Eine Verwendung von Informationsmaterialien des Thüringer Innenministeriums zu Wahlzwecken ist nicht gestattet Verfassungsschutzbericht 2013 Vorwort Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, unser Land braucht eine wehrhafte Demokratie. Dies gilt umso mehr, als die durch den Thüringer Verfassungsschutz im Jahr 2013 gewonnenen Erkenntnisse über Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, keinen Anlass zur Entwarnung geben. Nicht alle Gruppierungen halten sich an den demokratischen Grundkonsens, dem das Wertesystem unseres Grundgesetzes und das Bekenntnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat zugrunde liegen. Die größte Bedrohung für unser Gemeinwesen geht dabei nach wie vor vom Rechtsextremismus aus. Zentraler Akteur im rechtsextremistischen Spektrum ist die NPD. Diese ist nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern eine klar gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Partei. Es ist daher folgerichtig, dass der Bundesrat am 3. Dezember 2013 einen Antrag auf Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht eingereicht hat. Die Ergebnisse der NPD bei der Kommunalund Europawahl 2014 mahnen uns einerseits, diese Strukturen intensiv weiter zu beobachten und bei entsprechenden Anhaltspunkten für ein strafbares Verhalten eine konsequente Strafverfolgung zu betreiben. Die Wahlergebnisse zeigen andererseits aber auch die Notwendigkeit, bereits präventiv gegen diese Bestrebungen im gesellschaftlichen Umfeld tätig zu werden. Aufklärung über den Rechtsextremismus - beispielsweise in Schulen und weiteren Bildungseinrichtungen - ist einer der Schlüssel, um einem solchen Gedankengut von vornherein die Grundlage zu entziehen. Gerade vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Europaund Kommunalwahl erscheinen die Erkenntnisse über die NPD im Jahr 2013 ambivalent. Einerseits schaffte sie es, punktuell und lokal so viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, dass sie entsprechende Stimmen in den Wahlen 2014 erhielt, andererseits wirkte sie organisatorisch und personell desolat, wie der Mitgliederverlust 2013 belegt. Ebenso widersprüchlich war ihr Auftreten in der Öffentlichkeit. Zwar steigerte sie 2013 die Zahl ihrer öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten im Vergleich zu 2012, aber sie mobilisierte gleichzeitig weniger Teilnehmer. Von Neonazis, die sich in sogenannten Kameradschaften lokal organisieren, gingen 2013 vereinzelte Aktionen aus. Skinheads wiederum organisierten vor allem Konzerte, die eine verbindende Funktion für die Szene haben. Rechtsextremisten wollen mit Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 1 ihrer menschenverachtenden "Musik", mit Vereinnahmung des Begriffs "Heimat" und mit dem Schüren von Ängsten Menschen für ihre Ideen und ihre Organisationsstrukturen gewinnen. Verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen nutzen in einigen Thüringer Gemeinden Immobilien. Dadurch versuchen sie, ihren Aktionsraum auch auf lokaler Ebene zu erweitern. Der brutale Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt im Februar 2014 durch Täter aus dem rechtsextremistischen Spektrum ist dafür ein signifikantes Beispiel, um was es diesen Gruppierungen dabei geht: Einschüchterung der örtlichen Bevölkerung durch Schaffung einer Atmosphäre der Angst und der latenten Gewaltbereitschaft. Auch der Anstieg von Gewaltdelikten im Berichtszeitraum weist darauf deutlich hin. Der Phänomenbereich "Linksextremismus" ist im Berichtszeitraum hinsichtlich der personellen Entwicklung weitgehend durch Stillstand und Stagnation gekennzeichnet. Dies gilt insbesondere für die marxistisch-leninistischen Parteien, die durch Mitgliederverlust mittlerweile nur noch 165 Personen zählen. Gleichzeitig ist die Gruppe der Autonomen, die ebenfalls - allerdings aus anderen ideologischen Gründen - einen demokratischen Rechtsstaat ablehnen, die aktivste und gefährlichste Gruppierung. Auch Autonome nutzen Gewalt, wenn es die eigenen Interessen durchzusetzen gilt. Dies belegt der Anstieg der Gewaltstraftaten im letzten Jahr. Vom Islamismus gehen ebenfalls Gefahren für unser Gemeinwesen aus, derzeit vor allem von Rückkehrern aus den Kämpfen in Syrien. Rund 50 Personen des islamistischen Personenkreises sind "salafistischen Bestrebungen" zuzurechnen. Diese versuchen durch Veranstaltungen, Sympathisanten zu gewinnen und zu radikalisieren. Die Kurdische Arbeiterpartei PKK ist eine ausländerextremistische Gruppierung und verfolgt die Anerkennung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei. Spenden, die durch mittlerweile in Thüringen fest verankerte Strukturen gesammelt werden, dienen aber auch der Unterstützung der bewaffneten Guerillaeinheiten. Alle Formen des Extremismus gefährden die freiheitliche demokratische Grundordnung. Sie müssen deshalb beobachtet werden. Von welchen Gruppen konkrete Gefahren ausgehen, beschreibt der Verfassungsschutzbericht 2013. Allen extremistischen Ausprägungen gilt es bereits dort entgegenzutreten, wo sie sich zu entwickeln versuchen. Dies gilt vor allem für den Rechtsextremismus, denn dieser will in aggressiv-kämpferischer Weise die Grundprinzipien unserer freiheitlichen Gesellschaft beseitigen, darüber hinaus gilt es aber auch für jede andere Form des Extremismus. Zur Wahrnehmung dieser Aufgabe sind alle Bürgerinnen und Bürger, sind die Sicherheitsbehörden, die zivilgesellschaftlichen Initiativen und die demokratischen Parteien aufgerufen. Jörg Geibert Thüringer Innenminister Juni 2014 2 Vorwort Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie 7 2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 9 II. Rechtsextremismus 1. Überblick 12 1.1 Das rechtsextremistische Personenpotenzial in der Bundesrepublik Deutschland 12 1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen 13 2. Ideologischer Hintergrund 14 3. Rechtsextremistische Parteien 16 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 16 3.1.1 Der Bundesverband der NPD 16 3.1.1.1 Entwicklung der Partei 16 3.1.1.2 Ideologie der Partei 18 3.1.1.3 Strategie der Partei 19 3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD 21 3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands 21 3.1.2.2 Kreisverbände 22 3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung 22 3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen Rechtsextremisten 23 3.1.2.5 Publikationen und Internetpräsenz 24 3.1.2.6 Aktivitäten des Landesverbands und seiner Untergliederungen 26 3.1.2.7 Bewertung und Ausblick 32 3.1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 33 3.1.4 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 34 4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 35 4.1 Ideologischer Hintergrund 35 4.2 Organisationsund Aktionsformen der Neonaziszene im Allgemeinen 35 4.3 Zusammenarbeit mit der NPD 38 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 3 4.4 Die Neonaziszene in Thüringen 39 4.4.1 Kameradschaften 39 4.4.2 Sonstige Personenzusammenschlüsse 43 4.4.3 Vereinsaktivitäten von Neonazis 47 4.4.4 Gewaltpotenzial der Neonaziszene 49 4.4.5 Aktivitäten und Themenschwerpunkte der Neonaziszene 50 5. Subkulturell geprägter Rechtsextremismus und rechtsextremistische Musikszene 53 5.1 Personenpotenzial des subkulturell geprägten Rechtsextremismus 55 5.2 Erscheinungsformen, Botschaften und Wirkung rechtsextremistischer Musik 55 5.3 Produktionsund Vertriebsstrukturen 56 5.4 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer Konzerte im Allgemeinen 57 5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen 58 5.6 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen 59 6. Immobiliennutzung von Rechtsextremisten 62 7. Sonstige rechtsextremistische Gruppierungen 64 8. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick 66 III. Linksextremismus 1. Überblick 67 2. Ideologischer Hintergrund 68 3. Autonome 69 3.1 Allgemeines 69 3.2 Die autonome Szene in Thüringen 71 3.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis 73 3.4 Autonomer "Häuserkampf" 82 4. Anarchisten 84 4.1 "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA) 84 5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige Gruppierungen 85 5.1 "Kommunistische Plattform" (KPF) der Partei "DIE LINKE." 85 5.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 87 5.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) 89 5.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 91 5.5 "Rote Hilfe e. V." (RH) 94 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick 96 4 Inhaltsverzeichnis IV. Islamismus/Ausländerextremismus 1. Überblick 97 2. Islamismus 98 2.1 Internationaler islamistischer Terrorismus 99 2.1.1 Aktuelle Entwicklungen 99 2.2 Die Lage in Thüringen 102 2.2.1 Salafistische Bestrebungen 102 2.2.2 "Muslimbruderschaft" (MB) 105 2.2.3 "Tablighi Jama'at" (TJ - Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) 107 2.2.4 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) 108 3. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 110 3.1 Überblick, allgemeine Lage 111 3.2 Organisatorische Situation/Strukturen 112 3.3 Finanzierung 113 3.4 Propaganda und Themenschwerpunkte 113 V. Scientology-Organisation (SO) 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO 115 2. Organisationsstruktur 116 3. SO in Thüringen 116 VI. Ereigniskalender extremistischer Bestrebungen in Thüringen 117 VII. Organisierte Kriminalität (OK) 1. Aufgaben des Verfassungsschutzes 120 2. Bundesweit agierende kriminelle Rockergruppierungen 121 3. Lage in Thüringen 122 4. Rocker und Rechtsextremismus 123 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 5 VIII. Spionageabwehr 1. Überblick 124 2. Methoden der Nachrichtendienste 125 3. Wirtschaftsspionage 126 4. Proliferation 126 IX. Geheimschutz 1. Allgemeines 128 2. Personeller Geheimschutz 128 3. Materieller Geheimschutz 130 4. Sonstige Überprüfungen 131 Anhang Register 133 Registeranhang 142 6 Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung ist es die Aufgabe der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das Grundgesetz legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Die streitbare Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Rechtsstaat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte - wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht - zu. Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie den Bestrebungen politischer Extremisten nicht tatenlos aus. So sind beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als "Frühwarnsystem" politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die Länder unterhalten. Im Freistaat Thüringen ist die Verfassungsschutzbehörde als Landesoberbehörde 1991 errichtet worden. Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach, aus welchen Parteien und Gruppierungen sich das extremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt. Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste auf. In einigen Bundesländern, darunter Thüringen, beobachtet der Verfassungsschutz auch Bestrebungen der Organisierten Kriminalität (OK). Die ErkenntnisVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 7 se der Verfassungsschutzbehörden sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie solcher Gefahren zu treffen, die von Aktivitäten der OK ausgehen. Der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen. Diese ist dann geboten, wenn auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung führen, dass ein Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit die Feststellung seines extremistischen Charakters verbunden ist. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere durch die von den Parlamenten eingesetzten Kontrollgremien, durch die Innenministerien, durch die Gerichte sowie durch die Bundesbzw. Landesbeauftragten für Datenschutz. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die ausschließlich in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen. Sie unterscheiden sich grundlegend sowohl von der "Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) der ehemaligen DDR. Jene waren darauf ausgerichtet, totalitäre Staaten abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung schützt. Darüber hinaus besaß das MfS keinerlei rechtsstaatliche gesetzliche Grundlage und unterlag dementsprechend auch keiner rechtsstaatlichen Kontrolle. Verfassungsschutzbehörden unterliegen der strikten Bindung an Recht und Gesetz. Verstand sich die Staatssicherheit als "Schild und Schwert der SED", dienen die Verfassungsschutzbehörden keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem als essentiellem Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verpflichtet. Bei der Neuordnung des Verfassungsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland finden die Erkenntnisse der verschiedenen Untersuchungsausschüsse und -kommissionen zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) im Hinblick auf die Arbeitsweise und die gesetzlichen Rahmenbedingungen Berücksichtigung, um die geeigneten Maßnahmen zur Optimierung der Sicherheitsstrukturen in unserem Land und zur effektiveren Gestaltung der Kontrolle des Verfassungsschutzes zu treffen. Die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen umfassend zu informieren, wird künftig eine noch größere Bedeutung haben. Der Verfassungsauftrag aus Art. 97 Thüringer Verfassung erfordert zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine effizient ausgestaltete Verfassungsschutzbehörde, die im Gefüge der bundesweiten Sicherheitsarchitektur den modernen Anforderungen eines "Frühwarnsystems" gerecht wird. 8 Informationen zum Verfassungschutz 2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) Aufbau und Organisation des TLfV Das TLfV verfügte im Haushaltsjahr 2013 über 97 Stellen und Planstellen. Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 6.688.000 Euro zugewiesen. Das Amt ist wie folgt strukturiert: Präsident Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentrale Dienste Auswertung Beschaffung, Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr Die Fachaufsicht über das Landesamt führt das Thüringer Innenministerium, Referat "Verfassungsschutz, Geheimschutz". Abteilung "Zentrale Dienste" Die Abteilung "Zentrale Dienste" ist für den inneren Dienstbetrieb und für fachübergreifende Aufgaben des Amts zuständig. Sie umfasst die Bereiche Grundsatzund Rechtsfragen, Geheimschutz, Personal, Haushalt, Innerer Dienst, EDV sowie Registratur, Öffentlichkeitsarbeit und Berichtswesen. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von Vorträgen, die Beantwortung von Bürgeranfragen und die Herausgabe periodischer Berichte hervorzuheben. Im Jahre 2013 hielten Referenten des Amts insgesamt 65 Vorträge (2012: 64). Das Themenfeld Rechtsextremismus bildete hierbei den Schwerpunkt. Daneben wurden Vortragsersuchen zu den Bereichen Islamismus, Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr und Scientology bedient. Publikationen zu all diesen Themen hält das TLfV auch als Onlineversionen im Internet vor. In Zusammenarbeit mit dem Thüringer Justizministerium und mehreren Justizbehörden wurde im Berichtszeitraum die Präventionsarbeit für Bedienstete der Thüringer Gerichte und des Justizvollzuges verstärkt. Darüber hinaus fanden Informationsveranstaltungen z. B. an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Gotha sowie bei Polizeidienststellen, dem Meininger Bündnis für Demokratie und Toleranz und dem Stadtrat in Kahla statt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 9 Das TLfV präsentierte sich wiederum bei mehreren öffentlichen Veranstaltungen, so z. B. beim Thüringentag der Landesregierung in Sondershausen oder beim Fan-Fest des Fußballvereins Rot-Weiß Erfurt. Die Wanderausstellung des TLfV "Feinde der Demokratie/Politischer Extremismus in Thüringen" wurde u. a. im Thüringer Institut für Lehrerausbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) in Bad Berka, im Staatlichen Berufsbildenden Schulzentrum Jena Göschwitz, am Carl-Zeiss-Gymnasium Jena und im Rahmen des Aktionstages für Vielfalt, Toleranz und Demokratie in Crawinkel gezeigt. Schwerpunktmäßig umfasst diese interaktiv gestaltete, vorwiegend an Jugendliche gerichtete Ausstellung Erscheinungsformen des Rechtsextremismus. Ein ergänzendes Modul zum Thema "Islamismus" wurde 2013 fertig gestellt. Ergänzt wird diese Ausstellung durch ein Angebot an Führungen und Vorträgen. Sie steht interessierten Institutionen kostenfrei zur Verfügung. Darüber hinaus wurde im Herbst 2013 an den Staatlichen Gewerblich-Technischen Berufsbildenden Schulen Gotha die Ausstellung "Die Braune Falle" vom Bundesamt für Verfassungsschutz präsentiert. Mitarbeiter des TLfV begleiteten das Angebot mit ergänzenden Führungen und Vorträgen zum Rechtsextremismus in Thüringen. Das im Berichtsjahr ausgerichtete 11. Symposium des TLfV widmete sich dem Thema "Salafismus - Herausforderung für die freiheitliche Demokratie". Zahlreiche Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Verwaltung und anderen Bereichen der Gesellschaft diskutierten mit den Experten vor dem Hintergrund der wachsenden Salafisten-Szene in Deutschland die aktuelle Situation. Abteilung "Auswertung" Die Abteilung "Auswertung" erhält von der Abteilung "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Links-, Rechtsund Ausländerextremismus/Islamismus sowie frühere, fortwirkende Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR. Sie lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Quellen, zusammen und wertet sie aus. Zudem repräsentiert sie das TLfV in den auf Bundesebene bestehenden gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentren von Verfassungsschutz und Polizei. Darüber hinaus ist sie mit den Verfahren der Postund Telekommunikationsüberwachung (G10) betraut. Abteilung "Beschaffung, Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr" Diese Abteilung hat die Aufgabe, durch Ermittlungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen, Führen von sog. Vertrauensleuten) die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaf10 Informationen zum Verfassungschutz fen. Darüber hinaus obliegt ihr, die unerlaubte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären und Informationen über Bestrebungen der Organisierten Kriminalität in Thüringen zu erheben. "Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz" (TIAZ) Aufgabe der TIAZ, einer Projektorganisation des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und des TLfV ist es, Informationen zu politisch motivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Ausländer" sowie den Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen. Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der "Antiterrordatei" (ATD). Kontakt: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 450 121 99051 Erfurt Telefon: (03 61) 44 06-0 Telefax: (03 61) 44 06-251 Internet: www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz E-Mail: kontakt@tlfv.thueringen.de Thüringer Innenministerium Referat 23 Steigerstraße 24 99096 Erfurt Telefon: (03 61) 37-90 0 Telefax: (03 61) 37-93 111 Internet: www.thueringen.de/de/tim Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 11 II. Rechtsextremismus 1. Überblick 1.1 Das rechtsextremistische Personenpotenzial in der Bundesrepublik Deutschland Das in der NPD unter der Führung von Holger APFEL (Sachsen) maßgebende Konzept der "seriösen Radikalität" blieb intern ebenso umstritten wie er als Vorsitzender der Partei. Auch die Wiederwahl APFELs auf dem Bundesparteitag am 20./21. April in Weinheim (Baden-Württemberg) ließ seine Kritiker nicht verstummen. Mit dem Rücktritt im Dezember sowohl vom Parteivorsitz als auch vom Vorsitz der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag zog er nicht nur die Konsequenzen aus dieser Situation, sondern auch aus Vorwürfen bezüglich eines mutmaßlichen Fehlverhaltens als Privatperson. Mit Udo PASTÖRS (Mecklenburg-Vorpommern) übernahm sein bisheriger Konkurrent um die Führung der Partei kommissarisch seine Aufgaben im Bundesvorstand der NPD. Wenngleich viele in der Partei und im übrigen rechtsextremistischen Spektrum einen Wechsel an der Spitze der NPD begrüßten, warf er die Partei hinsichtlich der angestrebten Außenwirkung im Vorfeld der 2014 beabsichtigten Wahlteilnahmen zurück. Galt es doch, in den eigenen Reihen wieder Geschlossenheit zu erzeugen, um die zumeist ambitionierten Ziele zu erreichen. Dazu zählte auch, den anhaltenden Mitgliederverlust zu stoppen. Im Berichtsjahr gehörten der Partei noch 5.500 (2012: 6.000) Mitglieder an. Der bereits im Vorjahr zum Erliegen gekommene Anstieg des neonazistischen Personenpotenzials kehrte sich im Berichtszeitraum leicht um. Bundesweit wurden diesem rechtsextremistischen Teilspektrum etwa 5.800 (2012: 6.000) Personen zugerechnet. Es ist allerdings wegen seiner weiterhin sehr heterogenen Struktur keine wirklich eigenständige Kraft innerhalb der rechtsextremistischen Szene Deutschlands oder gar ein Gegenpol zur immer noch dominierenden NPD. Das Bekenntnis zum Neonazismus verlagert sich zunehmend in den Bereich des Ideologischen, äußere Erkennungsmerkmale rücken hingegen in den Hintergrund. Der Versuch, sich mittels lose strukturierter Kameradschaften gegen Vereinsverbote zu wappnen, wird inzwischen durch ein Engagement in Parteien wie "DIE RECHTE"1 1 "DIE RECHTE" wurde 2012 vornehmlich von früheren Mitgliedern der 2011 mit der NPD fusionierten Partei "Die Deutsche Volksunion" (DVU) gegründet. Die Partei verfügt über Landesverbände in Baden-Württemberg, Berlin, Nordhrein-Westfalen, Hessen, Brandenburg, Sachsen und Niedersachsen. Bundesvorsitzender ist der in Mecklenburg-Vorpommern ansässige Neonazi Christian WORCH. Dem Landesverband Nordrhein-Westfalen schlossen sich auch frühere Mitglieder inzwischen verbotener Kameradschaften an. 12 Rechtsextremismus ergänzt, um sich unter dem Schutz des Parteienprivilegs weiter organisiert neonazistisch zu betätigen. Die Anzahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten belief sich 2013 bundesweit auf 7.400 (2012: 7.500). Das in dieser Kategorie erfasste Personenpotenzial ist inzwischen sehr heterogen und weist eine Vielzahl von Überschneidungen zu anderen Teilspektren der rechtsextremistischen Szene auf. 1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen Thüringen Bund 2013 2012 2011 2013 NPD 310 330 300 5.500 Neonazis 350 350 300 5.800 Subkulturell geprägte 280 280 300 7.400 Rechtsextremisten Hinsichtlich der Mitgliederzahl der NPD Thüringen war - anders als noch im Vorjahr - ein Abwärtstrend zu verzeichnen. Dies korrespondierte mit dem weiterhin zu beobachtenden Unvermögen der Partei, weder ihre Strukturen noch ihre Organisationsund Mobilisierungsfähigkeit auszubauen. Die Bereitschaft der 17 Thüringer NPD-Kreisverbände, zur Profilbildung der Partei beizutragen, war auch im Jahr 2013 sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einige Gliederungen verharrten in weitgehender Inaktivität, andere versuchten, regelmäßig auch öffentlich in Erscheinung zu treten. Der Bundestagswahlkampf wurde nur von sehr wenigen Kreisverbänden aktiv betrieben. Es engagierten sich insbesondere jene Gliederungen, in denen Mitglieder des Landesvorstands der Thüringer NPD tätig sind. Die angestrebte kommunale Verankerung blieb auch im Berichtszeitraum weiterhin nur Fernziel der Partei. Sofern die mit entsprechenden Mandaten ausgestatteten Vertreter der NPD2 aktiv an den Sitzungen der Stadträte und Kreistage teilnahmen, hielt sich die öffentliche Wahrnehmung ihrer dort entfalteten Aktivitäten in sehr engen Grenzen. Die Anzahl der im Teilspektrum der Neonazis festzustellenden Personen stagnierte zwar auf Vorjahresniveau (2012: 350), die Szene konnte sich damit aber zumindest gegenüber der Thüringer NPD, die Mitgliederverluste zu verzeichnen hatte, weiter konsolidieren. Dies ist u. a. Ergebnis des weiterhin zu beobachtenden Versuchs der Neonaziszene, sich als eigenständige Kraft neben der NPD zu etablieren und verlo- 2 Bei der Kommunalwahl 2009 gingen 23 der insgesamt 10.390 zu vergebenden Mandate an Kandidaten der NPD. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 13 rengegangenes Terrain zurückzugewinnen. Die bereits im Vorjahr vom Vorsitzenden der Thüringer NPD, Patrick WIESCHKE, angekündigte Neuausrichtung der Bündnispolitik mit parteiungebundenen Kräften hat ihren Ursprung nicht zuletzt in diesem anhaltenden Emanzipationsbestreben der Neonaziszene. Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten Rechtsextremisten stabilisierte sich auf Vorjahresniveau (2012: 280). Im Berichtszeitraum fanden acht rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt.3 Als Veranstaltungsstätte diente u. a. ein 2013 im Besitz von Rechtsextremisten befindliches Objekt in Crawinkel. Des Weiteren wurde die "Kammwegklause" in Erfurt vorrangig für rechtsextremistische Liederabende genutzt. 2. Ideologischer Hintergrund Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einer fest strukturierten Ideologie. Es setzt sich aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher ideengeschichtlicher Herkunft zusammen, die innerhalb der jeweiligen Ausprägung des Rechtsextremismus in unterschiedlicher Form zum Ausdruck kommen. Immer wiederkehrende Grundelemente sind: * ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip der Völkerverständigung missachtet, * die Überhöhung des Staats zu einem sich aus sich selbst heraus rechtfertigenden Wert und die Überbetonung der Staatsinteressen gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen (Etatismus), * eine völkische Ideologie, die sich typischerweise zu Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit verdichtet, wobei dem Antisemitismus eine besondere Stellung zukommt, * das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie das Hervorheben angeblich positiver Elemente des Dritten Reichs (Revisionismus). Weitere Elemente stellen die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine Ideologie der Ungleichwertigkeit dar. Antipluralismus und Autoritarismus sind in unterschiedlicher ideologischer Ausdrucksweise bei allen Rechtsextremisten zu finden. 3 Die von verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen angegebene höhere Anzahl rechtsextremistischer Konzertveranstaltungen steht hierbei nicht unbedingt im Widerspruch zu diesen Angaben. Vielmehr unterscheiden sich die Kriterien der jeweiligen Zählweise. So geht man z. B. von Seiten des Verfassungsschutzes bei den in Thüringen inzwischen etablierten rechtsextremistischen Großveranstaltungen wegen ihrer vom Veranstalter gewählten Rechtsform von Parteiveranstaltungen aus, auch wenn für die rechtsextremistische Szene bei dieser grundgesetzlich besonders geschützten Form der Kundgebung die Musikdarbietungen im Vordergrund stehen. 14 Rechtsextremismus So ist das Weltbild subkulturell geprägter und sonstiger gewaltbereiter Rechtsextremisten diffus. Ihre Einstellungen sind von fremdenfeindlichen, oft rassistischen sowie gewaltbejahenden Ressentiments geprägt. Die Überzeugungen von Neonazis orientieren sich in der Regel an nationalsozialistischen Vorstellungen eines totalitären "Führerstaats" auf rassistischer Grundlage. Sie konzentrieren sich stärker auf zielgerichtete politische Aktivitäten, die oftmals sehr aktionistisch angelegt sind. Aus ihrer Sicht ist das deutsche Volk höherwertig und deshalb vor "rassisch minderwertigen" Ausländern oder Juden zu schützen. Bei den rechtsextremistischen Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen gilt die Nation als oberstes Prinzip; damit einher geht eine Abwertung der Menschenund Bürgerrechte. Dies hat insbesondere eine Ablehnung der Gleichheitsrechte für diejenigen zur Folge, die nicht dem - von ihnen ausschließlich ethnisch definierten - "Deutschen Volk" angehören. Sie streben nach einem autoritären Staat, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft gesetzt wäre. Gleichwohl ist bei den rechtsextremistischen Parteien immer wieder auch ein deutlicher Bezug zum Nationalsozialismus festzustellen. Neonazistische Ideologieelemente sind damit in allen Teilspektren des deutschen Rechtsextremismus zu finden. Die Art und Weise, in der diese Ideologieelemente die öffentlich wahrnehmbare Form der politischen Betätigung des jeweiligen Teilspektrums bestimmen, unterscheidet sich letztlich nur graduell - das verbindende Element bleibt zumeist der Nationalsozialismus. Dieser ideologische Hintergrund eint Rechtsextremisten in der Ablehnung wesentlicher Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip und Chancengleichheit für alle politischen Parteien. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 15 3. Rechtsextremistische Parteien 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Bund Thüringen Gründung 1964 1990 Sitz Berlin Eisenach Mitglieder 2013 ca. 5.500 ca. 310 2012 ca. 6.000 ca. 330 2011 ca. 6.300 ca. 300 Publikation "Deutsche Stimme" diverse "Thüringer (DS) Regionalzeitungen" Internet eigener eigener Internetauftritt Internetauftritt 3.1.1 Der Bundesverband der NPD 3.1.1.1 Entwicklung der Partei Die 1964 gegründete NPD versteht sich als Spitze einer nationalistischen Protestbewegung. Unter Führung des von 1996 bis 2011 amtierenden Bundesvorsitzenden Udo VOIGT vollzog die bis dato als "Altherrenpartei" wahrgenommene Partei einen Wandel. Die Verbindungen zum neonazistischen und subkulturellen Spektrum wurden vertieft und ein "Drei-Säulen-Konzept" entwickelt, das 2004 in ein "Vier-SäulenKonzept"4 ausgeweitet wurde. Gemäß einer im September 2004 zwischen der NPD und großen Teilen der Neonaziszene getroffenen Absprache wirken beide Spektren seither offen zusammen. Diese Kooperation basiert auf dem von der NPD propagierten Konzept, die rechtsextremistischen Parteien und "Freien Kräfte" in einer "Volksfront von Rechts" zu bündeln, um als "Gesamtbewegung des nationalen Widerstands" geschlossen gegen das politische System der Bundesrepublik vorzugehen. Die Strategie fand in der extremen Rechten Resonanz und bewirkte eine vorübergehende Aufwärtsentwicklung der NPD, die sowohl bundesweit als auch in Thüringen zu einem Anstieg der Mitgliederzahl führte. Ihre Bemühungen, sich als Gravitationszentrum und stärkste Kraft des rechtsextremistischen Lagers zu etablieren, erreichten 2006 einen Höhepunkt, als die NPD nach 2004 in Sachsen auch in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einzog. Danach trat sie mit gestärktem Selbstbewusstsein auf und verzeichnete bis 2007 stetig wachsende Mitgliederzahlen. Seit 2008 hat sich dieser Trend umgekehrt. Neben ausbleibenden 4 Siehe "Strategie der Partei", Kapitel 3.1.1.3. 16 Rechtsextremismus Wahlerfolgen sah sich die NPD u. a. mit Rückzahlungspflichten, die ihr im Rahmen der Überprüfung der staatlichen Parteienfinanzierung auferlegt worden waren, konfrontiert. Die finanzielle Lage der Partei blieb auch im Beobachtungszeitraum angespannt. Nach der für die NPD erfolglosen Bundestagswahl 2009 beschwor das NPD-Präsidium die Partei als "einzige ernstzunehmende nationale Kraft!" und forcierte in der Folge die Verschmelzung mit der "Deutschen Volksunion - Die neue Rechte" (DVU). Seit deren Vollzug im Januar 2011 führt die NPD den Namenszusatz "Die Volksunion". Der erhoffte Stärkezuwachses trat jedoch nicht ein. Die NPD blieb bei den Landtagswahlen 2011 weitgehend erfolglos. Einzig in Mecklenburg-Vorpommern gelang ihr trotz Stimmverlusten der erneute Einzug in das Landesparlament. Unter dem Druck der offensichtlichen Misserfolge begann im Frühjahr 2011 innerhalb der NPD und ihrem politischem Umfeld eine Diskussion über die künftige strategische Ausrichtung der Partei. Die Debatte betraf insbesondere die Veränderung des Erscheinungsbilds und eine dadurch erhoffte positivere Wahrnehmung. In der Folge setzte sich Holger APFEL auf dem Bundesparteitag am 12./13. November 2011 bei der Wahl zum Bundesvorsitzenden gegen den langjährigen Parteivorsitzenden Udo VOIGT durch, sah sich allerdings fortan zunehmend mit parteiinterner Kritik konfrontiert. Im Januar 2013 wurde unter der Überschrift "Organisierter Wille bedeutet Macht" eine Erklärung zur Gründung von "Freundeskreisen Udo Voigt" verbreitet. Anliegen dieser "Freundeskreise" sei, VOIGT "in seiner politischen Arbeit zum Zusammenschluss aller patriotischen Kräfte [zu] unterstützen". Zu den Unterzeichnern der Erklärung zählte auch der stellvertretende Thüringer NPD-Landesvorsitzende Thorsten HEISE. Er brachte seine Gegnerschaft zur Parteiführung in einem Interview für das rechtsextremistischen Online-TV-Format "FSN-TV" am 17. März zum Ausdruck. Die NPD entspreche demnach nicht seiner Vision der einen, umfassenden Partei, die sich als "parlamentarischer Arm einer weitaus größeren Bewegung versteht" und die "einen lebendigen Diskurs lebt". Trotz wachsender parteiinterner Kritik wurde APFEL dennoch auf dem Bundesparteitag am 20./21. April als Bundesvorsitzender bestätigt. Dem Parteipräsidium gehörten 2013 neben dem Bundesvorsitzenden 11 weitere Personen an, darunter drei stellvertretende Bundesvorsitzende. Einen dieser Stellvertreterposten hatte Frank SCHWERDT, Ehrenvorsitzender des NPD-Landesverbands Thüringen, inne. Der Thüringer Landesverband war außerdem mit Patrick WIESCHKE als Bundesorganisationsleiter im Bundesvorstand vertreten. Dem Bundesvorstand gehörten weitere acht gewählte und ein berufener Vertreter, 11 Landesvorsitzende als berufene Beisitzer sowie die Vorsitzenden der Untergliederungen "Ring Nationaler Frauen" (RNF) und "Kommunalpolitische Vereinigung in der NPD" (KPV) an.5 Die Führungsspitze der NPD blieb männlich dominiert. Neben der Vorsitzenden des RNF waren im Parteivorstand nur zwei weitere Frauen vertreten. 5 Die Zahl der Mitglieder des Bundesvorstands variiert wegen Doppelfunktionen. Im Jahr 2013 waren mehrere Landesvorsitzende und der Vorsitzende der "Jungen Nationaldemokraten" gewählte Mitglieder des Gremiums. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 17 Am 22. September trat die NPD bundesweit zur Bundestagswahl an. Sie erhielt 1,3 % der Zweitstimmen und verlor damit gegenüber der Bundestagswahl 2009 insgesamt 74.865 Stimmen. In Sachsen und Thüringen erreichte sie mit 3,3 bzw. 3,2 % der Zweitstimmen den höchsten Wählerzuspruch. Nur in sechs Wahlkreisen lag ihr Zweitstimmenanteil bei 4 %, so im Wahlkreis 190 (Eisenach-Wartburgkreis-UnstrutHainich-Kreis II), in einem Fall knapp über 5 % (Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 5,1 %).6 Die Direktkandidaten der NPD verzeichneten im Bundesdurchschnitt einen Stimmenanteil von 1,5 %. Nur sechs Kandidaten erhielten einen Stimmenanteil über 5 %, darunter auch jener im Wahlkreis 196 (Sonneberg-Saalfeld-Rudolstadt-Saale-Orla-Kreis) mit 5,2 %. Am 4. Dezember reichte der Bundesrat den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Der Antrag ging auf einen Beschluss des Bundesrats vom 14. Dezember 2012 zurück. Ein erstes Verbotsverfahren gegen die NPD war 2003 eingestellt worden, da eine Sperrminorität des Zweiten Senats des Gerichts die Beobachtung der NPD auf Bundesund Landesvorstandsebene durch V-Leute unmittelbar vor und während des Verfahrens als ein "nicht behebbares Verfahrenshindernis" bewertet hatte. In das neue Verfahren floss hingegen nur Material ein, das nicht unter Einbeziehung von V-Leuten beschafft wurde. Am 19. Dezember trat Holger APFEL überraschend vom Bundesvorsitz der Partei und der Funktion als Vorsitzender der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag zurück. Als Auslöser gab er gesundheitliche Gründe an. Laut einer Stellungnahme des Parteipräsidiums vom 22. Dezember erforderten allerdings "weiterführende Vorwürfe, die Verfehlungen in der Vergangenheit betreffen"7, eine rückhaltlose Aufklärung. Bereits am 24. Dezember erklärte APFEL schließlich seinen Parteiaustritt. Bis zur Neuwahl eines Parteivorsitzenden übernahm Udo PASTÖRS kommissarisch den Parteivorsitz. 3.1.1.2 Ideologie der Partei Die NPD propagiert einen völkischen Kollektivismus und agiert fremdenfeindlich und antisemitisch. Sie strebt nach einer "ethnisch homogenen Volksgemeinschaft", die sich durch "gemeinsame Abstammung, Sprache, geschichtliche Erfahrungen und Wertvorstellungen" definiere. Sie bilde zugleich die Grundlage für die - anstelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - angestrebte "Volksherrschaft". Die pauschale Überbewertung der aufgrund ethnischer Zugehörigkeit definierten "Volksgemeinschaft" beschneidet die vom Grundgesetz garantierte Freiheit, sich persönlich zu entfalten. Die Rechte und Interessen des Einzelnen werden eingeschränkt. 6 Zum Wahlergebnis der NPD in Thüringen s. Kapitel 3.1.2.6. 7 Es handelt sich um den Vorwurf der sexuellen Belästigung in zwei Fällen. 18 Rechtsextremismus Diesen Ansichten wird auch im Parteiprogramm Rechnung getragen. Demnach müsse Deutschland "das Land der Deutschen bleiben" bzw. "dort, wo dies nicht mehr der Fall ist, wieder werden". Für Fremde dürfe es grundsätzlich "kein Bleiberecht geben, sondern nur eine Rückkehrpflicht in ihre Heimat". Die "Systemparteien" hingegen nutzten Einwanderung und Überfremdung als Mittel, um sich "durch Austausch des Volkes an der Macht [zu] halten". In der von der NPD propagierten Gesellschaftsordnung sollen autoritäre Eliten vorherrschen. Der Anspruch auf Führerschaft steht im Widerspruch zum pluralistischen Mehrparteiensystem der Bundesrepublik. Im Juli 2012 veröffentlichte die NPD eine Neuauflage der von Jürgen GANSEL8 erarbeiteten Schrift "WORTGEWANDT Argumente für Mandatsund Funktionsträger". Die darin enthaltenen Thesen skizzieren die angestrebte völkische Gemeinschaft und ihre Ablehnung individueller Grundrechte. "In Deutschland haben Moslems und ihre Religion nichts verloren!" und "Nur ethnisch geschlossene Gesellschaftskörper mit geringem Ausländeranteil sind solidarund belastungsfähig", heißt es dort. Als übergeordnetes Subjekt wird die Volksgemeinschaft deklariert, zu der man nur durch Geburt gehört. "Angehörige fremder Rassen" blieben "körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper". 3.1.1.3 Strategie der Partei Das "Vier-Säulen-Konzept", das den "Kampf um die Straße, die Köpfe, die Parlamente und den organisierten Willen" umfasst, bildete auch im Berichtszeitraum die Basis für die politische Agitation der NPD. "Kampf um die Straße" Diesem Ansatz folgend organisiert die NPD zentrale Großveranstaltungen ebenso wie regionale Demonstrationen, an denen sich auch Neonazis und subkulturelle Rechtsextremisten beteiligen. Oftmals werden Termine und Orte für Aktionen so gewählt, dass mit einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit und Gegenaktionen zu rechnen ist. Zielgerichtet werden soziale und sog. Alltagsthemen aufgegriffen, um sich als Teil einer Protestbewegung zu geben, innerhalb derer einzig die NPD die Interessen des "kleinen Mannes" vertrete. Vielmehr noch als nur die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung wahrzunehmen, meint die NPD, mit dem "Kampf um die Straße" Stärke suggerieren, potenzielle politische Gegner einschüchtern und sie aus dem öffentlichen Raum verdrängen zu können. 8 Beisitzer im Landesvorstand der NPD Sachsen, seinerzeit Mitglied der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 19 "Kampf um die Köpfe" Der "Kampf um die Köpfe" zielt darauf ab, die von der NPD vertretenen Ideen mittels "Einbindung von Persönlichkeiten" und über die Bildung "intellektueller Netzwerke" in breiteren Kreisen der Gesellschaft zu verankern. Bislang beschränkt sich der "Kampf um die Köpfe" auf den Versuch, die eigenen Mitglieder politisch zu schulen, die Programmatik der Partei mit Flugblättern zu verbreiten und die Monatszeitung "Deutsche Stimme" zu vertreiben. An Bedeutung zugenommen haben jedoch auch Versuche, über die kostenlose Verteilung von regionalen Zeitungen breitere Personengruppen zu erreichen. In Thüringen gibt es ein derartiges Projekt seit März 2010.9 Mit der "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" verfügt die NPD über ein eigenes Publikationsorgan des Parteivorstands, dem ein Versandhandel für rechtsextremes Propagandaund Werbematerial angeschlossen ist. Unter der Bezeichnung "offensiv.tv" veröffentlicht die Partei eigene Spots im Internet. Über Seminare und Publikationen des "Bildungswerks für Heimat und nationale Identität e. V." will die Partei "politische Bildungsarbeit" betreiben und die "Denkansätze der 'Dresdner Schule'10" im öffentlichen Diskurs popularisieren. Mit der Einrichtung verfolgt die NPD darüber hinaus die Absicht, sich zum Kristallisationspunkt jener Bestrebungen zu entwickeln, die auf die Intellektualisierung des rechtsextremistischen Lagers ausgerichtet sind. Gleichermaßen ist sie bestrebt, die Parteiarbeit zu intensivieren, indem sie der Partei nicht zugehörige Intellektuelle einzubinden sucht. Bislang zeigten diese Bemühungen jedoch kaum Erfolg. Auch die Übernahme der Zeitschrift "Hier & Jetzt" vom sächsischen Landesverband der "Jungen Nationaldemokraten" (JN)11 Ende 2009 änderte daran nichts. "Kampf um die Parlamente" Mit dem "Kampf um die Parlamente" verfolgt die NPD die wohl spannungsreichste Strategie im rechtsextremistischen Lager, die ihr als Gravitationszentrum der "Volksfront von Rechts" intern ein hohes Maß an Rechtfertigungsdruck auferlegt. Sie selbst versteht sich eigentlich als parlamentsfeindlich und kommuniziert dies auch so an die eigenen Anhänger. Nicht selten sehen sich die Parteiführung und verschiedene NPD-Abgeordnete mit dem Vorwurf - insbesondere des neonazistischen Spektrums - konfrontiert, das Streben nach Parlamentssitzen weniger als Mittel des Kampfs gegen das herrschende politische System zu verstehen, sondern als persönliches Versorgungswerk zu missbrauchen. Dabei ist der Kampf um die Parlamente ein wesentlicher Teil der legalistischen Strategie der NPD. Sie will über den Einzug in die Kerninstitutionen der Demokratie diese selbst abschaffen. Das vom ehemaligen NPD-Bundesver- 9 Siehe Kapitel 3.1.2.5. 10 Von Jürgen GANSEL entworfenes Konzept einer rechtsextremistischen "Denkund Politikschule". 11 Siehe Kapitel 3.1.3. 20 Rechtsextremismus bandsvorsitzenden APFEL verfolgte Konzept der "seriösen Radikalität" heizte vorgenannte Kritikpunkte an. Teile der neonazistischen "Freien Kräfte" vermuteten, APFEL beabsichtigte durch den Verzicht auf allzu extremistische Positionen Distanz zum neonazistischen Lager zu schaffen, um somit die NPD für weitere Wählerschichten zu öffnen. Sie deuten dies als Verrat an der reinen Lehre und zugleich als Versuch, die Partei gegen ein mögliches Verbot zu immunisieren. "Kampf um den organisierten Willen" Die NPD verfolgt den "Kampf um den organisierten Willen" in der Absicht, "möglichst alle nationalen Kräfte" zu konzentrieren, um so die Macht zu erlangen. Diese "Volksfront von Rechts" strebt die NPD seit 2004 an. Ziel ist, eine engere Kooperation mit Neonazis, rechtsextremistischen Parteien sowie subkulturellen Rechtsextremisten zu erreichen, um sowohl die personellen als auch strukturellen Ressourcen des gesamten Spektrums zu bündeln. Seitdem näherten sich rechtsextremistische Parteien und Organisationen der NPD in unterschiedlicher Form an. Ein Beispiel für die Umsetzung des Konzepts war die Verschmelzung mit der DVU im Januar 2011. 3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD 3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands Im Zuge des gegen die NPD im Jahr 2001 angestrengten Verbotsverfahrens schränkte der Thüringer Landesverband der NPD seine bis dahin enge Zusammenarbeit mit Neonazis offensichtlich aus rein taktischen Gründen vorübergehend ein. Nach Einstellung des Verfahrens im Jahr 2003 wurde die gekappte Kooperation fortgesetzt und damit ein Aufwärtstrend des Landesverbands eingeleitet. Im Jahr 2007 erreichte er mit 550 Mitgliedern einen personellen Höchststand. Innerparteiliche Grabenkämpfe sowie die bei den Landtagsund Bundestagswahlen im Jahr 2009 erlittenen Niederlagen führten allerdings in den Folgejahren zu einem deutlichen Mitgliederrückgang und beeinträchtigten die Aktionsund Mobilisierungsfähigkeit erheblich. Nachdem der Landesverband seine Mitgliederzahl 2012 wieder geringfügig auf 330 erhöhen konnte, sank sie im Berichtszeitraum erneut auf 310 ab. Auf Bundesebene erlangt der Thüringer Landesverband über seinen Vorsitzenden Patrick WIESCHKE und den Ehrenvorsitzenden Frank SCHWERDT sowie den bundesweit bekannten Neonazi Thorsten HEISE Bedeutung. SCHWERDT und WIESCHKE gehören dem Bundesvorstand der NPD an, wobei SCHWERDT die Funktion eines stellvertretenden Vorsitzenden inne hat und zudem das "Amt Recht" betreut. WIESCHKE fungiert als Bundesorganisationsleiter. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 21 3.1.2.2 Kreisverbände Im Berichtszeitraum war der Landesverband in folgende 17 Kreisverbände untergliedert: Schmalkalden-Meiningen/Suhl, Altenburger Land, Eichsfeld, Erfurt/Sömmerda, Gera, Gotha, Greiz, Hildburghausen, Ilmkreis, Jena/Saale-Holzland-Kreis, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Saale-Orla-Kreis, Saalfeld-Rudolstadt/Sonneberg, Unstrut-Hainich-Kreis, Wartburgkreis sowie Weimar/Weimarer Land. Ihre Aktionsfähigkeit blieb weiterhin sehr heterogen. Während z. B. die Untergliederungen Wartburgkreis, Gera, Eichsfeld, Nordhausen und Kyffhäuserkreis bestrebt waren, ihre Parteiarbeit öffentlichkeitsund medienwirksam zu gestalten, traten die Kreisverbände Hildburghausen, Ilmkreis, Greiz, Altenburg und Saale-Orla-Kreis nach außen praktisch gar nicht in Erscheinung. Welche Aktivitäten von einem Kreisverband ausgehen und wie hoch deren Anziehungskraft auf Gesinnungsgenossen ist, hängt wesentlich vom Engagement der Funktionäre und dem einzelner Aktivisten ab. Die Mehrzahl der NPD-Mitglieder jedenfalls scheint weiterhin weder willens noch in der Lage, eine kontinuierliche Parteiarbeit zu leisten. Sie nimmt lediglich mehr oder minder regelmäßig an einzelnen Szeneveranstaltungen teil. Die geringe Aktivistenbreite wird immer wieder im Zusammenhang mit "Aktionswochen" des Landesverbands deutlich, an denen regelmäßig neben einem Stamm von NPD-Funktionären nur wenige weitere Personen teilnehmen. Verschiebungen gab es bezüglich der bei der Kommunalwahl 2009 errungenen 23 Mandate. Ein Mandatsträger distanzierte sich von der Partei und erfüllt sein Mandat seitdem parteiunabhängig. Im November 2011 trat der Vorstand des NPD-Kreisverbands Greiz geschlossen zurück; all seine Mitglieder erklärten zugleich den Austritt aus der Partei. Somit dürften die zwei vormals im Kreistag gehaltenen Mandate sowie eines im Stadtrat ebenfalls nicht mehr der NPD zugerechnet werden können - der Landesverband führt sie allerdings weiterhin auf seiner Homepage auf. Zusätzlich rechnet sich der Landesverband zwei Mandate im Stadtrat Lauscha zu, die durch die frühere DVU errungen wurden. Während die Arbeit einiger NPD-Mandatsträger kaum wahrnehmbar war, nutzten andere beispielsweise die Websites ihrer Kreisverbände als Darstellungsmedium oder richteten, wie die NPD-Fraktion im Stadtrat Eisenach, eigens eine Homepage ein. Ihr Einfluss auf die Kommunalpolitik blieb insgesamt jedoch ohne nennenswerte Impulse. 3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung Die noch im Vorjahr zu verzeichnende leichte Steigerung der Mitgliederzahl des Landesverbands kehrte sich im Berichtszeitraum ins Gegenteil. Die schwach ausgeprägte Mobilisierungsund Aktionsfähigkeit der Partei dürfte hierfür ausschlaggebend sein. 22 Rechtsextremismus Patrick WIESCHKE stand unverändert an der Spitze des NPD-Landesverbands. Sein Vorgänger, der langjährige Landesvorsitzende Frank SCHWERDT, blieb Ehrenvorsitzender der Thüringer NPD. Als stellvertretende Landesvorsitzende amtierten im Berichtszeitraum Gordon RICHTER, der Vorsitzende des Kreisverbands Gera, sowie Thorsten HEISE, Vorsitzender des Kreisverbands Eichsfeld. Als Beisitzer gehörten dem Landesvorstand die Kreisverbandsvorsitzenden Patrick WEBER (Kyffhäuserkreis), Roy ELBERT (Nordhausen), Jan MORGENROTH (Weimar/Weimarer Land), Hendrik HELLER (Wartburgkreis), Sebastian REICHE (Gotha) und Monique MÖLLER (Unstrut-Hainich-Kreis) sowie der stellvertretende Vorsitzende im Kreisverband Wartburgkreis, Tobias KAMMLER, an. 3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen Rechtsextremisten Verhältnis zur Neonaziszene Das Verhältnis zwischen NPD-Landesverband und Neonazis ist in Thüringen traditionell vor allem durch Integration und Kooperation gekennzeichnet. Die NPD zeigte sich in den vergangenen Jahren als dominierende Kraft innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Ihr gelang es, maßgebliche Personen des neonazistischen Spektrums in die Parteiarbeit einzubeziehen und an sich zu binden. Fast alle Mitglieder des Landesvorstands und die meisten Kreisverbandsvorsitzenden waren deshalb ursprünglich im neonazistischen Spektrum aktiv. Einige NPD-Funktionäre fungierten zugleich als Führungspersonen lokaler neonazistischer Gruppierungen. Bei Thorsten HEISE war dies auch 2013 noch der Fall. Die Kooperation beider Spektren äußert sich insbesondere in der gemeinsamen Organisation von Veranstaltungen und Kampagnen. Teilnehmer, Redner und Ordner treten oftmals auch auf Veranstaltungen des jeweils anderen Spektrums auf. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 23 Insgesamt war es dem Thüringer Landesverband der NPD im Laufe eines längeren Prozesses gelungen, das neonazistische Personenpotenzial bis 2009 weitgehend zu integrieren, wodurch dieses seine frühere Eigenständigkeit innerhalb des rechtsextremistischen Lagers einbüßte. Einzelne Neonazis, die sich dennoch neben der NPD zu behaupten suchen, unterstützten die Partei in der Regel auf Kreisund Landesverbandsebene. Trotzdem stößt die NPD bzw. ihr Versuch eines taktisch motivierten moderaten Auftretens in der Öffentlichkeit bei Teilen der Neonaziszene auch auf erhebliche Kritik. So werden die von der NPD für ihre Veranstaltungen aufgestellten Verhaltensund Bekleidungsregeln kategorisch abgelehnt. Vielen parteiungebundenen Neonazis fehlt es in der Außendarstellung der NPD an der Deutlichkeit der vertretenen Positionen, manchen auch an dem aus ihrer Sicht erforderlichen revolutionären Ansatz. So führte die schwindende Aktionsfähigkeit der NPD im Berichtszeitraum auch dazu, dass sich auf lokaler Ebene wieder parallele neonazistische Strukturen bildeten. Die zahlenmäßige Konsolidierung "Freier Kräfte" gegenüber der NPD belegt dies anschaulich. Eine ausgeprägte Konkurrenzsituation ist dadurch jedoch nicht entstanden. Die "Freien Kräfte" sind vielmehr als aktionsorientierter Arm des rechtsextremistischen Spektrums zu werten. Zudem ist das Verhältnis trotz Separierungsbestrebens seitens der "Freien Kräfte" auch weiterhin durch Kooperation geprägt. Mit Blick auf die Landtagswahlen 2014 kündigte der Landesverband eine bessere Zusammenarbeit an. Inhaltliche Übereinstimmungen, die auch zur gegenseitigen Unterstützung der jeweiligen Aktivitäten führten, zeigten sich 2013 vor allem beim Thema "Asyl". Sowohl die NPD als auch die neonazistische Szene instrumentalisierte dieses Thema für fremdenfeindliche Hetze. Bei der Mobilisierung zu rechtsextremistischen Protestveranstaltungen in Zusammenhang mit der Einrichtung von Asylbewerberunterkünften wurde sowohl zur gegenseitigen Teilnahme aufgerufen als auch wechselseitig auf Redner zurückgegriffen. Verhältnis zum subkulturellen Spektrum Um das subkulturelle rechtsextremistische Spektrum zu umwerben, setzt der NPDLandesverband nach wie vor auf Veranstaltungen, die einen Mix aus Parteipropaganda und rechtsextremistischer Musik darstellen. Die keine eigenständigen politischen Aktionen entfaltenden subkulturell geprägten Rechtsextremisten fühlen sich davon durchaus angesprochen und erhöhen so das Mobilisierungspotenzial der Partei. Da sie - sofern überhaupt - lediglich regional organisiert sind, basieren die Verbindungen zur NPD zumeist auf persönlichen Kontakten und sind lokal begrenzt. 3.1.2.5 Publikationen und Internetpräsenz Um Intensivierung seiner Öffentlichkeitsarbeit bemüht, konzentrierte sich der Landesverband nahezu ausschließlich auf sein Projekt "Thüringer Regionalzeitungen", mit dem flächendeckende Präsenz im Freistaat erreicht werden soll. Weiterhin verfügten nicht alle Kreisverbände über eine eigene Internetpräsentation; auch die bestehenden Seiten wurden zum Teil kaum gepflegt. 24 Rechtsextremismus Projekt "Thüringer Regionalzeitungen" Im Beobachtungszeitraum führte der Landesverband sein Zeitungsprojekt fort. Anders als in den Vorjahren erschienen allerdings nur zwei Ausgaben im Mai und August. Mit dem Ende März 2010 gestarteten Projekt wolle man "den Lesern fernab der gleichgeschalteten Presse ein Gegenmedium" anbieten, "das kontinuierlich nationale Positionen verbreitet und wesentlich zum Ziel der kommunalen Verankerung der NPD beiträgt", hieß es in dem entsprechenden Beitrag auf der Website des NPDLandesverbands. Das Projekt habe sich inzwischen "als starke[r] Faktor in der links dominierten Medienlandschaft im Freistaat etabliert". Die NPD gibt sich überzeugt, durch "diese Daueroffensive die Menschen im Freistaat zum Umdenken" bewegen zu können. Die Gesamtauflage gab der Landesverband zuletzt mit 180.000 Exemplaren an. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Regionalblätter: * "Bürgerstimme!" (Region Erfurt), * "Weimarer Landbote" (Region Weimar/Weimarer Land), * "Eichsfeldstimme" (Region Eichsfeld), * "Der Nordthüringen Bote" (Regionen Kyffhäuserkreis und Unstrut-Hainich-Kreis), * "Der Rennsteig Bote" (Region Gotha), * "Wartburgkreis Bote" (Region Eisenach/Wartburgkreis), * "Ostthüringen Bote" (Region Ostthüringen), * "Südthüringen Stimme" (Südthüringen), * "Saale Stimme" (Region Saalfeld-Rudolstadt, Jena, Saale-Holzland-Kreis und Saale-Orla-Kreis) und * "Faktum" (Landkreis Nordhausen). Die Ausgaben enthielten einen identischen überregionalen Teil, ergänzt um Berichte zu regionalen Themen. Die Redaktion oblag den NPD-Funktionären Patrick WIESCHKE und Tobias KAMMLER. Regionale Redakteure und weitere Mitglieder des Landesvorstands wirkten unterstützend mit. KAMMLER fungierte zudem als Koordinator des Projekts. Die Zeitungen konnten im Internet über eine zentrale Seite des Landesverbands eingesehen werden. Für die Blätter "Wartburgkreis Bote" und "Nordthüringen Bote" existierten eigene Homepages. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 25 Im Ergebnis der Landtagswahl 2009 hatte der NPD-Landesvorstand insbesondere die unzureichende kommunale und regionale Präsenz der Partei und die daraus resultierenden mäßigen Ergebnisse bei der Kommunalwahl als Gründe für das erneute Scheitern der NPD ausgemacht. Mit Hilfe des Zeitungsprojekts sollte diesem Mangel begegnet werden. Nicht zuletzt deshalb kamen in den vorgenannten Regionalzeitungen auch die kommunalen Mandatsträger der NPD zu Wort, deren Aktivitäten ansonsten weitestgehend ohne Außenwirkung blieben und keine mediale Beachtung fanden. Innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums erfuhr das Projekt auch überregionale Resonanz. Internet Der Landesverband und die Kreisverbände Eichsfeld, Erfurt/Sömmerda, Gera, Gotha, Jena/Saale-Holzland-Kreis, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Saalfeld-Rudolstadt/Sonneberg, Unstrut-Hainich-Kreis, Wartburgkreis und Weimar/Weimarer Land betrieben jeweils eigene Websites, die allerdings in unterschiedlichem Maße aktualisiert wurden. Zudem unterhielt die NPD-Fraktion im Stadtrat Eisenach eine eigene Internetpräsenz. Darüber hinaus betätigten sich Thüringer NPD-Untergliederungen bei Facebook und Twitter. Vorzugsweise sind Berichte zu regionalen und überregionalen Veranstaltungen und Aktionen, aber auch Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen oder Videos veröffentlicht worden. Seit Mai 2012 unterhält der Landesverband zudem einen Videokanal bei YouTube unter der Bezeichnung "NPD Thüringen TV". 3.1.2.6 Aktivitäten des Landesverbands und seiner Untergliederungen Der Partei gelang es im Beobachtungszeitraum erneut nur begrenzt, sich mit einzelnen Veranstaltungen in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Insgesamt stand die Agitation gegen das politische System der Bundesrepublik, die etablierten Parteien sowie die Politik der Länder und Kommunen im Zentrum ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Mit den Schwerpunkten "Ausländerpolitik/Islamismus" sowie "Sozialabbau" und "Abwanderung" war die Partei wiederum bestrebt, in Städten und Gemeinden hervorzutreten, Rückhalt in der Bevölkerung zu finden und als Sachverwalter der "kleinen Leute" wahrgenommen zu werden. Im Vergleich zu den Vorjahren zeigte die NPD ihre rassistischen Grundpositionen im Jahresverlauf wieder deutlicher. In der jüngeren Vergangenheit hatte sie diese oft über ihre Ablehnung des Islam artikuliert. Vor allem in der zweiten Jahreshälfte 2013 griff die NPD wieder verstärkt die Asylproblematik auf. Sie bildete ein Schwerpunktthema im Bundestagswahlkampf der Partei. Zudem instrumentalisierte die NPD Proteste von Anwohnern gegen Asylbewerberheime in verschiedenen Orten der Bundesrepublik. In Thüringen griff sie Anwohnerproteste in Beichlingen auf und beteiligte sich an demonstrativen Aktionen gegen ein Asylbewerberheim in Greiz. 26 Rechtsextremismus Landesparteitag der NPD am 16. Februar Am 16. Februar fand in Kirchheim ein Landesparteitag der Thüringer NPD unter dem Motto "Wir verändern Thüringen" statt. Zentraler Punkt des Parteitags war die Wahl der Kandidaten für die NPD-Landesliste zur Bundestagswahl 2013. Des Weiteren bestätigten die Delegierten diverse Anträge des Landesvorstands, z. B. auf Abschaffung von Umweltzonen, Umsetzung von Abschiebungen, Schaffung von regulären Beschäftigungsverhältnissen, einen Mindestlohn von 8,80 Euro oder Ablehnung des Sicherheitskonzepts in Fußballstadien. Der Landesvorsitzende Patrick WIESCHKE und die Vorsitzende des "Rings Nationaler Frauen" (RNF)12 traten als Redner auf. Einen Tagesordnungspunkt bildete die "Verleihung" des "Politischen Armleuchters des Freistaats Thüringen"13 an die Thüringer Ministerpräsidentin. Der entsprechende Redebeitrag von WIESCHKE enthielt zahlreiche Beleidigungen, aber auch typische Ideologieelemente der NPD, z. B. eine ablehnende Haltung zu Einwanderungsfragen und nostalgisch verbrämte Äußerungen über Soldatentum und Vertreibung. Als WIESCHKE am 20. Februar zwecks Übergabe des "Preises" vor der Staatskanzlei erschien, wurde ihm der Zutritt zu dem Gebäude verwehrt. Der NPD-Landesverband veröffentlichte später ein Video der Aktion auf seiner Homepage. Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen Das öffentlichkeitswirksame Engagement der NPD bewegte sich im Vergleich zum Vorjahr auf einem quantitativ höheren Niveau. Die Zahl der Teilnehmer fiel hingegen deutlich niedriger aus. Die anhaltend schwache personelle Basis der Partei wurde vor allem während einer "Aktionswoche" im Mai und im Vorfeld der Bundestagswahl offenbar. So erreichten die in diesem Zusammenhang durchgeführten Kundgebungen und Informationsstände weder die vom Veranstalter erwartete personelle Unterstützung noch die angestrebte landesweite Wahrnehmung. Neben Informationsständen und Mahnwachen führte die Partei im Jahresverlauf 32 Kundgebungen und Demonstrationen (2012: 18) mit insgesamt etwa 1.830 Teilnehmern (2012: 2.400) durch. Einige Veranstaltungen verzeichneten lediglich Teilnehmerzahlen im einstelligen Bereich. Die Aktivitäten erfolgten zum größten Teil in Kooperation mit dem neonazistischen Spektrum. 12 Siehe Kapitel 3.1.4. 13 Der "Armleuchter" erinnert in seiner Form an eine Menora. Drei Arme des Kerzenhalters sind ausgeprägt, drei weitere nur an der Basis vorhanden. Würden diese sowie die Mittelstange fortgeführt, ergäbe sich die traditionelle Form des siebenarmigen jüdischen Symbols. Es liegt nahe, dass die NPD dabei an eine bei Rechtsextremisten übliche Verunglimpfung der Bundesrepublik Deutschland als "Judenrepublik" anknüpft. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 27 Mit der 11. Kundgebung "Rock für Deutschland" in Gera und dem "Nationalen Kundgebungstag" in Leinefelde hielt der Landesverband an seiner Strategie fest, rechtsextremistische Musik mit politischer Agitation zu verbinden. Ziel dabei ist es, den Teilnehmerkreis für öffentlichkeitswirksame Aktionen der Partei zu vergrößern, die Akzeptanz der NPD im aktionsorientierten rechtsextremistischen Spektrum zu steigern und in der Öffentlichkeit stärkere Präsenz zu zeigen. Anti-Islam-Kampagne der NPD in Eisenach Am 16. März führte der NPD-Kreisverband Wartburgkreis in Eisenach eine Kundgebung unter dem Motto "Keine Moschee in Eisenach - Wehret den Anfängen" durch. Entgegen parteieigenen Angaben beteiligten sich nicht 250, sondern ca. 70 Personen an der Versammlung. Patrick WIESCHKE und Tobias KAMMLER hielten während der Kundgebung Reden. Teilnehmer trugen T-Shirts und Schilder mit dem auch von der "Bürgerbewegung pro Deutschland" genutzten Symbol einer durchgestrichenen Moschee. Die Kundgebung sowie zwei Informationsstände waren Teil von "Aktionswochen der Eisenacher NPD gegen die Gefahr der Islamisierung". Mit auch im Internet abrufbaren Flugblättern mobilisierte die Partei nicht nur gegen eine Moschee in Eisenach, sondern forderte auch die Ausweisung "krimineller Ausländer". Die Vermietung mehrerer Räume in Eisenach als muslimische Gebetsstätten bezeichnete die NPD als Anzeichen für eine "schleichende Islamisierung der Wartburgstadt". Zudem verwies sie auf den Facebookauftritt einer angeblich überparteilichen Initiative "Keine Moschee in Eisenach", die vom NPD-Kreisverband Wartburgkreis unterstützt wurde. Die dortigen Verlautbarungen deuteten jedoch eher auf eine NPD-Urheberschaft hin. Es handelte sich offenbar um einen Versuch der NPD, überparteiliches Interesse an der Problematik und Rückhalt außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums vorzugaukeln. 28 Rechtsextremismus "Nationaler Kundgebungstag" am 4. Mai in Leinefelde Bereits zum dritten Mal in Folge fand in Leinefelde die vormals als "NPD-Eichsfeldtag" und nunmehr als "Nationaler Kundgebungstag" bezeichnete Veranstaltung des NPDKreisverbands Eichsfeld statt. Anmelder war ein Rechtsextremist aus Niedersachsen. Er trat auch als Versammlungsleiter auf, als seine Stellvertreter fungierten die Funktionäre des NPD-Kreisverbands Eichsfeld, Thorsten HEISE und Matthias FIEDLER. Im Laufe der Veranstaltung fanden sich ca. 400 Personen auf dem Veranstaltungsgelände ein (2012: 950). Als Redner traten neben Thorsten HEISE, Patrick WIESCHKE und Udo VOIGT auch zwei Rechtsextremisten aus Hessen bzw. Niedersachsen auf. Zudem kamen Vertreter verschiedener Interessengruppen und Aktionsbündnisse zu Wort, so z. B. des "BündnisZukunft-Hildburghausen" (BZH)14. Das Musikprogramm bestritten die rechtsextremistischen Bands "Sleipnir" (Nordrhein-Westfalen), "Strafmass" (Bremen) und "Words of Anger" (Schleswig-Holstein) sowie der Liedermacher "Torstein" (Thüringen). Aktionswoche der NPD im Rahmen des Bundestagswahlkampfs Am 11. Mai eröffnete die NPD bundesweit ihren unter dem Slogan "Natürlich Deutsch" stehenden Bundestagswahlkampf mit einem Aktionstag. In Thüringen führte die Partei eine Kundgebung unter dem Motto "Energieund Spritpreise - Bürger entlasten" in Bad Salzungen durch. Der Veranstaltung folgten in der Zeit vom 14. bis 17. Mai weitere Kundgebungen in Nordhausen, Sondershausen, Gotha, Eisenach, Weimar, Gera, Greiz, Suhl und Rudolstadt. Den Abschluss der Aktionswoche bildete eine Demonstration am 18. Mai in Sonneberg. Alle Veranstaltungen standen unter dem Motto "Zukunft für Deutschland - Nationale Interessen durchsetzen". Die anhaltend schwache Mobilisierungsfähigkeit der Partei kam bei der Demonstration in Sonneberg zum Ausdruck, als trotz Unterstützung durch "Freie Kräfte" weniger als 60 Personen teilnahmen. In seiner Anmeldung war der Landesverband von 100 bis 250 Teilnehmern ausgegangen. 14 Siehe Kapitel 4.4.2. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 29 11. Kundgebung "Rock für Deutschland" am 6. Juli in Gera Die Anmeldung der Kundgebung ging auf den Vorsitzenden des NPD-Kreisverbands Gera, Gordon RICHTER, zurück. Mit 711 Besuchern lag die Teilnehmerzahl nicht nur weit hinter den Erwartungen des Veranstalters (1.200), sondern auch unter jener des Vorjahrs (ca. 990). Vor Zutritt zum Veranstaltungsgelände war ein "Beitrag" zu entrichten. Die Mobilisierung erfolgte u. a. über die eigens dafür eingerichtete Internetseite und eine bei Facebook erstellte Veranstaltungsseite. Darüber hinaus warben die Veranstalter über Verlinkungen auf zahlreichen Szeneseiten sowie mittels Flyer. Auch in einschlägigen Foren wurde die Veranstaltung thematisiert, verbunden mit der Ankündigung von Szenebands, Rednern und Informationsund Verkaufsständen. Neben der Eröffnungsrede von Gordon RICHTER lieferten u. a. der ehemalige NPD-Landesvorsitzende Thüringen, Frank SCHWERDT, ein Mitglied des Bundesvorstands des RNF und weitere Rechtsextremisten aus Bayern und Rheinland-Pfalz Redebeiträge. Diese erfolgten jeweils im Wechsel mit den Auftritten der rechtsextremistischen Bands "Frontfeuer", "Exzess" (jeweils Brandenburg), "Die Lunikoff-Verschwörung" (Berlin) und "Stimme der Vergeltung" (Mecklenburg-Vorpommern). Mit der Veranstaltungsreihe15 werden sowohl finanzielle als auch politische Anliegen verfolgt. So bietet sie den Organisatoren sowie den an der Durchführung der Veranstaltung Beteiligten eine durchaus beachtliche Einnahmequelle. Darüber hinaus wird eine Kombination von rechtsextremistischer Propaganda und entsprechender Musik dargeboten, um insbesondere in ihrer Einstellung noch nicht gefestigte Jugendliche zu erreichen und schrittweise für die NPD zu gewinnen. Es fanden zahlreiche Gegenveranstaltungen statt. 15 Sie wird seit 2003 jährlich von der NPD organisiert. 30 Rechtsextremismus Abschneiden bei der Bundestagswahl am 22. September Die Wahlergebnisse der NPD gestalteten sich in Thüringen sehr heterogen. Während sie in 45 Kommunen unter 1 % der Zweitstimmen erhielt, lag der Anteil in 20 Gemeinden bei 10 % oder darüber. Den höchsten prozentualen Anteil erzielte die NPD in der Gemeinde Troistedt (Landkreis Weimarer Land) mit 15,5 % (entspricht 17 von 110 gültigen Stimmen). Bei der Mehrzahl der Landkreise und kreisfreien Städte bewegte sich der Zweitstimmenanteil unter 4 %. Ausnahmen bildeten der Wartburgkreis sowie der Landkreis Saalfeld-Rudolstadt mit jeweils 4 %. Im Landkreis Eichsfeld und den kreisfreien Städten Suhl, Erfurt, Weimar und Jena verbuchte die NPD weniger als 2 bzw. 3 % der Zweitstimmen. Einzig in Eisenach entfielen 4,8 % der Zweitstimmen auf die NPD. Die höchsten prozentualen Zuwächse gegenüber den Ergebnissen bei der Bundestagswahl 2009 gelangen der Partei in Eisenach (+1,5 %), dem Kyffhäuserkreis (+0,7 %) und dem Saale-Holzland-Kreis (+0,5 %). Dem standen Anteilsverluste u. a. in den Landkreisen Saalfeld-Rudolstadt (-0,6 %), dem Ilm-Kreis (-0,6 %) und dem Saale-Orla-Kreis (-0,4%) gegenüber. Bis auf Eisenach verlor die NPD in den kreisfreien Städten Stimmenanteile, am stärksten in Weimar (-0,3%). Auch in den Städten mit mehr als 10.000 Wahlberechtigten erhielt die NPD meist Werte unter dem Landesdurchschnitt von 3,2 %. Lediglich in Sondershausen (4,0 %), Greiz (3,3 %), Sonneberg (3,8 %) und Sömmerda (3,3 %) lag sie darüber. Teilweise profitierte die NPD auch von der geringen Wahlbeteiligung. So erzielte sie in 41 der 58 Kommunen mit einer Wahlbeteiligung von maximal 55 % überdurchschnittliche Ergebnisse. In einzelnen Gemeinden profitierte sie dabei besonders stark, z. B. in Lichte (9,0 % - Wahlbeteiligung 45,1 %), Guthmannshausen (10,8 % - Wahlbeteiligung 43,4 %), aber auch in der Stadt Hildburghausen (4,8 % - Wahlbeteiligung 51,8 %). Man habe "Rückenwind" erhalten und ein "respektables Ergebnis" erreicht, so die Einschätzung der Thüringer NPD zu ihrem Abschneiden. Auch durch die "kontinuierliche Graswurzelarbeit in Form des Thüringer Regionalzeitungsprojektes" sei man "viertstärkste Kraft" in Thüringen geworden.16 Der Bundestagswahlkampf der NPD verlief in Thüringen relativ schleppend. Anlässlich des bundesweiten Wahlkampfauftakts fand am 11. Mai in Bad Salzungen eine Kundgebung statt. Deutlich zeitversetzt - mit einer Kundgebung am 17. August in Erfurt - eröffnete der NPD-Landesverband den Wahlkampf in Thüringen. Danach führte die Partei am 7. und 14. September 16 Verteilung der Erststimmen in Thüringen: CDU 41,3 %, DIE LINKE 24,3 %, SPD 19,2 %, Bündnis 90/Die Grünen 3,7 %, NPD 3,7 %, Piraten 2,5 %, Rest Sonstige. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 31 sog. Aktionstage durch. Dabei wurden Plakatierungen vorgenommen, Flugblätter verteilt sowie Informationsstände und Kundgebungen in Gera, Weimar und Nordhausen durchgeführt. Weitere Kundgebungen fanden am 13. September in Waltershausen und Hildburghausen sowie am 20. September in Gerstungen und Bad Salzungen statt. Die NPD setzte im Wahlkampf auf ausländerfeindliche Schwerpunkte. So hielt sie Kundgebungen in Gera, Weimar, Waltershausen, Hildburghausen und Gerstungen in der Nähe von Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber ab. Sie standen unter dem Motto "Asylflut stoppen - Wir sind nicht das Sozialamt der Welt". Die Kundgebung in Nordhausen richtete sich gegen eine angebliche Islamisierung Deutschlands. Im Rahmen der vom NPD-Bundesverband veranstalteten "Deutschlandfahrt" kam es am 14. September in Eisenach sowie am 18. September in Jena und Erfurt zu Kundgebungen unter dem Motto "Asylflut und Eurowahn stoppen - NPD in den Bundestag". 3.1.2.7 Bewertung und Ausblick Auch unter der Führung von Patrick WIESCHKE blieben strukturelle und personelle Defizite Charakteristika des Thüringer NPD-Landesverbands. Seine noch 2012 gestarteten Versuche, dessen Aktionsfähigkeit mit einem "Außendienstkonzept" sowie "Regionalkonferenzen" zu erhöhen, fanden 2013 keine Fortsetzung. Der angekündigte Wandel des Landesverbands setzte nicht ein. Selbst das Mehr an öffentlichen Veranstaltungen vermochte nachhaltige Schwächen personeller Art nicht zu kaschieren, entwickelten sich die Teilnehmerzahlen doch umgekehrt proportional. Zudem ist die Partei längst nicht in allen Thüringer Regionen präsent, bereits bestehenden Strukturen mangelt es nicht selten an der notwendigen Handlungsfähigkeit. Auch die Repräsentanten der Partei in den einzelnen Stadträten und Kreistagen vermochten es nicht, dort merkliche Akzente zu setzen und der NPD kommunalpolitisches Kapital einzubringen. Die wenigen Aktivitäten wurden bestenfalls im eigenen politischen Umfeld wahrgenommen und waren auch dort nicht unumstritten. Dennoch ist es ihr bei der Kommunalwahl 2014 gelungen, ihr Wählerpotenzial zu mobilisieren.17 Von den "Thüringer Regionalzeitungen" erschienen lediglich zwei Ausgaben, so wenige wie nie seit Bestehen dieses vom NPD-Landesverband als wichtiges Instrument zur Erlangung öffentlichen Interesses verfolgten Projekts. Das Jahr 2014 gilt für den Thüringer Landesverband als Schlüsseljahr. Zentrales Thema ist der von der NPD erhoffte und als sicher propagierte Einzug in den Thüringer Landtag. Unter dem Motto "7 auf einen Streich" will sie mindestens sieben Landtagsmandate erlangen. Zu erwarten sind weitere Bemühungen des Landesverbands zur Integration von parteiunabhängigen Rechtsextremisten, deren Aktionspotenzial im Wahlkampf dringend benötigt wird. 17 Bei der Kommunalwahl am 25. Mai 14 errang die NPD 60 Mandate (2009: 23), bei der Europawahl thüringenweit 3,4 % der Stimmen. 32 Rechtsextremismus 3.1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Bund Thüringen Gründungsjahr 1969 2006 Sitz Bernburg - Mitglieder 2013 ca. 380 ca. 5 2012 ca. 350 ca. 5 2011 ca. 430 ca. 5 Publikation Zentralorgan - "Der Aktivist" Die Jugendorganisation der NPD gilt als "integraler Bestandteil" der Partei. Der Vorsitzende der JN hat gleichzeitig einen Sitz im Bundesvorstand der NPD inne. Die JN verstehen sich als "Kaderorganisation der Nationalen Bewegung" und "nationalistische Jugendbewegung Deutschlands" mit "revolutionärer Ausrichtung". Sie bekennen sich zur "Volksgemeinschaft", die sie in "einer neuen nationalistischen Ordnung" verwirklichen wollen. Im "Selbstverständnis" der Organisation heißt es: "Ein Kader der JN zu werden bedeutet, Elite der deutschen Volksgemeinschaft zu sein!". Ungeachtet dieses Anspruchs sind die JN nicht im gesamten Bundesgebiet präsent. Die JN sind unverändert bemüht, sich deutlicher von der NPD abzugrenzen und ein eigenständiges Profil zu erlangen. Dieses ist verbal wesentlich radikaler als das der Mutterpartei. Wie die NPD definieren die JN ihr gesellschaftliches Ziel in Form einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Im Streben danach müsse man "zunächst eine eigene Kampfgemeinschaft gründen". Typisch für die JN ist eine starke Wertsetzung auf eine romantisierte und mystisierte Sicht auf die Vergangenheit als Gegensatz zu einer zerstörerisch wahrgenommenen Gegenwart. Dabei verklären sie vorgebliche "deutsche Tugenden". So sei "es der Deutsche, der von niemandem auf dieser Welt an Ehre übertroffen" würde. Die "Ehre ist für den Deutschen der höchste Besitz" und verlange "das Loslösen vom Individuum, der Ich-Sucht und setzt an diese Stelle den Wert der Gemeinschaft, des Stammes, der Sippe". Vorsitzender des Bundesvorstands der JN ist Andy KNAPE (Sachsen-Anhalt). Personen aus Thüringen gehören dem Bundesvorstand nicht an. Im Berichtszeitraum traten die JN in Thüringen erneut nicht in Erscheinung. Sie scheinen hier nicht strukturell etabliert, allenfalls ist von einzelnen Mitgliedern auszugehen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 33 3.1.4 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Der RNF wurde im September 2006 gegründet und versteht sich als Frauenorganisation der NPD. Durch ihre Vorsitzende ist sie mit einem Sitz im NPD-Bundesvorstand vertreten. Der RNF fühlt sich ganz dem antiemanzipatorischen Bild der Mutterpartei verpflichtet. Seiner Ansicht nach befinde sich "Deutschland in großer Gefahr" und drohe "durch die multikulturellen Wahnfantasien der etablierten Parteien" unterzugehen. Obwohl Frauen "gemeinhin nicht auf Konflikte und Auseinandersetzungen aus" seien, wüssten sie, "wie eine Löwenmutter ihre Heimat und ihr Volk zu verteidigen". Trotz dieses kämpferischen Anscheins zeigt der RNF innerhalb der NPD kaum eigenes Profil und ist in der Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar. Seine Aktivitäten sind meist auf Informationsstände bei NPD-Veranstaltungen beschränkt. Dem Bundesvorstand des RNF gehört auch Gabriele ZELLMANN, Mitglied im NPDKreisvorstand Erfurt-Sömmerda, als Beisitzende an. Gründung eines Thüringer Landesverbands des RNF Am 3. Oktober gründete sich in Weimar ein Thüringer Landesverband des RNF. Eigenen Darstellungen zufolge wurde Monique MÖLLER18 zur Vorsitzenden des dreiköpfigen Landesvorstands gewählt. Dem Gremium gehören demnach auch Gabriele ZELLMANN und Stefanie LÖSCHNER19 an. Die bei der Gründungsveranstaltung anwesende Bundesvorsitzende habe den RNF als "die neue deutsche Frauenbewegung" bezeichnet, "die das Natürliche und Richtige lebe". Die Thüringer NPD-Funktionäre Gordon RICHTER, Jan MORGENROTH und Frank SCHWERDT waren der Verlautbarung nach ebenfalls vor Ort. Die Gründung einer Thüringer Untergliederung des RNF war schon im März vom Thüringer Landesverband der NPD angekündigt worden. Am 26. Juni fand eine "Erste Aktion des RNF in Thüringen" statt, bei der in Erfurt Rosen an Passantinnen verteilt wurden. Weitere Aktivitäten waren die Verteilung von Gebäck am 25. November in Erfurt und ein Informationsstand am 6. Dezember in Leinefelde. 18 Beisitzerin im Vorstand des Thüringer NPD-Landesverbands. 19 Beisitzerin im Vorstand des NPD-Kreisverbands Kyffhäuserkreis. 34 Rechtsextremismus 4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 4.1 Ideologischer Hintergrund Die Ansichten von Neonazis setzen sich aus ideologischen Versatzstücken nationalsozialistischer, gewaltverherrlichender Rhetorik und Symbolik sowie subkulturellen Elementen zusammen. Die Übergänge zwischen der politisch-ideologisch geprägten Neonaziszene einerseits und dem subkulturell geprägten Spektrum andererseits sind fließend, es bestehen starke personelle Überschneidungen. Was den meisten Neonazis an weltanschaulich-ideologischem Wissen fehlt, wird von ihnen durch eine provozierende und aggressive Haltung nach außen kompensiert. Da sich Neonazis auf führende Personen der nationalsozialistischen Diktatur, auf deren Symbole und Riten berufen, geht von ihnen ein hohes Provokationspotenzial aus. Neonazis betrachten ihre Umwelt aus der Sicht rassistisch unterlegter "Freund-FeindKategorien". Sie sind der Überzeugung, sich in einem permanenten Kampf gegen das angeblich übermächtige "Weltjudentum" zu befinden, das sie Außenstehenden gegenüber mit der Kurzformel ZOG20 verschleiern. Ihrer Ansicht nach werden die westlichen Regierungen - insbesondere die der USA und Deutschlands - vom "internationalen Finanzjudentum" gesteuert und unterstützten dessen Streben nach der Weltherrschaft. Als Chiffre für diese Behauptung wird von ihnen der Begriff "amerikanische Ostküste" verwandt. 4.2 Organisationsund Aktionsformen der Neonaziszene im Allgemeinen Neonazis sind in einer Vielzahl rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen sowie meist regional in lockeren Strukturen organisiert. Nachdem Anfang der neunziger Jahre mehrere neonazistische Organisationen verboten worden waren, reagierten die Neonazis mit zwei verschiedenen Gegenstrategien. Auf der Suche nach Organisationsformen fand sich ein Teil der Neonazis, die sich selbst als "Freie Nationalisten" bezeichnen, in unabhängigen Kameradschaften ("Organisierung ohne Organisation") zusammen. Andere wählten das "legale Dach" der NPD als Unterschlupf und nutzten deren Parteienprivileg für eigene Aktionen. Ein Teil der Neonaziszene tritt unter der Bezeichnung "Autonome Nationalisten" auf. Dieses Phänomen stellt allerdings weniger eine Organisations-, sondern vielmehr eine Aktionsform dar. Konzept der "Freien Kameradschaften" Die dominierende Organisationsform der Neonaziszene bildete viele Jahre die "Freie Kameradschaft". Kameradschaften existieren in fast allen Bundesländern, obwohl selbst führende Neonazis in den letzten Jahren der NPD beigetreten sind und sich 20 ZOG steht für "Zionist Occupied Government" ("zionistisch beherrschte Regierung"). Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 35 dort engagieren. Die Parteianbindung hindert sie in der Regel nicht, weiter für die Kameradschaft aktiv zu bleiben. Das Konzept der "Freien Kameradschaften" sieht vor, sowohl in kleinen autonomen Einheiten auf meist lokaler bzw. regionaler Ebene zu agieren als auch, sich über technische und personelle Kontakte überregional zu vernetzen. Aufgrund ihres informellen Charakters sollen den Behörden weniger Angriffspunkte geboten werden, gegen die Kameradschaften vorzugehen. Obwohl Kameradschaften meist keine oder nur in Ansätzen vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie dennoch kraft einer verbindlichen Funktionsverteilung deutlich strukturiert. Sie werden durch die Bereitschaft getragen, gemeinsam politische Arbeit in der Absicht zu leisten, neonazistisches Gedankengut zu verbreiten. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen dann von einer neonazistischen "Kameradschaft", wenn die jeweilige Gruppierung die folgenden Merkmale aufweist: * einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation, * eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung, * eine zumindest rudimentäre Struktur und * die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundorientierung. Die Grenzen zu einem eher losen Personenzusammenschluss sind dabei meist fließend. Wichtig bei der Beurteilung durch die Verfassungsschutzbehörden, ob es sich um eine Kameradschaft handelt oder um eine noch verhältnismäßig lose strukturierte Gruppierung, ist vor allem, wie lange eine solche Gruppierung entsprechende Aktivitäten entfaltet. Auch bei zeitweilig sehr intensiver Ausübung rechtsextremistischer Bestrebungen kann die Schwelle zur Kameradschaft mitunter noch nicht überschritten sein. Für die Beurteilung der Aktivität und ihre schädliche Wirkung ist dies allerdings zunächst unerheblich. Weisen Kameradschaften prägende Merkmale eines Vereins auf, können sie nach dem Vereinsrecht beurteilt und auch ggf. verboten werden.21 "Autonome Nationalisten" (AN) Bei AN handelt es sich um überwiegend junge, aktionsorientierte Rechtsextremisten, die ihre politischen Überzeugungen schnell in die Tat umsetzen wollen und in der Mehrzahl grundsätzlich auch bereit sind, hierfür Gewalt anzuwenden. Kennzeichen der AN sind: * militante Kampfformen ("Schwarzer Block" und Gewaltandrohungen gegen Polizei und Gegendemonstranten), 21 Im Jahr 2013 wurden in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Brandenburg entsprechende Verbote neonazistischer Kameradschaften realisiert. 36 Rechtsextremismus * ein verändertes Outfit (schwarze Kleidung oder/und Vermummung), * die Verwendung von Versatzstücken linksextremistischer Symbolik und * eine mit Anglizismen durchsetzte Sprache. Die AN stellen keine Organisation im klassischen Sinne, sondern eine spezielle Strömung innerhalb der Neonazi-Szene dar, deren Entstehung und Habitus u. a. durch Einflüsse anderer Jugendsubkulturen sowie der linksextremistischen Autonomen geprägt sind. Die Angehörigen dieser Bewegung wollen sich durch "erlebnisorientierte" Aktionsformen Gehör verschaffen. Die meist jugendlichen Aktivisten orientieren sich in ihrem Erscheinungsbild an dem aus der linksextremistischen autonomen Szene bekannten "Schwarzen Block". Ideologisch richten sie sich teilweise - oft auch nur vorgeblich - am sozialrevolutionären Flügel der NSDAP um die Gebrüder Strasser aus. Die AN verfügen insofern über kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild. Die gewählten "autonomen" Aktionsformen sowie der Verzicht auf straff organisierte Gruppen sollen staatlichen Stellen und dem politischen Gegner die Aufklärungsarbeit erschweren. In dieser Hinsicht ähneln sie den "Freien Kameradschaften". Zwischen AN und einem Teil der klassischen Kameradschaften bzw. den "Freien Kräften" lässt sich eine zunehmende ideologische Annäherung und stärkere personelle und strukturelle Verzahnung feststellen. Personenzusammenschlüsse, die sich selbst als AN bezeichnen, weisen bei öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten und in ihrem äußeren Erscheinungsbild keine Unterschiede zu anderen neonazistischen Personenzusammenschlüssen mehr auf. Immer häufiger übernehmen andere neonazistische Personenzusammenschlüsse Elemente der AN. Das Verhältnis zwischen der NPD und den AN ist weiterhin ambivalent. Ist die Partei einerseits auf jegliche Unterstützung aus dem rechtsextremistischen Spektrum bei Wahlkämpfen und öffentlichen Veranstaltungen angewiesen, hat sich das NPD-Bundespräsidium schon vor Jahren von den "anarchistischen Erscheinungsformen" der AN distanziert. In Thüringen traten 2013 keine Gruppierungen in Erscheinung, die den AN zuzurechnen waren. Jugendcliquen/Mischszene Neben den angesprochenen Organisationsformen existieren weitere weitgehend unstrukturierte Szenen, in denen Neonazis Aktivitäten entfalten. Diese bilden sich aus Mangel an attraktiven sozialen Alternativen vorrangig im ländlichen Raum. Zwischen diesen Cliquen und dem Bereich der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bestehen keine klaren Trennlinien. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 37 Auch diese Jugendcliquen wählen mitunter die Bezeichnung "Kameradschaft". In einigen Fällen wird der Zusammenhalt auch durch martialisch klingende Phantasienamen beschworen. Solche überwiegend regionalen, auch subkulturell geprägten Cliquen treffen sich u. a. in Privatwohnungen und Gaststätten, an Tankstellen, Garagenkomplexen und anderen öffentlichen Räumen. Ihre Mitglieder verfügen meist über eine rechtsextremistische Grundeinstellung. Im Vordergrund stehen für diese Cliquen jedoch gemeinsame Freizeitaktivitäten wie der Besuch rechtsextremistischer Konzerte oder Demonstrationen. Den Cliquen mangelt es oft entweder an einem abgegrenzten Aktivistenstamm oder an einer zumindest ansatzweisen Struktur, die auch gebietet, sich dauerhaft zu engagieren. Die Anzahl der ihnen zugehörigen Personen schwankt. Mitunter fallen diese Cliquen durch provokatives Verhalten in der Öffentlichkeit auf, in dessen Folge oft auch Propagandadelikte, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen begangen werden. Internetaktivitäten von Neonazis Neonazistische Gruppierungen nutzen zunehmend intensiv soziale Netzwerke im Internet. Sie dienen nicht nur der schnellen Verbreitung szenerelevanter Informationen und der Mobilisierung zu Veranstaltungen, sondern vor allem der regelmäßigen Kontaktpflege untereinander. Teilweise kommt die rechtsextremistische Ausrichtung der Gruppierungen auf den Profilen deutlich zum Ausdruck. 4.3 Zusammenarbeit mit der NPD Der von der NPD proklamierte und von Teilen der Neonaziszene verwendete Begriff "Nationaler Widerstand" bezeichnet den Willen von Rechtsextremisten, gemeinsam organisationsübergreifend gegen das politische System der Bundesrepublik und die sie tragenden Kräfte vorzugehen. Während des letzten Jahrzehnts war das Verhältnis zwischen NPD und Neonazis sowohl von Annäherung als auch von Abgrenzung gekennzeichnet. Im Jahr 2004 leitete die zwischen der NPD und Teilen der Neonaziszene getroffene Absprache, künftig offen zusammenzuarbeiten, eine neue Entwicklung ein. Sie erreichte ihren Höhepunkt in dem Konzept, die extreme Rechte in einer "Volksfront von Rechts" zusammenzuschließen.22 Trotz der weit gediehenen Kooperation brechen gelegentlich deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den "Freien Kräften" und der Partei auf. Für einen Teil des neonazistischen Spektrums sind die öffentlichen Positionen der NPD oder deren zuletzt verfolgtes Konzept der "seriösen Radikalität" zu "weichgespült". Sie sehen die Partei wegen der Beteiligung an Wahlen und ihres Strebens nach politischen Mandaten eher als Teil des verhassten Systems der Bundesrepublik. Zudem werfen sie NPD-Funktionären "Bonzentum" vor. 22 Siehe die Kapitel 3.1.1.1 und 3.1.1.3. 38 Rechtsextremismus 4.4 Die Neonaziszene in Thüringen Die Zahl der Neonazis bundesweit sank auf ca. 5.800 Personen (2012: 6.000). In Thüringen umfasst die Szene wie im Vorjahr etwa 350 Personen. Ihre Bemühungen, größere Eigenständigkeit gegenüber der Thüringer NPD zu erlangen, bestanden fort. Nicht zuletzt auch deswegen forcierte die Partei ihre Kooperation mit dem parteiungebundenen neonazistischen Lager wieder, ist sie doch auf dessen Unterstützung im Wahlkampf 2014 angewiesen. Soweit Thüringer Neonazis organisiert sind, handelt es sich dabei neben Mitgliedschaften in der NPD vor allem um Zugehörigkeiten zu Kameradschaften, Mischszenen oder sonstigen lockeren Personenzusammenschlüssen. Zudem gibt es Neonazis, die ohne Organisationszugehörigkeit an entsprechenden Veranstaltungen der NPD oder des Neonazispektrums teilnehmen oder eigene Aktivitäten, wie z. B. die Gestaltung von Internetauftritten, entfalten. Ein besonderes Phänomen des Bestrebens, der neonazistischen Szene auch überregionale Vernetzung zu verleihen, stellt das sog. Freie Netz (FN) dar. In Thüringen sind entsprechende Ableger z. B. in der Region Jena/Kahla und in Saalfeld bekannt. Nicht alle diese Gruppierungen sind nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden jedoch als Kameradschaft im engeren Sinne zu klassifizieren. Ihre Funktion für die regionale und überregionale Vernetzung von Neonazis ist allerdings nicht zu unterschätzen. 4.4.1 Kameradschaften In Thüringen konnten im Berichtszeitraum vier aktive Kameradschaften festgestellt werden. Zudem traten vereinzelt Gruppen in Erscheinung, die zumindest ihrem Selbstverständnis nach eindeutig dem Konzept der "Freien Kameradschaften" bzw. den "Freien Kräften" zugeordnet werden können. "Kameradenkreis um Thorsten Heise" Sitz: Fretterode Mitglieder: ca. 15 Führungsperson: Thorsten HEISE Auf dem Anwesen HEISEs in Fretterode finden wöchentliche "Kameradschaftsabende" statt, an denen hauptsächlich Rechtsextremisten aus Thüringen, Hessen und Niedersachsen teilnehmen. Über HEISE unterhält die Kameradschaft Kontakte zu Rechtsextremisten in anderen Bundesländern und im Ausland. Die Kameradschaftsangehörigen nehmen an szenetypischen Veranstaltungen teil, hauptsächlich jedoch außerhalb Thüringens. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 39 HEISE betreibt den "W & B Versand"23, einen Großhandel für Bildund Tonträger, Geschenkartikel und Militärkleidung sowie einen Einzelhandel mit Wein und Spirituosen. Mit seinem Vertrieb ist er auch im Internet aktiv. Mitte 2008 wurde das bestehende Gewerbe um einen Buchverlag erweitert, in dem seit Anfang des Jahres 2011 die Zeitschrift "Volk in Bewegung - Der Reichsbote" erscheint. Für die Zeitschrift, die hauptsächlich neonazistische und geschichtsrevisionistische Artikel beinhaltet, zeichnet HEISE als Herausgeber verantwortlich. Seit dem Jahr 2004 ist HEISE auch in der NPD aktiv. Er versucht - insbesondere in Ausübung seines 2009 errungenen Kreistagsmandats - die Partei bürgernah und engagiert zu präsentieren. Der NPD-Kreisverband Eichsfeld stand 2013 weiterhin unter seiner Leitung, dem NPD-Landesvorstand gehörte HEISE unverändert als stellvertretender Vorsitzender an. Kameradschaft "Freies Netz Jena" (FN Jena) vormals: "Nationaler Widerstand Jena" (NWJ) Sitz: Jena/Kahla Mitglieder: ca. 20 Das FN Jena ging aus dem NWJ hervor, der sich Ende 2008 dem Aktionsbündnis "Freies Netz Mitteldeutschland" (FN Mitteldeutschland) anschloss. Dieser zwischenzeitlich unter der Bezeichnung FN Jena agierenden Gruppierung dürften etwa 20 Personen zuzurechnen sein. Als Treffund Veranstaltungsstätte dient vorrangig das zum "Braunen Haus"24 gehörende Außengelände. Das FN Jena beschreibt sich als einen "Zusammenschluss junger Deutscher, die alle an irgendeinem Punkt im festgelegten Zeitstrahl des 'freien' Bürgers erwacht sind und die Realität hinter der BRD-Matrix in ihrer ganzen Hässlichkeit erkennen mussten. Aus der Erkenntnis über die Notwendigkeit des aktiven und des passiven Widerstandes gegen ein System, das die Zukunft der ihm anvertrauten Menschen für globalistische Strippenzieher verschachert, ist das 'Freie Netz Jena' eine Einigung verschiedener politischer Bekenntnisse und Überzeugungen mit der Schnittmenge, das alle Aktivisten des FN ein freies und souveränes Deutschland als Bollwerk gegen Kapitalismus, Dekadenz und Überfremdung anstreben." 23 Siehe Kapitel 5.3. 24 Siehe Kapitel 6. 40 Rechtsextremismus Die Ausführungen auf der Website des FN Jena enthalten teilweise nationalistische und rassistische Formulierungen. Des Öfteren werden tagespolitische oder gesellschaftliche Themen aufgegriffen und mit einer von rechtsextremistischer Ideologie untermauerten Kommentierung versehen. Im Dezember verlautbarte das FN Jena unter Verwendung der Bezeichnungen "Nationale Sozialisten" und "volkstreue Menschen", sich "von diesem System rigoros abgrenze[n] und Neues schaffen" zu wollen. Auch das szenetypische Thema "Volkstod"25 findet in der Propaganda des FN Jena Raum. Das FN Jena entfaltet verschiedene Aktivitäten, die nicht zuletzt auch auf eine breitere öffentliche Wahrnehmung gerichtet sind. In der Regel finden sich im Nachgang dazu Beiträge auf der Homepage der Kameradschaft. Zur Pflege "germanischen Brauchtums" hält das FN Jena traditionelle Veranstaltungen wie Sonnenwendfeiern ab. Immer wieder tritt die Kameradschaft in Zusammenhang mit geschichtsrevisionistischen Veranstaltungen und neonazistischen Propagandaaktionen in Erscheinung. Darunter fallen das sog. Heldengedenken ebenso wie etwa Aktionen zu Todestagen von NS-Verbrechern. Zudem beteiligte sich das FN Jena auch in diesem Jahr an der bundesweiten Aktionswoche "Ein Licht für Dresden", die im Zusammenhang mit dem jährlich von Rechtsextremisten anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens 1945 organisierten "Gedenkmarsch"26 stand. Die in diesem Rahmen durchgeführten Aktivitäten umfassten im Wesentlichen Flugblattund Plakatieraktionen. Darüber hinaus solidarisiert sich das FN Jena stark mit dem im NSU-Verfahren angeklagten Thüringer Rechtsextremisten Ralf WOHLLEBEN.27 "Aktionsgruppe Weimarer Land" (AG WL) vormals: "Autonome Nationalisten Weimar" (AN WE) Sitz: Weimar/Weimarer Land Angehörige: ca. 20 Führungsperson: Michel FISCHER 25 Der 2008 von Rechtsextremisten in den ostdeutschen Bundesländern initiierten "Volkstodkampagne" liegt ein Szenario zugrunde, wonach das deutsche Volk spätestens im Jahr 2040 eine Minderheit im eigenen Land bilde. Daraus erwachse die Pflicht eines jeden Deutschen, sich dieser Entwicklung entgegenzustellen. 26 Siehe Kapitel 4.4.5. 27 Die Bundesanwaltschaft erhob am 8. November 2012 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München Anklage gegen das mutmaßliche Mitglied der terroristischen Vereinigung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), Beate ZSCHÄPE, sowie vier mutmaßliche Unterstützer und Gehilfen, darunter WOHLLEBEN. Der Prozess wurde am 6. Mai 2013 eröffnet. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 41 Seit September 2011 tritt das neonazistische Spektrum Weimars überwiegend unter der Bezeichnung "Aktionsgruppe Weimarer Land" (AG WL) in Erscheinung. Eigenem Bekunden nach handelt es sich hierbei um "Nationale Sozialisten aus dem Weimarer Land". Diese haben es sich zur Aufgabe gemacht, "den täglichen Kampf gegen ein krankes und marodes System zu führen für ein Freies, Nationales und Sozialistisches Deutschland". Die Gruppierung bekennt sich auf ihrer Internetseite zum "autonomen Nationalismus" und befürwortet die Bildung "schwarzer Blöcke". Die öffentlichkeitswirksamen Betätigungen der AG WL fielen im Vergleich zum Vorjahr weit geringer aus. Die damals inflationäre Durchführung von Demonstrationen, u. a. unter dem Motto "Wir wollen leben - Zukunft statt EU-Wahn", im Raum Mittelthüringen führte zu deutlicher Kritik innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Anfang 2013 kam es zunächst zum Zerwürfnis der neonazistischen Thüringer Gruppierungen und zu einer damit einhergehenden Isolation des neonazistischen Spektrums der Region Weimar/Erfurt. Die Zwistigkeiten gipfelten in einer im April veröffentlichten "Stellungnahme nationaler Gruppen aus Thüringen zur Person Michel Fischer", in der sich zahlreiche neonazistische Gruppierungen und die NPD in ungewohnter Geschlossenheit gegen FISCHER und die Art seiner politischen Arbeit aussprachen und eine weitere Zusammenarbeit mit ihm ablehnten. Offenbar auch als Reaktion darauf schränkte die AG WL die Zahl ihrer Demonstrationen stark ein, Aktivisten nahmen aber an zahlreichen bundesweiten Aktionen teil. Im Berichtszeitraum zeichnete die AG WL für eine Demonstration am 1. Mai in Erfurt und einen Trauermarsch in Weimar anlässlich des Jahrestags der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg verantwortlich.28 "Freie Kräfte Erfurt" (FKE) vormals: "Freies Netz Erfurt" (FN Erfurt), "Aktionsgruppe Erfurt" (AG Erfurt) Sitz: Erfurt Angehörige: ca. 30 Führungskraft: Enrico BICZYSKO Einer Eigendarstellung im Internet zufolge haben es sich Anhänger und Unterstützer der FKE zur Aufgabe gemacht, ein "starkes soziales Netz in Erfurt" zu etablieren sowie auf ihrer Meinung nach bestehende Probleme aufmerksam zu machen. Als solche 28 Siehe Kapitel 4.4.5. 42 Rechtsextremismus benennen sie z. B. die vermeintlich hohe Kriminalitätsrate ausländischer Jugendlicher und die angebliche Überschwemmung durch "Fremdkulturen". Ihr Ziel sei die "Rückführung kulturund artfremder Ausländer". Die FKE lehnten eine Parteimitgliedschaft oder eine "Organisation klassischer Ausprägung" bislang ab. Vielmehr stelle die flächendeckende Vernetzung vieler unabhängiger Gruppierungen und Einzelpersonen eine geeignete Form des Widerstands gegen die herrschenden Zustände dar. Eine "Organisierung ohne Organisation" biete die Möglichkeit, eine "kräftige Gegenmacht zu entwickeln, die in geeigneter Stunde eingreife". Die FKE pflegten jedoch enge Beziehungen zum rechtsextremistischen Verein "Pro Erfurt e. V."29. Nach der im Internet verkündeten Auflösung des Vereins war - entgegen den propagierten Grundüberzeugungen - ein Übertritt zahlreicher Mitglieder der FKE, so auch der Führungskraft Enrico BICZYSKO, in die NPD festzustellen. Neben der regen Teilnahme an regionalen wie überregionalen rechtsextremistischen Demonstrationen ist die Kooperation mit der AG WL hervorzuheben. 4.4.2 Sonstige Personenzusammenschlüsse Neben den aufgeführten Kameradschaften im engeren Sinne entfalten in Thüringen weitere vergleichsweise lockere Personenzusammenschlüsse rechtsextremistische Aktivitäten. Sie haben teilweise nur eine Handvoll Mitglieder oder zeigten bislang noch nicht die Beständigkeit hinsichtlich ihres Bestehens bzw. ihrer auch öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten, als dass sie den "Freien Kameradschaften" zuzuordnen wären. "Hausgemeinschaft Jonastal" (HGJ)30 Vier ursprünglich in einem Objekt in Crawinkel lebende Rechtsextremisten treten seit Januar 2012 in einem sozialen Netzwerk als "Hausgemeinschaft Jonastal" auf und vermittelten so den Eindruck eines über eine reine Wohngemeinschaft hinausgehenden Organisationsgrads. Das von zwei Mitgliedern der HGJ im Jahr 2011 erworbene Objekt in Crawinkel diente der rechtsextremistischen Szene ab dem Folgejahr als Treffund sonstiges Veranstaltungsobjekt.31 Im Berichtzeitraum fanden dort sechs rechtsextremistische Konzerte statt. Zuletzt veranstaltete die HGJ am 31. August eine "private Feier", zu der sie eigenen Angaben nach 70 Gäste eingeladen hatte. 29 Siehe Kapitel 4.4.2. 30 Siehe auch "Szeneobjekte in Crawinkel und Ballstädt", Kapitel 6. 31 Seit Januar 2013 lag eine behördliche Untersagung vor, Nebengebäude des Objekts für öffentliche Veranstaltungen jeglicher Art, insbesondere Konzerte und sonstige Musikveranstaltungen, zu nutzen bzw. Dritten zu überlassen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 43 Nachdem zwei Angehörige der HGJ im August 2013 eine Immobilie in Ballstädt erwarben, verzogen die bislang in Crawinkel wohnhaften Rechtsextremisten dorthin. Öffentlichkeitswirksame rechtsextremistische Veranstaltungen fanden innerhalb des Berichtszeitraums dort nicht statt. Die HGJ war im September Ziel von Exekutivemaßnahmen im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen eine österreichische Neonazigruppierung, der die Bildung einer kriminellen Vereinigung und weitere schwere Straftaten angelastet werden. Im Zuge dieser Exekutivmaßnahmen wurde einer der Betroffenen festgenommen und an die österreichischen Strafverfolgungsbehörden überstellt. "Aktionsgruppe Nordhausen" (AG Nordhausen) Zu der seit Mitte 2012 bestehenden AG Nordhausen zählen ca. 20 Personen, darunter sowohl freie als auch parteigebundene Kräfte. Die Gruppierung sieht sich selbst als "Anlaufstelle für alle national gesinnten Menschen im Landkreis Nordhausen." Die Gruppe fiel 2013 mehrfach mit öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten auf. Neben der Durchführung von Veranstaltungen anlässlich des von Rechtsextremisten begangenen "Heldengedenkens" beteiligte sie sich auch an der Organisation und Durchführung einer rechtsextremistischen Versammlung am 3. April in Nordhausen. Unter dem Motto "Wir gedenken mit Würde und Respekt" wurde der Jahrestag der Bombardierung Nordhausens im Zweiten Weltkrieg für rechtsextremistische Propaganda genutzt. Angehörige der Gruppierung fielen zudem mit einzelnen Schmierereien, u. a. im Zusammenhang mit dem Todestag von Rudolf HESS, auf. Auf der Homepage der Gruppierung fand sich im November ein Hinweis auf die Gründung eines Stützpunkts der "Europäischen Aktion" (EA).32 Weitere korrespondierende Interneteinträge lassen auf die Unterstützung der EA durch zumindest einige Angehörige der AG Nordhausen schließen. "Freie Kräfte Gera" Die neonazistische Szene Gera tritt unter Verwendung verschiedener Bezeichnungen wie "Freie Kräfte Gera", "Vollstrecker Gera" oder auch "Volkszorn Gera" in Erscheinung. Die Durchführung von eigenen Aufzügen und Veranstaltungen bildet eher die Ausnahme. Zumeist beteiligen sich die Anhänger der dortigen neonazistischen Szene an Demonstrationen des NPD-Kreisverbands Gera. 32 Siehe Kapitel 7. 44 Rechtsextremismus Auf ihrer Homepage gaben die "Freien Kräfte Gera" an, dass neben dem NPD-Kreisverband Gera auch die "freien parteiunabhängigen Kräfte aus Gera und Umgebung" an der Organisation von "Rock für Deutschland" beteiligt gewesen sind. Eigenangaben im Internet nach handelt es sich bei der Gruppierung "Vollstrecker Gera" um eine "junge Gruppe nationaler Aktivisten aus Gera", die "NPD-freundlich, aktiv und organisiert" ist. Die "Vollstrecker Gera" verfügen über einen Twitter-Account, auf dem regelmäßig Beiträge und Verlinkungen eingestellt sind, die gesellschaftliche Entwicklungen oder auch tagesaktuelle politische Themen aufgreifen und kommentieren. "Freies Netz Saalfeld" (FN Saalfeld) Das FN Saalfeld verfolgt ausschließlich über Betätigungen im Internet das Anliegen, "ideologische Überzeugungsarbeit" zu leisten. Dabei werden überregionale Themen für antikapitalistische und antisemitistische Propaganda aufgegriffen, aber auch Hetze gegen die Bundesrepublik Deutschland betrieben mit dem Ziel, "die Volksverräter, die unser Land im Inneren und Außen fremd steuern", abzustrafen. Unter Bezugnahme auf "alte Werte und Traditionen" fordert das FN Saalfeld die "Umwälzung der Gesellschaft". Ganz in diesem Sinne wurde der Internetauftritt, u. a. um die Sonderseiten "Deutsches Brauchtum" und "Deutsches Führergesicht", erweitert. "Aktionsbündnis Erfurt" (AB Erfurt) Das AB Erfurt, eigenem Bekunden nach eine Plattform "Nationaler Sozialisten in Wort und Tat", trat im Berichtszeitraum vorwiegend mit Internetbeiträgen in Erscheinung. Neben Demonstrationsaufrufen wurden zum Großteil Themen bundesweiter Kampagnen übernommen, jedoch nur selten mit eigenen, lokalen Bezügen angereichert. "Bündnis-Zukunft-Hildburghausen" (BZH) Die "Wählergemeinschaft" BZH gründete sich 2009 auf Initiative des ehemaligen NPD-Funktionärs Tommy FRENCK im Vorfeld der damaligen Kommunalwahl. Er errang als Spitzenkandidat des BZH damals ein Mandat im Kreistag Hildburghausen, das zuletzt Steffen KÜHNER wahrnahm. Bei den im März durchgeführten Stadtratswahlen in Römhild blieben die zwei Kandidaten des BZH erfolglos. Neben regionalen Aspekten bildeten die Eurokrise und ihre Folgen sowie die Asylproblematik Themenschwerpunkte des BZH. So veröffentlichte das Bündnis am 24. Juli auf seinem Facebookprofil ein Statement zur Situation in Thüringer Flüchtlingsheimen: "Immer mehr Asylbewerber: Thüringen gehen die Unterbringungsplätze aus!!! [...] SCHIEBT SIE ENDLICH AB!!!!" Binnen kurzer Zeit gingen Kommentare ein wie: "AbVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 45 schieben oder Zyklon B. Hat vor über 65 Jahren auch geholfen.", "Kann man ehemalige Lager nicht wieder aktivieren?" oder auch "Ja, raus hier mit dem Pack". Neben zahlreichen Internetveröffentlichungen trat das BZH im Berichtszeitraum auch wiederholt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung. Im Januar schloss sich das Bündnis bürgerlichen Protestveranstaltungen gegen die Schließung der Regelschule in Veilsdorf an. Das Verhältnis der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Hildburghausen zur Thüringer NPD ist seit der Gründung des BZH angespannt. Die im Berichtszeitraum zu verzeichnende Annäherung beider Lager dürfte seitens der NPD vor allem mit Blick auf die 2014 stattfindenden Wahlen geschehen sein. "Pro Erfurt e. V." Internetdarstellungen nach löste sich der Verein "Pro Erfurt e. V." im August auf. In einer Erklärung hieß es: "Die internen Differenzen über das politische Profil des Pro Erfurt e. V. und die Entscheidung einzelner Akteure, künftig mit der Thüringer NPD zu paktieren, haben dazu geführt das dieser Verein, in seiner gegenwärtigen Form, nicht länger Bestand hat." Die Spannungen innerhalb des Vereins resultierten offenbar vornehmlich aus Aktivitäten des stellvertretenden Vorsitzenden, Enrico BICZYSKO33, für die NPD. Nach der Verkündung der weitgehenden Auflösung von "Pro Erfurt e. V." war ein Übertritt sowohl von früheren Vereinsmitgliedern als auch Angehörigen der eng mit dem Verein verbundenen FKE in die NPD festzustellen. Der Eintrag im Vereinsregister bestand im Berichtszeitraum fort. Der Verein "Pro Erfurt e. V." wurde im Juni 2008 von zwei damaligen Funktionären des NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda gegründet. Ihr Bestreben, mit sog. Pro-Vereinen in Konkurrenz zur NPD bei den Kommunalwahlen 2009 anzutreten, führte letztlich zu ihrem Parteiausschluss. Nach einer längeren Phase der Inaktivität waren in der zweiten Jahreshälfte 2011 vornehmlich Internetaktivitäten des inzwischen unter "PRO Erfurt Die mutige Alternative" agierenden Vereins festzustellen. Christoph PILCH hatte zuletzt den Vereinsvorsitz inne. In seiner Selbstdarstellung gab sich der Verein kommunalpolitisch engagiert. Der rechtsextremistische Hintergrund der Vorstandsmitglieder trat in den eigenen Verlautbarungen jedoch nicht offen zum Vorschein. Der Ver33 Siehe auch "Freie Kräfte Erfurt" (FKE), Kapitel 4.4.1. 46 Rechtsextremismus such, mit PILCH in Erfurt einen Bewerber für die Bürgermeisterwahl 2013 ins Rennen zu schicken, scheiterte an der unzureichenden Zahl an Unterstützerunterschriften. Rechtsextremistische Jugendcliquen und Mischszene Neonazistische Aktivitäten gehen in Thüringen ebenfalls von Personenzusammenschlüssen und regional agierenden Aktivisten aus, die für Veranstaltungen jeweils ein bestimmtes Personenpotenzial aus ihrem Umfeld mobilisieren können. Diese Zusammenschlüsse, die allerdings keine Kameradschaften im engeren Sinne darstellen, erscheinen im Internet, auf Transparenten und Flugblättern sowie als Unterstützergruppen für rechtsextremistische Aktivitäten. Meist mangelt es ihnen an einem abgegrenzten Aktivistenstamm, einer erkennbaren Struktur oder an der Bereitschaft, gemeinsam politische Arbeit zu leisten - mithin an Merkmalen, die eine Kameradschaft kennzeichnen. Einige Gruppierungen sind mitunter - begünstigt durch das Internet - rein fiktiver Natur, andere treten lediglich kurz in Erscheinung. Das Maß ihrer Aktivitäten steht und fällt mit dem Engagement und der Überzeugungskraft ihres jeweiligen Wortführers. 4.4.3 Vereinsaktivitäten von Neonazis Bundesweit bestehen zahlreiche rechtsextremistische Vereine, die unterschiedliche Ziele verfolgen und historische, politische oder gesellschaftliche Themen aufgreifen. Auch einige Thüringer Neonazis gehören derartigen Vereinen an. Rechtsextremistische Gefangenenhilfe Nachdem das Verbot der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) im Dezember 2012 durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt wurde, konnten im laufenden Berichtsjahr Bestrebungen anderer rechtsextremistischer Strukturen festgestellt werden, die ähnliche Ziele wie die HNG verfolgen. Diese Bestrebungen erreichten aber bislang nicht die Intensität, mit der die HNG vor ihrem Verbot agierte. Schlesische Jugend - Landesgruppe Thüringen (SJ-Thüringen) Die SJ-Thüringen34 ist eigenem Bekunden nach eine "Jugendorganisation, in der sich interessierte Jugendliche mit der schlesischen Kultur, den dortigen Sitten und Gebräuchen, der Mundart, der Geschichte, dem Schicksal der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen und allem, was noch über Schlesien zu wissen ist, beschäftigen und auseinandersetzen." 34 Siehe auch "Bahnhofsgaststätte in Marlishausen", Kapitel 6. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 47 Unter dem Deckmantel eines Vertriebenenverbands wird die SJ-Thüringen allerdings von aktiven Rechtsextremisten für Bestrebungen missbraucht, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind. Führungsfunktionäre der SJ-Thüringen waren vormals in dem 2009 verbotenen Verein "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) aktiv. Zahlreiche andere Mitglieder stammen aus dem sonstigen rechtsextremistischen Spektrum und üben dort zum Teil auch Führungsfunktionen aus. Der Vorstand der SJ-Thüringen ist zudem in ähnlicher Funktion auch im Vorstand der "Bundesgruppe der Schlesischen Jugend" (SJ-Bund) aktiv. So fungiert der Vorsitzende der SJ-Thüringen, Fabian RIMBACH, zugleich als Vorsitzender der SJ-Bund. Die inhaltliche Ausrichtung der SJ-Thüringen ist vor allem durch gebietsrevisionistische und revanchistische Bestrebungen geprägt. In ihren Veröffentlichungen finden sich Äußerungen wie: "[...] die Wichtigkeit unserer Arbeit und die Erhaltung des Deutschtums jenseits von Oder und Neiße, als ein unauslöschlicher Teil Deutschlands [...]". Schlesien wird als "polnisch besetztes Gebiet des alten deutschen Kulturlandes" bezeichnet. In den Vorjahren führte die SJ-Thüringen nach eigenem Bekunden regelmäßig Veranstaltungen mit vorgeblich traditioneller Ausrichtung (Erntedankfeste, Tanzlehrgänge), gemeinsame Wanderungen und Fahrten zur Erkundung der Heimat und der Natur durch. Im Berichtsjahr wurden keine derartigen Veranstaltungen bekannt. EXKURS: Aktivitäten von Rechtsextremisten in Sportvereinen Immer wieder sind auch Aktivitäten von Rechtsextremisten festzustellen, die auf ein Engagement in bestehenden Sportvereinen oder auch die Gründung eigener Sportvereine zielen. Im letztgenannten Fall dienen die Vereine über die rein sportliche Betätigung hinaus dazu, die Binnenstruktur einer bereits bestehenden rechtsextremistischen Gruppierung zu stärken und zugleich neue - bislang eher unpolitische - Anhänger zu gewinnen. So kann die bei der gemeinsamen Ausübung von Sport und bei sonstigen Vereinsaktivitäten aufgebaute Vertrauensbasis zwischen den Aktiven selbst dann Ausgangspunkt einer Rekrutierung für die im Umfeld des Vereins agierende rechtsextremistische Gruppierung sein, wenn vom Verein keine eigenen rechtsextremistischen Aktivitäten ausgehen. Das Engagement oder auch die bloße Mitgliedschaft von Rechtsextremisten in bestehenden, nicht extremistischen Sportvereinen sind differenzierter zu betrachten. Versuchen sie mit rechtsextremistischer Propaganda die Geschicke des Vereins oder die politische Einstellung anderer Mitglieder zu beeinflussen, ist dies als zweckund ziel48 Rechtsextremismus gerichtete rechtsextremistischen Bestrebung zu bewerten. Die Grenze zur politischen Einflussnahme insbesondere auf andere Vereinsmitglieder ist in der Praxis jedoch nur schwer zu ziehen. Die Herstellung einer freundschaftlichen Beziehung kann hier schon ein erster Schritt sein. Die Vereine sind in diesem Moment vor die besondere Herausforderung gestellt, ihre Rolle als Träger des gesellschaftlichen Zusammenhalts und in dieser Konsequenz als stärkendes Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aktiv wahrzunehmen. Um etwa den Ausschluss von Rechtsextremisten aus einem Verein erwirken zu können, empfiehlt es sich, einen entsprechenden Passus in die Satzung aufzunehmen. 4.4.4 Gewaltpotenzial der Neonaziszene Zahlreiche Neonazis, nicht selten deren Führungspersonen, sind wegen der Begehung von Körperverletzungsdelikten vorbestraft. In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern vermeiden es Neonazis allerdings in der Regel, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Dies sollte jedoch nicht über das Teilen der Szene immanente Gewaltpotenzial hinwegtäuschen. Ihr ideologischer Hintergrund impliziert ein ausgeprägtes Freund-Feind-Schema mit stark ausgrenzenden und herabwürdigenden Elementen dem vermeintlichen Feind gegenüber, weshalb auch die Schwelle zu spontaner Ausübung von Gewalt bei einigen Neonazis deutlich herabgesetzt ist. Zufälliges Aufeinandertreffen mit aus ihrer Sicht als Feinde zu betrachtenden Dritten kann mitunter zu aggressivem Verhalten bis hin zu Körperverletzungen führen. Ausdruck des Gewaltpotenzials der Neonaziszene ist auch eine besondere Affinität zu Waffen aller Art. Regelmäßig kommt es zu entsprechenden Sicherstellungen bei Personen des rechtsextremistischen Spektrums. In der Mehrzahl der Fälle handelt es sich um erlaubnisfreie Waffen, z. B. Softairpistolen. Nur vereinzelt werden genehmigungspflichtige Waffen festgestellt. Dennoch ist der Umstand an sich als Ausdruck einer zumindest latent vorhandenen Gewaltbereitschaft zu verstehen, die bei Rechtsextremisten politisch-ideologisch aufgeladen wird. Öffentliche Veranstaltungen der Neonazis verlaufen zumindest in Thüringen überwiegend störungsfrei, was sowohl auf die Auflagen der Ordnungsbehörden als auch die oftmals massive Polizeipräsenz zurückzuführen ist. Werden Straftaten begangen, handelt es sich vorwiegend um sog. Propagandadelikte. Mitunter kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner aus dem linksextremistischen Spektrum, bei Beteiligung "Autonomer Nationalisten" bisweilen auch zu Angriffen gegen Einsatzkräfte der Polizei. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 49 4.4.5 Aktivitäten und Themenschwerpunkte der Neonaziszene Breitere öffentlichkeitswirksame Propaganda erreicht die Neonaziszene vor allem durch Demonstrationen und Kundgebungen. Die aktionistische Ausrichtung des neonazistischen Spektrums sorgt für eine bereitwillige Teilnahme der Anhängerschaft an entsprechenden Aktivitäten. Oftmals werden auch weitere Anfahrtswege in Kauf genommen, um an Kundgebungen Gleichgesinnter im gesamten Bundesgebiet teilnehmen zu können (sog. Demo-Tourismus). Je näher sich die Themen solcher Veranstaltungen am eigentlichen Kern der neonazistischen Ideologie orientieren, desto höhere Zugkraft geht von ihnen aus. Thüringer Neonazis führten im Berichtszeitraum 26 eigene Demonstrationen und Kundgebungen durch, an denen sich zum Teil nur 10 bis 40, in zahlreichen Fällen aber auch 80 bis 180, in einem Fall auch bis zu 340 Personen beteiligten. Nachfolgend sind einige der größeren Veranstaltungen dargestellt. "Trauermarsch" der rechtsextremistischen Szene in Weimar Am 9. Februar veranstalteten Rechtsextremisten in Weimar anlässlich der Bombardierung der Stadt im Jahr 1945 einen "Trauermarsch" unter dem Motto "Ehrenhaftes Gedenken". An der Versammlung nahmen 92 Personen (2012: 24) teil. Anmelder war der Rechtsextremist Michel FISCHER, Angehöriger der "Aktionsgruppe Weimarer Land" (AG WL) und der "Freien Kräfte Erfurt" (FKE). Als Versammlungsleiter trat ein Rechtsextremist aus Sachsen-Anhalt auf. Auf der Internetseite der AG WL wurde im Nachgang zur Veranstaltung ein Bericht veröffentlicht. Darin hieß es u. a.: "Entschlossen und ehrenhaft zog der Trauerzug entlang der Fuldaerstraße weiter durch Weimar. ... Plötzlich drang ein Befehlston durch Weimar, Kopfbedeckungen ab! Fahnen senken! Danach gedachten alle Teilnehmer in Form einer Schweigeminute den Luftkriegstoten von Weimar. ... Kein Vergeben kein Vergessen alliierter Kriegsverbrechen!" 50 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Aktionen anlässlich des 68. Jahrestags der Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 Anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens fand am 13. Februar in Dresden ein Aufzug der rechtsextremistischen Szene unter dem Motto "Im Gedenken der Opfer des alliierten Bombenangriffes vom 13. Februar 1945" statt. Veranstalter war wie im Jahr zuvor das "Aktionsbündnis gegen das Vergessen", ein Verbund aus parteiunabhängigen "Freien Kräften". Der Aufzug fand allerdings nicht wie vom Veranstalter geplant statt. Die ca. 1.000 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet wurden durch Blockadeaktionen von ca. 13.500 Gegendemonstranten an der Durchführung ihres "Trauermarsches" gehindert, sodass sich lediglich 30 Rechtsextremisten an dem Aufzug mit der Kundgebung "Die Seele brennt..." beteiligten. Aus Thüringen reisten einzelne Szeneanhänger an. Bei der im Vorfeld des "Trauermarsches" bundesweit betriebenen "Aktionswoche 13. Februar" kam es zu zahlreichen Propagandaaktionen. In Thüringen handelte es sich u. a. um Sprühaktionen, das Anbringen von Aufklebern und Transparenten sowie Plakatierungen "DIE OPFER SIND VERGESSEN, 13. FEBRUAR 1945", "DIE MÖRDER BOMBEN WEITER!". Die rechtsextremistische Szene zeigte sich von der Kundgebung in Dresden enttäuscht, sie "habe ihre Ausstrahlung verloren". Der Veranstalter gab sich hingegen kämpferisch. Man könne die angemeldeten Gedenkmärsche blockieren, die vielen dezentralen Aktionen der letzten Wochen haben jedoch "auf das Schicksal unseres Volkes" aufmerksam gemacht. Mit zeitlichem Verzug zu dem Jahrestag kam es am 23. Februar in Gera zu zwei aufeinanderfolgender Aufzügen der "Freien Kräfte Gera" bzw. des regionalen NPD-Kreisverbands unter dem Motto "Ein Licht für Dresden", an denen etwa 95 Rechtsextremisten teilnahmen. Die ursprünglich von den Neonazis angemeldete Kundgebung war zuvor ebenso untersagt worden wie die als Ersatz dafür vorgesehene Versammlung der NPD. Die Veranstalter legten Rechtsmittel gegen die Entscheidungen ein. Der späteren Prüfung vor dem Verwaltungsgericht hielten diese nicht stand. In der Folge fanden vorgenannte Aufzüge statt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 51 Demonstration "Freier Kräfte" am 1. Mai in Erfurt Auf Initiative des Rechtsextremisten Michel FISCHER fand in Erfurt eine Demonstration unter dem Motto "Arbeit, Recht, Freiheit" statt. Als Versammlungsleiter fungierte ein Rechtsextremist aus Sachsen-Anhalt. Zur Kundgebung versammelten sich 340 Angehörige der rechtsextremistischen Szene aus verschiedenen Bundesländern. Einzelne Versammlungsteilnehmer versuchten, in einem Bereich die polizeiliche Absperrung zu überwinden, was mit polizeilichen Zwangsmitteln unterbunden wurde. An diversen Gegenveranstaltungen im Stadtgebiet Erfurt beteiligten sich ca. 1.000 Personen. Nach umfangreichen Mobilisierungsmaßnahmen, insbesondere in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Niedersachsen, reiste das Gros der Teilnehmer von außerhalb an. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene Thüringens fanden sich nur vereinzelt Mobilisierungshinweise, so z. B. bei dem BZH. Grund hierfür war das damalige zeitweise Zerwürfnis der neonazistischen Thüringer Gruppierungen und die damit einhergehende Isolation des neonazistischen Spektrums Weimar/Erfurt.35 "Thüringentag der nationalen Jugend" in Kahla Am 15. Juni fand in Kahla der 12. "Thüringentag der nationalen Jugend" statt. Trotz intensiver Mobilisierung fiel die Besucherzahl mit 183 Personen deutlich geringer aus als im Jahr zuvor (2012: 280). Steffen RICHTER, Veranstalter der Kundgebung, ging von etwa 300 Teilnehmern aus. Zwischen Redebeiträgen, u. a. von Steffen RICHTER und Gordon RICHTER sowie von Rechtsextremisten aus Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Niedersachsen, traten die Bands "Hermunduren", "Priorität 18" (jeweils Sachsen) und "Exzess" (Brandenburg) auf. An Gegenprotesten beteiligten sich ca. 500 bis 600 Personen. Zu einer "Dankeschönveranstaltung" für die Helfer des "Thüringentags" trafen sich in einem von Rechtsextremisten bewohnten Objekt in Crawinkel36 im Anschluss 35 Siehe dazu "Aktionsgruppe Weimarer Land" (AG WL), Kapitel 4.4.1. 36 Siehe Kapitel 4.4.2 "Hausgemeinschaft Jonastal" (HGJ) sowie Kapitel 6. 52 Rechtsextremismus ca. 50 bis 60 Personen. Die Zusammenkunft verlief ohne Außenwirkung und endete in den frühen Morgenstunden des 16. Juni. Veranstaltungsreihe gegen ein Asylbewerberheim in Greiz In Greiz fanden vom 13. September bis 11. Oktober wöchentlich und danach am 23. November Veranstaltungen unter dem Motto "Bürgerprotest gegen das Asylbewerberheim 'Am Zaschberg'" statt. Hintergrund war die kurzfristige Schaffung einer vorübergehenden Unterbringungsmöglichkeit für überwiegend syrische Flüchtlinge in einem ehemaligen Berufsschulinternat in einem Wohngebiet in Greiz. In Eigendarstellungen wurde eine politische Ausrichtung des Protests verneint. Die Versammlungsreihe sollte demnach einen reinen "Bürgerprotest" darstellen. Gleichwohl wiesen zum Initiatorenkreis gehörende Personen einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Patrick WIESCHKE betätigte sich bei der Veranstaltung am 23. November als Redner. Zudem handelte es sich bei dem mit der Veranstaltungsreihe aufgegriffenen Thema generell um eines, das verschiedene rechtsextremistische Gruppierungen bundesweit immer wieder für entsprechende Propaganda instrumentalisieren. Unter der zuletzt bis zu 185 Personen zählenden Gruppe der Protestierenden befanden sich neben regional ansässigen Rechtsextremisten zunächst auch zu einem nicht unerheblichen Teil Anwohner des Stadtteils, wobei sich die Gewichtung im Laufe der Veranstaltungsreihe zunehmend zu den Rechtsextremisten verschob. Als Mobilisierungsplattform diente im Wesentlichen das im September bei Facebook angemeldete Gruppenprofil "Greizer Bürgerinitiative gegen ein Asylheim 'Am Zaschberg'". Zudem wurden Flugblätter verteilt. 5. Subkulturell geprägter Rechtsextremismus und rechtsextremistische Musikszene Die wesentlichen identitätsstiftenden Elemente des subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind die szenetypische Musik und der durch sie geprägte Lebensstil. Bildeten noch vor einigen Jahren vorrangig sog. Skinheads dieses Teilspektrum, sind inzwischen eine starke Differenzierung und eine Vielfalt an Musikstilen charakteristisch. Am äußeren Erscheinungsbild lassen sich subkulturell geprägte Rechtsextremisten in aller Regel kaum mehr von anderen Angehörigen des rechtsextremistischen Spektrums unterscheiden. Am ehesten gelingt dies noch über das Kriterium des OrganisaVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 53 tionsgrads. So sind subkulturell geprägte Rechtsextremisten überwiegend abgeneigt, sich in feste und auf Dauer angelegte Organisationsstrukturen einzugliedern. Deswegen bestehen naturgemäß so gut wie keine institutionalisierten Verbindungen zu rechtsextremistischen Parteien und Organisationen. Sind dennoch einzelne Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppierungen vorhanden, erstrecken sich diese zumeist auf die lokale und regionale Ebene und hängen vor allem von direkten persönlichen Verbindungen ab. Gleichwohl bewegten sich das subkulturell geprägte und das neonazistische Spektrum in den letzten Jahren stärker aufeinander zu. Es bildeten sich in größerem Umfang sog. Mischszenen heraus oder Skinheadcliquen und neonazistische Kameradschaften verschmolzen miteinander. Diese Entwicklung wird von den inzwischen offeneren Strukturen der Neonazis begünstigt. Sie agieren oftmals in "unabhängigen Kameradschaften" und kommen mit ihren Aktivitäten der Organisationsunwilligkeit von subkulturell geprägten Rechtsextremisten entgegen. Kameradschaften, aber auch die NPD, greifen häufig auf das subkulturelle Spektrum zurück, um bei Demonstrationen oder anderen Szeneveranstaltungen ihr Mobilisierungspotenzial zu erhöhen. Die rechtsextremistische Musik bildet hierbei ein Schlüsselelement. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten lassen sich meist dann für Versammlungen von Neonazis oder auch der NPD mobilisieren, wenn sie neben der üblichen Szenepropaganda auch einschlägige Musikdarbietungen umfassen. Rechtsextremistische Musik ist allgegenwärtig und besitzt als zentrales Kommunikationsmittel hohen Stellenwert. Sie wird gezielt zur Verbreitung entsprechender Ideologie genutzt. Die Palette der verwendeten Musikstile (u. a. Rock, Heavy Metal, Gothic, Dark Wave, Black Metal, Hardcore, Schlager, Rockabilly, Volkslieder) ist breit. In rechtsextremistischen Liedtexten werden mit höchst unterschiedlicher Deutlichkeit rassistische, antisemitische, menschenverachtende oder gewaltverherrlichende Ansichten propagiert, staatliche Institutionen verunglimpft oder die nationalsozialistische Gewaltherrschaft glorifiziert. Dadurch geschürte Feindbilder prägen dann die häufig noch ungefestigten ideologischen Einstellungen der meist jugendlichen Konsumenten. Konzertveranstaltungen einschlägiger Bands erzeugen bei den Besuchern ein Gefühl der Gemeinschaft und Stärke. Auch auf Jugendliche, die der Szene noch nicht fest angehören, sondern sich vorerst in deren Umfeld bewegen, üben die konspirativen, oft illegalen und damit nicht alltäglichen Veranstaltungen eine besondere Anziehungskraft aus. Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen Zugehörigkeit zur "White-Power"Bewegung37 und weitgehend übereinstimmenden Feindbildern basiert. Einschlägige Bands aus dem Ausland - insbesondere aus Großbritannien und den USA - sind 37 Das Schlagwort "White Power" symbolisiert die rassistische Einstellung der rechtsextremistischen Skinheads. Sie sehen sich als "Krieger der weißen Rasse" an. 54 Rechtsextremismus auch bei deutschen Rechtsextremisten beliebt. Entsprechende Gruppen treten regelmäßig bei Konzerten in Deutschland auf. Im Gegenzug beteiligen sich deutsche Bands an Veranstaltungen im Ausland. Zum Teil werden auch Tonträger speziell für den englischsprachigen Markt produziert. Volksverhetzende fremdsprachige Tonträger finden in Deutschland weiterhin starke Verbreitung. Dementsprechend ist der Einfluss rechtsextremistischer Musik aus dem Ausland - trotz möglicher Sprachbarrieren - hoch. 5.1 Personenpotenzial des subkulturell geprägten Rechtsextremismus Die Anzahl des subkulturellen Rechtsextremisten ist seit einigen Jahren rückläufig. Bundesweit waren der Szene im Jahr 2013 noch etwa 7.400 Personen zuzurechnen (2012: 7.500). In Thüringen zählte das Teilspektrum weiterhin etwa 280 Personen. Die Zahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen bewegte sich ebenfalls auf dem Vorjahresniveau. Der Trend hin zu kleineren, niedrigere Teilnehmerzahlen aufweisenden Veranstaltungen hielt an. 5.2 Erscheinungsformen, Botschaften und Wirkung rechtsextremistischer Musik Die rechtsextremistische Musikszene geht inzwischen weit über die Subkultur der Skinheads hinaus und reicht zunehmend auch in die von Rechtsextremisten besetzten Randbereiche der "Hardcore"und "Black Metal"-Szene hinein. Die einzelnen Subkulturen weisen durchaus Ähnlichkeiten auf, sei es im Hinblick auf die Wirkung ihrer Musik, die Verbreitung ihrer CDs oder die Organisation von Konzerten. Dennoch haben sie hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds und Selbstverständnisses nur wenig gemein. Im subkulturell geprägten rechtsextremistischen Spektrum herrschen auf die nationalsozialistische Ideologie ausgerichtete Ansichten vor, die von nationalistischen, rassistischen, antisemitischen und gegen Andersdenkende gerichteten Vorurteilen bestimmt sind. Eine fest gefügte, in sich geschlossene Weltanschauung besteht allerdings zumeist nicht. Viele Texte handeln vordergründig von der Rückbesinnung auf althergebrachte Werte und Normen oder dem germanischen Brauchtum. Es werden aber auch gesellschaftspolitische Themen der Gegenwart aufgegriffen. Neben der Ablehnung der bestehenden Verhältnisse übt man sich in Kapitalismusund Globalisierungskritik. In einigen Veröffentlichungen kommt zudem die in der Szene verbreitete antiamerikanische Haltung zum Ausdruck. So seien sämtliche derzeit herrschende Krisen, Terror und Krieg einzig dem ausgeprägten Machtstreben der USA geschuldet. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 55 Teils in offener Hetze, oft aber auch verbrämt, geht es in den Texten beispielsweise um: * Verherrlichung des Skinheaddaseins (z. B. Männlichkeitsritus, Alkoholgenuss), * Kampfansage an die bürgerliche Gesellschaft, den politischen Gegner, staatliche Institutionen, * Verharmlosung der Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg, Sympathie zu Adolf HITLER, * Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, * Propagierung eines Führerstaats, * Aufbau und Pflege szenetypischer Feindbilder, * fremdenund ausländerfeindliche Hetze, * Aufrufe zum Widerstand, vor allem gegen staatliche Institutionen, und * Überwindung des demokratischen Systems. Die Vorliebe für rechtsextremistische Musik trägt nicht selten dazu bei, Jugendliche rechtsextremistisch zu sozialisieren. Die Hassund Gewaltparolen, die Gruppendynamik und nicht selten auch Alkoholexzesse erzeugen "rechtsextremistische Erlebniswelten". Sie können Jugendliche nachhaltig anregen, rechtsextremistische Feindbilder zu übernehmen oder diese zu verfestigen. Somit kann rechtsextremistische Musik verhaltensprägend wirken und für das rechtsextremistische Spektrum einnehmen. Durch die Vielfalt der angewandten musikalischen Stilrichtungen gelang es der rechtsextremistischen Musikszene schon in der Vergangenheit, Jugendliche aus unterschiedlichen subkulturellen Strömungen an rechtsextremistisches Gedankengut heranzuführen bzw. ihre Bindung an die Szene zu festigen. Für den fortbestehenden Drang, immer neue Möglichkeiten zur Nachwuchsrekrutierung auszuschöpfen, spricht die Öffnung selbst gegenüber dem intern umstrittenen - weil aus dem Afroamerikanischen stammenden - Musikstil Hip Hop. 5.3 Produktionsund Vertriebsstrukturen Rechtsextremistische Musik wird größtenteils in von Szeneanhängern gewerbsmäßig betriebenen Labels produziert. Für gewöhnlich sind diesen Labels Vertriebe angeschlossen. Im Freistaat bestehen derartige Strukturen z. B. über "W & B Records" (Fretterode) und "Germania Records" (Sondershausen). Beide Labels brachten in der Vergangenheit verschiedene "Eigenproduktionen" oder auch Sampler von rechtsextremistischen Bands bzw. Liedermachern heraus. Über die zugehörigen Vertriebe werden diese und andere einschlägige Tonträger angeboten. Sie dienen zudem als Informationsbörse, halten z. B. Veranstaltungshinweise vor oder veröffentlichen Interviews von Szenemusikern. Daneben existieren weitere kleine Labels, die in der rechtsextremistischen Szene jedoch nicht über eine vergleichbare Bekanntheit verfügen. 56 Rechtsextremismus Die Zahl der rechtsextremistischen Vertriebe, die in größerem Umfang Tonträger und sonstige Szeneartikel anbieten, belief sich im Berichtszeitraum auf bundesweit 84 (2012: 82). In Thüringen bestanden 15 solcher Einrichtungen (2012: 12). Die Versandhandel offerieren ihr Sortiment vorwiegend über das Internet. MP3-Dateien können von Internettauschbörsen heruntergeladen werden. Strafrechtlich relevante Tonträger werden vor allem im Ausland produziert und von dort aus auch vertrieben. Im Zuge der Kommerzialisierung dieser Einrichtungen wurde das anfangs auf Tonträger konzentrierte Angebot um Videos, Bücher, Fahnen, Bekleidung, Schuhe/Stiefel, Schmuck etc. ergänzt. Das Sortiment ist auch in sog. Szene-Läden sowie bei Kleinund Kleinsthändlern erhältlich. Diese wickeln als "fliegende Händler", beispielsweise bei rechtsextremistischen Konzerten, spontan Geschäfte mit kleinen Stückzahlen ab. Sie bedienen lediglich die jeweilige regionale Szene - auch mit strafrechtlich relevanter Ware. 5.4 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer Konzerte im Allgemeinen Die oft als überregionale Treffen organisierten Konzerte dienen neben der Wahrnehmung geschäftlicher Interessen als Freizeiterlebnis, um Kontakte zu pflegen, Informationen auszutauschen und die Vernetzung der strukturschwachen Szene zu fördern. Auf das restriktive Vorgehen der Behörden gegen diese Musikveranstaltungen reagiert die Szene mit teils konspirativen Methoden bei deren Planung und Durchführung. Die Konzertdaten werden in der Regel nicht öffentlich bekannt gegeben. Werbung erfolgt vorwiegend per SMS, über Telefonketten, Mailinglisten, per Post sowie durch Mundpropaganda. Die Organisatoren verbergen meist ihre wahren Absichten, wenn sie Räumlichkeiten mieten und die Veranstaltungen gegenüber den Ordnungsbehörden anzeigen. So täuschen sie beispielsweise vor, Familienfeiern, Klassentreffen oder Geburtstagsfeiern mit Livemusik vorzubereiten. Nicht selten werden Personen mit der Anmietung betraut, die weder öffentlich als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten noch bei Polizeiund Ordnungsbehörden einschlägig bekannt sind. Oft wird behauptet, eine "geschlossene Veranstaltung" mit "geladenen Gästen", nicht jedoch ein Konzert zu planen. Hinzu kommen von der NPD angemeldete Veranstaltungen, die durch Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen Konzertcharakter erlangen. Manche Organisatoren gehen inzwischen auch dazu über, ihre Konzertveranstaltungen bei den zuständigen Behörden anzuzeigen, um schon im Vorfeld das Risiko einer behördlichen Auflösung oder gar Verhinderung zu minimieren. Zugleich verlieren derart offizielle Konzerte auf Dauer an Attraktivität, insbesondere bei den vorrangig erlebnisorientierten Szeneanhängern. Die Veranstalter erheben in der Regel ein Eintrittsgeld zwischen 10 und 20 Euro. Davon werden die Gagen der auftretenden Bands gezahlt, die in Abhängigkeit von deren Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 57 Bekanntheitsgrad durchaus im hohen dreistelligen Bereich liegen. Der dem Veranstalter verbleibende Anteil ist nur schwer zu beziffern. In vielen Fällen dürfte er zumindest seinen Lebensunterhalt aufbessern. Nicht unerhebliche Einnahmen werden darüber hinaus durch den Verkauf von CDs und Devotionalien erzielt. Mitunter begehen Besucher und/oder Bandmitglieder während oder im Umfeld der Konzerte Straftaten, bei denen es sich vorrangig um Propagandadelikte handelt. Vereinzelt werden Lieder mit fremdenfeindlichen und antisemitischen Texten gesungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung nach SS 130 Strafgesetzbuch erfüllen. Insbesondere bei Konzerten, die von der Polizei aufgelöst oder verhindert werden, kommt es infolge des erhöhten "Frustpotenzials" bei Teilnehmern und Organisatoren gelegentlich zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. 5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen Folgende 11 Bands (2012: 13), die im Berichtsjahr entweder bei einschlägigen Veranstaltungen auftraten oder auch neue Tonträger veröffentlichten, werden als rechtsextremistische Musikgruppen klassifiziert: * "12 Golden Years" - Apolda, * "Brainwash" - Altenburg, * "Eugenik" - Gera, * "Hermunduren" - Raum Eisenach/Schmalkalden, * "Kinderzimmerterroristen" (KZT) - Raum Suhl und Nordthüringen, * "Moshpit" - Altenburg, * "Ostfront" - Raum Gera, * "Radikahl" (nur noch Sänger) - Weimar, * "Sonderkommando Dirlewanger" (SKD) - Raum Gotha, * "Totenburg" - Gera, * "Unbeliebte Jungs" - Raum Sonneberg. Ihre Botschaften unterlegen die Bands mit unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen, angefangen vom typischen "R.A.C."38 oder eingängigen Melodien bereits bekannter Stimmungslieder und Schlager, für die neue bzw. umgeschriebene Texte verwandt werden, bis hin zu diversen Heavy Metal-Richtungen, die dann als "National Socalist Hardcore" (NSHC)39 oder "National Socialist Black Metal" (NSBM)40 bezeichnet werden. 38 "R.A.C." - "Rock against Communism" (Rock gegen Kommunismus), Rockmusik mit rechtsextremistischen Texten. 39 Als Weiterentwicklung des "Hardcore" der amerikanischen Punk-Bewegung der 1970er Jahre entstand in den 1990er Jahren der Musikstil "Hatecore". Seine Anhänger sehen in einer gesunden Lebensweise die Voraussetzung zur Schaffung eines gesunden "Volkskörpers". Die Grenzen zum NSHC sind fließend, weshalb die Szene ein ideales Rekrutierungsfeld für Rechtsextremisten ist. Liedtexte dieser Bands sind häufig rassistisch, antisemitisch sowie ausländerund demokratiefeindlich. 40 Die Stilrichtung des "Black Metal" transportiert antichristliche, lebensfeindliche, satanistische oder heidnische Inhalte und bietet damit auch Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Positionen, insbesondere die judenund christenfeindliche Ausrichtung ist hierfür ausschlaggebend. Die Zuspitzung dieser Tendenzen im rechtsextremistischen Sinne ist der sog. NSBM. 58 Rechtsextremismus Überregionale Bedeutung erlangten "12 Golden Years", "Kinderzimmerterroristen", "Moshpit" und "Brainwash" mit diversen Auftritten auch außerhalb Thüringens. Zudem traten andere Bands ausschließlich in den angrenzenden Bundesländern auf. Einzelne Musiker wirken in mehreren Bands mit oder stammen, wie im Falle von "Moshpit", "Brainwash", "Kinderzimmerterroristen" und "Unbeliebte Jungs", aus verschiedenen Bundesländern. Im Gegensatz zu den rechtsextremistischen Bands beschränkten sich die Darbietungen rechtsextremistischer Liedermacher in den meisten Fällen auf das musikalische Rahmenprogramm von Kameradschaftsabenden, NPD-Parteiveranstaltungen oder auch Demonstrationen. Insgesamt agieren sie weniger öffentlichkeitswirksam als einschlägige Bands. 5.6 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen Die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte in Thüringen lag 2013 in etwa auf dem Niveau des Vorjahrs. Von insgesamt acht stattgefundenen Konzerten wurden zwei polizeilich aufgelöst. Allerdings konnte keines im Vorfeld verhindert werden. Darüber hinaus mag es einzelne Veranstaltungen gegeben haben, die weder innernoch außerhalb der Szene größere Bekanntheit erlangten. Statistik rechtsextremistischer Konzerte in Thüringen: Thüringen Bund 2013 2012 2011 2013 stattgefunden 8 8 5 78 davon aufgelöst 2 1 1 10 verhindert 0 4 0 14 Bevorzugte Veranstaltungsstätte war ein von Rechtsextremisten bewohntes Objekt in Crawinkel41. Allein sechs Konzerte - eines davon wurde aufgelöst - sind dort ausgerichtet worden. Rund drei Viertel aller rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen in Deutschland fanden wiederum in den neuen Bundesländern statt. Hinsichtlich der Anzahl durchgeführter Konzerte rangiert Thüringen im Vergleich der neuen Bundesländer auf Platz vier, im Bundesvergleich gemeinsam mit Baden-Württemberg ebenfalls an vierter Stelle. Rechtsextremistische Musik und damit verbundene Veranstaltungen sind ins41 Siehe die Kapitel 4.4.2. und 6. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 59 besondere in den neuen Bundesländern populär. Thüringen weist aufgrund seiner zentralen geografischen Lage sowie des großen Angebots an preisgünstigen oder leer stehenden Gebäuden eine Infrastruktur auf, die sowohl für die Veranstalter der Konzerte als auch die anreisenden Teilnehmer von Vorteil ist. An den Veranstaltungen beteiligten sich im Berichtszeitraum zwischen 30 und 190 Personen, die oft auch aus den angrenzenden Bundesländern anreisten. Die Konzerte wurden im Durchschnitt von knapp 90 Personen besucht. Dieser Wert liegt damit weiterhin unter dem bundesweiten Durchschnitt (knapp 180 Personen). Etwas weniger als die Hälfte aller bundesweiten Veranstaltungen zog bis zu 100 Personen an. In Anbetracht eines bei einer Großveranstaltung drohenden Verbots und der damit verbundenen finanziellen Einbußen gingen die Veranstalter dazu über, mehrere kleine Konzerte auszurichten. Zugleich sank damit aber auch die Bereitschaft der Teilnehmer, gelegentlich weitere Anfahrtswege in Kauf zu nehmen. Insgesamt wies die hiesige Szene nur eine geringe Fluktuation auf, ihr Kern blieb weitestgehend bestehen. Übersicht zu rechtsextremistischen Konzertaktivitäten:42 Nr. Datum Ort Teilneh(angekündigte) merzahl Bands/Liedermacher z.T. geschätzt 1 30.03.13 Crawinkel nicht "Brauni und Klampfe" bekannt 2 13.04.13 Erfurt (aufgelöst) 30 "SKD" 3 15.06.13 Crawinkel 50-60 "SKD" und "Exzess" (Brandenburg) 4 03.08.13 Crawinkel 50 "SKD" 5 31.08.13 Crawinkel 70 "12 Golden Years" 6 14.09.13 Crawinkel 140 "Ostfront", "Stimme der Vergeltung" und (aufgelöst) "Tätervolk" (jeweils Mecklenburg-Vorpommern) 7 16.11.13 Kirchheim 190 "Brainwash", "Painful Life" (Sachsen-Anhalt), "Legion of Thor" (Berlin) und "Fear Rains Down" (US-amerikanisch-deutsches Bandprojekt) 8 30.11.13 Crawinkel 80 verschiedene Bands 42 Thüringer Bands und Liedermacher wurden fett gedruckt. 60 Rechtsextremismus Übersicht zu rechtsextremistischen Liederabenden: Nr. Datum Ort Teilneh(angekündigte) merzahl Bands/Liedermacher z.T. geschätzt 1 20.07.13 Erfurt 48 "OIRAM" (Sachsen-Anhalt) 2 31.08.13 Erfurt 50 Maik KRÜGER und "Miechen" (Sachsen) 3 28.09.13 Erfurt 50 Steven HINRICH und Maik KRÜGER (Sachsen) 4 05.10.13 Erfurt 70 Marco BARTSCH (Nordrhein-Westfalen) 5 31.12.13 Erfurt 30-50 Steven HINRICH, "Brauni und Klampfe" und "Resistentia" (Baden-Württemberg) Rechtsextremistische Bands und Liedermacher traten in Thüringen zudem bei den folgenden Veranstaltungen der NPD oder der Neonaziszene auf: Nr. Datum Ort Teilneh(angekündigte) merzahl Bands/Liedermacher 1 04.05.13 3. "NPD Eichsfeld400 "Sleipnir" (Nordrhein-Westfalen), tag" in Leinefelde "Strafmass" (Bremen), "Words of Anger" (Schleswig-Holstein) und "Torstein" 2 15.06.13 12. "Thüringentag 183 "Hermunduren", "Priorität 18" (Sachsen) und der nationalen "Exzess" (Brandenburg) Jugend" in Kahla 3 06.07.13 NPD-Veranstal711 "Frontfeuer" (Brandenburg), "Stimme der tung "Rock für Vergeltung" (Mecklenburg-Vorpommern), Deutschland" in "Exzess" (Brandenburg) und Gera "Die Lunikoff-Verschwörung" (Berlin) 4 07.12.13 Saalveranstaltung 140 Frank RENNICKE (Bayern) der rechtsextremistischen Szene in Eisenach (aufgelöst) Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 61 6. Immobiliennutzung von Rechtsextremisten Rechtsextremisten sind bestrebt, in den Besitz eigener Immobilien zu gelangen. Sie verbinden damit insbesondere die Erwartung, durch Schaffung ständig verfügbarer Anlaufstellen örtliche Strukturen festigen, sich ungehindert zu internen Treffen versammeln und damit auch überregionale Anziehungskraft ausüben zu können. Ihr Interesse richtet sich vornehmlich auf preisgünstige, auch ländlich gelegene Objekte, die idealerweise für Großveranstaltungen geeignete Räumlichkeiten aufweisen. Wegen des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung solcher Immobilienkäufe bedienen sich Rechtsextremisten auch privater Dritter, die den Sicherheitsbehörden möglichst nicht als Szeneangehörige bekannt sind. Dies und der zumeist privatrechtliche Charakter eines Immobiliengeschäfts schränken sowohl die Aufklärungschancen im Vorfeld als auch die staatlichen Handlungsoptionen bei Bekanntwerden eines entsprechenden Kaufs stark ein. "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'" Bei der "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'", auch "Braunes Haus" genannt, handelt es sich um eine seit dem Jahr 2002 von Thüringer Rechtsextremisten genutzte Immobilie in Jena-Lobeda. Das vormals für Vortragsabende, Kameradschaftstreffen, Schulungen oder Liederabende genutzte Gebäude diente bis zu seiner wegen baulicher und brandschutztechnischer Mängel behördlich verfügten Schließung im August 2009 auch dem örtlichen NPD-Kreisverband als Geschäftsstelle. Das "Braune Haus" verfügt über eine eigene Internetpräsenz, die im Berichtszeitraum jedoch nicht gepflegt wurde. Vormals sorgten Auftritte von Szenegrößen sowie Liederabende durchaus für einen auch überregionalen Bekanntheitsgrad des "Braunen Hauses". Die zentrale Lage und gute Erreichbarkeit des Objekts verbunden mit der bis 2009 möglichen Nutzung zu Wohnund Veranstaltungszwecken begründeten darüber hinaus die aus Szenesicht besondere Attraktivität der Liegenschaft. Nicht zuletzt auch deswegen hält die rechtsextremistische Szene nach außen hin weiter an deren Erhalt fest. Tatsächlich fanden nach der behördlichen Schließung des Objekts einzelne Szeneveranstaltungen (Sonnenwendfeiern, Treffen zum Erntedank u. Ä.) in dem dazugehörigen Außenbereich, dem sog. Braunen Garten, statt. Dabei handelte es sich in erster Linie um Veranstaltungen und Treffen regional ansässiger Rechtsextremisten, insbesondere des FN Jena. Szeneobjekte in Crawinkel und Ballstädt Von Dezember 2011 bis August 2013 stand der rechtsextremistischen Szene ein von zwei Rechtsextremisten erworbenes Objekt in Crawinkel für Veranstaltungszwecke zur Verfügung. Bei dem Objekt handelte es sich um eine Immobilie mit angeschlos62 Rechtsextremismus sener Gaststätte und einem größeren Außengelände mit Nebengelass. Sowohl die Käufer als auch zwei weitere Thüringer Rechtsextremisten, darunter ein Mitglied der rechtsextremistischen Band "Sonderkommando Dirlewanger" (SKD), nutzten das Objekt als Wohnsitz.43 Inzwischen verzogen die Bewohner mehrheitlich in ein Objekt in Ballstädt. Von dort gingen bis zum Jahresende keine öffentlichkeitswirksamen Szeneaktivitäten aus. Ehemaliges Rittergut in Guthmannshausen Die Immobilie in Guthmannshausen/Landkreis Sömmerda wurde im Berichtszeitraum durch den rechtsextremistischen Verein "Gedächtnisstätte e. V." überwiegend für mehrtätige Vortragsveranstaltungen mit Historikern und Zeitzeugen genutzt. Außenwirkung erreichten sie jeweils nicht. Die Veranstaltungen wurden im jeweiligen Halbjahresprogramm des Vereins vorab beworben. Der Verein "Gedächtnisstätte e. V." wurde im Mai 1992 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet. Unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkriegs agitiert der rechtsextremistische Verein gegen den demokratischen Verfassungsstaat und versucht, geschichtsrevisionistisches Gedankengut in demokratische Bevölkerungskreise zu transportieren. Nach außen tritt der Verein "Gedächtnisstätte e. V." nicht offen extremistisch in Erscheinung. Eine als Privatperson auftretende Käuferin erwarb im Mai 2011 die zuvor in Landesbesitz befindliche Immobilie in Guthmannshausen. Seit August 2011 ist sie als Eigentümerin des Areals im Grundbuch eingetragen. Hinweise auf Verbindungen der Käuferin zum rechtsextremistischen Spektrum lagen zum Zeitpunkt des Verkaufs nicht vor. Im Nachhinein wurde bekannt, dass sie seit 2010 dem rechtsextremistischen Verein "Gedächtnisstätte e. V." als Mitglied angehören soll. Die vom Freistaat Thüringen im Dezember 2011 wegen arglistiger Täuschung angestrengte Anfechtungsklage wies das Landgericht Erfurt als unbegründet zurück.44 Bahnhofsgaststätte in Marlishausen Fabian RIMBACH, Vorsitzender sowohl der SJ-Bund als auch der SJ-Thüringen",45 erwarb im November 2011 die ehemalige Bahnhofsgaststätte46 in Marlishausen/Ilmkreis. Im Juni 2012 führte die SJ-Thüringen dort eine Versammlung zum Zwecke ihrer Gründung als "eingetragener Verein" durch. Fortan sollte das Objekt als Vereinssitz dienen. Auf ihrer jeweiligen Internetpräsenz geben SJ-Bund und SJ-Thüringen die Adresse in Marlishausen als Kontaktanschrift an. 43 Siehe "Hausgemeinschaft Jonastal", Kapitel 4.4.2. 44 Urteil vom 26. April 2013. Die Berufungsklage des Thüringer Finanzministeriums wurde vom Thüringer Oberlandesgericht am 16. Januar 2014 abgewiesen. 45 Siehe Kapitel 4.4.3. 46 Neben einem Gastraum mit etwa 50 Sitzplätzen steht ein Saal für Veranstaltungen mit bis zu 120 Personen zur Verfügung. Die Immobilie umfasst zudem eine Pension mit 10 Zimmern und insgesamt 24 Betten. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 63 "Erlebnisscheune" in Kirchheim Die rückläufige Tendenz zur Nutzung des Objekts "Romantischer Fachwerkhof" in Kirchheim hielt im Berichtszeitraum an. Neben einzelnen Veranstaltungen mit rechtsextremistischem Bezug fand nur ein rechtsextremistisches Konzert (2012: 4) in dem Objekt statt. Schon in der Vergangenheit äußerte der Inhaber des Objekts mehrfach, dieses verkaufen zu wollen.47 7. Sonstige rechtsextremistische Gruppierungen Im Berichtszeitraum traten wiederholt überregional aktive rechtsextremistische Gruppierungen in Erscheinung, die den Freistaat wegen seiner zentralen Lage für ihre Tagungen bevorzugen. Die Veranstaltungsteilnehmer reisten überwiegend aus anderen Bundesländern an. Das Spektrum der im Folgenden dargestellten Gruppierungen reicht vom germanisch-heidnischen über den neonazistischen bis hin zum "intellektuellen" Rechtsextremismus. "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) Die 1951 gegründete germanisch-heidnische AG - GGG versteht sich als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart bewahren, erneuern und weiterentwickeln" will und verbindet dabei germanischheidnische Glaubensansätze mit rassistischen Vorstellungen und Zielen. Von ihren bundesweit ca. 100 Mitgliedern sind etwa zehn in Thüringen ansässig. Die AG - GGG gibt die "Nordische Zeitung" sowie eine Schriftenreihe heraus und verfügt über eine eigene Website. Ihren Sitz hat sie in Berlin. Ihre regelmäßigen überregionalen "Gemeinschaftstagungen" zu den Tagund Nachtgleichen sowie den Sommerbzw. Wintersonnenwenden führte die AG - GGG auch 2013 in Nordthüringen durch. Die in geschlossenen Veranstaltungen abgehaltenen Zusammenkünfte kommen dem äußeren Anschein nach Volksfesten oder geselligen Familienveranstaltungen gleich. Unter Vorgabe germanischer Brauchtumspflege wird eine "Lagerfeuerromantik" inszeniert, die das Interesse insbesondere junger Teilnehmer an dem eindeutig rechtsextremistischen Regelwerk der "Artgemeinschaft" 47 Für 2014 deutet sich jedoch eine intensivere Nutzung des Objekts an, da im Zeitraum Januar bis Mai 2014 bereits fünf Veranstaltungen mit rechtsextremem Bezug stattfanden. 64 Rechtsextremismus wecken soll. Ihre "Sittengesetze" geben vor, sich u. a. für die "Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art" einzusetzen, "dem besseren Führer" Gefolgschaft zu leisten und eine "gleichgeartete Gattenwahl [als] Gewähr für gleichgeartete Kinder" anzustreben. "Gesellschaft für freie Publizistik e. V." (GfP) Bei der 1960 von ehemaligen Offizieren der SS und Funktionären der NSDAP gegründeten GfP handelt es sich um eine überparteiliche Sammelorganisation von publizistisch aktiven Rechtsextremisten. Mit mehr als 500 Mitgliedern ist sie die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung in Deutschland. Durch die Verbreitung ausländerfeindlicher und nationalistischer Ansichten will die GfP "Aufklärungsarbeit" leisten, um die angeblich verzerrte Darstellung der Zeitgeschichte zu korrigieren. Neben Vortragsveranstaltungen organisiert sie jährlich ein als "Deutscher Kongress" bezeichnetes Treffen, bei dem bekannte Wortführer des rechtsextremistischen Spektrums als Referenten auftreten. Im Juni veranstaltete die GfP ihren Jahreskongress vermutlich erneut in Kirchheim. "Europäische Aktion" (EA) Die EA bezeichnet sich als "Bewegung zur politischkulturellen Erneuerung ganz Europas". Als ihr Ziel gibt sie an, eine "gesamteuropäischen Freiheitsbewegung" bilden zu wollen, um "Freiheit und Selbstbestimmung für alle Europäer" zu erreichen. Dies schließe die "Wiederherstellung der freien Rede", die "Repatriierung außereuropäischer Einwanderer", das Ende der "Fremdbestimmung in Deutschland und dem zugehörigen Österreich", die "Überführung des Geldund Medienwesens in Volkseigentum" sowie den Kampf gegen "Dekadenz" ein. Nach den Vorstellungen der EA sei die Europäische Union durch eine "Europäische Eidgenossenschaft" zu ersetzen. Die EA vertritt rassistische und antisemitische Positionen. In ihrer Vorstellung ist die Annahme einer jüdischen Weltverschwörung ebenso fest verankert wie die Ablehnung "fremdkontinentaler" Einwanderung. Angelehnt an die christliche Rückeroberung Spaniens propagiert die EA eine "RECONQUISTA - Rückeroberung" Europas. Ihren organisatorischen Schwerpunkt hält die EA in der Schweiz. Dort betreibt sie ein sog. Zentralsekretariat und einen Verlag. Das Gros ihrer Anhänger zählt die GrupVerfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 65 pierung jedoch in Deutschland. Der Holocaustleugner Bernhard SCHAUB (Schweiz), auch als Gründungsvorsitzender des "Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV)48 bekannt, ist Vorsitzender der EA. Die Gruppierung ist hierarchisch aufgebaut. "Stützpunkte" bilden die unterste Ebene, sie werden von "Gebietsleitern" geführt, die wiederum einer "Landesleitung" unterstehen. Ein Redner der EA trat am 5. Mai bei einer Veranstaltung der Wählergemeinschaft BZH49 in Hildburghausen auf. Im November wurde im Internet auf verschiedenen rechtsextremistischen Seiten von der Gründung eines "Stützpunkts Nordthüringen" der EA berichtet. 8. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Rechts weist die Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA)50 folgende Zahlen aus: Straftaten 2013 2012 2011 Insgesamt 1.083 1.146 1.043 davon u. a.: Propagandadelikte 820 885 785 Gewaltkriminalität 51 49 22 34 Volksverhetzungen 86 77 79 Sachbeschädigungen 55 89 81 Rund 73 % aller politisch motivierten Straftaten, die im Berichtszeitraum im Freistaat Thüringen begangen wurden, sind dem Phänomenbereich "Rechts" zuzuordnen. Insgesamt wurden dort 1.083 Straftaten und damit 63 weniger als im Jahr 2012 erfasst. Dies entspricht einem Rückgang um etwa 5,5 %. Um 7,3 % sank die Zahl der Propagandadelikte, die innerhalb dieses Phänomenbereichs mit 820 Vorkommnissen erneut die mit Abstand größte Teilmenge darstellen. Dem deutlichen Rückgang der Sachbeschädigungen um 38,2 % auf 55 steht ein leichter Anstieg der Volksverhetzungen auf 86 (+ 11,7 %) gegenüber. Die der Gewaltkriminalität zuzurechnenden Straftaten haben sich mit nunmehr 49 Fällen im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt. 48 Seit dem 18. April 2008 durch Verfügung des Bundesinnenministers verboten. 49 Siehe Kapitel 4.4.2. 50 Veröffentlicht am 12. März 2014. 51 Die politisch motivierte Gewaltkriminalität umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahnund Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsund Sexualdelikte. 66 Rechtsextremismus III. Linksextremismus 1. Überblick Bundesweit umfasst das Potenzial der revolutionären Marxisten etwa 21.600 Anhänger. Hinzu kommen ca. 6.900 Personen, die der gewaltbereiten linksextremistischen Szene zugerechnet werden. Hierzu gehören auch etwa 6.100 Autonome. Geschätzte Mitgliederbzw. Anhängerpotenziale Thüringen Bund 2013 2012 2011 2013 Gewaltbereite Linksextremisten, 6.900 davon Autonome 130 130 130 6.100 Anarchisten 10 10 10 400 KPF der Partei DIE LINKE. 100 100 100 1.200 DKP 25 40 40 3.500 wenige wenige wenige KPD 100 Mitgl. Mitgl. Mitgl. MLPD 40 40 40 1.900 Rote Hilfe e.V. 120 120 120 6.000 Die maßgeblichen Gruppen des autonomen Spektrums und ihre regionalen Schwerpunkte blieben ebenso bestehen wie die Fokussierung auf das Betätigungsfeld "Antifaschismus". Die in diesem Zusammenhang durchgeführten Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene bzw. deren Strukturen. Dabei suchten Autonome durchaus die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und der Polizei. Trotz anhaltender Abneigung gegenüber der Zivilgesellschaft, die von einem "rechten" Konsens gekennzeichnet und daher ebenso zu bekämpfen sei wie der Rechtsextremismus, schlossen sich Autonome wiederum diversen Veranstaltungen breiter demokratischer Bündnisse an. Die in Thüringen vertretenen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen vermochten es - abgesehen von einzelnen Informationsständen und traditionellen Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 67 Gedenkveranstaltungen - im Berichtszeitraum kaum, durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen zu werden. Das Bestreben, eine "Aktionseinheit" marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen zu bilden, hielt dennoch an. 2. Ideologischer Hintergrund Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Es schließt Anhänger der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen, ist allen Linksextremisten gemein. Ihre - wie unterschiedlich auch immer gearteten - Bestrebungen richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Linksextremisten wollen entweder einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen greifen sie häufig zu legalen, gewaltfreien Formen des politischen Engagements. Die eigene extremistische Ausrichtung wird dabei bewusst verschleiert. Mit dieser Taktik gelingt es Linksextremisten durchaus, auf bestimmten Politikfeldern Bündnispartner zu finden, die extremistischen Ansichten im Grunde genommen abgeneigt sind. Das Antifaschismusverständnis der Linksextremisten ist von einer ideologisch-strategischen Ausrichtung geprägt. Es dient nicht nur als Mittel politischer Einflussnahme und zur Diffamierung politischer Gegner, sondern ist zugleich Grundlage kommunistischer Bündnispolitik. Anders als die bürgerliche Gesellschaft, die im Rechtsextremismus eine Randerscheinung sieht, interpretieren Linksextremisten das ihrerseits überwiegend als Faschismus bezeichnete Phänomen als Ausdruck eines "besonders aggressiven staatsmonopolistischen Kapitalismus". Eine endgültige Beseitigung des Faschismus könne daher nur durch die Abschaffung des Kapitalismus erreicht werden. Diese Anschauungen werden insbesondere von Linksextremisten verbreitet, die ein geschlossenes marxistisch-leninis68 Linksextremismus tisches Weltbild vertreten. Jedoch fußen auch die insgesamt eher diffusen, aus verschiedenen ideologischen Versatzstücken bestehenden Ansichten undogmatischer Linksextremisten bzw. Autonomer auf diesem Grundkonstrukt. 3. Autonome 3.1 Allgemeines Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 1970er Jahre aktiv. Heute agieren sie vor allem in mittleren und größeren Städten. Schwerpunkte bilden Ballungsräume wie Berlin, Hamburg oder das Rhein-Main-Gebiet. Der Szene waren Ende 2013 bundesweit etwa 6.100 (2012: 6.400) gewaltbereite Anhänger zuzurechnen. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet ihre paradoxe Devise. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus, anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, sozialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Versatzstücken. Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung der Gesellschaft. Die szeneinterne Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung elektronischer Medien. Per Internet und über E-Mail-Verbindungen, zunehmend auch über sog. soziale Netzwerke, werden überregionale Vernetzungen geschlossen, Agitation und Mobilisierung betrieben. Darüber hinaus dienen diverse Szeneblätter, die z. T. konspirativ verbreitet werden, als Informationsquellen. Die dazu zählende Zeitschrift "INTERIM", welche vierzehntäglich in Berlin erscheint, gilt aufgrund ihrer überregionalen Ausstrahlung als die bedeutungsvollste Publikation. Auf regionalem Niveau werden Szeneblätter inzwischen nicht nur in gedruckter Fassung veröffentlicht, sondern meist im Internet als Download angeboten. Sogenannte Infoläden sind bevorzugte Anlaufpunkte der gesamten Szene und ihrer Sympathisanten. Sie ermöglichen Kontakte und Treffen und dienen zugleich als Vertriebsstätten linksextremistischer Schriften und Flugblätter. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 69 Kampagnenfähige Themen, Gewaltpotenzial Verschiedene Schwerpunktthemen bilden die Grundlagen der Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: * Antifaschismus, * "Häuserkampf"/Kampf gegen Gentrifizierung52, * Kampf gegen angenommenen "Geschichtsrevisionismus" und "Opfermythen" im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung der Zeit des Nationalsozialismus, * Repression und innere Sicherheit, * Antirassismus, * Kampf gegen angenommene "Großmachtrollen" der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, * Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte, * Neoliberalismus und Globalisierung, * Internationalismus. Intensität und Bedeutung der genannten Themen schwanken und werden oft vom Tagesgeschehen bestimmt. Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und den Einsatzkräften der Polizei. Dezentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der autonomen Szene Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der Autonomen. Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie kennt weder Hierarchien noch Führungsstrukturen. Autonome agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen. Um die allein schon wegen des niedrigen Organisationsniveaus begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, gibt es dennoch immer wieder Versuche, übergreifende Organisationsformen zu schaffen. Diese basieren jeweils auf dem linksextremistischen Antifaschismusverständnis, das über die Traditionslinien Nationalsozialismus 52 Abgeleitet von gentry (engl.) - Bezeichnung für niederen englischen Adel und ihm sozial Nahestehende, daher: Umstrukturierung von Stadtteilen nach Verkauf und/oder Modernisierung von Gebäuden. Durch den Zuzug neuer (vermögenderer) Bewohner kommt es zu Veränderungen der Bevölkerungsstruktur. Autonome versuchen in Stadtteilen, die sie als ihren "Kiez" beanspruchen, diese Entwicklung auch mit gewalttätigen Mitteln zu bekämpfen. 70 Linksextremismus und Faschismus hinaus die Auseinandersetzung mit dem - nach autonomem Verständnis - in der Bundesrepublik vorherrschenden "imperialistischem System" einschließt, welches die Autonomen als Fortsetzung und Modifikation des Dritten Reichs deuten. Alle bisherigen Versuche, eine inhaltliche und organisatorische Erneuerung zu erreichen, blieben jedoch erfolglos. Seither ist es der Szene nicht gelungen, ihre Isolierung, die regionale Begrenztheit des Aktionsradius und die zahlenmäßige Schwäche zu überwinden. Übergreifende Vernetzungsversuche werden zudem durch gravierende ideologische Konfliktlinien innerhalb der autonomen Szene erschwert. Typisch dafür war das Aufkommen sog. antideutscher Positionen. Kernpunkt jener Anschauungen bildet der Massenmord an den europäischen Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Hieraus resultieren sowohl die Ablehnung des deutschen Staats, der als modifizierte Fortsetzung der Nazidiktatur wahrgenommen wird, als auch eine bedingungslose Solidarität gegenüber dem Staat Israel. "Antideutsche" Gruppierungen sagen dem deutschen Staat ohnehin eine auf Ausgrenzung anderer Ethnien gerichtete Wesensart nach. Den europäischen Einigungsprozess interpretieren sie als ein deutsches Projekt, das auf friedlichem Wege zu Großmachtstatus verhelfen solle. Der Staat Israel wird von diesen Gruppen als Zufluchtsort des jüdischen Volkes, als Schutzraum für Juden vor antisemitischer Verfolgung verstanden, der gegen alle Angriffe verteidigt werden müsse. Jedwede Kritik an Israel setzen "Antideutsche" mit Antisemitismus gleich. Ähnlich werten sie die Kritik an den USA, da diese als Schutzmacht Israels angesehen wird. Diese Einstellung steht im krassen Gegensatz zu den traditionell im autonomen Spektrum vorhandenen "antiimperialistischen" Einstellungen, nach denen Israel als "imperialistischer Brückenkopf" der USA im arabischen Raum gilt. 3.2 Die autonome Szene in Thüringen Das Anhängerpotenzial der gewaltbereiten autonomen Szene Thüringens umfasste im Berichtszeitraum ca. 130 Personen. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung beimaß, gelang es ihr, einen auch überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren. Regionale Schwerpunkte bestehen in Erfurt, Weimar und Jena sowie um Arnstadt. Außerdem sind Autonome im Umkreis von Gotha aktiv gewesen. Szenetypische Anlaufstellen waren u. a. sog. Infoläden in Arnstadt, Erfurt und Jena. Autonome Gruppen aus Thüringen nutzen überwiegend das Internet und E-Mail-Verbindungen, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten veröffentlichen sie zum Teil umfangreiche Rechercheberichte über den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften oder Audiostreams mit Informationen zum "rechten" Spektrum werden auf diesem Wege verbreitet. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 71 Die Schwerpunkte öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten lagen im Berichtszeitraum in der Landeshauptstadt Erfurt und in Jena - Regionen, in denen die personell stärksten und aktivsten autonomen Gruppen angesiedelt sind. Inhaltlich dominierte das Themengebiet Antifaschismus. Bedingt durch die 2009 erfolgte Räumung des "Besetzten Hauses" in Erfurt kam auch der "Schaffung von Freiräumen", also dem "Häuserkampf", weiterhin Bedeutung zu. Zudem nahm das Thema "Antirepression" im Berichtszeitraum breiteren Raum ein. Die Aktionen der autonomen Szene reichten von der Mobilisierung für die von breiten, nichtextremistischen Bündnissen organisierten Proteste gegen rechtsextremistische Veranstaltungen und die gewaltfreie Beteiligung daran bis hin zu gezielten Blockadeaktionen sowie Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums, aber auch gegen Einsatzkräfte der Polizei. Gegenaktionen, die etwa die Umleitung eines rechtsextremistischen Aufzugs, die Verzögerung oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich machten, wertete die autonome Szene als äußerst positiv. Gleichwohl gelang es ihren Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen. Standen Autonome diesen taktischen motivierten Kooperationen stets skeptisch gegenüber, distanzierten sie sich zuletzt immer deutlicher von den ihren Idealen widerstrebenden Zweckbündnissen. Herausragendes Beispiel hierfür war die 2013 erstmals ausgebliebene Unterstützung der Proteste gegen die NPD-Großveranstaltung "Rock für Deutschland"53. Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten meist im Vorfeld zu Blockadeund Störaktionen aufgerufen. Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner, um den "Naziaufmarsch" mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2013 zu Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. Thüringer Autonome beteiligten sich im Berichtszeitraum an verschiedenen Aktionen in anderen Bundesländern bzw. thematisierten diese im Internet durch Terminhinweise. Hier sind neben den Protestaktionen gegen das von Rechtsextremisten instrumentalisierte Gedenken der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 194554 auch die Proteste gegen einen rechtsextremistischen Aufmarsch am 12. Januar in Magdeburg (Sachsen-Anhalt)55, die Proteste gegen den rechtsextremistischen "Trauermarsch" 53 Siehe Kapitel 3.1.2.6 im Abschnitt Rechtsextremismus. 54 Der rechtsextremistische "Trauermarsch" wurde aufgrund massiver Blockadeaktionen nicht wie geplant durchgeführt. 55 Polizeibeamte wurden aus einer Personengruppe heraus mit Flaschen und Steinen beworfen; zudem kam es vereinzelt zur Zündung von Rauchbomben und Feuerwerkskörpern. Darüber hinaus wurden mehrere Gebäude und Einsatzfahrzeuge beschädigt. Es wurden 19 Polizeibeamte verletzt. 72 Linksextremismus am 5. März in Chemnitz (Sachsen)56 und die "Blockupy"-Proteste in Frankfurt a. M. (Hessen)57 zu nennen. 3.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis Sachbeschädigungen und Recherche Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherchebis zu sog. Outing-Aktionen58. Regelmäßig kommt es auch zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene oder an Läden, die mit ihr in Verbindung gebracht werden bzw. deren Nähe zu dieser - mitunter auch fälschlicherweise - angenommen wird. Auf der Internetseite der "Antifa Task Force Jena" (ATF) wurden im Berichtszeitraum mehrfach Angehörige der rechtsextremistischen Szene durch Postings "geoutet". Eine solche Aktion erfolgte in Zusammenhang mit Protesten gegen den "Thüringentag der nationalen Jugend" am 15. Juni in Kahla59. Unter Hinweis auf eine Dokumentation mit Informationen "über die rechte Szene in Kahla, historische und aktuelle Entwicklungen, Strukturen, relevante Personen und Hintergründe" wurde angekündigt, "Klarnamen" und Fotos der bislang anonymisiert vorgestellten "Nazis" unmittelbar vor dem Protest zu verbreiten. Die damit verbundene Zielstellung lautete " [...] und am Samstag auf nach Kahla, gegen Nazis handeln!". Zu einer Sachbeschädigung kam es am 13. Dezember in Erfurt. Unbekannte Täter sprühten mit brauner Sprühfarbe ein großes, diagonal durchgestrichenes, mit einem Kreis umrandetes Hakenkreuz auf die Außenwand der Gaststätte "Kammwegklause", einem bekannten Treffund Stützpunkt des politischen Gegners. Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft Autonome sehen in der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen Auslöser für "faschistische" Tendenzen. Ihrer Meinung nach förderten "staatlicher Rassismus" und die "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" auch in der Bevölkerung die Entwicklung "rechter" Tendenzen. Die Kritik und die Aktio56 Mit dem Ziel, den Aufmarsch zu verhindern, waren Aufrufe auch auf hier bekannten einschlägigen Internetseiten eingestellt. 57 Siehe dazu den Beitrag ",Antirepressionsdemo' am 6. Juni in Jena", Kapitel 3.3. 58 Öffentlichmachen des politischen Gegners, z. B. durch Internetveröffentlichungen, Flugblattaktionen im Wohnoder Arbeitsumfeld. 59 Siehe Kapitel 4.4.5 im Abschnitt Rechtsextremismus. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 73 nen des autonomen Spektrums richteten sich deshalb auch gegen die Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang distanzieren sich Autonome zum Teil von den Aktivitäten demokratischer Bündnisse, schließen sich deren Veranstaltungen, insbesondere solchen gegen Rechtsextremismus, aber auch immer wieder an. Dies geschieht einerseits in der Annahme, über szenetypische Slogans und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren zu können, andererseits, um die etwaige behördliche Untersagung des selbst organisierten Protests zu umgehen. Als Ausdruck ihrer Eigenständigkeit sind Abgrenzungsversuche üblich. So rufen Autonome zur Beteiligung an "antifaschistischen" oder "antikapitalistischen" Blöcken innerhalb von Demonstrationen auf. Proteste gegen den rechtsextremistischen "Trauermarsch" am 9. Februar in Weimar Auf einschlägigen Internetseiten der linksextremistischen autonomen Szene wurde zu Protesten gegen den rechtsextremistischen "Trauermarsch" aufgerufen. So forderte die "Antifa Task Force Jena" (ATF Jena), dem "Deutschen Opfermythos offensiv entgegen(zu)treten". Bei "Autonome Linke Weimar" hieß es, den "Aufmarsch mit allen Mitteln" verhindern, "Pseudo-Volkstrauertage abschaffen!" und "Nie wieder Deutschland!". Die ATF Jena kritisierte zugleich das Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus wegen seiner Kontakte zur Polizei. Es erging die Aufforderung, "endlich den Kontakt zu staatlichen Organen" abzubrechen und "dezentrale Aktionen" durchzuführen. Auf der auch von Linksextremisten genutzten Website "linksunten.indymedia" wurde zugleich überregional mobilisiert. In einem weiteren Interneteintrag hieß es in Zusammenhang mit dem Aufruf: "Nazidemo am 9.2.13 in Weimar blockieren", "Email an ein paar Banken mit Filialen in Weimar". In dem Text wurden pauschale Drohungen gegen Commerzbank, Postbank, Sparkasse und Deutsche Bank ausgesprochen. Hiernach, so die Verfasser, könne "sich die Wut dahingehend ausbreiten, dass ihre Fensterscheiben kaputt gehen" und die Polizei "nicht mehr gewährleisten kann, die Nazidemo sicher zu begleiten". Der Aufruf schloss mit der Aufforderung: "Um also vorzubeugen, verbarrikadieren sie ihre Banken mit Holzplatten und schließen sie sich unseren Blockaden an [...]." An den mehrheitlich von bürgerlichen Kräften getragenen Gegenveranstaltungen nahmen bis zu 500 Personen teil. Gleichwohl kam es vereinzelt zu Straftaten von Linksextremisten, wie Körperverletzung, Landfriedensbruch und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Versuche mehrerer Personengruppen, in die Aufzugsstrecke der rechtsextremistischen Versammlung vorzudringen, wurden polizeilich verhindert. Nach dem Ende der Versammlung blockierten kurzzeitig ca. 50 Personen die Eisenbahngleise im Bereich des Bahnhofs Weimar. 74 Linksextremismus Linksextremisten beteiligen sich an Aktivitäten anlässlich des 1. Mai in Erfurt Bis zu 1.000 Personen beteiligten sich am 1. Mai in Erfurt an den maßgeblich von demokratischen Kräften getragenen und initiierten Protesten gegen einen rechtsextremistischen Aufmarsch. Aufgrund von Blockaden fand dieser nur über eine Strecke von ca. 400 Metern und zeitlich eingeschränkt statt. Am Rande der Proteste wurde ein leer stehendes Gebäude (altes Schauspielhaus) in Erfurt besetzt. Von den Initiatoren hieß es, man wolle den 1. Mai zu einem "Kampftag uminterpretieren". Er solle als "Tag der sozialen und revolutionären Kämpfe" um "soziale Räume" als "Gegenentwürfe zur kapitalistischen Normalität", in denen "gemeinsam gelebt und diskutiert und gefeiert werden kann und Handlungsstrategien entwickelt" würden, verstanden werden. Man sei es "überdrüssig, am 1. Mai irgendwelchen Nazigrüppchen hinterher zu jagen" und sich "von den Bullen drangsalieren zu lassen". Angemessener wäre, statt der "üblichen Anti-Nazi-Reaktionsfelder eigene Aktionsfelder zu erschließen und so die eigenen Positionen zu stärken". Die Besetzung endete in den Abendstunden. Über die Aktion berichtete u. a. der "Infoladen Sabotnik". Bereits am Vorabend des 1. Mai nahmen etwa 300 Personen an einer "Nachttanzdemo" unter dem Motto "Lasst's Krachen - Soziale Revolution statt autoritärer Krisenbewältigung!" teil. Die Veranstaltung war durch ein Bündnis von Einzelpersonen angemeldet worden. In Redebeiträgen betonten Vertreter der "Freien ArbeiterInnen Union" (FAU)60 und Vertreter des "Infoladens Sabotnik" die Bedeutung von "Kämpfen" und riefen zum "europäischen Aktionstag gegen Kapitalismus im Herbst" auf. Insbesondere für die Vorabenddemonstration war auf zahlreichen einschlägigen Internetseiten der regionalen autonomen und sonstigen linksextre60 Siehe Kapitel 4.1. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 75 mistischen Szene geworben worden. Eigenen Verlautbarungen zufolge wollten die Veranstalter "die Perspektive einer kollektiven Überwindung dieser Zustände forcieren". Die kapitalistische Realität gehöre "endlich abgeschafft. Wir kämpfen gemeinsam gegen Staat, Nation und Kapital - für die soziale Revolution!". Autonome beteiligen sich an Protesten gegen "Nationalen Kundgebungstag" am 4. Mai in Leinefelde Anlässlich des von der NPD organisierten "Nationalen Kundgebungstags" am 4. Mai in Leinefelde protestierten bei verschiedenen Gegenveranstaltungen am 3./4. Mai mehr als 600 Personen, darunter etwa 200 Protestierende aus Göttingen (Niedersachsen). Zu Gegenaktionen wurde auch auf einschlägigen Seiten der hiesigen linksextremistischen bzw. autonomen Szene aufgerufen. Sowohl die Mobilisierung als auch die Proteste selbst wurden maßgeblich von demokratischen Kräften getragen. Den Linksextremisten gelang es offensichtlich nicht, wahrnehmbar in Erscheinung zu treten und ihre spezifischen Anliegen öffentlichkeitswirksam darzustellen. Entsprechend fehlten auch im Nachgang zur Veranstaltung Berichte oder sonstige Verlautbarungen durch die Szene. Linksextremisten protestieren gegen Demonstration der NPD am 18. Mai in Sonneberg Gegen eine Demonstration der NPD am 18. Mai in Sonneberg, die diese in Zusammenhang mit einer "Aktionswoche" zum Auftakt ihres Bundestagswahlkampfs angemeldet hatte, rief ein überparteiliches demokratisches Bündnis zu Protesten auf. An einer Spontandemonstration durch die Sonneberger Innenstadt beteiligten sich ca. 250 Personen. Im Anschluss versuchten mehrere Demonstrationsteilnehmer in "Kleingruppentaktik" in den Versammlungsbereich des politischen Gegners zu gelangen. Sie errichteten Sitzblockaden. Nach polizeilicher Aufforderung verließen die Beteiligten den Blockadeort, wobei in einigen wenigen Fällen Ermittlungen wegen Verdachts des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung und Sachbeschädigung aufgenommen wurden. Für die Proteste war regional und überregional im Internet mobilisiert worden. Entsprechende Einträge und Aufrufe fanden sich auf zahlreichen einschlägigen Seiten der Thüringer autonomen und sonstigen linksextremistischen Szene sowie dem auch 76 Linksextremismus von Linksextremisten genutzten Portal "indymedia". Dabei sollte ursprünglich über die als "Höhepunkt der Aktionswoche" gewertete NPD-Veranstaltung in Sonneberg hinaus mit dem Motto "NPD-Aktionswoche angreifen!" auch der Auftakt zum Bundestagswahlkampf insgesamt in den Fokus der Protestierenden gerückt werden. Linksextremistische autonome Szene an Protesten gegen Veranstaltungen der Deutschen Burschenschaft vom 24. bis 26. Mai in Eisenach beteiligt Gegen die vom 24. bis 26. Mai in Eisenach durchgeführten sog. Burschentage der Deutschen Burschenschaft61 organisierte ein Bündnis, in dem auch Angehörige der linksextremistischen autonomen Szene mitwirkten, Proteste. Als Bündnisgruppen wurden auf der Internetseite neben Gruppen aus Marburg (Hessen) und Göttingen (Niedersachsen) u. a. "Anarchist Resistance Wartburgkreis" (AR-WAK)62 und die Erfurter "Antifa Gruppe 17" (AG17) angegeben. Für die von einer Person aus Göttingen angemeldeten Demonstration "Gegen den Burschentag 2013: Kein Burgfrieden in Eisenach!" am 24. Mai war bundesweit über Internet mobilisiert worden. Die ca. 250 bis 300 Protestierenden reisten überregional an. Die Gegenproteste werden seit mehreren Jahren von der linksextremistischen Szene Göttingen verantwortlich organisiert. Eine eigens hierfür erstellte "Zeitung gegen Burschentage" enthält Abhandlungen einschlägiger Gruppierungen aus Niedersachsen, welche den "völkischen Nationalismus", Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus und Antifeminismus der Deutschen Burschenschaft und damit ihre Nähe zum Rechtsextremismus belegen sollen. Die hiesige linksextremistische Szene beteiligt sich an den Protesten und unterstützt diese. "Antirepressionsdemo" am 6. Juni in Jena An einer unter dem Motto "Demonstration gegen Repression und Polizeigewalt, für Solidarität mit von Repression Betroffenen" angemeldeten Kundgebung am 6. Juni in Jena beteiligten sich etwa 150 bis 200 Personen. Der Protest richtete sich Angaben des "Infoladens Sabotnik" zufolge u. a. "gegen die Gewalt der Polizei [...] während der 61 Die Deutsche Burschenschaft ist kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. 62 Laut Interneterklärung aufgelöst am 25. Dezember 2013. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 77 Blockupy Demo am 01.06. in Frankfurt"63. Internetbeiträgen nach sollen sich unter den Teilnehmern auch Mitglieder der DKP Thüringen64 und der SDAJ65 befunden haben. Für die Veranstaltung wurde überregional mobilisiert. Im Zuge bundesweiter Solidaritätsaktionen gegen einen vermeintlich überzogenen Polizeieinsatz bei Protesten der sog. Blockupy-Bewegung in Frankfurt a. M. engagierten sich auch linksextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen. Auf von Linksextremisten betriebenen Internetseiten, darunter jene von "Rote Hilfe Jena" und DKP Thüringen, waren Beiträge als "Augenzeugenbericht" bzw. "Erlebnisprotokoll" des Polizeieinsatzes gegen die "Blockupy-Demonstration" in Frankfurt a. M. bzw. Reaktionen auf die durchgeführte Solidaritätsveranstaltung in Jena eingestellt. In einem von der Gruppierung "Jenaer undogmatische radikale Initiative" (JURI)66 veröffentlichten Redebeitrag zu der Jenaer Veranstaltung hieß es, die "friedlichen Proteste" seien hier und dort "niedergeknüppelt" worden und auch "Deutschland gibt einen Scheiß auf Grundrechte" und "schert sich einen Dreck um die freie Meinungsäußerung". Mit dem Aufruf "Gegen Staat, Nation und Kapital!" endete der Beitrag. Linksextremisten distanzieren sich von demokratischem Protest gegen den "Thüringentag der nationalen Jugend" An den von demokratischen Kräften getragenen Gegenveranstaltungen zum "Thüringentag der nationalen Jugend"67 am 15. Juni in Kahla beteiligten sich ca. 500 bis 600 Personen. Im Vorfeld entwendeten Unbekannte am 10./11. Juni 29 Plakate des Bündnisses "BürgerInnen für Zivilcourage e. V.". Angesichts der bei linksextremistischen Autonomen vorherrschenden Ablehnung zivilgesellschaftlicher Anti-Rechtsextremismus-Proteste war eine in diesem Lager zu verortende Täterschaft nicht auszuschließen. 63 Bei der im Rahmen der "Blockupy"-Aktionstage durchgeführten Kundgebung in Frankfurt am Main waren Einsatzkräfte der Polizei bei Identitätsfeststellungen u. a. mit Holzlatten, Fahnenstangen und Pyrotechnik attackiert und in mehreren Fällen verletzt worden. Zu den vom 31. Mai bis 1. Juni veranstalteten "Aktionstagen" hatte ein breites Bündnis "Blockupy Frankfurt" aufgerufen, dem auch Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung angehören. So war das bundesweite informelle linksextremistische Netzwerk "Interventionistische Linke" (IL) maßgeblich an den Vorbereitungen beteiligt. 64 Siehe Kapitel 5.2. 65 Ebenda. 66 Eigenen Angaben nach der IL zugehörig. 67 Siehe Kapitel 4.4.5 im Abschnitt Rechtsextremismus. 78 Linksextremismus Auch innerhalb der hiesigen linksextremistischen bzw. autonomen Szene wurde zu Protesten gegen die Veranstaltung in Kahla aufgerufen. Entsprechende Hinweise bzw. Links waren u. a. auf den Internetseiten der "Antifa Task Force Jena" (ATF Jena), der "Autonomen Antifa Gruppe Weimar" (AAG Weimar) und einer "Doku Crew Kahla" zu finden. Die AAG Weimar distanzierte sich dabei von den Protesten der bürgerlichen Gruppierungen: "Natürlich sehen wir Engagement gegen rechts als unerlässlich, jedoch stehen wir den zivilgesellschaftlichen Anti-Rechts-Projekten auch kritisch gegenüber: wie bereits angesprochen, wurde in der Vergangenheit nichts gegen aufkeimende rechte Strukturen unternommen, gegen Nazis aktive Leute wurden mit Argwohn betrachtet, nicht zu übersehende Zeichen wurden konsequent ignoriert. Aus dem plötzlichen Engagement mancher lässt sich ein ätzendes Bedürfnis nach Gewissenserleichterung und Selbstbestätigung heraushören. Dazu braucht man nicht einmal die abgeschmackten Aufrufe von Wichtigtuern wie dem Aktionsnetzwerk [vermutlich "Aktionsnetzwerk Jena"] nehmen: Lippenbekenntnisse, wo man auch hinhört." Auf dem auch von Linksextremisten genutzten Internetportal "linksunten.indymedia" war überdies ein Artikel mit dem Titel: "Weimar mobilisiert gegen Thüringentag" eingestellt worden, demzufolge man einen "vielfältigen und kraftvollen Protest" erwartete. Mit dem Aufruf: "Macht den Nazis auf den Anund Abreisewegen das Leben schwer!" wurde deutlich, dass dieser am Rande und unabhängig von den bürgerlichen Protesten stattfinden sollte. Im Nachgang reagierte die Szene auf die Proteste in einem Abriss auf der Website der "Doku Crew Kahla" deutlich: "Es war einer dieser Tage an die man mit den denkbar geringsten Erwartungen herangeht, obgleich man sich im Nachhinein eingestehen muss, auch damit noch zu optimistisch gewesen zu sein." Neben der Bewertung der "Gegenaktivitäten" als "bloßen Selbstzweck" wurde die "Akzeptanz der örtlichen Bürger gegenüber den örtlichen Neonazis" am "besorgniserregendsten" eingeschätzt. So habe ein "Stadtgespräch" aus "Angst vor linken Gewalttätern", nicht aber wegen der "hetzende[n] Faschisten" stattgefunden. Die "Stadtbevölkerung" sei lediglich "ignorant und ungebildet", weswegen die Forderungen nach "Toleranz und Weltoffenheit" bedingt durch "festgefahrenen Wertund Moralvorstellungen" lediglich "leere Worthülsen" darstellen. Die ATF Jena nannte den zu Tage getretenen "Bratwurstantifaschismus [...] nicht mehr als eine hohle Phrase." Unzufrieden gab man sich mit dem "gemütliche[n] demokratische[n] Mob der sich hier versammelt hat, um in bester Tradition schlechter Comedy eine undichte Stelle zuzuhalten wodurch das Wasser an anderer Stelle heraussprudelt" und "ebenso Teil des Gesamtproblems wie die Nazis selbst" ist. Er erteile jeder Form von "praktischem Aktionismus" eine klare Absage und zeige sich "offen unsolidarisch mit radikalem Antifaschismus". An das bürgerliche Lager gerichtet hieß es: "Ihr seid hier genau richtig, aber ihr seid keine Hilfe, nicht heute und nicht sonst wann, ihr seid Scheiße, nur eben auf Schwarz-Rot-Gold poliert." Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 79 Autonome thematisieren "Zwiebelmarkt" in Weimar Die "Autonome Antifa Gruppe Weimar" (AAG Weimar) und die Gruppierung "Antifa Task Force Jena" (ATF Jena) thematisierten auf ihren Internetseiten in wortgleichen, antideutsch geprägten Texten den traditionellen "Zwiebelmarkt" in Weimar, der jeweils am zweiten Wochenende im Oktober stattfindet. In dem Text wurden sowohl der politische Gegner, als auch die Stadt bzw. der Staat mit kritischen Äußerungen bedacht. Hiernach lasse die Stadt/der Staat zu, dass "aktive Kameradschaften und NPD-Mitglieder Jahr für Jahr das Fest" nutzen, um sich "zu vernetzen, zu feiern und Gespräche zu führen". Bei geschichtlichen Darstellungen zu dem Fest werde die Zeit des Nationalsozialismus bewusst ausgespart, kritische Aktionen zu dem Markt würden unterbunden. Alternative Gegenveranstaltungen seien polizeilich aufgelöst, den vermeintlichen Organisatoren Strafbefehle zugestellt worden. Im Weiteren wandten sich die Verfasser des Beitrags "gegen diese deutsche Feierlichkeit, weil sich hier nationalistischer Stumpfsinn frei bewegen darf, homophobe Sprüche mehr als sonst schon an der Tagesordnung stehen und deutsch sein zum guten Ton gehört". Es handele sich um "eine deutsche Feierlichkeit wie sie schlimmer nicht sein könnte". Während "der Ostdeutschen Mandy und ihrem Mann wegen ihrer deutschen Zugehörigkeit keine Gefahr auf dem Fest droht, sieht es für Menschen die nicht 'weiß' sind schon ganz anders aus. [...] Wer also in diese deutsche Volksgemeinschaft, in diesen deutschen Staat, nicht hineinpasst, wird sich auf diesem Fest nicht sehr willkommen fühlen." Abschließend hieß es: "Dieses Fest zeigt Deutschland so wie es ist, und genau deshalb lehnen wir es ab. Kein Volk, kein Fest, kein Volksfest!" "Antifaschistische Aktion Saalfeld" (AASlf) erklärt ihre Auflösung Die dem autonomen Spektrum zuzuordnende AASlf veröffentlichte am 25. August eine entsprechende Erklärung auf ihrer Internetseite. Bereits zum Jahresende 2012 waren kaum mehr Aktivitäten der Gruppierung feststellbar. Ein Internetbeitrag erschien im Oktober 2012 in Zusammenhang mit der Demonstration "Der Frust muss raus! Konsequent Handeln gegen Nazis, Rassismus und staatliche Repression!" am 13. Oktober in Erfurt. Davor waren im Mai und Juni einzelne Texte eingestellt worden. Zuletzt erschienen im Januar 2013 drei Beiträge, die offenbar eine gewisse Aktivität dokumentieren sollten. 80 Linksextremismus Gründung einer Gruppierung "Antifaschistische Aktion Jena" (AAJ) Mit der im Januar via Internet veröffentlichten Gründungserklärung trat die Gruppierung erstmalig an die Öffentlichkeit. Sie beschreibt sich als einen "Zusammenschluss von Antifaschist_innen verschiedener politischer Spektren", der in Ergänzung zu den in Jena bereits vorhandenen Strukturen vor Ort und in der Region kontinuierlich antifaschistische Arbeit leisten wolle. Die AAJ habe sich zum Ziel gesetzt, faschistische Strukturen aufzudecken und offen zu benennen. Darüber hinaus erachte man es als wichtig, "einen permanenten Abwehrkampf gegen Nazis zu führen". Da die Protagonisten in Jena "leben, arbeiten, studieren, zur Schule gehen" und in Jena und der Region "eine hohe Erscheinung an faschistischen Umtrieben" wahrnehmen, beabsichtigen sie an erster Stelle vor Ort, dann aber auch überregional mitzuwirken. Zu dem von der Gruppierung angestrebten System heißt es: "Anarchie kann sich nur mit kommunistischer Basis entwickeln und wie man den Kommunismus erreicht ist umstritten aber mit Sicherheit nicht mit dem Plan den Lenin hatte."68 Laut Internetpräsenz datieren die letzten Aktivitäten der Gruppierung aus dem Monat Juli. Gründung einer "Antifaschistischen Aktion Gotha" (AAGth) Ersten Verlautbarungen aus dem Monat September zufolge ging die AAGth aus der Gruppierung "Autonome AnarchistInnen Gotha" nach einer "Reihe von Diskussionen und Umstrukturierungen" hervor. In der Darlegung ihres Selbstverständnisses wird der Fokus auf typische linksextremistische Aktionsfelder und Feindbilder gelenkt: "Kampf gegen Rechts", "Kampf gegen den Kapitalismus" und "Kampf für Freiräume". Im Weiteren heißt es: "Wer gegen Nazis Kämpft [...] wird feststellen das Neonazis kein isoliertes gesellschaftliches Randproblem sind sondern, dass diese aus der Mehrheitsgesellschaft hervorgehen. [...] Wir möchten mit einem Entgegenwirken autonomer Politik Missstände benennen und angreifen, uns dabei immer weiter entwickeln und Konzepte antifaschistischer Praxis entwickeln und nach außen sowie in die Bewegung tragen."69 68 Fehler im Original. 69 Fehler im Original. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 81 In der Bezugnahme auf ein "Autonomes Konzeptpapier aus den 80ern" wird als ein Ziel die Schaffung einer herrschaftsfreien Anarchie bestätigt: "Wir wollen das System nicht reformieren oder verbessern. Wir führen keinen Dialog mit den Herrschenden, denn das ist der erste Schritt zur Integration. Wir lehnen die Propagierung reformistischer Ziele ab. Uns kommt es zu allererst darauf an, das Selbstbewusstsein der Menschen in Alltag und Politik zu stärken, ihre Sachen selbst in die Hand zu nehmen und nicht an andere zu delegieren. Deswegen lehnen wir für uns den parlamentarischen Weg ab." In dem Logo der AAGth stehen die schwarze und rote Fahne für "die anarchistischen und kommunistischen Strömungen in der autonomen Bewegung". Zudem wurden drei Sterne integriert, "um einen Bezug zur autonomen Bewegung und deren politischer Ausrichtung herzustellen". Insgesamt sei das Design an das Logo der verbotenen Gruppierung "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO)70 angelehnt, nicht um als Nachfolgeorganisation zu erscheinen, sondern vielmehr aus Protest gegen Verbote antifaschistischer Strukturen. Gewalt als Aktionsmittel Autonomer Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Aus ihrer Selbstsicht heraus nehmen sie Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Angriffe auf Personen meint man regelmäßig damit rechtfertigen zu können, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese Bezeichnung wird dabei zum Teil willkürlich verwendet, ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum rechtsextremistischen Spektrum gegeben haben muss. Letztlich dient sie nur als Staffage, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. Gewalttätige Aktionsformen werden taktisch, in Thüringen meist im Zusammenhang mit demonstrativen Aktivitäten, eingesetzt. Dabei spielen Überlegungen zur Haltung möglicher Bündnispartner ebenso eine Rolle wie Stärke und Vorgehensweise eingesetzter Polizeikräfte oder des politischen Gegners. Gelegentlich kommt es jedoch auch zu Gewaltausbrüchen zwischen Angehörigen des linksund rechtsextremistischen Spektrums, die jeweils "Vergeltungsaktionen" nach sich ziehen. 3.4 Autonomer "Häuserkampf" Der sog. Häuserkampf, das Besetzen von leer stehenden Gebäuden und die teils äußerst gewalttätige Verteidigung, zählt seit den Anfangstagen der Autonomen zu deren Schwerpunkten. Seinen Höhepunkt erlebte der "Häuserkampf" in den achtziger und neunziger Jahren. Die verbliebenen Objekte sind inzwischen meist legalisiert und 70 Der bisher bedeutendste Ansatz, autonome Strukturen bundesweit zu organisieren, bestand 1992 bis 2001. 82 Linksextremismus werden z. B. unter dem Dach eines Vereins geführt. Nur wenige haben überregionale bzw. bundesweite Bedeutung oder werden sogar im europäischen Zusammenhang wahrgenommen. Im Dezember beteiligten sich Thüringer Autonome an Protesten zum Erhalt eines "alternativen Kulturprojekts" in Hamburg.71 Hausbesetzung am 19. Oktober in Ilmenau Die linksextremistische Szene thematisiert im Internet die Besetzung eines leer stehenden Gebäudes am 19. Oktober in Ilmenau, Langewiesener Str. 17. An der Aktion waren 25 Personen beteiligt. Auf Flugblättern wurde erklärt, ein alternatives Kulturund Solidaritätszentrum mit Wohnräumen schaffen zu wollen. Die Besetzer verließen das Objekt noch am selben Tag nach entsprechender Einwirkung durch behördliche und städtische Vertreter. Im Anschluss daran fand ein Aufzug unter dem Motto "Soziale Freiräume schaffen" statt. Auf der Website "Antifaschistische Gruppen Südthüringen" (AGST) wurden im Nachgang der Polizeieinsatz sowie das Einwirken des Bürgermeisters kritisiert, der Räumungsgrund, wonach sich das Gebäude in privatem Besitz befindet, angezweifelt und Veröffentlichungen der lokalen Presse "richtiggestellt". Man distanzierte sich von den "Hausbesetzern", weil diese Gespräche mit Behörden und Stadt zugelassen haben, warf ihnen "Denunziation der autonomen Linken" vor und rief dazu auf, die Zusammenarbeit mit ihnen einzustellen. Mögliche Beteiligung von Linksextremisten an einer Hausbesetzung am 6. Dezember in Jena Am 6. Dezember wurde in Jena, Neugasse 17, ein leer stehendes Gebäude besetzt. Auf der Internetseite "linksunten.indymedia" hieß es, dass es seit "der vorübergehenden Besetzung des leer stehenden Horten-Gebäudes am Inselplatz im Jahr 2007" in Jena keine Versuche mehr gegeben habe, "sich Häuser zu nehmen". Weiterhin wurden Bezüge zu den Hausbesetzungen am 19. Oktober in Ilmenau und am 1. Mai72 Erfurt erkennbar. 71 Am 21. Dezember fand in Hamburg eine bundesweit beworbene Demonstration zum Erhalt des linksextremistischen Szeneobjekts "Rote Flora" statt, bei der es zu massiven Ausschreitungen kam. Auch aus Thüringen angereiste Demonstranten wurden unter dem Verdacht des Landfriedensbruchs in Gewahrsam genommen. 72 Siehe dazu den Beitrag "Linksextremisten beteiligen sich an Aktivitäten anlässlich des 1. Mai in Erfurt", Kapitel 3.3. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 83 Beteiligte errichteten auf der Straße Barrikaden u. a. aus Mühlcontainern. Im Zuge der Räumung des Objekts am Folgetag wurden fünf Personen wegen Hausfriedensbruchs bzw. Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Polizeigewahrsam genommen. An einer daraufhin am Abend durchgeführten Spontanversammlung beteiligten sich ca. 50 Personen, darunter 20 vermummte. Als sich Einsatzkräfte der Polizei näherten, löste sich der Demonstrationszug auf. 4. Anarchisten Anarchistische Anschauungen entstanden im 19. Jahrhundert in Abgrenzung zum Kommunismus. Im Gegensatz zu verschiedenen kommunistischen Organisationen berufen sich Anarchisten nicht auf verbindliche Standardwerke, sondern greifen auf eine Vielzahl von Theorien und Utopien zurück, die auf die Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft ausgerichtet sind. Jedwede Form von Staat und Regierung lehnen Anarchisten ab. Erklärtes Ziel ist, den Staat mittels einer Revolution aufzulösen und eine von der Basis her anarchistische Gesellschaft zu bilden. Im Gegensatz zu Marxisten-Leninisten setzen Anarchisten dabei auf die Spontanität der Massen, nicht auf eine Avantgardepartei. In der Bundesrepublik entfaltet lediglich die international organisierte "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA) wahrnehmbare Aktivitäten. 4.1 "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA)73 Die 1977 gegründete FAU-IAA versteht sich als eine nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft, die auf anarchistischen Grundsätzen beruht. Ihr Ziel besteht im Aufbau revolutionärer Gewerkschaften, um die bestehende Staatsform zu überwinden und durch ein klassenund staatenloses System zu ersetzen. So formuliert die FAU in ihrer 73 Die offizielle Abkürzung lautet FAU-IAA, jedoch ist auch in Veröffentlichungen der Gruppierung die Abkürzung FAU gebräuchlicher und sie wird deshalb in der Folge verwandt. 84 Linksextremismus "Prinzipienerklärung" die Herrschaftslosigkeit als Ziel. Für die Durchsetzung ihres Anliegens, seien "direkte Aktionen" wie Selbstorganisation, Besetzungen, Boykotts, Streiks und Sabotage legitime Mittel. Eigenangaben zufolge benannte sich die FAU Thüringen im Dezember in "FAU Erfurt/ Jena" um. Damit werde dem "lokalen Schwerpunkt auch in [der] Syndikats-Bezeichnung stärker Ausdruck" verliehen. Man wolle fortfahren, "in diesen beiden Städten syndikalistische Gewerkschaftsstrukturen zu festigen". Der "Meiniger Außenposten" bliebe zusätzlich erhalten. In Erfurt werde gelegentlich samstags eine "Präsenzzeit" zur Kontaktaufnahme angeboten. 5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige Gruppierungen 5.1 "Kommunistische Plattform" (KPF) der Partei "DIE LINKE." Bund Thüringen Gründung 1989 1993 Sitz Berlin - Mitglieder 2013 ca. 1.200 ca. 100 2012 ca. 1.250 ca. 100 2011 ca. 1.200 ca. 100 Publikationen "Mitteilungen der Kommuni- - stischen Plattform der Partei DIE LINKE" (monatlich) Internet eigene Internetpräsenz im kein eigener Internetauftritt Rahmen des Internetauftritts der Partei "DIE LINKE." Die KPF wurde 1989 in der damaligen SED-PDS gegründet und wirkt nunmehr in der Partei "DIE LINKE."74 als "ein offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten". Wesentliches Anliegen der KPF ist die Fortsetzung marxistischleninistischer Politik. Darunter versteht sie u. a. das Festhalten an der sozialistischen Zielstellung und der antikapitalistischen Grundausrichtung. Sowohl im politischen Alltag als auch in der Programmdebatte der Partei "DIE LINKE." bekannte sich die KPF nach wie vor dazu, einem "Systemwechsel" verpflichtet zu sein. Dies impliziert die durch Revolution zu errichtende Macht des Proletariats und in fortgesetzten revolutionären Kämpfen so74 "DIE LINKE." ist kein Beobachtungsobjekt des TLfV. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 85 wohl die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine sozialistisch-kommunistische Ordnung als auch die Unterdrückung des Widerstands der durch Revolution entmachteten Klasse. Die Staatsgewalt läge sodann einzig bei der kommunistischen Partei. Durch deren Allmacht schieden nicht nur die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung, sondern auch das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition sowie die Durchführung freier und allgemeiner Wahlen aus. Eine solche Diktatur des Proletariats ist mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar.75 Es erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) und weiteren linksextremistischen Personenzusammenschlüssen. Ihrer Satzung zufolge ist die KPF "offen für alle, unabhängig von parteilicher und sonstiger politischer Bindung", sofern "Mehrheitsbeschlüsse der KPF" und das Parteistatut akzeptiert werden. Im Rahmen des von der Plattform angestrebten "breiten linken Bündnisses" ist deren vorrangiges Anliegen, "die Zusammenarbeit aller [...], die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen", herzustellen. Es erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) und weiteren linksextremistischen Personenzusammenschlüssen. Ihrer Satzung zufolge ist die KPF "offen für alle, unabhängig von parteilicher und sonstiger politischer Bindung", sofern "Mehrheitsbeschlüsse der KPF" und das Parteistatut akzeptiert werden. Im Rahmen des von der Plattform angestrebten "breiten linken Bündnisses" ist deren vorrangiges Anliegen, "die Zusammenarbeit aller [...], die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen", herzustellen. Die KPF wird auf Bundesebene von einem Bundeskoordinierungsrat geleitet und durch den Bundessprecherrat vertreten. Höchstes Gremium ist die laut Satzung mindestens einmal jährlich einzuberufende Bundeskonferenz. Diese beschließt die politischen Leitlinien der KPF und wählt vorgenannte Räte. Die KPF berichtete auf ihrer Internetseite über die am 27. April in Berlin stattgefundene 3. Tagung der 16. Bundeskonferenz der KPF. Demnach thematisierte dort der Bundessprecherrat auch den bundesweiten Mitgliederverlust von Partei und KPF. In den neuen Ländern etwa könnten die Neueintritte die Zahl der Sterbefälle nicht mehr kompensieren. Zum Stichtag 31. Dezember 2012 hätten der KPF 1.210 Mitglieder angehört. Um diesem Mitgliederschwund entgegenzuwirken, müsse gezielter an der 75 Siehe hierzu das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 2009 "Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Beobachtung einer politischen Partei und ihrer Funktionäre durch das Bundesamt für Verfassungsschutz wegen des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen". 86 Linksextremismus Mitgliederentwicklung gearbeitet werden, hieß es. In den Basisorganisationen der Partei "DIE LINKE." sollen jene Personen angesprochen werden, "die wir uns als KPFAngehörige wünschen". Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der KPF in Thüringen wurden nicht bekannt. Zu ihrer Landesversammlung vom 6. April versammelten sich 29 Personen. Ein Vertreter des KPF-Sprecherrats war als Gast anwesend. Den Vorgaben der Bundeskonferenz gemäß wurde ein Beschluss in Sachen Mitgliedergewinnung gefasst.76 Im Rahmen einer weiteren Landesversammlung am 12. Oktober in Erfurt wurden die Mitglieder des neuen Landessprecherrats sowie die Delegierten für die Bundeskonferenz der KPF am 7. Dezember in Berlin gewählt. 5.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Bund Thüringen Gründung 1968 1996 Sitz Essen - Mitglieder 2013 ca. 3.500 ca. 2577 2012 ca. 4.000 ca. 40 2011 ca. 4.000 ca. 40 Jugendorganisation "Sozialistische Deutsche - Arbeiterjugend" (SDAJ) Publikationen "Unsere Zeit" (UZ) "Thüringenreport"78 (wöchentlich) Internet eigener Internetauftritt eigener Internetauftritt Die DKP versteht sich als Nachfolgeorganisation der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). In ihrem Parteiprogramm charakterisiert sie sich als antifaschistische, revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, als Partei des proletarischen Internationalismus und des Widerstands gegen die sozialreaktionäre, antidemokratische und friedensgefährdende Politik der Herrschenden, die sich von den Zukunftsund Gesamtinteressen der Arbeiter und Angestellten als Klasse leiten lässt. Weltanschauung, Politik und Organisationsverständnis der DKP gründen dem Programm zufolge auf dem wissenschaftlichen Sozialismus. Die Partei überträgt die Lehren des Marxismus auf die derzeitigen Bedingun76 "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE", Heft 5/2013. 77 DKP-Informationen, Nr. 8/2013. 78 Im Berichtszeitraum wurde lediglich eine Ausgabe (Mai 2013) bekannt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 87 gen des Klassenkampfs, um so zu deren Weiterentwicklung beizutragen. Ihr Ziel sieht sie im Sozialismus/Kommunismus, wofür es die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Werktätigen zu gewinnen gelte. Nur der revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen beseitige letztendlich die Ursachen von Ausbeutung und Entfremdung, Krieg, Verelendung und Zerstörung der natürlichen Umwelt. Am 2./3. März fand der 20. Parteitag der DKP in Mörfelden-Walldorf mit 152 Delegierten statt. Wie bereits in den Vorjahren kam es auch im Vorfeld dieses Parteitags zu internen Machtkämpfen um wesentliche theoretische Positionen, z. B. die Rolle der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt, die Stellung und Funktion einer kommunistischen Partei, die Analyse des Imperialismus. Die befürchtete Spaltung der Partei während des Parteitags blieb dennoch aus. Erstmals seit ihrer Gründung im Jahr 1968 bewarben sich zwei Mitglieder des Parteivorstands um den Parteivorsitz - die bisherige Vorsitzende und ihr Stellvertreter. Dieser wurde nach einer langwierigen Personaldebatte schließlich in einer nichtöffentlichen Wahl mit einer Mehrheit von 91 Stimmen zum neuen Vorsitzenden gewählt. Er forderte eine Neubesinnung auf marxistisch-leninistische Grundlagen und Anschauungen und die Beilegung der internen Streitigkeiten. Der Parteivorsitzende wandte sich in einem Interview der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt"79 gegen den bürgerlichen Parlamentarismus. "Ich bin kein Freund einer Parlamentsfixierung. Natürlich ist die KP einerseits eine normale Partei und gleichzeitig ist sie 'Antipartei', weil sie im bürgerlichen Parlamentarismus weder das Hauptfeld des Kampfes, noch die Verwirklichung absoluter Demokratie sieht."80 Weiterhin äußerte er sich zum Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital. Dieser lasse sich nur lösen, wenn ein Bruch der herrschenden Eigentumsund Gesellschaftsverhältnisse erreicht werde. Dieser Bruch erfordere, dass "die Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen der Bourgeoisie die Macht nehmen muss, wenn man den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus aufbauen will". Die DKP sei aus seiner Sicht "die Partei, in der Kommunisten ihren Platz haben, um gemeinsam von Revolution zu reden und an der Heranführung an diese zu arbeiten." Auf der 4. Parteivorstandstagung am 28./29. September in Essen wurde der Entwurf des EU-Wahlprogramms mit dem Titel "JA zum Europa der Solidarität und des Widerstands gegen die EU! NEIN zum Europa der Banken und Konzerne!" beschlossen. Auf einer weiteren Tagung am 16./17. November erging die Vorgabe, zur Absicherung der Kandidatur zur Europawahl 6.000 Unterschriften zu sammeln. Die Mitglieder der DKP Thüringen wurden aufgefordert, mindestens 40 Unterschriften beizutragen. 79 "junge Welt" vom 31. August /1. September 2013. 80 Fehler im Original. 88 Linksextremismus Die DKP in Thüringen Die im Januar 1996 gegründete DKP Thüringen umfasst nach eigenen Angaben sieben Regionalund Ortsgruppen81. Führungsgremium ist ein von der Landesmitgliederversammlung gewählter Koordinierungsrat, der die Arbeit der Partei für jeweils zwei Jahre leitet. Von der DKP Thüringen gingen im Berichtszeitraum wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen aus. Im Vorfeld des "8. Theorieseminar" vom 6./7. April in Gera zum Thema "Historischer Materialismus" wurde auf der Internetseite der DKP Thüringen um Teilnahme geworben. Einem Beitrag des "Thüringenreport"82 zufolge seien im Laufe des Seminars Fragen u. a. zur Problematik des real durchsetzbaren Sozialismus entstanden. 5.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) Bund Thüringen Gründung 1990 1993 Sitz Berlin - Mitglieder 2013 ca. 100 wenige Mitglieder 2012 ca. 150 wenige Mitglieder 2011 ca. 150 wenige Mitglieder Publikationen "Die Rote Fahne" (monatlich) - Jugendorganisation "Kommunistischer Jugendverexistent; nur wenige Mitglieder band Deutschlands" (KJVD) Internet eigener Internetauftritt83 kein eigener Internetauftritt Die KPD wurde am 31. Januar 1990 im damaligen Ost-Berlin von ehemaligen SEDMitgliedern "wiedergegründet".84 In ihrem Statut definiert sie sich als "marxistischleninistische Partei", als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse und des ganzen werktätigen Volkes", die "fest in den Traditionen des 'Bundes der Kommunisten', des 81 "Thüringenreport", Nr. 02/2010, März 2010. 82 "Thüringenreport", Ausgabe Mai 2013, Seite 3. 83 Im Berichtszeitraum wurden keine Aktualisierungen und Neueinstellungen festgestellt. 84 Ihre 1919 entstandene Vorläuferorganisation ging nach der Zerschlagung während der Zeit des Nationalsozialismus und der erneuten Zulassung nach dem Zweiten Weltkrieg in der 1946 gegründeten "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) auf. In Westdeutschland war sie 1956 verboten worden. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 89 'Spartakusbundes', der KPD und SED sowie ihrer hervorragenden Persönlichkeiten" stehe. Die Partei sieht sich als "Erbe und Bewahrer der Erfahrungen und Erkenntnisse des Klassenkampfes der revolutionären Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in Deutschland" sowie "des Besten, was die deutsche Arbeiterklasse bisher erkämpfte, der sozialistischen Erfahrungen und Errungenschaften der DDR". Als weitere Aufgabe wurde festgelegt, "insbesondere die Arbeiterklasse und alle objektiv antiimperialistischen Kräfte für die Überzeugung zu gewinnen, dass die einzige Alternative zur gegenwärtigen imperialistisch geprägten Gesellschaft noch immer die Schaffung der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist." Politisch-ideologische Markenzeichen der KPD sind dogmatischer Stalinismus, DDR-Verherrlichung sowie permanente Huldigungen an die "Koreanische Demokratische Volksrepublik" (KDVR) und deren Führung. Ihren organisatorischen Schwerpunkt hat die Partei in den neuen Bundesländern. Seit April 1993 besteht die KPD-Landesorganisation Thüringen. Am 30. November fand in Berlin der 28. Parteitag der KPD unter der Losung "Kampf für die Stärkung der Partei und die Festigung ihrer Reihen" statt. Der bisherige stellvertretende Vorsitzende Torsten SCHÖWITZ wurde auf dem Parteitag zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Schon zuvor nahm er die Aufgabe für den erkrankten bisherigen KPD-Vorsitzenden wahr, der nunmehr die Vertreterfunktion inne hat. Bereits seit Dezember 2012 leitete SCHÖWITZ die Sitzungen des Zentralkomitees der KPD. In dem vorgetragenen Rechenschaftsbericht hieß es: "Es gilt, diesen Verhältnissen und den Herrschenden, die sie verursachen, eine konstruktive und kritische Kraft entgegenzusetzen - um zu zeigen, dass diese kapitalistische Gesellschaft nicht 'alternativlos' ist." Das abschließende Statement lautete: "Um als Avantgarde der Partei unsere Aufgaben zu erfüllen, ist es unerlässlich, solche Eigenschaften von Kommunisten noch weiter auszuprägen, wie Klassenstandpunkt, Prinzipienfestigkeit und revolutionäre Disziplin. [...] Tun wir deshalb alles in unserem Kampf gegen den Gegner, für die Einheit, Reinheit und Geschlossenheit unserer Reihen. Rot Front!" Zu weiteren Schwerpunkten wurden die Stärkung der Partei und die Gewinnung neuer Mitglieder durch eine überzeugende Öffentlichkeitsarbeit erklärt. Die KPD in Thüringen Die KPD-Landesorganisation Thüringen besteht aus der "KPD-Regionalorganisation Erfurt" und der "KPD-Regionalorganisation Bad Langensalza und Umland". Von der KPD-Landesorganisation Thüringen gingen im Jahr 2013 keine nennenswerten Aktivitäten aus. 90 Linksextremismus 5.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Bund Thüringen Gründung 1982 - Sitz Gelsenkirchen Ortsgruppe Suhl, Kontaktadressen in Eisenach und Sonneberg Mitglieder 2013 ca. 1.900 ca. 40 2012 ca. 2.000 ca. 40 2011 ca. 2.000 ca. 40 Publikationen "Rote Fahne" "Stimme von und für Elbe(wöchentlich) Saale" (unregelmäßig) Jugendorganisation "REBELL" - Internet eigener Internetauftritt kein eigener Internetauftritt Ziel der maoistisch-leninistischen MLPD ist "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". In ihrem 1999 beschlossenen Parteiprogramm führt sie ergänzend aus: "Die Eroberung der politischen Macht ist das strategische Ziel des Klassenkampfes der Arbeiterklasse. Die MLPD hat die Aufgabe, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen und ihre Kämpfe in einem umfassenden, gegen das Monopolkapital und seinen Staat als politisches Herrschaftsinstrument gerichteten Kampf höherzuentwickeln. [...] Der Kern der revolutionären Taktik der MLPD besteht darin, den wirtschaftlichen mit dem politischen Kampf zu verbinden bzw. den wirtschaftlichen in den politischen Kampf umzuwandeln und den Klassenkampf auf das sozialistische Ziel hin auszurichten." Im linksextremistischen Lager ist die MLPD auf Grund ihres sektiererischen Auftretens isoliert. Die MLPD trat in allen 16 Bundesländern mit Landeslisten sowie insgesamt 41 Direktkandidaten zur Bundestagswahl 2013 an. Bei zahlreichen Informationsständen im gesamten Bundesgebiet, darunter auch in Erfurt, sammelte sie im Vorfeld ca. 43.000 Unterstützerunterschriften. Im Juli veröffentlichte die Partei im Internet einen Beitrag unter dem Titel "Die Zeit ist reif für eine Arbeiteroffensive". Dort hieß es, der Bundestagswahlkampf fände zum Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 91 ersten Mal mitten in einer Weltwirtschaftsund Finanzkrise statt. Die Partei sehe sich als "radikal linke, revolutionäre Alternative". Sie brauche "als revolutionäre Partei keine Rücksicht auf den Kapitalismus zu nehmen und steht für eine radikale Alternative, den echten Sozialismus!" In dem in der Wochenzeitschrift "Rote Fahne" veröffentlichten Interview "Mit der Offensive die revolutionären Potenziale erweitern"85 äußerte sich der Parteivorsitzende Stefan ENGEL wie folgt zur Bundestagswahl: "Wir machen uns nichts vor: Die bürgerlichen Parlamentswahlen sind eine Methode, mit der das internationale Finanzkapital auch in Deutschland seine Alleinherrschaft über Staat, Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Deckmantel von angeblich freien Wahlen verschleiern will. Dafür haben sie erhebliche Hürden gegen die parlamentarische Arbeit durch revolutionäre Kräfte aufgebaut." Es wäre eine "politische Dummheit", das demokratische Recht auf Wahlbeteiligung nicht zu nutzen. Mittels Wahlwerbespots im Fernsehen und Radio könne die Partei ein Millionenpublikum erreichen. Im Ergebnis der Wahl verzeichnete die MLPD auf Bundesebene mit 12.986 (2009: 17.512) Erststimmen (0,0 %) und 25.336 (2009: 29.261) Zweitstimmen (0,1 %) jeweils Verluste. Die MLPD in Thüringen Die Parteigliederungen in Thüringen gehören ebenso wie jene in Sachsen und Sachsen-Anhalt dem 2008 gegründeten MLPD-Landesverband Elbe-Saale mit Sitz in Leipzig an. Die organisatorischen Schwerpunkte der Partei befinden sich im Freistaat in Eisenach, Sonneberg und Suhl. Teilnahme an der Bundestagswahl 2013 Im Zeitraum vom April bis Oktober wurden im Stadtgebiet von Erfurt Unterschriften für die Beteiligung der Partei an der Bundestagswahl 2013 gesammelt. Zudem fanden Wahlkampfveranstaltungen u. a. mit der stellvertretenden Parteivorsitzenden und der Vorsitzenden des MLPD-Jugendverbands "REBELL" statt. 85 "Rote Fahne", Nr. 33/2013 vom 16. August 2013. 92 Linksextremismus In einer Sonderausgabe des MLPD-Regionalblatts "Stimme von und für Elbe-Saale" wurde auf Treffen einer Thüringer "Wählerinitiative" der MLPD am 27. August und 6. September sowie deren Sommerfest am 1. September in Eisenach hingewiesen. Aufgabe der "Wählerinitiativen" ist es, vornehmlich in Plattenbaugebieten Wahlwerbung der MLPD zu verteilen und dort auch persönlich vorzusprechen. Auf Platz 1 der insgesamt sechs Personen umfassenden Thüringer Landesliste zur Bundestagswahl stand Andreas EIFLER aus Schalkau. Er kandidierte für den Wahlkreis 196 (Landkreise Saalfeld-Rudolstadt, Sonneberg und Saale-Orla). Dort erzielte er 835 Erststimmen, die MLPD 349 Zweitstimmen. Insgesamt entfielen auf die MLPD in Thüringen 835 (2009: 582) Erststimmen (0,1 %) und 1.744 (2009: 1991) Zweitstimmen (0,1 %). 11. "Sommercamp" der MLPD-Jugendorganisationen Das in der Zeit vom 27. Juli bis 10. August in der parteieigenen "Ferienund Freizeitanlage Truckenthal" ausgerichtete Camp der Jugendorganisation "REBELL" stand unter dem Motto "radikal, links, revolutionär - für den echten Sozialismus". Eigenangaben nach nutzten 220 Jugendliche diverse Freizeitbzw. Ferienangebote, die zuvor sowohl über Internet als auch in der MLPD-Wochenzeitschrift "Rote Fahne"86 beworben wurden. Verlautbarungen der MLPD zufolge wirkten Mitglieder von "REBELL", die am Sommercamp teilnahmen, an Gesprächen und Plakataktionen im Rahmen des Bundestagswahlkampfs der Partei mit. Demnach klebten sie gut 600 Wahlplakate in Thüringen und Bayern.87 Allein in Erfurt seien 118 Plakate der MLPD angebracht worden. Kritik habe man bei einem Besuch der Ausstellung in der Gedenkstätte Buchenwald geübt. So komme die Selbstbefreiung der Häftlinge - eine unter Linksextremisten weit verbreitete Auffassung - dort nicht zum Tragen. Der Parteivorsitzende Stefan ENGEL besuchte das Camp am 3. August und beteiligte sich an einer in Zusammenhang mit dem traditionellen "Waldfest" durchgeführten Podiumsdiskussion zu dem Thema "Klimawandel oder Klimakatastrophe? Was tun zur Rettung der Umwelt". Diese hätten ca. 100 Personen verfolgt.88 Das "Waldfest" gilt als Höhepunkt des Camps. In diesem Jahr soll es von ca. 700 Personen besucht worden sein. Die Themenwahl für die Podiumsdiskussion zeigt, dass die MLDP mit unverfänglichen Themen und Angeboten versucht, Menschen an die eigene Partei heranzuführen. Die Mobilisierung zur Diskussionsveranstaltung wie auch für das "Waldfest" insgesamt belegt, dass dies der Partei gelingt. 86 "Rote Fahne", Nr. 20/2013 vom 17. Mai 2013. 87 "Rote Fahne", Nr. 33/2013 vom 16. August 2013, Beitrag auf der Homepage der MLPD, abgerufen am 19. August 2013. 88 "Rote Fahne", Nr. 32/2013 vom 9. August 2013. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 93 Das Camp wird seit 2003 in Truckenthal in einer parteieigenen Immobilie ausgerichtet. Neben dem Angebot eines "erholsamen und rebellischen Urlaub(s)" stehen die politische Schulung der Jugendlichen, die Gewinnung neuer Mitglieder, die öffentlichkeitswirksame Präsentation der Partei im Umland sowie der weitere Aufbau der Immobilie im Vordergrund. Durchführung von "Dialektikkursen" In den Monaten August, September und November fanden in der "Ferienund Freizeitanlage Truckenthal" vier "Dialektikkurse" zu den Themen "Die Strategie und Taktik im Kampf um die Denkweise", "Die proletarische Streitkultur", "Das System der Kleinarbeit der MLPD auf dem Niveau der Lehre von der Denkweise" und "Die bewusste Anwendung der dialektischen Methode zur Organisierung der Selbstkontrolle der MLPD" unter Leitung von Führungskadern der Partei statt. Die kostenpflichtigen Schulungsangebote stehen allen Parteimitgliedern offen und werden in den Parteimedien beworben. 5.5 "Rote Hilfe e. V." (RH) Bund Thüringen Gründung 1975 - Sitz Göttingen Jena, Erfurt, Arnstadt, Weimar Mitglieder 2013 ca. 6.000 ca. 120 2012 ca. 6.000 ca. 120 2011 ca. 5.600 ca. 120 Publikationen "Die Rote Hilfe" - (vierteljährlich) Internet eigener Internetauftritt eigene Internetauftritte der örtlichen Gliederungen Die von Linksextremisten unterschiedlicher Ausrichtung getragene RH versteht sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem gesamten "linken" und linksextremistischen Spektrum politisch und materiell unterstützt. Rechtskräftig Verurteilte, die sich nicht von ihren Taten distanzieren, erhalten auf Antrag regelmäßig einen nach Satzung vorgeschriebenen Teil der Kosten erstattet. Andernfalls wird die Kostenerstattung gekürzt oder in Gänze abgelehnt. Die Zuwendungen richten sich auch an militante Linksextremisten. 94 Linksextremismus Die Organisation gliedert sich bundesweit in ca. 47 Ortsbzw. Regionalgruppen. In Thüringen existieren Ortsgruppen in Jena und Erfurt sowie eine Regionalgruppe in Südthüringen. Letztgenannte will nach Eigenangaben in den Landkreisen Ilmkreis, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg sowie der kreisfreien Stadt Suhl aktiv sein. Eine bisher als Kontaktadresse bekannte "Gliederung" aus Weimar trat zwischenzeitlich als Ortsgruppe in Erscheinung, wird als Ortsgruppe jedoch bspw. in den Internetauftritten der Bundesorganisation oder der hiesigen Gruppierungen nicht aufgeführt. Sie machte bislang nur im Jahr 2012 mit der einzigen Ausgabe einer "Thüringer Rote Hilfe Zeitung" auf sich aufmerksam. Die RH fiel in Thüringen vor allem durch Veröffentlichungen im Internet auf. So etwa durch Darstellungen zu einem Gerichtsprozess in Weimar, bei dem die Beschuldigten Opfer von Polizeigewalt geworden seien. Die Anklagebehörde legte allerdings Berufung gegen das aus ihrer Sicht zu milde ausgefallene Strafmaß gegen die wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilten Angeklagten ein. In Einzelfällen beteiligte sich die RH-Thüringen an Demonstrationen und Protesten, so an den Blockupy-Protesten am 1. Juni in Frankfurt a. M. (Hessen)89 oder einer Solidaritätsveranstaltung mit "Kurd_innen in Syrien" am 7. Juli in Erfurt. Thüringer RH-Gruppen organisierten Vortragsbzw. Schulungsveranstaltungen. So war das Thema "SS 129b-Verfahren und Repression gegen Kurd_innen in Deutschland" Gegenstand eines Vortrags am 18. März aus Anlass des traditionell begangenen "Tags des politischen Gefangenen" in Erfurt. Des Weiteren begleitete die RH zwei kurzzeitige Hausbesetzungen in Ilmenau und Jena90 mit dem für sie typischen Unterstützungsangebot. Die Ortsgruppe Jena der RH organisierte vom 9. bis 20. Dezember in Jena eine Ausstellung unter dem Thema "Vermummt und Gewaltbereit - Polizeigewalt in Deutschland". 89 Siehe Beitrag ",Antirepressionsdemo' am 6. Juni in Jena", Kapitel 3.3. 90 Siehe Kapitel 3.4. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 95 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Links weist die Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA)91 folgende Zahlen aus: Straftaten 2013 2012 2011 Insgesamt 192 153 162 davon u. a.: Gewaltkriminalität 24 12 23 Sachbeschädigungen 113 86 84 Verstöße gegen das 15 36 28 Versammlungsgesetz Mit 192 Delikten entfielen im Berichtszeitraum 13,0 % (Vorjahr 10,8 %) der insgesamt in Thüringen erfassten politisch motivierten Straftaten (1.479) auf den Phänomenbereich "Links". Dies stellt einen leichten Anstieg dar. Hier sind im Vergleich zum Vorjahr insgesamt 39 Straftaten mehr registriert worden, was einem Anstieg von über 25,5 % entspricht. Dieser wird, betrachtet man die einzelnen Deliktqualitäten, auch bei den Gewaltstraftaten ersichtlich, die sich mit einem Anstieg von 12 auf 24 begangene Taten verdoppelt haben. Ebenso weist die Zahl der Sachbeschädigungen mit einer Steigerung von 86 auf 113 Straftaten einen Zuwachs um 31 % auf. Bei den Verstößen gegen das Versammlungsgesetz ist ein Rückgang von 36 auf 15 Straftaten zu verzeichnen. 91 Siehe Fn. 50. 96 Linksextremismus IV. Islamismus/ Ausländerextremismus 1. Überblick Die Aktivitäten der in Deutschland agierenden ausländerextremistischen Organisationen zielen darauf ab, Veränderungen der politischen Verhältnisse in den jeweiligen Herkunftsländern herbeizuführen oder die Außenpolitik der Bundesregierung in diesem Sinne zu beeinflussen. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten Gruppierungen, die sich gegen die konstitutiven Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wenden, Bestrebungen entfalten, welche die innere Sicherheit gefährden oder auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen tangieren. Die Strukturen jener Organisationen und Gruppierungen weichen ebenso erheblich voneinander ab wie die ideologischen Grundlagen, auf die sie sich berufen. Sie sind entweder islamistisch, linksextremistisch oder nationalistisch/separatistisch ausgerichtet. Zudem werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, ob Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen ist. Islamistische Gruppierungen verfügen in Deutschland mit 43.185 (2012: 42.550) Anhängern/Mitgliedern weiterhin über das größte Personenpotenzial. Als Angehörige linksextremistischer Ausländergruppierungen gelten 17.970 (2012: 17.970) Personen. Das extrem-nationalistische Spektrum umfasst 10.840 (2012: 10.840) Anhänger. In Thüringen haben sich islamistische Gruppierungen bislang kaum strukturell etabliert. Sympathisanten finden sich vornehmlich in Moscheevereinen. Sie treten durch Teilnahme an einschlägigen überregionalen Veranstaltungen, die Verbreitung entsprechender Schriften bei Informationsständen oder die Unterstützung bundesweit betriebener islamistischer Kampagnen in Erscheinung. Nach wie vor bestehen darüber hinaus organisatorische Verzweigungen der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in Thüringen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 97 2. Islamismus Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke islamistischer Ideologie ist die Behauptung, jegliche Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung, der sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden, halten Islamisten für unabdingbar. Islamistische Organisationen und Gruppierungen lassen sich - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - grob unterscheiden in solche, die * in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung gemäß ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben und dazu auch in Deutschland propagandistische Aktivitäten entfalten sowie Spendensammlungen betreiben, um die im Ausland befindliche Mutterorganisation zu unterstützen, und jene, die * in Deutschland eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie verfolgen, um die oben genannte Änderung des Staatswesens in ihren Herkunftsländern zu erreichen, zugleich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie bemüht sind, auch für ihre Anhänger in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Wenngleich sich diese kategorisierten Gruppen in Deutschland nicht terroristisch betätigen, stellen sie doch eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die innere Sicherheit dar. So befürworten beispielsweise die Erstgenannten mitunter Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele und/oder verstoßen - wie die verbotene "Hizb ut-Tahrir" (HuT - "Partei der Befreiung") mit ihrer Zielsetzung, die islamische Gemeinde (Umma) in einem einzigen Staat zu vereinen und dadurch bisherige nationalstaatliche Grenzen aufzulösen - gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die der "Muslimbruderschaft" (MB)92 zuzurechnende "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) oder auch die "Tablighi Jama'at" (TJ)93 sind der zweiten Rubrik zuzuordnen. Das Bemühen, ihren Anhängern Freiräume für ein an der Scharia 92 Siehe Kapitel 2.2.2. 93 Siehe Kapitel 2.2.3. 98 Islamismus/Ausländerextremismus ausgerichtetes Leben in der Bundesrepublik zu schaffen, kann zur Entstehung von Parallelgesellschaften beitragen und Radikalisierungsprozesse in Gang setzen. 2.1 Internationaler islamistischer Terrorismus Der islamistische Terrorismus greift Ideologieelemente des Islamismus auf, weist darüber hinaus jedoch eine äußerst aggressive, kampfbetonte Komponente auf. Richtete sich der von islamistischen Terroristen geführte Jihad94 ("heiliger" Krieg) anfangs gegen den "nahen Feind", also Regime in der Region bzw. in ihren Heimatländern wegen dort vorherrschender nationaler Konflikte, weitete er sich später auch gegen den "fernen Feind" - also Staaten, die den angegriffenen Regierungen bei der Zurückdrängung der Aufständischen Unterstützung zukommen ließen - aus. Er mündete schließlich in den von "al-Qaida" und anderen jihadistischen Gruppierungen geführten globalen Jihad gegen zu Feinden des Islam erklärte Staaten weltweit. Die Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terrorismus hat sich zu einer internationalen Herausforderung mit weitreichenden Auswirkungen auf außenund sicherheitspolitische Entscheidungen westlicher Regierungen entwickelt. 2.1.1 Aktuelle Entwicklungen Der islamistische Terrorismus war im Jahr 2013 stark durch die politischen Entwicklungen in den arabischen Staaten geprägt. Insbesondere der Bürgerkrieg in Syrien entwickelte sich zu einem vorrangigen Betätigungsfeld für Jihadisten aus aller Welt. Aus den 2011 entflammten Protesten gegen das Regime von Baschar AL-ASSAD ist ein blutiger und komplexer Konflikt wechselnder Interessenbündnisse erwachsen, in dem die Regierungstruppen ehemaligen Angehörigen der Syrischen Armee, säkularen Oppositionellen, diversen islamistischen Gruppierungen aber auch kurdischen Milizen feindlich gegenüber stehen. Der Konflikt in Syrien entfaltete großes Mobilisierungspotenzial unter ausländischen Jihad-Freiwilligen. Allein in Deutschland wurden bis Dezember mehr als 240 Personen bekannt, die nach Syrien reisten, um die Jihadisten zu unterstützen. Insgesamt muss von mehr als 10.000 ausländischen islamistisch-jihadistischen Kämpfern in Syrien ausgegangen werden. Ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik Deutschland geht insbesondere von Rückkehrern aus dem Kriegsgebiet aus, da zu befürchten ist, dass die dort gewonnenen Erfahrungen für Aktivitäten auch in Deutschland genutzt werden können. 94 Wörtlich übersetzt "Anstrengung" oder "Bemühung", meint einerseits das geistig-spirituelle Bemühen des Gläubigen um das richtige religiöse Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sog. großer Jihad) aber auch den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sog. kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 99 Neben Syrien stellten weiterhin Afghanistan, Irak, Pakistan, Somalia und Jemen die regionalen Brennpunkte des islamistischen Terrorismus dar. Dieser fand weltweit in Anschlägen, Geiselnahmen und anderen terroristischen Aktionen Niederschlag. Auch westliche Staaten - wie z. B. Großbritannien - waren 2013 Ziel terroristischer Angriffe. Sie gingen vor allem von im jeweiligen Land sozialisierten Einzeltätern aus, die in keiner oder nur loser Verbindung zu einer Terrororganisation standen. Die Struktur der Terrororganisation "al-Qaida" wurde seit 2011 durch den Tod ihres Anführers Osama BIN LADEN und weiterer hochrangiger Führungskräfte nachhaltig geschwächt. Das Internet als Medium der Kommunikation, Radikalisierung und Organisation nimmt seither einen immer höheren Stellenwert ein. Eine feste und starr personenbezogene Organisationsstruktur rückt zunehmend in den Hintergrund. Die regionalen Dependancen der "al-Qaida", wie "al-Qaida im Irak und Großsyrien" (ISIG), erfahren - nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung am Bürgerkrieg in Syrien - hingegen großen Zulauf. So sind in Nordsyrien bzw. im Irak Regionen entstanden, in denen ISIG quasi als staatlicher Akteur auftritt und über Rechtsprechung und Bildung der dortigen Bevölkerung entscheidet. Im Zuge der 2011 durch den sog. Arabischen Frühling in Gang gesetzten revolutionären Veränderungen in einigen arabischen Staaten erlangten 2012 in Tunesien und Ägypten islamistische Parteien bzw. Bewegungen politische Verantwortung. Dies wiederum entfachte neues Konfliktpotenzial, das 2013 in Ägypten letztendlich zur Absetzung der islamistischen Regierung und Machtübernahme durch ein Militärregime führte.95 Auch in anderen Teilen Afrikas stellt der islamistische Terrorismus eine Bedrohung für die politische und gesellschaftliche Stabilität dar. Die islamistischen "Al-Shabab Milizen" in Somalia betreiben einen brutalen Krieg gegen die Zentralregierung bzw. die Truppen der Afrikanischen Union. Sie werden dabei von Jihadisten aus aller Welt unterstützt. In den durch die "Al-Shabab Milizen" beherrschten Gebieten wird die Bevölkerung massiv unterdrückt. Im September überfielen bewaffnete "Al-Shabab Milizen" das Einkaufszentrums "Westgate" in Nairobi (Kenia), belagerten es mehrere Tage und töteten mehr als 60 Menschen, vornehmlich Nicht-Muslime. In Mali kämpft eine Reihe islamistischer Organisationen gegen die Zentralregierung in 95 Siehe dazu auch Kapitel 2.2.2. 100 Islamismus/Ausländerextremismus Bamako und gegen die zu deren Schutz stationierten französischen und anderen ausländischen Soldaten. In Nigeria ist mit "Boko Haram" ebenfalls eine der "al-Qaida" nahe stehende terroristische Gruppierung aktiv, welche die christliche Bevölkerung und staatliche Einrichtungen bekämpft und eine Islamisierung des Landes anstrebt. Einzelne Vorkommnisse Das durch aggressive islamistisch-terroristische Propaganda hervorgerufene Radikalisierungsund Mobilisierungspotenzial ist kaum kalkulierbar. Eine besonders hohe Gefährdung geht hierbei insbesondere von radikalisierten Einzelpersonen ohne feststellbaren Organisationsoder Gruppenbezug aus. Anschlag auf den Boston-Marathon Die Gefährlichkeit und Virulenz dieser Art des islamistischen Terrorismus wurde durch den Anschlag der aus Tschetschenien stammenden, seit Längerem in den USA lebenden Brüder Tamerlan und Dzhokhar TSARNAEV auf den Boston Marathon am 15. April deutlich. Dabei kamen drei Menschen ums Leben, mehrere Hundert wurden verletzt. Ein islamistisch-terroristischer Tathintergrund gilt als sicher. Im Rahmen der polizeilichen Fahndung nach den flüchtigen Attentätern wurde einer schwer verletzt gestellt, der andere kam zu Tode. Die Auswertung des Internetprofils von Tamerlan TSARNAEV und Aussagen seiner Kontaktpersonen ließen auf ein fortgeschrittenes Stadium der Radikalisierung schließen, ohne dass er dabei in engem Kontakt mit Terrororganisationen gestanden zu haben schien. Mittlerweile genießen die Attentäter einen gewissen "Kultstatus" in sozialen Netzwerken und werden vor allem von tschetschenischstämmigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen als "unschuldige Helden" verehrt. Auch in Thüringen wurden derartige Sympathiebekundungen junger Tschetschenen festgestellt. Mord an britischem Soldaten in London Am 22. Mai ermordeten zwei fanatisierte Islamisten im Londoner Stadtteil Woolwich einen britischen Soldaten, der auch in Afghanistan Dienst verrichtet hatte. Die Attentäter verübten ihren brutalen Anschlag in aller Öffentlichkeit, um so größtmögliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie forderten gezielt Passanten auf, Stellungnahmen von ihnen mittels Handykamera aufzuzeichnen. Zur Rechtfertigung ihrer Tat hieß es, Rache für das Leid, welches Muslimen in ihren Heimatländern angetan werde, geübt zu haben. Einer der Täter gehörte einer in Großbritannien aktiven islamistisch-jhadistischen Organisation an. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 101 2.2 Die Lage in Thüringen Etwa 7.000 Personen muslimischen Glaubens leben in Thüringen, die übergroße Mehrheit praktiziert ihren Glauben friedlich und im Einklang mit dem Grundgesetz. Festgefügte islamistische Organisationsstrukturen sind in Thüringen nicht bekannt. Das Potenzial der eher losen Anhängerschaft beläuft sich insgesamt auf ca. 100 Personen (2012: 100). Hiervon sind lediglich Einzelpersonen salafistisch geprägten Personenzusammenschlüssen oder Gruppierungen wie der "Muslimbruderschaft" (MB), der "Tablighi Jama'at" (TJ) oder der "Nordkaukasischen Separatistenbewegung" (NKSB) zuzurechnen. 2.2.1 Salafistische Bestrebungen Der Salafismus rückte bereits 2012 durch Ausschreitungen bei Protesten gegen eine Veranstaltung der rechtsextremistischen Bürgerbewegung "pro-NRW", bundesweite kostenlose Koran-Verteilaktionen und verschiedene vereinsrechtliche Maßnahmen96 verstärkt in die öffentliche Wahrnehmung. Begriff und Herkunft Der moderne Salafismus ist eine vom saudischen Wahhabismus97 geprägte islamistische bzw. politische Ideologie, die sich an einem idealisierten "Urislam" des 7. Jahrhunderts orientiert. Vertreter dieser radikalen und rückwärtsgewandten Strömung innerhalb des Islamismus geben vor, sich ausschließlich an den Prinzipien des Koran sowie dem Vorbild des Propheten Mohammed und den frühen Muslimen "as-salaf as-salih" - die "frommen Altvorderen" - zu orientieren. Die "frommen Altvorderen" gelten allen Muslimen als vorbildlich, Salafisten wähnen sich jedoch im Besitz des alleingültigen Weges bzw. der Methodik zum Erreichen aller ihrer Interpretation nach "gottgewollten" Normen. Dies impliziert die strikte Ablehnung einer säkularen Gesellschaftsordnung und damit auch weltlicher Gesetze. Ideologische Grundlagen und zentrale Inhalte Die von Salafisten verwendeten religiösen Begrifflichkeiten implizieren oft eine politische Konnotation, die über ein rein religiöses Verständnis hinausgeht. 96 Unter anderem Verbotsverfügung des Bundesinnenministers vom 14. Juni 2012 gegen die salafistische Vereinigung "Millatu Ibrahim". 97 Der Rechtsgelehrte Mohammed Ibn ABD AL WAHHAB (1703-1792) begründete den Wahhabismus, eine religiös-politische Reformbewegung. ABD AL WAHHAB wollte den Islam von vermeidlichen oder tatsächlichen "Neuerungen" befreien, die ihm über die Jahrhunderte zugewachsen waren. Der Wahhabismus, die einflussreichste Strömung innerhalb des Salafismus, ist heute Staatsdoktrin in Saudi-Arabien und gilt als äußerst streng und konservativ. Saudi-Arabien versteht sich als Gottesstaat und ist eine absolute Monarchie, die eine Gewaltenteilung nicht vorsieht. Verfassung Saudi-Arabiens ist der Koran. 102 Islamismus/Ausländerextremismus Zentrale salafistische Prinzipien sind ein absoluter Monotheismus sowie die Einheit und Einzigartigkeit Gottes (arab. tauhid). Er gilt als der einzig legitime Souverän und Gesetzgeber. Der Einführung und Umsetzung der im Koran dargelegten Gesetze Gottes (Scharia) kommt dementsprechend ein hoher Stellenwert zu. Salafisten lehnen jegliches Abweichen von salafistischen Grundsätzen als Verfälschung des Islam bzw. "Neuerung" (arab. bid'a) ab. Andersdenkende Religionsgemeinschaften werden als Ungläubige (arab. Kuffar), Polytheisten oder Götzendiener diffamiert. Um die Festigkeit des eigenen Glaubens zu demonstrieren, müsse man sich von ihnen und allen nicht salafistisch orientierten Muslimen lossagen und ihnen feindlich gegenübertreten. Politischer und jihadistischer Salafismus Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend, die ideologischen Grundlagen gleich.98 Unterscheidungskriterium ist das Verhältnis zur Anwendung von Gewalt. Politische Salafisten erachten sie nur unter bestimmten Bedingungen für gerechtfertigt, Jihadisten hingegen als legitimes Mittel zur Realisierung ihrer Ziele. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf systematische Missionierung (arab. da'wa ), um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten und zugleich politischen wie gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Dies geschieht hauptsächlich durch sog. Islamseminare, Islamische Informationsstände, bei denen salafistische Literatur kostenlos verteilt wird, sowie zahlreiche salafistische Auftritte im Internet. Anhänger des jihadistischen Salafismus hingegen meinen, ihre Ziele durch unmittelbare Gewaltanwendung gegen Ungläubige realisieren zu können. Das Terrornetzwerk "al-Qaida", die Taliban oder auch die "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) agieren dementsprechend. In Deutschland werden der salafistischen Szene ca. 5.500 Personen (2012: 4.500), davon die Mehrheit dem politischen Spektrum, zugeordnet.99 98 In der wissenschaftlichen Forschung wird oft noch weiter in einen vermeintlich unpolitischen, puristischen Salafismus und einen "Takfir"-Salafismus (rechtfertigt Gewaltanwendung gegen als ungläubig erklärte Muslime) unterteilt. 99 Die Zahlenangabe beruht teilweise auf Schätzungen und ist gerundet. Eine exakte Bezifferung wird durch strukturelle Besonderheiten salafistischer Bestrebungen in Deutschland erschwert. So weisen zahlreiche salafistische Personenzusammenschlüsse keine festen Strukturen auf. Gleichzeitig finden sich Salafisten in Organisationen und Einrichtungen anderer islamistischer Beobachtungsobjekte. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 103 Aktuelle Entwicklungen in Deutschland Nachdem es bereits 2012 zu schweren Ausschreitungen salafistischer Akteure bei Protesten gegen eine Veranstaltung der rechtsextremistischen Bürgerbewegung "proNRW" gekommen war,100 wurden im März 2013 vier Personen in Nordrhein-Westfalen festgenommen, die geplant haben sollen, den Vorsitzenden von "pro-NRW" zu ermorden. Bei den Festgenommenen handelte es sich um Personen, die dem salafistischen Spektrum zugerechnet werden. Ebenfalls im März 2013 wurden im Rahmen der Verbotsverfügung des Bundesinnenministers gegen die salafistischen Vereinigungen "DawaFFM, "Islamische Audios" und "an-Nussrah" Durchsuchungsmaßnahmen in Hessen und Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Der vornehmlich im Rhein-Main Gebiet aktive Verein "DawaFFM" zählte zu den einflussreichsten salafistischen Organisationen. Sie unterhielt mehrere Internetpräsenzen. Inhaltlich war der seit 2011 schwelende Bürgerkrieg in Syrien ein Hauptthema salafistischer Akteure. Syrien hat sich seither als Reiseziel für jihadistische Salafisten etabliert. Im gesamten Bundesgebiet fanden salafistische Benefizveranstaltungen und Spendensammlungen statt bzw. wurde der Konflikt verstärkt von salafistischen Predigern, wie z. B. Pierre VOGEL (Nordrhein-Westfalen), thematisiert. Salafismus in Thüringen In Thüringen werden dem (politischen) Salafismus ca. 50 (2012: 50) Personen zugerechnet. Das "Internationale Islamische Kulturzentrum - Erfurter Moschee e. V." (IIKz Erfurt) organisierte im Berichtszeitraum in unregelmäßigen Abständen sog. Islamische Informationsstände, bei denen einschlägige Schriften ausgelegt waren. Das Projekt der von Köln (Nordrhein-Westfalen) aus agierenden Vereinigung "Die Wahre Religi100 Die Bürgerbewegung "pro-NRW" veranstaltete im Rahmen ihrer Kampagne "Freiheit statt Islam" am 1. und 5. Mai 2012 Kundgebungen in Solingen bzw. Bonn, bei denen es zu gewalttätigen Ausschreitungen salafistischer Gegendemonstranten kam. Wurden in Solingen zwei Polizeibeamte, ein Unbeteiligter und 14 Gegendemonstranten leicht verletzt, eskalierte die Gewalt in Bonn. Insgesamt 29 Polizeibeamte trugen Verletzungen davon, zwei Beamte wurden durch Messerstiche schwer verletzt. Der aus Hessen stammende Täter wurde im Oktober 2012 zu sechs Jahren Haft verurteilt. 104 Islamismus/Ausländerextremismus on" (DWR), bundesweit den Koran kostenlos zu verteilen, wurde im Berichtszeitraum auch in Thüringen fortgesetzt. Dabei wurden Kontakte der hiesigen Organisatoren zu einschlägigen, bundesweit aktiven Protagonisten der Szene offenbar. Wie schon in den Vorjahren hielten sich auch im Berichtszeitraum Multiplikatoren des Salafismus, z. B. Hassan DABBAGH (Sachsen), im IIKz Erfurt als Referenten oder Teilnehmer bei Islamseminaren und ähnlichen Vortragsveranstaltungen auf. Auch in Thüringen wurde dabei die Situation in Syrien thematisiert. Islamseminaren kommt bei der Vermittlung der salafistischen Ideologie eine besondere Rolle zu. Sie dienen zugleich als "Kontaktbörse". Bei den zum Teil mehrtägigen Veranstaltungen wird oftmals ein salafistisches Islamverständnis vermittelt, das in der Regel jedoch juristisch nicht anfechtbar ist. Zudem hat die Auswertung von Radikalisierungsverläufen ergeben, dass mehrere Personen, die später im islamistischterroristischen Spektrum auffielen, zuvor solche Seminare besuchten oder zumindest mit einschlägigen Predigern in Kontakt standen. In Thüringen konnten die ersten Islamseminare 2005 festgestellt werden. Mit Entscheidung vom 4. Juni indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) die Broschüre "Botschaft des Islam" von Abdullah Rahman AL-SHEHA und stufte sie als jugendgefährdend ein. Zur Begründung wurden u. a. die nicht im Ansatz akzeptable sozialethisch-desorientierende Auslegung des Islam und Aussagen im Hinblick auf die Propagierung eines Strafsystems, das in eklatanter Weise die Menschenwürde der Täter negiere, und ein diskriminierendes Frauenbild angeführt. Die Broschüre kam auch in Thüringen zur Verbreitung. 2.2.2 "Muslimbruderschaft" (MB) Gründung 1928 in Ägypten Leitung Muhammad BADI (Sitz: Ägypten) Publikationen "Risalat al-Ikhwan" (Rundschreiben der Bruderschaft) Mitglieder/Anhänger (Bund) 2013 ca. 1.300 2012 ca. 1.300 2011 ca. 1.300 Mitglieder/Anhänger (Thüringen) 2013: einzelne 2012: einzelne 2011: einzelne Die MB wurde 1928 von Hasan AL-BANNA (1909-1949) in Ägypten gegründet und entwickelte sich dort zu einem Sammelbecken nationalistischer und antikolonialistischer Islamisten. AL-BANNA gilt neben Sayyid QUTB (1906-1966) und Abu l-A'la AL-MAUDUDI (1903-79) als wichtigster Wegbereiter des politischen Islam im Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 105 20. Jahrhundert. Er und seine Anhänger strebten eine Erneuerung, Einigung und damit Stärkung der ägyptischen Gesellschaft und der muslimischen Gemeinde (Umma) insgesamt auf der Grundlage einer politischen Interpretation des Islam an, deren Kernstück die Scharia sein sollte. Nach einem erstmals 1948 von der ägyptischen Regierung verhängten Organisationsverbot und dessen 1950 für kurze Zeit erfolgter Aufhebung musste sich die Bewegung ab 1954 offiziell jeglicher politischer Betätigung enthalten. Aus den 2011 in Ägypten vollzogenen revolutionären Veränderungen und der damit verbundenen Parlamentsneuwahl ging die von der MB getragene "Freiheitsund Gerechtigkeitspartei" als stärkste politische Kraft hervor. Ihr Vorsitzender, Mohammed MURSI, wurde 2012 zum ägyptischen Präsidenten gewählt. Der Aufschwung der MB währte nur kurz. Bereits im Juli 2013 wurde MURSI aufgrund zahlreicher Massenproteste gegen ihn und seine Regierung abgesetzt. Nach einer Verhaftungswelle gegen hochrangige Kader der MB, darunter auch der Vorsitzende, stufte die ägyptische Militärregierung die Muslimbrüder als Terrororganisation ein. Unter verschiedenen Bezeichnungen und in unterschiedlicher Ausprägung ist die MB in nahezu allen muslimischen Ländern vertreten. So basieren u. a. die tunesische "Al-Nahda" und die palästinensische HAMAS auf der Ideologie der MB, die auf eine Wiederbelebung des Islam durch Schaffung eines islamischen Staats abzielt. Die Abgrenzung von Einflüssen des "Westens" und die Rückbesinnung auf die Werte und Traditionen des Islam prägen die Programmatik der MB. Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) ist Mitglied des der MB nahe stehenden Dachverbands "Federation of Islamic Organizations of Europe" (FIOE) mit Sitz in Brüssel. Neben ihrem Stammsitz in München unterhält die IGD nach eigenen Angaben "Islamische Zentren" in mehreren deutschen Städten. Die IGD setzt auf eine Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich, um ihren Anhängern Freiräume für eine an der Scharia orientierte Lebensweise zu ermöglichen. Die HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung"), 1988 als palästinensischer Zweig der MB gegründet, unterhält einen paramilitärischen Kampfverband und befürwortet Gewalt zur Durchsetzung ihres Ziels, auf dem gesamten Gebiet "Palästinas"101 einen islamischen Staat zu errichten. Mitglieder und Sympathisanten unterstützen diese von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestufte Vereinigung durch die Sammlung und den Transfer von Spenden. In Thüringen stehen einzelne Mitglieder muslimischer Vereine der MB bzw. ihren verschiedenen Ausprägungen nahe. Auch durch die Verteilung von islamistischem Schriftgut üben diese Organisationen Einfluss auf Muslime im Freistaat aus. 101 Die HAMAS versteht darunter die Region zwischen Mittelmeer und Jordan, somit auch das gesamte Gebiet des Staats Israel. 106 Islamismus/Ausländerextremismus 2.2.3 "Tablighi Jama'at" (TJ - Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) Gründung um 1926 in Indien Leitung Welt-Schura-Rat Vorsitzender Maulana Ibrahim SAAD Zentren Neu-Delhi (Indien) Raiwind (Pakistan) Dewsbury (Großbritannien) Mitglieder/Anhänger (Bund) 2013 ca. 700 2012 ca. 700 2011 ca. 700 Mitglieder/Anhänger (Thüringen) 2013: einzelne 2012: einzelne 2011: einzelne Die TJ ist eine sunnitische, strengkonservative Glaubensgemeinschaft, die um 1926 in Indien - damals englische Kronkolonie - als islamistische Erweckungsund Missionsbewegung durch Maulawi Muhammad ILYAS gegründet wurde. Mit mehr als zehn Millionen Anhängern weltweit hat sich die TJ inzwischen zu einer transnationalen Massenbewegung entwickelt. Ein Urenkel des TJ-Gründers steht der Gemeinschaft heute vor. Vorrangiges Ziel der TJ ist es, Muslime durch Missionierung (arab. da'wa) wieder zu einem einzig an den islamischen Quellen (Koran und Sunna) orientierten Leben zurückzuführen. Dabei bezieht sich die TJ bewusst auf das idealisierte Leben der "frommen Altvorderen" aus der Frühzeit des Islam und erhebt ein schariakonformes Leben zum alleinigen Maßstab für den privaten und öffentlichen Bereich. Wenngleich sich die TJ als unpolitisch begreift, ergeben sich durch ihr fundamentalistisches Islamverständnis zwangsläufig Konflikte mit dem Grundgesetz. Die TJ selbst verfügt weder über offizielle Statuten noch veröffentlicht sie periodische Publikationen oder unterhält eine Homepage im Internet. Beziehungen untereinander beruhen auf persönlichen Kontakten. Neben dem Koran zählen Schriften des TJ-Gründers zur "Standardliteratur" und sind Richtschnur der TJ-Anhänger. Durch Missionsreisen und damit verbundene Tätigkeiten ist die TJ bemüht, ihre Lehre zu verbreiten. Obwohl ein Großteil ihrer Anhängerschaft insbesondere in Pakistan und Indien vornehmlich der Mittelund Oberschicht entstammt, laden Anhänger der TJ in Deutschland vor allem junge Muslime aus sozial benachteiligten Milieus zu ihren Veranstaltungen ein. Wenngleich die TJ selbst den islamistischen Terrorismus nicht aktiv unterstützt, scheint sie durchaus als Rekrutierungsbasis für gewaltbefürwortende islamistische Gruppen zu dienen. Letztgenannte machen sich zudem die weltweite TJ-Infrastruktur zu Nutzen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 107 In Thüringen praktizieren lediglich einige wenige Muslime ihren Glauben gemäß den rigiden Vorstellungen der TJ und gehen der "Pflicht zur Missionierung" aktiv nach. 2.2.4 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) Gründung Anfang der 1990er Jahre im Kaukasus Die Organisation ist gespalten in: "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) Leitung: Ahmed ZAKAEV Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 50 (2012: ca. 300; 2011: ca. 300) "Kaukasisches Emirat" (KE) Leitung: Dokku UMAROV Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 200 (2012: ca. 200; 2011: ca. 200) Mitglieder/Anhänger (Bund) 2013 ca. 250 2012 ca. 500 2011 ca. 500 Mitglieder/Anhänger (Thüringen) 2013: ca. 25 2012: ca. 25 2011: ca. 25 Die 1991 in Tschetschenien gegründete "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) strebt die Unabhängigkeit Tschetscheniens von der Russischen Föderation in Form eines islamischen Staats auf der Grundlage der Scharia an. Im Jahr 2007 proklamierte Dokku UMAROV als Präsident der CRI das islamistisch ausgerichtete "Kaukasische Emirat" (KE), das bis heute mit terroristischen Mitteln für einen islamischen Staat auf dem Gebiet des gesamten Nordkaukasus kämpft. Nach der Abspaltung des KE entwickelte sich die CRI zu einer nationalistisch-legalistischen Bewegung und beschränkte sich auf die politische Durchsetzung ihres Unabhängigkeitsbestrebens. Beide Organisationen werden im Verfassungsschutzverbund dem Spektrum der "Nordkaukasischen Separatistenbewegung" (NKSB)102 zugerechnet. 102 Bei der Bezeichnung handelt es sich um einen Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden. 108 Islamismus/Ausländerextremismus Im Juni wurde das KE in Deutschland als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft und die Ermächtigung zu strafrechtlicher Verfolgung ausgesprochen. Der Generalbundesanwalt ermittelt im Zusammenhang mit dem Sprengstoffanschlag im Moskauer Flughafen Domodedovo am 24. Januar 2011103 gegen Dokku UMAROV und weitere, unbekannte Mittäter des KE u. a. wegen Verdachts des Mordes und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Nach den Anschlägen auf den Boston-Marathon104 und der Warnung des russischen Inlandsnachrichtendienstes FSB vor Anschlagsplanungen tschetschenischer Extremisten in Deutschland geriet die nordkaukasische Diaspora in Deutschland zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung. Zeitgleich erreichte der Zustrom von Asylsuchenden aus dem Nordkaukasus bisher nicht gekannte Höchststände. Spekulationen, insbesondere terroristische Strukturen oder Organisationen könnten von dieser Entwicklung profitieren, bestätigten sich nicht. Die Anhängerschaft des KE, die militante Aktivitäten im Nordkaukasus finanziell bzw. logistisch unterstützt, blieb zahlenmäßig annähernd gleich, während die Anhängerzahl der legalistischen CRI rückläufig war. Sie sank bundesweit auf ca. 50 Personen. Damit einher ging insgesamt ein Bedeutungsverlust der CRI. Ihre Aktivitäten zur Unterstützung des separatistischen Widerstands erschöpfen sich in politischen Statements und Feierlichkeiten aus Anlass von Gedenktagen. Insbesondere die jüngere Generation fühlte sich davon kaum mehr angesprochen. Demgegenüber nahm die individuelle Radikalisierung in einem bedrohlichen Ausmaß zu. Im Spektrum potenziell gewaltgeneigter Nordkaukasier zeichnete sich eine Hinwendung zu salafistischen Strömungen und islamistischen Netzwerken ab. Führende Aktivisten nordkaukasischer Milizen distanzierten sich von den Terrorakten der tschetschenischen Attentäter in Boston. Die lokale Führung des KE in der Provinz Dagestan betonte, die Mujahidin kämpften nicht gegen die USA, sondern gegen Russland, das sich "scheußlicher Verbrechen gegen die Muslime" schuldig gemacht habe. Nach wie vor gelte die aus dem Februar 2012 stammende Doktrin UMAROVs, zivile Opfer weitestgehend zu vermeiden. Gleichwohl rief UMAROV in einer Videobotschaft vom 3. Juli ohne weitere Einschränkungen dazu auf, die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi (Grenzgebiet zum Nordkaukasus) zu verhindern. Kaukasische Mujahidin hatten zuvor bereits angekündigt, Sportevents und Sportstätten verstärkt als Angriffsziel ins Visier zu nehmen. 103 UMAROV bekannte sich wenig später zu dem Anschlag, bei dem mehr als 30 Menschen - darunter auch ein Deutscher - getötet und weitere 152 Personen verletzt worden waren. 104 Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 2.1.1. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 109 UMAROV trat am 8. August dem Vorwurf entgegen, die Ausrufung des KE habe eine Spaltung unter den Tschetschenen herbeigeführt. In seiner explizit an Exiltschetschenen gerichteten Videobotschaft rief er Anhänger der CRI und des KE dazu auf, sich in "Brüderlichkeit" und im Hinblick auf das gemeinsame Ziel, die Gründung eines islamischen Staates, zu vereinen. Deutschland dient primär als Rückzugsraum für finanzielle und logistische Unterstützung der NKSB. Appelle zur aktiven Unterstützung des Jihad im Nordkaukasus fanden bisherigen Erkenntnissen zufolge unter den hier aufhältigen Anhängern keinen Anklang. Einzelne Nordkaukasier wenden sich mittlerweile von der Separatistenbewegung ab und zeigen ein gesteigertes Interesse am weltweiten Jihad. Insbesondere nicht integrierte, junge Nordkaukasier scheinen Antworten und Handlungsanweisungen in der Ideologie des Salafismus zu suchen. 3. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung 1978 in der Türkei als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) weitere Bezeichnungen: "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Betätigungsverbot Verbotsverfügung vom 22.11.1993 Diese gilt auch für sämtliche o. g. Nachfolgeorganisationen. Aufgrund der strukturellen Gleichheit zur Ursprungsorganisation wird von den Sicherheitsbehörden weiterhin die Bezeichnung PKK verwandt. Leitung Abdullah ÖCALAN Publikationen u. a. "SERXWEBUN" ("Unabhängigkeit"), monatlich; "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), täglich Mitglieder/Anhänger (Bund) 2013 ca. 13.000 2012 ca. 13.000 2011 ca. 13.000 Teilgebiet Erfurt 2013: ca. 100 2012: ca. 90 2011: ca. 90 110 Islamismus/Ausländerextremismus 3.1 Überblick, allgemeine Lage Der seit 1999 inhaftierte Parteigründer Abdullah ÖCALAN steht weiterhin an der Spitze der Organisation. Er wird von ihren Anhängern nach wie vor als Symbolfigur verehrt. Einzig das Anliegen der Partei erfuhr in den zurückliegenden Jahren eine Neujustierung. Man wolle nicht mehr im Rahmen eines bis dahin geführten Guerillakriegs einen autonomen Kurdenstaat erreichen, sondern sich vielmehr für die Anerkennung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei einsetzen. Dabei bedient sich die PKK weiterhin einer Doppelstrategie. Um ein friedliches Erscheinungsbild gegenüber der westeuropäischen Öffentlichkeit bemüht, werben ihre Anhänger bei Kundgebungen oder anlassbezogenen Gedenkund Kulturveranstaltungen vordergründig um politische Anerkennung ihrer Interessen. Zugleich unterhält sie in der Türkei und der nordirakischen Grenzregion bewaffnete "Volksverteidigungskräfte" (HPG), um ihre Ziele auch mit militärischer Gewalt zu erreichen.105 Im Februar 2013 soll Abdullah ÖCALAN neue Lösungsvorschläge für einen Friedensprozess mit dem türkischen Staat unterbreitet haben. Ein darin skizzierter dreistufiger Friedensplan sah neben einer im März beginnenden Phase der "Aktionsruhe" und dem bis Mitte August zu realisierenden vollständigen Rückzug der PKK-Guerillaeinheiten aus dem türkischen Staatsgebiet auch die endgültige Beilegung des Konflikts sowie die Entwaffnung der PKK vor, sofern den Kurden in der Türkei mehr Rechte zugestanden würden. Mit einem von der türkischen Regierung daraufhin im September vorgestellten Demokratisierungspaket sah die PKK zentrale Forderungen, wie etwa die offizielle Anerkennung einer kurdischen Identität, die Freilassung politischer Gefangener und die Verbesserung der Haftbedingungen ÖCALANs, allerdings nicht erfüllt. Seitens der PKK wurden mehrfach Forderungen und Ultimaten an die türkische Regierung gestellt. Im Oktober erklärte der Vorsitzende des Exekutivrates der KCK, Cemil BAYIK, das Ende des gegenwärtigen Friedensprozesses sei erreicht, wenn es keine Garantie für eine Verfassungsänderung gäbe. BAYIK drohte mit der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes der PKK in der Türkei. 105 Nachdem der Europäische Rat im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem vorrangigen Ziel der EU erklärte, ist die PKK seit 2002 auf der in diesem Zusammenhang eingerichteten sog. EU-Terrorliste notiert. Dort können Personen, Vereinigungen und Körperschaften erfasst werden, wenn eine zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaats über Beweise oder schlüssige Indizien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Konsequenz der Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtiger Personen und Organisationen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 111 3.2 Organisatorische Situation/Strukturen Bemüht, die seit 2000 proklamierte "neue politische Linie" auch nach außen zu dokumentieren, trat die PKK unter wechselnden Organisationsbezeichnungen auf. Im Jahr 2002 unter KADEK agierend benannte sie sich bereits 2003 in KONGRA GEL um. Nach einem "Kongress zum Wiederaufbau" im Jahr 2005 wurde auch die Bezeichnung "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (kurdisch "Koma Komalen Kurdistan" - KKK), die wiederum 2007 in "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (kurdisch "Koma Civaken Kurdistan" - KCK) überging, verwandt. Unverändert blieb hingegen die ÖCALAN zuerkannte Autorität als "kurdischer Volksführer". Er wurde im Juli auf der im Kandilgebirge (Nordirak) ausgerichteten 9. Generalversammlung des KONGRA GEL erneut zum Präsidenten der KCK gewählt. Darüber hinaus wurden personelle Veränderungen in den Führungsebenen von KONGRA GEL und KCK sowie die Einführung einer Doppelspitze beschlossen. Im Ergebnis durchgeführter Neuwahlen sind Cemil BAYIK und Bese HOZAT nunmehr Vorsitzende der KCK, Hacer ZAGROS und Remzi KARTAL jene des KONGRA GEL. Der langjährige bisherige KCK-Exekutivratsvorsitzenden Murat KARAYILAN wurde zum neuen Oberbefehlshaber der kurdischen "Volksverteidigungskräfte" (HPG) ernannt. Die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (kurdisch "Civata Demokratik a Kurdistan" - CDK)106 bestimmt die politischen Aktivitäten der PKK in Europa. Die Bundesrepublik Deutschland ist Teil der hierarchischen Struktur der PKK, bestehend aus vier Regionen (Nord, Mitte, Süd I und Süd II) mit 28 "Gebieten", die sich wiederum in "Teilgebiete" untergliedern. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre stellt das "Teilgebiet Erfurt" die einzige in Thüringen etablierte Struktur der PKK dar. Es ist dem "Gebiet Kassel", welches der "Region Nord" zugehört, organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum Erfurt auch Weimar und Teile Nord-, Westsowie Südwestthüringens. Ein von der Partei bestimmter Teilgebietsleiter ist u. a. für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, die Verteilung und den Verkauf von Propagandamaterial sowie die Spendensammlungen verantwortlich. Die PKK-Anhängerschaft im "Teilgebiet Erfurt" umfasst ca. 100 Personen (2012: 90). Die umzusetzenden Vorgaben und Anordnungen der CDK-Leitung werden durch Gebietsund Teilgebietsleiter zur Basis transportiert. Diese ist vornehmlich in kurdischen Kulturvereinen organisiert. In Deutschland existieren etwa 45 solcher Vereine, die dem Dachverband "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) angeschlossen sind. 106 Der vormals als "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) bezeichnete politische Arm der PKK war 1993 ebenfalls mit einem Betätigungsverbot belegt worden. 112 Islamismus/Ausländerextremismus Der 2012 in Erfurt gegründete "Kulturverein Mesopotamien e. V." führte 2013 neben kulturellen Veranstaltungen für die in Thüringen ansässigen Kurden auch Veranstaltungen durch, die einen thematischen Bezug zur PKK aufwiesen. 3.3 Finanzierung Die PKK nutzt verschiedene Finanzierungsquellen, u. a. Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungseinnahmen und den Publikationsverkauf. Den weitaus größten Einnahmenanteil erzielt sie während der jährlich unter den Anhängern in Europa durchgeführten Spendenkampagne. Allein in Deutschland wurden anlässlich der Spendenkampagne 2011/2012 mehrere Millionen Euro gesammelt. Sonderspendenkampagnen - wie 2013 für Kurden in Syrien - sollen zusätzliche Spendenbereitschaft generieren. Die eingenommenen Gelder dienen vorrangig der Finanzierung der Guerillaeinheiten und dem Unterhalt der umfangreichen PKK-Strukturen. Darüber hinaus werden diverse PKK-Großveranstaltungen damit finanziert. 3.4 Propaganda und Themenschwerpunkte Die PKK-Gliederungen in Deutschland sind bestrebt, mit diversen Veranstaltungen und Aktionen das öffentliche Meinungsbild in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Berichtszeitraum spiegelten sich die bundesweiten Themenschwerpunkte, insbesondere die Solidarität mit Kurden in Syrien, auch bei Veranstaltungen in Thüringen wider. Den Aktivitätsschwerpunkt bildete Erfurt, da Veranstaltungen häufig von Angehörigen bzw. Sympathisanten des dort ansässigen "Kulturvereins Mesopotamien e. V." organisiert wurden. Ermordung von PKK-Funktionärinnen in Paris Am 9. Januar wurden in Paris drei PKK-Funktionärinnen aus bisher unbekannten Gründen erschossen. Eines der Opfer war langjähriges Mitglied der PKK-Europaführung. Bereits am 10. Januar versammelten sich zahlreiche Demonstranten in Paris, die Plakate mit Aufschriften wie "Die Märtyrer sind unsterblich" und "Mörder Türkei" zeigten. Neben den Protesten in Paris wurden auch in Deutschland und im benachbarten Ausland zahlreiche Kundgebungen bekannt. In Deutschland fanden in der Zeit vom 10. bis 14. Januar insgesamt 28 Veranstaltungen mit bis zu 1.250 Teilnehmern statt. In Erfurt organisierten Kurden am 12. Januar über den "Kulturverein Mesopotamien e. V." eine Demonstration mit 180 Teilnehmern durch die Innenstadt, um auf die Morde an den PKK-Aktivistinnen aufmerksam zu machen. Zudem fand am 12. Januar in Paris eine Großdemonstration statt, für die auch in Deutschland massiv mobilisiert wurde. Presseberichten zufolge nahmen ca. 15.000 Menschen - darunter auch Thüringer PKK-Anhänger - teil. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 113 Solidaritätsveranstaltungen für Kurden in Syrien Mit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen dem militärischen Arm der PYD107 und islamistischen Gegnern des ASSAD-Regimes in der syrischen-türkischen Grenzregion wurden in vielen europäischen Staaten Solidaritätsaktionen und Veranstaltungen für syrische Kurden organisiert. In verschiedenen deutschen Städten fanden Kundgebungen in diesem Zusammenhang statt. Am 17. August wurde ein von der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) initiiertes Aktionsbündnis für die Solidarität mit Bewohnern des im Norden Syriens gelegenen kurdischen Siedlungsgebiets (kurdisch: Rojava) gegründet. Das Aktionsbündnis soll als "objektive Informationsquelle in deutscher Sprache" fungieren sowie eine bessere Koordinierung von Hilfsund Solidaritätsaktionen ermöglichen. Dem Bündnis gehören insgesamt 28 Gruppen mit PKK-Bezug an. In Erfurt trafen sich am 7. Juli ca. 150 Personen überwiegend kurdischer Volkszugehörigkeit zu einer Saalveranstaltung, um ihre Solidarität mit den syrischen Kurden zu demonstrieren. Als Redner trat Tariq DEKORI, Verantwortlicher der PYD in Bremen, auf. Der "Kurdische Rote Halbmond" (HSK), eine PKK-nahe Organisation, sammelte Spenden für Kurden in Syrien. Weitere Veranstaltungen zu dem Thema: "Menschenrechtslage in Syrien" fanden am 15. August bzw. 30. November in der Erfurter Innenstadt statt. In Flugblättern wurde die Situation der Kurden in Syrien dargestellt und die Forderung nach Freilassung des Parteigründers Abdullah ÖCALAN unterstrichen. Daneben besuchten Thüringer PKKSympathisanten überregionale Veranstaltungen, die einen PKKBezug aufwiesen. Dazu zählten das von der YEK-KOM organisierte 21. "Internationale Kurdische Kulturfestival" unter dem Motto "Für mehr Frieden und Demokratie" am 21. September in Dortmund und die Großdemonstration anlässlich des 20. Jahrestags des Betätigungsverbots der PKK in Deutschland am 16. November in Berlin. 107 "Partei der demokratischen Union", syrischer Ableger der PKK. 114 Islamismus/Ausländerextremismus V. ScientologyOrganisation (SO) Gründung 1954 in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Hauptsitz Los Angeles Leitung David MISCAVIGE, Vorstandsvorsitzender der "Religious Technology Center" (RTC) Publikationen u. a. "Dianetik-Post", "Impact", "Freewinds", "Freiheit" Mitglieder/Anhänger (Bund) 2013 ca. 3.000 bis 4.000 2012 ca. 3.500 bis 4.500 2011 ca. 4.000 bis 5.000 Mitglieder/Anhänger (Thüringen) 2013: ca. 10 2012: ca. 15 2011: ca. 20 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO Seit dem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) vom 5./6. Juni 1997 wird die SO durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Mehrheit der Länder beobachtet. Die IMK stellte fest, dass bei der SO tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen. So besäßen in einer scientologisch geprägten Gesellschaft die durch das Grundgesetz garantierten Rechte keineswegs einen für die Allgemeinheit verbindlichen Charakter. Die Ideologie der SO entwickelt sich nicht aus der permanenten, rationalen, diskussionsund lernbereiten Auseinandersetzung mit der Geistesund Ideengeschichte, sondern beruft sich auf die angeblich "ewige" Wahrheit ihrer Lehrsätze. Selbst konstruktive Kritik an diesen Lehrsätzen gilt bereits als abweichlerisches und sanktionswürdiges Verhalten. Wesentliche Grundund Menschenrechte, wie jene auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Gleichbehandlung, würden durch eine scientologische Gesellschaftsordnung eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt. Allgemeine und gleiche Wahlen lehnt die SO ab. Obgleich sich die SO gern als Kirche präsentiert, ist sie in Deutschland nicht als solche anerkannt. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 115 2. Organisationsstruktur Die SO geht auf den US-amerikanischen Science-Fiction-Autor Lafayette Ronald HUBBARD (1911-1986) zurück. Er gründete 1954 die erste "Church of Scientology" in Los Angeles, wo sie bis heute ihren Hauptsitz hat. 1982 übernahm David MISCAVIGE die Leitung der Organisation. Wenngleich die SO selbst 15 Mio. Mitglieder angibt, scheinen Zahlen zwischen 100.000 bis 120.000 realistisch. In Deutschland werden ihr mit abnehmender Tendenz 3.000 bis 4.000 Anhänger zugerechnet. Im Bundesgebiet bestehen acht "Missionen", acht "Orgs" und zwei "Celebrity Centers" (CCs) der SO. Bei den "Missionen" handelt es sich um Basisorganisationen, die einführende Dienste anbieten. Die "Orgs" stellen darüber hinaus ein breiteres Angebot an Kursen, insbesondere zum "Auditing" - der maßgeblichen Psychotechnik, mit der Menschen in das System "Scientology" hineingezogen werden - zur Verfügung. In den CCs werden mit eben jenen Diensten ausschließlich Prominente (Sportler, Künstler und Geschäftsleute) betreut, um diese später als Imageträger für die Organisation einzusetzen. Besondere Bedeutung kommt den als "ideale Orgs" bezeichneten Einrichtungen in den der SO strategisch wichtig erscheinenden Städten zu. In Deutschland haben ihre Niederlassungen in Berlin und Hamburg diesen Status erreicht. 3. SO in Thüringen Niederlassungen der SO existieren im Freistaat weiterhin nicht. Aktivitäten der SO beschränken sich auf das Versenden von Broschüren und Informationsmaterialien an öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen. Derartige Maßnahmen gehen jeweils von SO-Niederlassungen außerhalb Thüringens aus. 2013 wurden die Präsidentin sowie Abgeordnete des Thüringer Landtags von der "Scientology Kirche Frankfurt e. V." angeschrieben. Den Schreiben war eine DVD von einer Jubiläumsfeier der SO beigefügt. Außerdem wurde dem Thüringer Institut für Lehrerfortbildung in Bad Berka ein Sendung mit Büchern zum Wirken und Leben von L. Ron Hubbard zugestellt. Wie bereits im vorangegangenen Jahr erhielten Thüringer Polizeidienststellen ein Schreiben des der SO zuzuordnenden Vereins "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM). Darin wurde auf angebliche Missbräuche von Psychopharmaka hingewiesen werden. Die KVPM fordert die Einrichtung eines Registers, in dem Gewalttaten von Tätern, die unter Einfluss von Psychopharmaka standen, erfasst werden. 116 Scientology-Organisation VI. Ereigniskalender extremistischer Bestrebungen in Thüringen108 Termin: Ereignis: 8.-13. Februar Diverse rechtsextremistische Aktionen unter dem Motto "Ein Licht für Dresden" in Jena und Kahla anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens 1945 9. Februar Rechtsextremistischer "Trauermarsch" unter dem Motto "Ehrenhaftes Gedenken" in Weimar anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens / Linksextremistische Autonome an Gegenveranstaltungen beteiligt 16. Februar Landesparteitag der NPD Thüringen in Kirchheim 23. Februar Aufzüge "Ein Licht für Dresden" bzw. "Das Verbot ist ein Meister der Demokratie - Trauer und Schmerz lassen sich nicht verbieten" der "Freien Kräfte Gera" bzw. des NPD-Kreisverbands Gera in Gera 23. Februar Kundgebung "Freier Kräfte" unter dem Motto "Kein Rückzugsort für Kinderschänder und Sexualstraftäter" in Blankenhain 16. März Kundgebung des NPD-Landesverbands Thüringen unter dem Motto "Keine Moschee in Eisenach - Wehret den Anfängen" in Eisenach 3. April Kundgebung des NPD-Kreisverbands Nordhausen unter dem Motto "Wir gedenken mit Würde und Respekt" anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Nordhausens 1945 6. April Landesversammlung der KPF Thüringen in Erfurt 6.-7. April 8. Theorieseminar der DKP Thüringen in Gera 22.-26. April Diverse Versammlungen des "Pro Erfurt e. V." unter dem Motto "Arbeit, Recht und Freiheit - Heraus zum 1. Mai" in Erfurt 1. Mai Demonstration "Freier Kräfte" in Erfurt unter dem Motto "Arbeit, Recht, Freiheit" / Linksextremisten beteiligen sich an Protesten 4. Mai "Nationaler Kundgebungstag" in Leinefelde unter dem Motto "Heimat ist mehr als nur ein Wirtschaftsstandort" / Linksextremistische Autonome an Protesten beteiligt 5. Mai Kundgebung des BZH unter dem Motto "Sozial geht nur national" in Hildburghausen 14.-18. Mai NPD-Bundestagswahlkampftour unter dem Motto "Zukunft für Deutschland - Nationale Interessen durchsetzen" mit Kundgebungen in Eisenach, Nordhausen, Sondershausen, Gotha, Weimar, Gera, Greiz, Suhl, Rudolstadt und Sonneberg 17.-21. Mai 3. Pfingstcamp der DKP Thüringen in Königsee 108 Es handelt sich um eine Zusammenstellung repräsentativer Szeneveranstaltungen. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 117 Termin: Ereignis: 24.-26. Mai Linksextremistische Autonome an Protesten gegen Veranstaltungen der Deutschen Burschenschaft109 beteiligt 6. Juni Linksextremistische "Demonstration gegen Repression und Polizeigewalt, für Solidarität mit von Repression Betroffenen" in Jena 14.-16. Juni Jahreskongress der GfP in Kirchheim 15. Juni 12. "Thüringentag der nationalen Jugend" in Kahla mit Anschlussveranstaltung in Crawinkel 21.-23. Juni Sommersonnenwendfeier der AG - GGG in Ilfeld 6. Juli 11. NPD-Kundgebung "Rock für Deutschland" unter dem Motto "Deutschland-Zukunft-Souveränität" in Gera 20. Juli Rechtsextremistischer Liederabend in Erfurt 27. Juli11. Sommercamp der MLPD-Jugendorganisation "REBELL" in der "Ferienund 10. August Freizeitanlage Truckenthal" in Schalkau 4. August Rechtsextremistische Musikveranstaltung in Crawinkel 15.-18. August Rechtsextremistische Propagandaaktionen in Zusammenhang mit dem Todestag von Rudolf HEß u. a. in Jena, Kahla, Nordhausen, Saalfeld und Breitungen 17. August Kundgebung des NPD-Landesverbands in Erfurt unter dem Motto "Aus Liebe zum Tier - keine Islamisierung" 31. August Rechtsextremistische Musikveranstaltung in Crawinkel 7. September Rechtsextremistische Kundgebungen in Gera und Weimar unter dem Motto "Asylflut stoppen - Wir sind nicht das Sozialamt der Welt" sowie in Nordhausen unter dem Motto "Keine Moschee in Nordhausen - Islamisierung verhindern" 13. September Rechtsextremistisch beeinflusste Versammlung gegen ein Asylbewerberheim in Greiz-Pohlitz 14. September Rechtsextremistische Musikveranstaltung in Crawinkel 14. September Kundgebung der NPD unter dem Motto "Asylflut und Europawahn stoppen - NPD in den Bundestag" in Eisenach 18. September Kundgebung der NPD unter dem Motto "Asylflut und Europawahn stoppen - NPD in den Bundestag" in Erfurt 20. September Rechtsextremistisch beeinflusster "Bürgerprotest gegen das Asylbewerberheim am Zaschberg" in Greiz-Pohlitz 27. September Rechtsextremistisch beeinflusster "Bürgerprotest gegen das Asylbewerberheim am Zaschberg" in Greiz-Pohlitz 4. Oktober Rechtsextremistisch beeinflusster Aufzug "Wir sagen nein zum Asylheim am Zaschberg" in Greiz-Pohlitz 11. Oktober Rechtsextremistisch beeinflusster "Bürgerprotest gegen das Asylbewerberheim am Zaschberg" in Greiz-Pohlitz 12. Oktober Landesversammlung der KPF Thüringen in Erfurt 19. Oktober Linksextremistische Autonome unterstützen eine Hausbesetzung in Ilmenau 16. November Rechtsextremistische Musikveranstaltung in Kirchheim 109 Unterliegt nicht der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. 118 Ereigniskalender Termin: Ereignis: 17. November Rechtsextremistisches "Heldengedenken" u. a. in Nordhausen, Friedrichroda, Weimar, Mühlhausen, Jena, Unterbodnitz, Gera, Eisenach, Eisfeld und auf der "Schmücke" bei Oberhof 23. November Rechtsextremistisch beeinflusster "Bürgerprotest gegen das Asylbewerberheim am Zaschberg" in Greiz-Pohlitz 30. November Rechtsextremistische Musikveranstaltung in Crawinkel 6. Dezember Linksextremistische Autonome unterstützten eine Hausbesetzung in Jena 6.-8. Dezember Julfest der AG - GGG in Ilfeld 7. Dezember Polizeilich aufgelöster rechtsextremistischer Liederabend in Eisenach 21. Dezember Diverse Wintersonnenwendfeiern von Rechtsextremisten u. a. in Nordhausen, Jena und Schmiedefeld 31. Dezember Rechtsextremistischer Liederabend in Erfurt Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 119 VII. Organisierte Kriminalität (OK) 1. Aufgaben des Verfassungsschutzes Dem TLfV wurde durch das Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizeiund Sicherheitsrechts vom 20. Juni 2002 die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten der OK im Geltungsbereich des Grundgesetzes als zusätzliche Aufgabe übertragen. Neben Thüringen verfügen die Verfassungsschutzbehörden Bayerns, des Saarlands sowie Hessens über diese Beobachtungskompetenz. Unter OK versteht man die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig 1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder 2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder 3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft tätig werden. Die Beobachtung der OK durch das TLfV zielt vornehmlich auf die Erkenntnisgewinnung zu personellen Strukturen, zu Deliktfeldern, zur logistischen und wirtschaftlichen Verflechtung im Vorfeld konkreter Straftaten ab. Kommt der Verfassungsschutz zu der Bewertung, dass es sich bei einem Personengeflecht um eine OK-Struktur handelt, werden die Erkenntnisse den Strafverfolgungsbehörden übermittelt. Sie sollen dadurch frühzeitig über drohende Gefahren informiert und in die Lage versetzt werden, kriminelle Aktivitäten zu verfolgen und entsprechend zu ahnden. Im Jahr 2013 bildeten wiederum kriminelle Rockergruppierungen mit Bezügen in das OK-Milieu den Beobachtungsschwerpunkt des TLfV. 120 Organisierte Kriminalität 2. Bundesweit agierende kriminelle Rockergruppierungen Die bundesdeutsche kriminelle Rockerszene wird durch die international organisierten Rockergruppierungen "Hells Angels MC", "Bandidos MC", "Gremium MC" und "Outlaws MC" geprägt. Diese Clubs verfügen im Bundesgebiet über zahlreiche Ableger ("Chapter" oder "Charter") sowie über eine beträchtliche Anzahl an Unterstützerclubs, sog. Supporter. Bei den vorgenannten Clubs handelt es sich um sog. Outlaw Motorcycle Gangs (OMGs), die überwiegend der OK zuzurechnen sind. OMGs grenzen sich - auch äußerlich erkennbar - bewusst von anderen Motorradclubs sowie den Normen und Wertvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft ab. Zudem sind sie durch einen strikt hierarchischen Aufbau, enge persönliche Bindungen der Gruppenmitglieder untereinander sowie selbst auferlegte strenge Regeln und Satzungen gekennzeichnet. Daneben sind die OMGs bestrebt, Einfluss auf verschiedene Kriminalitätsund Wirtschaftsbereiche zu erlangen und enge Kontakte zu anderen Gruppierungen zu pflegen, die zum Teil ebenfalls der OK zuzurechnen sind. Die von den Clubs vertretenen Führungsund Gebietsansprüche, deren Durchsetzung und Sicherung zum Teil mit brutaler Gewalt erfolgt, sind ein wesentliches Merkmal der OMG-Szene. Aufgrund dessen kommt es immer wieder zu Machtkämpfen um Hoheitsgebiete, zu Racheakten und Vergeltungsschlägen, in deren Zusammenhang von den Club-Mitgliedern schwere Straftaten begangen werden. Körperverletzungen, Erpressungen und Bedrohungen dominieren diese Auseinandersetzungen. Auch Verstöße gegen das Betäubungsmittelund das Waffengesetz werden im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung festgestellt. Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden kriminellen Rockergruppierungen hielten auch 2013 bundesweit unvermindert an, entfalteten aber in Thüringen keine öffentlich wahrnehmbaren Auswirkungen. Der seit 2012 andauernde Konflikt zwischen dem "Satudarah MC"110 und dem "Hells Angels MC" blieb auch im Berichtszeitraum von einem ho110 Aus Indonesien stammende Einwanderer gründeten den MC 1990 in den Niederlanden. Seit Juni 2012 besteht ein Chapter in Duisburg (Nordrhein-Westfalen). Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 121 hen situativen Eskalationspotenzial gekennzeichnet. Trotz des in Nordrhein-Westfalen liegenden Schwerpunkts der Kontroversen strahlten die Auseinandersetzungen auch ins übrige Bundesgebiet aus. Die im Jahr 2013 gegen einzelne Chapter/Charter der vorgenannten OMGs in mehreren Bundesländern ergangenen Verbotsverfügungen111 haben die Gruppierungen geschwächt. So konnten durch die zuständigen Behörden beispielsweise Betätigungsverbote ausgesprochen, Vereinsvermögen eingezogen, Clubhäuser geschlossen und waffenrechtliche Erlaubnisse112 entzogen werden. Einige Chapter/Charter wählten den Weg der Selbstauflösungen, um weiteren gerichtlichen Verbotsmaßnahmen zuvorzukommen. 3. Lage in Thüringen Alle vier großen OMGs, der "Bandidos MC", der "Gremium MC", der "Hells Angels MC" und der "Outlaws MC" waren auch im Jahr 2013 in Thüringen vertreten. Der seit 2009 in der Landeshauptstadt Erfurt mit einem Charter präsente "Hells Angels MC" entfaltete über das gesamte Jahr hinweg clubund szenetypische Aktivitäten. Am 29.06.2013 eröffnete das Charter in Erfurt das "Place 81", eine Lokalität, welche auch als Klubhaus dient. Als Supportclub des hiesigen "Hells Angels"-Charters fungiert nach wie vor das Erfurter Charter des "Red Devils MC". Einzelne Aktivitäten deuten Expansionsbemühungen nach Südthüringen an. Der in Mühlhausen angesiedelte "Gremium MC" gründete im Juni ein Chapter in Nordhausen. Auch im Raum Suhl war er mit einem Unterstützerclub aktiv. Im Bereich Jena/Weimar unterhält der "Bandidos MC" seit 2011 ein Chapter. Das in Weida ansässige Chapter des "Outlaw MC" agierte weiterhin unauffällig und nach außen hin kaum wahrnehmbar. 111 So z. B. "Hells Angels MC Bremen", "Regionalverband Gremium Motorcycle Club Sachsen" mit den Teilorganisationen "Gremium MC Dresden", Gremium MC Chemnitz", "Gremium MC Plauen", "Gremium MC Nomads Eastside" und "Härte Plauen", "Hells Angels MC Oder City" mit der Teilorganisation "Oder City Kurmark". 112 Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 10. Oktober 2013 gegen ein Mitglied eines OMG in hervorgehobener Position, wonach es diesem an der notwendigen Zuverlässigkeit für das Überlassen von Schusswaffen und Munition mangelt. Das Urteil hatte bis zum Jahresende noch keine Rechtskraft erlangt, Revision wurde zugelassen. 122 Organisierte Kriminalität 4. Rocker und Rechtsextremismus Das TLfV verfolgt mögliche Verbindungen zwischen dem rechtsextremistischen Spektrum und der kriminellen Rockerszene aufmerksam. Es wurden vereinzelte Übertritte von Rechtsextremisten in Thüringer OMGs bekannt. Werte wie unverbrüchliche "Bruderschaft", Disziplin, der Gebrauch bestimmter Codes113 und das hierarchische System der kriminellen Rockergruppierungen üben offensichtlich auch auf Rechtsextremisten eine besondere Faszination aus. Eine rechtsextremistische Gesinnung scheint bei der Werbung potenzieller OMG-Mitglieder kein generelles Ausschlusskriterium mehr zu sein. Obwohl eine strukturierte Zusammenarbeit und eine ideologische Annährung zwischen OMGs und der rechtsextremistischen Szene als solcher in Thüringen auch im Jahr 2013 nicht festgestellt werden konnte, verdichten sich seit einiger Zeit jedoch die Hinweise auf eine personell und örtlich begrenzte Annäherung beider Milieus. Dabei unterscheiden sich die Zielsetzungen beider Spektren grundsätzlich. Sind die Aktivitäten der OMGs vom Gewinnstreben - oftmals auch durch illegale Handlungen - geprägt, wenden sich Rechtsextremisten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel, diese abzuschaffen. Die Annäherung beider Szenen ist nicht zuletzt auch dem geschäftlichen Interesse der Rockergruppierungen geschuldet. So stellen kriminelle Rockergruppierungen beispielsweise ihre eigenen Räumlichkeiten Rechtsextremisten zur Durchführung rechtsextremistischer Veranstaltungen unterschiedlichster Art zur Verfügung. 113 Interne, aus Ziffern oder Buchstabenkombinationen bestehende Erkennungsmuster, z. B. bei Rechtsextremisten "88" als Abkürzung für "Heil Hitler" (H = achter Buchstabe des Alphabets). Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 123 VIII. Spionageabwehr 1. Überblick Die Bundesrepublik Deutschland ist ungeachtet der weltpolitischen Veränderungen in den vergangenen Jahren auch weiterhin ein bevorzugtes Aufklärungsziel fremder Nachrichtendienste. Neben einigen Ländern aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) gehören dazu auch solche aus dem nah-, mittelund fernöstlichen sowie dem nordafrikanischen Raum. Sie sind mit ihren jeweiligen Nachrichtendiensten in Deutschland personell sehr unterschiedlich repräsentiert. Die Beschaffungsaktivitäten der Nachrichtendienste richten sich nicht allein nach der gesetzlichen Aufgabenzuweisung, sondern sie orientieren sich zudem an aktuellen politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten der Staaten. Die Informationsbeschaffung zielt schwerpunktmäßig auf die Bereiche Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Technik. Sie umfasst darüber hinaus auch die Ausspähung und Unterwanderung in Deutschland ansässiger Organisationen oder Personen, die in Opposition zu den Regierungen im Heimatland stehen. Zudem sind die Regierungen einiger Staaten bemüht, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen und der hierfür erforderlichen Trägersysteme zu gelangen. Bei der Beschaffung einzelner Komponenten zu deren Herstellung sowie des erforderlichen Know-hows bedienen sie sich u. a. ihrer Nachrichtendienste. Die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sind für einige Nachrichtendienste von besonderem Interesse. Umso mehr bedarf es der Sensibilisierung, Information und Aufklärung von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen über die Gefahren der Wirtschaftsspionage. Der stetig wachsende Einfluss moderner Informationstechnologien (IT) stellt eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Der Schutz vor bzw. das Erkennen von elektronischen Angriffen auf Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen erfordert immer intensivere Anstrengungen. 124 Spionageabwehr Ein vormals als Systemadministrator tätiger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes "National Security Agency" (NSA) verließ 2013 die USA und lancierte Informationen über ein ganzes System von Spionagetechnologien der NSA bzw. deren Einsatz selbst in europäischen Partnerstaaten an die Öffentlichkeit. Hiernach entwickelte sich auch in Deutschland eine intensive Debatte über etwaige Kollisionen sowohl mit hier geltenden Rechtsvorschriften als auch den zwischen befreundeten Staaten üblichen Gepflogenheiten. Überlegungen, die IT-gestützte Kommunikation künftig umfassender vor derartigen Zugriffen zu schützen, stehen seither im Fokus der politischen Diskussion. 2. Methoden der Nachrichtendienste Bei der Informationsbeschaffung bedienen sich die Nachrichtendienste neben allgemein zugänglichen Quellen (z. B. Fachliteratur, Onlinebibliotheken, Fachkongresse) in zunehmendem Maße modernster IT-Verfahren. So sind elektronische Angriffe mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund auf Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen festzustellen. Derartige Maßnahmen können nahezu ohne Eigenrisiko von den Heimatstaaten der Akteure aus initiiert werden. Eigens geschaffene, mit modernster Technik ausgestattete Arbeitseinheiten agieren mit staatlichem Aufklärungsauftrag. Sie sind zum Teil als eigenständige Organisationseinheiten im jeweiligen Nachrichtendienst angesiedelt. Häufig bleiben Datenverluste bei den Adressaten dieser Angriffe unerkannt oder werden nur mit erheblichem Zeitverzug festgestellt. Ein Problem stellt dabei z. B. speziell entwickelte Schadsoftware dar, die erst im konkreten Bedarfsfall - mitunter Monate oder Jahre nach ihrer Installation - aktiviert wird. Daneben kommt menschlichen Quellen bei der Informationsbeschaffung eine unverändert große Bedeutung zu. Oft werden entsprechende Kontakte aus sog. Legalresidenturen114 von dort vorgeblich als Diplomaten oder Journalisten tätigen Mitarbeitern des Nachrichtendienstes initiiert. Solche Verbindungen können unverfänglich im Rahmen der offenen Gesprächsführung gepflegt werden, aber auch - über die Kultivierung eines solchen Kontakts - zum Aufbau einer geheimdienstlichen Agentenverbindung führen. Auch 2013 wurden in Deutschland Personen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit oder landesverräterischer Ausspähung festgenommen, angeklagt und verurteilt. 114 Abgetarnte Stützpunkte eines fremden Nachrichtendienstes an einer staatlichen (z. B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halbstaatlichen (z. B. Presseagentur, Fluggesellschaft) Einrichtung des Gastlands. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 125 3. Wirtschaftsschutz Den Wirtschaftsstandort Deutschland zeichnen seine Innovationskraft, Produktivität und Qualitätsstandards aus. Sie gelten als Garanten des wirtschaftlichen Erfolgs. Um diesen zu sichern, erbringen deutsche Unternehmen enorme finanzielle Aufwendungen für die Bereiche Forschung und Entwicklung. Darauf gründende Wettbewerbsvorteile wecken nicht selten auch das Interesse anderer Staaten. Fremde Regierungen beauftragen ihre Nachrichtendienste daher mitunter auch, Know-how, Forschungsergebnisse oder Technologien zu beschaffen, um zeitund kostenintensive Eigenentwicklungen umgehen und dennoch konkurrenzfähige Produkte auf dem Weltmarkt anbieten zu können. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen unterschätzen häufig die durchaus reale Gefährdung durch Wirtschaftsspionage, wenngleich auch sie z. B. durch ausgewählte Produktinnovationen oder spezielle Verfahrenstechniken entsprechende Begehrlichkeiten wecken können. Nachrichtendienste bedienen sich mitunter auch vorübergehend in Deutschland ansässiger Studenten, Praktikanten oder Austauschwissenschaftler, um illegal Know-how zu erwerben. Aus der Globalisierung der Märkte resultieren neue, äußerst komplexe Sicherheitsherausforderungen für deutsche Firmen. Neben Themen wie Know-how-Schutz spielen die Sicherung sog. Kritischer Infrastrukturen115 oder auch die Möglichkeit, durch wirtschaftliche Betätigung ungewollt die Aufmerksamkeit politischer Extremisten auf sich zu ziehen und Ziel ihrer Aktionskampagnen zu werden, dabei eine Rolle. Um Thüringer Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Institutionen bei der Bewältigung dieser Herausforderungen zu unterstützen, bietet das TLfV Informationsveranstaltungen zu Themen wie Schutz vor Ausspähung, IT-Sicherheit, Know-howSchutz oder auch ein individuell zugeschnittenes Beratungsprogramm an. 4. Proliferation Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie entsprechender Waffenträgersysteme (z. B. Raketen und Drohnen) einschließlich des dafür erforderlichen Know-how. Proliferationsrelevante Staaten116 geben durch ihr Verhalten auf der internationalen politischen Bühne nach wie vor Anlass zu der Befürchtung, solche Waffen in einem 115 Einrichtungen von besonderer Bedeutung für das Gemeinwesen, deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltige Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen nach sich ziehen würde. 116 Als solche gelten Nordkorea, Pakistan, Syrien und der Iran. 126 Spionageabwehr bewaffneten Konflikt einzusetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele anzudrohen. Daraus erwächst eine ernsthafte Bedrohung für die internationale Sicherheit. Da jene Staaten ihren Bedarf an den zur Herstellung von ABC-Waffen notwendigen Komponenten nur zum Teil selbst decken können, sind sie bestrebt, bestehende technologische wie produktbezogene Defizite durch Beschaffungen aus dem Ausland zu beheben. Die strenge Gesetzgebung und umfängliche Exportkontrollen stellen für entsprechende Beschaffungsvorhaben eine hohe Hürde dar. Um diese zu umgehen, werden auf verdeckte Weise, teilweise durch sog. Umweglieferungen über Drittländer, Verwendung gefälschter Endnutzerzertifikate, aber auch zuweilen unter direkter Einbindung von Mitarbeitern der jeweiligen Nachrichtendienste, mitunter konspirativ agierende Beschaffungsnetzwerke genutzt. Solche Methoden dienen dazu, die tatsächliche Endverwendung der Güter gegenüber den überwachenden Behörden und den potenziellen Lieferanten zu verschleiern. Zur Verhinderung derartiger Beschaffungsaktivitäten sensibilisiert das TLfV Unternehmen und Forschungseinrichtungen über die Proliferationsthematik und ihre Risiken. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 127 IX. Geheimschutz 1. Allgemeines Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines Bundeslandes gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Im Rahmen ihrer Organisationsgewalt haben Behörden Vorkehrungen zur Gewährleistung des Geheimschutzes zu treffen. Zu den Aufgaben des TLfV zählt gemäß dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) auch die Mitwirkung im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes. 2. Personeller Geheimschutz Unter dem Begriff "Geheimschutz" werden sämtliche Vorkehrungen im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen dienen. Nicht jede Person, nicht jeder Amtsträger erfüllt die für den Umgang mit Geheimnissen erforderlichen Voraussetzungen. Folglich gilt es, Personen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen für Verrat, Erpressung oder Spionage anfällig scheinen, von vornherein den Zugriff auf Geheimnisse zu verwehren. Diesem Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung. Dabei wird festgestellt, ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an. Rechtsgrundlage für das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist das Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) vom 17. März 2003 in der Fassung vom 21. Dezember 2011. Sicherheitsüberprüfungen werden für Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit gemäß SS 1 Abs. 2 ThürSÜG ausüben sollen, durchgeführt. Betroffen sind in erster Linie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen haben oder sich diesen verschaffen können. 128 Geheimschutz Als Verschlusssache werden alle im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse - unabhängig von ihrer Darstellungsform - bezeichnet. Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische Einrichtungen können ebenso wie das gesprochene Wort oder Zwischenmaterial (z. B. Entwürfe), das im Zusammenhang mit Verschlusssachen anfällt, eine solche Klassifizierung erfordern. Für eine Sicherheitsüberprüfung ist der Geheimschutzbeauftragte der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde verantwortlich. Das TLfV wirkt an der Sicherheitsüberprüfung gemäß den Regelungen des ThürVSG bzw. des ThürSÜG mit. Die Sicherheitsüberprüfung wird je nach Geheimhaltungsgrad abgestuft. Gemäß SSSS 8 ff. ThürSÜG wird sie als einfache (Ü 1), erweiterte (Ü 2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt. Sie bedarf der vorherigen Zustimmung sowohl des Betroffenen als auch der gegebenenfalls einzubeziehenden Person (Ehegattin/-te oder Lebenspartnerin/-er). Das TLfV wurde im Jahr 2013 in 358 Fällen als mitwirkende Behörde an Sicherheitsüberprüfungen beteiligt und hat jeweils sein Votum gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten der einleitenden Dienststelle abgegeben. Im Einzelnen wurden folgende Überprüfungen durchgeführt: Sicherheitsüberprüfung Sicherheitsüberprüfung Sicherheitsüberprüfung Ü1 Ü2 Ü3 2013 199 142 17 2012 104 116 38 2011 137 105 18 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 129 3. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimhaltungsbedürftigen Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme durch Unbefugte dienen. Zu technischen Sicherheitsmaßnahmen sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den Geheimschutz verbessern. Als Rechtsgrundlagen dient die Neufassung der "Verschlusssachenanweisung für den Freistaat Thüringen" (VSA)117 vom 1. Juli 2011. Die VSA richtet sich an Landesbehörden, lan-desunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen und die sonstigen der Aufsicht des Freistaats Thüringen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben, die einen solchen eröffnet und die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen erfordert. Für Kommunen gilt die VSA nur im Bereich der Aufgabenerfüllung im übertragenen Wirkungskreis. Den Kommunen wird empfohlen, die VSA auch im eigenen Wirkungskreis anzuwenden. Entsprechend der Schutzbedürftigkeit der Verschlusssache nehmen die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen der in SS 4 Abs. 2 ThürSÜG bestimmten Geheimhaltungsgrade118 vor. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. Hinsichtlich des materiellen Geheimschutzes enthält die VSA eine Reihe von Vorschriften, welche die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen, die Dienstpflichten zum Schutz von Verschlusssachen, die Aufbewahrung, Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes sowie Maßnahmen bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften betreffen. Das TLfV berät öffentliche Stellen über den Umgang mit Verschlusssachen und sichere Organisationsabläufe, u. a. auch über technische Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmsysteme oder Stahlschränke (sog. Verwahrgelasse). Auskünfte zur Geheimschutzbetreuung von Wirtschaftsunternehmen erteilt das: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie (TMWAT) Der Geheimschutzbeauftragte für die Wirtschaft Postfach 90 02 25 Max-Reger-Straße 4-8 99105 Erfurt 99096 Erfurt Telefon: 0361 3797-140 117 Thüringer Staatsanzeiger, Nr. 29/2011 S. 927 ff.; im Internet abrufbar unter: http://www.thueringen.de/imperia/md/content/verfassungsschutz/vsa_thueringen_erlassen_07.06.2011.pdf 118 "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH", "VS-VERTRAULICH", "GEHEIM" oder "STRENG GEHEIM". 130 Geheimschutz 4. Sonstige Überprüfungen Neben seiner Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wird das TLfV an Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. Infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 ist insbesondere auch die Sicherheit im internationalen Luftverkehr und in diesem Zusammenhang u. a. die Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. An das TLfV wurden im Jahr 2013 im Rahmen der Luftverkehrs-Zuverlässigkeitsüberprüfungen 726 Anfragen gestellt. Im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Sprengstoffgesetz (SprengG) wurden im Jahr 2013 an das TLfV 234 Anfragen gerichtet. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 131 Register 12 Golden Years (rechtsextremistische Band) 58 ff. A al-Assad, Baschar 99, 114 al-Maududi, Abu I-A'la 105 al-Nahda 106 al-Qaida 99, 100 f., 103 al-Qaida im Irak und Großsyrien (ISIG) 100 Al-Shabab Milizen 100 al-Sheha, Abdullah Rahmann 105 an-Nussrah 104 Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation (AA/BO) 82 Apfel, Holger 12, 17 f., 21 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 97, 110 ff. Autonome Nationalisten (AN) 35 f. B Badi, Muhammad 105 Bandidos MC 121 f. Bartsch, Marco (rechtsextremistischer Liedermacher) 61 Bayik, Cemil 111 f. Biczysko, Enrico 43, 46 Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e. V. 20 bin Laden, Osama 100 Boko Haram 101 Botschaft des Islam (Publikation) 105 Brainwash (rechtsextremistische Band) 58 ff. Braunes Haus 62 Brauni und Klampfe (rechtsextremistische Liedermacher) 60 f. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 133 Bundesgruppe der Schlesischen Jugend (SJ-Bund) 48, 63 Bürgerstimme! (Publikation) 25 C Celebrity Centers (CCs) 116 Church of Scientology 116 D Dabbagh, Hassan 105 DawaFFM 104 Der Aktivist (Publikation) 33 Der Nordthüringen Bote (Publikation) 25 Der Rennsteig Bote (Publikation) 25 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 67, 78, 86 ff., 117 Deutscher Kongress 65 Deutsche Stimme (DS, Publikation) 16 Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH 20 Deutsche Volksunion - Die neue Rechte (DVU) 17, 21 f. Dianetik-Post (Publikation) 115 Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG - GGG) 64 Die Lunikoff-Verschwörung (rechtsextremistische Band) 30, 61 Die Rechte 12 Die Rote Fahne (Publikation) 89 Die Rote Hilfe (Publikation) 94 Die Wahre Religion (DWR) 104 f. E Eichsfeldstimme (Publikation) 25 Elbert, Roy 23 Erlebnisscheune Kirchheim 64 Eugenik (rechtsextremistische Band) 58 Europäische Aktion (EA) 65 f. Exzess (rechtsextremistische Band) 30, 52, 61 134 Register F Faktum (Publikation) 25 Fear Rains Down (rechtsextremistische Bandprojekt) 60 Federation of Islamic Organizations of Europe (FIOE) 106 Fiedler, Matthias 29 Fischer, Michel 41 f., 50, 52 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) 112, 114 Freewinds (Publikation) 115 Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion mit Anbindung an die Internationale Arbeiter Assoziation (FAU-IAA), hier auch FAU Erfurt/Jena 84 f. Freie Nationalisten 35 Freies Netz Mitteldeutschland (FN Mitteldeutschland) 40 Freiheit (Publikation) 115 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) 110, 112 Freiheitsund Gerechtigkeitspartei 106 Frenck, Tommy 45 Frontfeuer (rechtsextremistische Band) 30, 61 FSN-TV 17 G Gansel, Jürgen 19 Gedächtnisstätte e.V. 63 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (Koma Komalen Kurdistan - KKK) 110, 112 Germania Records 56 Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GfP) 65 Gremium MC 121 f. H Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS - Islamische Widerstandsbewegung) 106 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 135 Heimattreue Deutsche Jugend e. V. (HDJ) 48 Heise, Thorsten 17, 21, 23, 29, 39 f. Heller, Hendrik 23 Hells Angels MC 121 f. Hermunduren (rechtsextremistische Band) 52, 58, 61 Hier & Jetzt (Publikation) 20 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) 47 Hinrich, Steven (rechtsextremistischer Liedermacher) 61 Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der Befreiung) 98 Hozat, Bese 112 Hubbard, Lafayette Ronald 116 I Ilyas, Maulawi Muhammad 107 Impact (Publikation) 115 Infoladen Sabotnik 75, 77 INTERIM (Publikation) 69 Islamische Audios 104 Islamische Bewegung Usbekistan (IBU) 103 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 98, 106 J Jihad 99, 110 Junge Nationaldemokraten (JN) 33 K Kammler, Tobias 23, 25, 28 Karayilan, Murat 112 Kartal, Remzi 112 Kaukasisches Emirat (KE) 108 ff. Kinderzimmerterroristen (KZT, rechtsextremistische Band) 58 f. Knape, Andy 33 136 Register Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V. (KVPM) 116 Kommunalpolitische Vereinigung in der NPD (KPV) 17 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), hier auch Regionalorganisationen in Bad Langensalza und Umland sowie Erfurt 67, 87, 89 f. Kommunistische Plattform (KPF) der Partei "DIE LINKE." 67, 85 ff. Kommunistischer Jugendverband Deutschlands (KJVD) 89 Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik a Kurdistan - CDK) 112 Krüger, Maik und "Miechen" (rechtsextremistische Liedermacher) 61 Kühner, Steffen 45 L Legion of Thor (rechtsextremistische Band) 60 linksunten.idymedia (Internetportal) 74, 79, 83 Löschner, Stefanie 34 M Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 67, 91 ff. Miscavige, David 115 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE (Publikation) 85 Möller, Monique 23, 34 Morgenroth, Jan 23, 34 Moshpit (rechtsextremistische Band) 58 f. Mursi, Mohammed 106 Muslimbruderschaft (MB) 98, 100, 105 f. N Nationaldemokratische Partei 12 f., 16 ff., 37 ff., 42 ff., Deutschlands (NPD), hier auch 51, 54, 57, 59, 61 f., Kreisverbände in Thüringen 72, 76 f., 80, 117 f. Nationaler Kundgebungstag 29, 117 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 137 National Security Agency (NSA) 125 National Socialist Black Metal (NSBM) 58 National Socialist Hardcore (NSHC) 58 Nationaler Widerstand 38 Nordische Zeitung (Publikation) 64 Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 102, 108, 110 NPD Thüringen TV 26 O Öcalan, Abdullah 110 ff., 114 OIRAM (rechtsextremistischer Liedermacher) 61 Ostfront (rechtsextremistische Band) 58, 60 Ostthüringen Bote (Publikation) 25 Outlaws MC 121 f. Outlaw Motorcycle Gangs (OMGs) 121 ff. P Painful Life (rechtsextremistische Band) 60 Pastörs, Udo 12, 18 Pilch, Christoph 46 f. Place 81 122 Priorität 18 (rechtsextremistische Band) 52, 61 Q Qutb, Sayyid 105 R R.A.C. - Rock against Communism (Rock gegen Kommunismus) 58 Radikahl (rechtsextremistischer Sänger) 58 REBELL 91 ff., 118 Red Devils MC 122 Reiche, Sebastian 23 Religious Technology Center (RTC) 115 Rennicke, Frank (rechtsextremistischer Liedermacher) 61 Resistentia (rechtsextremistische Band) 61 Richter, Gordon 23, 30, 34, 52 138 Register Richter, Steffen 52 Rimbach, Fabian 48, 63 Ring Nationaler Frauen (RNF) 17, 27, 30, 34 Risalat al-Ikhwan (Publikation) 105 Rock für Deutschland 28, 30, 45, 61, 72 Rote Fahne (Publikation) 91 ff. Rote Hilfe e. V. (RH), hier auch Rote Hilfe Jena 94 ff. S Saad, Maulana Ibrahim 107 Saale Stimme (Publikation) 25 Satudarah MC 121 Schaub, Bernhard 66 Schöwitz, Torsten 90 Schwerdt, Frank 17, 21, 23, 30, 34 Scientology Kirche Frankfurt e. V. 116 Scientology Organisation (SO) 115 f. SERXWEBUN (Publikation) 110 Sleipnir (rechtsextremistische Band) 29, 61 Sonderkommando Dirlewanger (SKD, rechtsextremistische Band) 58, 60, 63 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 78, 87 Stimme der Vergeltung (rechtsextremistische Band) 30, 60 f. Stimme von und für Elbe-Saale (Publikation) 91, 93 Strafmass (rechtsextremistische Band) 29, 61 Südthüringen Stimme (Publikation) 25 T Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) 98, 102, 106 f. Tätervolk (rechtsextremistische Band) 60 Thüringenreport (Publikation) 87, 89 Thüringentag der nationalen Jugend 52, 61, 73, 78 f. Thüringer Rote Hilfe Zeitung 95 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 139 Torstein (rechtsextremistischer Liedermacher) 29, 61 Totenburg (rechtsextremistische Band) 58 Tsarnaev, Dzohkhar 101 Tsarnaev, Tamerlan 101 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 108 ff. U Umarov, Dokku 108 f. Unbeliebte Jungs (rechtsextremistische Band) 58 f. Unsere Zeit (UZ, Publikation) 87 V Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (Koma Civaken Kurdistan - KCK) 110 ff. Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 64 Vogel, Pierre 104 Voigt, Udo 16 f., 28 Volk in Bewegung - Der Reichsbote (Publikation) 40 Volksfront von Rechts 16, 38 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) 110, 112 Volksverteidigungskräfte (HPG) 112 W Wartburgkreis Bote (Publikation) 25 W & B Records 56 W & B Versand 40 Weber, Patrick 23 Weimarer Landbote (Publikation) 25 White-Power-Bewegung 54 Wieschke, Patrick 14, 17, 21, 23, 25, 27 ff., 32, 53 Wohlleben, Ralf 41 Words of Anger (rechtsextremistische Band) 29, 61 140 Register Y Yeni Özgur Politika (YÖP, Publikation) 110 Z Zagros, Hacer 112 Zakaev, Ahmed 108 Zellmann, Gabriele 34 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 141 Registeranhang Im Registeranhang sind die im Bericht erwähnten Gruppierungen aufgeführt, die ihren Ursprung in Thüringen haben, weitestgehend lokal agieren und einem bundesweit aktiven extremistischen Personenzusammenschluss nicht als regionale Untergliederung organisatorisch zugehören. Im Übrigen wird auf das vorhergehende Register verwiesen. A Aktionsbündnis Erfurt (AB Erfurt) 45 Aktionsgruppe Erfurt (AG Erfurt) 42 Aktionsgruppe Nordhausen (AG Nordhausen) 44 Aktionsgruppe Weimarer Land (AG WL) 41 ff., 50 Anarchist Resistance Wartburgkreis (AR-WAK) 77 Antifa Gruppe 17 (AG17) 77 Antifa Task Force Jena (ATF Jena) 74, 79 f. Antifaschistische Aktion Gotha (AAGth) 81 f. Antifaschistische Aktion Jena (AAJ) 81 Antifaschistische Aktion Saalfeld (AASlf) 80 Antifaschistische Gruppen Südthüringen (AGST) 83 Autonome AnarchistInnen Gotha (AAGTH) 81 Autonome Antifa Gruppe Weimar 80 Autonome Linke Weimar 74 Autonome Nationalisten Weimar (AN WE) 41 B Bündnis-Zukunft-Hildburghausen (BZH) 45 f., 52, 66, 117 D Doku Crew Kahla 79 F Freie Kräfte Erfurt (FKE) 42 f., 46, 50 Freie Kräfte Gera 44 Freies Netz Erfurt (FN Erfurt) 42 Freies Netz Jena (FN Jena) 40 f., 62 Freies Netz Saalfeld (FN Saalfeld) 45 142 Registeranhang G Greizer Bürgerinitiative gegen ein Asylbewerberheim "Am Zaschberg" 53 H Hausgemeinschaft Jonastal (HGJ) 43 f. Hausgemeinschaft "Zu den Löwen" 62 I Internationales Islamisches Kulturzentrum - Erfurt Moschee e. V. (IIKz Erfurt) 104 f. J Jenaer undogmatische radikale Initiative (JURI) 78 K Kameradenkreis um Thorsten Heise 39 Kulturverein Mesopotamien e. V. 113 N Nationaler Widerstand Jena (NWJ) 40 P Pro Erfurt e. V. 42, 46, 117 S Schlesische Jugend - Landesgruppe Thüringen (SJ-Thüringen) 47 f., 63 V Volkszorn Gera 44 Vollstrecker Gera 44 f. Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2013 143 IMPRESSUM Herausgeber: Thüringer Innenministerium Steigerstraße 24 99096 Erfurt Redaktion: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Druck: Gutenberg Druckerei GmbH Weimar Der Verfassungsschutzbericht 2013 ist im Internet abrufbar unter: www.thueringen.de/de/tim und www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz