mitteilungen über die Reaktivierung von Gemeinden Die "Reaktivierung bzw. Reorganisation" von Gemeinden ist ein thüringenund bundesweites Phänomen. Ziel ist es, die jeweilige Gemeinde unter "Selbstverwaltung" zu stellen. So sind die reaktivierten Gemeinden der Auffassung, dass sie der Bundesrepublik Deutschland, der EU und dem vereinten Wirtschaftsgebiet exterritorial gegenüberstehen. Die Bundesrepublik besitze demnach keine gültige Verfassung, das Deutsche (Kaiser-)Reich sei bis heute nicht untergegangen. Die Mitglieder der reaktivierten Gemeinden, die ihre "Abstammung gemäß RuStAG von 1913 nachgewiesen" haben, sollen als tatsächliche Wahlberechtigte identifiziert werden; diese wählen wiederum die Wahlkommission und schließlich die "echten" Gemeinderepräsentanten. * Fantasiepapiere Außerdem "legitimieren" sich Szeneangehörige gern mit selbst produzierten "Fantasiepapieren", wie "Reichspersonenausweise", "Reichsführerscheine" oder Papiere, die sie als "natürliche Person nach SS 1 staatl. BGB" ausweisen. Diese sind völlig wertlos und auch zum Teil von szeneinternen Geschäftemachern erstellt. Oftmals wurden im Vorfeld die amtlichen Ausweisdokumente bei der Meldebehörde abgegeben. Weiterhin konnte im Berichtszeitraum eine Vernetzung von Angehörigen der Thüringer "Reichsbürger"-Szene mit dem Verein "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" festgestellt werden. Die rechtsextremistische Gruppierung bot als Vernetzungsund Sammlungsbewegung auch "Reichsbürgern" ein Podium für deren Agitation. So nahmen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" an Versammlungen von THÜGIDA teil, waren mitunter in deren Organisation eingebunden und traten als Redner auf. Eine Person mit "Reichsbürger"Bezügen ist im Vorstand von "THÜGIDA & Wir lieben Sachsen" vertreten. 29 Rechtsgrundlage ist das im Jahr 2000 überarbeitete und in Kraft getretene Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), das auf dem "Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz" (RuStAG) vom 22. Juli1913 basiert. 62 Reichsbürger und Selbstverwalter 3. Gefährdungspotenzial Das Spektrum der "Reichsbürger" reicht vom gefestigten Rechtsextremisten über Querulanten, Trittbrettfahrer mit einer reinen Zahlungsverweigerungsabsicht bis hin zu geistig Verwirrten bzw. psychisch erkrankten Personen. Personen mit dieser Ideologie sind einem geschlossenen verschwörungstheoretischen Weltbild verhaftet. Die Verdrossenheit gegenüber staatlichen Maßnahmen und dem persönlichen Empfinden, sich in einer ausweglosen Situation zu befinden, können erhebliche Aggressionen und Gefahrensituationen auslösen. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gelten zudem als besonders waffenaffin. Hinsichtlich des im Berichtszeitraum bekannten Personenpotenzials in Thüringen lag die Quote der waffenrechtlichen Erlaubnisse bei etwa acht Prozent. Soweit bekannte "Reichsbürger" im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis sind, wird die zuständige Waffenbehörde informiert. Ziel ist es, eine Überprüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit anzustrengen, um die waffenrechtliche Erlaubnis zu widerrufen. Die schwerwiegenden Gewalttaten aus dem Jahr 201630, die immer wieder feststellbaren Widerstände - oftmals gewaltorientiert - bei Vollstreckung von behördlichen Maßnahmen sowie die szenetypische Affinität für Waffen belegen das immanente Gefährdungspotential durch einzelne Personen des Phänomenbereichs "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". 4. Maßnahmen Die Landesregierung hat verstärkt Maßnahmen gegen "Reichsbürger" getroffen. Hierbei ging es um die Aufklärung der Bevölkerung sowie insbesondere auch um eine Unterstützung der Kommunalund Landesbediensteten im Umgang mit dieser Klientel. Dem AfV obliegt dabei vorrangig der Bereich Information. Mitarbeiter des Amtes hielten im Jahr 2017 zahlreiche Vorträge vor Bediensteten in den Justizzentren bzw. Justizbehörden, der Polizei und auf kommunaler Ebene (Landratsämter, Stadtverwaltungen etc.) und anderen Behörden des Freistaats. Im Übrigen finden eine enge behördliche Zusammenarbeit und ein stetiger Informationsaustausch statt. Betroffene Behörden übermitteln auf der Grundlage des SS 19 Abs. 1 ThürVerfschG die ihnen bekannt gewordenen Informationen an das AfV. 30 25. August, Reuden (Sachsen-Anhalt): Der Gründer eines Fantasiestaates schoss bei der Durchsetzung einer Zwangsvollstreckung auf Polizeikräfte und verletzte drei von ihnen; 19. Oktober, Georgensgmünd (Bayern), s. Fn. 27. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 63 IV. Islamismus 1. Ideologischer Hintergrund 1.1 Islamismus Islamismus stellt eine Form des politischen Extremismus dar, der die Religion des Islam für politische Zwecke missbraucht und ideologisiert. Folglich stehen weder der Islam als Religion noch die Glaubensgemeinschaft der Muslime in Deutschland im Fokus des Verfassungsschutzes. Sowohl der Glaube als auch die religiöse Praxis sind durch das in Artikel 4 Grundgesetz verbriefte Recht auf Religionsfreiheit geschützt. Anhänger der islamistischen Ideologie streben in Deutschland nach einer teilweisen bzw. vollständigen Abschaffung zentraler Kernelemente des Grundgesetzes zugunsten der Verwirklichung einer dogmatisch rigorosen islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung als Gegenentwurf zur westlichen Demokratie. Diese Staatsund Gesellschaftsordnung ist in weiten Teilen nicht mit den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar. 1.2 Salafismus Der Salafismus verkörpert die einflussreichste Strömung innerhalb des sunnitischen Islamismus. Sie nutzt den Islam als Legitimationsquelle für ihre politische Ideologie und Utopie und missbraucht ihn für die o. g. sozio-politischen Ziele. Der Salafismus orientiert sich an der muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel mutmaßlich existierte. Anhänger dieser Strömung zeigen sich überzeugt, im Koran und in prophetischen Überlieferungen ein genaues Abbild dieser idealisierten Frühzeit des Islam gefunden zu haben und versuchen, die Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Sie lassen dabei theologische und sozio-politische Entwicklungen unberücksichtigt, die sich in den vergangenen 1300 Jahren vollzogen haben. Das salafistische Spektrum gliedert sich in zwei Strömungen, die der Verfassungsschutz als extremistisch einstuft: den politischen sowie den jihadistischen SalafisVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 65 mus. Die Anhänger beider Richtungen einen die Ideologie und die damit verbundenen Ziele. Sie unterscheiden sich lediglich in der Option der Gewaltanwendung, um ihre Ziele umzusetzen. Gemein sind ihnen ein AlleinvertretungsanScharia spruch bezüglich einer absoluten göttlichen * nach muslimischem VerständWahrheit und die darin wurzelnde Absicht, nis gottgegebenes Recht die deutsche Rechtsordnung und Gesell- * keine fixierte Gesetzessammschaft langfristig entsprechend ihres enggelung fassten ideologisierten Islamverständnisses * umfassendes System von Werkomplett umzugestalten. Sie streben nach ten und Vorschriften im Koran der Errichtung eines politischen Systems auf und in prophetischen Überlieder Grundlage ihrer strengen Interpretation ferungen, das von Rechtsgeder Scharia, mit einem Kalifen als religiösem lehrten interpretiert und angeund politischem Oberhaupt. wendet wird Der politische Salafismus ist eine breite heterogene Sammlungsbewegung, die alternativ oft auch als Mainstream-Salafismus bezeichnet wird. Anhänger dieser Strömung folgen einer streng puristischen Lebensweise nach dem Vorbild der islamischen Frühzeit z. T. unter Ablehnung theologischer und realpolitischer Entwicklungen. Hauptkennzeichen des politischen Salafismus ist die systematische Missionierung (Da'wa), mit deren Hilfe die extremistische Ideologie weite Verbreitung findet. Diese Propagandaarbeit erfolgt sowohl virtuell in Form unzähliger salafistischer Auftritte im Internet, auf denen mit Islam-Interessierten über Fragen zur Religion diskutiert und salafistische Literatur verbreitet wird, als auch mittels islamischer Informationsstände, Islamseminaren und Spendenaktionen. Der Übergang zum jihadistischen Salafismus ist angesichts des ambivalenten Verhältnisses politischer Salafisten zur Gewalt als Mittel der Politik fließend. Während die Mehrheit der politischen Salafisten religiös legitimierte Gewalt zur Verteidigung ihres Islamverständnisses nicht prinzipiell ablehnt, vermeidet sie es jedoch, offen zur Anwendung von Gewalt aufzurufen. Jihadistische Salafisten erachten es im Gegensatz dazu für unerlässlich, dass der Geltungsanspruch ihrer Ideologie sowie der Wandel bestehender sozialer und politischer Verhältnisse nach den Vorgaben eines göttlichen Heilsplans mit Gewalt verwirklicht werden müsse. So deuten sie das klassisch islamische Jihad-Konzept, das primär die Überwindung innerer Widerstände im Streben nach einem gottgefälligen Leben und dem untergeordnet ursprünglich eine defensive Form der Kriegsführung verkörpert, in ein revolutionäres Jihad-Konzept um. Damit erklären Jihadisten die Teilnahme am bewaffneten Kampf zur individuellen Pflicht eines jeden Muslims und rufen zum Kampf gegen vermeintliche Feinde des Islam bzw. der salafistisch-jihadistischen Agenda, sog. Ungläubige (Kuffar), auf. Entsprechend der salafistischen Ideologie erstreckt 66 Islamismus sich der Begriff des Ungläubigen auf alle, die sich außerhalb ihres eigenen strengen salafistischen Regelwerks bewegen, d.h. Atheisten, Polytheisten, Christen, Juden und sogar kritische und weniger puristische Muslime. Anhänger dieser militanten Gewaltideologie wähnen sich in einem Jihad gegen die westliche Zivilisation, in dem sie eine Avantgarde verkörperten, die die Initiative zur Verteidigung des Islam ergreife und eine gewaltsame Ausbreitung des Islam bzw. ihres rigorosen Islamverständnisses anstrebe. 2. Trends in der salafistischen Szene Die Zahl der in Deutschland lebenden Salafisten steigt seit Jahren kontinuierlich an. Zum Ende des Berichtszeitraums waren den Sicherheitsbehörden insgesamt 10.800 Salafisten bekannt (2016: 9.700). Damit zeigt der Salafismus anhaltende Attraktivität und erweist sich nach wie vor als die dynamischste islamistische Bewegung. Die enge Kooperation der Sicherheitsbehörden und z. T. langwierige Ermittlungen mündeten im Berichtszeitraum in zahlreiche Verbote, die die salafistische Szene nachhaltig unter Druck setzen. So wurden beispielsweise der Berliner Moscheeverein "Fussilet 33 e. V." (Februar 2017), der Verein "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V." sowie der Verein "Almadinah Islamischer Kulturverein e. V." in Kassel (beide März 2017) verboten. Anlass hierfür gab jeweils das Agieren gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung unter Verbreitung und Verfestigung der salafistischen Ideologie. Dies reichte von einer Befürwortung von und dem Aufruf zu Gewalt bis hin zur Ausreise in die Jihadgebiete, um sich dort dem Kampf terroristischer Gruppierungen anzuschließen. Erste Beobachtungen zeigen, dass diese repressiven Maßnahmen zu einem Umbruch innerhalb der salafistischen Szene führen. Öffentlich sichtbare Straßenmissionierung in Form von Islam-Infoständen und Koranverteilaktionen haben in den vergangenen zwei Jahren deutlich abgenommen. Es zeichnet sich der Trend ab, dass Anhänger der salafistischen Community auf den Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden verstärkt mit einem Rückzug ins Private und Konspirative reagieren. Angesichts dessen spielt bei der Gewinnung neuer Anhänger auch das Internet eine immer bedeutendere Rolle. Salafisten nutzen das Internet seit Jahren gezielt als Propaganda-, Kommunikationsund Steuerungsmedium über unzählige Websites, Auftritte in den sozialen Medien, Youtube-Kanäle und Instant-Messaging-Dienste. Interessierte finden in diesen Foren Kontakt zu Gleichgesinnten und Zugang zu salafistischen Audiound Videobeiträgen, wobei oft die extremistische Agenda auf den ersten Blick nicht deutlich wird. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 67 3. Lagebild Deutschland Gefährdungsbewertung Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) sieht sich in ihrem Kerngebiet Syrien und Irak einem vielschichtigen Bündnis aus lokalen und internationalen Sicherheitskräften gegenüber. Vormals vom IS kontrollierte Gebiete wurden 2017 fast vollständig zurückerobert. Dennoch gilt der IS weiterhin als ein wesentlicher Akteur in der Region. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Organisation nach den herben Gebietsverlusten ihren Kampf um Einfluss unter dem Einsatz von Gewalt aus dem Untergrund fortsetzen wird. Die Bundesrepublik Deutschland steht unverändert im Fokus des IS und weiterer jihadistischer Organisationen, z. B. der "al-Qaida", sowie den jeweiligen Regionalorganisationen oder den mit ihnen ideologisch verbundenen Gruppierungen. Daraus resultiert eine anhaltend hohe Gefahr, dass auch hier jederzeit jihadistisch motivierte Gewalttaten verübt werden können. Seit geraumer Zeit zeichnet sich die Tendenz ab, dass jihadistisch motivierte Attentate mit leicht zu beschaffenden und einzusetzenden Tatmitteln und weniger komplex ausgeführt werden. Anstelle von Schusswaffen und Unkonventionellen Sprengund Brandvorrichtungen (USBV) kommen ergänzend verstärkt Hiebund Stichwaffen sowie Fahrzeuge als primäres Tatmittel an vorzugsweisen "weichen" Zielen - z. B. größere Menschenansammlungen bei öffentlichen Großveranstaltungen oder in Straßen mit hohem Publikumsverkehr, stark frequentierte Sehenswürdigkeiten, öffentliche Verkehrsmittel o. Ä. - zur Anwendung. Rückkehr von IS-Sympathisanten aus den Jihadgebieten Seit dem Jahr 2011 erfassten die Sicherheitsbehörden rund 970 Islamisten mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit, die aus Deutschland in Richtung Syrien/Irak ausgereist sind, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Im Berichtszeitraum wurden - anders als in den Vorjahren - nur noch vereinzelt Ausreisesachverhalte bekannt. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen hält sich wieder in Deutschland auf. Angesichts der unzähligen Gebietsverluste des IS im Laufe des Berichtszeitraums gehen deutsche Sicherheitsbehörden von einem weiteren Anstieg dieses Wertes aus. 68 Islamismus Zur Mehrzahl der aus den Konfliktgebieten zurückgekehrten Personen - ca. 15 Prozent davon sind weiblich - liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien/Irak beteiligt oder tatsächlich terroristische Gruppen durch Sicherheits-, Verwaltungs-, Rekrutierungsoder Medienaktivitäten unterstützt haben. Im Hinblick auf ihre Gesinnung zeichnet sich ein heterogenes Bild ab. Die Spanne reicht von Mitläufern, deren szenetypische Aktivitäten nach der Rückkehr deutlich abnehmen und/oder nicht mehr feststellbar sind, bis hin zu gewaltaffinen Personen. Einer erkennbar kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Islamismus/Terrorismus wie auch einer Kooperation mit den Sicherheitsbehörden stehen Rückkehrer nur in wenigen Fällen offen gegenüber. Grundsätzlich muss in den meisten Fällen von einer fortbestehenden islamistischen Grundhaltung ausgegangen werden. Ein besonders hohes Gefährdungspotenzial geht von Personen aus, die eine militärische Ausbildung absolviert haben, Kampferfahrung vorweisen und nachweislich indoktriniert wurden. Eine potenzielle Gefahr bergen aber auch Frauen und Jugendliche, sofern sie aufgrund der in den Jihadgebieten vorgefundenen Lebensbedingungen traumatisiert wurden bzw. radikale Denkund Handlungsweisen der IS-Ideologie übernommen haben. Selbst Kindern, die in einem islamistisch-jihadistisch Umfeld aufgewachsen und dadurch mitunter nachhaltig geprägt sind, ist ein gewisses Gefahrenpotenzial zuzuschreiben. Die Rückkehrer genießen in der islamistischen Szene meist hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltorientierter Islamisten durchaus Vorschub leisten. Angesichts dieser Gegebenheiten werden behördenübergreifend Sensibilisierungsmaßnahmen bei Sozialund Bildungseinrichtungen ergriffen, um geeignete Präventionsmaßnahmen und im Bedarfsfall weitere Schritte veranlassen zu können. 4. Lagebild Thüringen Islamistische Gruppierungen haben sich in Thüringen bislang kaum strukturell etabliert. Feste, formale Organisationsstrukturen existieren in diesem Sinne im Freistaat nicht. Vielmehr agieren lose Personennetzwerke oder Einzelpersonen, die salafistische Aktivitäten entfalten. Das Potenzial der losen Anhängerschaft beläuft sich im Freistaat auf insgesamt ca. 200 Islamisten (2016: 200). Davon sind ca. 160 Personen (2016: 170) der Strömung des Salafismus zuzurechnen. Etwa 40 Personen stehen islamistischen Gruppierungen wie der "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" (INS), der "Tablighi Jama'at" (TJ), der "Muslimbruderschaft" (MB) oder der "Hizbullah" nahe.31 31 Die Zuordnung des salafistischen Personenpotenzials ergibt sich aus einer veränderten Zusammensetzung der INS, ehemals "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB), und somit einer angepassten Zählweise. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 69 Die Anhänger der salafistischen Szene Thüringens weisen zu 96 Prozent einen Migrationshintergrund auf. Der Frauenanteil liegt bei lediglich 2,7 Prozent. Bezüglich der Altersstruktur überwiegt die Gruppe der Über-36-Jährigen mit knapp 46 Prozent gefolgt von der Gruppe der 26bis 36-Jährigen mit knapp 32 Prozent. Die Gruppe der 16bis 25-Jährigen macht 22 Prozent aus. Besonderes Augenmerk legen die Thüringer Sicherheitsbehörden auf jene 8,7 Prozent der Thüringer Salafisten, die einen Gewaltbezug aufweisen. 4.1 Islamisten in Thüringer Moscheevereinen Die Zahl Thüringer Moscheevereine bewegt sich im unteren zweistelligen Bereich. Die Vereine betätigen sich überwiegend im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Verschiedene Moscheevereine und Gebetsräume insbesondere in größeren Städten werden auch von Salafisten frequentiert, bisher jedoch nicht von ihnen dominiert. Einige sind unwissentlich islamistischen Einflüssen durch entsprechend geprägte Besucher ausgesetzt. Infolge dessen dienen sie auch als mögliche Anlaufstellen und Trefforte zur Kontaktaufnahme und für Zusammenkünfte dieser Personen. Dabei bestehen auch (internationale) Kennverhältnisse zu Personen aus dem jihadistischen Spektrum. Aufgrund dessen werden Moscheevereine und Gebetsräume im Freistaat nicht insgesamt als salafistische Bestrebung, sondern lediglich einzelne relevante Personen/ Personengruppen nachrichtendienstlich beobachtet. 70 Islamismus 4.2 Hinweise auf Islamisten unter Migranten Die Migrationsbewegungen nach Deutschland, die im Vergleich zum Vorjahr deutlich abgenommen haben, stellen die deutschen Sicherheitsbehörden weiterhin vor vielseitige Herausforderungen. Eigenes personenbezogenes Hinweisaufkommen des AfV zu einzelnen Vorgehensweisen und Verhaltensmustern korrespondiert sowohl mit Erkenntnissen aus zahlreichen Terrorismus-Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft als auch aus bundesweit erfolgten Exekutivmaßnahmen. So gehen beim AfV kontinuierlich Einzelhinweise zu mutmaßlichen aktiven und ehemaligen Kämpfern, Unterstützern und Sympathisanten terroristischer Organisationen im Sinne der SSSS 129a und 129b StGB wie dem IS, der "Jabhat Fatah al-Sham" (ehemals al-Nusra-Front), den Taliban oder der "al-Shabaab-Miliz" unter Geflüchteten ein. Die Qualität der Hinweise variiert. Neben solchen vom "Hörensagen", die sich oftmals nicht bestätigen, reichen sie bis hin zur Übermittlung konkreter, nachrichtendienstlich wertiger Sachverhalte. Seit Anfang 2017 kommen zu diesen Hinweisen verstärkt von Asylsuchenden vorgebrachte Selbstbezichtigungen hinzu, die vorgeben, im Herkunftsland entweder freiwillig oder zwangsrekrutiert Mitglied einer terroristischen Organisation gewesen zu sein. Es erscheint durchaus denkbar, dass Personen aus Staaten mit einer tendenziell schlechten Bleibeperspektive wie Afghanistan, Nigeria oder Somalia sich selbst z. T. nie begangene Straftaten anlasten, in der Hoffnung, in Deutschland ein Bleiberecht zu erwirken. Drohen Asylsuchenden im Herkunftsland völkerrechtswidrige Strafen wie Folter oder die Todesstrafe für die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, kommt im Einzelfall eine Schutzgewährung in Form einer Duldung in Betracht. Ermittlungen gegen die betroffenen Asylsuchenden erweisen sich oft als schwierig und langwierig. Sie werden nicht selten eingestellt, weil der Straftatbestand nicht ermittelt werden kann. Wenn die tatsächlichen Anhaltspunkte ausreichen, können die Ermittlungen jedoch auch zu einer Abschiebung führen.32 Darüber hinaus liegen den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder nunmehr Einzelhinweise auf ein gezieltes bzw. organisiertes Einschleusen von Mitgliedern/Unterstützern terroristischer Organisationen im Flüchtlingsstrom mit dem Ziel der Planung und/oder Ausführung von Anschlägen in Deutschland und anderen europäischen Staaten vor. 32 Ein im Dezember 2015 nach Deutschland eingereister 22-jähriger Afghane, dessen Asylantrag im Mai 2017 abgelehnt worden war, wurde am 23. Januar 2018 nach Afghanistan abgeschoben. Der Abschiebung ging ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts wegen des Verdachts der Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen in Tateinheit mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland voraus. Bis zur Ausreise befand sich der Afghane aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters beim Bundesgerichtshof in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Tonna. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 71 Infolge der veränderten Rahmenbedingungen hat sich der Fokus des AfV hinsichtlich der Beobachtung und Aufklärung islamistischer Strukturen in Thüringen verschoben. Während in der Vergangenheit die Bearbeitung verschiedener Gruppierungen im Mittelpunkt stand, erfolgt nun vorrangig die Aufklärung von Einzelsachverhalten mit Bezug zum islamistischen Terrorismus. Im Berichtszeitraum bewegte sich das Aufkommen im unteren Drittel des dreistelligen Bereiches. Bei der Hälfte der zu prüfenden Sachverhalte ergaben sich tatsächliche Anhaltspunkte für eine Verbindung zu einer terroristischen Vereinigung. Größtenteils bezogen sich die Hinweise auf Aktivitäten im Zusammenhang mit dem IS, gefolgt von Bezügen zu den Taliban. Meldungen über mutmaßliche Verbindungen zur islamistischen somalischen Gruppierung "al-Shabaab" nahmen 2017 deutlich zu. Die Mehrheit der Sachverhalte betraf Personen mit Flüchtlingsstatus. Vergleicht man deren Altersstruktur mit jener der in Thüringen ansässigen Salafisten, fällt eine Verschiebung auf. Während die Thüringer Salafisten von der Gruppe der Über-36-Jährigen geprägt wird, dominiert hier die Gruppe der 16bis 25-Jährigen, gefolgt von der Gruppe der 26bis 36-Jährigen. 72 Islamismus Ein Viertel der eingegangenen Meldungen auf Radikalisierungsverdacht betraf die Gruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge. Festzuhalten bliebt, dass sich vor allem Jugendliche, deren Persönlichkeitsentwicklung oft noch nicht abgeschlossen ist, und Menschen in Krisensituationen, zu denen Kriegserfahrungen, traumatisierende Fluchterfahrungen ebenso wie ungeklärte Bleibeperspektiven zählen, verstärkt für Radikalisierungstendenzen empfänglich zeigen. Daraus erwachsende Gefährdungen können bis hin zu islamistisch motovierten Anschlägen reichen. 4.3 Spannungsfeld Integration und Radikalisierung Mit dem Zustrom an Geflüchteten nach Thüringen bietet sich hiesigen Salafisten Gelegenheit, unter dem Deckmantel der Unterstützung von Glaubensbrüdern und -schwestern neue Anhänger zu gewinnen. Dabei steht zunächst die humanitäre Hilfe im Vordergrund. Mit Hilfe von unentgeltlichen sozialen Hilfsangeboten in Form von Kleidung, Sprachmittlern und der Begleitung bei Behördengängen wird zunächst eine Vertrauensbasis geschaffen. Diesem Hilfsangebot steht ein mit einem langwierigen Asylverfahren verbundener Kreislauf aus Frustration über suboptimale provisorische Unterbringung, unklare Bleibechancen sowie fehlender sozialer Anschluss und Erwerbsmöglichkeiten, enttäuschte Erwartungen und mitunter kulturelle Orientierungslosigkeit gegenüber. In solch einer Situation zeigen sich entwurzelte und enttäuschte Menschen mitunter empfänglich für salafistische Missionierung, die den Nährboden für Radikalisierungsprozesse bereitet. Analysen der Sicherheitsbehörden und Erfahrungen von in der Prävention tätigen zivilgesellschaftlichen Trägern legen den Schluss nahe, dass eine Radikalisierung unter Geflüchteten nicht selten erst nach der Ankunft in Deutschland erfolgte. Deutlich wird daraus, dass eine schlüssige Integrationspolitik und angemessene Präventionsarbeit erforderlich sind, um eine Radikalisierung mit der möglichen Folge einer Anschlagsbegehung frühestmöglich zu verhindern. Legalistischer Islamismus Neben dem politischen und jihadistischen Islamismus befasst der Verfassungsschutz ebenso mit dem legalistischen Islamismus. Dieser versammelt nicht-gewaltorientierte islamistische Gruppen, die langfristig über karitative und gesellschaftspolitische Lobbyarbeit die Umformung des demokratischen Rechtsstaats in einen islamischen Staat unter Anwendung der islamischen Rechtsprechung anstreben. Richtschnur ihres Handelns ist eine strenge Lesart des Korans und die Anwendung der Scharia, was einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes darstellt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 73 Die älteste und weltweit am stärksten global vernetzte legalistischislamistische Bewegung ist die 1928 in Ägypten gegründete "Muslimbruderschaft" (MB), die nach eigenen Angaben in derzeit 70 Ländern in Form von Parteien und Vereinen aktiv ist. In Deutschland verkörpert die 1960 gegründete "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) die zentrale Organisation von Anhängern der MB mit Hauptsitz in Köln sowie islamischen Zentren in München, Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt/Main, Marburg, Braunschweig und Münster. Die von der IGD betriebenen islamischen Zentren dienen sowohl als Veranstaltungsorte für politische Agitation als auch als Begegnungsstätten und Kulturvereine für Muslime. Finanziert werden sie in Deutschland im Wesentlichen über Mitgliedsbeiträge, Spendensammlungen in Moscheen und sonstige private Spenden. MB/IGD nutzen offenbar das Vakuum an islamischer Infrastruktur in den neuen Bundesländern und entfaltet dort Aktivitäten durch Gründungen von islamischen Kulturvereinen und Moscheeräumen. Zum Ende des Berichtszeitraums kam es im Südwestthüringer Raum zu einer Vereinsgründung, welche aufgrund persönlicher Beziehung beteiligter Personen Bezüge zur MB aufweist. Darüber hinaus liegen tatsächliche Anhaltspunkte für Kontakte des Vereins zu der im Jahr 2016 gegründeten "Sächsischen Begegnungsstätte gUG" (SBS) vor, welche den Gruppierungen der MB sowie der IGD zugeordnet wird. So nahmen an vergangenen Veranstaltungen der SBS unter anderem Berater der IGD teil, welche zusätzlich verschiedene leitende Funktionen in Organisationen der MB oder IGD ausüben. Die SBS befindet sich derzeit auf einem Expansionskurs. Es ist davon auszugehen, dass die SBS den Aufbau des Vereins unterstützen wird und dabei die mit der Doppelstrategie der MB und IGD verbunden Ziele umsetzen möchte. 74 Islamismus V. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 1. Hintergrund Ausländerextremismus ist ein Sammelbegriff für Aktivitäten von heterogenen extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen außerhalb des Islamismus, die überwiegend aus politischen, sozialen oder ethnischen Konflikten in den jeweiligen Herkunftsländern hervorgegangen sind. Ausländerextremistische Bestrebungen zielen auf mitunter gewaltsame Veränderungen der Verhältnisse in den Herkunftsländern ab, wobei Deutschland überwiegend als sicherer Rückzugsraum genutzt wird. Diese Aktivitäten können die innere Sicherheit bzw. das internationale Ansehen der Bundesrepublik Deutschland gefährden, z. T. verstoßen sie auch gegen das Prinzip der Völkerverständigung. In diesen Phänomenbereich fällt die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die in Deutschland seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegt33 ist. Sie bildet in Thüringen unter den ausländerextremistischen Gruppierungen den Bearbeitungsschwerpunkt. 2. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Gründung 1978 in der Türkei als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) weitere Bezeichnungen im Zuge von Umbenennungen: "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Leitung Abdullah Öcalan 33 Das Bundesministerium des Innern (BMI) weitete mit Erlass vom 2. März 2017 die Liste von Symbolen, die unter das Betätigungsverbot der PKK fallen, erheblich aus. Während zuvor Fahnen und Symbole der PKK und ihr direkt zugeordneter mutmaßlicher Nachfolgeorganisationen aus der Türkei und Europa betroffen waren, können nun auch Symbole anderer kurdischer Vereinigungen aus Syrien, dem Irak, Iran sowie von legal in Deutschland arbeitenden Verbänden betroffen sein, wenn ihre Verwendung einen Bezug zur PKK darstellt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 75 Publikationen u. a. "SERXWEBUN" ("Unabhängigkeit"), monatlich; "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), täglich Mitglieder/Anhänger 2017 ca. 14.500 (2016 ca. 14.000) (Bund) Teilgebiet Erfurt 2017 ca. 150 (2016 ca. 100 bis 150) 2.1 Allgemeine Lage Der seit 1999 inhaftierte Parteigründer Abdullah Öcalan steht weiterhin formal an der Spitze der Organisation. Er wird von ihren Anhängern nach wie vor als Symbolfigur verehrt. Einzig das Anliegen der Partei erfuhr in den zurückliegenden Jahren eine Neujustierung. Man wolle nicht mehr im Rahmen eines bis dahin geführten Guerillakriegs einen autonomen Kurdenstaat erreichen, sondern sich vielmehr für die Anerkennung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei einsetzen. Dabei bedient sich die PKK weiterhin einer Doppelstrategie. Um ein friedliches Erscheinungsbild gegenüber der westeuropäischen Öffentlichkeit bemüht, werben ihre Anhänger bei Kundgebungen oder anlassbezogenen Gedenkund Kulturveranstaltungen vordergründig um politische Anerkennung ihrer Interessen. Zugleich unterhält sie in der Türkei und der nordirakischen Grenzregion bewaffnete "Volksverteidigungskräfte" (HPG), um ihre Ziele auch mit militärischer Gewalt zu erreichen.34 Neben den fest im Jahresverlauf verankerten Veranstaltungen (Demonstration zum Jahrestag der Festnahme Öcalans am 15. Februar, Newroz-Fest im März, Kurdistanfestival im September u. a.) setzten sich die Aktivitäten von PKK-Anhängern, die einen Zusammenhang zur Heimatregion bzw. zum PKK-Führer Öcalan aufweisen, im Berichtszeitraum fort. Die türkische Armee führte in der Nacht auf den 25. April Luftangriffe auf Kurdenstellungen in Syrien und im Irak durch. Noch am selben Tag fanden bundesweit mehr als 25 Protestveranstaltungen statt. Weitere folgten nahezu täglich innerhalb einer Woche. Zudem kam es in Baden-Württemberg zu einem Brandanschlag auf einen türkischen Moscheeverein. 34 Nachdem der Europäische Rat im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem vorrangigen Ziel der EU erklärte, ist die PKK seit 2002 auf der in diesem Zusammenhang eingerichteten sog. EU-Terrorliste notiert. Dort können Personen, Vereinigungen und Körperschaften erfasst werden, wenn eine zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaats über Beweise oder schlüssige Indizien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Konsequenz der Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtiger Personen und Organisationen. 76 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Ab August fanden bundesweit Kundgebungen der PKK zur Situation des seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten Organisationsgründers Öcalan statt. Auch in öffentlichen Verlautbarungen der Organisation wurde die Freilassung Öcalans gefordert. Der Zeitpunkt der Aktionen stand in Zusammenhang mit dem Jahrestag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der PKK 1984 in der Türkei. Nachdem in türkischen sozialen Medien Anfang Oktober Meldungen verbreitet wurden, die von der angeblichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes Öcalans bis zu seinem Tod reichten, kam es in Deutschland und Europa zu einer Vielzahl an Demonstrationen. So wurden am Abend des 15. Oktober mindestens 23 spontane Kundgebungen von PKK-Anhängern, unter anderem in Köln, Berlin, Dortmund und Essen, mit bis zu 200 Teilnehmern durchgeführt. Das Demonstrationsgeschehen hielt bundesweit mehrere Tage an. Am 4. November demonstrierten etwa 6.000 PKK-Anhänger in Düsseldorf unter dem Motto "NO PASARAN! Kein Fußbreit dem Faschismus, Schluss mit den Verboten kurdischer und demokratischer Organisationen aus der Türkei, Freiheit für Abdullah Öcalan und alle politischen Gefangenen". Hierbei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den eingesetzten Polizeibeamten, wobei insgesamt 14 Personen verletzt wurden. Im Rahmen der Veranstaltung wurden entgegen polizeilicher Auflagen verbotene Fahnen mit dem Abbild Öcalans gezeigt. In der Folge erklärte die Versammlungsleiterin die Veranstaltung vorzeitig für beendet. Die Versammlung fand Unterstützung des linksextremistischen Spektrums. Das vordergründige Veranstaltungsthema "Antifaschismus" wurde im Verlauf der Veranstaltung durch die PKK-Thematik überlagert. 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen Die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (kurdisch "Civata Demokratik a Kurdistan" - CDK)35 bestimmt die politischen Aktivitäten der PKK in Europa. In der Bundesrepublik Deutschland besteht die hierarchische Struktur der PKK aus 9 Regionen mit 31 "Gebieten", die sich wiederum in "Teilgebiete" untergliedern. Das "Teilgebiet Erfurt" stellt die einzige in Thüringen etablierte Struktur der PKK dar. Es ist dem "Gebiet Kassel" organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum Erfurt auch Weimar und Teile Nord-, Westsowie Südwestthüringens. Ein von der Partei bestimmter Teilgebietsleiter ist u. a. für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, die Verteilung und den Verkauf von Propagandamaterial sowie die Spendensammlungen verantwortlich. Die PKK-Anhängerschaft im "Teilgebiet Erfurt" umfasst ca. 150 Personen. 35 Der vormals als "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) bezeichnete politische Arm der PKK war 1993 ebenfalls mit einem Betätigungsverbot belegt worden. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 77 Die umzusetzenden Vorgaben und Anordnungen der CDK-Leitung werden durch Gebietsund Teilgebietsleiter zur Basis transportiert. Diese ist vornehmlich in kurdischen Kulturvereinen organisiert. In Deutschland existieren ca. 46 solcher Vereine, die dem Dachverband "Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Deutschland e. V." (NAV-DEM) angeschlossen sind. Der in Erfurt bestehende Verein "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Thüringen e. V." führte im Berichtszeitraum neben kulturellen Veranstaltungen für die in Thüringen ansässigen Kurden wiederum auch Veranstaltungen durch, die einen thematischen Bezug zur PKK aufwiesen. 2.3 Finanzierung Die PKK nutzt verschiedene Finanzierungsquellen, u. a. Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungseinnahmen und den Publikationsverkauf. Den weitaus größten Einnahmenanteil erzielt sie während der alljährlich unter den Anhängern in Europa durchgeführten Spendenkampagne. Allein in Deutschland wurden anlässlich der jeweiligen Jahresspendenkampagne mehrere Millionen Euro gesammelt. Sonderspendenkampagnen zu aktuellen Themen sollen zusätzliche Spendenbereitschaft generieren. Die eingenommenen Gelder dienen vorrangig der Finanzierung der Guerillaeinheiten und dem Unterhalt der umfangreichen PKK-Strukturen. Darüber hinaus werden PKKGroßveranstaltungen damit finanziert. 2.4 Propaganda und Themenschwerpunkte Die PKK-Gliederungen in Deutschland sind bestrebt, mit diversen Veranstaltungen und Aktionen das öffentliche Meinungsbild in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Berichtszeitraum spiegelten sich die bundesweiten Themenschwerpunkte, insbesondere gegen die sog. Isolationshaft des türkischen Staates gegen Abdullah Öcalan und die Situation der Kurden im Irak und in Syrien, auch bei Veranstaltungen in Thüringen wider. Den Aktivitätsschwerpunkt für Thüringen bildete Erfurt. Zu Beginn des Jahres wurden bei Kundgebungen in Thüringen die Freiheit für Öcalan und das PKK-Verbot thematisiert. Im Jahresverlauf dominierten die Solidarität mit im Hungerstreik befindlichen kurdischen Gefangenen in der Türkei sowie die Aktionen des türkischen Militärs gegen Kurden im Irak das Kundgebungsund Demonstrationsgeschehen der Anhänger des in Erfurt ansässigen kurdischen Vereins. 78 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 2.5 Bewertung Die Aktionsbeispiele verdeutlichen, dass die PKK kurzfristig auf Ereignisse im Ausland zu reagieren vermag und bundesweit ihre Anhänger für Proteste mobilisieren kann. Auch die regelmäßig von der PKK besetzten Themen anlässlich organisationsbezogener Jahresoder Gedenktage sowie kulturellen Ursprungs haben nicht an Zugkraft verloren. Der Gesundheitszustand des Organisationsgründers und die Forderung nach seiner Freilassung sind nach wie vor zentrale, emotionalisierende Elemente der Kundgebungen. Organisationsübergreifende Kooperationen u. a. mit der linksextremistischen Szene finden mitunter Ausdruck in Massenkundgebungen, bei denen es auch zu Ausschreitungen kommen kann. Im Berichtszeitraum waren bundesweit vermehrt tätliche Auseinandersetzungen von Demonstrationsteilnehmern mit Polizeibeamten oder zwischen Personen unterschiedlicher ethnischer Herkunft festzustellen. Wenngleich Vergleichbares bei Demonstrationen der PKK-Anhänger und Unterstützer in Thüringen bislang ausblieb, war mitunter eine aufgeheizte Grundstimmung auszumachen. Insbesondere anhaltende Aktionen des türkischen Militärs gegen Partnerorganisationen der PKK etwa in Syrien können künftig bundesweit zu einem vermehrten Demonstrationsgeschehen und einem steigenden Aggressionspotenzial führen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 79 VI. Linksextremismus 1. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Links weist die Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA)36 folgende Zahlen aus: Straftaten 2015 2016 2017 Insgesamt 373 442 434 davon u. a.: Gewaltkriminalität 67 52 25 Sachbeschädigungen 130 181 326 Verstöße gegen das 120 92 24 Versammlungsgesetz Im Jahr 2017 entfielen mit 434 von 2.104 Delikten 20,6 % der insgesamt in Thüringen erfassten politisch motivierten Straftaten auf den Phänomenbereich "Links". Im Vergleich zum Vorjahr ist hier, betrachtet man die absoluten Zahlen der Delikte, ein leichter Rückgang zu konstatieren. Bei Betrachtung der einzelnen Deliktqualitäten ist bei den Gewaltstraftaten 2017 ein deutlicher Rückgang um mehr als die Hälfte von zuvor 52 auf 25 begangene Taten ersichtlich. Hingegen weist die Zahl der Sachbeschädigungen mit 326 Straftaten im Jahr 2017 nochmals eine deutliche Steigerung im Vergleich zu den Vorjahren auf. Bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz ist 2017 im Vergleich zum Vorjahr ein deutlicher Rückgang von 92 auf 24 Straftaten zu verzeichnen. Der erhebliche Anstieg im Jahr 2015 auf das Sechsfache der Vorjahreszahl kann damit fast kompensiert werden. Im Berichtszeitraum war insgesamt wie auch im Phänomenbereich der PMK-Links eine sinkende Anzahl von Straftaten festzustellen. Regionale Schwerpunkte waren den polizeilichen Statistiken zufolge der Raum Jena, Gotha und Nordhausen. Dies dürfte im Phänomenbereich der PMK-Links insbesondere auf Aktivitäten, die ein Aufeinandertreffen der politischen Gegner und deren Konfrontation mit den Sicherheitskräften begünstigten, zurückzuführen sein. 36 Siehe Fn. 4. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 81 2. Überblick und Schwerpunktsetzung Aufgrund der unmittelbaren und deutlich höheren Gefahren für die innere Sicherheit und der daraus resultierenden Gefährdung für die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland liegt der Schwerpunkt bei der Beobachtung der linksextremistischen Szene bundesweit auf dem gewaltorientierten Linksextremismus. Dies trifft ebenso auf Thüringen und das hier aktive linksextremistische Spektrum zu. Dieses ist sowohl in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt und als auch in Thüringen breit gefächert und folgt verschiedenen ideologischen Positionen. Gemeinsam ist allen Spielarten des Linksextremismus das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Ihre - wie unterschiedlich auch immer gearteten - Bestrebungen richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Gewaltorientierte Aktivitäten verlangen dabei jedoch eine sofortige und unmittelbare Intervention. Die in Thüringen vertretenen linksextremistischen Parteien, Organisationen und sonstigen Personenzusammenschlüsse sind Teil der bundesweit bestehenden linksextremistischen Strukturen bzw. Szene, ohne dass alle bundesweit existierenden Gruppierungen ein entsprechendes Pendant in Thüringen hätten. Das gewaltorientierte linksextremistische Spektrum wird zu einem wesentlichen Teil von den Autonomen gebildet. Sie verüben auch das Gros der einschlägigen Gewalttaten. Gewaltorientierung gehört zu den identitätsstiftenden Merkmalen dieser Linksextremisten. Sie äußert sich in Varianten und Stufen verschiedener Intensität als Befürwortung von Gewalt oder Werbung für Gewalt, in Form von konkreten Unterstützungshandlungen oder auch als unmittelbare Gewaltausübung und -tätigkeit. Auf die - im Bundesvergleich wenigen - Thüringer Linksextremisten entfällt ein geringer Anteil der Strafund Gewalttaten. Die Thüringer Szene ist jedoch überregional sehr gut vernetzt und in bundesweite Zusammenhänge eingebunden. Nicht (unmittelbar) gewaltorientierte Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb der bestehenden Rechtsordnung und werden daher auch als legalistisches Spektrum bezeichnet. Gegenüber den gewaltorientierten Linksextremisten scheint dieses weiter an Bedeutung zu verlieren. Auf den ersten Blick prägen eine zunehmende Überalterung vieler Akteure und ein insbesondere in den letzten Jahren zu verzeichnender Verlust an Mitgliedern das Bild. Zum legalistischen Spektrum gehören zum Beispiel die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und ihr Jugendverband "REBELL". 82 Linksextremismus 3. Ideologischer Hintergrund Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Es schließt Anhänger der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Insbesondere die Werke von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Stalin und Mao Tsetung stellen die Grundlagen der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebäude dar. Anarchistische Vorstellungen folgen ebenfalls verschiedenen Theoretikern wie Bakunin, Kropotkin. Linksextremisten wollen im Ergebnis entweder einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. 4. Das linksextremistische Personenpotenzial Bundesweit überwiegt bei summarischer Betrachtung das Potenzial der revolutionären Marxisten. Es umfasste im Berichtszeitraum etwa 22.600 Anhänger. Hinzu kamen jeweils ca. 9.000 Personen, die der gewaltorientierten linksextremistischen Szene zugerechnet wurden. Hierzu zählten auch etwa 7.000 Autonome. Geschätzte Mitgliederbzw. Anhängerpotenziale Thüringen Bund 2015 2016 2017 2015 2016 2017 Gewaltorientierte 7.700 8.500 9.000 Linksextremisten, davon Autonome 130 130 130 6.300 6.800 7.000 Anarchisten37 10 10 10 800 800 800 Linksextremistische 65 65 60 4.800 4.800 4.800 Parteien38 Rote Hilfe e. V. 135 140 140 7.000 8.000 8.300 37 Hierunter fällt auch die in geringem Umfang in Thüringen vertretene "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Ihr Aktionsschwerpunkt beschränkt sich seit 2015 überwiegend auf Jena. Im Berichtszeitraum änderte sich der Name entsprechend in "FAU Jena". Seit 2017 existiert ein eigenes Ladenlokal, das auch das "Anarchistische Schwarze Kreuz Jena" (ASKJ) nutzt. Dieses war im Berichtszeitraum hauptsächlich über seine Internetseite präsent. 38 Die Zahlenangaben beziehen sich auf die organisatorisch in Thüringen vertretenen Parteien "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). Der im November erklärte Austritt der DKP-Gruppe Jena/Ostthüringen blieb hier unberücksichtigt. Maßgebliche Aktivitäten der DKP wurden im Berichtszeitraum nicht festgestellt. Jedoch gelang es der in diesem Spektrum isolierten MLPD ihre politischen Anliegen in der Öffentlichkeit darzustellen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 83 Maßgebliche Gruppen des autonomen Spektrums in Thüringen blieben bestehen. Regionale Schwerpunkte existieren weiterhin in Jena und Weimar, ebenso hält die Fokussierung auf das Betätigungsfeld "Antifaschismus" an. Die in diesem Zusammenhang durchgeführten Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen der "rechten" bzw. rechtsextremistischen Szene bzw. deren Strukturen. Dabei suchten Autonome durchaus die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und der Polizei. Im Zusammenhang mit der Bundestagswahl gelang es den in Thüringen vertretenen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen im Berichtszeitraum teilweise durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen zu werden. 5. Autonome - gewaltorientierte Linksextremisten 5.1 Allgemeines Die Entstehungsgeschichte der autonomen Bewegung reicht in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, in denen die radikalen und militanten Teile der Studentenbewegung zerfielen. Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 1970er Jahre aktiv. Heute agieren sie vor allem in größeren Städten. Schwerpunkte bilden Ballungsräume wie Berlin, Hamburg, das Rhein-Main-Gebiet und Leipzig oder auch Universitätsstädte. Der gewaltorientierten autonomen Szene waren 2017 bundesweit etwa 7.000 Anhänger zuzurechnen. Damit verzeichnete die weitaus größte Personengruppe des gewaltorientierten deutschen Linksextremismus erneut einen Zuwachs. Bestrebungen, verschiedene Strömungen des Linksextremismus zusammenzuführen, hielten an. Als ein maßgeblicher Akteur trat dabei erneut die "Interventionistische Linke" (IL) in Erscheinung. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet ihre paradoxe Devise. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus, anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, sozialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Versatzstücken. Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung der Gesellschaft. 84 Linksextremismus Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Aus ihrer Selbstsicht heraus nehmen sie Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Angriffe auf Personen meint man regelmäßig damit rechtfertigen zu können, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese Bezeichnung wird dabei zum Teil willkürlich verwendet, ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum rechtsextremistischen Spektrum gegeben haben muss. Letztlich dient sie nur als Staffage, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. Gewalttätige Aktionsformen werden taktisch eingesetzt. Dabei spielen Überlegungen zur Haltung möglicher Bündnispartner ebenso eine Rolle wie Stärke und Vorgehensweise eingesetzter Polizeikräfte oder des politischen Gegners. Gelegentlich kommt es jedoch auch zu Gewaltausbrüchen zwischen Angehörigen des linksund rechtsextremistischen Spektrums, die jeweils "Vergeltungsaktionen" nach sich ziehen können. Die von Autonomen angestrebte Veränderung zielt auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. Daher sind Autonome als Linksextremisten im Sinne der Definition zu bewerten. Die szeneinterne - oft auch konspirativ abgeschottete - Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung elektronischer Medien. Unter einer Vielzahl von Homepages und Portalen, die die Szene betreibt oder nutzt, hatte das linksextremistische Internetportal "linksunten.indymedia" in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und sich zu einem zentralen Angebot für die Szene insgesamt entwickelt.39 Darüber hinaus dienen diverse Szeneblätter, die z. T. konspirativ verbreitet werden, als Informationsquellen. Zur Werbung von Nachwuchs für die meist jugendliche, vielfältige und starker Fluktuation unterworfene Szene bieten sich Konzerte in Szeneobjekten, Veranstaltungen zu relevanten Themen - insbesondere "Antifaschismus" - sowie die Möglichkeiten universitärer Einrichtungen an. 39 Zum Verbot im Berichtszeitraum s. Kap. 5.3. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 85 Kampagnenfähige Themen Wie auch andere Linksextremisten engagieren sich Autonome in verschiedensten gesellschaftlichen Konfliktfeldern und sind bemüht, ihre grundsätzliche Systemkritik dort über den sachbezogenen Protest hinaus in den öffentlichen Diskurs einfließen zulassen. So versuchen sie Bündnispartner zu gewinnen und ihre extremistischen Ziele zu verfolgen. Im Berichtszeitraum bestimmten folgende Themen die Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: "Antifaschismus", "Antirassismus", "Antikapitalismus", "Antirepression", "Antigentrifizierung"40. Gewaltpotenzial Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und Einsatzkräften der Polizei. Ein Ausdruck der anhaltenden Gewaltorientierung von Linksextremisten und der grundsätzlichen Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt auch durch Autonome ist das Fehlen einer eindeutigen und unmissverständlichen Distanzierung von linksterroristischen Gruppierungen, sei es die "Rote Armee Fraktion" (RAF), die bereits 1999 ihre Auflösung erklärte und deren Straftaten auch wegen der anhaltenden Solidarisierung mit ihr noch immer nicht restlos aufgeklärt werden konnten, oder seien es ausländische "Befreiungsbewegungen" und "Widerstandskämpfe". Aktuell bestehen keine Anhaltspunkte, die auf eine Existenz linksterroristischer Strukturen schließen lassen. Derartige Entwicklung bereits im Ansatz zu erkennen, bleibt jedoch eine beständige Aufgabe und Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. (De)-Zentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der autonomen Szene Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der traditionellen Autonomen. Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie lehnt Hierarchien und Führungsstrukturen ab. Autonome agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen 40 Abgeleitet von gentry (engl.) - Bezeichnung für niederen englischen Adel und ihm sozial Nahestehende, daher: Umstrukturierung von Stadtteilen nach Verkauf und/oder Modernisierung von Gebäuden. Durch den Zuzug neuer (vermögenderer) Bewohner kommt es zu Veränderungen der Bevölkerungsstruktur. Autonome versuchen in Stadtteilen, die sie als ihren "Kiez" beanspruchen, dieser Entwicklung auch mit gewalttätigen Mitteln entgegenzuwirken. 86 Linksextremismus Personenzusammenschlüssen. Um die wegen des niedrigen Organisationsniveaus begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, gibt es immer wieder Versuche, übergreifende Organisationsformen und Strukturen zu schaffen. Mehrere bundesweite Zusammenschlüsse und Bündnisprojekte spiegeln die Dynamik und Widersprüchlichkeit im bundesweiten linksextremistischen Spektrum wider. Eines dieser Projekte ist die 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppierungen und Aktivisten gegründete IL. Als eine Art "Scharnier" zu nicht gewaltorientierten Linksextremisten und auch nicht extremistischen Gruppierungen lehnt sie Gewalt nicht grundsätzlich ab. Ihr Ziel ist die Zusammenführung von (links)extremistischen Akteuren unterschiedlicher ideologischer Prägung und auch Nichtextremisten, um eine erhöhte Handlungsfähigkeit - Interventionsmöglichkeit - zu erlangen. Die IL zielt dabei letztlich auf eine Überwindung des "Kapitalismus" durch einen revolutionären Umsturz ab. Auch Thüringer Gruppierungen weisen kontinuierlich Verbindungen zur IL auf. 5.2 Die autonome Szene in Thüringen Das Anhängerpotenzial der gewaltorientierten autonomen Szene Thüringens umfasste im Berichtszeitraum ca. 130 Personen. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung beimaß, gelang es ihr, einen auch überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren. Regionale Schwerpunkte bestehen in Jena und Weimar. Szenetypische Anlaufstellen sind "Infoläden" in Arnstadt, Erfurt, Jena und Gotha. Autonome Gruppen aus Thüringen nutzen das Internet und E-Mail-Verbindungen, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten veröffentlichen sie zum Teil umfangreiche Rechercheberichte über den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften oder Audiostreams mit Informationen zum "rechten" Spektrum werden auf diesem Wege verbreitet. Zudem wird die Möglichkeit, Nachrichten zu verschlüsseln genutzt bzw. regelmäßig angeboten. Der Schwerpunkt öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten lag im Berichtszeitraum vor allem in Jena, einer Region mit personell starken und aktiven autonomen Gruppen. Inhaltlich dominierte das Themengebiet "Antifaschismus". Im Rahmen des Aktionsfeldes "Antigentrifizierung" kam der "Freiraumthematik" weiterhin Bedeutung zu, auch hier insbesondere in Jena als einer überdurchschnittlich teuren Wohngegend. Zudem nahm das Thema "Antirepression" im Berichtszeitraum Raum ein. Von aktuellem Belang weit über Thüringen hinaus waren die G20-Proteste im Juli in Hamburg, das Verbot der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia" sowie Aktivitäten im Zusammenhang mit der Bundestagswahl am 24. September, die für die auch sonst übliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner einen besonderen Rahmen bot. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 87 Die Aktionen der autonomen Szene reichten von der Mobilisierung für die von breiten, nichtextremistischen Bündnissen organisierten Proteste gegen rechtsextremistische Veranstaltungen und die gewaltfreie Beteiligung daran bis hin zu gezielten Blockadeaktionen sowie Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums, aber auch gegen Einsatzkräfte der Polizei. Gegenaktionen, die etwa die Umleitung eines rechtsextremistischen Aufzugs, die Verzögerung oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich machten, wertete die autonome Szene als äußerst positiv. Gleichwohl gelang es ihren Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen. Standen Autonome diesen taktisch motivierten Kooperationen stets skeptisch gegenüber, distanzieren sie sich mitunter deutlich von den ihren Idealen widerstrebenden Zweckbündnissen. Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten meist im Vorfeld zu Blockadeund Störaktionen aufgerufen. Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner, um den "Naziaufmarsch mit allen Mitteln" zu verhindern. Mitunter missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2017 zu Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. Persönliche Kontakte von Thüringer Autonomen insbesondere auch in bundesweite Szenehochburgen wie Leipzig, Berlin und Hamburg, Mobilisierungen für überregionale Veranstaltungen und Proteste, Vernetzungsbemühungen und Beteiligung an Aktivitäten im Bundesgebiet belegen eine enge Einbindung und bundesweite Verflechtung der Thüringer autonomen Szene. Im Berichtszeitraum beteiligten sich Thüringer Autonome z. B. an Aktionen in Sachsen, SachsenAnhalt und Hamburg. Aktivitäten und Beteiligung Thüringer Linksextremisten an Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg Am 7./8. Juli fand in Hamburg das jährliche Treffen der Staatsund Regierungschefs der Gruppe der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenländer der Welt" (G20) statt. Die Proteste beinhalteten eine Vielzahl von friedlichen Versammlungen und Aufzügen, jedoch insbesondere in der Zeit vom 6. bis 8. Juli gewalttätige Ausschreitungen und schwere Straftaten. Unter den Akteuren befanden sich zahlreiche Linksextremisten, darunter auch Linksextremisten aus Thüringen. 88 Linksextremismus Bereits seit November 2016 wurde im Vorfeld des Gipfels bundesweit durch verschiedene Organisationen und Bündnisse, mobilisiert. Nach zunächst verhaltener Mobilisierung in Thüringen wurde schließlich im Internet, in Mobilisierungsund Infoveranstaltungen und in Form eines Aktionstrainings für eine Beteiligung in unterschiedlicher Form geworben. Zudem gab es Planungen für gemeinsame Anreisen. Sowohl die mediale als auch die veranstaltungsbasierte Mobilisierung wies im konkreten Fall auf eine Beteiligung extremistischer und nichtextremistischer Aktivisten. Neben verschiedenen Gruppierungen aus dem linksextremistischen Spektrum Thüringens beteiligte sich auch eine "Thüringer Vernetzung 'G20 entern'", die sich selbst als "Mobilisierungsnetzwerk" unter Beteiligung des "Infoladen Sabotnik" und von "autonomen Personen aus Thüringen" darstellte. Lokale Schwerpunkte der thüringenweiten Mobilisierung lagen in Erfurt und Jena. Doch auch in Saalfeld fand am 20. Mai beispielsweise ein Info-Vortrag zu den G20-Protesten statt. Es wurde "der aktuelle Stand der autonomen und antikapitalistischen Mobilisierung" und "ein Überblick zu den bisher geplanten Aktionen gegen den G20-Gipfel" angekündigt. Es gäbe ausreichend "Mobimaterial" und Raum für Diskussionen. Die Veranstaltung wurde in Thüringen einschlägig beworben. In begrenzter Zahl kam es in Thüringen zu Resonanzstraftaten, zu Schmierereien, Plakatierung und sonstiger Sachbeschädigung. In Weimar wurde bereits am 4. April eine Schmiererei "Smash G20" bekannt. In Jena wurden am 4. Juli die Scheiben eines Parteibüros mit Steinen beschädigt. "Rowdys" veröffentlichten dazu ein Selbstbezichtigungsschreiben auf der linksextremistischen Internetplattform "linksunten. indymedia" unter der Überschrift "[NoG20] Scheibe von Grünen-Büro in Jena eingeschlagen". In Rudolstadt wurde - szenerelevanten Berichten zufolge - ein Transparent "FIGHT AGAINST CAPITALISM, REPRESSION AND NATIONALISM - SMASH G20!" über den Fluss gespannt. Das Anarchie-A diente als Punkt im Ausrufezeichen, die Rückseite des Transparents trug die Aufschrift "G20 VERSENKEN - SUPPORT BLACK BLOCK". Im Nachgang zum Gipfel bewarb die "Rote Hilfe Jena" ein Nachbereitungstreffen für potenzielle Straftäter mit "NoG20: Nachtreffen für Betroffene von Repression und Polizeigewalt" am 13. Juli in Jena. Gegen die polizeilichen Maßnahmen anlässlich des G20-Gipfels in Hamburg demonstrierten ebenda am 21. Juli etwa 30 Personen. Im Internet erschienen Nachbetrachtungen. So schrieb z. B. der "Infoladen Sabotnik" unter dem Titel "G20: Die Gewalt hat System": "[...] wir sind unverletzt wieder angekommen [...] Von der Räumung des antikapitalistischen Camps über die unprovozierte Zerschlagung der Welcome-to-Hell-Demo bis zum großflächigen Einsatz von Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 89 chemischen Kampfstoffen an den Landungsbrücken war Gewalt allgegenwärtig beim G20 in Hamburg. Eine ganze Armee vermummter, gepanzerter und schwer bewaffneter Berufshooligans war unterwegs und hat die Eskalation provoziert [...]". Die "Jenaer undogmatische radikale Initiative" (JURI) verlinkte einen Beitrag der linksextremistischen IL, die maßgeblich in die Vorbereitung der Proteste eingebunden war. Im Ergebnis sind Art und Umfang der Mobilisierung sowie Militanz zwar keine neuen Erscheinungsformen und wurden bereits in der Vergangenheit bundesweit umgesetzt, neu jedoch ist die Dimension von Aggressionspotenzial und Bereitschaft, Polizeibeamte vorsätzlichen zu gefährden. 5.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis Sachbeschädigungen und Recherche Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherchebis zu sog. Outing-Aktionen. Linksextremisten setzen mit "Outing"-Aktionen darauf, mutmaßliche oder tatsächliche politische Gegner als Rechtsextremisten z. B. durch Internetdarstellungen, Flugblattaktionen im Wohnoder Arbeitsumfeld öffentlich zu machen und so über deren politische Ausrichtung "aufzuklären" sowie diese nach Möglichkeiten in ihrem privaten Umfeld und sozial zu isolieren. "Outing"-Aktionen führen mitunter zu weiteren Straftaten. Insoweit sind verbale Attacken, Sachbeschädigungen (an Haus oder Auto des Betroffenen) oder aber auch (körperliche) Übergriffe nicht auszuschließen und werden seitens der Täter begrüßt und gefördert. Ziel ist es, ein Bedrohungsszenario gegenüber der geouteten Person aufzubauen. Entsprechende Aktivitäten wurden im Berichtszeitraum nicht festgestellt. Regelmäßig kommt es zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene oder an Immobilien, die mit ihr in Verbindung gebracht werden bzw. deren Nähe zu dieser - mitunter auch fälschlicherweise - angenommen wird. Auch private Anwesen und Kraftfahrzeuge von "politischen Gegnern" stehen stellvertretend für diese im besonderen Fokus der gewaltorientierter Linksextremisten. Graffiti wie "Nazis auf's Maul", "Nazis raus", "ANTIFA FCK NZS", Farbanschläge, Buttersäure-Angriffe u. Ä. ergänzt durch wohlwollende und lobende Kommentare auf Szeneseiten oder auch Selbstbekennungen sind keine Seltenheit. Zu einer typischen politisch-motivierten Sachbeschädigung kam es am 6. Mai in Weimar. Im Stadtzentrum beschmierten Unbekannte eine Hauswand mit Grafitti wie "Antifa action" und "Antifa mit Kreis". Es entstand ein hoher Sachschaden. 90 Linksextremismus Unbekannte Täter beschmierten das Büro eines Kontaktbereichsbeamten der Jenaer Polizei am 30. Oktober. Ein Polizeischild wurde mit einem "Anarchie"-Zeichen, eine Fensterscheibe mit "fuck the police" und die Fassade mit "ACAB"41 beschmiert. Weitere Sachbeschädigungen im Berichtszeitraum richteten sich gegen "Burschenschaften", die von Linksextremisten als reaktio-när, patriarchalisch und nationalistisch abgelehnt werden. So wurde u. a. durch bislang Unbekannte in den frühen Morgenstunden des 10. Juni eine am Objekt der Burschenschaft "Arminia" in Jena angebrachte Fahne der Bundesrepublik angezündet. Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft Autonome sehen in der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen Auslöser für "faschistische" Tendenzen. Ihrer Meinung nach förderten "staatlicher Rassismus" und die "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" auch in der Bevölkerung die Entwicklung "rechter" Tendenzen. Die Kritik und die Aktionen des autonomen Spektrums richten sich deshalb auch gegen die Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang distanzieren sich Autonome von den Aktivitäten demokratischer Bündnisse, schließen sich deren Veranstaltungen, insbesondere solchen gegen Rechtsextremismus, aber auch immer wieder an. Dies geschieht einerseits in der Annahme, über szenetypische Slogans und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren zu können, andererseits, um die etwaige behördliche Untersagung des selbst organisierten Protests zu umgehen. Als Ausdruck ihrer Eigenständigkeit sind Abgrenzungsversuche üblich. So rufen Autonome zur Beteiligung an "antifaschistischen" oder "antikapitalistischen" Blöcken innerhalb von Demonstrationen auf. Linksextremisten mobilisieren zu gewalttätigem Antifa-Protest am 18. Februar in Saalfeld Gegen einen rechtsextremistischen THÜGIDA-Aufzug unter dem Motto "Auge um Auge. Dem antideutschen Terror eine Adresse geben." mit etwa 100 Teilnehmern protestierten ca. 200 Personen im Rahmen demokratisch initiierter Gegenkundgebungen. Für die Proteste wurde im Thüringer linksextremistischen Spektrum mobilisiert. Zur Teilnahme riefen die "Rote Hilfe Südthüringen", die "Antifaschistischen Gruppen Südthüringen (AGST)", die "Antifaschistische Aktion Gotha" (AAGth), die "Jenaer undogmatische radikale Initiative (JURI)" auf, zudem wurde über das linksextremistische Internetportal "linksunten.indymedia" mobilisiert. 41 Akronym für "all cops are bastards". Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 91 Dabei hieß es im Aufruf der "Roten Hilfe Südthüringen" bzw. der AGST es "halluzinieren die Nazis 'antideutschen Terror' herbei, den sie nutzen, um gegen Nazigegner mobil zu machen. Aus dem Parlament zu Hilfe eilt ihnen dafür die AfD." Und weiter: "Dass die Nazis dieses Mal einen klaren Gegner vor Augen haben, zeigt alleine das Motto 'Auge um Auge. Dem antideutschen Terror eine Adresse geben'. ... Stellen wir uns der Anti-Antifa entgegen ... MAKE RACISTS AFRAID AGAIN...AND AGAIN...AND AGAIN!" Entsprechend heißt es im Aufruf der AAGth zum Konflikt zwischen den politischen Lagern: "Ähnlich der Kampagne der Gothaer Nazis 'gegen linke Gewalt', versucht ThüGIDA dieses Prinzip nun in Saalfeld anzuwenden. Die Nazis versuchen den Spagat zwischen bemitleidenswertem Opfer (von linker Gewalt, Medienhetze, usw.) einerseits und heroischem Kämpfer andererseits. Das mag zwar amüsant und skurril wirken, verdient aber trotz allem ein gehöriges Maß an antifaschistischem Widerstand." Resonanzaktionen Thüringer Linksextremisten auf das Verbot der Internetplattform "linksunten.indymedia" Bei "linksunten.indymedia" handele es sich um "das wichtigste Medium des gewaltorientierten Linksextremismus", es biete seit Jahren "ein Forum für weitgehend distanzlose Berichte über linksextremistische Agitation und Straftaten". Mit Wirkung vom 25. August hatte der Bundesminister des Innern die linksextremistische Vereinigung verboten und aufgelöst, da sie nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider laufe und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Der weitere Betrieb sämtlicher Internetpräsenzen der Vereinigung wurde untersagt, ebenso die Verwendung ihrer Kennzeichen. Das Vermögen wurde beschlagnahmt und zugunsten des Bundes eingezogen. Es kam zu einer bundesweiten Resonanz, zu spontanen und dezentralen Solidaritätsaktionen sowie adäquaten Verlautbarungen. In Jena demonstrierten am 25. August spontan etwa 60 Personen gegen die Schließung des linksextremistischen Internetportals. Sie forderten u. a. "Feuer und Flamme der Repression!" und riefen "Wir sind alle linksunten.indymedia". Es kam auch zu polizeifeindlichen Rufen wie "Fuck the Police". Im Nachgang wurden auf einem nahegelegenen Parkplatz Flyer an Fahrzeugen festgestellt. Sie trugen die Aufschrift: "Wir sind alle #linksunten. Das Verbot von linksunten.indymedia.org ist ein Angriff auf freie Medien, soziale, antifaschistische und emanzipatorische Kämpfe." Sich "Jen(A)" nennende Verfasser veröffentlichten dazu auf "indymedia.org", dass es am Abend des 25. August "eine Sponti gegen das Verbot von linksunten.indymedia und Repression" gab. "Unsere Solidarität ist stärker als ihre Repression, wenn die Rechten oben uns unten links verbieten". "Mehr als 80 Menschen versammelten sich und zogen durch die Innenstadt, über den Holzmarkt, am Rathaus vorbei und direkt zur Bullenwache." 92 Linksextremismus Auch das "Autonome antifaschistische Komitee Nordhausen" (AAKNdh) hat auf seiner Website zur "Solidarität mit Linksunten" aufgerufen. "So profiliert man sich wohl im Wahlkampf als Garant von law and order; es scheint als seien der Innenminister und die Behörden nicht so recht ausgelastet [...] Dies ist, so meinen wir, ein Vorgeschmack auf Angriffe gegen all jene, die Widerstand leisten, die die kapitalistische Ordnung tatsächlich bezweifeln. Ein Vorgeschmack auf die Repression der kommenden Jahre. Ein Vorgeschmack für alle, die im Juli gegen den G20 demonstriert haben - kurzum es ist ein Angriff auf alle Linke. Wir stehen solidarisch mit den Betroffenen in Freiburg!" Auf Facebook hat "PEKARI - linke Basisgruppe in Jena" (PEKARI) gepostet: "Schaffen wir ein, zwei, viele linksuntens!" Das Verbot sei eine "kleinliche Racheaktion für die G20-Proteste in Hamburg". Ein Flyer mit dem Symbol von "linksunten.indymedia" wird verwendet. Gegen die Exekutivmaßnahmen und das Verbot sind von den Betroffenen rechtliche Schritte eingeleitet worden. PEKARI rekrutiert "Nachwuchs für die radikale Linke in Jena". Die Gruppe ist im linksextremistischen Spektrum auch über Thüringen hinaus gut vernetzt. Sie wird der linksextremistischen (post)autonomen Szene zugerechnet. Gewalt als Aktionsmittel Autonomer Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Aus ihrer kruden Selbstsicht heraus nehmen sie Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Angriffe auf Personen meint man regelmäßig damit rechtfertigen zu können, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese Bezeichnung wird dabei zum Teil willkürlich verwendet, ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum rechtsextremistischen Spektrum gegeben haben muss. Letztlich dient sie nur als Staffage, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 93 Landfriedensbruch am 21. Dezember in Weimar In den frühen Morgenstunden des 21. Dezember kam es im Weimarer Stadtzentrum zu einem Übergriff von 15 Tätern auf zwei Personen, die als Sicherheitsdienst des Weihnachtsmarkts durch die Innenstadt patrouillierten. Sie passierten dabei zwei Personengruppen, die sich plötzlich formierten und Glasflaschen warfen. Ein Täter zerschlug eine Flasche und drohte mit dem Flaschenhals. Als die Betroffenen flüchteten, wurden sie verfolgt, getreten, geschlagen und beworfen. Einer von ihnen wurde leicht verletzt. Zwei polizeilich festgestellte Täter waren bereits in der Vergangenheit einschlägig in Erscheinung getreten. Pfefferspray und eine Sturmhaube wurden sichergestellt. 5.4 Das Aktionsfeld "Antigentrifizierung" Autonome nutzen das Thema "Gentrifizierung", um eigene Interessen - die Schaffung und den Erhalt von "Freiräumen" (z. B. besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte) - in einen breiteren gesellschaftlichen Rahmen und dort bestehende soziale Fragen einzubringen. Das Streben nach derartigen von "kapitalistischer Verwertungslogik" und staatlichem Zugriff freien Objekten reicht bis in die Anfangstage der Autonomen zurück. Entsprechend hoch ist der Stellenwert einzelner, noch verbliebener Szeneobjekte. Auf den drohenden Verlust reagiert die Szene daher meist äußerst aggressiv. Der Kampf um "Freiräume" ist Vorstufe und Teil des Kampfes um eine herrschaftsfreie klassenlose Gesellschaft, ein Leben ohne fremde Zwänge und Vorgaben, nach eigenen Regeln. Im Zusammenhang damit unterstützten auch Thüringer Linksextremisten regelmäßig Hausbesetzungen und von Räumung bedrohte "Freiräume". So wurde insbesondere auch in Jena bereits die Forderung nach einem "Autonomen Zentrum" nicht "zur Selbstbespaßung, nicht als staatlich genehmigte ,Soziokultur', sondern als Ausgangspunkt, als Stützpunkt für die Organisierung der Auseinandersetzungen um die befreite Gesellschaft" gestellt. Im Berichtszeitraum solidarisierten sich Linksextremisten mit einem "mutmaßlichen Hausbesetzer" in Jena anlässlich einer Gerichtsverhandlung am 3. Februar in Jena. Es wurde zur "aktiven, aufmüpfigen Begleitung der Gerichtsverhandlung" aufgerufen, eine Kundgebung fand zeitgleich vor dem Amtsgericht statt. Im Nachgang zu einer Hausbesetzung am 1./2. Juli 2014 in Jena fand die Verhandlung gegen einen der drei Beschuldigten wegen des Verdachts auf Hausfriedensbruch statt. Es kam zu wiederholten und gravierenden Störungen durch Besucher, die daraufhin aus dem Gerichtssaal verwiesen wurden und sich der zeitgleich stattfindenden Versammlung vor dem Gerichtsgebäude anschlossen. Die unter dem Motto "Solidarität mit den Hausbesetzer*innen!" angemeldete Versammlung fand eigenen Angaben zufolge mit mehr als 30 Teilnehmern statt. Ein Transparent mit der Aufschrift "schöner leben ohne Herrschaft!" belegte explizit die Beteiligung von Linksextremisten. 94 Linksextremismus Der Beschuldigte wurde zu einer Geldstrafe wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Bei der zurückliegenden Aktion wurde ein leerstehendes, dem Uniklinikum gehörendes Gebäude im Stadtzentrum Jenas von bis zu 20 - teilweise vermummten - Personen besetzt. Im Zuge der Räumung am 2. Juli 2014 waren drei Hausbesetzer festgestellt worden, die der Aufforderung, das Haus zu verlassen, nicht gefolgt waren. Es kam im Rahmen einer Kundgebung zur Solidarisierung von etwa 150 Personen. Für den 3. Februar war auf dem der autonomen Szene Jenas nahestehenden Blog "wolja" zur solidarischen Begleitung der Gerichtsverhandlung aufgerufen worden. Es gehe um Solidarität mit dem Angeklagten, aber auch um den "Kampf für ein soziales Zentrum". Es bestehe in Jena "ein Mangel an Raum für alternative und links-emanzipatorische Projekte". Alle, "die sich für die Emanzipation von unterdrückenden Verhältnissen einsetzen", würden kriminalisiert. Die Justiz solle dazu gezwungen werden, "sich als die politisch motivierte, autoritäre und unterdrückende Strafinstitution zu zeigen, die sie tatsächlich" sei. Gerichte seien "zum Essen da! Und Häuser zum Wohnen." Die Nummer eines Ermittlungsausschusses wurde angegeben. Auch die "Rote Hilfe Jena" und der "Infoladen Sabotnik" mobilisierten für Prozessbegleitung und Kundgebung. Ein "Ermittlungsausschuss" ist ein unentgeltliches Rechtshilfeangebot, oft anlässlich von Demonstrationen und Aktionen, das von der Telefonbetreuung, der Organisation von Anwälten bis hin zur Betreuung bei Festnahmen oder in U-Haft reicht. Zum Teil handelt es sich um temporäre Einrichtungen, deren telefonische Erreichbarkeit kurzfristig bekanntgegeben wird, zum Teil sind es dauerhafte, fest etablierte Einrichtungen, mitunter begleitet von Sprechstundenangeboten. Ein im Nachgang auf "wolja" veröffentlichter Bericht wurde ebenfalls auf der Website der "Roten Hilfe Jena" und des "Infoladens Sabotnik" veröffentlicht. In ihm wird das Verfahren als "Skandal: Hausbesetzer statt Hausbesitzer vor Gericht!" bewertet, "eine Gerichtsverhandlung mittelmäßiger Bedeutung" würde "zum Schauplatz offensichtlichster autoritärer 'Rechtsstaatlichkeit'." Leerstehende Häuser zu besetzen, sei legitim, unabhängig von Fragen des Eigentums und der Bausicherheit. "Bullen" und "Justiz-Bürokratie" hätten jegliche "Sinnhaftigkeit und Legitimität verloren". Die am Ende des "Gerichtsspektakels" ausgesprochene Strafe/ Verurteilung wird dementsprechend nicht erwähnt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 95 Unter dem Titel " Selbstverständlich sind wir noch hier. Ein kurzes Statement" äußerte sich "wolja" am 30. Dezember erneut zur "Freiraum"-Thematik. In Jena stünde das Ende des "seit neun Jahren bestehenden alternativen Hausprojektes am Inselplatz" bevor, es weiche der "Aufwertung des Universitätsstandortes Jena". Die Weiterexistenz des neuen Wagenplatzes an der Saale sei fraglich. Besetzungsaktionen in vielen Städten - denen mit "Brutalität und Unnachgiebigkeit begegnet" würde - zeigten, "dass das Bedürfnis an autonomen Räumen nicht geringer geworden" sei. 6. Sonstige linksextremistische Organisationen "Rote Hilfe e. V." (RH) Bund Thüringen Gründung 1975 Sitz Göttingen Jena, Erfurt, Arnstadt Mitglieder 2017 ca. 8.300 140 2016 ca. 8.000 140 2015 ca. 7.000 135 Publikationen "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich) - Internet eigener Internetauftritt eigene Internetauftritte der örtlichen Gliederungen Die von Linksextremisten unterschiedlicher Ausrichtung getragene RH definiert sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem gesamten "linken" und linksextremistischen Spektrum politisch und materiell unterstützt. Sofern die in der Satzung genannten Zwecke der RH erfüllt sind, erhalten von juristischen Verfahren Betroffene und rechtskräftig Verurteilte auf Antrag eine den vereinseigenen Regelungen entsprechende Kostenerstattung. Als Voraussetzung dafür muss jegliche Kooperation mit Sicherheitsbehörden unterbleiben, z. B. im Rahmen einer Aussage oder einer Distanzierung von den vorgeworfenen Taten. Anderenfalls wird die Erstattung gekürzt oder in Gänze abgelehnt. Die Zuwendungen richten sich auch an militante Linksextremisten. Die RH selbst betont, "keine karitative Einrichtung" zu sein. Die Unterstützung für die Einzelnen sei zugleich ein "Beitrag zur Stärkung der Bewegung". Der durch exemplarische Strafverfolgung Einzelner bezweckten Abschreckung stellt die RH explizit "das Prinzip der Solidarität entgegen und ermutigt damit zum [W]eiterkämpfen." Zudem soll grundsätzlich eine Zusammenarbeit mit Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden und eine daraus resultierende Aufklärung von Straftaten unterbunden werden. Sowohl durch ihr Wirken als "Gefangenhilfsorganisation" als auch durch die gezielte Meinungsbildung 96 Linksextremismus und -beeinflussung in der Öffentlichkeit - durch Publikationen, Veranstaltungen, Kampagnen - diskreditiert die Organisation den demokratischen Rechtsstaat als "Willkürregime", behindert staatliches Handeln und versucht letztlich szenestabilisierend und -stärkend zu wirken. Ohne selbst gewalttätig zu agieren, befürwortet und unterstützt sie so Gewaltanwendung durch Szeneangehörige. Die RH organisiert Informationsund Diskussionsveranstaltungen zu den Themenfeldern "Rechtshilfe" und "staatliche Repression". Sie versteht das Handeln von Polizei, Justiz und Strafvollzug als politisch motiviert, es diene zur Herrschaftssicherung der Machthabenden. Sie lehnt das staatliche Gewaltmonopol ab. Die der Bekämpfung des Terrorismus dienenden Anti-Terror-Gesetze deutet die RH als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr gelten" würden. Vielmehr dienten sie dazu, jegliche "Politische Aktivität gegen die herrschenden Zustände unmöglich" und durch "ausgeübte oder angedrohte Gewalt [...] Menschen gefügig zu machen". Diesem Verständnis entsprechend solidarisiert sie sich wiederholt auch mit gesuchten und "von staatlicher Repression betroffenen" ehemaligen RAFTerroristen: "Daniela, Burkhard und Volker: Wir wünschen Euch viel Kraft und Lebensfreude. Lasst es Euch gutgehen [...] und lasst Euch nicht erwischen!"42 Im Berichtszeitraum selbst wird der 40. Jahrestag des "Deutschen Herbst"43 in der vierten Ausgabe der Rote-Hilfe-Zeitung als Schwerpunktthema ausführlich, unkritisch und distanzlos thematisiert. Dabei teilt das Redaktionskollektiv mit: "Da sind auch wir dabei und beschäftigen uns mit der Repression, die 1977 massiv verschärft wurde und Folgen bis heute hat." Ein Beitrag "Lest oder verliert!" gibt "linke Literaturempfehlungen", darunter auch Texte der RAF, zur "Wiederaneignung der Geschichte des Kampfes gegen Repressionsapparat, Zwangsanstalten und Knast". Ungebrochene Sympathie und Unterstützung gelten ebenso weiterhin für terroristische Organisationen oder unter Terrorverdacht stehende Organisationen im Ausland bzw. deren Repräsentanten. Die Hilfsangebote der RH sind nicht an ein zuvor gewaltfreies Handeln der von Strafverfolgung betroffenen oder bereits verurteilten Personen geknüpft. Auch in Thüringen sind Fälle der institutionellen Übernahme von Geldstrafen durch die RH bekannt geworden. 42 RHZ 3/2016, S. 3. Es handelt sich um die drei ehemaligen RAF-Terroristen Daniela Klette, Volker Staub und Burkhard Garweg, die u. a. wegen versuchten Mordes, schweren Raubes und wegen der Morde der sog. 3. RAF-Generation gesucht werden und in den letzten Jahren mehrere Raubüberfälle begangen haben könnten. 43 Als "Deutscher Herbst" wird die von den Anschlägen der RAF geprägte Zeit September und Oktober 1977 mit der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer, der Entführung des Lufthansa-Flugzeugs Landshut und den Selbstmorden der inhaftierten Führungsriege der ersten RAF-Generation bezeichnet. Er gilt als eine der schwersten Krisen der Bundesrepublik Deutschland. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 97 Die RH ist die mitgliederstärkste Organisation im Bereich des Linksextremismus und weist seit Jahren einen beständigen Zuwachs an Mitgliedern auf. Die Organisation gliederte sich im Jahr 2017 bundesweit in ca. 50 Ortsbzw. Regionalgruppen sowie wenige Kontaktadressen. In Thüringen existieren Ortsgruppen in Jena und Erfurt sowie eine Regionalgruppe in Südthüringen. Die RH in Thüringen beteiligt sich an Demonstrationen und Protesten oder unterstützt diese. So rief die "Rote Hilfe Südthüringen" zu Protesten gegen einen rechtsextremistischen THÜGIDA-Aufzug am 18. Februar in Saalfeld auf. Anlässlich des von Linksextremisten traditionell begangenen "Tages des politischen Gefangenen" am 18. März44 führte die RH-Ortsgruppe Erfurt in Erfurt und Jena Veranstaltungen unter der Bezeichnung "Out of Action - Umgang mit den Folgen von Gewalt und Repression im Kontext linker Kämpfe" 45 zusammen mit einer Gruppe aus Leipzig durch. Der RH e. V. gibt darüber hinaus zum "Tag des politischen Gefangenen" jährlich eine Sonderzeitung heraus, die auch der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt" beiliegt. Der thematische Schwerpunkt "Repression gegen linke Strukturen" findet sich in Beiträgen zu weltweit inhaftierten Aktivisten, Gerichtsverfahren, Haftbedingungen, internationalen Solidaritätsaktionen. Im Vorwort des Bundesvorstandes heißt es dazu, dass die Verfahren gegen "linke Migrant*innen aus Kurdistan und der Türkei" wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland nach SS 129b StGB kaum politischer sein könnten. "Die Entscheidung, ob Unterstützer*innen der kurdischen Befreiungsbewegung oder türkische Kommunist*innen einen legitimen Kampf führen oder 'Terroristen' sind", werde auf politischer Ebene getroffen. Mit Bezug auf Thüringen wird eine "staatliche Verfolgung" von Aktivisten einer "Gefangenengewerkschaft" in Thüringer Gefängnissen thematisiert.46 Im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg berichtete die RH auf ihrer Homepage immer wieder von Gewalttaten, die die Polizei dort verübt habe. Zahllose Übergriffe auf Demonstranten zeigten, wie sie sich über die Rechtsordnung hinwegset44 Der von der internationalen RH am 18. März 1923 ausgerufene "Internationale Tag der Hilfe für politische Gefangene" geht auf einen Arbeiteraufstand der Pariser Kommune vom 18. März 1871 zurück; alljährlich wird zu diesem Anlass zu Veranstaltungen und Demonstrationen gegen "staatliche Repression" und für "die Freiheit aller politischen Gefangenen" aufgerufen. 45 Bei "Out of Action" gehe es um Anti-Repressionsarbeit auf emotionaler/psychischer Ebene, um "Emotionale Erste Hilfe". Der Kampf gelte der "durchaus gewollten" Abschreckung von politischem Widerstand durch Traumatisierung und emotionalen Stress für Einzelne. Bei Interesse, eine Gruppe zu gründen/Teil des gleichnamigen Netzwerkes zu werden, werden Workshops und Infoveranstaltungen zur Unterstützung angeboten. 46 Die fragliche "Gefangenengewerkschaft" unterliegt nicht der Beobachtung durch das AfV, erfährt jedoch regelmäßig Unterstützung und Solidarität durch Linksextremisten. Vgl. dazu bereits Verfassungsschutzbericht 2016, S. 136 f. 98 Linksextremismus ze. Es wurde zu Geldspenden für die Durchführung von Strafverfahren und zu Öffentlichkeitsarbeit in Infound SoliVeranstaltungen aufgerufen. Noch auf "linksunten.indymedia" erfolgen die Appelle der RH zur "Solidarität mit den Betroffenen" unter dem Motto "United we stand! summer of resistance - summit of repression - solidarity is our weapon". Nach ersten Gerichtsurteilen im Nachgang der Proteste hieß es auf der Website : "Es gilt, die Betroffenen nicht im Stich zu lassen. Organisiert Proteste! Kommt zu den Prozessen! Schreibt den Gefangenen! Spendet zur Unterstützung der Genoss*innen! Solidarität ist eine Waffe!" Dem entsprechend wurde auch im "Infoladen Jena" am 13. Juli ein "Nachtreffen für Betroffene von Repression und Polizeigewalt" und "alle, die in Hamburg gegen den G20-Gipfel aktiv waren" angeboten. Nicht allen Thüringer Gliederungen der RH gelang es im Berichtszeitraum regulär und kontinuierlich Sprechstunden anzubieten oder abzuhalten. Die Ortsgruppe Jena verweist auf zwei monatliche Termine im "Infoladen", die Ortsgruppe Erfurt gibt eine monatliche "Anlaufstelle" an. Für die Kontaktaufnahme per Mail ist in allen Fällen eine Verschlüsselung der Kommunikation vorgesehen. Aktivitäten der Thüringer RH-Gliederungen wurden durch Berichte im Internet ergänzt - über polizeiliche Maßnahmen, Verlauf und Ergebnis relevanter Gerichtsverhandlungen, Veranstaltungen sowie Solidaritätsaufrufe und Spendenkampagnen. Dazu werden auch entsprechende Konten angegeben. Die Ortsgruppe Jena bewarb dabei auch eine "solidarische und kritische Begleitung" einer Gerichtsverhandlung am 8. Dezember am Amtsgericht Leipzig (Sachsen). Dem (Thüringer) "Antifaschisten" werde "Landfriedensbruch im Rahmen der antifaschistischen Aktionen am 12.12.2015 vorgeworfen", habe er doch "einen Stein in Richtung eines Wasserwerfers geworfen". Für den Vorwurf gebe es einen einzigen Zeugen, einen Bereitschaftspolizisten, der nicht erscheinen sei. "Ob ihm der polizeiliche Ausnahmezustand rund um die IMK dazwischen kam", bliebe dabei unbeantwortet.47 Eine Verharmlosung und tendenziöse Darstellung von (potenziellen) Gewaltstraftaten ist für die RH typisch. Die Ortsgruppe 47 Die "Konferenz der Innenminister" (IMK) tagte am 7./8. Dezember in Leipzig. Sie gibt Linksextremisten regelmäßig Anlass zu Protesten. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 99 Erfurt berichtete über eine offenbar erfolgreiche Spendensammlung und Unterstützung der linksextremistischen FAU beim Aufbau eines zwischenzeitlich eröffneten "Gewerkschaftslokals" in Jena. Sie belegt damit ihre Vernetzung und aktive Einbindung in die Thüringer linksextremistische Szene. Die Regionalgruppe Südthüringen berichtet erneut über ihre - von den anderen Thüringer RH-Gliederungen unterstützte - Solidaritätsund Spendenkampagne "Free the three".48 Der Schwerpunkt der RH-Aktivitäten in Thüringer lag im Berichtszeitraum in Jena. Über das eigene Territorium hinausgehende Unterstützungsleistungen fielen auf. Sie lassen personelle Schwachstellen in den einzelnen Untergliederungen ebenso annehmen wie - durchaus damit vereinbare - intensive Verbindungen zwischen den regionalen Gliederungen und deren Aktivisten. Durch zielgerichtete Unterstützung von Szeneangehörigen oder mit dem Staat in Konflikt stehenden Personen wird versucht, zumindest perspektivisch stärkeren Einfluss auf die gesellschaftliche Wahrnehmung von (linksextremistisch motivierten) Straftaten, Tätern und damit auf gesellschaftliche Normen insgesamt zu gewinnen. Beteiligte Staatsanwälte, Richter, als Zeugen geladene Polizeibeamte werden in publizierten Prozessberichten lächerlich gemacht. So wird unter dem Titel "United we stand - Gegen Naziaufmärsche und Repression" über einen Tatverdächtigen berichtet, der im Nachgang zu Protesten gegen einen rechtsextremistischen THÜGIDA-Aufmarsch am 9. Januar in Saalfeld unter dem Verdacht der gefährlichen Körperverletzung und des Landfriedensbruchs festgenommen worden war.49 Bei einem "Angriff auf Neonazis" soll einem auf dem Boden liegenden THÜGIDATeilnehmer auf den Kopf getreten worden sein. Der "Antifaschist aus Saalfeld" habe sich "den Nazis in den Weg zu stellen" versucht, bei dem Verletzen handele sich um einen "gewaltbereiten Neonazi". Im Fazit heißt es: "Polizei (Saalfeld), deines Feindes Helfer". Die Polizei hofiere die Faschisten. Das ermittlungsführende Landeskriminalamt habe "ein hohes Interesse" am Vorgehen gegen den Tatverdächtigen "und die antifaschistischen Strukturen vor Ort" anstatt gegen die "Neonazigewalt" vorzugehen. Unter einer Kontoverbindung der RH Hilfe wird um Spenden für den "Repressionsbetroffenen" ersucht. Sicherheitsvorkehrungen und Handeln von Polizei (und Behörden) werden einseitig dargestellt und so der Eindruck erweckt, legitimer demokratischer Protest würde in Saalfeld unterdrückt, ein "Antifaschist" werde wider besseres Wissen kriminalisiert. Er hätte sich einem Nazi "konsequent" in den Weg gestellt. Trotz ihrer Beschränkung auf das linksextremistische Aktionsfeld "Antirepression" ist die RH auch in Thüringen ein wesentlicher Teil der linksextremistischen Szene. 48 Die Spendensammlung dient der Unterstützung von drei im September 2016 wegen versuchten Raubes und Körperverletzung festgenommen Personen. 49 Erkenntnisse zum Ergebnis der Ermittlungen lagen bis zum Redaktionsschluss nicht vor. 100 Linksextremismus 7. Thüringer Linksextremisten und die Bundestagswahl Beteiligung linksextremistischer Parteien an der Wahl Der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) und der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gelang es nicht, die erforderliche Anzahl von jeweils 1.834 Unterschriften für die Zulassung zur Wahl in Thüringen zu erzielen.50 Eine Wahlbeteiligung der Parteien entfiel hier somit. Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) erhielt bundesweit 35.760 Erststimmen (0,1 Prozent) und 29.785 (0,1 Prozent) Zweitstimmen. Sie hatte im Rahmen eines Bündnisses als "Internationalistische Liste / MLPD"51 kandidiert. Unter den 16 beteiligten Organisationen war auch die "Volksfront zur Befreiung Palästinas" (PFLP), eine der ältesten militanten Palästinenser-Organisationen, die von der Europäischen Union als terroristisch eingestuft wird. Gegenüber der letzten Bundestagswahl im Jahr 2013 konnte die MLPD bei den Erststimmen einen deutlichen Zuwachs erreichen (2013: 12.986 Erstimmen). Bei den Zweitstimmen fiel der Stimmengewinn gering aus (2013: 25.336 Zweitstimmen). In Thüringen erhielt die MLPD 1.293 (0,1 Prozent) Erststimmen und 1.902 (0,1 Prozent) Zweitstimmen. Laut einer Analyse der Wahlergebnisse in der parteieigenen Zeitschrift "Rote Fahne"52 habe sie überdurchschnittliche Ergebnisse in ihren regionalen "Einflussgebieten" - u. a. in Eisenach und Schalkau / Lkr. Sonneberg - erzielt. An der Bundestagswahl 2013 hatte sie sich in Thüringen nicht beteiligt. Bereits im März gab die MLPD bekannt, in Thüringen die erforderliche Anzahl von Unterstützungsunterschriften übertroffen zu haben.53 Es seien Informationsstände in Eisenach, Erfurt und Jena durchgeführt worden. Der Spitzenkandidat und frühere Parteivorsitzende Stefan Engel54 sei im September auf Wahlkundgebungen aufgetreten. So warb er am 2. September in Erfurt dafür, "diesmal radikal links zu wählen". Da die Stadt für den Parteiaufbau von besonderer Bedeutung sei, müsse sie hier "systematisch präsent sein, um ideologisch-politische Überzeugungsarbeit zu leisten". 50 Bei der Bundestagswahl benötigen manche Wahlvorschläge Unterstützungsunterschriften einer festgelegten Anzahl von Wahlberechtigten. So müssen Landeslisten nicht etablierter Parteien von 0,1 Prozent der bei der letzten Bundestagswahl im Land Wahlberechtigten, höchstens jedoch von 2.000 Wahlberechtigten, persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein. 51 Das Bündnis war zur Anbindung der "migrantischen Mitbürger" unter Federführung der MLPD im Oktober 2016 in Berlin gegründet worden. 52 "Rote Fahne", Nr. 23/2017 vom 10. November 2017. 53 Auch bundesweit sei die Sammlung von Unterstützungsunterschriften bereits im März erfolgreich abgeschlossen worden. 54 Die Thüringer Landesliste der "Internationalistischen Liste / MLPD" umfasste sieben Personen. Listenplatz 1 nahm der ehemalige Parteivorsitzende Stefan Engel ein, der zugleich Direktkandidat war. Er hatte das Amt des Parteivorsitzenden nach 37 Jahren zum 1. April abgegeben. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 101 Aktivitäten von gewaltorientierten Linksextremisten in Thüringen Wiederholt kam es thüringenweit zu politisch-motivierten Sachbeschädigungen insbesondere an Wahlplakaten. Betroffen waren insbesondere Plakate der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), die seit längerer Zeit aufgrund ihrer Positionierung zur Flüchtlingsthematik und ihrer aus linksextremistischer Sicht rassistischen und faschistischen Ausrichtung im Fokus linksextremistischer Agitation steht, aber auch der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD). In einzelnen Fällen kam es zu thematisch einschlägigen Schmierereien in der Öffentlichkeit, z. B. an Bänken, Brückenpfeilern und Hauswänden. Auch entsprechende Flyer wurden festgestellt. Schwerpunkt der Aktivitäten von gewaltorientierten Linksextremisten in Thüringen anlässlich der Bundestagswahl war Jena. Hier kam es z. B. am 20. Mai und 27. Juni zu Übergriffen auf Infostände der AfD. Tatbeteiligte waren z. T. vermummt. Zudem wurden Akteure der AfD mit sog. Wasserbomben beworfen. An den Übergriffen waren jeweils 20 bis 35 Personen beteiligt. Im Zusammenhang mit den Störungen kam es zu Beleidigungen, Sachbeschädigungen, Diebstahl, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sowie gefährlicher Körperverletzung. Anlässlich des Vorfalls am 20. Mai gab es zudem verschiedene Szeneverlautbarungen. So äußerte PEKARI: "Samstagvormittag in Jena: Die AfD versucht mit Infostand ihre Scheiße in die Welt zu tragen. Aktivist*innen sagen "NÖ!". Zudem wurde in einem Beitrag unter der Überschrift "AFD SABOTAGE STARTERKIT" aufgezählt bzw. dargestellt, welche Hilfsmittel zur Sabotage eines AfD-Infostandes benötigt werden - was einer Aufforderung zu weiteren Aktionen dieser Art gleichkommt. In einem früheren Beitrag werden "Von Repression Betroffene" auf die "Rote Hilfe Jena" verwiesen. Hinsichtlich des Bundestagswahlkampfs wird zudem gefordert, "der AfD ordentlich die Suppe [zu] versalzen! Keinen Fussbreit den Faschisten! Wir lassen uns nicht einschüchtern: Nicht durch gewaltbereite Nazis, der AfD oder der Staatsmacht!". Der Abriss endet mit: "#Danke Antifa #No AfD #Keinen Meter der AfD".55 Im Zusammenhang mit Protesten gegen eine Veranstaltung der AfD am 12. September in Jena, die von demokratisch geprägten Kräften initiiert worden waren, kam es zu verschiedenen versammlungstypischen Straftaten, darunter Körperverletzung, Beleidigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, insbesondere durch Vermummung. Zu den von polizeilichen Maßnahmen (25 Platzverweise, fünf Identitätsfeststellung) Betroffenen zählten auch einschlägig bekannte Personen. Bereits im Vorfeld war es am 5./6. September zu Sachbeschädigungen an Privatfahrzeugen von AfD-Politikern bzw. deren Familienangehörigen gekommen. Die Schadenssummen waren erheblich. 55 "Pekari" auf Facebook, Beitrag vom 20. Mai 2017. 102 Linksextremismus Am 24. September fanden bundesweit spontane Protestaktionen gegen den Einzug der AfD in den Bundestag statt. Daran beteiligten sich auch Linksextremisten. In Thüringen kam es in Saalfeld zu einer Spontandemonstration von ca. 50 "überwiegend jüngeren Antifaschist*innen". Transparente und Sprechchöre der Protestteilnehmer verdeutlichten, dass der "Kampf gegen Faschismus" jetzt erst recht weitergehe. So hieß es auch, "Nationalismus ist keine Alternative. Die befreite Gesellschaft schon!" und "Es gibt kein ruhiges Hinterland! Alerta Antifascista!". Die AfD war im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt die stärkste Kraft geworden. Anlässlich früherer Landtagsund Bundestagswahlen richteten sich in Thüringen die für Linksextremisten typischen Sachbeschädigungen und weitere Aktivitäten vorzugsweise gegen die rechtsextremistische NPD, die offenbar aufgrund ihrer politischen Bedeutungslosigkeit in den Hintergrund ihres Interesses getreten ist. Vereinzelt waren auch andere Parteien betroffen, die u. a. als Repräsentanten des von Linksextremisten abgelehnten politischen Systems und/oder als Teilnehmer der generell abgelehnten "Wahlprozedur" gelten. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 103 Exkurs: Antisemitismus heute Die Zahl antisemitischer Straftaten in Deutschland ist im Jahr 2017 unverändert hoch geblieben. Die Polizeiliche Kriminalstatistik56 weist 1.504 Fälle (2016: 1.468) aus, was eine Steigerung von 2,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Bei 95 Prozent der Delikte geht die Polizei von politisch "rechts" motivierten Tätern aus. Zuletzt mehrten sich Stimmen, wonach die polizeiliche Statistik verzerrenden Faktoren unterliege. Vorfälle, bei denen sich das Tatmotiv nicht erhellen lasse, gelten demnach regelmäßig als politisch "rechts" geprägt. Dies stimme mit der Wahrnehmung der Opfer vielfach nicht überein. Sie machten häufig einen interreligiösen Hintergrund aus. Da viele Betroffene sich scheuten, judenfeindliche Straftaten anzuzeigen, dürfte die Dunkelziffer hoch sein. Ein umfassendes und langfristiges gesellschaftliches Vorgehen gegen jedweden Antisemitismus ist daher unerlässlich. Antisemitische Straftaten sollen nach dem Willen des Deutschen Bundestages zukünftig im Bundesverfassungsschutzbericht gesondert ausgewiesen werden.57 Der Vorsitzende der Jüdischen Landesgemeinde in Thüringen Prof. Dr. Reinhard Schramm hat nach antisemitischen Vorfällen an einer Berliner Grundschule von schwierigen Situationen für Juden auch an Thüringer Schulen berichtet. Aufgrund zweier Vorfälle sei er im vergangenen Jahr an zwei Schulen herangetreten. Es waren Einzelfälle, in denen es nicht zu Handgreiflichkeiten kam, bewertete der Landesvorsitzende die Ereignisse. Zahlen zu Antisemitismus an Thüringer Schulen gibt es nicht. Deshalb hat der Landeslehrerverband in Thüringen auf Bitte von "MDR aktuell" eine kleine Umfrage bei Schulleitern gestartet. Der Landeslehrerverband wollte von seinen Kollegen wissen, ob sich Thüringer Schulkinder judenfeindlich beleidigen. Es habe nur sehr wenige Rückmeldungen gegeben und darunter sei so gut wie nichts Substanzielles gewesen, so die ernüchternde Bilanz. Zwei mögliche Erklärungen wurden seitens des Lehrerverbandes bisher in Erwägung gezogen: "Entweder ist das in Thüringen momentan überhaupt kein Thema in den Schulen. Oder aber wir müssen die Wahrnehmung auch wieder schärfen, dass dieses Thema eben nicht einfach unter die Räder kommt, sondern dass man das tagtäglich auf dem Schirm hat." 56 Vorgestellt durch den Bundesinnenminister am 8. Mai 2018. 57 Der Deutsche Bundestag stimmte in der 7. Plenarsitzung am 18. Januar 2018 einem entsprechenden Antrag (BT-Drs. 19/444) der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 105 Am 13. März 2018 verabschiedete der Thüringer Landtag eine gemeinsame Entschließung der Fraktionen von CDU, DIE LINKE, SPD und Bündnis 90 / Die Grünen, um Antisemitismus in Thüringen konsequent zu bekämpfen. Ein umfangreicher Maßnahmenkatalog wird aufgelistet. Unter anderem wird eine spezifischere Erfassung antisemitischer Straftaten durch die Sicherheitsbehörden gefordert, welche stärker die zugrundeliegende Motivation der Täter und Täterinnen beinhaltet. Zusätzlich werden entsprechende Schulungsund Weiterbildungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden zur Einordnung antisemitischer Straftaten angeregt. Dem wird der Verfassungsschutz in Thüringen Rechnung tragen. Das Thema Antisemitismus spielt heute eine wichtige, ja herausragende Rolle in der öffentlichen Debatte in ganz Deutschland. Oft wird ein Wiedererstarken des Antisemitismus beklagt, nicht zuletzt durch die Zuwanderung Hunderttausender Menschen aus der islamischen Welt, in der Antisemitismus häufig Teil der Alltagsideologie ist. Die Reaktionen auf die moslemische Variante des Judenhasses reichen von Verharmlosung - Stichwort: "Die Neuen müssen bloß die Regeln unserer Demokratie lernen und Gedenkstätten für ermordete Juden besuchen, dann wird alles gut" - bis hin zur Apokalypse, etwa beim Modedesigner Karl Lagerfeld, der Deutschland vorwarf, Millionen von Antisemiten ins Land geholt zu haben. Oft ernten Juden Sympathie, jedenfalls in den Medien, die zunehmend Themen wie das Mobbing jüdischer Schüler in ihre Berichterstattung aufnehmen. Die Bundesregierung und mehrere Bundesländer haben Beauftragte für den Kampf gegen den Antisemitismus eingesetzt - eine zweifelsohne wichtige Initiative. Ob diese eine Trendwende durch einen nunmehr wirksamen Kampf gegen Antisemitismus bewirken werden, bleibt abzuwarten. Die Berichte und Handlungsempfehlungen des von der Bundesregierung eingesetzten unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus aus den Jahren 2011 und 2017 sind bislang nicht zur Umsetzung gekommen. Allerdings geht die deutsche Antisemitismusdebatte zumeist an einigen Kernwahrheiten vorbei, sei es, weil diese nicht erkannt, sei es, weil sie für peinlich gehalten werden. Deshalb erscheint es an dieser Stelle geboten, einige wichtige Aspekte deutlich herauszustellen: 1. Es gibt keinen neuen Antisemitismus. In der einen oder anderen Form ist Judenhass Teil der kulturellen und religiösen Tradition in der christlichen ebenso wie in der moslemischen Welt. Gewiss gibt es unterschiedliche Ausprägungen im Orient wie im Okzident. Gewiss ändert sich oft, wenngleich nicht immer, die Terminologie. Die treibenden Kräfte aber sind seit Jahrhunderten dieselben. 2. Niemand wird als Antisemit geboren. Allerdings werden antijüdische Ressentiments bereits sehr jungen Kindern vermittelt, lange bevor der Staat mit aufklärerischer Sicht der Dinge eingreifen kann. Mitunter sind schon Schulanfänger tief davon überzeugt, dass Juden "böse", "Ausbeuter", "Gottesmörder", "Gegner des Propheten" und so weiter sind. So tiefsitzende Vorurteile durch erzieherische Maßnahmen im Schulwesen zu überwinden, gelingt selten. 106 Antisemitismus heute 3. In der alteingesessenen deutschen Gesellschaft gibt es heute nicht unbedingt mehr Feindschaft gegen Juden, wie es nach dem Ersten Weltkrieg der Fall war. Er wird nur offener ausgesprochen, wobei der Hass auf Juden sich gern als "Kritik" an Israel tarnt. In vielen Teilen der Gesellschaft ist es eine Selbstverständlichkeit gegen Israel zu sein, so wie es im Kaiserreich und in der Weimarer Gesellschaft zum guten Ton gehörte, Juden zu hassen. Die Bezeichnung "Antisemit" geht auf einen Antisemiten zurück und wurde mit Stolz, nicht mit Scham ausgesprochen. Was wir heute erleben ist, dass der Antisemitismus durchaus vorhanden ist, der Begriff aber durch Euphemismen ersetzt wurde, die nun wieder mit Stolz, nicht mit Scham benutzt werden. 4. Neu gegenüber früheren Perioden der langen deutschen Geschichte ist, dass die deutsche Politik den Antisemitismus ablehnt und die meisten deutschen Politiker ihn ehrlich verabscheuen. Das ist keine hinreichende Bedingung, um den Antisemitismus zu überwinden, aber doch ein wichtiger Ansatz, um seiner Verbreitung zumindest gewisse Grenzen zu setzen. Ein Bündnis möglichst aller demokratischen Kräfte - Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Kunst und Kultur, Wirtschaft und Behörden - in Gesellschaft und Politik, eine massive Aufwertung der Werteerziehung zu Respekt, Empathie und religiöser Toleranz im Erziehungswesen und eine sich dem Thema nicht verschließende Medienlandschaft sind wichtige Instrumente zur Eindämmung der Verbreitung antisemitischer Ideen. Sie sind aber allein nicht ausreichend. Es ist essenziell, dass der Rechtstaat mit allen ihm zur Verfügung stehenden gesetzlichen Mitteln gegen den Antisemitismus vorgeht. Prävention, Intervention und Repression müssen konsequent angewandt werden. Dazu gehören nicht nur eine konsequente Aufklärung und Strafverfolgung von antisemitischen Taten, sondern auch - im Rahmen des sachlich Gebotenen und des rechtlich Zulässigen - eine konsequente Beobachtung derjenigen Kreise, die einen Nährboden für Antisemitismus bilden. All dies erfordert große personelle und finanzielle Anstrengungen. Wobei es zu bedenken gilt, dass eine Beobachtung einschlägiger Kreise durch den Verfassungsschutz nicht nur antisemitische, sondern auch islamfeindliche und rassistische Straftaten - allesamt Erscheinungsformen der Hasskriminalität - eindämmen würde. Voraussetzungen für ein erfolgreiches Vorgehen auf dieser Ebene sind neben der Bereitstellung von Finanzmitteln zugleich eine entsprechende Organisation und der Ausbau bestehender Sicherheitsbehörden, eine konsequente und nachhaltige Förderung zivilgesellschaftlicher Initiativen im Bereich der Prävention sowie der allgemeinen Jugendund Sozialarbeit jenseits der kurzfristigen Projektförderung. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 107 Anhang Glossar Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt und als solche auch militante Aktionsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners ab. Als Gegner werden dabei auch Angehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antideutsche Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden eine Besonderheit innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene und tragen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremistischen Gefüge bei. Hauptbestandteil antideutscher Ideologie ist die bedingungslose Solidarität mit der Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk. Antideutsche sprechen sich - in Befürchtung eines neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust - für eine massive Unterstützung des Staates Israels und des Judentums aus und stehen oft positiv zu den USA als deren Schutzmacht. Antideutsche befürchten ein Erstarken des deutschen Nationalismus und ein großdeutsches "Viertes Reich", sie lehnen daher einen deutschen Nationalstaat insgesamt ab. Im linksextremistischen Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Antifa, autonome Der "antifaschistische Kampf" ist ein Hauptagitationsfeld von Autonomen. Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen Faschisten und Rassisten in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 109 tet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche "Nazis" richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Antisemitismus Antisemitismus im Rechtsextremismus Antisemitismus ist ein zentrales Ideologieelement des Rechtsextremismus und in allen seinen Äußerungsformen virulent, seien sie publizistisch, parlamentarisch oder auch aktionistisch orientiert. Antisemitismus zielt auf die Diffamierung und Diskriminierung einer behaupteten Gesamtheit "der Juden" ab. Der rechtsextremistische Antisemitismus baut insbesondere auf dem rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus auf, der das Judentum als "nichtdeutsche, fremde Rasse" definierte und diesen "Feind der eigenen Rasse" "ausmerzen" wollte. Nicht zuletzt aufgrund der strafrechtlichen Konsequenzen meiden Rechtsextremisten mittlerweile in ihrer Propaganda offenen, rassistisch motivierten Antisemitismus. Vielmehr weichen sie auf einen angedeuteten Antisemitismus aus, insbesondere durch die Behauptung eines übermäßigen politischen Einflusses von Juden (politischer Antisemitismus). Auch religiös begründeter Antisemitismus ist gelegentlich zu beobachten. Oftmals findet antisemitische Propaganda nur unterschwellig statt, u. a. durch subtil judenfeindlich gefärbte Zeitungsartikel oder Anspielungen. Rechtsextremisten nutzen die im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an der Politik Israels, um die Existenzberechtigung des Staates Israel in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels basiert auf der prinzipiellen Ablehnung 110 Anhang des Judentums. Gleichsetzungen der israelischen Politik mit den Verbrechen an Juden im Nationalsozialismus sind ebenfalls ein gängiges Muster des antizionistischen Antisemitismus. Im Rahmen des sekundären Antisemitismus wird den Juden vorgeworfen, sie benutzten die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust als Mittel der Erpressung, um finanzielle und politische Forderungen durchzusetzen. Antisemitischen Verschwörungstheorien zufolge wird Deutschland im Rahmen einer planvollen Konspiration instrumentalisiert, um den "jüdischen Einfluss" zu vergrößern oder das Ziel der jüdischen Weltherrschaft zu erreichen. Häufig wird ein "jüdischer Einfluss" auf politische Entscheidungen der Regierungsverantwortlichen behauptet. Antisemitismus im Islamismus Zu den Feindbildern islamistischer Organisationen gehören prinzipiell der Staat Israel bzw. "die Zionisten", denen - je nach Standort im islamistischen Spektrum mehr oder weniger offen - die verschwörerische Manipulation westlicher Staaten, vor allem der USA, unterstellt wird. Die jüdische Einwanderung in Palästina, die Entstehung des Staates Israel und der seither ungelöste Nahost-Konflikt waren Auslöser für die Entstehung eines islamistischen Antizionismus. Dieser war und ist stark antijüdisch gefärbt, insofern auch auf die prinzipielle, nach Auffassung von Islamisten im Koran belegte und durch die islamistische Geschichtsauffassung gestützte ewige Feindschaft "der Juden" gegen die Muslime/den Islam Bezug genommen wird. Im Unterschied zum Antisemitismus deutscher Rechtsextremisten ist der islamistische Antisemitismus nicht rassistisch begründet. Antisemitismus im Linksextremismus Der Antisemitismus im Linksextremismus beginnt nicht mit der Kritik an Politik und Existenz des Staates Israel. Die Traditionslinie ist weit älter - sie reicht bis in das 19. Jahrhundert zurück - und vielschichtiger. Gleichwohl ist der Antisemitismus kein Wesensmerkmal des Linksextremismus. Entsprechend seiner ideologischen Basis gibt es im Linksextremismus keinen rassistischen Antisemitismus. Die hier auftretenden codierten Formen sind schwieriger zu entschlüsseln. Antisemitische Ressentiments werden meist mit dem Begriff des Antizionismus verhüllt. Sie finden sich in der Gegenwart insbesondere in der "Palästina-Solidarität". So ist die Formulierung vom "Völkermord in Gaza" eine häufig gebrauchte rhetorische Figur. Auch Bezeichnungen wie "zionistische Apartheidpolitik" finden Gebrauch. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 111 Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden Den weitaus größten Teil ihrer Informationen gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Flugblättern, Programmen, Aufrufen und dem Internet. Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden besuchen öffentliche Veranstaltungen und sie befragen auch Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen auf freiwilliger Basis treten die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Gegenüber konspirativen Methoden versagen diese Mittel der Nachrichtengewinnung: Nicht alle Terroristen verfassen nach der Tat Selbstbezichtigungsschreiben oder nennen gar ihren wahren Namen. Spione veröffentlichen keine Programme und verteilen keine Flugblätter. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Dies sind Methoden der geheimen, verdeckten Nachrichtenbeschaffung. Dazu gehören insbesondere * die Observation, * der Einsatz von Vertrauensleuten (V-Leuten), Counter-Men und Gewährspersonen, * Bildund Tonaufzeichnungen, * die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses Artikel 10-Gesetz - (G10). Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wurden die Befugnisse des Verfassungsschutzes durch Einräumung besonderer Auskunftsrechte gegenüber Finanz-, Luftfahrt-, Postdienstleistungsunternehmen sowie Telekommunikationsund Teledienstleistern erweitert. Diese Regelungen wurden später durch das am 5. Januar 2007 in Kraft getretene "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" praxisgerecht angepasst. Allerdings kommt die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel immer erst dann in Betracht, wenn alle anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind. In keinem Fall darf der Verfassungsschutz den Kernbereich eines Persönlichkeitsrechts, zu dem insbesondere die Intimsphäre gehört, verletzen. Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. 112 Anhang Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei zum Beispiel um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: * sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, * sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, * sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, * sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von AntiEinstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die so genannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 113 Autonome Nationalisten Mit den "Autonomen Nationalisten" tritt eine Strömung innerhalb des deutschen Neonationalsozialismus öffentlichkeitswirksam in Erscheinung, die sich in lokalen Gruppierungen organisiert. Angehörige der "Autonomen Nationalisten" treten oft mit einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft gegen Polizeibeamte und politische Gegner auf, dies insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen, wo sich "Autonome Nationalisten" bisweilen vermummt zu sog. Schwarzen Blöcken zusammenschließen. Zudem übernehmen sie in Teilen Stilelemente anderer Jugendsubkulturen und treten ähnlich gekleidet auf wie militante Linksextremisten (Autonome). Innerhalb der Neonazi-Szene sind "Autonome Nationalisten" vor allem wegen ihres öffentlichen Erscheinungsbildes und ihrer Gewaltbereitschaft umstritten. Dessen ungeachtet beteiligen sich zunehmend auch "Freie Nationalisten" anlassbezogen an der Aktionsform des "Schwarzen Blockes" der "Autonomen Nationalisten". Bestrebungen, extremistische Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichteten Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen * Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, * Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, * Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen 114 Anhang demokratischen Grundordnung zu zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder eines Landesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen. Extremismus/Radikalismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Freie Nationalisten/Freie Kräfte Das Konzept der "Freien Nationalisten" (auch "Freie Kräfte" genannt) wurde Mitte der 1990er Jahre von Neonazis als Reaktion auf die zahlreichen Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, die zersplitterte neonazistische Szene unter Verzicht auf vereinsmäßige Strukturen ("Organisierung ohne Organisation") zu bündeln, ihre Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Ein Großteil der "Freien Nationalisten" sammelte sich in rechtsextremistischen Kameradschaften. Ab Mitte der 2000er Jahre setzte ein erneuter Strukturwandel in der Kameradschaftsszene ein, der von einer weiteren Lockerung der Organisationsstrukturen gekennzeichnet war. Damit wurde das Ziel verfolgt, dem Staat noch weniger Angriffsfläche zu bieten. Zudem ist seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein engeres Zusammenwirken von "Freien Nationalisten" mit der NPD zu beobachten, das 2004 in ein als "Volksfront von rechts" bezeichnetes informelles Bündnis mündete. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 115 Freiheitliche demokratische Grundordnung Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Diese fundamentalen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch die Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft, * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. G10-Maßnahme Die Verfassungsschutzbehörden dürfen zur Abwehr von drohenden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes die Telekommunikation überwachen und aufzeichnen und die dem Briefoder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen öffnen und einsehen. Voraussetzung ist das Vorliegen von Anhaltspunkten für bestimmte, schwerwiegende Straftaten, z. B. Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung. Außerdem muss die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingriffs in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (G10-Maßnahme) richtet sich nach 116 Anhang dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz, G10). Über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von G10-Maßnahmen entscheidet ein unabhängiges parlamentarisches Gremium (G10-Kommission). Geheimschutz Der Geheimschutz umfasst alle personellen und materiellen (organisatorischen, baulichen und technischen) Maßnahmen zum Schutz von im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Unterlagen, Maßnahmen und Objekten. Der Geheimschutz sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. * Personeller Geheimschutz Die Verfassungsschutzbehörden wirken mit bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben, weil sie Zugang zu Verschlusssachen (VS) haben. Die Sicherheitsüberprüfung soll solche Personen aus sensiblen Bereichen fernhalten, die Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit oder an ihrem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geben oder für Ansprachen anderer Nachrichtendienste gefährdet erscheinen. * Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz beinhaltet organisatorische, bauliche, mechanische, elektrotechnische und informationstechnische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen (unabhängig von ihrer Darstellungsform) und von räumlichen Sicherheitsbereichen. Einer der Schwerpunkte ist die Sicherheit beim Umgang mit Informationen, die im staatlichen Interesse Unbefugten nicht zur Kenntnis gelangen dürfen. Dazu gehören insbesondere die richtige Einstufung von Dokumenten als Verschlusssachen (VS-Nur für den Dienstgebrauch, VS-Vertraulich, GEHEIM und Streng GEHEIM) sowie deren Herstellung, Aufbewahrung/Speicherung, Vervielfältigung, Weitergabe/ Übermittlung und Aussonderung/Archivierung bzw. Vernichtung/Löschung. Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Das GIZ führt seit 2007 die offene Beobachtung des Internets nach islamistischen Inhalten durch. Dort sind sprachkundige Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder tätig. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 117 Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in BerlinTreptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und von Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des GG, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: * Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. * Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. 118 Anhang Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Unter "Homegrown"-Terrorismus sind islamistische Strukturen oder Strukturansätze zu verstehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen sind zumeist in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung einer islamistischen Gesellschaftsordnung für erstrebenswert. Gemeinsames Kennzeichen dieses Personenkreises ist, dass er von der pan-islamischen "al-Qaida"-Ideologie beeinflusst wird. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen macht sich islamistisches Gedankengut zu eigen und engagiert sich für islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in islamistischen/islamistisch-terroristischen Strukturen erklärt sich u.a. aus der Motivation, sich gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sog. großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sog. kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf/ "heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist keine oder Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 119 nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten "Freien Nationalisten" zu. Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte des Bürgers sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit der Bürger darauf vertrauen kann, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen. * Parlamentarische Kontrollgremien Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden unterliegt u.a. der Kontrolle durch parlamentarische Kontrollgremien. Die Bundesund Landesregierungen unterrichten die Kontrollgremien regelmäßig über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden. Über Vorgänge von besonderer Bedeutung wird unverzüglich berichtet. Auf Verlangen der Kontrollgremien haben die Regierungen in Einzelfällen jederzeit zu berichten. Die Regierungen haben den Gremien außerdem grundsätzlich auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien der Verfassungsschutzbehörden zu gewähren, die Anhörung von Mitarbeitern zu gestatten und Zutritt zu den Räumlichkeiten der Verfassungsschutzbehörden zu ermöglichen. * Datenschutz Zweck des Datenschutzes ist, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Der Verfassungsschutz hat daher bei seiner Aufgabenerfüllung grundsätzlich die Bestimmungen der Datenschutzgesetze des Bundes und der Länder sowie anderer Vorschriften über den Datenschutz zu beachten. Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird fortlaufend vom Bundesbzw. den Landesbeauftragten für den Datenschutz unabhängig geprüft. Hierzu erhalten die Beauftragten u. a. weitgehende Akteneinsicht. Mit regelmäßig erscheinenden Tätigkeitsberichten werden die parlamentarischen Vertreter und die Öffentlichkeit über das Ergebnis ihrer Überprüfungen informiert. 120 Anhang Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: * Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Zedong und andere, * Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, * Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, * Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: * Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, * Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. Mujahid Als Mujahidin (wörtlich: Plural für "Kämpfer im Jihad") werden Islamisten bezeichnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich * am "gewaltsamen Jihad" selbst beteiligen oder beteiligt haben * oder für die Teilnahme am "gewaltsamen Jihad" ausbilden lassen oder bereits haben ausbilden lassen * oder am "gewaltsamen Jihad" beteiligen werden, z. B. auf Grund entsprechender Äußerungen. Arabische Muslime verschiedener Nationalität stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 121 Nachrichtendienstliche Mittel Mit nachrichtendienstlichen Mitteln als Oberbegriff werden technische Mittel und Arbeitsmethoden der geheimen Nachrichtenbeschaffung bezeichnet. So darf das AfV nach SS 10 Abs. 1 ThürVerfSchG Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dem AfV ist unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (nach SS 11 Abs. 1 ThürVerfSchG) die Erhebung von Informationen, insbesondere personenbezogener Daten, gestattet, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass * auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder * dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Neonazismus/Neonationalsozialismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Nationalismus und Rassismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung wesentlicher Elemente demokratischer Gewaltenteilung. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind der bei Neonazi-Aktivisten stärker ausgeprägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes. Neue Rechte Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um eine in den 1970er Jahren in Frankreich aufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemüht. Sie beruft sich unter anderem auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung "Konservative Revolution" aktiv waren. Die Aktivisten der "Neuen Rechten" beabsichtigen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden kulturellen Einfluss zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern. 122 Anhang Opportunitätsprinzip/Legalitätsprinzip Während die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) nach der Strafprozessordnung grundsätzlich verpflichtet sind, bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen einzuschreiten (Legalitätsprinzip), gilt für die Verfassungsschutzbehörden das Opportunitätsprinzip. Hiernach steht die Entscheidung, ob wegen einer Straftat eingeschritten werden soll, im Ermessen. So kann der Verfassungsschutz wegen einer zu erwartenden relevanten Erkenntnissteigerung auf ein unmittelbares Einschreiten verzichten. Das Opportunitätsprinzip ist Grundlage für (oftmals jahrelang) wachsende Vertrauensverhältnisse. Diese ermöglichen dem Verfassungsschutz einen exklusiven Zugang zu Informationsquellen, seien es V-Leute oder auch Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste. Damit dies so bleibt, müssen Nachrichtendienste einen besonderen Wert auf Quellenschutz legen. Hinweisgeber sind nicht selten Straftäter oder Opfer, die Sanktionen der Täter befürchten. Im Zweifel kann ein mögliches Strafverfolgungsinteresse dem Schutz der Quelle untergeordnet werden. Dadurch, dass der Verfassungsschutz vom Strafverfolgungszwang losgelöst ist, kann er weitergehend operieren, etwa, um eine extremistische bzw. terroristische Szene näher aufzuklären oder zur Entschärfung einer Gefahrensituation, indem er versucht, einzelne Täter aus der Szene herauszulösen und als Informanten zu gewinnen, um so ferner die Strukturen der Bestrebung zu schwächen. Ohne Strafverfolgungszwang hat der Verfassungsschutz Raum für umfassende Analysen und Methodik. Im Gegensatz zur Polizei kann er "flächendeckende" Strukturerkenntnisse sammeln. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sog. klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt. Die Straftaten werden folgenden Phänomenbereichen zugeordnet: * Politisch motivierte Kriminalität - rechts, * Politisch motivierte Kriminalität - links, * Politisch motivierte Ausländerkriminalität, * Sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 123 Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u.a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). Revisionismus, rechtsextremistischer Der das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von Erkenntnissen beschreibende Begriff "Revisionismus" wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Vergangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektive Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbildes, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen und Methoden. So beinhaltet die Leugnung des "Holocaust", das Ausmaß der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch das NS-Regime zu verharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente auf unseriöse Weise fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung der Ereignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutig belegen, dass die "Endlösung der Judenfrage" unzweifelhaft stattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert. Schwarzer Block Der sog. "Schwarze Block", vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisations124 Anhang form, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleich der "Schwarze Block" überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme eines "Schwarzen Blocks" an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. Seit einigen Jahren ist die Aktionsform des "Schwarzen Blocks" auch bei den rechtsextremistischen "Autonomen Nationalisten" zu beobachten. Subkulturelle Rechtsextremisten Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und häufig mehr auf Freizeitgestaltung als auf politische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen die meisten subkulturell geprägten Rechtsextremisten nicht über ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Sie vertreten jedoch rechtsextremistische Anschauungen, die sich in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus zeigen. Sie stellen ihre Zugehörigkeit zur "weißen Rasse" und deren angebliche Überlegenheit in den Mittelpunkt und definieren ihre Feindbilder auf diese Weise. Die rassistische Einstellung wird mit dem Schlagwort "white power" zusammengefasst. Jugendliche finden auch über die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen SkinheadSubkultur und insbesondere über die für die Szene wichtige rechtsextremistische Musik Zugang zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Gedankenwelt. Musik spielt nicht nur für die Skinhead-Bewegung eine wichtige identitätsstiftende Rolle. Texte von rechtsextremistischen Musikgruppen prägen weltanschauliche Vorstellungen, Konzerte haben eine bedeutende Rolle für den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Szene. Oft sind Musik und Konzerte Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Parteien oder Neonazis, die hierüber versuchen, Jugendliche an ihre politischen Vorstellungen heranzuführen. Weltweite Strömungen innerhalb der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene mit einer gewissen szeneinternen Bedeutung sind "Blood & Honour" und die "Hammerskins", beides rassistische Bewegungen, die ein elitäres Selbstverständnis pflegen. Vor allem "Blood & Honour", dessen deutscher Zweig, die "Blood & HonourDivision Deutschland", im Jahr 2000 durch den Bundesinnenminister verboten wurde, trat in der Vergangenheit immer wieder durch die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten in Erscheinung. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 125 Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus, mit dem Ziel, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1, Nr. 2 BVerfSchG zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Trennungsgebot Durch das Trennungsgebot wird eine organisatorische und funktionelle Trennung von Verfassungsschutz und Polizei/Staatsschutz vorgegeben. Dies ist für das Bundesamt für Verfassungsschutz in SS 2 Abs. 1 und SS 8 Abs. 3 BVerfSchG geregelt. Die Landesverfassungsschutzgesetze enthalten entsprechende Vorschriften. Eine solche Trennung verbietet jedoch nicht den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Dieser ist vielmehr notwendig, um trotz der Trennung effektiv arbeiten zu können. Nur durch eine Vernetzung von Nachrichtendiensten und Polizeien ist es möglich, die in der jeweiligen Rechtssphäre gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen und zu analysieren. 126 Anhang Verfassungsfeindlich Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig Umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. V-Leute Vertrauensleute, sogenannte V-Leute, sind Personen, die planvoll und systematisch zur Gewinnung von Informationen über extremistische Bestrebungen eingesetzt werden. Sie sind keine Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Für ihre Informationen werden sie in der Regel entlohnt. Die Identität von Vertrauensleuten wird besonders geschützt (s. a. Quellenschutz). Bei dem Einsatz von V-Leuten handelt sich um ein nachrichtendienstliches Mittel/Instrument.Schulen. Oder aber wir müssen die Wahrnehmung auch wieder schärfen, dass dieses Thema eben nicht einfach unter die Räder kommt, sondern dass man das tagtäglich auf dem Schirm hat." Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 127 Register A Almadinah Islamischer Kulturverein e. V. 67 al-Qaida 68, 119 al-Shabaab-Miliz 71 f Amok (rechtsextremistische Band) 45 Ansgar Aryan (rechtsextremistisches 34 Modelabel) 1, 3, 6, 77, 84 ff, 90, Antifaschismus 110 Antigentrifizierung 3, 86 f, 94 Antikapitalistisches Kollektiv 23 Antirepression 3, 86 f, 100 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK - Partiya 6, 75 ff, 113 Karkeren Kurdistan) Armstroff, Klaus 50 1, 3, 6, 42, 82 ff, 93 ff, Autonome 109, 113 f, 121, 125 Autonome Nationalisten 42, 114, 125 B Biczysko, Enrico 48 Blutzeugen 29 f C Collegium Humanum (CH) 51 D Dahl, Sebastian 29 Demokratisches Gesellschaftszentrum der 78 KurdInnen in Deutschland e. V. (NAV-DEM) 128 Anhang Der III. Weg 2, 5, 20 f, 24, 30, 49 ff Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 82 f, 101 Deutsche Volksunion - Die neue Rechte 47 (DVU) Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim 67 e. V. Die Gefangenenhilfe 30 Die Lunikoff-Verschwörung (rechtsextre30 mistische Band) DIE RECHTE 20ff, 30, 35, 45 Die Rote Hilfe (Publikation) 96 Division Germania (rechtsextremistische 30, 33 Band) E Eichsfeldtag 45 Ein Volk hilft sich selbst (rechtsextremisti56 sche Initiative) Engel, Stefan 101 Ermittlungsausschuss 95 Europäische Aktion (EA) 30, 51 F Fischer, Michel 48 FLAK, auch FLAK-Solo 30, 37 (rechtsextremistische(r) Band bzw. Solist) Flieder Volkshaus 44 Franz, Frank 44 f Freie Kräfte 115 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 129 9 ff, 46, 61, 82, 113 f, freiheitliche demokratische Grundordnung 116, 118, 127 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdis75 tans (KADEK) Frenck, Tommy 26 f, 30 Frontschwein Medien 31 Frontschwein Records 31 Fussilet 33 e. V. 67 G Gedächtnisstätte e. V. 52 ff Gelbes Haus (Ballstädt) 28 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan 75 (KKK) Germania Records 34 Germania Versand 34 Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) 38 Goldener Löwe (Kloster Veßra) 27 H Heise, Thorsten 43 ff Hermannsland-Versand 30 Hizbullah 69 I Identitäre Aktion 35 Identitäre Bewegung (IB) 2, 20 Identitäre Bewegung Deutschland e. V.(IBD) 41 Internationalistische Liste / MLPD 101 130 Anhang Interventionistische Linke (IL) 84 In Tyrannos (rechtsextremistisches Band31 projekt) Islamische Gemeinschaft in Deutschland 74 e. V. (IGD) Islamischer Staat (IS) 68 Islamistische Nordkaukasische Szene (INS) 69 J Jabhat Fatah al-Sham 71 Jihad, Jihadisten, jihadistisch 3, 65 ff, 73, 119, 121 Junge Nationaldemokraten (JN) 44 junge Welt (Tageszeitung) 98 K Kampf der Nibelungen 25, 29 Köckert, David 30, 56 f Kollektiv Nordharz 34 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 101 Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata 77 f Demokratik a Kurdistan - CDK) L Landogart, Baldur 46 linksunten.indymedia (linksextremisti85, 87, 89, 91 ff sches Internetportal) Lunikoff (rechtsextremistischer Liedermacher) 44 M Marxistisch-Leninistische Partei Deutsch82 f, 101 lands (MLPD) Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 131 Metze, Nico 50 Muslimbruderschaft (MB) 69, 73 N Nahkampf (rechtsextremistische Band) 45 Nationaldemokratische Partei Deutsch2, 5, 20 f, 30, 33 ff, lands (NPD), hier auch Kreisverbände in 42 ff, 52, 102 f, 115 Thüringen Nationaler Widerstand Dortmund (NWDO) 47 Neue Rechte 5, 37 f, 40, 122 N. S. Heute (rechtsextremistisches Zei30 tungsprojekt) Nusra-Front 71 O Öcalan, Abdullah 75 ff Opos Records (rechtsextremistischer 30 Vertrieb) Outing-Aktionen 90 R Radau im Kessel 2.0 37 Randgruppe Deutsch (rechtsextremisti45 sche Band) Rebel Records 34 1, 3, 5, 13, 52, 54 f, Reichsbürger 59 ff Reichsregierungen 60 Rennicke, Frank (rechtsextremistischer 44 f Liedermacher) Richter, Steffen 28 Rock für Deutschland 5, 24, 33 f 132 Anhang Rock für Identität 5, 24, 35 f Rock gegen Überfremdung II 24, 26 f, 33, 36 Rote Armee Fraktion (RAF) 86, 97 Rote Hilfe e. V. (RH), hier auch Rote Hilfe Jena, Regionalgruppe Südthüringen, Orts83, 96 gruppe Erfurt Rußwurm, Marcus 29 S Sächsische Begegnungsstätte gUG (SBS) 74 Salafismus 6, 65 ff, 69 Schlimper, Axel 30, 35 f, 45, 52 f Schwarzer Block 23, 124 Selbstverwalter 3, 5, 54 f, 59 ff SERXWEBUN (Publikation) 76 Sleipnir, auch Sleipnir-Duo (rechtsextre30 mistische Band) Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend 82 Jena/Weimar (SDAJ Jena-Weimar) Stahlgewitter (rechtsextremistische Band) 30 f T Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der 69 Verkündigung und Mission) Thing-Kreis Themar 53 Thule-Seminar 54 TreueOrden (rechtsextremistische Band) 29 ff U Überzeugungstäter Vogtland (rechtsextre37 mistische Band) Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 133 Uwocaust (rechtsextremistischer Lieder30 macher) V Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans 75 (KCK) Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten 51 (VRBHV) Voigt, Udo 45, 55 Volksbewegung 39, 55 Volksgemeinschaft 48 f, 51 Volksgenosse 50 f Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) 75 Volksverteidigungskräfte (HPG) 76 W Wagner, Thomas 28 f, 31 Waldhaus (Szeneobjekt in Sonneberg) 28 Weber, Patrick 35, 43 Wieschke, Patrick 45 wolja (linksextremistische Website) 95 f Worch, Christian 21, 47 f Y Yeni Özgür Politika (YÖP, Publikation) 76 Z Zeise, Michael 30, 35 f Zeughaus (rechtsextremistischer Vertrieb) 30 134 Anhang Registeranhang Im Registeranhang sind die im Bericht erwähnten Gruppierungen aufgeführt, die ihren Ursprung in Thüringen haben, weitestgehend lokal agieren und einem bundesweit aktiven extremistischen Personenzusammenschluss nicht als regionale Untergliederung organisatorisch zugehören. Im Übrigen wird auf das vorhergehende Register verwiesen. A Antifaschistische Aktion Gotha (AAGth) 91 Antifaschistische Gruppen Südthüringen 91 f (AGST) Autonomes antifaschistisches Komitee 93 Nordhausen (AAKNdh) B Bündnis-Zukunft-Hildburghausen (BZH) 27 Bruderschaft Thüringen 26 ff, 31 f D Demokratisches Gesellschaftszentrum der 78 KurdInnen in Thüringen e. V. G Garde 20 28 I Infoladen Sabotnik 89, 95 Infoladen Jena J Jenaer undogmatische radikale Initiative 90 f (JURI) Jugendoffensive WAK 24 K Kollektiv 56 24 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2017 135 P PEKARI 93, 102 T THÜGIDA & Wir lieben Sachsen 22, 30, 55 ff, 62 Thüringer Vernetzung G20 entern 89 Turonen 28 W Wir lieben Meiningen 30 136 Anhang IMPRESSUM Herausgeber: Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales Steigerstraße 24 99096 Erfurt Redaktion: Amt für Verfassungsschutz Druck: Gutenberg Druckerei GmbH Weimar Der Verfassungsschutzbericht 2017 ist im Internet abrufbar unter: www.thueringen.de/th3/timk/ www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz