Thüringer Innenministerium Verfassungsschutzbericht 2008 Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2008 Mai 2009 IMPRESSUM Herausgeber: Thüringer Innenministerium Steigerstraße 24 99096 Erfurt Telefon: (03 61) 37-9 00 Der Verfassungsschutzbericht 2008 ist im Internet abrufbar unter: www.verfassungsschutz.thueringen.de Vorwort Extremisten - gleich welcher Couleur - betätigten sich auch im Jahr 2008 mit dem Ziel, ihre der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegenstehenden Ziele zu verwirklichen. Hinsichtlich des zumindest formalen Organisationsgrads als auch der Anhängerschaft dominierte im Freistaat wiederum der Rechtsextremismus. Autonome machten innerhalb der Linksextremisten nicht nur den am stärksten aktionistisch ausgerichteten, sondern zugleich zahlenmäßig größten Anteil aus. Ausländerextremistische Aktivitäten bewegten sich auf dem Niveau der Vorjahre, ebenso die auf Einzelpersonen zurückzuführenden Bestrebungen, muslimische Vereine islamistisch zu infiltrieren. Der Thüringer Landesverband der NPD vermochte seine für 2008 ausgegebenen Ziele nicht zu erreichen. Interne Querelen um die künftige Führung der Partei, die sich zuspitzenden Dissonanzen mit den zum neonazistischen Spektrum zählenden "Autonomen Nationalisten" und ein deutlicher Rückgang auf 480 Mitglieder sprachen gegen die nach außen propagierte Geschlossenheit des Lagers. Als Eingeständnis unüberwindbarer Defizite kann die von früheren Planungen abweichende Ankündigung, zu den Kommunalwahlen doch nicht flächendeckend anzutreten, verstanden werden. Auf Veranlassung der Thüringer NPD erklärte sich die DVU nach gut einjähriger Verhandlungsphase bereit, den "Deutschlandpakt" zugunsten einer alleinigen NPD-Kandidatur bei der Landtagswahl zu modifizieren. Wurden Mitgliedern des DVU-Landesverbands im Gegenzug vordere Listenplätze eingeräumt, zeigte sich die NPD gegenüber gleichlautenden Ansprüchen einzelner Neonazis bislang weniger aufgeschlossen. Die Einigkeit innerhalb der vielbeVorwort schworenen "Volksfront von Rechts" offenbart Risse, wird die NPD von jenen Kräften ob ihrer vermeintlichen Angepasstheit an die etablierten Parteien bereits heftig kritisiert. Innerhalb des linksextremistischen Spektrums waren die Entwicklungen weniger einschneidend. Gewaltbereite Autonome stellen unverändert gut ein Drittel der gesamten Szene. Durch ihre stark 3 4 aktionistische Ausrichtung traten die vorwiegend jugendlichen Anhänger auch im Berichtsjahr weit häufiger öffentlich in Erscheinung als die meist von lebensälteren Mitgliedern getragenen marxistisch-leninistischen Parteien. Der Versuch, über die Beteiligung Vorwort an den von nichtextremistischen Bündnissen initiierten Protestveranstaltungen gegen rechtsextremistische Kundgebungen autonome Ansichten zu verbreiten oder gar entscheidenden Einfluss auf die Menge der Gegendemonstranten zu erlangen, blieb erfolglos. Ebenso scheiterten die Bemühungen um eine dauerhafte, landesweite Vernetzung autonomer Gruppierungen. Insgesamt war die Szene stärker regional ausgerichtet als noch im Vorjahr, wobei in der zweiten Jahreshälfte Aktionen zum Erhalt des "besetzten" Hauses breiten Raum einnahmen. Durch einen im bundesweiten Vergleich eher geringen Anteil ausländischer Mitbürger ist die Anzahl derer, die vom Freistaat aus extremistische oder terroristisch agierende Gruppen in den jeweiligen Herkunftsländern unterstützen, verhältnismäßig gering. Die Nachfolgeorganisation der linksextremistischen kurdischen Arbeiterpartei verfügt dabei nach wie vor über die größte Anhängerschaft. Insbesondere während der jährlich konspirativ durchgeführten Spendensammlung bedient sie sich ihrer seit Jahren auch in Thüringen bestehenden Strukturen. Islamistische Organisationen sind bislang hier nicht vertreten. Jedoch betätigen sich Vertreter fundamentalistisch ausgerichteter islamischer Glaubensgemeinschaften als Vortragende oder Vorbeter in muslimischen Vereinen und leisten so etwa einer Radikalisierung Vorschub. Bei einzelnen öffentlichen Informationsveranstaltungen kamen diese Ansichten - sofern überhaupt - nur verbrämt zum Ausdruck. Die Beobachtungen im Bereich der Organisierten Kriminalität konzentrierten sich auf kriminelle Rockergruppierungen. Im Mittelpunkt der Spionageabwehr standen Maßnahmen zur Prävention von Proliferationsbemühungen und der Wirtschaftsspionage. Wie in den Vorjahren auch wurden einzelne Werbematerialien der Scientology Organisation in Thüringen festgestellt. Stagnation oder leicht rückläufige Entwicklungen innerhalb einzelner extremistischer Spektren dürfen nicht zu deren Verharmlosung führen. Vielmehr sind jene Tendenzen als Indiz für die Wehrhaftigkeit der freiheitlichen Demokratie zu verstehen. Diese gilt es sowohl durch staatliches aber auch zivilgesellschaftliches Engagement weiter zu stärken. Manfred Scherer Thüringer Innenminister Erfurt, Mai 2009 Vorwort 5 6 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument streitbarer Demokratie 11 2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 12 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung 15 II. Rechtsextremismus 1. Überblick 17 1.1 Das rechtsextremistische Potenzial in der Bundesrepublik Deutschland 17 1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen 19 2. Ideologischer Hintergrund 20 3. Rechtsextremistische Parteien 22 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 22 3.1.1 Der Bundesverband der NPD 22 3.1.1.1 Entwicklung der Partei 22 3.1.1.2 Ideologie der Partei 25 3.1.1.3 Strategie der Partei 27 3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD 30 3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands 30 3.1.2.2 Kreisverbände 32 3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung 33 3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen Rechtsextremisten 35 3.1.2.5 Internet/Publikationen 36 3.1.2.6 Landesparteitage und Positionskämpfe 38 3.1.2.7 Landesvorstand schließt Parteimitglieder aus 40 3.1.2.8 Kommunalpolitisches Engagement der NPD stagniert 41 3.1.2.9 Wahlvorbereitungen der Thüringer NPD 42 3.1.2.10 Aktivitäten des Landesverbands 46 3.1.2.11 Bewertung und Ausblick 54 3.1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 56 3.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) 58 4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 60 4.1 Ideologischer Hintergrund 60 4.2 Organisationsformen der Neonaziszene im Allgemeinen 61 4.3 Zusammenarbeit mit der NPD 65 4.4 Die Neonaziszene in Thüringen 66 4.4.1 Kameradschaften 67 4.4.2 "Autonome Nationalisten" (AN) 70 4.4.3 Sonstige Personenzusammenschlüsse 72 4.4.4 Zusammenarbeit mit der Thüringer NPD 75 4.4.5 Vereinsaktivitäten von Neonazis 76 4.4.6 Gewaltpotenzial der Neonaziszene 77 4.4.7 Aktivitäten und Themenschwerpunkte der Neonaziszene 78 4.4.8 Von Rechtsextremisten herausgegebene Regionalzeitungen 80 4.4.9 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten 83 5. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten 85 5.1 Botschaften rechtsextremistischer Musik 86 5.2 Wirkung rechtsextremistischer Musik 88 5.3 Outfits der rechtsextremistischen Musikszene 89 5.4 Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppierungen 90 5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen 92 5.6 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer Inhaltsverzeichnis Konzerte im Allgemeinen 94 5.7 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen 96 5.8 Produktionsund Vertriebsstrukturen 100 6. Sonstige Gruppierungen 101 7. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts - im Überblick 105 III. Linksextremismus 1. Überblick 107 2. Ideologischer Hintergrund 108 3. Autonome 109 7 8 3.1 Allgemeines 109 3.2 Die autonome Szene in Thüringen 113 3.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"Verständnis 115 Inhaltsverzeichnis 3.4 Autonomer "Häuserkampf" 128 4. Anarchisten 130 4.1 "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA) 131 5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige Organisationen 132 5.1 "Kommunistische Plattform" (KPF) der Partei "DIE LINKE." 132 5.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 135 5.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) 139 5.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 142 5.5 "Rote Hilfe e.V." (RH) 144 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links - im Überblick 146 IV. Ausländerextremismus/Islamismus 1. Überblick 147 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/ "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) 149 2.1 Überblick, allgemeine Lage 150 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen 151 2.3 Finanzierung 153 2.3.1 Strafverfahren gegen Spendensammler in Thüringen 153 2.4. Propaganda und Themenschwerpunkte 2008 153 2.4.1 Protestkampagne "Edi Bese!" ("Jetzt reicht es!") 154 2.4.2 KONGRA GEL begeht "NEWROZ" 155 2.4.3 Verbotsverfügung gegen den Satellitensender "ROJ TV" 155 2.4.4 "Volksverteidigungsarmee" (HPG) entführt deutsche Staatsangehörige in der Türkei 156 2.4.5 "16. Internationales Kurdisches Kulturfestival" in Gelsenkirchen 157 2.4.6 Reaktionen auf die angebliche Misshandlung Abdullah ÖCALANs 158 3. Islamismus 159 3.1 Islamismus in Thüringen 163 V. Scientology Organisation (SO) 1. Gesetzliche Grundlagen für die Beobachtung 168 2. Organisationsstruktur 169 3. SO in Thüringen 170 VI. Ereigniskalender Extremistischer Bestrebungen in Thüringen 171 VII. Organisierte Kriminalität (OK) 1. Aufgaben des Verfassungsschutzes 177 2. Beobachtungsschwerpunkte 178 3. Fazit 181 VIII. Spionageabwehr Inhaltsverzeichnis 1. Überblick 182 2. Proliferation 183 3. Wirtschaftsspionage 186 4. Ausblick 189 5. Frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR 189 9 10 IX. Geheimschutz 1. Allgemeines 190 2. Personeller Geheimschutz 190 Inhaltsverzeichnis 3. Materieller Geheimschutz 192 4. Sonstige Überprüfungen 193 Anhang Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 194 Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) 210 Abkürzungsverzeichnis 230 Sachregister 233 Personenregister 242 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung ist es die Aufgabe der Gesellschaft, denjenigen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Das Grundgesetz legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, es trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Die streitbare Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Staat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte - wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht - zu. Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie den Bestrebungen von politischen Extremisten nicht tatenlos aus. So ist beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot Informationen verfassungswidriger Parteien und Vereine oder nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Außerdem verfügt unser Rechtsstaat über effektive Institutionen, deren Aufgabe darin besteht, als "Frühwarnsystem" politischen Extremisten entgegenzuwirken und die konstitutiven Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzusichern. Ein wesentliches Element der streitbaren Demokratie stellen die 17 Verfassungsschutzbehörden dar, die der Bund und die Länder unterhalten. Im Freistaat Thüringen ist die Verfassungsschutzbehörde als Landesoberbehörde 1991 errichtet worden. 11 12 Die Verfassungsschutzbehörden gehen vor allem der Frage nach, aus welchen Parteien, Gruppierungen und Personen sich das extremistische Spektrum zusammensetzt und welche Ziele es verfolgt. Ebenso klären sie Spionageaktivitäten ausländischer NachInformationen richtendienste auf. In einigen Bundesländern, darunter Thüringen, beobachtet der Verfassungsschutz Bestrebungen der Organisierten Kriminalität (OK). Die Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden sollen es den zuständigen Stellen ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie solcher Gefahren zu treffen, die von Aktivitäten der OK ausgehen. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen der Kontrolle insbesondere durch die Innenminister, durch die von den Parlamenten eingesetzten Kontrollgremien, durch die Gerichte, durch die Bundesbzw. Landesbeauftragten für Datenschutz sowie durch die Medien. Sie besitzen keine Zwangsbefugnisse, die vorrangig in die Zuständigkeit der Polizeibehörden fallen. Sie unterscheiden sich grundlegend sowohl von der "Geheimen Staatspolizei" (Gestapo) der Nationalsozialisten als auch vom Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS). Jene waren darauf ausgerichtet, totalitäre Staaten abzusichern und abzuschirmen, wohingegen der Verfassungsschutz die freiheitliche demokratische Grundordnung schützt. Darüber hinaus besaß das MfS keinerlei rechtsstaatliche gesetzliche Grundlage und unterlag dementsprechend auch keiner rechtsstaatlichen Kontrolle. Verstand sich die Staatssicherheit als "Schild und Schwert der SED", dienen die Verfassungsschutzbehörden keiner Partei, sondern sind dem Mehrparteiensystem verpflichtet. 2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) Aufbau und Organisation des TLfV Das TLfV verfügte im Haushaltsjahr 2008 über 97 Stellen und Planstellen. Für die Wahrnehmung seiner Aufgaben waren ihm durch Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 5.257.800 EUR zugewiesen. Das Amt ist wie folgt strukturiert: Präsident Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentrale Dienste Auswertung Beschaffung, Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr Die Fachaufsicht über das Landesamt führt das Thüringer Innenministerium, Referat "Verfassungsschutz, Geheimschutz". Abteilung "Zentrale Dienste" Die Abteilung "Zentrale Dienste" ist für den inneren Dienstbetrieb und für fachübergreifende Aufgaben des Amtes zuständig. Sie umfasst die Bereiche Grundsatzund Rechtsfragen, Geheimschutz, Verfahren der Postund Telekommunikationsüberwachung (G10), Personal, Haushalt, Innerer Dienst, EDV und Registratur, Öffentlichkeitsarbeit und Berichtswesen. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von Vorträgen, die Beantwortung von Bürgeranfragen und die Herausgabe periodischer Berichte hervorzuheben. Im Jahre 2008 hielten Mitarbeiter des TLfV rund 60 Vorträge, die die verschiedenen Beobachtungsbereiche des Verfassungsschutzes betrafen. Sie richteten sich vorrangig an Multiplikatoren aus dem Bereich der politischen Bildung, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch an Informationen Lehrer und Schüler, in der Jugendund Sozialarbeit Tätige sowie an die Vertreter unterschiedlichster Thüringer Verbände und gesellschaftlicher Interessengruppen. Im Rahmen einer 12 Termine umfassenden landesweiten Veranstaltungsreihe "Extremisten unerwünscht - Schutz der Verfassung auf kommunaler Ebene" wurde den Vertretern der Landkreise und kreisfreien Städte im Hinblick auf die 2009 im Freistaat Thüringen anstehenden Wahlen ein gesondertes Informationsangebot unterbreitet. Schwerpunkt hierbei war, über die Strategien und Strukturen der politischen Extremisten in den jeweiligen Regionen zu informieren. Außerdem wirkte das TLfV - wie in den Jahren zuvor - auch beratend und unterstützend an verschiedenen kommunalen Präventionsprojekten mit. 13 14 Das bereits 7. Fachsymposium des TLfV am 25. September widmete sich dem Thema "Rechtsextremisten in Parlamenten und politischen Gremien - eine Reifeprüfung für die Demokratie". In mehreren Fachvorträgen wurden die Strategien rechtsextremistiInformationen scher Parteien bei ihrem "Kampf um die Parlamente" dargelegt, Ursachen ihrer temporären Wahlerfolge hinterfragt und zugleich Handlungsoptionen aufgezeigt, ihnen sowohl auf politischer als auch gesellschaftlicher Ebene wirkungsvoll zu begegnen. Seine periodische Berichterstattung versteht das TLfV als Serviceangebot gegenüber der Öffentlichkeit und den Fachbehörden, insbesondere solchen, die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrnehmen. Im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes werden Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind, unterstützt. Sie werden beraten, wie Verschlusssachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden können. Abteilung "Auswertung" Die Abteilung "Auswertung" erhält von der Abteilung "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Links-, Rechtsund Ausländerextremismus sowie frühere, fortwirkende Strukturen. Sie lenkt diesen Informationsfluss, führt die Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Informationsquellen, zusammen und wertet sie aus. Abteilung "Beschaffung, Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr" Diese Abteilung hat die Aufgabe, durch Ermittlungen und den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln (z. B. Observationen, Führen von sog. Vertrauensleuten) die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags erforderlichen Informationen zu beschaffen. Darüber hinaus obliegt ihr, die unerlaubte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären und Informationen über Bestrebungen der Organisierten Kriminalität in Thüringen zu erheben. "Thüringer Informations-Auswertungs-Zentrale von Polizei und Verfassungsschutz" (TIAZ) Aufgabe der TIAZ, einer Projektorganisation des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) und des TLfV ist es, Informationen zu politisch motivierter Kriminalität in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Ausländer" sowie den Erscheinungsformen des internationalen Terrorismus zu bündeln und einer gemeinsamen Analyse zuzuführen. Die TIAZ übernimmt darüber hinaus die Aufgaben des Freistaats Thüringen im Wirkbetrieb der "Antiterrordatei" (ATD). Kontakt: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 45 01 21 99051 Erfurt Telefon: (03 61) 44 06-0 Telefax: (03 61) 44 06-251 Internet: www.verfassungsschutz.thueringen.de E-Mail: kontakt@tlfv.thueringen.de Thüringer Innenministerium Referat 23 Steigerstraße 24 Informationen 99096 Erfurt Telefon: (03 61) 37-93 900 Telefax: (03 61) 37-93 111 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann nicht allein von staatlichen Behörden geschützt werden. Die Feinde unseres Rechtsstaats, die unser politisches System durch autoritäre oder totalitäre Regimes ersetzen wollen, können nur dann mit Erfolg 15 16 bekämpft werden, wenn diese Aufgabe als gesamtgesellschaftliche Verpflichtung begriffen wird. Es ist die gesamte Zivilgesellschaft, es sind alle Bürgerinnen und Bürger gefordert, sich mit den Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geistig und poliInformationen tisch auseinanderzusetzen. Die Bedeutung der politischen Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen erfordert eine umfangreiche Aufklärung über die Gefahren, die durch den politischen Extremismus drohen. Information und Aufklärung sind für den Bürger erforderlich, um die wahren Absichten extremistischer Bestrebungen durchschauen zu können. Daher nehmen präventiv ausgerichtete Aktivitäten der Verfassungsschutzbehörden, mit denen zur Aufklärung der Bevölkerung über Erscheinungsformen und Hintergründe des politischen Extremismus beigetragen werden soll, im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit einen breiten Raum ein. Es liegt im Interesse eines jeden Einzelnen, dass diejenigen, die politische Verantwortung tragen, durch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes rechtzeitig in die Lage versetzt werden, verfassungsfeindliche Bestrebungen abzuwehren und zu bekämpfen. Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden stellt sicher, dass Regierungen und Parlamente, aber auch die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Organisationen und Bestrebungen informiert werden. Im Freistaat Thüringen wird die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes sowohl vom Thüringer Innenministerium als auch vom TLfV wahrgenommen. Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Innenministeriums und des TLfV ist die Information der Bürgerinnen und Bürger durch den jährlichen Verfassungsschutzbericht. Der Verfassungsschutzbericht wird an Behörden, Institutionen, Schulen und interessierte Bürgerinnen und Bürger auf Anforderung kostenlos versandt. Er kann auch im Internet unter "www.verfassungsschutz.thueringen.de" abgerufen werden. II. Rechtsextremismus 1. Überblick 1.1 Das rechtsextremistische Potenzial in der Bundesrepublik Deutschland Im Berichtszeitraum setzten sich im Wesentlichen die seit dem Jahr 2004 im rechtsextremistischen Spektrum zu beobachtenden Entwicklungstendenzen fort. Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) blieb die mit Abstand dominierende Organisation, wenngleich sie durch finanzielle Probleme und erhebliche interne Streitigkeiten, die vor allem im Zuge der Finanzaffäre um den ehemaligen Bundesschatzmeister Erwin KEMNA aufkamen, in ihrer Anziehungskraft und Mobilisierungsfähigkeit geschwächt wurde. Die Zusammenarbeit der NPD mit den neonazistischen "Freien Kräften" und der "Deutschen Volksunion" (DVU) in der "Volksfront von Rechts" wurde fortgesetzt. In diesem Bündnis haben die Spannungen jedoch zugenommen. Das Verhältnis zur DVU wurde zwischenzeitlich durch die Diskussion um das Fortbestehen des "Deutschlandpakts" - also der Wahlabsprache zwischen NPD und Rechtsextremismus DVU - belastet. Teile der NPD und der "Freien Kräfte" forderten zunehmend lauter, von den Festlegungen der Vereinbarung abzuweichen und statt der DVU die NPD zur Thüringer Landtagswahl 2009 antreten zu lassen. Zum anderen sind teils erhebliche Verwerfungen zwischen NPD und "Freien Kräften" festzustellen, die insbesondere auf dem angeblich angepassten Verhalten der NPD in Parlamenten gründen. Aufgrund dieser Probleme setzte sich der in den Vorjahren vor allem auf Eintritte zahlreicher Neonazis zurückzuführende Mitgliederzuwachs der NPD im Berichtsjahr nicht fort. Vielmehr ist ein Rückgang auf 7000 (2007: 7.200) Mitglieder zu konstatieren. Derzeit ist die NPD in den Landtagen von Sachsen und MecklenburgVorpommern vertreten. 17 18 Die DVU verlor wie im Vorjahreszeitraum erneut deutlich an Mitgliedern. Der Abstand zur NPD vergrößerte sich dabei stark. Mit nunmehr 6.000 (2007: 7.000) Mitgliedern ist sie noch immer die zweitgrößte Partei des rechtsextremistischen Lagers, verfügt aber Rechtsextremismus - anders als die NPD - nur über äußerst geringen Einfluss. Von den Vereinbarungen des "Deutschlandpakts" profitiert sie kaum. Wegen ihres eher marginalen Stellenwertes innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums verliert sie als Bündnispartner zunehmend an Bedeutung. Einzig in Brandenburg gehört die DVU einem Landesparlament an. Die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten belief sich 2008 in der Bundesrepublik auf ca. 9.500 Personen (2007: 10.000). Die Abkehr von der Skinheadsubkultur hat sich im Berichtszeitraum weiter fortgesetzt, was sich sowohl in den Musikstilen rechtsextremistischer Bands als auch im veränderten Erscheinungsbild der Szeneangehörigen widerspiegelt. Das neonazistische Personenpotenzial wuchs im Berichtszeitraum erneut auf nunmehr etwa 4.800 Personen (2007: ca. 4.400) an. Noch stellt dieses Spektrum in mehreren Bundesländern, darunter Thüringen, kaum eine eigenständige Kraft gegenüber der NPD dar, da sich noch immer die meisten führenden Neonazis im Rahmen der "Volksfront von Rechts" mit der NPD arrangieren. Viele sind mittlerweile der NPD beigetreten und üben dort zum Teil auch Funktionen aus. Nur wenige führende Neonazis äußern derzeit offen Kritik gegenüber der NPD bzw. lehnen eine Zusammenarbeit gänzlich ab. Sofern NPD-Wahlerfolge künftig ausbleiben, dürften die Diskussionen über den Sinn der legalistischen Strategie der NPD zunehmen und zum Erstarken dieser Minderheit führen. Die seit dem Jahr 2004 innerhalb der Neonaziszene bestehende Strömung der "Autonomen Nationalisten" (AN) macht inzwischen etwa 10 % dieses Spektrums aus. Vor allem wegen ihrer Gewaltbereitschaft übt sie besondere Anziehungskraft auf junge, aktionsorientierte Rechtsextremisten aus. 1.2 Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Parteien und Spektren1 Freistaat Thüringen Bund 2006 2007 2008 2008 NPD 380 550 480 7.000 DVU 60 50 50 6.000 Subkulturell geprägte und sonstige 530 530 470 9.500 gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 200 160 160 4.800 Die Entwicklung, die das rechtsextremistische Spektrum des Freistaats im Berichtszeitraum prägte, entsprach im Wesentlichen dem bundesweiten Trend. Auch in Thüringen verfügt die NPD innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums über den stärksten Einfluss. Obwohl sie im Berichtsjahr zahlreiche Aktivitäten entfaltete, gelang der Ausbau ihrer Strukturen nicht. Bei den Mitgliederzahlen musste sie einen deutlichen Rückgang auf 480 (2007: 550) hinnehmen. Interne Streitigkeiten, die sich bis in die zweite Jahreshälfte hinzogen, hatten die Rechtsextremismus NPD eigener Aussage nach zeitweise "gelähmt".2 Das Anliegen der Partei, ihr kommunalpolitisches Engagement zu intensivieren und ihre Mitglieder auf die anstehenden Kommunalund Landtagswahlkämpfe vorzubereiten, blieb davon nicht unberührt. Der Landesverband der DVU war auch 2008 praktisch inaktiv. Sein Organisationsgrad ist angesichts von landesweit schätzungsweise 50 Mitgliedern äußerst gering. Nicht zuletzt wegen dieser Schwächen hat die Thüringer NPD eine Modifizierung des "Deutschlandpakts" zugunsten ihres eigenen Antritts bei der anstehenden Landtagswahl angestrebt. 1 Zahlen gerundet, z. T. geschätzt. Bei den aufgeführten Parteien und Spektren bestehen nicht genau zu beziffernde Mehrfachmitgliedschaften. 2 Siehe die Kapitel 3.1.2.6 und 3.1.2.7. 19 20 Die bis 2007 zu beobachtende Dezimierung der Thüringer Neonaziszene zugunsten des Mitgliederbestandes der NPD hat sich 2008 nicht weiter fortgesetzt. Die Anzahl der Neonazis konsolidierte sich bei etwa 160 Personen, wobei auch ein Großteil der Rechtsextremismus Thüringer NPD-Mitglieder einen neonazistischen Vorlauf aufweist. Wie in mehreren anderen Bundesländern auch hat die neonazistische Szene im Freistaat ihre frühere Eigenständigkeit gegenüber der NPD weitgehend eingebüßt. Ursächlich hierfür ist vor allem das von der NPD Thüringen seit 2004 konsequent betriebene Konzept der "Volksfront von Rechts", das zu der angestrebten engen Verzahnung der Teilspektren führt. Die noch nicht zur NPD gewechselten Neonazis zeigen sich der Zusammenarbeit mit der Partei gegenüber größtenteils aufgeschlossen. Die Zahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten ist in Thüringen auf 470 (2007: 530) Personen gesunken. Der Rückgang korrespondiert im Wesentlichen mit einer geringeren Zahl von Konzertteilnehmern im Jahresverlauf 2008 und dem sich fortsetzenden Trend hin zu kleineren Veranstaltungen. Die Anzahl der im Freistaat durchgeführten rechtsextremistischen Konzerte bewegt sich auf Vorjahresniveau. Von acht stattgefundenen Konzerten wurden zwei durch die Polizei aufgelöst. Darüber hinaus dürfte es einzelne Veranstaltungen gegeben haben, die weder innernoch außerhalb der Szene größere Bekanntheit erlangten. 2. Ideologischer Hintergrund Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einer fest strukturierten Ideologie. Es setzt sich aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher ideengeschichtlicher Herkunft zusammen, die innerhalb der jeweiligen Ausprägung des Rechtsextremismus in unterschiedlicher Form zum Ausdruck kommen. Immer wiederkehrende Grundelemente sind: * ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip der Völkerverständigung missachtet, * die Überhöhung des Staats zu einem sich aus sich selbst heraus rechtfertigenden Wert und die Überbetonung der Staatsinteressen gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen (Etatismus), * eine völkische Ideologie, die sich typischerweise zu Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit verdichtet, wobei dem Antisemitismus eine besondere Stellung zukommt, * das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie das Hervorheben angeblich positiver Elemente des Dritten Reichs (Revisionismus). Weitere Elemente stellen die Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit und eine Ideologie der Ungleichwertigkeit dar. Antipluralismus und Autoritarismus sind in unterschiedlicher ideologischer Ausdrucksweise bei allen Rechtsextremisten zu finden. So ist das Weltbild subkulturell geprägter und sonstiger gewaltbereiter Rechtsextremisten diffus. Ihre Einstellungen werden von fremdenfeindlichen, oft rassistischen sowie gewaltbejahenden Ressentiments geprägt. Die Überzeugungen von Neonazis orientieren sich in der Regel an nationalsozialistischen Vorstellungen eines totalitären "Führerstaats" auf rassistischer Grundlage. Sie konzentrieren sich stärker auf zielgerichtete politische Aktivitäten, die oftmals sehr aktionistisch angelegt sind. Aus ihrer Sicht ist das deutsche Volk höherwertig und deshalb vor "rassisch minderwertigen" Ausländern oder Juden zu schützen. Bei den rechtsextremistischen Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen Rechtsextremismus gilt die Nation als oberstes Prinzip; damit einher geht eine Abwertung der Menschenund Bürgerrechte. Dies hat insbesondere eine Ablehnung der Gleichheitsrechte für diejenigen zur Folge, die nicht dem - von ihnen ausschließlich ethnisch definierten - "Deutschen Volk" angehören. Sie streben nach einem autoritären Staat, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft gesetzt wäre. Insbesondere Volkssouveränität, Gewaltenteilung, Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, Unabhängigkeit der Gerichte, Mehrparteienprinzip und Chancengleichheit für alle politischen Parteien sind diejenigen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, gegen die Rechtsextremisten vorgehen. 21 22 3. Rechtsextremistische Parteien 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" Rechtsextremismus (NPD) Bund Thüringen Gründungsjahr 1964 1990 Sitz Berlin Eisenach Mitglieder 2006 ca. 7.000 ca. 380 2007 ca. 7.200 ca. 550 2008 ca. 7.000 ca. 480 Publikation "Deutsche Stimme" "Thüringen Stimme (DS) - Informationsblatt des NPD-Landesverbands Thüringen" Internet eigener eigener Internetauftritt Internetauftritt 3.1.1 Der Bundesverband der NPD 3.1.1.1 Entwicklung der Partei Die aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" hervorgegangene NPD wurde 1964 gegründet, um das rechtsextremistische Lager zu sammeln. Bis Ende der sechziger Jahre zählte die Partei, die in mehreren Landtagen vertreten war, bundesweit mehr als 25.000 Mitglieder. Bei der Bundestagswahl im Jahre 1969 verfehlte sie mit 4,3 % der Stimmen den Einzug in das Parlament nur knapp. Diese Niederlage leitete den Niedergang der Partei ein, der bis in die neunziger Jahre hinein andauerte. Im Jahr 1995 erreichte er seinen Tiefstand, als der Partei nur noch 2.800 Mitglieder angehörten. Mit der Wahl Udo VOIGTs 1996 zum Bundesvorsitzenden vollzog die durch Wahlniederlagen geschwächte Partei den Wandel von einer "Altherrenpartei" zu einer Partei, die sich als Spitze einer nationalistischen Protestbewegung versteht. VOIGT entwickelte nicht nur das "Drei-Säulen-Konzept", das 2004 in ein "Vier-Säulen-Konzept"3 ausgeweitet wurde. Er leitete auch in Bezug auf die Nachwuchsrekrutierung einen Paradigmenwechsel ein und vertiefte die Verbindungen zum neonazistischen und subkulturellen Spektrum. Ende der neunziger Jahre gelang es der NPD, die Anzahl ihrer Mitglieder erheblich zu steigern und deren Altersdurchschnitt wesentlich zu senken. Im Jahr 2001 stellten Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat vor dem Bundesverfassungsgericht Anträge, um die Verfassungswidrigkeit der NPD feststellen zu lassen und infolgedessen ein Verbot der Partei zu erreichen. Das Verbotsverfahren wurde 2003 eingestellt, da eine Sperrminorität des Zweiten Senats des Gerichts die Beobachtung der NPD auf Bundesund Landesvorstandsebene durch V-Leute unmittelbar vor und während des Verfahrens als ein "nicht behebbares Verfahrenshindernis" bewertet hatte. Da die Rechtsextremismus Udo Voigt 3 Siehe Kapitel 3.1.1.3. 23 24 NPD während des Verbotsverfahrens aus taktischen Gründen auf Distanz zum neonazistischen Spektrum ging und öffentlichkeitswirksam weniger in Erscheinung trat, wandten sich zahlreiche aktionsorientierte Rechtsextremisten von ihr ab. Die Mitgliederzahl Rechtsextremismus ging infolge dessen auf 5.000 zurück. Im September 2004 wurde durch die Absprache zwischen der NPD und großen Teilen der Neonaziszene, künftig offen zusammenzuwirken, eine neue Entwicklung eingeleitet. Daraus resultierte das von der NPD propagierte Konzept, die rechtsextremistischen Parteien und "Freien Kräfte" in einer "Volksfront von Rechts" zusammenzuschließen, um als "Gesamtbewegung des nationalen Widerstands" gegen das politische System der Bundesrepublik vorzugehen. Diese Strategie fand in der extremen Rechten zunehmend Resonanz und bewirkte eine Aufwärtsentwicklung der NPD, die sowohl bundesweit als auch in Thüringen zu einem Anstieg der Mitgliederzahl führte. Der NPD traten vor allem viele Neonazis bei, woraufhin sich die Anzahl ihrer Mitglieder bis Ende 2005 bundesweit auf 6.000 erhöhte. Im Januar 2005 schlossen die NPD und die DVU den "Deutschland-Pakt", in dem die Zusammenarbeit beider Parteien für die kommenden Wahlen auf Europa-, Bundesund Landesebene festgelegt wurde. Die von der NPD betriebenen Bemühungen, sich als Gravitationszentrum und stärkste Kraft des rechtsextremistischen Lagers zu etablieren, erreichten 2006 einen Höhepunkt, als sie bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern 7,3 % der Stimmen gewann und - nach 2004 in Sachsen - mit sechs Abgeordneten in ein zweites Landesparlament einzog. Seitdem trat die NPD mit gestärktem Selbstbewusstsein auf. Angesichts der ernüchternden Ergebnisse bei den jüngsten Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Bayern ist diese Euphorie abgeklungen. Auf dem 32. Ordentlichen Bundesparteitag am 24. und 25. Mai in Bamberg ist der Parteivorstand neu gewählt worden. Der bisherige Parteivorsitzende Udo VOIGT wurde mit 90 % der Stimmen in seinem Amt bestätigt. Die Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden entschieden Holger APFEL, Sascha ROßMÜLLER und der als Rechtsanwalt tätige Neonazi Jürgen RIEGER für sich. Dem Kreis der Beisitzer gehören die in Thüringen aktiven Rechtsextremisten Frank SCHWERDT und Thorsten HEISE an. Ein für den 4. und 5. Oktober in Altenburg geplanter Bundesparteitag kam wegen fehlender Räumlichkeiten nicht zustande. Bemühungen, Teile der Stadthalle in Altenburg anzumieten, scheiterten ebenso wie der Versuch, die Nutzung vor Gericht durchzusetzen. Die finanzielle Lage der NPD ist aufgrund kostenintensiver Wahlkämpfe und Rückzahlungsverpflichtungen in Höhe von 870.000 Euro, die der Partei im Rahmen der staatlichen Teilfinanzierung auferlegt worden waren, äußerst angespannt. Geplante Einnahmen durch Wahlkampfkostenerstattung entfielen, da bei der Landtagswahl in Hessen der dafür erforderliche Stimmenanteil von wenigstens einem Prozent verfehlt wurde. Zusätzlich wird die Partei durch die Finanzaffäre des ehemaligen Bundesschatzmeisters Erwin KEMNA belastet. Dieser war wegen Veruntreuung von Parteigeldern in Höhe von insgesamt 741.000 Euro am 12. September zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Seit der Urteilsverkündung steht der Parteivorsitzende Udo VOIGT zunehmend unter innerparteilichem Druck, lehnt einen Rücktritt jedoch bislang ab. Dennoch hat der Parteivorstand auf seiner Tagung am 15./16. November beschlossen, spätestens bis April 2009 einen Sonderparteitag zur Neuwahl des Parteivorstands durchzuführen. In Folge der "Kemna-Affäre" befasse sich die Partei nun zum wiederholten Male mit sich selbst, statt "endlich die politischen Chancen in dieser Zeit zu erkennen und anzugreifen" - so VOIGT in einer Erklärung vom 1. Rechtsextremismus Dezember. Er werde auf dem Parteitag 2009 für den Parteivorsitz kandidieren, hieß es am Folgetag auf der Website der NPD. Als ein potentieller Gegenkandidat hatte sich Ende Dezember der in rechtsextremistischen Kreisen als gemäßigt geltende Andreas MOLAU, stellvertretender Vorsitzender der NPD Niedersachsen, ins Gespräch gebracht. 3.1.1.2 Ideologie der Partei Die NPD verficht eine verfassungsfeindliche Ideologie. Von Rassenhass und Antisemitismus geleitet verfolgt sie das Ziel, die von ihr als "System" bezeichnete freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Die NPD propagiert einen völkischen Kollektivismus und agiert fremdenfeindlich. Sie spricht von einer 25 26 "ethnisch homogenen Volksgemeinschaft", die durch "gemeinsame Abstammung, Geschichte, Sprache und Kultur" entstehe. Die Würde des Menschen hängt ihrem Parteiprogramm zufolge von einer biologisch-genetischen Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" Rechtsextremismus ab. Die pauschale Überbewertung der aufgrund ethnischer Zugehörigkeit definierten "Volksgemeinschaft" beschneidet die vom Grundgesetz garantierte Freiheit, sich persönlich zu entfalten. Die Rechte und Interessen des Einzelnen werden eingeschränkt. Veröffentlichungen des hiesigen Landesverbands aus der zweiten Jahreshälfte sind Beleg für die völkische und fremdenfeindliche Ausrichtung der Partei. Seinerzeit im Freistaat aufgekommene parlamentarische Forderungen, Nicht-EU-Bürgern ein Wahlrecht bei Kommunalwahlen einzuräumen, wurden zum Anlass genommen, eine akute Gefahr der Fremdbestimmung heraufzubeschwören. Eine "greise Basis" der etablierten Parteien und ein "nicht geringer Teil betagter Wählerschaft" seien - so die Verfasser - Auslöser derartiger Überlegungen. Vor diesem Hintergrund läge es im ureigensten Interesse, "Frischfleisch - wenn auch Importware - in die Wählerreihen zu pumpen". In einem mit "NPD lehnt Integrationspolitik ab" überschriebenen Internetbeitrag des Landesverbands verwahren sich die Verfasser dagegen, deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Deutsche anzuerkennen. Nach Auffassung der NPD seien jene 454 Eingebürgerten trotz ihrer auf "dem Papier niedergeschriebenen Angehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland" weiterhin Ausländer. Staatsbürgerliche Rechte stünden ihnen folglich nicht zu. In dem NPD-Papier "Argumente für Kandidaten & Funktionsträger" vom Juni 2006 heißt es u. a., "ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind". Und weiter: "Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, gleich, wie lange sie in Deutschland leben, und mutieren durch die Verleihung bedruckten Papiers nicht zu germanischstämmigen Deutschen". Die Partei stellt "Grundziele des Volkes" auf, an denen sich die Volksherrschaft - anstelle der verfassungsmäßigen Ordnung - orientieren soll. In der von der NPD propagierten Gesellschafts- ordnung sollen autoritäre Eliten vorherrschen. Der Anspruch auf Führerschaft steht im Widerspruch zum pluralistischen Mehrparteiensystem der Bundesrepublik. 3.1.1.3 Strategie der Partei Das "Vier-Säulen-Konzept", das den "Kampf um die Straße, die Köpfe, die Parlamente und den organisierten Willen" umfasst, bildete auch im Berichtszeitraum die Basis für die politische Agitation der NPD. "Kampf um die Straße" Die NPD setzte ihren "Kampf um die Straße" auch im Berichtszeitraum fort. Sie organisierte zentrale Großveranstaltungen ebenso wie regionale Demonstrationen, an denen sich auch Neonazis und subkulturelle Rechtsextremisten beteiligten. Oftmals wurden Termine und Orte für Aktionen so gewählt, dass mit einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit und Gegenaktionen zu rechnen war. Zielgerichtet wurden soziale und sog. Alltagsthemen aufgegriffen, um sich als Teil einer Protestbewegung zu geben, innerhalb derer einzig die NPD für die Interessen des "kleinen Mannes" eintrete. Vielmehr noch als nur die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung wahrzunehmen, meint die NPD, mit dem "Kampf um die StraRechtsextremismus ße" Stärke suggerieren, potentielle politische Gegner einschüchtern und sie aus dem öffentlichen Raum verdrängen zu können. Exemplarisch dafür steht die größte NPD-Kundgebung des Berichtsjahrs am 1. Mai in Nürnberg unter dem Titel "Sozial geht nur national". Dort geißelte der Parteivorsitzende VOIGT in seiner Rede "die Politik der Globalisierung und der multikulturellen Entfremdung", die von allen im Bundestag vertretenen Parteien betrieben werde, als die Hauptursache der sozialen Missstände in der Bundesrepublik Deutschland. Sozialer Friede und das Miteinander einer Solidargemeinschaft seien nur unter den Bedingungen nationaler Politik möglich. Gegen die Veranstaltung mit etwa 1.500 Teilnehmern formierten sich ca. 3.000 Gegendemonstranten. 27 28 "Kampf um die Köpfe" Der "Kampf um die Köpfe" zielt darauf ab, die von der NPD vertretenen Ideen mittels "Einbindung von Persönlichkeiten" in neue, Rechtsextremismus bisher nicht erreichte Zielgruppen und über die Bildung "intellektueller Netzwerke" in breiteren Kreisen der Gesellschaft zu verankern. Bislang beschränkt sich der "Kampf um die Köpfe" auf den Versuch, die eigenen Mitglieder politisch zu schulen, die Programmatik der Partei mit Flugblättern zu verbreiten und die Monatszeitung "Deutsche Stimme" zu vertreiben. Mit der "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft" verfügt die NPD über ein eigenes Publikationsorgan des Parteivorstands, dem ein Versandhandel für rechtsextremes Propagandaund Werbematerial angeschlossen ist. Seit August 2006 gibt die NPD unter dem Titel "Jetzt reicht's" eine Informationszeitung heraus, in der vermeintliche politische Missstände und aktuelle Themen aufgegriffen werden. Im Jahr 2007 nahm das "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V." seine Tätigkeit auf. Der Verein soll vorrangig über Seminare und Publikationen "politische Bildungsarbeit" im Sinne der NPD betreiben und die "Denkansätze der 'Dresdner Schule'"4 im öffentlichen Diskurs popularisieren. Mit dem "Bildungswerk" verfolgt die NPD darüber hinaus die Absicht, sich zum Kristallisationspunkt jener Bestrebungen zu entwickeln, die auf die Intellektualisierung des rechtsextremistischen Lagers ausgerichtet sind. Gleichermaßen versucht die NPD, die Parteiarbeit zu intensivieren, indem sie der Partei nicht zugehörige Intellektuelle einzubinden sucht. Bislang zeigten diese Bemühungen jedoch kaum Erfolg. "Kampf um die Parlamente" Mit dem "Kampf um die Parlamente" verfolgt die NPD die wohl spannungsreichste Strategie im rechtsextremistischen Lager, die ihr als Gravitationszentrum der "Volksfront von Rechts" intern ein hohes Maß an Rechtfertigungsdruck auferlegt. Sie selbst versteht sich 4 Von Jürgen GANSEL, Mitglied der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, entworfenes Konzept einer rechtsextremistischen "Denkund Politikschule". eigentlich als parlamentsfeindlich und kommuniziert dies auch so an die eigenen Anhänger. Nicht selten sehen sich die Parteiführung und verschiedene NPD-Abgeordnete mit dem Vorwurf - insbesondere des neonazistischen Spektrums - konfrontiert, das Streben nach Parlamentssitzen weniger als Mittel des Kampfes gegen das herrschende politische System zu verstehen, sondern als persönliches Versorgungswerk zu missbrauchen. Mehrfach wurden Mandatsträger und Funktionäre der Partei als "Parteibonzen" kritisiert. Dabei ist der Kampf um die Parlamente ein wesentlicher Teil der legalistischen Strategie der NPD. Sie will über den Einzug in die Kerninstitutionen der Demokratie diese selbst abschaffen. Das von der NPD für 2008 gesetzte Ziel, in weitere Landesparlamente einzuziehen, wurde deutlich verfehlt. Blieb sie mit 1,5 % der Stimmen bei der Landtagswahl in Niedersachsen bzw. 1,2 % der Stimmen in Bayern weit unter der Fünf-Prozent-Hürde, erreichte sie in Hessen nicht einmal mehr den für die staatliche Teilfinanzierung notwendigen Stimmenanteil von einem Prozent. Es bleibt deshalb zweifelhaft, ob es der NPD künftig gelingen wird, an Wahlerfolge wie in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern anzuknüpfen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Partei seitdem aus den Reihen der "Freien Kräfte" vermehrt eine Anpassung an "das System" vorgeworfen wird. Zudem häufen sich Stimmen aus eben jenen Kreisen, die NPD bei kommenden Wahlen deshalb nicht bloß unterstützen, sondern vielmehr auch KandidaRechtsextremismus ten aus den eigenen Reihen stellen zu wollen. "Kampf um den organisierten Willen" Die NPD verfolgt den "Kampf um den organisierten Willen" in der Absicht, durch Bündelung "möglichst aller nationalen Kräfte" mehr politisches Gewicht zu erlangen. Diese "Volksfront von Rechts" strebt die NPD seit 2004 an. Ziel soll eine engere Kooperation mit Neonazis, der DVU sowie subkulturellen Rechtsextremisten sein, um sowohl die personellen als auch strukturellen Ressourcen des rechtsextremistischen Spektrums zu konzentrieren. Seitdem nähern sich rechtsextremistische Parteien und Organisationen der NPD in unterschiedlicher Form an. Mit der DVU wurde im Januar 2005 der "Deutschlandpakt" geschlossen. Dieser sieht vor, bei 29 30 Bundestags-, Europaund Landtagswahlen nicht gegeneinander anzutreten, wechselseitig jedoch die Listen für die jeweils andere Partei zu öffnen. Rechtsextremismus Ursprünglich beinhaltete diese Absprache u. a. eine Kandidatur der DVU bei der Landtagswahl 2009 in Thüringen. Nachdem der NPD-Landesverband Thüringen bereits im Oktober bekannt gegeben hatte, die DVU habe ihre grundsätzliche Bereitschaft bekundet, von der Kandidatur abzusehen, stimmte der Bundesparteitag der DVU Anfang Januar 2009 einer entsprechenden Modifizierung des "Deutschlandpakts" zu. Die NPD hat sich in der "Volksfront von Rechts" als führende Kraft durchgesetzt, indem sie sowohl die neonazistische Szene und die subkulturellen rechtsextremistischen Spektren als auch die DVU an sich zu ziehen und für ihre politischen Ziele einzusetzen vermochte. Gegenwärtig werden die Kräfte, die sich zu diesem Bündnis bekennen, noch von den Wahlerfolgen und der Aussicht, auch in den nächsten Jahren gestärkt aus Wahlen hervorzugehen, zusammengehalten. Offen bleibt, ob es auch künftig gelingt, gruppenspezifische Gegensätze innerhalb der "Volksfront" auszugleichen und die NPD sich weiterhin als Führungskraft wird behaupten können. 3.1.2 Der Thüringer Landesverband der NPD 3.1.2.1 Entwicklung des Landesverbands Der Thüringer Landesverband der NPD wurde 1990 gegründet. In den folgenden Jahren war seine organisatorische Gliederung in Regional-, Kreisund Ortsverbände vielen Änderungen unterworfen. In den Jahren 1998/99 stieg die Anzahl der Mitglieder erheblich an, nachdem insbesondere jüngere Neonazis der Partei beigetreten waren. Ein Teil von ihnen übernahm bald Funktionen in den Vorständen und richtete den Landesverband zunehmend aktionistisch aus. Im Zuge des gegen die NPD im Jahr 2001 angestrengten Verbotsverfahrens schränkte der inzwischen unter der Leitung des ehemaligen Neonazis Frank SCHWERDT stehende Landesverband gemeinsame Aktivitäten mit Neonazis ein. Daraufhin verlor die Partei bedeutende Anteile ihres neonazistischen Potenzials. Im Landes- vorstand setzten sich zunächst jene Kräfte durch, die politisch eher zurückhaltend agieren wollten. Nachdem jedoch das Verbotsverfahren 2003 eingestellt worden war, öffnete sich der Landesverband erneut für Neonazis und subkulturell geprägte Rechtsextremisten und weitete seine Aktivitäten aus. Er vermochte es, sich zu konsolidieren und ab 2004 einen Aufwärtstrend einzuleiten. Diese Entwicklung schlug sich bei den Landtagswahlen desselben Jahres insoweit nieder, als die Partei ihren Wählerstimmenanteil von 0,2 % im Jahr 1999 auf 1,6 % steigerte. Bei der Bundestagswahl 2005 erreichte die NPD in Thüringen mit 3,7 % der Zweitstimmen ihr deutschlandweit zweitbestes Ergebnis. Im Jahr 2007 verzeichnete der NPD-Landesverband in Thüringen mit 550 Mitgliedern den Höchststand seit seinem Bestehen. Dieser Zuwachs war zum einen wesentlich auf eine zweimonatige Mitgliederkampagne zurückzuführen, in deren Verlauf mehr als 40 Kundgebungen und ca. 60 Informationsstände in nahezu allen Landkreisen und kreisfreien Städten durchgeführt wurden. Zum anderen vermochte es der Landesverband damals, eine Art Aufbruchstimmung herbeizuführen. Diese Aufwärtsentwicklung wurde im Berichtszeitraum jäh gestoppt. Innerparteiliche Grabenund Positionskämpfe um die Parteiführung sowie einzelne Parteiausschlussverfahren schwächten die Partei erheblich. Austritte von Rechtsextremismus mindestens 70 Mitgliedern und eine erheblich beeinträchtigte Aktionsund Mobilisierungsfähigkeit waren die wesentlichen Folgen. Auf Bundesebene besitzen nur wenige Thüringer NPD-Funktionäre Einfluss bzw. Bedeutung. Dazu gehören der Landesvorsitzende Frank SCHWERDT und der bundesweit bekannte Neonazi Thorsten HEISE. Beide sind im Frank Schwerdt 31 32 Mai erneut in den NPD-Bundesvorstand gewählt worden. Patrick WIESCHKE, stellvertretender Landesvorsitzender, Landesgeschäftsführer und Pressesprecher der NPD Thüringen sowie stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbands Wartburgkreis und stellvertreRechtsextremismus tender Bundesorganisationsleiter, unterhält ebenfalls überregionale Kontakte innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Er leitete den Wahlkampf der hessischen NPD zur dortigen Landtagswahl am 18. Januar 2009. 3.1.2.2 Kreisverbände Im Berichtszeitraum konnte die Partei in Thüringen ihre Strukturen erstmals seit dem Jahr 2003 nicht erweitern. Wie bereits 2007 setzt sich der Landesverband zumindest formal aus den 16 Kreisverbänden Altenburger Land, Eichsfeld, Erfurt-Sömmerda, Gera, Gotha, Greiz, Hildburghausen-Suhl, Ilmkreis, Jena, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Saale-Orla, Saalfeld-Rudolstadt, Unstrut-Hainich, Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land zusammen. Die in mehreren Landesteilen anvisierte Gründung neuer Kreisverbände, u. a. in der Region Sömmerda und im Raum Schmalkalden-Meiningen, konnte nicht realisiert werden. Hierfür fehlt es der Partei nicht nur an geeignetem Führungspersonal, sondern auch an der für funktionsfähige Untergliederungen notwendigen Mitgliederzahl. Von den in Thüringen durchschnittlich ca. 30 Mitglieder zählenden Kreisverbänden gingen im Berichtsjahr in unterschiedlichem Ausmaß Aktivitäten aus. Einige Untergliederungen, wie die Kreisverbände Erfurt-Sömmerda, Gotha, Wartburgkreis, Weimar-Weimarer Land, Greiz, Gera und Jena, blieben bestrebt, ihre Parteiarbeit kontinuierlich öffentlichkeitsund medienwirksam zu gestalten. Die beiden Letztgenannten traten u. a. auch durch die Veranstaltungsreihen "Rock für Deutschland" und "Fest der Völker" auf. Von den Kreisverbänden Hildburghausen-Suhl, Ilmkreis und SaalfeldRudolstadt ging hingegen kaum Außenwirkung aus. Welche Aktivitäten ein Kreisverband entwickelt und wie hoch deren Anziehungskraft auf Gesinnungsgenossen ist, hängt wesentlich vom Engagement der Funktionäre und einzelner Aktivisten ab. Die Mehrzahl der NPD-Mitglieder ist weder willens noch in der Lage, eine kontinuierliche Parteiarbeit zu leisten, öffentlichwirksame Aktionen zu betreiben oder neue NPD-Mitglieder zu werben. Sie nimmt lediglich mehr oder minder regelmäßig an den Veranstaltungen der NPD und der Neonaziszene teil. Als Eingeständnis dieses Defizits kann eine Äußerung des Landesverbands in der Novemberausgabe der "Thüringen Stimme" verstanden werden, wonach dieser "fast unmöglich nur mit den Mitgliedern des Verbandes einen Wahlkampf führen könne" und folglich einige Gliederungen auf externe Wahlhelfer angewiesen seien. 3.1.2.3 Personelle Zusammensetzung Nachdem der Landesverband im Vorjahr den stärksten personellen Zuwachs seit seiner Gründung im Jahr 1990 erlebte, sank die Mitgliederzahl im Berichtszeitraum deutlich auf ca. 480 (2007: 550) ab. Der Mitgliederverlust ist maßgeblich auf die im ersten Halbjahr aufgeflammten innerparteilichen Auseinandersetzungen und Positionskämpfe um die künftige Führung der Partei in Thüringen zurückzuführen. Nach Eigenangaben haben die Querelen die Partei für einige Wochen gelähmt. Auch die im September mit wenigen Aktionen durchgeführte Mitgliederkampagne konnte den Negativtrend offenbar nicht aufhalten. Rechtsextremismus 33 34 Rechtsextremismus Patrick Wieschke Die NPD in Thüringen steht seit 2001 unter der Leitung des Landesvorsitzenden Frank SCHWERDT. Als sein Stellvertreter amtiert seit Mitte des Jahres Patrick WIESCHKE, der im Landesverband auch die Aufgaben des Pressesprechers und Geschäftsführers wahrnimmt und zudem als stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbands Wartburgkreis fungiert. Die Kreisverbandsvorsitzenden Sebastian REICHE (Gotha), Peter NÜRNBERGER (Altenburg), Gordon RICHTER (Gera) und Hendrik HELLER (Wartburgkreis) sowie der stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbands WeimarWeimarer Land, Martin RÜHLEMANN, und das Vorstandsmitglied im Kreisverband Wartburgkreis, Tobias KAMMLER, gehören dem Landesvorstand als Beisitzer an. Der Kreisverband Wartburgkreis stellt damit ein Drittel der Mitglieder des Landesvorstands. Zwei Drittel der Mitglieder des Landesvorstands und etwa ein Drittel der Kreisverbandsvorsitzenden sind jünger als 30 Jahre. Der Frauenanteil in der Thüringer NPD ist nach wie vor gering. Dem NPD-Landesvorstand gehörte im Berichtszeitraum keine Frau an. Lediglich einem der 16 Kreisverbände stand eine Frau vor. Mehr als die Hälfte der Mitglieder des Landesvorstands sowie über 40 % der leitenden Vorstandsmitglieder in den Kreisverbänden sind vorbestraft. 3.1.2.4 Das Verhältnis der Thüringer NPD zu anderen Rechtsextremisten Verhältnis zur Neonaziszene Das Verhältnis zwischen NPD-Landesverband und Neonazis ist in Thüringen seit Jahren vor allem durch Integration und Kooperation gekennzeichnet. Nahezu alle führenden Thüringer Neonazis sind zwischenzeitlich der NPD beigetreten, ein Großteil derer nimmt innerhalb der NPD Funktionen wahr. Fast alle Mitglieder des Landesvorstands und die meisten Kreisverbandsvorsitzenden entstammen ebenfalls dem neonazistischen Spektrum. Einige NPD-Funktionäre fungieren zugleich als Führungspersonen lokaler neonazistischer Gruppierungen. Thüringen zählt zu den Bundesländern, in denen die Einbeziehung von Neonazis in die NPD am weitesten fortgeschritten ist. Die Kooperation beider Spektren äußert sich insbesondere in der gemeinsamen Organisation von Veranstaltungen und Kampagnen. Teilnehmer, Redner und Ordner treten oftmals auch auf Veranstaltungen des jeweils anderen Spektrums auf. Insgesamt ist es dem Thüringer Landesverband der NPD im Laufe eines längeren Prozesses gelungen, das neonazistische Spektrum weitgehend zu integrieren, wodurch dieses seine frühere Eigenständigkeit innerhalb des rechtsextremistischen Lagers eingebüßt hat. Wenngleich sich einzelne Neonazis dennoch neben der NPD zu behaupten suchen, unterstützen sie die Partei in der Regel auf Rechtsextremismus Kreisund Landesverbandsebene. Trotzdem stößt die NPD bzw. ihr Versuch eines taktisch motivierten moderaten Auftretens in der Öffentlichkeit bei Teilen der Neonaziszene auch auf erhebliche Kritik. Dies wurde besonders anlässlich der am 5. April in Weimar durchgeführten NPD-Demonstration deutlich.5 Verhältnis zum subkulturellen Spektrum Der Landesverband der NPD setzte im Berichtszeitraum erneut vor allem rechtsextremistische Musik ein, um das subkulturelle 5 Siehe hierzu Kapitel 4.4.2. 35 36 rechtsextremistische Spektrum zu umwerben.6 Von dessen Anhängern gehen meist keine eigenständigen politischen Aktionen aus. Sie besuchen jedoch gern auch Musikveranstaltungen, die von der NPD ausgerichtet werden. Auf diese Weise erhöhen sie das MobiRechtsextremismus lisierungspotenzial der Partei. Da subkulturell geprägte Rechtsextremisten - sofern überhaupt - lediglich regional organisiert sind, basieren die Verbindungen zur NPD zumeist auf persönlichen Kontakten und sind lokal begrenzt. Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen Der Landesverband in Thüringen orientiert sich weiterhin an dem Konzept der "Volksfront von Rechts". Kontakte zur DVU bestehen vor allem über deren Funktionäre Walter BECK und Uwe BÄZDÖLLE. Beide traten bereits im Jahr 2005 als Direktkandidaten auf der Liste der NPD zur Bundestagswahl an. Vor dem Hintergrund der Modifizierung des "Deutschland-Pakts" wird die NPD ihre Listen vermutlich auch bei ihren 2009 anstehenden Kandidaturen für Mitglieder der DVU öffnen. Die NPD werde jetzt alle Vorbereitungen für einen erfolgreichen Wahlkampf treffen und baue hierbei auf die Unterstützung der Landes-DVU, hieß es im Oktober auf der Website des Landesverbands Thüringen. Insbesondere Uwe BÄZ-DÖLLE werden im Gegenzug gute Chancen auf einen vorderen Listenplatz bei der Landtagswahl eingeräumt. 3.1.2.5 Internet/Publikationen Im Berichtszeitraum ist es dem Landesverband nicht gelungen, seine Öffentlichkeitsarbeit weiter auszubauen. So verfügen nach wie vor nicht alle Kreisverbände über eine eigene Internetpräsentation. Von der "Thüringen Stimme", dem Informationsblatt des Landesverbands, erschienen im Berichtszeitraum in unregelmäßigen Abständen lediglich vier Ausgaben. Allerdings wirken weiterhin zahlreiche NPD-Mitglieder bei der Herausgabe von Regionalzeitungen mit rechtsextremistischem Hintergrund mit.7 6 Siehe Kapitel 3.1.2.10. 7 Siehe Kapitel 4.4.8. Internet Der Landesverband und die Kreisverbände Eichsfeld, Erfurt-Sömmerda, Gera, Gotha, Greiz, Jena, Kyffhäuserkreis, Nordhausen, Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land verfügen über Websites, die allerdings in unterschiedlichem Maße gepflegt werden. Zudem waren im Berichtszeitraum die Kreisverbände Hildburghausen und Saalfeld-Rudolstadt zeitweise im Internet präsent. Vorzugsweise wurde über regionale und überregionale Veranstaltungen und Aktionen berichtet, aber auch tagespolitische Themen wurden aufgegriffen. Im Berichtszeitraum stellte der Landesverband anlassbezogene Sonderseiten in das Internet ein und betrieb mit dem "Gesprächskreis der Thüringer NPD" ein eigenes Forum. "Thüringen Stimme" Seit August 2005 gibt der Landesverband das Informationsblatt "Thüringen Stimme" heraus. Die Publikation umfasst parteiinterne Informationen und Reaktionen auf die Tagespresse, verweist auf Veranstaltungen des rechtsextremistischen Spektrums, greift tagespolitische Themen auf und veröffentlicht Kleinanzeigen "von und für Kameraden". Teilweise stimmen die Artikel mit Beiträgen überein, die bereits auf den Homepages des Landesverbands oder der Kreisverbände veröffentlicht wurden. Die Artikel thematisieren insRechtsextremismus besondere die Entwicklung des Landesverbands. Die Leser werden in der Publikation regelmäßig dazu aufgefordert, für die Ziele des Landesvorstands einzutreten und ihn mit Spenden zu unterstützen. So richtete sich die Februarausgabe mit einem Angebot gezielt an unternehmerisch tätige Mitglieder und Freunde der Partei. Gegen Zahlung einer Spende wurde angeboten, Unternehmensanzeigen zu schalten. Auch der zusätzliche Hinweises auf die steuerliche Abzugsfähigkeit dieser "Spende in freiwilliger Höhe" konnte das Interesse der Adressaten zumindest im Berichtszeitraum nicht wecken. Die presserechtliche Verantwortung wechselte mehrmals. Anfang des Jahres übernahm der damalige stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Ralf WOHLLEBEN für den bis dahin zuständigen Patrick WIESCHKE die Herausgabe der Ausgabe 17 - Februar 2008. 37 38 Nachdem WOHLLEBEN beim Landesparteitag am 31. Mai nicht mehr für den Landesvorstand kandidierte, ging die Zuständigkeit erneut auf WIESCHKE über, in dessen Verantwortung Ausgabe 17 - Juni 20088 lag. Für die Ausgaben August und November zeichneRechtsextremismus te Tobias KAMMLER presserechtlich verantwortlich. Kampagnenflugblatt "Für unser Thüringen! Mitmachen! Anpacken!" Nach Eigenangaben sollten anlässlich der im September durchgeführten Mitgliederkampagne 300.000 Exemplare des Kampagnenflugblatts "Für unser Thüringen! Mitmachen! Anpacken!" verteilt werden. Neben aktuellen Problemstellungen, wie z. B. Abwanderung, Finanznot in den Kommunen und deren Folgen, wurden darin auch die Themenfelder "Überfremdung" und "Ausländerpolitik" bemüht, um schließlich dem sog. Thüringer Blockparteienkartell Versagen zu unterstellen. Aufgrund der schwachen Beteiligung - lediglich jeder zweite Kreisverband hatte mitgewirkt - dürften längst nicht alle Exemplare in Umlauf gebracht worden sein. 3.1.2.6 Landesparteitage und Positionskämpfe Die NPD benötigte im Berichtszeitraum zwei Parteitage, um die turnusmäßig vorgesehene Neuwahl des Landesvorstands durchzuführen. Beide Termine standen ganz im Zeichen von Positionskämpfen um die künftige Führung der Partei in Thüringen. Am 12. April fand in einer Gaststätte in Raitzhain (nahe Ronneburg) ein Landesparteitag mit etwa 120 Teilnehmern, die größtenteils über einen Schleusungspunkt zu der bis dahin unbekannten Tagungsstätte gelangten, statt. Im Verlauf der Veranstaltung wandte sich der Gaststätteninhaber an die vor Ort befindliche Polizei und gab an, über den Charakter der Zusammenkunft nicht informiert worden und daher nicht bereit zu sein, die Räumlichkeit weiter zur Verfügung zu stellen. Daraufhin wurde die Veranstaltung vorzeitig beendet. Im Anschluss führten etwa 50 Personen eine Spontandemonstration unter dem Motto "Gegen Polizeiwillkür und für die Zulassung einer demokratischen Partei" in Ronneburg durch. 8 Nummerierungsfehler im Original. Einzig die Wahl des Landesvorsitzenden war bis dahin vollzogen. Dabei hatte sich der bisherige Landesvorsitzende SCHWERDT mit 60 % der Delegiertenstimmen gegen den Mitbewerber Thorsten HEISE durchsetzen können, verbuchte aber ein weit schlechteres Ergebnis als noch 2006. Seinerzeit war er nahezu einstimmig in das Amt gewählt worden. Die noch ausstehenden Vorstandswahlen wurden auf einem Folgeparteitag am 31. Mai in Elgersburg (Ilmkreis) mit ca. 100 Delegierten und Gästen fortgesetzt. Die Wahl zum stellvertretenden Landesvorsitzenden entschied Patrick WIESCHKE für sich. Der ebenfalls kandidierende HEISE unterlag erneut. Damit waren seine Bemühungen, im Zuge der Neubesetzung der Vorstandsposten die Ausrichtung der Partei in Thüringen entscheidend mitzubestimmen, vorerst gescheitert. Die nur geringfügigen Veränderungen im Führungsgremium deuten vorerst nicht auf einen einschneidenden Kurswechsel hin. Die Positionskämpfe um die künftige Führung der Partei in Thüringen hatten bereits Wochen vor den Neuwahlen begonnen. Insbesondere agitierten Thorsten HEISE, damals Mitglied im Landesvorstand, und Kai-Uwe TRINKAUS, seinerzeit Vorsitzender des Kreisverbands Erfurt-Sömmerda, gegen die amtierende Parteispitze. Zugleich bemühten sich beide um Unterstützung für ihre eigenen Kandidaturen. Die innerhalb der NPD-Anhängerschaft sowie insbesondere im Kreise der "Freien Kräfte" hierzu teils ofRechtsextremismus fen über das Internet geführten Diskussionen spitzten sich stetig zu. Auf der Website "Freies Netz Altenburg"9 wurde das Verhalten von HEISE und TRINKAUS als "Angriff der Karrieristen" gewertet. HEISE wurde vorgeworfen, als "Koordinator parteifreier Kräfte im Landesverband" bislang keine Aktivitäten entfaltet zu haben. Der Schulterschluss parteifreier Kräfte verlaufe ohne dessen Zutun recht konstruktiv. Zu TRINKAUS wurde ein mit "Wer ist Kai-Uwe TRINKAUS? Erfurter Kreisvorsitzender mit fragwürdiger Vergangenheit" überschriebener Beitrag, der auch Informationen zu seinem angeblichen Werdegang enthielt, gestreut. In der Juni-Ausgabe der "Thüringen Stimme" gestand die Partei ein, dass die Turbulenzen um die Vorstandswahlen den Landesverband 9 Verantwortlicher: Thomas GERLACH. 39 40 für einige Wochen gelähmt hatten. Gleichzeitig appellierten die Verfasser, im Hinblick auf die im Wahljahr 2009 zu bewältigenden Aufgaben wieder mit der Arbeit zu beginnen. Weitere Auseinandersetzungen könne man sich nicht mehr leisten. Rechtsextremismus 3.1.2.7 Landesvorstand schließt Parteimitglieder aus Auf seiner konstituierenden Sitzung am 21. Juni beschloss der NPDLandesvorstand einstimmig, dass alle Verbände der NPD und ihre Mitglieder bei den kommenden Kommunalwahlen ausschließlich unter der Flagge der Partei antreten. Einem gleichlautenden Beitrag in der Juni-Ausgabe der "Thüringen Stimme" zufolge würden Abweichungen von dieser Order als parteischädigendes Verhalten gewertet. Auslöser waren die vom NPD-Kreisverband Erfurt-Sömmerda ausgegangenen Bestrebungen, bei den Kommunalwahlen mit sog. Pro-Vereinen ggf. in Konkurrenz zur NPD anzutreten. Die Vereine "Pro Thüringen" und "Pro Erfurt" sind am 5. Juni gegründet und zur Eintragung ins Vereinsregister angemeldet worden. Laut Satzung streben sie jeweils ein überparteiliches und unabhängiges Engagement im Kommunalparlament der Stadt Erfurt an. In den Vereinen fungiert Konrad FÖRSTER als Vorsitzender, Kai-Uwe TRINKAUS als sein Stellvertreter. Zum Zeitpunkt der Gründung gehörten beide dem Vorstand des NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda an. "Pro Erfurt e.V." betreibt seit Ende Juni eine Website im Internet, deren Domain auf Kai-Uwe TRINKAUS angemeldet ist. Zugleich wurde die bisherige Website des Kreisverbands Erfurt-Sömmerda in "Nationale Plattform Deutscher Erfurter" (npde) umbenannt. Der Landesvorstand reagierte wenig später und leitete gegen TRINKAUS und FÖRSTER ein Parteiausschlussverfahren ein. Beide wurden zugleich ihrer Ämter als Vorsitzender bzw. Schatzmeister des Kreisverbands Erfurt-Sömmerda enthoben. TRINKAUS und FÖRSTER hätten nachweislich daran gearbeitet, ihre Funktionen und Möglichkeiten innerhalb der NPD dazu zu missbrauchen, eine Konkurrenzorganisation namens "Pro Erfurt" aufzubauen, hieß es in der Begründung des Landesvorstands vom 10. Juli. Spaltungstendenzen im Landesvorstand waren hiernach gestoppt, TRINKAUS innerhalb der rechtsextremistischen Szene weitgehend isoliert. Die Geschicke des Kreisverbands Erfurt-Sömmerda leitet seit August der Landesvorsitzende SCHWERDT. 3.1.2.8 Kommunalpolitisches Engagement der NPD stagniert In Vorbereitung auf das Wahljahr 2009 hatte der Landesverband seine Mitglieder und Kreisverbände bereits im Jahr 2006 zu verstärktem kommunalpolitischen Engagement angehalten. Es gelte u. a., kommunalpolitische Angelegenheiten aufzugreifen und ihnen gegenüber Stellung zu beziehen, in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen mitzuarbeiten, an Stadtratsund Kreistagssitzungen teilzunehmen, die Lokalpresse und die politischen Kontrahenten zu beobachten sowie in der Region regelmäßig Präsenz zu zeigen, hieß es in einem Beitrag der "Thüringen Stimme" vom September 2006. Wenn es der Partei gelänge, "kommunal Fuß zu fassen" und sich "als unübersehbare politische Kraft in Thüringen zu etablieren", sei 2009 der Einzug einer "nationalen Opposition" in den Erfurter Landtag realistisch, so die Verfasser. Seitdem versucht sich die Thüringer NPD an der Umsetzung der "Wortergreifungsstrategie" und der "Graswurzelstrategie". Die "Wortergreifungsstrategie" zielt darauf ab, Stadtund Gemeinderatssitzungen sowie weitere Veranstaltungen demokratischer Kräfte Rechtsextremismus aufzusuchen, um diese durch verbale Intervention und Provokation im eigenen Sinne zu instrumentalisieren. NPD-Vertreter sollen dabei versuchen, Veranstalter und Besucher zu verunsichern. Dem Publikum gegenüber soll der Eindruck erzeugt werden, man werde ausgegrenzt und von Staat und Medien verfolgt. Kommen die Rechtsextremisten nicht zu Wort oder verweist man sie des Saales, stellen sie dies als Unfähigkeit der Demokraten dar, eine demokratische Auseinandersetzung zu führen. Unter der "Graswurzelstrategie" versteht man Bestrebungen von Rechtsextremisten, mit alltagsnaher Themenwahl und einem seriös-zivilen Auftreten zum integralen Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu werden. Auch hier werden zur Untermauerung der gewählten Themen oft nur stark vereinfachende Argumente vorgetragen. 41 42 Im Ergebnis blieb es jedoch auch im Berichtsjahr vorwiegend bei Ankündigungen der NPD. Wortergreifungen erfolgten nur in Einzelfällen, wurden seitens der Veranstalter meist sofort unterbunden bzw. erschöpften sich in provokativen Äußerungen ohne erRechtsextremismus kennbaren Sachverstand. Einige dieser Wortergreifungen wurden nichtsdestotrotz im Nachgang auf eigenen Internetseiten als erfolgreiche Aktionen hochstilisiert. Auch das vom Landesvorstand geforderte Engagement in Vereinen und gemeinnützigen Organisationen wurde im Berichtszeitraum offenbar nicht weiter umgesetzt oder führte - wie im Falle von KaiUwe TRINKAUS - zu nachhaltigen parteiinternen Kollisionen bzw. späteren Parteiausschlüssen.10 3.1.2.9 Wahlvorbereitungen der Thüringer NPD Vorbereitung auf die Kommunalwahl 2009 Die "kommunale Verankerung" ist für die NPD in Thüringen eine wichtige Voraussetzung für Erfolge bei der Landtagsund Bundestagswahl 2009. "Der Einzug der NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern wäre kaum möglich, gäbe es dort nicht bereits kommunale Mandatsträger der Partei"11, so die Verfasser eines Beitrags in der Februar-Ausgabe der "Thüringen Stimme". Deshalb ist die Thüringer NPD bestrebt, nach den Kommunalwahlen 2009 in möglichst vielen Kommunalparlamenten in Fraktionsstärke vertreten zu sein. In der "Thüringen Stimme" vom Dezember 2007 verkündete die NPD, sich auf die Landkreisund Gemeindewahlen in den kreisfreien Städten konzentrieren zu wollen. Darüber hinausgehende Kandidaturen in Städten und Gemeinden solle es nur geben, sofern die Antrittsvoraussetzungen vorlägen. Inzwischen ist die Partei von dem Vorhaben eines flächendeckenden Wahlantritts auf Kreisebene abgerückt und gibt an, "in rund der Hälfte der Landkreise und fast allen kreisfreien Städten sowie zu weiteren Stadtund Gemeinderatswahlen" anzutreten.12 Damit trägt die NPD den sowohl finanziell als auch personell begrenzten Kapazitäten ihrer Kreisverbände Rechnung. 10 Siehe Kapitel 3.1.2.7. 11 Fehler im Original. 12 Internetmeldung des NPD-Landesverbands vom 12. Januar 2009. Um die Kandidaten und potentiellen Mandatsträger entsprechend vorzubereiten, führt die Partei seit März 2007 Schulungsveranstaltungen zu kommunalpolitischen Themen durch. Mit den Maßnahmen sollen die Kreisverbände zugleich in die Lage versetzt werden, selbstständig einen Kommunalwahlkampf führen, Kommunalmandate erringen und nach dem Einzug in die Kommunalparlamente die neuen Aufgaben meistern zu können. Für das Jahr 2008 wurden die Schwerpunkte "Politikschulung", "Argumenteschulung", "Rhetorikschulung" und "Kommunalpolitikschulung" gesetzt. Der letztgenannte Block sah u. a. Themen wie "Strukturen der Kommunen und Landkreise", "Kommunalrecht", "Möglichkeiten der NPD im Kommunalparlament", "Handlungsstrategien zu einer bürgernahen Politik" sowie "Umgang mit politischen Rechtsextremismus Gegnern im Parlament" vor. Der Landesschulungsleiter der Partei, Hendrik HELLER, teilte im Dezember mit, dass sich sowohl die Kandidaten für die Kommunal-, Landtagsund Bundestagswahl als auch alle Wahlhelfer die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten angeeignet hätten, um die Aufgaben im neuen Jahr bestmöglich lösen zu können. Nach Eigenangaben sind auch im Jahr 2009 bis zum Beginn des Kommunalwahlkampfes Schulungsprojekte geplant. Darüber hinaus ist eine "Landesarbeitsgemeinschaft 2009" (LAG 09) gebildet worden, die sowohl die strategische Ausrichtung des Wahlkampfes als auch die erforderlichen Vorbereitungsmaßnah43 44 men konzipieren soll. Nach Vorgaben der Partei sollen alle Kreisverbände in der Arbeitsgruppe vertreten sein. Was die finanzielle Unterstützung der Kreisverbände bei deren Rechtsextremismus Wahlkampfaktivitäten anbelangt, hatte der Landesvorstand bereits in einem Leitantrag auf dem Landesparteitag am 8. Dezember 2007 klargestellt, dass die Kreisverbände weder von der Bundespartei noch vom Landesverband Zuschüsse erwarten können. Als weitere Hürde kristallisierte sich die Sammlung der nach dem Thüringer Kommunalwahlgesetz notwendigen Unterstützungsunterschriften heraus. Die Verantwortlichen sehen in dem zu erreichenden offenen Bekenntnis Hunderter Bürger zur NPD den "Knackpunkt" eines späteren Erfolgs.13 Bereits frühzeitig sollten Datenbanken über potentielle Unterstützer angelegt werden. Dabei gelte es, nicht nur auf Personen aus dem weiteren Parteiumfeld, wie z. B. langjährige Interessenten, Abonnenten nationaler Zeitungen oder Mitglieder anderer nationaler Parteien und Vereine zuzugehen. Vielmehr ist zur Verteilung bestimmtes Schriftenmaterial mit einen "Kontaktcoupon" zu versehen, auf dem der Wille, den Antritt der NPD zur Kommunalwahl zu unterstützen, dokumentiert werden kann.14 Unter Hinweis auf weitere, ebenfalls im Juni stattfindende Kommunalwahlen in anderen Bundesländern wurde den Kreisverbänden - sollten sie die anstehenden Aufgaben nicht ohne externe Wahlhelfer schultern können - empfohlen, sich frühzeitig um "Hilfe von Außen" zu bewerben.15 Zum Zwecke einer "Ressourcenbündelung" entstanden im Berichtsjahr einzelne länderübergreifende Kooperationen. Im Oktober vereinbarten Kreisverbände aus den Bundesländern Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen eine enge Zusammenarbeit im sog. Regionalverbund "Festung Harz"16. Der Regionalverbund, dem auch der NPD-Kreisverband Nordhausen angehört, beschäftige sich u. a. mit den kommenden Wahlkämpfen. In diesem Zu13 "Thüringen Stimme", Ausgabe 17 - Februar 2008. 14 Ebenda. 15 "Thüringen-Stimme", Ausgabe 19 - November 2008. 16 Der Begriff "Festung Harz" wurde bereits durch die NS-Führung verwendet, die in der Endphase des 2. Weltkrieges u. a. die Harzregion zur Festung erklärt hatte, die unbedingt gehalten werden musste. sammenhang seien kommunalpolitische Treffen mit Aktivisten aus allen Harz-Regionen vorgesehen. Bereits im September hatten die NPD-Kreisverbände Greiz und Vogtland (Sachsen) eine Vertiefung ihrer Zusammenarbeit angekündigt und verlautbart, gemeinsame Treffund Veranstaltungsobjekte unterhalten zu wollen. Vorbereitung auf die Landtagswahl 2009 Anders als ursprünglich im "Deutschland-Pakt" vorgesehen, wird der NPD-Landesverband Thüringen mit einer eigenen Liste zur Landtagswahl antreten. Bereits in der "Thüringen Stimme" vom Dezember 2007 war auf den desolaten Zustand der DVU in Thüringen hingewiesen worden. Die DVU in Thüringen sei weder sachlich noch personell in der Lage, eine Landtagskandidatur zu bestreiten, hieß es. Mit Verweis auf den damaligen Aufwärtstrend der eigenen Partei waren seinerzeit Gespräche mit der DVU zur Umsetzung des "Deutschlandpakts" angekündigt und gut ein Jahr später im Sinne des NPD-Anliegens abgeschlossen worden.17 In der Folge wurde auf dem Bundesparteitag der NPD am 24./25. Mai in Bamberg ein Sachantrag des Thüringer Landesverbands in geänderter Form beschlossen. Demnach sollten auch künftig Wahlabsprachen getroffen werden, um konkurrierende Wahlantritte von NPD und DVU auszuschließen. Ziel müsse sein, jeweils die Partei mit der größten Erfolgsaussicht antreten zu lassen. Anfang Oktober schließRechtsextremismus lich verkündete der Landesverband auf seiner Website, die DVU habe grundsätzliche Bereitschaft signalisiert, von der ursprünglich vorgesehenen Kandidatur in Thüringen abzusehen. Die NPD wolle nun alle Vorbereitungen für einen erfolgreichen Wahlkampf treffen und habe die Gründung einer Programmkommission beschlossen. Anfang 2009 sollen eine Landesliste und Kandidaten für die 44 Thüringer Wahlkreise aufgestellt werden. Dies dürfte sich für die Thüringer NPD nicht unproblematisch gestalten, müssen nicht nur parteiintern teils widerstreitende Interessen, sondern auch die von DVU und "Freien Kräften" berücksichtigt werden. Aus dem Kreis um den Altenburger Neonazi Thomas GERLACH hieß es bereits, eine NPD-Liste mit "ideologielosen und karriereorientierten" Politi17 Siehe auch "Kampf um den organisierten Willen" im Kapitel 3.1.1.3. 45 46 kern nicht akzeptieren und mittragen zu wollen. Es gelte, eine "Thüringer Liste aus Thüringen und für Thüringen" aufzustellen, wurde in einem Beitrag auf der Website "Altenburg Freies-Netz" verlautbart. Nach Meinung der Verfasser müssten nun "besonders radikalRechtsextremismus sozialistische Personen auf die Liste, denn die Basis in Thüringen dürfte keine weitere bürgerliche Fraktion wollen - wenngleich das auch [...] manche Funktionäre gerne plötzlich so suggerierten! - und diese würde auch kaum breite Unterstützung bekommen". Die Zusage, beim Wahlkampf mitzuwirken, bestehe nach wie vor, "ALLERDINGS wird es KEINE Unterstützung für eine Liste geben können, wo wir davon ausgehen müssen, dass diese nach wenigen Wochen und Monaten vergessen haben, dass es gilt die NPD AUSSCHLIESSLICH als politisches Instrument zu nutzen und dies nicht als Selbstzweck zu verkennen ist"18, so die Einschränkung. Die "vielen Aktivisten" in Thüringen seien keine Söldner, sondern es gehe um eine Instrumentalisierung der Partei für politische und weltanschauliche Zwecke, lautete ein Kommentar zu dem Text. Diese innerhalb der neonazistischen Szene kursierenden Forderungen bergen für die NPD durchaus die Gefahr neuer Auseinandersetzungen und innerparteilicher Positionskämpfe. Sie belegen zugleich die vom neonazistischen Spektrum offen artikulierte Parlamentsfeindlichkeit, wonach die NPD als Vehikel einer legalistischen Strategie betrachtet wird, deren Ziel letztlich die Abschaffung des Parlamentarismus ist. 3.1.2.10 Aktivitäten des Landesverbands Anders als noch im Vorjahr gelang es dem Landesverband im Berichtszeitraum nicht, die Parteiarbeit weiter zu intensivieren. Parteiinterne Positionskämpfe und Mitgliederverluste sind die wesentlichen Gründe dafür, dass die Aktivitäten der Partei in Thüringen erstmals seit 2004 wieder abnahmen. Auch die Mobilisierungsund Kampagnenfähigkeit der Partei blieb davon nicht unberührt. Das wurde bei der nahezu unauffällig verlaufenen Mitgliederkampagne im September ebenso deutlich wie bei dem bundesweiten "Infostand-Aktionstag" am 8. November, als sich nur vier der insgesamt 16 Kreisverbände in Thüringen engagierten. 18 Fehler im Original. Themenschwerpunkte Wie in der Vergangenheit agitierte der Landesverband insbesondere gegen das politische System der Bundesrepublik und die etablierten Parteien sowie die Politik der Länder und Kommunen. Dabei griff er überwiegend wirtschafts-, sozialund tagespolitische Themen auf. Mit den Schwerpunkten "Abwanderung" und "Sozialabbau" sowie "Ausländerpolitik" war die Partei wiederum bestrebt, stärker als bisher in den Städten und Gemeinden hervorzutreten, Rückhalt in der Bevölkerung zu finden und als Sachwalter der "kleinen Leute" wahrgenommen zu werden. "Das soziale Thema ist die große Kampfstätte, wo wir uns auch in den neuen Bundesländern in den nächsten Jahren sehen", hatte ein parlamentarischer Berater der Fraktion der NPD in Sachsen bereits 2005 betont. Mitgliederkampagne Die von der NPD im September durchgeführte Kampagne "Für unser Thüringen" blieb weit hinter dem Ausmaß der im Vorjahr durchgeführten Mitgliederwerbeaktion zurück. Organisierten die örtlichen Kreisverbände seinerzeit mehr als 40 Kundgebungen und ca. 60 Informationsstände in nahezu allen Regionen des Freistaats, fanden jetzt lediglich acht Kundgebungen bzw. Mahnwachen sowie acht Informationsstände statt. Die Aktionen gingen ausschließlich auf die NPD-Kreisverbände Erfurt-Sömmerda, Gera, Gotha, Rechtsextremismus Greiz, Jena, Nordhausen, Wartburgkreis und Weimar-Weimarer Land zurück. Nur die Hälfte der gegenwärtig 16 NPD-Kreisverbände ist demnach dem Aufruf des Landesvorstands gefolgt, im Rahmen der Kampagne jeweils zwei öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen durchzuführen. Im Falle des Kreisverbands Gotha waren neun Informationsstände angemeldet, jedoch nur einer durchgeführt worden. Nach dem ernüchternden Verlauf der Werbeaktion hieß es in der "Thüringen Stimme" vom November, ein Aufschwung wäre zu verzeichnen, die Mitgliederzahl in den Regionen hingegen kaum ausreichend, um im Wahlkampf flächendeckend präsent zu sein. 47 48 Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen Im Vergleich zum Vorjahr hat die Anzahl öffentlicher Aktivitäten des Landesverbands wesentlich abgenommen. Im Jahresverlauf Rechtsextremismus wurden zahlreiche kleinere Infostände und Mahnwachen sowie etwa 15 (2007: 14) Kundgebungen und Demonstrationen mit insgesamt etwa 2.900 (2007: 4.100) Teilnehmern durchgeführt. Die Aktivitäten erfolgten nahezu ausnahmslos in Kooperation mit dem neonazistischen Spektrum. Mit der sechsten Kundgebung "Rock für Deutschland" am 19. Juli in Gera und dem "3. Fest der Völker" am 13. September in Altenburg hielt der Landesverband an seiner Strategie fest, rechtsextremistische Musik mit politischer Agitation zu verbinden. Ziel dabei ist, den Teilnehmerkreis für öffentlichkeitswirksame Aktionen der Partei zu erhöhen, die Akzeptanz der NPD im aktionsorientierten rechtsextremistischen Spektrum zu steigern und in der Öffentlichkeit stärkere Präsenz zu zeigen. Zu den Veranstaltungen waren Szeneangehörige aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland angereist. In Gera versammelten sich ca. 750 Personen. Nachfolgend nähere Ausführungen zu diesen und weiteren Veranstaltungen von besonderer Bedeutung: NPD-Demonstration am 5. April in Weimar An der Demonstration des NPD-Kreisverbands Weimar-Weimarer Land unter dem Motto "Kinder, Zukunft, NPD! Sozial geht nur national!" nahmen ca. 300 überwiegend aus Thüringen stammende Rechtsextremisten teil. Neben Vertretern der NPD und der "Freien Kräfte" gehörte dem Demonstrationszug wie angekündigt auch ein Block "Autonomer Nationalisten" an. Als Redner traten die Organisatoren Patrick WIESCHKE und Jan MORGENROTH, der dem NPD-Bundesvorstand angehörende Neonazi Thorsten HEISE sowie der Bundesvorsitzende Udo VOIGT in Erscheinung. Der Auftritt der angekündigten Liedermacher entfiel. Die Teilnehmer trugen u. a. Transparente mit den Aufschriften "Gegen System und Kapital - unser Kampf ist NATIONAL - www.npdwetterau.de" und "Kita-Plätze statt Gesinnungshetze - Autonome Nationalisten". Die Mobilisierung erfolgte über einschlägige Internetseiten der rechtsextremistischen Szene Thüringens. Ab Mitte Februar wurde zusätzlich ein Werbevideo eingesetzt, welches der örtliche NPDKreisverband gemeinsam mit dem neonazistischen Videoprojekt "Volksfrontmedien" aus Hessen erstellt hatte. Parallel zum NPDAufruf mobilisierten auch "Freie Kräfte", die neben den "Autonomen Nationalisten" ebenfalls zu den Veranstaltern zählten, mit dem Flyer "Thüringen demonstriert - Unsere Kinder, unsere Zukunft!!! - Warum? Kinderarmut ist kein Zustand sondern ein Mißstand!"19. Rechtsextremismus "7. Thüringentag der nationalen Jugend" am 17. Mai Der "7. Thüringentag der nationalen Jugend" in Sondershausen stand unter dem Motto "Jugend braucht Zukunft - Jugend braucht Heimat". Die Ausrichtung oblag dem NPD-Kreisverband Kyffhäuserkreis, federführend dem Vorsitzenden Patrick WEBER. An der Veranstaltung nahmen ca. 180 Personen teil. Die Organisatoren hatten im Vorfeld mit bis zu 400 Besuchern gerechnet. Auf Websites der rechtsextremistischen Szene Thüringens sowie auf der 2004 eigens für den "Thüringentag der nationalen Jugend" eingerichteten Sonderseite war für die Kundgebung geworben worden. 19 Fehler im Original. 49 50 Rechtsextremismus Als Redner traten u. a. WEBER, Frank SCHWERDT, Patrick WIESCHKE und Ralf WOHLLEBEN auf. Das Musikprogramm wurde von zwei rechtsextremistischen Thüringer Liedermachern sowie den rechtsextremistischen Bands "Fight Tonight" (Sachsen-Anhalt), "Revolution" (Sachsen-Anhalt), "Glorial Honours" (Thüringen/Sachsen Anhalt) und "Extressiv" (Nordrhein-Westfalen) bestritten. Der "Thüringentag der nationalen Jugend", der vornehmlich auf Jugendliche sowie junge Erwachsene ausgerichtet ist, hat seit 2002 als Veranstaltungsreihe im Kalender der Thüringer Rechtsextremisten einen festen Platz. Die Teilnehmerzahl früherer Veranstaltungen bewegte sich zwischen 130 und 370 Personen. Ursächlich für diese Schwankungen dürfte insbesondere die jeweilige musikalische Umrahmung des Programms sein. Auftritte von rechtsextremistischen Bands sind dabei von besonderer Anziehungskraft. Die in diesem Jahr vergleichsweise niedrige Teilnehmerzahl ist möglicherweise auch auf die Auseinandersetzungen im NPD-Landesverband zurückzuführen. "Rock für Deutschland" am 19. Juli in Gera Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Rock für Deutschland" führte der NPD-Kreisverband Gera eine Demonstration unter dem Motto "Sozial geht nur national" durch, an der ca. 750 Rechtsextremisten teilnahmen. Die behördliche Anmeldung ging auf den NPDLandesvorsitzenden Frank SCHWERDT zurück. Gordon RICHTER, Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Gera, und seinem Stellvertreter Andre BERGHOLD oblag die Versammlungsleitung. Unterstützung fand der Kreisverband bei den "freien nationalen Kräften aus Thüringen und Umgebung". Die Mobilisierung erfolgte vorrangig über die eigens vom NPDKreisverband Gera eingerichtete Sonderseite im Internet. Darüber hinaus wurde die Veranstaltung durch Terminhinweise und Teilnahmeaufrufe auf verschiedenen rechtsextremistischen Websites beworben. Als Redner traten u. a. Holger APFEL, Fraktionsvorsitzender der NPD-Landtagsfraktion Sachsen, Ralf OLLERT, NPDLandesvorsitzender Bayern, Michael SCHÄFER, Bundesvorsitzender der "Jungen Nationaldemokraten" (JN), und Michael BURKERT vom Kreisverband Erfurt-Sömmerda auf. Einen Schwerpunkt innerhalb ihrer Beiträge machten die "zunehmende Überfremdung und die Gefahren der US-amerikanischen Aggressionspolitik, der sich die BRD bedingungslos unterwirft", aus. Es traten die rechtsextremistischen Bands "Hauptkampflinie" (Hessen), "Jungsturm" (Saarland), "Eugenik" (Gera, Thüringen), "Breakdown" (RheinlandPfalz) und "White Resistance" (Sachsen) auf. Der NPD-Kreisverband Gera führt die Veranstaltungsreihe seit 2003 durch. Während anfangs noch etwa 200 (2003) Rechtsextremismus bzw. 150 (2004) Personen teilnahmen, stieg deren Zahl in 2005 auf 700 bis 750 an. In den beiden Folgejahren versammelten sich jeweils zwischen 600 bis 650 Szeneanhänger. Inzwischen gilt "Rock für Deutschland" neben dem "Fest der Völker" als eine Veranstaltung, die regelmäßig Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet anzieht. Insbesondere die Kombination von politischer Agitation und rechtsextremistischer Musik scheint hierbei eine besondere Sogwirkung zu entwickeln. 51 52 "3. Fest der Völker" am 13. September in Altenburg Der NPD-Kreisverband Jena veranstaltete am 13. September gemeinsam mit "Freien Kräften" das "3. Fest der Völker - Für ein EuRechtsextremismus ropa der Vaterländer" mit bis zu 1.200 Teilnehmern. Unter den aus dem gesamten Bundesgebiet angereisten Szeneanhängern befanden sich auch mehr als 100 Personen aus dem europäischen Ausland (u. a. aus England, Spanien, der Slowakei und der Schweiz). Die Anmeldung der Veranstaltung ging auf Andre KAPKE, Organisationsleiter des NPD-Kreisverbands Jena, zurück. Der Landesvorsitzende Frank SCHWERDT fungierte als Versammlungsleiter. Nach der Eröffnungsrede des Neonazis Andre KAPKE und der Ansprache des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Jürgen RIEGER ergriff der Neonazi und frühere Angehörige des NPD-Bundesvorstands Thomas WULFF das Wort. Als weitere Redner traten wie angekündigt u. a. Asen KRATEV (Bulgarien), Stephen "Swiny" SWINFEN (Großbritannien), Kristoffer DAHLSTRÖM (Schweden), Adrian SEGESSENMANN und Markus MARTIG (jeweils Schweiz) sowie Enrique VALLS (Spanien) auf. Den musikalischen Teil bestritten die bereits im Vorfeld angekündigten rechtsextremistischen Bands "White Law" (Großbritannien), "Strappo" (Italien) sowie "Brainwash"/"Mosphit" und "Sleipnir" (jeweils Deutschland). Zu Mobilisierungsund Informationszwecken nutzten die Initiatoren eine bereits für die früheren Veranstaltungen eingerichtete Sonderseite im Internet. Darüber hinaus wurde ein Flyer "Europa der Vaterländer - Fest der Völker III - Europas Jugend eine Stimme geben!" verbreitet. Darin hieß es: "Unsere Regierungen haben uns schon längst verraten und verkauft, sie dienen nur noch dem Gott Mammon und seinen Handlangern in der internationalen Großfi- nanz. [...] Noch sind wir nur wenige, doch wir werden von Tag zu Tag mehr. Wir sind die Jugend die für sich eine Zukunft einfordert, fern ab eurer perversen Vorstellungen vom seelenlosen Konsumsklaven, der sich für Eure Profitsucht bereitwillig zum heimatlosen Wanderarbeiter wird. [...] WIR SIND EUROPA! Ihr bekommt unsere Heimat nicht kampflos!"20 Am Vorabend der Veranstaltung hatten Unbekannte in Altenburg zudem die Publikation "Blickpunkt Vogtland & Altenburg"21, Ausgabe 8, Nr. 2/2008 verteilt. Darin fand sich ebenfalls der Mobilisierungsaufruf. Im Verlauf der Veranstaltung wurden 51 Personen festbzw. in Gewahrsam genommen, 22 Strafanzeigen, u. a. wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung oder Volksverhetzung22, erstattet sowie 63 Platzverweise erteilt. Das Gros der Delikte (116) war dem Block der linksextremistischen Gegendemonstranten zuzuordnen. Im Nachgang bedankten sich die NPD-Kreisverbände Jena und Altenburger Land sowie das neonazistische "Freie Netz Mitteldeutschland" bei allen Helfern und Gästen: "Altenburg war ein erneuter Beweis dafür, dass weder Polizeitaktik, noch 1.500 antidemokratische Gegendemonstranten das Fest der Völker verhindern können! Egal was aufgeboten wird, wir sind zur Stelle um zu zeigen wo die Jugend Europas sich vereinigt im Kampf gegen Kapitalismus und Globalisierung!"23 Ursprünglich sollte auch das diesjährige "Fest der Völker" in Jena Rechtsextremismus stattfinden. Wegen der in diesem Jahr angekündigten umfangreichen Proteste gegen die Kundgebung verlegten die Organisatoren die Veranstaltung schließlich nach Altenburg. In einem als "Die Botschaft von Altenburg" bezeichneten Statement hieß es von Seiten der Initiatoren: "Haß - Gewalt und Zerstörung ist antifaschistische Demonstrationskultur! [...] der antifaschistische Widerstand (muss sich) immer mehr und mehr unseren aufdiktierten Umständen anpassen, denn wir sind nicht an einen Ort gebunden, sondern tauchen da auf, wo wir es für richtig erachten und nicht da, wo man es von uns gerne will! Die 1.500 Angereisten Chaoten 20 Fehler im Original. 21 Siehe Kapitel 4.4.8. 22 Gegen Jürgen RIEGER aufgrund der Äußerung: "[...] der böse Nazi-Rieger, der geschrieben hat, dass der Neger einen Intelligenzquotienten hat, in der Mitte zwischen (dem) schwachsinnig(en) und (dem) Normaldeutsche(n). [...] Ich stehe zu dieser Aussage." 23 Fehler im Original. 53 54 und Gegendemonstranten müssen sich auch nächstes Jahr wieder bis kurz vor der Veranstaltung gedulden, bis man weiß wohin die Reise geht!"24 Rechtsextremismus Nachdem das "Fest der Völker" 2005 erstmals mit ca. 500 Teilnehmern durchgeführt wurde, versammelten sich bei der Folgeveranstaltung 2007 bereits 1.400 Szeneanhänger aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland. Auch in diesem Jahr ging entsprechende Sogwirkung von der Kundgebung aus, die in der Mischung von rechtsextremistischer Propaganda und ebensolcher Musik begründet liegt. Differenzen zwischen NPD und Neonazispektrum scheinen außen vor, vielmehr soll insbesondere Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegenüber der Eindruck eines engen Zusammengehörigkeitsgefühls geweckt werden. Einer Internetverlautbarung zufolge gelte es, "eine regelmäßige Manifestation zu gestalten, welche zeigt, dass es überall in Europa starke und aufkommende Jugendbewegungen gibt, die sich gegen kapitalistische und imperialistische Bestrebungen richtet und als internationales Vernetzungstreffen radikaler Kräfte dienen soll".25 3.1.2.11 Bewertung und Ausblick Im Berichtsjahr sah sich der Landesverband zusätzlich zu den andauernden qualitativen Schwächen, insbesondere hinsichtlich des Bedarfs an geeigneten Führungspersonen, zunehmend auch mit quantitativen Defiziten konfrontiert. Der Mitgliederstand ist gesunken, der Ausbau der Strukturen stagnierte, die Kampagnenfähigkeit und damit auch die Außenwirkung gingen zurück. Während es im Vorjahr - vor allem im Rahmen der damaligen Mitgliederkampagne - noch Teilerfolge gab, hat im Berichtszeitraum wegen innerparteilicher Grabenkämpfe eine Trendwende eingesetzt. Wenngleich sich der amtierende Landesvorstand mit dem Landesvorsitzenden Frank SCHWERDT letztlich behaupten konnte, zeichneten sich bereits Differenzen über die Besetzung der Landesliste und die in den 44 Wahlkreisen zu bestimmenden NPD-Kandidaten ab. Darüber hinaus gelingt es der Partei in Thüringen kaum noch, geeignete Räumlichkeiten für Parteiveranstaltungen zu mieten bzw. 24 Fehler im Original. 25 Fehler im Original. entsprechende Anliegen gerichtlich durchzusetzen. Um so mehr bleibt es Bestreben der Partei, Immobilien dauerhaft in ihre Verfügungsgewalt zu bringen. Die hierfür zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel sind allerdings begrenzt. Die personellen und organisatorischen Defizite sowie die desolate finanzielle Situation des Landesverbands beeinflussen dessen Handlungsspielraum nachhaltig. Eindringliche Appelle an die Mitgliederschaft, sich für den Wahlkampf 2009 zu rüsten, fanden längst nicht die erhoffte Resonanz. Bislang mangelt es nicht allein an den materiellen Voraussetzungen, sondern insbesondere an geeigneten Führungspersönlichkeiten. Anzeichen dafür, dass statt Plakatierungen, Verteilaktionen oder Informationsständen, die jeweils ausgewählte Politikfelder thematisieren, gar mit einem materialintensiven Personenwahlkampf der NPD zu rechnen ist, waren bislang nicht zu vernehmen. Vielmehr tritt der Landesverband entgegen früheren Ankündigungen lediglich noch in knapp der Hälfte Rechtsextremismus der Landkreise und kreisfreien Städte zur Kommunalwahl an. Die enge Verflechtung mit dem neonazistischen Spektrum droht für die Partei in Thüringen zu einem Dilemma zu werden. Einerseits wirkt die NPD mit Verhaltensregeln auf ihr wichtigstes Unterstützerpotential, die "Freien Kräfte", maßregelnd ein, um den sicher geglaubten Anschein einer seriösen, in der Mitte der Gesellschaft angekommene Partei nicht zu gefährden. Andererseits fordern eben jene Kräfte, das eigene politische Selbstverständnis nicht zu Gunsten der NPD zurückzustellen, sondern vielmehr die Unterstützung der Partei mit den eigenen Interessen - z. B. durch Berücksichtigung eigener Kandidaten bei Wahlen - zu verknüpfen. Dennoch wird die weitere Zusammenarbeit mit der NPD wegen der ihr unterstellten "Systemnähe" und "Angepasstheit" durchaus in Frage gestellt. 55 56 3.1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Rechtsextremismus Bund Thüringen Gründungsjahr 1969 2006 Sitz Dresden Jena Mitglieder 2006 ca. 350 ca. 20 2007 ca. 400 ca. 30 2008 ca. 400 ca. 20 Der Bundesverband der JN Die JN, die Jugendorganisation der NPD, wurden 1969 gegründet und bilden einen "integralen Bestandteil der NPD". Die JN sehen sich als "nationalistische Jugendbewegung Deutschlands" mit "revolutionärer Ausrichtung" an. Sie bekennen sich zur "Volksgemeinschaft", die sie in "einer neuen nationalistischen Ordnung" verwirklichen wollen. Mit der Neuwahl des Bundesvorstands im Oktober 2007 wollten die JN ihr Bemühen, sich deutlicher von der NPD abzugrenzen und ein eigenständigeres Profil zu erlangen, umsetzen. Sie kündigten damals an, der Verband werde verstärkt die Nähe zu den "Freien Kräften" suchen und sich zu "einer modernen und schlagkräftigen nationalistischen Jugendorganisation" entwickeln. Dieses ehrgeizige Vorhaben konnten die JN im Berichtszeitraum nicht umsetzen. Zuletzt scheiterten sie weitgehend bei dem Versuch, die neuen Organisationsstrukturen zu handlungsfähigen Gliederungen auszubauen. Gleiches gilt auch für den von der JN-Führung im Oktober 2007 gestarteten "Nationalen Bildungskreis" (NBK). Trotz im Internet veröffentlichter Stellungnahmen gelang es dem NBK nicht, sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene ideologisch und intellektuell zu positionieren. Der Thüringer Landesverband der JN Den JN ist es bisher in Thüringen nicht gelungen, eigene politische Akzente zu setzen, um sich von der NPD zu "emanzipieren" und als eigenständige Organisation neben der NPD wahrgenommen zu werden. Dem hiesigen Landesverband gehören schätzungsweise 20 Mitglieder an. Eigenen Angaben nach existieren derzeit in Thüringen die vier JN-Stützpunkte Erfurt, Jena, Weimar und Saalfeld-Rudolstadt, wobei der Stützpunkt Weimar keine Aktivitäten entfaltet. Der im September gegründete JN-Stützpunkt Saalfeld-Rudolstadt hatte verlautbart, seine Aufgabe in der Aufklärung der Bevölkerung, insbesondere der Jugend, und im Aufzeigen von Alternativen "zu den etablierten Parteibonzen" zu sehen. Eigene Aktivitäten entfaltete er bislang nicht. Die Thüringer JN traten wie im Vorjahr mit zahlreichen Flugblattverteilaktionen in Erfurt und Jena in Erscheinung. Während einer vom JN-Stützpunkt Erfurt im Februar durchgeführten Mahnwache unter dem Motto "Unsere Mauern brachen, doch unsere Herzen nicht! - Im Gedenken an den alliierten Massenmord!" verteilten die Teilnehmer Flyer mit der Überschrift "Die Toten mahnen uns - Gegen US-Imperialismus und Völkermord". In Jena verbreiteten Rechtsextremisten - Internetangaben nach Angehörige des NPD-Kreisverbands Jena und des JN-Stützpunktes Jena - im Mai angeblich 10.000 "aufklärerische Flugzettel", denen zufolge "der 8. Mai nicht als BeRechtsextremismus freiungstag anzusehen" sei. Auch in Erfurt verteilten Rechtsextremisten den bundesweit gestreuten JN-Flyer "Stein um Stein [...] mauern sie uns ein! - 8. Mai 1945 - Macht euch frei von der Lüge!", in dem die Befreiung Deutschlands in Frage gestellt wurde. Am 22. Februar fand unter dem Tenor "Nationaler Sozialismus - Eine moderne Betrachtung aus verschiedenen politischen Perspektiven" im "Braunen Haus"26 in Jena eine Vortragsveranstaltung des NBK statt, die vom JN-Landesverband Thüringen und von "Freien Kräften" unterstützt wurde. Als Hauptreferenten traten Matthias GÄRTNER (Sachsen-Anhalt), Bundesschulungsleiter der JN und Mitglied des NBK, sowie der NPD-Kreisvorsitzende des Wartburgkreises, Hendrik HELLER, in Erscheinung. 26 Siehe "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'" im Kapitel 4.4.3. 57 58 3.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) Bund Thüringen Rechtsextremismus Gründungsjahr 1987 1991 Sitz München Oldisleben Mitglieder 2006 ca. 8.500 ca. 60 2007 ca. 7.000 ca. 50 2008 ca. 6.000 ca. 50 Publikation "National-Zeitung/ Deutsche Wochenzeitung" (NZ) Internet eigener kein eigener Internetauftritt Internetauftritt vorhanden27 Der Bundesverband der DVU Die DVU wurde 198728 in München unter dem Namen "Deutsche Volksunion-Liste D" (DVU-Liste D) gegründet und 1991 durch Satzungsänderung in "Deutsche Volksunion" (DVU) umbenannt. Über viele Jahre war sie die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei Deutschlands. Inzwischen ist sie mit 6.000 Mitgliedern weit hinter die NPD zurückgefallen. Noch verfügt sie in allen Bundesländern über Landesverbände. Einzig in Brandenburg gehört die DVU dem Landesparlament an. Im Gegensatz zur NPD gelang es der DVU auch 2008 nicht, durch das Bündnis in der "Volksfront von Rechts" an Attraktivität innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu gewinnen. Vielmehr sind die Aktivitäten einzelner DVU-Landesverbände weitgehend zum Erliegen gekommen. Im Zuge dieser Entwicklung fiel es der DVU zunehmend schwer, sich der NPD als gleichwertiger Partner im "Deutschland-Pakt" zu präsentieren. 27 Auf der Internetseite des Bundesverbands findet sich ein Hinweis auf den Landesverband. 28 "DVU e.V." 1971 als Verein gegründet, 1987 als Partei konstituiert, 1987-1991 "DVU-Liste D". Der bis zum Jahresende amtierende DVU-Vorsitzende Dr. FREY führte die Partei ausgesprochen zentralistisch. Sein bedingungsloser Machtanspruch ließ den Unterorganisationen keinen Handlungsspielraum für eigene Initiativen und selbstständige politische Arbeit. Die Personalunion von Vorsitzendem und Kreditgeber verlieh Dr. FREY eine ungewöhnliche Machtfülle. War er doch faktisch zugleich Chefideologe und -stratege, alleinige Entscheidungsinstanz in Sachwie Personalangelegenheiten, einzig befugtes Sprachrohr und nicht zuletzt oberster Spendeneintreiber und Großfinanzier der Partei. Zu Jahresbeginn 2009 wurde dem bisherigen Bundesorganisationsleiter Matthias FAUST die Parteiführung übertragen. Um ihre extremistische Zielsetzung zu verschleiern und möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, hält die DVU ihr Parteiprogramm bewusst vage. In dem inoffiziellen Parteiorgan "National-Zeitung/ Deutsche Wochenzeitung" zeigt sich die rechtsextremistische AusRechtsextremismus richtung hingegen deutlicher. Hier greift die DVU im Wesentlichen die typischen rechtsextremistischen Agitationsfelder unter dem Blickwinkel eines übersteigerten Nationalismus auf. Besondere Schwerpunkte bilden Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Antiamerikanismus sowie ein umfassender Revisionismus. Ausländer und Juden werden pauschal diskreditiert und als hauptsächliche antideutsche Feindbilder dargestellt. Der Thüringer Landesverband der DVU Der 1991 gegründete Thüringer Landesverband der DVU wird durch Walter BECK geleitet. Der Verband ist seit Jahren strukturund mitgliederschwach, die Parteiarbeit liegt - nicht zuletzt wegen des hohen Altersdurchschnitts im Landesvorstand und des Mangels 59 60 an engagierten Mitgliedern - brach. Die Aktivitäten beschränken sich hauptsächlich auf den Bezug der wöchentlich erscheinenden DVU-Publikation sowie den gelegentlichen Besuch der "Politischen Stammtische". Auch die angebliche Neugründung eines Rechtsextremismus DVU-Kreisverbands Saalfeld-Rudolstadt Anfang des Jahres konnte den weiteren Zerfall des Landesverbands nicht aufhalten. Am 9. März führten die DVU-Landesverbände Thüringen und Sachsen ihre Landesparteitage in einer gemeinsamen Veranstaltung in Calbe (Sachsen-Anhalt) mit ca. 300 Teilnehmern durch. Sowohl die strukturelle, personelle als auch finanzielle Schwäche der Verbände dürfte Grund für die bereits 2006 praktizierte Verfahrensweise sein. Auf dem Landesparteitag wurde Uwe BÄZ-DÖLLE29 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden der DVU Thüringen gewählt. Das dürfte nicht nur seinen Einfluss innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums, sondern vor allem die Chance, einen vorderen Platz auf der NPD-Liste zur Landtagswahl zu erlangen, erhöhen. Gute Kontakte zur NPD unterhalten er und BECK seit Jahren. 4. Neuer Nationalsozialismus (Neonazismus) 4.1 Ideologischer Hintergrund Die Neonaziszene verfügt ebenso wenig über eine einheitliche, in sich geschlossene Ideologie wie der "historische Nationalsozialismus". Die Ansichten der Neonazis setzen sich aus ideologischen Versatzstücken nationalsozialistischer, gewaltverherrlichender Rhetorik und Symbolik sowie subkulturellen Elementen zusammen. Die Übergänge zwischen der politisch-ideologisch geprägten Neonaziszene einerseits und dem subkulturell geprägten Spektrum andererseits sind fließend, es bestehen starke personelle Überschneidungen. Was den meisten Neonazis an weltanschaulich-ideologischem Wissen fehlt, wird von ihnen durch eine provozierende und aggressive Haltung nach außen kompensiert. Da 29 Uwe BÄZ-DÖLLE vertritt die DVU im Stadtrat von Lauscha. Siehe außerdem "Verhältnis zu anderen Parteien und Organisationen" im Kapitel 3.1.2.4. sich Neonazis auf führende Personen der nationalsozialistischen Diktatur, auf deren Symbole und Riten berufen, geht von ihnen ein hohes Provokationspotenzial aus. Neonazis betrachten ihre Umwelt aus der Sicht rassistisch unterlegter "Freund-Feind"-Kategorien. Sie sind der Überzeugung, sich in einem permanenten Kampf gegen das angeblich übermächtige "Weltjudentum" zu befinden, das sie Außenstehenden gegenüber mit der Kurzformel ZOG30 verschleiern. Ihrer Ansicht nach werden die westlichen Regierungen - insbesondere die der USA und Deutschlands - vom "internationalen Finanzjudentum" gesteuert und unterstützten dessen Streben nach der Weltherrschaft. Als Chiffre für diese Behauptung wird von ihnen der Begriff "amerikanische Ostküste" verwendet. 4.2 Organisationsformen der Neonaziszene im Allgemeinen Neonazis sind in einer Vielzahl rechtsextremistischer Organisationen und Gruppierungen sowie meist regional und in lockeren Strukturen organisiert. Nachdem Anfang der neunziger Jahre mehrere neonazistische Organisationen verboten worden waren, reagierten die Neonazis mit zwei verschiedenen Gegenstrategien. Auf Rechtsextremismus der Suche nach Organisationsformen fand sich ein Teil der Neonazis, die sich selbst als "Freie Nationalisten" bezeichnen, in unabhängigen Kameradschaften ("Organisierung ohne Organisation") zusammen. Andere wählten das "legale Dach" der NPD als Unterschlupf und nutzten deren Parteienprivileg für eigene Aktionen. Konzept der "Freien Kameradschaften" Die dominierende Organisationsform der Neonaziszene bildete viele Jahre die "Freie Kameradschaft". Kameradschaften existieren in fast allen Bundesländern, obwohl selbst führende Neonazis in den letzten Jahren der NPD beigetreten sind und sich dort enga30 ZOG steht für "Zionist Occupied Government" ("zionistisch beherrschte Regierung"). 61 62 gieren. Die Parteianbindung hindert sie in der Regel nicht, weiter für die Kameradschaft aktiv zu bleiben. Das Konzept der "Freien Kameradschaften" sieht vor, sowohl als kleine autonome Einheiten auf meist lokaler bzw. regionaler Ebene zu agieren als auch sich Rechtsextremismus über technische und personelle Kontakte überregional zu vernetzen. Aufgrund ihres informellen Charakters sollen den Behörden weniger Angriffspunkte geboten werden, gegen die Kameradschaften vorzugehen. Obwohl Kameradschaften meist keine oder nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie dennoch kraft einer verbindlichen Funktionsverteilung deutlich strukturiert. Sie werden durch die Bereitschaft getragen, gemeinsam politische Arbeit in der Absicht zu leisten, neonazistisches Gedankengut zu verbreiten. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen dann von einer neonazistischen "Kameradschaft", wenn die jeweilige Gruppierung die folgenden Merkmale aufweist: * einen abgegrenzten Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation, * eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung, * eine zumindest rudimentäre Struktur und * die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundorientierung. "Autonome Nationalisten" (AN) Seit dem Jahr 2004 treten in mehreren Bundesländern bei rechtsextremistischen Demonstrationen Personengruppen auf, die sich als "Autonome Nationalisten" bezeichnen. Deren Kennzeichen sind: * militante Kampfformen ("Schwarzer Block" und Gewaltandrohungen gegen Polizei und Gegendemonstranten), * ein verändertes Outfit (schwarze Kleidung oder/und Vermummung), * die Verwendung modifizierter linksextremistischer Symbolik und * eine mit Anglizismen durchsetzte Sprache. Die AN stellen keine Organisation im klassischen Sinne, sondern eine spezielle Strömung innerhalb der Neonazi-Szene dar, deren Entstehung und Habitus u. a. durch Einflüsse anderer Jugendsub- kulturen sowie der linksextremistischen Autonomen geprägt sind. Die Angehörigen dieser Bewegung wollen sich durch "erlebnisorientierte" Aktionsformen Gehör verschaffen. Die meist jungendlichen Aktivisten orientieren sich in ihrem Erscheinungsbild an dem aus der linksextremistischen autonomen Szene bekannten "Schwarzen Block". Ideologisch richten sie sich teilweise - oft auch nur vorgeblich - am sozialrevolutionären Flügel der NSDAP um die Gebrüder Strasser aus. Die AN verfügen insofern über kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild. Die gewählten "autonomen" Aktionsformen sowie der Verzicht auf straff organisierte Gruppen sollen staatlichen Stellen und dem politischen Gegner die Aufklärungsarbeit erschweren. Rechtsextremismus Die AN machten im Berichtszeitraum bundesweit weiterhin etwa 10 % des neonazistischen Spektrums aus. Bedingt durch die vornehmlich junge, aktionsorientierte Anhängerschaft waren die Betätigungen der AN vielfältig. Ihr Auftreten bei Demonstrationen fand zumindest in Teilen der übrigen rechtsextremistischen Szene positive Resonanz. Äußerungen im Internet zufolge sollte man sich notfalls ihrer bedienen, um sich gegen die als Schikane empfundenen Maßnahmen der Polizei und die Behinderungen durch Gegendemonstranten zu wehren. Das Verhältnis zwischen der NPD und den AN ist ambivalent. Ist die Partei einerseits auf jegliche Unterstützung aus dem rechtsex63 64 tremistischen Spektrum bei Wahlkämpfen und öffentlichen Veranstaltungen angewiesen, hat sich das NPD-Bundespräsidium im August 2007 mit der "Unsere Fahnen sind schwarz - unsere Blöcke nicht" lautenden Erklärung jedoch von den "anarchistischen ErRechtsextremismus scheinungsformen" der AN distanziert. Vertreter des "Schwarzen Blockes" seien für die breite Masse des Volkes keine Sympathieträger und könnten auch nicht glaubhaft eine neue Ordnung vertreten, die deutsche Werte einfordere, hieß es. Wegen der teilweise heftigen Reaktionen von Seiten der neonazistischen "Freien Kräfte" relativierte die Parteiführung die Erklärung wenig später. Die gewaltbefürwortende Ausrichtung der AN wurde insbesondere bei der "1.-Mai-Kundgebung" in Hamburg offenkundig. Dort verzeichnete die Polizei bei der von der Hamburger Kameradschaftsszene unter dem Motto "Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen - Gemeinsam gegen Globalisierung" angemeldeten Demonstration die größten Ausschreitungen seit über 30 Jahren und erstmals auch von Rechtsextremisten ausgehende Straßenmilitanz. So lieferte sich ein aus etwa 350 Personen bestehender "Schwarzer Block" der AN gewalttätige Auseinandersetzungen mit linksextremistischen Gegendemonstranten. Die Veranstalter werteten den Verlauf der Demonstration trotz der vorzeitigen polizeilichen Auflösung als vollen Erfolg. "Das kriminelle linke Gesindel hat trotz zahlenmäßiger Überlegenheit und massiver Bewaffnung zu spüren bekommen, dass der nationale Widerstand wehrfähig ist, wenn es darum geht, sein Recht auf der Straße zu erkämpfen. [...] Für manche mag das Ausmaß der Ausschreitungen und Konfrontationen vielleicht etwas überraschend gekommen sein, aber für uns Hamburger und viele andere erfahrene Kameraden hat dieser Tag einfach nur das gehalten, was er versprochen hat", hieß es im Nachgang. Jugendcliquen/Mischszene31 Neben den angesprochenen Organisationsformen existieren weitere weitgehend unstrukturierte Szenen, in denen Neonazis Aktivitäten entfalten. Diese bilden sich aus Mangel an attraktiven sozialen Alternativen vorrangig im ländlichen Raum. Zwischen diesen 31 Siehe Kapitel 5.4. Cliquen und dem Bereich der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bestehen keine klaren Trennlinien. Auch diese Jugendcliquen wählen mitunter die Bezeichnung "Kameradschaft". In einigen Fällen wird der Zusammenhalt auch durch martialisch klingende Phantasienamen beschworen. Solche überwiegend regionalen, subkulturell geprägten Cliquen treffen sich u. a. in Privatwohnungen und Gaststätten, an Tankstellen, Garagenkomplexen und anderen öffentlichen Räumen. Ihre Mitglieder verfügen meist über eine rechtsextremistische Grundeinstellung. Im Vordergrund der Cliquen stehen jedoch gemeinsame Freizeitaktivitäten, die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen und Konzerten sowie das gemeinschaftliche Auftreten. Den Cliquen mangelt es oft entweder an einem abgegrenzten Aktivistenstamm oder an einer zumindest rudimentären Struktur, die auch gebietet, sich dauerhaft zu engagieren. Die Anzahl der ihnen zugehörigen Personen schwankt. Mitunter fallen diese Cliquen durch provokatives Verhalten in der Öffentlichkeit auf, dessen Folgen auch Propagandadelikte, Sachbeschädigungen oder Körperverletzungen sein können. 4.3 Zusammenarbeit mit der NPD Der von der NPD proklamierte und von Teilen der Neonaziszene Rechtsextremismus verwendete Begriff "Nationaler Widerstand" bezeichnet den Willen von Rechtsextremisten, gemeinsam organisationsübergreifend gegen das politische System der Bundesrepublik und die sie tragenden Kräfte vorzugehen. Während des letzten Jahrzehnts war das Verhältnis zwischen NPD und Neonazis sowohl von Annäherung als auch von Abgrenzung gekennzeichnet. Im Jahr 2004 leitete die zwischen der NPD und Teilen der Neonaziszene getroffene Absprache, künftig offen zusammen zu arbeiten, eine neue Entwicklung ein. Sie erreichte ihren Höhepunkt in dem Konzept, die extreme Rechte in einer "Volksfront von Rechts" zusammenzuschließen.32 Das Neonazispektrum setze die Zusammenarbeit mit der NPD auch im Jahr 2008 fort. Trotz der weit gediehenen Kooperation 32 Siehe die Kapitel 3.1.1.1 und 3.1.1.3. 65 66 brechen gelegentlich deutliche Meinungsverschiedenheiten zwischen den "Freien Kräften" und der Partei auf. Hinsichtlich der AN sind diese nicht unerheblich, erklärt sich doch der größte Teil der deutschen Neonaziszene mit den AN solidarisch.33 Sollte die NPD Rechtsextremismus auch künftig Wahlerfolge vorweisen können, wird die Zahl derer, die eine weitere Zusammenarbeit mit der Partei befürworten, dennoch überwiegen. 4.4 Die Neonaziszene in Thüringen Bundesweit stieg die Zahl der Neonazis erneut auf nunmehr 4.800 (2007: 4.400) Personen an. Dem hiesigen Spektrum gelang es vor allem wegen seiner weitgehend fehlenden Eigenständigkeit gegenüber der NPD und des daraus folgenden Mangels an eigener Aktivierungsfähigkeit nicht, sein Personenpotential zu erhöhen. Wie im Vorjahr werden der Thüringer Neonaziszene ca. 160 Personen zugerechnet. Die Hälfte ihrer Anhängerschaft ist zwischen 20 und 24, ein Viertel zwischen 25 und 30 Jahre alt, nur ca. 10 % sind älter. Etwa 15 % haben das 20. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der Frauenanteil liegt unter einem Fünftel. Soweit Thüringer Neonazis organisiert sind, handelt es sich dabei neben Mitgliedschaften in der NPD vor allem um Zugehörigkeiten zu Kameradschaften, Mischszenen oder sonstigen lockeren Personenzusammenschlüssen. Im Freistaat existieren jedoch keine regional übergreifenden neonazistischen Strukturen. Zudem gibt es Neonazis, die ohne Organisationszugehörigkeit an entsprechenden Veranstaltungen der NPD oder des Neonazispektrums teilnehmen, als AN auftreten oder eigene Aktivitäten, wie die Gestaltung von Internetauftritten, entfalten. 33 Siehe Kapitel 4.2. 4.4.1 Kameradschaften Bundesweit bestehen nach wie vor etwa 160 Kameradschaften. In Thüringen konnten im Berichtszeitraum drei aktive Kameradschaften, die zumindest über rudimentäre Strukturen verfügen, festgestellt werden. Im Juni gab die Kameradschaft "Freie Kräfte Südthüringen" (FKST) "nach 15 Monaten effektiver Arbeit" ihre Auflösung bekannt. Der vormals unter "Braune Aktionsfront Thüringen" (B.A.F.) agierende Personenkreis trat im Berichtszeitraum unter anderslautenden Bezeichnungen auf. "Kameradschaft Eichsfeld" auch: "Kameradschaft Northeim" Sitz: Fretterode Mitglieder: ca. 20 Führungsperson: Thorsten HEISE Die "Kameradschaft Northeim" wurde 1995 vom Neonazi Thorsten HEISE gegründet. Seit er im Oktober 2002 von Niedersachsen nach Fretterode verzog, finden auf seinem Anwesen wöchentliche "Kameradschaftsabende" statt, an denen in der Regel ca. 20 Personen teilnehmen. Über HEISE unterhält die Kameradschaft Kontakte zu Rechtsextremisten in anderen Bundesländern. Die Kameradschaftsangehörigen nehmen an szenetypischen Veranstaltungen auch außerhalb Thüringens teil. Im Freistaat tritt die Kameradschaft öffentlich nur selten auf. Rechtsextremismus HEISE zählt zu den bekanntesten deutschen Neonazis. Er war Landesvorsitzender der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) in Niedersachsen, die bis zu ihrem Verbot im Jahre 1995 über ein Jahrzehnt eine der auffälligsten Neonazi-Organisationen in der Bundesrepublik darstellte. HEISE betreibt den "W & B Versand", einen Großhandel für Bildund Tonträger, Geschenkartikel und Militärkleidung sowie einen Einzelhandel mit Wein und Spirituosen. Mit seinem Vertrieb ist er auch im Internet aktiv. Mitte des Jahres wurde das bestehende Gewerbe auf einen Buchverlag erweitert. Nachdem die NPD-Führung "Volksfront statt Gruppenegoismus" propagierte, trat HEISE neben zwei weiteren bundesweit agierenden Protagonisten der Neonaziszene 2004 in die NPD ein. Kurze 67 68 Zeit später erfolgte seine Wahl in den Bundesvorstand, dem er auch nach den Neuwahlen im Mai 2008 weiterhin angehört. Hier soll er als Bindeglied zwischen "Freien Kräften" und der NPD fungieren. Dies hat in erster Linie bundespolitische Gründe, beeinflusst jeRechtsextremismus doch auch die Akzeptanz des Thüringer NPD-Landesverbands im neonazistischen Spektrum positiv. HEISE gehörte von Mai 2005 bis Mai 2008 auch dem NPD-Landesvorstand an. Nach wie vor ist er stellvertretender Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Eichsfeld. Der bereits mehrfach vorbestrafte HEISE wurde im Berichtszeitraum wegen Volksverhetzung rechtskräftig zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Hintergrund war die Produktion von 3.000 Exemplaren der CD "Komm zu uns!", die HEISE 2002 bei einem thailändischen Presswerk in Auftrag gegeben hatte. Die Lieferung konnte bei der Einfuhr ins Bundesgebiet sichergestellt werden. Bereits im Jahr 2001 waren 3.000 identische CDs nach Deutschland gelangt. Da die Inhalte der auf die Band "Sturm 18" zurückgehenden CD zum Rassenhass aufrufen und den Nationalsozialismus verherrlichen, indizierte die "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" (BPjM) den Tonträger im Jahr 2002. Auf Veranlassung der Staatsanwaltschaft Mühlhausen durchsuchten Beamte des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) am 3. September u. a. das Objekt von Thorsten HEISE in Fretterode und stellten diverse Gegenstände sowie Bekleidung sicher. Über seinen Versandhandel waren Artikel mit dem Symbol eines Wappenschildes - zwei gekreuzten Handgranaten - vertrieben worden. Wegen der starken Ähnlichkeit zu dem Wappen der 36. Waffen-Grenadier Division der SS "Oskar Dirlewanger" wurde der Straftatbestand des SS 86a Strafgesetzbuch als erfüllt angesehen. Anlässlich eines vom NPD-Kreisverband Eichsfeld am 6. September organisierten "Kinderfestes" gab Thorsten HEISE Internetangaben zufolge erstmals seine Bereitschaft zur Kandidatur bei der Kommunalwahl 2009 bekannt. "Kameradenkreis um Thomas GERLACH" auch: "Nationale Sozialisten Altenburger Land" Sitz: Region Altenburg Mitglieder: etwa 15 Führungsperson: Thomas GERLACH Als Anführer der seit Ende 2004/Anfang 2005 aktiven neonazistischen Gruppierung "Nationale Sozialisten Altenburger Land" gilt der langjährige und mehrfach vorbestrafte Rechtsextremist Thomas GERLACH aus dem Raum Altenburg, der sowohl der organisierten Neonaziszene als auch dem subkulturellen Spektrum zuzurechnen ist. Er verfügt über zahlreiche Kontakte zu Rechtsextremisten im Inund Ausland. GERLACH kommuniziert zudem in zahlreichen rechtsextremistischen Internetforen. Thomas GERLACH bezeichnet sich selbst als "Nationaler Sozialist" und ist einer der wenigen führenden Neonazis in Thüringen, der noch nicht in die NPD eingetreten ist. Er beeinflusst aber maßgeblich den NPD-Kreisverband Altenburger Land. Außerdem unterhält GERLACH enge Kontakte zum Thüringer NPD-Landesverband und gilt dort als "Sprachrohr" des neonazistischen Spektrums. Für den NPD-Kreisverband Altenburger Land organisierte GERLACH auch im Berichtszeitraum Mitgliederversammlungen sowie Vortragsveranstaltungen. Seit Juni 2007 sind die "Nationalen Sozialisten Altenburger Land" in das regelmäßig aktualisierte Internetportal "Freies Netz" (FN)34 Rechtsextremismus eingebunden. Im Berichtszeitraum griff die Untergliederung Altenburg verstärkt allgemeinund kommunalpolitische Themen auf. So wurde beispielsweise ab Ende Januar 2008 über den Anbau von Genmais in der Region informiert und ankündigt, entsprechende Proteste zu unterstützen. Im Mai fand eine eigens dazu organisierte Informationsveranstaltung statt. Die von Altenburger Neonazis innerhalb des FN betriebene Netzseite bot auch dem örtlichen NPDKreisverband eine Plattform. An einer von GERLACH angemeldeten Demonstration am 17. August in Altenburg unter dem Motto "Meinungsfreiheit schützen - gegen Polizeiwillkür" nahmen etwa 230 Neonazis aus Thüringen und angrenzenden Bundesländern teil. Zudem fand am 13. September das "3. Fest der Völker" in Altenburg statt, das maßgeblich von "Freien Kräften" aus Jena und Altenburg mitorganisiert worden war.35 34 Siehe Kapitel 4.4.3. 35 Siehe "3. Fest der Völker" im Kapitel 3.1.2.10. 69 70 "Kameradschaft Apolda"/ "Nationale Sozialisten/Aktionsgruppe Apolda" (NS/AGAP) Sitz: Region Apolda Mitglieder: etwa 25 Rechtsextremismus Im Raum Apolda agierte das neonazistische Spektrum in den vergangenen drei Jahren unter Bezeichnungen wie "Braune Aktionsfront Thüringen - Sektion Apolda" (B.A.F. - Sektion Apolda), "Jungsturm Apolda", "Freie Nationalisten aus Apolda" und "AN/AP - Autonome Nationalisten Apolda". Seit 2008 tritt das Spektrum als "Kameradschaft Apolda", "Nationale Sozialisten/Aktionsgruppe Apolda" (NS/AGAP) bzw. "Nationale Sozialisten - AGAP - Aktionsgruppe Apolda" in Erscheinung. Der handelnde Personenkreis blieb jedoch weitestgehend identisch. In der Öffentlichkeit fällt er überwiegend durch Plakatierungen, das Verbreiten rechtsextremistischer Parolen sowie durch Ruhestörungen - oft verbunden mit provokativem Verhalten gegenüber Polizeibeamten - auf. In der Nacht vom 27. zum 28. Juni waren in Apolda Flugblätter der "Nationalen Sozialisten - AGAP - Aktionsgruppe Apolda" unter dem Tenor "Bist du bereit? Nationaler Widerstand ist kein Abenteuerspielplatz. [...] Es ist die ernsthafte Organisation des weltanschaulichen Freiheitskampfes [...]" verbreitet worden. Darin hieß es u. a. "Wir bewegen uns als Menschen in diesem System, denen durch die bestehenden Machtverhältnisse die Vergangenheit verfälscht und die Zukunft verbaut wurde. Das gegenwärtige parlamentarische System und seine ekelhaften, selbstherrlichen Repräsentanten erscheinen uns unbrauchbar." Am 16. August wurden mehrere Hundert Flyer der "Kameradschaft Apolda" sichergestellt, die der Glorifizierung des HITLER-Stellvertreters Rudolf HEß dienen sollten. 4.4.2 "Autonome Nationalisten" (AN) An rechtsextremistischen Demonstrationen in Thüringen nehmen immer häufiger auch Anhänger der AN teil. Darüber hinaus verbreiten sie ihre Verlautbarungen über Handzettel oder Beiträge im Internet. Entsprechende Aktivitäten sind im Berichtszeitraum vorrangig von den "Autonomen Nationalisten Südthüringen", AN-Anhängern aus dem Raum Apolda oder der zum Jahresende hin aufgelösten Gruppe "Autonome Nationalisten Erfurt" ausgegangen. Auch in Thüringen ist das Verhältnis zwischen den AN und der NPD angespannt, wollen die AN nicht unter Leugnung ihres Selbstverständnisses als bloßes Unterstützerpotential der Partei herhalten. Bei der NPD-Demonstration am 5. April in Weimar wurde dieser szeneinterne Konflikt deutlich. Dem Veranstalterwie Teilnehmerkreis gehörten Anhänger von NPD, "Freien Kräften" und "Autonomen Nationalisten" an. Die "Freien Kräfte" hatten bereits im Vorfeld die von der NPD aufgestellten und zudem im Auflagenbescheid verankerten Verhaltensund Bekleidungsregeln, insbesondere die Untersagung der von den AN praktizierten "typischen Verhaltensformen der militanten Antifa", offen abgelehnt. Um dies zu verdeutlichen, hackten sie die Internetseite des verantwortlichen NPD-Kreisverbands Weimar-Weimarer Land, entfernten deren Inhalte und stellten eine eigene Erklärung ein, in der es u. a. hieß: "[...] statt geschlossen im Sinne einer Volksfront auf die Straße zu gehen betreiben die Veranstalter der NPD eine Politik der Ausgrenzung gegenüber den Freien Kräften. Durch einen überzogenen Verhaltenskatalog und die explizite Ansage gegen Autonome Nationalisten vorzugehen, positioniert sich die NPD wieder einmal mehr als deutlich. [...] Ein einheitliches Auftreten in schwarzer Kleidung stellt für uns in erster Linie ein Selbstschutz dar und für Rechtsextremismus dieses Recht kämpfen wir, egal ob das einigen Parteibonzen passt oder nicht."36 36 Fehler im Original. 71 72 Am 21. Juni fand in Langewiesen eine von der zwischenzeitlich aufgelösten Kameradschaft "Freie Kräfte Südthüringen" (FKST) organisierte Demonstration unter dem Motto "Freie Jugend statt Gesinnungsdiktatur" mit ca. 120 Teilnehmern, darunter zahlreiRechtsextremismus che Anhänger der AN, statt. Im Verlauf der Veranstaltung wurden Parolen wie "BRD - der Judenstaat [...]" sowie "Gebt den Linken die Straße zurück - Stein für Stein" skandiert, die erst nach polizeilicher Belehrung unterblieben. Mit Plakaten bekannten sich die Aufzugsteilnehmer zum "Nationalen Sozialismus". Die NPD, insbesondere der stellvertretende Landesvorsitzende Patrick WIESCHKE, hatte sich bereits im Vorfeld von der Demonstration distanziert. Die Partei wolle in keiner Weise mit dem Verhalten der AN in Verbindung gebracht werden. Selbst innerhalb der AN war man geteilter Meinung. So veröffentlichte das Szeneportal "Altermedia" einen mit "Seid IHR jetzt vollkommen übergeschnappt???" überschriebenen Beitrag, in dem die Vorgehensweise der Demonstranten, vor allem die deutliche Anlehnung an das Gebaren der "linken Autonomen", heftig kritisiert wurde. 4.4.3 Sonstige Personenzusammenschlüsse Neben den aufgeführten Kameradschaften im engeren Sinne entfalten in Thüringen weitere lockere Personenzusammenschlüsse rechtsextremistische Aktivitäten. Sie haben teilweise nur eine Handvoll Mitglieder. Internetportal "Freies Netz" (FN) Im März 2007 wurde das FN, welches sich als Zusammenschluss parteiunabhängiger Aktionsgruppen aus dem Raum Mitteldeutschland beschreibt, eröffnet. Sein Schwerpunkt liege zum einen "in der vorgabenfreien Berichterstattung über Aktionen und Veranstaltungen sowie in der Verbreitung verschiedener Meinungen und Alternativen zum bestehenden System". Zum anderen sei es möglich, sich mit diesem Infoportal "ohne feste Struktur informell und logistisch bei der politischen und gesellschaftlichen Arbeit schneller zu unterstützen". Im Portal sind neben neonazistischen Aktionsgruppen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern auch Thüringer Gruppen eingetragen. Seit Juni 2007 gehören die "Nationalen Sozialisten Altenburger Land" als "FN Altenburg" dem Portal an. Im Dezember 2008 trat der "Nationale Widerstand Jena" (NW Jena) als "FN Jena" diesem "bewährten und vor allem gut organisierten Aktionsbündnis" bei. Die Existenz dieses Internetportals führte zu einer stärkeren Vernetzung des neonazistischen Spektrums in Mitteldeutschland. Demonstrative, teils spontane Aktionen konnten so mit einem geringen Mobilisierungsaufwand und gelegentlich konspirativ vorbereitet werden. "Aktionsbündnis Erfurt" Das "Aktionsbündnis Erfurt", welches sich in seiner Internetpräsenz als Plattform "Nationaler Sozialisten in Wort und Tat" vorstellt, "auf der (man) zusammenfinden, (sich) austauschen, organisieren und koordinieren" könne, präsentierte sich seit September wieder mit aktualisierten Beiträgen. Zeitgleich nahmen Angehörige des Aktionsbündnisses wieder an zahlreichen demonstrativen Aktionen, wie dem "3. Fest der Völker" am 13. September in Altenburg und den "Heldengedenkveranstaltungen" am 16. November in Erfurt Rechtsextremismus und Friedrichroda teil. Der bereits seit August 2006 aktiven Gruppierung lägen Eigenangaben zufolge weder Parteistrukturen noch "Verwaltungsapparate" zugrunde. Es setze sich aus mehreren Kameradschaften, Freundeskreisen und Einzelpersonen zusammen, die selbstständig bleiben, aber ihre Kräfte bündeln wollen. "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen' " Bei der "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'" handelt es sich um Thüringer Rechtsextremisten, die ein Gebäude im Stadtteil JenaLobeda nutzen. Der Liedermacher Maximilian LEMKE hatte im September 2002 mit den Eigentümern einen über zehn Jahre laufenden Pachtvertrag geschlossen, der den Erwerb des Objekts nach Fristablauf ermöglicht. Die Räumlichkeiten werden für Vortrags73 74 abende, Kameradschaftstreffen, Schulungen oder Liederabende genutzt. Zudem sind in dem Gebäude die Geschäftsstellen des örtlichen NPD-Kreisverbands und des Landesverbands der "Jungen Nationaldemokraten" beheimatet. Außerdem dient es dem rechtsRechtsextremismus extremistischen Videoprojekt "Media pro Patria" als Kontaktadresse. Seit November 2007 präsentiert sich die auch als "Braunes Haus" bekannte Einrichtung mit einer aktualisierten Internetseite, für die der NPD-Kreisvorsitzende Ralf WOHLLEBEN verantwortlich zeichnet. Darin wird sie als Anlaufstelle für organisierte und freie Nationalisten, als "Symbol des nationalen Aufbegehrens" beschrieben. Mit dem Aufruf "Nutze die Möglichkeit - Lausche der Erlebnisgeneration" hatte die "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'" am 26. Juli zu einer Vortragsveranstaltung eines ehemaligen Wehrmachtsangehörigen geladen. Vor ca. 50 Personen thematisierte der Referent die "Kriegsschuldfrage". Im Fazit der Veranstalter hieß es später, dass auch weiterhin "berechtigte Zweifel an der Geschichtsschreibung der Sieger bestehen". Unter dem Motto "Heimat oder ,One World' - Der Kampf um Deutschlands Freiheit im Spannungsfeld USrealischer Geopolitik" trafen sich am 29. November in dem Szeneobjekt zahlreiche Rechtsextremisten zu einem weiteren Vortragsabend. Beide Male schlossen sich Musikdarbietungen rechtsextremistischer Liedermacher an. Außerdem nutzen die NPD und ihre Jugendorganisation das Objekt als zentrale Schulungsstätte. So fand am 22. Februar eine Vortragsveranstaltung des "Nationalen Bildungskreises" (NBK) statt, am 14. Juni führte die NPD eine "Kommunalrechtsschulung" durch. Rechtsextremistische Jugendcliquen/Mischszene Neonazistische Aktivitäten gehen in Thüringen ebenfalls von Personenzusammenschlüssen und regional agierenden Aktivisten aus, die für Veranstaltungen jeweils ein bestimmtes Personenpotenzial aus ihrem Umfeld mobilisieren können. Im Internet, auf Transparenten und Flugblättern sowie als Unterstützergruppen für rechtsextremistische Aktivitäten erscheinen immer wieder Bezeichnungen wie "Projekt Feenwald", "Kameradschaft Braune Teufel Vogtland", "Division Ronneburg" bzw. "Widerstand Ronneburg", "Kamerad- schaft Leinefelde" und andere. Kameradschaften im engeren Sinne stellen diese Zusammenschlüsse nicht dar. Meist mangelt es ihnen an einem abgegrenzten Aktivistenstamm, einer erkennbaren Struktur oder an der Bereitschaft, gemeinsam politische Arbeit zu leisten - mithin an Merkmalen, die eine Kameradschaft kennzeichnen. Einige Gruppierungen sind mitunter - begünstigt durch das Internet - rein fiktiver Natur, andere lediglich von kurzer Dauer. Sie stehen und fallen mit dem Engagement und der Überzeugungskraft ihres jeweiligen Wortführers. 4.4.4 Zusammenarbeit mit der Thüringer NPD In Thüringen ist das Verhältnis zwischen dem Landesverband der NPD und den Neonazis seit Jahren vor allem durch Integration und Kooperation gekennzeichnet. Nahezu alle führenden Neonazis sind zwischenzeitlich der NPD beigetreten, ein Großteil derer nimmt dort Funktionen wahr. Alle Mitglieder des Landesvorstands und die meisten Kreisverbandsvorsitzenden entstammen ebenfalls dem neonazistischen Spektrum. Einige Kreisverbandsfunktionäre fungieren zugleich als Führungspersonen lokaler neonazistischer Gruppierungen. Thüringen zählt zu den Bundesländern, in denen die Einbeziehung von Neonazis in die NPD am weitesten fortgeschritten ist. Die Kooperation beider Spektren äußert sich insbesondere in der gemeinsamen Organisation von Veranstaltungen und Kampagnen. Teilnehmer, Redner und Ordner treten oftmals Rechtsextremismus auch auf Veranstaltungen des jeweils anderen Spektrums auf. Insgesamt ist es dem Thüringer Landesverband der NPD im Laufe eines längeren Prozesses gelungen, das neonazistische Spektrum weitgehend zu integrieren, wodurch dieses seine frühere Eigenständigkeit innerhalb des rechtsextremistischen Lagers eingebüßt hat. Wenngleich sich einzelne Neonazis dennoch neben der NPD zu behaupten suchen, unterstützen sie die Partei in der Regel auf Kreisund Landesverbandsebene. Der NPD-Bundesebene jedoch stehen sie zum Teil kritisch gegenüber und wollen jedwede Zuordnung zur Partei vermieden wissen. So äußerte sich Thomas GERLACH in einem von "FN Altenburg" veröffentlichten Interview zu seinem Verhältnis zur NPD. Demzufolge betrachtet GERLACH die NPD einerseits als reines Instrument, um die politischen Ziele der "Freien Nationalisten" umzusetzen, anderseits sieht er die Partei 75 76 als ein "Sammelbecken von sich teilweise gänzlich widersprechenden Flügeln und einigen Profilneurotikern". Für ihn als "Revolutionär" komme daher eine Zusammenarbeit nur mit Gliederungen wie dem Thüringer Landesverband oder dem Kreisverband Rechtsextremismus Altenburger Land in Betracht, mit Verbänden also, in denen er sich weltanschaulich wiederfinde. Alles in allem sei sein Engagement darauf orientiert, bei den kommenden Wahlkämpfen den eigenen politischen Zielen einen Schritt näher zu kommen.37 4.4.5 Vereinsaktivitäten von Neonazis Bundesweit bestehen zahlreiche rechtsextremistische Vereine, die unterschiedliche Ziele verfolgen und historische, politische oder gesellschaftliche Themen aufgreifen. Viele von ihnen werden in Vereinregistern geführt. Auch Thüringer Neonazis gehören derartigen Vereinen, beispielsweise der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) oder der "Heimattreuen Deutschen Jugend e.V." (HDJ), an. Die HNG stellt die mitgliederstärkste, neonazistische Organisation in Deutschland dar. Sie zählt etwa 600 Mitglieder, von denen etwa 20 in Thüringen ansässig sind. Ihre Hauptaufgabe sieht die HNG darin, "nationale Gefangene" während ihrer Inhaftierung zu betreuen, um ihre Szeneanbindung nicht abreißen zu lassen. Ein Großteil der HNG-Mitglieder gehört darüber hinaus weiteren rechtsextremistischen Organisationen an. Die HNG gibt die monatlich in einer Auflage von 700 Exemplaren erscheinende Publikation "Nachrichten der HNG" heraus. Darin soll anhand von Berichten über "Repressionen" gegenüber "nationalen Gefangenen" im Justizvollzug die angebliche politische Verfolgung in der Bundesrepublik Deutschland dokumentiert werden. Auf ihrer Internetseite stellt sich die HDJ als "aktive, volksund heimattreue Jugendbewegung für alle deutschen Mädel und Jungen im Alter von 7 bis 29 Jahren" dar. Die HDJ wurde 1990 im Zuge einer Abspaltung aus dem "Bund Heimattreuer Jugend e.V." gegründet. Untergliedert in "Bundesführung", "Leitstellen" und "Einheiten" verfügt sie über einen hierarchischen Aufbau. Der im Großraum Berlin ansässigen "Bundesführung" sind die vier Leitstellen 37 Zur Parlamentsfeindlichkeit der NPD siehe auch die Kapitel 3.1.1.2 und 3.1.1.3. "Nord", "West", "Mitte" und "Süd" untergeordnet. Die HDJ besitzt mit den als "Einheiten" bezeichneten Ortsgruppen regional sehr unterschiedlich ausgeprägte Strukturen. Mit der Veranstaltung von Freizeitlagern und gemeinsamen Ausflügen - an denen manchmal auch ganze Familien teilnehmen - verfolgt die HDJ die Zielsetzung, über zunächst unpolitisch erscheinende Aktivitäten Jugendliche und Kinder an nationalsozialistisches Gedankengut heranzuführen. Unter Vorspiegelung einer jugendpflegerischen Tätigkeit betreibt die HDJ somit eine gezielte Ideologisierung ihrer Mitglieder. Im Rahmen eines gegen die HDJ laufenden Ermittlungsverfahrens des Bundesministeriums des Innern (BMI) erfolgten am 9. Oktober bundesweit Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Wohnund Geschäftsräumen mutmaßlicher Angehöriger dieses rechtsextremistischen Vereins. Ziel der Maßnahmen war das Auffinden von Beweismitteln, die belegen, dass sich die Aktivitäten des Vereins in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten und seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderläuft. Von der Durchsuchungsmaßnahme waren bundesweit rund 100 Objekte bzw. Personen in 14 Bundesländern betroffen. In Thüringen erfolgten Durchsuchungen in je einem Objekt in Arnstadt, Eisenach, Rippershausen (Lkr. Schmalkalden-Meiningen) und Geraberg (Ilmkreis). Die Betroffenen stehen im Verdacht, am Aufbau einer HDJ-Einheit Thüringen mitgewirkt zu haben. Rechtsextremismus 4.4.6 Gewaltpotenzial der Neonaziszene Öffentliche Veranstaltungen der Neonazis verlaufen überwiegend störungsfrei, was sowohl auf die Auflagen der Ordnungsbehörden als auch die massive Polizeipräsenz zurückzuführen ist. Werden Straftaten begangen, handelt es sich vorwiegend um sog. Propagandadelikte38. Mitunter kommt es situationsbedingt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner aus dem linken und linksextremistischen Spektrum.39 So hatte es im März gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Anhängern des rechtsund linksextremistischen Spektrums ge38 Zum Beispiel Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen oder Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach SS 86 bzw. SS 86a Strafgesetzbuch (StGB). 39 Siehe hierzu Abschnitt "Linksextremismus", Kapitel 3.3. 77 78 geben. Neben Steinwürfen auf das "Braune Haus"40 in Jena, die zu Sachbeschädigungen am Objekt sowie an einem auf dem Hof abgestellten PKW führten, verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf den PKW des NPD-Kreisvorsitzenden Jena, Ralf Rechtsextremismus WOHLLEBEN. Auf einer von Linksextremisten genutzten Internetseite war nachzulesen, dass man sich "nach einem Faschoangriff auf die Gerber nicht (zu) wundern bräuchte, wenn das Auto vom Obernazi Ralf Wohlleben in Flammen aufgeht". Kurz vor dem Brandanschlag hatten etwa 20 Angehörige der rechtsextremistischen Szene aus Weimar und Apolda das von der autonomen Antifa genutzte "Soziokulturelle Zentrum" in Weimar mit Steinen und Flaschen beworfen, wodurch es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen beiden Lagern kam. Auslöser soll ein von zwei Bewohnern/Besuchern des Zentrums verübter Angriff auf einen Rechtsextremisten gewesen sein. Bereits am 23. Januar waren die Jenaer Rechtsextremisten Andre KAPKE und Ralf WOHLLEBEN nach dem Besuch einer Stadtratssitzung von unbekannten Jugendlichen mit Schlagstöcken und Reizgas angegriffen worden.41 In der Öffentlichkeit, in Zeitungen oder Flugblättern vermeiden es Neonazis in der Regel, Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele zu propagieren. Die öffentlichen Äußerungen können jedoch nicht über das Teilen der Szene immanente Gewaltpotenzial hinwegtäuschen. Zahlreiche Neonazis, nicht selten deren Führungspersonen, sind wegen der Begehung von Körperverletzungen vorbestraft. Auch szeneintern kommt es durchaus zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. 4.4.7 Aktivitäten und Themenschwerpunkte der Neonaziszene Das neonazistische Spektrum ist aktionistisch ausgerichtet. Die Anhängerschaft wirkt bereitwillig an Demonstrationen mit. Dabei nimmt sie mitunter eine weite Anreise auf sich, um Gleichgesinnte im gesamten Bundesgebiet zu unterstützen (sog. Demo-Tourismus). Das Motto der Veranstaltungen ist eher von nachrangiger Bedeutung. Demonstrationen vermitteln den Anhängern ein Ge40 Siehe hierzu "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'", Kapitel 4.4.3. 41 Ebenda. meinschaftsgefühl, das ein wichtiges Bindeglied in der ansonsten recht schwach strukturierten Neonaziszene darstellt. Das neonazistische Spektrum Thüringens führte im Berichtszeitraum zehn - im Vorjahr waren es sieben - eigene Demonstrationen und Kundgebungen durch, an denen sich zum Teil weniger als 50, aber auch bis zu 230 Personen beteiligten. Lokale Aktionsschwerpunkte bildeten die Städte Apolda und Altenburg sowie die Region Südthüringen. Zudem schlossen sich Neonazis sämtlichen von der NPD organisierten öffentlichen Veranstaltungen an. Aber auch weitere Szeneaktivitäten - gleich ob von der NPD oder den "Freien Nationalisten" ausgehend - zogen einen Großteil dieses Spektrums an. Darüber hinaus führten Neonazis Flugblattverteilaktionen und Saalveranstaltungen durch oder präsentierten sich über Internetauftritte. Im Altenburger Land veranstaltete die Neonaziszene am 2. Oktober einen "1. Nationalen Gesprächskreis" unter dem Motto "Selbstkritik ist Notwendig!". Mehr als 40 Personen seien zugegen gewesen. Der Referent Thomas WULFF42 habe "in aller Deutlichkeit von den gefährlichen Tendenzen einer Verbonzung und einer Verbürgerlichung, die das revolutionäre Ziel nicht nur aus dem Sichtfenster verbannen, sondern sogar gezielt und bewusst zu verhindern" versuchen, gesprochen. Dies dürfe in Thüringen nicht passieren, weshalb es alles daran zu setzen gelte, auch junge Revolutionäre als Kandidaten im kommenden Wahlkampf aufzustellen. Die VeranRechtsextremismus staltung setzte sich am 24. Oktober in Zwickau (Sachsen) mit dem "2. Nationalen Gesprächskreis" fort. Dort trat u. a. der Altenburger Neonazi Thomas GERLACH mit einem Beitrag über den "Netzwerkgedanken des 'Freien Netzes'" auf. Mit diesen Gesprächsrunden sollen die Aktivisten offensichtlich sensibilisiert werden, die NPD lediglich als parlamentarischen Arm einer revolutionären Bewegung zu begreifen, deren Ziel letztlich die Abschaffung des politischen Systems der Bundesrepublik ist. Das als Anpassung an die Parteien des demokratischen Spektrums empfundene Verhalten der NPD-Funktionäre laufe diesem Gedanken zuwider. Ebenso wie die NPD greifen Neonazis neben historischen Sachverhalten auch zunehmend Gegenwartsthemen auf, deuten sie 42 Bundesweit führender Neonazi aus Hamburg. 79 80 in ihrem Sinne um und versuchen, diese Ansichten der Bevölkerung nahe zu bringen. Dabei ist seit einigen Jahren eine deutliche Verschiebung - weg von einzelnen sozialen Themen hin zu einer grundsätzlicheren Thematisierung der Aspekte "Kapitalismus" und Rechtsextremismus "Globalisierung" - zu beobachten. Darüber hinaus bildeten im Berichtszeitraum "staatliche Repression" und "Meinungsfreiheit" Schwerpunkte der Agitation. Insbesondere in den in Thüringen von Rechtsextremisten herausgegebenen Regionalzeitungen43 war eine Fokussierung auf kommunale Belange festzustellen. Darstellungen, die das rassistische und ausländerfeindliche Gedankengut der Szene eindeutig zum Ausdruck bringen, sind hingegen in den Hintergrund getreten. Diese Strategie zielt darauf ab, Bevölkerungsschichten, die von tiefgreifenden Transformationsprozessen wie der Globalisierung betroffen sind oder dadurch künftig Nachteile befürchten, für neonazistische Ansichten einzunehmen. Neonazis und NPD sind bestrebt, in der Bevölkerung an Akzeptanz zu gewinnen und sich als politische Alternative zu den Volksparteien, aber auch zum "herrschenden System" insgesamt anzubieten. 4.4.8 Von Rechtsextremisten herausgegebene Regionalzeitungen Obwohl Thüringer Rechtsextremisten vor allem das Internet44 nutzen, um auf ihre Belange aufmerksam zu machen und Informationen zu streuen, werden zunehmend auch Regionalzeitungen verbreitet. Im Berichtszeitraum erschienen in Thüringen mindestens vier Publikationen, welche von Angehörigen des neonazistischen Spektrums, die zum Teil in der NPD organisiert sind, herausgegeben wurden. Die angeblich Auflagen von ca. 10.000 bis 20.000 Stück umfassenden Blätter sind von Szeneanhängern als Postwurfsendung oder auf Veranstaltungen verteilt worden. Sie konnten darüber hinaus aus dem Internet heruntergeladen werden. In den Beiträgen wird vorrangig Kritik an den etablierten Parteien geübt und der Eindruck geschürt, Rechtsextremisten machten sich für die Interessen und Probleme der "kleinen Leute" stark. Die Verfasser greifen schwerpunktmäßig Themen von lokaler und regi43 Siehe Kapitel 4.4.8. 44 Siehe Kapitel 4.4.9. onalpolitischer Bedeutung und zugleich hohem Reizund Identifikationswert auf, um abstrakt gegen "die Politik" zu polemisieren und im Sinne ihres vom Lagerdenken geprägten Weltbildes ("Wir, das Volk - Ihr, die Politiker") gegen politische Mandatsträger und Entscheidungsprozesse zu agitieren. Hinter der Themenwahl verbirgt sich das Anliegen der Rechtsextremisten, gezielt ein politisches Angebot an Unzufriedene zu lancieren. Plumpe Agitation und aggressive Propaganda werden weitestgehend unterlassen, um potenzielle Interessenten nicht abzuschrecken. Deshalb ist der rechtsextremistische Hintergrund der Regionalzeitungen in vielen Fällen nicht sofort erkennbar. Allzu deutliche Bezüge zur NPD wurden bislang in den Blättern vermieden. Dies könnte sich mit Blick auf die Kommunalbzw. Landtagswahlen 2009 ändern. Die NPD hatte bereits im vorigen Jahr angeregt, zum Erreichen ihrer politischen Zielsetzungen künftig noch stärker auf dieses Medium zu setzen. "Der Rennsteig Bote" Der auch über das Internet abrufbare "Rennsteig Bote" wurde erstmals 2005 festgestellt. Im Berichtszeitraum sind zwei weitere Ausgaben erschienen. Die Verantwortlichen geben an, ergänzend zu den "gleichgeschalteten Medien" über "aktuelle Geschehnisse im Landkreis Gotha informieren und unabhängige Informationen zu Rechtsextremismus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur" verbreiten zu wollen. Zudem wird auf lokale Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene verwiesen. Federführend sind der Neonazi und NPD-Funktionär Patrick WIESCHKE45 sowie Sebastian REICHE, Beisitzer im NPD-Landesverband Thüringen und Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Gotha. "Der Nordthüringen Bote" Anfang des Jahres wurde auf der Website des NPD-Kreisverbands Kyffhäuserkreis "Der Nordthüringen Bote" als "Nationales Zeitungsprojekt" des Verbands vorgestellt. Mit der Publikation soll 45 Siehe die Kapitel 3.1.2.1. und 3.1.2.3. 81 82 über Geschehnisse in den Landkreisen Nordhausen und Kyffhäuserkreis berichtet, aber auch zu Themen aus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur informiert werden. Eigenangaben zufolge erscheint das Blatt alle zwei Monate in einer Auflage von 20.000 Rechtsextremismus Stück. Bislang ist nur eine Ausgabe bekannt geworden, die in o. g. Landkreisen verteilt worden sein soll. Als Redakteure wurden u. a. die beiden jeweiligen NPD-Kreisvorsitzenden benannt. "Der Wartburgkreis Bote" Patrick WIESCHKE zeichnet ebenfalls für das "Unabhängige Mitteilungsblatt für Eisenach & Umgebung - Der Wartburgkreis Bote" verantwortlich, das zeitgleich mit der im Januar 2006 eröffneten Website erstmals herausgegeben wurde. Auch hier werden regionalpolitische Themen aufgegriffen. Die "Arbeitsgemeinschaft" strebe an, mit einer Politik, die ausschließlich auf "deutsche Interessen und Menschen" ausgerichtet ist, einen Gegenpol zur etablierten Kommunalpolitik zu bilden. "Der Wartburgkreis Bote" wird alle zwei bis drei Monate herausgegeben. Bislang sind dreizehn Ausgaben erschienen. "Blickpunkt - Vogtland & Altenburg" Seit 2006 erscheint die Publikation "Blickpunkt Vogtland", zum Jahresende 2007 wurde sie um die Region Altenburg erweitert. Die Schrift ist als "freie und unabhängige Informationsplattform für das Vogtland" im Internet abrufbar. "Blickpunkt - Vogtland & Altenburg" wird nach eigenen Angaben im Eigendruck vom "Medienverbund Vogtland" zweimonatlich herausgegeben. Als Kontaktanschrift dienen Postfachadressen in Greiz und Schmölln. In der Publikation sehen die Verantwortlichen "ein Mittel zur geistigen Persönlichkeitsentwicklung, zur Willensund Wesensbildung des gesamten Volkes", da unabhängige und von den Massenmedien verschwiegene Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Geschichte und Kultur verbreitet würden. Bislang sind acht Ausgaben erschienen. 4.4.9 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten Die rechtsextremistische Szene Thüringens ist im Internet umfassend vertreten. Vor allem die NPD und das neonazistische Spektrum nutzen diese Plattform zur Selbstdarstellung, als Agitationsund Propagandamedium, als Mobilisierungsinstrument sowie als Kommunikationsmittel. Darüber hinaus bedienen sich auch rechtsextremistische Vertriebe des Internets, um über Online-Shops Tonträger, Literatur, Kleidung und andere Szenedevotionalien zu vertreiben. Die Zahl der von Thüringer Rechtsextremisten betriebenen Websites liegt mit ca. 70 auf dem Vorjahresniveau, wobei regelmäßig neue Websites auftauchen und andere wieder verschwinden. Nur knapp die Hälfte der einschlägigen Internetpräsentationen wird mehr oder weniger regelmäßig aktualisiert. Der Personenkreis, der sich aktiv an der Gestaltung der Websites beteiligt bzw. in Diskussionsforen eigene Beiträge einstellt, ist relativ überschaubar. Zahlreiche Websites bieten ein umfangreiches Repertoire an Informationen, die oft einen klaren regionalen Bezug aufweisen. Andere wiederum werden lediglich anlassbezogen betrieben, beispielsweise um für Veranstaltungen zu mobilisieren und später Veranstaltungsberichte mit zahlreichen Fotos einzustellen. Der bereits im Vorjahr feststellbare Trend zur Nutzung von Videosequenzen, die für Veranstaltungen werben oder diese anschließend dokumentieren, meist aber der Selbstinszenierung dienen, setzte Rechtsextremismus sich im Berichtszeitraum fort. Die Sequenzen sind zumeist auf den großen Videoplattformen des Internets eingestellt und über Links mit rechtsextremistischen Seiten verbunden. Darüber hinaus haben zahlreiche Rechtsextremisten ihre "Visitenkarten" in OnlineCommunities hinterlassen. Im Zuge des "Mitmachinternets" gibt es auch zunehmend mehr rechtsextremistische Präsentationen, vornehmlich im Neonazibereich, welche die Möglichkeit zur Mitgestaltung oder Teilnahme an Diskussionsprozessen anbieten. So sind zahlreiche Homepages mit Diskussionsforen verknüpft oder ermöglichen es, Beiträge online zu kommentieren. Von den rechtsextremistischen Parteien in Thüringen präsentiert sich insbesondere die NPD im Internet. Nicht nur der NPD-Lan83 84 desverband, sondern auch der überwiegende Teil der Kreisverbände betreibt inzwischen eigene Websites. Neben der Benennung des Vorstands, Terminhinweisen zu Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene und einer Rubrik "Aktuelles" verweisen Rechtsextremismus externe Links auf weitere rechtsextremistische Websites oder zu "Lokalbzw. Kampagnenseiten" auch außerhalb der rechtsextremistischen Szene. Außer Beiträgen mit lokalem Bezug und zu eigenen Aktivitäten werden oft Artikel anderer Verbände übernommen. Der Meinungsaustausch im Diskussionsforum der NPD war zuletzt rückläufig. Annähernd ein Drittel der rechtsextremistischen Websites entfällt in Thüringen auf den Musikbereich und hier wiederum überwiegend auf Mailorder. Zu den bedeutendsten Vertrieben für rechtsextremistische Devotionalien zählen der "W & B Versand" in Fretterode, der auch für das monatlich aktualisierte Online-Magazin "WB Magazin" verantwortlich zeichnet, und der "Germania Versand" in Sondershausen. Neben weiteren Firmen präsentieren sich auch einzelne Szeneanhänger und rechtsextremistische Musikgruppen im Netz. Ein großer Teil der Websites ist dem neonazistischen Spektrum zuzurechnen. Hier präsentieren sich verschiedene Gruppierungen des selbst ernannten "Nationalen Widerstands", "Freie" oder "Autonome Nationalisten" mit teils recht umfangreichen Websites. Neben dem bereits erwähnten "Freien Netz Altenburg", sind der "Nationale Widerstand Jena" und die "Autonomen Nationalisten Südthüringen" besonders aktiv. Sonderbzw. Aktionsseiten werden eigens zu aktuellen Anlässen - wie dem "Thüringentag der nationalen Jugend" oder dem "Fest der Völker" - angelegt. Sie werden insbesondere im Vorfeld einer Veranstaltung stetig aktualisiert und später mit einem Veranstaltungsbericht abgeschlossen. In den redaktionellen Bereichen der Websites werden Strafgesetze nur selten verletzt. Über das Internet findet rechtsextremistisches Gedankengut mehr oder weniger ungehindert Verbreitung. Insbesondere auf Jugendliche wirken ansprechende Websites mit multimedialen Elementen (z. B. Spiele, Bilder, Musik und Videosequenzen), aber auch der Reiz des Verbotenen, anziehend. Zum Schutz vor rechtsextremistischer Propaganda bedarf es einer Medienkompetenz, de- ren Entwicklung gesamtgesellschaftlich gefördert werden muss. Exekutivmaßnahmen gegen Betreiber von Websites mit strafbarem Inhalt, Sperrung, Löschung oder Filtersoftware können nur einen Beitrag zum Schutz der Jugend vor Meinungsmanipulation leisten, der zwingend von umfassenden Aufklärungsmaßnahmen flankiert werden muss. 5. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten Die Anzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten ist im Berichtszeitraum bundesweit auf 9.500 (2007: 10.000) Personen gesunken. Zu dem Spektrum zählen sowohl Skinheads als auch Angehörige anderer rechtsextremistischer Subkulturen46. Von ihnen gehen zahlreiche rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten aus. Überproportional hoch ist das Personenpotenzial jener Szene in den neuen Bundesländern. Etwa 40 % aller gewaltbereiten deutschen Rechtsextremisten sind dort ansässig. Dem Bundestrend entsprechend ist auch in Thüringen das Anhängerpotenzial auf 470 (2007: 530) Personen zurückgegangen. Diese Entwicklung korrespondiert im Wesentlichen mit dem im JahresRechtsextremismus verlauf zu beobachtenden Trend hin zu kleineren, niedrigere Teilnehmerzahlen aufweisenden Veranstaltungen. Der wesentliche identitätsstiftende Faktor jugendlicher Subkulturen ist die Musik. Sie ist allgegenwärtig und besitzt als zentrales Kommunikationsmittel hohen Stellenwert. Dieser Umstand wird von Rechtsextremisten gezielt zur Verbreitung ihrer Ideologie genutzt. So gibt die rechtsextremistische Hatecore-Band "Moshpit" aus Altenburg an: "Unsere immer noch stärkste Propagandawaffe 'Musik' wollen wir mit Texten, welche sich nicht durch die üblichen Aussagen (Parolen) auszeichnen, einsetzen, um neue Leute 46 Unter Subkultur ist im soziologischen Sinne eine Gruppenkultur innerhalb einer umfassenden Kultur oder Gesellschaft zu verstehen, die eigene Verhaltensnormen entwickelt. Die Normen bilden sich aus Überzeugungen, Werthaltungen oder Ideologien heraus, die von der Gesamtkultur abweichen. Die Skinheadszene stellt eine eigenständige jugendliche Subkultur dar. 85 86 zu erreichen oder wenigstens ein paar zum Nachdenken zu bringen." Und weiter: "Der erste Schritt ist Musik zu fabrizieren, welche Leute, welche nicht aus unseren Reihen sind, anspricht, wenn sie sich dann mit den Texten befassen und den Weg auch im HerRechtsextremismus zen zu uns finden, hat die Musik das geschafft, weswegen sie von uns gemacht wird."47 Die Palette der verarbeiteten Musikstile (u. a. Rock, Heavy Metal, Gothic, Dark Wave, Black Metal, Hardcore, Schlager, Rockabilly, Volkslieder) ist breit. In rechtsextremistischen Liedtexten werden mit höchst unterschiedlicher Deutlichkeit rassistische, antisemitische, menschenverachtende oder gewaltverherrlichende Ansichten propagiert, staatliche Institutionen verunglimpft oder die nationalsozialistische Gewaltherrschaft glorifiziert. Dadurch werden Feindbilder aufgebaut und so die häufig noch ungefestigten ideologischen Einstellungen der meist jugendlichen Konsumenten geprägt. Von besonderer Bedeutung sind Konzertveranstaltungen einschlägiger Bands. Derartige Szenetreffs erzeugen bei den Besuchern ein Gefühl der Gemeinschaft und Stärke. Auch auf Jugendliche, die der Szene noch nicht fest angehören, sondern sich nur in deren Umfeld bewegen, üben die konspirativen, oft illegalen und damit nicht alltäglichen, Veranstaltungen eine besondere Anziehungskraft aus. 5.1 Botschaften rechtsextremistischer Musik Im subkulturell geprägten rechtsextremistischen Spektrum herrschen teilweise auf das Gedankengut der Nationalsozialisten ausgerichtete Ansichten vor, unter denen nationalistische, rassistische und antisemitische Vorurteile am stärksten vertreten sind. Eine fest gefügte Weltanschauung liegt zumeist nicht vor. Einschlägige Einstellungen kommen in der Verachtung von Ausländern, Juden, Andersdenkenden oder sog. Undeutschen, zu denen beispielsweise Obdachlose und Homosexuelle gezählt werden, zum Ausdruck. Analog dazu sind die Liedtexte gehalten, die zudem das eigene Selbstverständnis und Lebensgefühl verdeutlichen. 47 Abdruck eines Mitte 2008 geführten Interviews in "New Hate Zine". Viele Texte handeln vordergründig von der Rückbesinnung auf althergebrachte Werte und Normen oder dem germanischen Brauchtum. Es werden aber auch gesellschaftspolitische Themen der Gegenwart aufgegriffen. Neben der Ablehnung der bestehenden Verhältnisse übt man sich in Kapitalismusund Globalisierungskritik. In einigen aktuellen Veröffentlichungen kommt zudem die in der Szene verbreitete antiamerikanistische Haltung zum Ausdruck. So seien sämtliche derzeit herrschenden Krisen, Terror und Krieg einzig dem ausgeprägten Machtstreben der USA geschuldet. Teils in offener Hetze, oft aber auch verbrämt, geht es in den Texten beispielsweise um: * Verherrlichung des Skinheaddaseins (z. B. Männlichkeitsritus, Alkoholgenuss), * Kampfansage an die bürgerliche Gesellschaft, den politischen Gegner, staatliche Institutionen, * Verharmlosung der Gräueltaten im 2.Weltkrieg, Sympathie zu HITLER, * Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus, * Propagierung eines Führerstaates, * Aufbau und Pflege szenetypischer Feindbilder, * Fremdenund ausländerfeindliche Hetze, * Aufrufe zum Widerstand, vor allem gegen staatliche Institutionen und * Überwindung des demokratischen Systems. Rechtsextremismus Zur Verdeutlichung nachfolgend einzelne Textpassagen aus aktuellen Veröffentlichungen Thüringer Bands: "[...] Kinderschänder, Kinder quälen, das eigene Geld, das ist wichtig. Eure Sorgen, die sind nichtig. Refrain: Wir sind ein Teil von ihrer kranken Welt, wir sind die Marionetten, denn es geht ums Geld, sie haben uns so, wie es ihnen gefällt, wenn sie nicht fragen, sie nichts wissen von ihrer kranken Welt. [...]" (aus "Kranke Welt" von "System Infarkt") 87 88 "Ich habe gedient in der besten Armee, kämpfte für Deutschland von der Wolga bis an die Spree. Viele Kameraden habe ich sterben gesehen, wir waren bereit fürs Vaterland unterzugehen." Rechtsextremismus Refrain: "Der Krieg war verloren, der Untergang offiziell, Besatzer regieren Berlin, Deutschland wurde kriminell." (aus "Erinnerung" von "PAK 88") "[...] Hängt sie auf, die Volksverräter, an Laternen oder Baum. Es erwacht das Reich der Väter, bald aus einem bösen Traum. Jagt das Pack das einst sie holten raus aus jedem deutschen Gau. aus ihren Banken, Synagogen - raus, raus, raus! [...]" (aus "Hängt Sie auf" von "SKD"). 5.2 Wirkung rechtsextremistischer Musik Alle Auszweigungen der subkulturellen rechtsextremistischen Szene versprechen Jugendlichen gruppendynamische Erlebnisse und Gefühle von Anerkennung, Gemeinschaft, Kameradschaft und Stärke. Rechtsextremistische Musik und Konzerte bilden deshalb wichtige Elemente, um die Szene zusammenzuhalten oder für sie zu werben. Das Gemeinschaftsgefühl, das Konzerte stiften, und die aggressiven Rhythmen der Musik regen rechtsextremistisch "anpolitisierte" Jugendliche oftmals an, sich in die rechtsextremistische Szene zu integrieren oder in ihr zu verbleiben. Die Musik drückt ihre Aggressionen, Ängste und Wünsche aus. Mit den Texten werden die ideologischen Botschaften transportiert, für welche die Szene empfänglich ist. Ian Stuart DONALDSON, der die "Blood & Honour"-Bewegung48 in England gründete, äußerte in diesem Zusammenhang: "Eine Gruppe zu hören, die man gut findet, macht viel mehr Spaß als eine politische Versammlung." 48 Siehe Fn. 51. Häufig sind Titel, die auf den Konzerten vorgetragen werden, extremer als jene der CD-Version. Mit aggressiven, menschenfeindlichen Formulierungen versuchen die Bands, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Die dadurch angestachelten "Hitler-Grüße" oder Wechselgesänge zwischen Band und Publikum steigern das aufputschende Erlebnis solcher Konzerte. Die Vorliebe für rechtsextremistische Musik trug nicht selten dazu bei, Jugendliche rechtsextremistisch zu sozialisieren. Die Hassund Gewaltparolen, die Gruppendynamik und die Alkoholexzesse erzeugen "rechtsextremistische Erlebniswelten". Sie können jugendliche Fans nachhaltig anregen, rechtsextremistische Feindbilder zu übernehmen oder diese zu verfestigen. Somit kann rechtsextremistische Musik in einem starken Maße dazu beitragen, verhaltensprägend zu wirken und für das rechtsextremistische Spektrum einzunehmen. 5.3 Outfits in der rechtsextremistischen Musikszene Der Anteil rechtsextremistischer Skinheads ist im Verhältnis zu anderen rechtsextremistischen jugendlichen Subkulturen seit Jahren rückläufig, da sich die rechtsextremistische Musikszene differenziert. Sie geht inzwischen weit über die Subkultur der Skinheads hinaus und reicht zunehmend auch in die von Rechtsextremisten Rechtsextremismus 89 90 besetzten Randbereiche der "Hardcore"und "Black Metal"-Szene hinein. Die einzelnen Subkulturen weisen durchaus Ähnlichkeiten auf, sei es im Hinblick auf die Wirkung ihrer Musik, die Verbreitung ihrer CDs oder die Organisation von Konzerten, auch wenn weite Rechtsextremismus Teile hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes und Selbstverständnisses miteinander nur noch wenig gemein haben. Das früher häufig anzutreffende Skinheadoutfit, das von kahlrasierten Köpfen ("Glatzen"), Springerstiefeln (oft auch schweren, manchmal mit Stahlkappen versehenen Arbeitsschuhen) und Bomberjacken gekennzeichnet war, ist heute eher selten anzutreffen. Mittlerweile lassen Äußerlichkeiten wie Kleidung oder Haarschnitt keine eindeutigen Schlüsse mehr auf das subkulturelle rechtsextremistische Spektrum zu. Zum einen haben auch unpolitische Jugendliche ein für Skinheads vermeintlich typisches Äußeres angenommen. Zum anderen tragen viele subkulturell geprägte Rechtsextremisten oft längere Haare sowie nordisch-germanischen Schmuck. In weiten Teilen haben Rechtsextremisten in ihrem äußeren Erscheinungsbild Stilelemente des jugendlichen Mainstreams übernommen. 5.4 Kontakte zu rechtsextremistischen Gruppierungen Subkulturell geprägte Rechtsextremisten sind überwiegend abgeneigt, sich in feste und auf Dauer angelegte Organisationsstrukturen einzugliedern. Deshalb bestehen auch kaum institutionalisierte Kontakte zu rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen. Es gibt jedoch Kontakte auf regionaler und lokaler Ebene, die sich insbesondere auf die NPD erstrecken und vor allem von persönlichen Verbindungen abhängen. Anderen rechtsextremistischen Parteien stehen subkulturell geprägte Rechtsextremisten mit starken Vorbehalten gegenüber. Im Laufe der letzten Jahre bewegten sich das subkulturell geprägte und das neonazistische Spektrum immer stärker aufeinander zu. Es bildeten sich in größerem Umfang sog. Mischszenen heraus oder Skinheadcliquen und neonazistische Kameradschaften verschmol- zen miteinander. Die Gründe hierfür liegen in den offeneren Strukturen der Neonazis, die oftmals in "unabhängigen Kameradschaften" agieren und somit der Organisationsunwilligkeit vieler subkulturell geprägter Rechtsextremisten entgegenkommen. In den letzten Jahren ist es sowohl der NPD als auch den Neonazis regelmäßig gelungen, subkulturell geprägte Rechtsextremisten für Versammlungen zu mobilisieren, die neben der üblichen Szenepropaganda auch rechtsextremistische Musikdarbietungen umfassten. Mehrere von der NPD Thüringen im Berichtsjahr organisierte Großveranstaltungen fanden nicht zuletzt wegen dieser Programmaufteilung einen starken Zulauf.49 Darüber hinaus wurden einzelne rechtsextremistische Musikveranstaltungen als Parteiversammlungen deklariert, um so behördlichen Maßnahmen entgegenzuwirken. Bei diesen Veranstaltungen traten oft mehrere rechtsextremistische Bands auf. Das Publikum entstammte zu einem großen Teil dem subkulturellen rechtsextremistischen Spektrum. Innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene findet eine internationale Kooperation statt, die auf der gemeinsam empfundenen Zugehörigkeit zur "White-Power"-Bewegung50 und weitgehend übereinstimmenden Feindbildern basiert. Einschlägige Bands aus dem Ausland - insbesondere aus Großbritannien und den USA - und deren CDs sind auch bei deutschen Rechtsextremisten beliebt. Entsprechende Gruppen treten regelmäßig bei Konzerten in Deutschland - so auch in Thüringen - auf. Im Gegenzug beteiligen Rechtsextremismus sich deutsche Bands an Veranstaltungen im Ausland. So traten 2008 auch Thüringer Bands bei Konzerten auf, die von ausländischen Sektionen der "Hammerskins" und der "Blood & Honour"-Bewegung organisiert worden waren.51 Zum Teil werden auch Tonträger speziell für den englischsprachigen Markt produziert. Volksverhetzende fremdsprachige Tonträger finden in Deutschland weiterhin eine starke Verbreitung. Dementsprechend ist der Einfluss rechtsextremistischer Musik aus dem Ausland - trotz möglicher Sprachbarrieren - hoch. 49 Siehe hierzu Kapitel 3.1.2.10. 50 Das Schlagwort "White Power" symbolisiert die rassistische Einstellung der rechtsextremistischen Skinheads. Sie sehen sich als Krieger der "weißen Rasse" an. 51 Obwohl die Skinheadszene tendenziell organisationsfeindlich eingestellt ist, bestehen einige Bewegungen, die sich meist als Eliteorganisationen verstehen. Hierzu zählen beispielsweise die "Hammerskins" sowie die in Deutschland verbotene Bewegung "Blood & Honour" ("B & H"). Beide Organisationen haben einen politisch-weltanschaulichen Anspruch und agieren international. 91 92 5.5 Die rechtsextremistische Musikszene in Thüringen Rechtsextremismus Folgende 14 Bands (2007: 14), die im Berichtsjahr entweder bei einschlägigen Veranstaltungen auftraten oder auch neue Tonträger veröffentlichten, werden als rechtsextremistische Musikgruppen klassifiziert: * "Brainwash" - Altenburg/Dresden, * "Celtic Dawn" - Heldrungen, * "Ehre & Stolz" - Suhl, * "Eternal Bleeding" - Altenburg, * "Eugenik" - Gera, * "Moshpit" - Altenburg/Dresden, * "PAK 88" - Erfurt, * "Rabenschrei" - Sondershausen, * "Rabiat" - Gera, * "Radikahl" (nur noch Sänger) - Weimar, * "SKD" ("Sonderkommando Dirlewanger"52) - Gotha, * "System Infarkt" - Ilmkreis, * "Unbeliebte Jungs" - Sonneberg, * "Wolfssang" - Sondershausen. Darüber hinaus liegen bei weiteren Thüringer Bands Anhaltspunkte für eine etwaige rechtsextremistische Ausrichtung vor. Trotz einer starken Fluktuation innerhalb der Szene hat es rein quantitativ kaum Veränderungen gegeben. Wenngleich Bands mitunter nur kurze Zeit bestehen, sich nach einer Veröffentlichung und einigen Auftritten wieder trennen, anders formieren oder in neuen Projekten aufgehen, halten sich Auflösungen und Neugründungen in etwa die Waage. Einzig die Bands "Radikahl" und "Eugenik" weisen eine mehr als zehnjährige Bandgeschichte auf. Ihre Botschaften unterlegen die Bands mit unterschiedlichen musikalischen Stilrichtungen, angefangen vom typischen "R.A.C."53 52 Die sich aus Straftätern rekrutierende "Sondereinheit Dirlewanger" der SS zeichnete sich durch besondere Brutalität aus. Sie war aktiv an der Niederschlagung des "Warschauer Aufstands" und an Vergeltungsaktionen auf Aktivitäten russischer Partisanen im 2. Weltkrieg beteiligt. 53 "R.A.C.": "Rock against Communism" (Rock gegen Kommunismus), Rockmusik mit rechtsextremistischen Texten. oder eingängigen Melodien bereits bekannter Stimmungslieder und Schlager, für die neue bzw. umgeschriebene Texte verwandt werden, bis hin zu diversen Heavy Metal-Richtungen, die dann als "National Socalist Hardcore" (NSHC) oder "National Socialist Black Metal" (NSBM) bezeichnet werden. Mit diversen Auftritten außerhalb Thüringens erlangten die rechtsextremistischen Bands "Eugenik", "SKD", "System Infarkt", "Eternal Bleeding" und "Radikahl" überregionale Bedeutung. Andere traten ausschließlich in den angrenzenden Bundesländern auf, einige absolvierten auch Auftritte im Ausland. Einzelne Musiker wirken in mehreren Bands mit oder stammen, wie bei "MoshRechtsextremismus pit" und "Brainwash", aus verschiedenen Bundesländern. Mitunter schließen sich Mitglieder verschiedener Bands vorübergehend zu Projekten zusammen und absolvieren Live-Auftritte oder spielen eigene Tonträger ein. Bei Konzerten oder Studioaufnahmen werden fehlende Positionen der Stammbesetzung oft durch Musiker anderer Bands kompensiert. Im Jahr 2008 traten die rechtsextremistischen Bands "System Infarkt", "Brainwash" und "Eternal Bleeding" am häufigsten in Erscheinung. Die Aktivitäten von "SKD" waren nach einer mehrmonatigen Inhaftierung des Band93 94 Leaders ab Mitte 2007 rückläufig. Interne Zerwürfnisse um die Vermarktung von Tonträgern führten zur Auflösung Rechtsextremismus der Band, wobei es 2008 quasi postum Veröffentlichungen älterer Stücke gegeben hatte. So enthält der im April erschienene Sampler "Blood & Honour - Voices of Solidarity Vol. 2" frühere Titel von "SKD". Dennoch war eine Wiederbelebung der Band im Berichtsjahr nicht zu verzeichnen. Darüber hinaus erschienen die CDs "Kämpft mit uns" und "Schlachtenruf" von den Bands "Unbeliebte Jungs" bzw. "Eugenik". Neben den vorgenannten Bands betätigten sich in 2008 fünf rechtsextremistische Liedermacher im Freistaat. Darunter "Barny", vormals Mitglied einer Skinheadband, und der auch außerhalb Thüringens bekannte "Torstein". Bei einem Liedermacherduo liegen Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Ausrichtung vor. Die Darbietungen rechtsextremistischer Liedermacher wenden sich an einen über die subkulturelle Szene hinausgehenden Personenkreis. Meist bestreiten sie das musikalische Rahmenprogramm von Kameradschaftsabenden, NPD-Parteiveranstaltungen oder auch Demonstrationen. Insgesamt agieren sie weniger öffentlichkeitswirksam als einschlägige Bands. 5.6 Organisation und Ablauf rechtsextremistischer Konzerte im Allgemeinen Die oft als überregionale Treffen organisierten Konzerte dienen neben der Wahrnehmung geschäftlicher Interessen als Freizeiterlebnis, um Kontakte zu pflegen, Informationen auszutauschen und die Vernetzung der strukturschwachen Szene zu fördern. Sie vermitteln den Teilnehmern ein Gemeinschaftsgefühl. Auf das restriktive Vorgehen der Behörden gegen diese Musikveranstaltungen reagiert die Szene mit teils konspirativen Methoden bei deren Planung und Durchführung. Die Konzertdaten werden meist nicht öffentlich bekannt gegeben. Werbung erfolgt vorwiegend per SMS, über Telefonketten, Mailinglisten, per Post sowie durch Mundpropaganda. Von einem Vorabtreffpunkt aus werden die Teilnehmer zum eigentlichen Veranstaltungsort weitergeleitet. Mitunter wird der Polizeifunk mit Scannern abgehört, um gegebenenfalls kurzfristig auf Einsätze der Polizei reagieren zu können. Vor Beginn der Konzerte führen die Initiatoren gelegentlich Leibesvisitationen durch und fordern die Teilnehmer auf, ihre Handys abzugeben. Die Organisatoren bemühen sich, ihre wahren Absichten zu verbergen, wenn sie Räumlichkeiten mieten und die Veranstaltungen gegenüber den Ordnungsbehörden anzeigen. So täuschen sie beispielsweise vor, Familienfeiern, Klassentreffen oder Geburtstagsfeiern mit Livemusik vorzubereiten. Nicht selten werden Personen mit der Anmietung betraut, die weder öffentlich als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten, noch bei Polizeiund Ordnungsbehörden einschlägig bekannt sind. Bevorzugt werden Gaststätten, alte Industriegelände oder Räumlichkeiten genutzt, über die Sympathisanten der Szene verfügen. Für den Fall, dass ein an einem anderen Ort geplantes Konzert verhindert oder aufgelöst wurde, stehen sie zudem kurzfristig als Ausweichobjekt zur Verfügung. In den Sommermonaten finden Konzerte auch auf Waldlichtungen, Rechtsextremismus Wiesen oder anderen Orten im Freien statt. Oft erklären die Organisatoren auch, eine "geschlossene Veranstaltung" mit "geladenen Gästen", nicht jedoch ein Konzert zu planen. Hinzu kommen von der NPD angemeldete Veranstaltungen, die durch Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen Konzertcharakter erlangen. Für die Konzerte wird von den Veranstaltern in der Regel ein Eintrittsgeld zwischen 5 und 20 Euro erhoben. Die Höhe hängt u. a. davon ab, welche Bands auftreten oder aus welchem Anlass die Veranstaltung stattfindet (z. B. "Benefiz-Konzerte für inhaftierte Kameraden"). Oftmals sind im Eintritt Freigetränke enthalten. Von einem Teil der eingenommenen Gelder werden die Gagen der auftretenden Bands gezahlt. Handelt es sich um bekanntere Bands, können diese durchaus im hohen dreistelligen Bereich liegen. Der dem Veranstalter verbleibende Anteil ist nur schwer zu beziffern. 95 96 In vielen Fällen dürfte er zumindest seinen Lebensunterhalt aufbessern. Nicht unerhebliche Einnahmen werden darüber hinaus durch den Verkauf von CDs und Devotionalien erzielt. Rechtsextremismus Mitunter begehen Besucher und/oder Mitglieder der auftretenden Bands während oder im Umfeld der Konzerte Straftaten, bei denen es sich vorrangig um Propagandadelikte handelt. Vereinzelt werden im Verlauf der Konzerte Lieder mit fremdenfeindlichen und antisemitischen Texten gesungen, die den Tatbestand der Volksverhetzung nach SS 130 StGB erfüllen. Insbesondere bei Konzerten, die von der Polizei aufgelöst oder verhindert werden, kommt es infolge des erhöhten "Frustpotenzials" von Teilnehmern und Organisatoren gelegentlich zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. 5.7 Rechtsextremistische Konzerte in Thüringen Die Zahl der rechtsextremistischen Konzerte in Thüringen lag im Jahr 2008 auf Vorjahresniveau. Von insgesamt acht stattgefundenen Konzerten wurden zwei durch die Polizei aufgelöst. Darüber hinaus mag es einzelne Veranstaltungen gegeben haben, die weder innernoch außerhalb der Szene größere Bekanntheit erlangten. Statistik rechtsextremistischer Konzerte in Thüringen: Freistaat Thüringen Bund Jahr 2006 2007 2008 2008 stattgefunden 12 8 8 127 davon aufgelöst 6 6 2 18 verhindert 6 2 0 16 Nachdem im Jahresverlauf Szeneobjekte, die zuvor mehrfach für Konzertveranstaltungen genutzt worden waren, geschlossen wurden bzw. für die rechtsextremistische Szene nicht mehr als Veranstaltungsort zur Verfügung standen, sank die Zahl rechtsextremistischer Konzerte im Freistaat in der zweiten Hälfte des Berichtszeitraums deutlich. Rund zwei Drittel aller rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen in Deutschland fand in den neuen Bundesländern statt. Hinsichtlich der Anzahl durchgeführter Konzerte rangiert Thüringen im Vergleich der neuen Bundesländer auf Platz vier, im Bundesvergleich im Mittelfeld. Rechtsextremistische Musik und damit verbundene Veranstaltungen sind insbesondere in den neuen Bundesländern populär. Speziell Thüringen weist aufgrund seiner zentralen geografischen Lage sowie des großen Angebots an preisgünstigen oder leerstehenden Gebäuden eine Infrastruktur auf, die sowohl für die Veranstalter der Konzerte als auch die anreisenden Teilnehmer von Vorteil ist. Die Konzerte fanden sowohl in Gaststätten als auch auf Privatgrundstücken statt. Ein Großteil wurde in sog. Szeneobjekten - ehemaligen Gaststätten, Fabrikhallen oder Baracken, die über einen längeren Zeitraum von Rechtsextremisten für ihre Aktivitäten genutzt werden - veranstaltet. Diese Gebäude dienen auch als Proberäume für Bands, als Versammlungsräume und Freizeittreffs. An den Veranstaltungen beteiligten sich jeweils zwischen 50 und 150 Personen, die oft auch aus den angrenzenden Bundesländern angereist waren. Wurden die Konzerte im Vorjahr im Durchschnitt von etwa 105 Personen besucht, sank dieser Wert im Berichtszeitraum auf etwa 95 Besucher und damit erheblich unter den bundesweiten Durchschnitt von 150 Personen ab. Der sich bereits 2007 abzeichnende Trend hin zu kleineren Konzerten hat sich inzwischen sowohl Rechtsextremismus in Thüringen als auch im übrigen Bundesgebiet bestätigt. Gut die Hälfte aller Veranstaltungen zog bis zu 100 Personen an. Konzerte mit 300 und mehr Teilnehmern bildeten die Ausnahme. In Anbetracht eines bei einer Großveranstaltung drohenden Verbotes und der damit verbundenen finanziellen Einbußen gingen die Veranstalter dazu über, mehrere kleine Konzerte auszurichten. Die Anzahl männlicher Besucher überwog, der Frauenanteil lag bei durchschnittlich 25 %. Wegen der starken Anziehungskraft, die rechtsextremistische Musik auf einen Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen ausübt, wird die Szene auch künftig bestrebt sein, dieses Personenpotenzial über rechtsextremistische Konzerte an sich zu binden. Allerdings dürfte sich die Entwicklung fortsetzen, kleinere, konspirativ organisierte Konzerte zu veranstalten. Ebenso dürfte sich das Spektrum der rechtsextremistischen Musikstile weiter auffächern. 97 98 Übersicht zu rechtsextremistischen Konzertaktivitäten:54 Nr. Datum Ort Teilneh(angekündigte) Bands Rechtsextremismus merzahl 1 02.02.08 Südthüringen 50-100 Burning Hate" (Bayern), "Civil Disorder" (Sachsen-Anhalt), "Eternal Bleeding" und "Diary of a dying nation" 2 23.02.08 Neustadt/Orla 100 "Kill Baby Kill" (Belgien) und "Short Cropped" (Belgien) 3 15.03.08 Neustadt/Orla 150 "Endstufe" (Bremen) u. a. 4 15.03.08 Gräfenroda 50 verm. "PAK 88" 5 31.05.08 Wolfsberg 80 "System Infarkt", "UnOT Gräfinaudergrundwehr" (Bayern) Angstedt und verm. "PAK 88" 6 21.06.08 Zella-Mehlis 100 mehrere rechtsextremistische Bands 7 26.07.08 Zella-Mehlis 150 "Eternal Bleeding", (aufgelöst) "2 Minutes Warning" (Sachsen-Anhalt), "Racial Purity" (Sachsen) und "Fight Tonight" (SachsenAnhalt) 8 23.08.08 Hildburg60 "System Infarkt" u. a. hausen OT Pfersdorf (aufgelöst) 54 Thüringer Bands wurden fett gedruckt. Rechtsextremistische Bands traten in Thüringen zudem auch bei den folgenden Veranstaltungen der NPD und der Neonazis auf:55 Nr. Datum Art und Ort TeilnehBands merzahl 1 17.05.08 Demons180 "Glorial Honours" tration "7. (Thüringen/SachsenThüringentag Anhalt), "Revolution" der nationa(Sachsen-Anhalt), "Fight len Jugend" Tonight" (Sachsenin SondersAnhalt) und "Extressiv" hausen (Nordrhein-Westfalen) 2 19.07.08 NPD-Veran750 "Breakdown" (Rheinstaltung "Rock land-Pfalz), "Eugenik", für Deutsch"Hauptkampflinie" land" in Gera (Hessen), "Jungsturm" (Saarland) und "White Resistance" (Sachsen) 3 02.08.08 NPD-Veran160 "White Rebel Boys" staltung (Bayern) und "Aryan "Stimmen für Hope" (Sachsen) die Freiheit" in Greiz 4 13.09.08 NPD-Veran1.200 "White Law" (GroßRechtsextremismus staltung "3. britannien), "Strappo" Fest der Völ(Italien), "Brainwash"/ ker - Für ein "Moshpit" und "Sleipnir" Europa der (Nordrhein-Westfalen) Vaterländer" in Altenburg 55 Thüringer Bands wurden fett gedruckt. Darüber hinaus gab es weitere sonstige musikalische Veranstaltungen mit Auftritten ausschließlich von Liedermachern. 99 100 5.8 Produktionsund Vertriebsstrukturen Rechtsextremistische Musik wird größtenteils in von Szeneanhängern gewerbsmäßig betriebenen Labels produziert. Für gewöhnRechtsextremismus lich sind diesen Labels Vertriebe angeschlossen. Im Freistaat bestehen derartige Strukturen über "W & B Records"56 (Fretterode) und "Germania Records" (Sondershausen). Beide Labels brachten in der Vergangenheit verschiedene "Eigenproduktionen" oder auch Sampler von rechtsextremistischen Bands bzw. Liedermachern heraus. Über die zugehörigen Vertriebe werden diese und andere einschlägige Tonträger angeboten. Sie dienen zudem als Informationsbörse, halten z. B. Veranstaltungshinweise vor oder veröffentlichen Interviews von Szenemusikern. Im Zuge der Kommerzialisierung dieser Einrichtungen wurde das anfangs auf Tonträger konzentrierte Angebot inzwischen um Videos, Bekleidung, Schuhe/Stiefel, Fahnen, Schmuck, Bücher etc. ergänzt. Das Sortiment ist auch in sog. Szene-Läden sowie bei Kleinund Kleinsthändlern erhältlich. Versandhandel Die Zahl der rechtsextremistischen Vertriebe, die in größerem Umfang Tonträger und sonstige Szeneartikel anbieten, ist im Berichtszeitraum leicht auf bundesweit 75 (2007: 82) gesunken, in Thüringen bewegt sie sich weiterhin im einstelligen Bereich. Die Versandhandel offerieren ihr Sortiment vorwiegend über das Internet. MP3-Dateien können von Internettauschbörsen heruntergeladen werden. Strafrechtlich relevante Tonträger werden vor allem im Ausland produziert und von dort aus auch vertrieben. Szene-Läden Szene-Läden stellen einen Anlaufpunkt für Rechtsextremisten, insbesondere für Skinheads, dar. Die Produktpalette ist in der Regel nicht über das Internet abrufbar, ebenso wenig bestehen Möglichkeiten, selbst Tonträger herzustellen. 56 Betrieben von dem NPD-Funktionär und Neonazi Thorsten HEISE. Kleinund Kleinsthändler Kleinund Kleinsthändler wickeln als "fliegende Händler", beispielsweise bei rechtsextremistischen Konzerten, spontan Geschäfte mit kleinen Stückzahlen ab. Sie bedienen lediglich die jeweilige regionale rechtsextremistische Szene - auch mit strafrechtlich relevanter Ware. Von den beschriebenen Vertriebswegen abgesehen werden Szeneartikel auch privat, bei Kameradschaftstreffen oder sonstigen rechtsextremistischen Veranstaltungen veräußert. Mit dieser Dezentralisierung reagiert die Szene offenbar auf die Exekutivmaßnahmen der vergangenen Jahre, als strafrechtlich relevante oder indizierte Produkte sichergestellt werden konnten. 6. Sonstige Gruppierungen In Thüringen traten im Berichtszeitraum wiederholt überregional aktive rechtsextremistische Gruppierungen in Erscheinung, die den Freistaat wegen seiner zentralen Lage für ihre Tagungen bevorzugen. Die Veranstaltungsteilnehmer reisten überwiegend aus anderen Bundesländern an. Das Spektrum der im Folgenden dargestellten Gruppierungen reicht vom germanisch-heidnischen über den neonazistischen bis hin zum "intellektuellen" Rechtsextremismus. Rechtsextremismus "Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." (Artgemeinschaft) Die 1951 gegründete germanisch-heidnische "Artgemeinschaft" hat ihren Sitz in Berlin, entfaltet ihre Aktivitäten jedoch von Hamburg aus. Vorsitzender ist der dort ansässige Rechtsanwalt Jürgen RIEGER. Die "Artgemeinschaft" versteht sich als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart bewahren, erneuern und weiterentwickeln" will und verbindet dabei germanisch-heidnische Glaubensansätze mit rassistischen Vorstellungen und Zielen. Von ihren bundesweit ca. 150 Mitgliedern leben etwa 10 in Thüringen. Die "Artgemeinschaft" gibt die "Nordische Zeitung" sowie eine Schriftenreihe heraus und verfügt über eine eigene Website. 101 102 Ihre regelmäßigen überregionalen "Gemeinschaftstagungen" zu den Tagund Nachtgleichen sowie den Sommerbzw. Wintersonnenwenden führte die "Artgemeinschaft" 2008 erneut in Nordthüringen durch. Die in geschlossenen Veranstaltungen abgehaltenen Rechtsextremismus Zusammenkünfte kommen Volksfesten oder geselligen Familienveranstaltungen gleich. Unter Vorgabe germanischer Brauchtumspflege wird eine "Lagerfeuerromantik" inszeniert, die das Interesse insbesondere junger Teilnehmer an dem eindeutig rechtsextremistischen Regelwerk der "Artgemeinschaft" wecken soll. Die "Sittengesetze" der "Artgemeinschaft" geben vor, sich u. a. für die "Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art" einzusetzen, "dem besseren Führer" Gefolgschaft zu leisten und eine "gleichgeartete Gattenwahl (als) Gewähr für gleichgeartete Kinder" anzustreben. "Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) - Der Bismarck Deutsche" Die neonazistische DDF verbreitet nationalistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Ihre Aktivitäten beschränken sich nahezu ausschließlich darauf, die von rechtsextremistischen Autoren bestückte Zweimonatsschrift "Recht und Wahrheit" herauszugeben und zweimal jährlich die als "Tage Deutscher Gemeinschaft" bezeichneten Lesertreffen zu organisieren. Diese stehen jeweils in der Verantwortung des ehemaligen Vorsitzenden der NPD, Günter DECKERT, und werden seit 1997 in Nordthüringen durchgeführt. Zu den diesjährigen Tagungen vom 30. Mai bis 1. Juni bzw. 10. bis 12. Oktober fanden sich jeweils bis zu 100 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet ein. Auf die Anhänger der rechtsextremistischen Szene Thüringens üben die "Lesertreffen" nur geringe Anziehungskraft aus. "Collegium Humanum e.V." (CH) Das 1963 gegründete CH und seine Teilorganisation "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten" (VRBHV) sind mit Verfügung des Bundesinnenministers vom 18. April verboten worden.57 Das CH diente dem rechtsextremis57 Das Verbot erstreckt sich auch auf die weitere Teilorganisation "Bauernhilfe e.V". tischen Spektrum jahrzehntelang als Bildungsstätte. Die Vorsitzende Ursula HAVERBECK-WETZEL arbeitete eng mit dem im VRBHV aktiven Rechtsextremisten Horst MAHLER zusammen. In der Zweimonatsschrift des CH "Lebensschutz-Informationen (LSI) - Stimme des Gewissens" (vormals WSL-D)58 wurden regelmäßig holocaustleugnende Äußerungen veröffentlicht. CH und VRBHV waren Sammelbecken organisierter Holocaustleugner, ihre Vereinstätigkeit bestand aus antisemitischer Propaganda und der Verherrlichung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Die letzte Tagung des CH fand vom 29. bis 30. März in Mosbach bei Eisenach statt und zog etwa 70 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet an. "Deutsches Kolleg" (DK) Das 1994 gegründete DK versteht sich als "Denkorgan des Deutschen Reiches" und verbreitet rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Es wird von dem rechtsextremistischen Soziologen Dr. Reinhold OBERLERCHER geleitet. Seine zentrale Aufgabe sieht der rechtsextremistische Theoriezirkel in der "Schulung der nationalen Intelligenz". Allerdings sind die Bemühungen, auf diesem Weg Einfluss auch auf andere rechtsextremistische Organisationen und Einzelpersonen zu gewinnen, bislang wenig erfolgreich gewesen. An der Jahresversammlung des DK Anfang Juni in Mosbach Rechtsextremismus bei Eisenach nahmen weniger als 20 Personen teil. "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." (GFP) Bei der 1960 von ehemaligen Offizieren der SS und Funktionären der NSDAP gegründeten GFP handelt es sich um eine überparteiliche Sammelorganisation von publizistisch aktiven Rechtsextremisten. Mit der Verbreitung ausländerfeindlicher und nationalistischer Ansichten will die GFP "Aufklärungsarbeit" leisten, um die angeblich verzerrte Darstellung der Zeitgeschichte zu korrigieren. Neben Vortragsveranstaltungen organisiert sie jährlich ein als "Deutscher Kongress" bezeichnetes Treffen, bei dem bekannte Wortführer des 58 "Weltbund zum Schutz des Lebens - Bundesverband Deutschland e.V." (WSL-D) 103 104 rechtsextremistischen Spektrums als Referenten auftreten. Der unter dem Vorsitz des NPD-Funktionärs Andreas MOLAU stehende Verein gibt die Schrift "Das Freie Forum" heraus. Rechtsextremismus Vom 11. bis 13. April tagte der "Deutsche Kongress" unter dem Thema "1968 - vierzig Jahre Volkszerstörung" in Suhl. Etwa 250 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet waren angereist. Im Laufe der Veranstaltung traten u. a. der Revisionist und NPDFunktionär Benedikt FRINGS, der Schweizer Holocaustleugner Bernhard SCHAUB, die ehemaligen NPD-Cheftheoretiker Dr. Rolf KOSIEK und Jürgen SCHWAB als Redner auf. "Exilregierung Deutsches Reich" Die "Exilregierung Deutsches Reich" wurde im Jahr 2004 als Ableger der "Kommissarischen Reichsregierung des Deutschen Reiches" (KRR)59 gegründet. Diese seit Anfang 2000 bundesweit aktive Gruppierung ist der Auffassung, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort. Bis zur Wiedereinsetzung einer regulären Reichsregierung nehme sie vorübergehend deren Amtsgeschäfte wahr. Interne Unstimmigkeiten führten nach und nach zu Abspaltungen kleinerer Personengruppen, die ihrerseits die o. g. Ansichten vertreten. Anhänger der "Exilregierung" wandten sich auch im Berichtszeitraum gegen Entscheidungen und Maßnahmen von Behörden und Gerichten mit der Begründung, diese Stellen seien - ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland - "nicht existent". Die "Exilregierung" führte interne Treffen - darunter auch sog. Kabinettssitzungen mit Bürgerinformation in der Nähe von Eisenach - durch, an denen weit weniger als 50 Personen, darunter kaum Thüringer, teilnahmen. Die realitätsfernen Verlautbarungen der "Exilregierung" dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier mit pseudojuristischer Akribie versucht wird, einen gesellschaftlichen Resonanzboden für rechtsextremistisches Gedankengut zu schaffen und teilweise personelle Überschneidungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen bestehen. 59 Die KRR ist kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. 7. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts - im Überblick Die Entwicklung der im Bereich der politisch motivierten Kriminalität - Rechts - in den letzten Jahren in Thüringen begangenen Straftaten stellt sich in der Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) wie folgt dar: Straftaten 2006 2007 2008 Insgesamt 611 753 1.163 davon u. a.: Propagandadelikte 387 397 859 Gewaltkriminalität55 55 61 65 Volksverhetzungen 94 178 108 Sachbeschädigungen 14 47 74 Mehr als zwei Drittel der 2008 im Freistaat Thüringen registrierten politisch motivierten Straftaten (1.554) waren dem PhänomenbeRechtsextremismus reich "Rechts" zuzuordnen. Hier wurden 1.163 und damit 410 Delikte mehr als im Jahr zuvor erfasst. Diese deutliche Zunahme ist zu einem Großteil die Folge der - bundesweit verbindlich - veränderten Modalitäten zur statistischen Erfassung der sog. Propagandadelikte. Werden solche Delikte von Unbekannten verübt, so dass keinerlei Erkenntnisse zur Motivlage des Täters vorliegen, müssen sie nun zwingend dem Phänomenbereich "Rechts" zugeordnet werden. Im Ergebnis dessen haben sich die Propagandadelikte gegenüber dem Jahr 2007 mehr als verdoppelt. Bisher wurden solche Delikte im Phänomenbereich "Sonstige bzw. nicht zuzuordnen" ausgewiesen. Es kam also im Vergleich zu den vorangegangenen 60 Die politisch motivierte Gewaltkriminalität umfasst Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch, gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahnund Straßenverkehr, Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, Widerstandsund Sexualdelikte. 105 106 Jahren nicht zu einem außer Verhältnis stehenden Anstieg der Straftaten, die in der Gesamtstatistik zur politisch motivierten Kriminalität erfasst wurden, sondern in erster Linie zu einer Verschiebung vom Phänomenbereich "Sonstige bzw. nicht zuzuordnen" in den Rechtsextremismus Phänomenbereich "Rechts". III. Linksextremismus 1. Überblick Bundesweit umfasst das Potenzial der revolutionären Marxisten etwa 25.200 Anhänger. Hinzu kommen ca. 6.300 Personen, die die Verfassungsschutzbehörden der gewaltbereiten linksextremistischen Szene zurechnen. Ihr gehören auch etwa 5.800 Autonome an. Geschätzte Mitgliederbzw. Anhängerpotenziale Freistaat Thüringen Bund 2006 2007 2008 2008 Gewaltbereite Links6.300 extremisten, davon Autonome 150 130 130 5.800 Anarchisten: FAU-IAA - 10 10 300 KPF der Partei DIE LINKE. 50 90 100 960 DKP 50 40 40 4.200 KPD wenige Mitglieder 150 MLPD 50 50 40 2.300 Linksextremismus Rote Hilfe e.V. nicht wenige 40 5.000 beMitnannt glieder Die Lage im Freistaat stellte sich 2008 in Bezug auf das linksextremistische Spektrum wie folgt dar: Die in Thüringen agierenden marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen vermochten es - abgesehen von einzelnen Informationsständen und traditionellen Gedenkveranstaltungen - auch im Berichtszeitraum kaum, durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten wahrgenommen zu werden. Das Bestreben, ihre Kräfte zu einer "Aktionseinheit" zusammenzuführen, hielt dennoch an. 107 108 Die maßgeblichen Gruppen des autonomen Spektrums und ihre regionalen Schwerpunkte blieben weitgehend bestehen, wenngleich ihre Netzwerkarbeit innerhalb der "Autonomen Antifa Koordination Thüringen" (A2KT) im Jahresverlauf zum Erliegen kam. Linksextremismus Der "Antifaschismus" stellte wiederum das wichtigste Betätigungsfeld der Autonomen in Thüringen dar. Ihre Aktionen, die sich im Gegensatz zu den Vorjahren vorwiegend regional orientierten, richteten sich überwiegend gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene bzw. deren Strukturen und waren nicht selten von Auseinandersetzungen mit der Polizei, Sachbeschädigungen und gezielten Körperverletzungen begleitet. Sie zielten aber auch oft auf die Zivilgesellschaft ab, die ihrer Ansicht nach von einem "rechten" Konsens gekennzeichnet und daher ebenso zu bekämpfen sei wie der Rechtsextremismus. Im Jahr 2008 erweiterten die Autonomen in Thüringen ihr Aktionsspektrum u. a. um die Themengebiete Schaffung von Freiräumen ("Häuserkampf") und Antirassismus. 2. Ideologischer Hintergrund Das in sich breit gefächerte linksextremistische Spektrum vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Es schließt Anhänger der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" ebenso ein wie Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Die Werke von MARX, ENGELS, LENIN, von STALIN, TROTZKI und MAO TSE-TUNG stellen die Grundlage der unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebäude dar. Das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen, ist allen Linksextremisten gemein. Ihre - wie unterschiedlich auch immer gearteten - Bestrebungen richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Linksextremisten wollen entweder einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" errichten. Sie verbindet das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft. Ihr Grundsatz, dass sich die von ihnen angestrebten gesellschaftlichen Veränderungen einzig durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen lassen, wird aus taktischen Gründen oft verschwiegen. Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen greifen sie häufig zu legalen, gewaltfreien Formen des politischen Engagements. Die eigene extremistische Ausrichtung wird dabei bewusst verschleiert. Mit dieser Taktik gelingt es Linksextremisten durchaus, auf bestimmten Politikfeldern Bündnispartner zu finden, die extremistischen Ansichten im Grunde genommen abgeneigt sind. Im politischen Alltag haben sich inzwischen unterschiedlichste politische und gesellschaftliche Kräfte dem Antifaschismus verschrieben, so i. d. R. auch Linksextremisten. Ihr Antifaschismusverständnis ist von einer ideologisch-strategischen Ausrichtung geprägt. Es dient nicht nur als Mittel politischer Einflussnahme und zur Diffamierung politischer Gegner, sondern ist zugleich Grundlage kommunistischer Bündnispolitik. Anders als die bürgerliche Gesellschaft, die im Rechtsextremismus eine Randerscheinung sieht, interpretieren Linksextremisten das ihrerseits überwiegend als Faschismus bezeichnete Phänomen als Ausdruck eines "besonders aggressiven staatsmonopolistischen Kapitalismus". Eine endgültige Beseitigung des Faschismus könne daher nur durch die Abschaffung des Kapitalismus, d. h. des Privateigentums an Produktionsmitteln, erreicht werden. Diese Anschauungen werden insbesondere von Linksextremisten verbreitet, die ein geschlossenes marxistisch-leninistisches Weltbild vertreten. Jedoch fußen auch die insgesamt eher diffusen, aus verschiedenen ideologischen Versatzstücken bestehenden Ansichten undogmatischer Linksextremisten bzw. Autonomer auf diesem Grundkonstrukt. Linksextremismus 3. Autonome 3.1 Allgemeines Autonome sind in der Bundesrepublik seit Ende der 70er Jahre aktiv. Heute agieren sie vor allem in mittleren und größeren Städten. Schwerpunkte bilden Ballungsräume wie Berlin oder das RheinMain-Gebiet. Der Szene waren Ende 2008 bundesweit etwa 5.800 gewaltbereite Anhänger zuzurechnen. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen leben zu wollen. Fremde Vorgaben, staatliche und gesellschaftliche 109 110 Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet ihre paradoxe Devise. Kennzeichnend für Autonome ist eine generelle Anti-Haltung. Ihre ideologischen Vorstellungen bleiben oft diffus, anarchistische Elemente mischen sich darin mit nihilistischen, soLinksextremismus zialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Versatzstücken. Autonome sind entschlossen, die ihnen hemmend oder einengend erscheinenden staatlichen Strukturen zu zerschlagen. Von einem ausgeprägten Individualismus getrieben verlangen sie dabei nicht nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung der Gesellschaft. Die szeneinterne Kommunikation erfolgt vorrangig unter Nutzung elektronischer Medien. Per Internet, über E-Mail-Verbindungen sowie Infotelefone werden überregionale Vernetzungen geschlossen, Agitation und Mobilisierung betrieben. Darüber hinaus dient eine Reihe von Szeneblättern, die z. T. konspirativ verbreitet werden, als Informationsquelle. Die dazu zählende Zeitschrift "INTERIM", welche vierzehntägig in Berlin erscheint, gilt aufgrund ihrer überregionalen Ausstrahlung als die bedeutungsvollste Publikation. "Infoläden" sind bevorzugte Anlaufpunkte der gesamten Szene und ihrer Sympathisanten. Sie dienen als Kontaktund Treffmöglichkeit und zugleich als Vertriebsstätte linksextremistischer Schriften und Flugblätter. In den mit gängigem Bürogerät ausgestatteten Räumlichkeiten werden Veranstaltungen vorbereitet und Szeneinformationen durch Plakate und Aushänge vermittelt. Ein adäquates Literaturangebot wird vorgehalten und steht allen Interessierten offen. Kampagnenfähige Themen, Gewaltpotenzial Verschiedene Schwerpunktthemen bilden die Grundlagen der Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: * Antifaschismus, * "Häuserkampf"/Kampf gegen Umstrukturierung61, * Kampf gegen angenommenen "Geschichtsrevisionismus" und "Opfermythen" im Zusammenhang mit der öffentlichen Wahrnehmung der Zeit des Nationalsozialismus, * Repression und innere Sicherheit, 61 Modernisierung und/oder Verkauf solcher als Szeneobjekte genutzten Gebäude, die z. B. aufgrund ihrer Lage als attraktive Wohn-/Geschäftshäuser vermarktet werden könnten. * Antirassismus, * Kampf gegen angenommene "Großmachtrollen" der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, * Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte, * Neoliberalismus und Globalisierung, * Internationalismus. Intensität und Bedeutung der genannten Themen schwanken und werden oft vom Tagesgeschehen bestimmt. Im Beobachtungsjahr blieb das Themengebiet "Antifaschismus" wiederum Aktionsschwerpunkt der autonomen Szene. Die Artikulationsformen Autonomer sind vielfältig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen und Demonstrationen über Straßenkrawalle, teils erhebliche Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen. Gewalt ist ein selbstverständliches Aktionsmittel der Autonomen. Bereitwillig setzen sie diese auch gegen Personen ein, vor allem im Rahmen von Protesten gegen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Hier suchen Autonome die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und den Einsatzkräften der Polizei. Dezentralisierung und ideologische Spaltung innerhalb der autonomen Szene Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende OrganiLinksextremismus sationsformen widersprechen dem Grundverständnis der Autonomen. Die Szene ist heterogen zusammengesetzt, sie kennt weder Hierarchien noch Führungsstrukturen. Autonome agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen. Um die allein schon wegen des niedrigen Organisationsniveaus begrenzten Wirkungsmöglichkeiten zu erweitern, hat es dennoch einzelne Versuche gegeben, übergreifende Organisationsformen zu schaffen. Diese basierten jeweils auf dem linksextremistischen Antifaschismusverständnis, das über die Traditionslinien Nationalsozialismus und Faschismus hinaus die Auseinandersetzung mit dem - autonomer Redart nach - in der Bundesrepublik vorherrschenden "imperialistischem System" einschließt, welches die 111 112 Autonomen als Fortsetzung und Modifikation des Dritten Reiches deuten. Mit Auflösung der von 1992 bis 2001 bestehenden "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) scheiterte der bisher bedeutendste Ansatz, autonome Strukturen bundesweit Linksextremismus zu organisieren. Alle weiteren Versuche, eine inhaltliche und organisatorische Erneuerung zu erreichen, blieben erfolglos. Seither ist es der Szene nicht gelungen, Isolierung, regionale Begrenztheit des Aktionsradius und zahlenmäßige Schwäche zu überwinden. Nach den massiven Protesten gegen den G8 Gipfel 2007 in Heiligendamm, an denen sich auch zahlreiche Autonome beteiligten, glaubten Teile der Szene einen Aufschwung zu erkennen. Die damit verbundene Annahme, von dem Protestspektrum längerfristig profitieren zu können, hat sich nicht bewahrheitet. Übergreifende Vernetzungsversuche werden zudem durch gravierende ideologische Konfliktlinien innerhalb der autonomen Szene, die in der Bewertung des Nahostkonflikts aufbrechen, erschwert. In den letzten Jahren gewannen sog. antideutsche Positionen an Bedeutung. Kernpunkt jener Anschauungen bildet der Massenmord an den europäischen Juden während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Hieraus resultieren sowohl die Ablehnung des deutschen Nationalstaats, der als modifizierte Fortsetzung der Nazidiktatur wahrgenommen wird, als auch eine bedingungslose Solidarität gegenüber dem Staat Israel. "Antideutsche" Gruppierungen sagen dem deutschen Staat ohnehin eine auf Ausgrenzung anderer Ethnien gerichtete Wesensart nach. Den europäischen Einigungsprozess interpretieren sie als ein deutsches Projekt, das auf friedlichem Wege zu Großmachtstatus verhelfen solle. Der Staat Israel wird von diesen Gruppen als Zufluchtsort des jüdischen Volkes, als Schutzraum für Juden vor antisemitischer Verfolgung verstanden, der gegen alle Angriffe verteidigt werden müsse. Jedwede Kritik an Israel setzen "Antideutsche" mit Antisemitismus gleich. Ähnlich werten sie die Kritik an den USA, da diese als Schutzmacht Israels angesehen wird. "Antideutsche" Positionen spielten innerhalb des linksextremistischen Spektrums lange eine eher marginale Rolle, bis sie seit der Jahrtausendwende von autonomen Gruppierungen aufgegriffen wurden und in der Szene gewisse Verbreitung fanden. Die bedin- gungslose Solidarität mit Israel steht den traditionellen "antiimperialistischen" Einstellungen, nach denen Israel als "imperialistischer Brückenkopf" der USA im arabischen Raum angesehen wird, diametral entgegen. Bei Veranstaltungen treten die Gegensätze zwischen diesen Strömungen häufig offen zu Tage. Während "antideutsche" Gruppen Nationalflaggen Israels und der USA mit sich führen, tragen Anhänger "antiimperialistischer" Gruppierungen sog. Palästinensertücher. In Thüringen haben diese Gegensätze an Bedeutung verloren. Israel-Flaggen tauchen regelmäßig bei Veranstaltungen auf, an denen Autonome beteiligt sind. 3.2 Die autonome Szene in Thüringen Das Anhängerpotenzial der gewaltbereiten autonomen Szene Thüringens umfasste im Berichtszeitraum ca. 130 Personen. Zu einzelnen Aktionen, denen die Szene besondere Bedeutung beimaß, gelang es ihr dennoch, einen weit umfangreicheren überregionalen Teilnehmerkreis zu mobilisieren. Regionale Schwerpunkte bildeten die Städte Erfurt und Jena sowie die Regionen um Arnstadt, Zella-Mehlis, Suhl und Meiningen. Außerdem sind im Umkreis von Nordhausen, Gera und Weimar Autonome aktiv gewesen. Linksextremismus Das im Jahr 2006 gegründete Netzwerk "Autonome Antifa Koordination Thüringen" (A2KT) scheint sich im Berichtszeitraum aufgelöst zu haben. Schon zu Beginn des Jahres war die Internetseite der Vernetzung nicht mehr erreichbar. Das Anliegen, landesweite Strukturen aufzubauen, scheiterte erneut. In A2KT waren die maßgeblichen Gruppen und Zusammenhänge des Thüringer autonomen Spektrums vertreten. Dem Netzwerk gehörten Gruppen aus allen regionalen Schwerpunkten an. Szenetypische Anlaufstellen waren im Berichtsjahr vorrangig die sog. Infoläden in Arnstadt und Jena. In Erfurt diente ein seit April 2001 "besetztes" Gebäude auf dem Betriebsgelände der ehemaligen Firma "Topf & Söhne" als Kontaktund Treffpunkt. Das Objekt wird von der Erfurter Gruppe "Antifa Gruppe 17" (AG17) als 113 114 Kontaktadresse benannt. Seit Juli 2008 ist hier zudem der wieder gegründete "Infoladen Sabotnik" ansässig.62 Autonome Gruppen nutzen überwiegend das Internet und E-MailLinksextremismus Verbindungen, um untereinander Kontakt zu halten, zu agitieren und für Veranstaltungen zu mobilisieren. Über ihre Internetseiten veröffentlichen sie zum Teil umfangreiche Rechercheberichte über den politischen Gegner. Auch Szenezeitschriften wie die "Alerta - Antifa Newsflyer für Jena", eine ebenfalls "Alerta" genannte Erfurter Publikation oder Audiostreams mit Informationen zum "rechten" Spektrum werden auf diesem Wege verbreitet. Die Schwerpunkte öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten der Autonomen lagen im Berichtszeitraum in der Landeshauptstadt Erfurt und in Jena - in Regionen, in denen die personell stärksten und aktivsten Gruppen angesiedelt sind. Den inhaltlichen Schwerpunkt machte wiederum das Themengebiet Antifaschismus aus. Wachsende Bedeutung kam der "Schaffung von Freiräumen", also dem "Häuserkampf", oder auch dem Antirassismus zu. Die Aktionen der autonomen Szene reichten von der Mobilisierung für die von breiten, nichtextremistischen Bündnissen organisierten Proteste gegen rechtsextremistische Veranstaltungen und die gewaltfreie Beteiligung daran bis hin zu gezielten Blockadeaktionen sowie Gewalttaten gegen Personen des rechtsextremistischen Spektrums aber auch Einsatzkräfte der Polizei. Gegenaktionen, die die Umleitung eines rechtsextremistischen Aufzuges oder die vorzeitige Beendigung der Veranstaltung erforderlich machten, wertete die autonome Szene als äußerst positiv. Weit kritischer wurden hingegen die teils geringe Resonanz in der Szene und mangelnde Beteiligung ihrer Angehörigen angemerkt. Wenngleich es die autonome Szene vermochte, für einzelne Aktionen von bundesweiter Bedeutung erfolgreich zu mobilisieren, gelang es ihren Anhängern bislang nicht, innerhalb des breitgefächerten Spektrums von Gegendemonstranten größeren Einfluss zu gewinnen. 62 Der "Infoladen Sabotnik" bildete seit den 1990er Jahren unter wechselnden Adressen eine zentrale Anlaufstelle für die autonome Szene in Erfurt. Nach mehreren Umstrukturierungen/Neueröffnungen war er seit 2005 nicht mehr in Erscheinung getreten. Bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten konnten Ausschreitungen zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel durch Einsatzkräfte der Polizei verhindert werden. Autonome hatten meist im Vorfeld zu Blockadeund Störaktionen aufgerufen. Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner, um den "Naziaufmarsch" mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter missachteten sie dabei bewusst Vorgaben und Auflagen der Behörden. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2008 zu Straftaten wie Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Landfriedensbruch. Thüringer Autonome beteiligten sich im Berichtszeitraum an verschiedenen Aktionen in anderen Bundesländern bzw. thematisierten diese im Internet durch Terminhinweise. Es wurden jedoch keine Mobilisierungskampagnen oder Anreisen zu Aktionen in größerem Umfang bekannt. Insgesamt war der Blick der autonomen Szene in Thüringen eher regional ausgerichtet. 3.3 Thüringer Autonome und ihr "Antifaschismus"-Verständnis Recherche, Öffentlichkeitsarbeit und Beteiligung an Kampagnen Ein Grundkonsens der autonomen Szene besteht darin, über Ideen, Linksextremismus Aktivitäten sowie die Anhängerschaft ihres politischen Gegners aufzuklären. Methodische Mittel reichen dabei von Recherchebis zu sog. Outing-Aktionen63. Regelmäßig kommt es zu Sachbeschädigungen an vermeintlichen oder tatsächlichen Treffobjekten der rechtsextremistischen Szene oder an Läden, die mit ihr in Verbindung gebracht werden. Neben der Beteiligung an bundesweiten und regionalen Kampagnen, z. B. gegen Betreiber von Läden, die das Label "Thor Steinar" vertreiben, führten Thüringer Autonome in den vergangenen Jahren auch eigene regionale Kampagnen durch bzw. beteiligten sich an solchen nichtextremistischer Bündnisse. 63 Öffentlichmachen des politischen Gegners, z. B. durch Internetveröffentlichungen, Flugblattaktionen im Wohnoder Arbeitsumfeld. 115 116 Für Recherchezwecke nutzen Autonome auch öffentliche Aktivitäten des rechtsextremistischen Spektrums. Dabei werden gezielt Daten über den politischen Gegner gesammelt, zusammengestellt und im Internet auf den eigenen oder speziell dazu gefertigten Linksextremismus Websites veröffentlicht. Kampagne "Nazis matt setzen" Im Juni fand in Erfurt eine Kampagne der "Emanzipatorischen Jugend Erfurt" (EJE)64 unter dem Motto "Nazis matt setzen" statt. Die Gruppierung wurde dabei von der "Antifaschistischen Koordination Erfurt" (ake)65 unterstützt. Die Veranstaltungsreihe begann mit einem "Stadtrundgang zu den Orten faschistischen Wirkens" am 6. Juni und endete mit einer Kundgebung am 20. Juni. Weitere Bestandteile der Kampagne waren zwei Vortragsveranstaltungen sowie eine Filmvorführung. Innerhalb des linksextremistischen autonomen Spektrums, insbesondere in Erfurt, war die Aktion umfangreich beworben worden. Neben einer Sonderseite im Internet wurde u. a. auch über die Zeitschrift "Alerta 01 Antifaschistisches Blättchen für Erfurt Nr. 1" und zahlreiche Plakatierungen mobilisiert. Als ihr Anliegen gaben die Veranstalter an, gegen die sich angeblich etablierende "rassistische Alltagskultur [...] in Teilen der (Erfurter) Bevölkerung" vorgehen zu wollen. Derartige Tendenzen seien 64 Die EJE trat mit der Kampagne erstmalig an die Öffentlichkeit. Sie bezeichnet sich als "Zusammenschluss junger Menschen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus öffentlich Stellung zu beziehen". EJE soll seit etwa einem Jahr bestehen. 65 Die ake wurde im Vorfeld der Proteste gegen eine geplante Demonstration der NPD am 1. Mai 2007 als Netzwerk gegründet. Zu ihren Unterstützern zählten seinerzeit neben demokratischen Kräften auch linksextremistische bzw. linksextremistisch beeinflusste Gruppierungen, u. a. die dem autonomen Spektrum in Erfurt zugehörige "Antifa Gruppe 17" (AG17). nicht tragbar und müssten öffentlich gemacht werden, um "der Ausdehnung der Rechtsextremen Einhalt zu gebieten". Die Kampagne konzentrierte sich insbesondere auf drei Erfurter Geschäfte. Die Einrichtungen gelten innerhalb des linksextremistischen Spektrums als "Naziläden" und wurden schon in der Vergangenheit thematisiert. Während der Kampagne kam es an zwei Geschäften zu Schmierereien, u. a. wurde das Kampagnenmotto "Nazis matt setzen" aufgesprüht. Mobilisierung und Durchführung der Kampagne zeigten eine deutliche Nähe zur autonomen Szene. So zierte das dort gebräuchliche Symbol der "Antifaschistischen Aktion" sowohl die Sonderseite im Internet, als auch Plakate sowie das während des "Stadtrundgangs" Linksextremismus und der Kundgebung genutzte Fronttransparent. Eine aktive Beteiligung der Erfurter "Antifa Gruppe 17" (AG17) an der Gestaltung der Kampagne ist anzunehmen. "Ratgeber zu Neonaziangriffen" Unter dem Motto "Dont' Panic! Ratgeber zu Neonaziangriffen" veröffentlichte die "Antifaschistische Gruppe Südthüringen" (AGST) Anfang April ein mehrseitiges Faltblatt auf ihrer Internetseite. Den Darstellungen zufolge enthalte das Blatt Texte "antifaschistischer Gruppen aus Berlin", die die AGST zum Teil abgeändert habe. Hintergrund der Maßnahme sei "ein Klima der Angst für Linke und Menschen mit migrantischem Hintergrund", das in "vielen Dör117 118 fern, Stadtteilen oder ganzen Städten" in Thüringen auf Grund von "Nazigewalt" herrsche. Linksextremismus Der "Ratgeber" fügt sich in die auf der Homepage der AGST veröffentlichten Beiträge ein, in denen regelmäßig über tatsächliche oder vermeintliche rechtsextremistische Übergriffe berichtet wird. Neben Anregungen für den Fall eines "Neonaziangriffs" enthielt die Veröffentlichung Kontaktdaten von autonomen Gruppierungen in Thüringen. Neben der AGST waren u. a. die "Antifaschistische Aktion Gera" (AAG) und die Vernetzung der "Autonomen Antifa Koordination Thüringen" (A2KT) aufgeführt. Zudem wurde dazu aufgerufen, sich "gegen Neonazismus und faschistische Tendenzen in Staat und Gesellschaft" zu organisieren. Stellung zum Staat und zur Zivilgesellschaft Autonome sehen in der Politik der Regierung und in vermeintlichen gesellschaftlichen Missständen Auslöser für "faschistische" Tendenzen. Ihrer Meinung nach förderten "staatlicher Rassismus" und "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" auch in der Bevölkerung die Entwicklung "rechter" Tendenzen. Die Kritik und die Aktionen des autonomen Spektrums richteten sich deshalb auch gegen die Zivilgesellschaft, die von einem "rechten" Konsens gekennzeichnet sei. In diesem Zusammenhang distanzierten sich Autonome zum Teil von Aktivitäten demokratischer Bündnisse, die sie in der Vergangenheit beispielsweise als "Bier trinken und Bratwurst essen gegen Rechts" diskreditiert hatten. Gleichzeitig scheint zumindest ein Teil der Szene Ausgrenzung zu befürchten und reagiert entsprechend empfindlich auf eine scheinbare Stigmatisierung. So veröffentlichte die "Antifaschistische Gruppe Südthüringen" (AGST) im August einen Beitrag, in dem sie sich kritisch mit dem "Extremismus-Begriff" auseinandersetzt.66 Der Text ist geprägt von Kritik an der angeblich zunehmenden Verwendung des Begriffes Extremismus, der "einfach und verfänglich" sei. "Rechts und links" würden dabei zusammengefasst und so in einer "difusen Feindmasse" verschwimmen.67 Dadurch verharmlose man nicht nur "Rassismus, Antisemitismus und andere Ungleichwertigkeits-Ideologien", sondern verhöhne auch die "Opfer und Widerstandskämpfer_innen gegen den nationalsozialistischen Terror". Ein Konzert am 9. August in Zella-Mehlis unter dem Motto "Gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit" habe die Gruppe zu der Darstellung veranlasst. Offensichtlich fühlte sie sich durch das Veranstaltungsmotto bedrängt und ausgegrenzt zugleich. Ihre Reaktion ist nicht untypisch für extremistische Zusammenschlüsse. Generell kann davon ausgegangen werden, dass sich politische Extremisten i. d. R. nicht als solche bezeichnen. Insbesondere Autonome selbst sehen sich gern als linksradikal, so auch die AGST. Die Szene sucht immer häufiger Kontakt zu nichtextremistischen Gruppierungen, sofern sie bei ihnen Überschneidungen mit eigenen Anliegen zu erkennen glaubt. Hintergrund hierfür dürfte auch das Bestreben sein, über szenetypische Slogans und Darstellungen autonome Anschauungen transportieren und die Veranstaltungen breiter Bündnisse gegebenenfalls dominieren zu können. Trotz dieser gestiegenen Bereitschaft zur Zusammenarbeit enthalten Veröffentlichungen gerade im Zusammenhang mit größeren Bündnisveranstaltungen immer wieder Distanzierungsbekundungen, die zeigen, dass es sich lediglich um temporäre Zweckbündnisse Linksextremismus handelt. Beteiligung am "Zug der Erinnerungen" Vom 20. bis 28. Januar machte der sog. "Zug der Erinnerungen"68 in Gotha, Erfurt, Weimar und Apolda Station. Die durch bürgerliche Initiativen getragene Wanderausstellung zog auch das Interes66 Der Beitrag ist offensichtlich stark von einer im April 2008 durch vorwiegend nichtextremistische Gruppierungen veröffentlichte Erklärung "Gegen jeden Extremismusbegriff" inspiriert, vgl. http://inex. blogsport.de. 67 Fehler im Original. 68 Die in einem Zug untergebrachte Ausstellung erinnert an die von 1940 bis 1944 erfolgte Deportation von Juden, insbesondere zehntausender Kinder und Jugendlicher, in nationalsozialistische Vernichtungslager. Sie macht an verschiedenen Orten in der Bundesrepublik Station. In Thüringen stand sie unter der Schirmherrschaft von Herrn Ministerpräsidenten Dieter Althaus. 119 120 se von Linksextremisten, in Thüringen auch das von Autonomen, auf sich. Am 23. Januar fand in Erfurt eine "Spontankundgebung" auf dem Linksextremismus Willy-Brandt-Platz statt, zu der Internetangaben nach die Erfurter "Antifa Gruppe 17" (AG17) und die "Besetzer_innen des ehemaligen Topf&Söhne Geländes" aufgerufen hatten. Dabei sollen Redebeiträge gehalten, Flugblätter verteilt und Gespräche mit Passanten geführt worden sein. Etwa 50 Teilnehmer seien vor Ort gewesen. Auch an Gedenkveranstaltungen in Weimar und Apolda sollen sich Autonome u. a. mit Redebeiträgen beteiligt haben. Im Internet wurden entsprechende Texte der "Autonomen Antifa Weimar" (AAW) und der "Antifaschistischen Gruppe Apolda" (AGAP) veröffentlicht. Die AAW wirft darin der Bundesrepublik mangelnde Aufarbeitung der deutschen Geschichte vor. Nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reiches" hätte es keinen Bruch, sondern einen fließenden personellen und ideologischen Übergang gegeben. Die betriebene Aufarbeitung, im Text als "Gedenkbusines"69 bezeichnet, diene nur der Sicherung des Standorts Deutschland. Die Deutschen würden dabei zu Opfern erklärt, ohne nach den "Täter_innen" und deren Motivation zu fragen. Protest gegen NPD-Demonstration in Weimar Etwa 1.000 Personen beteiligten sich am 5. April an Protesten gegen einen Aufmarsch der NPD. Nachdem ca. 400 Autonome unter dem Motto "Dem Nationalen Wahn ein Ende - Weder Deutsch noch Tümelei" eine - Szeneverlautbarungen zufolge von der "Autonomen Antifa Weimar" (AAW) organisierte - Demonstration durchgeführt hatten, schlossen sie sich den in der Stadt veranstalteten dezentralen Aktionen an. Dabei wurde die Route der NPD gestört. Eine erste Blockade führte zur Umleitung des rechtsextremistischen Aufzugs, eine weitere wurde durch Polizeikräfte geräumt. Unbekannte Täter setzten im Stadtgebiet drei Müllcontainer in Brand. Darüber hinaus kam es zu Sachbeschädigungen an zwei Streifenwagen sowie der Einfahrt zur Stadtverwaltung. 69 Fehler im Original. Im Vorfeld war innerhalb des autonomen Spektrums intensiv zu Gegenaktionen mobilisiert worden. Im Internet wurde eine Sonderseite mit aktuellen Informationen, Terminen und Mobilisierungsmaterial eingerichtet. Die zur Demonstration aufrufenden Gruppen kritisierten die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie die Ursache für den Nationalismus der NPD sehen. Die rechtsextremistische Demonstration stehe für den Versuch der NPD, bis zu den Landtagsund Kommunalwahlen 2009 auf den Straßen präsent zu sein. Die Aktionen dürften insbesondere durch die AAW und die "Antifaschistische Aktion Weimarer Land" (AAWL) getragen worden sein. Zu den Unterstützern zählten neben einer Reihe Thüringer autonomer Gruppen auch solche aus Bayern, Brandenburg und Sachsen. Außerdem waren Informationsveranstaltungen in Dresden, Berlin, Leipzig und Naumburg angekündigt worden. Linksextremismus In einem mit "05.04. in Weimar: Gute Stube vs. Böse Nazis" überschriebenen Text setzten sich "einige Menschen u. a. aus der Gerberstraße" mit den Aktivitäten und dem Zusammenwirken "der unterschiedlichen Konzepte - Bürgerbündnis und Antifa" kritisch auseinander. Die Auffassung bürgerlicher Kräfte, wonach die rechtsextremistische Bedrohung "abgetrennt vom Rest der Gesellschaft in diese einzudringen" versuche, sei falsch. Vielmehr würden sich rechtsextreme Positionen und bürgerliche Mitte gegenseitig bedingen. An Hand von Ergebnissen des "Thüringen-Monitors"70 schlussfolgern die Autoren, dass "ein nicht unerheblicher Teil derer, die sich in der ,guten Stube' zu Hause fühlen, ähnliche Positionen 70 Im Text werden Ergebnisse des "Thüringen-Monitors" 2005 exemplarisch angeführt. Die in den Jahren 2006 und 2007 erhobenen - zum Teil deutlich niedrigeren - Daten bleiben hingegen unberücksichtigt. 121 122 vertritt, wie sie die NPD ohne Blatt vor dem Mund artikuliert". Für die Zukunft sehe man eine "kritisch distanzierte Zusammenarbeit" als konstruktiv an, die sowohl radikale Kritik an den herrschenden Verhältnissen als auch partielle Zusammenarbeit beinhalte. Linksextremismus Autonome erheben Rassismusvorwurf Etwa 100 Personen, darunter Angehörige des autonomen Spektrums, demonstrierten am 24. April in Saalfeld unter dem Motto "Schimmelpilze oder Abschiebung - Wer die Wahl hat, hat die Qual" gegen die Lebensbedingungen im Asylbewerberheim Katzhütte. Neben nichtextremistischen Gruppierungen hatte auch die "Antifaschistische Aktion Saalfeld" (AASlf) zu der Aktion aufgerufen. Die Demonstration wurde zudem auf den Internetseiten weiterer Thüringer autonomer Gruppen thematisiert. Mit der Teilnahme an der Demonstration widmete sich die AASlf einer Thematik, die - abgesehen von einzelnen im Internet veröffentlichten Texten - zuletzt bei dem "Antirassistischen Grenzcamp" im Juli 2002 in Jena von Thüringer Autonomen aufgegriffen worden war. Linksextremisten vertreten dabei die auch in Teilen der Zivilgesellschaft verbreiteten Forderungen nach z. B. dezentraler Unterbringung von Asylbewerbern oder der Abschaffung der Residenzpflicht. Eine Behebung der kritisierten Zustände, die Ausdruck eines durch das gesellschaftliche System der Bundesrepublik hervorgebrachten Rassismus seien, erachten sie innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung allerdings für unmöglich. Beteiligung am "Antifa-Aktionstag" in Langewiesen Etwa 200 Personen beteiligten sich am 21. Juni an einer Demonstration unter dem Motto "Was tun wenn's brennt! - Zivilcourage zeigen! - Gegen die Nazifizierung der Provinz!" in Langewiesen/Ilmkreis. Die Veranstaltung war Teil eines gleichnamigen Aktionstages, an dem neben Angehörigen demokratischer Gruppierungen auch Linksextremisten, insbesondere Autonome, aber auch Anhänger der "Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union" (FAU)71 teilnahmen. 71 Siehe hierzu Kapitel 4.1. Im Vorfeld hatten verschiedene autonome Gruppierungen vorrangig über Internet zur Teilnahme mobilisiert. Eine besondere Stellung dürfte hierbei die "Antifaschistische Gruppe Südthüringen" (AGST) inne gehabt haben. Die Daten der im Internet veröffentlichten Sonderseite waren auf Unterseiten der AGST-Homepage abgelegt. Zu den Unterstützern zählten darüber hinaus auch die "Antifa Gruppe Apolda" (AGAP) und die "Antifaschistische Aktion Saalfeld" (AASlf). Protest gegen NPD-Veranstaltung "Rock für Deutschland" An einer von demokratischen Kräften organisierten Demonstration gegen die NPD-Kundgebung am 19. Juli in Gera beteiligten sich auch Angehörige der linksextremistischen autonomen Szene sowie der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP). Linksextremismus Die "Antifaschistische Aktion Gera" (AAG) rief im Vorfeld unter dem Motto "Einmal Nazis? Ständig nur Nazis!" im Internet zur Teilnahme an einem "antifaschistischen Block" in der Gegendemonstration auf. Der Aufruf wurde durch verschiedene autonome Gruppierungen, vorwiegend aus Thüringen, mit entsprechenden Terminhinweisen unterstützt. Darüber hinaus war eine organisatorisch nicht eindeutig zuzuordnende Sonderseite eingerichtet worden, deren Aufmachung jedoch durchaus linksextremistischen Internetauftritten entsprach. Die seit mehreren Jahren in Gera stattfindende NPD-Veranstaltung wird regelmäßig von Protesten linksextremistischer Autonomer begleitet. Diese werden durch die seit 2002 in Gera aktive AAG organisiert, wobei sie eine klare Trennung zwischen eigenen 123 124 Aktivitäten und denen nichtextremistischer Kräfte betont. In den letzten Jahren sank die Mobilisierungsfähigkeit der AAG deutlich, öffentliche Aktivitäten waren kaum noch festzustellen. Auf ihrer Homepage berichtete die Gruppe, bei der Demonstration am 19. Linksextremismus Juli einen Redebeitrag beigesteuert zu haben. Auch wenn es nicht gelungen sei, "die NPD bei ihrem Aufmarsch zu behindern", sehe man einen positiven Trend. Der "Antifa Block", der eigenen Angaben zufolge 200 Teilnehmer umfasst haben will, habe eigene Akzente setzen können. Gewaltausbrüche beim "Fest der Völker" Etwa 2.000 überwiegend dem demokratischen Spektrum zugehörige Personen beteiligten sich am 13. September an Protesten gegen das von der NPD in Altenburg durchgeführte "3. Fest der Völker". Zahlreiche Teilnehmer waren u. a. aus Jena, Weimar, Gera und Erfurt mit Bussen angereist. Unter ihnen befanden sich auch Autonome, die jedoch - ebenso wie bei der Vorjahresveranstaltung in Jena - keinen dominierenden Einfluss erlangen konnten. Gleichwohl kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen dieses Personenkreises mit Polizeikräften. Durch Flaschenund Steinwürfe wurden Polizisten, zum Teil auch Gegendemonstranten, verletzt. Im Stadtgebiet kam es außerdem zu zahlreichen Sachbeschädigungen an Pkw mit auswärtigen Kennzeichen, die vermutlich Teilnehmern der NPDVeranstaltung zugeordnet wurden. Schon frühzeitig war innerhalb der autonomen Szene zur Teilnahme an den Protesten mobilisiert worden. Der Aufruf war bundesweit ausgerichtet. In Anlehnung an die Proteste im vergangenen Jahr sollte es gelingen, das "Fest" zu blockieren und damit letztlich zu verhindern. Insbesondere in Jena brachten sich Ange- hörige des autonomen Spektrums in die Vorbereitungen gegen die ursprünglich dort geplante NPD-Kundgebung ein und warben über ihre Homepage bzw. eine eigens eingerichtete Sonderseite für verschiedene Vorbereitungsveranstaltungen, auch solche des demokratischen Spektrums. Mobilisierungshinweise wurden darüber hinaus auf den bekannten Seiten des autonomen Spektrums veröffentlicht. Auch eine "Antifaschistische Jugend / Bundesweite Aktion" (AJ/BA)72 rief mit einem eigenen Text zu Protesten gegen das "Fest" auf. Auf ihrer Homepage hieß es: "Treten wir den Nazis mit der gebotenen Schärfe entgegen! Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln!" Dank der starken Präsenz demokratischer Kräfte in Altenburg gelang es Linksextremisten - insbesondere Autonomen - nicht, mit ihren Inhalten und teils gewalttätigen Protestformen entscheidenden Einfluss auf die Gruppe der Gegendemonstranten zu gewinnen. Nicht zuletzt auch deshalb dürften die Aktionen innerhalb des Spektrums nicht unbedingt als Erfolg gewertet worden sein. Darauf deutete zumindest das Ausbleiben der sonst überschwänglichen Szeneveröffentlichungen hin. Gewalttätige Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten Gewalt ist ein übliches Aktionsmittel der Autonomen. In Thüringen hat es bisher meist im Zusammenhang mit demonstrativen Aktivitäten Gewalttätigkeiten gegen den politischen Gegner und eingesetzte Polizeikräfte gegeben. Gelegentlich kommt es jedoch Linksextremismus auch zu Gewaltausbrüchen zwischen Angehörigen des linksund rechtsextremistischen Spektrums, die jeweils "Vergeltungsaktionen" nach sich ziehen. Angriff auf Rechtsextremisten in Jena Am 23. Januar nahmen zwei Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums73 an einer öffentlichen Sitzung des Jenaer Stadtrats als Zuschauer teil. Nach Verlassen des Rathauses wurden beide von 72 Die AJ/BA bezeichnet sich selbst als bundesweiten Zusammenschluss von Antifagruppen und dürfte dem autonomen Spektrum zuzurechnen sein. 73 Darunter Ralf WOHLLEBEN, Vorsitzender des NPD-Kreisverbands Jena. 125 126 etwa 15 Vermummten mit Schlagstöcken und Reizgas angegriffen und leicht verletzt. Auf einen bereits am Boden liegenden Geschädigten wurde zudem eingetreten. Linksextremismus Der Vorfall wurde später auf der Seite des "Infoladens Jena" (ILJ) mit der Überschrift "DOPPELT UND DREIFACH ZURÜCKSCHLAGEN!" kommentiert. Danach sei der Überfall durch "Antifaschisten" eine Reaktion auf mehrere Angriffe des rechtsextremistischen Spektrums auf das Gebäude der "Jungen Gemeinde Stadtmitte". Beide NPD-Funktionäre werden als Hintermänner angesehen, als "Biedermänner, die im gesetzlichen Rahmen Parteipolitik betreiben und öffentliche Veranstaltungen wie das "Fest der Völker" organisieren". Der Text endet mit dem Slogan "Schluss mit dem Naziterror! - Bildet Banden & schlagt zurück!". Auch die "Antifaschistische Gruppe Südthüringen" (AGST) beschäftigte sich mit dem Thema und dokumentierte den genannten Text auf ihrer Homepage. Den Angriff bezeichnete sie als "gebührende Antwort auf den Naziterror". Der Überfall auf die NPD-Funktionäre stellte eine qualitative Steigerung dar, werden doch, wie der ILJ schreibt, durch "Antifaschisten" gezielt Menschen angegriffen. Verteidigung "linker" Freiräume Unter dem Motto "Rechte Gewalt benennen! Linke Freiräume verteidigen!" fand am 16. März eine Demonstration in Weimar statt, an der sich unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 170 und 200 Personen beteiligten. Der von der "Autonomen Antifa Weimar" (AAW) ausgehende Aufruf zur Demonstration war von weiteren autonomen Gruppierungen übernommen worden. Auslöser war ein wenige Tage zuvor erfolgter Angriff von etwa 20 Rechtsextremisten auf das "soziokulturelle Zentrum"74 in Weimar. Dieser war innerhalb des autonomen Spektrums heftig thematisiert worden. In Internetveröffentlichungen wurde er u. a. als "brutalster Naziangriff seit Jahren" bezeichnet. Der Text wurde auf mehreren Seiten veröffentlicht, u. a. auch in dem Netzwerk "indymedia". Dort wurde in einer Ergänzung 74 Dabei handelt es sich um ein ehemals besetztes Haus in der Gerberstraße 1, es gilt als Szenetreffpunkt für alternative/linksorientierte Jugendliche. ein Zusammenhang zwischen dem Überfall auf die "Gerber" und dem Anzünden eines Pkw in Jena hergestellt. Wörtlich hieß es: "Nach dem Faschoangriff auf die Gerber ging in Jena das Auto von Obernazi Ralf Wohlleben in Flammen auf. Fight back - everywhere!". Am 13. Juli fand in Erfurt eine spontane Demonstration unter dem Motto "Nazis entgegentreten, linke Freiräume erhalten und verteidigen" statt. An ihr sollen unterschiedlichen Angaben zufolge zwischen 100 und 200 Personen teilgenommen haben, darunter zahlreiche Autonome. Hintergrund der Demonstration waren Auseinandersetzungen zwischen Hooligans und einer Gruppe von Punkern, die sich am Vortag im Bereich der Krämerbrücke ereignet hatten. Innerhalb des autonomen Spektrums wurde der Vorfall als Angriff von "Nazi-Hools" angesehen und aus dem Sachverhalt ein rechtsextremistischer Überfall konstruiert. Laut einem Beitrag in dem Internetnetzwerk "indymedia" habe man mit der Demonstration einen "zunehmenden Naziterror in der Stadt" sowie "die neuen Versuche der Stadtverwaltung, unliebsame Jugend-Subkulturen aus dem öffentlichen Raum im Innenstadtbereich zu verdrängen", thematisieren wollen. Letzteres ging vermutlich auf eine Änderung der Stadtordnung zurück, wonach "das mit dem Verzehr von Alkohol verbundene [...] Lagern von Personengruppen" u. a. im Bereich der Krämerbrücke untersagt wurde. In einer Stellungnahme des "Infoladens Sabotnik" wurde dies als Teil einer "Vertreibungspolitik gegen Arme und AbweichlerInnen" bezeichnet, deren Ziel es sei, die schönen Ecken von Erfurt" einer "kommerziellen NutLinksextremismus zung durch zahlungskräftiges Publikum" vorzubehalten. 127 128 3.4 Autonomer "Häuserkampf" Der sog. Häuserkampf, das Besetzen von leer stehenden Gebäuden und die teils äußerst gewalttätige Verteidigung, zählen seit den Linksextremismus Anfangstagen der Autonomen zu deren Schwerpunkten. Seinen Höhepunkt erlebte der "Häuserkampf" in den achtziger und neunziger Jahren. Die verbliebenen Objekte sind inzwischen meist legalisiert und werden z. B. unter dem Dach eines Vereins geführt. Nur wenige haben überregionale bzw. bundesweite Bedeutung oder werden sogar im europäischen Zusammenhang wahrgenommen. So zuletzt 2007 das "Ungdomshuset" in Kopenhagen, dessen Räumung und späterer Abriss von gewalttätigen Ausschreitungen und zahlreichen Solidaritätsdemonstrationen, auch in Thüringen, begleitet worden war. Im Beobachtungszeitraum stand die bevorstehende Räumung des "besetzten Hauses" in Erfurt im Fokus der Thüringer Autonomen. Exkurs: Proteste gegen Abriss des "besetzten Hauses" in Erfurt Seit dem Frühjahr 2001 gilt ein Teil des Betriebsgeländes der ehemaligen Firma "Topf & Söhne" in Erfurt als besetzt. Seitdem hat sich das "besetzte Haus" zu einem regionalen Treffpunkt für subkulturelle Strömungen in Erfurt entwickelt. Außerdem nutzt die autonome Szene das Objekt für Veranstaltungen, Aktionen oder als Kontaktadresse. So gibt die derzeit in Erfurt dominierende "Antifa Gruppe 17" (AG17) das "besetzte Haus" als Kontaktadresse an. Auch der im Juli 2008 wieder eröffnete "Infoladen Sabotnik" befindet sich auf dem Gelände. Insgesamt hat das Objekt für die autonome Szene in Erfurt nicht nur wegen seiner praktischen Nut- zung sehr große Bedeutung. Wichtig ist ihr insbesondere der autonomen Lebensformen entsprechende Charakter des Ortes, stelle er doch einen "selbstbestimmten sozialen Raum" dar, in dem eine ansonsten herrschende "kapitalistische Verwertungslogik" nicht zur Anwendung komme. In der Vergangenheit riefen die Nutzer des Objektes mehrfach zu Aktionen gegen eine mögliche Schließung des Geländes auf, so im Zusammenhang mit dem Eigentümerwechsel 2007 und der Auslegung eines Entwurfs für einen Bebauungsplan im Frühjahr 2008. Aufgrund der Bedeutung des Objektes für die autonome Szene wurden die Proteste durch diese mit geprägt. Seit September 2008 wird innerhalb des autonomen Spektrums ein möglicher Abriss des "besetzten Hauses" thematisiert. Vor diesem Hintergrund fanden bereits mehrere Aktionen des "Besetzerkreises", unterstützt durch Sympathisanten, statt. So wurde am 4. Oktober eine "Straßenbahnparty" durchgeführt, bei der "nacheinander mehrere Straßenbahnen" besetzt worden seien, ohne dass man "durch Kontrolleure, Bullen oder sonstiges Gesocks belästigt" worden wäre. Dabei habe man jeweils ein Transparent mit dem Slogan "Wir bleiben alle - Autonome Freiräume erkämpfen - Besetzte Häuser verteidigen!" Linksextremismus in die Fenster der Bahn gehängt. Darüber hinaus haben am 9. Oktober ein Fahrradkorso, am 17. Oktober eine Kundgebung sowie am 28. Oktober eine Aktion gegen die damals geplante Einstellung der Wasserversorgung des Geländes stattgefunden. Vorläufiger Hö129 130 hepunkt der Proteste war eine Demonstration am 22. November unter dem Motto "Hände weg vom Besetzten Haus in Erfurt", der sich nach Polizeiangaben etwa 750 Personen anschlossen. Unter ihnen befanden sich zahlreiche Autonome, aber auch AngeLinksextremismus hörige von subkulturellen Strömungen und Unterstützer. Größere Ausschreitungen unterblieben, wenngleich aus dem Demonstrationszug heraus Pyrotechnik gezündet, Polizeibeamte mit Flaschen beworfen und mehrere Polizeifahrzeuge beschädigt wurden. Sowohl die Veranstalter als auch das autonome Spektrum werteten die Aktion als großen Erfolg. Die gewohnt übermäßig "positiven" Szeneveröffentlichungen sprachen von 1.400 Teilnehmern. Im Internet erfolgte die Mobilisierung zur Demonstration u. a. über eine Sonderseite des "Besetzerkreises" sowie über eine offensichtlich dem autonomen Spektrum zuzurechnende Unterstützerseite. Außerdem wurden Informationsveranstaltungen in mehreren Bundesländern und in Thüringen angekündigt. Verschiedene Gruppierungen, darunter auch Autonome, unterstützten die Mobilisierung im Internet über Terminhinweise auf ihren Homepages. Die bisherigen Aktivitäten zielten darauf ab, ein hohes Maß an öffentlicher Wahrnehmung zu erlangen und Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben. Die Erfurter "Antifa Gruppe 17" (AG17) deutete in einem Aufruf zumindest an, auch andere Mittel einsetzen zu wollen, sollte dies ihrer Meinung nach "angemessen und angebracht" erscheinen. Der Einsatz für das "besetzte Haus" wird als notwendig erachtet, "auch wenn es strategisch und juristisch überhaupt keinen Zweck hat, sich der Räumung zu widersetzen". Schon immer seien "Kämpfe um besetzte Häuser und Projekte [...] auch politische und soziale Kämpfe" gewesen. Die dabei angewandten Mittel sollten sich "nicht daran messen lassen, was erlaubt und verboten [...] sondern was angemessen und angebracht (ist)." 4. Anarchisten Anarchistische Anschauungen entstanden im 19. Jahrhundert in Abgrenzung zum Kommunismus. Die Russen Michail BAKUNIN und Peter KROPOTKIN zählen zu den maßgeblichen Theoretikern dieser linksextremistischen Strömung. Im Gegensatz zu verschie- denen kommunistischen Organisationen berufen sich Anarchisten nicht auf verbindliche Standardwerke, sondern greifen auf eine Vielzahl von Theorien und Utopien zurück, die auf die Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft ausgerichtet sind. Jedwede Form von Staat und Regierung lehnen Anarchisten ab. Erklärtes Ziel ist, den Staat mittels einer Revolution aufzulösen und eine von der Basis her anarchistische Gesellschaft zu bilden. Im Gegensatz zu Marxisten-Leninisten setzen Anarchisten dabei auf die Spontanität der Massen, nicht auf eine Avantgardepartei. In der Bundesrepublik sind zwei anarchistische Strömungen erwähnenswert. Bei diesen handelt es sich um die "Graswurzelbewegung" und den deutschen Zweig der international organisierten "Freien Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA). In Thüringen ist die FAU aktiv. Darüber hinaus finden immer wieder Veranstaltungen von Anhängern der "Graswurzelbewegung" statt, in denen diese u. a. die "direkte Aktion" als typisch anarchistische Aktionsform thematisieren. 4.1 "Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion" (FAU) mit Anbindung an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA)75 Bei der FAU handelt es sich um eine anarcho-syndikalistische GrupLinksextremismus pierung.76 Ihr Anliegen ist die Schaffung einer herrschaftsfreien, direkt-demokratischen Gesellschaft, die sie durch "direkte Aktionen" wie Selbstorganisation, Besetzungen, Boykotts, Streiks, Sabotage zu erreichen glaubt. Die FAU sieht sich als Gewerkschaft und ist bestrebt, sich vorrangig in der Betriebsarbeit zu engagieren. Die FAU ist in Thüringen inzwischen mit Ortsgruppen in Altenburg, Ilmenau, Meiningen, Suhl und dem Saale-Orla-Kreis vertreten. Allerdings scheinen diese organisatorisch nicht wirklich selbstständig zu sein. Die Ortsgruppen Altenburg und Saale-Orla-Kreis sind 75 Die offizielle Abkürzung lautet FAU-IAA, jedoch ist auch in Veröffentlichungen der Gruppierung die Abkürzung FAU gebräuchlicher. Diese wird in der Folge verwandt. 76 Der Begriff setzt sich aus dem griechischen Wort anarcho (führerlos) und dem französischen Wort Syndikat (Vereinigung, Gewerkschaft) zusammen. Er bezeichnet anarchistische Organisationen mit gewerkschaftlichem Anspruch. 131 132 über die FAU Leipzig erreichbar, für die Gruppen in Ilmenau und Suhl wird die Ortsgruppe Meiningen als Kontakt angegeben. Im Beobachtungszeitraum trat die FAU in Thüringen kaum in Erscheinung. Die aktivste Gruppe scheint weiterhin die im März 2007 Linksextremismus gegründete Ortsgruppe Meiningen zu sein, die sich selbst "Freie ArbeiterInnen Union Südthüringen" (FAUST) nennt. 5. Marxistisch-leninistische Parteien und sonstige Organisationen 5.1 "Kommunistische Plattform" (KPF) der Partei "DIE LINKE." Bund Thüringen Gründungsjahr 1989 1993 Sitz Berlin - Mitglieder 2006 ca. 1.000 ca. 50 2007 ca. 1.000 ca. 90 2008 ca. 960 ca. 100 Publikation "Mitteilungen der - Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE" (monatl.) Internet eigene Internetpräkein eigener senz im Rahmen des Internetauftritt Internetauftritts der Partei "DIE LINKE." Die "Kommunistische Plattform" (KPF) der Partei "DIE LINKE." wurde am 30. Dezember 1989 in der damaligen SED-PDS gegründet und wirkt nunmehr in der Partei "DIE LINKE." als "ein offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten". Wesentliches Anliegen der KPF ist die Fortsetzung marxistisch-leninistischer Politik innerhalb der Partei "DIE LINKE.", worunter sie u. a. das Festhalten an der sozialistischen Zielstellung und damit der antikapitalistischen Grundausrichtung, aber auch die uneingeschränkten Ablehnung des Einsatzes militärischer Mittel zur Lösung internationaler Konflikte versteht. Die KPF bekannte sich im Berichtszeitraum dazu, im politischen Alltag und in der bevorstehenden Programmdebatte der Partei "DIE LINKE." nach wie vor einem "Systemwechsel"77 verpflichtet zu sein. Die sich deutlich zum Kommunismus bekennende Organisation arbeitet eng mit der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) und weiteren linksextremistischen Personenzusammenschlüssen zusammen. Ihrer Satzung zufolge ist sie "offen für alle, unabhängig von parteilicher und sonstiger politischer Bindung", sofern "Mehrheitsbeschlüsse der KPF" und das Parteistatut akzeptiert werden. Im Rahmen des von der Plattform angestrebten "breiten linken Bündnisses" ist deren vorrangiges Anliegen, "die Zusammenarbeit aller [...], die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen", herzustellen. Linksextremismus Die KPF wird auf Bundesebene von einem Bundeskoordinierungsrat (BKR) geleitet und durch den Bundessprecherrat vertreten. Auf Landesebene sind adäquate Organe tätig. Höchstes Gremium ist die laut Satzung mindestens einmal jährlich einzuberufende Bundeskonferenz. Diese beschließt die politischen Leitlinien der KPF und wählt den Bundeskoordinierungsund Bundessprecherrat. In Thüringen konstituierte sich die KPF im März 1993. Auf der am 26. April in Berlin durchgeführten 1. Tagung der 14. Bundeskonferenz teilte der Bundessprecherrat der KPF in seinem Bericht mit, dass der Vorstand der Partei "DIE LINKE." am 28. Januar insgesamt 19 innerparteiliche Zusammenschlüsse, dar77 "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE", Nr. 8/2007, S. 2. 133 134 unter auch die KPF, als bundesweite Zusammenschlüsse anerkannt habe.78 Fortan können somit nicht nur Delegierte zu Parteitagen entsandt, sondern auch finanzielle Mittel der Partei für eigene Zwecke beansprucht werden. Dem Bericht zufolge habe die KPF Linksextremismus in allen 16 Bundesländern die Satzungshürden genommen und verkörpere inzwischen den zweitstärksten Zusammenschluss innerhalb der Partei. Angehörige der KPF sind auch weiterhin in wichtigen Gremien der Partei "DIE LINKE." vertreten. So wurde das Mitglied des Bundeskoordinierungsrates der KPF, Sahra WAGENKNECHT, auf dem 1. Parteitag der Partei "DIE LINKE." am 24./25. Mai in Cottbus mit 70,5 % der Stimmen erneut in den Parteivorstand gewählt. Der Vorsitzende des Landessprecherrates der KPF Thüringen ist als Mitglied im Bundeskoordinierungsrat der KPF vertreten. In einer Stellungnahme zum Beschluss des Landesvorstands Thüringen der Partei "DIE LINKE." hinsichtlich der Zusammenarbeit mit "anderen linken Parteien", insbesondere der DKP, positionierte sich der Landessprecherrat der KPF Thüringen im April öffentlich.79 Demnach pflege die KPF Thüringen "seit Jahren eine auf gegenseitigem Vertrauen und auf Eigenständigkeit beruhende Zusammenarbeit mit den GenossInnen der DKP in Thüringen". Dies sei im Interesse der Stärkung "linker" Positionen in der Gesellschaft erforderlich und werde daher auch in Zukunft erfolgen. Mit dieser Verlautbarung findet die von der KPF auf Bundesebene vertretene Linie Unterstützung. Zuvor hatte der Ausschluss eines DKP-Mitgliedes aus der hessischen Landtagsfraktion von "DIE LINKE." zu parteiübergreifenden Diskussionen geführt.80 Aktivitäten der KPF Thüringen beschränken sich vor allem auf die Durchführung von internen Veranstaltungen, die Abgabe von Erklärungen zu aktuellen innerparteilichen Themen sowie die gelegentliche Teilnahme an traditionellen Gedenkveranstaltungen81. 78 "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE" Nr. 5/2008. 79 "junge Welt" vom 08.04.2008. 80 Siehe Fn. 85. 81 Zum Beispiel anlässlich des Jahrestags der Ermordung Ernst THÄLMANNs. 5.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Bund Thüringen Gründungsjahr 1968 1996 Sitz Essen - Mitglieder 2006 ca. 4.200 ca. 50 2007 ca. 4.200 ca. 40 2008 ca. 4.200 ca. 40 Jugend"Sozialistische existent; organisation Deutsche Arbeiternur wenige jugend" (SDAJ) Mitglieder Publikation "Unsere Zeit" (UZ) "Thüringenreport" (wöchentlich) (meist zweimonatlich) Linksextremismus Internet eigener eigener Internetauftritt Internetauftritt Die 1968 in Frankfurt/Main gegründete DKP versteht sich als Nachfolgeorganisation der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). In ihrem aktuellen Parteiprogramm charakterisiert sie sich als antifaschistische, revolutionäre Partei der Arbeiterklasse, als Partei des proletarischen Internationalismus und des Widerstandes gegen die sozialreaktionäre, antidemokratische und friedensgefährdende Politik der Herrschenden, die sich von den Zukunftsund Gesamtinteressen der Arbeiter und Angestellten als Klasse leiten lässt. Weltan135 136 schauung, Politik und Organisationsverständnis der DKP gründen dem Programm zufolge auf dem wissenschaftlichen Sozialismus, den Theorien von Marx, Engels und Lenin. Die Partei überträgt die Lehren des Marxismus auf die derzeitigen Bedingungen des Linksextremismus Klassenkampfes, um so zu deren Weiterentwicklung beizutragen. Ihr Ziel sieht sie im Sozialismus/Kommunismus, wofür es die Arbeiterklasse und die Mehrheit der Werktätigen zu gewinnen gelte. Nur der revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen beseitige letztendlich die Ursachen von Ausbeutung und Entfremdung, Krieg, Verelendung und Zerstörung der natürlichen Umwelt. Auch im Jahr 2008 waren die Bemühungen der DKP, neue, insbesondere junge Mitglieder zu gewinnen, wenig erfolgreich. Der Altersdurchschnitt der Anhängerschaft betrage inzwischen ca. 60 Jahre.82 Die finanzielle Schwäche der Partei hält nach wie vor an. Eigenen Angaben zufolge befindet sich die parteieigene Wochenzeitschrift "Unsere Zeit" (UZ) in der "finanziell bedenklichsten Situation seit (dem) Erscheinen als Wochenzeitung 1996". Auf der 2. Parteivorstandstagung am 14./15. Juni in Essen erklärte der Chefredakteur der UZ, in den letzten drei Jahren jährlich ca. 200 Abonnenten verloren zu haben. Sollte es nicht gelingen, diesem drastischen Rückgang entgegenzuwirken, wäre das Fortbestehen der UZ als Wochenzeitung gefährdet. Das sich überwiegend über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzierende Blatt wandte sich auch im Berichtsjahr mit Spendenaufrufen an seine Leserschaft. Unter dem Motto: "DKP in Bewegung - DKP für Sozialismus" führte die DKP am 23. und 24. Februar ihren 18. Parteitag in Mörfelden-Walldorf (Hessen) durch. Die Tagung stand ganz im Zeichen der Ereignisse um die Äußerungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel WEGNER83. Nach Presseangaben sollen an der Veranstaltung 170 Delegierte84 und Gäste von 25 sozialisti82 "Unsere Zeit" (UZ) Nr. 29/30 2008. 83 Christel WEGNER wurde am 18. Februar 2008 aufgrund ihrer Äußerungen u. a. zur "Überwindung der Macht des Kapitals", zur "Macht der Arbeiterklasse", zur "Wiedereinführung der Staatssicherheit" und zum "Bau der Mauer" in einem Interview des ARD-Fernsehmagazins "Panorama" von der niedersächsischen Landtagsfraktion der Partei "DIE LINKE." ausgeschlossen. Daraufhin erfolgten zahlreiche Unterstützungsund Solidaritätsbekundungen u. a. von DKP, KPD, SDAJ und führenden Funktionären der KPF. 84 "junge Welt" vom 25.02.2008. schen und kommunistischen Parteien85 teilgenommen haben. Gemäß Parteitagsbeschluss werde sich die DKP weiterhin "aktiv für die Zusammenarbeit der Linken" engagieren. Mit großer Mehrheit nahmen die Delegierten ein "Arbeitsvorhaben 2008/2009" mit dem Titel "Die DKP im Kampf gegen Krieg, Sozialund Demokratieabbau - Profil schärfen - DKP stärken" an. Der Parteivorsitzende Heinz STEHR und seine Stellvertreterin Nina HAGER wurden von den Delegierten im Amt bestätigt. Dem auf 34 Mitglieder verkleinerten Parteivorstand gehört auch weiterhin ein Genosse aus Thüringen an. 40. Jahrestag der Gründung der DKP Die DKP beging am 27. September in Recklinghausen ihren 40. Jahrestag mit einer Festveranstaltung, an der ca. 400 Teilnehmer aus verschiedenen Bundesländern teilnahmen. Als Gäste waren u. a. der Leiter der Bonner Außenstelle der kubanischen Botschaft, der internationale Sekretär der venezolanischen kommunistischen Partei, ein Vertreter der georgischen Friedensbewegung, der auch im Namen der "Vereinigten Partei der Kommunisten Georgiens" auftrat, sowie eine Vertreterin der "Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes" aus Zypern geladen. Die Jubiläumsfeier umfasste eine Ausstellung zur Geschichte der Linksextremismus DKP, eine Revue "40 Jahre DKP", Diskussionsrunden, Musikund Redebeiträge sowie die Ehrung der Genossinnen und Genossen des Zentralen Gründungsausschusses der DKP. Die formal selbstständige, jedoch mit der DKP eng verbundene Jugendorganisation "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) zählt bundesweit etwa 300 Mitglieder. Aus Anlass ihres 40. Gründungsjahrestages hatte sie unter dem Motto "Zeit zu kämpfen - Zeit zu feiern" vom 9. bis 12. Mai zu einem "Festival der Jugend" nach Köln geladen. Das breit gefächerte politische und kulturelle Programm umfasste neben Diskussionsund Informationsveranstaltungen, die vor allem den "Kampf gegen Kriegseinsätze, Aus85 Pressemitteilung der DKP. 137 138 bildungsmisere, Sozialabbau und Überwachungsstaat"86 thematisieren sollten, auch Lesungen, Sportwettkämpfe und Live-Musik. Meldungen der UZ nach sollen sich an den Feierlichkeiten rund 1.000 Jugendliche beteiligt haben. Linksextremismus Die DKP in Thüringen Die im Januar 1996 gegründete DKP Thüringen umfasst nach eigenen Angaben sechs Regionalund Ortsgruppen.87 Führungsgremium ist ein von der Landesmitgliederversammlung gewählter Koordinierungsrat. Dem hier seit 1996 bestehenden SDAJ-Verband gehören lediglich einige wenige Mitglieder an. Die Tätigkeit der Jugendorganisation beschränkt sich auf die Durchführung einzelner Veranstaltungen, wie z. B. das "Grillen gegen Rechts" im Juni 2008 sowie die Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen, Protesten und Solidaritätsbekundungen. Die Thüringer DKP trat auch 2008 nur selten in Erscheinung. Ihre öffentlichen Aktivitäten beschränkten sich im Wesentlichen auf Teilnahmen an Gedenkund Protestveranstaltungen. Beispielhaft sei auf die Beteiligung an dem Ostermarsch in Ohrdruf am 23. März, die Begehung des Jahrestages der Ermordung Ernst Thälmanns im KZ Buchenwald am 18. August oder auch die gemeinsam mit der SDAJ gebildete Blockadegruppe beim "3. Fest der Völker" am 13. September in Altenburg hingewiesen. Der desolate personelle und organisatorische Zustand der Thüringer DKP wurde anlässlich des für den 2. und 3. Februar geplanten "Antifaschistischen Wochenendes" deutlich, mit dem an den 15. Todestag von Olaf HEYDENBLUTH88 erinnert werden sollte. Der hierzu via Internet erfolgte Aufruf traf im linksextremistischen Spektrum auf so wenig Resonanz, dass die Veranstaltung schließlich abgesagt werden musste. Dieser Vorfall steht exemplarisch für die fehlende Kampagnenfähigkeit, das nicht vorhandene Aktivierungspotenzial 86 "Unsere Zeit" (UZ) Nr. 18/2008. 87 "Thüringenreport" Nr. 2/2008. 88 Olaf HEYDENBLUTH, ein Aktivist der örtlichen Antifa-Szene, war im Februar 1993 stranguliert in seiner Wohnung in Suhl aufgefunden worden. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben keinerlei Hinweis auf Fremdeinwirkung. Teile des linksextremistischen Spektrums zweifeln einen Suizid HEYDENBLUTHs nach wie vor an. Die SDAJ geht davon aus, dass er Opfer eines "Nazi-Mordes" wurde. und den mangelnden Rückhalt von DKP und SDAJ im hiesigen linksextremistischen Spektrum. Im Umfeld der DKP tritt in Jena die "Marxistische Hochschulgruppe" auf, die sich der "Assoziation Marxistischer Studenten" (AMS) zurechnet. 5.3 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) Bund Thüringen Gründungsjahr 1990 1993 Sitz Berlin - Mitglieder 2006 ca. 200 wenige Mitglieder 2007 ca. 200 wenige Mitglieder 2008 ca. 150 wenige Mitglieder Publikation "Die Rote Fahne" - (monatlich) Jugend"Kommunistischer existent; organisation Jugendverband nur wenige Linksextremismus Deutschlands" Mitglieder (KJVD) Internet eigener kein eigener Internetauftritt Internetauftritt Die am 31. Januar 1990 im damaligen Ost-Berlin von ehemaligen SED-Mitgliedern "wiedergegründete" KPD bekennt sich zu den Lehren von MARX, ENGELS, LENIN und STALIN. In ihrem auf dem 25. Parteitag 2007 neu beschlossenen Statut definiert sie sich als "marxistisch-leninistische Partei", als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse und des ganzen werktätigen Volkes", die "fest 139 140 in den Traditionen des 'Bundes der Kommunisten', des 'Spartakusbundes', der KPD und SED sowie ihrer hervorragenden Persönlichkeiten" steht. Zu denen zählt sie in erster Linie Ernst THÄLMANN, aber auch Karl LIEBKNECHT, Rosa LUXEMBURG, Wilhelm PIECK, Linksextremismus Walter ULBRICHT und Erich HONECKER gelten als Vorbilder. Die Partei sieht sich als "Erbe und Bewahrer der Erfahrungen und Erkenntnisse des Klassenkampfes der revolutionären Arbeiterklasse und ihrer Verbündeten in Deutschland" sowie "des Besten, was die deutsche Arbeiterklasse bisher erkämpfte, der sozialistischen Erfahrungen und Errungenschaften der DDR". Als weitere Aufgabe wurde festgelegt, "insbesondere die Arbeiterklasse und alle objektiv antiimperialistischen Kräfte für die Überzeugung zu gewinnen, dass die einzige Alternative zur gegenwärtigen imperialistisch geprägten Gesellschaft noch immer die Schaffung der sozialistischen Gesellschaftsordnung ist." Politisch-ideologische Markenzeichen der KPD sind dogmatischer Stalinismus, DDR-Verherrlichung sowie permanente Huldigungen an die "Koreanische Demokratische Volksrepublik" (KDVR) und deren Führung. Ihren organisatorischen Schwerpunkt hat die Partei in den neuen Bundesländern. Seit April 1993 besteht die KPD-Landesorganisation Thüringen. Zudem ist der im April 2002 wieder gegründete "Kommunistische Jugendverband Deutschlands" (KJVD) auch in Thüringen organisatorisch vertreten. Auch im Jahr 2008 verringerte sich die öffentliche Wahrnehmung der innerlich zerrütteten KPD weiter. Nennenswerte Impulse und Aktivitäten gingen im Berichtszeitraum von der Partei nicht aus. Das Parteiprogramm sieht vor, die Zusammenarbeit der kommunistischen Parteien zu verstärken und durch gemeinsame Aktionen zur "Entwicklung der Kampforganisationen der arbeitenden Klasse und der antiimperialistischen Bewegung" beizutragen. Sowohl auf Bundesebene als auch in Thüringen wird die Umsetzung dieses Anliegens verfolgt. Dank gemeinsamer Vereinbarungen, so das Zentralkomitee der KPD, kooperiere man mit DKP und KPF auf Ortsund Landesebene bereits gut. Mit Blick auf die angestrebte Aktionseinheit hatte die KPD am 17. Mai zu einer in Berlin tagenden Konferenz unter dem Motto "Gemeinsam gegen Neofaschismus und Krieg, für Frieden, De- mokratie und sozialen Fortschritt" geladen. In seinem Schlusswort konstatierte der KPD-Vorsitzende Dieter ROLLE: "Gegen Krieg und Faschismus werden viele Menschen auf die Straße zu bewegen sein, gegen einen Systemwechsel noch nicht. Aber mit der Zurückdrängung der Politik der Kriegseinsätze und des Faschismus durch machtvolle Aktionen schaffen wir weitere Voraussetzungen für die Überwindung dieses Systems."89 Zur Organisation und Koordinierung gemeinsamer Aktionen wurde das unter Federführung der KPD stehende Koordinierungsgremium "Antifaschistisches Komitee gegen Krieg und Sozialraub - Antifa-Komitee" gebildet. Am 15. November fand in Berlin eine gemeinsame Festveranstaltung linker Parteien, Organisationen und Vereine zum 90. Jahrestag der Novemberrevolution statt. Zugleich wurde der KPD-Gründung gedacht. Träger der Veranstaltung waren u. a. die KPD, die DKPLandesverbände Berlin und Brandenburg sowie die KPF. Zu den Rednern zählte neben dem KPD-Vorsitzenden auch der Vorsitzende des DKP-Landesverbandes Berlin. Analog zur Bundespartei ist es auch um die KPD-Landesorganisation Thüringen ruhig geworden. Erwähnenswerte eigenständige Aktivitäten wurden im Berichtszeitraum nicht bekannt. In der Regel beteiligte sich die Thüringer KPD an den gemeinsamen Aktionen anderer kommunistischer Parteien und Organisationen im Freistaat. Wie die KPD ist auch ihre Jugendorganisation in Thüringen weitLinksextremismus gehend inaktiv. 89 "Die Rote Fahne", Juni 2008, S. 4. 141 142 5.4. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Linksextremismus Bund Thüringen Gründungsjahr 1982 - Sitz Gelsenkirchen zwei Kontaktadressen Mitglieder 2006 ca. 2.300 ca. 50 2007 ca. 2.300 ca. 50 2008 ca. 2.300 ca. 40 Publikation "Rote Fahne" "Stimme von und (wöchentlich) für Elbe-Saale" (unregelmäßig) Jugend"REBELL" organisation Internet eigener kein eigener Internetauftritt Internetauftritt Die MLPD wurde 1982 in Bochum gegründet. Sie "wendet den Marxismus-Leninismus und die Maotsetungideen schöpferisch auf die heutige Situation an". In der Präambel ihrer "Organisationspolitischen Grundsätze" bezeichnet sie sich "als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland". Als "grundlegendes Ziel" werden "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft" angegeben. In ihrem 1999 auf dem "Gelsenkirchener Parteitag" beschlossenen Parteiprogramm führt sie ergänzend aus: "Die Eroberung der politischen Macht ist das strategische Ziel des Klassenkampfes der Arbeiterklasse. Die MLPD hat die Aufgabe, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für den Sozialismus zu gewinnen und ihre Kämpfe in einem umfassenden, gegen das Monopolkapital und seinen Staat als politisches Herrschaftsinstrument gerichteten Kampf höherzuentwickeln. [...] Der Kern der revolutionären Taktik der MLPD besteht darin, den wirtschaftlichen mit dem politischen Kampf zu verbinden bzw. den wirtschaftlichen in den politischen Kampf umzuwandeln und den Klassenkampf auf das sozialistische Ziel hin auszurichten." Im linksextremistischen Lager ist die MLPD auf Grund ihres sektiererischen Auftretens isoliert. Die MLPD verfügt über sieben Landesverbände. Thüringen gehört neben den Bundesländern Sachsen und Sachsen-Anhalt dem im 1. Halbjahr 2008 gegründeten Landesverband "Elbe-Saale" mit Sitz in Leipzig an. Die organisatorischen Schwerpunkte der Partei befinden sich im Freistaat in Eisenach und Sonneberg. 2008 wurde der VIII. Parteitag der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) in Hamburg durchgeführt. In diesem Zusammenhang lobte der Parteivorsitzende Stefan ENGEL die angeblich großen Erfolge sowohl beim Aufbau der Partei als auch der Durchbrechung ihrer "relative(n) Isolierung". Die MLPD sei zu einer "gesamtgesellschaftlich bedeutenden Kraft" gereift. Das Linksextremismus Zentralkomitee (ZK) leite und kontrolliere jetzt nicht mehr direkt die Parteiarbeit vor Ort, vielmehr habe man Landesleitungen installiert, die als Zwischenebene fungieren sollen. Auf diesem Weg wolle man in den nächsten Jahren die "Leitlinie des Kreisaufbaus auf breiter Front und der marxistisch-leninistischen Jugendarbeit als Lebensschule der proletarischen Denkweise" umsetzen. Schwerpunkt sei außerdem die Neuwahl des ZK gewesen. Stefan ENGEL wurde durch das ZK als Parteivorsitzender bestätigt. Das traditionelle Sommercamp des MLPD-Jugendverbandes "REBELL" und seiner Kinderorganisation "Rotfüchse" fand in der Zeit vom 26. Juli bis 23. August zum sechsten Mal in der "Ferienund Freizeitanlage Truckenthal" im Thüringer Wald statt. Neben dem Angebot eines "erholsamen und rebellischen Urlaub(s)" standen 143 144 die politische Schulung der Jugendlichen, die Gewinnung neuer Parteimitglieder und der weitere Aufund Ausbau der Immobilie im Vordergrund. Ein Höhepunkt des Sommercamps sei das "6. Große Waldfest" am 16. August gewesen, auf dem auch der ParteivorsitLinksextremismus zende Stefan ENGEL ein Grußwort sprach. In MLPD-eigenen Medien90 wurde von während des Camps durchgeführten Maßnahmen zur Mitgliedergewinnung berichtet. So soll es Sympathisantenwerbungsaktionen in der näheren Umgebung der "Ferienund Freizeitanlage Truckenthal" gegeben haben. In der letzten Campwoche wurde einem Bericht des Zentralorgans "Rote Fahne"91 zufolge eine "Rotfuchs"-Gruppe in Schalkau gegründet. Eine weitere Gruppe der "Rotfüchse" soll bereits seit Mai in Eisenach bestehen. Die MLPD verstärkte zum Jahresende ihre Aktivitäten in Erfurt. Es wurden mehrere Informationsstände zu den Themen "Soziales und Umwelt" bzw. "Weltklimatag" durchgeführt und zugleich um Unterstützung im Wahlkampf 2009 geworben. 5.5 "Rote Hilfe e.V." (RH) Bund Thüringen Gründungsjahr 1975 - Sitz Göttingen Jena Mitglieder 2006 ca. 4.300 2007 ca. 4.300 2008 ca. 5.000 ca. 40 Publikation "Die Rote Hilfe" "Rundbrief für (vierteljährlich) Mitglieder und Interessierte" Internet eigener eigener Internetauftritt Internetauftritt 90 "Rote Fahne News" (www.rf-news). 91 "Rote Fahne" Nr. 34/2008. Die von Linksextremisten unterschiedlicher Ausrichtung getragene RH versteht sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die vermeintlich politisch Verfolgte aus dem gesamten "linken" und linksextremistischen Spektrum politisch und materiell unterstützt. Darüber hinaus gelte ihre Solidarität "den von der Reaktion politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde". Im Berichtszeitraum tagte die Bundesdelegiertenversammlung (BDV), das höchste Beschlussorgan der RH, und wählte einen neuen Bundesvorstand. Diesem sollen jetzt mehr Mitglieder als zuvor, insbesondere mehr Vertreter aus Ostdeutschland angehören. Zu den Themen der BDV sollen die sehr gute Einnahmesituation der RH und der geplante Kauf einer Immobilie gehört haben. Die Organisation gliedert sich bundesweit in ca. 40 Ortsbzw. Regionalgruppen. In Thüringen existiert eine Ortsgruppe in Jena. Über Internet war für den 11. Dezember die Gründung einer Ortsgruppe in Erfurt angekündigt worden.92 Die Jenaer Gruppe ist bemüht, mit Presseerklärungen auf ihrer Internetseite Aufmerksamkeit zu erzielen. Gelegentlich veröffentlicht sie dort eine Publikation namens "Rundbrief für Mitglieder und Linksextremismus Interessierte". Bestandteil der zweiten Ausgabe war u. a. einen Redebeitrag, der am 16. März anlässlich einer Demonstration in Weimar gehalten worden sein soll. In dem Text werden über die Verharmlosung linksextremistischer Gewalttaten hinaus gewalttätige Aktionsformen in ungewohnter Deutlichkeit befürwortet. Wenn in einem Staat "ein Brandanschlag auf das Auto eines Naziführers mit einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim als 'extremistische Gewalt' auf eine Stufe gestellt" werde, sei Legalität "kein Maßstab für Antifaschismus". Maßnahmen "gegen die Nazis" hätten nur dann Erfolg, wenn man "solidarisch einen gemeinsamen Kampf, [...] der verschiedene Aktionsformen kennt", führe. 92 Eine vormals in Erfurt bestehende Ortsgruppe hatte sich Ende 2007 aufgelöst. 145 146 6. Politisch motivierte Kriminalität - Links - im Überblick Linksextremismus Die im Bereich der politisch motivierten Kriminalität - Links - in den Jahren 2006, 2007 und 2008 in Thüringen begangenen Straftaten lassen sich wie folgt darstellen:93 Straftaten 2006 2007 2008 Insgesamt 118 266 312 davon u. a.: Gewaltkriminalität 17 58 56 Sachbeschädigungen 43 89 150 Verstöße gegen das 24 77 75 Versammlungsgesetz Ein Fünftel der erfassten politisch motivierten Straftaten (1.554) entfiel im Berichtszeitraum auf den Phänomenbereich "Links". Der rapide Anstieg bei den Sachbeschädigungen steht im unmittelbaren Zusammenhang mit den Aktivitäten des autonomen Spektrums und kann als Beleg dafür gesehen werden, dass die Begehung derartiger Straftaten von diesem Personenkreis als nahezu selbstverständliche Protestund Aktionsform betrachtet wird. 93 Statistik des Thüringer Landeskriminalamts (TLKA) zur politisch motivierten Kriminalität im Freistaat Thüringen. IV. Ausländerextremismus/Islamismus 1. Überblick Die Aktivitäten der in Deutschland agierenden ausländerextremistischen Organisationen zielen darauf ab, Veränderungen der politischen Verhältnisse in den jeweiligen Herkunftsländern herbeizuführen oder die Außenpolitik der Bundesregierung dahingehend zu beeinflussen. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten Gruppierungen, die sich gegen die konstitutiven Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wenden oder Bestrebungen entfalten, welche die innere Sicherheit sowie auswärtige Belange der Bundesrepublik durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gefährden. Die Strukturen jener Organisationen und Gruppierungen weichen ebenso erheblich voneinander ab wie die ideologischen Grundlagen, auf die sie sich berufen. Sie sind entweder linksextremistisch, nationalistisch/separatistisch oder islamistisch ausgerichtet. Und sie sind auch unterschiedlicher Auffassung, ob Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen ist. Ausländerextremismus Als Angehörige linksextremistischer Ausländergruppierungen gelten 16.870 Personen. Das extrem-nationalistische Spektrum umfasst 7.880 Anhänger. Islamistische Gruppierungen verfügen mit 34.720 Anhängern weiterhin über das größte Personenpotenzial. Einige Formen des Islam, die von den jeweiligen religiösen Strömungen vertreten werden, sind mit den in demokratischen Staaten garantierten Menschenrechten ebenso unvereinbar wie mit dem freiheitlichen demokratischen und pluralistisch ausgerichteten Verfassungssystem der Bundesrepublik Deutschland. Die ideologischen Ansichten von Islamisten hemmen die Integration von Ausländern muslimischen Glaubens in die Gesellschaft, da sie die Wertvorstellungen westlicher Demokratien für gänzlich unvereinbar mit dem Islam erachten. Zudem liefern die von 147 148 Islamisten vertretenen Anschauungen die ideologische Grundlage dafür, den Jihad94 - den Krieg gegen die "Ungläubigen" - zu rechtfertigen. Ausländerextremismus Deutschland ist spätestens seit den vereitelten Anschlägen auf zwei Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen im Juli 2006 als ein mögliches Ziel terroristischer Attentate zu verstehen. Untermauert wurde dies zuletzt durch die Aufdeckung der "Sauerland-Gruppe"95 und die im September 2007 erfolgten Festnahmen. Der Vorfall führte zugleich vor Augen, dass das Phänomen des "homegrown" Terrorismus - also der in säkularisierten, westlich geprägten Gesellschaften aufgewachsenen Täter - auch in Deutschland anzutreffen ist. Die Ausrichtung des islamistischen Terrors auf "weiche", d. h. wenig geschützte Ziele, die eine starke Wirkung auf die Öffentlichkeit versprechen, erschwert es, mögliche Angriffspunkte einzugrenzen. Die Bundesrepublik dient jenen Personenzusammenschlüssen auch als Ruheund Rückzugsraum. Darüber hinaus werden von hier aus Aktivitäten entwickelt, finanzielle Mittel zur Unterstützung der in den Heimatländern verfolgten Anliegen zu beschaffen. Die Anhängerschaft in Thüringen Das ausländerextremistische/islamistische Personenpotenzial in Thüringen entsprach im Berichtszeitraum mit etwa 100 Personen dem Stand der Vorjahre. Allein der KONGRA GEL (vormals PKK, später KADEK) verfügt weiterhin über gefestigte organisatorische Strukturen in Thüringen. Daneben werden in einigen muslimischen Kreisen extremistische Positionen bezogen sowie die Ideologien und Werte des "Westens" als schädlich und feindlich für Muslime dargestellt. Bestrebungen, in Thüringen Anhänger für Bewegungen oder Organisationen zu gewinnen, die islamistische Grundsätze vertreten, werden vom TLfV aufmerksam beobachtet. Die Verfassungsschutz94 Der arabische Begriff "Jihad" bedeutet "Anstrengung" oder "Bemühung", ohne dass es sich dabei um eine kriegerische Auseinandersetzung handeln muss; oft auch mit "innerer Kampf" oder "heiliger Krieg" übersetzt, wenngleich sich dies aus dem reinen Wortsinn nicht ergibt. Die teils schwer auslegbaren Anweisungen des Koran versetzen islamistische Terroristen in die Lage, ihr Denken und Handeln im Koran legitimiert zu sehen. 95 Gegen die seinerzeit festgenommenen mutmaßlichen Anhänger der "al-Qaida"-nahen Gruppierung "Islamische Jihad Union" (IJU) hat die Bundesanwaltschaft zwischenzeitlich Anklage wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation und der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen erhoben. behörden schätzen, dass etwa 1 % der in Deutschland lebenden Muslime islamistischen Organisationen zuzuordnen ist. Von ausländerextremistischen oder islamistischen Gruppierungen gingen im Berichtszeitraum kaum öffentlichkeitswirksame Aktivitäten aus. In einzelnen Fällen organisierten sie Demonstrationen und Informationsstände, um auf aktuelle Ereignisse zu reagieren oder auf die Verhältnisse in ihren Heimatländern aufmerksam zu machen. Ferner wurden überregionale Veranstaltungen im Inund Ausland besucht. 2. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/ "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) Ausländerextremismus Gegründet 1978 als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in der Türkei Betätigungsverbot vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen die PKK vom 26.11.1993 (KADEK und KONGRA GEL als Nachfolgeorganisationen vom Betätigungsverbot mit umfasst) Leitung Zübeyir AYDAR (in Abhängigkeit vom inhaftierten Abdullah ÖCALAN, dem Präsidium und dem Exekutivrat) Publikationen u. a. "SERXWEBUN" ("Unabhängigkeit"), monatlich Mitglieder/ ca. 11.500 Anhänger (Bund) Teilgebiet Erfurt ca. 60 149 150 2.1 Überblick, allgemeine Lage Die ihrem Ursprung nach marxistisch-leninistische Kaderorganisation "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) wurde 1978 von Abdullah Ausländerextremismus ÖCALAN in der Türkei gegründet. Mit dem Ziel, einen autonomen Kurdenstaat zu erzwingen, begann sie 1984 einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär zu führen. Da von der PKK auch in der Bundesrepublik gewalttätige Aktionen ausgingen, ist 1993 ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen sie ausgesprochen worden. Nach der Festnahme Abdullah ÖCALANs im Februar 1999 beschloss die PKK ihre grundsätzliche Neuausrichtung. Die Organisation rückte von dem Ziel, einen autonomen Kurdenstaat zu errichten, ab und fordert seither von der türkischen Regierung die Anerkennung der kurdischen Identität durch den Erhalt der sozialen und kulturellen Eigenständigkeit der Kurden innerhalb der staatlichen Ordnung der Türkei ein. Abdullah Öcalan Abdullah ÖCALAN rief die PKK zur Einstellung des bewaffneten Kampfes auf. Daraufhin war auf dem 7. Parteikongress im Januar 2000 die neue - gewaltfreie - politische Linie beschlossen worden. Seitdem ist die PKK bestrebt, als politische Partei breite internationale Anerkennung zu erlangen und somit als vollwertiger Gesprächspartner bei der Lösung der "Kurdenfrage" in der Türkei akzeptiert zu werden. Dabei verfolgt die Partei eine Doppelstrategie, während sie in Europa um ein gewaltfreies Erscheinungsbild bemüht ist, agiert sie in der Türkei bis heute militant-offensiv. Über ihren militärischen Arm, die "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK), verübte sie von Mitte der achtziger bis Ende der neunziger Jahre terroristische Anschläge, die sich vorrangig gegen Einrichtungen des türkischen Staates richteten. Nach Einstellung des bewaffneten Kampfes und der 2000 propagierten Neuausrichtung der Partei nannte sich die Guerilla in "Volksverteidigungsarmee" (HPG) um und zog sich in eine Gebirgsregion im Nordirak zurück. Das "Recht auf legitime Selbstverteidigung", also einen Einsatz ihres bewaffneten Apparates bei einem Angriff durch das türkische Militär, behielt sich die Partei weiterhin vor. Bis heute liefern sich die Kämpfer der inzwischen in "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) umbenannten Organisation immer wieder Gefechte mit dem türkischen Militär. Die Anhänger des KONGRA GEL ehren ihre gefallenen Kämpfer als Märtyrer und führen auch in Deutschland jährliche Gedenkveranstaltungen durch. Im Februar 2008 führte die türkische Armee ihre bisher größte Offensive gegen die im Nordirak befindlichen Stützpunkte des KONGRA GEL durch. Bis zu 10.000 Soldaten sollen daran beteiligt gewesen sein. Anhänger des KONGRA GEL protestierten europaweit in zahlreichen Kundgebungen, Mahnwachen und Pressekonferenzen gegen die Bodenoffensive. Bei Kundgebungen in Deutschland kam es vereinzelt zu Zwischenfällen und Festnahmen. 2.2 Organisatorische Situation/Strukturen Ausländerextremismus Nachdem sich die vormalige PKK auf ihrem 8. Kongress im Jahre 2002 aufgelöst hatte, wurde auf einem "Kongress zum Wiederaufbau" im Frühjahr 2005 deren Neugründung beschlossen. Neben dieser neu gegründeten PKK blieb der 2003 gebildete "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) als Organisation, welche die politischen Ziele der PKK umsetzen soll, bestehen. Daneben wurde das System der "Koma Komalen Kurdistan" (KKK, später "Koma Ciwaken Kurdistan", KCK) präsentiert, welches nach Vorstellung des PKK-Gründers Abdullah ÖCALAN eine "Föderation eines demokratischen Nahen Ostens" etablieren soll. Maßgebliche Funktionen in allen drei Organen sind mit altgedienten Funktionären der vormaligen PKK besetzt. Die "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK), die im Juni 2004 aus der früheren "Kurdischen Demokratischen Volksunion" (YDK) hervorgegangen ist, bestimmt die politischen Aktivitäten des KONGRA GEL in Europa. 151 152 In der Zeit vom 5. bis 9. Mai 2008 hat die CDK ihre Generalversammlung in Südfrankreich abgehalten. Dabei sollen erneut Veränderungen der Organisationsstruktur, u. a. solche mit Auswirkungen auf das "illegale Netzwerk", also die verdeckt arbeitenden Ausländerextremismus Einheiten in Europa, beschlossen worden sein. Erst im Jahr davor war nach dem CDK-Jahreskongress in Italien eine Umstrukturierung der europäischen PKK-Gliederungen erfolgt, in deren Ergebnis Deutschland in sieben übergeordnete "Eyalets" (Regionen) mit insgesamt 28 "Bölge" (Gebieten) unterteilt worden war. Die Vorgaben und Anordnungen der CDK-Führungsebene werden entsprechend der hierarchischen Struktur an die Basis durchgestellt. Die Umsetzung erfolgt in der Regel durch die etablierten örtlichen Vereine, in denen die Anhänger des KONGRA GEL großenteils organisiert sind. Deutschlandweit existieren etwa 60 solcher Vereine, die dem Dachverband "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) angeschlossen sind. In Thüringen ist der "Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V." als Mitgliedsverein der YEK-KOM bekannt. Der Verein organisierte auch im Jahr 2008 die Teilnahme an verschiedenen bundesweiten und regionalen Veranstaltungen und Aktionen des Dachverbands. Im Freistaat selbst fanden kaum öffentlichkeitswirksame Aktionen statt. Einzelne interne Veranstaltungen zielten traditionell darauf ab, die aktuelle Lage der Kurden in den Siedlungsgebieten im Nordirak und Südosten der Türkei bewusst zu machen, die Forderungen des KONGRA GEL zu bekräftigen und die aktuellen Kampagnen und Vorhaben der Organisation zu verbreiten. Seit ca. 1997 stellt das "Teilgebiet Erfurt" die einzige etablierte Struktur des KONGRA GEL in Thüringen dar. Es ist dem "Gebiet Kassel" organisatorisch angeschlossen und umfasst neben dem Großraum Erfurt auch Teile Westund Südwestthüringens. Ein von der Partei bestimmter Teilgebietsleiter ist u. a. für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, die Verteilung und den Verkauf von Propagandamaterial und insbesondere für die Durchführung von Spendensammlungen verantwortlich. Wie im Vorjahr zählt das Teilgebiet Erfurt ca. 60 Mitglieder. 2.3 Finanzierung Den Hauptanteil ihrer Einnahmen erzielt die Organisation im Rahmen der jährlich unter ihren Anhängern in ganz Europa durchgeführten Spendenkampagne. Im Bundesgebiet werden dabei stets mehrere Millionen Euro eingenommen. Um die Spender zu motivieren, wird der "kurdische Freiheitskampf" propagiert. Die Intensität der Kampfhandlungen und die Höhe der Opferzahl beeinflussen das Spendenergebnis entscheidend. Ihre Geldmittel gewinnt die Partei zusätzlich aus dem Verkauf ihrer Publikationen, den monatlichen Beiträgen ihrer Anhänger und aus Einnahmen, die sie bei ihren Veranstaltungen erwirtschaftet. Die Gelder werden hauptsächlich zur Finanzierung des aufwändigen Propagandaapparates, der Führungskräfte und für den Unterhalt der Einrichtungen und Guerilla-Einheiten in den Kampfgebieten eingesetzt. 2.3.1 Strafverfahren gegen Spendensammler in Thüringen Am 29. Mai verurteilte das Landgericht Gera zwei Funktionäre des KONGRA GEL wegen Zuwiderhandelns gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu Geldstrafen. Im Rahmen polizeilicher Ausländerextremismus Fahrzeugkontrollen waren bei den Betroffenen im Januar und Februar 2006 u. a. Spendengeldquittungen, Bargeld, Propagandamaterial und handschriftliche Aufzeichnungen zur Spendengeldkampagne festgestellt worden. 2.4 Propaganda und Themenschwerpunkte 2008 Mit verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen in Deutschland und Europa war der KONGRA GEL auch im Berichtszeitraum bestrebt, seine Ansichten und Ziele propagandistisch zur Geltung zu bringen. Die Forderungen nach Anerkennung der politischen und kulturellen Identität der Kurden in der Türkei und Lockerung der Haftbedingungen für Abdullah ÖCALAN bildeten dabei wiederum die thematischen Schwerpunkte. Wie im Jahr zuvor gelang es der Organisation, jeweils Tausende Anhänger für traditionelle Großveranstaltungen zu mobilisieren. 153 154 2.4.1 Protestkampagne "Edi Bese!" ("Jetzt reicht es!") Im Rahmen der bereits seit 2007 laufenden Kampagne "Edi Bese!" ("Jetzt reicht es!") fanden im Berichtszeitraum wieder verstärkt Ausländerextremismus öffentlichkeitswirksame Aktionen des KONGRA GEL statt. Die Kampagne thematisierte ursprünglich den Gesundheitszustand Abdullah ÖCALANs. Inzwischen wird dieses Motto jedoch auch in Bezug auf das militärische Vorgehen der Türkei gegen die kurdische Guerilla verwendet.96 Mit Hungerstreiks, Mahnwachen und Infoständen wurde auch die Situation der Kurden im Iran thematisiert. Die YEK-KOM hatte im Vorfeld über die KONGRA GEL-nahe Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) zu einer regen Beteiligung aufgerufen. Die Aktionen richteten sich primär gegen die Hinrichtungen von Kurden im Iran, sollten zum anderen aber auch Solidarität mit dort inhaftierten Kurden, die sich zum Teil in einem Hungerstreik befanden, bekunden. Bei diesen soll es sich überwiegend um Mitglieder der "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" (PJAK), dem iranischen Ableger des KONGRA GEL, handeln. Der "Kurdisch Deutsche Freundschaftsverein Erfurt e.V." organisierte am 19. Januar eine Kundgebung unter dem Motto "Edi Bese - Schluss mit der Vernichtung Kurdistans" auf dem Erfurter Anger. Während der von etwa 60 Personen bestrittenen Veranstaltung wurden Flugblätter der YEK-KOM mit der Überschrift "Stoppt die Massaker der türkischen Armee in Kurdistan!" an Passanten verteilt. Darin wurden die Luftangriffe der türkischen Armee vom 15. und 16. Dezember 2007 auf PKK-Stellungen im Nord-Irak thematisiert und die Verantwortung für das "Massaker" sowohl der Türkei als auch den USA zugewiesen. Zugleich wurde "eine politische Lösung der kurdischen Frage" gefordert. Die Veranstaltungsteilnehmer führten ein Transparent mit der Aufschrift "Stoppt die Massaker der türkischen Armee in Kurdistan", ein überdimensionales Konterfei von Abdullah ÖCALAN sowie mehrere Plakate mit sich. Sie skandierten in kurdischer und deutscher Sprache: "Türkische Armee raus aus Kurdistan" und "Wir sind Kurden. Wir wollen 96 Bereits im Dezember 2007 ging die türkische Armee mit Luftangriffen gegen Stellungen der "Volksverteidigungsarmee" (HPG) im Nordirak vor. Vorausgegangen war eine Entscheidung des türkischen Parlaments vom 17. Oktober 2007, mit welcher der Regierung in Ankara die Erlaubnis für grenzüberschreitende Militärschläge gegen die HPG erteilt wurde. Freiheit!". Die von einzelnen Demonstranten angestimmte Parole "Türkei Terrorist, Türkei Terrorist!" fand keine Resonanz. 2.4.2 KONGRA GEL begeht "NEWROZ" Bundesweit haben Tausende Anhänger des KONGRA GEL am 22. und 23. März mit Fackelmärschen, Umzügen und Saalveranstaltungen friedlich das traditionelle kurdische Neujahrsfest "NEWROZ" begangen. Alljährlich versammeln sich Kurden weltweit aus diesem Anlass zu Feierlichkeiten. Der KONGRA GEL instrumentalisiert diese Tradition regelmäßig, um ein breites Spektrum kurdischer Volkszugehöriger anzusprechen und auf seine politischen Anliegen aufmerksam zu machen. Im Berichtsjahr hatte es erstmals seit Bestehen der Organisationsstrukturen in Thüringen keinen Fackelmarsch in Erfurt gegeben. Ausländerextremismus 2.4.3 Verbotsverfügung gegen den Satellitensender "ROJ TV" Der Betrieb des kurdischen Fernsehsenders "ROJ TV", repräsentiert durch die in Kopenhagen ansässigen Medienunternehmen "Mesopotamia Broadcast A/S" und "ROJ TV A/S", ist mit Verfügung des Bundesinnenministers vom 19. Juni im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes verboten worden. Gegen die als Teilorganisation von "ROJ TV A/S" bewertete "VIKO Fernseh-Produktion GmbH" in Wuppertal wurde ein Organisationsverbot verhängt. Das Unternehmen hatte Beiträge für "ROJ TV" erstellt und war faktisch dessen Deutschland-Repräsentanz. Der Satellitensender "ROJ TV" betreibt der Verbotsverfügung zufolge Propaganda für die seit 1993 mit einem Be155 156 tätigungsverbot belegte PKK, den heutigen KONGRA GEL, und verstößt damit gegen deutsche Strafgesetze und zudem gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Führungsebene des KONGRA GEL und seiner Teilorganisationen kritisierte die Maßnahme Ausländerextremismus heftig. In den organisationsnahen Medien, insbesondere der Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" wurde zur Teilnahme an Demonstrationen und Protestveranstaltungen gegen das Verbot von "ROJ TV" in Deutschland aufgerufen. In einer Erklärung verurteilte die CDK das Verbot als eine systematische Fortsetzung des PKK-Verbots und Folge einer feindlichen Politik gegen das kurdische Volk. Sie rief Kurden in Deutschland und Europa auf, den Kampf für die Organisation und das Recht auf Pressefreiheit auszuweiten. Die der YEK-KOM angeschlossenen Vereine kündigten an, Parlamenten, Ministerien und Gewerkschaften Informationsmaterial zu "ROJ TV" übergeben zu wollen. Zu einer vom "Kurdisch-Deutschen-Freundschaftsverein Erfurt e.V." angemeldeten Kundgebung versammelten sich am 10. Juli ca. 35 Teilnehmer vor dem Thüringer Landtag. Als Ausdruck ihres Protestes gegen die wenige Wochen zuvor ergangene Verfügung führten sie Plakate mit Slogans wie "ROJ-TV heißt Meinungsfreiheit" oder "Schäuble - Hände weg von ROJ-TV!" mit. Die Kundgebung fand in der "Yeni Özgür Politika" vom 12. Juli Erwähnung. 2.4.4 "Volksverteidigungsarmee" (HPG) entführt deutsche Staatsangehörige in der Türkei Am 8. Juli wurde eine Gruppe von 13 deutschen Bergsteigern in ihrem Basislager am Berg Ararat (Osttürkei) von bewaffneten Kämpfern überfallen und drei Mitglieder der Gruppe entführt. In einer von der organisationsnahen Nachrichtenagentur "Firat News" am 10. Juli veröffentlichten Erklärung gab die "Volksverteidigungsarmee" (HPG) bekannt, die drei Bergsteiger seien von einer Guerillaeinheit der Organisation in Gewahrsam genommen worden. Als Grund hierfür wurden die in der Bundesrepublik ausgesprochenen Verbote des kurdischen Fernsehsenders "ROJ TV" und der "VIKO GmbH" benannt. Die Freilassung der Geiseln stellten die Entführer nur für den Fall in Aussicht, dass Deutschland seinen Verzicht auf die gegen das kurdische Volk und die PKK gerichtete Politik erklärt. Laut weiterer im Internet veröffentlichter Bekundungen sei die Entführung auf Eigeninitiative einer lediglich lokal agierenden HPGGruppe durchgeführt worden. Wenngleich das Präsidium des Exekutivrates der "Koma Civaken Kurdistan" (KCK) die ursprüngliche Forderung insoweit relativierte, als dass sich die Bundesrepublik für die Einstellung der gegen die kurdischen Stellungen gerichteten Militäroperationen der Türkei einsetzen solle, wurden die durchaus divergierenden Auffassungen innerhalb der HPG-Anhängerschaft hinsichtlich des als friedlich bezeichneten Kurses der Gesamtorganisation offenbar. Ohne an den Bedingungen festzuhalten, sind die Gefangenen schließlich am 20. Juli frei gelassen worden. 2.4.5 "16. Internationales Kurdisches Kulturfestival" in Gelsenkirchen Am 6. September veranstaltete die YEK-KOM das "16. Internationale Kurdische Kulturfestival" auf der Trabrennbahn in Gelsenkirchen. Unter dem Motto "Frieden für Kurdistan, Freiheit für Öcalan" und "Schluss mit der Folter auf Imrali - Freiheit für Abdullah Öcalan" versammelten sich ca. 35.000 (2007: 40.000) überwiegend kurdische Volkszugehörige aus Deutschland und dem benachbarten AusAusländerextremismus land. Im Vorfeld hatten kurdische Medien, insbesondere die Tageszeitung "Yeni Özgür Politika", für die Großveranstaltung geworben. In der Ausgabe vom 8. August wurde das Ereignis als "Aufruf zum Frieden" bezeichnet, welcher sich gegen die Tatsache richte, dass die Türkei ihren schmutzigen Krieg auf Europa übertrage und der deutsche Staat in die Pressefreiheit der Kurden eingreife. 157 158 Das Programm enthielt neben üblichen musikalischen und kulturellen Darbietungen auch politische Ansprachen zur Kurdenproblematik und zum Verbot von "ROJ TV". Zudem erfolgte die Übertragung einer Videobotschaft des hochrangigen KONGRA GEL-Funktionärs Ausländerextremismus Murat KARAYILAN. Im Verlauf der Veranstaltung wurden vereinzelt verbotene Symbole, z. B. Fahnen des KONGRA GEL, sowie Bilder ÖCALANs gezeigt. Ungeachtet der vereinsrechtlichen Verbotsverfügung vom 19. Juni97 berichtete der Fernsehsender "ROJ TV" live vom Festival. Aus Thüringen war mindestens ein Reisebus mit ca. 40 bis 50 kurdischen Volkszugehörigen angereist. 2.4.6 Reaktionen auf die angebliche Misshandlung Abdullah ÖCALANs Die Nachrichtenagentur "Firat News Agency" veröffentlichte am 16. Oktober auf ihrer Internetseite einen Bericht, dem zufolge der in Einzelhaft auf der Gefängnisinsel Imrali befindliche Abdullah ÖCALAN durch Justizvollzugspersonal misshandelt und mit dem Tod bedroht würde. Als Reaktion darauf wurden sowohl in Deutschland als auch im Ausland zahlreiche Protestkundgebungen durchgeführt. Neben störungsfrei verlaufenen Aktionen kam es auch zu gewaltsamen Übergriffen - u. a. Brandanschlägen - gegen türkische Einrichtungen in Deutschland. Diese gingen überwiegend von Anhängern der "KOMALEN CIWAN", der Jugendorganisation des KONGRA GEL, aus. Im Vorfeld wurde in den KONGRA GEL-nahen Medien die "Folter ÖCALANs" verurteilt. In verschiedenen Erklärungen, u. a. der CDK, wurden die in Europa lebenden Kurden zu Aktionen aufgerufen und aufgefordert, "ihr demokratisches Recht in Anspruch zu nehmen". Der Exekutivrat der PKK verkündete: "Es muss allen klar sein, dass ein derartiges Vorgehen gegen den Führer APO98 alle Verantwortlichen - vor allem den Ministerpräsidenten ERDOGAN und BAYKAL99 - das Leben kosten wird". Des Weiteren forderte 97 Siehe Kapitel 2.4.3. 98 Bezeichnung des Organisationsgründers Abdullah ÖCALAN. 99 Deniz BAYKAL, Vorsitzender der von Mustafa Kemal Atatürk gegründeten "Republikanischen Volkspartei" (CHP). die PKK "die Führung der Türkei, die USA und die übrigen Staaten, die für die Gefangennahme ÖCALANs verantwortlich waren" auf, "sich verantwortungsvoll zu verhalten." Eine Fortsetzung derartiger Angriffe werde die PKK zu "anderen Optionen" zwingen. 3. Islamismus Als Islamismus wird eine politisch instrumentalisierte Auslegung des Islam bezeichnet. Religiös motivierte Extremisten (Islamisten) fordern im Namen des Islam eine Gesellschaftsordnung, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegengesetzt ist. Bei der von ihnen angestrebten Errichtung eines weltweiten islamischen Staatswesens berufen sie sich auf den Koran und die Sunna100, die ihrer Ansicht nach uneingeschränkte Gültigkeit besitzen und ihren Forderungen somit einen Absolutheitsanspruch verleihen. Jihadisten gehen noch weiter, sie interpretieren die im Koran enthaltene Aufforderung zum Jihad101 als Rechtfertigung und Verpflichtung, ihre politischen Ziele auch mit Gewalt durchzusetzen. Ausländerextremismus 100 Die in den Hadith-Sammlungen überlieferten Aussprüche, Entscheidungen und Verhaltensweisen des Religionsstifters Mohammed; sie gelten neben dem Koran als Hauptquelle für die Glaubensund Pflichtenlehre des Islam. 101 Siehe Fn. 94. 159 160 Weltweiter Jihad Das Ziel der Mujahidin - der Kämpfer im Jihad - besteht darin, Juden und "Kreuzfahrer" zu bekämpfen. Als "Kreuzfahrer" werden Ausländerextremismus in Anspielung auf die Kreuzzüge des Mittelalters vor allem christlich geprägte Staaten wie die USA, Großbritannien, Australien und europäische Staaten bezeichnet. Westliche Einflüsse in der "islamischen Welt" werden als feindliche Bedrohung gesehen. Vorwiegend mit dieser Begründung greifen die Mujahidin auch Ziele in jenen islamischen Staaten an, deren Regierungen sie als Vasallen westlicher Mächte erachten. Die jihadistischen Bewegungen grenzen sich dabei deutlich von islamischen und gemäßigteren islamistischen Gruppen ab, die diese Gewaltbereitschaft nicht teilen und Anschläge, wie jene vom 11. September 2001 verurteilen. Zugleich betonen führende Mujahidin in öffentlichen Botschaften die ideelle Verbundenheit aller Kämpfer im Jihad. Jihadisten agieren in losen Netzwerken mit dem Ziel, die islamische Welt von der Herrschaft der "Ungläubigen" zu befreien. Als wichtigste Kampffelder des globalen Jihad benennen sie insbesondere Afghanistan, Tschetschenien, "Palästina", den Sudan und den Irak. Der Kampf der Jihadisten lässt sich kaum geographisch eingrenzen. Wo immer islamistische Propaganda auf soziale oder politische Missstände trifft, können jihadistische Organisationen entstehen, deren Anhänger schließlich bereit sind, für ihre Überzeugung in den Tod zu gehen. Die Bekämpfung des islamistischen Terrors stellt für Deutschland eine fortwährende Herausforderung besonderer Tragweite dar. Nutzung moderner Medien Dem Internet kommt sowohl in Hinsicht auf islamistische Radikalisierungsprozesse als auch für den Kampf der Mujahidin eine ständig wachsende Bedeutung zu. Botschaften oder Nachrichten lassen sich weltweit mit geringem finanziellem Aufwand und in Echtzeit versenden. Hetzpropaganda, heroisierende Videos, auf denen Attentäter als Märtyrer dargestellt werden, und auch Anleitungen zum Bau von Bomben werden ständig neu in das Netz eingestellt. Die über dieses Medium betriebene islamistische Propaganda ist zu einer Klammer geworden, die die in der Welt verstreuten Mujahidin zusammenhält. Das World Wide Web bietet den Handelnden dabei ideale Kommunikationsmöglichkeiten: An nahezu jedem Ort der Welt ist es Ausländerextremismus möglich, auf das Internet zuzugreifen. Adressaten können ständig erreicht werden, ohne die eigene Mobilität einschränken zu müssen. Darüber hinaus bietet das Internet Passwort geschützte Seiten und Foren, in denen ein direkter Informationsund Meinungsaustausch erfolgen kann, und eröffnet dadurch die Möglichkeit, Informationen und Propaganda an bestimmte Personenkreise zu adressieren. Der rege Zuspruch drückt sich in der ständig wachsenden Anzahl islamistischer Foren und Websites aus. In letzter Zeit war eine vermehrte Verbreitung deutschsprachiger Propaganda zu beobachten. Die Einstellungen - z. B. Drohvideos oder sonstiges jihadistisches Propagandamaterial - gingen vornehmlich auf die "Globale Islamische Medienfront" (GIMF) zurück. Bei der GIMF handelt es sich um ein internationales Netzwerk von Internetaktivisten, das den globalen Jihad durch Medienarbeit unterstützen will. Nachdem die in Österreich ansässigen Verantwortlichen im März dieses Jahres zu Freiheitsstrafen verurteilt worden 161 162 waren, ging die GIMF im Sommer bereits wieder online. Dies lässt erahnen, wie flexibel und personenungebunden derartige Netzwerke funktionieren. Ausländerextremismus Darüber hinaus sorgte die "Islamische Jihad Union" (IJU) in diesem Jahr mit zahlreichen Drohund Märtyrervideos für zweifelhafte Furore. Zum einen wurde das Märtyrervideo eines in Deutschland aufgewachsenen türkischen Staatsangehörigen auf einer Internetplattform veröffentlicht, welches ihn bei den Vorbereitungen und der Ausführung eines Selbstmordattentates zeigt. Dieses soll im März auf eine Militäreinrichtung in Afghanistan verübt worden sein. Zum anderen wurden mehrere Videos eines aus dem Saarland stammenden deutschen Konvertiten veröffentlicht, der zum Jihad gegen die "Ungläubigen" aufrief und gegen Deutschland gerichtete Anschläge für den Fall androhte, dass das militärische Engagement der Bundesrepublik in Afghanistan nicht eingestellt werde. Die Drohung war mit dem Vorwurf verknüpft, Deutschland stünde auf der Seite der "Kreuzfahrer", insbesondere der Amerikaner. Nach wie vor dienen auch einzelne arabische Satellitensender zur Verbreitung islamistischen Gedankenguts. Am 11. November war durch den Bundesminister des Innern ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen den der radikal schiitischen "Hizb Allah" ("Partei Gottes") zuzurechnenden Sender "al-Manar" ("Der Leuchtturm") erlassen worden. Zur Begründung wurde angeführt, dass die über "al-Manar" verbreiteten Inhalte gegen Strafgesetze sowie den Gedanken der Völkerverständigung verstoßen. Antiwestliche Propaganda Neben politischen Motiven können auch hochkochende Emotionen Auslöser islamistischer Anschläge sein. So gaben die beiden Libanesen, die im Juli 2006 versucht hatten, Sprengsätze in zwei deutschen Regionalzügen zu zünden, an, die Tat aus Protest gegen die auch in einzelnen deutschen Tageszeitungen veröffentlichten Mohammed-Karikaturen geplant zu haben. Ihr Glaube habe sie verpflichtet, so ihre Rechtfertigung, die Verunglimpfung des Propheten Mohammed zu rächen. In der Zwischenzeit ist einer der Attentäter von einem libanesischen Gericht zu einer 12-jährigen Freiheits- strafe verurteilt wurden. Gegen den in Deutschland inhaftierten Mittäter wurde im Dezember 2008 im sog. Kofferbomber-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf eine lebenslängliche Freiheitsstrafe wegen vielfachen versuchten Mordes verhängt. Diese Emotionalität dürfte aus dem besonderen Religionsverständnis vieler Muslime resultieren, spielen doch der Glaube - aber auch überbrachte Traditionen - in ihrem Alltag in der Regel eine zentrale, identitätsstiftende Rolle. Islamkritische Äußerungen treffen gläubige Muslim daher regelmäßig weit mehr, als dies westlich geprägte Menschen - gleich welcher sonstigen Religionszugehörigkeit - im Allgemeinen nachempfinden können. Nicht zuletzt auch in Folge des Irak-Krieges hat sich in der islamischen Welt eine zunehmend negative Wahrnehmung des Westens etabliert. Mit ihrer Propaganda vermitteln gewaltbereite Islamisten gezielt den Eindruck, der Islam an sich werde bekämpft und der Jihad zu dessen Verteidigung dadurch gerechtfertigt. Wie der Fall der beiden "Kofferbomber" zeigt, können selbst durch islamkritische Artikel, Fernsehbeiträge und Ähnliches Emotionen derart geschürt werden, dass Gläubige die Argumentationsmuster radikaler Islamisten übernehmen, ohne je in Kontakt mit einer islamistischen Terrororganisation gestanden zu haben. Ausländerextremismus 3.1 Islamismus in Thüringen Die überwiegende Mehrheit der in Thüringen lebenden Muslime praktiziert ihren Glauben friedlich und im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie verurteilt die Anschläge der Jihadisten weltweit und bedauert, dass vorrangig Extremisten das Bild des Islam in den deutschen Medien prägen. Islamistisches Gedankengut wird in Thüringen vor allem von Gastpredigern, die ein salafistisches Glaubensverständnis vertreten, und über Broschüren verbreitet. Die diesem Glaubensverständnis zugrunde liegende Salafiyya ist als islamische Reformbewegung um 1900 entstanden. Salafisten orientieren sich unmittelbar an den Aussagen und Lebensweisen des Propheten Mohammed und seiner Zeitgenossen. Ihrer Ansicht nach erklärt sich der Islam ausschließlich aus dem Koran und der Sunna102. Sie suggerieren eine Unvereinbarkeit von islamischen Werten und westlichem Moralverständnis. 102 Siehe Fn. 100. 163 164 In Thüringen organisierten örtliche Moscheevereine im Berichtszeitraum einzelne öffentliche Veranstaltungen, bei denen bundesweit bekannte Vertreter der Salafiyya als Referenten auftraten. In ihren Reden mahnten sie die Muslime, ihren Glauben und die Ausländerextremismus muslimische Gemeinschaft nicht zu vernachlässigen, auch wenn dies in Deutschland seit den Anschlägen vom 11. September 2001 eine besondere Herausforderung darstelle. Ihre zum Teil eloquent vorgetragenen Ausführungen wurden von der Mehrheit der muslimischen Zuhörer positiv aufgenommen. Wenngleich im Rahmen solcher Veranstaltungen keine offensichtlich hetzerischen Aufrufe bekannt wurden, gelang es dennoch, eine islamistische Einstellung zu propagieren, die das gleichwertige Miteinander von Muslimen und Andersgläubigen erschwert. Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) Gegründet um 1926 in Indien Vorsitzende Maulana Ibrahim Saad KANDHALAWI, Zubair UL HASSAN Zentren Neu-Delhi, Indien; Raiwind, Pakistan; Dewsbury, Großbritannien Publikationen Hauptwerke der TJ sind die beiden Bücher "Faza'il-e A'mal ("Vom Frommen guter Taten") und "Hayat as-Sahabah" ("Das Leben der Prophetengefährten") Mitglieder/ ca. 700 Anhänger (Bund) Mitglieder/ einzelne Anhänger (Thüringen) Die TJ ist eine strengkonservative, sunnitische Glaubensgemeinschaft, die um 1926 in Indien als islamistische Erweckungsund Missionsbewegung durch Maulawi Muhammad ILYAS KANDHALAWI gegründet wurde. Vorrangiges Ziel der weltweit mehrere Millionen Anhänger zählenden Bewegung ist es, Muslime (wieder) zu einem einzig an Koran und Sunna103 orientierten Leben zurückzuführen. Dabei bezieht sich die TJ bewusst auf das idealisierte Leben der "frommen Altvorderen" ("as-salaf as-salih") aus der Frühzeit des Islam und erhebt ein Scharia104-konformes Leben zum alleinigen Maßstab für den privaten und öffentlichen Bereich. Durch Missionsreisen und damit verbundene Tätigkeiten ist die TJ bemüht, ihre Lehre zu verbreiten. Obwohl ein Großteil ihrer Anhängerschaft insbesondere in Pakistan und Indien vornehmlich der Mittelund Oberschicht entstammt, lädt sie zu ihren Veranstaltungen gezielt junge Muslime aus sozial benachteiligten Milieus ein. Gänzlich unerheblich ist, welcher Ethnie TJ-Anhänger zugehören. Wenngleich die TJ als friedlich und vordergründig unpolitisch gilt, fördert sie den internationalen Terrorismus mittelbar, indem sie Ausländerextremismus durchaus auch Personen mit Bezügen zu terroristischen Milieus die Nutzung ihrer netzwerkartigen Strukturen ermöglicht oder dies zumindest duldet. Durch die Verbreitung ihrer strengkonservativen Lehre rückt sie sich zudem in den Verdacht, den Nährboden für radikalere, jihadistische Gruppen zu bereiten. Tatsächlich haben einige islamistische Gewalttäter ihre extremistische Indoktrination anfangs als Anhänger der TJ erfahren. Bundesweit gehören der TJ ca. 700 Personen an. In Thüringen praktizieren lediglich einige wenige Muslime ihren Glauben gemäß den rigiden Vorstellungen der TJ und gehen der "Pflicht zur Missionierung" aktiv nach. 103 Siehe Fn. 100. 104 Islamisches Recht, das die Gesamtheit der im Koran und im Hadith niedergelegten Verhaltensweisen regelt; umfasst neben den Rechtsnormen auch Kultvorschriften, ethische Normen und allgemeine Verhaltensregeln. In vielen islamischen Ländern wurde die Scharia als Rechtsordnung durch weltliche Systeme abgelöst. Islamisten streben eine Umkehr dieses Säkularisierungsprozesses an. 165 166 Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/"Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB) Ausländerextremismus Gegründet Anfang der 1990er Jahre im Kaukasus Vorsitzende Dokku UMAROV Mitglieder/ ca. 500 Anhänger (Bund) Mitglieder/ einzelne Anhänger (Thüringen) Die CRI (Eigenbezeichnung)/TSB entstand Anfang der 1990er Jahre im Zuge des Zerfalls der ehemaligen UdSSR105. Seither streben ihre Anhänger die Unabhängigkeit von der durch Neuordnung des politischen Gefüges entstandenen Russischen Förderation an. Gegen sie führt die CRI/TSB einen "Heiligen Krieg" als dessen Ziel die Errichtung einer eigenständigen, auf der Scharia106 basierenden islamischen Republik proklamiert worden ist. Die gewaltbejahende islamistische Grundhaltung des "Präsidenten" bzw. Anführers der CRI/TSB, Dokku UMAROV, kommt in zahlreichen über Internet verbreiteten Erklärungen, Videobotschaften und Interviews zum Ausdruck. Die CRI/TSB zeichnet für die Terrorakte 2002 in einem Moskauer Theater und 2004 in einer Schule in Beslan verantwortlich. Inzwischen strahlen die Aktivitäten stärker in benachbarte Regionen des Nordkaukasus - insbesondere Dagestan und Inguschetien - aus. Bereits im Oktober 2007 hatte UMAROV das "Kaukasische Emirat" und zugleich den Jihad der kaukasischen Völker gegen "gemeinsame Feinde" - neben Russland zählen auch Amerika, England und Israel dazu107 - ausgerufen. Zeitgleich ernannte er sich zum "Herrscher der kaukasischen Völker". Innerhalb des "Kaukasischen Emirates" tut sich eine Kampfgruppe des dagestanischen Sektors namens "Jamaat Shariat" durch besonders offensive Agitation im Internet hervor. Ziel der Gruppierung 105 "Union der sozialistischen Sowjetrepubliken" (UdSSR). 106 Siehe Fn. 104. 107 So verlautbart auf einer CRI/TSB-nahen Internetseite am 7. Dezember 2007. ist, Dagestan von der "russischen Besatzung" zu befreien und ein Kalifat zu errichten. Die "Jamaat Shariat" ruft auf ihrer Internetseite offen zum Jihad108 auf, den zu führen Pflicht eines jeden Muslims sei und der erlaube, Menschen zu töten, die der Einführung der Gesetze Allahs im Wege stehen. Die Aktivitäten der Unterstützer der CRI/TSB in Deutschland reichen von Propagandaarbeit über Geldsammlungen für - eigenen Angaben nach - humanitäre Projekte bis zur finanziellen und materiellen Förderung der Gruppe einschließlich des verdeckten Transfers der Mittel ins Zielgebiet. Bundesweit gehören der CRI/ TSB ca. 500 Personen an. Auch in Thüringen sind Einzelpersonen mit Bezügen zur CRI/TSB ansässig. Ausländerextremismus 108 Siehe Fn. 94. 167 168 V. Scientology-Organisation (SO) Scientology-Organisation 1. Gesetzliche Grundlagen für die Beobachtung Die SO wird in Deutschland seit 1997 durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Mehrheit der Länder beobachtet. Die Beobachtung gründet auf der Feststellung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) vom 5./6. Juni 1997, der zufolge in Bezug auf die SO tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen. So wirkt die SO auf ein Gesellschaftsmodell hin, in dem staatsbürgerliche Rechte einzig den Anhängern ihrer Lehre zustehen. Damit werden wesentliche Grundund Menschenrechte, wie jenes auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder Gleichbehandlung, eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt. Auch allgemeine und gleiche Wahlen lehnt die SO ab. Die im Jahr 2003 von der "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) und der "Scientology Kirche Berlin e.V." (SKB) erhobene Klage gegen eine nachrichtendienstliche Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz ist mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 12. Februar 2008 entschieden worden. Das Gericht wies die Berufung der Klageführer gegen das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. November 2004 - dieses hatte die Rechtmäßigkeit der Beobachtung festgestellt - zurück. Ein Revisionsverfahren wurde nicht zugelassen. Die daraufhin beim Bundesverwaltungsgericht eingereichte Nichtzulassungsbeschwerde zogen die Kläger bereits im Frühjahr zurück. Aus der IMK vom 6./7. Dezember 2007 erging an die Verfassungsschutzbehörden der Auftrag, Präventionsmaßnahmen zu intensivieren bzw. im Hinblick auf ein anzustrebendes vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren die Aktivitäten zur Erkenntnisgewinnung zu verstärken. Im Ergebnis ihrer Sitzung vom 20./21. November 2008 hat die IMK die Einleitung eines solchen Verfahrens zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht zielführend eingeschätzt. Die Auffassung, wonach die verfassungsfeindliche Ausrichtung der SO auch weiterhin eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfordert, bleibt davon unberührt. Scientology-Organisation 2. Organisationsstruktur Die SO wurde 1954 von dem US-amerikanischen Science-FictionAutor Lafayette Ronald HUBBARD (1911-1986) in den USA gegründet. 1982 übernahm offiziell David MISCAVIGE die Leitung der Organisation. Sie verfügt weltweit über 100.000 bis 120.000 Anhänger, davon etwa 5.000 bis 6.000 - tendenziell sinkend - in Deutschland. In Deutschland existieren derzeit 14 "Missionen", acht "Kirchen", sogenannte Orgs, und zwei "Celebrity Centers" (CCs). Bei den "Missionen" handelt es sich um Basisorganisationen, die einführende Dienste anbieten. Die "Orgs" stellen darüber hinaus ein breiteres Angebot an Kursen, insbesondere zum "Auditing" - der maßgeblichen Psychotechnik, mit der Menschen in das System Scientology hineingezogen werden - zur Verfügung. In den CCs werden mit eben jenen Diensten ausschließlich Prominente (Persönlichkeiten des Sports, Künstler und Geschäftsleute) betreut, um diese später als Imageträger für Scientology einzusetzen. 169 170 3. SO in Thüringen Niederlassungen der SO existieren im Freistaat nicht. Scientology-Organisation Aktivitäten der SO in Thüringen beschränken sich auf das gelegentliche Versenden von Broschüren und Informationsmaterialien an öffentliche Einrichtungen und Privatpersonen. Derartige Maßnahmen gehen jeweils von SO-Niederlassungen außerhalb Thüringens aus. VI. Ereigniskalender extremistischer Bestrebungen in Thüringen109 Termin Ereignis 11. Januar Gründung des NPD-Ortsverbands Sömmerda 12. Januar Gründung des DVU-Kreisverbands SaalfeldRudolstadt 18. Januar Veranstaltung des "Nationalen Widerstands Eisenach" in Eisenach 19. Januar Veranstaltung des "Kurdisch-Deutschen Freundschaftsvereins Erfurt e. V." im Rahmen der europaweiten Kampagne "Edi Bese!" (Jetzt reicht es!) 23. Januar Vermutlich linksextremistischer Überfall auf zwei Angehörige des rechtsextremistischen Spektrums in Jena 23. Januar Linksextremistische Autonome thematisieren "Zug der Erinnerung" bei einer Kundgebung in Erfurt 25.-26. Januar Tagung der "Exilregierung des Deutschen Reiches" in Mosbach 2. Februar Rechtsextremisten stören Karnevalsumzüge in Stadtilm und Apolda/ "Autonome Nationalisten" (AN) verteilen im Stadtgebiet Ereigniskalender von Apolda Propagandamaterial 2. Februar Rechtsextremistisches Konzert in Südthüringen 6. Februar Gedenkveranstaltung des NPD-Kreisverbands Gotha in Gotha 9.-13. Februar Propagandaaktionen der rechtsextremistischen Szene in Apolda 22. Februar Vortragsveranstaltung im "Braunen Haus" in Jena unter dem Tenor "Nationaler Sozialismus - Eine moderne Betrachtung aus verschiedenen politischen Perspektiven" 109 Es handelt sich um eine Zusammenstellung repräsentativer Szeneveranstaltungen und -aktivitäten. 171 172 22.-23. Februar Tagung der "Exilregierung des Deutschen Reiches" in Mosbach 23. Februar Rechtsextremistisches Konzert in Neustadt/ Ereigniskalender Orla 25. Februar Spontaner Fackelmarsch der rechtsextremistischen Szene in Erfurt 26. Februar Sicherstellung von "Schulhof-CDs" der NPD in Wurzbach/Saale-Orla-Kreis 9. März DVU-Landesparteitag in Calbe (Sachsen-Anhalt) 15. März Rechtsextremistische Konzerte in Neustadt/ Orla und Gräfenroda 16. März Autonome beteiligen sich an Demonstration "Rechte Gewalt benennen! Linke Freiräume verteidigen!" in Weimar 18. März Verteilung von Propagandamaterial der NPD in Bad Salzungen 23. März Spontandemonstration der "Freien Kräfte Südthüringen" (FKST) in Ohrdruf 23. März Beteiligung der DKP am Ostermarsch in Ohrdruf 29. März Kundgebung der rechtsextremistischen Szene in Schmalkalden 28.-30. März Frühjahrstreffen der "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." in Nordthüringen/Südharz 29.-30. März Seminar des "Collegium Humanum" (CH) in Mosbach 29. März "Kameradschaftsabend" in Greiz 5. April NPD-Demonstration in Weimar/ Linksextremistische Autonome beteiligen sich an Gegendemonstration 11.-13. April "Deutscher Kongress" der "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." (GfP) in Suhl 12. April Landesparteitag der NPD in Raitzhain 12. April Spontandemonstration der NPD in Ronneburg 19. April Tagung der "Exilregierung des Deutschen Reiches" in Mosbach 20. April Rechtsextremisten organisieren Kinderfest in Erfurt 24. April Linksextremistische Autonome beteiligen sich an Demonstration in Saalfeld gegen die Lebensbedingungen in einem Asylbewerberheim 26. April Saalveranstaltung des NPD-Kreisverbands Jena/Saale-Holzland-Kreis in Hainspitz 1. Mai Spontandemonstrationen der AN in Meiningen, Zella-Mehlis und Eisenach 8. Mai Versammlung unter freiem Himmel des NPDKreisverbands Unstrut-Hainich in Mühlhausen 8. Mai Spontanaktion von Rechtsextremisten in Erfurt 9. Mai Kranzniederlegung des NPD-Kreisverbands Eichsfeld in Heilbad Heiligenstadt 9. Mai Spontandemonstration von Angehörigen des rechtsextremistischen Spektrums in Zella-Mehlis 17. Mai "7. Thüringentag der nationalen Jugend" in Sondershausen, vom NPD-Kreisverband Kyffhäuserkreis organisiert/Linksextremistische Autonome beteiligen sich an Protesten gegen die Veranstaltung Ereigniskalender 30. Mai Flugblattverteilung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis in Eisenach und Bad Salzungen 30. Mai-1. Juni "Tage deutscher Gemeinschaft" der rechtsextremistischen Organisation "Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. (DDF) - Der Bismarck Deutsche" in Nordthüringen/Südharz 31. Mai NPD-Landesparteitag in Elgersburg 31. Mai Rechtsextremistisches Konzert in Wolfsberg OT Gräfinau-Angstedt 6.-20. Juni Autonome beteiligen sich an Veranstaltungen der Kampagne "Nazis matt setzen" in Erfurt 13. Juni NPD-Veranstaltung in Langenwetzendorf 173 174 13. Juni Tagung der "Exilregierung des Deutschen Reiches" in Mosbach 14. Juni Schulungsveranstaltung der NPD im "Braunen Ereigniskalender Haus" in Jena 20.-22. Juni Mehrere Sommersonnenwendfeiern der rechtsextremistischen Szene 21. Juni Konstituierende Sitzung des NPD-Landesvorstands in Eisenach 21. Juni "Freie Kräfte Südthüringen" organisieren Demonstration mit Kundgebung in Langewiesen 21. Juni Linksextremisten beteiligen sich an antifaschistischem Aktionstag in Langewiesen 21. Juni Rechtsextremistisches Konzert in Zella-Mehlis 28. Juni Kundgebung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis in Schmalkalden 28. Juni Kundgebung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis in Meiningen Ende Juni Propagandaaktionen der rechtsextremistischen Szene in Apolda 5./6. Juli Jahresversammlung des "Deutschen Kollegs" (DK) in Mosbach 10. Juli Kundgebung des "Kurdisch-Deutschen Freundschaftsvereins Erfurt e. V." vor dem Thüringer Landtag 13. Juli Autonome beteiligen sich an Demonstration "Nazis entgegentreten, linke Freiräume verteidigen" in Erfurt 15. Juli Neueröffnung des "Infoladens Sabotnik" in Erfurt 19. Juli Großdemonstration des NPD-Kreisverbands Gera im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Rock für Deutschland" in Gera/ Linksextremistische Autonome beteiligen sich an Gegendemonstration 26. Juli "Hausgemeinschaft 'Zu den Löwen'" richtet Vortragsveranstaltung aus 26. Juli Rechtsextremistisches Konzert in Zella-Mehlis aufgelöst 26. JuliSommercamp des MLPD-Jugendverbands 23. August "REBELL" 2. August Versammlung des NPD-Kreisverbands Greiz in Greiz /Linksextremistische Autonome an Gegendemonstration beteiligt 17. August Neonazidemonstration in Altenburg 23. August Rechtsextremistisches Konzert in Hildburghausen/OT Pfersdorf aufgelöst 24. August JN-Demonstration in Suhl 6. September Kinderfest des NPD-Kreisverbands Eichsfeld in Kirchgandern 12.-13. Tagung der "Exilregierung des Deutschen September Reiches" in Mosbach 13. September NPD-Kreisverband Jena und "Freie Kräfte" veranstalten das "3. Fest der Völker - Für ein Europa der Vaterländer" in Altenburg/ Linksextremistische Autonome, DKP und SDAJ an Gegendemonstration beteiligt 19.-21. Herbsttreffen der "Artgemeinschaft - September Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." in Nordthüringen/Südharz 20. September Kaffeefahrt des NPD-Kreisverbands Ereigniskalender Wartburgkreis mit Kundgebungen in Behringen, Berka/Werra und Dermbach 21. September Flugblattverteilung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis in Eisenach 27. September JN-Stützpunkt Saalfeld-Rudolstadt gegründet September Mitgliederkampagne der NPD SeptemberInformationsstände der MLPD in Erfurt Dezember 2. Oktober Kundgebung des NPD-Kreisverbands Erfurt-Sömmerda 2. Oktober "1. Nationaler Gesprächskreis" im Altenburger Land 175 176 10.-12. "Tage deutscher Gemeinschaft" der DDF in Oktober Nordthüringen/Südharz Oktober/ Autonome beteiligen sich an verschiedenen Ereigniskalender November Aktionen zum Erhalt des "besetzten Hauses" in Erfurt 4. November Flugblattverteilung des NPD-Kreisverbands Weimar/Weimarer Land in Weimar 8. November Spontandemonstration von Thüringer Rechtsextremisten in Weimar 8. November Rechtsextremistischer Liederabend im "Drei-Mädle-Haus" im Vogtländischen Oberland 9. November Fackelmarsch des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis in Vacha 15.-16. Tagung der "Exilregierung des Deutschen November Reiches" in Mosbach 16./17. Schändungen an jüdischen Friedhöfen in November Gotha und Erfurt 16. November Diverse Veranstaltungen von Rechtsextremisten anlässlich des Volkstrauertags 22. November Autonome beteiligen sich an Demonstration für Erhalt des "besetzten Hauses" in Erfurt 29. November Vortragsveranstaltung mit anschließendem Liederabend im "Braunen Haus" in Jena 5. Dezember Propagandaveranstaltung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis in Bad Salzungen 5.-7. Dezember "Julfest" der "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebenshaltung e.V. in Nordthüringen/Südharz 6. Dezember Schulungsveranstaltung des NPD-Landesverbands in Eisenach 13. Dezember Vortragsveranstaltung des NPD-Kreisverbands Wartburgkreis 19.-22. Wintersonnenwendfeiern der rechtsDezember extremistischen Szene VII. Organisierte Kriminalität (OK) 1. Aufgaben des Verfassungsschutzes Durch das Gesetz zur Änderung des Polizeiund Sicherheitsrechts vom 28. Juni 2002 wurde dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) die Aufgabe übertragen, Bestrebungen und Tätigkeiten der OK im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beobachten. Neben dem TLfV nahmen im Berichtszeitraum die Verfassungsschutzbehörden in Bayern, Hessen und im Saarland einen entsprechenden Beobachtungsauftrag wahr. Unter OK ist gemäß SS 2 Abs. 4 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) die von Gewinnund Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten zu verstehen, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig 1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher StrukOrganisierte Kriminalität turen oder 2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder 3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft tätig werden. Dem TLfV obliegt es in einem besonderen Maße, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bewahren und zu schützen. Auch in Bezug auf die OK ist der Verfassungsschutz verpflichtet, frühzeitig auf die von ihr ausgehenden Gefahren hinzuweisen. Dieser originären Aufgabe kommt der Verfassungsschutz insofern nach, als er bereits im Vorfeld Informationen auf dem Gebiet der OK aus unterschiedlichen Quellen - auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln - sammelt, sich abzeichnende Entwicklungen und Zusammenhänge rechtzeitig erkennt und Beobachtungskonzepte für die Zukunft entwirft. 177 178 2. Beobachtungsschwerpunkte Die Ermittlungsarbeit konzentrierte sich im Berichtszeitraum neben der Beobachtung krimineller Rockergruppierungen auf die Organisierte Kriminalität Rotlichtund die italienische Organisierte Kriminalität. Kriminelle Rockergruppierungen Bei jenen Rockergruppierungen handelt es sich um Personenzusammenschlüsse mit streng hierarchischem Aufbau, engen persönlichen Bindungen der Gruppenmitglieder untereinander sowie selbstgeschaffenen strengen Regeln und Satzungen. Sogenannte Outlaw Motorcycle Gangs (OMGs) und ihre kriminellen Mitglieder stellen eine ernstzunehmende Erscheinung der Kriminalität dar. Die "Gangs" sind bestrebt, Einfluss auf verschiedene Kriminalitätsund Wirtschaftsbereiche zu erlangen und pflegen enge Kontakte zu anderen Gruppierungen, die zum Teil der OK zuzurechnen sind. OMGs grenzen sich - auch äußerlich erkennbar - bewusst von anderen Motoradclubs (MCs) sowie den Normen und Wertvorstellungen der Gesellschaft ab. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den Clubs. Mitglieder von Rockergruppierungen sind vor allem im Gaststättenund Vergnügungsgewerbe, der Tätowierbranche sowie im Sicherheitsbereich geschäftlich aktiv. Oft werden legale Geschäfte betrieben, um kriminelle Handlungen zu tarnen. Darüber hinaus sind die Clubs bemüht, sowohl finanzielle als auch ideelle Unterstützung von Vertretern angesehener Berufsstände zu erlangen, um sich ein einflussreiches Umfeld zu schaffen. Mitglieder von OMGs fallen immer wieder durch kriminelle Handlungen auf. Dazu zählen u. a. der Handel mit Betäubungsmitteln, die Förderung der Prostitution und die Erpressung von "Schutzgeld". Die Szene ist von einem hohen Bedrohungsund Gewaltpotenzial gekennzeichnet. Auf Grund des massiven Expansionsstrebens der Gruppierungen kommt es inner- halb der Szene zu Machtkämpfen um Hoheitsgebiete, zu Racheakten und Vergeltungsschlägen, in deren Zusammenhang von ihren Mitgliedern schwere Straftaten begangen werden. Von den weltweit agierenden OMGs sind in Thüringen der "Outlaws MC", der "Bandidos MC", der "Hells Angels MC" sowie der "Gremium MC" mit einem Chapter (Ortsgruppe) und/oder Supporter (Unterstützerclub) etabliert. Der "Outlaws MC" ist mit einem Chapter in Gera vertreten. Der "Bandidos MC" verfügt über ein Chapter in Jena sowie den in Apolda und Weimar beheimateten Supporter "Chicanos MC". Eine als Charter bezeichnete Niederlassung des "Hells Angels MC" besteht in Thüringen nach wie vor nicht. Bislang existiert lediglich ein Charter seines Supporters, dem "Red Devils MC", in Saalfeld. Im Mai des Berichtsjahres hat sich in Hildburghausen mit dem "Bad Seven MC" ein Supporter des "Gremium MC" niedergelassen. Organisierte Kriminalität Der bereits 1999 in Thüringen gegründete "Stahlpakt MC" hatte bis zur Etablierung der o. g. OMGs die Vormachtstellung in Thüringen inne. Hinsichtlich der Mitgliederzahl dominiert er noch immer. Im Berichtszeitraum verfügte er über insgesamt 12 Chapter, eines davon in Hessen, und einen in Leinatal ansässigen Supporter. Seit Gründung im Jahr 2006 wurden Mitglieder des "Bandidos MC" in Zusammenhang mit schweren Einbruchdiebstählen - betroffen waren diverse Verbrauchermärkte in Thüringen, Sachsen und Bayern - festgestellt. Im November 2008 wurde vor dem Landgericht Erfurt ein Prozess gegen Mitglieder des "Gremium MC", einzelne davon gehören inzwischen dem "Bandidos MC" an, wegen Landfriedensbruchs eröffnet. Die Beschuldigten müssen sich wegen eines zwei Jahre zurückliegenden Überfalls auf das Clubhaus des "Road Eagles MC" in Langewiesen bei Ilmenau verantworten. Einzelne Mitglieder des "Stahlpakt MC" stehen seit Mitte Dezember 2008 erneut vor Gericht. Im Vorjahr waren gegen sie mehrjährige Haftstrafen wegen Raubes und Freiheitsberaubung verhängt 179 180 worden. Nach Revision durch die Staatsanwaltschaft hatte der Bundesgerichtshof entschieden, dass das Urteil teils aufzuheben und der Vorwurf der Geiselnahme durch das Landgericht Erfurt erneut zu prüfen ist. Organisierte Kriminalität Rotlichtkriminalität Der Prostitution wird vor allem in den größeren Städten Thüringens nachgegangen. Dabei handelt es sich hauptsächlich um sogenannte Wohnungsprostitution, die meist straff organisiert ist und zentral gesteuert wird. Daneben werden in Thüringen Bordelle betrieben, die teils als Nachtbars, Massagestudios, FKKoder Swingerclubs getarnt sind. Das Milieu bietet darüber hinaus einen Nährboden für Kriminalitätsformen verschiedener Art. Das Geltendmachen von Gebietsansprüchen verbunden mit Auseinandersetzungen um die Gewinnaufteilungen führt nicht selten zu einem gewalttätigen Verteilungskampf unter den Akteuren. Italienische Organisierte Kriminalität Bisherigen Erkenntnissen zufolge weist eine der großen italienischen Mafiaorganisationen110, die kalabresische 'Ndrangheta, Bezüge nach Thüringen auf. Die Organisation betätigt sich in Italien vorwiegend in den Deliktsfeldern Falschgeld, Geldwäsche, Drogen-, Waffenund Menschenhandel, Schutzgelderpressung und Korruption. Die 'Ndrangheta scheint die Bundesrepublik Deutschland vorrangig als Rückzugsgebiet zu nutzen. Vermutlich werden auf kriminellem Wege erlangte Gelder hier in der Immobilienund der Gastronomiebranche investiert. Der auf die 'Ndrangheta zurückgehende Mehrfachmord 2007 in Duisburg verdeutlichte nachhaltig die innerhalb der Mafiagruppierungen vorherrschende Gewalt. Nicht selten eskalieren die in den Herkunftsregionen entstandenen Konflikte zwischen den konkurrierenden Familienclans derart. Ermittlungen im vorgenannten Fall hatten Hinweise ergeben, wonach Beziehungen einzelner Mitglieder verschiedener 'Ndrangheta-Clans bis nach Thüringen reichen. 110 Dazu zählen außerdem die sizilianische Cosa Nostra, die kampanische Camorra, die apulische Sacra Corona Unita. 3. Fazit In Erfüllung seines gesetzlich normierten Auftrags zur Beobachtung der OK ergänzt das TLfV die Arbeit von Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften auf diesem Gebiet. Die langfristig angelegte Beobachtung organisierter krimineller Strukturen im Vorfeld konkreter Tatbegehungen ist unabdingbar, um der Organisierten Kriminalität wirksam begegnen zu können. Durch dieses konstruktive Zusammenwirken gelang es erneut, einen Teil des Dunkelfeldes typischer OK-Deliktsfelder aufzuhellen. Organisierte Kriminalität 181 182 VIII. Spionageabwehr Spionageabwehr 1. Überblick Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein bevorzugtes Aufklärungsziel der Nachrichtendienste fremder Staaten. Dazu gehören einige Länder aus der Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) ebenso wie solche aus dem nah-, mittelund fernöstlichen sowie dem nordafrikanischen Raum. An den in Deutschland unterhaltenen amtlichen bzw. halbamtlichen Vertretungen dieser Staaten sind die jeweiligen Nachrichtendienste personell unterschiedlich stark präsent. Über ihre als Diplomaten auf Tarndienstposten bei sog. Legalresidenturen111 angebundenen Mitarbeiter werden zum Zwecke der Informationsbeschaffung nachrichtendienstliche Aktivitäten entfaltet. Unverändertes Interesse gilt hierbei den klassischen Feldern der Spionage - Politik, Wirtschaft, Wissenschaft/ Forschung und Militär. Die Ausspähung und Unterwanderung von in Deutschland ansässigen ausländischen Oppositionellenbewegungen stellen weitere Aktionsfelder einzelner Nachrichtendienste dar. Darüber hinaus sind die Regierungen einiger Staaten bemüht, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen sowie der dazu erforderlichen Trägersysteme zu gelangen. Zur Beschaffung sowohl einzelner Komponenten zu deren Herstellung als auch des erforderlichen Know-hows bedienen sich diese Länder auch ihrer Nachrichtendienste. Bestrebungen fremder Dienste, durch Spionageaktivitäten insbesondere wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, bestehen fort. Damit einher geht eine stärkere Konzentration der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden auf die präventive Spionageabwehr, um so etwaige Schwachstellen, die Wirtschaftsspionage und Know-howTransfer für fremde Nachrichtendienste erleichtern, aufdecken und ausräumen zu können. Die Methoden der Nachrichtendienste, gezielt Informationen abzuschöpfen, sind vielfältiger geworden. Globalisierung und elektronische Vernetzung ermöglichen den Diensten heute auf Daten 111 In Thüringen existieren weder Botschaften noch Generalkonsulate anderer Staaten. zugreifen zu können, die früher nur auf konspirativem Wege hätten erlangt werden können. Daneben gewinnt die Auswertung weitgehend offener Quellen - z. B. von Forschungsberichten, Diplomarbeiten und Dokumentationen - stetig an Bedeutung. 2. Proliferation Unter Proliferation versteht man die Weitergabe von atomaren, biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) bzw. der zu ihrer Herstellung benötigten Komponenten sowie der entsprechenden Trägersysteme einschließlich des erforderlichen Know-hows an proliferationsrelevante Länder112, von denen zu befürchten ist, dass sie diese Waffen von dort aus in bewaffneten Konflikten einsetzen oder ihren Gebrauch zur Durchsetzung politischer Ziele androhen werden. Die betreffenden Staaten sind zum einen bestrebt, Technologie und Bauteile aus führenden Industrienationen durch Teilhabe am freien Austausch von wissenschaftlichen Informationen und/oder durch Handel zu beschaffen (primäre bzw. vertikale Proliferation), zum anderen beliefern sie sich auch untereinander mit entsprechendem Material bzw. technischem Wissen (sekundäre bzw. horizontale Proliferation). Um internationale Abkommen und nationale gesetzliche Bestimmungen zu unterlaufen, setzen sie auch direkt ihre Geheimdienste ein oder nutzen nachrichtendienstliche Methoden. Sie gründen Scheinfirmen, schalten unverfänglich erscheinende Zwischenhändler ein und verschleiern durch Umweglieferungen Spionageabwehr über Drittländer sowohl Endabnehmer als auch Endverwendungszweck des einzuführenden Gutes. Die Plausibilität des Endverwendungszwecks und damit die Proliferationsrelevanz feststellen zu können, wird zudem erschwert, wenn es sich um Dual-use-Güter oder -Technologien handelt, da diese sowohl zu zivilen als auch militärischen Zwecken eingesetzt werden können. Staaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan oder Syrien standen auch im Jahr 2008 im Mittelpunkt der Proliferationsabwehr. Sie betreiben seit längerem eigene Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen und Trägersystemen zu deren Ausbringung. 112 Zum Beispiel Nordkorea, Pakistan, Iran, Syrien. 183 184 Insbesondere die vom Iran vertretene unnachgiebige Haltung hinsichtlich des dortigen Atomprogramms ließ die Zweifel an der von iranischer Seite beteuerten ausschließlich zivilen Nutzung der Atomtechnologie fortbestehen. In offenem Widerspruch zu geltenSpionageabwehr den UN-Resolutionen erhöhte der Iran die Zahl der für die Urananreicherung verwandten Zentrifugen im iranischen Atomzentrum Natanz. Ein weiterer Ausbau der umstrittenen Aktivitäten wurde angekündigt. Die Veröffentlichungen des "Nationalen Geheimdienstrates" (NIC) der USA vom Dezember 2007, wonach der Iran sein geheimes Nuklearwaffenprogramm wahrscheinlich schon im Herbst 2003 stoppte und zumindest bis Mitte des Jahres 2007 nicht wieder aufnahm, geben keinen Anlass zur Entwarnung. Das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft, den Iran daran zu hindern, selbst eine Atombombe herstellen zu können, bleibt bestehen. Bislang liefen Forderungen nach einer sofortigen Einstellung des Anreicherungsprogramms, nach uneingeschränkter Kooperation und Transparenz ins Leere. Von den Verfassungsschutzbehörden sind iranische Aktivitäten, die der Förderung oder Unterstützung der Proliferation dienen, daher weiter intensiv zu beobachten und nach Möglichkeit zu verhindern. Bereits seit August 2003 werden mit Nordkorea, das im Oktober 2006 erstmals eine Atombombe testete, sog. Sechs-Parteien-Gespräche113 über die Einstellung des Atomprogramms geführt. In Folge dieser Gespräche und weitreichender internationaler Sanktionen hatte es im Jahr 2007 bereits die komplette Aufgabe seines umstrittenen Atomprogramms bis zum Jahresende zugesagt. Im Zusammenhang damit war der Kernreaktor in Yongbyon, die wichtigste Atomanlage in Nordkorea, abgeschaltet worden. Die Verhandlungen über die Stillegung der nordkoreanischen Atomobjekte gehen nun mit dem Ziel, ein Abkommen über eine etappenweise Kontrolle der Abrüstung abzuschließen, in eine neue Runde. Sowohl die Streichung Nordkoreas von der Terrorliste der USA als auch die Aufhebung aller mit diesem Eintrag verbundenen Sanktionen stehen in Aussicht. Handelsund Finanzeinschränkungen würden aufgehoben, internationale Hilfe mit Energieträgern würde gewährt. Versuche, sich proliferationsrelevantes Know-how oder entsprechende Waren zu beschaffen, unterliegen weiterhin der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. 113 Beteiligt sind Russland, China, die USA, Japan, Nordund Südkorea. Nach wie vor ungeklärt sind Aktivitäten Syriens im nuklearen Bereich. Der Verdacht, unter dem Deckmantel der Energiegewinnung nach Atomwaffen zu streben, ein geheimes Nuklearprogramm zu betreiben, konnte bislang nicht ausgeräumt werden. Insbesondere US-amerikanische Geheimdienste erhoben diesbezüglich Vorwürfe, denen die "Internationale Atomenergiebehörde" (IAEA) nachgeht. Syrien selbst bestritt die Anschuldigungen bisher. Trotz der bestehenden Bedenken soll es nun technische und finanzielle Hilfe beim Bau eines Kernkraftwerkes erhalten. Die weiterhin erforderliche Beobachtung proliferationsrelevanter Aktivitäten bleibt davon jedoch unberührt. Da proliferationsrelevante Staaten bei der Forschung, Entwicklung und Herstellung von ABCWaffensystemen nur zum Teil autark sind, bleiben sie auf die Beschaffung wesentlicher Komponenten (Anlagen, Geräte oder Grundstoffe) sowie wissenschaftlicher Spezialkenntnisse aus Industrieländern angewiesen. Die europäischen Exportkontrollen stellen aus Sicht der proliferationsrelevanten Länder hohe Barrieren dar. Das Risiko, dass dem jeweiligen Exporteur die Ausfuhr bereits im Vorfeld untersagt oder die illegale Lieferung auf dem Transportweg erkannt und entsprechend gestoppt wird, ist hoch. Folglich hat die sekundäre bzw. horizontale Proliferation an Bedeutung gewonnen. Proliferationsrelevante Länder beliefern sich immer häufiger untereinander mit entsprechenden Gütern oder richten ihr Beschaffungsinteresse an unverdächtige Schwellenländer114 mit deutlich niedrigeren Exportrestriktionen. Deutschland hat sich internationalen Abkommen, die der VerhinSpionageabwehr derung von Proliferation dienen, angeschlossen. Überdies bestehen Restriktionen des Außenhandels durch entsprechende Regelungen im Außenwirtschaftsgesetz, in der Außenwirtschaftsverordnung sowie im Kriegswaffenkontrollgesetz. In die Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden fällt es, die jeweils ansässigen Institutionen und Unternehmen, die durch ihre Forschungs-, Technologieoder Produktangebote in das Blickfeld der um Proliferation bemühten Staaten geraten könnten, entsprechend zu sensibilisieren. Ziel dieser präventiven Vorgehensweise ist es, Firmen und wissenschaftliche Einrichtungen in die Lage zu 114 Fortgeschrittene Entwicklungsländer, die aufgrund ihrer wirtschaftlichen Eigendynamik beachtliche Fortschritte in der Industrialisierung erzielt und gegenüber den Industrienationen deutlich aufgeholt haben. 185 186 versetzen, mögliche proliferationsrelevante Gefahren frühzeitig erkennen und berücksichtigen zu können. So kann dieser Informationsaustausch im Ergebnis dazu beitragen, proliferationsrelevante Beschaffungsbemühungen zu unterbinden und agierende NetzSpionageabwehr werke aufzuklären. Trotz der bestehenden Rüstungsabkommen, der Handelsbeschränkungen und der umfassenden internationalen Zusammenarbeit im Rahmen der Proliferationsabwehr hat sich die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder von Bestandteilen zu ihrer Herstellung zu einem globalen sicherheitspolitischen Problem entwickelt. So sei nach einer Studie des US-Kongresses die durch "Schurkenstaaten", Atomschmuggler und die weltweite Weiterverbreitung von Atomtechnologie verursachte Wahrscheinlichkeit eines biologischen oder nuklearen Terrorangriffs nicht nur immens gestiegen, in den kommenden fünf Jahren würde sie bedrohlich zunehmen. 3. Wirtschaftsspionage Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Firmen zu verstehen. Sie ist von der Konkurrenzspionage, bei der es sich um die Ausforschung handelt, die ein Unternehmen gegen ein anderes - ohne nachrichtendienstliche Steuerung - betreibt, zu unterscheiden. Die internationale Akzeptanz eines Staates hängt mehr denn je auch von seiner Wirtschaftskraft ab. Um in dem wachsenden internationalen Wettbewerb bestehen oder aber führende Positionen einnehmen zu können, betreiben einige Staaten auch Wirtschaftsspionage. Aufklärungsziele und Methoden richten sich hierbei nach dem jeweiligen Entwicklungsstand der handelnden Staaten. Hochentwickelte Industrienationen sind folglich vorrangig an Marktund Wettbewerbsstrategien vergleichbarer Konkurrenten interessiert, technologisch weniger entwickelte Staaten hingegen an Fertigungstechniken und technischem Know-how, um Forschungskosten minimieren und wirtschaftliche Rückstände aufholen zu können. Einige Auslandsaufklärungsdienste sind per Gesetz verpflichtet, die Wirtschaft ihres Landes unmittelbar durch entsprechende Informationsbeschaffung zu unterstützen. Dies erfolgt sowohl durch den Einsatz moderner Nachrichtentechnik und das Eindringen in Informationssysteme als auch durch den Einsatz menschlicher Quellen. Dabei kommen neben eingeschleusten Nachrichtendienstangehörigen auch Unternehmensangehörige, die für eine Zusammenarbeit geworben wurden, in Betracht. Ebenso können Austauschwissenschaftler, Studenten und Praktikanten, die sich zeitweise in Deutschland aufhalten, gegebenenfalls mit einem nachrichtendienstlichen Auftrag ausgestattet worden sein oder - ohne dass ein konkreter Auftrag vorliegt - nach ihrer Rückkehr ins Heimatland vom dortigen Nachrichtendienst abgeschöpft werden. Die Techniken der elektronischen Ausspähung und die daraus resultierenden Gefahren für die betroffenen Einrichtungen stellen eine besondere Herausforderung auch für die Sicherheitsbehörden dar. Angriffe über das Internet sind relativ einfach realisierbar, mit guten Erfolgsaussichten und von geringem persönlichen Risiko für den Akteur. Sie werden weltweit immer umfangreicher festgestellt und dürften vielfach auch auf Nachrichtendienste zurückgehen.115 Die Angriffe, die sich vor allem gegen Industrienationen zu richten scheinen, betreffen neben der Wirtschaft auch Regierungsstellen, Universitäten und Forschungseinrichtungen. Auch in Deutschland wurden Angriffe dieser Art festgestellt. Versandt werden E-Mails mit korrumpierten Anhängen, die den Empfänger geschickt zur Öffnung derselben verleiten, oder Mails, die auf entsprechend funktionalisierte Einstellungen im Internet verweisen. Ebenso könSpionageabwehr nen Linkverweise zu - vom eigentlichen Betreiber unbemerkt - infizierten Websites führen. Besonders branchentypische Websites können hier missbraucht werden, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Da die entsprechenden Angriffe sowie der ihnen folgende Datenverlust oft unbemerkt bleiben dürften, sind Sicherungsmaßnahmen unumgänglich und in ihrer Bedeutung nicht hoch genug zu veranschlagen. Ebenso sollten Expansionsbemühungen deutscher Unternehmen auf aussichtsreich erscheinenden internationalen Märkten (z. B. 115 Für eine nachrichtendienstliche oder zumindest staatliche Anbindung dieser Attacken sprechen die konkreten Angriffsziele, die Intensität und der Umfang der Angriffe, ihre Koordination, die Art der zu nutzenden Technik, die offenbar zur Verfügung stehenden umfänglichen finanziellen und personellen Ressourcen. 187 188 China) verstärkt Aspekte drohender Ausspähung und damit einhergehender Verluste berücksichtigen. Die Auslagerung kostenintensiver Produktionsbereiche ist nicht selten mit der Preisgabe modernster Technologien verbunden, die sodann von dortigen Spionageabwehr Unternehmen kopiert und für ertragreiche Billigproduktionen, die etablierte Marken durchaus stark schädigen können, genutzt werden. Sofern nicht bereits im Rahmen von Vertragsabschlüssen Fertigungsprozesse zwingend offengelegt werden müssen, wird unter Einsatz nachrichtendienstlicher Methoden versucht, in Besitz moderner Technologien, Wettbewerbsund Vermarktungsstrategien zu gelangen. Insbesondere für mittelständische Unternehmen kann der Verlust des Firmen-Know-hows im Einzelfall existenzbedrohend sein. Wirtschaftsspionage schädigt in erheblichem Umfang nationale wirtschaftliche Strukturen und vernichtet so auch Arbeitsplätze. Die "Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft" (ASW) bezifferte den jährlichen Schaden für deutsche Unternehmen in zweistelliger Milliardenhöhe. Die durch Wirtschaftsspionage insgesamt entstehenden ökonomischen und finanziellen Schäden für die heimische Volkswirtschaft bzw. einzelne Unternehmen gilt es zu minimieren. Dies erfordert eine enge Kooperation zwischen Sicherheitsbehörden und gewerblicher Wirtschaft, wobei die Verfassungsschutzbehörden hinsichtlich der Sensibilisierung zur Thematik ihr Augenmerk vor allem auf Kleinund mittelständische Unternehmen richten. So steht das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz zur Verfügung, um abgestimmt auf den jeweiligen Bedarfsträger bei der Einrichtung von Sicherungsmaßnahmen, die Barrieren für mögliche Spionageangriffe erhöhen und bekannte Risiken eindämmen, zu beraten. Einem effizienten Schutz von Unternehmensgeheimnissen wird künftig wachsende Bedeutung zukommen, er ist ein wesentlicher Wettbewerbsund Standortfaktor. Die Verantwortung dafür, angemessene Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen, liegt bei den Unternehmen und Einrichtungen. Anliegen der Verfassungsschutzbehörden ist es, diese in die Lage zu versetzen, sich vor Angriffen fremder Nachrichtendienste wirkungsvoll schützen zu können. Unternehmen, die sich bereits mit eventuellen Ausspähungsversuchen konfrontiert sehen, dient es als vertraulicher Ansprechpartner. 4. Ausblick Globalisierung und weltweite elektronische Vernetzung bergen neben nicht mehr wegzudenkenden Vorteilen gleichfalls enorme Risiken in sich. Für Nachrichtendienste eröffnen moderne ITund Kommunikationssysteme vielfältige Möglichkeiten, in den Besitz sensibler Daten und Informationen zu gelangen. Die daraus erwachsende durchaus reale Gefährdung wird - nicht zuletzt auch durch die veränderten politischen Verhältnisse und die Annäherung vormals feindlich gegenüber stehender Staaten - oftmals unterschätzt. Das Bewusstsein, dass Spionage durch politische Annäherung nicht gänzlich wegbricht, sondern andere Schwerpunkte verfolgt, gilt es zu schärfen. Dies betrifft politische Institutionen und solche aus Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung gleichermaßen. Mit geeigneten Präventionsmaßnahmen ist derartigen gegen deutsche Interessen gerichteten Spionageaktivitäten entgegenzuwirken. 5. Frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR Konkrete Anhaltspunkte für die Existenz fortwirkender, aus der HVA116 oder dem MfS117 hervorgegangener Strukturen sind im BeSpionageabwehr richtszeitraum nicht angefallen. 116 Hauptverwaltung Aufklärung. 117 Ministerium für Staatssicherheit, kurz vor der endgültigen Auflösung zum 31.03.1990 in "Amt für Nationale Sicherheit" (AfNS) umbenannt. 189 190 IX. Geheimschutz Geheimschutz 1. Allgemeines Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unverzichtbar. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines Bundeslandes gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Im Rahmen ihrer Organisationsgewalt haben Behörden Vorkehrungen zur Gewährleistung des Geheimschutzes zu treffen. Zu den Aufgaben des TLfV zählt gemäß SS 2 Abs. 5 Satz 1 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) die Mitwirkung im Bereich des personellen und materiellen Geheimschutzes. 2. Personeller Geheimschutz Unter dem Begriff "Geheimschutz" werden sämtliche Vorkehrungen im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen dienen. Nicht jede Person, nicht jeder Amtsträger erfüllt die für den Umgang mit Geheimnissen erforderlichen Voraussetzungen. Folglich gilt es, Personen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen für Verrat, Erpressung oder Spionage anfällig scheinen, von vornherein den Zugriff auf Geheimnisse zu verwehren. Diesem Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung. Dabei wird festgestellt, ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG)118 vom 17. März 2003, geändert am 16. Juli 2008, geregelt. 118 Aufgeführt im Anhang des Berichts. Sicherheitsüberprüfungen werden für Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit gemäß SS 1 Abs. 2 ThürSÜG ausüben sollen, durchgeführt. Betroffen sind in erster Linie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen haben oder sich diesen verschaffen können. Als Verschlusssache werden alle im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse - unabhängig von ihrer Darstellungsform - bezeichnet. Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische Einrichtungen können ebenso wie das gesprochene Wort oder Zwischenmaterial (z. B. Entwürfe), das im Zusammenhang mit Verschlusssachen anfällt, eine solche Klassifizierung erfordern. Für eine Sicherheitsüberprüfung ist der Geheimschutzbeauftragte der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde verantwortlich. Das TLfV wirkt an der Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 2 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 ThürVSG i. V. m. SS 3 Abs. 3 ThürSÜG mit. Die Sicherheitsüberprüfung wird je nach Geheimhaltungsgrad abgestuft. Gemäß SSSS 8 ff. ThürSÜG wird sie als einfache (Ü 1), erweiterte (Ü 2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt. Sie bedarf der vorherigen Zustimmung sowohl des Betroffenen als auch der gegebenenfalls einzubeziehenden Person (Ehegatte oder Lebenspartner). Das TLfV wurde im Jahr 2008 in 383 Fällen als mitwirkende Behörde an Sicherheitsüberprüfungen beteiligt und hat sein Votum geGeheimschutz genüber dem Geheimschutzbeauftragten der einleitenden Dienststelle abgegeben. Im Einzelnen wurden folgende Überprüfungen durchgeführt: Jahr SicherheitsSicherheitsSicherheitsüberprüfung überprüfung überprüfung Ü1 Ü2 Ü3 2008 199 148 36 2007 155 146 25 2006 55 78 10 191 192 3. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimGeheimschutz haltungsbedürftigen Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme durch Unbefugte dienen. Zu technischen Sicherheitsmaßnahmen sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den Geheimschutz verbessern. Als Rechtsgrundlagen dienen die "Verschlusssachenanweisung für den Freistaat Thüringen" (VSA)119 aus dem Jahr 1999 sowie sie ergänzende Richtlinien. Die VSA richtet sich an Landesbehörden und landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen, die mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben, die einen solchen eröffnet und die Einhaltung bestimmter Schutzvorkehrungen erfordert. Entsprechend der Schutzbedürftigkeit der Verschlusssache nehmen die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen der in SS 4 Abs. 2 ThürSÜG bestimmten Geheimhaltungsgrade120 vor. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. In Hinsicht auf den materiellen Geheimschutz enthält die VSA eine Reihe von Vorschriften, welche die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen, die Dienstpflichten zum Schutze von Verschlusssachen, die Aufbewahrung, Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes sowie Maßnahmen bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften betreffen. Das TLfV berät öffentliche Stellen über den Umgang mit Verschlusssachen und sichere Organisationsabläufe, u. a. auch über technische Sicherheitsmaßnahmen wie Alarmsysteme oder Stahlschränke (sog. Verwahrgelasse). Auskünfte zur Geheimschutzbetreuung von Wirtschaftsunternehmen erteilt das: 119 Thüringer Staatsanzeiger, S. 2716 ff. 120 "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH", "VS-VERTRAULICH", "GEHEIM" oder "STRENG GEHEIM". Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Arbeit (TMWTA) Der Geheimschutzbeauftragte für die Wirtschaft Postfach 10 05 52 Max-Reger-Straße 4-8 99005 Erfurt 99096 Erfurt Telefon: 0361 3797-140 4. Sonstige Überprüfungen Neben seiner Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wird das TLfV gemäß SS 7 Abs. 3 Nr. 2 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) an Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. Infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 ist insbesondere auch die Sicherheit im internationalen Luftverkehr und in diesem Zusammenhang u. a. die entsprechende Zuverlässigkeitsüberprüfung in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Seit dem Jahr 2005 werden diese Zuverlässigkeitsüberprüfungen auch für Freizeit-Piloten und Flugschüler durchgeführt. An das TLfV wurden im Jahr 2008 im Rahmen der Luftverkehrs-Zuverlässigkeitsüberprüfungen 748 Anfragen gestellt. Im Jahr 2005 wurde das Sprengstoffgesetz (SprengG) novelliert. Seither finden auch sprengstoffrechtliche Zuverlässigkeitsüberprüfungen statt, in deren Rahmen eine Regelanfrage an das TLfV zu stellen ist. In diesem Zusammenhang wurden im Jahr 2008 an das TLfV 239 Anfragen gerichtet. Geheimschutz Jahr Anzahl der LuftverkehrsAnzahl der sprengstoffZuverlässigkeitsrechtlichen Zuverlässigüberprüfungen keitsüberprüfungen 2008 748 239 2007 1007 374 2006 1128 364 193 194 Anhang ThürVSG Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) Vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Thüringer Gesetzes zur Änderung sicherheitsund verfassungsschutzrechtlicher Vorschriften vom 16. Juli 2008 (GVBl. S. 245) Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS1 Organisation des Verfassungsschutzes (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder sowie zum Schutz vor Organisierter Kriminalität wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht als obere Landesbehörde unmittelbar dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Thüringen nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. SS2 Aufgaben (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder sowie gegen Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben; 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht; 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; 4. Bestrebungen und Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes, Artikel 13 Abs. 2 der Verfassung des Freistaats Thüringen), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind; 5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes; 6. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt zu diesem Zweck Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung für Verarbeitung personenbezogener Daten ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. Zur Prüfung, ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, darf das Landesamt für Verfassungsschutz aus allgemein zugänglichen Quellen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben. Die notwendige Koordinierung mit den anderen Sicherheitsbehörden und den Strafverfolgungsbehörden wird für den Bereich der Beobachtung der Organisierten Kriminalität in Richtlinien des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums im Einvernehmen mit dem für Justiz zuständigen Ministerium geregelt. (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. ThürVSG Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut im Sinne des SS 1 Abs. 1 erheblich zu beschädigen. 195 196 (3) Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der RechtThürVSG sprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Organisierte Kriminalität ist die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig 1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen oder 2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder 3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft tätig werden. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der öffentlichen Stellen mit: 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach den Bestimmungen des Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetzes; 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Die Befugnisse es Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 sind im Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz geregelt. (6) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, entsprechend den Rechtsvorschriften, auf Anfrage von Behörden, denen die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst obliegt, Auskunft aus vorhandenen Unterlagen über Erkenntnisse nach Absatz 1. Die Auskunft ist auf solche gerichtsverwertbare Tatsachen zu beschränken, die Zweifel daran begründen können, dass der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. SS3 Bedienstete (1) Die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale Sicherheit der DDR überprüft und für das der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einbezogen wird. (2) Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, Personen mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht befasst werden. SS4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenige zu treffen, die den Einzelnen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS5 Allgemeine Befugnisse (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtgemäßem ErmesThürVSG sen erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen, namentlich speichern, übermitteln, verändern, löschen und abgleichen, so weit nicht besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuchen des Landesamts für Verfassungsschutz um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft erforderlich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (2) aufgehoben 197 198 (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei denjenigen, die geThürVSG schäftsmäßig Postdienstleistungen oder Teledienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholden, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Teledienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. (5) Auskünfte nach SS 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954-2970-) in der jeweils geltenden Fassung dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Antragsberechtigt ist der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz oder sein Stellvertreter. Der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der Minister des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums, im Falle seiner Verhinderung sein Stellvertreter. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnungen fortbestehen. (6) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die G 10Kommission über die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzuge kann das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Unterrichtung ist unverzüglich nachzuholen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298) in der jeweils geltenden Fassung ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich die Kontrollbefugnis auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach SS 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 BVerfSchG erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sich unverzüglich zu löschen. (7) Für die Verarbeitung der nach Absatz 5 Satz 1 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetezes entsprechend anzuwenden. Für die Mitteilung an den Betroffenen gilt SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. (8) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission im Abstand von höchstens sechs Monaten über Anordnungen nach Absatz 5 Satz 1; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (9) Das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes ist nach Maßgabe des SS 8a Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 und Satz 2 BVerfSchG jährlich durch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium über die nach Absatz 5 Satz 1 durchgeführten Maßnahmen zu unterrichten. (10) Für die Einholung von Auskünften nach SS 8a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 BVerfSchG gelten die Absätze 5 und 7 bis 9 entsprechend. (11) Anordnungen nach den Absätzen 5 und 10 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen die Voraussetzungen des SS 8a Abs. 3 BVerfSchG entsprechend vorliegen. SS6 Nachrichtendienstliche Mittel (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, Informationen verdeckt erheben. Ein Eingriff in das Beichtund Seelsorgegeheimnis ist dabei unzulässig. (2) Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer von dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium zu erlassenen Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden. (3) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (4) Setzt das Landesamt für Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel gegen ein Mitglied des Landtags ein, unterrichtet das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium den Präsidenten des Landtags und den Vorsitzenden der Parlamentarischen Kontrollkommission unverzüglich. (5) Im Falle des Absatzes 4 sind der betroffenen Person nachrichtendienstliche Maßnahmen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. SS7 Erhebung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln ThürVSG (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gemäß SS 6 Abs. 1 erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können oder 199 200 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, ThürVSG den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. SS 4 findet im Übrigen Anwendung. (2) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes ist nur zulässig, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen erforderlich ist. Die Maßnahmen sind durch den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz oder seinen Stellvertreter anzuordnen. Eine anderweitige Verwertung der bei diesen Maßnahmen erhobenen Daten zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat. Wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht nachträglich richterlich bestätigt, so sind die erhobenen Daten unverzüglich zu löschen. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über eine nach Satz 1 durchgeführte Maßnahme in der nächsten nach der Anordnung der Maßnahme stattfindenden Sitzung. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Maßnahme nach Absatz 2 dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn dadurch für den Verfassungsschutz tätige Personen nicht gefährdet werden. Einer Mitteilung bedarf es endgültig nicht, wenn die Gefährdung nach Satz 1 auch fünf Jahre nach Einstellung der Maßnahme noch nicht ausgeschlossen werden kann. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission innerhalb von sechs Monaten nach Einstellung der Maßnahme über die Mitteilung des Betroffenen oder über die dem entgegenstehenden Gründe. Die Parlamentarische Kontrollkommission ist auch über eine nach Satz 2 unterbliebene Mitteilung zu unterrichten. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes auch technische Mittel zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Mobilfunkgerätes und zur Ermittlung der Geräteund Kartennummern einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung das Erreichen des Zwecks der Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Für die Verarbeitung der Daten gilt SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zum Erreichen des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist; sie unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 5 Abs. 4 bis 8 und 10 gilt entsprechend. Zweiter Abschnitt Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen. Die Speicherung in Dateien zu Zwecken einer personenbezogenen Auswertung ist nur zulässig, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für die Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 erforderlich ist, 3. Aufgaben nach SS 2 Abs. 5 zu erfüllen sind oder 4. eine Mitwirkung bei Überprüfungen der Zuverlässigkeit nach SS 7 d des Luftverkehrsgesetzes, SS 12 b des Atomgesetzes oder SS 8 a des Sprengstoffgesetzes erfolgt, soweit nicht besondere Bestimmungen gelten. Satz 2 gilt nicht für Dateien aus allgemein zugänglichen Quellen, die ohne Veränderung des Dateiinhalts ausschließlich für Abfragen genutzt werden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Daten über Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht vollendet haben, in zu ihrer Person geführten Akten (Personenakten) nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der im Artikel 10-Gesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien im Sinne des Absatzes 1 Satz 2 ist eine Speicherung von Daten Minderjähriger, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unzulässig. (3) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderliche Maß zu beschränken. SS9 Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten ThürVSG (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien im Sinne des SS 8 Abs. 1 Satz 2 gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Personenakten ist dies zu vermerken. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat Daten im Sinne des Absatzes 1 zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ist oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Personenakten sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden. 201 202 (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgelegten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob Daten im Sinne des Absatzes 1 zu berichtigen oder zu löschen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 sind spätestens fünfzehn Jahre nach dem ThürVSG Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. Nach SS 8 Abs. 1 Nr. 4 gespeicherte personenbezogene Daten sind spätestens sechs Jahre nach ihrer letzten Speicherung zu löschen. Soweit Daten automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den Ablauf der Fristen nach den Sätzen 1 bis 3 hinzuweisen. (4) Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen vor Vollendung des 16. Lebensjahres sind nach zwei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 angefallen sind. Daten im Sinne des Absatzes 1 über Personen nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 angefallen sind. (5) Personenbezogene Daten, die zu löschen sind, dürfen nicht zum Nachteil des Betroffenen verarbeitet werden. SS 10 Errichtungsanordnung (1) Für jede Datei im Sinne des SS 8 Abs. 1 Satz 2, in der personenbezogene Daten automatisiert verarbeitet werden, ist in einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums bedarf, festzulegen: 1. die Bezeichnung des Verfahrens, 2. der Zweck der Datei, 3. die Voraussetzungen der Verarbeitung und Nutzung (Rechtsgrundlagen, betroffener Personenkreis, Art der Daten), 4. die Anlieferung oder Eingabe, 5. verarbeitungsberechtigte Personen oder Personengruppen, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und 7. die Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Errichtungsanordnung anzuhören. Wesentliche Änderungen sind ihm nach Erlass mitzuteilen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. SS 11 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, so weit er ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Über Speicherungen in anderen Unterlagen als Dateien im Sinne des SS 8 Abs. 1 Satz 2 und zum Betroffenen geführten Personenakten wird Auskunft nur erteilt, soweit der Betroffene Angaben macht, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen geltend gemachten Informationsinteresse steht. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit: 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist; 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamt für Verfassungsschutz zu befürchten ist; 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass er sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, so weit nicht das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des BunThürVSG des oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. 203 204 Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 12 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen ThürVSG (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Register, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Landes haben von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu übermitteln, so weit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung der Informationen, insbesondere über Tatbestände, die in SS 100 a Strafprozessordnung und in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes aufgeführt sind, für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nach SS 2 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für seine Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. (3) Gesetzliche Übermittlungsverbote bleiben unberührt. SS 13 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Die in SS 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 oder 5 Nr. 2 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten und amtlich geführte Dateien und Register anderer öffentlicher Stellen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 einsehen, wenn die Übermittlung von Informationen aus den Akten, Dateien oder Registern im Wege der Mitteilung durch die ersuchte Behörde den Zweck der Maßnahme gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von den Behörden des Landes und den sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. (4) SS 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. SS 14 Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an andere Behörden und öffentliche Stellen personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1, 5 und 6 übermitteln. Zu anderen Zwecken darf es, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten nur übermitteln an: 1. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung erforderlich ist; a) zur Verhütung oder Verfolgung der in SSSS 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Tatverdächtigen oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind; b) zur Verfolgung der in SS 100 a Strafprozessordnung genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität; 2. Polizeibehörden, so weit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist und die Übermittlung der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung der in Nummer 1 genannten Straftaten sowie von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient; 3. andere Behörden und öffentliche Stellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist und der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. (2) Die Empfängerbehörde hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sie darf die personenbezogenen Daten, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes sowie an überoder ThürVSG zwischenstaatliche öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen. Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dem sie ihm übermittelt wurden. (4) Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereiches nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der 205 206 freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium im Einzelfall die Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. ThürVSG Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, vor unberechtigtem Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (5) Absatz 4 findet keine Anwendung bei Datenübermittlungen nach SS 5 Abs. 1 Satz 2. (6) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Übermittlung personenbezogener Daten durch Abruf im automatisierten Verfahren unzulässig. SS 15 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils hat zu unterbleiben, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der personenbezogenen Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen des Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. SS 16 Unterrichtung der Öffentlichkeit (1) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Öffentlichkeit einmal im Jahr über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1. Dabei dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegt. (2) Absatz 1 Satz 2 gilt auch für die Unterrichtung der Öffentlichkeit durch das Landesamt für Verfassungsschutz. SS 17 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern würde und nachteilige Folgen für den Betroffenen nicht zu befürchten sind. Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 18 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeübt. Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse und der Kommission aufgrund des Landesgesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 29. Oktober 1991 bleiben unberührt. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder (nach d'Hondt) gewählt werden. Die Kontrollkommission wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. Die Geheimhaltung gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt; die Veröffentlichung und Bewertung nimmt Tatsachen und Vorgänge nicht vom Geheimhaltungsgebot aus. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird ein Mitglied zum Mitglied der Landesregierung ernannt, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtags so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. ThürVSG SS 19 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission mindestens viermal im Jahr umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Sie berichtet zu sonstigen Vorgängen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies verlangt. 207 208 Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. (2) Die Landesregierung hat der Parlamentarischen Kontrollkommission im Rahmen der Unterrichtung nach Absatz 1 auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien des ThürVSG Landesamts für Verfassungsschutz zu geben, die Anhörung von Mitarbeitern des Landesamts zu gestatten und Besuche beim Landesamt zu ermöglichen. (3) Die Verpflichtung der Landesregierung nach Absatz 1 erstreckt sich nur auf Informationen und Gegenstände, die der Verfügungsberechtigung des Landesamts für Verfassungsschutz unterliegen. (4) Die Landesregierung kann die Unterrichtung nach den Absätzen 1 und 2 nur verweigern, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs oder aus Gründen des Schutzes von Persönlichkeitsrechten Dritter notwendig ist oder wenn der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Lehnt die Landesregierung eine Unterrichtung ab, so hat das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium dies der Parlamentarischen Kontrollkommission auf deren Wunsch zu begründen. (5) An den Landtag gerichtete Eingaben von Bürgern über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamts für Verfassungsschutz können der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Kenntnis gegeben werden. (6) Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag mindestens alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. Fünfter Abschnitt Schlussbestimmungen SS 20 Haushaltsvorlagen (1) Der Haushaltsund Finanzausschuss berät Haushaltsvorlagen zum Verfassungsschutz in vertraulicher Sitzung. Die Mitglieder des Haushaltsund Finanzausschusses sind zur Geheimhaltung aller Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit bekannt geworden sind. (2) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission können an diesen Sitzungen des Haushaltsund Finanzausschusses mit beratender Stimme teilnehmen. SS 20 a Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können die Rechte auf Schutz der Privatsphäre (Artikel 6 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 7 der Verfassung des Freistaats Thüringen), auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes und Artikel 8 der Verfassung des Freistaats Thüringen), auf Versammlungsfreiheit (Artikel 8 des Grundgesetzes und Artikel 10 der Verfassung des Freistaats Thüringen) und auf Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 des Grundgesetzes und Artikel 13 der Verfassung des Freistaats Thüringen) eingeschränkt werden. SS 20 b Geltung des Thüringer Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 durch das Landesamt für Verfassungsschutz finden SS 3 Abs. 2 und 6, SS 7 sowie die SSSS 13 bis 25 des Thüringer Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 10. Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden Fassung keine Anwendung. SS 21 Gleichstellungsbestimmung Statusund Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher und weiblicher Form. SS 22 Inkrafttreten, Außerkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2011 außer Kraft. ThürVSG 209 210 Thüringer Sicherheitsüberprüfungsgesetz (ThürSÜG) Vom 17. März 2003 (GVBl. S. 185), geändert durch Artikel 4 des Thüringer Gesetzes zur Änderung sicherheitsund verfassungsschutzrechtlicher Vorschriften vom ThürSÜG 16. Juli 2008 (GVBl. S. 245) Erster Abschnitt Allgemeine Bestimmungen SS1 Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes (1) Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Überprüfung einer Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Sicherheitsüberprüfung) oder bereits betraut worden ist (Wiederholungsüberprüfung). Zweck der Überprüfung ist es, den Zugang zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit auf Personen zu beschränken, bei denen kein Sicherheitsrisiko vorliegt. (2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer 1. Zugang zu Verschlusssachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH eingestuft sind, 2. Zugang zu mit Nummer 1 vergleichbaren Verschlusssachen ausländischer oder überoder zwischenstaatlicher Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, sofern eine Verpflichtung besteht, hierfür nur sicherheitsüberprüfte Personen einzusetzen, 3. in einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Landes oder in einem Teil von ihr tätig ist oder werden soll, die aufgrund des Umfangs und der Bedeutung dort anfallender Verschlusssachen von der jeweils zuständigen obersten Landesbehörde im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen Ministerium zum Sicherheitsbereich erklärt worden ist, 4. in einer Behörde oder einem sonstigen durch Rechtsverordnung nach SS 33 bestimmten sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereich der Informationsund Kommunikationstechnik Zugangsmöglichkeiten hat, sich verschaffen kann oder an einer Stelle tätig ist oder werden soll, von der aus in die ordnungsgemäße Funktion oder die Integrität eines Systems der Informationsund Kommunikationstechnik eingegriffen werden kann und dadurch die Sicherheit des Landes gefährdet oder seinen Interessen schwerer Schaden zugefügt werden kann, 5. an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer durch Rechtsverordnung nach SS 33 bestimmten lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung beschäftigt ist oder werden soll. (3) Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, 1. deren Ausfall aufgrund ihrer kurzfristig nicht ersetzbaren Produktion oder Dienstleistung die Versorgung eines erheblichen Teils der Bevölkerung ernsthaft nachhaltig gefährden kann, 2. die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind oder 3. deren Zerstörung sich aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr in besonderem Maße gesundheitsgefährdend auswirken kann. Verteidigungswichtig sind Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft und -fähigkeit dienen, weil sie für das Funktionieren, die Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie für die zivile Verteidigung von wesentlicher Bedeutung sind. Eine sicherheitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbständig handelnde Organisationseinheit innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unberechtigtem Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beeinträchtigung eine erhebliche Gefahr für die in den Sätzen 1 und 2 genannten Schutzgüter ausgeht. (4) Im Einvernehmen mit der mitwirkenden Behörde (SS 3 Abs. 3) bestimmt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde oder die zuständige oberste Landesbehörde die sicherheitsempfindlichen Stellen bei den durch eine Rechtsverordnung aufgrund des SS 33 benannten lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen. SS2 Betroffener Personenkreis (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (betroffene Person), ist vorher einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit darf erst nach Vollendung des 16. Lebensjahrs übertragen werden. Von einer Sicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz kann abgesehen werden, wenn für die betroffene Person vor weniger als fünf Jahren eine gleichoder höherwertige Sicherheitsüberprüfung durchgeführt wurde oder sie in eine Sicherheitsüberprüfung mit entsprechenden Maßnahmen einbezogen und kein Sicherheitsrisiko festgestellt worden ist und die Unterlagen der Sicherheitsüberprüfung noch verfügbar sind. (2) Der volljährige Ehegatte oder der volljährige Partner, mit dem die betroffene Person in eheähnlicher oder gleichgeschlechtlicher Gemeinschaft oder in eingetragener Lebenspartnerschaft lebt (Lebenspartner), ist in die Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 einzubeziehen. Über Ausnahmen entscheidet die zuständige Stelle (SS 3). Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend. Geht die betroffene Person die Ehe oder die Gemeinschaft mit dem Lebenspartner während oder erst nach der erfolgten Sicherheitsüberprüfung ein, so hat diese die zuständige Stelle zu unterrichten, um sie in die Lage zu versetzen, die Einbeziehung des Ehegatten oder des Lebenspartners in die Sicherheitsüberprüfung nachzuholen. Das Gleiche gilt bei später eintretender Volljährigkeit des Ehegatten oder Volljährigkeit des Lebenspartners. (3) Dieses Gesetz gilt nicht für: ThürSÜG 1. Mitglieder des Landtags, der Landesregierung und des Rechnungshofs, 2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtsprechung wahrnehmen, 3. Rechtsanwälte, soweit ihnen Akteneinsicht nach SS 147 der Strafprozessordnung (StPO) zu gewähren ist, 4. ausländische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse überoder zwischenstaatlicher Einrichtungen und Stellen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Nr. 2 ausüben sollen. 211 212 SS3 Zuständigkeit (1) Zuständige Stelle für die Sicherheitsüberprüfung ist 1. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle, die eine Person mit einer sicherThürSÜG heitsempfindlichen Tätigkeit betrauen will oder in deren Bereich sich die sicherheitsempfindliche Stelle des öffentlichen Bereichs der Informationsund Kommunikationstechnik befindet, es sei denn, die jeweils zuständige Aufsichtsoder oberste Landesbehörde übernimmt die Aufgaben der zuständigen Stelle, 2. bei den Leitern von Landesbehörden, Gerichten und Staatsanwaltschaften sowie von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde, 3. bei Landräten und Bürgermeistern die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde, 4. bei politischen Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes sowie deren Stiftungen die Partei selbst. (2) Die Aufgaben der zuständigen Stelle nach diesem Gesetz nimmt der Behördenleiter wahr. Er kann sie auf eine von der Personalverwaltung getrennte Organisationseinheit übertragen. (3) Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist das Landesamt für Verfassungsschutz, soweit nicht im Einzelfall das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium die Mitwirkung einer anderen Verfassungsschutzbehörde bestimmt. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt Sicherheitsüberprüfungen für Bewerber sowie Mitarbeiter des eigenen Dienstes nach den Bestimmungen dieses Gesetzes selbst durch, sofern nicht das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium die Aufgaben der zuständigen Stelle wahrnimmt. SS4 Verschlusssachen (1) Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft. (2) Eine Verschlusssache ist 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, 3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann. SS5 Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Erkenntnisse, Sicherheitshinweise (1) Ein Sicherheitsrisiko im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen, 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, begründen oder 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Ein Sicherheitsrisiko bei der betroffenen Person kann sich auch aufgrund sicherheitserheblicher Erkenntnisse zu anderen Personen ergeben, die mit ihr insbesondere als Ehegatte oder Lebenspartner in enger persönlicher Beziehung stehen. (2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. (3) Sicherheitshinweise im Sinne dieses Gesetzes sind fallbezogene Empfehlungen, die zur weiteren Betreuung der betroffenen Person notwendig erscheinen. SS6 Rechte und Pflichten der betroffenen und der einbezogenen Person (1) Die betroffene Person ist über die Art der beabsichtigten Sicherheitsüberprüfung von der zuständigen Stelle zu unterrichten. Wird eine weiter gehende Sicherheitsüberprüfung als ursprünglich vorgesehen notwendig (SS 7 Abs. 2), so ist auch für diese eine vorherige Unterrichtung erforderlich. (2) Die Zustimmung der betroffenen Person ist Voraussetzung für die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung. Wird die Zustimmung durch die betroffene Person nicht erteilt, so ist die Sicherheitsüberprüfung nicht durchführbar. Die betroffene Person darf in diesem Fall nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden. (3) Hat die betroffene Person in die Sicherheitsüberprüfung eingewilligt, so ist sie verpflichtet, die zur Sicherheitsüberprüfung erforderlichen Angaben vollständig und wahrheitsgemäß zu machen. Sie kann Angaben verweigern, die für sie, einen nahen Angehörigen nach SS 52 Abs. 1 StPO oder den Lebenspartner die Gefahr ThürSÜG strafund disziplinarrechtlicher Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen könnten. Werden Angaben verweigert, so ist die betroffene Person verpflichtet, darauf hinzuweisen. Über das Verweigerungsrecht sowie über ihr Widerspruchsrecht nach SS 37 Abs. 2 des Thüringer Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 10. Oktober 2001 (GVBl. S. 276) in der jeweils geltenden Fassung ist die betroffene Person zu belehren. (4) Die betroffene Person hat der zuständigen Stelle von sich aus Änderungen von Namen, Wohnsitzen und Staatsangehörigkeiten mitzuteilen. Mitteilungsbedürftig ist ferner jede Veränderung des Familienstands sowie das Eingehen oder das Beenden einer Lebenspartnerschaft. 213 214 (5) Werden der Ehegatte oder Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend. (6) Bevor die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ablehnt, hat sie der betroffenen Person Gelegenheit zu geben, sich schriftThürSÜG lich oder mündlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen persönlich zu äußern. Die betroffene Person kann zu einer Anhörung mit einer Person ihres Vertrauens erscheinen. Die Anhörung erfolgt in einer Weise, die den Schutz nachrichtendienstlicher Quellen gewährleistet und den schutzwürdigen Interessen von Personen, die im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung befragt wurden, Rechnung trägt. Sie unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sich beim Landesamt für Verfassungsschutz um Einstellung beworben haben. (7) Liegen in der Person des Ehegatten oder des Lebenspartners Anhaltspunkte vor, die ein Sicherheitsrisiko begründen, so hat ihr die zuständige Stelle Gelegenheit zu geben, sich persönlich zu den erheblichen Tatsachen zu äußern. Absatz 6 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. (8) Die Absätze 6 und 7 sind auch im Fall der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuwenden. Zweiter Abschnitt Überprüfungsarten und Durchführungsmaßnahmen SS7 Arten der Sicherheitsüberprüfung (1) Entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder eine 1. einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü 1) oder 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) oder 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt. (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse, die nur durch Maßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung geklärt werden können, kann die zuständige Stelle mit Zustimmung der betroffenen Person und gegebenenfalls des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners die nächsthöhere Art der Sicherheitsüberprüfung einleiten. Diese ist jedoch nur in dem Umfang durchzuführen, wie es zur Aufklärung der sicherheitserheblichen Erkenntnisse erforderlich ist. SS 12 Abs. 6 bleibt unberührt. SS8 Einfache Sicherheitsüberprüfung (1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen. (2) In Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 kann die zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung oder einem Teil der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder Dauer der Tätigkeit dies zulassen. SS9 Erweiterte Sicherheitsüberprüfung Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen, 4. Tätigkeiten in Bereichen oder an Stellen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 4 oder 5 wahrnehmen sollen, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 für ausreichend hält. SS 10 Erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen ist für Personen durchzuführen, die 1. Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Zugang zu einer hohen Anzahl von GEHEIM eingestuften Verschlusssachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 3. Tätigkeiten in entsprechend eingestuften Bereichen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen, 4. beim Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden sollen, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 oder SS 9 für ausreichend hält. SS 11 ThürSÜG Datenerhebung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde dürfen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Daten erheben. Die betroffene Person sowie die sonstigen zu befragenden Personen und nicht öffentlichen Stellen sind auf den Zweck der Erhebung, die Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht, ansonsten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 4 genannten Personen kann die Angabe der erhebenden Stelle gegenüber den sonstigen zu befragenden Personen oder nicht öffentlichen 215 216 Stellen unterbleiben, wenn dies zum Schutz der betroffenen Person oder des Nachrichtendienstes erforderlich ist. (2) Die zuständige Stelle erhebt die personenbezogenen Daten grundsätzlich bei der betroffenen Person und, falls es darüber hinaus erforderlich ist, bei dem in die ThürSÜG Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner. Reicht diese Erhebung nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder seines Ehegatten oder Lebenspartners entgegen, können andere geeignete Personen oder Stellen befragt werden. (3) Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die mitwirkende Behörde richtet sich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes und, soweit dort keine Regelungen getroffen worden sind, nach den Bestimmungen des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527) in der jeweils geltenden Fassung. SS 12 Maßnahmen bei den einzelnen Überprüfungsarten (1) Die mitwirkende Behörde wird nur auf Antrag der zuständigen Stelle tätig. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 trifft die mitwirkende Behörde folgende Maßnahmen: 1. sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, 2. Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister sowie Auskunftsersuchen an das Zentrale Staatsanwaltschaftliche Verfahrensregister (ZStV), 3. Anfragen unter Beteiligung der Landeskriminalämter an die Polizeidienststellen der Wohnsitze der betroffenen Person, in der Regel beschränkt auf die letzten fünf Jahre, 4. Anfragen an das Bundeskriminalamt, die Grenzschutzdirektion und die Nachrichtendienste des Bundes. (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 9 prüft die mitwirkende Behörde zusätzlich zu den in Absatz 2 genannten Maßnahmen die Identität der betroffenen Person. Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner nach SS 2 Abs. 2 in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, trifft die mitwirkende Behörde bezüglich der einzubeziehenden Person die in Absatz 2 und Satz 1 genannten Maßnahmen. (4) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 10 befragt die mitwirkende Behörde zusätzlich von der betroffenen Person in seiner Sicherheitserklärung angegebene Referenzpersonen und, soweit erforderlich, weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen, um zu prüfen, ob die Angaben der betroffenen Person zutreffen und ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko schließen lassen. Darüber hinaus können Auskünfte zu den finanziellen Verhältnissen der betroffenen Person eingeholt werden. (5) Die zuständige Stelle fragt zur Feststellung einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Tätigkeit der betroffenen Person oder des einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik an, wenn die betroffene Person oder der einbezogene Ehegatte oder Lebenspartner vor dem 1. Januar 1970 geboren wurde oder Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vorliegen. Auf die Anfrage kann verzichtet werden, wenn eine nicht länger als sechs Monate zurückliegende Auskunft vorliegt. Ergibt die Anfrage sicherheitserhebliche Erkenntnisse, übermittelt sie die zuständige Stelle zur Bewertung an die mitwirkende Behörde. (6) Soweit es eine sicherheitserhebliche Erkenntnis erfordert und die Befragung der betroffenen Person oder ihres Ehegatten oder Lebenspartners nicht ausreicht oder ihr schutzwürdige Interessen entgegenstehen, kann die mitwirkende Behörde neben den Maßnahmen nach den Absätzen 2 bis 4 weitere geeignet erscheinende Auskunftspersonen befragen oder andere Stellen, insbesondere Staatsanwaltschaften und Gerichte, um Akteneinsicht oder Auskunft ersuchen oder Einzelmaßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung durchführen. SS 6 Abs. 1 und 2 findet keine Anwendung. (7) Liegt eine sicherheitserhebliche Erkenntnis zu anderen Personen vor, die mit der betroffenen Person in enger persönlicher Beziehung stehen, kann die mitwirkende Behörde zu diesen Personen mit deren Zustimmung die zur Klärung eines Sicherheitsrisikos jeweils notwendigen Ermittlungen nach den Absätzen 2 bis 4 und 6 durchführen. Dritter Abschnitt Verfahren SS 13 Beginn der Sicherheitsüberprüfung und Angaben zur Sicherheitserklärung (1) Die Personalverwaltung der nach SS 3 Abs. 1 zuständigen Stelle teilt der nach SS 3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmenden Stelle mit, dass eine Person in einer bestimmten sicherheitsempfindlichen Tätigkeit eingesetzt werden soll. Durch die nach SS 3 Abs. 2 zuständige Stelle wird die betroffene Person zur Abgabe der Sicherheitserklärung aufgefordert; SS 6 ist zu beachten. (2) In der Sicherheitserklärung sind von der betroffenen Person anzugeben: ThürSÜG 1. Namen, auch frühere, Vornamen, akademische Grade, 2. Geburtsdatum, -ort, 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und mehrfache Staatsangehörigkeiten, 4. Familienstand, Lebenspartnerschaft, 5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer Dauer als zwei Monate, und zwar im Inland in den vergangenen fünf Jahren, im Ausland ab dem 18. Lebensjahr, 6. ausgeübter Beruf, 7. derzeitiger oder letzter Arbeitgeber und dessen Anschrift, 8. Anzahl der Kinder, 9. im Haushalt lebende Personen über 18 Jahre (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum und -ort, Verhältnis zu dieser Person), 217 218 10.Eltern, Stiefund Pflegeeltern (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum und -ort, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz), 11.Ausbildungsund Beschäftigungszeiten, Wehroder Zivildienstzeiten mit Angabe der Ausbildungsstätten, Beschäftigungsstellen sowie deren Anschriften, 12.Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die in den vergangenen fünf Jahren durchThürSÜG geführt wurden, sowie Angaben darüber, ob die zurzeit bestehenden finanziellen Verpflichtungen erfüllt werden können, 13.Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten und den Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, die auf einen Anbahnungsund Werbungsversuch hindeuten können, 14.Tätigkeiten für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit beziehungsweise das Amt für Nationale Sicherheit der DDR oder die Verwaltung Aufklärung im Ministerium für Nationale Verteidigung, 15.hauptamtliche Funktionen in einer Partei oder Massenorganisation der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie Tätigkeit als "Reisekader in das nicht sozialistische Wirtschaftsgebiet", 16.Beziehungen zu Organisationen, die von ihren Anhängern unbedingten Gehorsam verlangen und deshalb die betroffene Person in Konflikt mit ihrer Verschwiegenheitspflicht bringen können, 17.Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen, 18.anhängige Strafund Disziplinarverfahren, 19.Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reisen, nahen Angehörigen und sonstigen Beziehungen in und zu Staaten, zu denen das Bundesministerium des Innern als Nationale Sicherheitsbehörde festgestellt hat, dass besondere Sicherheitsrisiken für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit betrauten Personen zu befürchten sind, 20.frühere Sicherheitsüberprüfungen sowie bei Sicherheitsüberprüfungen nach den SSSS 9 und 10 zusätzlich 21.Nummer des Personalausweises oder des Reisepasses sowie bei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 10 zusätzlich 22.drei Referenzpersonen (jeweils Namen, Vornamen, Beruf, berufliche und private Anschrift, Rufnummern und Art der Beziehung zur Person sowie zeitlicher Beginn der Bekanntschaft). Den Erklärungen zur Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 sind zwei aktuelle Lichtbilder mit der Angabe des Jahres der Aufnahme beizufügen. (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 entfallen die Angaben zu Absatz 2 Satz 1 Nr. 8; die Angaben zu Absatz 2 Satz 1 Nr. 10 entfallen, sofern die dort genannten Personen nicht in einem Haushalt mit der betroffenen Person leben. Zur Person des Ehegatten oder Lebenspartners werden die Angaben nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4, 13, 14, 16 und 17 mit dessen Einverständnis erhoben. Ergeben sich aus der Sicherheitserklärung oder aufgrund der Abfrage aus einer der in SS 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970) in der jeweils geltenden Fassung genannten Verbunddateien sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Ehegatten oder den Lebenspartner, sind weitere Überprüfungen nur zulässig, wenn der Ehegatte oder der Lebenspartner der betroffenen Person in die erweiterte Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird. (4) Wird der Ehegatte oder der Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, sind zusätzlich für diesen die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 5 bis 7, 11, 12, 18, 19 und 21 genannten Daten anzugeben. (5) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 4 genannten Personen sind zusätzlich die Wohnsitze seit der Geburt, die Geschwister und abgeschlossene Strafund Disziplinarverfahren sowie alle Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik anzugeben. (6) Die Sicherheitserklärung ist von der betroffenen Person der zuständigen Stelle zuzuleiten. Die zuständige Stelle prüft die Angaben auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit. Zu diesem Zweck kann die Personalakte eingesehen werden. Die zuständige Stelle leitet die Sicherheitserklärung an die mitwirkende Behörde weiter und beauftragt diese, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, es sei denn, die zuständige Stelle hat bereits bei der Prüfung der Sicherheitserklärung festgestellt, dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Die mitwirkende Behörde kann mit Zustimmung der betroffenen Person und der zuständigen Stelle in die Personalakte Einsicht nehmen, wenn dies zur Klärung oder Beurteilung sicherheitserheblicher Erkenntnisse unerlässlich ist. SS 14 Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (1) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass kein Sicherheitsrisiko vorliegt, so teilt sie dies der zuständigen Stelle mit. Fallen Erkenntnisse an, die kein Sicherheitsrisiko begründen, aber weiterhin sicherheitserheblich sind, so werden diese mitgeteilt. Hierzu können Sicherheitshinweise gegeben werden. (2) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, dass ein Sicherheitsrisiko vorliegt, unterrichtet sie schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer Bewertung die zuständige Stelle. Bei nachgeordneten Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen erfolgt die Unterrichtung über deren oberste Landesoder oberste Aufsichtsbehörde. (3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der betroffenen Person entgegensteht. Im Zweifel hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen. SS 6 Abs. 6 und 7 ist zu beachten. (4) Lehnt die zuständige Stelle die Zulassung zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ab, teilt sie dies der betroffenen Person mit. Die Ablehnung ist unter Beachtung des Quellenschutzes und der schutzwürdigen Interessen der befragten Personen und Stellen zu begründen. Die Begründung unterbleibt, wenn sie einen erThürSÜG heblichen Nachteil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sich beim Landesamt für Verfassungsschutz um Einstellung beworben haben. SS 15 Vorläufige Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen abweichend von SS 2 Abs. 1 die sicherheitsempfindliche Tätigkeit der betroffenen Person vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung erlauben, wenn die mitwirkende Behörde 219 220 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung die Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der eigenen Erkenntnisse bewertet hat oder 2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung und bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen die Maßnahmen der nächstniederen Art der Sicherheitsüberprüfung abgeschlossen hat ThürSÜG und sich daraus keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko ergeben haben. SS 16 Unterrichtung durch die personalverwaltende Stelle Die Personalverwaltung der nach SS 3 Abs. 1 zuständigen Stelle unterrichtet die nach SS 3 Abs. 2 aufgabenwahrnehmende Stelle unverzüglich über die persönlichen, dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, soweit sie für deren sicherheitsmäßige Beurteilung erheblich sind. Insbesondere zählen dazu: 1. die Umsetzung, Abordnung, Versetzung und das Ausscheiden aus dem Dienst, 2. Änderungen des Familienstands oder einer Lebenspartnerschaft, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit, 3. Anhaltspunkte für geistige oder seelische Störungen, für Alkohol-, Drogenoder Tablettenmissbrauch, 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, 5. Strafund Disziplinarsachen sowie dienstund arbeitsrechtliche Maßnahmen. SS 17 Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich unverzüglich gegenseitig zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über die betroffene Person oder den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner bekannt werden oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unrichtig erweisen. (2) Die mitwirkende Behörde prüft die sicherheitserheblichen Erkenntnisse und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach SS 5 Abs. 1 vorliegt. Sie unterrichtet die zuständige Stelle über das Ergebnis der Prüfung; im Übrigen ist SS 14 Abs. 3 und 4 entsprechend anzuwenden. SS 18 Aktualisierung der Sicherheitserklärung und Wiederholungsüberprüfung (1) Die Sicherheitserklärung ist der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt, in der Regel alle fünf Jahre erneut zuzuleiten und im Falle eingetretener Veränderungen von der betroffenen Person zu ergänzen. (2) Liegt zu der betroffenen Person eine unter Vorbehalt erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik vor oder ist eine Anfrage bisher unterblieben, ist anlässlich der Aktualisierung oder Wiederholungsüberprüfung eine Auskunft nach SS 12 Abs. 5 einzuholen. (3) Bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten nach SS 10 ist in der Regel im Abstand von zehn Jahren eine Wiederholungsüberprüfung einzuleiten. Im Übrigen kann die zuständige Stelle eine Wiederholungsüberprüfung einleiten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse dies nahe legen. Das Verfahren bei der Wiederholungsüberprüfung entspricht dem der Erstüberprüfung. Abweichend davon kann die mitwirkende Behörde von einer erneuten Identitätsprüfung absehen. Die Wiederholungsüberprüfung erfolgt nur mit Zustimmung der betroffenen Person, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, und mit Zustimmung ihres Ehegatten oder Lebenspartners, sofern er einbezogen wird. Vierter Abschnitt Akten über die Sicherheitsüberprüfung, Datenverarbeitung SS 19 Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprüfungsakte (1) Die zuständige Stelle führt über die betroffene Person eine Sicherheitsakte, in die alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Informationen aufzunehmen sind. Dazu zählen insbesondere: 1. Sicherheitserklärungen (auch frühere), 2. der Antrag auf Feststellung einer möglichen Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik sowie die dazu erteilte Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, 3. das Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung einschließlich sicherheitserheblicher Erkenntnisse und Erkenntnisse über ein Sicherheitsrisiko, 4. Mitteilungen der mitwirkenden Behörde, 5. gegebenenfalls Vermerke, die im Zusammenhang mit der Sicherheitsüberprüfung angefallen sind. (2) Informationen über die persönlichen, dienstlichen und arbeitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, sind zur Sicherheitsakte zu nehmen, soweit sie für die sicherheitsmäßige Beurteilung bedeutsam sind. Dazu zählen insbesondere: 1. Zuweisung, Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die dazu erteilte Ermächtigung, deren Änderungen und Beendigung, ThürSÜG 2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Ausscheiden aus dem Dienst, 3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft, Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit, 4. Anhaltspunkte für geistige und seelische Störungen, für Alkohol-, Drogenoder Tablettenmissbrauch, 5. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse, 6. Strafund Disziplinarsachen sowie dienstund arbeitsrechtliche Maßnahmen. 221 222 (3) Die mitwirkende Behörde führt über die betroffene Person eine Sicherheitsüberprüfungsakte, in die aufzunehmen sind: 1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüfung, die durchgeführten Maßnahmen und das Ergebnis betreffen, 2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufnahme der sicherheitsempfindlichen TäThürSÜG tigkeit, 3. Änderungen des Familienstands, Beginn und Ende einer Lebenspartnerschaft, Änderungen des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit. Die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 4 bis 6 genannten Daten sind zur Sicherheitsüberprüfungsakte zu nehmen, wenn sie sicherheitserheblich sind. (4) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die in Absatz 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 sowie Satz 2 genannten Daten unverzüglich der mitwirkenden Behörde mitzuteilen. (5) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind keine Personalakten. Sie sind gesondert zu führen und dürfen weder der personalverwaltenden Stelle noch der betroffenen Person zugänglich gemacht werden; SS 24 Abs. 5 bleibt unberührt. Bei einem Wechsel der zuständigen Stelle ist die Sicherheitsakte der betroffenen Person auf schriftliche Anforderung an die neue zuständige Stelle abzugeben, wenn auch dort eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt werden soll. Die Sicherheitsüberprüfungsakte ist auf schriftliche Anforderung an die dann zuständige mitwirkende Behörde abzugeben. SS 20 Aufbewahrung und Vernichtung der Unterlagen (1) Die Sicherheitsakte und die Sicherheitsüberprüfungsakte sind gesondert aufzubewahren und gegen unbefugten Zugriff zu schützen. (2) Die zuständige Stelle hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung nach den in SS 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 genannten Fristen zu vernichten. SS 23 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. (3) Die mitwirkende Behörde hat die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung nach den in SS 23 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 genannten Fristen zu vernichten. Gleiches gilt bezüglich der Unterlagen zu den in SS 3 Abs. 4 genannten Personen. SS 23 Abs. 3 findet entsprechende Anwendung. (4) Das Thüringer Archivgesetz vom 23. April 1992 (GVBl. S. 139) in der jeweils geltenden Fassung findet auf die Sicherheitsakten und Sicherheitsüberprüfungsakten keine Anwendung. SS 21 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben 1. die nach diesem Gesetz in SS 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen Daten, ihre Aktenfundstelle und die der mitwirkenden Behörde, 2. die Beschäftigungsstelle, 3. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs und 4. beteiligte Behörden automatisiert verarbeiten. (2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben 1. die in SS 13 Abs. 2 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen Daten der betroffenen Person und des in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartners und die Aktenfundstelle, 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs sowie 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und Erkenntnisse, die ein Sicherheitsrisiko begründen, automatisiert verarbeiten. Die Daten nach Nummer 1 dürfen auch in den nach SS 6 BVerfSchG zulässigen Verbunddateien gespeichert und genutzt werden. SS 22 Übermittlung und Zweckbindung (1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespeicherten personenbezogenen Daten dürfen von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde nur für Zwecke 1. der Sicherheitsoder Zuverlässigkeitsüberprüfung, 2. der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung nach SS 31 Abs. 5 des Polizeiaufgabengesetzes vom 4. Juni 1992 (GVBl. S. 199) in der jeweils geltenden Fassung sowie 3. parlamentarischer Untersuchungsausschüsse genutzt und übermittelt werden. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die ihnen nach Satz 1 Nr. 2 übermittelten Daten für Zwecke eines Strafverfahrens nur verwenden, wenn die Strafverfolgung auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre. Die zuständige Stelle darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus für Zwecke der disziplinarrechtlichen Verfolgung sowie dienstund arbeitsrechtlicher Maßnahmen nutzen, wenn dies zur Gewährleistung des Geheimund Sabotageschutzes erforderlich ist. Die mitwirkende Behörde darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus im Rahmen des erforderlichen Umfangs zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht, von Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität oder von Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten oder zur Aufklärung sonstiger Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 ThürVSG von erheblicher Bedeutung nutzen und übermitteln. ThürSÜG (2) Die Übermittlung der nach SS 21 gespeicherten Daten ist nur zulässig, soweit sie für die Erfüllung der in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlich ist. Die nach SS 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 gespeicherten Daten dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des Verfassungsschutzes genutzt und übermittelt werden. (3) Die mitwirkende Behörde darf personenbezogene Daten nach den Absätzen 1 und 2 nur an öffentliche Stellen übermitteln. (4) Die Nutzung oder Übermittlung unterbleibt, soweit gesetzliche Verwendungsregelungen entgegenstehen. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den 223 224 Zweck verarbeiten und nutzen, zu dem sie übermittelt wurden. Eine nicht öffentliche Stelle ist darauf hinzuweisen. SS 23 ThürSÜG Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wird die Richtigkeit personenbezogener Daten von der betroffenen Person bestritten, ist dies, wenn sich die personenbezogenen Daten in Akten befinden, dort zu vermerken oder, falls die Daten in einer Datei gespeichert sind, auf sonstige Weise festzuhalten. Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich gegenseitig zu unterrichten. (2) Die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten sind zu löschen 1. von der zuständigen Stelle a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen wird oder die betroffenen Person verstorben ist, b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung ein, c) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung ein oder es ist beabsichtigt, die betroffene Person in absehbarer Zeit mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu betrauen, d) spätestens nach zehn Jahren, sofern die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufgenommen hat oder aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ausgeschieden ist und sie in absehbarer Zeit nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll, 2. von der mitwirkenden Behörde a) unverzüglich, wenn die Sicherheitsüberprüfung vorzeitig abgebrochen wird oder die betroffenen Person verstorben ist, b) innerhalb eines Jahres, wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, die betroffene Person willigt in die weitere Speicherung ein, c) bei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 8 nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit oder spätestens nach zehn Jahren, wenn die betroffene Person in eine weitere Speicherung eingewilligt hat oder es beabsichtigt war, sie in absehbarer Zeit mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu betrauen, d) bei Sicherheitsüberprüfungen nach den SSSS 9 und 10 nach Ablauf von zehn Jahren nach dem Ausscheiden der betroffenen Person aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit oder wenn die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufgenommen hat und sie in absehbarer Zeit nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll, e) die nach SS 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 gespeicherten Daten, wenn feststeht, dass die betroffene Person keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt oder sie nicht mehr ausübt. Im Übrigen sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. (3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person genutzt werden. SS 24 Auskunft, Akteneinsicht (1) Auf schriftlichen Antrag erteilt die zuständige Stelle oder die mitwirkende Behörde unentgeltlich Auskunft über die bei ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung zu der anfragenden Person gespeicherten Daten. (2) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Bezieht sich die Auskunftserteilung auf personenbezogene Daten, die von der zuständigen Stelle an die mitwirkende Behörde oder von der mitwirkenden Behörden an die zuständige Stelle übermittelt wurden, so ist die Auskunft nur mit deren Zustimmung zulässig. (3) Die Auskunft unterbleibt, wenn 1. sie die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der speichernden Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde, 2. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 3. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen und deswegen das Interesse des Anfragenden an der Auskunftserteilung zurücktreten muss. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit durch die Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung gestützt wird, der mit der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde. In diesem Fall sind die Gründe der Auskunftsverweigerung aktenkundig zu machen. Die anfragende Person ist auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Landesbeauftragten für Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für Datenschutz ist auf Verlangen der anfragenden Person Auskunft zu erteilen, soweit nicht die jeweils zuständige oberste Landesbehörde im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Personenbezogene Daten einer Person, der Vertraulichkeit zugesichert worden ist, dürfen auch dem Landesbeauftragten für DatenThürSÜG schutz gegenüber nicht offenbart werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten für Datenschutz an die anfragende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der zuständigen Stelle oder der mitwirkenden Behörde zulassen. (5) Die zuständige Stelle gewährt der anfragenden Person Einsicht in die Sicherheitsakte, soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Interessen nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist. Die Regelungen der Absätze 2 bis 4 gelten entsprechend. Ein Recht auf Einsicht in die Sicherheitsüberprüfungsakte der mitwirkenden Behörde besteht grundsätzlich nicht. 225 226 Fünfter Abschnitt Sonderregelungen bei Sicherheitsüberprüfungen für nicht öffentliche Stellen SS 25 Anwendungsbereich ThürSÜG Bei Sicherheitsüberprüfungen von betroffenen Personen, die von der zuständigen Stelle zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit bei einer nicht öffentlichen Stelle ermächtigt werden sollen, gelten die Sonderregelungen der SSSS 25 bis 31. SS 26 Zuständigkeit (1) Die Aufgaben der zuständigen Stelle werden wahrgenommen von dem für Wirtschaft zuständigen Ministerium, es sei denn, eine andere oberste Landesbehörde nimmt im Einvernehmen mit diesem Ministerium die Aufgaben als zuständige Stelle wahr. (2) Die Aufgaben der nicht öffentlichen Stelle nach diesem Gesetz sind grundsätzlich von einer von der Personalverwaltung getrennten Organisationseinheit wahrzunehmen. Die zuständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn die nicht öffentliche Stelle sich verpflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung bekannt werden, nur für solche Zwecke zu gebrauchen, die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgt werden. SS 27 Sicherheitserklärung, Sicherheitsakte (1) Die betroffene Person leitet ihre Sicherheitserklärung abweichend von SS 13 Abs. 6 Satz 1 der nicht öffentlichen Stelle zu, in der sie beschäftigt ist. Im Falle der Einbeziehung des Ehegatten oder Lebenspartners fügt die betroffene Person deren Zustimmung bei. Die nicht öffentliche Stelle prüft die Angaben auf Vollständigkeit und Richtigkeit und darf, soweit erforderlich, die Personalunterlagen beiziehen. Sie gibt die Sicherheitserklärung an die zuständige Stelle weiter und teilt dieser vorhandene sicherheitserhebliche Erkenntnisse mit. (2) Für die Sicherheitsakte in der nicht öffentlichen Stelle gelten die Bestimmungen dieses Gesetzes über die Sicherheitsakte entsprechend mit der Maßgabe, dass die Sicherheitsakte der nicht öffentlichen Stelle bei einem Wechsel des Arbeitgebers nicht abgegeben werden darf. SS 28 Abschluss der Sicherheitsüberprüfung, Weitergabe sicherheitserheblicher Erkenntnisse Die zuständige Stelle unterrichtet die nicht öffentliche Stelle nur darüber, ob die betroffene Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut oder nicht betraut werden kann. Erkenntnisse, die die Ablehnung der Betrauung mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betreffen, dürfen nicht mitgeteilt werden. Zur Gewährleistung des Geheimund Sabotageschutzes können sicherheitserhebliche Erkenntnisse an die nicht öffentliche Stelle übermittelt werden und dürfen von ihr ausschließlich zu diesem Zweck genutzt werden. Die nicht öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle unverzüglich zu unterrichten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über die betroffene Person oder über den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten oder Lebenspartner bekannt werden. SS 29 Aktualisierung der Sicherheitserklärung (1) Die nicht öffentliche Stelle leitet der betroffenen Person, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt, auf Anforderung der zuständigen Stelle die Sicherheitserklärung in der Regel alle fünf Jahre erneut zu. (2) Die betroffene Person hat die in der Sicherheitserklärung angegebenen Daten im Falle eingetretener Veränderungen zu ergänzen. Die zuständige Stelle beauftragt die mitwirkende Behörde, die Maßnahmen nach SS 12 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 erneut durchzuführen. SS 30 Mitteilungsund Unterrichtungspflichten (1) Die betroffene Person hat der nicht öffentlichen Stelle von sich aus die in SS 6 Abs. 4 genannten Änderungen mitzuteilen. (2) Die nicht öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle umgehend über die ihr nach Absatz 1 mitgeteilten personenbezogenen Daten sowie über das Ausscheiden der betroffenen Person aus einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu unterrichten. SS 31 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten Die nicht öffentliche Stelle darf die nach diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten der betroffenen Person automatisiert verarbeiten; im Übrigen ist SS 23 entsprechend anzuwenden. ThürSÜG Sechster Abschnitt Reisebeschränkungen und Schlussbestimmungen SS 32 Reisebeschränkungen (1) Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut sind, die eine Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 oder 10 erfordert, können verpflichtet werden, Dienstund Privatreisen in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen gelten, der zuständigen Stelle oder der nicht öffentlichen Stelle rechtzeitig 227 228 vorher anzuzeigen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit angeordnet werden. Die in der Anzeige nach Satz 1 mitgeteilten Erkenntnisse dürfen von der nicht öffentlichen Stelle nur für den mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgten Zweck genutzt werden. ThürSÜG (2) Die Reise kann von der zuständigen Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte zur betroffenen Person oder eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche Gefährdung durch fremde Nachrichtendienste erwarten lassen. Eine besonders sicherheitsempfindliche Tätigkeit ist in der Regel bei den in SS 10 Nr. 4 genannten Personen anzunehmen. (3) Ergeben sich bei einer Reise in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, die auf einen Anbahnungsoder Werbungsversuch fremder Nachrichtendienste hindeuten können, so ist die zuständige Stelle nach Abschluss der Reise unverzüglich zu unterrichten, die ihrerseits die mitwirkende Behörde zu unterrichten hat. SS 33 Ermächtigung zur Rechtsverordnung Die Ministerien bestimmen im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen Ministerium durch Rechtsverordnung die öffentlichen Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik nach SS 1 Abs. 2 Nr. 4 und die lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 5 jeweils für ihren Zuständigkeitsbereich. Die Rechtsverordnung nach SS 1 Abs. 2 Nr. 5 bedarf der Zustimmung des zuständigen Ausschusses. SS 34 Allgemeine Verwaltungsvorschriften (1) Das für den Geheimschutz zuständige Ministerium erlässt die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Verwaltungsvorschriften. (2) Das für die Wirtschaft zuständige Ministerium erlässt im Einvernehmen mit dem für den Geheimschutz zuständigen Ministerium die zur Ausführung dieses Gesetzes erforderlichen Verwaltungsvorschriften für den Bereich der nicht öffentlichen Stellen. SS 35 Strafvorschriften (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geschützte personenbezogene Daten, die nicht offenkundig sind, 1. verarbeitet, 2. zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält oder 3. abruft oder sich oder einem anderen aus Dateien verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. die Übermittlung von nach diesem Gesetz geschützten personenbezogenen Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder 2. entgegen SS 22 Abs. 1 oder SS 28 Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt oder unbefugt weitergibt. (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. SS 36 Übergangsbestimmungen (1) Bei Sicherheitsüberprüfungen, die vor dem In-Kraft-Treten dieses Gesetzes abgeschlossen wurden, ist die erste Aktualisierung nach SS 18 Abs. 1 fünf Jahre nach Abschluss der jeweils letzten Überprüfung oder Aktualisierung, die erste Wiederholungsüberprüfung nach SS 18 Abs. 3 zehn Jahre nach Abschluss der jeweils letzten Überprüfung durchzuführen. (2) Maßnahmen, die anlässlich von Sicherheitsüberprüfungen vor dem In-KraftTreten dieses Gesetzes eingeleitet wurden, aber noch nicht abgeschlossen sind, bleiben wirksam, sofern sie mit entsprechenden Maßnahmen nach diesem Gesetz vergleichbar sind. SS 37 Gleichstellungsbestimmung Statusund Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher und weiblicher Form. SS 38 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können die Rechte auf Schutz der Privatsphäre (Artikel 6 der Verfassung des Freistaats Thüringen) eingeschränkt werden. ThürSÜG SS 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft und mit Ablauf des 31. Dezember 2011 außer Kraft. 229 230 A AA/BO Antifaschistische Aktion/ Bundesweite Organisation AAG Antifaschistische Aktion Gera Abkürzungsverzeichnis AASlf Antifaschistische Aktion Saalfeld AAW Autonome Antifa Weimar AAWL Antifaschistische Aktion Weimarer Land AGAP Antifaschistische Gruppe Apolda AG17 Antifa Gruppe 17 AGST Antifaschistische Gruppe Südthüringen AJ/BA Antifaschistische Jugend/ Bundesweite Aktion ake Antifaschistische Koordination Erfurt A2KT Autonome Antifa Koordination Thüringen AMS Assoziation Marxistischer Studierender AN Autonome Nationalisten ARGK Volksbefreiungsarmee Kurdistans B B.A.F. Braune Aktionsfront Thüringen C CDK Koordination der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa CH Collegium Humanum e.V. CRI Tschetschenische Republik Itschkeria D DDF Die Deutsche Freiheitsbewegung e.V. - der Bismarck Deutsche DK Deutsches Kolleg DKP Deutsche Kommunistische Partei DVU Deutsche Volksunion E EJE Emanzipatorische Jugend Erfurt F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAU Freie Arbeiterinnenund Arbeiterunion FAUST Freie ArbeiterInnen Union Südthüringen FKST Freie Kräfte Südthüringen FN Freies Netz G GFP Gesellschaft für freie Publizistik e.V. GIMF Globale Islamische Medienfront H HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e.V. HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. HPG Volksverteidigungsarmee I IAA Internationale Arbeiter Assoziation IJU Islamische Jihad Union ILJ Infoladen Jena J JN Junge Nationaldemokraten K KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KCK Koma Civaken Kurdistan - Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans Abkürzungsverzeichnis KJVD Kommunistischer Jugendverband Deutschlands KKK Koma Komalen Kurdistan - Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPF Kommunistische Plattform der Partei "DIE LINKE." M MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MfS Ministerium für Staatssicherheit der DDR 231 232 N NBK Nationaler Bildungskreis NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands Abkürzungsverzeichnis npde Nationale Plattform Deutscher Erfurter NS/AGAP Nationale Sozialisten/ Aktionsgruppe Apolda NSBM National Socialist Black Metal NSHC National Socialist Hardcore NZ National-Zeitung/ Deutsche Wochenzeitung O OMGs Outlaw Motorcycle Gangs P PJAK Partei für ein freies Leben in Kurdistan PKK Arbeiterpartei Kurdistans R RH Rote Hilfe e.V. S SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SKB Scientology Kirche Berlin e.V. SKD Scientology Kirche Deutschland e.V. T TJ Tablighi Jama'at - Gemeinschaft der Verkündigung und Mission TSB Tschetschenische Separatistenbewegung U UZ Unsere Zeit (Publikation) V VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten Y YDK Kurdische Demokratische Volksunion YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. YÖP Yeni Özgür Politika A Aktionsbündnis Erfurt 73 Alerta - Antifa Newsflyer für 114 Jena al-Manar (Der Leuchtturm, 162 Fernsehsender) Anarchisten 107-108, 130-131 Antifa Gruppe 17 (AG17) 113, 116-117, 120, 128, 130 Antifaschistische Aktion/Bundes112 weite Organisation (AA/BO) Antifaschistische Aktion Gera 118, 123-124 (AAG) Antifaschistische Aktion Saalfeld 122-123 (AASlf) Antifaschistische Aktion 121 Weimarer Land (AAWL) Antifaschistische Gruppe 120, 123 Apolda (AGAP) Antifaschistische Gruppe 117-119, 123, 126 Südthüringen (AGST) Antifaschistische Jugend/ 125 Bundesweite Aktion (AJ/BA) Antifaschistische Koordination 116 Erfurt (ake) Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 148-152, 154, 156, 158-159 Aryan Hope 99 Sachregister (rechtsextremistische Band) Assoziation Marxistischer 139 Studierender (AMS) Autonome Antifa Koordination 108, 113, 118 Thüringen (A2KT) Autonome Antifa Weimar 120-121, 126 (AAW) Autonome Nationalisten (AN) 18, 62-64, 66, 70-72 Autonome Nationalisten Erfurt 71 Autonome Nationalisten 71, 84 Südthüringen 233 234 B Bad Seven MC 179 Bandidos MC 179 Bildungswerk für Heimat und 28 Sachregister nationale Identität e.V. Blickpunkt Vogtland & 53, 82 Altenburg (Publikation) Blood & Honour (B & H) 88, 91, 94 Brainwash 52, 92-93, 99 (rechtsextremistische Band) Braune Aktionsfront Thüringen 67, 70 (B.A.F.) Braunes Haus 74 Breakdown 51, 99 (rechtsextremistische Band) Burning Hate 98 (rechtsextremistische Band) C Celebrity Centers (CCs) 169 Celtic Dawn 92 (rechtsextremistische Band) Chicanos MC 179 Civil Disorder 98 (rechtsextremistische Band) Collegium Humanum e.V. (CH) 102-103 D Der Nordthüringen Bote 81 Der Rennsteig Bote 81 Der Wartburgkreis Bote 82 Deutsche Kommunistische 107, 123, 133-141 Partei (DKP) Deutscher Kongress 103 Deutsche Stimme (DS) 22, 28 Deutsche Volksunion (DVU) 24, 29-30, 36, 45, 58-60 Deutsches Kolleg (DK) 103 Deutschlandpakt 3, 17-19, 29-30, 45 Diary of a dying nation 98 (rechtsextremistische Band) Die Artgemeinschaft - 101-102 Germanische GlaubensGemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (Artgemeinschaft) Die Deutsche Freiheits102 bewegung e.V. (DDF) - der Bismarck Deutsche Die Rote Fahne 139, 141 Division Ronneburg / 74 Widerstand Ronneburg E Ehre & Stolz 92 (rechtsextremistische Band) Emanzipatorische Jugend Erfurt 116 (EJE) Endstufe 98 (rechtsextremistische Band) Eternal Bleeding 92-93, 98 (rechtsextremistische Band) Eugenik 51, 92-94, 99 (rechtsextremistische Band) Exilregierung Deutsches Reich 104 Extressiv 50, 99 (rechtsextremistische Band) Sachregister F Fest der Völker 32, 48, 51-54, 69, 73, 84, 99, 124, 126, 138 Fight Tonight 50, 98-99 (rechtsextremistische Band) Föderation kurdischer Vereine 152, 154, 156-157 in Deutschland e.V. (YEK-KOM) Freie Arbeiterinnenund 107, 122, 131-132 Arbeiterunion (FAU) Freie ArbeiterInnen Union 132 Südthüringen (FAUST) 235 236 Freiheitliche Deutsche 67 Arbeiterpartei (FAP) Freie Kameradschaft 61-62 Sachregister Freie Kräfte 17, 24, 29, 39, 45, 48, 52, 55-57, 64, 66, 68-69, 71 Freie Kräfte Südthüringen (FKST) 67, 72 Freie Nationalisten 61 Freie Nationalisten Altenburg 73, 75 (FN Altenburg) Freies Netz (FN) 69, 72 Freiheitsund Demokratie148-149 kongress Kurdistans (KADEK) G Germania Records 100 Germania Versand 84 Gesellschaft für freie Publizistik 103 e.V. (GFP) Globale Islamische Medienfront 161-162 (GIMF) Glorial Honours 50, 99 (rechtsextremistische Band) Gremium MC 179 H Hauptkampflinie 51, 99 (rechtsextremistische Band) Hausgemeinschaft 73-74 "Zu den Löwen" Hells Angels MC 179 Hilfsorganisation für nationale 76 politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) Heimattreue Deutsche Jugend 76-77 e.V. (HDJ) I Infoladen Jena (ILJ) 126 Infoladen Sabotnik 114, 127-128 INTERIM (Publikation) 110 Internationale Arbeiter 107, 131 Assoziation (IAA) Islamische Jihad Union (IJU) 162 J Junge Nationaldemokraten (JN) 51, 56-57 Jungsturm 51, 99 (rechtsextremistische Band) K Kameradschaft Apolda 70 Kameradschaft Braune Teufel 74 Vogtland Kameradschaft Eichsfeld 67 Kameradschaft Leinefelde 74-75 Kameradschaft Northeim 67 Kill Baby Kill 98 (rechtsextremistische Band) Koma Civaken Kurdistan (KCK) 151, 157 Koma Komalen Kurdistan (KKK) 151 Komalen Ciwan 158 Kommunistische Partei 107, 135, 139-141 Deutschlands (KPD) Kommunistische Plattform (KPF) 107, 132-134, der Partei "DIE LINKE." 140-141 Kommunistischer Jugend139-140 verband Deutschlands (KJVD) Koordination der kurdisch151-152, 156, 158 Sachregister demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) Kurdisch-Deutscher 152, 156 Freundschaftsverein Erfurt e.V. Kurdische Demokratische 151 Volksunion (YDK) M Marxistisch-Leninistische Partei 107, 142-144 Deutschlands (MLPD) Ministerium für Staatssicherheit 12, 189 der DDR (MfS) Moshpit (Band) 85, 92-93, 99 237 238 N Nationaldemokratische Partei 3, 17-20, 22-58, Deutschlands (NPD) 60-61, 63-69, 71-72, 74-76, 78-84, 90-91, 94-95, 99, 102, 104, Sachregister 120-126 Nationale Plattform Deutscher 40 Erfurter (npde) National Socialist Black Metal 93 (NSBM) National Socialist Hardcore 93 (NSHC) Nationale Sozialisten/ 70 Aktionsgruppe Apolda (NS/AGAP) Nationale Sozialisten 69 Altenburger Land Nationaler Bildungskreis (NBK) 56-57, 74 Nationaler Widerstand 65, 70 Nationaler Widerstand Jena 73 (NW Jena) National-Zeitung/ 58-59 Deutsche Wochenzeitung (NZ) 'Ndrangheta 180 Neonazis 3, 17-21, 24, 27, 29-31, 35, 52, 60-61, 64-67, 69, 75-80, 91 Nordische Zeitung 101 O Outlaw Motorcycle Gangs 178-179 (OMGs) P PAK 88 88, 92, 98 (rechtsextremistische Band) Partei für ein freies Leben in 154 Kurdistan (PJAK) Pro Erfurt e.V. 40 Pro Thüringen e.V. 40 R Rabenschrei 92 (rechtsextremistische Band) Rabiat 92 (rechtsextremistische Band) R.A.C. 92 (Rock gegen Kommunismus) Racial Purity 98 (rechtsextremistische Band) Radikahl 92-93 (rechtsextremistischer Musiker) REBELL (Publikation) 142-143 Recht und Wahrheit 102 (Publikation) Red Devils MC 179 Revolution 50, 99 (rechtsextremistische Band) Road Eagles MC 179 Rock für Deutschland 32, 48, 50-51, 99, 123 ROJ TV (Fernsehsender) 155-156, 158 Rote Hilfe e.V. (RH) 144-145 Rotfüchse 143-144 S Sauerland-Gruppe 148 Scientology Kirche Berlin e.V. 168 (SKB) Scientology Kirche Deutschland Sachregister 168 e.V. (SKD) SERXWEBUN (Publikation) 149 Short Cropped 98 (rechtsextremistische Band) SKD (rechtsextremistische Band) 88, 92-94 Skinheads 85, 89-90, 100 Sleipnir 52, 99 (rechtsextremistische Band) Sozialistische Deutsche 135, 137-139 Arbeiterjugend (SDAJ) 239 240 Stahlpakt MC 179 Strappo 52, 99 (rechtsextremistische Band) Sachregister Sturm 18 68 (rechtsextremistische Band) System Infarkt 87, 92-93, 98 (rechtsextremistische Band) T Tablighi Jama'at 164-165 (TJ, Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) Thüringen Stimme (Publikation) 22, 33, 36-37, 39-42, 45, 47 Thüringenreport (Publikation) 135 Thüringentag der nationalen 49-50, 84, 99 Jugend Tschetschenische Republik 166-167 Itschkeria (CRI) Tschetschenische 166-167 Separatistenbewegung (TSB) U Unbeliebte Jungs 92, 94 (rechtsextremistische Band) Unsere Zeit (UZ), Publikation 135-136, 138 V Verein zur Rehabilitierung 102-103 der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) VIKO Fernseh-Produktion 155-156 GmbH Volksfrontmedien 49 Volksfront von Rechts 3, 17-18, 20, 24, 28-30, 36, 58, 65 Volksbefreiungsarmee 150 Kurdistans (ARGK) Volkskongress Kurdistans 148-149, 151-156, (KONGRA GEL) 158 Volksverteidigungsarmee (HPG) 151, 156-157 W WB Magazin 84 W & B Records 100 W & B Versand 67, 84 White Law 99 (rechtsextremistische Band) White Rebel Boys 99 (rechtsextremistische Band) White Resistance 51, 99 (rechtsextremistische Band) Wolfssang 92 (rechtsextremistische Band) Y Yeni Özgür Politika 154 (YÖP, Publikation) Sachregister 241 242 A Apfel, Holger 24, 51 Aydar, Zübeyir 149 B Bäz-Dölle, Uwe 36, 60 Personenregister Bakunin, Michail 130 Beck, Walter 36, 59-60 Berghold, Andre 50 Burkert, Michael 51 D Dahlström, Kristoffer 52 Deckert, Günter 102 Donaldson, Ian Stuart 88 E Engel, Stefan 143-144 Engels, Friedrich 108, 136, 139 F Faust, Matthias 59 Förster, Konrad 40 Frey, Dr. Gerhard 59 Frings, Benedikt 104 G Gärtner, Matthias 57 Gerlach, Thomas 39, 45, 69, 75, 79 H Hager, Nina 137 Haverbeck-Wetzel, Ursula 103 Heise, Thorsten 24, 31, 39, 48, 67-68, 100 Heller, Hendrik 34, 43, 57 Hering, Torsten ("Torstein") 94 Heß, Rudolf 70 Honecker, Erich 140 Hubbard, Lafayette Ronald 169 K Kammler, Tobias 34, 38 Kandhalawi, 164 Maulana Ibrahim Saad Kandhalawi, 164 Maulawi Muhammad Ilyas Kapke, Andre 52, 78 Karayilan, Murat 158 Kemna, Erwin 17, 25 Kosiek, Dr. Rolf 104 Kratev, Asen 52 Kropotkin, Peter 130 L Lemke, Maximilian 73 Lenin, Wladimir Iljitsch 108, 136, 139 Liebknecht, Karl 140 Luxemburg, Rosa 140 M Mahler, Horst 103 Mao Tse-Tung 108, 142 Martig, Markus 52 Marx, Karl 108, 136, 139 Miscavige, David 169 Personenregister Molau, Andreas 25, 104 Morgenroth, Jan 48 N Nürnberger, Peter 34 O Oberlercher, Dr. Reinhold 103 Öcalan, Abdullah 149-151, 153-154, 157-159 Ollert, Ralf 51 P Pieck, Wilhelm 140 R Reiche, Sebastian 34, 81 Richter, Gordon 34, 50 243 244 Rieger, Jürgen 24, 52-53, 101 Rolle, Dieter 141 Roßmüller, Sascha 24 Personenregister Rühlemann, Martin 34 S Schäfer, Michael 51 Schaub, Bernhard 104 Schwab, Jürgen 104 Schwerdt, Frank 24, 30-31, 34, 39, 41, 50, 52, 54 Segessenmann, Adrian 52 Stalin, Jossif Wissarionowitsch 108, 139 Stehr, Heinz 137 Swinfen, Stephen 52 Szydlowski, Mirko ("Barny") 94 T Thälmann, Ernst 140 Trinkaus, Kai-Uwe 39-42 Trotzki, Lew Dawidowitsch 108 U Ulbricht, Walter 140 Ul Hassan, Zubair 164 Umarov, Dokku 166 V Voigt, Udo 23-25, 27, 48 Valls, Enrique 52 W Wagenknecht, Sahra 134 Weber, Patrick 49-50 Wegner, Christel 136 Wieschke, Patrick 32, 34, 37-39, 48, 50, 72, 81-82 Wohlleben, Ralf 37-38, 50, 74, 78, 125, 127 Wulff, Thomas 52, 79