Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2011 IMPRESSUM Herausgeber: Thüringer Innenministerium Steigerstraße 24 99096 Erfurt Redaktion: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Druck: Gutenberg Druckerei GmbH Weimar Der Verfassungsschutzbericht 2011 ist im Internet abrufbar unter: www.thueringen.de/de/tim und www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz Vorwort Im November 2011 ist die rechtsterroristische Gruppe bekannt geworden, die sich selbst "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) nannte. Zwischen September 2000 und April 2007 hat diese Gruppierung 10 Menschen ermordet sowie weitere Verbrechen begangen. Die Dimension dieser rechtsterroristischen Gewalttaten ist unvorstellbar. Eine vorbehaltlose und transparente Aufklärung dieser Ereignisse um das "Zwickauer Trio" notwendig. Die hierzu berufenen, parlamentarischen Gremien werden durch die Landesregierung umfassend unterstützt, indem rückhaltlos alle für die Aufklärung erforderlichen Dokumente und Informationen zur Verfügung gestellt und übermittelt werden. Auch intern wurden und werden Konsequenzen gezogen. So benennt bereits der Bericht der vom Innenministerium eingesetzten Kommission unter dem Vorsitz von Dr. Gerhard Schäfer erhebliche handwerkliche und strukturelle Defizite der Thüringer Sicherheitsbehörden, insbesondere in den 90er Jahren. Es mangelte damals nicht nur an der notwendigen Abstimmung und Kommunikation zwischen Sicherheitsbehörden und Justiz, sondern Auswertung, Informationsweitergabe, Dokumentation sowie Kontrollen waren unzureichend. Zwar ist ein Großteil der durch die Kommission von Dr. Schäfer festgestellten Schwachstellen bereits beseitigt worden. Gleichwohl besteht das Erfordernis, erlangte Informationen noch professioneller und in bestmöglicher Qualität auszuwerten, um künftig auch hochkonspirativ agierende Gruppierungen erkennen und bekämpfen zu können. Der Umbau des Verfassungsschutzes in Thüringen als Teil des Verfassungsschutzverbundes zwischen allen Ländern und dem Bund zu einem effektiven Frühwarnsystem zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist daher notwendig und wird nach den erforderlichen rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Prüfungen durchgeführt werden. Die ersten Maßnahmen zur Optimierung der bundesweiten Sicherheitsarchitektur sind durch den Bund und die Länder bereits in die Vorwort Wege geleitet worden. Weitere Schritte werden folgen. Neben der Aufklärung der rechtsterroristischen Straftaten der "NSU" sowie des Verhaltens der Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang darf aber nicht aus dem Blick geraten, dass es auch aktuelle extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen der verschiedenen Phänomenbereiche gibt. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht 2011 informiert die Öffentlichkeit über diese Bestrebungen in Thüringen. 3 4 Die immer gleichen Ankündigungen des Thüringer Landesverbands der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), seine Strukturen ausbauen, die Mitgliederzahl steigern und sich stärker öffentlichkeitswirksam präsentieren zu wollen, blieben im Jahr 2011 weiterhin ohne Vorwort greifbare Folgen. Der Landesverband verfügte unverändert über 17 Untergliederungen, der Mitgliederbestand sank auf ca. 300 (vormals 350), öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten gingen nach wie vor nur von einzelnen Kreisverbänden aus. Die 19 NPD-Mandatsträger auf kommunaler Ebene haben keinen tatsächlichen Einfluss auf die Kommunalpolitik nehmen können. Die Verbindungen der Partei zur neonazistischen Szene sind seit Jahren eng. Die meisten Funktionäre kommen aus diesem Spektrum, bei Veranstaltungen unterstützt man sich sowohl organisatorisch als auch personell. Die Versuche sog. Freier Kräfte, selbst einzelne rechtsextremistische Aktionsfelder wirkungsvoll zu besetzen, blieben eher erfolglos. Gleichwohl zog die relative Schwäche der NPD einen verhaltenen personellen Zuwachs bei dem neonazistischen Teilspektrum auf ca. 200 Anhänger (vormals 180) nach sich. Bemühungen nach einer stärkeren auch überregionalen Kooperation fanden in der Bildung von Teilgruppierungen des "Freien Netz Mitteldeutschland" Niederschlag. Die subkulturell geprägten Rechtsextremisten fielen erneut durch Versuche auf, einschlägige Musikveranstaltungen konspirativ vorzubereiten. Durch den Verfolgungsdruck der Behörden waren diese Veranstaltungen jedoch auch weiterhin rückläufig. Die Zahl der durchgeführten rechtsextremistischen Konzerte bewegte sich im einstelligen Bereich (5) und lag deutlich unter jener des Vorjahres (13). Mit durchschnittlich 100 Besuchern wurde das bundesweite Mittel (150) unterschritten. Das in Thüringen breite Angebot an leer stehenden, zum Kauf angebotenen Immobilien in ländlichen Regionen machten sich im Berichtszeitraum auch Rechtsextremisten zu Nutze. So erwarb eine als Privatperson aufgetretene Käuferin das ehemalige Rittergut in Guthmannshausen, das seither von dem bundesweit aktiven, in Nordrhein-Westfalen im Vereinsregister eingetragenen Verein rechtsextremistische "Gedächtnisstätte e. V." genutzt wird. Seit November ist der Vorsitzende sowohl der Bundesgruppe als auch der Landesgruppe Thüringen der "Schlesischen Jugend" Eigentümer der ehemaligen Bahnhofsgaststätte in Marlishausen. Zu Wohnzwecken erwarben zwei weitere Rechtsextremisten im Dezember eine in der Gemeinde Crawinkel befindliche Immobilie mit angeschlossener Gaststätte. Die mit der Abwicklung solcher Eigentümerwechsel befassten Institutionen bzw. solche, die von entsprechenden Erwerbsabsichten erfahren, müssen sich auch künftig frühzeitig auszutauschen, um im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten einen Erwerb von Extremisten zu vermeiden. In jedem Fall ist die Entstehung von Szenetreffpunkten zu unterbinden. Die Erscheinungsformen des Linksextremismus in Thüringen blieben unverändert. Die Autonomen führten Aktionen durch, die aus ihrer Sicht dem Antifaschismus dienten. Von den in Thüringen existenten Gliederungen marxistisch-leninistischer Parteien gingen - abgesehen von traditionellen Gedenkveranstaltungen und einzelnen, meist in Erfurt ausgerichteten Informationsständen - kaum öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus. Islamistische Gruppierungen, die auf einer religiös motivierten Form des politischen Extremismus ausgerichtet sind, haben sich in Thüringen bislang kaum strukturell etabliert. Sympathisanten verschiedener islamistischer Organisationen bzw. solche, die salafistische Bestrebungen befürworten, frequentieren jedoch im Freistaat bestehende islamische Kulturzentren. Dort fanden auch 2011 von Multiplikatoren des Salafismus bestrittene Islamseminare und sonstige Vortragsveranstaltungen statt. Zudem lagen einschlägige Publikationen bei "Islamischen Informationsständen" aus. Als eine dem sonstigen Ausländerextremismus zuzuordnende, über ihre Untergliederungen in Europa auch in Deutschland aktive Organisation gilt weiterhin die "Arbeiterpartei Kurdistans". Ihre organisatorische Ausrichtung reicht seit Jahren auch bis nach Thüringen. Wenngleich sich die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der hier ansässigen Anhänger und Unterstützer 2011 auf sehr niedrigem Niveau bewegten, bleib die von ihnen aufgebrachte finanzielle Unterstützung der im Ausland bewaffnete Einheiten unterhaltenden Organisation ungebrochen. Im Rahmen der jährlichen Spendenkampagne wurden hier erneut beträchtliche Einnahmen erzielt. Die Bekämpfung des Extremismus muss auch weiterhin fortgeführt werden. Hierzu ist der Verfassungsschutz unverzichtbar, ein Verfassungsschutz, der seinem Selbstverständnis als Frühwarnsystem gerecht wird und der einer effektiven parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Extremismusprävention ist aber auch eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Großen Dank möchte ich daher all jenen aussprechen, die in zivilgesellschaftlichen Initiativen mitwirken und in ihrem vielfältigen EnVorwort gagement gegen Extremismus - sei es in einem Bündnis gegen Rechtsextremismus, sei es bei der Betreuung von Jugendlichen in einem Verein - unermüdlich tätig sind. Sie leisten damit einen wertvollen Beitrag zu dem von der Landesregierung aufgelegten Programm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit. Jörg Geibert Thüringer Innenminister Juli 2012 5 6 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument streitbarer Demokratie 11 2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 14 II. Rechtsextremismus 1. Überblick 18 1.1 Das rechtsextremistische Potenzial in der Bundesrepublik Deutschland 18 1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen 19 2. Ideologischer Hintergrund 21 3. Rechtsextremistische Parteien 22 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 22 3.1.1 Der Bundesverband der NPD 23 3.1.1.1 Entwicklung der Partei 23 3.1.1.2 Ideologie der Partei 26 3.1.1.3 Strategie der Partei 27 3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD 29 3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands 29 3.1.2.2 Kreisverbände 30 3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung 31 3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen Rechtsextremisten 32 3.1.2.5 Publikationen/Internet 34 3.1.2.6 Aktivitäten des Landesverbands 36 3.1.2.7 Bewertung und Ausblick 43 3.1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 44 3.1.4 "Ring nationaler Frauen" (RNF) 46 3.2 "Deutsche Volksunion - Die neue Rechte" (DVU) 47 3.2.1 Der Bundesverband der DVU 47 4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 48 4.1 Ideologischer Hintergrund 48 4.2 Organisationsund Aktionsformen der Neonaziszene im Allgemeinen 49 4.3 Zusammenarbeit mit der NPD 53 4.4 Die Neonaziszene in Thüringen 53 4.4.1 Kameradschaften 53 4.4.2 "Autonome Nationalisten" (AN) in Thüringen 59 4.4.3 Sonstige Personenzusammenschlüsse 60 4.4.4 Vereinsaktivitäten von Neonazis 64 4.4.5 Gewaltpotenzial der Neonaziszene 68 4.4.6 Aktivitäten und Themenschwerpunkte der Neonaziszene 72 5. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 75 5.1 Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppierungen 75 5.2 Erscheinungsformen, Botschaften und Wirkung rechtsextremistischer Musik 77 5.3 Produktionsund Vertriebsstrukturen 79 5.4 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer Konzerte im Allgemeinen 80 5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen 81 5.6 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen 83 6. Immobiliennutzung und Internetaktivitäten von Rechtsextremisten 86 6.1 Von Rechtsextremisten genutzte Immobilien in Thüringen 86 6.2 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten 90 7. Sonstige rechtsextremistische Gruppierungen 92 Inhaltsverzeichnis 8. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick 94 7 8 III. Linksextremismus Inhaltsverzeichnis 1. Überblick 96 2. Ideologischer Hintergrund 97 3. Autonome 98 3.1 Allgemeines 98 3.2 Die autonome Szene in Thüringen 101 3.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis 103 3.4 Autonomer "Häuserkampf" 109 4. Anarchisten 113 4.1 "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA) 114 5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige Gruppierungen 115 5.1 "Kommunistische Plattform" (KPF) der Partei "DIE LINKE." 115 5.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 118 5.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) 120 5.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 123 5.5 "Rote Hilfe e. V." (RH) 126 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick 128 IV. Islamismus /Ausländerextremismus 1. Überblick 129 2. Islamismus 130 2.1 Internationaler islamistischer Terrorismus 132 2.1.1 Aktuelle Entwicklungen 133 2.2 Die Lage in Thüringen 136 2.2.1 Islamistische Bestrebungen im Einzelnen 140 2.2.1.1 "Muslimbruderschaft" (MB) 140 2.2.1.2 Tablighi Jama'at (TJ - "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") 142 2.2.1.3 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) 143 3. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 147 3.1 Überblick, allgemeine Lage 147 3.2 Organisatorische Situation/Strukturen 149 3.3 Finanzierung 151 3.4 Propaganda und Themenschwerpunkte 151 V. Scientology-Organisation (SO) 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO 153 2. Organisationsstruktur 154 3. SO in Thüringen 155 VI. Ereigniskalender extremistischer Bestrebungen in Thüringen 156 VII. Organisierte Kriminalität (OK) 1. Aufgaben des Verfassungsschutzes 161 2. Beobachtungsgegenstand in Thüringen 162 VIII. Spionageabwehr Inhaltsverzeichnis 1. Überblick 165 2. Methoden der Nachrichtendienste 167 3. Proliferation 168 4. Wirtschaftsspionage 170 9 10 IX. Geheimschutz Inhaltsverzeichnis 1. Allgemeines 171 2. Personeller Geheimschutz 171 3. Materieller Geheimschutz 173 4. Sonstige Überprüfungen 174 Anhang Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 175 Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) 193 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung ist es die Aufgabe der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das Grundgesetz legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Die streitbare Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Staat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte - wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht - zu. Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie den Bestrebungen politischer Extremisten nicht tatenlos aus. So sind beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfasInformationen sungswidriger Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als "Frühwarnsystem" politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die Länder unterhalten. Im Freistaat Thüringen ist die Verfassungsschutzbehörde als Landesoberbehörde 1991 errichtet worden. 11 12 Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach, aus welchen Parteien und Gruppierungen sich das extremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt. Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste Informationen auf. In einigen Bundesländern, darunter Thüringen, beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen der Organisierten Kriminalität (OK). Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie solcher Gefahren zu treffen, die von Aktivitäten der OK ausgehen. Der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen. Diese ist dann geboten, wenn auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung führen, dass ein Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit die Feststellung seines extremistischen Charakters verbunden ist. Eine Berichterstattung kann aber auch bereits dann in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen, die aufgrund eines im konkreten Fall hinzutretenden besonderen Aufklärungsinteresses der Öffentlichkeit eine Erwähnung erfordern. Diese Verdachtsfälle sind als solche im Text kenntlich gemacht. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere durch die Innenministerien, durch die von den Parlamenten eingesetzten Kontrollgremien, durch die Gerichte, durch die Bundesbzw. Landesbeauftragten für Datenschutz sowie durch die Medien. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die vorrangig in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen. Sie unterscheiden sich grundlegend sowohl von der "Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) der ehemaligen DDR. Jene waren darauf ausgerichtet, totalitäre Staaten abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung schützt. Darüber hinaus besaß das MfS keinerlei rechtsstaatliche gesetzliche Grundlage und unterlag dementsprechend auch keiner rechtsstaatlichen Kontrolle. Verstand sich die Staatssicherheit als "Schild und Schwert der SED", dienen die Verfassungsschutzbe- hörden keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem verpflichtet. Hinsichtlich der anstehenden Neuordnung des Verfassungsschutzes in der Bundesrepublik Deutschland, die auf Grund der zu Tage getretenen und noch zu Tage tretenden Erkenntnisse zum "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) unausweichlich scheint, werden einerseits die Erkenntnisse der verschiedenen Untersuchungsausschüsse und -kommissionen im Hinblick auf die künftige Arbeitsweise und die gesetzlichen Rahmenbedingungen beachtet werden müssen. Diese werden einzubeziehen sein, um die geeigneten Maßnahmen zur Optimierung der Sicherheitsstrukturen in unserem Land und zur effektiveren Gestaltung der Kontrolle des Verfassungsschutzes zu treffen. Aber auch gegenwärtig bestehen bereits Ansatzpunkte für Verbesserungen. So stehen u. a. die Informationswege der Sicherheitsbehörden untereinander in der Kritik, insbesondere der Informationsfluss vom Verfassungsschutz zu Staatsanwaltschaft und Polizei. In dieser Hinsicht werde mit dem neuen Thüringer Verfassungsschutzgesetz ein offensichtliches Manko beseitigt, indem nunmehr die Verpflichtung gesetzlich normiert ist, bei bestimmten Straftaten Informationen übermitteln zu müssen. Auch wurde die parlamentarische Kontrolle effektiver gestaltet. Darüber hinaus wird insbesondere auch die Organisation der Zusammenarbeit der Justizund Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder zu hinterfragen sein. Das Gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus, das am 16. Dezember 2011 vom Bundesminister des Inneren eingerichtet wurde, ist ein erster Schritt. Das Informationen Zentrum soll die Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei der Bekämpfung von Rechtsextremismus und -terrorismus verbessern. Es geht insbesondere um einen engeren Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden. Weitere Konzeptionen werden zu entwickeln sein, damit die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder ihre Aufgaben künftig besser aufeinander abstimmen. Die Notwendigkeit, die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen umfassend zu informieren, bleibt weiterhin bestehen. Die Verantwortung für den Freistaat Thüringen erfordert daher eine im Gefüge der bundesweiten Sicherheitsarchitektur möglichst 13 14 optimal aufgestellte Einrichtung zum Schutz unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung. Informationen 2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) Aufbau und Organisation des TLfV Das TLfV verfügte im Haushaltsjahr 2011 über 98 Stellen und Planstellen. Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 6.015.400 Euro zugewiesen. Das Amt ist wie folgt strukturiert: Präsident Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentrale Dienste Auswertung Beschaffung, Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr Die Fachaufsicht über das Landesamt führt das Thüringer Innenministerium, Referat "Verfassungsschutz, Geheimschutz". Abteilung "Zentrale Dienste" Die Abteilung "Zentrale Dienste" ist für den inneren Dienstbetrieb und für fachübergreifende Aufgaben des Amts zuständig. Sie umfasst die Bereiche Grundsatzund Rechtsfragen, Geheimschutz, Personal, Haushalt, Innerer Dienst, EDV sowie Registratur, Öffentlichkeitsarbeit und Berichtswesen. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von Vorträgen, die Beantwortung von Bürgeranfragen und die Herausgabe periodischer Berichte hervorzuheben. Im Jahre 2011 hielten Referenten des Amts insge- samt 49 Vorträge zu den verschiedenen Beobachtungsfeldern des Verfassungsschutzes mit den Schwerpunkten Rechtsextremismus, Islamismus und Organisierte Kriminalität. Besonderes Gewicht kam dabei der sachlich angemessenen Sensibilisierung für die Aufgaben des Verfassungsschutzes sowie den Besonderheiten der einzelnen Phänomenbereiche zu. Im Berichtszeitraum veröffentlichte das TLfV zudem mehrere Broschüren zu den Erscheinungsformen des politischen Extremismus. Sie sind auch als Onlineversion über das Internet abrufbar. In Zusammenarbeit mit dem Thüringer Justizministerium, mehreren Justizbehörden sowie der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung in Gotha wurde 2011 die Präventionsarbeit im Justizvollzug intensiviert. Darüber hinaus fanden die Sensibilisierungsveranstaltungen im Bereich des Islamismus und der Organisierten Kriminalität in Kooperation mit verschiedenen Bildungsträgern, Organisationen und Institutionen ihre Fortsetzung. Das TLfV präsentierte sich bei mehreren öffentlichen Veranstaltungen, so z. B. dem Tag der offenen Tür des Thüringer Landtags, dem Thüringentag der Landesregierung - ausgerichtet in Gotha - und dem Fanfest des Fußballvereins "Rot Weiß Erfurt". Am 7. November richtete das TLfV sein 10. Fachsymposium, diesmal zu dem Thema "Wehrhafte Demokratie und Verfassungsschutz", aus. Parallel dazu gastierte die Wanderausstellung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) "Es betrifft Dich/Politischer Extremismus in Deutschland" vom 7. bis 18. November in der Walter-Gropius-Berufsschule in Erfurt. Informationen Darüber hinaus erarbeitete das TLfV eine eigene Wanderausstellung mit dem Titel "Feinde der Demokratie/Politischer Extremismus in Thüringen". Schwerpunktmäßig beinhaltet diese interaktiv gestaltete, vorwiegend an Jugendliche gerichtete Ausstellung Erscheinungsformen des Rechtsextremismus sowie eine Fülle von Materialien zum Thema. Sie wird interessierten Institutionen kostenfrei zur Verfügung gestellt. 15 16 Abteilung "Auswertung" Die Abteilung "Auswertung" erhält von der Abteilung "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Links-, Rechtsund Informationen Ausländerextremismus sowie frühere, fortwirkende Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR. Sie lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Informationsquellen, zusammen und wertet sie aus. Darüber hinaus ist sie mit den Verfahren der Postund Telekommunikationsüberwachung (G10) betraut. Abteilung "Beschaffung, Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr" Diese Abteilung hat die Aufgabe, durch Ermittlungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen, Führen von sog. Vertrauensleuten) die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen. Darüber hinaus obliegt ihr, die unerlaubte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären und Informationen über Bestrebungen der Organisierten Kriminalität in Thüringen zu erheben. "Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz" (TIAZ) Aufgabe der TIAZ, einer Projektorganisation des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und des TLfV ist es, Informationen zu politisch motivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Ausländer" sowie den Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen. Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der "Antiterrordatei" (ATD). Kontakt: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 450 121 99051 Erfurt Telefon: (03 61) 44 06-0 Telefax: (03 61) 44 06-251 Internet: www.thueringen.de/de/verfassungsschutz E-Mail: kontakt@tlfv.thueringen.de Thüringer Innenministerium Referat 23 Steigerstraße 24 99096 Erfurt Telefon: (03 61) 37-900 Telefax: (03 61) 37-93 111 Internet: www.thueringen.de/de/tim Informationen 17 18 II. Rechtsextremismus Rechtsextremismus 1. Überblick 1.1 Das rechtsextremistische Potenzial in der Bundesrepublik Deutschland Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) wollte das Jahr 2011 sowohl für die Konsolidierung ihrer Parteiund Mitgliederstrukturen nutzen als auch Erfolge bei den im Berichtszeitraum stattfindenden Landtagswahlen einfahren. Bereits im Januar wurde die im Vorjahr vorbereitete Verschmelzung mit der DVU im Rahmen eines Festakts besiegelt. In der Folge sollte die DVU dann nicht nur strukturell, sondern vor allem auch personell in der NPD aufgehen. Gerade Letzteres ist allerdings nicht in nennenswertem Umfang gelungen. Trotz der Fusion ist der Mitgliederbestand der NPD über den Berichtszeitraum hinweg erneut auf nunmehr 6.300 (2010: 6.600) gesunken. Auch die Ausrufung des Jahres 2011 als "Superwahljahr" hat nicht zu der erhofften Mobilisierung geführt. Trotz hoher Erwartungen, die nicht zuletzt auf der Fusion mit der DVU gründeten, konnte die NPD lediglich in Mecklenburg-Vorpommern erneut Landtagsmandate gewinnen - allerdings auch hier mit Stimmenverlusten. Das bundesweite neonazistische Personenpotenzial ist im Gegensatz zur Entwicklung bei der NPD gestiegen und liegt nun bei 6.000 (2010: 5.600). Das neonazistische Teilspektrum ist allerdings wegen seiner weiterhin sehr heterogenen Struktur keine wirklich eigenständige Kraft innerhalb der rechtsextremistischen Szene Deutschlands oder gar ein Gegenpol zur immer noch dominierenden NPD. Der auch im Berichtszeitraum zu verzeichnende Zulauf hängt zum Teil mit der relativen Schwäche der NPD zusammen, erklärt sich zum anderen aber auch aus den für Jugendliche und junge Erwachsene attraktiver werdenden Aktionsformen der Neonaziszene. Das Bekenntnis zum Neonazismus verlagert sich zunehmend in den Bereich des Ideologischen, äußere Erkennungsmerkmale rücken hingegen in den Hintergrund. Wegen ihres eher subkulturellen Auftretens und ihrer Gewaltbereitschaft stoßen die "Autonomen Nationalisten" (AN) im Bereich des organisierten Rechtsextremismus weiterhin auf Ablehnung. Ihre Attraktivität für junge aktionsorientierte und zugleich stark ideologisierte Rechtsextremisten eröffnet den AN jedoch weiteres Wachstumspotenzial. Die Anzahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten belief sich 2011 bundesweit auf ca. 7.600 (2010: 8.300). Das in dieser Kategorie erfasste Personenpotenzial ist inzwischen sehr heterogen und weist einige Überschneidungen zu anderen Teilspektren der rechtsextremistischen Szene auf. 1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen Thüringen Bund 2011 2010 2009 2011 NPD 300 350 450 6.300 DVU - 50 50 1.000 Neonazis 300 1 180 160 6.000 Subkulturell geprägte Rechts3002 450 470 7.600 extremisten Rechtsextremismus Die Entwicklung in Thüringen entsprach im Wesentlichen dem bundesweiten Trend. Auch 2011 konnte die NPD in Thüringen zwar ihre hervorgehobene Stellung innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums behaupten, allerdings setzte sich die bereits im Vorjahreszeitraum zu beobachtende relative Schwächephase weiter fort. Die Thüringer NPD vermochte es weder, ihre Strukturen weiter auszubauen noch ihre bereits geschwächte Organisationsund Mobilisierungsfähigkeit wieder zu steigern. Diese Entwicklung schlug sich auch in einem weiter rückläufigen Mitgliederbestand nieder. 1 Aufgrund einer im Verfassungsschutzverbund geänderten Zählweise ist hier auch das vormals als "sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten" (ca. 100) bezeichnete Personenpotenzial erfasst, das bis 2010 in der Rubrik "subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten" aufging; s. dazu auch die Ausführungen in Kapitel 4.4. Zur Kategorie der in allen Teilspektren auszumachenden, nunmehr separat ausgewiesenen "gewaltorientierten Rechtsextremisten" zählten 2011 bundesweit 9.800 Personen, in Thüringen 500. 2 Siehe Fn. 1. 19 20 Der NPD-Landesverband zählt nach wie vor 17 Untergliederungen, deren öffentliche Aktivitäten sich aber sehr unterschiedlich gestalten. Die Bandbreite reicht von weitgehender Inaktivität bis hin zu Kreisverbänden, die versuchen, regelmäßig auch öffentlich Rechtsextremismus in Erscheinung zu treten. Die angestrebte kommunale Verankerung blieb ebenfalls unerreicht. Sofern die mit entsprechenden Mandaten ausgestatteten Vertreter der NPD3 überhaupt aktiv an den Sitzungen der Stadträte und Kreistage teilnahmen, hielt sich die öffentliche Wahrnehmung ihrer dort entfalteten Aktivitäten in sehr engen Grenzen. Die vormalige Thüringer Neonaziszene weist gegenüber dem Vorjahr (2010:180) einen Zuwachs von etwa 20 Personen auf. Der Thüringer NPD gelang es nicht, ihren Einfluss auf die neonazistisch geprägten Rechtsextremisten im Freistaat auszubauen. Weitere Neonazis verlagerten ihren Aktionsschwerpunkt und wurden vermehrt bei den "Freien Kräften" aktiv. Nichtsdestotrotz zeigte sich der Großteil der noch nicht in der NPD gebundenen Anhänger gegenüber einer Zusammenarbeit mit der Partei - sei es durch die gemeinsame Organisation von Veranstaltungen oder die Teilnahme an einzelnen ihrer Aktivitäten - einigermaßen aufgeschlossen. Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten Rechtsextremisten war 2011 ebenso rückläufig wie die Anzahl der rechtsextremistischen Konzerte. Es fanden lediglich fünf solcher Musikveranstaltungen (2010: 13) statt. Der im Vorjahreszeitraum noch häufig genutzte Konzertort in Kirchheim war 2011 nur noch von untergeordneter Bedeutung. Mehrere Konzerte fanden nunmehr in einem Objekt in Unterwellenborn statt. 3 Bei der Kommunalwahl 2009 gingen 23 der insgesamt 10.390 zu vergebenden Mandate an Kandidaten der NPD. 2. Ideologischer Hintergrund Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einer fest strukturierten Ideologie. Es setzt sich aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher ideengeschichtlicher Herkunft zusammen, die innerhalb der jeweiligen Ausprägung des Rechtsextremismus in unterschiedlicher Form zum Ausdruck kommen. Immer wiederkehrende Grundelemente sind: * ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip der Völkerverständigung missachtet, * die Überhöhung des Staats zu einem sich aus sich selbst heraus rechtfertigenden Wert und die Überbetonung der Staatsinteressen gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen (Etatismus), * eine völkische Ideologie, die sich typischerweise zu Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit verdichtet, wobei dem Antisemitismus eine besondere Stellung zukommt, * das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie das Hervorheben angeblich positiver Elemente des Dritten Reichs (Revisionismus). Weitere Elemente stellen die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine Ideologie der Ungleichwertigkeit dar. Antipluralismus und Autoritarismus sind in unterschiedlicher ideologischer Ausdrucksweise bei allen Rechtsextremisten zu finden. Rechtsextremismus So ist das Weltbild subkulturell geprägter und sonstiger gewaltbereiter Rechtsextremisten diffus. Ihre Einstellungen sind von fremdenfeindlichen, oft rassistischen sowie gewaltbejahenden Ressentiments geprägt. Die Überzeugungen von Neonazis orientieren sich in der Regel an nationalsozialistischen Vorstellungen eines totalitären "Führerstaats" auf rassistischer Grundlage. Sie konzentrieren sich stärker auf zielgerichtete politische Aktivitäten, die oftmals sehr aktionistisch angelegt sind. Aus ihrer Sicht ist das deutsche Volk höherwertig und deshalb vor "rassisch minderwertigen" Ausländern oder Juden zu schützen. Bei den rechtsextremistischen Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen gilt die Nation als oberstes Prinzip; damit einher geht eine Abwertung der Menschenund Bürgerrechte. Dies hat insbesondere eine Ablehnung der Gleichheitsrechte für diejenigen zur Folge, die nicht dem - von ihnen ausschließlich ethnisch definierten - "Deutschen 21 22 Volk" angehören. Sie streben nach einem autoritären Staat, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft gesetzt wäre. Rechtsextremismus Insbesondere Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip und Chancengleichheit für alle politischen Parteien sind diejenigen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, gegen die Rechtsextremisten vorgehen. 3. Rechtsextremistische Parteien 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Bund Thüringen Gründung 1964 1990 Sitz Berlin Eisenach Mitglieder 2011 ca. 6.300 ca. 300 2010 ca. 6.600 ca. 350 2009 ca. 6.800 ca. 450 Publikation "Deutsche Stimme" diverse "Thüringer (DS) Regionalzeitungen" Internet eigener eigener Internetauftritt Internetauftritt 3.1.1 Der Bundesverband der NPD 3.1.1.1 Entwicklung der Partei Die 1964 gegründete NPD galt lange Zeit als "Altherrenpartei". Erst mit der Wahl Udo VOIGTs 1996 zum Bundesvorsitzenden vollzog sie einen Wandel zu einer Partei, die sich als Spitze einer nationalistischen Protestbewegung versteht. VOIGT entwickelte nicht nur das "DreiSäulen-Konzept", das 2004 in ein "Vier-SäulenKonzept"4 ausgeweitet wurde, er leitete auch in Bezug auf die Nachwuchsrekrutierung einen Paradigmenwechsel ein und vertiefte die Verbindungen zum neonazistischen und subkulturellen Spektrum. Im Jahr 2001 stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat vor dem Bundesverfassungsgericht Anträge, um die Verfassungswidrigkeit der NPD feststellen zu lassen und infolgedessen ein Verbot der Partei zu erreichen. Das Verbotsverfahren wurde 2003 eingestellt, da eine Sperrminorität des Zweiten Senats des Gerichts die Beobachtung der NPD auf Bundesund Landesvorstandsebene durch V-Leute unmittelbar vor und während des Verfahrens als ein "nicht behebbares Verfahrenshindernis" bewertet hatte. Gemäß einer im September 2004 zwischen der NPD und großRechtsextremismus en Teilen der Neonaziszene getroffenen Absprache wirken beide Spektren seither offen zusammen. Diese Kooperation basiert auf dem von der NPD propagierten Konzept, die rechtsextremistischen Parteien und "Freien Kräfte" in einer "Volksfront von Rechts" zu bündeln, um als "Gesamtbewegung des nationalen Widerstands" geschlossen gegen das politische System der Bundesrepublik vorzugehen. Die Strategie fand in der extremen Rechten zunehmend Resonanz und bewirkte eine Aufwärtsentwicklung der NPD, die sowohl bundesweit als auch in Thüringen zu einem Anstieg der Mitgliederzahl führte. Ihre Bemühungen, sich als Gravitationszentrum und stärkste Kraft des rechtsextremistischen Lagers zu etablieren, erreichten 2006 4 Siehe "Strategie der Partei", Kapitel 3.1.1.3. 23 24 einen Höhepunkt, als die NPD nach 2004 in Sachsen auch in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einzog. Danach trat sie mit gestärktem Selbstbewusstsein auf und verzeichnete bis 2007 stetig wachsende Mitgliederzahlen. Seit 2008 hat sich dieser Trend Rechtsextremismus umgekehrt. Neben ausbleibenden Wahlerfolgen sah sich die NPD u. a. mit Rückzahlungspflichten, die ihr im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung auferlegt worden waren, konfrontiert. Die finanzielle Lage der Partei blieb auch im Beobachtungszeitraum angespannt. Als besondere Belastung wirkte ein schwebendes Verfahren gegen einen Sanktionierungsbescheid der Bundestagsverwaltung wegen Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht 2007 in Höhe von 2,5 Millionen Euro. Nach der für die NPD erfolglosen Bundestagswahl 2009 beschwor das NPD-Präsidium die Partei als "einzige ernstzunehmende nationale Kraft!" und forderte zugleich "diejenigen Kräfte, die konstruktiv politisch wirken wollen", auf, sich dieser Idee zu öffnen. Als wichtiger Meilenstein wurde in der Folge die am 15. Januar mit einem Festakt in Berlin vollzogene Verschmelzung mit der "Deutschen Volksunion - Die neue Rechte" (DVU) propagiert. Seither führt die NPD den Namenszusatz "Die Volksunion".5 Sie erklärte das Jahr 2011 wegen der Landtagswahlen in mehreren Bundesländern6 zu einem "Superwahljahr" und setzte in der Annahme eines durch die Verschmelzung mit der DVU erreichten Stärkezuwachses auf Stimmenund damit Mandatsgewinne. Letztlich gelang der NPD einzig in Mecklenburg-Vorpommern der erneute Einzug in das Landesparlament. Unter dem Druck der offensichtlichen Misserfolge begann im Frühjahr 2011 innerhalb der NPD und ihrem politischem Umfeld eine Diskussion über die künftige strategische Ausrichtung der Partei. Die Debatte drehte sich insbesondere um die Veränderung des Erscheinungsbilds und eine dadurch erhoffte veränderte Wahrnehmung. Bei einer Veranstaltung der NPD-nahen Stiftung "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e. V." im Mai 2011 vertraten verschiedene Redner entsprechende Ansätze. Man solle sich nicht auf den Nationalsozialismus festlegen lassen und entsprechende Geschichtsdebatten in der Öffentlichkeit vermeiden. 5 Innerhalb der DVU war die Fusion umstritten. Eine Klage mehrerer Landesverbände gegen den DVUBundesvorstand in dieser Sache ist noch anhängig; s. Kapitel 3.2.1. 6 Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Ungeachtet dieser Diskussion präsentierte die NPD im Wahlkampf in Berlin unter ihrem Spitzenkandidaten Udo VOIGT Plakate mit dem provokativen Slogan "Gas geben". Das Lösungswort eines Kreuzworträtsels in ihrer Wahlkampfzeitung lautete "Adolf". Parteiintern sorgte dies für heftige Kritik. Bundesparteitag in Neuruppin Am 12./13. November fand in Neuruppin (Brandenburg) der 33. ordentliche Parteitag der NPD mit ca. 210 Delegierten statt. Wesentliche Pogrammpunkte waren die Neuwahl des Bundesvorsitzenden und des Bundesvorstands. Gegen den langjährigen Parteivorsitzenden Udo Voigt kandidierte Holger APFEL, Vorsitzender der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, erfolgreich. Während für VOIGT 85 Delegierte votierten, entfielen auf APFEL 126 Stimmen. Holger Apfel Dem neu gewählten Parteipräsidium gehören neben APFEL zehn weitere Personen an, darunter die drei stellvertretenden Bundesvorsitzenden Udo PASTÖRS, Karl RICHTER und der langjährige Vorsitzende des NPD-Landesverbands Thüringen, Frank SCHWERDT. Der Thüringer Landesverband ist außerdem mit Patrick WIESCHKE als Bundesorganisationsleiter vertreten. Dem Bundesvorstand Rechtsextremismus gehören weitere acht gewählte Vertreter, zwölf Landesvorsitzende als berufene Beisitzer sowie die Vorsitzenden der Untergliederungen "Ring Nationaler Frauen" (RNF), "Kommunalpolitische Vereinigung in der NPD" (KPV) sowie "Junge Nationaldemokraten" (JN) an. Die Führungsspitze der NPD bleibt männlich dominiert. Neben der Vorsitzenden des RNF sind in dem Parteivorstand nur zwei weitere Frauen vertreten. In einem Interview für die parteieigene "Deutsche Stimme" nannte APFEL nach seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden Nahziele zur Straffung der Arbeit innerhalb der NPD. So wolle man die Binnenkommunikation z. B. durch Regionalkonferenzen und die Erarbeitung von Handlungsanleitungen für die alltägliche Arbeit verbessern. Zu diesem Zweck würden "ein Leitfaden für die Zusammenarbeit mit freien Kräften oder eine Handreichung zu Erscheinungsbild und Auftritt bei Veranstaltungen" abgefasst. 25 26 Mit einem im Internet veröffentlichten und zudem der "Deutschen Stimme", Ausgabe Dezember 2011, als Sonderausgabe beigelegten Text unter dem Tenor "Der Aufbruch in die Zukunft hat begonnen" wandte sich APFEL direkt an die Parteimitglieder. Er kündigte an, Rechtsextremismus dass sich die Partei künftig stärker als "Kümmererpartei" profilieren solle. Dabei wolle sie "keine Schlachten der Vergangenheit schlagen oder ständig mit Assoziationen zu vorgestern aufmerksam machen". Ein Hauptthema sei die Fortführung der Kampagne für den Ausstieg aus dem Euro, ein weiteres die Forderung nach einer Verfassung, die das Grundgesetz ablösen solle. Es gelte, sich auf die Europawahl 2014 und die im selben Jahr stattfindenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen, Brandenburg und dem Saarland zu konzentrieren. Nach dem Fall der Fünf-Prozent-Hürde bei der Europawahl gehe die Partei fest von Mandatsgewinnen aus. Insgesamt betreffen die angekündigten Veränderungen der NPD neben strukturellen Umstellungen vor allem das äußere Erscheinungsbild; die extremistische Grundsubstanz der Partei bleibt hingegen unberührt. Dies betonte auch APFEL, der eine Aufweichung der politischen Inhalte der NPD ablehnt und sich unverändert auf das 2010 in Bamberg beschlossene Programm der Partei beruft. 3.1.1.2 Ideologie der Partei Die NPD propagiert einen völkischen Kollektivismus und agiert fremdenfeindlich und antisemitisch. Sie strebt nach einer "ethnisch homogenen Volksgemeinschaft", die sich durch "gemeinsame Abstammung, Sprache, geschichtliche Erfahrungen und Wertvorstellungen" definiere. Sie bilde zugleich die Grundlage für die - anstelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - angestrebte "Volksherrschaft". Die pauschale Überbewertung der aufgrund ethnischer Zugehörigkeit definierten "Volksgemeinschaft" beschneidet die vom Grundgesetz garantierte Freiheit, sich persönlich zu entfalten. Die Rechte und Interessen des Einzelnen werden eingeschränkt. Diesen Ansichten wird auch im Parteiprogramm Rechnung getragen. Demnach müsse Deutschland "das Land der Deutschen bleiben" bzw. "dort, wo dies nicht mehr der Fall ist, wieder werden". Für Fremde dürfe es grundsätzlich "kein Bleiberecht geben, sondern nur eine Rückkehrpflicht in ihre Heimat". Die "System- parteien" hingegen nutzten Einwanderung und Überfremdung als Mittel, um sich, "durch Austausch des Volkes an der Macht [zu] halten". In der von der NPD propagierten Gesellschaftsordnung sollen autoritäre Eliten vorherrschen. Der Anspruch auf Führerschaft steht im Widerspruch zum pluralistischen Mehrparteiensystem der Bundesrepublik. 3.1.1.3 Strategie der Partei Das "Vier-Säulen-Konzept", das den "Kampf um die Straße, die Köpfe, die Parlamente und den organisierten Willen" umfasst, bildete auch im Berichtszeitraum die Basis für die politische Agitation der NPD. "Kampf um die Straße" Diesem Ansatz folgend organisiert die NPD zentrale Großveranstaltungen ebenso wie regionale Demonstrationen, an denen sich auch Neonazis und subkulturelle Rechtsextremisten beteiligen. Oftmals werden Termine und Orte für Aktionen so gewählt, dass mit einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit und Gegenaktionen zu rechnen ist. Zielgerichtet werden soziale und sog. Alltagsthemen aufgegriffen, um sich als Teil einer Protestbewegung zu geben, innerhalb derer einzig die NPD die Interessen des "kleinen Rechtsextremismus Mannes" vertrete. Vielmehr noch als nur die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung wahrzunehmen, meint die NPD, mit dem "Kampf um die Straße" Stärke suggerieren, potenzielle politische Gegner einschüchtern und sie aus dem öffentlichen Raum verdrängen zu können. "Kampf um die Köpfe" Der "Kampf um die Köpfe" zielt darauf ab, die von der NPD vertretenen Ideen mittels "Einbindung von Persönlichkeiten" und über die Bildung "intellektueller Netzwerke" in breiteren Kreisen der Gesellschaft zu verankern. Bislang beschränkt sich der "Kampf um die Köpfe" auf den Versuch, die eigenen Mitglieder politisch zu schulen, die Programmatik der Partei mit Flugblättern zu verbreiten und die Monatszeitung "Deutsche Stimme" zu vertreiben. 27 28 Mit der "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" verfügt die NPD über ein eigenes Publikationsorgan des Parteivorstands, dem ein Versandhandel für rechtsextremes Propagandaund Werbematerial angeschlossen ist. Unter der Bezeichnung "offensiv.tv" verRechtsextremismus öffentlicht die Partei im Internet eigene Spots. Diese sind über die Seite des Bundesverbands sowie über das Videoportal "youtube" abrufbar. Über Seminare und Publikationen des "Bildungswerks für Heimat und nationale Identität e. V." will die Partei "politische Bildungsarbeit" betreiben und die "Denkansätze der 'Dresdner Schule'7" im öffentlichen Diskurs popularisieren. Mit der Einrichtung verfolgt die NPD darüber hinaus die Absicht, sich zum Kristallisationspunkt jener Bestrebungen zu entwickeln, die auf die Intellektualisierung des rechtsextremistischen Lagers ausgerichtet sind. Gleichermaßen ist sie bestrebt, die Parteiarbeit zu intensivieren, indem sie der Partei nicht zugehörige Intellektuelle einzubinden sucht. Bislang zeigten diese Bemühungen jedoch kaum Erfolg. Auch die Übernahme der Zeitschrift "Hier & Jetzt" vom sächsischen Landesverband der "Jungen Nationaldemokraten" (JN)8 Ende 2009 änderte daran nichts. "Kampf um die Parlamente" Mit dem "Kampf um die Parlamente" verfolgt die NPD die wohl spannungsreichste Strategie im rechtsextremistischen Lager, die ihr als Gravitationszentrum der "Volksfront von Rechts" intern ein hohes Maß an Rechtfertigungsdruck auferlegt. Sie selbst versteht sich eigentlich als parlamentsfeindlich und kommuniziert dies auch so an die eigenen Anhänger. Nicht selten sehen sich die Parteiführung und verschiedene NPD-Abgeordnete mit dem Vorwurf - insbesondere des neonazistischen Spektrums - konfrontiert, das Streben nach Parlamentssitzen weniger als Mittel des Kampfs gegen das herrschende politische System zu verstehen, sondern als persönliches Versorgungswerk zu missbrauchen. Mehrfach wurden Mandatsträger und Funktionäre der Partei als "Parteibonzen" kritisiert. Dabei ist der Kampf um die Parlamente ein wesentlicher Teil der legalistischen Strategie der NPD. Sie will über den Einzug in die 7 Von Jürgen GANSEL, Mitglied der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, entworfenes Konzept einer rechtsextremistischen "Denkund Politikschule". 8 Siehe Kapitel 3.1.3. Kerninstitutionen der Demokratie diese selbst abschaffen. Das vom neuen NPD-Bundesverbandsvorsitzenden APFEL verfolgte Konzept der "seriösen Radikalität" dürfte vorgenannte Kritikpunkte anheizen. Teile der neonazistischen "Freien Kräfte" vermuten, APFEL beabsichtige durch den Verzicht auf allzu extremistische Positionen Distanz zum Lager der Neonazis zu schaffen, um somit die NPD für weitere Wählerschichten zu öffnen. Sie deuten dies als Verrat an der reinen Lehre und zugleich als Versuch, die Partei gegen ein mögliches Verbot zu immunisieren. "Kampf um den organisierten Willen" Die NPD verfolgt den "Kampf um den organisierten Willen" in der Absicht, "möglichst alle nationalen Kräfte" zu konzentrieren, um die Macht durch den "organisierten Willen" zu erlangen. Diese "Volksfront von Rechts" strebt die NPD seit 2004 an. Ziel ist, eine engere Kooperation mit Neonazis, rechtsextremistischen Parteien sowie subkulturellen Rechtsextremisten zu erreichen, um sowohl die personellen als auch strukturellen Ressourcen des gesamten Spektrums zu bündeln. Seitdem näherten sich rechtsextremistische Parteien und Organisationen der NPD in unterschiedlicher Form an. Jüngstes Beispiel für die Umsetzung des Konzepts ist die Verschmelzung mit der DVU.9 3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD Rechtsextremismus 3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands Im Zuge des gegen die NPD im Jahr 2001 angestrengten Verbotsverfahrens schränkte der NPD-Landesverband die enge Zusammenarbeit mit Neonazis offensichtlich aus rein taktischen Gründen vorübergehend ein. Nach Einstellung des Verfahrens im Jahr 2003 wurde die gekappte Kooperation fortgesetzt und damit ein Aufwärtstrend des Landesverbands eingeleitet. Im Jahr 2007 erreichte er mit 550 Mitgliedern einen personellen Höchststand. Innerparteiliche Grabenkämpfe sowie die bei den Landtagsund Bundestagswahlen im Jahr 2009 erlittenen Niederlagen führten allerdings in den Folgejahren zu einem deutlichen Mitgliederrückgang und beeinträchtigten die Aktionsund Mobilisierungsfähigkeit erheblich. 9 Siehe die Kapitel 3.1.1.1 und 3.2.1. 29 30 Auch die Fusion mit der DVU führte nicht zu einer spürbaren Vitalisierung des Landesverbands. Im Berichtszeitraum sank die Mitgliederzahl weiter auf etwa 300. Rechtsextremismus Auf Bundesebene erlangt der Thüringer Landesverband über seinen Vorsitzenden Frank SCHWERDT und seinen Stellvertreter Patrick WIESCHKE sowie den bundesweit bekannten Neonazi Thorsten HEISE10 Bedeutung. SCHWERDT und WIESCHKE gehören dem Bundesvorstand der NPD an, wobei SCHWERDT die Funktion eines stellvertretenden Vorsitzenden inne hat und zudem das "Amt Recht" betreut. WIESCHKE fungiert als Bundesorganisationsleiter. HEISE ist seit November 2011 nicht mehr im NPD-Bundesvorstand vertreten. 3.1.2.2 Kreisverbände Im Berichtszeitraum war der Landesverband in folgende 17 Kreisverbände untergliedert: Schmalkalden-Meiningen/Suhl, Altenburger Land, Eichsfeld, Erfurt/Sömmerda, Gera, Gotha, Greiz, Hildburghausen, Ilmkreis, Jena/Saale-Holzland-Kreis, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Saale-Orla-Kreis, Saalfeld-Rudolstadt/Sonneberg, Unstrut-Hainich-Kreis, Wartburgkreis sowie Weimar/Weimarer Land. Deren Aktionsfähigkeit ist weiterhin sehr heterogen. Während z. B. die Untergliederungen Erfurt/Sömmerda, Wartburgkreis, Gera, Gotha und Kyffhäuserkreis bestrebt waren, ihre Parteiarbeit kontinuierlich öffentlichkeitsund medienwirksam zu gestalten, traten die Kreisverbände Hildburghausen, Ilmkreis, Saalfeld-Rudolstadt/Sonneberg, Unstrut-Hainich-Kreis, Jena/Saale-HolzlandKreis und Schmalkalden-Meiningen/Suhl nach außen hin praktisch gar nicht in Erscheinung. Welche Aktivitäten von einem Kreisverband ausgehen und wie hoch deren Anziehungskraft auf Gesinnungsgenossen ist, hängt offensichtlich wesentlich vom Engagement der Funktionäre und dem einzelner Aktivisten ab. Die Mehrzahl der NPD-Mitglieder jedenfalls scheint weiterhin weder willens noch in der Lage, eine kontinuierliche Parteiarbeit zu leisten. Sie nimmt lediglich mehr oder minder regelmäßig an einzelnen Szeneveranstaltungen teil. 10 Siehe auch Kapitel 4.4.1. Von den bei der Kommunalwahl 2009 errungenen 23 Mandaten standen den NPD-Kreisverbänden ab Februar 2011 noch 22 zur Verfügung. Ein NPD-Mandatsträger distanzierte sich von der Partei und erfüllt sein Mandat seitdem parteiunabhängig. Da mehrere der Mandatsträger in zwei kommunalen Gremien vertreten waren, wurden die 22 verbliebenen Mandate - mit höchst unterschiedlicher Intensität - durch 19 Personen ausgeübt. Während die Arbeit einiger NPD-Mandatsträger kaum wahrnehmbar war, nutzten andere beispielsweise die Websites ihrer Kreisverbände als Darstellungsmedium oder richteten, wie die NPD-Fraktion im Stadtrat Eisenach, eigens eine Homepage ein. Ihr Einfluss auf die Kommunalpolitik blieb insgesamt jedoch ohne nennenswerte Impulse. 3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung Der bereits in den Vorjahren zu verzeichnende Mitgliederrückgang setzte sich 2011 fort. Dem Landesverband gehörten zuletzt etwa 300 Personen an. Die Wahlniederlagen 2009 und die nur schwach ausgeprägte Mobilisierungsund Aktionsfähigkeit der Partei dürften ausschlaggebend hierfür gewesen sein. Rechtsextremismus 31 32 An der Spitze des NPD-Landesverbands stand unverändert Frank SCHWERDT. Als seine Stellvertreter amtierten im Berichtszeitraum weiterhin Patrick WIESCHKE soRechtsextremismus wie Gordon RICHTER, der Vorsitzende des Kreisverbands Gera. Als Beisitzer gehörten dem Landesvorstand die Kreisverbandsvorsitzenden Patrick WEBER (Kyffhäuserkreis), Roy ELBERT (Nordhausen) und Jan MORGENROTH (Weimar/Weimarer Land) sowie das Vorstandsmitglied im Kreisverband Frank Schwerdt Wartburgkreis, Tobias KAMMLER, an. Der ehemalige Vorsitzende des NPD-Kreisverbands Nordhausen, Marco KREUTZER, trat am 16. Juni 2011 von all seinen Funktionen in der NPD zurück und aus der Partei aus. Das bislang einzige weibliche Vorstandsmitglied, Mandy SCHNEIDER (Greiz), wurde auf der Homepage des Landesverbands nicht mehr als solches geführt. Das Durchschnittsalter im Landesvorstand liegt bei etwa 35 Jahren. Mehr als die Hälfte seiner Vertreter sowie ein erheblicher Teil der Vorstandsmitglieder auf Kreisverbandsebene sind vorbestraft. Die Fusion mit der DVU schlug sich nicht in Veränderungen der Führungsstrukturen im Landesverband nieder. Weder im Landesvorstand noch in den Kreisvorständen waren im Berichtszeitraum ehemalige DVU-Funktionsträger aktiv. 3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen Rechtsextremisten Verhältnis zur Neonaziszene Das Verhältnis zwischen NPD-Landesverband und Neonazis ist in Thüringen traditionell vor allem durch Integration und Kooperation gekennzeichnet. Die NPD zeigte sich in den vergangenen Jahren als dominierende Kraft innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Ihr gelang es, maßgebliche Personen des neonazistischen Spektrums in die Parteiarbeit einzubeziehen und an sich zu binden. Fast alle Mitglieder des Landesvorstands und die meisten Kreisverbandsvorsitzenden waren deshalb ursprünglich im neonazistischen Spektrum aktiv. Einige NPD-Funktionäre fungier- ten zugleich als Führungspersonen lokaler neonazistischer Gruppierungen. Bei Thorsten HEISE ist dies auch heute noch der Fall. Die Kooperation beider Spektren äußert sich insbesondere in der gemeinsamen Organisation von Veranstaltungen und Kampagnen. Teilnehmer, Redner und Ordner treten oftmals auch auf Veranstaltungen des jeweils anderen Spektrums auf. Insgesamt war es dem Thüringer Landesverband der NPD im Laufe eines längeren Prozesses gelungen, das neonazistische Personenpotenzial weitgehend zu integrieren, wodurch dieses seine frühere Eigenständigkeit innerhalb des rechtsextremistischen Lagers eingebüßt hat. Wenngleich sich einzelne Neonazis dennoch neben der NPD zu behaupten suchen, unterstützen sie die Partei in der Regel auf Kreisund Landesverbandsebene. Trotzdem stößt die NPD bzw. ihr Versuch eines taktisch motivierten moderaten Auftretens in der Öffentlichkeit bei Teilen der Neonaziszene auch auf erhebliche Kritik. So werden die von der NPD für ihre Veranstaltungen aufgestellten Verhaltensund Bekleidungsregeln, insbesondere die Untersagung der von den "Autonomen Nationalisten" bevorzugten typischen Verhaltensformen der militanten Antifa, kategorisch abgelehnt. Zudem führte die schwindende Aktionsfähigkeit der NPD auch dazu, dass sich auf lokaler Ebene wieder parallele neonazistische Strukturen bildeten. Das Erstarken "freier Kräfte" im Berichtszeitraum belegt dies anschaulich. Diese Kräfte zeigen sich derzeit jedoch nicht als Konkurrenz Rechtsextremismus zur NPD, sondern zeugen eher von ihrem Unvermögen, einzelne rechtsextremistische Aktionsfelder wirkungsvoll zu besetzen. Verhältnis zum subkulturellen Spektrum Um das subkulturelle rechtsextremistische Spektrum zu umwerben, setzt der NPD-Landesverband nach wie vor auf Veranstaltungen, die einen Mix aus Parteipropaganda und rechtsextremistischer Musik darstellen. Die keine eigenständigen politischen Aktionen entfaltenden subkulturell geprägten Rechtsextremisten fühlen sich davon durchaus angesprochen und erhöhen so das Mobilisierungspotenzial der Partei. Da sie - sofern überhaupt - lediglich regional organisiert sind, basieren die Verbindungen zur NPD zumeist auf persönlichen Kontakten und sind lokal begrenzt. 33 34 3.1.2.5 Publikationen/Internet Um Intensivierung seiner Öffentlichkeitsarbeit bemüht, konzentrierte sich der Landesverband nahezu ausschließlich auf sein Rechtsextremismus Projekt "Thüringer Regionalzeitungen", mit dem flächendeckende Präsenz im Freistaat erreicht werden soll. Weiterhin verfügten noch immer nicht alle Kreisverbände über eine eigene Internetpräsentation; auch die bestehenden wurden zum Teil kaum gepflegt. Zudem waren nahezu alle bestehenden Seiten im Berichtszeitraum nach einer Hacker-Attacke über einen größeren Zeitraum nicht erreichbar. Dem Landesverband fiel es erkennbar schwer, dieses Problem innerhalb eines akzeptablen Zeitraums zu beheben. Projekt "Thüringer Regionalzeitungen" Mit dem Ende März 2010 gestarteten Zeitungsprojekt wolle der NPD-Landesverband "den Lesern fernab der gleichgeschalteten Presse ein Gegenmedium" anbieten, "das kontinuierlich nationale Positionen verbreitet und wesentlich zum Ziel der kommunalen Verankerung der NPD beiträgt", hieß es in dem entsprechenden Beitrag auf der Website des NPD-Landesverbands. Im Berichtszeitraum erschienen drei Ausgaben (Mai, August, Dezember). Die Gesamtauflage gab der Landesverband zuletzt mit 200.000 Exemplaren an. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Regionalblätter: * "Bürgerstimme!" (Region Erfurt), * "Weimarer Landbote" (Region Weimar/Weimarer Land), * "Eichsfeldstimme" (Region Eichsfeld), * "Der Nordthüringen Bote" (Regionen Kyffhäuserkreis und * Unstrut-Hainich-Kreis), * "Der Rennsteig Bote" (Region Gotha), * "Wartburgkreis Bote" (Region Eisenach/Wartburgkreis), * "Ostthüringen Bote" (Region Ostthüringen), * "Südthüringen Stimme" (Südthüringen), * "Saale Stimme" (Region Saalfeld-Rudolstadt, Jena, Saale-Holzland-Kreis und Saale-Orla-Kreis), * neu seit August 2011 "Faktum" (Landkreis Nordhausen). Die Ausgaben enthielten einen identischen überregionalen Teil, ergänzt um Berichte zu regionalen Themen. Oftmals waren die in den einzelnen Regionalzeitungen enthaltenen Texte identisch. Die Redaktion oblag maßgeblich den NPD-Funktionären Patrick WIESCHKE und Tobias KAMMLER, die bei allen Regionalausgaben als Teil der Redaktion angegeben wurden.11 Unterstützung fanden sie jeweils bei regionalen Redakteuren und anderen Mitgliedern des Landesvorstands. Die Zeitungen konnten im Internet über eine zentrale Seite des Landesverbands eingesehen werden. Die eigens für den "Nordthüringen Bote" eingerichtete Homepage bestand weiterhin. Im Ergebnis der Landtagswahl 2009 hatte der NPD-Landesvorstand insbesondere die unzureichende kommunale und regionale Präsenz der Partei und die daraus resultierenden Versäumnisse bei der Kommunalwahl als Gründe für das erneute Scheitern der NPD ausgemacht. Mit Hilfe des Zeitungsprojekts sollte diesem Mangel begegnet werden. Nicht zuletzt deshalb kamen in den vorgenannten Regionalzeitungen auch die kommunalen Mandatsträger der NPD zu Wort, deren Aktivitäten ansonsten weitestgehend ohne Außenwirkung blieben und keine mediale Beachtung fanden. Innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums erfuhr das Projekt Rechtsextremismus auch überregionale Resonanz. Internet Der Landesverband und die Kreisverbände Eichsfeld, Erfurt/Sömmerda, Gera, Gotha, Greiz, Jena/Saale-Holzland-Kreis, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Saalfeld-Rudolstadt/Sonneberg, Schmalkalden-Meiningen/Suhl, Unstrut-Hainich-Kreis, Wartburgkreis und Weimar/Weimarer Land betrieben jeweils eigene Websites, die allerdings in unterschiedlichem Maße aktualisiert wurden. Zudem unterhielt die NPD-Fraktion im Stadtrat Eisenach eine eigene Internetpräsenz. Darüber hinaus betätigten sich Thüringer NPD-Untergliederungen bei Facebook und Twitter. 11 Einzige Ausnahme bildet der "Wartburgkreis Bote". WIESCHKE wird hier nicht als Redakteur, sondern als Herausgeber und Verantwortlicher im Sinne des Pressegesetzes (V.i.S.d.P.) angegeben. 35 36 Vorzugsweise sind Berichte zu regionalen und überregionalen Veranstaltungen und Aktionen, aber auch Stellungnahmen zu tagespolitischen Themen veröffentlicht worden. Rechtsextremismus 3.1.2.6 Aktivitäten des Landesverbands Der Partei gelang es im Beobachtungszeitraum nur begrenzt, sich mit einzelnen Veranstaltungen in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Insgesamt stand erneut die Agitation gegen das politische System der Bundesrepublik, die etablierten Parteien sowie die Politik der Länder und Kommunen im Zentrum ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Mit den Schwerpunkten "Ausländerpolitik" sowie "Sozialabbau" und "Abwanderung" war die Partei wiederum bestrebt, in Städten und Gemeinden hervorzutreten, Rückhalt in der Bevölkerung zu finden und als Sachverwalter der "kleinen Leute" wahrgenommen zu werden. Landesparteitag am 18. Juni in Kirchheim Am 18. Juni richtete der Thüringer Landesverband der NPD einen Landesparteitag in Kirchheim aus. An der Veranstaltung nahmen 34 von erwarteten 56 Delegierten teil. Im unmittelbaren Vorfeld des Parteitags versammelten sich etwa 20 Personen zu einer von Patrick WIESCHKE angemeldeten Demonstration unter dem Motto "Versammlungsfreiheit schützen!". Im Internet waren ein Leitantrag des Landesvorstands und sieben nachstehend aufgeführte Anträge veröffentlicht worden: * "Volk und Land erhalten - Thüringer Identität schützen. Neue Alleinstellungsmerkmale etablieren!", * "Aktive Bevölkerungspolitik statt Volkstod-Etat!", * "Die Bürger entlasten - NPD unterstützt Volksbegehren für bürgerfreundliches Kommunalabgabenrecht", * "Kommunale Mandatsträger der NPD - Garanten kommender Erfolge", * "Der Papst besucht Thüringen - Anlass zum weiteren Kampf gegen Islamisierung Deutschlands und Europas", * "NPD ist kein Vergangenheitsbewältigungsverein - Politik findet in Gegenwart und Zukunft statt", * "Wahlen 2012: Zwischen Vision und Wirklichkeit - Das Zünglein an der Waage sein", * "Haushalt des Landesverbands für 2011 - Den Landtagswahlkampf finanziell im Blick". Die finanzielle Lage des Landesverbands wurde - vor allem wegen der gestiegenen Einnahmen aus der staatlichen Parteienfinanzierung - als gut bezeichnet. Es könne nunmehr ein jährlicher Überschuss erwirtschaftet werden. Allein im Jahr 2011 habe dieser über 19.000 Euro betragen. Der Landesverband erachtete es als realistisch, bis zum Wahljahr 2014 etwa 60.000 Euro für den Landtagswahlkampf zurückzulegen. Als Ziel für das Wahlkampfbudget wurden etwa 200.000 EUR vorgegeben. Zum Zweck der hierfür notwendigen Finanzplanung sei erstmals ein eigener Haushalt verabschiedet worden. Eigenem Vernehmen nach war die Veranstaltung von "konstrukRechtsextremismus tiven Debatten und Einigkeit" geprägt. Zudem gab der Landesverband - "ein Machtfaktor in Thüringen" - an, größeres Gewicht in der Gesamtpartei anzustreben. Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen Im Berichtszeitraum bewegte sich das öffentlichkeitswirksame Engagement der NPD auf einem ähnlich niedrigen Niveau wie im Vorjahr. Der im Landesverband herrschenden Ermüdung und Stagnation versuchte der Landesvorstand mit einer neuen Mitgliederkampagne zu begegnen. Neben Informationsständen und Mahnwachen führte die Partei im Jahresverlauf neun Kundgebungen und Demonstrationen (2010: 10) mit insgesamt etwa 2.100 Teilnehmern (2010: 2.100) durch. 37 38 Die Aktivitäten erfolgten zum größten Teil in Kooperation mit dem neonazistischen Spektrum. Das für den 11. September geplante "Fest der Völker" war wegen angestrebter, aber angeblich nicht kurzfristig zu realisierender Programmänderungen Ende August Rechtsextremismus abgesagt worden. Mit der neunten Kundgebung "Rock für Deutschland", dem "10. Thüringentag der nationalen Jugend" und dem "Eichsfeldtag" hielt der Landesverband an seiner Strategie fest, rechtsextremistische Musik mit politischer Agitation zu verbinden. Ziel dabei ist es, den Teilnehmerkreis für öffentlichkeitswirksame Aktionen der Partei zu vergrößern, die Akzeptanz der NPD im aktionsorientierten rechtsextremistischen Spektrum zu steigern und in der Öffentlichkeit stärkere Präsenz zu zeigen. "Thüringentag der nationalen Jugend" am 4. Juni in Sondershausen In diesem Jahr oblag die Organisation des "Thüringentags der nationalen Jugend" unter dem Motto "Unserer Heimat wird verschenkt - und wir Deutschen bezahlen! Lasst uns gemeinsam ein Zeichen setzen!" wieder einem Kreisverband der NPD. Zunächst war die Veranstaltung von Marco KREUTZER im Namen des NPD-Kreisverbands Nordhausen ursprünglich für Nordhausen angemeldet worden. Nachdem alle dort beantragten Versammlungsstätten für den Termin nicht verfügbar waren, wich man schließlich auf die von Patrick WEBER alternativ angemeldete Freifläche "Am Kaliwerk" in Sondershausen aus. Trotz der kurzfristigen Verlegung nach Sondershausen und einer weiteren rechtsextremistischen Veranstaltung in Braunschweig verzeichnete der "Thüringentag" mit 750 Teilnehmern (2010: 120) seine bislang höchste Besucherzahl. Offensichtlich wirkten sich sowohl äußere Faktoren (sommerliche Witterungsverhältnisse, ein dem Wochenende vorgelagerter Feiertag) als auch der Umstand, dass WEBER szeneintern als durchaus erfahrener Organisator von derartigen Musikveranstaltungen gilt, begünstigend aus. Besondere Anziehungskraft ging von dem Auftritt der in der rechtsextremistischen Szene populären Band "Sleipnir" aus. Eine Vielzahl der Besucher trug "Sleipnir"-T-Shirts. "Rock für Deutschland" am 6. August in Gera "Nie wieder Kommunismus - Freiheit für Deutschland" lautete das Motto der am 6. August in Gera durchgeführten NPD-Veranstaltung "Rock für Deutschland". Mit etwa 670 Rechtsextremisten (2010: 1.200) aus dem gesamten Bundesgebiet reisten deutlich weniger Personen an, als vom Veranstalter erwartet (1.800). Die Organisation oblag erneut dem NPD-Kreisverband Gera, der Unterstützung von Anhängern der Neonaziszene erfuhr. Die Mobilisierung erfolgte vorwiegend über die vom NPD-KreisRechtsextremismus verband Gera hierfür eingerichteten Sonderseiten im Internet sowie auf regionalen und überregionalen rechtsextremistischen Websites bzw. in entsprechenden Foren. Neben Holger APFEL traten im Laufe der Veranstaltung sowohl die Thüringer NPD-Funktionäre Gordon RICHTER und Patrick WEBER als auch Ingmar KNOP, Mitglied des NPD-Bundesvorstands, als Redner auf. Das musikalische Programm bestritten die rechtsextremistischen Bands "Ferox&Barny" (aus Sachsen bzw. Schweden), "Selektion" (Sachsen-Anhalt), "National Born Haters-nbh", "Burning Hate" (beide Bayern), "Radikahl" (Thüringen) und "Brutal Attack" (Großbritannien). Auf dem Veranstaltungsgelände wurden diverse Informationsund Verkaufsstände betrieben. Von den Besuchern war am Einlass eine "Spende" in Höhe von 15 Euro zu entrichten. 39 40 Eine Ursache für die niedrige Teilnehmerzahl dürfte der zeitgleich ausgerichtete rechtsextremistische "Trauermarsch" in Bad Nenndorf (Niedersachsen) unter dem Motto: "Gefangen, gefoltert, gemordet - Damals wie heute: Besatzer raus" mit ca. 600 TeilRechtsextremismus nehmern gewesen sein. Auch sonstige parallel durchgeführte Aktivitäten "Freier Nationalisten" und der NPD im Zusammenhang mit den Landtagswahlkämpfen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin werden weiteres Besucherpotenzial gebunden haben. In einschlägigen Internetforen kritisieren Szeneangehörige die Vielzahl derartiger Veranstaltungen und die damit einhergehenden sinkenden Teilnehmerzahlen. Es war in diesem Jahr also durchaus eine gewisse Sättigung der Szene festzustellen. Ungeachtet dessen wurde die Veranstaltung in diesem Jahr szeneintern als Erfolg wahrgenommen. Demzufolge waren auch für "Rock für Deutschland" 2012 bereits Teilnahmeabsichten zu vernehmen. Mit der Veranstaltungsreihe12 werden sowohl finanzielle als auch politische Anliegen verfolgt. So bietet sie den Organisatoren sowie den an der Durchführung der Veranstaltung Beteiligten eine durchaus beachtliche Einnahmequelle. Darüber hinaus wird eine Kombination von rechtsextremistischer Propaganda und entsprechender Musik dargeboten, um insbesondere in ihrer Einstellung noch nicht gefestigte Jugendliche zu erreichen und schrittweise für die NPD zu gewinnen. "NPD Eichsfeldtag" am 3. September in Leinefelde Am 3. September fand erstmals ein "NPD Eichsfeldtag" unter dem Motto "Sozial geht nur National" in Leinefelde mit ca. 350 Besuchern statt. Veranstalter war der unter der Leitung von Thorsten HEISE13 stehende NPD-Kreisverband Eichsfeld. Die Veranstaltung wurde auf einer eigens eingerichteten Internetseite, über Hinweise auf den Websites von "Germaniaversand", "Aktionsgruppe 4 Hessen" und dem NPD-Landesverband Thüringen sowie im "Ahnentreueforum"14 beworben. 12 Wird seit 2003 vom NPD-Kreisverband Gera organisiert. 13 Siehe Kapitel 4.4.1. 14 In dem Forum finden sich Beiträge zur NPD, zu Kameradschaften und zur rechtsextremistischen Musikszene. Programmbestandteile bildeten Auftritte der szenebekannten Liedermacher "Torstein" (Thüringen) und "Fylgien" (Berlin) sowie der rechtsextremistischen Bands "Words of Anger" (Schleswig-Holstein), "Oidoxie" (Nordrhein-Westfalen) und "Die Lunikoff Verschwörung" (Berlin) - jedoch ohne ihren Sänger Michael REGENER15. Dazwischen erfolgten Redebeiträge u. a. von HEISE und dem NPD-Landesvorsitzenden Frank SCHWERDT. Ursächlich für die geringe Teilnehmerzahl - sie war bereits im Rahmen der Vorbereitungen von anfangs 1.500 auf 750 korrigiert worden - scheint das Festhalten der Veranstalter an dem bereits mit dem "Antikriegstag" in Dortmund besetzten Termin gewesen zu sein. Dort versammelten sich ca. 800 Rechtsextremisten zu einer Demonstration, darunter auch Angehörige von "Autonome Nationalisten Nordthüringen"15 und "Autonome Nationalisten Südthüringen"17. Da auch "Die Lunikoff Verschwörung" aufgrund ihrer inzwischen häufigeren Auftritte keine ungewöhnlich hohe Anziehungskraft mehr ausübt, war insgeRechtsextremismus samt mit einem nur durchschnittlichen Zuspruch zu rechnen. Abgesehen von einzelnen positiven Stimmen wurde die Veranstaltung im "Thiazi Forum" überwiegend als "Reinfall" bezeichnet. Wenngleich sich insbesondere auch die finanziellen Erwartungen der Organisatoren nicht erfüllten, kündigte Thorsten HEISE bereits an, sie im nächsten Jahr wieder ausrichten zu wollen. Mitgliederkampagne der NPD Im August und September 2011 führte der Thüringer NPD-Landesverband eine Mitgliederkampagne durch. Bestandteile der Kampagne waren eine Demonstration am 10. September in Eisenach und 15 Sein Anwalt hatte versäumt, den Auftritt gemäß den für REGENER geltenden Bewährungsauflagen fristgemäß beim LKA Berlin anzuzeigen. 16 Siehe Kapitel 4.4.2. 17 Siehe Kapitel 4.4.3. 41 42 eine Kundgebung am 15. September in Erfurt. Außerdem wurde eine Reihe von Informationsständen im Wartburgkreis abgehalten. Zudem wollte man mehrere Veranstaltungen - darunter "Rock für Deutschland" - zur Werbung insbesondere junger Menschen nutRechtsextremismus zen. Die Kampagne wurde durch eine Imagebroschüre und einen Infoflyer des Landesverbands begleitet. In der Broschüre "Thüringens starke Rechte" gerierte sich der Landesverband als einzige Alternative zu den "etablierten Parteien"18 in Thüringen; extremistische Positionen klangen lediglich verschleiert an. Auch die Internetauftritte der Thüringer NPD wurden im Erscheinungsbild überarbeitet. Ende August wandte sich der stellvertretende Landesvorsitzende und Landesgeschäftsführer, Patrick WIESCHKE, mit einer auf der Seite des Landesverbands eingestellten Videobotschaft an die Öffentlichkeit. Darin rief er u. a. mit Verweis auf den drohenden "Volkstod" zum Eintritt in die NPD auf. An der Demonstration in Eisenach unter dem Motto "Arbeit statt Zuwanderung - Westdeutsche Zustände verhindern!" beteiligten sich ca. 90 statt der erwarteten ca. 150 Personen; das Interesse der Öffentlichkeit war gering. Die betont positiven Eigendarstellungen im Nachgang - 120 Teilnehmer, großer Zuspruch - stießen auf gänzlich andere Reflexionen bei Szeneanhängern. In einem einschlägigen Internetforum wurde die Veranstaltung heftig diskutiert. Dort fanden sich Einträge wie "[...] positives konnte man heute aus Eisenach nicht mit nachhause nehmen" oder, dass dies "dann wohl der endgültige Bruch zwischen Nationalen Sozialisten und Nationaldemokraten (oder Freien und Partei) in Thüringen" gewesen sei. So wäre Demonstrationsteilnehmern durch die Veranstaltungsleitung untersagt worden, Parolen wie "Nationaler Sozialismus, jetzt" und "hasta la vista antifascista" zu skandieren. Zudem sei es zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen dem Versammlungsleiter und einzelnen Veranstaltungsteilnehmern gekommen. Zu der Kundgebung "Arbeit, Familie, Heimat" am 15. September vor dem Landtag in Erfurt erschienen lediglich noch ca. 20 Personen. Dennoch hieß es in einer späteren Veröffentlichung des 18 Von der NPD als abschätzige Bezeichnung für die anderen in deutschen Parlamenten vertretenen Parteien verwandt. Landesverbands, man habe die "Etablierten" aufgescheucht; die Kundgebung sei ein weiterer Höhepunkt der Mitgliederkampagne gewesen. Insgesamt spiegelte der Verlauf der Mitgliederkampagne die Verfassung des NPD-Landesverbands wider. Anders als bei der Vorläuferaktion 2007 wurde nur ein geringer personeller und organisatorischer Aufwand betrieben. Selbst szeneintern vermochte sie inhaltlich nicht zu überzeugen. Nachhaltige Impulse für die Parteiarbeit gingen von der Aktion offenbar nicht aus, auch wenn man sich - angeregt durch die parteiintern geführte Strategiediskussion - stärker solchen in der öffentlichen Diskussion stehenden Aspekten wie Zuwanderung, Kriminalität/Sicherheit, demographische Entwicklung zu widmen versuchte, ohne dabei offenkundig Bezug auf ideologische Grundpositionen der Partei zu nehmen. So bestritt WIESCHKE in einem Redebeitrag während der Kundgebung in Erfurt einen Zusammenhang mit der Wahl des 15. September als Veranstaltungstermin und dem Jahrestag des Erlasses der "Nürnberger Rassegesetze" 1935. Derartige Zusammenhänge würden von den "Etablierten" aufgegriffen, die in dieser Zeit verhaftet geblieben seien, die NPD wolle sich hingegen aktuellen Problemen stellen. 3.1.2.7 Bewertung und Ausblick Strukturelle und personelle Defizite bleiben Charakteristika des Rechtsextremismus Thüringer NPD-Landesverbands. Im Berichtsjahr stand erneut allenfalls das Projekt "Thüringer Regionalzeitungen" für seine seit Jahren entfalteten Bemühungen, sich kommunal zu verankern. Auch die eher halbherzig geführte Mitgliederkampagne erbrachte bisher keine wahrnehmbaren Impulse für den Landesverband. Zudem ist die Partei längst nicht in allen Thüringer Regionen präsent, bereits bestehenden Strukturen mangelt es nicht selten an der notwendigen Handlungsfähigkeit. Auch die Repräsentanten der Partei in den einzelnen Stadträten und Kreistagen vermochten es nicht, dort merkliche Akzente zu setzen und der NPD kommunalpolitisches Kapital einzubringen. Die wenigen Aktivitäten wurden bestenfalls im eigenen politischen Umfeld wahrgenommen und waren auch dort nicht unumstritten. Im Berichtszeitraum verstärkte der Landesverband jedoch seine Ankündigungen, sich für die Landtagswahlen 2014 rüsten zu wollen. 43 44 3.1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Bund Thüringen Rechtsextremismus Gründung 1969 2006 Sitz Bernburg Mitglieder 2011 ca. 350 ca. 5 2010 ca. 430 ca. 10 2009 ca. 430 ca. 15 Publikation Zentralorgan "Der Aktivist" Der Bundesverband der JN Die Jugendorganisation der NPD gilt als "integraler Bestandteil" der Partei. Der Vorsitzende der JN hat gleichzeitig einen Sitz im Bundesvorstand der NPD inne. Die JN verstehen sich als "Kaderorganisation der Nationalen Bewegung" und "nationalistische Jugendbewegung Deutschlands" mit "revolutionärer Ausrichtung". Sie bekennen sich zur "Volksgemeinschaft", die sie in "einer neuen nationalistischen Ordnung" verwirklichen wollen. Im Selbstverständnis der Organisation heißt es: "Ein Kader der JN zu werden bedeutet, Elite der deutschen Volksgemeinschaft zu sein!". Ungeachtet dieses Anspruchs sind die JN nicht im gesamten Bundesgebiet präsent. In Thüringen treten sie seit Längerem nicht mehr in Erscheinung. Die JN sind unverändert bemüht, sich deutlicher von der NPD abzugrenzen und ein eigenständiges Profil zu erlangen. Dieses ist verbal nochmals radikaler als das der Mutterpartei. Wie die NPD definieren die JN ihr gesellschaftliches Ziel in Form einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Im Streben danach müsse man "zunächst eine eigene Kampfgemeinschaft gründen". Typisch für die JN ist eine starke Wertsetzung auf eine romantisierte und mystisierte Sicht auf die Vergangenheit als Gegensatz zu einer zerstörerisch wahrgenommenen Gegenwart. Dabei verklären sie vorgebliche "deutsche Tugenden". So sei "es der Deutsche, der von niemandem auf dieser Welt an Ehre übertroffen" würde. Die "Ehre ist für den Deutschen der höchste Besitz" und verlange "das Loslösen vom Individuum, der Ich-Sucht und setzt an diese Stelle den Wert der Gemeinschaft, des Stammes, der Sippe". Veranstaltung am 5. November in Kirchheim Nur wenige Tage vor dem NPD-Bundesparteitag19 fand am 5. November in Kirchheim eine Saalveranstaltung des JN-Bundesverbands unter dem Motto "Aufbruch in die Zukunft" statt. Anwesende Protagonisten der NPD nutzten die Gelegenheit zu einem letzten Schlagabtausch im Vorfeld der anstehenden Neuwahl ihres Parteivorsitzenden. Neben dem Bundesvorsitzenden der JN, Michael SCHÄFER, traten die Vorsitzenden der NPD-Landtagsfraktionen Mecklenburg-Vorpommerns und Sachsens - Udo PASTÖRS und Holger APFEL - sowie Wolfram NARATH20 als Redner auf. Ein Auftritt des Liedermachers "Marco", bekannt als Mitglied der rechtsextremistischen Band "Sleipnir", bildete eigenen Verlautbarungen nach den Abschluss der Veranstaltung. Auf der Internetseite der JN wird aus der Werberede APFELs für seine Kandidatur wie folgt zitiert: "Eine Abkehr vom Abstammungsprinzip wird es mit mir nicht geben. Ihr werdet niemals aus meinem Munde hören, dass ein schwarzer Fußballspieler im Trikot der bundesdeutschen Nationalmannschaft ein Deutscher sein Rechtsextremismus kann. Wir werden auch künftig den Staat Israel für seine verbrecherische Politik gegenüber den Palästinensern anprangern und jegliche Kollaboration mit den liberalkapitalistischen Blockparteien strikt ablehnen. Denn dieses System hat keine Fehler, es ist der Fehler - und dabei bleibt es!". Ähnlich deutlich habe sich auch NARATH zum Abstammungsprinzip bekannt. Die "internationale Hochfinanz" und der "globale Liberalkapitalismus" würden die Einzigartigkeit der Völker zerstören und "die Verbindungslinien zu unseren Ahnen und den ehernen Gesetzen unserer Art" kappen. 19 Siehe Kapitel 3.1.1.1. 20 NARATH war u. a. Vorsitzender der 1994 verbotenen Viking-Jugend und danach in dem am 31. März 2009 ebenfalls verbotenen Verein "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) aktiv. 45 46 Die JN in Thüringen Im Berichtszeitraum traten die Thüringer JN nicht in Erscheinung. Strukturell etabliert scheinen sie hier nicht, allenfalls ist von einzelRechtsextremismus nen Mitgliedern auszugehen. Insofern ist auch die Veranstaltung am 5. November in Kirchheim nicht als Indiz für etwaige regionale Organisationsstrukturen zu verstehen. 3.1.4 "Ring nationaler Frauen" (RNF) Der RNF wurde im September 2006 gegründet und versteht sich als Frauenorganisation der NPD. Durch ihre Vorsitzende ist sie mit einem Sitz im NPD-Bundesvorstand vertreten. Dabei fühlt sich der RNF ganz dem antiemanzipatorischen Bild der Mutterpartei verpflichtet. Seiner Ansicht nach befinde sich "Deutschland in großer Gefahr" und drohe "durch die multikulturellen Wahnfantasien der etablierten Parteien" unterzugehen. Obwohl Frauen "gemeinhin nicht auf Konflikte und Auseinandersetzungen aus" seien, wüssten sie "wie eine Löwenmutter ihre Heimat und ihr Volk zu verteidigen". Trotz dieses kämpferischen Anscheins zeigt der RNF innerhalb der NPD kaum eigenes Profil und ist in der Öffentlichkeit nicht wahrnehmbar. Seine Aktivitäten sind meist auf Informationsstände bei NPD-Veranstaltungen beschränkt. Im Berichtszeitraum waren keine Aktivitäten von Thüringer RNFStrukturen erkennbar. Die erst 2010 gegründete Regionalgruppe unter Führung des ehemaligen NPD-Landesvorstandsmitglieds Mandy SCHNEIDER verharrte in Stagnation. 3.2 "Deutsche Volksunion - Die neue Rechte" (DVU) Bund Thüringen Gründungsjahr 1987 1991 Sitz Hamburg - Mitglieder 2011 ca. 1.000 - 2010 ca. 3.000 ca. 50 2009 ca. 4.500 ca. 50 Internet - - 3.2.1 Der Bundesverband der DVU Zum 1. Januar 2011 fusionierte der DVU-Bundesverband mit der NPD. Mit Jahresbeginn wurde die vormalige Internetpräsenz mit einer Weiterleitung auf die Homepage des NPD-Bundesverbands versehen. Der DVU-Bundesverband trat danach nicht mehr politisch eigenständig in Erscheinung. Die Fusion war jedoch innerhalb der DVU nicht unumstritten. Mehrere Landesverbände21 versuchten, die Verschmelzung von NPD und DVU juristisch aufzuhalten. Mit Beschluss vom 25. JaRechtsextremismus nuar 2011 gab das Landgericht München I einem Antrag mehrerer DVU-Landesverbände auf Erlass einer einstweiligen Verfügung statt. Danach war der mit der NPD geschlossene Verschmelzungsvertrag bis zur erneuten Durchführung einer Urabstimmung innerhalb der DVU unwirksam. Nach Ansicht des Gerichts wurden erhebliche, mit den Anforderungen an demokratische Abstimmungen unvereinbare Mängel vorgetragen und glaubhaft gemacht. Diese erforderten die nochmalige Durchführung der Urabstimmung.22 Gegen diese Entscheidung legte der Bundesverband Widerspruch ein. Das Verfahren endete im Mai 2011 nachdem beide Seiten einem Vergleichsangebot des Gerichts zugestimmt und ihre Anträge zurückgezogen hatten. 21 Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. 22 Die kritisierte Urabstimmung war eine der letzten Formalitäten im Rahmen des Verschmelzungsprozesses von NPD und DVU. Der auf der Internetseite des NPD-Bundesverbands wiedergegebenen Aussage des ehemaligen DVU-Bundesvorsitzenden Matthias FAUST zufolge haben sich "rund 87,5 % der Mitglieder [...] für eine starke Rechte aus NPD und DVU entschieden". Wie hoch die tatsächliche Beteiligung war, blieb unklar. Die klagenden Landesverbände hatten u. a. ausgeführt, dass Mitglieder die Unterlagen zur Urabstimmung erst verspätet oder gar nicht erhalten hätten. 47 48 Daraufhin erhoben die DVU-Landesverbände Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein Klage vor dem Landgericht München I gegen den Bundesverband und beantragten die Feststellung der Ungültigkeit der Beschlüsse des DVU-VerschmelRechtsextremismus zungsparteitags vom 12. Dezember 2010 in Kirchheim23 und die Feststellung der Unwirksamkeit des notariellen Verschmelzungsvertrags zwischen NPD und DVU vom 29. Dezember 2010. Das Verfahren wurde im Berichtszeitraum nicht abgeschlossen.24 In Thüringen trat die DVU seit Jahresbeginn 2011 nicht mehr in Erscheinung. Ihre vormaligen Internetdarstellungen wurden aus dem Netz genommen. Der ehemalige Landesvorsitzende der DVU, Kai-Uwe TRINKAUS, engagiert sich inzwischen im Verein "Pro Erfurt e. V.". 4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 4.1 Ideologischer Hintergrund Die Neonaziszene verfügt ebenso wenig über eine einheitliche, in sich geschlossene Ideologie wie der "historische Nationalsozialismus". Die Ansichten der Neonazis setzen sich aus ideologischen Versatzstücken nationalsozialistischer, gewaltverherrlichender Rhetorik und Symbolik sowie subkulturellen Elementen zusammen. Die Übergänge zwischen der politisch-ideologisch geprägten Neonaziszene einerseits und dem subkulturell geprägten Spektrum andererseits sind fließend, es bestehen starke personelle Überschneidungen. Was den meisten Neonazis an weltanschaulich-ideologischem Wissen fehlt, wird von ihnen durch eine provozierende und aggressive Haltung nach außen kompensiert. Da sich Neonazis auf führende Personen der nationalsozialistischen Diktatur, auf deren Symbole und Riten berufen, geht von ihnen ein hohes Provokationspotenzial aus. Neonazis betrachten ihre Umwelt aus der Sicht rassistisch unterlegter "Freund-Feind-Kategorien". Sie sind der Überzeugung, sich 23 An dem Bundesparteitag der DVU in Kirchheim nahmen etwa 150 Personen teil. Diese stimmten mehrheitlich sowohl dem notwendigen Vertrag als auch der Fusion zu. Für die hierfür erforderliche Auflösung der DVU votierte ebenfalls die Mehrheit der Anwesenden. In einem weiteren Abstimmungsverfahren wurde der Parteivorstand zu den für die Verschmelzung erforderlichen Rechtshandlungen ermächtigt. 24 Mit Beschluss vom 27. Januar 2012 wies das Gericht darauf hin, dass die Klage nach vorläufiger Einschätzung keinen Aussicht auf Erfolg hat und regte zur Vermeidung erheblicher Verfahrenskosten die Rücknahme der Klage an. in einem permanenten Kampf gegen das angeblich übermächtige "Weltjudentum" zu befinden, das sie Außenstehenden gegenüber mit der Kurzformel ZOG25 verschleiern. Ihrer Ansicht nach werden die westlichen Regierungen - insbesondere die der USA und Deutschlands - vom "internationalen Finanzjudentum" gesteuert und unterstützten dessen Streben nach der Weltherrschaft. Als Chiffre für diese Behauptung wird von ihnen der Begriff "amerikanische Ostküste" verwandt. 4.2 Organisationsund Aktionsformen der Neonaziszene im Allgemeinen Neonazis sind in einer Vielzahl rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen sowie meist regional und in lockeren Strukturen organisiert. Nachdem Anfang der neunziger Jahre mehrere neonazistische Organisationen verboten worden waren, reagierten die Neonazis mit zwei verschiedenen Gegenstrategien. Auf der Suche nach Organisationsformen fand sich ein Teil der Neonazis, die sich selbst als "Freie Nationalisten" bezeichnen, in unabhängigen Kameradschaften ("Organisierung ohne Organisation") zusammen. Andere wählten das "legale Dach" der NPD als Unterschlupf und nutzten deren Parteienprivileg für eigene Aktionen. Ein Teil der Neonaziszene tritt unter der Bezeichnung "Autonome Nationalisten" auf. Dieses Phänomen stellt allerdings weniger eine Organisations-, sondern vielmehr eine Aktionsform dar. Als eine solche trat im Berichtszeitraum das Konzept der "Unsterblichen" Rechtsextremismus hinzu. Mit weißen Masken und schwarzen Umhängen verkleidet treffen sich Neonazis meist in den Abendbzw. Nachtstunden zu scheinbar spontanen Umzügen durch Wohngebiete, tragen dabei Fackeln und skandieren mitunter neonazistische Parolen. Hintergrund dieser Aktionsform ist die von Rechtsextremisten betriebene sog. Volkstodkampagne26. Die Vereinheitlichung durch Tragen weißer Masken versinnbildlicht das "Zurückstehen des Individuums hinter der Volksgemeinschaft". Die öffentliche Wirkung dieser Aktionen wird potenziert durch die mediale Verarbeitung, z. B. in Form von Videos, die im Anschluss auf einschlägigen Internetseiten veröffentlicht werden. 25 ZOG steht für "Zionist Occupied Government" ("zionistisch beherrschte Regierung"). 26 Die "Volkstodkampagne" geht von einem Szenario aus, dass die Deutschen spätestens 2040 eine Minderheit im eigenen Land darstellen. Als Ursache hierfür sehen Neonazis den 1945 "aufgezwungenen Liberalismus der westlichen Wertegemeinschaft [...] mit seinem Werteverfall" (z. B. durch Masseneinwanderungen, Feministenbewegungen, Konsumgesellschaft, homosexuellen Eheschließungen). Dem gelte es aus Sicht der "Unsterblichen" mit Nationalismus und dem Gedanken der "Volksgemeinschaft" entgegenzutreten. 49 50 Konzept der "Freien Kameradschaften" Die dominierende Organisationsform der Neonaziszene bildete viele Jahre die "Freie Kameradschaft". Kameradschaften existieRechtsextremismus ren in fast allen Bundesländern, obwohl selbst führende Neonazis in den letzten Jahren der NPD beigetreten sind und sich dort engagieren. Die Parteianbindung hindert sie in der Regel nicht, weiter für die Kameradschaft aktiv zu bleiben. Das Konzept der "Freien Kameradschaften" sieht vor, sowohl als kleine autonome Einheiten auf meist lokaler bzw. regionaler Ebene zu agieren als auch, sich über technische und personelle Kontakte überregional zu vernetzen. Aufgrund ihres informellen Charakters sollen den Behörden weniger Angriffspunkte geboten werden, gegen die Kameradschaften vorzugehen. Obwohl Kameradschaften meist keine oder nur in Ansätzen vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie dennoch kraft einer verbindlichen Funktionsverteilung deutlich strukturiert. Sie werden durch die Bereitschaft getragen, gemeinsam politische Arbeit in der Absicht zu leisten, neonazistisches Gedankengut zu verbreiten. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen dann von einer neonazistischen "Kameradschaft", wenn die jeweilige Gruppierung die folgenden Merkmale aufweist: * einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation, * eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung, * eine zumindest rudimentäre Struktur und * die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundorientierung. Die Grenzen zu einem eher losen Personenzusammenschluss sind dabei meist fließend. Wichtig bei der Beurteilung durch die Verfassungsschutzbehörden, ob es sich um eine Kameradschaft handelt, oder um eine noch verhältnismäßig lose strukturierte Gruppierung, ist vor allem, wie lange eine solche Gruppierung entsprechende Aktivitäten entfaltet. Auch bei zeitweilig sehr intensiver Ausübung rechtsextremistischer Bestrebungen kann die Schwelle zur Kameradschaft mitunter noch nicht überschritten sein. Für die Beurteilung der Aktivität und ihre schädliche Wirkung ist dies allerdings zunächst unerheblich. "Autonome Nationalisten" (AN) Seit dem Jahr 2004 treten in mehreren Bundesländern bei rechtsextremistischen Demonstrationen Personengruppen auf, die sich als "Autonome Nationalisten" bezeichnen. Deren Kennzeichen sind: * militante Kampfformen ("Schwarzer Block" und Gewaltandrohungen gegen Polizei und Gegendemonstranten), * ein verändertes Outfit (schwarze Kleidung oder/und Vermummung), * die Verwendung von Versatzstücken linksextremistischer Symbolik und * eine mit Anglizismen durchsetzte Sprache. Bei AN handelt es sich um überwiegend junge, aktionsorientierte Rechtsextremisten, die ihre politischen Überzeugungen schnell in die Tat umsetzen wollen und in der Mehrzahl grundsätzlich auch bereit sind, hierfür Gewalt einzusetzen. Die AN stellen keine Organisation im klassischen Sinne, sondern eine spezielle Strömung innerhalb der Neonazi-Szene dar, deren Entstehung und Habitus u. a. durch Einflüsse anderer Jugendsubkulturen sowie der linksextremistischen Autonomen geprägt sind. Die Angehörigen dieser Bewegung wollen sich durch "erlebnisorientierte" Aktionsformen Gehör verschaffen. Die meist jugendlichen Aktivisten orientieren sich in ihrem Erscheinungsbild an Rechtsextremismus dem aus der linksextremistischen autonomen Szene bekannten "Schwarzen Block". Ideologisch richten sie sich teilweise - oft auch nur vorgeblich - am sozialrevolutionären Flügel der NSDAP um die Gebrüder Strasser aus. Die AN verfügen insofern über kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild. Die gewählten "autonomen" Aktionsformen sowie der Verzicht auf straff organisierte Gruppen sollen staatlichen Stellen und dem politischen Gegner die Aufklärungsarbeit erschweren. In dieser Hinsicht ähneln sie den "Freien Kameradschaften", die ihrerseits inzwischen auch auf die Aktionsform des "Autonomen Nationalismus" bei ihren politischen Aktionen zurückgreifen. Zwischen AN und einem Teil der klassischen Kameradschaften bzw. den "Freien Kräften" lässt sich eine zunehmende ideologische Annäherung und stärkere personelle und strukturelle Verzahnung feststellen. 51 52 Bedingt durch die vornehmlich junge, aktionsorientierte Anhängerschaft waren die Betätigungen der AN vielfältig. Ihr Auftreten bei Demonstrationen fand zunehmend Akzeptanz in weiteren Teilen der übrigen rechtsextremistischen Szene. Äußerungen im InterRechtsextremismus net zufolge sollte man sich notfalls ihrer bedienen, um sich gegen die als Schikane empfundenen Maßnahmen der Polizei und die Behinderungen durch Gegendemonstranten zu wehren. Das Verhältnis zwischen der NPD und den AN ist weiterhin ambivalent. Ist die Partei einerseits auf jegliche Unterstützung aus dem rechtsextremistischen Spektrum bei Wahlkämpfen und öffentlichen Veranstaltungen angewiesen, hat sich das NPD-Bundespräsidium schon vor Jahren von den "anarchistischen Erscheinungsformen" der AN distanziert. Jugendcliquen/Mischszene Neben den angesprochenen Organisationsformen existieren weitere weitgehend unstrukturierte Szenen, in denen Neonazis Aktivitäten entfalten. Diese bilden sich aus Mangel an attraktiven sozialen Alternativen vorrangig im ländlichen Raum. Zwischen diesen Cliquen und dem Bereich der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bestehen keine klaren Trennlinien. Auch diese Jugendcliquen wählen mitunter die Bezeichnung "Kameradschaft". In einigen Fällen wird der Zusammenhalt auch durch martialisch klingende Phantasienamen beschworen. Solche überwiegend regionalen, subkulturell geprägten Cliquen treffen sich u. a. in Privatwohnungen und Gaststätten, an Tankstellen, Garagenkomplexen und anderen öffentlichen Räumen. Ihre Mitglieder verfügen meist über eine rechtsextremistische Grundeinstellung. Im Vordergrund der Cliquen stehen jedoch gemeinsame Freizeitaktivitäten, die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen und Konzerten sowie das gemeinschaftliche Auftreten. Den Cliquen mangelt es oft entweder an einem abgegrenzten Aktivistenstamm oder an einer zumindest ansatzweisen Struktur, die auch gebietet, sich dauerhaft zu engagieren. Die Anzahl der ihnen zugehörigen Personen schwankt. Mitunter fallen diese Cliquen durch provokatives Verhalten in der Öffentlichkeit auf, dessen Folgen auch Propagandadelikte, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen sein können. 4.3 Zusammenarbeit mit der NPD Der von der NPD proklamierte und von Teilen der Neonaziszene verwendete Begriff "Nationaler Widerstand" bezeichnet den Willen von Rechtsextremisten, gemeinsam organisationsübergreifend gegen das politische System der Bundesrepublik und die sie tragenden Kräfte vorzugehen. Während des letzten Jahrzehnts war das Verhältnis zwischen NPD und Neonazis sowohl von Annäherung als auch von Abgrenzung gekennzeichnet. Im Jahr 2004 leitete die zwischen der NPD und Teilen der Neonaziszene getroffene Absprache, künftig offen zusammenzuarbeiten, eine neue Entwicklung ein. Sie erreichte ihren Höhepunkt in dem Konzept, die extreme Rechte in einer "Volksfront von Rechts" zusammenzuschließen.27 Trotz der weit gediehenen Kooperation brechen gelegentlich deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den "Freien Kräften" und der Partei auf. Hinsichtlich der AN sind diese nicht unerheblich, erklärt sich doch der größte Teil der deutschen Neonaziszene mit den AN solidarisch. Mit der Wahl APFELS zum Bundesvorsitzenden der NPD und vor dem Hintergrund der von ihm verfolgten "seriösen Radikalität" zeichnet sich für die nächste Zukunft eine Kontroverse zwischen "Freien Kräften" und der NPD ab, welche die sonstige Kooperation beider Teilspektren belasten dürfte. 4.4 Die Neonaziszene in Thüringen Rechtsextremismus Bundesweit stieg die Zahl der Neonazis erneut auf nunmehr 6.000 (2010: 5.600) Personen an. Durch eine Veränderung in der statistischen Erfassung des neonazistischen Personenpotenzials ist für Thüringen nunmehr von 300 (2010: 180) Neonazis auszugehen.28 Das vormals unter der Kategorie der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten zusammengefasste Personenpotenzial wird nunmehr in getrennten Kategorien erfasst. Soweit es sich um sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten handelt, werden diese nunmehr aufgrund ihrer vorwiegend einschlägigen Gesinnung der Kategorie der Neonazis zugerechnet. Die Anzahl der in allen Teilspektren vorhandenen gewaltorientierten Rechtsextremisten wird dagegen gesondert ausgewiesen. 27 Siehe die Kapitel 3.1.1.1 und 3.1.1.3. 28 Siehe dazu auch Fn. 1. 53 54 Dem ursprünglichen neonazistischen Teilspektrum (180) werden im Vergleich zum Vorjahr weitere 20 Personen zugerechnet, was einem Anstieg von etwa 10 Prozent entspricht. Diese Steigerung resultierte erneut aus der relativen Schwächephase der Thüringer Rechtsextremismus NPD. Die Neonaziszene intensivierte ihre außerparteilichen Aktivitäten und konnte ihre Stellung gegenüber der NPD im Vergleich zu den Vorjahren weiter konsolidieren. Soweit Thüringer Neonazis organisiert sind, handelt es sich dabei neben Mitgliedschaften in der NPD vor allem um Zugehörigkeiten zu Kameradschaften, Mischszenen oder sonstigen lockeren Personenzusammenschlüssen. Zudem gibt es Neonazis, die ohne Organisationszugehörigkeit an entsprechenden Veranstaltungen der NPD oder des Neonazispektrums teilnehmen, als AN auftreten oder eigene Aktivitäten, wie z. B. die Gestaltung von Internetauftritten, entfalten. Ein besonderes Phänomen des Bestrebens, der neonazistischen Szene auch überregionale Vernetzung zu verleihen, stellt das sog. Freie Netz (FN) dar. In Thüringen sind entsprechende Ableger in Jena, Kahla, Saalfeld und Altenburg bekannt, die jeweils eigene Aktivitäten entfalten und sich an den vorgenannten Vernetzungsbestrebungen beteiligen. Nicht alle diese Gruppierungen sind nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden jedoch als Kameradschaft im engeren Sinne zu klassifizieren. 4.4.1 Kameradschaften In Thüringen konnten im Berichtzeitraum drei aktive Kameradschaften festgestellt werden. Zudem traten vereinzelt Gruppen in Erscheinung, die zumindest ihrem Selbstverständnis nach eindeutig dem Konzept der "Freien Kameradschaften" bzw. den "Freien Kräften" zugeordnet werden können. 35 Siehe die Kapitel 3.1.1.1 und 3.1.1.3. "Kameradenkreis um Thorsten Heise" auch: "Kameradschaft Northeim", "Kameradschaft Eichsfeld" Sitz: Fretterode Mitglieder: ca. 15 Führungsperson: Thorsten HEISE Die "Kameradschaft Northeim" wurde 1995 von dem Neonazi Thorsten HEISE gegründet. Auf seinem Anwesen in Fretterode finden wöchentliche "Kameradschaftsabende" statt, an denen in der Regel ca. 15 Personen aus Thüringen und den angrenzenden Bundesländern teilnehmen. Über HEISE unterhält die Kameradschaft Kontakte zu Rechtsextremisten in anderen Bundesländern und im Ausland. Die Kameradschaftsangehörigen nehmen an szenetypischen Veranstaltungen auch außerhalb Thüringens teil, so z. B. an der rechtsextremistischen Demonstration "Tag der deutschen Zukunft" am 4. Juni in Braunschweig (Niedersachsen). Im Freistaat tritt die Kameradschaft nur selten öffentlich auf. HEISE zählt zu den bekanntesten deutschen Neonazis. Er war Landesvorsitzender der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) in Niedersachsen, die bis zu ihrem Verbot im Jahre 1995 über ein Jahrzehnt eine der auffälligsten Neonazi-Organisationen in der Bundesrepublik darstellte. Nachdem die NPD-Führung "Volksfront statt Gruppenegoismus" propagierte, trat HEISE 2004 in die NPD Rechtsextremismus ein. Kurze Zeit später erfolgte seine Wahl in den Bundesvorstand, dem er bis November 2011 angehörte. HEISE betreibt den "W & B Versand"29, einen Großhandel für Bildund Tonträger, Geschenkartikel und Militärkleidung sowie einen Einzelhandel mit Wein und Spirituosen. Mit seinem Vertrieb ist er auch im Internet aktiv. Mitte 2008 wurde das bestehende Gewerbe um einen Buchverlag erweitert, in dem seit Anfang des Jahres 2011 die Zeitschrift "Volk in Bewegung - Der Reichsbote" erscheint. Für die Zeitschrift, die hauptsäch29 Siehe auch Kapitel 5.3. 55 56 lich neonazistische und geschichtsrevisionistische Artikel beinhaltet, zeichnet HEISE als Herausgeber verantwortlich. Sein 2009 errungenes Kreistagsmandat versucht HEISE, seit Mitte Rechtsextremismus 2010 auch Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Eichsfeld, zu nutzen, um die Partei in der Region möglichst bürgernah und engagiert zu präsentieren. Kameradschaft "Freies Netz Jena" (FN Jena) vormals: "Nationaler Widerstand Jena" (NWJ) Sitz: Jena Mitglieder: ca. 20 Das FN Jena ging aus dem NWJ hervor, der sich Ende 2008 dem Aktionsbündnis FN Mitteldeutschland anschloss und in der Folge seinen Namen entsprechend änderte. Der sich nunmehr unter der Bezeichnung FN Jena etablierten Gruppierung dürften etwa 20 Personen zuzurechnen sein. Als Treffund Veranstaltungsstätte diente vorrangig das zum "Braunen Haus"30 gehörende Außengelände. Das FN Jena beschreibt sich selbst als einen "Zusammenschluss junger Deutscher, die alle an irgendeinem Punkt im festgelegten Zeitstrahl des 'freien' Bürgers erwacht sind und die Realität hinter der BRD-Matrix in ihrer ganzen Hässlichkeit erkennen mussten. Aus der Erkenntnis über die Notwendigkeit des aktiven und des passiven Widerstandes gegen ein System, das die Zukunft der ihm anvertrauten Menschen für globalistische Strippenzieher verschachert, ist das 'Freie Netz Jena' eine Einigung verschiedener politischer Bekenntnisse und Überzeugungen mit der Schnittmenge, das alle Aktivisten des FN ein freies und souveränes Deutschland als Bollwerk gegen Kapitalismus, Dekadenz und Überfremdung anstreben." Die Ausführungen auf der Website des FN Jena enthalten verstärkt nationalistische und rassistische Formulierungen. Des Öfteren werden tagespolitische oder gesellschaftliche Themen aufgegriffen und mit einer von rechtsextremistischer Ideologie untermauerten Kommentierung versehen. 30 Siehe Kapitel 6.1. Das FN Jena entfaltet im Vergleich zu anderen neonazistischen Gruppierungen in Thüringen eine Vielzahl an Aktivitäten, die auf eine breitere öffentliche Wahrnehmung gerichtet sind. So verfasste es das seit April 2010 zunächst monatlich aufgelegte Informationsblatt "Freie Nachrichten Jena", welches im Berichtszeitraum jedoch nur noch sporadisch erschien. Auf seiner Homepage berichtete das FN Jena über zahlreiche Aktionen, in Einzelfällen dürfte es sich um reine Propaganda ohne reale Ausführung gehandelt haben. Zur Pflege "germanischen Brauchtums" hält das FN Jena traditionelle Veranstaltungen, z. B. Sonnenwendfeiern, ab. Darüber hinaus werden Treffen zur politischen Meinungsbildung oder zur Unterhaltung der eigenen Anhängerschaft organisiert. Im Berichtszeitraum fanden beispielsweise einschlägige Filmabende und sonstige Zusammenkünfte auf dem zum "Braunen Haus" gehörenden Gartenareal statt. Ende Juli wurde ein Liederabend mit ca. 80 Teilnehmern durchgeführt. Außerdem trat das FN Jena im Zusammenhang mit geschichtsrevisionistischen Veranstaltungen und neonazistischen Propagandaaktionen in Erscheinung. So veranstaltete es beispielsweise Ende Januar eine Mobilisierungsveranstaltung mit anschließendem Liederabend für den jährlich von Rechtsextremisten anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Dresdens 1945 organisierten "Trauermarsch"31. An der in diesem Zusammenhang ausgerichteten Aktionswoche "Ein Licht für Dresden" beteiligte sich das FN Jena Rechtsextremismus ebenso wie an jener anlässlich des Todestags des Hitler-Stellvertreters Rudolf HEß im August. Die in diesem Rahmen durchgeführten Aktivitäten umfassten im Wesentlichen "Schnipselregen" in Kaufhäusern, Aufhängen von Transparenten, Sprüh-, Klebund Plakataktionen sowie das Aufstellen von Holzkreuzen und Gedenksteinen. Einzelne Veranstaltungen des FN Jena dienten der Spendensammlung zur Aufrechterhaltung des wegen erheblicher Baumängel seit August 2009 behördlich versiegelten "Braunen Hauses". 31 Siehe dazu Kapitel 4.4.6. 57 58 "Freie Kräfte Erfurt" (FKE) auch: "Freies Netz Erfurt" (FN Erfurt), "Aktionsgruppe Erfurt" (AG Erfurt) Rechtsextremismus Sitz: Erfurt Mitglieder: 20 bis 30 Einer Eigendarstellung im Internet zufolge haben es sich Anhänger und Unterstützer der FKE zur Aufgabe gemacht, ein "starkes soziales Netz in Erfurt" zu etablieren sowie auf ihrer Meinung nach bestehende Probleme aufmerksam zu machen. Als solche benennen sie z. B. die vermeintlich hohe Kriminalitätsrate ausländischer Jugendlicher, die Überschwemmung durch Fremdkulturen und die "Rückführung kulturund artfremder Ausländer". Themenschwerpunkte der FKE bildeten 2011 u. a. die in rechtsextremistischen Kreisen verbreitete "Kinderschänderthematik" und der "Kampf für die Wiederherstellung Deutschlands in seinen historisch angestammten Grenzen". Die FKE lehnen eine Parteimitgliedschaft oder eine "Organisation klassischer Ausprägung" ab. Vielmehr stelle die flächendeckende Vernetzung vieler unabhängiger Gruppierungen und Einzelpersonen eine geeignete Form des Widerstands gegen die herrschenden Zustände dar. Eine "Organisierung ohne Organisation" biete die Möglichkeit, eine "kräftige Gegenmacht zu entwickeln, die in geeigneter Stunde eingreife". Im April 2011 benannten sich die FKE in "Freies Netz Erfurt" (FN Erfurt) um und bekundeten auf diese Weise die Zugehörigkeit zur Internetplattform FN Mitteldeutschland. Bereits im August wandte sich das FN Erfurt als Reaktion auf die Zwistigkeiten innerhalb des FN von diesem ab und firmierte bis Dezember unter der Bezeichnung "Aktionsgruppe Erfurt". Danach agierte die Gruppierung erneut als FKE. Neben der Teilnahme an Demonstrationen und Kundgebungen anderer Gruppierungen traten die FKE insbesondere im vierten Quartal 2011 auch mit eigenen Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Sie waren Mitinitiator von Versammlungen unter freiem Himmel in Weimar, Erfurt, Apolda und Blankenhain zu Themen wie "Wir wollen leben - Zukunft statt EU-Wahn" und "Nationale Souveränität statt europäische Wirtschaftsregierung". 4.4.2 "Autonome Nationalisten" (AN) in Thüringen Bemühungen von Rechtsextremisten, z. B. über Kapitalismusund Globalisierungskritik eine Klientel anzusprechen, die für rechtsextremistische Inhalte bislang nicht empfänglich war, sind nicht neu. Bereits seit Längerem bedienen sich insbesondere die AN des Stils und der Aufmachung sowie der Symbole und Outfits linksextremistischer Strukturen und interpretieren diese in ihrem Sinne, um weitere Teile der Gesellschaft ideologisch zu unterwandern. Gruppierungen namens "Autonome Nationalisten Südthüringen" oder "Autonome Nationalisten Erfurt" traten ebenso wie AN-AnRechtsextremismus hänger im Raum Apolda erstmals 2008 in Erscheinung. Sie entfalteten jedoch kaum eigene Aktivitäten und bestehen inzwischen nicht mehr. Im Raum Weimar/Weimarer Land haben sich die Aktivitäten der Gruppierungen "Autonome Nationalisten Weimar" bzw. "Aktionsgruppe Weimarer Land" hingegen verstetigt. In Nordthüringen agieren AN unter der Bezeichnung "Autonome Nationalisten Nordthüringen" vorrangig über das Internet. 59 60 "Autonome Nationalisten Weimar" (AN WE) auch: Aktionsgruppe Weimarer Land (AG WL) Sitz: Weimar/Weimarer Land Rechtsextremismus Mitglieder: etwa 15 Eigenen Angaben zufolge existiert die Gruppierung AN Weimar seit dem Frühjahr 2009, als sich eine "handvoll Aktivisten" zusammenfand mit dem Ziel, in der Region eine "aktive Alternative" anzubieten. In einer Selbstdarstellung der Gruppe heißt es u. a.: "Unser Sozialismus soll die Gesellschaftsform der Zukunft werden. Wobei der Sozialismus immer die Keimzelle in der Gemeinschaft finden müsse, begonnen bei der Familie und endend bei der Rassegemeinschaft". Und weiter: "Wir Deutschen haben keine Schuld für das was vor mehr als 2 Generationen passiert sein soll."32 Die AN WE befürworten die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele. In der Vergangenheit traten sie mit politisch motivierten Sachbeschädigungen in Erscheinung. Trotz der Ankündigung, im November 2011 "mit einen Gewaltigen drang nach Aktionen [...] der Antideutschen Antifa in Weimar die Stirn"33 bieten zu wollen, fiel die Gruppierung im Berichtszeitraum ausschließlich mit einzelnen Propagandaaktionen auf. Seit September trat das neonazistische Spektrum Weimars zudem unter der Bezeichnung "Aktionsgruppe Weimarer Land" (AG WL) in Erscheinung. Eigenem Bekunden nach handelt es sich hierbei um "Nationale Sozialisten aus dem Weimarer Land", die es als ihre Aufgabe verstehen, "den täglichen Kampf gegen ein Krankes und marodes System zu führen für ein Freies, Nationales und Sozialistisches Deutschland".34 Die Gruppierung bekennt sich auf ihrer Internetseite zum "autonomen Nationalismus" und befürwortet 32 Fehler im Original. 33 Fehler im Original. 34 Fehler im Original. die Bildung "schwarzer Blöcke". Neben der Äußerung: "Unsere Aktionen sind gezielt gegen die Vertreter des kapitalistischen und anti-deutschen Systems [...] gerichtet" heißt es, "unsere 'Gewalt' hat meist nur symbolischen Charakter (Farbanschläge, Sprayereien, Aufkleberaktionen...)". Die AG WL zeigte sich im Berichtszeitraum aktionsorientiert und trat mit der Durchführung zahlreicher kleinerer Kundgebungen, u. a. zur Thematik "Finanzkrise" in Weimar und dem Weimarer Land, in Erscheinung. Hierbei fand sie auch Unterstützung von den FKE. 4.4.3 Sonstige Personenzusammenschlüsse Neben den aufgeführten Kameradschaften im engeren Sinne entfalten in Thüringen weitere lockere Personenzusammenschlüsse rechtsextremistische Aktivitäten. Sie haben teilweise nur eine Handvoll Mitglieder. "Aktionsbündnis Erfurt" (AB Erfurt) Das Engagement des AB Erfurt, eigenem Bekunden nach eine Plattform "Nationaler Sozialisten in Wort und Tat", beschränkte sich im Berichtszeitraum vorwiegend auf Internetbeiträge. Neben Demonstrationsaufrufen und Teilnahmeberichten fanden sich dort auch Texte zum Tierschutz. Zum Teil wurden Themen bundesweiter Kampagnen übernommen, jedoch nur selten mit eigenen, loRechtsextremismus kalen Bezügen angereichert. So gab das AB Erfurt an, sich an der anlässlich des Trauermarsches in Dresden durchgeführten Aktionswoche35 am 9. Februar mit einer Plakatierungsaktion beteiligt zu haben. An einer Fußgängerbrücke war ein Transparent mit der Aufschrift "Vergesst niemals Dresden '45" und dem Verweis auf szenerelevante Internetadressen angebracht worden. Daneben wollen Angehörige des AB Erfurt in der Nacht zum 8. Mai an mehreren Autobahnbrücken in Erfurt Plakate unter dem Tenor " 8. Mai 1945 - Wir feiern nicht!" befestigt haben. 35 Siehe Kapitel 4.4.6. 61 62 "Freies Netz Kahla" (FN Kahla) Das "Freie Netz Kahla" (FN Kahla) tritt seit Ende 2010 in Erscheinung. Es besitzt keine eigene Homepage, sondern lediglich einen Rechtsextremismus Twitter-Account; dort verweist es auf die Website des FN Jena. Auch seine bisherigen Aktivitäten sind eng mit denen des FN Jena verknüpft. Laut Eigenangabe in Twitter soll beispielsweise im September in Kahla eine Flugblattverteilung zum Thema "Zensus 2011" stattgefunden haben. Im Jahresrückblick des FN Jena bekannte sich dieses jedoch indirekt zu der Aktion. Nennenswerte eigene öffentlichkeitswirksame Aktivitäten des FN Kahla wurden im Berichtszeitraum nicht bekannt. Es fiel vornehmlich durch Sachbeschädigungen, insbesondere in Form von Graffitiund Aufkleberaktionen im Rahmen der Aktionswoche "Ein Licht für Dresden" bzw. jener zum HEß-Todestag auf. "Freies Netz Saalfeld" (FN Saalfeld) Das FN Saalfeld, welches ab Februar 2010 zunächst nur mit virtuellen Aktivitäten in Erscheinung trat, veranstaltete am 9. Juli eine Fahrt zur Wewelsburg36 (Nordrhein-Westfalen) und führte Flugblattaktionen zu den Themen "Kinderschänder" und "Zensus 2011" durch. Ansonsten waren überwiegend Internetaktivitäten zu verzeichnen. Neben einem begrenzten Kreis ideologischer Führungspersonen werden dem FN Saalfeld etwa weitere 10 Personen, die für Veranstaltungen und Flugblattverteilungen rekrutiert werden können, zugerechnet. Ein ständiges Treffund Veranstaltungsobjekt stand im Berichtzeitraum nicht zur Verfügung. Die lokale Themen betreffenden Ausführungen auf der Internetseite des FN Saalfeld sind durch nationalistische und rassistische Äußerungen gekennzeichnet. Wiederholt greifen die Autoren des FN Saalfeld aber auch überregionale Themen auf, welche einen stark ausgeprägten Antiamerikanismus und Antisemitismus erkennen lassen, verknüpft mit der Forderung nach "neuen Herrschaftsverhältnissen". Das FN Saalfeld sieht seine Aufgabe hierbei in der 36 Bei der "Wewelsburg" handelt es sich um eine Erinnerungsund Gedenkstätte mit einer Ausstellung zur Geschichte der Schutzstaffel (SS) der NSDAP. Ableistung ideologischer Überzeugungsarbeit. So heißt es: "Wir werden [...] der Stachel im Fleisch des politischen Systems sein und dieses bekämpfen." In einem Artikel unter dem Motto "Kapitalismus tötet" vom Dezember 2011 sprachen die Verfasser von "einem Prozent" der Weltbevölkerung, das die Mehrheit beherrsche. Dies sei ohne Gewaltanwendung möglich, da eine "Traditionsund identitätslose" Masse in ihrem Käfig vor sich hinvegetiere. Es gelte, sich auf alte Werte und Traditionen zu besinnen. "Eine völlige Umwälzung der Gesellschaft muss angestrebt werden. Der Kapitalismus muss überall angegriffen werden." Als Nutznießer dieser angeblichen Verschwörung werden vor allem die USA und Israel gesehen. "Freies Netz Altenburg" (FN Altenburg) Das FN Altenburg organisierte im Berichtszeitraum keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen. Einzig diverse Internetbeiträge - dort fanden sich Hinweise auf die aktuellen Ausgaben der NPD-Regionalzeitung "Ostthüringen Bote" - wurden festgestellt. Das FN Altenburg verfügt auch über einen Twitter-Account. "Freies Netz Südthüringen" (FN Südthüringen) Nachdem das FN Südthüringen erstmals im Mai 2011 öffentlichkeitswirksam in Erscheinung getreten war, wandte es sich in der Rechtsextremismus zweiten Jahreshälfte nach Differenzen innerhalb des Thüringer FN-Verbunds von diesem ab. Seither wurden keine Aktivitäten der Gruppierung mehr festgestellt. Ein Teil der zuvor im FN Südthüringen engagierten Rechtsextremisten fand sich in der Folge offenbar zu einer Gruppierung namens "Autonome Nationalisten Südthüringen" zusammen. Im Oktober 2011 nannte sie sich in "Südthüringer Heimatschutz" um. Neben der Teilnahme an Demonstrationen anderer rechtsextremistischer Gruppierungen fiel das FN Südthüringen in Zusammenhang mit einem Trauermarsch am 25. Juni in Zella-Mehlis auf. Dabei wurde der gewaltsame Tod eines 7-jährigen Mädchens und die daraus resultierende Betroffenheit der Bevölkerung für eigene Propagandazwecke instrumentalisiert. Nach kurzfristig geschal63 64 teten Internetaufrufen versammelten sich seinerzeit bis zu 700 Teilnehmer, darunter etwa 150 Rechtsextremisten. Zwei weitere, ausschließlich auf der Homepage des FN Südthüringen thematisierte, von ca. 70 Personen besuchte "Spontanveranstaltungen" zu der Rechtsextremismus Thematik waren am 24. Juli in Zella-Mehlis und Suhl-Goldlauter polizeilich aufgelöst worden. Rechtsextremistische Jugendcliquen/Mischszene Neonazistische Aktivitäten gehen in Thüringen ebenfalls von Personenzusammenschlüssen und regional agierenden Aktivisten aus, die für Veranstaltungen jeweils ein bestimmtes Personenpotenzial aus ihrem Umfeld mobilisieren können. Diese Zusammenschlüsse, die allerdings keine Kameradschaften im engeren Sinne darstellen, erscheinen im Internet, auf Transparenten und Flugblättern sowie als Unterstützergruppen für rechtsextremistische Aktivitäten. Meist mangelt es ihnen an einem abgegrenzten Aktivistenstamm, einer erkennbaren Struktur oder an der Bereitschaft, gemeinsam politische Arbeit zu leisten - mithin an Merkmalen, die eine Kameradschaft kennzeichnen. Einige Gruppierungen sind mitunter - begünstigt durch das Internet - rein fiktiver Natur, andere lediglich von kurzer Dauer. Sie stehen und fallen mit dem Engagement und der Überzeugungskraft ihres jeweiligen Wortführers. 4.4.4 Vereinsaktivitäten von Neonazis Bundesweit bestehen zahlreiche rechtsextremistische Vereine, die unterschiedliche Ziele verfolgen und historische, politische oder gesellschaftliche Themen aufgreifen. Viele von ihnen werden in Vereinregistern geführt. Auch Thüringer Neonazis gehören derartigen Vereinen an. "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) Mit Wirkung vom 21. September hat der Bundesinnenminister die HNG gemäß SSSS 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 sowie SS 3 Vereinsgesetz verboten. Der sofortige Vollzug wurde angeordnet und zugleich das Ver37 Dabei handelt es sich um Signal, Reizstoffund Schreckschusswaffen, die erlaubnisfrei erworben werden dürfen, zum Führen außerhalb der eigenen Wohnung aber einen sog. Kleinen Waffenschein voraussetzen. einsvermögen eingezogen. In verschiedenen Bundesländern (Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) veranlasste Durchsuchungsmaßnahmen führten zur Sicherstellung von Vereinsunterlagen, Propagandamaterial, Devotionalien, Bankund Kontounterlagen, verschiedenen elektronischen Speichermedien und mehreren PTB-Waffen37, Schlagstöcken und Messern. Das Verbot selbst stützt sich weniger auf die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus, sondern es werden vielmehr die Hauptaktivitäten des Vereins, hier insbesondere die Gefangenenbetreuung mit dem bewussten Unterlaufen der Resozialisierung der Gefangenen, als verbotsrelevant bewertet. Der Verein unterstützte die Gefangenen nicht nur finanziell, sondern bewirkte im Rahmen der Betreuung eine Verfestigung ihrer nationalistischen Überzeugungen und glorifizierte das begangene Unrecht. Rechtsextremismus Dem Verbot war ein im August 2010 eingeleitetes vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren des Bundesministeriums des Inneren vorausgegangen. Im Zuge dessen kam es am 7. September 2010 zwecks Erbringung von Beweismitteln für ein Vereinsverbot zu ersten bundesweiten Durchsuchungsmaßnahmen bei Mitgliedern und Funktionären der HNG, u. a. auch in Thüringen (Gotha). 65 66 Die am 2. Juli 1979 in Frankfurt/Main gegründet HNG zählte zuletzt ca. 600 Mitglieder, davon etwa 20 in Thüringen. Mit ihrem Anliegen, inhaftierte politische Gefangene zu betreuen, um den Fortbestand ihrer Szeneanbindung zu gewährleisten, war die HNG Rechtsextremismus bundesweit aktiv. Untergliederungen in den einzelnen Bundesländern unterhielt sie jedoch nicht. Ein Großteil der HNG-Mitglieder gehörte darüber hinaus weiteren rechtsextremistischen Organisationen an. Die HNG gab die monatlich in einer Auflage von 700 Exemplaren erscheinende Publikation "Nachrichten der HNG" heraus. Darin sollte anhand von Berichten über "Repressionen" gegenüber "nationalen Gefangenen" im Justizvollzug die angebliche politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert werden. Von Juli 2011 an stand die HNG unter der Leitung von Daniela WEGENER (Nordrhein-Westfalen). Sie löste die seit 1991 amtierende Vorsitzende Ursula MÜLLER (Rheinland-Pfalz) in dieser Funktion ab. WEGENER kündigte in einer Presseerklärung an, alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen das Verbot ausschöpfen zu wollen. Mit Schriftsatz vom 28. September reichte die HNG beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen das Verbot ein und stellte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung. Bis zu einer diesbezüglichen Entscheidung bleibt die Verbotsverfügung allerdings vollziehbar. "Schlesische Jugend - Landesgruppe Thüringen" (SJ-Thüringen) Die SJ-Thüringen ist eigenem Bekunden nach eine "Jugendorganisation, in der sich interessierte Jugendliche mit der schlesischen Kultur, den dortigen Sitten und Gebräuchen, der Mundart, der Geschichte, dem Schicksal der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen und allem, was noch über Schlesien zu wissen ist, beschäftigen und auseinandersetzen." Unter dem Deckmantel eines Vertriebenenverbands wird die SJThüringen allerdings inzwischen von aktiven Rechtsextremisten für Bestrebungen missbraucht, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverstän- digung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind. Führungsfunktionäre der SJ-Thüringen waren vormals in dem mittlerweile verbotenen Verein "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) aktiv. Zahlreiche andere Mitglieder stammen aus dem sonstigen rechtsextremistischen Spektrum und üben dort zum Teil auch Führungsfunktionen aus. Der Vorstand der SJ-Thüringen ist zudem in ähnlicher Funktion auch im Vorstand der "Bundesgruppe der Schlesischen Jugend" (SJ-Bund) aktiv. So fungiert der Vorsitzende der SJ-Thüringen, Fabian RIMBACH, zugleich als Vorsitzender der SJ-Bund. Die inhaltliche Ausrichtung der SJ-Thüringen ist vor allem durch gebietsrevisionistische und revanchistische Bestrebungen geprägt. In ihren Veröffentlichungen finden sich Äußerungen wie: "[...] die Wichtigkeit unserer Arbeit und die Erhaltung des Deutschtums jenseits von Oder und Neiße, als ein unauslöschlicher Teil Deutschlands [...]". Schlesien wird als "polnisch besetztes Gebiet des alten deutschen Kulturlandes" bezeichnet. Eigenem Bekunden nach führt die SJ-Thüringen regelmäßig Veranstaltungen mit vorgeblich traditioneller Ausrichtung (Erntedankfeste, Tanzlehrgänge), gemeinsame Wanderungen und Fahrten zur Erkundung der Heimat und der Natur durch. Auch im Berichtszeitraum rief die SJ-Thüringen in ihrer Publikation "Junges Schlesien" zur Teilnahme an dem von der rechtsextremiRechtsextremismus stischen "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) jährlich veranstalteten Gedenkmarsch anlässlich der Bombardierung Dresdens im Februar 1945 auf. In der Vergangenheit richtete die SJ einzelne Veranstaltungen in einer Thüringer Jugendbildungsstätte aus. Nach Kündigung der Nutzungsverträge durch den für das Objekt zuständigen Förderverein Anfang 2011 ließ die SJ verlauten, sich um ein eigenes Objekt bemühen zu wollen. In ihrem Infoblatt "Junges Schlesien"38 bat sie potentielle Sponsoren um Mithilfe bei der Finanzierung des Vorhabens. Zwischenzeitlich hat Fabian RIMBACH eine Immobilie in Marlishausen39 erworben, deren Spezifikationen genau jenen entsprechen, welche die SJ für ihre Zwecke zu benötigen angab. 38 Ausgabe 12, 2011. 39 Siehe Kapitel 6.1. 67 68 4.4.5 Gewaltpotenzial der Neonaziszene Zahlreiche Neonazis, nicht selten deren Führungspersonen, sind wegen der Begehung von Körperverletzungsdelikten vorbestraft. Rechtsextremismus In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern vermeiden es Neonazis allerdings in der Regel, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Dies kann jedoch nicht über das Teilen der Szene immanente Gewaltpotenzial hinwegtäuschen. Öffentliche Veranstaltungen der Neonazis verlaufen zumindest in Thüringen überwiegend störungsfrei, was sowohl auf die Auflagen der Ordnungsbehörden als auch die massive Polizeipräsenz zurückzuführen ist. Werden Straftaten begangen, handelt es sich vorwiegend um sog. Propagandadelikte40. Mitunter kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner aus dem linksextremistischen Spektrum, bei Beteiligung "Autonomer Nationalisten" auch zu Angriffen gegen Einsatzkräfte der Polizei. Die Ermittlungen zur Rechtsextremistischen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) machten deutlich, dass die aus der Neonaziszene stammenden Täter im Zeitraum der Jahre 2000 bis 2007 zehn Morde begingen und weitere Gewaltverbrechen - zuletzt im September bzw. November 2011 Banküberfälle in Arnstadt und Eisenach - verübten. Es handelte sich um eine neue Ausformung des Terrorismus, da die Taten nicht unmittelbar für sich selbst sprachen (Propaganda der Tat) und auch nicht zeitnah mit einer politischen Erklärung verknüpft wurden. Auch dieser Fallkomplex belegt, dass eine neonazistische Ideologie ihre Anhänger zu menschenverachtenden Straftaten motivieren kann. Landfriedensbruch am 18. Juni in Greiz Im Rahmen des Greizer Parkund Schlossfestes kam es am 18. Juni zu einem Übergriff von 10 bis 15 Rechtsextremisten auf Besucher einer im Innenhof des Schlosses durchgeführten Veranstaltung. Gegen Mitternacht erschienen die Angreifer und schlugen auf die Anwesenden ein, mehrere Personen wurden verletzt. Zudem warfen 40 Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen oder Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach SS 86 bzw. SS 86a Strafgesetzbuch (StGB). sie mit Flaschen und Steinen, versprühten offenbar Reizgas und zerschlugen Mobiliar, bevor sie sich schließlich wieder entfernten. Es wurden mehrere Tatverdächtige ermittelt und zwischenzeitlich auch Anklage erhoben. Der NPD-Kreisverband Greiz verurteilte mit einer Stellungnahme auf seiner Homepage diesen Übergriff und distanzierte sich von der "Anwendung jeglicher Gewalt im politischen Kampf". Bemerkenswert ist jedoch, dass der NPD-Kreisverband in seiner Stellungnahme zu dem Vorfall diesen überhaupt in den Zusammenhang des politischen Kampfs stellt. Die NPD ist sich ihrer offenen Flanke in Bezug auf die Integration auch gewaltbereiter Rechtsextremisten in die Partei durchaus bewusst. Im vorliegenden Fall geht sie selbst anscheinend von einer personellen Zurechenbarkeit des Vorfalls zu ihrer Klientel aus. Rechtsextremistische Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Am 4. November überfielen zwei maskierte Männer eine Filiale der Sparkasse in Eisenach und erbeuteten mehrere Tausend Euro. Die flüchtigen Täter wurden bald darauf tot in einem Wohnmobil festgestellt. Zuvor hatte sich eine Polizeistreife dem Fahrzeug genähert und aus diesem heraus mehrere Knallgeräusche vernommen. In der Folge geriet das Wohnmobil in Brand. Die in dem Wrack aufgefundenen Leichen wurden als Uwe MUNDLOS und Uwe Rechtsextremismus BÖHNHARDT identifiziert. In dem Fahrzeug befanden sich zudem mehrere Schusswaffen, darunter auch die Dienstwaffen von zwei im Jahr 2007 in Heilbronn überfallenen Polizisten41, sowie Munition. Ebenfalls am 4. November kam es in Zwickau zu einer offensichtlich vorsätzlich herbeigeführten Explosion in einem Wohnhaus. Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass es sich um eine durch MUNDLOS, BÖHNHARDT und Beate ZSCHÄPE unter Falschidentitäten genutzte Wohnung gehandelt hatte. In den Trümmern wurden ebenfalls Waffen und Munition sowie Propagandamaterial gefunden. Letzteres deutete auf die Existenz einer rechtsterroristischen Gruppierung namens "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) hin. 41 Dabei waren eine aus Thüringen stammende Polizeibeamtin getötet und ihr Kollege schwer verletzt worden. 69 70 Die aufgefundenen Waffen sowie das Propagandamaterial lieferten deutliche Hinweise auf eine Verstrickung der drei Personen in weitere schwere Straftaten. So wurden in Zwickau die bei dem genannten Überfall auf die beiden Polizeibeamten in Heilbronn und Rechtsextremismus bei der sog. Ceska-Mordserie42 verwandten Tatwaffen aufgefunden. Das Propagandamaterial wies auch auf einen Sprengstoffanschlag im Januar 2001 und einen Nagelbombenanschlag 2004 jeweils in Köln hin. Außerdem werden MUNDLOS und BÖHNHARDT mit einer Vielzahl von Banküberfällen in Verbindung gebracht. ZSCHÄPE stellte sich am 8. November in der Polizeidirektion Jena. Am 11. November übernahm die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen. Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs erließ bereits am 13. November Haftbefehl gegen ZSCHÄPE wegen des dringenden Verdachts der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie der besonders schweren Brandstiftung. In den folgenden Wochen wurden weitere Personen in 42 Zwischen September 2000 und April 2006 wurden in Nürnberg, München, Hamburg, Rostock, Dortmund und Kassel neun Menschen ermordet. Die Morde an acht türkischstämmigen Personen und einem Griechen waren jeweils mit einer Pistole der Marke Ceska verübt worden. die Ermittlungen des Generalbundesanwalts einbezogen. Mehrere Personen wurden festgenommen, darunter auch der Jenaer Rechtsextremist Ralf WOHLLEBEN43. Er ist dringend verdächtig, durch Beschaffung einer Schusswaffe nebst Munition Beihilfe zu sechs vollendeten Morden und einem versuchten Mord der terroristischen Vereinigung NSU geleistet zu haben. MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE, die seit ihrer Flucht im Januar 1998 offenbar durchgängig in Sachsen lebten, stammten ursprünglich aus Jena. In den 1990er Jahren gehörten sie hier der rechtsextremistischen Szene an und waren insbesondere in der "Sektion Jena" des "Thüringer Heimatschutzes" (THS)44 aktiv. Im April 1996 wurde an einer Autobahnbrücke bei Jena ein Puppentorso mit der Aufschrift "Jude" aufgefunden. An ihm waren zwei Bombenattrappen befestigt. BÖHNHARDT wurde als Täter ermittelt und im Oktober 1997 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Haftantritt war noch nicht angeordnet worden. Die Tat reihte sich in eine Folge von aufgefundenen Bombenattrappen im Raum Jena ein. So waren zum Jahreswechsel 1996/97 Briefbombenattrappen an Behörden in Jena versandt worden. Am 2. September 1997 wurde auf dem Theaterplatz in Jena jedoch ein Koffer mit aufgebrachten Hakenkreuzen aufgefunden, der eine geringe Menge Sprengstoff enthielt. Im Rahmen der Ermittlungsmaßnahmen durchsuchte die Polizei am 26. Januar 1998 in Jena mehrere Garagen und Wohnungen. Dabei wurden in einer von MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE genutzten Rechtsextremismus Garage Sprengstoff und funktionsfähige Rohrbomben festgestellt. Die drei Verdächtigen entzogen sich der drohenden Verhaftung durch Flucht und tauchten unter. 43 Der aus der Thüringer Neonaziszene stammende Ralf WOHLLEBEN trat Anfang 1999 der NPD bei und wurde im März desselben Jahres als Beisitzer und Schulungsleiter in den Landesvorstand der NPD Thüringen gewählt. Diesem gehörte er mit Unterbrechungen bis Mitte 2008 an. Von Juli 2006 bis Mai 2008 hatte er die Funktion des stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden inne. Des Weiteren stand er - ebenfalls mit Unterbrechungen - ab dem Jahr 1999 dem NPD-Kreisverband Jena/Saale-Holzland-Kreis vor. Seit Mitte März 2010 wurde er auf der Homepage des Kreisverbands nicht mehr als Funktionsträger geführt. 44 Der THS fungierte in den 1990er Jahren als Sammelbecken der Neonaziszene in Thüringen. In ihm agierten vor allem Rechtsextremisten aus dem Raum Jena, Rudolstadt/Saalfeld, Gera, Weimar, Ilmenau, Gotha, Kahla und Sonneberg sowie aus Nordbayern. Vorläufer des THS war die seit 1994 aktive "Anti Antifa-Ostthüringen". Seit Anfang 1997 trat die Gruppierung zunehmend unter der Bezeichnung THS auf. Sie untergliederte sich in mehrere Sektionen. Dies waren zuletzt die Sektionen Jena, Saalfeld, Sonneberg, Eisenach und die "Freie Kameradschaft Gera". Die "Sektion Eisenach" trat auch unter der Bezeichnung "Nationales und Soziales Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW) auf. Der THS war bis 2002 aktiv, danach wurden keine weiteren Aktivitäten der Gruppierung festgestellt, die auf den Fortbestand des Personenzusammenschlusses hindeuteten. 71 72 In den folgenden Jahren gingen von Polizeiund Verfassungsschutzbehörden umfangreiche Ermittlungen zur Feststellung des Aufenthalts der Untergetauchten aus. Es gelang jedoch nicht, der Flüchtigen habhaft zu werden. Die Art und Weise der Ermittlungen Rechtsextremismus der beteiligten Justizund Sicherheitsbehörden war und ist Gegenstand diverser parlamentarischer Gremien und Expertenkommissionen. Die Reaktionen der rechtsextremistischen Szene reichten von Ablehnung der Taten, da sie der Bewegung schadeten, bis hin zu befürwortenden Stimmen. Eine große Zahl an Kommentaren und sonstigen Beiträgen auf einschlägigen Internetseiten kolportierte vor allem Verschwörungstheorien hinsichtlich der mutmaßlichen Hintergründe des NSU. 4.4.6 Aktivitäten und Themenschwerpunkte der Neonaziszene Das neonazistische Spektrum ist aktionistisch ausgerichtet. Die Anhängerschaft wirkt bereitwillig an Demonstrationen mit. Sie nimmt mitunter eine weite Anreise zu Kundgebungen Gleichgesinnter im gesamten Bundesgebiet auf sich (sog. Demo-Tourismus). Das Motto der Veranstaltungen ist dabei eher von nachrangiger Bedeutung. Demonstrationen vermitteln den Anhängern ein Gemeinschaftsgefühl, das ein wichtiges Bindeglied in der ansonsten recht schwach strukturierten Neonaziszene darstellt. Thüringer Neonazis führten im Berichtszeitraum 13 eigene Demonstrationen und Kundgebungen durch, an denen sich zum Teil nur 10 bis 15 aber auch - im Falle einer Kundgebung der FKE "Opferschutz statt Täterschutz - Höchststrafe für Kinderschänder" am 8. Oktober - bis zu 90 Personen beteiligten. Im Zusammenhang mit einem Gewaltverbrechen in Zella-Mehlis initiierten örtliche Neonazis unter Verschleierung ihres politischen Hintergrunds am 25. Juni eine Demonstration, der sich etwa 700 - überwiegend nicht dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnende - Personen anschlossen. Rechtsextremistische Aktionen anlässlich des Jahrestags der Luftangriffe auf Dresden am 13./14 Februar 1945 In Zusammenhang mit dem Jahrestag organisierte das von sächsischen Rechtsextremisten betriebene "Aktionsbündnis gegen das Vergessen" eine "Aktionswoche 13. Februar". Den Schwerpunkt bildete hierbei der 19. Februar, für den u. a. Demonstrationen des "Landesverbands Sachsen/Niederschlesien" der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland e. V." (JLO) und der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) in Dresden angemeldet worden waren. Neben den vom Aktionsbündnis entfalteten bundesweiten, vornehmlich über Internet betrieben Mobilisierungsmaßnahmen richteten Thüringer Rechtsextremisten am 29. Januar eine regionale Informationsveranstaltung im Hotel "Romantischer Fachwerkhof" in Kirchheim mit etwa 30 Teilnehmern aus. Darüber hinaus kam es zu zahlreichen Propagandaaktionen durch aufgestellte Holzkreuze, Graffitis, das Anbringen von Plakaten und Rechtsextremismus Aufklebern oder die Anordnung von Teelichtern auf dem Erfurter Domplatz zu dem Wort DRESDEN. Am 13. Februar demonstrierten in Gera 26 Rechtsextremisten unter der Bezeichnung "Freie Nationalisten Gera". In Dresden sahen sich die insgesamt 3.000 Rechtsextremisten umfangreichen Gegendemonstrationen und Blockaden gegenüber, an denen sich insgesamt ca. 12.500 Personen beteiligten. Die im Vorfeld angemeldeten rechtsextremistischen Veranstaltungen konnten daher nicht wie geplant durchführt werden. Im Lauf des Tages kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen gewaltbereiten Linksund Rechtsextremisten sowie zwischen den einzelnen Gruppen und der Polizei, bei denen 89 Polizeibeamte Verletzungen erlitten. Es waren zahlreiche Festnahmen und Strafanzeigen zu verzeichnen. 73 74 Thüringer Rechtsextremisten reisten mit mindestens drei Reisebussen an. "Treffen der Generationen" Rechtsextremismus Im Berichtzeitraum fanden zwei solcher Treffen statt. Patrick WEBER, Mitglied im NPD-Landesvorstand und Inhaber des "Germania Versand"45, zeichnete für die Organisation der Veranstaltung am 7. Mai in der "Erlebnisscheune" in Kirchheim mit ca. 70 Teilnehmern verantwortlich. In diesem Zusammenhang traten ein ehemaliger Angehöriger der "Waffen SS Division Frundsberg" sowie der "Pfleger des einstigen Reichsministers Rudolf HESS" als Redner auf. Zu der im Vorfeld von WEBER initiierten Kundgebung unter dem Motto "In Gedenken an die Opfer des Deutschen Volkes - Der 8. Mai war kein Tag der Befreiung" hatte sich vorgenannter Teilnehmerkreis am Kriegerdenkmal in Kirchheim versammelt. Der Vortrag des früheren Wehrmachtsangehörigen wurde wegen des Verdachts der Volksverhetzung polizeilich unterbrochen. In Abweichung zu seinen wörtlichen Ausführungen - er hatte Formulierungen wie "Legende der sechs Millionen Toten" verwandt - hieß es in dem sichergestellten Redemanuskript: "Durch Deutsche vergast wurde bis heute kein einziger Mensch, auch und gerade nicht 1939-1945. Alle gegenteiligen Zeugenaussagen sind teils durch Folter, teils durch Schauspielerei zustande gekommen, alle!" Nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen wurde die Veranstaltung mit ca. 30 verbliebenen Personen fortgesetzt. Den Abschluss bildete ein musikalisches Programm des rechtsextremistischen Liedermachers "FYLGIEN" (Berlin). Weniger Resonanz erreichte das "Treffen der Generationen" am 12. November, zu dem sich in Unterwellenborn - nach nur mäßiger Mobilisierung - noch etwa 50 Personen versammelten. Größere Anziehungskraft ging von dem im Anschluss durchgeführten rechtsextremistischen Konzert aus, das etwa 80 Personen besuchten.46 45 Siehe Kapitel 5.3. 46 Siehe Kapitel 5.6. 5. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Die Anzahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten ist im Berichtszeitraum bundesweit auf 7.600 (2010: 8.300) Personen gesunken. Zu dem Spektrum zählen sowohl Skinheads als auch Angehörige anderer rechtsextremistischer Subkulturen47. In Thüringen konnten dem subkulturellen Spektrum ca. 300 Personen zugerechnet werden. Diese Entwicklung korrespondiert im Wesentlichen mit dem im Jahresverlauf zu beobachtenden Trend hin zu kleineren, niedrigere Teilnehmerzahlen aufweisenden Veranstaltungen und der im Berichtszeitraum insgesamt rückläufigen Anzahl rechtsextremistischer Konzerte. Der wesentliche identitätsstiftende Faktor jugendlicher Subkulturen ist die Musik. Sie ist allgegenwärtig und besitzt als zentrales Kommunikationsmittel hohen Stellenwert. Dieser Umstand wird von Rechtsextremisten gezielt zur Verbreitung ihrer Ideologie genutzt. Die Palette der verarbeiteten Musikstile (u. a. Rock, Heavy Metal, Gothic, Dark Wave, Black Metal, Hardcore, Schlager, Rockabilly, Volkslieder) ist breit. In rechtsextremistischen Liedtexten werden mit höchst unterschiedlicher Deutlichkeit rassistische, antisemitische, menschenverachtende oder gewaltverherrlichende Ansichten propagiert, staatliche Institutionen verunglimpft oder die nationalsozialistische Gewaltherrschaft glorifiziert. Dadurch geschürte Feindbilder prägen dann die häufig noch ungefestigten Rechtsextremismus ideologischen Einstellungen der meist jugendlichen Konsumenten. Konzertveranstaltungen einschlägiger Bands erzeugen bei den Besuchern ein Gefühl der Gemeinschaft und Stärke. Auch auf Jugendliche, die der Szene noch nicht fest angehören, sondern sich vorerst in deren Umfeld bewegen, üben die konspirativen, oft illegalen und damit nicht alltäglichen Veranstaltungen eine besondere Anziehungskraft aus. 5.1 Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppierungen Subkulturell geprägte Rechtsextremisten sind überwiegend abgeneigt, sich in feste und auf Dauer angelegte Organisationsstrukturen einzugliedern. Deshalb bestehen auch kaum institutionalisierte 47 Unter Subkultur ist im soziologischen Sinne eine Gruppenkultur innerhalb einer umfassenden Kultur oder Gesellschaft zu verstehen, die eigene Verhaltensnormen entwickelt. Die Normen bilden sich aus Überzeugungen, Werthaltungen oder Ideologien heraus, die von der Gesamtkultur abweichen. Die Skinheadszene stellt eine eigenständige jugendliche Subkultur dar. 75 76 Kontakte zu rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen. Es gibt jedoch Kontakte auf regionaler und lokaler Ebene, die sich insbesondere auf die NPD erstrecken und vor allem von persönlichen Verbindungen abhängen. Rechtsextremismus Im Laufe der letzten Jahre bewegten sich das subkulturell geprägte und das neonazistische Spektrum immer stärker aufeinander zu. Es bildeten sich in größerem Umfang sog. Mischszenen heraus oder Skinheadcliquen und neonazistische Kameradschaften verschmolzen miteinander. Die Gründe hierfür liegen in den offeneren Strukturen der Neonazis, die oftmals in "unabhängigen Kameradschaften" agieren und somit der Organisationsunwilligkeit vieler subkulturell geprägter Rechtsextremisten entgegenkommen. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten lassen sich immer wieder für Versammlungen der Neonazis oder auch der NPD mobilisieren, wenn sie neben der üblichen Szenepropaganda auch rechtsextremistische Musikdarbietungen umfassen. Darüber hinaus wurden einzelne rechtsextremistische Musikveranstaltungen als Parteiveranstaltungen deklariert, um so behördlichen Maßnahmen entgegenzuwirken. Bei diesen Veranstaltungen traten oft mehrere rechtsextremistische Bands auf. Das Publikum entstammte zu einem großen Teil dem subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum. Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen Zugehörigkeit zur "White-Power"-Bewegung48 und weitgehend übereinstimmenden Feindbildern basiert. Einschlägige Bands aus dem Ausland - insbesondere aus Großbritannien und den USA - sind auch bei deutschen Rechtsextremisten beliebt. Entsprechende Gruppen treten regelmäßig bei Konzerten in Deutschland auf. Im Gegenzug beteiligen sich deutsche Bands an Veranstaltungen im Ausland. Zum Teil werden auch Tonträger speziell für den englischsprachigen Markt produziert. Volksverhetzende fremdsprachige Tonträger finden in Deutschland weiterhin starke Verbreitung. Dementsprechend ist der Einfluss rechtsextremistischer Musik aus dem Ausland - trotz möglicher Sprachbarrieren - hoch. 48 Das Schlagwort "White Power" symbolisiert die rassistische Einstellung der rechtsextremistischen Skinheads. Sie sehen sich als "Krieger der weißen Rasse" an. 5.2 Erscheinungsformen, Botschaften und Wirkung rechtsextremistischer Musik Die rechtsextremistische Musikszene geht inzwischen weit über die Subkultur der Skinheads hinaus und reicht zunehmend auch in die von Rechtsextremisten besetzten Randbereiche der "Hardcore"und "Black Metal"-Szene hinein. Die einzelnen Subkulturen weisen durchaus Ähnlichkeiten auf, sei es im Hinblick auf die Wirkung ihrer Musik, die Verbreitung ihrer CDs oder die Organisation von Konzerten. Dennoch haben sie hinsichtlich ihres Erscheinungsbilds und Selbstverständnisses nur wenig gemein. Das früher häufig anzutreffende Skinheadoutfit, das von kahlrasierten Köpfen ("Glatzen"), Springerstiefeln und Bomberjacken gekennzeichnet war, ist heute eher selten auszumachen. Mittlerweile lassen Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt keine eindeutigen Schlüsse mehr auf die Zugehörigkeit zum subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum zu. So haben inzwischen auch unpolitische Jugendliche das für Skinheads vermeintlich typische Äußere angenommen. Im Gegenzug verwenden Rechtsextremisten in ihrem äußeren Erscheinungsbild Stilelemente des jugendlichen Mainstreams. Im subkulturell geprägten rechtsextremistischen Spektrum herrschen teilweise auf das Gedankengut der Nationalsozialisten ausgerichtete Ansichten vor, die von nationalistischen, rassistischen, Rechtsextremismus antisemitischen und gegen Andersdenkende gerichteten Vorurteilen bestimmt sind. Eine fest gefügte Weltanschauung besteht zumeist nicht. Viele Texte handeln vordergründig von der Rückbesinnung auf althergebrachte Werte und Normen oder dem germanischen Brauchtum. Es werden aber auch gesellschaftspolitische Themen der Gegenwart aufgegriffen. Neben der Ablehnung der bestehenden Verhältnisse übt man sich in Kapitalismusund Globalisierungskritik. In einigen Veröffentlichungen kommt zudem die in der Szene verbreitete antiamerikanische Haltung zum Ausdruck. So seien sämtliche derzeit herrschende Krisen, Terror und Krieg einzig dem ausgeprägten Machtstreben der USA geschuldet. 77 78 Rechtsextremismus Teils in offener Hetze, oft aber auch verbrämt, geht es in den Texten beispielsweise um: * Verherrlichung des Skinheaddaseins (z. B. Männlichkeitsritus, Alkoholgenuss), * Kampfansage an die bürgerliche Gesellschaft, den politischen Gegner, staatliche Institutionen, * Verharmlosung der Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg, Sympathie zu HITLER, * Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, * Propagierung eines Führerstaats, * Aufbau und Pflege szenetypischer Feindbilder, fremdenund ausländerfeindliche Hetze, * Aufrufe zum Widerstand, vor allem gegen staatliche Institutionen, und * Überwindung des demokratischen Systems. Die Vorliebe für rechtsextremistische Musik trägt nicht selten dazu bei, Jugendliche rechtsextremistisch zu sozialisieren. Die Hassund Gewaltparolen, die Gruppendynamik und die Alkoholexzesse erzeugen "rechtsextremistische Erlebniswelten". Sie können Jugendliche nachhaltig anregen, rechtsextremistische Feindbilder zu übernehmen oder diese zu verfestigen. Somit kann rechtsextremistische Musik verhaltensprägend wirken und für das rechtsextremistische Spektrum einnehmen. Im vergangenen Jahr erschien mit der CD "Sprachgesang zum Untergang", einem gleichnamigen Projekt der Musikgruppe "Eternal Bleeding", ein Tonträger, der auf dem für die rechtsextremistische Szene untypischen Musikstil des Hip Hop basiert. Insbesondere wegen seiner afroamerikanischen Herkunft ist dieses Genre dort umstritten. In einem bereits 2007 bekannt gewordenen Interview sprach sich der Sänger der Band für einen "nationalen Hip Hop" aus, da "es halt ein Jugendtrend ist" und aus seiner Sicht "nur der Inhalt und die Botschaft zählen". Auch in diesem Jahr waren zwei Titel von "Sprachgesang zum Untergang" auf CD-Samplern vertreten. 5.3 Produktionsund Vertriebsstrukturen Rechtsextremistische Musik wird größtenteils in von Szeneanhängern gewerbsmäßig betriebenen Labels produziert. Für gewöhnlich sind diesen Labels Vertriebe angeschlossen. Im Freistaat bestehen derartige Strukturen z. B. über "W & B Records" (Fretterode) und "Germania Records" (Sondershausen). Beide Labels brachten in der Vergangenheit verschiedene "Eigenproduktionen" oder auch Sampler von rechtsextremistischen Bands bzw. Liedermachern heraus. Über die zugehörigen Vertriebe werden diese und andere einschlägige Tonträger angeboten. Sie dienen zudem als Informationsbörse, halten z. B. Veranstaltungshinweise vor oder veröffentlichen Interviews von Szenemusikern. Daneben existieren weitere kleine Labels, die in der rechtsextremistischen Szene jedoch nicht über eine vergleichbare Bekanntheit verfügen. Die Zahl der rechtsextremistischen Vertriebe, die in größerem Umfang Tonträger und sonstige Szeneartikel anbieten, ist im Berichtszeitraum auf bundesweit 91 (2010: 87) gestiegen. In ThüRechtsextremismus ringen wurden im Jahresverlauf Aktivitäten 12 solcher Vertriebe bekannt. Die Versandhandel offerieren ihr Sortiment vorwiegend über das Internet. MP3-Dateien können von Internettauschbörsen heruntergeladen werden. Strafrechtlich relevante Tonträger werden vor allem im Ausland produziert und von dort aus auch vertrieben. Im Zuge der Kommerzialisierung dieser Einrichtungen wurde das anfangs auf Tonträger konzentrierte Angebot um Videos, Bücher, Fahnen, Bekleidung, Schuhe/Stiefel, Schmuck etc. ergänzt. Das Sortiment ist auch in sog. Szene-Läden sowie bei Kleinund Kleinsthändlern erhältlich. Diese wickeln als "fliegende Händler", beispielsweise bei rechtsextremistischen Konzerten, spontan Geschäfte mit kleinen Stückzahlen ab. Sie bedienen lediglich die jeweilige regionale Szene - auch mit strafrechtlich relevanter Ware. 79 80 5.4 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer Konzerte im Allgemeinen Die oft als überregionale Treffen organisierten Konzerte dienen Rechtsextremismus neben der Wahrnehmung geschäftlicher Interessen als Freizeiterlebnis, um Kontakte zu pflegen, Informationen auszutauschen und die Vernetzung der strukturschwachen Szene zu fördern. Auf das restriktive Vorgehen der Behörden gegen diese Musikveranstaltungen reagiert die Szene mit teils konspirativen Methoden bei deren Planung und Durchführung. Die Konzertdaten werden in der Regel nicht öffentlich bekannt gegeben. Werbung erfolgt vorwiegend per SMS, über Telefonketten, Mailinglisten, per Post sowie durch Mundpropaganda. Die Organisatoren verbergen meist ihre wahren Absichten, wenn sie Räumlichkeiten mieten und die Veranstaltungen gegenüber den Ordnungsbehörden anzeigen. So täuschen sie beispielsweise vor, Familienfeiern, Klassentreffen oder Geburtstagsfeiern mit Livemusik vorzubereiten. Nicht selten werden Personen mit der Anmietung betraut, die weder öffentlich als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten noch bei Polizeiund Ordnungsbehörden einschlägig bekannt sind. Oft wird behauptet, eine "geschlossene Veranstaltung" mit "geladenen Gästen", nicht jedoch ein Konzert zu planen. Hinzu kommen von der NPD angemeldete Veranstaltungen, die durch Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen Konzertcharakter erlangen. Manche Organisatoren gehen inzwischen auch dazu über, ihre Konzertveranstaltungen bei den zuständigen Behörden anzuzeigen, um schon im Vorfeld das Risiko einer behördlichen Auflösung oder gar Verhinderung zu minimieren. Zugleich verlieren derart offizielle Konzerte auf Dauer an Attraktivität, insbesondere bei den vorrangig erlebnisorientierten Szeneanhängern. Die Veranstalter erheben in der Regel ein Eintrittsgeld zwischen 10 und 20 Euro. Davon werden die Gagen der auftretenden Bands gezahlt, die in Abhängigkeit von deren Bekanntheitsgrad durchaus im hohen dreistelligen Bereich liegen. Der dem Veranstalter verbleibende Anteil ist nur schwer zu beziffern. In vielen Fällen dürfte er zumindest seinen Lebensunterhalt aufbessern. Nicht unerhebliche Einnahmen werden darüber hinaus durch den Verkauf von CDs und Devotionalien erzielt. Mitunter begehen Besucher und/oder Bandmitglieder während oder im Umfeld der Konzerte Straftaten, bei denen es sich vorrangig um Propagandadelikte handelt. Vereinzelt werden Lieder mit fremdenfeindlichen und antisemitischen Texten gesungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung nach SS 130 Strafgesetzbuch erfüllen. Insbesondere bei Konzerten, die von der Polizei aufgelöst oder verhindert werden, kommt es infolge des erhöhten "Frustpotenzials" bei Teilnehmern und Organisatoren gelegentlich zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. 5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen Folgende 17 Bands (2010: 17), die im Berichtsjahr entweder bei einschlägigen Veranstaltungen auftraten oder auch neue Tonträger veröffentlichten, werden als rechtsextremistische Musikgruppen klassifiziert: * "12 Golden Years" - Apolda, * "Bloodline"49, * "Bloody Memory" - Altenburg, * "Brainwash" - Altenburg/Dresden, * "Eternal Bleeding" (mit Projekt "Sprachgesang zum Untergang" - SzU) - Altenburg, * "Eugenik" - Gera, * "Isolfur" - Gera, * "Kinderzimmerterroristen" (KZT) - Raum Suhl, Rechtsextremismus * "Last Man Standing" - Raum Erfurt, * "Moshpit" - Altenburg/Dresden, * "Ostfront" - Gera, * "PAK 88" (mit "Projekt W.") - Erfurt, * "Radikahl" (nur noch Sänger) - Weimar, * "SKD" (mit Projekt "Under the Black Sun") - Gotha, * "System Infarkt" - Raum Ilmenau, * "Totenburg" - Gera, * "Unbeliebte Jungs" - Sonneberg. Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Ausrichtung waren bei den Bands "Die JungZ", "Hermunduren", "I don't like you", "MG 42" und "Old Glory" gegeben. Sie wurden daher als Verdachtsfälle bewertet. 49 Die Bandmitglieder stammen aus Artern (Thüringen), Querfurt (Sachsen-Anhalt) und Obernfeld (Niedersachsen). 81 82 Wenngleich Bands mitunter nur kurze Zeit bestehen, sich nach einer Veröffentlichung und einigen Auftritten wieder trennen, anders formieren oder in neuen Projekten aufgehen, halten sich Auflösungen und Neugründungen in etwa die Waage. Rechtsextremismus Ihre Botschaften unterlegen die Bands mit unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen, angefangen vom typischen "R.A.C."50 oder eingängigen Melodien bereits bekannter Stimmungslieder und Schlager, für die neue bzw. umgeschriebene Texte verwandt werden, bis hin zu diversen Heavy Metal-Richtungen, die dann als "National Socalist Hardcore" (NSHC)51 oder "National Socialist Black Metal" (NSBM)52 bezeichnet werden. Überregionale Bedeutung erlangten "12 Golden Years", "Brainwash", "Moshpit" und "Radikahl" mit diversen Auftritten auch außerhalb Thüringens. Zudem traten andere Bands ausschließlich in den angrenzenden Bundesländern auf. Einzelne Musiker wirken in mehreren Bands mit oder stammen, wie im Falle von "Moshpit" und "Brainwash", aus verschiedenen Bundesländern. Mitunter schließen sich Mitglieder verschiedener Bands vorübergehend zu Projekten zusammen und absolvieren Live-Auftritte oder spielen eigene Tonträger ein. Bei Konzerten oder Studioaufnahmen werden fehlende Positionen der Stammbesetzung oft durch Musiker anderer Bands kompensiert. Im Gegensatz zu den rechtsextremistischen Bands beschränkten sich die Darbietungen rechtsextremistischer Liedermacher in den meisten Fällen auf das musikalische Rahmenprogramm von Kameradschaftsabenden, NPD-Parteiveranstaltungen oder auch Demonstrationen. Insgesamt agieren sie weniger öffentlichkeitswirksam als einschlägige Bands. In Thüringen beteiligte sich lediglich "Torstein"53 mit zwei Titel an dem Sampler "Aus dem Vergessen - Teil II". CD-Neuveröffentlichungen von rechtsextremistischen Liedermachern aus Thüringen wurden nicht bekannt. 50 "R.A.C.": "Rock against Communism" (Rock gegen Kommunismus), Rockmusik mit rechtsextremistischen Texten. 51 Als Weiterentwicklung des "Hardcore" der amerikanischen Punk-Bewegung der 1970er Jahre entstand in den 1990er Jahren der Musikstil "Hatecore". Seine Anhänger sehen in einer gesunden Lebensweise die Voraussetzung zur Schaffung eines gesunden "Volkskörpers". Die Grenzen zum NSHC sind fließend, weshalb die Szene ein ideales Rekrutierungsfeld für Rechtsextremisten ist. Liedtexte dieser Bands sind häufig rassistisch, antisemitisch sowie ausländerund demokratiefeindlich. 52 Die Stilrichtung des "Black Metal" transportiert antichristliche, lebensfeindliche, satanistische oder heinische Inhalte und bietet damit auch Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Positionen, insbesondere die judenund christenfeindliche Ausrichtung ist hierfür ausschlaggebend. Die Zuspitzung dieser Tendenzen im rechtsextremistischen Sinne ist der sog. NSBM. 53 Torsten HERING. 5.6 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen Die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte in Thüringen lag im Jahr 2011 weit unter dem Niveau des Vorjahrs. Von insgesamt fünf stattgefundenen Konzerten wurde eines polizeilich aufgelöst. Darüber hinaus mag es einzelne Veranstaltungen gegeben haben, die weder innernoch außerhalb der Szene größere Bekanntheit erlangten. Statistik rechtsextremistischer Konzerte in Thüringen: Thüringen Bund 2011 2010 2009 2011 stattgefunden 5 13 10 131 davon aufgelöst 1 3 3 3 verhindert 0 3 4 13 Bevorzugte Veranstaltungsstätte war ein Objekt in Unterwellenborn54 und nicht, wie in den vergangenen Jahren, die "Erlebnisscheune" in Kirchheim. Allein vier Konzerte sind nach behördlicher Anmeldung dort ausgerichtet worden. Eine andere Veranstaltung wurde als private Feierlichkeit organisiert. Bedingt durch den Verfolgungsdruck der Behörden erwiesen sich die Versuche, Konzerte Rechtsextremismus konspirativ vorzubereiten, weiter als rückläufig. Rund zwei Drittel aller rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen in Deutschland fanden in den neuen Bundesländern statt. Hinsichtlich der Anzahl durchgeführter Konzerte rangiert Thüringen im Vergleich der neuen Bundesländer auf Platz fünf, im Bundesvergleich an neunter Stelle. Rechtsextremistische Musik und damit verbundene Veranstaltungen sind insbesondere in den neuen Bundesländern populär. Speziell Thüringen weist aufgrund seiner zentralen geografischen Lage sowie des großen Angebots an preisgünstigen oder leer stehenden Gebäuden eine Infrastruktur auf, die sowohl für die Veranstalter der Konzerte als auch die anreisenden Teilnehmer von Vorteil ist. 54 Bei diesem Objekt handelt es sich um das ehemalige Materialforschungslabor der Maxhütte Unterwellenborn. 83 84 An den Veranstaltungen beteiligten sich im Berichtszeitraum zwischen 30 und 180 Personen, die oft auch aus den angrenzenden Bundesländern angereist waren. Die Konzerte wurden im Durchschnitt von etwa 100 Personen besucht. Dieser Wert liegt damit Rechtsextremismus weiterhin unter dem bundesweiten Durchschnitt (ca. 150 Personen). Etwa die Hälfte aller bundesweiten Veranstaltungen zog bis zu 100 Personen an. In Anbetracht eines bei einer Großveranstaltung drohenden Verbots und der damit verbundenen finanziellen Einbußen gingen die Veranstalter dazu über, mehrere kleine Konzerte auszurichten. Zugleich sank damit aber auch die Bereitschaft der Teilnehmer, gelegentlich weitere Anfahrtswege in Kauf zu nehmen. Insgesamt wies die hiesige Szene nur eine geringe Fluktuation auf, ihr Kern blieb weitestgehend bestehen. Übersicht zu rechtsextremistischen Konzertaktivitäten:55 Nr. Datum Ort Teilneh(angekündigte) Bands merzahl z.T. geschätzt 1 03.09.11 Unterwellen120 "Old Glory", "I don't born like you", "Selbststeller" (Sachsen) und eine weitere unbekannte Band 2 10.09.11 Unterwellen80 "Die JungZ", "Old Glory", born "Verboten" (Sachsen), "Last Riot" (Sachsen-Anhalt) und "Ostfront" 3 12.11.11 Unterwellen80 "Barny"56 (Sachsen), born "Projekt W." und "Bisson & Anna" (Schweden) 4 26.11.11 Schmalkalden 30 vermutlich "Hermunduren", (aufgelöst) "MG 42" und "Torstein" (Zu den polizeilich festgestellten Personen zählten auch Mitglieder der o. g. Bands.) 5 10.12.11 Unterwellen180 "Die JungZ", "Preussenborn stolz" (Brandenburg), "Sleipnir" (Nordrhein-Westfalen) und "Ostfront" 55 Thüringer Bands wurden fett gedruckt. 56 Mirko SZYDLOWSKI. Rechtsextremistische Bands und Liedermacher traten in Thüringen zudem auch bei den folgenden Veranstaltungen der NPD und der Neonazis auf:57 Nr. Datum Art und Ort TeilnehBands/Liedermacher merzahl 1 07.05.11 "4. Treffen der 70 "Fylgien"58 (Berlin) Generationen" in Kirchheim 2 04.06.11 Demonstration 750 "Kinderzimmerterroristen", "10. Thüringen"Nordglanz" (Hessen), tag der "Words of Anger" nationalen (Schleswig-Holstein), Jugend" in "Sleipnir" (Nordrhein-WestSondershausen falen) und Frank RENNICKE (Bayern) 3 06.08.11 NPD-Veranstal670 "Radikahl", "Selektion" tung "Rock für (Sachsen-Anhalt), "Burning Deutschland" Hate" (Bayern), "National in Gera Born Haters" (Bayern), "Ferox" (Schweden), "Barny" (Sachsen) und "Brutal Attack" (Großbritannien) 4 03.09.11 "NPD Eichs350 "Oidoxie" (Nordrhein-Westfeldtag" in falen), "Words of Anger" Leinefelde (Schleswig-Holstein), "Die Lunikoff VerschwöRechtsextremismus rung" (Berlin) - ohne ihren Sänger Michael REGENER, "Torstein" und "Fylgien" (Berlin) 5 05.11.11 Saalveranstal120 Marco BARTSCH tung des JN(Nordrhein-Westfalen) Bundsverbands in Kirchheim 57 Thüringer Bands und Liedermacher wurden fett gedruckt. 58 Sebastian DÖHRING. 85 86 6. Immobiliennutzung und Internetaktivitäten von Rechtsextremisten Rechtsextremismus 6.1 Von Rechtsextremisten genutzte Immobilien in Thüringen Rechtsextremisten entwickeln zunehmend Aktivitäten, um in den Besitz eigener Immobilien zu gelangen. Sie verbinden damit insbesondere die Erwartung, durch Schaffung ständig verfügbarer Anlaufstellen örtliche Strukturen festigen und sich ungehindert zu internen Treffs versammeln zu können. Ihr Interesse richtet sich vornehmlich auf preisgünstige, auch ländlich gelegene Objekte, die idealerweise für Großveranstaltungen geeignete Räumlichkeiten aufweisen. "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'" Bei der "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'", auch "Braunes Haus" genannt, handelt es sich um eine seit dem Jahr 2002 von Thüringer Rechtsextremisten genutzte Immobilie in Jena-Lobeda. Bis zu der im August 2009 wegen baulicher und brandschutztechnischer Mängel behördlich verfügten Schließung des Gebäudes fanden dort Vortragsabende, Kameradschaftstreffen, Schulungen und Liederabende statt. Zudem diente es sowohl dem örtlichen NPD-Kreisverband als auch den JN als Geschäftsstelle. Im Berichtszeitraum wurde die Anschrift des "Braunen Hauses" auf einigen rechtsextremistischen Internetseiten im Impressum angegeben. Das "Braune Haus" verfügt über eine eigene Internetpräsenz, die zuletzt jedoch nicht mehr gepflegt wurde. Vormals sorgten Auftritte von Szenegrößen sowie Liederabende durchaus für einen auch überregionalen Bekanntheitsgrad des "Braunen Hauses". Die zentrale Lage und gute Erreichbarkeit des Objekts verbunden mit der bis 2009 möglichen Nutzung zu Wohnund Veranstaltungszwecken begründeten darüber hinaus die aus Szenesicht besondere Attraktivität der Liegenschaft. Nach der behördlichen Räumung und Schließung des Objekts fanden einzelne Szeneveranstaltungen, darunter ein Liederabend Ende Juli sowie Treffen zur Pflege "germanischen Brauchtums", in dem dazugehörigen Außenbereich, dem sog. Braunen Garten, statt. "Schützenhaus" in Pößneck Die "Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited" hatte bei einer Grundstücksversteigerung am 13. Dezember 2003 den Zuschlag für das ehemalige Kreiskulturhaus erhalten und dieses für einen Kaufpreis von 360.000 Euro erworben. Der Rechtsextremist Jürgen RIEGER war bis zu seinem Tod im Oktober 2009 geschäftsführender Direktor der o. g. nach britischem Recht im Londoner Handelsregister eingetragenen Gesellschaft. Die Immobilie diente der rechtsextremistischen Szene in der Vergangenheit aufgrund der großzügigen Freifläche u. a. zur Durchführung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen und als logistische Basis. In Verbindung mit dem 2005 dort ausgerichteten NPD-Landesparteitag kam es zu einem Skinheadkonzert mit über 1.000 Teilnehmern. Aufgrund der bereits am 23. März 2009 gerichtlich verfügten Nutzungsuntersagung war das Gebäude für derartige Szenetreffen nicht mehr verfügbar. Auf dem dazugehörigen Außengelände fand zuletzt im Juli 2010 ein rechtsextremistisches Konzert statt. Im Zuge der Klärung des Nachlasses von RIEGER bot sich der Stadt Pößneck 2011 Gelegenheit, das Objekt zum Verkehrswert Rechtsextremismus von 180.000 Euro käuflich zu erwerben. Am 7. Juni erfolgte die Unterzeichnung des Kaufvertrags, am 16. Juni wurde dieser durch entsprechenden Stadtratsbeschluss wirksam. "Erlebnisscheune" in Kirchheim Seit Februar 2009 nutzen Rechtsextremisten das Objekt "Romantischer Fachwerkhof" mit der angeschlossenen "Erlebnisscheune" für ihre Veranstaltungen. Fanden im vergangenen Jahr allein sechs rechtsextremistische Konzerte sowie Parteitage des NPD-Landesverbands Thüringen und weitere Veranstaltungen mit rechtsextremistischem Bezug in dem Objekt statt, konnten im Berichtzeitraum nur fünf öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen in Kirchheim mit zum Teil nur wenigen Teilnehmern festgestellt werden. Ein rechtsextremistisches Konzert fand 2011 dort nicht statt. 87 88 Immobilienerwerb in Guthmannshausen Eine als Privatperson auftretende Käuferin erwarb im Mai 2011 eine zuvor in Landesbesitz befindliche Immobilie in GuthmannsRechtsextremismus hausen/Landkreis Sömmerda (ehemaliges Rittergut). Seit August 2011 ist sie als Eigentümerin des Areals im Grundbuch eingetragen. Hinweise auf Verbindungen der Käuferin zum rechtsextremistischen Spektrum lagen zum Zeitpunkt des Verkaufs nicht vor. Im Nachhinein wurde bekannt, dass sie seit 2010 dem rechtsextremistischen Verein "Gedächtnisstätte e. V." als Mitglied angehören soll. Der Verein wurde im Mai 1992 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet. Gemäß Satzung verfolgt er das Anliegen, eine "würdige Gedächtnisstätte für die Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Bomben, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern" zu betreiben. Von Beginn an engagierten sich bekannte Rechtsextremisten und Holocaustleugner wie Ursula HAVERBECKWETZEL59 (Nordrhein-Westfalen) in dem Verein. Sie stand ihm bis Februar 2003 vor. Danach übernahm Klaus-Wolfram SCHIEDEWITZ (Niedersachsen) diese Funktion. Von 2007 bis 2009 lag der Wirkungsschwerpunkt des Vereins in Borna (Sachsen). Als das dort genutzte Objekt von der Eigentümerin Ende 2009 jedoch veräußert wurde, zog man sich aus der Region zurück. Der Verein "Gedächtnisstätte e. V." führte im September 2011 erstmals eine Veranstaltung im Objekt in Guthmannshausen durch. Dabei soll Ursula HAVERBECK-WETZEL zur Thematik "Die Vertragsbrüche der Bundesregierung" referiert haben. Ähnlich wie in Borna scheint eine gelegentliche Nutzungsüberlassung der Immobilie an andere rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse nicht ausgeschlossen. 59 Ehemalige Vorsitzende bzw. stellvertretende Vorsitzende der vom BMI 2008 verbotenen Vereine "Collegium Humanum" (CH) und "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV). So wurde bereits im Zusammenhang mit der Bekanntgabe, dass man im "Herrensitz auf dem ehemaligen Rittergut Guthmannshausen" eine "neue Heimstatt gefunden" habe, angekündigt, diese auch der SJ60 zur Verfügung stellen zu wollen. Der Freistaat Thüringen hat den Kaufvertrag mit Schreiben vom 21. Dezember aufgrund arglistiger Täuschung angefochten. Zeitgleich wurde beim Landgericht Erfurt Klage zur Grundbuchberichtigung und Herausgabe des Grundstücks eingereicht. Immobilienerwerb in Marlishausen Fabian RIMBACH, Vorsitzender sowohl der SJ-Bund als auch der SJ-Thüringen61, erwarb im November 2011 die ehemalige Bahnhofsgaststätte in Marlishausen/Ilmkreis. Neben einem Gastraum mit etwa 50 Sitzplätzen steht ein Saal für Veranstaltungen mit bis zu 120 Personen zur Verfügung. Die Immobilie umfasst zudem eine Pension mit 10 Zimmern und insgesamt 24 Betten. Während einer in dem Objekt ausgerichteten öffentlichen Faschingsveranstaltung am 4. Februar äußerte sich RIMBACH zu seinen Nutzungsabsichten. Demnach werde die Inbetriebnahme des Lokals und der Pensionsräume sukzessive, offenbar nach Stand der Renovierungsarbeiten, erfolgen. Immobilienerwerb in Crawinkel Rechtsextremismus Im Dezember 2011 erwarben zwei Rechtsextremisten eine in der Gemeinde Crawinkel/Landkreis Gotha befindliche Immobilie mit angeschlossener Gaststätte. Bei dem Objekt handelt es sich um ein Gebäude mit Freiund Landwirtschaftsfläche. Das Grundstück ist mit einem Wohnund Geschäftshaus und dazugehörigem Nebengelass bebaut. Sowohl die Käufer als auch zwei weitere Thüringer Rechtsextremisten, darunter ein Mitglied der rechtsextremistischen Band "Sonderkommando Dirlewanger" (SKD), nutzen das Objekt als Wohnsitz. 60 Siehe Kapitel 4.4.4. 61 Ebenda. 89 90 Erste Hinweise, dass dort möglicherweise ein Szenebzw. Veranstaltungstreff für Rechtsextremisten entstehen könnte, ergaben sich, als die Band SKD ein für den 4. Februar 2012 geplantes Konzert im Raum Zürich abgesagte und stattdessen einen Auftritt in Rechtsextremismus ihrer Heimat Thüringen ankündigte. Die für besagten Termin behördlich angezeigte private Geburtstagsfeier kam nicht zur Durchführung. Aufgrund zahlreicher überregionaler Anreisen sowie mitgeführter Bandutensilien wurde der private Charakter der Veranstaltung in Zweifel gezogen. Die bereits anwesenden 93 Personen aus Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen wurden mit Platzverweisen belegt. Im Februar 2012 machte die Gemeinde Crawinkel - gestützt auf das Denkmalschutzrecht - ihr Vorkaufsrecht geltend. Hiergegen legten die Käufer Widerspruch ein. 6.2 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten Vor allem die NPD und das neonazistische Spektrum nutzen diese Plattform, um sich bestmöglich in Szene zu setzen und mit ihrer Propaganda kostengünstig einen größtmöglichen Adressatenkreis zu erreichen. Darüber hinaus bedienen sich auch rechtsextremistische Vertriebe des Internets, um über Online-Shops Tonträger, Literatur, Kleidung und andere Szenedevotionalien zu vertreiben. Im Jahresverlauf waren in Thüringen über 60 Websites mit rechtsextremistischen Bezügen abrufbar. Dabei tauchten regelmäßig neue Websites auf, andere verschwanden wieder. Nur knapp die Hälfte der einschlägigen Internetpräsentationen wurde mehr oder weniger regelmäßig aktualisiert. Der Personenkreis, der sich aktiv an der Gestaltung der Websites beteiligt bzw. in Diskussionsforen eigene Beiträge einstellt, blieb relativ überschaubar. Zahlreiche Websites bieten ein umfangreiches Repertoire an Informationen, die oft einen klaren regionalen Bezug aufweisen. Andere wiederum werden lediglich anlassbezogen betrieben, um z. B. für Veranstaltungen zu mobilisieren und später meist bebilderte Verlaufsberichte einzustellen. Darüber hinaus hinterlassen zahlreiche Rechtsextremisten des Freistaats ihre "Visitenkarten" in "Online-Communities". Im Zuge des "Mitmachinternets" gibt es vornehmlich im Neonazibereich auch zunehmend Präsentationen, die eine aktive Mitwirkung an Diskussionsprozessen anbieten. So sind zahlreiche Homepages mit Diskussionsforen verknüpft oder ermöglichen es, Beiträge online zu kommentieren. Von den rechtsextremistischen Parteien in Thüringen nutzt insbesondere die NPD die Möglichkeiten des Internets. Nicht nur der NPD-Landesverband, sondern auch der überwiegende Teil der Kreisverbände betreibt eigene, allerdings in unterschiedlichem Maße aktualisierte Websites. Neben der Benennung des Vorstands, Terminhinweisen zu Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene und einer Rubrik "Aktuelles" verweisen externe Links auf weitere rechtsextremistische Websites oder zu "Lokalbzw. Kampagnenseiten" auch außerhalb der rechtsextremistischen Szene. Annähernd ein Drittel der rechtsextremistischen Websites entfällt in Thüringen auf den Musikbereich und hier wiederum überwiegend auf Mailorder. Zu den bedeutendsten Vertrieben für rechtsextremistische Devotionalien zählen der "W & B Versand" in Fretterode, der auch für das monatlich aktualisierte Online-Magazin "WB Magazin" verantwortlich zeichnet, und der "Germania Versand" in Sondershausen.62 Neben weiteren Firmen präsentieren sich noch einzelne Personen und rechtsextremistische Musikgruppen im Netz. Rechtsextremismus Ein großer Teil der Websites ist dem neonazistischen Spektrum zuzurechnen. Hier präsentieren sich verschiedene Gruppierungen des selbst ernannten "Nationalen Widerstands", "Freie" oder "Autonome Nationalisten" (AN). Sonderbzw. Aktionsseiten werden eigens zu aktuellen Anlässen - wie dem "Thüringentag der nationalen Jugend" oder dem "Fest der Völker" - angelegt. Sie werden insbesondere im Vorfeld einer Veranstaltung stetig aktualisiert und später mit einem Veranstaltungsbericht abgeschlossen. In den redaktionellen Bereichen der Websites werden Strafgesetze nur selten verletzt. Über das Internet findet nach wie vor rechtsextremistisches Gedankengut mehr oder weniger ungehindert Verbreitung. Insbesondere auf Jugendliche wirken ansprechende Websites mit multimedialen Elementen (z. B. Spiele, Bilder, Musik und Videosequenzen), aber 62 Siehe Kapitel 5.3. 91 92 auch der Reiz des Verbotenen anziehend. Zum Schutz vor rechtsextremistischer Propaganda bedarf es einer Medienkompetenz, deren Entwicklung gesamtgesellschaftlich gefördert werden muss. Exekutivmaßnahmen gegen Betreiber von Websites mit strafbarem Rechtsextremismus Inhalt, Sperrung, Löschung oder Filtersoftware können nur einen Beitrag zum Schutz der Jugend vor Meinungsmanipulation leisten, der zwingend von umfassenden Aufklärungsmaßnahmen flankiert werden muss. 7. Sonstige rechtsextremistische Gruppierungen Im Berichtszeitraum traten wiederholt überregional aktive rechtsextremistische Gruppierungen in Erscheinung, die den Freistaat wegen seiner zentralen Lage für ihre Tagungen bevorzugten. Die Veranstaltungsteilnehmer reisten überwiegend aus anderen Bundesländern an. Das Spektrum der im Folgenden dargestellten Gruppierungen reicht vom germanisch-heidnischen über den neonazistischen bis hin zum "intellektuellen" Rechtsextremismus. "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG - GGG) Die 1951 gegründete germanisch-heidnische AG - GGG hat ihren Sitz in Berlin. Sie stand lange Jahre unter der Leitung des 2009 verstorbenen Rechtsextremisten Jürgen RIEGER. Seine Nachfolge trat inzwischen Axel SCHUNK (Bayern) an. Die AG - GGG versteht sich als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart bewahren, erneuern und weiterentwickeln" will und verbindet dabei germanisch-heidnische Glaubensansätze mit rassistischen Vorstellungen und Zielen. Von ihren bundesweit ca. 150 Mitgliedern sind etwa 10 in Thüringen ansässig. Sie gibt die "Nordische Zeitung" sowie eine Schriftenreihe heraus und verfügt über eine eigene Website. Ihre regelmäßigen überregionalen "Gemeinschaftstagungen" zu den Tagund Nachtgleichen sowie den Sommerbzw. Wintersonnenwenden führte die AG - GGG auch 2011 in Nordthüringen durch. Die in geschlossenen Veranstaltungen abgehaltenen Zusammenkünfte kommen dem äußeren Anschein nach Volksfesten oder geselligen Familienveranstaltungen gleich. Unter Vorgabe germanischer Brauchtumspflege wird eine "Lagerfeuerromantik" inszeniert, die das Interesse insbesondere junger Teilnehmer an dem eindeutig rechtsextremistischen Regelwerk der "Artgemeinschaft" wecken soll. Ihre "Sittengesetze" geben vor, sich u. a. für die "Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art" einzusetzen, "dem besseren Führer" Gefolgschaft zu leisten und eine "gleichgeartete Gattenwahl (als) Gewähr für gleichgeartete Kinder" anzustreben. "Gesellschaft für freie Publizistik e. V." (GfP) Bei der 1960 von ehemaligen Offizieren der SS und Funktionären der NSDAP gegründeten GfP handelt es sich um eine überparteiliche Sammelorganisation von publizistisch aktiven Rechtsextremisten. Mit der Verbreitung ausländerfeindlicher und nationalistischer Ansichten will die GfP "Aufklärungsarbeit" leisten, um die angeblich verzerrte Darstellung der Zeitgeschichte zu korrigieren. Neben Vortragsveranstaltungen organisiert sie jährlich ein als "Deutscher Kongress" bezeichnetes Treffen, bei dem bekannte Wortführer des rechtsextremistischen Spektrums als Referenten auftreten. Im Mai veranstaltete die GfP ihren Jahreskongress in Kirchheim. Unter dem Motto "Vom Tabubruch zur Systemkrise - Deutschland schafft sich nicht ab" fand der Kongress mit Prof. Dr. Franz SEIDLER, Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied Heinz FLÖTER, RechtsRechtsextremismus anwalt Rolf KRAUSE, Richard MELISCH und Dr. Alfred MECHTERSHEIMER als Redner statt. "Exilregierung Deutsches Reich" Die "Exilregierung Deutsches Reich" wurde im Jahr 2004 als Ableger der "Kommissarischen Reichsregierung des Deutschen Reiches" (KRR)63 gegründet. Diese seit Anfang 2000 bundesweit aktive Gruppierung ist der Auffassung, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort. Bis zur Wiedereinsetzung einer regulären Reichsregierung nehme sie vorübergehend deren Amts63 Die KRR ist im Gegensatz zu einzelnen ihrer Abspaltungen kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. 93 94 geschäfte wahr. Interne Unstimmigkeiten führten nach und nach zu Abspaltungen kleinerer Personengruppen, die ihrerseits die o. g. Ansichten vertreten. Rechtsextremismus Anhänger der "Exilregierung" wandten sich auch im Berichtszeitraum gegen Entscheidungen und Maßnahmen von Behörden und Gerichten mit der Begründung, diese Stellen seien - ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland - "nicht existent". Die "Exilregierung" führte interne Treffen - darunter auch sog. Kabinettsitzungen mit Bürgerinformation - in der Nähe von Eisenach durch. Von den weit weniger als 40 Teilnehmern reiste die Mehrzahl überregional an. Die realitätsfernen Verlautbarungen der "Exilregierung" dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier mit pseudojuristischer Akribie versucht wird, einen gesellschaftlichen Resonanzboden für rechtsextremistisches Gedankengut zu schaffen und teilweise personelle Überschneidungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen bestehen. 8. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Rechts weist die Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA)64 folgende Zahlen aus: Straftaten 2011 2010 2009 Insgesamt 1.043 1.002 1.213 davon u. a.: Propagandadelikte 785 719 841 Gewaltkriminalität65 34 44 42 Volksverhetzungen 79 70 93 Sachbeschädigungen 81 102 117 64 Veröffentlicht am 09.03.2012. 65 Die politisch motivierte Gewaltkriminalität umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahnund Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsund Sexualdelikte. Fast 80 % aller politisch motivierten Straftaten, die im Berichtszeitraum im Freistaat Thüringen begangen wurden, sind dem Phänomenbereich "Rechts" zuzuordnen. Insgesamt wurden dort 1.043 Straftaten und damit 41 mehr als im Jahr 2010 erfasst. Dies entspricht einer Steigerung von 4,1 %. Um 9,2 % haben die Propagandadelikte zugenommen, die innerhalb dieses Phänomenbereichs mit 785 erneut die mit Abstand größte Teilmenge darstellen. Ebenfalls gestiegen ist die Zahl der Volksverhetzungen, die im Berichtsjahr 79 betrugen (+ 12,9 %). Ein Rückgang um 10,6 % auf nunmehr 81 ist im Bereich der Sachbeschädigungen zu verzeichnen. Die der Gewaltkriminalität zuzurechnenden Straftaten sind auf 34 gesunken, das entspricht im Vergleich zum Vorjahr einer Abnahme um 22,7 %. Rechtsextremismus 95 96 III. Linksextremismus Linksextremismus 1. Überblick Bundesweit umfasst das Potenzial der revolutionären Marxisten etwa 25.000 Anhänger. Hinzu kommen ca. 7.100 Personen, die der gewaltbereiten linksextremistischen Szene zugerechnet werden. Hierzu gehören auch etwa 6.400 Autonome. Geschätzte Mitgliederbzw. Anhängerpotenziale Thüringen Bund 2011 2010 2009 2011 Gewaltbereite Linksextremisten, 7.100 davon Autonome 130 130 130 6.400 Anarchisten: FAU-IAA 10 10 10 700 KPF der Partei DIE LINKE. 100 100 100 1.250 DKP 40 40 40 4.000 KPD wenige Mitglieder 150 MLPD 40 40 40 2.000 Rote Hilfe e.V. 120 120 100 5.600 Die maßgeblichen Gruppen des autonomen Spektrums und ihre regionalen Schwerpunkte blieben ebenso bestehen wie die Fokussierung auf das Betätigungsfeld "Antifaschismus". Die in diesem Zusammenhang durchgeführten Aktionen richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene bzw. deren Strukturen. Dabei suchten Autonome durchaus die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und der Polizei. Trotz anhaltender Abneigung gegenüber der Zivilgesellschaft, die von einem "rechten" Konsens gekennzeichnet und daher ebenso zu bekämpfen sei wie der Rechtsextremismus, schlossen sich Autonome wiederum diversen Veranstaltungen breiter demokratischer Bündnisse an. Die in Thüringen vertretenen marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen vermochten es - abgesehen von einzelnen Informationsständen und traditionellen Gedenkveranstaltungen - im Berichtszeitraum kaum, durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen zu werden. Das Bestreben, eine "Aktionseinheit" marxistisch-leninistischer Parteien und Organisationen zu bilden, hielt dennoch an. 2. Ideologischer Hintergrund Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Es schließt Anhänger der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Die Werke von MARX, ENGELS, LENIN, von STALIN, TROTZKI und MAO TSE-TUNG stellen die Grundlagen der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebäude dar. Das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen, ist allen Linksextremisten gemein. Ihre - wie unterschiedlich auch immer gearteten - Bestrebungen richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Linksextremisten wollen entweder einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr Grundsatz, dass sich die von ihnen angeLinksextremismus strebten gesellschaftlichen Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen greifen sie häufig zu legalen, gewaltfreien Formen des politischen Engagements. Die eigene extremistische Ausrichtung wird dabei bewusst verschleiert. Mit dieser Taktik gelingt es Linksextremisten durchaus, auf bestimmten Politikfeldern Bündnispartner zu finden, die extremistischen Ansichten im Grunde genommen abgeneigt sind. Das Antifaschismusverständnis der Linksextremisten ist von einer ideologisch-strategischen Ausrichtung geprägt. Es dient nicht nur als Mittel politischer Einflussnahme und zur Diffamierung politischer Gegner, sondern ist zugleich Grundlage kommunis97 98 tischer Bündnispolitik. Anders als die bürgerliche Gesellschaft, die im Rechtsextremismus eine Randerscheinung sieht, interpretieren Linksextremisten das ihrerseits überwiegend als Faschismus bezeichnete Phänomen als Ausdruck eines "besonders aggresLinksextremismus siven staatsmonopolistischen Kapitalismus". Eine endgültige Beseitigung des Faschismus könne daher nur durch die Abschaffung des Kapitalismus, d. h. des Privateigentums an Produktionsmitteln, erreicht werden. Diese Anschauungen werden insbesondere von Linksextremisten verbreitet, die ein geschlossenes marxistisch-leninistisches Weltbild vertreten. Jedoch fußen auch die insgesamt eher diffusen, aus verschiedenen ideologischen Versatzstücken bestehenden Ansichten undogmatischer Linksextremisten bzw. Autonomer auf diesem Grundkonstrukt. 3. Autonome 3.1 Allgemeines Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 70er Jahre aktiv. Heute agieren sie vor allem in mittleren und größeren Städten. Schwerpunkte bilden Ballungsräume wie Berlin, Hamburg oder das Rhein-Main-Gebiet. Der Szene waren Ende 2011 bundesweit etwa 6.400 gewaltbereite Anhänger zuzurechnen. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet ihre paradoxe Devise. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus, anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, sozialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Versatzstücken. Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung der Gesellschaft. Die szeneinterne Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung elektronischer Medien. Per Internet und über E-Mail-Verbindungen werden überregionale Vernetzungen geschlossen, Agitation und Mobilisierung betrieben. Darüber hinaus dienen diverse Szeneblät- ter, die z. T. konspirativ verbreitet werden, als Informationsquellen. Die dazu zählende Zeitschrift "INTERIM", welche vierzehntäglich in Berlin erscheint, gilt aufgrund ihrer überregionalen Ausstrahlung als die bedeutungsvollste Publikation. Auf regionalem Niveau werden Szeneblätter inzwischen nicht nur in gedruckter Fassung veröffentlicht, sondern meist im Internet als Download angeboten. "Infoläden" sind bevorzugte Anlaufpunkte der gesamten Szene und ihrer Sympathisanten. Sie dienen als Kontaktund Treffmöglichkeit und zugleich als Vertriebsstätte linksextremistischer Schriften und Flugblätter. Kampagnenfähige Themen, Gewaltpotenzial Verschiedene Schwerpunktthemen bilden die Grundlagen der Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: * Antifaschismus, * "Häuserkampf"/Kampf gegen Gentrifizierung66, * Kampf gegen angenommenen "Geschichtsrevisionismus" und "Opfermythen" im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung der Zeit des Nationalsozialismus, * Repression und innere Sicherheit, * Antirassismus, * Kampf gegen angenommene "Großmachtrollen" der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, * Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte, * Neoliberalismus und Globalisierung, Linksextremismus * Internationalismus. Intensität und Bedeutung der genannten Themen schwanken und werden oft vom Tagesgeschehen bestimmt. Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und den Einsatzkräften der Polizei. 66 Abgeleitet von gentry (engl.) - Bezeichnung für niederen englischen Adel und ihm sozial Nahestehende. Steht hier für die Umstrukturierung von Stadtteilen nach Verkauf und/oder Modernisierung von Gebäuden. Durch den Zuzug neuer (vermögenderer) Bewohner kommt es zu Veränderungen der Bevölkerungsstruktur. Autonome versuchen in Stadtteilen, die sie als ihren "Kiez" beanspruchen, diese Entwicklung auch mit gewalttätigen Mitteln zu bekämpfen. 99 100 Dezentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der autonomen Szene Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende OrLinksextremismus ganisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der Autonomen. Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie kennt weder Hierarchien noch Führungsstrukturen. Autonome agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen. Um die allein schon wegen des niedrigen Organisationsniveaus begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, gibt es dennoch immer wieder Versuche, übergreifende Organisationsformen zu schaffen. Diese basieren jeweils auf dem linksextremistischen Antifaschismusverständnis, das über die Traditionslinien Nationalsozialismus und Faschismus hinaus die Auseinandersetzung mit dem - autonomer Redart nach - in der Bundesrepublik vorherrschenden "imperialistischem System" einschließt, welches die Autonomen als Fortsetzung und Modifikation des Dritten Reichs deuten. Alle Versuche nach 2001, eine inhaltliche und organisatorische Erneuerung zu erreichen, blieben jedoch erfolglos. Seither ist es der Szene nicht gelungen, ihre Isolierung, die regionale Begrenztheit des Aktionsradius und die zahlenmäßige Schwäche zu überwinden. Übergreifende Vernetzungsversuche werden zudem durch gravierende ideologische Konfliktlinien innerhalb der autonomen Szene erschwert. Typisch dafür war das Aufkommen sog. antideutscher Positionen. Kernpunkt jener Anschauungen bildet der Massenmord an den europäischen Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Hieraus resultieren sowohl die Ablehnung des deutschen Staats, der als modifizierte Fortsetzung der Nazidiktatur wahrgenommen wird, als auch eine bedingungslose Solidarität gegenüber dem Staat Israel. "Antideutsche" Gruppierungen sagen dem deutschen Staat ohnehin eine auf Ausgrenzung anderer Ethnien gerichtete Wesensart nach. Den europäischen Einigungs- prozess interpretieren sie als ein deutsches Projekt, das auf friedlichem Wege zu Großmachtstatus verhelfen solle. Der Staat Israel wird von diesen Gruppen als Zufluchtsort des jüdischen Volkes, als Schutzraum für Juden vor antisemitischer Verfolgung verstanden, der gegen alle Angriffe verteidigt werden müsse. Jedwede Kritik an Israel setzen "Antideutsche" mit Antisemitismus gleich. Ähnlich werten sie die Kritik an den USA, da diese als Schutzmacht Israels angesehen wird. Diese Einstellung steht im krassen Gegensatz zu den traditionell im autonomen Spektrum vorhandenen "antiimperialistischen" Einstellungen, nach denen Israel als "imperialistischer Brückenkopf" der USA im arabischen Raum gilt. 3.2 Die autonome Szene in Thüringen Das Anhängerpotenzial der gewaltbereiten autonomen Szene Thüringens umfasste im Berichtszeitraum ca. 130 Personen. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung beimaß, gelang es ihr, einen auch überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren. Regionale Schwerpunkte bestehen in Erfurt und Jena sowie um Arnstadt. Außerdem sind Autonome im Umkreis von Gera, Weimar und Saalfeld aktiv gewesen. Szenetypische Anlaufstellen waren u. a. sog. Infoläden in Arnstadt, Erfurt und Jena. Autonome Gruppen aus Thüringen nutzen überwiegend das Internet und E-Mail-Verbindungen, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten veröffentlichen sie zum Teil umfangreiche Linksextremismus Rechercheberichte über den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften oder Audiostreams mit Informationen zum "rechten" Spektrum werden auf diesem Wege verbreitet. Die Schwerpunkte öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten lagen im Berichtszeitraum in der Landeshauptstadt Erfurt und in Jena - Regionen, in denen die personell stärksten und aktivsten autonomen Gruppen angesiedelt sind. Inhaltlich dominierte das Themengebiet Antifaschismus. Bedingt durch die 2009 erfolgte Räumung des "Besetzten Hauses" in Erfurt kam auch der "Schaffung von Freiräumen", also dem "Häuserkampf", weiterhin Bedeutung zu. Die Aktionen der autonomen Szene reichten von der Mobilisierung für die von breiten, nichtextremistischen Bündnissen orga101 102 nisierten Proteste gegen rechtsextremistische Veranstaltungen und die gewaltfreie Beteiligung daran bis hin zu gezielten Blockadeaktionen sowie Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums, aber auch gegen Einsatzkräfte der Polizei. GeLinksextremismus genaktionen, die etwa die Umleitung eines rechtsextremistischen Aufzugs, die Verzögerung oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich machten, wertete die autonome Szene als äußerst positiv. Weit kritischer wurden hingegen die teils geringe Resonanz in der Szene und mangelnde Beteiligung ihrer Angehörigen angemerkt. Wenngleich es die autonome Szene vermochte, für einzelne Aktionen von bundesweiter Bedeutung erfolgreich zu mobilisieren, gelang es ihren Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen. Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten meist im Vorfeld zu Blockadeund Störaktionen aufgerufen. Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner, um den "Naziaufmarsch" mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2011 zu Straftaten wie Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. Thüringer Autonome beteiligten sich im Berichtszeitraum an verschiedenen Aktionen in anderen Bundesländern bzw. thematisierten diese im Internet durch Terminhinweise. Es wurden jedoch keine Mobilisierungskampagnen oder Anreisen zu Aktionen in größerem Umfang bekannt. Einzige Ausnahme bildete die Beteiligung von Thüringer Autonomen an Protestaktionen gegen das von Rechtsextremisten instrumentalisierte Gedenken der Bombardierung Dresdens am 13. Februar.67 67 2011 fanden anlässlich des Jahrestags der Luftangriffe auf Dresden am 13./14. Februar 1945 sowohl am 13. als auch 19. Februar rechtsextremistische Aufzüge mit ca. 1.440 (vornehmlich aus Sachsen) bzw. ca. 3.000 (aus dem gesamten Bundesgebiet) angereisten Teilnehmern statt. Zu letztgenannter Veranstaltung versammelten sich ca. 12.500 Gegendemonstranten, darunter ca. 3.500 Gewaltbereite. Es kam zu schweren Ausschreitungen, bei denen 89 Polizeibeamte verletzt wurden, davon sieben schwer. 3.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"Verständnis Sachbeschädigungen und Recherche Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über Ideen, Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherchebis zu sog. Outing-Aktionen68. Regelmäßig kommt es auch zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene oder an Läden, die mit ihr in Verbindung gebracht werden. Brandanschläge in Jena Am 16. April warfen unbekannte Täter einen Molotow-Cocktail gegen die Fassade eines Mehrfamilienhauses in Jena, in dem auch die örtliche FDP ihren Sitz hat. Wenige Tage später, am 20. April, trafen drei Brandsätze auf die Fassade eines Gebäudes, in dem u. a. die Gaststätte "Grüne Tanne" untergebracht und das als Verbindungshaus der Burschenschaft "Arminia auf dem Burgkeller" bekannt ist. Auch hier konnten die Täter nicht identifiziert werden. Burschenschaften stehen im Rahmen des Aktionsfelds "Antifaschismus" immer wieder im Fokus der gewaltorientierten Autonomen. So unterstellen sie ihnen eine nationalistische bis völkische Ausrichtung. Auf Internetseiten der Thüringer Szene finden sich mehLinksextremismus rere Beiträge, in denen auf angebliche Verbindungen namhafter FDP-Politiker aus Jena zu Burschenschaften hingewiesen wird. In der Vergangenheit waren Burschenschaftsveranstaltungen in Eisenach und Jena Ziel diverser Protestaktionen, an denen auch das autonome Spektrum mitwirkte. So kam es im Rahmen des Burschenschaftstreffens am 9. Juni 2001 in Eisenach zu mehren Sachbeschädigungen in Form von Schmierereien sowie einer brennenden Straßenblockade. Wenige Tage später, am 14. Juni, wurde der ehemalige Thüringer Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel während einer Veranstaltung der "Landsmannschaft Rhenania", 68 Öffentlichmachen des politischen Gegners, z. B. durch Internetveröffentlichungen, Flugblattaktionen im Wohnoder Arbeitsumfeld. 103 104 einer schlagenden Verbindung mit Sitz in Jena und Marburg, mit einer Torte beworfen. Bei Ausschreitungen im Rahmen von Protesten gegen einen Burschenschaftstag vom 22. bis 25. Mai 1997 in Jena war auch das Objekt der Burschenschaft "Arminia" mit Linksextremismus Steinen beworfen worden. "Farbbomben" auf "Naziladen" in Gera In einem Internetbeitrag zu den Protesten gegen die rechtsextremistische Veranstaltung "Rock für Deutschland"69 am 6. August wurde u. a. über eine Sachbeschädigung augenscheinlich mittels "Farbbomben" an einem sog. Naziladen in Gera berichtet. Die Verfasser sahen in der Aktion offenbar eine Antwort von "Antifaschist_innen" auf Aktionen durch mutmaßliche Rechtsextremisten im Vorfeld der Proteste. Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft Autonome sehen in der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen Auslöser für "faschistische" Tendenzen. Ihrer Meinung nach förderten "staatlicher Rassismus" und die "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" auch in der Bevölkerung die Entwicklung "rechter" Tendenzen. Die Kritik und die Aktionen des autonomen Spektrums richten sich deshalb auch gegen die Zivilgesellschaft. In diesem Zusammenhang distanzieren sich Autonome zum Teil von den Aktivitäten demokratischer Bündnisse, schließen sich deren Veranstaltungen, insbesondere solchen gegen Rechtsextremismus, aber auch immer wieder an. Dies geschieht einerseits in der Annahme, über szenetypische Slogans und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren zu können, andererseits, um die etwaige behördliche Untersagung des selbst organisierten Protests zu umgehen. Als Ausdruck ihrer Eigenständigkeit sind Abgrenzungsversuche üblich. So rufen Autonome zur Beteiligung an "antifaschistischen" oder "antikapitalistischen" Blöcken innerhalb von Demonstrationen auf. 69 Siehe auch "Autonome beteiligen sich am Protest gegen 'Rock für Deutschland'" sowie Kapitel 3.1.2.6 im Abschnitt Rechtsextremismus. Demonstration vor dem "Bürohaus Europa"70 in Bad Langensalza Etwa 170 Personen nahmen am 7. Mai in Bad Langensalza an einer Demonstration unter dem Motto "Nachmieter Gesucht - Weg mit dem NPD-Zentrum in Bad Langensalza" teil. Im Vorfeld der Demonstration fanden Informationsveranstaltungen in Gotha, Erfurt und Göttingen statt. Zudem wurde auf den einschlägigen Websites der Thüringer autonomen Szene für die Veranstaltung geworben. Eine Gruppierung namens "Autonome Anarchistische Gruppe Gotha" (AAGTH) hatte eine Mobilisierungsseite im Internet eingerichtet. Dort hieß es u. a.: "Eine Grundlage unserer Politik ist es, den Neonazismus direkt zu bekämpfen, also nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln. Dabei ist Militanz ein zentraler Punkt für die revolutionäre, autonome Politik" und "Militanz bedeutet, die Probleme zu benennen und aktiv anzugehen, vorhandenes Unrecht nicht zu dulden, sondern einzugreifen, anzugreifen mit den nötigen Mitteln". Einem am 11. Mai in dem auch von Linksextremisten genutzten Internetportal "Indymedia" eingestellten Beitrag der AAGTH zufolLinksextremismus ge setzte sich das Teilnehmerfeld überwiegend aus dem "linksradikalen Spektrum" zusammen. Protestdemonstration gegen den "Burschentag" in Eisenach Im Zusammenhang mit dem in der Zeit vom 15. bis 19. Juni in Eisenach ausgerichteten "Burschentag" der "Deutschen Burschenschaft" kam es am 18. Juni zu einer Demonstration unter dem Motto "Burschentag in Eisenach zum Desaster machen - Männerbünde auflösen." An der Protestaktion beteiligten sich ca. 300 überwiegend dem autonomen Spektrum zuzurechnende Personen aus 70 Das Objekt wird inzwischen nicht mehr von der NPD genutzt. 105 106 Thüringen, Sachsen, Hessen und Niedersachsen. Die Polizei führte PerLinksextremismus sonenund Taschenkontrollen durch, leitete acht Ordnungswidrigkeitsverfahren ein und nahm mehrere Anzeigen wegen Sachbeschädigung bzw. Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz auf. Im Vorfeld der Protestdemonstration sollen Mobilisierungsund Informationsveranstaltungen in Eisenach, Jena, Weimar und Erfurt, vor allem aber in Niedersachsen und Hessen stattgefunden haben. Im Internet wurde die Veranstaltung überregional beworben. Einschlägige Szeneläden in Göttingen, Frankfurt/Main, Kassel und Marburg boten Busfahrkarten an. In einer Pressemitteilung auf der im Internet eigens eingerichteten Mobilisierungswebsite war von bis zu 500 Teilnehmern die Rede. Zudem wurde über Angriffe der Polizei auf Gegendemonstranten sowie willkürliche Feststellungen von Personalien berichtet, die Demonstration zugleich jedoch als Erfolg gewertet. Bereits am 17. Juni erschien ein Beitrag auf dem Internetportal "Indymedia" unter dem Tenor "Burschenschaften angegriffen", der Sachbeschädigungen in Jena als "kleines Warm-Up gegen den Burschentag in Eisenach" bezeichnete. Demnach wurden u. a. Fensterscheiben an Gebäuden der "Landsmannschaft Rhenania" und des "Corps Saxonia" mit Steinen beworfen. Zudem wurde das neben dem Hauptgebäude der Universität befindliche Burschenschaftsdenkmal mit grüner Farbe übergossen. Innerhalb der Thüringer autonomen Szene wurde die Veranstaltung im Internet thematisiert. Auf der zusätzlich bestehenden Unterstützerseite waren u. a. "Revolta Jena", die "Antifaschistische Aktion Saalfeld", die "Autonome Antifa Gruppe Weimar" und "Anarchist Resistance Wartburgkreis" verzeichnet. In einem Beitrag auf der Seite des Erfurter "Infoladens Sabotnik" hieß es: "Alle studentischen Verbindungen verstehen ihre Gemeinschaften als Beitrag zur Herausbildung einer gesellschaftlichen akademischen ,Elite', die im Sinne eines rechtskonservativen Weltbildes tätig ist. Ihre Ideologie beinhaltet die Legitimation der Ungleichheit von Männern und Frauen, Deutschen und MigrantInnen oder akademischer Elite und ungebildeter Masse. In der deutschen Burschenschaft findet sich diese radikalisiert zu einem extrem rückständigen Frauenbild, völkischem Rassismus und Großdeutschem Nationalismus". Autonome beteiligten sich am Protest gegen "Rock für Deutschland" Den von demokratischen Initiativen und Organisatoren angemeldeten Protesten gegen die rechtsextremistische Veranstaltung "Rock für Deutschland" am 6. August in Gera schlossen sich etwa 1.000 (2010 ca. 1.100) Personen an, darunter auch Angehörige der autonomen Szene. Nach einem auf dem Internetportal "Indymedia" eingestellten Beitrag vom 8. August suchten diese auch die direkte Konfrontation mit anreisenden mutmaßlichen Rechtsextremisten. Linksextremismus In diesem Zusammenhang wurden 12 Personen in Gewahrsam genommen, gegen 44 weitere ergingen Platzverweise. Bereits am Vorabend des 6. August hatten sich in Gera etwa 180 Personen zu einer Demonstration unter dem Motto "Diese Stadt hat Nazis satt" versammelt. Nach der Abschlusskundgebung kam es noch zu einer Spontanversammlung. Im Vorfeld hatte auch die autonome Szene zu Protesten mobilisiert und u. a. zu "Chaostagen" in Gera aufgerufen. Teile der Szene kritisierten die von dem demokratischen Bündnis hervorgehobene Gewaltfreiheit und lehnten eine Unterstützung deshalb ab. "Wir erachten es als unmöglich, das RfD nur gewaltfrei zu verhindern, 107 108 wie es die Aktionen in Dresden in den letzten beiden Jahren erwiesen haben", hieß es in dem entsprechenden Beitrag vom 21. Juli auf der Website "Antifa Task Force Jena". Die Linksextremismus Verpflichtung auf absolute Gewaltfreiheit stelle einen Affront gegen die "autonomen Antifaschist_innen" dar und sei untragbar. Die Verfasser riefen deshalb dazu auf, nach Gera zu fahren, "um den Nazis UND dem deutschen Mob zu zeigen wo der Hammer hängt. Also: Lasst es krachen, lasst es knallen, Deutschland in den Rücken fallen!", hieß es abschließend. Dennoch lag die Beteilung der autonomen Szene offenbar weit unter der des Vorjahres. Damals hatten sich noch etwa 300 Anhänger des autonomen Spektrums den Protesten in Gera angeschlossen. Gewalt als Aktionsmittel Autonomer Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Aus ihrer kruden Selbstsicht heraus nehmen sie Handlungen anderer, z. B. des Staats, von Unternehmen oder des politischen Gegners, als Gewalt gegen sich wahr und versuchen damit ihre Aktionsformen als Selbstschutz zu legitimieren. Angriffe auf Personen meint man regelmäßig damit rechtfertigen zu können, dass es sich bei den Opfern um "Nazis" gehandelt habe. Diese Bezeichnung wird dabei zum Teil willkürlich verwendet, ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für eine Zugehörigkeit zum rechtsextremistischen Spektrum gegeben haben muss. Letztlich dient sie nur als Staffage, um das eigene Handeln möglichst positiv darzustellen. Die Verfolgung der eigenen Straftaten wird wiederum als angebliche Kriminalisierung und Ausdruck eines repressiven Staats wahrgenommen. Gewalttätige Aktionsformen werden taktisch, in Thüringen meist im Zusammenhang mit demonstrativen Aktivitäten, eingesetzt. Dabei spielen Überlegungen zur Haltung möglicher Bündnispartner ebenso eine Rolle wie Stärke und Vorgehensweise eingesetzter Polizeikräfte oder des politischen Gegners. Gelegentlich kommt es jedoch auch zu Gewaltausbrüchen zwischen Angehörigen des linksund rechtsextremistischen Spektrums, die jeweils "Vergeltungsaktionen" nach sich ziehen. Aussagen zur Gewalt Neben den bereits erwähnten Aussagen zur Gewalt im Kampf gegen rechtsextremistische Aktivitäten in Bad Langensalza und Gera hoben weitere Thüringer Autonome, offenbar aus der Region Nordhausen, ihre Gewaltbereitschaft hervor. Ihren Internetverlautbarungen zufolge haben sie nicht nur an den Ausschreitungen am 19. Februar in Dresden teilgenommen und sich polizeilichen Anordnungen entgegengestellt71, sondern propagierten auch die Gewalt als einzusetzendes Mittel wie folgt: "... wir konnten die Bullenstrategie unterlaufen und die ebenso verhasste Staatsmacht somit vor erhebliche Probleme stellen." Unter dem Aktionsmotto "ob brennende Barrikaden oder friedliche Blockaden, zusammen sind wir stark...an jedem Ort, auf jeder Ebene, mit ALLEN MITTELN!" wurde zu ähnlichen Aktionen auch in Thüringen aufgerufen und dabei das "Zusammenspiel mit den bürgerlichen Blockaden" unter Einbindung gewalttätiger Aktionen als Strategie beworben. Politisch motivierte Sachbeschädigungen in Weimar Im Zuge von Protestveranstaltungen gegen eine am 15. Oktober in Weimar von rechtsextremistischen "Autonomen Nationalisten" unter dem Motto "Nationale Souveränität statt europäische Wirtschaftsregierung" durchgeführte Demonstration wurden am Folgetag in Weimar insgesamt 11 Wertstoffcontainer in Brand gesetzt. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 5.500 Euro. Sowohl die am Tatort festgestellten Sprühparolen "Faschisten angreifen" Linksextremismus und "Wir machen jeden Nazi-Aufmarsch zum Desaster" als auch Antifa-Symbole sprachen für die Zugehörigkeit der Täter zur linksextremistischen Szene und eine Teilnahme von Autonomen an den Gegenveranstaltungen des bürgerlichen Bündnisses gegen Rechtsextremismus. 3.4 Autonomer "Häuserkampf" Der sog. Häuserkampf, das Besetzen von leer stehenden Gebäuden und die teils äußerst gewalttätige Verteidigung, zählt seit den Anfangstagen der Autonomen zu deren Schwerpunkten. Seinen Höhepunkt erlebte der "Häuserkampf" in den achtziger und neun71 Siehe Fn. 67. 109 110 Linksextremismus ziger Jahren. Die verbliebenen Objekte sind inzwischen meist legalisiert und werden z. B. unter dem Dach eines Vereins geführt. Nur wenige haben überregionale bzw. bundesweite Bedeutung oder werden sogar im europäischen Zusammenhang wahrgenommen. Im Berichtszeitraum standen Versuche zur Erlangung eines Ersatzobjekts für das im April 2009 geräumte und abgerissene "Besetzte Haus" auf dem ehemaligen Gelände der Firma "Topf & Söhne" in Erfurt im Fokus der Thüringer Autonomen. Räumung der "Liebig 14" in Berlin und Resonanzaktionen in Thüringen Am 2. Februar wurde das besetzte Haus Liebigstraße 1472 in Berlin geräumt. Hierbei kam es zu einer Reihe linksextremistisch motivierter, zum Teil auch gewaltsamer Protestund Resonanzaktionen in Berlin und weiteren deutschen Städten, aber auch in Kopenhagen, Edinburgh, Barcelona und Rom. In Thüringen wurden folgende Resonanzaktionen durchgeführt: Am 2. Februar versammelten sich auf dem Holzmarkt in Jena zwischen 50 bis ca. 100 schwarz gekleidete und vermummte Personen, die durch Skandieren von Parolen und dem Werfen von Böllern und Flaschen ihre Solidarität mit den Besetzern der "Liebig 14" zum Ausdruck brachten. Noch vor Eintreffen der Polizei löste sich die Versammlung auf. Am Tag nach der Räumung fand in Erfurt eine Demonstration von Linksextremisten mit etwa 30 Teilnehmern statt. Zu den Stationen des Demonstrationszugs zählte u. a. die Thüringer Staatskanzlei. Auf Flugblättern wurde mit folgenden Hinweisen für eine Teilnahme mobilisiert: 72 Das Objekt wurde Anfang 1990 "besetzt". 1992 schlossen die Bewohner Mietverträge mit dem damaligen Eigentümer. Ende der 1990er Jahre erwarben Privatpersonen das Objekt und kündigten 2007 die Mietverträge. 2009 wurde der Anspruch der Eigentümer auf Räumung des Hauses letztinstanzlich festgestellt. Seitdem kam es verschiedentlich zu niederschwelligen Straftaten, insbesondere zum Nachteil der zuständigen Hausverwaltung, der bevollmächtigten Anwälte, der Eigentümer sowie von Objekten des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. "(Räumung der liebig14) Sponti: TAG X+1 TAG 18Uhr Treff: Krämerbrücke nichts posten.aktuell halten.sags persönlich weiter.bildet banden!" Auf Thüringer Szeneseiten im Internet war der Aufruf "LIEBIG 14 - Der Countdown läuft ..." verlinkt und um Bezüge nach Erfurt ergänzt. Auch im Nachgang wurde die Veranstaltung dort thematisiert. In Saalfeld führten ca. 10 bis 15 teils vermummte Personen am 4. Februar eine nicht angemeldete Veranstaltung durch. Es wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Miethaie zu Fischstäbchen" mitgeführt. Bei Eintreffen der Polizei flüchteten die Versammlungsteilnehmer. Ein Einsatzfahrzeug der Polizei wurde dabei beschädigt. Zu einer nicht angemeldeten Veranstaltung versammelten sich am 5. Februar 30 Personen in Arnstadt. Sie führten Transparente und Flaggen mit und verteilten Flyer. Neun Personen wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Einem Beitrag auf der Website "Antifaschistische Gruppen Südthüringen" zufolge sollten die Betroffenen jede Aussage verweigern und sich im Falle weiterer polizeilicher Maßnahmen an die "Rote Hilfe Südthüringen"73 wenden. Unbekannte befestigten zwischen dem 1. und dem 2. Februar an Linksextremismus einem ehemaligen Bahngebäude in Berga/Elster (Landkreis Greiz) sowie einem leer stehenden Mehrfamilienhaus in Greiz Laken mit der Aufschrift "Freiraum erkämpfen / Verteidigen / Handeln" bzw. "Dieses haus ist jetzt besetzt / Liebigstraße expansion". In einer mit "Zusammenschluss junger AktivistInnen" unterzeichneten Presseerklärung an die Stadtverwaltung Berga/Elster war von einer Hausbesetzung als Reaktion auf die Räumung der Liebigstraße 14 in Berlin die Rede. Auch an der Eisenbahnbrücke "Schwarze Hohle" über der B 85 Richtung Rudolstadt sowie der Sternbrücke im Goethepark 73 Zum Verein "Rote Hilfe e. V." siehe Kapitel 5.5. 111 112 Weimar fanden sich am 4. bzw. 5. Februar Transparente mit den Slogans "Jede Räumung hat ihren Preis Liebig 14 bleibt" bzw. "DIE HÄUSER DENEN; DIE DRIN WOHNEN". Linksextremismus In Jena und Saalfeld wurden auf Häuserfassaden der Slogan "Liebig 14 bleibt!" gesprayt. Anschläge in Weimar im Zusammenhang mit dem Jahrestag der Räumung des "Besetzten Hauses" Anlässlich des zweiten Jahrestags der Räumung des "Besetzten Hauses" in Erfurt kam es zu Brandstiftungen in Weimar. In der Nacht vom 16. auf den 17. April wurden insgesamt 16 Wertstoffcontainer angezündet, wobei an einem Brandort die Flammen auf ein geparktes Kraftfahrzeug übergriffen. Zudem wurden Fensterscheiben an Filialen der Deutschen Bank und der Sparkasse Mittelthüringen eingeworfen. Der Sachschaden belief sich auf etwa 15.000 Euro. Auf einem auch von Szeneanhängern genutzten Internetportal wurde am 19. April ein Bekennerschreiben eingestellt, in dem es hieß, mit den Aktionen die "Thematik in den Fokus der Öffentlichkeit" rücken zu wollen. Dabei werde "mit jedem Angriff" das "Streben nach einer libertären und herrschaftsfreien Gesellschaft" begründet, um dem "kapitalistischen System den Kampf anzusagen". Das "Besetzte Haus" in Erfurt hatte für die örtliche aber auch überregionale autonome Szene große Bedeutung. Nach der Räumung am 16. April 2009 war es u. a. in Erfurt, Jena und Weimar zu erheblichen Sachbeschädigungen gekommen. Aktion für ein "selbstverwaltetes Zentrum" in Erfurt Unter dem Motto "disco ohne deutschland. selbstverwaltete zentren ertanzen" fand am 2. Oktober in Erfurt eine sog. Nachttanzdemo74 mit etwa 150 Teilnehmern statt. Gegenstand der Aktion war die Forderung nach einem "selbstverwalteten Zentrum" in Erfurt als Ersatz für das im Jahr 2009 geräumte "Besetzte Haus". Für die 74 Eine ebensolche Veranstaltung fand bereits im August 2010 mit ca. 200 Teilnehmern statt. Veranstaltung wurde u. a. auf Internetseiten der Thüringer Autonomen Szene geworben. In den im Internet veröffentlichten Rückblicken hieß es, die "Demo von der Szene für die Szene" habe - abgesehen von "den Schikanen" der Polizei - "Spaß gemacht und Kraft für den weiteren Kampf gegeben". Szeneinternen Wahrnehmungen nach hinterließ die "gewaltsame Räumung des besetzten ehemaligen Topf&Söhne-Geländes" eine "Lücke in der soziokulturellen Landschaft" Erfurts. 4. Anarchisten Anarchistische Anschauungen entstanden im 19. Jahrhundert in Abgrenzung zum Kommunismus. Die Russen Michail BAKUNIN und Peter KROPOTKIN zählen zu den maßgeblichen Theoretikern dieser linksextremistischen Strömung. Im Gegensatz zu verschiedenen kommunistischen Organisationen berufen sich Anarchisten nicht auf verbindliche Standardwerke, sondern greifen auf eine Vielzahl von Theorien und Utopien zurück, die auf die Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft ausgerichtet sind. Jedwede Form von Staat und Regierung lehnen Anarchisten ab. Linksextremismus Erklärtes Ziel ist, den Staat mittels einer Revolution aufzulösen und eine von der Basis her anarchistische Gesellschaft zu bilden. Im Gegensatz zu Marxisten-Leninisten setzen Anarchisten dabei auf die Spontanität der Massen, nicht auf eine Avantgardepartei. In der Bundesrepublik entfaltet lediglich die international organisierte "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA) wahrnehmbare Aktivitäten. 113 114 4.1 "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA)75 Linksextremismus Bei der FAU handelt es sich um eine anarcho-syndikalistische Gruppierung.76 Ihr Anliegen ist die Schaffung einer herrschaftsfreien, direktdemokratischen Gesellschaft, die sie durch "direkte Aktionen" wie Selbstorganisation, Besetzungen, Boykotts, Streiks, Sabotage zu erreichen glaubt. Die FAU sieht sich als Gewerkschaft und ist bestrebt, sich vorrangig in der Betriebsarbeit zu engagieren. Die FAU ist in Thüringen Eigenangaben zufolge mit Ortsgruppen in Altenburg, Ilmenau, Suhl und Erfurt sowie mit der in Meiningen ansässigen "FAU Südthüringen" (FAUST) vertreten. Allerdings scheinen diese organisatorisch weiterhin nicht wirklich selbstständig zu sein. Während die Ortsgruppe Altenburg über die FAU Leipzig erreichbar ist, geben die Gruppen in Ilmenau, Suhl und Erfurt die FAUST als Kontakt an. Letztgenannte stellt ohnehin die aktivste der im Berichtszeitraum kaum öffentlichkeitswirksam agierenden Gruppen dar. 75 Die offizielle Abkürzung lautet FAU-IAA, jedoch ist auch in Veröffentlichungen der Gruppierung die Abkürzung FAU gebräuchlicher. Diese wird in der Folge verwandt. 76 Der Begriff setzt sich aus dem griechischen Wort anarcho (führerlos) und dem französischen Wort Syndikat (Vereinigung, Gewerkschaft) zusammen. Er bezeichnet anarchistische Organisationen mit gewerkschaftlichem Anspruch. 5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige Gruppierungen 5.1 "Kommunistische Plattform" (KPF) der Partei "DIE LINKE." Bund Thüringen Gründung 1989 1993 Sitz Berlin - Mitglieder 2011 ca. 1.250 ca. 100 2010 ca. 1.200 ca. 100 2009 ca. 1.050 ca. 100 Publikationen "Mitteilungen der - Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE" (monatlich) Internet eigene Internetkein eigener präsenz im Rahmen Internetauftritt des Internetauftritts der Partei "DIE LINKE." Linksextremismus Die KPF wurde 1989 in der damaligen SED-PDS gegründet und wirkt nunmehr in der Partei "DIE LINKE."77 als "ein offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten". Wesentliches Anliegen der KPF ist die Fortsetzung marxistisch-leninistischer Politik. Darunter versteht sie u. a. das Festhalten an der sozialistischen Zielstellung und der antikapitalistischen Grundausrichtung. Sowohl im politischen Alltag als auch in der Programmdebatte der Partei "DIE LINKE." bekannte sich die KPF nach wie 77 "DIE LINKE." ist kein Beobachtungsobjekt des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz. 115 116 vor dazu, einem "Systemwechsel" verpflichtet zu sein. Dies impliziert die durch Revolution zu errichtende Macht des Proletariats und in fortgesetzten revolutionären Kämpfen sowohl die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in eine sozialistisch-kommuLinksextremismus nistische Ordnung als auch die Unterdrückung des Widerstands der durch Revolution entmachteten Klasse. Die Staatsgewalt läge sodann einzig bei der kommunistischen Partei. Durch deren Allmacht schieden nicht nur die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung, sondern auch das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition sowie die Durchführung freier und allgemeiner Wahlen aus. Eine solche Diktatur des Proletariats ist mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar.78 Es erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) und weiteren linksextremistischen Personenzusammenschlüssen. Ihrer Satzung zufolge ist die KPF "offen für alle, unabhängig von parteilicher und sonstiger politischer Bindung", sofern "Mehrheitsbeschlüsse der KPF" und das Parteistatut akzeptiert werden. Im Rahmen des von der Plattform angestrebten "breiten linken Bündnisses" ist deren vorrangiges Anliegen, "die Zusammenarbeit aller [...], die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen", herzustellen. Die KPF wird auf Bundesebene von einem Bundeskoordinierungsrat geleitet und durch den Bundessprecherrat vertreten. Höchstes Gremium ist die laut Satzung mindestens einmal jährlich einzuberufende Bundeskonferenz. Diese beschließt die politischen Leitlinien der KPF und wählt vorgenannte Räte. Eines der zentralen Themen der KPF war im Berichtszeitraum die Debatte um das neue Parteiprogramm79 der Partei "DIE LINKE.". 78 Siehe hierzu das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. Februar 2009 "Zur Frage der Rechtswidrigkeit der Beobachtung einer politischen Partei und ihrer Funktionäre durch das Bundesamt für Verfassungsschutz wegen des Verdachts verfassungsfeindlicher Bestrebungen". 79 Bereits am 20. März 2010 wurde der 1. Entwurf für ein Programm der Partei "DIE LINKE." vorgestellt. Das Programm wurde auf der 2. Tagung des 2. Parteitages der Partei "DIE LINKE." vom 21. bis 23. Oktober in Erfurt mit 96,9 % der Stimmen von den Delegierten beschlossen. Im Rahmen der 3. Tagung der 15. Bundeskonferenz der KPF am 2. April in Berlin bekräftigte ein Vertreter des Sprecherrats, das neue Programm müsse seinen antikapitalistischen Charakter beibehalten. Ein Vertreter der KPF-Thüringen pflichtete dem an anderer Stelle bei und unterstrich die Bedeutung der in dem Entwurf verankerten Analyse des gegenwärtigen Kapitalismus. Auf der am 19. November in Berlin durchgeführten 4. Tagung des Gremiums hieß es zu dem inzwischen beschlossenen Parteiprogramm, es orientiere "letztlich auf einen Systemwechsel - die Überwindung der Diktatur des Profits". Dem Beschluss zur Tagung nach müsse "diese zunehmend ins Chaos trudelnde kapitalistische Ordnung überwunden werden". Bezug nehmend auf aktuelle Ereignisse führte ein Vertreter des Bundessprecherrats in einem Bericht über die Morde der rechtsextremistischen Terrorzelle NSU80 aus, "wie akut die Gefahr faschistischer Exzesse heute auch hierzulande schon wieder" sei. Man könne "erleben, wie die demokratischen geheimen Dienste sich aus der Affäre ziehen." Vielleicht gäbe es Bauernopfer. Was aber wirklich geschah, werde wohl nie zu erfahren sein. Das in diesem Zusammenhang von politischer Seite in Erwägung gezogene Verbotsverfahren gegen die NPD halte man für wenig chancenreich. Eine "rechte" Partei zu verbieten und "linke" arbeiten zu lassen, richte sich gegen die Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland, die besage: "Rot gleich braun." Als Fazit bliebe einzig die Möglichkeit, antifaschistische Aktionen zu intensivieren. Linksextremismus In Thüringen blieb die KPF weitgehend inaktiv. An der Landeskonferenz am 30. Juli in Erfurt sollen sich 60 Personen beteiligt haben.81 80 Siehe Kapitel 4.4.5 im Abschnitt Rechtsextremismus. 81 "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE", Heft 9/2011. 117 118 5.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Bund Thüringen Linksextremismus Gründung 1968 1996 Sitz Essen - Mitglieder 2011 ca. 4.000 ca. 40 2010 ca. 4.000 ca. 40 2009 ca. 4.200 ca. 40 Jugendorganisation "Sozialistische - Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Publikationen "Unsere Zeit" (UZ) "Thüringenreport"82 (wöchentlich) Internet eigener eigener Internetauftritt Internetauftritt83 Die DKP versteht sich als Nachfolgeorganisation der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). In ihrem aktuellen Parteiprogramm charakterisiert sie sich als antifaschistische, revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, als Partei des proletarischen Internationalismus und des Widerstands gegen die sozialreaktionäre, antidemokratische und friedensgefährdende Politik der Herrschenden, die sich von den Zukunftsund Gesamtinteressen der Arbeiter und Angestellten als Klasse leiten lässt. Weltanschauung, Politik und Organisationsverständnis der DKP gründen dem Programm zufolge auf dem wissenschaftlichen Sozialismus, den Theorien von MARX, ENGELS und LENIN. Die Partei überträgt die Lehren des Marxismus auf die derzeitigen Bedingungen des Klassenkampfs, um so zu deren Weiterentwicklung beizutragen. Ihr Ziel sieht sie im Sozialismus/Kommunismus, wofür es die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Werktätigen zu gewinnen gelte. Nur der revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen beseitige letztendlich die Ursachen von Ausbeutung und Entfremdung, Krieg, Verelendung und Zerstörung der natürlichen Umwelt. 82 Im Berichtszeitraum konnte keine Ausgabe festgestellt werden. 83 Der Auftritt wurde nur sporadisch gepflegt. 17. "UZ-Pressefest" der DKP vom 24. bis 26. Juni in Dortmund Bereits zum neunten Mal fand das Pressefest84 in Dortmund statt. Es stand unter dem Motto "Fest der Solidarität" und sollte einen Beitrag leisten, "die sozialen und demokratischen Bewegungen in unserem Land zu stärken und das gemeinsame Handeln der Linken gegen Sozialund Demokratieabbau weiterzuentwickeln, für gesellschaftliche Veränderungen einzutreten, die Alternative des Sozialismus aufzuzeigen".85 Internetangaben nach betrieb die DKP Thüringen gemeinsam mit den Gliederungen aus Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern einen Stand. Sonstige Parteiveranstaltungen Auf der 5. Tagung des Parteivorstands der DKP am 10. September in Dortmund bezeichnete die Parteivorsitzende Bettina JÜRGENSEN es als eine Aufgabe der DKP, mehr Menschen davon zu überzeugen, dass es mit dem Sozialismus eine Alternative zum Kapitalismus gäbe und dieser erkämpft werde müsse. Zudem wurden parteiinterne Auseinandersetzungen zu einzelnen inhaltliche Aspekten thematisiert, die eine Lähmung der Partei nach sich zögen. Viele Mitglieder wollten sich nicht "schon wieder mit Auseinandersetzungen in der Partei" befassen. Es gäbe geradezu einen Kampf um Positionen und Mehrheiten. An einer "Theoretischen Konferenz" der DKP am 30. Oktober in Hannover unter dem Motto "Kapitalstrategien und Gegenwehr" Linksextremismus nahmen über 200 Personen teil. Zentrales Thema war der seit Längerem währende Richtungsstreit um die 2010 vom Parteivorstand veröffentlichten "Politischen Thesen" und deren Vereinbarkeit mit dem Parteiprogramm und den Parteitagsbeschlüssen.86 Eine Annäherung der widerstreitenden Lager wurde nicht erzielt. Im Rahmen seiner 6. Tagung am 26./27. November in Essen ließ der Parteivorstand verlauten, sich von den Morden des NSU87 nicht einschüchtern zu lassen. Ein gemeinsames Handeln gegen die " Faschisten" sei nötiger denn je. Es wurde das sofortige Verbot der 84 Seit 1995 veranstaltet die Partei alle zwei Jahre ein Pressefest in Dortmund. 85 "Unsere Zeit", Nr. 26/2011 vom 1. Juli. 86 Die Thesen beinhalten u. a. die Forderung, die Partei unter Aufgabe ihrer Avantgardestellung im Kampf für den Sozialismus für gesellschaftliche und soziale Bewegungen zu öffnen. Damit wird die Bedeutung der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt relativiert. Der Sturz des herrschenden Systems solle gemeinsam mit anderen sozialen, weltanschaulichen und emanzipatorischen Kräften bewirkt werden. Damit ist das Selbstverständnis der DKP als kommunistischer Partei berührt. Gegnern gelten die Thesen als revisionistisch. 87 Siehe Kapitel 4.4.5 im Abschnitt Rechtsextremismus. 119 120 NPD und aller anderen faschistischen Parteien und Organisationen gefordert. Ein weiteres Thema war die schwierige finanzielle Lage der Partei. Linksextremismus Die DKP in Thüringen Die im Januar 1996 gegründete DKP Thüringen umfasst nach eigenen Angaben sieben Regionalund Ortsgruppen.88 Führungsgremium ist ein von der Landesmitgliederversammlung gewählter Koordinierungsrat. Von der DKP Thüringen gingen wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen aus. Vom 18. bis 20. März führte sie in Gera ein Wochenendseminar zum Thema "Wie tief schläft die Arbeiterklasse" durch. Im Vorfeld der Veranstaltung wurde in Zeitschriften der DKP und KPD intensiv geworben. 5.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) Bund Thüringen Gründung 1990 1993 Sitz Berlin - Mitglieder 2011 ca. 150 wenige Mitglieder 2010 ca. 150 wenige Mitglieder 2009 ca. 150 wenige Mitglieder Publikationen "Die Rote Fahne" - (monatlich) Jugendorganisation "Kommunistischer existent; Jugendverband nur wenige Deutschlands" Mitglieder (KJVD) Internet eigener kein eigener Internetauftritt89 Internetauftritt 88 "Thüringenreport", Nr. 02/2010, März 2010. 89 Im Berichtszeitraum wurden keine Aktualisierungen und Neueinstellungen festgestellt. Die KPD wurde am 31. Januar 1990 im damaligen Ost-Berlin von ehemaligen SED-Mitgliedern "wiedergegründet".90 In ihrem Statut definiert sie sich als "marxistisch-leninistische Partei", als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse und des ganzen werktätigen Volkes", die "fest in den Traditionen des 'Bundes der Kommunisten', des 'Spartakusbundes', der KPD und SED sowie ihrer hervorragenden Persönlichkeiten" stehe. Zu denen zählt sie in erster Linie Ernst THÄLMANN, aber auch Karl LIEBKNECHT, Rosa LUXEMBURG, Wilhelm PIECK; Walter ULBRICHT und Erich HONECKER gelten als Vorbilder. Die Partei sieht sich als "Erbe und Bewahrer der Erfahrungen und Erkenntnisse des Klassenkampfes der revolutionären Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in Deutschland" sowie "des Besten, was die deutsche Arbeiterklasse bisher erkämpfte, der sozialistischen Erfahrungen und Errungenschaften der DDR". Als weitere Aufgabe wurde festgelegt, "insbesondere die Arbeiterklasse und alle objektiv antiimperialistischen Kräfte für die Überzeugung zu gewinnen, dass die einzige Alternative zur gegenwärtigen imperialistisch geprägten Gesellschaft noch immer die Schaffung der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist." Politisch-ideologische Markenzeichen der KPD sind dogmatischer Stalinismus, DDR-Verherrlichung sowie permanente Huldigungen an die "Koreanische Demokratische Volksrepublik" (KDVR) und deren Führung. Linksextremismus Ihren organisatorischen Schwerpunkt hat die Partei in den neuen Bundesländern. Seit April 1993 besteht die KPD-Landesorganisation Thüringen. 27. Parteitag der KPD Am 26. November fand in Berlin der 27. Parteitag der KPD statt. Dem Rechenschaftsbericht zufolge sei es angesichts der "komplexen Krisensituation des imperialistischen Systems"91 von besonderer Bedeutung, die Aktionseinheit der Kommunisten in Deutschland herzustellen. Diese müsse letztendlich "zu einer antifaschistisch/ antiimperialistischen demokratischen Volksfront führen." 90 Ihre 1919 entstandene Vorläuferorganisation ging nach der Zerschlagung während der Zeit des Nationalsozialismus und der erneuten Zulassung nach dem Zweiten Weltkrieg in der 1946 gegründeten "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) auf. In Westdeutschland war sie 1956 verboten worden. 91 "Die Rote Fahne", Ausgabe Dezember 2011. 121 122 Um der Zersplitterung der kommunistischen Bewegung entgegenzuwirken, wurde die Einberufung eines bundesweiten Treffens aller ein ebensolches Anliegen verfolgenden Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen für den 9. Juni 2012 in Berlin beschlossen. Linksextremismus Man setze sich unverändert für die Formierung einer einheitlichen kommunistischen Partei ein. Die ideologische Basis hin zum angestrebten Ziel des Sozialismus/Kommunismus bilde der Marxismus-Leninismus. An den Grundsätzen, wonach die Errichtung der Diktatur des Proletariats nur nach revolutionärer Machterlangung möglich und die Vergesellschaftung des Eigentums an den Produktionsmitteln nötig ist, halte man fest. Die KPD in Thüringen Die KPD-Landesorganisation Thüringen besteht aus der "KPDRegionalorganisation Erfurt" und der "KPD-Regionalorganisation Bad Langensalza und Umland". Aus Anlass des 65. Jahrestag der Gründung der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) fand am 2. April eine Festveranstaltung der "KPD-Regionalorganisation Bad Langensalza und Umland" in Bad Langensalza statt. An der Veranstaltung nahmen auch Vertreter der DKP teil. Anlässlich des Weltfriedenstags führte die "KPD-Regionalorganisation Erfurt" am 1. September einen Informationsstand in Erfurt durch. Er stieß auf nur geringe Resonanz. 5.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Bund Thüringen Gründung 1982 - Sitz Gelsenkirchen Kontaktadresse in Eisenach, Sonneberg Mitglieder 2011 ca. 2.000 ca. 40 2010 ca. 2.000 ca. 40 2009 ca. 2.000 ca. 40 Publikationen "Rote Fahne" "Stimme von und (wöchentlich) für Elbe-Saale" (unregelmäßig) Jugendorganisation "REBELL" - Internet eigener kein eigener Internetauftritt Internetauftritt Ziel der maoistisch-leninistischen MLPD ist "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als ÜbergangsstadiLinksextremismus um zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft". In ihrem 1999 beschlossenen Parteiprogramm führt sie ergänzend aus: "Die Eroberung der politischen Macht ist das strategische Ziel des Klassenkampfes der Arbeiterklasse. Die MLPD hat die Aufgabe, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen und ihre Kämpfe in einem umfassenden, gegen das Monopolkapital und seinen Staat als politisches Herrschaftsinstrument gerichteten Kampf höherzuentwickeln. [...] Der Kern der revolutionären Taktik der MLPD besteht darin, den wirtschaftlichen mit dem politischen Kampf zu verbinden bzw. den wirtschaftlichen in den politischen Kampf umzuwandeln und den Klassenkampf auf das sozialistische Ziel hin auszurichten." Im linksextremistischen Lager ist die MLPD auf Grund ihres sektiererischen Auftretens isoliert. 123 124 Spendenkampagne der MLPD Am 1. September proklamierte die Partei eine einjährige Spendenkampagne zur "weltweiten Propagierung" der politischen Ziele Linksextremismus und Aufgaben der "International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations" (ICOR)92 und all ihrer Mitgliederorganisationen.93 Als Spendenziel wurden 420.000 Euro benannt, zehn Prozent des Betrags seien für ICOR gedacht. Mitglieder der MLPD leisteten die Spende durch den Erwerb von Postkarten im Wert von 2, 5, 10, 20 oder 30 Euro. "Rote Fahne" thematisiert Ereignisse um den NSU 94 Dem Zentralorgan der MLPD zufolge erkläre die enge strukturelle Verbindung bzw. Verflechtung zwischen staatlichen Organen und Faschisten, wieso die Mitglieder der Terrorzelle 13 Jahre untertauchen konnten. Die V-Leute des Verfassungsschutzes seien staatlich bezahlte Faschisten. Diese hätten die Terrorgruppe zum Teil erst aufgebaut und ausgebildet. Der Verfassungsschutz sei eine Schnittstelle zwischen dem Staatsapparat und dem faschistischen Terror. Die Forderung nach Abschaffung der Geheimdienste sehe die MLPD allerdings als Illusion an.95 Die MLPD in Thüringen Die Parteigliederungen in Thüringen gehören ebenso wie jene in Sachsen und Sachsen-Anhalt dem 2008 gegründeten Landesverband "Elbe-Saale" mit Sitz in Leipzig an. Die organisatorischen Schwerpunkte der Partei befinden sich im Freistaat in Eisenach, Sonneberg und Suhl. Einem Beitrag in der Wochenzeitschrift "Rote Fahne"96 zufolge gründete sich die Ortsgruppe der MLPD in Suhl Anfang Juli. Bei der Gründung sollen Vertreter der MLPD-Landesleitung sowie Parteimitglieder aus Sonneberg, Erfurt und Eisenach zugegen gewesen sein. Aus der Veranstaltung heraus sei eine Spende an die neue Gruppierung übergeben worden. 92 Die Organisation wurde am 6. Oktober 2010 gegründet. Sie umfasst weltweit 40 Parteien und Organisationen. Hauptkoordinator der Organisation sei der Vorsitzende der MLPD. 93 "Rote Fahne", Nr. 33/2011 vom 19. August. 94 Siehe Kapitel 4.4.5 im Abschnitt Rechtsextremismus. 95 "Rote Fahne", Nr. 47/2011 vom 25. November. 96 Nr. 29/2011vom 22. Juli. Auch in Erfurt waren Aktivitäten der Partei festzustellen. Die dort ausgerichteten Informationsstände zu den Themen "Weltklimatag, Weltfrauenkonferenz und 1. Mai" sowie "Anti-AKW und Kreislaufwirtschaft" stießen allerdings kaum auf Interesse bei der Bevölkerung. Ebenso gering war die Resonanz bei einen Informationsstand zum Thema "Internationaler Umwelttag" am 3. Dezember in Sonneberg. Eigenen Verlautbarungen nach führte die MLPD in der Ferienund Freizeitanlage Truckenthal97/Landkreis Sonneberg im April und Dezember Studienseminare durch, deren Grundlage eine Publikation des Parteivorsitzenden Stefan ENGEL zum Thema "Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution" war.98 Ebenso fanden in Truckenthal im Oktober zwei Dialektikkurse zu den Themen "Die marxistisch-leninistische Jugendarbeit" und "Die marxistisch-leninistische Frauenarbeit" statt. Sommercamp in Truckenthal Vom 23. Juli bis 13. August führte die MLPD in ihrer "Ferienund Freizeitanlage" in Truckenthal zum neunten Mal das Sommercamp ihres Jugendverbands "REBELL" und ihrer Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" durch. Das diesjährige Motto lautete "rebellisch internationalistisch - gut". Eigenangaben nach besuchten insgesamt 380 Kinder und Jugendliche das Camp.99 Linksextremismus Neben einem "erholsamen und rebellischen Urlaub" standen politische Schulungen auf dem Programm. Auch die Gewinnung neuer Mitglieder und der weitere Aufund Umbau der Immobilie100 in Truckenthal gehörten zu den wesentlichen Beschäftigungsangeboten.101 Sowohl die Vorsitzende des Jugendverbands "REBELL", Lisa GÄRTNER, als auch der MLPD-Vorsitzende hätten das Camp besucht und einzelne Programmteile bestritten. Letztgenannter habe die Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung und "Perspektiven des proletarischen Internationalismus" in Vorträgen thematisiert. 97 Im Jahr 2002 erwarb der Vermögensverein der MLPD in Schalkau, OT Truckenthal, das in der ehemaligen DDR als Pionierlager genutzte Gelände. Die Liegenschaft wird seitdem zu einem Bildungs-, Freizeitund Jugendzentrum der Partei umund ausgebaut. 98 Die unter Leitung von ENGEL erstellte Abhandlung erläutere, wie die Einheit von nationalem und internationalem Klassenkampf mit dem Ziel einer internationalen sozialistischen Revolution organisiert werden könne; "Rote Fahne" 20/2011 vom 20. Mai. 99 "Rote Fahne" Nr. 31 und 32/2011 vom 5. bzw. 12. August. 100 Die Jugendlichen wurden auch zu Sanierungsarbeiten (Entfernen von Glaswolle aus alten Bungalows) herangezogen. 101 "Rote Fahne" Nr. 20/2011 vom 20. Mai. 125 126 Das traditionelle Waldfest, jeweils Höhepunkt des Camps, soll nach Darstellung der Onlineausgabe der "Roten Fahne" von etwa 600 Personen besucht worden sein. Die Veranstaltung wurde von der Partei auch zur Eigenwerbung und Spendensammelung Linksextremismus genutzt. Der Ausbau der Freilichtbühne stehe nächstes Jahr im Mittelpunkt des Camps. Damit wolle man neue kulturelle Möglichkeiten für die Jugend der Region schaffen, die "Ferienund Freizeitanlage" Truckenthal bekannter machen und gegen die Verweigerung staatlicher Zuwendungen vorgehen.102 5.5 "Rote Hilfe e. V." (RH) Bund Thüringen Gründung 1975 - Sitz Göttingen Jena, Erfurt, Arnstadt Mitglieder 2011 ca. 5.600 ca. 120 2010 ca. 5.400 ca. 100 2009 ca. 5.300 ca. 40 Publikationen "Die Rote Hilfe" "Rundbrief für (vierteljährlich) Mitglieder und Interessierte" (letztmalig im Jahr 2010) Internet eigener eigene InternetaufInternetauftritt tritte der Ortsund Regionalgruppen Die von Linksextremisten unterschiedlicher Ausrichtung getragene RH versteht sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem gesamten "linken" und linksextremistischen Spektrum politisch und materiell unterstützt. Rechtskräftig Verurteilte, die sich nicht von ihren Taten distanzieren, erhalten auf Antrag regelmäßig einen nach Satzung vorgeschriebenen Teil 102 "Rote Fahne" Nr. 33/2011 vom 19. August. der Kosten erstattet. Andernfalls wird die Kostenerstattung gekürzt oder in Gänze abgelehnt. Die Zuwendungen richten sich auch an militante Linksextremisten. So engagierte sich die RH in einer Solidaritätskampagne für drei Mitglieder der "militanten gruppe" (mg), die am 16. Oktober 2009 vom Berliner Kammergericht wegen versuchter Brandstiftung an drei LKW der Bundeswehr und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu Freiheitsstrafen in Höhe von drei bzw. dreieinhalb Jahren verurteilt wurden. Die Urteilsbegründung lasse erkennen, dass der "staatliche Verfolgungswille" für die Verhängung von mehrjährigen Freiheitsstrafen keine Beweise oder Fakten benötige, ließ die RH verlauten und bekräftigte zugleich ihre Forderung nach Abschaffung der Paragrafen 129, 129a und b Strafgesetzbuch. Die Organisation gliedert sich bundesweit in ca. 47 Ortsbzw. Regionalgruppen. In Thüringen existieren derartige Gruppen in Jena und Erfurt sowie in Südthüringen. Letztgenannte will nach Eigenangaben in den Landkreisen Ilmkreis, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen und Sonneberg sowie der kreisfreien Stadt Suhl aktiv sein. Linksextremismus Die RH fiel in Thüringen wiederum vor allem durch Veröffentlichungen im Internet auf. Die Erstellung des "Rundbriefs für Mitglieder und Interessierte", bis zum Jahr 2010 von der Ortsgruppe Jena vorgenommen, war im laufenden Jahr nicht zu verzeichnen. Im Rahmen der verschiedenen Internetauftritte der RH fallen Verlinkungen zu weiteren linksextremistischen Internetseiten, Gruppierungen oder Einrichtungen auf, wie z. B. zu den "Antifaschistischen Gruppen Südthüringen". In Einzelfällen beteiligte sich die RH an Demonstrationen und Protesten, so am 19. November in Erfurt zum Thema "Verfassungsschutz auflösen! Rassismus bekämpfen! Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren!". 127 128 Thüringer RH-Gruppen organisierten zudem Vortragsbzw. Schulungsveranstaltungen. Gegenstand von Vorträge am 1. November in Jena und 22. November in Erfurt waren Ermittlungen nach SS 129 Strafgesetzbuch im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Linksextremismus sog. Trauermarsch von Rechtsextremisten am 19. Februar in Dresden. Das "Gesinnungsstrafrecht in Deutschland" verfolge nicht konkrete Straftaten, sondern "oppositionelles Denken und progressive Weltanschauung als solche". Im Ergebnis ginge es einzig darum, politisch unliebsame Parteien, Gruppierungen und Bewegungen auszuforschen, zu kriminalisieren und gesellschaftlich zu isolieren." 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links im Überblick Zur politisch motivierten Kriminalität - Links weist die Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA)103 folgende Zahlen aus: Straftaten 2011 2010 2009 Insgesamt 162 290 467 davon u. a.: Gewaltkriminalität 23 64 79 Sachbeschädigungen 84 127 222 Verstöße gegen das 28 46 87 Versammlungsgesetz Mit 162 Delikten entfielen im Berichtszeitraum 12,3 % der insgesamt erfassten politisch motivierten Straftaten (1.319) auf den Phänomenbereich "Links". Hier sind im Vergleich zum Vorjahr 128 Vorfälle weniger registriert worden, was einem Rückgang von 44,1 % entspricht. Der Rückgang wird auch bei der Betrachtung einzelner Deliktqualitäten deutlich, so sind die Sachbeschädigungen um 33,9 % auf 84 (2010: 127) und die Verstöße gegen das Versammlungsgesetz um 39,1 % auf 28 (2010: 46) gesunken. Noch deutlicher haben sich die Straftaten der Gewaltdelikte verringert, und zwar von 64 auf 23 (- 64,1 %). 103 Siehe Fn. 64. IV. Islamismus /Ausländerextremismus 1. Überblick Die Aktivitäten der in Deutschland agierenden ausländerextremistischen Organisationen zielen darauf ab, Veränderungen der politischen Verhältnisse in den jeweiligen Herkunftsländern herbeizuführen oder die Außenpolitik der Bundesregierung in diesem Sinne zu beeinflussen. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten Gruppierungen, die sich gegen die konstitutiven Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wenden oder Bestrebungen entfalten, welche die innere Sicherheit sowie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gefährden. Die Strukturen jener Organisationen und Gruppierungen weichen ebenso erheblich voneinander ab wie die ideologischen Grundlagen, auf die sie sich berufen. Sie sind entweder islamistisch, linksextremistisch oder nationalistisch/separatistisch ausgerichtet. Zudem werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, ob Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen ist. Ausländerextremismus Islamistische Gruppierungen verfügen in Deutschland mit 38.080 (2010: 37.470) Anhängern/Mitgliedern weiterhin über das größte Personenpotenzial. Als Angehörige linksextremistischer Ausländergruppierungen gelten 18.570 (2010: 17.070) Personen. Das extrem-nationalistische Spektrum umfasst 7. 840 (2010: 7.840) Anhänger. In Thüringen haben sich islamistische Gruppierungen bislang kaum strukturell etabliert. Sympathisanten finden sich vornehmlich in Moscheevereinen. Die Teilnahme an bestimmten überregionalen Veranstaltungen oder auch an Informationsständen verbreitete Schriften deuten auf die jeweilige ideologische Zuordnung hin. Nach wie vor bestehen darüber hinaus organisatorische Verzweigungen der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in Thüringen. Öffentlich wirksame Aktivitäten entwickelte der ihr hier zuzurechnende Personenkreis im Berichtsjahr kaum. 129 130 2. Islamismus Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und GeboAusländerextremismus ten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke islamistischer Ideologie ist die Behauptung, jegliche Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung, der sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden, halten Islamisten für unabdingbar. Islamistische Organisationen und Gruppierungen lassen sich - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - grob unterscheiden in solche, die * in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung gemäß ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben und dazu auch in Deutschland propagandistische Aktivitäten entfalten sowie Spendensammlungen betreiben, um die im Ausland befindliche Mutterorganisation zu unterstützen, und jene, die * in Deutschland eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie verfolgen, um die oben genannte Änderung des Staatswesens in ihren Herkunftsländern zu erreichen, zugleich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie bemüht sind, auch für ihre Anhänger in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Wenngleich sich die oben kategorisierten Gruppen in Deutschland nicht terroristisch betätigen, stellen sie eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die innere Sicherheit dar. So befürworten beispielsweise die Erstgenannten mitunter Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele und/oder verstoßen - wie die verbotene "Hizb ut-Tahrir" (HuT - "Partei der Befreiung") mit ihrer Zielset- zung, die islamische Gemeinde (Umma) in einem einzigen Staat zu vereinen und dadurch bisherige nationalstaatliche Grenzen aufzulösen - gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die der "Muslimbruderschaft" (MB)104 zuzurechnende "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) oder auch die "Tablighi Jama'at" (TJ)105 sind der zweiten Rubrik zuzuordnen. Das Bemühen, ihren Anhängern Freiräume für ein an der Scharia ausgerichtetes Leben in der Bundesrepublik zu schaffen, kann zur Entstehung von Parallelgesellschaften beitragen und Radikalisierungsprozesse in Gang setzen. "Arabischer Frühling" Revolutionäre Veränderungen, die sich seit dem Frühjahr 2011 in einigen arabischen Staaten vollziehen, werden auch von der islamistischen Szene in Deutschland aufmerksam verfolgt. Ausgehend von Aktionen aufgebrachter Bürger gegen die vorherrschenden gesellschaftlichen Zustände in Tunesien Ende 2010 breitete sich diese als "Arabellion" oder "Arabischer Frühling" bekannt gewordene Bewegung nahezu über die gesamte arabische Welt aus. Insbesondere die jugendliche Generation brachte in vielfältigen Protesten ihren Wunsch nach mehr politischer Teilhabe und einer Verbesserung der mikroökonomischen Verhältnisse zum Ausdruck und Ausländerextremismus löste damit einen Prozess politischer und sozialer Umwälzungen aus. Die durch moderne Kommunikationsmittel gut vernetzte Bewegung konfrontierte die Sicherheitsapparate der autokratischen Regime mit neuen Organisationsund Mobilisierungspotentialen der politischen Opposition. Zum Jahresende zeichnete sich ab, dass islamistische Parteien im Laufe dieser Entwicklungen durchaus an Zuspruch gewannen. 104 Siehe Kapitel 2.2.1.1. 105 Siehe Kapitel 2.2.1.2. 131 132 2.1 Internationaler islamistischer Terrorismus Der islamistische Terrorismus greift Ideologieelemente des Islamismus auf, weist darüber hinaus jedoch eine äußerst aggresAusländerextremismus sive, kampfbetonte Komponente auf. Richtete sich der von islamistischen Terroristen geführte Jihad106 ("heiliger" Krieg) anfangs gegen den "nahen Feind", also Regime in der Region bzw. in ihren Heimatländern wegen dort vorherrschender nationaler Konflikte, weitete er sich später auch gegen den "fernen Feind" - also Staaten, die den angegriffenen Regierungen bei der Zurückdrängung der Aufständischen Unterstützung zukommen ließen - aus. Er mündete schließlich in den von "al-Qaida" und anderen jihadistischen Gruppierungen geführten globalen Jihad gegen zu Feinden des Islam erklärte Staaten weltweit. Neben den USA sind insbesondere jene Staaten hiervon betroffen, die sie bei den Einsätzen in den Krisenregionen des Irak oder Afghanistans unterstützen. Die Auseinandersetzung mit dem islamistischen Terrorismus hat sich zu einer internationalen Herausforderung mit weitreichenden Auswirkungen auf außenund sicherheitspolitische Entscheidungen westlicher Regierungen entwickelt. Tod von Usama BIN LADEN In der Nacht vom 1. auf den 2. Mai ist Usama BIN LADEN, bis dahin Anführer der Terrororganisation "al-Qaida", bei einem Einsatz US-amerikanischer Spezialkräfte in Abbottabad (Pakistan) getötet worden. Unter seiner Verantwortung fand eine Reihe von spektakulären Anschlägen gegen westliche Interessen statt, allen voran sind hier die Anschläge vom 11. September 2001 zu nennen. BIN LADEN entfachte damit einen Feldzug gegen die USA und ihre Verbündeten, aus dem sich seine Symbolkraft als geistiger Mentor und Identifikationsfigur für Anhänger bzw. Sympathisanten des globalen Jihadismus begründete. Zu seinem offiziellen Nachfolger wurde Ayman AL-ZAWAHIRI, bis dahin die "Nummer zwei" bei "al-Qaida", ernannt. In einschlägigen Internetforen fand die Nachricht vom Tod BIN LADENs rasche Verbreitung. Neben anfänglicher Skepsis über den Wahrheitsgehalt dieser Meldung reichten die Reaktionen von 106 Wörtlich übersetzt "Anstrengung" oder "Bemühung", meint einerseits das geistig-spirituelle Bemühen des Gläubigen um das richtige religiöse Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sog. großer Jihad) aber auch den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sog. kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Glückwünschen zum Märtyrertod bis hin zu Kritik an der "illegalen Exekution" und der Androhung von terroristischen Vergeltungsmaßnahmen. Insbesondere für den 11. September, den 10. Jahrestag der Anschläge von New York und Washington D. C.,107 mehrten sich Hinweise auf eine mögliche Vergeltung von "al-Qaida". Das Datum nutzten islamistisch-terroristische Organisationen im Allgemeinen sowie "al-Qaida" im Besonderen schon in den Vorjahren regelmäßig, um Audiooder Videobotschaften zu veröffentlichen, die einen Zusammenhang zu den damaligen Terroranschlägen herstellten. Zuletzt verlautbarten "al-Qaida" und ihr nahestehende Gruppen in Drohbotschaften, anlässlich des Jahrestags einen Anschlag zu begehen. Die diversen Gedenkveranstaltungen fanden unter dementsprechend hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Mit dem US-Amerikaner Anwar AL-AWLAQI verlor "al-Qaida" einen weiteren wichtigen Akteur, der u. a. für englischsprachige Verlautbarungen der Gruppierung "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) verantwortlich war. Er kam bei einem Drohnenangriff im September 2011 ums Leben. Wenngleich die gegen ideologische Vordenker gerichteten Maßnahmen als empfindliche Schläge gegen "al-Qaida" und ihre Ausländerextremismus Verbündeten gelten, könnte eine feste und starr personengebundene Organisationsstruktur an Bedeutung verlieren, nimmt doch das Internet als Medium der Kommunikation, Radikalisierung und Organisation hier einen immer höheren Stellenwert ein. 2.1.1 Aktuelle Entwicklungen Neben den regionalen Brennpunkten des islamistischen Terrorismus, wie Afghanistan, Irak, Pakistan, Somalia und Jemen, standen 2011 einmal mehr westliche Staaten im Visier terroristischer Bestrebungen. Hier waren es vor allem in westlichen Staaten sozialisierte Einzeltäter ohne oder nur mit losem Anschluss an eine Terrororganisation, die ihren individuellen Jihad betrieben. 107 Am 11. September 2001 entführten islamistische Terroristen der "al-Qaida" vier Verkehrsflugzeuge USamerikanischer Fluglinien. Zwei davon steuerten sie in die Türme des World Trade Centers in New York und brachten diese zum Einsturz, eine Maschine schlug auf das Verteidigungsministerium in Washington auf, eine weitere verfehlte offenbar ihr Ziel und stürzte über Pennsylvania ab. Es kamen ca. 3.000 Menschen ums Leben. 133 134 Anschlag auf US-Soldaten am Frankfurter Flughafen Am 2. März verübte ein damals 21-jähriger in Deutschland lebender Kosovoalbaner einen Anschlag mit einer Handfeuerwaffe Ausländerextremismus gegen Angehörige der US-Streitkräfte. Der Anschlag ereignete sich vor bzw. in einem US-Militärbus auf dem Gelände des Flughafens Frankfurt am Main. Dabei wurden zwei US-Soldaten getötet und zwei weitere schwer verletzt. Die Soldaten befanden sich zum Zeitpunkt des Anschlags auf dem Weg zu einem Einsatz in Afghanistan. Der Attentäter - er wurde inzwischen zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt - radikalisierte sich weitestgehend allein und hauptsächlich über das Internet. Er konsumierte einerseits Kriegsspiele und Kampfvideos und war andererseits in diversen sozialen Netzwerken sowie verschiedenen Foren aktiv. Hier wandte er sich intensiv dem Salafismus108 zu. Seinen Angaben nach war ein - von ihm nicht als Ausschnitt eines Spielfilms erkanntes - YouTube-Video, welches die Misshandlung einer Muslimin durch US-Soldaten zeigt, Hauptmotiv für seine Tat. Anschlagsplanung und -durchführung erfolgten ohne Hilfe Dritter. Der erste auf deutschem Boden vollendete islamistisch motivierte Anschlag ist demnach die Tat eines fanatisierten und selbst radikalisierten Einzelnen, ein modus operandi, den Terrororganisationen wie AQAH seit Längerem in ihren Publikationen und Verlautbarungen propagieren. Ebenso verdeutlicht dieser Fall die besondere Gefahr der Internetradikalisierung. Radikalisierungspotenzial des Internets Kaum zu ermessen ist das Radikalisierungspotenzial, das aus den Internetaktivitäten der Jihadisten erwächst. Es kursieren täglich neue Veröffentlichungen, Internetseiten und Bekennerschreiben, die sich an potenzielle Jihadisten richten. Vor allem emotionalisierende Videos und Internet-Magazine bilden die mediale Komponente des globalen Jihads. Die Inszenierung von Gewalt soll neue 108 Siehe dazu die Ausführungen in Kapitel 2.2. Anhänger für den Kampf motivieren und eine Drohkulisse gegenüber den erklärten Feinden aufbauen. Auch die Werbung möglicher Spendengeber ist Ziel dieser jihadistischen Videos. Zudem gibt es jihadistische Medien, die einen "individualisierten Jihad" propagieren, d. h. sie sprechen einzelne Muslime an und versetzen sie mit Anleitungen zum Bombenbau oder Ähnlichem in die Lage, einen terroristischen Anschlag zu begehen. Das von AQAH herausgegebene und aufwendig produzierte englischsprachige Onlinemagazine "Inspire" ist speziell für diese Art des Jihads konzipiert. Die ideologische Beeinflussung geschieht im Internet isoliert, unbemerkt vom natürlichen sozialen Umfeld und einer damit einhergehenden Kontrolle. Darüber hinaus ist sie oft verbunden mit dem Konsum aggressiver Kriegsspiele, wodurch die Hemmschwelle für Gewalt sinken kann. Verurteilung im sog. GIMF-Prozess Im Jahr 2011 wurden in mehreren Gerichtsverfahren acht in Deutschland ansässige Protagonisten der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF) wegen der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu Bewährungsstrafen, aber auch mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die GIMF hatte es sich zur Aufgabe gemacht, dem deutschsprachigen Publikum DrohviAusländerextremismus deos oder sonstiges jihadistisches Propagandamaterial zugänglich zu machen. Die GIMF ist ein internationales Netzwerk von Internetaktivisten, die zu den Unterstützern des globalen Jihads zählen und durch ihre Medienarbeit einen Beitrag dazu leisten wollen. Anschlagsvorhaben der "Düsseldorfer Zelle" vereitelt Deutschland stellt für islamistische Terroristen nach wie vor nicht nur einen Planungsoder Rückzugsraum, sondern auch ein Operationsgebiet dar. Dies wurde im April und Dezember 2011 deutlich, als mehrere Mitglieder der mit "al-Qaida" assoziierten "Düsseldorfer Zelle" festgenommen wurden. Beide Exekutivmaßnahmen erfolgten im Vorfeld etwaiger Anschläge gegen deutsche Interessen, möglicherweise im Großraum Düsseldorf. Laut Generalbundesanwaltschaft hatten die mutmaßlichen "al-Qaida"-Mitglieder bereits Bombenbauanleitungen aus dem Internet heruntergeladen und mögliche Anschlagsorte ausgespäht. Der mutmaßliche Kopf 135 136 der Gruppe soll dabei während eines Aufenthalts im afghanischpakistanischen Grenzgebiet von einem hochrangigen "al-Qaida"Funktionär den Auftrag für einen Anschlag in Deutschland erhalten haben. Zuvor hatte er eine Ausbildung im Umgang mit Waffen und Ausländerextremismus Sprengstoff durchlaufen. Neben den oben beschriebenen selbstradikalisierten Einzeltätern geht also nach wie vor eine hohe Gefahr von islamistischen Terroristen aus, die in Ausbildungslagern für Anschläge radikalisiert und entsprechend befähigt worden sind. 2.2 Die Lage in Thüringen Etwa 7.000 Personen muslimischen Glaubens leben in Thüringen, die übergroße Mehrheit praktiziert ihren Glauben friedlich und im Einklang mit dem Grundgesetz. Festgefügte islamistische Organisationsstrukturen sind in Thüringen nicht bekannt. Dennoch sind auch hier Personen ansässig, die zumindest mit den Anliegen einzelner islamistischer Gruppierungen sympathisieren. Das Potenzial dieser losen Anhängerschaft beläuft sich derzeit auf insgesamt rund 100 Personen (2010: ca. 100). Klare organisatorische Zuordnungen sind oft nur schwer möglich, da sich Ideologieelemente durchaus ähneln, Grenzen also bisweilen verschwimmen. Einzelpersonen können Gruppierungen wie der "Tablighi Jama'at" (TJ) und der "Nordkaukasischen Separatistenbewegung" (NKSB) zugerechnet werden. Rund 50 Personen werden in Thüringen "Salafistische Bestrebungen"109 zugeordnet. Salafistische Bestrebungen Historisch war die "Salafiyya" eine islamische Reformbewegung, die im 19. Jahrhundert als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus und die damit einhergehende "Verwestlichung" entstand. Die damaligen "islamischen Modernisten" beabsichtigten, 109 "Salafistische Bestrebungen" stehen im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. So lassen sich Aussagen von Salafisten finden, die beispielsweise mit der in Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) garantieren Menschenwürde, dem Recht auf freie Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG), dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie dem in Art. 3 Abs. 2 GG garantierten Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau kollidieren. Zudem steht der von Salafisten propagierte absolute Wahrheitsanspruch der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG garantierten Religionsfreiheit und dem darin enthaltenen Toleranzgebot entgegen. Durch schwer einsehbare, informelle Schüler-Lehrer-Beziehungen und dynamische Netzwerkbildungen und Hierarchien sind salafistische Gruppierungen in Teilen volatil und schwer greifbar. die Grundsätze des Islam, die von den "frommen Altvorderen"110 ("as-salaf as-salih", daher der Name "Salafiyya") überliefert worden waren, in Einklang mit Fortschritt, Vernunft und gesellschaftlicher Solidarität zu bringen, ohne Muslimen das Gefühl zu geben, ihre innersten Überzeugungen aufzugeben. Heutige Salafisten haben mit ihren historischen Vorgängern nur wenig gemeinsam. Ihnen geht es weniger um Reform und Modernisierung muslimischer Gesellschaften, sondern vielmehr um die Reinigung des Islam von allen vermeintlich fremden kulturellen Einflüssen sowohl aus muslimischen als auch westlichen Gesellschaften. Der moderne Salafismus stellt eine islamistische bzw. politische Ideologie dar, die sich an einem idealisierten "Urislam" des 7. Jahrhunderts orientiert und stark vom saudischen Wahhabismus"111 geprägt ist - zwei Begriffe, die gelegentlich synonym verwandt werden. Zentrale religiöse Merkmale des Salafismus sind die strikte Konzentration auf Koran und Prophetentradition (Sunna) als maßgebliche, handlungsweisende Texte, das unbedingte und - im Vergleich zu anderen islamischen Strömungen - übersteigerte Bekenntnis zur Einheit Gottes (Tauhid), die Durchsetzung des religiösen Gesetzes (Scharia) sowie eine Vielzahl an Kleidungsund Verhaltensvorschriften. Jegliches Abweichen davon lehnen Ausländerextremismus Salafisten als Neuerung (Bid'a) und als Verfälschung der wahren Lehre ab. Andersdenkende - insbesondere auch Muslime - werden als "Ungläubige" (Kuffar) diffamiert. "Salafistische Bestrebungen" werden in eine politische und eine jihadistische Strömung unterschieden.112 Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit, die sog. Da'wa (Ruf zum Islam/Missionierung), um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten und politischen und gesellschaftlichen 110 "Bezeichnet die ersten drei Generationen der Muslime bis etwa um das Jahr 720; sie gelten allen Muslimen seit jeher als vorbildlich, da sie die Lebensweise des Propheten Mohammed (gest. 632) bzw. der vier "rechtgeleiteten Kalifen" und das "goldene Zeitalter" des Islam miterlebt haben. 111 Der Rechtsgelehrte Mohammed Ibn ABD AL WAHHAB (1703-1792) begründete den Wahhabismus als eine religiöse und politische Reformbewegung mit dem Ziel, den Islam von vermeintlichen oder tatsächlichen "Neuerungen" zu befreien, die ihm über die Jahrhunderte zugewachsen waren. Der Wahhabismus, die einflussreichste Strömung innerhalb des Salafismus, ist heute Staatsdoktrin in SaudiArabien. In dem "Gottesstaat" herrscht eine absolute Monarchie, die keine Gewaltenteilung vorsieht; Verfassung ist der Koran. Trotz einzelner Reformen in jüngster Zeit bestehen aus religiösen Gründen nach wie vor eine rigorose Geschlechtertrennung, ein Wahlverbot für Frauen und ein Verbot von Kinos und Theatern. Der heutige Salafismus fand seit den 1960er Jahren vor allem über die staatliche Missionspolitik Saudi-Arabiens weltweit Verbreitung. 112 Der vermeintlich apolitischen quietistischen Strömung innerhalb der salafistischen Bestrebungen kommt im Verfassungsschutzverbund keine Bedeutung zu. 137 138 Einfluss zu gewinnen. Anhänger des jihadistischen Salafismus hingegen glauben, ihre Ziele durch Gewaltanwendung realisieren zu können. Ausländerextremismus Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend. Jihadistische wie politische Salafisten rezipieren die Ideen derselben Autoritäten und Vordenker. Ihre ideologischen Grundlagen sowie die angestrebten politischen und gesellschaftlichen Ziele gleichen sich. Unterschiede weisen sie vor allem bei der Wahl jener Mittel auf, mit denen ihre Ziele verwirklicht werden sollen. Der Salafismus gilt als die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Ihr werden in Deutschland ca. 3.800 Personen zugerechnet.113 Die Mehrzahl der salafistisch geprägten Einrichtungen in Deutschland ist dem politisch ausgerichteten Teilspektrum zuzuordnen. Dessen Akteure positionieren sich mitunter ostentativ gegen Terrorismus. Sie vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt und damit ein aggressiv-kämpferisches Vorgehen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Dennoch ist festzustellen, dass nahezu alle Personen mit Deutschlandbezug114, die den gewaltsamen Jihad befürworten, zuvor mit salafistischen Strukturen in Kontakt standen. In Thüringen wurde einschlägige Propaganda 2011 vor allem von Gastpredigern sowie über Broschüren und das Internet verbreitet. Vertreter und Multiplikatoren des Salafismus traten sowohl im "Internationalen Islamischen Kulturzentrum - Erfurter Moschee e. V." (IIKz Erfurt) als auch im "Internationalen Islamischen Kulturzentrum Nordhausen e. V." (IIKz Nordhausen) als Referenten oder reguläre Teilnehmer bei Islamseminaren oder ähnlichen Vortragsveranstaltungen auf. Im Berichtszeitraum konnte eine zunehmende Vernetzung salafistischer Akteure und ihrer Aktivitäten festgestellt werden. Zusätzlich zu den mehrtägigen Seminaren, die in Thüringen seit 2005 stattfinden, waren seit Mai 2011 monatliche Schulungen im IIKz Erfurt mit dem 113 Die Zahlenangabe beruht teilweise auf Schätzungen und ist gerundet. Eine exakte Bezifferung wird durch strukturelle Besonderheiten salafistischer Bestrebungen in Deutschland erschwert. So weisen zahlreiche salafistische Personenzusammenschlüsse keine festen Strukturen auf. Gleichzeitig finden sich Salafisten in Organisationen und Einrichtungen anderer islamistischer Beobachtungsobjekte. 114 Deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund bzw. Konvertiten sowie in Deutschland aufhältig gewesene Personen anderer Staatsangehörigkeit. salafistisch geprägten Imam der "Islamischen Gemeinde in Sachsen - Al-Rahman-Moschee e. V." (IGS-ARM), Hassan DABBAGH, angekündigt, aber nicht regelmäßig durchgeführt worden. Islamseminaren kommt bei der Vermittlung eines salafistischen Islamverständnisses eine besondere Rolle zu: Für eine ganze Reihe von Personen aus dem islamistisch-terroristischen Spektrum bilden sie einen Baustein in ihrer Radikalisierungsbiographie und dienen als eine Art "Kontaktbörse" für Gleichgesinnte. In erster Linie werden jedoch salafistisch geprägte Inhalte vermittelt, die sich in der Regel im juristisch unanfechtbaren Rahmen bewegen.115 Vertreter des IIKz Erfurt sowie assoziierter muslimischer Gemeinden organisierten im Berichtszeitraum thüringenweit vermehrt "Islamische Informationsstände", bei denen salafistische und vom saudischen Islam geprägte Schriften verbreitet wurden. Einige der darin formulierten Forderungen, wie z. B. die Errichtung eines islamischen Gottesstaats und die uneingeschränkte Anwendung der Scharia, stehen im Gegensatz zu den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bzw. der Europäischen Menschenrechtskonvention. "Einladung zum Paradies e. V." (EZP) Ausländerextremismus Seit Dezember 2010 war ein Verbotsverfahren gegen den zuletzt in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) ansässigen Verein um die bekannten Prediger Pierre VOGEL und Muhamed CIFTCI anhängig, dem der Verein im August 2011 mit Selbstauflösung begegnete. EZP wurde verdächtigt, als Teil eines bundesweit agierenden salafistischen Netzwerks die verfassungsmäßige Ordnung zugunsten eines islamischen Gottesstaats in Deutschland beseitigen zu wollen. Vereinsvertreter standen mit Protagonisten islamischer Vereine Thüringens in Kontakt und traten als Referenten bei regionalen Islamseminaren oder ähnlichen Vortragsveranstaltung auf. Informationsmaterial von EZP, das laut Impressum aus SaudiArabien stammte, wurde bei "Islamischen Informationsständen" in Thüringen kostenlos verteilt. 115 Im IIKz Erfurt wurde 2011 beispielsweise aus den Werken des 941 verstorbenen und von Salafisten anerkannten irakischen Gelehrten Al-Barbahari zitiert, der zur hanbalitischen Rechtsschule zählt und für seine scharfe Kritik an Schiiten und anderen Muslimen bekannt ist, die er als Häretiker betrachtete. 139 140 2.2.1 Islamistische Bestrebungen im Einzelnen Im Folgenden werden islamistische Organisationen dargestellt, denen auch in Thüringen ansässige Personen angehören. Ausländerextremismus 2.2.1.1 "Muslimbruderschaft" (MB) Gründung 1928 in Ägypten Leitung Muhammad BADI (Sitz: Ägypten)) Publikationen "Risalat al-Ikhwan" (Rundschreiben der Bruderschaft) Mitglieder/ 2011 ca. 1.300 Anhänger (Bund) 2010 ca. 1.300 2009 ca. 1.300 Mitglieder/ 2011: einzelne Anhänger 2010: einzelne (Thüringen) 2009: einzelne Die MB wurde 1928 von Hasan AL-BANNA (1909-1949) in Ägypten gegründet und entwickelte sich dort zu einem Sammelbecken nationalistischer und antikolonialistischer Islamisten. AL-BANNA gilt neben Sayyid QUTB (1906-1966) und Abu l-A'la AL-MAUDUDI (1903-79) als wichtigster Wegbereiter des politischen Islam im 20. Jahrhundert. Er und seine Anhänger strebten eine Erneuerung, Einigung und damit Stärkung der ägyptischen Gesellschaft und der muslimischen Gemeinde (Umma) insgesamt auf der Grundlage einer politischen Interpretation des Islam an, deren Kernstück die Scharia sein sollte. Nach einem erstmals 1948 von der ägyptischen Regierung verhängten Organisationsverbot und dessen 1950 für kurze Zeit erfolgter Aufhebung musste sich die Bewegung seit 1954 offiziell jeglicher politischer Betätigung enthalten. Aus den 2011 in Ägypten vollzogenen revolutionären Veränderungen und der damit verbundenen Parlamentsneuwahl ging die MB inzwischen als stärkste politische Kraft hervor. Die MB gilt als einflussreichste islamistische Bewegung weltweit. Unter verschiedenen Bezeichnungen und in unterschiedlicher Ausprägung ist sie in nahezu allen muslimischen Ländern vertreten. So basieren u. a. die tunesische "al-Nahda" und die palästinensische HAMAS auf der Ideologie der MB, die auf eine Wiederbelebung des Islam durch Schaffung eines islamischen Staats abzielt. Die Abgrenzung von Einflüssen des "Westens" und die Rückbesinnung auf die Werte und Traditionen des Islam prägen die Programmatik der MB. Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) ist Mitglied des der MB nahestehenden Dachverbands "Federation of Islamic Organizations of Europe" (FIOE) mit Sitz in Brüssel. Neben ihrem Stammsitz in München unterhält die IGD nach eigenen Angaben "Islamische Zentren" in mehreren deutschen Städten. Die IGD setzt auf eine Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich, um ihren Anhängern Freiräume für eine an der Scharia orientierte Lebensweise zu ermöglichen. Die HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung"), 1988 als palästinensischer Zweig der MB gegründet, unterhält einen paramilitärischen Kampfverband und befürwortet Gewalt zur Durchsetzung ihres Ziels, auf dem gesamten Gebiet "Palästinas"116 einen islamischen Staat zu errichten. Mitglieder und Sympathisanten Ausländerextremismus unterstützen diese von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestufte Vereinigung durch die Sammlung und den Transfer von Spenden. In Thüringen stehen einzelne Mitglieder muslimischer Vereine der MB bzw. ihren verschiedenen Ausprägungen nahe. Auch durch die Verteilung von islamistischem Schriftgut üben diese Organisationen Einfluss auf Muslime im Freistaat aus. 116 Die HAMAS versteht darunter die Region zwischen Mittelmeer und Jordan, somit auch das gesamte Gebiet des Staats Israel. 141 142 2.2.1.2 Tablighi Jama'at (TJ - "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") Ausländerextremismus Gründung um 1926 in Indien Leitung Welt-Schura-Rat Vorsitzender Maulana Ibrahim SAAD Zentren Neu-Delhi (Indien) Raiwind (Pakistan) Dewsbury (Großbritannien) Mitglieder/ 2011 ca. 700 Anhänger (Bund) 2010 ca. 700 2009 ca. 700 Mitglieder/ 2011: einzelne Anhänger 2010: einzelne (Thüringen) 2009: einzelne Die TJ ist eine sunnitische, strengkonservative Glaubensgemeinschaft, die um 1926 in Indien - damals englische Kronkolonie - als islamistische Erweckungsund Missionsbewegung durch Maulawi Muhammad ILYAS gegründet wurde. Mit mehr als 10 Millionen Anhängern weltweit hat sich die TJ inzwischen zu einer transnationalen Massenbewegung entwickelt. Ein Urenkel des TJ-Gründers steht der Gemeinschaft heute vor. Vorrangiges Ziel der TJ ist es, Muslime durch Missionierung (Da'wa) wieder zu einem einzig an den islamischen Quellen (Koran und Sunna) orientierten Leben zurückzuführen. Dabei bezieht sich die TJ bewusst auf das idealisierte Leben der "frommen Altvorderen" aus der Frühzeit des Islam und erhebt ein schariakonformes Leben zum alleinigen Maßstab für den privaten und öffentlichen Bereich. Wenngleich sich die TJ als unpolitisch begreift, ergeben sich durch ihr fundamentalistisches Islamverständnis zwangsläufig Konflikte mit dem Grundgesetz. Die TJ selbst verfügt weder über offizielle Statuten noch veröffentlicht sie periodische Publikationen oder unterhält eine Homepage im Internet. Beziehungen untereinander beruhen auf persönlichen Kontakten. Neben dem Koran zählen Schriften des TJ-Gründers zur "Standardliteratur" und sind Richtschnur der TJ-Anhänger. Durch Missionsreisen und damit verbundene Tätigkeiten ist die TJ bemüht, ihre Lehre zu verbreiten. Obwohl ein Großteil ihrer Anhängerschaft vor allem in Pakistan und Indien vornehmlich der Mittelund Oberschicht entstammt, laden Anhänger der TJ in Deutschland vor allem junge Muslime aus sozial benachteiligten Milieus zu ihren Veranstaltungen ein. Wenngleich die TJ selbst den islamistischen Terrorismus nicht aktiv unterstützt, scheint sie durchaus als Rekrutierungsbasis für gewaltbefürwortende islamistische Gruppen zu dienen. Letztgenannte machen sich zudem die weltweite TJ-Infrastruktur zu Nutzen. In Thüringen praktizieren lediglich einige wenige Muslime ihren Glauben gemäß den rigiden Vorstellungen der TJ und gehen der "Pflicht zur Missionierung" aktiv nach. 2.2.1.3 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB)117 Gründung Anfang der 1990er Jahre im Kaukasus Die Organisation "Kaukasisches Emirat" (KE) ist gespalten in: Leitung: Dokku UMAROV Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 200 (2010: ca. 200) Ausländerextremismus "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) Leitung: Ahmed ZAKAEV Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 300 (2010: ca. 300) 2011 ca. 500 Mitglieder/ 2010 ca. 500 Anhänger (Bund) 2009 ca. 500 Mitglieder/ 2011: 25 Anhänger 2010: einzelne (Thüringen) 2009: einzelne 117 Vormals "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/"Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB). Bei der Bezeichnung NKSB handelt es sich um einen Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass sich der Konflikt auf das Gebiet des Nordkaukasus ausgebreitet und die Zahl der Anschläge seit 2009 zugenommen hat. 143 144 Nach dem Zerfall der UdSSR im Jahr 1991 und im Zuge der Unabhängigkeit der südkaukasischen Staaten gründete sich Anfang der 1990er Ausländerextremismus Jahre die "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI), deren Ziel ein von der Russischen Föderation (RF) unabhängiger islamischer Staat auf Grundlage der Scharia ist. Die Organisation verfolgt eine gewaltbefürwortende und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Strategie im Widerstand gegen die Russische Förderation. Seit Ausrufung des "Kaukasischen Emirats" (KE) durch Dokku UMAROV im Jahr 2007 vertieften sich Differenzen innerhalb der NKSB über die strategische Ausrichtung des Widerstands. Dies hatte die Spaltung der NKSB in das islamistisch-terroristisch ausgerichtete KE um UMAROV und den vorgeblich "pro-demokratischen" bzw. "nationalistischen" CRI-Flügel um Ahmed ZAKAEV zur Folge. So strebt das KE einen von der RF unabhängigen islamischen Staat auf dem Gebiet des gesamten Nordkauksaus mit Waffengewalt an, der CRI-Flügel hingegen will dies in Tschetschenien auf politischem Wege erreichen. Der Konflikt strahlt bis in die nordkaukasische Diaspora in Deutschland aus. UMAROV wird vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen seit Beschluss vom 10. März als Anführer einer terroristischen Gruppierung im Nordkaukasus auf der Liste internationaler terroristischer Organisationen der Vereinten Nationen geführt. Er war zuvor bereits am 23. Juni 2010 von der US-Regierung auf die Liste der meist gesuchten Terroristen gesetzt worden. Ein auch innerhalb des KE bestehender Konflikt über die strategische und militärische Ausrichtung wurde Ende Juli 2011 mit einer Videobotschaft der beiden wichtigsten tschetschenischen Kommandeure beigelegt. Diese bekundeten ihre Aussöhnung mit UMAROV und erneuerten ihm gegenüber ihren Treueeid. Die Gründe für die Verständigung dürften vorrangig strategischer Natur bzw. durch personelle Verluste in der Führungsriege begründet sein. Eine Gruppe abtrünniger Kämpfer verweigert UMAROV jedoch weiterhin die Gefolgschaft. Damit sind auch künftig Konfrontationen in der Organisation hinsichtlich der Strategie innerhalb des KE zu erwarten. ZAKAEV, der im Oktober 2010 als "Ministerpräsident" der CRI zurückgetreten war und sich mit den seinerzeit abtrünnigen tschetschenischen Kommandeuren des KE solidarisiert hatte, soll nach wie vor die Funktion des offiziellen Führers der CRI bekleiden. Sein tatsächlicher Einfluss auf die tschetschenische Diaspora in Europa scheint jedoch gering. An dem in den letzten Jahren von Tschetschenien auf benachbarte Kaukasusrepubliken ausgeweiteten Konflikt beteiligen sich zunehmend regionale militant-islamistische, dem KE nahestehende Gruppierungen mit der Absicht, Anschläge auf zentrale russische Regierungsautoritäten oder auf militärische und zivile Einrichtungen zu verüben. Bei einem Selbstmordattentat auf dem Moskauer Flughafen "Domodedowo" am 24. Januar wurden 36 Menschen, darunter auch ein Deutscher, getötet und über 200 Personen zum Teil schwer verletzt. UMAROV bekannte sich in einem Video zu dem Anschlag. Anfang 2011 kam es zu einer Reihe von Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen in der Nähe von Sochi (RF), dem Austragungsort der Olympischen Winterspiele 2014. So wurden in einem SkiAusländerextremismus gebiet eine Seilbahn gesprengt, ein Angriff auf einen mit russischen Touristen besetzten Kleinbus verübt und eine Sprengvorrichtung an einer Gaspipeline platziert, die jedoch rechtzeitig entschärft werden konnte. Wenngleich bisher keine Bekennungen vorliegen, dürfte aufgrund der Gesamtumstände jedoch von der Urheberschaft militanter kaukasischer Gruppierungen auszugehen sein. In Thüringen zählt die NKSB derzeit etwa 25 Anhänger. Der überwiegende Anteil davon sympathisiert mit der CRI, nur einzelne Personen können dem KE zugerechnet werden. Zudem sind Anhänger der NKSB auch in salafistische Netzwerkstrukturen eingebunden. Die Zahl der in Deutschland insgesamt ansässigen Anhänger der NKSB wird aktuell auf etwa 500 Personen geschätzt. Sie vertreten ihre Interessen bisher gewaltfrei. Die Mehrheit, schätzungsweise etwa 300 Personen, ist dem CRI-Flügel um ZAKAEV zuzuordnen. Eine nicht unerhebliche Zahl von Personen symphathisiert jedoch mit UMAROVs Vorstellungen von einem islamistisch-terroristisch 145 146 ausgerichteten KE und leistet von Deutschland aus Unterstützung. Einzelne Anhänger des KE verfügen über direkte Kontakte zu Führungspersonen im Kaukasus oder sind mit islamistischen und teilweise auch kriminell organisierten Strukturen im europäischen Ausländerextremismus Ausland, insbesondere in Belgien, Österreich und Tschechien, vernetzt. Die Aktivitäten gehen vorwiegend von Einzelpersonen aus, die bundesweit Gelder zur Unterstützung der Bewegung im Nordkaukasus sammeln. In diesem Zusammenhang wurden bereits 2010 in Deutschland, Belgien, den Niederlanden und in Österreich Personen tschetschenischer Herkunft festgenommen, die neben der Sammlung von Spendengeldern auch der Rekrutierung von Kämpfern für die bewaffneten Auseinandersetzungen im Nordkaukasus beschuldigt werden. Mittels Anschlägen und Anschlagsversuchen sind militant-islamistische kaukasische Gruppen bestrebt, den regionalen Konflikt auch in die internationale Medienberichterstattung zu rücken und zu belegen, dass russische Sicherheitsbehörden außerstande seien, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Kaukasische Separatisten konzentrieren sich vor allem auf Anschlagsziele in der RF. Die Ausdehnung des Kaukasus-Konflikts in das Kernland der RF bedingt ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für geplante sportliche Großveranstaltungen. Kaukasische Separatisten hatten bereits öffentlich damit gedroht, die Olympischen Winterspiele 2014 zu stören. Von Anhängern der NKSB in Deutschland geht nach bisherigem Erkenntnisstand keine Bedrohung für Personen oder Einrichtungen in Europa aus. Deutschland dient primär als Rückzugsraum für die finanzielle und logistische Unterstützung der Organisation im Nordkaukasus. 3. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung 1978 in der Türkei als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) weitere Bezeichnungen: - "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) - "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) - "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) - "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Betätigungsverbot Verbotsverfügung vom 22.11.1993 Auch sämtliche o. g. Nachfolgeorganisationen sind davon erfasst. Aufgrund der strukturellen Gleichheit zur Ursprungsorganisation wird von den Sicherheitsbehörden weiterhin die Bezeichnung PKK verwandt. Leitung Abdullah ÖCALAN u. a. "SERXWEBUN" ("Unabhängigkeit"), Publikationen monatlich Ausländerextremismus Mitglieder/ 2011 ca. 13.000 Anhänger (Bund) 2010 ca. 11.500 2009 ca. 11.500 Teilgebiet Erfurt 2011 ca. 90 2010 ca. 80 2009 ca. 70 3.1 Überblick, allgemeine Lage Trotz einer verschärften Haftsituation und des eingeschränkten Kontakts zu seinen Anwälten steht der seit 1999 inhaftierte Parteigründer Abdullah ÖCALAN weiterhin an der Spitze der Organisation. Er wird von ihren Anhängern nach wie vor als Symbolfigur verehrt. Einzig das Anliegen der Partei erfuhr in 147 148 den zurückliegenden Jahren eine Neujustierung. Man wolle nicht mehr im Rahmen eines bis dahin geführten Guerillakriegs einen autonomen Kurdenstaat erreichen, sondern sich vielmehr für die Anerkennung der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Ausländerextremismus Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei einsetzen. Dabei bedient sich die PKK weiterhin einer Doppelstrategie. Um ein friedliches Erscheinungsbild gegenüber der westeuropäischen Öffentlichkeit bemüht, werben ihre Anhänger bei Kundgebungen oder anlassbezogenen Gedenkund Kulturveranstaltungen vordergründig um politische Anerkennung ihrer Interessen. In der Türkei und der nordirakischen Grenzregion bedient sie sich über die "Volksverteidigungskräfte" (HPG) jedoch nach wie vor militärischer Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele.118 Auf Empfehlung ÖCALANs rief die Führung der PKK einen bis zu den türkischen Parlamentswahlen am 12. Juni währenden Waffenstillstand aus, der nur dann auch darüber hinaus Bestand haben sollte, wenn es zur Freilassung inhaftierter kurdischer Politiker sowie zur Einbindung ÖCALANs in einen auf politischer Ebene zu vollziehenden Abstimmungsprozess käme. Proteste fanden bereits im Vorfeld der Wahl statt, als einige Kandidaten wegen zumeist PKK-bedingter Vorstrafen nicht zur Wahl zugelassen worden waren. Die spätere Entscheidung des Wahlrats, einem Kandidaten119 sein errungenes Parlamentsmandat wegen dessen bestehender Untersuchungshaft abzuerkennen, war in der türkischen Öffentlichkeit ebenfalls heftig umstritten. Für die Anwälte ÖCALANs bestand ab dem 27. Juli ein Besuchsverbot bei ihrem inhaftierten Mandanten - aus Sicht der PKK eine durch staatliche Blockade herbeigeführte "Isolationshaft"120. Die im Jahre 2009 begonnene "Kurdische Initiative" zur Befriedung des PKK-Konflikts kam zum Erliegen. Am 28. August verübten die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK)121 - eigenem Bekunden 118 Nachdem der Europäische Rat im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem vorrangigen Ziel der EU erklärte, ist die PKK seit 2002 auf der in diesem Zusammenhang eingerichteten sog. EU-Terrorliste notiert. Dort können Personen, Vereinigungen und Körperschaften erfasst werden, wenn eine zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaats über Beweise oder schlüssige Indizien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Konsequenz der Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtiger Personen und Organisationen. 119 Er gehört der Partei "Baris ve Demokrasi Partisi" (BDP) - "Partei des Friedens und der Demokratie" an, die insgesamt 36 der 550 Sitze des Türkischen Parlaments errang. Die BDP vertritt die Interessen der kurdischen Minderheit in der Türkei. 120 ÖCALAN befindet sich seit 1999 - bis Ende 2009 ohne Mithäftlinge - auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali in Haft. 121 Seit 2006 in der sog. EU-Terrorliste erfasst. nach eine Abspaltung der HPG - Anschläge in dem türkischen Ferienort Kemer und am 20. September in Ankara. Die HPG distanzierten sich von den Anschlägen. Aufgrund der militärisch weiterhin angespannten Lage verlängerte das türkische Parlament das seit Oktober 2007 bestehende Mandat für grenzüberschreitende Operationen im Nordirak um ein weiteres Jahr. Am 18./19. Oktober griffen Kämpfer der HPG im Gebiet Cukurca gleichzeitig acht Stellungen der türkischen Streitkräfte an. Bei den Gefechten sollen nach Angaben türkischer Behörden 24 Soldaten und Polizisten getötet sowie 18 weitere verletzt worden sein. Den schwersten und verlustreichsten Angriff seit 1992 erwiderte das türkische Militär mit Bombardierungen von PKK-Stützpunkten im Nordirak. Europaweit reagierten PKK-Anhänger darauf mit diversen Protestaktionen, wie der Besetzung des Fernsehsenders RTL am 28. September in Köln. In Deutschland kam es bei Kundgebungen zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen PKKAnhängern und nationalistischen Türken. 3.2 Organisatorische Situation/Strukturen Bemüht, die seit 2000 proklamierte "neue politische Linie" auch nach außen zu dokumentieren, trat die PKK unter wechselnden Organisationsbezeichnungen auf. Im Jahr 2002 unter KADEK agieAusländerextremismus rend benannte sie sich bereits 2003 in KONGRA GEL um. Nach einem "Kongress zum Wiederaufbau" im Jahr 2005 wurde auch die Bezeichnung "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (kurdisch "Koma Komalen Kurdistan" - KKK), die wiederum 2007 in "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (kurdisch "Koma Civaken Kurdistan" - KCK) überging, verwandt. Unverändert blieb hingegen die ÖCALAN zuerkannte Autorität als "kurdischer Volksführer". Auf der Ebene des KCK wird er von dem formal als KCKExekutivratsvorsitzenden agierenden Murat KARAYILAN vertreten. Dem weiterhin bestehenden KONGRA GEL - dieser dient der internen Beschlussfassung und übt parlamentsähnliche Funktionen aus - sitzt Remzi KARTAL vor. Mit wirklichen "Neugründungen" hatten vorgenannte Veränderungen kaum etwas gemein. So blieben maßgebliche Stellen in allen Gremien mit linientreuen Funktionären besetzt. Gleiches gilt für die ebenfalls 2005 proklamierte "neue PKK". Sie ersetze nicht 149 150 bestehende Strukturen, sondern stehe für die organisationsinterne ideologische Festigung, hieß es in entsprechenden Verlautbarungen. Ausländerextremismus Die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (kurdisch "Civata Demokratik a Kurdistan" - CDK)122 bestimmt die politischen Aktivitäten der PKK in Europa. Die Bundesrepublik Deutschland ist Teil der hierarchischen Struktur der PKK, bestehend aus drei "Regionen" (Nord, Mitte, Süd) mit 28 "Gebieten", die sich wiederum in "Teilgebiete" untergliedern. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre stellt das "Teilgebiet Erfurt" die einzige in Thüringen etablierte Struktur der PKK dar. Es ist dem "Gebiet Kassel", welches der "Region Nord" zugehört, organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum Erfurt auch Weimar und Teile Nord-, Westsowie Südwestthüringens. Ein von der Partei bestimmter Teilgebietsleiter ist u. a. für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, die Verteilung und den Verkauf von Propagandamaterial sowie die Spendensammlungen verantwortlich. Die PKK-Anhängerschaft im "Teilgebiet Erfurt" umfasst ca. 90 Personen (2010: 80). Die umzusetzenden Vorgaben und Anordnungen der CDK-Leitung werden durch Gebietsund Teilgebietsleiter zur Basis transportiert. Diese ist vornehmlich in kurdischen Kulturvereinen organisiert. In Deutschland existieren etwa 45 solcher Vereine, die dem Dachverband "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) angeschlossen sind. Dazu zählte bis zum Herbst 2010 auch der "Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e. V.", dessen öffentlichkeitswirksame Betätigung nach der 2008 erfolgten Aufgabe des Vereinsobjekts deutlich zurückgegangen war. Seit 2011 ist der Verein nicht mehr im Vereinsregister eingetragen. 122 Der vormals als "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) bezeichnete politische Arm der PKK war 1993 ebenfalls mit einem Betätigungsverbot belegt worden. 3.3 Finanzierung Die PKK nutzt verschiedene Finanzierungsquellen, u. a. Mitgliedsbeiträge, Veranstaltungseinnahmen und den Publikationsverkauf. Den weitaus größten Einnahmenanteil erzielt sie während der jährlich unter den Anhängern in Europa durchgeführten Spendenkampagne. Allein in Deutschland wurden anlässlich der Spendenkampagne 2010/2011 mehrere Millionen Euro gesammelt. In diesem Jahr versuchte die PKK zudem, ein Erdbeben, das sich im Oktober in der Osttürkei ereignete, für Spendensammlungen zu instrumentalisieren. Die eingenommenen Gelder dienen vorrangig der Finanzierung der Guerillaeinheiten und dem Unterhalt der umfangreichen PKKStrukturen. Darüber hinaus werden diverse Großveranstaltungen damit finanziert. 3.4 Propaganda und Themenschwerpunkte Die PKK-Gliederungen in Deutschland sind bestrebt, mit diversen Veranstaltungen und Aktionen das öffentliche Meinungsbild in ihrem Sinne zu beeinflussen. Im Berichtszeitraum wurden die Veranstaltungen insbesondere von den Parlamentswahlen in der Türkei und den Kampfhandlungen der HPG bzw. des türkischen Ausländerextremismus Militärs beeinflusst. "19. Internationales Kurdisches Kulturfestival" am 3. September in Köln Am 3. September fand im "Rhein-Energie-Stadion" in Köln das von der YEKKOM organisierte "19. Internationale Kurdische Kulturfestival" unter dem Motto "Freiheit für Abdullah ÖCALAN, Frieden für Kurdistan" mit ca. 40.000 Teilnehmern statt. Es waren auch Personen aus Thüringen angereist. Die von der CDK am 14. Juli ausgerufene "Demokratische Autonomie" war Hauptthema des Festivals. Es sei die Aufgabe 151 152 der Kurden, diesen Status in allen Bereichen zu fördern, aufzubauen und sich für diesen einzusetzen. YEK-KOM führt Identitätskampagne durch Ausländerextremismus Die im Februar von der YEK-KOM ins Leben gerufene und im Laufe des Jahres regelmäßig thematisierte Identitätskampagne wurde nach Angaben der PKK-nahen Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) am 15. September mit einer Kundgebung in Berlin und der Übergabe von 60.000 Unterschriften an den Petitionsausschuss des Bundestags beendet. Auch im "Teilgebiet Erfurt" waren Unterschriften für diese Aktion gesammelt worden. Zu den Hauptzielen der Kampagne zählten die Anerkennung der Kurden als eigenständige Ethnie, die Aufhebung des PKK-Verbots, die Zulassung kurdischer Vornamen und kurdischsprachiger Radiosendungen sowie die Anerkennung des kurdischen Neujahrsfestes als Feiertag in Deutschland. Demonstration gegen Aktionen des türkischen Militärs am 28. Dezember In einer Erklärung vom 30. Dezember hielten die HPG "das Volk von Kurdistan" an, "auf dieses Massaker zu reagieren". In verschiedenen deutschen Städten kam es daraufhin zu Demonstrationen. Am 31. Dezember fand in der Erfurter Innenstadt eine Kundgebung unter dem Motto "Protest gegen die militärischen Luftangriffe der türkischen Armee auf Zivillisten" statt. Die ca. 80 Teilnehmer entrollten Transparente - das Zeigen eines Abbildes von PKK-Führer Abdullah ÖCALAN wurde polizeilich unterbunden -, skandierten Sprechchöre, einzelne Personen hielten Ansprachen. Es wurde die, nach Auffassung der Demonstranten, unzureichende Meinungsfreiheit in der Türkei sowie der Bombenabwurf durch das türkische Militär in der Provinz Sirnak (Türkei) kritisiert. Bei dem Einsatz kamen 35 Zivilisten ums Leben. Deutschland unterstütze die Türkei beim Genozid an den Kurden und die Welt schaue zu, hieß es. V. Scientology-Organisation (SO) Gründung 1954 in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Hauptsitz Los Angeles Leitung David MISCAVIGE, Vorstandsvorsitzender der "Religious Technology Center" (RTC) Publikationen u. a. "Dianetik-Post", "Impact", "Freewinds", "Freiheit" Mitglieder/ 2011 ca. 4.000 bis 5.000 Anhänger (Bund) 2010 ca. 4.500 bis 5.000 2009 ca. 4.500 bis 5.000 Mitglieder/ 2011 ca. 20 Anhänger 2010 ca. 20 Thüringen 2009 einzelne 1. Verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO Scientology-Organisation Seit dem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) vom 5./6. Juni 1997 wird die SO durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Mehrheit der Länder beobachtet. Die IMK stellte fest, dass bei der SO tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen. So besäßen in einer scientologisch geprägten Gesellschaft die durch das Grundgesetz garantierten Rechte keineswegs einen für die Allgemeinheit verbindlichen Charakter. Die Ideologie der SO entwickelt sich nicht aus der permanenten, rationalen, diskussionsund lernbereiten Auseinandersetzung mit der Geistesund Ideengeschichte, sondern beruft sich auf die angeblich "ewige" Wahrheit ihrer Lehrsätze. Selbst konstruktive Kritik an diesen Lehrsätzen gilt bereits 153 154 als abweichlerisches und sanktionswürdiges Verhalten. Wesentliche Grundund Menschenrechte, wie jene auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Gleichbehandlung, würden durch eine scientologische Gesellschaftsordnung eingeschränkt bzw. außer Scientology-Organisation Kraft gesetzt. Allgemeine und gleiche Wahlen lehnt die SO ab. Obgleich sich die SO gern als Kirche präsentiert, ist sie in Deutschland nicht als solche anerkannt. 2. Organisationsstruktur Die SO geht auf den US-amerikanischen Science-Fiction-Autor Lafayette Ronald HUBBARD (1911-1986) zurück. Er gründete 1954 die erste "Church of Scientology" in Los Angeles, wo sie bis heute ihren Hauptsitz hat. 1982 übernahm offiziell David MISCAVIGE die Leitung der Organisation. Wenngleich die SO selbst 15 Mio. Mitglieder angibt, scheinen Zahlen zwischen 100.000 bis 120.000 realistisch. In Deutschland werden ihr mit abnehmender Tendenz 4.000 bis 5.000 Anhänger zugerechnet. Im Bundesgebiet bestehen gegenwärtig acht "Missionen", acht "Orgs" und zwei "Celebrity Centers" (CCs). Bei den "Missionen" handelt es sich um Basisorganisationen, die einführende Dienste anbieten. Die "Orgs" stellen darüber hinaus ein breiteres Angebot an Kursen, insbesondere zum "Auditing" - der maßgeblichen Psychotechnik, mit der Menschen in das System "Scientology" hineingezogen werden - zur Verfügung. In den CCs werden mit eben jenen Diensten ausschließlich Prominente (Sportler, Künstler und Geschäftsleute) betreut, um diese später als Imageträger für die Organisation einzusetzen. Besondere Bedeutung kommt den als "ideale Orgs" bezeichneten Einrichtungen in den der SO strategisch wichtig erscheinenden Städten zu. In Deutschland haben ihre Einrichtung in Berlin und Hamburg diesen Status erreicht. 3. SO in Thüringen Niederlassungen der SO existieren im Freistaat weiterhin nicht. Aktivitäten der SO beschränken sich auf das Versenden von Broschüren und Informationsmaterialien an öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen. Derartige Maßnahmen gehen jeweils von SO-Niederlassungen außerhalb Thüringens aus. Die SO bemüht sich seit jeher um Kontakt zu Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft. In diesem Sinne setzte sie im Jahr 2011 ihre Informationskampagne fort. Adressaten waren vorrangig Mandatsträger in Landesparlamenten bzw. dort angesiedelte Gremien. Im Februar ging beim Thüringer Landtag entsprechende Post der "Scientology Kirche Frankfurt am Main e. V." ein. Das Schreiben bot einen Rückblick über die Arbeit der SO Frankfurt am Main im Jahr 2010. Als Anlagen waren die Satzung des Vereins sowie eine Grundsatzerklärung der SO Deutschland über Menschenrechte und Demokratie vom 20. April 2008 beigefügt. Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass sich in Thüringen weiterhin Unternehmer mit Kontakt zum "World Institute of Scientology Scientology-Organisation Enterprises" (WISE) betätigen. In diesen Firmen werden scientologische Prinzipien der Unternehmensführung angewandt. Die Unternehmer müssen beträchtliche Spenden an die SO leisten. Es ist nicht auszuschließen, dass vereinzelt Kundendaten an die SO weitergegeben werden. 155 156 VI. Ereigniskalender extremistischer Bestrebungen in Thüringen123 Ereigniskalender Termin: Ereignis: 8. Januar Neujahrsempfang des NPD-Landesverbands Thüringen in Kirchheim 22. Januar Rechtsextremistische Demonstration "Genug ist genug - Opferschutz statt Täterschutz" in Erfurt 29. Januar Mobilisierungsveranstaltung in Kirchheim im Vorfeld rechtsextremistischer Aufzüge am 13. und 19. Februar in Dresden 2.-5. Februar Resonanzaktionen Thüringer Linksextremisten u. a. in Jena, Erfurt, Saalfeld und Arnstadt anlässlich der Räumung des Berliner Szeneobjekts "Liebigstraße 14" 5.-12. Februar Diverse Aktionen im Rahmen der rechtsextremistischen Aktionswoche "Ein Licht für Dresden" in Jena, Kahla, Erfurt, Weimar, Weimarer Land, Saalfeld 11.-12. Februar Veranstaltung der "Exilregierung Deutsches Reich" in Mosbach 13. Februar Rechtsextremistische Demonstration "Ein Licht für Dresden" in Gera FebruarIslamische Informationsstände des IIKz Erfurt November in Erfurt, Ilmenau, Weimar, Jena und Gera 18.-20. März Frühjahrstagung der AG - GGG in Nordthüringen 18.-20. März Wochenendseminar der DKP Thüringen "Wie tief schläft die Arbeiterklasse" 2. April Festveranstaltung der "KPD-Regionalorganisation Bad Langensalza und Umland" 9. April Demonstration des NPD-Kreisverbands Gera "Der Krieg kennt nur Opfer - Auch Deutsche!" in Gera 123 Es handelt sich um eine Zusammenstellung repräsentativer Szeneveranstaltungen. 15.-16. April Veranstaltung der "Exilregierung Deutsches Reich" in Mosbach 16. April Linksextremistisch motivierter Anschlag auf ein Gebäude in Jena 16.-17. April Linksextremistisch motivierte Anschläge in Weimar in Zusammenhang mit dem Jahrestag der Räumung des "Besetzten Hauses" in Erfurt 20. April Linksextremistisch motivierter Anschlag auf das Verbindungshaus einer Burschenschaft in Jena Mai Vierte Ausgabe der "Thüringer Regionalzeitungen" der NPD erschienen 1. Mai Salafistisch geprägtes Islamseminar im IIKz Erfurt 7. Mai Viertes "Treffen der Generationen" sowie Kundgebung "In Gedenken an die Opfer des Deutschen Volkes - Der 8. Mai war kein Tag der Befreiung" in Kirchheim 4. Juni "Thüringentag der nationalen Jugend" in Sondershausen 5. Juni Salafistisch geprägtes Islamseminar im IIKz Erfurt 15.-19. Juni Linksextremisten organisieren Protest gegen den in Eisenach ausgerichteten "Burschentag" der "Deutschen Burschenschaft", diverse Ereigniskalender Sachbeschädigungen in Jena, u. a. an dem dortigen Burschenschaftsdenkmal 16.-19. Juni Sommersonnenwendfeier der AG - GGG in Nordthüringen 17. Juni Demonstration des NPD-Kreisverbands Gera "Nie wieder Kommunismus - Freiheit für Deutschland" 18. Juni Landesparteitag der NPD in Kirchheim 18. Juni Übergriff von Rechtsextremisten auf dem Parkund Schlossfest in Greiz 157 158 25. Juni Rechtsextremisten instrumentalisieren Gewaltverbrechen in Zella-Mehlis für eine Demonstration "Opferschutz statt Täterschutz" in Zella-Mehlis Ereigniskalender 3. Juli Salafistisch geprägtes Islamseminar im IIKz Erfurt 24. Juli Rechtsextremistische Spontanversammlungen in Zella-Mehlis und Suhl-Goldlauter "Härtere Strafen für Triebtäter" 23. Juli -13. Neuntes Sommercamp des MLPD-JugendverAugust bands "REBELL" und ihrer Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" in Truckenthal 30. Juli Rechtsextremistische Demonstration "Keine Panzer für Nahost" in Nordhausen 30. Juli Landeskonferenz der KPF Thüringen in Erfurt August Fünfte Ausgabe der "Thüringer Regionalzeitungen" der NPD erschienen 6. August Neunte Veranstaltung "Rock für Deutschland" des NPD-Kreisverbands Gera in Gera 6. August Linksextremistisch motivierte Sachbeschädigung im Rahmen der Proteste gegen "Rock für Deutschland" an einem "Naziladen" in Gera 15.-21. August Rechtsextremistische Propagandaaktionen in Zusammenhang mit dem Todestag von Rudolf HEß in Jena, Kahla, Erfurt, Greiz und dem Saale-Orla-Kreis 1. September Informationsstand der KPD in Erfurt 2. September Rechtsextremistische Flugblattaktion in Jena und Kahla 3. September Rechtsextremistisches Konzert in Unterwellenborn 3. September "NPD Eichsfeldtag" in Leinefelde 10. September Rechtsextremistisches Konzert in Unterwellenborn 10. September Demonstration der NPD Thüringen "Arbeit statt Zuwanderung - Westdeutsche Zustände verhindern!" in Eisenach 15. September Kundgebung der NPD Thüringen "Arbeit, Familie, Heimat" in Erfurt 17.-18. Treffen des "Gedächtnisstätte e. V." September in Guthmannshausen 23.-25. Herbsttreffen der AG - GGG in NordthürinSeptember gen 2. Oktober Nachttanzdemo in Erfurt "disco ohne deutschland. selbstverwaltete zentren ertanzen" 8. Oktober Rechtsextremistische Kundgebung "Opferschutz statt Täterschutz - Höchststrafe für Sexualstraftäter und Kinderschänder" in Erfurt 15. Oktober Rechtsextremistische Demonstration "Nationale Souveränität statt europäische Wirtschaftsregierung" in Weimar 15. Oktober Vortragsveranstaltung des "Gedächtnisstätte e. V." in Guthmannshausen 16. Oktober Brandstiftungen in Weimar nach einer rechtsextremistischen Kundgebung am Vortag 12. November Fünftes "Treffen der Generationen" mit anschließendem rechtsextremistischen Konzert in Unterwellenborn Ereigniskalender 13. November Rechtsextremistisches "Heldengedenken" u. a. im Weimarer Land, in Friedrichroda, auf der "Schmücke" bei Oberhof, in Gera und Eisenach 19. November Rechtsextremistische Kundgebungen "Wir wollen leben - Zukunft statt EU-Wahn" in Erfurt und Weimar 19. November Linksextremisten unterstützen Kundgebung "Verfassungsschutz auflösen. Rassismus bekämpfen. Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren." in Erfurt 159 160 20. November Salafistisch geprägtes Islamseminar im IIKz Erfurt 26. November Rechtsextremistisches Konzert in SchmalkalEreigniskalender den aufgelöst Dezember Sechste Ausgabe der "Thüringer Regionalzeitungen" der NPD erschienen 3. Dezember Demonstration des NPD-Kreisverbands Gera "Raus aus dem Euro - Ja zur D-Mark!" 4. Dezember Salafistisch geprägtes Islamseminar im IIKz Erfurt 10. Dezember Rechtsextremistisches Konzert in Unterwellenborn 10. Dezember Rechtsextremistische Kundgebung "Wir wollen leben - Zukunft statt EU-Wahn" in Apolda 15. Dezember Linksextremisten unterstützen Demonstrationen in Zusammenhang mit der Mordserie des NSU vor dem Erfurter Landtag und dem TLfV 17. Dezember Wintersonnenwendfeier der SJ in Guthmannshausen 23.-25. Salafistisch geprägtes Islamseminar im Dezember IIKz Erfurt 31. Dezember "Protest gegen die militärischen Luftangriffe der türkischen Armee auf Zivilisten" in Erfurt gemäß einem Aufruf der PKK vom 30. Dezember VII. Organisierte Kriminalität (OK) 1. Aufgaben des Verfassungsschutzes Dem TLfV wurde durch das Thüringer Gesetz zur Änderung des Polizeiund Sicherheitsrechts vom 20. Juni 2002 die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität (OK) im Geltungsbereich des Grundgesetzes als zusätzliche Aufgabe übertragen. Neben Thüringen verfügen auch Bayern, das Saarland und Hessen über diese Beobachtungskompetenz. Organisierte Kriminalität erfasst die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten124, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig 1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder 2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder Organisierte Kriminalität 3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft tätig werden. Konspiratives Vorgehen in abgetarnten Gruppen und Netzwerken ist charakteristisch für die OK. Dabei unterliegt die Vorgehensweise einer zunehmenden Professionalisierung und Vernetzung. Die Handelnden üben meist eine unverfänglich wirkende Geschäftstätigkeit aus, um ihre kriminellen Aktivitäten zu verschleiern. Unter Nutzung modernster Technikund Logistikeinrichtungen werden inkriminierte Gelder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt, wobei man sich mitunter nur schwer zu durchdringender internationaler Verflechtungen bedient. Teile des erzielten Gewinns dienen dem weiteren Ausbau der illegalen Strukturen. 124 Vorwiegend Delikte im Bereich der Geldund Wertpapierfälschung, des Menschenhandels, der Bandenkriminalität sowie Waffenund Betäubungsmitteldelikte. 161 162 Die Beobachtung durch das TLfV zielt auf das Erkennen personeller Strukturen, möglicher Deliktsfelder sowie logistischer und wirtschaftlicher Verflechtungen ab, um staatliche Stellen frühzeitig über die von der OK ausgehenden Gefährdungen unterrichten zu Organisierte Kriminalität können. 2. Beobachtungsgegenstand in Thüringen Im Zentrum der hiesigen Beobachtungen standen im Berichtsjahr kriminelle Rockergruppierungen. Sogenannte Outlaw Motorcycle Gangs (OMGs) und ihre kriminellen Mitglieder stellen eine ernstzunehmende Erscheinung der OK und eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Die "Gangs" sind bestrebt, Einfluss auf verschiedene Kriminalitätsund Wirtschaftsbereiche zu erlangen und pflegen enge Kontakte zu anderen Gruppierungen, die zum Teil ebenfalls der OK zuzurechnen sind. OMGs grenzen sich - auch äußerlich erkennbar - bewusst von anderen Motorradclubs sowie den Normen und Wertvorstellungen der Gesellschaft ab. Sie sind zudem durch einen streng hierarchischen Aufbau, enge persönliche Bindungen der Gruppenmitglieder untereinander sowie selbst geschaffene strenge Regeln und Satzungen, den sog. Ehrenkodex, gekennzeichnet. Mitglieder von bundesweiten kriminellen Rockergruppierungen sind vor allem im Vergnügungsgewerbe, in der Tätowierbranche oder dem Security-Sektor geschäftlich aktiv. Oft werden legale Geschäfte betrieben, um kriminelle Handlungen zu tarnen. Die den OMGs zuzuordnenden Clubs sind zudem bemüht, sowohl finanzielle als auch ideelle Unterstützung von Vertretern angesehener Berufsstände zu erlangen, um sich ein einflussreiches Umfeld zu schaffen. Die bekanntesten OMGs, der "Bandidos MC", der "Hells Angels MC", der "Gremium MC" und der "Outlaws MC", sind in Thüringen mit einem Chapter/Charter (Ortsgruppe) oder einem Supporter (Unterstützerclub) vertreten. In Erfurt besteht ein Charter des "Hells Angels MC" sowie das seines Supporters, dem "Red Devils MC". Zudem wurde der "Hells Angels MC" von einer Gruppierung namens "Garde 81" unterstützt, bis diese sich im August des Berichtsjahres auflöste. Der "Outlaws MC Gera" hat sich in Weida niedergelassen. Im Bereich Jena/Weimar unterhält der "Bandidos MC" seit Oktober 2011 ein Chapter im "Probationary"Status.125 Im Thüringer Norden ist ein Chapter des "Gremium MC Mühlhausen" ansässig. In dessen räumlicher Nähe hat der nach außen hin kaum in Erscheinung tretende "Warheads MC", ein Supporter eines hessischen "Bandidos MC"Chapters, seinen Sitz. Das weitläufige Clubgelände des in Südthüringen befindlichen "Bad Seven MC Hildburghausen" - Supporter eines bayerischen "Gremium MC"-Chapters - diente bereits als Ausrichtungsort für den "Euro Run", Organisierte Kriminalität einem jährlichen Treffen von Vertretern aller europäischen Chapter des "Gremium MC". Innerhalb der Chapter/Charter eines kriminellen Rockerclubs werden drei Hierarchieebenen unterschieden. Vor Zuerkennung der Vollmitgliedschaft - sie verlangt die bedingungslose Akzeptanz der Clubkodizes - sind Bewährungszeiten als "Prospects" (ernsthafte Anwärter) und davor als "Hangarounds" (interessierte Anwärter) zu durchlaufen. An der Spitze jener Clubs stehen ein "President" (Präsident) bzw. "Vicepresident" (Vizepräsident). Rockerkriminalität umfasst Straftaten von einzelnen oder mehreren Mitgliedern einer OMG, deren Tatmotivation in direktem Zusammenhang mit der Zugehörigkeit und der Solidarität zu dieser Gruppierung stehen.126 Dazu zählen u. a. der Handel mit Betäu125 Probe/Bewährungs-Chapter; der frühere "Bandidos MC Jena" hatte sich im März 2010 aufgelöst. Einige seiner früheren Mitglieder sind nach langwierigen Gerichtsverfahren 2011 wegen schwerer Straftaten (u. a. versuchter gemeinschaftlicher Mord, versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Nötigung, Bedrohung, räuberische Erpressung, versuchte Brandstiftung) zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. 126 Folgende im Jahr 2011 gegen einzelne OMGs verhängten Vereinsverbote gründeten darauf, dass der Zweck oder die Tätigkeit des als Verein betriebenen Clubs den Strafgesetzen zuwiderlief: Verbot des "Mongols MC Bremen" vom 20. Mai, des "Hells Angels MC Pforzheim" (Baden-Württemberg) vom 10. Juni, der "Hells Angels"-Charter "Westend" sowie "Frankfurt" (beide Hessen) vom 30. September. 163 164 bungsmitteln, die Förderung der Prostitution, die Erpressung von "Schutzgeld" sowie diverse Gewaltdelikte. Die Szene ist insgesamt von einem hohen Bedrohungsund Gewaltpotenzial gekennzeichnet. Auf Grund des massiven Expansionsund Gewinnstrebens der Organisierte Kriminalität Gruppierungen kommt es immer wieder zu Machtkämpfen um Hoheitsgebiete, zu Racheakten und Vergeltungsschlägen, in deren Zusammenhang schwere Straftaten begangen werden. Gewalttätige Konflikte zwischen den Rockerclubs manifestierten sich im Bundesgebiet weitestgehend regional begrenzt. Die Szene in Thüringen bildete 2011 keinen derartigen Brennpunkt. Dennoch können auch hier Unstimmigkeiten zwischen Einzelpersonen jederzeit in gruppendynamische Prozesse umschlagen. Ingesamt befinden sich die Thüringer OMGs noch immer in einer Konsolidierungsphase. Von allen OMGs agiert der "Outlaws MC Gera" am längsten, zugleich aber auch am unauffälligsten. Der "Gremium MC Mühlhausen" erreichte erst zum Jahresende 2011 den Vollchapterstatus. Die Berichterstattung über die mehrmonatigen Prozesse gegen Mitglieder des "Bandidos MC" und laufende gerichtlichen Verhandlungen gegen Personen, die dem "Hells Angels MC Erfurt" zugerechnet werden bzw. diesem organisatorisch nahe standen, dürften das nach außen gepflegte Image der "friedlichen Biker" stark beschädigt haben. Gelegentlich werden einzelne personelle Überschneidungen zwischen der rechtsextremistischen und der kriminellen RockerSzene festgestellt. Meist handelt es sich dabei um Personen, die dem rechtsextremistischen Lager weitestgehend entwachsen sind und sich in das OMG-Spektrum umorientieren. Auf Dauer angelegte Doppelmitgliedschaften erwachsen daraus jedoch nicht. Die OMG-internen Regeln, basierend auf unverbrüchlicher "Bruderschaft" und strenger Disziplin, der Gebrauch spezieller Codes118 sowie das hierarchische System der kriminellen Rockergruppierungen bedienen derartige Wechselabsichten zumindest teilweise. VIII. Spionageabwehr 1. Überblick Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein attraktives Aufklärungsziel der Nachrichtendienste fremder Staaten. Dazu gehören einige Länder aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) ebenso wie solche aus dem nah-, mittelund fernöstlichen sowie dem nordafrikanischen Raum. An den in Deutschland unterhaltenen amtlichen bzw. halbamtlichen Vertretungen dieser Staaten sind die jeweiligen Nachrichtendienste personell unterschiedlich stark präsent. Unter anderem über ihre als Diplomaten auf Tarndienstposten bei sog. Legalresidenturen128 angebundenen Mitarbeiter werden sie zum Zwecke der Informationsbeschaffung entweder selbst - teils offen, teils konspirativ - nachrichtendienstlich tätig oder unterstützen nachrichtendienstliche Operationen, die von den jeweiligen Heimatländern aus geführt werden. Entsprechend ihrer gesetzlichen Aufgabenzuweisung und der politischen Schwerpunktsetzung ihrer staatlichen Auftraggeber orientieren sich die Nachrichtendienste an konkreten Beschaffungszielen zu politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, militärisch-technischen sowie strategischen Fragen. Die Ausspähung und Unterwanderung von in Deutschland lebenden ausländischen Oppositionellen stellen weitere Aktionsfelder einzelner Nachrichtendienste dar. Im Jahr 2011 führte der GeneSpionageabwehr ralbundesanwalt (GBA) in mehreren Fällen Ermittlungen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen Personen, die im Verdacht standen, als Führungsoffiziere oder Hinweisgeber fremder Nachrichtendienste in Deutschland Informationen beschafft zu haben. 128 In Thüringen existieren weder Botschaften noch Generalkonsulate anderer Staaten. 165 166 Anklageerhebungen und Verurteilungen: Spionageabwehr Datum NachrichZielrichtung Tätigkeit AnUrteil tendienst für den klage (ND) ND 12.01.2011 libyscher libysche August X ND Oppositions2007 bis kreise in 13. Mai Deutschland 2010 08.02.2011 libyscher libysche Mai 2010 X ND Oppositionsbis 21. kreise in SeptemDeutschland ber 2010 01.03.2011 russischer Wirtschaft/Militär 1997 bis X ND 2002 20.04.2011 marokkamarokkanische Oktober X nischer ND Oppositionskreise 2009 bis in Deutsch14. Oktoland ber 2010 08.06.2011 chinesischer deutsche Sektion März X ND der Meditations2006 bewegung bis April "Falun Gong" 2010 12.08.2011 marokkamarokkanische Januar X nischer Oppositionskreise 2010 bis ND in Deutschland Juli 2010 23.09.2011 chinesischer uigurische129 2005 bis X ND Gemeinde in 2009 Deutschland 08.11.2011 chinesischer uigurische 2008 X ND Gemeinde in Deutschland 129 Angehörige eines muslimischen Turkvolks, das mehrheitlich den innenpolitisch unruhigen Nordwesten Chinas besiedelt. In der Bundesrepublik Deutschland, schwerpunktmäßig in München, leben in Vereinen organisierte Mitglieder dieser Minderheit. Darüber hinaus sind die Regierungen einiger Staaten bemüht, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen sowie der dazu erforderlichen Trägersysteme zu gelangen. Zur Beschaffung sowohl einzelner Komponenten zu deren Herstellung als auch des erforderlichen Know-hows bedienen sich diese Länder auch ihrer Nachrichtendienste. Die Möglichkeiten der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung sind insbesondere durch die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnik vielfältiger geworden. Der freie Zugang zu aktuellen Informationen jeglicher Art, Globalisierung und elektronische Vernetzung versetzten die Dienste heute in die Lage, nahezu barrierefrei auf unterschiedlichste Daten zugreifen zu können. Bestrebungen fremder Dienste, durch Spionageaktivitäten wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, bestehen fort. Damit einher geht eine stärkere Konzentration der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden auf die präventive Spionageabwehr, um so etwaige Schwachstellen, die Wirtschaftsspionage und Know-how-Transfer erleichtern, aufdecken zu können. 2. Methoden der Nachrichtendienste Neben der klassischen Informationsgewinnung über sog. offene Quellen wie Publikationen, Printmedien, Fachliteratur, Dissertationen usw. bedienen sich fremde Nachrichtendienste immer häuSpionageabwehr figer der vielfältigen Möglichkeiten der modernen Informationstechnologie (IT). Gezielte elektronische Angriffe auf IT-Systeme und Kommunikationsstrukturen kommerzieller und staatlicher Stellen gewinnen dabei zunehmend an Bedeutung. Seit Jahren sind zahlreiche elektronische Angriffe mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund auf deutsche Bundesbehörden und Wirtschaftsunternehmen festzustellen. Staatliche Stellen der Volksrepublik China, aber auch der Russischen Föderation scheinen für die überwiegende Zahl verantwortlich. Das Internet bietet den Akteuren geeignete Voraussetzungen, derart gezielte Maßnahmen mit guten Erfolgsaussichten und geringem persönlichen Risiko umzusetzen. Neben 167 168 dem Ausspähen von Daten besteht die Gefahr, dass netzgebundene Steuereinrichtungen manipuliert werden können. Es kommen speziell entwickelte Schadsoftware, Trojaner und Viren zum Einsatz. Die Datenverluste bleiben oft unbemerkt oder werden erst Spionageabwehr bei Schadenseintritt offenbar. Eine besondere Gefährdung geht von IT-gesteuerten Angriffen auf sog. kritische Infrastruktur130 aus. Daneben bedient man sich weiterhin menschlicher Quellen. Mitunter werden geeignet erscheinende Personen im Rahmen der offenen Gesprächsabschöpfung, z. B. bei Messen oder Fachkonferenzen, angesprochen und der Kontakt in der Folge zielgerichtet intensiviert. Auch ausländische Studenten, Praktikanten, Gastwissenschaftler oder Geschäftspartner können mit einem nachrichtendienstlichen Auftrag ausgestattet worden sein. Anderenfalls werden sie nach Rückkehr in ihre Heimatländer nicht selten von den Nachrichtendiensten bezüglich verwertbarer Informationen abgeschöpft. Mitte Oktober 2011 nahmen Beamte des Bundeskriminalamts in Hessen und Baden-Württemberg ein Ehepaar wegen des dringenden Tatverdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit in Tateinheit mit mittelbarer Falschbeurkundung fest. Beide Personen sollen seit über 20 Jahren als sog. Illegale131 in Deutschland für den zivilen russischen Auslandsnachrichtendienst "Slushba Wneschnej Raswedki" (SWR) bzw. seine Vorläuferorganisation nachrichtendienstlich tätig gewesen zu sein. 3. Proliferation Proliferation bezeichnet die Weitergabe von atomaren, biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) bzw. der zu ihrer Herstellung benötigten Komponenten sowie der entsprechenden Trägertechnologie einschließlich des dazu erforderlichen Knowhows an proliferationsrelevante Staaten132, von denen zu befürchten ist, dass sie diese Waffen in bewaffneten Konflikten einsetzten oder ihren Gebrauch zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. 130 Zum Beispiel Verbundnetze und Anlagen der Energieund Wasserversorgung. 131 Bezeichnung für Mitarbeiter fremder Nachrichtendienste, die zum Zwecke der Informationsbeschaffung mit falschen Identitäten ausgestattet worden sind. Bereits im Juni 2010 war in den USA ein nach dieser Methodik unterhaltener Agentenring des SWR aufgedeckt worden. 132 Nordkorea, Iran, Pakistan, Syrien. Proliferationsrelevante Staaten sind z. T. in der Lage, den bestehenden Bedarf an ausgewählten Produkten und Komponenten selbst zu decken. Sie betreiben eigene Forschungsund Entwicklungseinrichtungen, die ihre Ergebnisse für das Waffenprogramm zur Verfügung stellen. In verschiedenen Bereichen sind diese Einrichtungen jedoch bis heute nicht autark und deshalb auf den Bezug hochwertiger Güter, Stoffe und Bestandteile von außerhalb angewiesen. Restriktive Exportkontrollbestimmungen erschweren den in Betracht kommenden Staaten die Beschaffung einschlägiger Produkte und Einzelkomponenten in Europa und damit auch in Deutschland erheblich. Hierdurch entstehende Einfuhrhemmnisse versuchen sie auch mit Hilfe ihrer Nachrichtendienste zu umgehen. Mit deren Unterstützung werden beispielsweise konspirativ arbeitende Beschaffungsnetze aufgebaut, die u. a. den tatsächlichen Endverwendungszweck der georderten Waren verschleiern. Mitunter erfolgt eine Umweglieferung an zunächst unverfänglich erscheinende Firmen in vermeintlich nicht relevanten Drittländern. Ein zusätzliches Erschwernis ergibt sich hierbei aus der Problematik sog. dual use-Güter, welche sowohl im zivilen als auch militärischen Bereich Verwendung finden können. Mitunter nutzen Wissenschafter besagter Länder internationale Kontakte zu Universitäten, Instituten, Forschungsund Entwicklungseinrichtungen, um sich einschlägiges Spezialwissen anzueignen. Bei Fachtagungen, Messen, im Rahmen internationaler Forschungsprojekte und Kooperationsabkommen werden zielgerichtet für die besonderen Beschaffungsbelange nutzbare Kontakte Spionageabwehr geknüpft. Das TLfV sensibilisiert sowohl Industrie, Bildungsund Forschungseinrichtungen im Freistaat zur Proliferationsproblematik und den damit verbundenen Risiken. 169 170 4. Wirtschaftsspionage Das Innovationskraft deutscher Forschungsund Entwicklungseinrichtungen ist eine tragende Säule des heimischen WirtschaftsSpionageabwehr erfolgs, sie weckt zugleich aber auch Begehrlichkeiten fremder Staaten, die selbst nicht über ein vergleichbares Potenzial verfügen. Für einige Nachrichtendienste nehmen Aufklärungsund Beschaffungsziele im Bereich der Hochtechnologie immer breiteren Raum ein. Um in dem wachsenden internationalen Wettbewerb bestehen zu können, sehen sie es nahezu als ihre Verpflichtung an, die Wirtschaft ihres eigenen Landes unmittelbar durch entsprechende Informationsbeschaffungen zu unterstützen. Gerade im globalen Wettbewerb verschärfen sich derartige Tendenzen. Umfassende Sicherheitskonzepte werden daher auch für innovative kleine und mittelständische Unternehmen und Forschungseinrichtungen immer wichtiger, um etwaige, eine Ausspähung begünstigende Schwachstellen beseitigen zu können. Dabei kommt der Mitarbeiterschulung und -sensibilisierung besonderes Gewicht zu. Wenngleich die Folgen eines ungewollten Informationsabflusses den Fortbestand der betroffenen Einrichtung gefährden können, wird die substanzielle Gefahr von Spionageaktivitäten jeglicher Art nicht immer als solche wahrgenommen. Auch deshalb konzentriert sich der Bereich Spionageabwehr des TLfV im Rahmen verschiedener Sensibilisierungsmaßnahmen darauf, das Problembewusstsein über Multiplikatoren in Industrie und Forschung zu schärfen. Dabei kann es sich um Informationsveranstaltungen zu Themen wie Schutz vor Ausspähung, sicherheitsbewusstes Verhalten auf Geschäftsreisen, IT-Sicherheit, Know how-Schutz kritischer Infrastruktur oder auch um ein individuell zugeschnittenes Beratungsangebot handeln. IX. Geheimschutz 1. Allgemeines Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines Bundeslands gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Im Rahmen ihrer Organisationsgewalt haben Behörden Vorkehrungen zur Gewährleistung des Geheimschutzes zu treffen. Zu den Aufgaben des TLfV zählt gemäß SS 2 Abs. 5 Satz 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) die Mitwirkung im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes. 2. Personeller Geheimschutz Unter dem Begriff "Geheimschutz" werden sämtliche Vorkehrungen im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen dienen. Nicht jede Person, nicht jeder Amtsträger erfüllt die für den Umgang mit Geheimnissen erforderlichen Voraussetzungen. Folglich gilt es, Personen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen für Verrat, Erpressung oder Spionage anfällig scheinen, von vornherein den Zugriff auf Geheimnisse zu verwehren. Diesem Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung. Dabei Geheimschutz wird festgestellt, ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an. Rechtsgrundlage für das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist das Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG)133 vom 17. März 2003 in der Fassung vom 21. Dezember 2011. 133 Aufgeführt im Anhang des Berichts. 171 172 Sicherheitsüberprüfungen werden für Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit gemäß SS 1 Abs. 2 ThürSÜG ausüben sollen, durchgeführt. Betroffen sind in erster Linie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen haben oder sich diesen verschaffen Spionageabwehr können. Als Verschlusssache werden alle im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse - unabhängig von ihrer Darstellungsform - bezeichnet. Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische Einrichtungen können ebenso wie das gesprochene Wort oder Zwischenmaterial (z. B. Entwürfe), das im Zusammenhang mit Verschlusssachen anfällt, eine solche Klassifizierung erfordern. Für eine Sicherheitsüberprüfung ist der Geheimschutzbeauftragte der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde verantwortlich. Das TLfV wirkt an der Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ThürVSG i. V. m. SS 3 Abs. 3 ThürSÜG mit. Die Sicherheitsüberprüfung wird je nach Geheimhaltungsgrad abgestuft. Gemäß SSSS 8 ff. ThürSÜG wird sie als einfache (Ü 1), erweiterte (Ü 2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt. Sie bedarf der vorherigen Zustimmung sowohl des Betroffenen als auch der gegebenenfalls einzubeziehenden Person (Ehegatte oder Lebenspartner). Das TLfV wurde im Jahr 2011 in 260 Fällen als mitwirkende Behörde an Sicherheitsüberprüfungen beteiligt und hat jeweils sein Votum gegenüber dem Geheimschutzbeauftragten der einleitenden Dienststelle abgegeben. Im Einzelnen wurden folgende Überprüfungen durchgeführt: Jahr SicherheitsSicherheitsSicherheitsüberprüfung überprüfung überprüfung Ü1 Ü2 Ü3 2011 137 105 18 2010 164 107 38 2009 203 124 33 3. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimhaltungsbedürftigen Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme durch Unbefugte dienen. Zu technischen Sicherheitsmaßnahmen sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den Geheimschutz verbessern. Als Rechtsgrundlage dient die "Verschlusssachenanweisung für den Freistaat Thüringen" (VSA)134 in der Fassung vom 1. Juli 2011. Die VSA richtet sich an Landesbehörden, landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen und die sonstigen der Aufsicht des Freistaats Thüringen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben, die einen solchen eröffnet und die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen erfordert. Für Kommunen gilt die VSA nur im Bereich der Aufgabenerfüllung im übertragenen Wirkungskreis. Den Kommunen wird empfohlen, die VSA auch im eigenen Wirkungskreis anzuwenden. Entsprechend der Schutzbedürftigkeit der Verschlusssache nehmen die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen der in SS 4 Abs. 2 ThürSÜG bestimmten Geheimhaltungsgrade135 vor. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. Hinsichtlich des materiellen Geheimschutzes enthält die VSA eine Reihe Geheimschutz von Vorschriften, welche die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen, die Dienstpflichten zum Schutze von Verschlusssachen, die Aufbewahrung, Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes sowie Maßnahmen bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften betreffen. 134 Thüringer Staatsanzeiger, Nr. 29/2011 S. 927 ff.; im Internet: abrufbar unter: www.thueringen.de/de/verfassungsschutz/geheimschutz. 135 "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH", "VS-VERTRAULICH", "GEHEIM" oder "STRENG GEHEIM". 173 174 Das TLfV berät öffentliche Stellen über den Umgang mit Verschlusssachen und sichere Organisationsabläufe, u. a. auch über technische Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmsysteme oder Stahlschränke (sog. Verwahrgelasse). Geheimschutz Auskünfte zur Geheimschutzbetreuung von Wirtschaftsunternehmen erteilt das: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie (TMWAT) Der Geheimschutzbeauftragte für die Wirtschaft Postfach 90 02 25 Max-Reger-Straße 4-8 99105 Erfurt 99096 Erfurt Telefon: 0361 3797-140 4. Sonstige Überprüfungen Neben seiner Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wird das TLfV an Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. Infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 ist insbesondere auch die Sicherheit im internationalen Luftverkehr und in diesem Zusammenhang u. a. die Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. An das TLfV wurden im Jahr 2011 im Rahmen der Luftverkehrs-Zuverlässigkeitsüberprüfungen 172 Anfragen gestellt. Im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Sprengstoffgesetz (SprengG) gingen 2011 beim TLfV 269 Anfragen ein. Anhang Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) Vom 30. Juli 2012 (GVBl. S. 346) Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS1 Organisation des Verfassungsschutzes (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder sowie zum Schutz vor Organisierter Kriminalität wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht als obere Landesbehörde unmittelbar dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Thüringen nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. SS2 Aufgaben (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie gegen Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben; ThürVSG 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht; 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; 4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes, 175 176 Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind; 5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im GeltungsbeThürVSG reich des Grundgesetzes; 6. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratische Republik im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt zu diesem Zweck Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung für die Verarbeitung personenbezogener Daten ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. Zur Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, darf das Landesamt für Verfassungsschutz aus allgemein zugänglichen Quellen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben. Die notwendige Koordinierung mit den anderen Sicherheitsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden wird für den Bereich der Beobachtung der Organisierten Kriminalität in Richtlinien des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums im Einvernehmen mit dem für Justiz zuständigen Ministerium geregelt. (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut im Sinne des SS 1 Abs. 1 Satz 1 erheblich zu beschädigen. (3) Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Organisierte Kriminalität ist die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig 1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder 2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder 3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft tätig werden. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der öffentlichen Stellen mit: 1. bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen nach den Bestimmungen des Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetzes; 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. ThürVSG Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 sind im Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz geregelt. (6) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, entsprechend den Rechtsvorschriften, auf Anfrage von Behörden, denen die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst obliegt, Auskunft aus vorhandenen Unterlagen über Erkenntnisse nach Absatz 1. Die Auskunft ist auf solche gerichtsverwertbaren Tatsachen zu beschränken, die Zweifel daran begründen können, dass der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. 177 178 SS3 Bedienstete (1) Die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren zu unterziehen, welches insbesondere auf ThürVSG Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder das Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) der Deutschen Demokratischen Republik überprüft und für das der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einbezogen wird. (2) Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, Personen mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der Deutschen Demokratischen Republik und ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht befasst werden. SS4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenigen zu treffen, die den Einzelnen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS5 Allgemeine Befugnisse (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtgemäßem Ermessen erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen, namentlich speichern, übermitteln, verändern, löschen und abgleichen, soweit nicht besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuchen des Landesamts für Verfassungsschutz um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft erforderlich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (2) (aufgehoben) (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Teledienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestal- tung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Teledienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. (5) Auskünfte nach SS 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954 -2970-) in der jeweils geltenden Fassung dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Antragsberechtigt ist der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz oder sein Stellvertreter. Der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der Minister des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums, im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnungen fortbestehen. (6) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die G 10Kommission über die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Unterrichtung ist unverzüglich nachzuholen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298) in der jeweils geltenden Fassung ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich die Kontrollbefugnis auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach SS 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 BVerfSchG erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. (7) Für die Verarbeitung der nach Absatz 5 Satz 1 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Für die Mitteilung an den Betroffenen gilt SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. (8) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission im Abstand von höchstens sechs Monaten über Anordnungen nach Absatz 5 Satz 1; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (9) Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes ist nach Maßgabe des SS 8a ThürVSG Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 BVerfSchG jährlich durch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium über die nach Absatz 5 Satz 1 durchgeführten Maßnahmen zu unterrichten. (10) Für die Einholung von Auskünften nach SS 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BVerfSchG gelten die Absätze 5 und 7 bis 9 entsprechend. (11) Anordnungen nach den Absätzen 5 und 10 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen die Voraussetzungen des SS 8a Abs. 3 BVerfSchG entsprechend vorliegen. 179 180 SS6 Nachrichtendienstliche Mittel (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, ObserThürVSG vation, Bildund Tonaufzeichnung und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, Informationen verdeckt erheben. Ein Eingriff in das Beichtund Seelsorgegeheimnis ist dabei unzulässig. (2) Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer von dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium zu erlassenen Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden. (3) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (4) Setzt das Landesamt für Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel gegen ein Mitglied des Landtags ein, unterrichtet das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium den Präsidenten des Landtags und den Vorsitzenden der Parlamentarischen Kontrollkommission unverzüglich. (5) Im Falle des Absatzes 4 sind der betroffenen Person nachrichtendienstliche Maßnahmen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. SS7 Erhebung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gemäß SS 6 Abs. 1 erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. SS 4 findet im Übrigen Anwendung. (2) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes ist nur zulässig, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen erforderlich ist. Die Maßnahmen sind durch den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz oder seinen Stellvertreter anzuordnen. Eine anderweitige Verwertung der bei diesen Maßnahmen erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat. Wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht nachträglich richterlich bestätigt, so sind die erhobenen Daten unverzüglich zu löschen. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über eine nach Satz 1 durchgeführte Maßnahme in der nächsten nach der Anordnung der Maßnahme stattfindenden Sitzung. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Maßnahme nach Absatz 2 dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn dadurch für den Verfassungsschutz tätige Personen nicht gefährdet werden. Einer Mitteilung bedarf es endgültig nicht, wenn die Gefährdung nach Satz 1 auch fünf Jahre nach Einstellung der Maßnahme noch nicht ausgeschlossen werden kann. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission innerhalb von sechs Monaten nach Einstellung der Maßnahme über die Mitteilung des Betroffenen oder über die dem entgegenstehenden Gründe. Die Parlamentarische Kontrollkommission ist auch über eine nach Satz 2 unterbliebene Mitteilung zu unterrichten. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes auch technische Mittel zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Mobilfunkgerätes und zur Ermittlung der Geräteund Kartennummern einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung das Erreichen des Zwecks der Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Für die Verarbeitung der Daten gilt SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zum Erreichen des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist; sie unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 5 Abs. 4 bis 8 und 10 gilt entsprechend. Zweiter Abschnitt ThürVSG Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen. Die Speicherung in Dateien zu Zwecken einer personenbezogenen Auswertung ist nur zulässig, wenn 181 182 1. tatsächliche Anhaltspunkte für die Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach ThürVSG SS 2 Abs. 1 erforderlich ist, 3. Aufgaben nach SS 2 Abs. 5 zu erfüllen sind oder 4. eine Mitwirkung bei Überprüfungen der Zuverlässigkeit nach SS 7 des Luftsicherheitsgesetzes, SS 12b des Atomgesetzes oder SS 8a des Sprengstoffgesetzes erfolgt, soweit nicht besondere Bestimmungen gelten. Satz 2 gilt nicht für Dateien aus allgemein zugänglichen Quellen, die ohne Veränderung des Dateiinhalts ausschließlich für Abfragen genutzt werden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Daten über Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, in zu ihrer Person geführten Akten (Personenakten) nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der im Artikel 10-Gesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 ist eine Speicherung von Daten Minderjähriger, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unzulässig. (3) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderliche Maß zu beschränken. SS9 Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien im Sinne des SS 8 Abs. 1 Satz 2 gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Personenakten ist dies zu vermerken. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat Daten im Sinne des Absatzes 1 zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ist oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Personenakten sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgelegten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob Daten im Sinne des Absatzes 1 zu berichtigen oder zu löschen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 sind spätestens fünfzehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. Nach SS 8 Abs. 1 Nr. 4 gespeicherte personenbezogene Daten sind spätestens sechs Jahre nach ihrer letzten Speicherung zu löschen. Soweit Daten automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den Ablauf der Fristen nach den Sätzen 1 bis 3 hinzuweisen. (4) Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen vor Vollendung des 16. Lebensjahres sind nach zwei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 angefallen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 angefallen sind. (5) Personenbezogene Daten, die zu löschen sind, dürfen nicht zum Nachteil des Betroffenen verarbeitet werden. SS 10 Errichtungsanordnung (1) Für jede Datei im Sinne des SS 8 Abs. 1 Satz 2, in der personenbezogene Daten automatisiert verarbeitet werden, ist in einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums bedarf, festzulegen: 1. die Bezeichnung des Verfahrens, 2. der Zweck der Datei, 3. die Voraussetzungen der Verarbeitung und Nutzung (Rechtsgrundlagen, betroffener Personenkreis, Art der Daten), 4. die Anlieferung oder Eingabe, 5. verarbeitungsberechtigte Personen oder Personengruppen, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und 7. die Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Errichtungsanordnung anzuhören. Wesentliche Änderungen sind ihm nach Erlass mitzuteilen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. ThürVSG SS 11 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit er ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Über Speicherungen in anderen Unterlagen als Dateien im Sinne des SS 8 Abs. 1 Satz 2 und zum Betroffenen geführten Personenakten wird Auskunft nur erteilt, soweit der Betroffene Angaben macht, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erfor183 184 derliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen geltend gemachten Informationsinteresse steht. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit ThürVSG 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist; 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist; 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass er sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 12 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Register, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Landes haben von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen zu übermitteln, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung der Informationen, insbesondere über Tatbestände, die in SS 100 a Strafprozessordnung und in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes aufgeführt sind, für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nach SS 2 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für seine Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. (3) Gesetzliche Übermittlungsverbote bleiben unberührt. SS 13 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Die in SS 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 oder 5 Nr. 2 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten und amtlich geführte Dateien und Register anderer öffentlicher Stellen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 einsehen, wenn die Übermittlung von Informationen aus den Akten, Dateien oder Registern im Wege der Mitteilung durch die ersuchte Behörde den Zweck der Maßnahme gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von den Behörden des Landes und den sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. (4) SS 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. SS 14 Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz ThürVSG (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an andere Behörden und öffentliche Stellen personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1, 5 und 6 übermitteln. Zu anderen Zwecken darf es, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten nur übermitteln an: 1. Polizeibehörden, soweit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist und die Übermittlung der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheb185 186 lichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung von Staatsschutzdelikten oder zur Verfolgung von in SS 100 a Strafprozessordnung genannten Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität sowie von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient. Staatsschutzdelikte nach Satz 1 sind die in den SSSS 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten ThürVSG Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind; 2. andere Behörden und öffentliche Stellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist und der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat der Staatsanwaltschaft und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden die ihm bekannt gewordenen Daten zu übermitteln, wenn im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung nach SS 2 Abs. 1 tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten oder zur Verfolgung der in Absatz 1 Nr. 1 genannten Straftaten erforderlich ist. Die Polizeibehörden dürfen zur Verhinderung von Staatsschutzdelikten nach Absatz 1 Nr. 1 Satz 2 das Landesamt für Verfassungsschutz um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. (3) Die Empfängerbehörde hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sie darf die personenbezogenen Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an überoder zwischenstaatliche öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dem sie ihm übermittelt wurden. (5) Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereiches nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium im Einzelfall die Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, vor unberechtigtem Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkungen und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (6) Absatz 5 findet keine Anwendung bei Datenübermittlungen nach SS 5 Abs. 1 Satz 2. (7) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Übermittlung personenbezogener Daten durch Abruf im automatisierten Verfahren unzulässig. SS 15 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils hat zu unterbleiben, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der personenbezogenen Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. SS 16 Unterrichtung der Öffentlichkeit (1) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Öffentlichkeit einmal im Jahr über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1. Dabei dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegt. (2) Absatz 1 Satz 2 gilt auch für die Unterrichtung der Öffentlichkeit durch das Landesamt für Verfassungsschutz. SS 17 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderThürVSG lich ist. Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern würde und nachteilige Folgen für den Betroffenen nicht zu befürchten sind. Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle Erster Unterabschnitt Grundsätze 187 188 SS 18 Kontrollrahmen, Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Diese wird von der ParlamenThürVSG tarischen Kontrollkommission ausgeübt. Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse und der Kommission aufgrund des Thüringer Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes bleiben unberührt. (2) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. (3) Die Geheimhaltung gilt nicht für die Bewertung bestimmter Vorgänge, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt hat. In diesem Fall ist es jedem einzelnen Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission erlaubt, eine abweichende Bewertung (Sondervotum) zu veröffentlichen. Soweit für die Bewertung der Parlamentarischen Kontrollkommission oder die Abgabe von Sondervoten eine Sachverhaltsdarstellung erforderlich ist, sind die Belange des Geheimschutzes zu beachten. SS 19 Mitgliedschaft (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder (nach d'Hondt) gewählt werden. (2) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird ein Mitglied zum Mitglied der Landesregierung ernannt, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. SS 20 Zusammentritt (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. Sie gibt sich eine Geschäftsordnung. Ihr obliegt die Wahl ihres beziehungsweise ihrer Vorsitzenden. (2) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamenta- rischen Kontrollkommission verlangen. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtags so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. SS 21 Pflicht der Landesregierung zur Unterrichtung (1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Sie berichtet zu sonstigen Vorgängen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies verlangt. (2) Die politische Verantwortung der Landesregierung für das Landesamt für Verfassungsschutz bleibt unberührt. SS 22 Umfang der Unterrichtungspflicht, Verweigerung der Unterrichtung (1) Die Verpflichtung der Landesregierung nach SS 21 Abs. 1 und SS 23 erstreckt sich nur auf Informationen und Gegenstände, die der Verfügungsberechtigung des Landesamtes für Verfassungsschutz unterliegen. (2) Die Landesregierung kann die Unterrichtung nach SS 21 Abs. 1 und SS 23 Abs. 1 nur verweigern sowie den in SS 23 Abs. 2 genannten Personen auferlegen, ihre Auskunft einzuschränken oder zu verweigern, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs oder aus Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist oder wenn der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Lehnt die Landesregierung eine Unterrichtung ab, so hat das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium dies der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Zweiter Unterabschnitt Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission SS 23 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die Landesregierung hat der Parlamentarischen Kontrollkommission im Rahmen ThürVSG der Unterrichtung nach SS 21 auf Verlangen Einsicht in Akten, Schriftstücke und Dateien des Landesamtes für Verfassungsschutz zu geben. Dies gilt auch für Akten, Schriftstücke und Dateien der Landesregierung, soweit diese die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz betreffen. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann Bedienstete des Landesamtes für Verfassungsschutz und anderer Landesbehörden nach Unterrichtung der Landesregierung sowie Mitglieder der Landesregierung befragen oder von ihnen schriftliche Auskünfte einholen. Dies gilt auch für ehemalige Bedienstete und ehemalige Mitglieder der Landesregierung. Die anzuhörenden Personen sind verpflichtet, voll189 190 ständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Im Rahmen einer Anhörung kann die Parlamentarische Kontrollkommission die Mitglieder und die Vertreter der Landesregierung auffordern, während der Befragung der in den Sätzen 1 und 2 genannten Personen den Raum zu verlassen. Die Mitglieder und Vertreter der Landesregierung prüfen, ob zur Wahrnehmung ihrer politischen Verantwortung im ThürVSG Sinne des SS 21 Abs. 2 ihre Anwesenheit während der Befragung erforderlich ist. Das Ergebnis der Prüfung wird der Parlamentarischen Kontrollkommission unverzüglich mitgeteilt. Im Falle der Einholung von schriftlichen Auskünften werden diese über das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium der Parlamentarischen Kontrollkommission zugeleitet. SS 22 Abs. 2 gilt entsprechend; die Parlamentarische Kontrollkommission ist hierüber unverzüglich zu unterrichten. (2 a) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission haben das Recht, zur Unterstützung ihrer Arbeit Mitarbeiter ihrer Fraktion nach Anhörung der Landesregierung mit Zustimmung des Kontrollgremiums zu benennen. Voraussetzung für diese Tätigkeit ist die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche Verpflichtung zur Geheimhaltung. Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, die vom Gremium beigezogenen Akten und Dateien einzusehen und die Beratungsgegenstände der Parlamentarischen Kontrollkommission mit den Mitgliedern des Gremiums zu erörtern. Sie haben grundsätzlich keinen Zutritt zu den Sitzungen des Kontrollgremiums. Das Gremium kann im Einzelfall mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschließen, dass Mitarbeiter der Fraktionen an bestimmten Sitzungen teilnehmen können. SS 18 Abs. 2 gilt entsprechend. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann im Rahmen ihrer Kontrollbefugnisse von der Landesregierung verlangen, Zutritt zu den Dienststellen des Landesamtes für Verfassungsschutz zu erhalten. (4) Dem Verlangen der Parlamentarischen Kontrollkommission hat die Landesregierung unverzüglich zu entsprechen. SS 22 Abs. 2 bleibt unberührt. SS 24 Beauftragung eines Sachverständigen (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder nach Anhörung der Landesregierung im Einzelfall einen Sachverständigen zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben beauftragen, Untersuchungen durchzuführen. Dieser hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis seiner Untersuchung zu berichten. Für die Tätigkeit des Sachverständigen sowie seinen Bericht gelten SS 18 Abs. 2 und 3 sowie die SSSS 22, 23 und 26 entsprechend. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder entscheiden, dass dem Landtag ein schriftlicher Bericht zu den Untersuchungen erstattet wird. Der Bericht hat den Gang des Verfahrens, die ermittelten Tatsachen und das Ergebnis der Untersuchungen wiederzugeben. SS 18 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. (3) Der Bericht darf auch personenbezogene Daten enthalten, soweit dies für eine nachvollziehbare Darstellung der Untersuchung und des Ergebnisses erforderlich ist und die Betroffenen entweder in die Veröffentlichung eingewilligt haben oder das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe gegenüber den Belangen der Betroffenen überwiegt. Vor einer Veröffentlichung sind die Betroffenen anzuhören, um ihnen Gelegenheit zu geben, rechtzeitig effektiven Rechtsschutz zu erlangen. SS 25 Eingaben (1) Angehörigen des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es gestattet, sich in dienstlichen Angelegenheiten, jedoch nicht im eigenen oder Interesse anderer Bediensteter dieser Behörde, ohne Einhaltung des Dienstweges unmittelbar an die Parlamentarische Kontrollkommission zu wenden. Eingaben sind zugleich an den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz zu richten. Die Parlamentarische Kontrollkommission übermittelt die Eingaben der Landesregierung zur Stellungnahme. (2) An den Landtag gerichtete Eingaben von Bürgern über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sollen der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Kenntnis gegeben werden, soweit sie von grundsätzlicher Bedeutung sind. SS 26 Rechtsund Amtshilfe (1) Gerichte und Behörden sind zur Rechtsund Amtshilfe, insbesondere zur Vorlage von Akten und Übermittlung von Dateien, verpflichtet. Soweit personenbezogene Daten betroffen sind, dürfen diese nur für Zwecke der Parlamentarischen Kontrollkommission übermittelt und genutzt werden. (2) Ersuchen nach Absatz 1 sind an die Landesregierung, Ersuchen an Gerichte sind an das jeweilige Gericht zu richten. SS 22 Abs. 2 bleibt unberührt. SS 27 Berichterstattung Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. SS 28 Haushaltsvorlagen ThürVSG (1) Der Haushaltsund Finanzausschuss berät Haushaltsvorlagen zum Verfassungsschutz in vertraulicher Sitzung. Die Mitglieder des Haushaltsund Finanzausschusses sind zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. (2) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission können an diesen Sitzungen des Haushaltsund Finanzausschusses mit beratender Stimme teilnehmen. 191 192 SS 29 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können die Rechte auf Schutz der Privatsphäre (Artikel 6 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und des Brief-, Postund FernmeldegeThürVSG heimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 7 der Verfassung des Freistaats Thüringen), auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes und Artikel 8 der Verfassung des Freistaats Thüringen), auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes und Artikel 10 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und auf Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 des Grundgesetzes und Artikel 13 der Verfassung des Freistaats Thüringen) eingeschränkt werden. SS 30 Geltung des Thüringer Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 durch das Landesamt für Verfassungsschutz finden SS 3 Abs. 2 und 6, SS 7 sowie die SSSS 13 bis 25 des Thüringer Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 10. Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden Fassung keine Anwendung. Fünfter Abschnitt Rechtsweg, Schlussbestimmungen SS 31 Zuständigkeit des Thüringer Verfassungsgerichtshofs Aus Anlass von Streitigkeiten über Rechte und Pflichten aus den Vorschriften des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes entscheidet auf Antrag der Landesregierung oder der Parlamentarischen Kontrollkommission der Verfassungsgerichtshof. SS 32 Gleichstellungsbestimmung Statusund Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher und weiblicher Form. SS 33 Inkrafttreten, Außerkrafttreten Das Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Thüringer Verfassungsschutzgesetz vom 29. Oktober 1991, das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2011 (GVBl. S. 530) geändert worden ist, außer Kraft. Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) Vom 17. März 2003 (GVBl. S. 185), geändert durch Artikel 2 des Thüringer Gesetzes zur Änderung sicherheitsund melderechtlicher Vorschriften vom 21. Dezember 2011 (GVBl. S. 530) Erster Abschnitt Allgemeine Bestimmungen SS1 Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes (1) Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Überprüfung einer Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Sicherheitsüberprüfung) oder bereits betraut worden ist (Wiederholungsüberprüfung). Zweck der Überprüfung ist es, den Zugang zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit auf Personen zu beschränken, bei denen kein Sicherheitsrisiko vorliegt. (2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer 1. Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH eingestuft sind, 2. Zugang zu mit Nummer 1 vergleichbaren Verschlusssachen ausländischer oder überoder zwischenstaatlicher Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, sofern eine Verpflichtung besteht, hierfür nur sicherheitsüberprüfte Personen einzusetzen, 3. in einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Landes oder in einem Teil von ihr tätig ist oder werden soll, die aufgrund des Umfangs und der Bedeutung dort anfallender Verschlusssachen von der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen Ministerium zum Sicherheitsbereich erklärt worden ist, 4. in einer Behörde oder einem sonstigen durch Rechtsverordnung nach SS 33 bestimmten sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereich der Informationsund Kommunikationstechnik Zugangsmöglichkeiten hat, sich verschaffen kann oder an einer Stelle tätig ist oder werden soll, von der aus in die ordnungsgemäße ThürSÜG Funktion oder die Integrität eines Systems der Informationsund Kommunikationstechnik eingegriffen werden kann und dadurch die Sicherheit des Landes gefährdet oder seinen Interessen schwerer Schaden zugefügt werden kann, 5. an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer durch Rechtsverordnung nach SS 33 bestimmten lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt ist oder werden soll. (3) Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, 193 194 1. deren Ausfall aufgrund ihrer kurzfristig nicht ersetzbaren Produktion oder Dienstleistung die Versorgung eines erheblichen Teils der Bevölkerung ernsthaft nachhaltig gefährden kann, 2. die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind oder ThürSÜG 3. deren Zerstörung sich aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr in besonderem Maße gesundheitsgefährdend auswirken kann. Verteidigungswichtig sind Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit dienen, weil sie für das Funktionieren, die Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie für die zivile Verteidigung von wesentlicher Bedeutung sind. Eine sicherheitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbständig handelnde Organisationseinheit innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unberechtigtem Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beeinträchtigung eine erhebliche Gefahr für die in den Sätzen 1 und 2 genannten Schutzgüter ausgeht. (4) Im Einvernehmen mit der mitwirkenden Behörde (SS 3 Abs. 3) bestimmt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde oder die zuständige oberste Landesbehörde die sicherheitsempfindlichen Stellen bei den durch eine Rechtsverordnung aufgrund des SS 33 benannten lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen. SS2 Betroffener Personenkreis (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (betroffene Person), ist vorher einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit darf erst nach Vollendung des 16. Lebensjahrs übertragen werden. Von einer Sicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz kann abgesehen werden, wenn für die betroffene Person vor weniger als fünf Jahren eine gleichoder höherwertige Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wurde oder sie in eine Sicherheitsüberprüfung mit entsprechenden Maßnahmen einbezogen und kein Sicherheitsrisiko festgestellt worden ist und die Unterlagen der Sicherheitsüberprüfung noch verfügbar sind. (2) Der volljährige Ehegatte oder der volljährige Partner, mit dem die betroffene Person in eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft oder in eingetragener Lebenspartnerschaft lebt (Lebenspartner), ist in die Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 einzubeziehen. Über Ausnahmen entscheidet die zuständige Stelle (SS 3). Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Geht die betroffene Person die Ehe oder die Gemeinschaft mit dem Lebenspartner während oder erst nach der erfolgten Sicherheitsüberprüfung ein, so hat diese die zuständige Stelle zu unterrichten, um sie in die Lage zu versetzen, die Einbeziehung des Ehegatten oder des Lebenspartners in die Sicherheitsüberprüfung nachzuholen. Das Gleiche gilt bei später eintretender Volljährigkeit des Ehegatten oder Volljährigkeit des Lebenspartners. (3) Dieses Gesetz gilt nicht für: 1. Mitglieder des Landtags, der Landesregierung und des Rechnungshofs, 2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtsprechung wahrnehmen, 3. Rechtsanwälte, soweit ihnen Akteneinsicht nach SS 147 der Strafprozessordnung (StPO) zu gewähren ist, 4. ausländische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse überoder zwischenstaatlicher Einrichtungen und Stellen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Nr. 2 ausüben sollen. SS3 Zuständigkeit (1) Zuständige Stelle für die Sicherheitsüberprüfung ist 1. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle, die eine Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betrauen will oder in deren Bereich sich die sicherheitsempfindliche Stelle des öffentlichen Bereichs der Informationsund Kommunikationstechnik befindet, es sei denn, die jeweils zuständige Aufsichtsoder oberste Landesbehörde übernimmt die Aufgaben der zuständigen Stelle, 2. bei den Leitern von Landesbehörden, Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde, 3. bei Landräten und Bürgermeistern die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde, 4. bei politischen Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes sowie deren Stiftungen die Partei selbst. (2) Die Aufgaben der zuständigen Stelle nach diesem Gesetz nimmt der Behördenleiter wahr. Er kann sie auf eine von der Personalverwaltung getrennte Organisationseinheit übertragen. (3) Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist das Landesamt für Verfassungsschutz, soweit nicht im Einzelfall das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium die Mitwirkung einer anderen Verfassungsschutzbehörde bestimmt. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber sowie Mitarbeiter des eigenen Dienstes nach den Bestimmungen dieses Gesetzes selbst durch, sofern nicht das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium ThürSÜG die Aufgaben der zuständigen Stelle wahrnimmt. SS4 Verschlusssachen (1) Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft. 195 196 (2) Eine Verschlusssache ist 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, ThürSÜG 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, 3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann. SS5 Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Erkenntnisse, Sicherheitshinweise (1) Ein Sicherheitsrisiko im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen, 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, begründen oder 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Ein Sicherheitsrisiko bei der betroffenen Person kann sich auch aufgrund sicherheitserheblicher Erkenntnisse zu anderen Personen ergeben, die mit ihr insbesondere als Ehegatte oder Lebenspartner in enger persönlicher Beziehung stehen. (2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. (3) Sicherheitshinweise im Sinne dieses Gesetzes sind fallbezogene Empfehlungen, die zur weiteren Betreuung der betroffenen Person notwendig erscheinen. SS6 Rechte und Pflichten der betroffenen und der einbezogenen Person (1) Die betroffene Person ist über die Art der beabsichtigten Sicherheitsüberprüfung von der zuständigen Stelle zu unterrichten. Wird eine weiter gehende Sicherheitsüberprüfung als ursprünglich vorgesehen notwendig (SS 7 Abs. 2), so ist auch für diese eine vorherige Unterrichtung erforderlich. (2) Die Zustimmung der betroffenen Person ist Voraussetzung für die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung. Wird die Zustimmung durch die betroffene Person nicht erteilt, so ist die Sicherheitsüberprüfung nicht durchführbar. Die betroffene Person darf in diesem Fall nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden. (3) Hat die betroffene Person in die Sicherheitsüberprüfung eingewilligt, so ist sie verpflichtet, die zur Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben vollständig und wahrheitsgemäß zu machen. Sie kann Angaben verweigern, die für sie, einen nahen Angehörigen nach SS 52 Abs. 1 StPO oder den Lebenspartner die Gefahr strafund disziplinarrechtlicher Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen könnten. Werden Angaben verweigert, so ist die betroffene Person verpflichtet, darauf hinzuweisen. Über das Verweigerungsrecht sowie über ihr Widerspruchsrecht nach SS 37 Abs. 2 des Thüringer Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 10. Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden Fassung ist die betroffene Person zu belehren. (4) Die betroffene Person hat der zuständigen Stelle von sich aus Änderungen von Namen, Wohnsitzen und Staatsangehörigkeiten mitzuteilen. Mitteilungsbedürftig ist ferner jede Veränderung des Familienstands sowie das Eingehen oder das Beenden einer Lebenspartnerschaft. (5) Werden der Ehegatte oder Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend. (6) Bevor die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ablehnt, hat sie der betroffenen Person Gelegenheit zu geben, sich schriftlich oder mündlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen persönlich zu äußern. Die betroffene Person kann zu einer Anhörung mit einer Person ihres Vertrauens erscheinen. Die Anhörung erfolgt in einer Weise, die den Schutz nachrichtendienstlicher Quellen gewährleistet und den schutzwürdigen Interessen von Personen, die im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung befragt wurden, Rechnung trägt. Sie unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sich beim Landesamt für Verfassungsschutz um Einstellung beworben haben. (7) Liegen in der Person des Ehegatten oder des Lebenspartners Anhaltspunkte vor, die ein Sicherheitsrisiko begründen, so hat ihr die zuständige Stelle Gelegenheit zu geben, sich persönlich zu den erheblichen Tatsachen zu äußern. Absatz 6 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. ThürSÜG (8) Die Absätze 6 und 7 sind auch im Fall der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuwenden. 197 198 Zweiter Abschnitt Überprüfungsarten und Durchführungsmaßnahmen SS7 Arten der Sicherheitsüberprüfung ThürSÜG (1) Entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder eine 1. einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) oder 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) oder 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt. (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse, die nur durch Maßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung geklärt werden können, kann die zuständige Stelle mit Zustimmung der betroffenen Person und gegebenenfalls des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners die nächsthöhere Art der Sicherheitsüberprüfung einleiten. Diese ist jedoch nur in dem Umfang durchzuführen, wie es zur Aufklärung der sicherheitserheblichen Erkenntnisse erforderlich ist. SS 12 Abs. 6 bleibt unberührt. SS8 Einfache Sicherheitsüberprüfung (1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen. (2) In Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 kann die zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung oder einem Teil der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder Dauer der Tätigkeit dies zulassen. SS9 Erweiterte Sicherheitsüberprüfung Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen, 4. Tätigkeiten in Bereichen oder an Stellen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 4 oder 5 wahrnehmen sollen, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 für ausreichend hält. SS 10 Erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von GEHEIM eingestuften Verschlusssachen 'erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen, 4. beim Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden sollen, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 oder SS 9 für ausreichend hält. SS 11 Datenerhebung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde dürfen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Daten erheben. Die betroffene Person sowie die sonstigen zu befragenden Personen und nicht öffentlichen Stellen sind auf den Zweck der Erhebung, die Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht, ansonsten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 4 genannten Personen kann die Angabe der erhebenden Stelle gegenüber den sonstigen zu befragenden Personen oder nicht öffentlichen Stellen unterbleiben, wenn dies zum Schutz der betroffenen Person oder des Nachrichtendienstes erforderlich ist. ThürSÜG (2) Die zuständige Stelle erhebt die personenbezogenen Daten grundsätzlich bei der betroffenen Person und, falls es darüber hinaus erforderlich ist, bei dem in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner. Reicht diese Erhebung nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder seines Ehegatten oder Lebenspartners entgegen, können andere geeignete Personen oder Stellen befragt werden. 199 200 (3) Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die mitwirkende Behörde richtet sich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und, soweit dort keine Regelungen getroffen worden sind, nach den Bestimmungen des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527) in der jeweils geltenden Fassung. ThürSÜG SS 12 Maßnahmen bei den einzelnen Überprüfungsarten (1) Die mitwirkende Behörde wird nur auf Antrag der zuständigen Stelle tätig. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 trifft die mitwirkende Behörde folgende Maßnahmen: 1. sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, 2. Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister sowie Auskunftsersuchen an das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister (ZStV), 3. Anfragen unter Beteiligung der Landeskriminalämter an die Polizeidienststellen der Wohnsitze der betroffenen Person, in der Regel beschränkt auf die letzten fünf Jahre, 4. Anfragen an das Bundeskriminalamt, die Grenzschutzdirektion und die Nachrichtendienste des Bundes. (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 9 prüft die mitwirkende Behörde zusätzlich zu den in Absatz 2 genannten Maßnahmen die Identität der betroffenen Person. Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner nach SS 2 Abs. 2 in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, trifft die mitwirkende Behörde bezüglich der einzubeziehenden Person die in Absatz 2 und Satz 1 genannten Maßnahmen. (4) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 10 befragt die mitwirkende Behörde zusätzlich von der betroffenen Person in seiner Sicherheitserklärung angegebene Referenzpersonen und, soweit erforderlich, weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen, um zu prüfen, ob die Angaben der betroffenen Person zutreffen und ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko schließen lassen. Darüber hinaus können Auskünfte zu den finanziellen Verhältnissen der betroffenen Person eingeholt werden. (5) Die zuständige Stelle fragt zur Feststellung einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Tätigkeit der betroffenen Person oder des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik an, wenn die betroffene Person oder der einbezogene Ehegatte oder Lebenspartner vor dem '1. Januar 1970 geboren wurde oder Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für den Staats- sicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vorliegen. Auf die Anfrage kann verzichtet werden, wenn eine nicht länger als sechs Monate zurückliegende Auskunft vorliegt. Ergibt die Anfrage sicherheitserhebliche Erkenntnisse, übermittelt sie die zuständige Stelle zur Bewertung an die mitwirkende Behörde. (6) Soweit es eine sicherheitserhebliche Erkenntnis erfordert und die Befragung der betroffenen Person oder ihres Ehegatten oder Lebenspartners nicht ausreicht oder ihr schutzwürdige Interessen entgegenstehen, kann die mitwirkende Behörde neben den Maßnahmen nach den Absätzen 2 bis 4 weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen befragen oder andere Stellen, insbesondere Staatsanwaltschaften und Gerichte, um Akteneinsicht oder Auskunft ersuchen oder Einzelmaßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung durchführen. SS 6 Abs. 1 und 2 findet keine Anwendung. (7) Liegt eine sicherheitserhebliche Erkenntnis zu anderen Personen vor, die mit der betroffenen Person in enger persönlicher Beziehung stehen, kann die mitwirkende Behörde zu diesen Personen mit deren Zustimmung die zur Klärung eines Sicherheitsrisikos jeweils notwendigen Ermittlungen nach den Absätzen 2 bis 4 und 6 durchführen. Dritter Abschnitt Verfahren SS 13 Beginn der Sicherheitsüberprüfung und Angaben zur Sicherheitserklärung (1) Die Personalverwaltung der nach SS 3 Abs. 1 zuständigen Stelle teilt der nach SS 3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmenden Stelle mit, dass eine Person in einer bestimmten sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt werden soll. Durch die nach SS 3 Abs. 2 zuständige Stelle wird die betroffene Person zur Abgabe der Sicherheitserklärung aufgefordert; SS 6 ist zu beachten. (2) In der Sicherheitserklärung sind von der betroffenen Person anzugeben: 1. Namen, auch frühere, Vornamen, akademische Grade, 2. Geburtsdatum, -ort, 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und mehrfache Staatsangehörigkeiten, ThürSÜG 4. Familienstand, Lebenspartnerschaft, 5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer Dauer als zwei Monate, und zwar im Inland in den vergangenen fünf Jahren, im Ausland ab dem 18. Lebensjahr, 6. ausgeübter Beruf, 7. derzeitiger oder letzter Arbeitgeber und dessen Anschrift, 201 202 8. Anzahl der Kinder, 9. im Haushalt lebende Personen über 18 Jahre (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum und -ort, Verhältnis zu dieser Person), ThürSÜG 10. Eltern, Stiefund Pflegeeltern (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz), 11. Ausbildungsund Beschäftigungszeiten, Wehroder Zivildienstzeiten mit Angabe der Ausbildungsstätten, Beschäftigungsstellen sowie deren Anschriften, 12. Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die in den vergangenen fünf Jahren durchgeführt wurden, sowie Angaben darüber, ob die zurzeit bestehenden finanziellen Verpflichtungen erfüllt werden können, 13. Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten und den Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die auf einen Anbahnungsund Werbungsversuch hindeuten können, 14. Tätigkeiten für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit beziehungsweise das Amt für Nationale Sicherheit der DDR oder die Verwaltung Aufklärung im Ministerium für Nationale Verteidigung, 15. hauptamtliche Funktionen in einer Partei oder Massenorganisation der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie Tätigkeit als "Reisekader in das nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet", 16. Beziehungen zu Organisationen, die von ihren Anhängern unbedingten Gehorsam verlangen und deshalb die betroffene Person in Konflikt mit ihrer Verschwiegenheitspflicht bringen können, 17. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen, 18. anhängige Strafund Disziplinarverfahren, 19. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reisen, nahen Angehörigen und sonstigen Beziehungen in und zu Staaten, zu denen das Bundesministerium des Innern als Nationale Sicherheitsbehörde festgestellt hat, dass besondere Sicherheitsrisiken für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit betrauten Personen zu befürchten sind, 20. frühere Sicherheitsüberprüfungen sowie bei Sicherheitsüberprüfungen nach den SSSS 9 und 10 zusätzlich 21. Nummer des Personalausweises oder des Reisepasses sowie bei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 10 zusätzlich 22. drei Referenzpersonen (jeweils Namen, Vornamen, Beruf, berufliche und private Anschrift, Rufnummern und Art der Beziehung zur Person sowie zeitlicher Beginn der Bekanntschaft). Den Erklärungen zur Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 sind zwei aktuelle Lichtbilder mit der Angabe des Jahres der Aufnahme beizufügen. (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 entfallen die Angaben zu Absatz 2 Satz 1 Nr. 8; die Angaben zu Absatz 2 Satz 1 Nr. 10 entfallen, sofern die dort genannten Personen nicht in einem Haushalt mit der betroffenen Person leben. Zur Person des Ehegatten oder Lebenspartners werden die Angaben nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 13, 14, 16 und 17 mit dessen Einverständnis erhoben. Ergeben sich aus der Sicherheitserklärung oder aufgrund der Abfrage aus einer der in SS 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970) in der jeweils geltenden Fassung genannten Verbunddateien sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Ehegatten oder den Lebenspartner, sind weitere Überprüfungen nur zulässig, wenn der Ehegatte oder der Lebenspartner der betroffenen Person in die erweiterte Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird. (4) Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, sind zusätzlich für diesen die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 5 bis 7, 11, 12, 18, 19 und 21 genannten Daten anzugeben. (5) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 4 genannten Personen sind zusätzlich die Wohnsitze seit der Geburt, die Geschwister und abgeschlossene Strafund Disziplinarverfahren sowie alle Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik anzugeben. (6) Die Sicherheitserklärung ist von der betroffenen Person der zuständigen Stelle zuzuleiten. Die zuständige Stelle prüft die Angaben auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit. Zu diesem Zweck kann die Personalakte eingesehen werden. Die zuständige Stelle leitet die Sicherheitserklärung an die mitwirkende Behörde weiter und beauftragt diese, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, es sei denn, die zuständige Stelle hat bereits bei der Prüfung der Sicherheitserklärung festgestellt, dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Die mitwirkende Behörde kann mit Zustimmung der betroffenen Person und der zuständigen Stelle in die Personalakte Einsicht nehmen, wenn dies zur Klärung oder Beurteilung sicherheitserheblicher Erkenntnisse unerlässlich ist. SS 14 Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (1) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass kein Sicherheitsrisiko vorliegt, so teilt sie dies der zuständigen Stelle mit. Fallen Erkenntnisse an, die kein ThürSÜG Sicherheitsrisiko begründen, aber weiterhin sicherheitserheblich sind, so werden diese mitgeteilt. Hierzu können Sicherheitshinweise gegeben werden. (2) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, unterrichtet sie schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer Bewertung die zuständige Stelle. Bei nachgeordneten Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen erfolgt die Unterrichtung über deren oberste Landesoder oberste Aufsichtsbehörde. 203 204 (3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der betroffenen Person entgegensteht. Im Zweifel hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen. SS 6 Abs. 6 und 7 ist zu beachten. ThürSÜG (4) Lehnt die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ab, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Ablehnung ist unter Beachtung des Quellenschutzes und der schutzwürdigen Interessen der befragten Personen und Stellen zu begründen. Die Begründung unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sich beim Landesamt für Verfassungsschutz um Einstellung beworben haben. SS 15 Vorläufige Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen abweichend von SS 2 Abs. 1 die sicherheitsempfindliche Tätigkeit der betroffenen Person vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung erlauben, wenn die mitwirkende Behörde 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung die Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der eigenen Erkenntnisse bewertet hat oder 2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung und bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen die Maßnahmen der nächstniederen Art der Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen hat und sich daraus keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko ergeben haben. SS 16 Unterrichtung durch die personalverwaltende Stelle Die Personalverwaltung der nach SS 3 Abs. 1 zuständigen Stelle unterrichtet die nach SS 3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmende Stelle unverzüglich über die persönlichen, dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, soweit sie für deren sicherheitsmäßige Beurteilung erheblich sind. Insbesondere zählen dazu: 1. die Umsetzung, Abordnung, Versetzung und das Ausscheiden aus dem Dienst, 2. Änderungen des Familienstands oder einer Lebenspartnerschaft, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit, 3. Anhaltspunkte für geistige oder seelische Störungen, für Alkohol-, Drogenoder Tablettenmissbrauch, 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, 5. Strafund Disziplinarsachen sowie dienstund arbeitsrechtliche Maßnahmen. SS 17 Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich unverzüglich gegenseitig zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über die betroffene Person oder den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner bekannt werden oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unrichtig erweisen. (2) Die mitwirkende Behörde prüft die sicherheitserheblichen Erkenntnisse und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach SS 5 Abs. 1 vorliegt. Sie unterrichtet die zuständige Stelle über das Ergebnis der Prüfung; im Übrigen ist SS 14 Abs. 3 und 4 entsprechend anzuwenden. SS 18 Aktualisierung der Sicherheitserklärung und Wiederholungsüberprüfung (1) Die Sicherheitserklärung ist der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt, in der Regel alle fünf Jahre erneut zuzuleiten und im Falle eingetretener Veränderungen von der betroffenen Person zu ergänzen. (2) Liegt zu der betroffenen Person eine unter Vorbehalt erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vor oder ist eine Anfrage bisher unterblieben, ist anlässlich der Aktualisierung oder Wiederholungsüberprüfung eine Auskunft nach SS 12 Abs. 5 einzuholen. (3) Bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten nach SS 10 ist in der Regel im Abstand von zehn Jahren eine Wiederholungsüberprüfung einzuleiten. Im Übrigen kann die zuständige Stelle eine Wiederholungsüberprüfung einleiten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse dies nahe legen. Das Verfahren bei der Wiederholungsüberprüfung entspricht dem der Erstüberprüfung. Abweichend davon kann die mitwirkende Behörde von einer erneuten Identitätsprüfung absehen. Die Wiederholungsüberprüfung erfolgt nur mit Zustimmung der betroffenen Person, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, und mit Zustimmung ihres Ehegatten oder Lebenspartners, sofern er einbezogen wird. Vierter Abschnitt Akten über die Sicherheitsüberprüfung, Datenverarbeitung ThürSÜG SS 19 Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprüfungsakte (1) Die zuständige Stelle führt über die betroffene Person eine Sicherheitsakte, in die alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Informationen aufzunehmen sind. Dazu zählen insbesondere: 1. Sicherheitserklärungen (auch frühere), 205 206 2. der Antrag auf Feststellung einer möglichen Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie die dazu erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, ThürSÜG 3. das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung einschließlich sicherheitserheblicher Erkenntnisse und Erkenntnisse über ein Sicherheitsrisiko, 4. Mitteilungen der mitwirkenden Behörde, 5. gegebenenfalls Vermerke, die im Zusammenhang mit der Sicherheitsüberprüfung angefallen sind. (2) Informationen über die persönlichen, dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, sind zur Sicherheitsakte zu nehmen, soweit sie für die sicherheitsmäßige Beurteilung bedeutsam sind. Dazu zählen insbesondere: 1. Zuweisung, Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die dazu erteilte Ermächtigung, deren Änderungen und Beendigung, 2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Ausscheiden aus dem Dienst, 3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft, Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit, 4. Anhaltspunkte für geistige und seelische Störungen, für Alkohol-, Drogenoder Tablettenmissbrauch, 5. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, 6. Strafund Disziplinarsachen sowie dienstund arbeitsrechtliche Maßnahmen. (3) Die mitwirkende Behörde führt über die betroffene Person eine Sicherheitsüberprüfungsakte, in die aufzunehmen sind: 1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüfung, die durchgeführten Maßnahmen und das Ergebnis betreffen, 2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufnahme der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, 3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft, Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit. Die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 bis 6 genannten Daten sind zur Sicherheitsüberprüfungsakte zu nehmen, wenn sie sicherheitserheblich sind. (4) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die in Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 sowie Satz 2 genannten Daten unverzüglich der mitwirkenden Behörde mitzuteilen. (5) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind keine Personalakten. Sie sind gesondert zu führen und dürfen weder der personalverwaltenden Stelle noch der betroffenen Person zugänglich gemacht werden; SS 24 Abs. 5 bleibt unberührt. Bei einem Wechsel der zuständigen Stelle ist die Sicherheitsakte der betroffenen Person auf schriftliche Anforderung an die neue zuständige Stelle abzugeben, wenn auch dort eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt werden soll. Die Sicherheitsüberprüfungsakte ist auf schriftliche Anforderung an die dann zuständige mitwirkende Behörde abzugeben. SS 20 Aufbewahrung und Vernichtung der Unterlagen (1) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind gesondert aufzubewahren und gegen unbefugten Zugriff zu schützen. (2) Die zuständige Stelle hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung nach den in SS 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 genannten Fristen zu vernichten. SS 23 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. (3) Die mitwirkende Behörde hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung nach den in SS 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 genannten Fristen zu vernichten. Gleiches gilt bezüglich der Unterlagen zu den in SS 3 Abs. 4 genannten Personen. SS 23 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. (4) Das Thüringer Archivgesetz vom 23. April 1992 (GVBl. S. 139) in der jeweils geltenden Fassung findet auf die Sicherheitsakten und Sicherheitsüberprüfungsakten keine Anwendung. SS 21 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben 1. die nach diesem Gesetz in SS 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen Daten, ihre Aktenfundstelle und die der mitwirkenden Behörde, 2. die Beschäftigungsstelle, ThürSÜG 3. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs und 4. beteiligte Behörden automatisiert verarbeiten. (2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben 207 208 1. die in SS 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen Daten der betroffenen Person und des in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners und die Aktenfundstelle, 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs sowie ThürSÜG 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und Erkenntnisse, die ein Sicherheitsrisiko begründen, automatisiert verarbeiten. Die Daten nach Nummer 1 dürfen auch in den nach SS 6 BVerfSchG zulässigen Verbunddateien gespeichert und genutzt werden. SS 22 Übermittlung und Zweckbindung (1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespeicherten personenbezogenen Daten dürfen von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde nur für Zwecke 1. der Sicherheitsoder Zuverlässigkeitsüberprüfung, 2. der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung nach SS 31 Abs. 5 des Polizeiaufgabengesetzes vom 4. Juni 1992 (GVBl. S. 199) in der jeweils geltenden Fassung sowie 3. parlamentarischer Untersuchungsausschüsse genutzt und übermittelt werden. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die ihnen nach Satz 1 Nr. 2 übermittelten Daten für Zwecke eines Strafverfahrens nur verwenden, wenn die Strafverfolgung auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Die zuständige Stelle darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus für Zwecke der disziplinarrechtlichen Verfolgung sowie dienstund arbeitsrechtlicher Maßnahmen nutzen, wenn dies zur Gewährleistung des Geheimund Sabotageschutzes erforderlich ist. Die mitwirkende Behörde darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus im Rahmen des erforderlichen Umfangs zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht, von Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität oder von Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten oder zur Aufklärung sonstiger Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ThürVSG von erheblicher Bedeutung nutzen und übermitteln. (2) Die Übermittlung der nach SS 21 gespeicherten Daten ist nur zulässig, soweit sie für die Erfüllung der in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlich ist. Die nach SS 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 gespeicherten Daten dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des Verfassungsschutzes genutzt und übermittelt werden. (3) Die mitwirkende Behörde darf personenbezogene Daten nach den Absätzen 1 und 2 nur an öffentliche Stellen übermitteln. (4) Die Nutzung oder Übermittlung unterbleibt, soweit gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verarbeiten und nutzen, zu dem sie übermittelt wurden. Eine nicht öffentliche Stelle ist darauf hinzuweisen. SS 23 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wird die Richtigkeit personenbezogener Daten von der betroffenen Person bestritten, ist dies, wenn sich die personenbezogenen Daten in Akten befinden, dort zu vermerken oder, falls die Daten in einer Datei gespeichert sind, auf sonstige Weise festzuhalten. Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich gegenseitig zu unterrichten. (2) Die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten sind zu löschen 1. von der zuständigen Stelle a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen wird oder die betroffene Person verstorben ist, b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung ein, c) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung ein oder es ist beabsichtigt, die betroffene Person in absehbarer Zeit mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu betrauen, d) spätestens nach zehn Jahren, sofern die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufgenommen hat oder aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ausgeschieden ist und sie in absehbarer Zeit nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll, 2. von der mitwirkenden Behörde a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen wird oder die betroffenen Person verstorben ist, ThürSÜG b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung ein, c) bei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 8 nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit oder spätestens nach zehn Jahren, wenn die betroffene Person in eine weitere Speicherung eingewilligt hat oder es beabsichtigt war, sie in absehbarer Zeit mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu betrauen, 209 210 d) bei Sicherheitsüberprüfungen nach den SSSS 9 und 10 nach Ablauf von zehn Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit oder wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufgenommen hat und sie in absehbarer Zeit nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll, ThürSÜG e) die nach SS 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gespeicherten Daten, wenn feststeht, dass die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt oder sie nicht mehr ausübt. Im Übrigen sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. (3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person genutzt werden. SS 24 Auskunft, Akteneinsicht (1) Auf schriftlichen Antrag erteilt die zuständige Stelle oder die mitwirkende Behörde unentgeltlich Auskunft über die bei ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung zu der anfragenden Person gespeicherten Daten. (2) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Bezieht sich die Auskunftserteilung auf personenbezogene Daten, die von der zuständigen Stelle an die mitwirkende Behörde oder von der mitwirkenden Behörden an die zuständige Stelle übermittelt wurden, so ist die Auskunft nur mit deren Zustimmung zulässig. (3) Die Auskunft unterbleibt, wenn 1. sie die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der speichernden Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde, 2. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 3. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen und deswegen das Interesse des Anfragenden an der Auskunftserteilung zurücktreten muss. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit durch die Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung gestützt wird, der mit der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde. In diesem Fall sind die Gründe der Auskunftsverweigerung aktenkundig zu machen. Die anfragende Person ist auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Landesbeauftragten für Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für Datenschutz ist auf Verlangen der an- fragenden Person Auskunft zu erteilen, soweit nicht die jeweils zuständige oberste Landesbehörde im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Personenbezogene Daten einer Person, der Vertraulichkeit zugesichert worden ist, dürfen auch dem Landesbeauftragten für Datenschutz gegenüber nicht offenbart werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten für Datenschutz an die anfragende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der zuständigen Stelle oder der mitwirkenden Behörde zulassen. (5) Die zuständige Stelle gewährt der anfragenden Person Einsicht in die Sicherheitsakte, soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist. Die Regelungen der Absätze 2 bis 4 gelten entsprechend. Ein Recht auf Einsicht in die Sicherheitsüberprüfungsakte der mitwirkenden Behörde besteht grundsätzlich nicht. Fünfter Abschnitt Sonderregelungen bei Sicherheitsüberprüfungen für nicht öffentliche Stellen SS 25 Anwendungsbereich Bei Sicherheitsüberprüfungen von betroffenen Personen, die von der zuständigen Stelle zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit bei einer nicht öffentlichen Stelle ermächtigt werden sollen, gelten die Sonderregelungen der SSSS 25 bis 31. SS 26 Zuständigkeit (1) Die Aufgaben der zuständigen Stelle werden wahrgenommen von dem für Wirtschaft zuständigen Ministerium, es sei denn, eine andere oberste Landesbehörde nimmt im Einvernehmen mit diesem Ministerium die Aufgaben als zuständige Stelle wahr. (2) Die Aufgaben der nicht öffentlichen Stelle nach diesem Gesetz sind grundsätzlich von einer von der Personalverwaltung getrennten Organisationseinheit wahrzunehmen. Die zuständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn die nicht öffentliche Stelle sich verpflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung bekannt werden, nur für solche Zwecke zu gebrauchen, die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgt werden. SS 27 ThürSÜG Sicherheitserklärung, Sicherheitsakte (1) Die betroffene Person leitet ihre Sicherheitserklärung abweichend von SS 13 Abs. 6 Satz 1 der nicht öffentlichen Stelle zu, in der sie beschäftigt ist. Im Falle der Einbeziehung des Ehegatten oder Lebenspartners fügt die betroffene Person deren Zustimmung bei. Die nicht öffentliche Stelle prüft die Angaben auf Vollständigkeit und Richtigkeit und darf, soweit erforderlich, die Personalunterlagen beiziehen. Sie gibt die Sicherheitserklärung an die zuständige Stelle weiter und teilt dieser vorhandene sicherheitserhebliche Erkenntnisse mit. 211 212 (2) Für die Sicherheitsakte in der nicht öffentlichen Stelle gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Sicherheitsakte entsprechend mit der Maßgabe, dass die Sicherheitsakte der nicht öffentlichen Stelle bei einem Wechsel des Arbeitgebers nicht abgegeben werden darf. ThürSÜG SS 28 Abschluss der Sicherheitsüberprüfung, Weitergabe sicherheitserheblicher Erkenntnisse Die zuständige Stelle unterrichtet die nicht öffentliche Stelle nur darüber, ob die betroffene Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut oder nicht betraut werden kann. Erkenntnisse, die die Ablehnung der Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betreffen, dürfen nicht mitgeteilt werden. Zur Gewährleistung des Geheimund Sabotageschutzes können sicherheitserhebliche Erkenntnisse an die nicht öffentliche Stelle übermittelt werden und dürfen von ihr ausschließlich zu diesem Zweck genutzt werden. Die nicht öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über die betroffene Person oder über den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner bekannt werden. SS 29 Aktualisierung der Sicherheitserklärung (1) Die nicht öffentliche Stelle leitet der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt, auf Anforderung der zuständigen Stelle die Sicherheitserklärung in der Regel alle fünf Jahre erneut zu. (2) Die betroffene Person hat die in der Sicherheitserklärung angegebenen Daten im Falle eingetretener Veränderungen zu ergänzen. Die zuständige Stelle beauftragt die mitwirkende Behörde, die Maßnahmen nach SS 12 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 erneut durchzuführen. SS 30 Mitteilungsund Unterrichtungspflichten (1) Die betroffene Person hat der nicht öffentlichen Stelle von sich aus die in SS 6 Abs. 4 genannten Änderungen mitzuteilen. (2) Die nicht öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle umgehend über die ihr nach Absatz 1 mitgeteilten personenbezogenen Daten sowie über das Ausscheiden der betroffenen Person aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu unterrichten. SS 31 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten Die nicht öffentliche Stelle darf die nach diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten der betroffenen Person automatisiert verarbeiten; im Übrigen ist SS 23 entsprechend anzuwenden. Sechster Abschnitt Reisebeschränkungen und Schlussbestimmungen SS 32 Reisebeschränkungen (1) Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut sind, die eine Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 oder 10 erfordert, können verpflichtet werden, Dienstund Privatreisen in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen gelten, der zuständigen Stelle oder der nicht öffentlichen Stelle rechtzeitig vorher anzuzeigen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit angeordnet werden. Die in der Anzeige nach Satz 1 mitgeteilten Erkenntnisse dürfen von der nicht öffentlichen Stelle nur für den mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgten Zweck genutzt werden. (2) Die Reise kann von der zuständigen Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte zur betroffenen Person oder eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche Gefährdung durch fremde Nachrichtendienste erwarten lassen. Eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit ist in der Regel bei den in SS 10 Nr. 4 genannten Personen anzunehmen. (3) Ergeben sich bei einer Reise in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, die auf einen Anbahnungsoder Werbungsversuch fremder Nachrichtendienste hindeuten können, so ist die zuständige Stelle nach Abschluss der Reise unverzüglich zu unterrichten, die ihrerseits die mitwirkende Behörde zu unterrichten hat. SS 33 Ermächtigung zur Rechtsverordnung Die Ministerien bestimmen im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen Ministerium durch Rechtsverordnung die öffentlichen Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik nach SS 1 Abs. 2 Nr. 4 und die lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 5 jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich. Die Rechtsverordnung nach SS 1 Abs. 2 Nr. 5 bedarf der Zustimmung des zuständigen Ausschusses. SS 34 Allgemeine Verwaltungsvorschriften (1) Das für den Geheimschutz zuständige Ministerium erlässt die zur Ausführung ThürSÜG dieses Gesetzes erforderlichen Verwaltungsvorschriften. (2) Das für die Wirtschaft zuständige Ministerium erlässt im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen Ministerium die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Verwaltungsvorschriften für den Bereich der nicht öffentlichen Stellen. 213 214 SS 35 Strafvorschriften (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geschützte personenbezogene Daten, die nicht offenkundig sind, ThürSÜG 1. verarbeitet, 2. zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält oder 3. abruft oder sich oder einem anderen aus Dateien verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. die Übermittlung von nach diesem Gesetz geschützten personenbezogenen Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder 2. entgegen SS 22 Abs. 1 oder SS 28 Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt oder unbefugt weitergibt. (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. SS 36 Übergangsbestimmungen (1) Bei Sicherheitsüberprüfungen, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes abgeschlossen wurden, ist die erste Aktualisierung nach SS 18 Abs. 1 fünf Jahre nach Abschluss der jeweils letzten Überprüfung oder Aktualisierung, die erste Wiederholungsüberprüfung nach SS 18 Abs. 3 zehn Jahre nach Abschluss der jeweils letzten Überprüfung durchzuführen. (2) Maßnahmen, die anlässlich von Sicherheitsüberprüfungen vor dem In-KraftTreten dieses Gesetzes eingeleitet wurden, aber noch nicht abgeschlossen sind, bleiben wirksam, sofern sie mit entsprechenden Maßnahmen nach diesem Gesetz vergleichbar sind. SS 37 Gleichstellungsbestimmung Statusund Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher und weiblicher Form. SS 38 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können die Rechte auf Schutz der Privatsphäre (Artikel 6 der Verfassung des Freistaats Thüringen) eingeschränkt werden. SS 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. ThürSÜG 215 216 12 Golden Years 81 f. (rechtsextremistische Band) A Ahnentreueforum 40 Sachregister Aktionsbündnis Erfurt (AB Erfurt) 61 Aktionsgruppe Erfurt (AG Erfurt) 58 Aktionsgruppe Weimarer Land 60 f. (AG WL) Aktionsgruppe 4 Hessen 40 al-Nahda 141 al-Qaida 132 f., 135 f. al-Qaida auf der Arabischen 133 ff. Halbinsel (AQAH) Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) 178 f. Anarchisten 8, 96 f., 113 Anarchist Resistance Wartburgkreis 107 Antifa Task Force (ATF) Jena 108 Antifaschistische Aktion Saalfeld 106 f. (AASlf) Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 9, 129, 147 ff. Autonome Anarchistische Gruppe 105 Gotha (AAGTH) Autonome Antifa Gruppe Weimar 107 (AAG Weimar) Autonome Nationalisten (AN) 7, 19, 51, 59, 91 Autonome Nationalisten Erfurt 59 Autonome Nationalisten 41, 59 Nordthüringen Autonome Nationalisten 41, 59, 63 Südthüringen Autonome Nationalisten Weimar 60 (AN WE) B Bad Seven MC 163 Bad Seven MC Hildburghausen 163 Bandidos MC 162 ff. Bandidos MC Jena 163 Barny (rechtsextremistischer 39, 84 f. Liedermacher) Bildungswerk für Heimat und 24 nationale Identität e. V. Bisson & Anna (rechtsextremistisch84 es Gesangsduo, Schweden) Bloodline 81 (rechtsextremistische Band) Bloody Memory 81 (rechtsextremistische Band) Brainwash 81 f. (rechtsextremistische Band) Braunes Haus 86 Brutal Attack (rechtsextremistische 85 Band, Großbritannien) Bundesgruppe der Schlesischen 67 Jugend (SJ-Bund) Burning Hate 39, 85 (rechtsextremistische Band) Bürgerstimme! (Publikation) 34 Bürohaus Europa 105 D Der Aktivist (Publikation) 44 Der Nordthüringen Bote 34 (Publikation) Der Rennsteig Bote (Publikation) 34 Deutsche Kommunistische Partei 96, 116, 118 ff., 122 (DKP) Deutscher Kongress 93 Sachregister Deutsche Stimme (DS, Publikation) 22, 25, 27 Deutsche Stimme Verlagsgesell28 schaft mbH Deutsche Volksunion - Die neue 6, 47 Rechte (DVU) Dianetik-Post (Publikation) 153 Die Artgemeinschaft - Ger92 manische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG - GGG) 217 218 Die JungZ (rechtsextremistische 81, 84 Band) Die Lunikoff-Verschwörung 41, 85 (rechtsextremistische Band) Sachregister Die Rote Fahne (Publikation) 120 f. Die Rote Hilfe (Publikation) 126 E Eichsfeldstimme (Publikation) 34 Einladung zum Paradies e. V. (EZP) 139 Erlebnisscheune Kirchheim 74, 83, 87 Eternal Bleeding (rechtsextremis78, 81 tische Band) Eugenik (rechtsextremistische Band) 81 Exilregierung Deutsches Reich 93 f., 156 F Faktum (Publikation) 35 Federation of Islamic Organizations 141 of Europe (FIOE) Ferox & Barny (rechtsextremistische 39, 85 Band, Sachsen bzw. Schweden) Fest der Völker 38, 91 Freies Netz Mitteldeutschland 56, 58 Föderation kurdischer Vereine in 150 ff. Deutschland e. V. (YEK-KOM) Freewinds (Publikation) 153 Freiheit (Publikation) 153 Freie Arbeiterinnenund Arbei96, 114 terunion mit Anbindung an die Internationale Arbeiter Assoziation (FAU-IAA) Freie ArbeiterInnen Union 47, 114 Südthüringen (FAUST) Freiheitliche Deutsche Arbeiterpar55 tei (FAP) Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 148 Freiheitsund Demokratiekongress 147 Kurdistans (KADEK) Freie Kameradschaft 50, 71 Freie Kräfte Erfurt (FKE) 58 Freie Nachrichten Jena 57 (Publikation) Freie Nationalisten 49, 73 Freie Nationalisten Gera 73 Freies Netz (FN) 56 Freies Netz Altenburg 63 (FN Altenburg) Freies Netz Erfurt (FN Erfurt) 58 Freies Netz Jena (FN Jena) 56 f., 62 Freies Netz Kahla (FN Kahla) 62 Freies Netz Saalfeld (FN Saalfeld) 62 Freies Netz Südthüringen 63 f. (FN Südthüringen) Fylgien (rechtsextremistischer 41, 74, 85 Liedermacher) G Garde 81 163 Gedächtnisstätte e. V. 88, 159 Gemeinschaft der Kommunen in 147, 149 Kurdistan (Koma Komalen Kurdistan - KKK) Germania Records 79 Germania Versand 74, 91 Gesellschaft für freie Publizistik 93 e. V. (GfP) Globale Islamische Medienfront 135 (GIMF) Gremium MC 162 ff. Sachregister H HAMAS 141 ff. Hausgemeinschaft "Zu den Löwen" 86 f. Heimattreue Deutsche Jugend e. V. 45, 67 (HDJ) Hells Angels MC 162 f. Hells Angels MC Erfurt 164 Hermunduren 81, 84 (rechtsextremistische Band) Hier & Jetzt (Publikation) 28 219 220 Hilfsorganisation für nationale 64 ff. politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der 130 Sachregister Befreiung) I I don't like you (rechtsextremistische 84 Band) Impact (Publikation) 153 Infoladen Sabotnik 107 Inspire (Onlinemagazin) 135 INTERIM (Publikation) 99 International Coordination of Revo124 lutionary Parties and Organizations (ICOR) Internationales Islamisches Kultur138 zentrum - Erfurter Moschee e. V. (IIKz Erfurt) Internationales Islamisches Kultur138 zentrum - Nordhausen e. V. (IIKz Nordhausen) Islamische Gemeinschaft in 131, 141 Deutschland e. V. (IGD) J Jihad 132 ff., 138, 165 Junge Nationaldemokraten (JN) 24, 44 Jungen Landsmannschaft Ost67, 73 deutschland (JLO) Junges Schlesien 67 (Publikation der SJ) K Kameradschaft Eichsfeld 55 Kameradschaft Northeim 55 Kaukasisches Emirat (KE) 143 Kinderzimmerterroristen (KZT, 81, 85 rechtsextremistische Band) Kommissarische Reichsregierung 93 des Deutschen Reiches (KRR) Kommunalpolitische Vereinigung in 25 der NPD (KPV) Kommunistische Partei Deutsch8, 118, 120 lands (KPD) Kommunistische Plattform (KPF) der 8, 115 Partei "DIE LINKE." Kommunistischer Jugendverband 120 Deutschlands (KJVD) Konzept der "Unsterblichen" 49 Koordination der kurdischen demo150 f. kratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik a Kurdistan - CDK) Koreanische Demokratische Volks121 republik (KDVK) KPD-Regionalorganisation Bad 122 Langensalza und Umland KPD-Regionalorganisation Erfurt 122 L Last Man Standing (rechtsextremis81 tische Band) Last Riot (rechtsextremistische 84 Band) Liebig 14 100, 111 f. M Marxistisch-Leninistische Partei 8, 123 Deutschlands (MLPD) MG 42 (rechtsextremistische Band) 81, 84 militante gruppe (mg) 127 Ministerium für Staatssicherheit der 12, 178 DDR (MfS) Mitteilungen der Kommunistischen 115, 117 Plattform der Partei DIE LINKE (Publikation) Moshpit (rechtsextremistische 81 f., 82 f. Band) Sachregister Muslimbruderschaft (MB) 8, 131, 140 N Nachrichten der HNG (Publikation) 66 National Born Haters-nbh (rechts39 extremistische Band) Nationaldemokratische Partei 6, 18, 22 Deutschlands (NPD) Nationale Befreiungsfront Kurdis150 tans (ERNK) 221 222 National Socialist Black Metal 82 (NSBM) National Socialist Hardcore (NSHC) 82 Sachregister Nationalsozialistischer Untergrund 13, 68 f. (NSU) Nationaler Widerstand 53 Nationaler Widerstand Jena (NWJ) 56 Nordglanz (rechtsextremistische 85 Band) Nordische Zeitung (Publikation) 92 Nordkaukasische Separatistenbe9, 136, 143 wegung (NKSB) NPD - Die Volksunion 24 NPD Eichsfeldtag 38, 40, 85, 158 O Oidoxie (rechtsextremistische 41, 85 Band) Old Glory (rechtsextremistische 81, 84 Band) Ostfront (rechtsextremistische 81, 84 Band) Ostthüringen Bote (Publikation) 34, 63 Outlaws MC 162 Outlaws MC Gera 163 f. P PAK 88 (rechtsextremistische Band) 88 Preussenstolz (rechtsextremistische 84 Band) Pro Erfurt e. V. 48 R R.A.C. - Rock against Communism 82 (Rock gegen Kommunismus) Radikahl (rechtsextremistischer 39, 81 f., 85 Sänger) REBELL 123, 125, 158 Red Devils MC 163 Religious Technology Center (RTC) 153 Revolta Jena 106 Ring nationaler Frauen (RNF) 6, 25, 46 Risalat al-Ikhwan (Publikation) 140 Rock für Deutschland 38 ff., 42, 85, 104, 107, 158 Rote Fahne (Publikation) 120 f. Rote Hilfe e. V. (RH) 96, 126 f. Rote Hilfe Südthüringen 111 Rotfüchse (Kinderorganisation) 125, 158 S Saale Stimme (Publikation) 35 Schlesische Jugend - Landesgruppe 66 f., 89 Thüringen (SJ-Thüringen) Schützenhaus in Pößneck 87 Scientology Kirche Frankfurt am 155 Main e. V. Scientology Organisation (SO) 9, 153 Selbststeller (rechtsextremistische 84 Band) Selektion (rechtsextremistische 39, 85 Band) SERXWEBUN (Publikation) 147 SKD (rechtsextremistische Band) 81, 90 Sleipnir (rechtsextremistische Band) 39, 45, 84 f. Sonderkommando Dirlewanger 89 (SKD) Sozialistische Deutsche Arbeiterju118 gend (SDAJ) Sozialistische Einheitspartei 121 f. Deutschlands (SED) Sachregister Stimme von und für Elbe-Saale 123 (Publikation) Südthüringen Stimme (Publikation) 34 Südthüringer Heimatschutz 63 System Infarkt (rechtsextremistische 81 Band) Sozialistische Deutsche 118 Arbeiterjugend (SDAJ) T Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft 8, 136, 142 der Verkündigung und Mission) 223 224 Thiazi Forum 41 Thüringer Heimatschutz (THS) 71 Thüringenreport (Publikation) 118, 120 Sachregister Thüringentag der nationalen Jugend 38, 91, 157 Torstein (rechtsextremistischer 41, 82, 84 f. Liedermacher) Totenburg (rechtsextremistische 81 Band) Treffen der Generationen 74, 85, 157, 159 Tschetschenische Republik Itschke143 f. ria (CRI) Tschetschenische Separatistenbe143 wegung (TSB) U Unbeliebte Jungs (rechtsextremis81 tische Band) Unsere Zeit (UZ, Publikation) 118 f. V Verboten (rechtsextremistische 84 f. Band) Vereinigte Gemeinschaften Kur147, 149 distans (Koma Civaken Kurdistan - KCK) Vier-Säulen-Konzept 23, 27 Volksfront von Rechts 23, 28 f., 53 Volkskongress Kurdistans 147 (KONGRA GEL) Volksverteidigungskräfte (HPG) 148 W Warheads MC 163 Wartburgkreis Bote (Publikation) 34 f. WB Magazin 91 W & B Records 79 W & B Versand 55, 91 Weimarer Landbote (Publikation) 34 White-Power-Bewegung 76 Wilhelm Tietjen Stiftung für 87 Fertilisation Limited Word of Anger 85 (rechtsextremistische Band) World Institute of Scientology 155 Enterprises (WISE) Y Yeni Özgur Politika 152 (YÖP, Publikation) Z Zionist Occupied Government 49 (ZOG) Sachregister 225 226 A Al-Awlaqi, Anwar 133 Al-Banna, Hasan 140 Personenregister Al-Maududi, Abu l-A'la 140 Al-Zawahiri, Ayman 132 Apfel, Holger 25 f., 29, 39, 45, 53 B Bartsch, Marco 85 Bin Laden, Usama 132 Böhnhardt, Uwe 69 ff. C Ciftci, Muhamed 139 D Dabbagh, Hassan 139 E Elbert, Roy 32 Engel, Stefan 125 F Faust, Matthias 114, 47, 218 Flöter, Heinz 93 G Gansel, Jürgen 28 Gärtner, Lisa 125 H Haverbeck-Wetzel, Ursula 88 Heise, Thorsten 30, 33, 40 f., 55 f. Hering, Torsten 82 Heß, Rudolf 158, 57, 62 Hubbard, Lafayette Ronald 154 I Ilyas, Maulawi Muhammad 142 J Jürgensen, Bettina 119 K Kammler, Tobias 32, 35 Karayilan, Murat 149 Kartal, Remzi 149 Knop, Ingmar 39 Krause, Rolf 93 Kreutzer, Marco 32, 38 Kropotkin, Peter 113 M Mechtersheimer, Dr. Alfred 93 Melisch, Richard 93 Miscavige, David 153 f. Morgenroth, Jan 32 Mundlos, Uwe 69 ff. Müller, Ursula 66 N Narath, Wolfram 45 O Öcalan, Abdullah 147 ff., 151 f. P Pastörs, Udo 25, 45 Pieck, Wilhelm 121 Q Qutb, Sayyid 140 R Regener, Michael 41, 85 Rennicke, Frank 85 Richter, Gordon 39 Personenregister Richter, Karl 25 Rieger, Jürgen 74, 76, 87, 92 Rimbach, Fabian 67, 89 S Saad, Maulana Ibrahim 142 Schäfer, Michael 45 Schiedewitz, Klaus-Wolfram 88 Schneider, Mandy 32, 46 Schunk, Axel 92 227 228 Schwerdt, Frank 25, 30, 32, 41 Seidler, Prof. Dr. Franz 93 Personenregister T Tietjen, Wilhelm 87, 225 Trinkaus, Kai-Uwe 48 U Umarov, Dokku 143 ff. V Vogel, Pierre 103, 130 Voigt, Udo 23, 25 W Weber, Patrick 32, 38 f., 74 Wegener, Daniela 66 Wieschke, Patrick 25, 30, 32, 35 f., 42 f. Wohlleben, Ralf 71 Z Zakaev, Ahmed 143 ff. Zschäpe, Beate 69, 70, 71