Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2001 Vorwort Im Freistaat Thüringen wie in der gesamten Bundesrepublik stimmen die Bürgerinnen und Bürger ganz überwiegend der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu und vertrauen ihren Institutionen. Die Beseitigung dieser Grundordnung ist jedoch das Ziel von rechtswie linksgerichteten Extremisten, welche insoweit die Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats herausfordern. Ihre Straftaten und demokratiefeindlichen Aktionen fügen dem Ansehen unseres Landes in der Welt Schaden zu, verknüpfen das Bild Deutschlands im Ausland mit Erinnerungen an die Diktatur der Nationalsozialisten und bedrohen damit den Wirtschaftsstandort Deutschland. Unsere Demokratie sieht sich vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Die Anschläge, die am 11. September 2001 New York und Washington getroffen haben, verdeutlichen das Ausmaß des internationalen Terrorismus. Sie haben nicht nur die weltpolitische Lage verändert, sondern zeigen auch Auswirkungen im Freistaat Thüringen. Die demokratische Gesellschaft muss sich den von den Extremisten im Innern ebenso wie vom internationalen Terrorismus ausgehenden Bedrohungen stellen und sie bekämpfen. Institutionen, die die Straftaten von Extremisten verhüten, die Feinde der Freiheit abwehren und die Sicherheit in unserem Land aufrechterhalten, müssen sich an der neuen Lage ausrichten. Die Regierung des Freistaats Thüringen hat mit dem "Programm für mehr Sicherheit in Th ringen" konsequent die Voraussetzungen geschaffen, auch künftig die Freiheit, die Gleichheit und die Sicherheit zu gewährleisten. Neben der Schaffung effizienter Strukturen bedürfen wir insbesondere des engagierten Bürgers, der sich mit politischen Extremisten geistig und gedanklich auseinandersetzt, der für Toleranz und Vernunft einsteht, der auf die deutsche Geschichte zurücksieht, um aus ihr zu lernen. Die Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen hatte für den Thüringer Verfassungsschutz auch im Jahre 2001 einen besonderen Stellenwert. In deren Mittelpunkt stand neben der unstrukturierten Neonaziszene vor allem die NPD, da sie als einzige Partei auf der äußersten Rechten imstande ist, Hunderte von Anhängern der Szene zu mobilisieren. Die Aktionen und die Demonstrationen, die 2001 von ihr ausgingen, wurden regelmäßig von Neonazis und Skinheads unterstützt. Die Anzahl der Mitglieder ging im Landesverband der NPD nach Einreichung der gegen sie gerichteten Verbotsanträge beim Bundesverfassungsgericht zurück. Rechtsextremisten üben auf Jugendliche jedoch nach wie vor einen erheblichen Einfluss aus. Die Musik der Skinhead-Bands auf CD und in Konzerten bringt den Jugendlichen rechtsextremistische Feindbilder nahe und hat damit prägenden Charakter. Auch das Internet wird von Rechtsextremisten in zunehmendem Maße genutzt, um politische Ziele, Aktivitäten und volksverhetzende Schriften in Homepages vorzustellen. Dabei bedienen sie sich nicht selten ausländischer Provider, um sich der Strafverfolgung deutscher Behörden zu entziehen. Alle Institutionen des Rechtsstaats sind berufen, diesen Einflüssen mit Nachdruck entgegenzuarbeiten. Die von Linksextremisten ausgehenden Bestrebungen haben sich im Jahr 2001 im Freistaat Thüringen nicht wesentlich verändert. Die öffentliche Sicherheit wird vor allem von der autonomen Szene bedroht, wobei die Angriffe auf die freiheitliche demokratische Grundordnung im Freistaat vorzugsweise unter Berufung auf den "Antifaschismus" ihre Rechtfertigung erfahren sollen. Wie im Vorjahr schloss das linksextremistische Spektrum auch 2001 im Freistaat etwa 200 Anhänger und Sympathisanten von marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen ein. Diese sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sich zu revolutionärer Gewalt bekennen, um die gesellschaftlichen Zustände in der Bundesrepublik Deutschland zu 2 verändern und grundlegende Prinzipien unserer freiheitlich-demokratisch verfassten Grundordnung zu beseitigen. Im Freistaat Thüringen leben annähernd 40.000 Ausländer. Lediglich ein verschwindend geringer Teil verfolgt extremistische Ziele oder ist bestrebt, die öffentliche Sicherheit zu gefährden. Die bedeutendste extremistische Ausländerorganisation, die sich auch im Freistaat organisiert hat, stellt weiterhin die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) dar. Darüber hinaus ist die nistische Partei" (TKP/ML) mit wenigen Anhängern im Freistaat vertreten; ohne jedoch über gefestigte Strukturen zu verfügen. Die Bundesrepublik Deutschland stellt auf Grund ihrer Wirtschaft und ihrer zentralen Lage in Europa unverändert ein bevorzugtes Aufklärungsziel für eine Vielzahl von Nachrichtendiensten fremder Staaten dar. Die ständige Neugestaltung der weltpolitischen Lage, insbesondere die Annäherung ehemals feindlich gesinnter Staaten aneinander, führte nur partiell zu einem Nachlassen der Spionagetätigkeit. Mit dem vorliegenden Verfassungsschutzbericht 2001 möchte das Thüringer Innenministerium die Bürgerinnen und Bürger sachlich darüber informieren, welche Gruppierungen, Organisationen und Parteien den Rechtsstaat bedrohen, welche Ansichten sie vertreten und welche Ziele sie verfolgen. Darüber hinaus soll der Verfassungsschutzbericht den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichen, sich ein eigenes Bild von den Formen des politischen Extremismus zu machen und sich mit ihnen auseinander zu setzen. I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Allen Bürgerinnen und Bürgern wird durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaates Thüringen ein hohes Maß an Freiheit garantiert. Die Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung bewirkten die grundgesetzliche Verpflichtung des Staates, auch Kräften entgegen zu wirken, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung zu Gunsten einer der Verfassung widersprechenden Ordnung zu beseitigen beabsichtigen. Das Grundgesetz legt folglich nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, sondern trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Das Grundgesetz ebenso wie die Thüringer Verfassung bekennen sich zur streitbaren Demokratie. Die streitbare Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg, indem sie auch gegenüber ihren Gegnern grundsätzlich Toleranz übt. Denn auch Personen, Vereinen und Parteien, die den demokratischen Staat beseitigen wollen, stehen die Freiheitsrechte, wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit und das Demonstrationsrecht, zu. Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie solchen Bestrebungen nicht tatenlos aus. So ist beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine, nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Um die notwendigen Informationen über Verfassungsfeinde zu erlangen, unterhalten der Bund und die Länder Verfassungsschutzbehörden. Im Freistaat Thüringen ist die Verfassungsschutzbehörde als Landesoberbehörde 1991 eingerichtet worden. Sie trägt den Namen Landesamt für Verfassungsschutz. 3 2. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) Aufbau und Organisation des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz Das TLfV verfügte im Haushaltsjahr 2001 über 83 Stellen und Planstellen. Für die Erledigung seiner Aufgaben waren ihm durch Haushaltsgesetz Mittel in Höhe von 9.911.400 DM (5.067.618 EURO) zugewiesen. Das Amt ist wie folgt strukturiert: Präsident Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentrale Dienste Auswertung Beschaffung Nachrichtendienste Geheimschutz Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz ist für jeden Bürger erreichbar: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 10 15 06 oder Haarbergstraße 61 99015 Erfurt 99097 Erfurt Telefon (03 61) 44 06-0 Telefax (03 61) 44 06-251 Internet www.verfassungsschutz.thueringen.de E-Mail kontakt@tlfv.thueringen.de Im Thüringer Innenministerium besteht ein Referat Verfassungsschutz als Aufsichtsinstanz für das Landesamt: Thüringer Innenministerium Referat 24 Steigerstraße 24 99096 Erfurt Telefon (03 61) 37-93 900 Telefax (03 61) 37-93 111 4 Abteilung "Zentrale Dienste" Die Abteilung "Zentrale Dienste" ist für den inneren Dienstbetrieb und für fachübergreifende Aufgaben des Amtes zuständig. Sie umfasst die Bereiche Grundsatzund Rechtsfragen, Verfahren der Postund Telekommunikationsüberwachung (G10), Personal, Haushalt und Innerer Dienst, EDV und Registratur, Öffentlichkeitsarbeit und Berichtswesen. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von Vorträgen, die Beantwortung von Bürgeranfragen und die Herausgabe periodischer Berichte hervorzuheben. Seine periodische Berichterstattung versteht das TLfV als Serviceangebot gegenüber der Öffentlichkeit und den Fachbehörden, insbesondere solchen, die Aufgaben der ffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrnehmen. Abteilung "Auswertung" Die Abteilung "Auswertung" erhält von der Abteilung "Beschaffung" Informationen zu den Aufgabenfeldern Links-, Rechtsund Ausländerextremismus sowie Scientology-Organisation. Sie führt diese Erkenntnisse mit anderen Informationen, etwa aus offen zugänglichen Informationsquellen, zusammen und wertet sie aus. Abteilung "Beschaffung, Nachrichtendienste, Geheimschutz" Die Abteilung "Beschaffung, Nachrichtendienste, Geheimschutz" hat die Aufgabe, mit offenen und ggf. auch nachrichtendienstlichen Mitteln die für die Erfüllung des gesetzlichen Auftrages erforderlichen Informationen zu beschaffen. Ferner obliegt es ihr, die unerlaubte Tätigkeit fremder und ehemaliger, aber fortwirkender Nachrichtendienste im Freistaat aufzuklären. Im Bereich personeller und materieller Geheimschutz werden Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen Einrichtungen tätig sind, unterstützt und beraten, wie Verschlusssachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden können. 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann nicht allein von staatlichen Behörden geschützt werden. Hierzu bedarf es auch der Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger. Die Bedeutung der politischen Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen erfordert eine umfangreiche Aufklärung über die Gefahren, die durch den politischen Extremismus drohen. Information und Aufklärung sind für den Bürger erforderlich, um die wahren Absichten extremistischer Bestrebungen durchschauen zu können. Es liegt im Interesse eines jeden Einzelnen, dass diejenigen, die politische Verantwortung tragen, durch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes rechtzeitig in die Lage versetzt werden, verfassungsfeindliche Bestrebungen abzuwehren und zu bekämpfen. Die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz stellt sicher, dass Regierung und Parlament, aber auch die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Organisationen und Bestrebungen informiert werden. Im Freistaat Thüringen wird die Öffentlichkeitsarbeit im Bereich 5 des Verfassungsschutzes sowohl vom Thüringer Innenministerium als auch vom TLfV wahrgenommen. Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Innenministeriums und des TLfV ist die Information der Bürgerinnen und Bürger durch den jährlichen Verfassungsschutzbericht. Der Verfassungsschutzbericht wird an Behörden, Institutionen, Schulen und interessierte Bürgerinnen und Bürger kostenlos versandt. Er kann vom Thüringer Innenministerium und vom TLfV angefordert werden. II. Rechtsextremismus 1. Überblick Die Mitgliederzahlen der in Parteien organisierten rechtsextremistischen Personen im Freistaat Thüringen befinden sich im Vergleich zum Vorjahr in einem Abwärtstrend. So mussten sowohl die NPD und ihre Jugendorganisation, die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), als auch die Partei "Die Republikaner" (REP) deutliche Mitgliederverluste hinnehmen. Die nichtorganisierte Neonaziund Skinhead-Szene des Freistaates hat sich im Jahre 2001 hingegen zahlenmäßig kaum verändert. Im Überblick stellt sich die Situation wie folgt dar: Rechtsextremistische Parteien Die breite öffentliche Diskussion über ein mögliches Verbot der NPD und die von ideologischen Differenzen geprägten internen Auseinandersetzungen im Bundesvorstand wirkten sich auch im Thüringer Landesverband der Partei auf die Anzahl der Mitglieder aus. Wurden der NPD in Thüringen in den Jahren 1999 und 2000 etwa 260 Mitglieder zugerechnet, so ging deren Anzahl im Jahre 2001 infolge von Austritten auf etwa 200 Personen zurück. Dies ist zum Teil auch auf die Inaktivität vieler Kreisverbände der NPD zurück zu führen, die neben anderen Faktoren zur Demotivation örtlicher Parteimitglieder beitrug und sie letztlich bewog, die Partei zu verlassen. Auch der im Juli 2000 in Eisenach gegründete Landesverband der JN konnte sich im Jahre 2001 organisatorisch und personell nicht weiter entwickeln. Ihm sind nur noch etwa 40-50 Mitglieder (2000: 70) zuzuordnen. Die Partei "Die Republikaner" (REP) konnte ihren Mitgliederbestand von 190 Personen im Berichtsjahr 2001 nicht halten; gegenwärtig lassen sich der Partei in Thüringen noch rund 170 Mitglieder zurechnen. Lediglich die "Deutsche Volksunion" (DVU) konnte mit etwa 200 Personen ihren Mitgliederstand vom Vorjahr aufrechterhalten. Dem "Bund Deutscher Patrioten" (BDP), von dem im Jahre 2001 keine politischen Aktivitäten bekannt wurden, gehören nach wie vor rund 30 Personen an. Der im Juni 2000 in Thüringen gegründete Landesverband der Freiheitlichen Deutschen Volkspartei (FDVP) blieb in der rechtsextremistischen Parteienlandschaft weitgehend bedeutungslos; ihm gehören weiterhin etwa 20 Mitglieder an. 6 Nicht organisierte Neonazi -Szene und Skinheads Die Zahl der nicht organisierten Neonazis blieb im Berichtszeitraum mit etwa 400 Personen unverändert. Auch die Anzahl der Skinheads ist mit insgesamt rund 350 Personen gegenüber dem Vorjahr konstant geblieben. Die Zahl der Skinheadkonzerte stieg im Jahre 2001 auf 5 Veranstaltungen (1998: 17; 1999: 11; 2000: 1). "Thüringer Heimatschutz" (THS) Nach wie vor stellte der THS (vgl. S. 28 ff.) im Jahre 2001 das Bindeglied zwischen der freien Neonaziszene und der NPD mit ihrer Jugendorganisation, den JN, dar. Diese Scharnierfunktion kommt in der Tatsache zum Ausdruck, dass führende THS-Anhänger zugleich NPD/JN-Mitglieder sind und innerhalb des Landesverbandes der NPD und der JN einen nicht zu unterschätzenden Einfluss ausüben. Der THS zählte im Jahr 2001 etwa 170 Personen (2000: 160), denen allerdings noch ein erweiterter Sympathisantenkreis hinzugerechnet werden muss. Die im Raum Eisenach angesiedelte, aktivste Sektion des THS, die sich auch "Nationales und Soziales Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW) nennt, konnte im Verlauf des Jahres neue Anhänger hinzugewinnen. Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Gruppierungen1 1999 2000 2001 NPD 260 260 200 JN - 70 50 DVU 200 200 200 REP 190 190 170 BDP - 30 30 FDVP - 20 20 Neonazis, nicht 400 400 400 organisiert Skinheads 350 350 350 THS 120 160 170 Bei den oben aufgeführten rechtsextremistischen Gruppierungen ist mit Doppelund Mehrfachmitgliedschaften zu rechnen. 2. Ideologischer Hintergrund Das Denken der Rechtsextremisten wurzelt nicht in einer fest strukturierten Ideologie. Es besteht aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher ideengeschichtlicher Herkunft, die innerhalb der jeweiligen Ausprägung des Rechtsextremismus mehr oder weniger deutlich zu Tage treten. 1 Zahlenangaben gerundet, z. T. geschätzt. 7 Immer wiederkehrende Grundelemente sind: - ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip der Völkerverständigung missachtet, - die Überhöhung des Staates zu einem sich aus sich selbst heraus rechtfertigenden Wert und rbetonung der Staatsinteressen gegenüber den Freiheitsrechten des Einzelnen (Etatismus), - eine völkische Ideologie, die sich typischerweise zu Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit verdichtet, wobei dem Antisemitismus eine besondere Stellung zukommt, - das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie das Hervorheben angeblich positiver Elemente des Dritten Reiches. Einige Neonazis sind inzwischen dazu übergegangen, das geschichtliche Handeln der Nationalsozialisten zu verteidigen, ja zu verherrlichen. 3. Rechtsextremistische Parteien und Organisationen 3.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 1964 gegründet, gehörten der NPD Mitte bis Ende der sechziger Jahre vorübergehend mehr als 25.000 Personen an. Ende 2001 zählt sie bundesweit etwa 6.500 Mitglieder (2000: 6.500). Bei der Bundestagswahl 1969 verfehlte die Partei mit 4,3 Prozent der Stimmen nur knapp den Einzug in das Parlament. Diese Wahl markierte einen frühen Wendepunkt in der Entwicklung der NPD. Seitdem ist es ihr nicht mehr gelungen, auf Bundesoder Landesebene an ihre Wahlerfolge der Anfangszeit anzuknüpfen. Den Niedergang der Partei konnte der ehemalige bayerische NPD-Landesvorsitzende Udo Voigt mit der Übernahme der Parteiführung im März 1996 allerdings verhindern. Mit der Amtsübernahme Voigts war ein Paradigmenwechsel bei der Nachwuchsrekrutierung der NPD verbunden, der zur verstärkten Kooperation der Partei mit der Neonaziund Skinheadszene führte. Ihre Anhänger wurden nun systematisch in die Parteiarbeit eingebunden. Nach außen wurde dies vor allem bei Demonstrationen und Aufmärschen deutlich: Während die NPD Veranstaltungen anmeldete, um so für einen "seriösen" Hintergrund zu sorgen, wurde das Bild auf der Straße tatsächlich von "Skins" und Neonazis beherrscht. Die zunehmende Vernetzung zwischen der NPD und der Neonaziszene kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass in den letzten Jahren führende Neonazis auf Kundgebungen der NPD immer öfter Rederecht erhielten. Dieses Vorgehen nutzte beiden Seiten. So konnte die NPD durch den Eintritt von bislang nicht organisierten Neonazis und Skinheads in die Partei ihre Mitgliederzahl Ende der neunziger Jahre erheblich erhöhen, ihren Altersdurchschnitt wesentlich senken und bei Kundgebungen auf eine größere Zahl von Teilnehmern verweisen. Darüber hinaus erschlossen sich ihr neue Wählerpotenziale, wenn auch in geringer Größe. Den in losen Gruppen, den sogenannten "Freien Kameradschaften", zusammengeschlossenen Skinheads und Neonazis hingegen bot die NPD den geeigneten organisatorischen und strukturellen Rahmen, um für ihre Ziele Propaganda zu betreiben und Aufmärsche zu veranstalten. Die NPD hat das Vernetzungskonzept auch 2001 verfolgt, wenngleich sie in dem den Neonazis gegenüber eingeschlagenen Integrationskurs im Jahresverlauf mehrfach schwankte. Dies hing wiederum in erster Linie mit der NPD-Verbotsdiskussion zusammen, die unter anderem diese enge Verbindung zwischen der NPD und gewaltbereiten Rechtsextremisten aufgriff. So kam es im Laufe des Jahres zumindest zeitweise zu Bestrebungen in der Partei, eigene Aktio- 8 nen ohne Einbindung von Neonazis durchzuführen. Diese Abgrenzungstaktik führte jedoch rasch zu Streitigkeiten in der NPD und wurde letzten Endes nicht durchgehalten. Parteipolitisches Konzept Die NPD lehnt die Demokratie als eine "von den Siegermächten geprägte Gesellschaftsordnung"2 grundsätzlich ab. Sie agitiert mit dem Argument gegen das Demokratieprinzip des Grundgesetzes, dass die parlamentarisch-demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 von den Alliierten aufgezwungen worden sei. Dieses geschichtsverfälschende Stereotyp nutzt die Partei, um die Repräsentanten und Institutionen des Staates insgesamt in polemischer, teilweise diffamierender Weise anzugreifen. Dabei ist die Stoßrichtung entsprechender Aussagen immer dieselbe. Sie dienen meist dazu, das gesamte parlamentarische System der Bundesrepublik als illegitim, unfähig, korrupt und gegen die Interessen des Volkes handelnd darzustellen. In ihrer Propaganda betreibt die Partei jedoch nicht nur extreme Systemkritik nach einem starren Freund-Feind-Muster, sondern fordert darüber hinaus fundamentale Veränderungen der politischen Grundordnung: "Als NPD dürfen wir uns deshalb nicht in der Rolle derer sehen, die im politischen Ringen um die Zukunft unseres Volkes mit dem Herumdoktern an ein paar Krankheitssymptomen Punkte sammeln möchten. Wir Nationaldemokraten haben schon längst erkannt, daß die L sung der Probleme, die uns heute bedrängen, nur durch einen rigorosen Griff an die Wurzeln des Übels zu beseitigen sind."3 Als Alternative stellt sich die NPD einen "nationalen Sozialismus" vor, der in ihren Augen zur höchsten Vollendung der "Volksgemeinschaft" führe. Mit diesem dem Nationalsozialismus entliehenen kollektivistischen Modell eines sozialistischen Staates auf völkischer Basis wendet sie sich unmittelbar gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung: "Zur Jahrtausendwende müssen wir Nationaldemokraten uns darum bemühen, den Menschen wieder klarzumachen, welchen Wert jeder Einzelne von ihnen innerhalb einer intakten Volksgemeinschaft hätte, und [Fehler im Original] damit ein Alternativmodell zum Liberalkapitalismus in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern."4 In einer Ausgabe der Parteizeitung "Deutsche Stimme" äußerte sich das Redaktionsmitglied Waldemar MAIER mit einem klaren Bekenntnis zur Volksgemeinschaft und zu einem volksbezogenen Sozialismus: "Die wirkliche Volksherrschaft wird in Deutschland erst dann Wirklichkeit, wenn die Deutschen als Volk ihre nationale Identität wiedererlangen. Dies kann erst nach Abschüttelung der politischen, wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Fremdherrschaft erfolgen. Der Weg dorthin geht nur über eine Revolutionierung der bestehenden Verhältnisse. Dies kann nur eine nationale und soziale Fundamentalopposition bewerkstelligen, die den politischen Kampf gegen die ,bürgerliche Mitte', die alles das vertritt, was wir zutiefst verachten müssen, rücksichtslos führt. Unser Nationalismus ist selbstloser Dienst am Staat; unser Sozialismus ist selbstloser Dienst an der Gemeinschaft. Aus dem Dienst am Staat und dem Dienst an der Ge- 2 Udo Voigt in seiner Rede an die Delegierten des 28. Ordentlichen Bundesparteitages, in: Deutsche Stimme, Nr. 4/2000, S. 18 3 ebd. 4 ebd. 9 meinschaft entsteht der neue Geist, der die Konventionen der ,bürgerlichen Mitte' über den 5 Haufen werfen und eine wirkliche Herrschaft des Volkes über Deutschlan Nach dem "lebensrichtigen" Menschenbild der NPD besitzt der Einzelne nur als Teil der "Volksgemeinschaft" einen Wert. Auf dieser Argumentationsbasis entwickelt sie alsdann rassistische Lösungsansätze für die verschiedensten Probleme der Gegenwart. So heißt es in ihrem Parteiprogramm unter anderem: "Ein grundlegender politischer Wandel muß die menschenfeindliche Integrationspolitik beenden sowie die deutsche Volkssubstanz 6 Der Ansicht der NPD nach können die wirtschaftlichen und sozialpolitischen Probleme nur durch eine rigide Ausländerpolitik gelöst werden. Demgemäß beschuldigt sie die "Systemparteien", seit Jahren eine Politik der "Umvolkung" und "Überfremdung" zu betreiben. Als Alternative stellt sie in ihren Flugblättern Forderungen auf, wie: die "Ausgliederung der ausländischen Arbeitskräfte aus der deutschen Sozialversicherung", "Asylanten dürfen keinen einklagbaren Anspruch auf deutsche Sozialleistungen besitzen", Deutschland müsse "wieder egender Wandel" müsse "[...] die deutsche Volkssubstanz Geistige Nähe zum Nationalsozialismus Mitunter spiegeln die Publikationen der NPD unverhohlen Sympathien mit dem Nationalsozialismus wider. So ehrte das NPD-Organ "Deutsche Stimme" beispielsweise die am 13. März 2001 verstorbene "letzte Reichsreferentin des BDM" [Bund Deutscher Mädel], Jutta Rüdiger, mit einem ausführlichen Nachruf. Vor allem Rüdigers Wirken in der Zeit des Dritten Reiches 7 . Ein ähnlicher rhetorischer Anklang an die Zeit des Nationalsozialismus fand sich auch anlässlich der Senatswahlen in Berlin, als der Parteivorsitzende Udo Voigt in der "Deutschen Stimme" unter dem Titel "Sturm auf Berlin" die politische Lage in der Stadt aus Sicht der NPD beschrieb. Hierin bezeichnete er "Berlin als Hauptstadt der BRD und immer noch unsere 8 . Alles in allem fördert die NPD mit ihrer einseitigen und wirklichkeitsverzerrenden Berichterstattung, die ihre Publikationen kennzeichnet, ein Klima, in dem diffuse Ängste geschürt und verstärkt werden. Ihre gezielte Agitation bietet zumindest den geistigen Nährboden, auf dem fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten gedeihen können. Strategie Zum gegenwärtigen Zeitpunkt tritt die NPD unter den rechtsextremistischen Parteien in Deutschland am stärksten in Erscheinung. Im Gegensatz zu anderen rechtsextremistischen Parteien betreibt sie auch zwischen den Wahlkämpfen öffentlichkeitswirksame politische Arbeit, indem sie Demonstrationen, Info-Stände und Flugblattaktionen organisiert. Eine große Bedeutung hat für die NPD auch die Selbstdarstellung im Internet. Dieses Medium nutzt die Partei, um ihre Ansichten zu verbreiten, Mitglieder zu werben und zu mobilisieren. 5 Deutsche Stimme, Nr. 2/2001, S. 12f. 6 Parteiprogramm der NPD, 6. Auflage, Mai 2000. 7 Deutsche Stimme, Nr. 4/2001, S. 5. 8 Deutsche Stimme, Nr. 8/2001, S. 2. 10 Ihre Strategie gründet auf dem seit Ende 1997 immer wieder propagierten sogenannten "DreiSäulen-Konzept", das sich aus den Säulen "Kampf um die Straße", "Kampf um die Köpfe" und "Kampf um die Parlamente" zusammensetzt. Mit dem "Kampf um die Straße" versucht die NPD vor allem, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und ihre Mobilisierungsfähigkeit auszubauen. Hierzu zählen die Organisation von zentralen Großveranstaltungen ebenso wie die dezentralen, auf bestimmte Regionen bezogenen Demonstrationszüge, die auch Neonazis und Skinheads als Plattform nutzen. Den "Kampf um die Köpfe" betreibt die NPD vor allem mittels politischer Schulung ihrer Mitglieder, der Verbreitung ihrer Programmatik durch Flugblätter und durch den Vertrieb der "Deutschen Stimme". Mit dem Verlag "Deutsche Stimme" verfügt d Publikationsorgan des Parteivorstandes, dem ein Versandhandel für rechtsextremes Propagandaund Werbematerial angeschlossen ist. Im Zusammenhang mit dem "Kampf um die Parlamente" bemüht sich die NPD ausdrücklich um ein volksnahes Image. In einem ersten Schritt will die Partei jedoch "Herzen und Köpfe" der Wähler gewinnen, um zunächst die abstrakten Voraussetzungen für spätere Wahlerfolge zu schaffen. Darüber hinaus kämpft die NPD im Sinne des Terminus von den "Garanten der Zukunft" darum, langfristig vor allem Jugendliche und junge Erwachsene für ihre Ziele zu gewinnen. Zugleich versucht sie, Brücken zu Gleichgesinnten außerhalb der Partei zu schlagen, um die Vernetzung der "Bewegung" voran zu treiben. Die Bundespartei Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) blieb zwar 2001 im Bundesund Landesmaßstab die aktivste Organisation des rechtsextremen Parteienspektrums. Als politischer Faktor spielte sie für den Ausgang von Wahlen jedoch so gut wie keine Rolle. Im Verlaufe des Jahres traten Machtkämpfe und Streitigkeiten innerhalb des Bundesvorstandes offen zutage. Insbesondere das Wirken der "Revolutionären Plattform" (RPF) und die Auseinandersetzungen um das künftige Verhältnis der NPD zu "freien Kräften", d.h. zu nicht organisierten Neonazis und Skinheads, trugen erhebliche Unruhe in die Parteigremien. Spannungen ergaben sich für die Bundespartei vor allem mit dem aktivistisch orientierten Vorstand des NPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein. In dem oben skizzierten Zusammenhang sah sich auch der Parteivorsitzende Udo Voigt dem Druck der Parteibasis ausgesetzt. Während die gemäßigten NPD-Mitglieder ihn zu überlegterem Vorgehen in Hinsicht auf die angestrebte Integration von Neonazis und Skinheads mahnten, kritisierte der aktivistische NPD-Flügel die der Verbotsdiskussion geschuldete verbalrhetorische Zurückhaltung der Parteiführung auf das Schärfste. So wurde beanstandet, dass Positionen, die das eigentliche Denken und Wesen der Partei widerspiegelten, nur noch in abgeschwächter Form den Weg in die Öffentlichkeit fänden, um den Gegnern der NPD keine zusätzlichen Argumente zu liefern. Die Unstimmigkeiten zwischen der unter dem Druck des NPD-Verbotsverfahrens stehenden Bundespartei und den "freien Kräften" der rechtsextremen Szene offenbarten sich in der ersten Jahreshälfte im Zuge der Organisation mehrerer Großveranstaltungen zum 1. Mai. Sie gipfelten in dem Versuch, eine Gegendemonstration der NPD in Weimar zu der von "freien Kräften" organisierten Großdemonstration in Leipzig anzumelden. In der zweiten Jahreshälfte war die Kraftprobe zwischen der Partei und den nicht organisierten Rechtsextremisten allerdings weitgehend überwunden. Es fanden wieder gemeinsame NPD-Großveranstaltungen mit neonazistischen und "freien Kräften" statt. In der "Deutschen 11 Stimme" bekannte sich das NPD-Parteivorstandsmitglied Frank Schwerdt dazu, weiter mit freien Nationalisten zusammenzuarbeiten. Es sei, so SCHWERDT, durchaus verständlich, dass sich vor allem junge Aktivisten nicht in ein festes Parteigefüge einbinden lassen wollten. Hierdurch seien punktuelle Spannungen in der Zusammenarbeit nicht auszuschließen. Dennoch betrachte er die NPD immer noch als "politische Speerspitze". Sie müsse jedoch stärker als bisher die Flexibilität freier Gruppen und die Möglichkeiten, die sich hieraus ergäben, berücksichtigen. Die beiderseitige Zusammenarbeit sei "unerläßlich für den Erfolg" 9 . In einer Pressemitteilung von Anfang August verkündete der Landespressesprecher der NPD Thüringen außerdem: "Die NPD strebt zukünftig machtvolle Demonstrationen zusammen mit dem gesamten nationalen Widerstand Deutschlands an." Die Gründe für diese Sinnesänderung waren wohl vor allem taktischer Natur: Längst musste die NPD erkennen, dass die nach außen suggerierte Abgrenzu ohne Einfluss auf die Diskussion um das NPD-Verbot blieb. Darüber hinaus war die überwiegende Mehrheit der Parteibasis abgeneigt, vom "alten Kurs" abzugehen. Der außerordentliche Bundesparteitag der NPD fand am 3./4. März im niederbayerischen Lichtenhaag unter dem Motto: "Kampf für Deutschland" statt. Er artikulierte im Wesentlichen nochmals die bekannten Leitsätze der Parteiprogrammatik. Als Beispiel für dieses stereotype Wiederholen der üblichen Argumentationsmuster sei hier lediglich ein Leitartikel des Sonderbeauftragten des Parteivorsitzenden Udo Voigt, Waldemar Maier, in der "Deutschen Stimme" vom März 2001 angeführt. Hierin erläuterte Maier, dass Voigt in seiner Grundsatzrede auf dem Parteitag eindrucksvoll nachgewiesen hätte, dass nicht Deutschlands Nationalisten die Feinde der Freiheit seien, sondern diejenigen, die mit aller Macht versuchten, den Nationalstaat der Deutschen aufzulösen und die Deutschen in eine "multikulturelle" Gesellschaft zu entsorgen10 . Auch im Jahre 2001 blieb das vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verbotsverfahren gegen die Partei das bestimmende Thema der meisten NPD-Aktionen und Diskussionen. Der Berliner Rechtsanwalt Horst Mahler, der als Prozessbevollmächtigter die Interessen der Partei vertritt, benutzte das Verfahren bislang als Forum für rechtsextremistisches Gedankengut und antisemitische Agitationen. Finanziell scheint die Partei stark angeschlagen zu sein, was wohl auch mit den erheblichen Aufwendungen zu tun hat, die der NPD im Zusammenhang mit dem vorgenannten Verbotsverfahren entstehen. Bereits zu Jahresbeginn warben Udo Voigt und der NPDBundesschatzmeister Erwin Kemna auf Flugblättern um Spenden und Darlehen zur "finanziellen Absicherung einer kompetenten juristischen Betreuung während des Verfahrens": "Bedenken wir: Erklärtes Ziel des politischen Gegners ist es, unsere NPD durch das Verbotsverfahren und die damit verbundenen Kosten des Rechtskampfes finanziell ausbluten zu lassen. Lassen wir das nicht zu !"11 9 Deutsche Stimme, Nr. 12/2000 - 1/2001 (Doppelausgabe). 10 Deutsche Stimme, Nr. 3/2001, S. 1. 11 Beilage zur "Deutschen Stimme" unter dem Titel Anleihe. Deutschland Spende. "Ja zu Deutschland Ja zur NPD. Mein Beitrag zur Existenzsicherung der nationalen Opposition". 12 Die "Revolutionäre Plattform" (RPF), eine Arbeitsgemeinschaft innerhalb der NPD Die "Revolutionäre Plattform-Aufbruch 2000" (RPF) ist eine bundesweite Gruppierung jüngerer NPD-Aktivisten und JN-Mitglieder um Steffen Hupka12 , die sich im Jahre 2000 innerhalb der NPD gründete. Sie stellte sich selbst als "Zusammenschluß von revolutionären Nationalisten in der NPD/JN"13 dar, die Kritik am konservativen Stil der derzeitigen Parteiführung übe und in ihm die "Hauptursache für die momentane Stagnation der Partei" sähe 14 . Folglich stieß auch das von der NPD-Parteiführung im August 2000 verordnete Demonstrationsverbot vor allem bei jungen Parteiaktivisten, unter denen sich viele RPF-Anhänger befanden, auf heftige Kritik. Ihre selbstgestellte Aufgabe sieht die RPF unter anderem darin, "Ausarbeitungen zum nationalistischen Weltund Menschenbild und zum strategisch-taktischen Weg der Partei" vorzulegen. Die "jüngeren Parteivorstandsmitglieder" wünschten sich zudem ein einheitlicheres und interessanteres äußeres Erscheinungsbild der Partei, die innerparteilich reformiert und noch professioneller organisiert werden müsse. Die Ausarbeitung "neuer strategischer Wege", initiiert durch die RPF, solle der Partei "tatsächlich durchschlagenden politischen Erfolg" 15 bringen. Auseinandersetzungen zwischen RPF und Parteiführung Ungeachtet des sich abzeichnenden Disputs verzichtete die NPD-Führung lange darauf, sich von der RPF zu distanzieren. Offensichtlich war ihr bewusst, dass sie durch einen solchen Schritt den Zugriff auf ein aktives Personenpotenzial verloren hätte, das als Bindeglied zwischen NPD und Neonazis fungiert. Nach kontroverser Diskussion beschloss der NPD-Vorstand dennoch am 9./10. Dezember 2000, dass die Mitgliedschaft in der NPD mit einer Betätigung für die RPF unvereinbar sei. Dieser Beschluss wurde in der Partei heftig kritisiert. Die Kritik an der Parteiführung artikulierte unter anderem Horst Mahler. Er erklärte, mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss habe der Parteivorstand einen "kapitalen Bock geschossen". Der richtige Kur werden. Die Partei und die "Freien Kräfte des Nationalen Widerstandes" müssten weiter aufeinander zugehen und die Zusammenarbeit intensivieren16 . Ende Januar 2001 kam es auf Vermittlung Mahlers schließlich zu einer Einigung zwischen der RPF und dem NPD-Parteivorstand. Die RPF gab ihre eigenständige Rolle auf, wofür die Partei den RPF-Sympathisanten anbot, sich im Rahmen einer neu zu installierenden NPDArbeitsgemeinschaft (AG) zu betätigen. Das Tätigkeitsgebiet der AG solle weltanschauliche, strukturelle und organisatorische Fragen umfassen. Der NPD-Parteivorsitzende Voigt rief in diesem Zusammenhang auf, die Geschlossenheit der Partei nicht an persönlichen Grabenkämpfen innerhalb der Partei scheitern zu lassen17 . Die von der NPD ins Leben gerufene Arbeitsgemeinschaft wurde jedoch wegen der andauernden Meinungsverschiedenheiten nie tätig. Vermutlich unter dem Eindruck eines zwischenzeitlich durch die NPD-Führung erneuerten Unvereinbarkeitsbeschlusses beschloss die Versammlung der "Revolutionären Plattform in der NPD" am 12. Januar 2002 in Magdeburg einstimmig, ihre Aktivitäten einzustellen und die 12 Bis März 2000 Mitglied des Bundesvorstandes und Landesvorsitzender der NPD Sachsen-Anhalt. 13 Zitiert aus einem Flugblatt der RPF mit dem Titel: "Wer sind wir". 14 ebd. 15 ebd. 16 RPF-Rundbrief 3/2000, S. 1. 17 Deutsche Stimme, Nr. 2/2001. 13 Gruppe aufzulösen. Eine entsprechende Mitteilung an die Bundespartei soll durch den "ehemaligen Sprecherrat" der RPF, vertreten durch Steffen Hupka, ergangen sein. Die Auflösung der RPF dürfte für deren Anhänger und -Sympathisanten jedoch nur organisatorische Kosmetik sein. Das innerparteiliche Oppositionspotenzial, das sie verkörpern, bleibt weiterhin bestehen. Deshalb ist anzunehmen, dass die früheren RPF-Aktivisten die derzeitige Parteiführung auch künftig in Grundsatzfragen massiv kritisieren werden. Ein führender Funktionär des NPD-Landesvorstandes Thüringen gehörte anfangs als Mitglied des Sprecherrates der RPF zu den Mitinitiatoren dieser Bewegung. Später nahmen auch Th ringer Nationalisten an RPF-Treffen im Freistaat teil. Der Thüringer Landesverband der NPD Struktur Der Thüringer Landesverband der NPD wurde 1990 gegründet. Nach eigener Darstellung gliedert er sich in die 12 Kreisverbände Gera, Jena, Saalfeld-Rudolstadt, Sonneberg, Ilmkreis, Saale-Holzland-Kreis, Gotha-Erfurt-Nordhausen, Saale-Orla-Kreis, Wartburgkreis, Altenburg, Suhl und Weimar. Mit dieser Struktur suggeriert der Thüringer Landesverband der NPD eine gewisse organisatorische Stärke und ein aktionistisches Profil. Sie spiegelt jedoch nicht die tatsächliche organisatorische Basis der NPD Thüringens wider - so schloss sich zum Beispiel der Kreisverband Sonneberg schon im Frühjahr 2001 dem Kreisverband Saalfeld-Rudolstadt an18 - und täuscht über die insgesamt nachlassenden Aktivitäten des Landesverbandes im Berichtszeitraum hinweg. Im Jahr 2001 traten lediglich die Kreisverbände Jena, Gera und Saalfeld-RudolstadtSonneberg sowie der Kreisverband Gotha-Erfurt-Nordhausen in der Nordthüringer Region mit eigenen Aktionen in Erscheinung. Personenpotenzial/Mitglieder Der Landesverband der NPD Thüringen zählte zum Jahresende 2001 etwa 200 Mitglieder (2000: 260). Nach dem Mitgliederzuwachs im Jahr 1999 mussten viele Kreisverbände und so auch der Landesverband 2001 erstmals wieder einen Mitgliederrückgang hinnehmen. Vor allem Jugendliche, die in den zurückliegenden Jahren infolge von Werbemaßnahmen den Weg in die NPD gefunden hatten, distanzierten sich im Laufe des Jahres 2001 von ihrem Entschluss, einer Partei anzugehören, die ihren Mitgliedern ein gewisses Maß an Engagement und Kaderdisziplin abverlangt. Von großer Bedeutung waren in diesem Zusammenhang sicherlich auch das Verbotsverfahren gegen die NPD und die verstärkte öffentliche Diskussion über die Gründe, das Verbot der Partei anzustrengen. Auch die anhaltenden internen Diskussionen im Landesverband um die Kooperation mit THS-Anhängern und um den Umgang mit der innerparteilichen Opposition (RPF) schadeten nicht nur dem Ansehen der Partei, sondern führten zu Verstimmungen bei zahlreichen Mitgliedern und in der Folge auch zu Parteiaustritten. Auch die Wahl von Frank Schwerdt (Berlin) zum Landesvorsitzenden der NPD Thüringens auf dem Landesparteitag am 21. April konnte diese Entwicklung nicht verhindern, wenn18 Dieser Zusammenschluss wurde bereits im März 2001 deutlich, als eine Demonstration in Neuhaus erstmals im Namen des neugeschaffenen NPD-Kreisverbandes Saalfeld-Rudolstadt-Sonneberg angemeldet wurde. 14 gleich SCHWERDT wegen seiner Nähe zu den "Freien Kameradschaften" in anderen Bundesländern bestrebt ist, auch in Thüringen "nationale Kräfte" für die Ziele der NPD zu bündeln. Damit entspricht er der derzeitigen Linie des NPD-Bundesvorstandes. Schwerdt, der seit dem Bundesparteitag der NPD im März 2001 auch als NPDBundesgeschäftsführer amtiert, bemühte sich trotz seiner Tätigkeit im Bundesvorstand und als Redner auf bundesweiten Demonstrationen auch um Präsenz bei öffentlichen Auftritten und internen Veranstaltungen der Thüringer NPD, z. B. bei Kooperationsgesprächen anlässlich angemeldeter Demonstrationen. Nachdem im Mai durch Presseberichte eine frühere Verbindung des stellvertretenden NPDLandesvorsitzenden, Tino Brandt, zum TLfV offengelegt wurde, entstand Unruhe unter den Thüringer NPD-Mitgliedern. Der Landesvorsitzende der NPD Thüringen musste daraufhin die Thüringer Kader zur Besonnenheit mahnen: Es solle nicht der Fehler gemacht werden, s "Spitzel" zu suchen. Gegenseitiges Misstrauen sei für den Zusammenhalt gefährlicher als es "Spitzel" seien. Die politische und organisatorische Arbeit solle fortgesetzt werden19 . Dieser Appell macht schwerwiegende Probleme in der politischen und organisatorischen Aktivität des Landesverbandes deutlich. Zusammenarbeit mit Neonazis Der Landesvorstand der NPD bildet in Thüringen die Schnittstelle zur Neonaziszene. So erklärte der NPD-Landesvorsitzende Schwerdt auf dem Landesparteitag der NPD Thüringen am 8. September, dass die in Thüringen gut funktionierende Arbeit mit parteiunabhängigen Kräften im Land weitergeführt und ausgebaut werden solle 20 . Es besteht mithin ein enges Kooperationsund Unterstützungsverhältnis, das auch darin zum Ausdruck kommt, dass Anhänger des lose strukturierten Thüringer Heimatschutzes (THS) weiterhin einen bedeutenden Anteil des Aktivistenpools der NPD im Freistaat stellen. Auch im achtköpfigen NPD-Landesvorstand, der am 28. November gewählt wurde, üben die aktivistisch orientierten THS-Anhänger großen Einfluss aus. Die Strategie der NPD Thüringen Schwerpunkt auf dem "Kampf um die Straße" Der Schwerpunkt der politischen Tätigkeit der NPD in Thüringen liegt entsprechend ihrer gesamtstrategischen Ausrichtung weiter im "Kampf um die Straße". Gewaltfreie Demonstrationen und eine Vielzahl kleinerer öffentlicher Aktionen, wie z.B. Mahnwachen, sollen die Bevölkerung von der Wählbarkeit der NPD überzeugen. Die Darstellung und die Wahrnehmbarkeit der einzelnen NPD-Kreisverbände in der Öffentlichkeit gestalteten sich jedoch, wie auch in den Vorjahren, äußerst unterschiedlich. Sie hingen im Wesentlichen sowohl vom Engagement der jeweiligen Vorstandsmitglieder als auch von ihrer Fähigkeit ab, Personen des rechten Spektrums auf regionaler Ebene an die Partei zu binden. 19 Aus einem Mitgliederrundschreiben der NPD Thüringen. 20 Deutsche Stimme, Nr. 10/2001, S. 13. 15 Die als Organisator auftretende NPD konnte durch Veranstaltungen, die für die Szene attraktiv waren, erneut Rechtsextremisten aus dem Neonaziund Skinheadbereich als Teilnehmer gewinnen. Im Vergleich zum Vorjahr wurden jedoch weniger Demonstrationen angemeldet. Aktivitäten der NPD im Freistaat Thüringen Im Vergleich zum Vorjahr gingen die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der NPD Thüringen im Berichtszeitraum merklich zurück; Veranstaltungen der Bundes-NPD fanden 2001 in Thüringen nicht statt. Demonstration am 14. April in Jena/"Pflichtveranstaltung" des THS Am 14. April beteiligten sich etwa 150 Personen des rechten Spektrums in Jena an einer vom NPD-Kreisverband Jena initiierten Demonstration unter dem Motto: "Für eine Welt freier - Solidarität mit Irak und Palästina". Ein zuvor von der Stadtverwaltung Jena erlassenes Demonstrationsverbot hatte das Verwaltungsgericht Gera unter Auflagen aufgehoben. Der Landesverband der NPD und der Thüringer Heimatschutz (THS) mobilisierten bereits im Vorfeld für die Veranstaltung. Der THS räumte der Demonstration den Rang einer "Pflichtveranstaltung" ein und rief zur Organisation von Fahrgemeinschaften auf. Als Redner der Kundgebung traten der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende, Dr. HansGünter Eisenecker (Mecklenburg-Vorpommern) und der NPD-Landesvorsitzende SchleswigHolsteins, Peter Borchert, auf. Sie thematisierten in ihren Redebeiträgen die politische Situation in Palästina und im Nahen Osten, verurteilten "die kriegerischen israelischen Sanktionen" und riefen zur Solidarität mit den Palästinensern und dem Irak auf. Die Polizei nahm zwei Angehörige der rechtsextremistischen Szene wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vorläufig fest. Sandro-Weilkes-Gedenkmarsch am 12. Mai in Sonneberg Aus Anlass des sechsten Todestages von Sandro Weilkes meldete der NPD-Kreisverband Saalfeld-Rudolstadt-Sonneberg für Samstag, den 12. Mai, eine Kundgebung unter dem Motto: "Nicht Rache, nur Gerechtigkeit für Sandro Weilkes" in Sonneberg an. Dieser Veranstaltungsort wurde gewählt, nachdem die ursprünglich in Neuhaus/Rwg. geplante Demonstration vom Landratsamt wegen zu erwartender Ausschreitungen durch eine zeitgleich angesetzte Gegendemonstration verboten worden war. An der Kundgebung nahmen etwa 220 Personen teil. Der Veranstalter hatte jedoch im Vorfeld bis zu 300 Szeneangehörige erwartet. Als Redner fungierte der am 21. April neugewählte NPD-Landesvorsitzende Frank Schwerdt. Im Verlauf der Kundgebung wurden zwei Rechtsextremisten vorläufig festgenommen. In der Nacht zum 6. Mai 1995 kam der damals 22-jährige Sandro Weilkes bei einer Auseinandersetzung zwischen "linken" und "rechten" Jugendlichen in Neuhaus/Rwg. ums Leben. Der damals 15 Jahre alte Täter hatte während einer Prügelei auf dem Marktplatz ein Messer gezogen und Weilkes damit verletzt. Dieser erlag wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Zum Gedenken an das Ereignis wird jährlich eine Gedenkveranstaltung zum Todestag angemeldet. Die Anreise zum Trauermarsch wird in Szenekreisen als Pflichtveranstaltung angesehen. Das Teilnehmerpotenzial setzt sich aus nahezu allen Gruppen und Vereinigungen des rechtsextremistischen Spektrums zusammen. 16 Mahnwache am 4. August in Jena In den Abendstunden des 4. August hielten Vertreter des NPD-Kreisverbandes Jena im Stadtzentrum von Jena eine Mahnwache unter dem Motto: "Gegen den gezielten staatlichen Mord an den Freiheitskämpfern Palästinas" ab. Anhänger der Partei verteilten Flugblätter mit der lten Tötungen von Menschen! Solidarität mit Palästina!". Insgesamt 10 Personen sollen sich an der Mahnwache beteiligt haben. Mit dieser Aktion rückte die Jenaer NPD zum wiederholten Male die aktuelle Situation im Nahen Osten in den Blickpunkt. In einer vom Kreisvorsitzenden herausgegebenen Pressemitteilung werden dem Staat Israel "[...] eine grausame Strategie des gezielten Liquidierens" und "[...] kaltblütig geplanter Mord an Zivilisten" vorgeworfen. Die unter Auflagen gestattete Veranstaltung war erst einen Tag zuvor beim Ordnungsamt der Stadt Jena angemeldet worden. Etwa 30 Personen führten eine spontane Gegendemonstration durch. Demonstration am 10. November in Gera Die Kundgebung, die vom Thüringer Landesverband der NPD angemeldet worden war und am 10. November unter dem Motto: "Frieden für Deutschland! Stoppt die Kriegstreiber!" in Gera abgehalten wurde, verlief ohne nennenswerte Zwischenfälle. Erst durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Weimar wurde die Durchführung der Demonstration, an der sich etwa 360 Personen aus dem rechten Spektrum beteiligten, gerichtlich bestätigt. Neben Thüringer Nationalisten (NPD, Kameradschaft Gera, NSAW u.a.) reisten auch Personen aus angrenzenden Bundesländern an, nachdem Rechtsextremisten aus dem Freistaat zuvor mit Flugblättern und auf einschlägigen Internetseiten zur Teilnahme aufgerufen hatten. Als Redner traten der bayerische NPD-Landesvorsitzende Ralf Ollert sowie der Bundesgeschäftsführer und Vorsitzende des NPD-Landesverbandes Thüringen, Frank Schwerdt, auf. Beide Redebeiträge richteten sich gegen die USA und brachten die ablehnende Haltung der NPD zum Einsatz deutscher Streitkräfte in Afghanistan zum Ausdruck. Im Verlaufe der Veranstaltung wurden sechs Personen vorläufig festgenommen, unter anderem wegen Verstößen gegen SS 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Veranstaltung zum Volkstrauertag in Gera Der stellvertretende NPD-Kreisvorsitzende Gera meldete für den 18. November eine Versammlung unter freiem Himmel auf dem Ostfriedhof in Gera an. Die Veranstaltung anlässlich des Volkstrauertages 2001 fand unter dem Motto: "Nationaldemokraten gedenken den gefallenen Soldaten" statt. Der Teilnehmerkreis von rund 40 Personen besc n- teils auf Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Gera. Als Redner trat der NPDLandesvorsitzende Thüringens, Frank Schwerdt, auf. NPD demonstriert zum "Abschied von der DM!" in Nordhausen Am 8. Dezember veranstaltete der NPD-Kreisverband Gotha-Erfurt in Nordhausen eine Demonstration unter dem Motto: "Abschied von der DM!". An der Veranstaltung nahmen etwa 300 Personen des rechten Spektrums teil. Während des Marsches durch die Nordhäuser Innenstadt wurden lautstark unter anderem die Parolen: "Frei, Sozial und National", "Internationale Völkermordzentrale USA!", "Ruhm und Ehre der deutschen Wehrmacht!", "Hier marschiert die deutsche Jugend, Juden raus - aus Palästina!" gerufen. Auf dem August-BebelPlatz trat ein bayerischer NPD-Aktivist auf. 17 Insgesamt wurden 17 Personen, darunter 11 Personen aus den Reihen der Gegendemonstranten, wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz und das Waffengesetz vorläufig festgenommen. Bereits im August hatte ein ortsansässiges Mitglied der Partei die Demonstration im Auftrag des Kreisverbandes Gotha-Erfurt als Fackelmarsch angemeldet. Der ursprünglich geplante Termin hierfür war der 9. Dezember. Das Landratsamt Nordhausen verbot die Veranstaltung jedoch am 6. November. Dr. Hans-Günter Eisenecker, stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei und Anwalt im Verbotsverfahren, ersuchte daraufhin das Verwaltungsgericht Weimar um Rechtsschutz gegen die Verbotsverfügung. Nach Ausschöpfung aller Rechtsmittel konnte die Demonstration schließlich stattfinden. Die NPD und rechtsextremistische Gruppierungen aus Thüringen, Sachsen und Berlin/Brandenburg hatten im Vorfeld für die Teilnahme an der Veranstaltung geworben. Infostand in Gera Am 20. Dezember, richtete der NPD-Kreisverband Gera im Geraer Stadtzentrum einen Infostand ein. Ziel der Aktion war es, frühzeitig Unterschriften für eine Teilnahme der Partei an der Bundestagswahl 2002 zu sammeln. Damit wollten die Initiatoren Fehler aus der Vergangenheit vermeiden, als die NPD aufgrund fehlender Unterstützungsunterschriften zu den Landtagswahlen 1994 und zu den Wahlen zum 14. Deutschen Bundestag 1998 in Thüringen nicht antreten durfte. An dem Infostand wurden auch Publikationen, das Parteiprogramm und Flugblätter angeboten. Der erhoffte Zulauf von Interessenten blieb weitgehend aus. Schulungsveranstaltungen: "Kampf um die Köpfe" Die NPD versucht gemäß ihres strategischen Leitsatzes vom "Kampf um die Köpfe", die Parteimitglieder durch Schulungen auf ihre Programmatik und ihre Ziele auszurichten. So zogen im Jahre 2001 verschiedene Veranstaltungen des rechtsextremistischen "Deutschen Kollegs" und der NPD-nahen "Deutschen Akademie" in einer Gaststätte in der Nähe von Eisenach bundesweit agierende Parteifunktionäre und Angehörige der rechtsextremistischintellektuellen Szene an, unter denen sich allerdings nur wenige Thüringer NPD-Mitglieder befanden. In einem Rundschreiben beklagte der Landesschulungsleiter der NPD Thüringen generell das mangelnde Interesse der NPD-Mitglieder an politischen Schulungen. Teilnahme an Wahlen/Mitwirkung an politischer Willensbildung: "Kampf um die Parlamente" Trotz der schwach ausgeprägten Organisationsstrukturen und der sinkenden Akzeptanz in der Bevölkerung für Ziele und Methoden der NPD stellte der Thüringer NPD-Landesverband Kandidaten für die Bundestagswahl am 22. September 2002 auf. Mit Infoständen wurden bereits Ende 2001 in Gera Unterstützungsunterschriften gesammelt 21 . Alles in allem stießen die Infostände jedoch bei der Bevölkerung nur auf geringes Interesse. 21 S. im vorhergehenden Abschnitt "Aktivitäten der NPD im Freistaat Thüringen" die Ausführungen zum "Infostand in Gera". 18 Im Zuge des Vor-Wahlkampfes stellte sich die NPD in ihren Informationsmaterialien als nationale Oppositionspartei vor. Unter dem Motto "Damit sich wirklich etwas ändert: NPD!" erläuterte die Partei in den entsprechenden Publikationen die Eckpunkte ihres Parteiprogrammes. Mit der Wahl zweier junger Aktivisten in Führungspositionen des Kreisverbandes Wartburgkreis gewannen die neonazistischen Kräfte innerhalb des Landesverbandes weiter an Einfluss. Diese Nachwuchskader kündigten an, die bisherige politische Inaktivität des Kreisverbandes durch verstärkte kommunalpolitische Aktivitäten überwinden zu wollen. NPD Thüringen und Medien Nach wie vor präsentieren sich der Landesverband Thüringen und die Kreisverbände Gera und Jena mit eigenen Homepages im Internet. Die Beiträge auf diesen Seiten behandeln zumeist aktuelle tagespolitische Problemfelder und wiederholen die bekannten pauschalierenden und stereotypen Schuldzuweisungen an die Bundesregierung und die in Deutschland lebenden Ausländer. So heißt es unter anderem: "Auch der unaufhörliche Zuzug von Fremden in unsere Heimat trägt verschärfend zu steigenden [Fehler im Original] Drogenkonsum bei, sind es doch meistens "ausländische Mitbürger" die mit dem Verkauf von Drogen sich eine goldene Nase verdienen."22 Darüber hinaus fanden sich auf der Webseite des Landesverbandes im Jahr 2001 vor allem Berichte, die überregionale Veranstaltungen betrafen. Eigene Aktivitäten wurden hingegen kaum dargestellt. Gemeinsam mit dem NPD-Kreisverband Magdeburg betreibt der NPD-Kreisverband Jena zudem das Internet-Diskussionsforum "Mitteldeutscher Gesprächskreis". Dem Gesprächskreis schlossen sich später auch der NPD-Landesverband Thüringen, die NPD-Kreisverbände Greifswald und Gera sowie die neonazistischen Gruppierungen "Nationales und Soziales Aktionsbündnis Westthüringen (NSAW)", die "Kameradschaft Schwerin" und die "Kameradschaft Gera" an. Nachdem der neue Landesvorsitzende Frank Schwerdt die Herausgabe einer Landesverbandszeitung mit aktuellen Berichten und Kommentaren sowie Mitteilungen über das Parteigeschehen in Thüringen angeregt hatte, rief er zur Mitarbeit in einem Redaktionsstab auf23 . 3.2 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Als einzige rechtsextremistische Partei verfügt die NPD über eine zahlenmäßig relevante, einflussreiche und öffentlich wahrnehmbare Jugendorganisation, deren Sitz sich in Riesa (Sachsen) befindet. 1969 gegründet, bilden die "Jungen Nationaldemokraten" -Satzung einen "integralen Bestandteil der NPD". Sie verstehen sich selbst -geschlossene Jugendbewegung neuen Typs mit revolutionärer Aus22 Internetseite der NPD Jena, aus dem Bericht: "Köckerts Kampf gegen Windmühlen", Juni 2001. 23 Nach einem Mitgliederrundschreiben der NPD Thüringen. 19 richtung und strenger innerorganisatorischer Disziplin, deren Aktivisten hohe Einsatzund Opferbereitschaft abverlangt wird."24 "In unserem Ringen für unser Volk sehen wir Sinn und Aufgabe unseres Lebens. [...] Dazu gehört aber vor allem die Bereitschaft des Einzelnen zur Einund Unterordnung in die Gemeinschaft unserer Bewegung."25 In ihrer Broschüre behaupten die "Jungen Nationaldemokraten", die "Volksgemeinschaft, die wir in einer neuen nationalistischen Ordnung verwirklichen wollen, bereits heute in den eigenen Reihen"26 vorzuleben. Ihr Ziel sehen die JN-Aktivisten darin, ein "Deutschland, welches ein auf der Solidargemeinschaft der deutschen Stämme begründetes neues Reich sein wird [.]"27 zu formen. Eigenen Angaben zufolge setzen die JN hohe Maßstäbe an ihre Mitglieder: "Die Aktivisten der Jungen Nationaldemokraten streben danach, das Leitbild des politischen Soldaten zu verkörpern. Der politische Soldat ist der Mensch, der von seinen Idealen angetrieben wird, der unzweideutig handelt, wenn es gilt, unseren politischen Auftrag tapfer zu erkämpfen. Niemals in der europäischen Geschichte war die Notwendigkeit ganzer Bataillone politischer Soldaten so nötig und so entscheidend wie heute. Für ein Engagement in unserer nationalistischen Bewegung ist der hundertprozentige politische Aktivismus unabdingbare Voraussetzung."28 JN-Osterschulung beriet neue Strategien der Jugendarbeit Nach Berichten der "Deutschen Stimme" (DS 05/2001) führten die Jungen Nationaldemokraten ihre Osterschulung 2001 sowie ein Strategieseminar im Baden-Württembergischen Eningen durch. Rund 30 Teilnehmer, unter ihnen Vertreter des Bundesvorstandes und Führungskräfte der JN-Landesvorstände, erörterten hierbei Grundsatzfragen der künftigen Jugendarbeit. Sie fassten aber auch Beschlüsse, die die Neustrukturierung der JN-Schulungen und ihre altersund sozialspezifische Ausrichtung betrafen. So sollen in Zukunft zentral organisierte "Mädel-Strukturen" geschaffen und eine altersspezifische Zweiteilung der Jugendarbeit verwirklicht werden. Für die 14-18 jährigen JN-Mitglieder sollen vorzugsweise Lager, Fahrten und Sportfeste organisiert werden, die ein "kulturelles Gemeinschaftserlebnis innerhalb einer alternativen Freizeitgestaltung" darstellen und laut NPD dazu dienen, "in diesem Stadium der jugendlichen Entwicklung die Charakterwerte und Persönlichkeiten der jungen Kameraden sowie ihr Bewußtsein für Identität zu fördern". Die Schulung älterer Jugendlicher soll künftig darauf abzielen, eine "substantiell starke Politisierung" und einen "leistungsfreudigen propagandistischen Tatendrang" herauszubilden. 24 Einer Informationsbroschüre der JN mit dem Titel: "Eine andere Jugend Eine revolutionäre Idee Eine junge Politik" entnommen. 25 ebd. 26 ebd. 27 ebd. 28 ebd. 20 Die Thüringer Jungen Nationaldemokraten Im Verlauf des Jahres 2000 hatte die NPD Thüringen eine Reihe von Jugendlichen dazu bewegen können, der JN beizutreten. Maßgebliche Führungskräfte der JN sind eng in die Aktivitäten der NPD eingebunden. Zur Zeit werden den Jungen Nationaldemokraten Thüringen allerdings nur noch bis zu 50 Mitglieder zugerechnet (2000: 70). Der Thüringer Landesverband, der im Jahr 2000 gegründet worden ist, trat im Jahre 2001 kaum öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Die einzige nennenswerte Aktion führte der Thüringer Landesverband am 3. Februar in Jena mit einer Demonstration unter dem Motto "Gewalt ist ein Problem dieser Gesellschaft! Wenn alleine 'rechte' Gewalt thematisiert wird, fühlen sich andere Schläger ermutigt!" durch. An der Veranstaltung, die unter behördlichen Auflagen durchgeführt wurde, nahmen etwa 60 rechtsextremistischen Szene (NPD, JN, NSAW) teil. Während des Aufzuges, der nach etwa einer Viertelstunde durch eine Sitzblockade von etwa 50 Gegendemonstranten gestoppt und über eine Ausweichstrecke weiter geführt wurde, skandierten die Rechtsextremisten Parolen wie: "Hier marschiert der nationale Widerstand!","Hoch die nationale Solidarität!" oder "Frei, sozial und national!". Im weiteren Verlauf kam es zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen Personen beider Lager. Auf der Kundgebung ging ein Redner aus Niedersachsen auf Fragen der politisch motivierten Gewalt ein und prangerte die "hohe Ausländerkriminalität" an. Darüber hinaus beklagte er, dass "immer mehr nationale Aktivisten" zu Opfern von Gewalttaten würden. Im Gegenzug verwies er darauf, dass die NPD bereits seit 36 Jahren Gewalt gegen politisch Andersdenkende ablehne. Den unmittelbaren Anlass für die Demonstration bildete eine zurückliegende Konfrontation zwischen Jugendlichen in Jena, in deren Verlauf ein Angehöriger der rechtsextremistischen Szene verletzt wurde. Aufgrund fehlenden öffentlichen Interesses sollte der Sachverhalt aus der Sicht der JN durch die Veranstaltung nochmals pressewirksam aufbereitet werden. 3.3 Das NPD-Verbotsverfahren Die Voraussetzungen für ein Parteiverbot nach Ar tikel 21 Absatz 2 Grundgesetz (GG) Im politisch-parlamentarischen System der Bundesrepublik sind die Parteien die bestimmenden Kräfte des politischen Prozesses. Dieser verfassungsrechtliche Status einer Partei hängt allerdings davon ab, dass sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger nicht darauf ausgerichtet ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Die Verfassungswidrigkeit einer Partei kann ausschließlich das Bundesverfassungsgericht auf Antrag von Bundesregierung, Bundestag und/oder Bundesrat feststellen. Die rechtlichen Hürden für ein Parteienverbot liegen - aus gutem Grunde - sehr hoch. 21 Der Verbotsantrag gegen die NPD Das Verfahren vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht (BVerfG) um ein Verbot der NPD beruht auf Anträgen von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat. Die Bundesregierung übergab einen entsprechenden Antrag bereits am 30. Januar dem höchsten deutschen Gericht; Bundestag und Bundesrat reichten ihre Anträge am 30. März in Karlsruhe ein. Nachdem die Klageschriften beim Bundesverfassungsgericht eingegangen waren, wurde das mehrstufige Verbotsverfahren formal eröffnet. In einem Vorverfahren wurde der NPD zunächst Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Danach prüfte das Gericht, ob die Anträge auf Verbot der NPD den hohen formalund materiellrechtlichen Kriterien genügen. Am 4. Oktober 2001 gab das Bundesverfassungsgericht dann bekannt, in der Frage eines möglichen Verbotes der NPD eine mündliche Verhandlung durchführen zu wollen. Die drei NPD-Verbotsanträge umfassen insgesamt 588 Seiten. Hinzu kommen mehrere hundert Anlagen mit Beweismaterial. Dieses Material, auf dessen Grundlage letzten Endes der Entschluss gefasst wurde, den Verbotsantrag zu stellen, war zuvor vom Bundesministerium des Innern unter Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Landesämter für Verfassungsschutz zusammengestellt worden. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik setzen sich damit alle zuständigen Verfassungsorgane für ein Parteiverbot ein. Wenn das Bundesverfassungsgericht im Zuge des Verfahrens tatsächlich die Verfassungswidrigkeit der NPD feststellt, so ist die Partei damit verboten und aufgelöst. Damit verbunden ist zugleich das Verbot, Ersatzorganisationen zu gründen. Was wird der NPD eigentlich vorgeworfen? Die drei antragstellenden Verfassungsorgane sind sich in den Begründungen ihrer Verbotsanträge einig, dass sich die NPD die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik zum Ziel gesetzt hat. Sie will diese Grundordnung durch ein anderes Regierungssystem ersetzen und verfolgt dieses Ziel in besonders aggressiver Weise. In den Verbotsanträgen wird diese gesteigerte Aggressivität der NPD in ihrem Kampf gegen die Verfassungsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland unter Beweis gestellt. Es wird dokumentiert, dass zahlreiche NPD-Mitglieder, darunter auch Funktionäre, in rechtsextremistische Straftaten verwickelt sind und dass sich die Partei offen zur Zusammenarbeit mit Neonazis und gewaltbereiten Rechtsextremisten bekennt. Nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden bildet die NPD weiterhin eine strukturelle Basis für eine organisierte Unterwanderung des Rechtsstaates, für Antisemitismus und Rassismus. Das von der NPD eingeforderte Recht auf freie Meinungsäußerung endet nach Ansicht der Antragsteller dort, wo sich das Ausmaß und die Qualität kämpferisch-aggressiver Aussagen gegen das Grundgesetz zur Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung entwickeln. Wie reagiert die NPD auf die Zulassung des Verbotsverfahrens? 22 In einer Pressemitteilung drückte die Parteiführung der NPD ihre "große Erleichterung" über den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes aus, Verhandlungen anzuberaumen. Erstmals hätte man nun die Möglichkeit, sich vor dem obersten deutschen Gericht gegen die Lügen und Verleumdungen durch Verfassungsschutzämter und Innenminister zu verteidigen. Das Verbotsverfahren gegen die Partei wurde in der Folge zum Dauerthema parteiinterner Zusammenkünfte und öffentlicher Diskussionen. 3.4 "Bund Deutscher Patrioten" (BDP) Am 23. Januar 1999 gründeten 20 Angehörige der rechten Szene Thüringens den "Bund Deutscher Patrioten" (BDP). Sie wählten Frank Golkowski, den früheren Chef der Thüringer NPD, zu ihrem Vorsitzenden. Rene Kärst aus Altenburg wurde das Amt des Stellvertreters Der Mitgliederbestand des BDP dürfte sich größtenteils aus Golkowski-Anhängern zusammensetzen, die dem gestürzten NPD-Landesvorsitzenden gefolgt waren, nachdem dieser im Bundesund Landesverband in Misskredit geraten war. Der BDP begreift sich seiner Satzung nach als eine Partei, die sich "zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zur deutschen und abendländischen Kultur" bekennt. Als "politischer Zusammenschluss patriotischer Deutscher aller Schichten, Konfessionen [...] und Weltanschauungen" strebt er die "politische Wirksamkeit in allen Teilen Deutschlands" an. Dem Parteiprogramm zufolge will sich der BDP für die "Zusammenarbeit mit allen gutwilligen Nationen" einsetzen. Zugleich wendet er sich aber vehement gegen "Kulturvermischung" und "zunehmenden Materialismus". Die einzige Alternative hierzu bilde eine "Volksherrschaft", die mit "handlungsfähigen Organen" die "Grundziele der Volksgemeinschaft" verwirklichen solle. Darüber hinaus wendet sich der Bund Deutscher Patrioten gegen die "Schuldenbewirtschaftung" in Deutschland und lehnt einen "internationalen Wirtschaftsapparat auf kapitalistischer ab. Die Bundesrepublik solle keine "fremdbestimmte Marionette Europas" werden. - trotz "Vereinigung von BRD und DDR" - ihre Grenzen "längst nicht erreicht". So wolle der BDP die "Preisgabe deutscher Gebiete nicht dulden [...]". Im Jahre 2001 wurden keine politischen Aktivitäten des BDP in Thüringen bekannt. 3.5 "Deutsche Volksunion" (DVU) Die Bundespartei Die Partei wurde 1987 in München unter dem Namen "Deutsche Volksunion-Liste D" (DVUListe D) gegründet und 1991 durch Satzungsänderung in "Deutsche Volksunion" (DVU) umbenannt. Der Münchner Verleger Dr. Gerhard Frey, der seit der Gründung der DVU ihr Bundesvorsitzender ist, führt die Partei weitgehend zentralistisch. Die DVU verfügt bundesweit über etwa 15.000 (2000: 17.000) Mitglieder. In Brandenburg, Bremen und Sachsen-Anhalt ist sie in den Landesparlamenten vertreten. Bei den Wahlen zur Bürgerschaft in Hamburg am 23. September musste die DVU hohe Stimmenverluste hinnehmen. Sie erreichte lediglich 0,7 % der Stimmen und verlor gegenüber der Bürgerschaftswahl im September 1997 mehr als 4,2 Prozentpunkte. 23 Von der DVU wurden im nachhinein ein Boykott durch die Medien, die Ungleichbehandlung bei der Wahlwerbung sowie eine angebliche staatliche Einflussnahme auf den Wahlverlauf für das schlechte Ergebnis verantwortlich gemacht. Am 29. September 2001 führte die DVU ihre jährliche Großkundgebung in der Nibelungenhalle in Passau/Bayern durch, an der rund 1200 Personen (2000: 2200) teilnahmen. Die Veranstaltung stand unter dem Motto: "Wir sind stolz, Deutsche zu sein!". Aus aktuellem Anlass stellte der Versammlungsleiter sie in seiner Eröffnungsrede unter ein zweites Motto: "Stopp der Einwanderung -Kampf dem Terror! Rettet Deutschland vor dem Krieg!". Die Kundgebung verlief insgesamt störungsfrei. Die von Gerhard Freys "Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH" herausgegebene "Nationalzeitung" (NZ) gilt mit 45.000 Exemplaren pro Ausgabe nach wie vor als die auflagenstärkste regelmäßig erscheinende Publikation im Bereich des Rechtsextremismus. Aufgrund der tonangebenden Stellung Freys in der DVU kann die NZ als Presseorgan der Partei angesehen werden. Ihre Beiträge bedienen ausländerfeindliche Klischees, propagieren einen unverhohlenen Revisionismus und sind zum Teil antisemitisch ausgerichtet. Nach den Terroranschlägen in den USA benutzte die NZ charakteristische Titel wie: "Ausländer-Politik jetzt radikal ändern! Deutschland als Brutstätte fremder Terroristen." Darüber hinaus forderte sie im selben Zusammenhang ein "Schuldbekenntnis der für die Masseneinwanderung in Deutschland Verantwortlichen" und warf dem Verfassungsschutz ein "Totalversagen" vor. Der Thüringer Landesverband der DVU Der Thüringer Landesverband der DVU mit Sitz in Arnstadt besteht seit 1991. Seit dieser Zeit ist Gerhard KONRAD Landesvorsitzender der Deutschen Volksunion im Freistaat. Dem Landesverband gehören seit 1998 durchgehend etwa 200 Mitglieder an. Öffentlich wirksame Veranstaltungen führte die Partei im Jahre 2001 kaum durch; ihre Mitglieder und Sympathisanten trafen sich in unregelmäßigen Abständen zu politischen Stammtischen und organisierten gelegentlich "überparteiliche" Saalveranstaltungen (beispielsweise am 28. April und 17. November 2001 in Mosbach bei Eisenach), zu denen auch auswärtige Teilnehmer erschienen. Diese Veranstaltungen wertete die DVU jeweils als einen wichtigen Schritt auf dem Wege zu einer erfolgreichen Zusammenarbeit weiterer nationaler Kräfte. Am 11. März fand in Bad Kösen (Sachsen-Anhalt) der gemeinsame Parteitag der Landesverbände Sachsen-Anhalt und Thüringen statt, auf dem der Thüringer Landesvorsitzende KONRAD in seinem Amt bestätigt wurde. Anschließend trafen sich die rund 700 Teilnehmer zu einer Großveranstaltung der Partei unter Leitung des Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard FREY. Wie in den Vorjahren trafen sich auch am 18. November Mitglieder des Kreisverbandes Hildburghausen auf der Schmücke/Ilmkreis am Grabmal des unbekannten Soldaten zu einer Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung. Etwa 35-40 Personen nahmen hieran teil. Die Redner der Kundgebung erinnerten an die Gefallenen des Zweiten Weltkrieges und äußerten sich zur aktuellen politischen Lage. 3.6 "Freiheitliche Deutsche Volkspartei" (FDVP) Die Freiheitliche Deutsche Volkspartei (FDVP) gründete sich im Februar 2000 auf Bundesebene mit neun ehemaligen Abgeordneten der DVU-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalt. 24 Anlass für diese Abspaltung waren offensichtlich innerparteiliche Auseinandersetzungen zwischen den DVU-Parlamentariern und dem Bundesvorsitzenden Dr. Frey. Auf dem ersten Bundesparteitag der FDVP, der am 7. Mai 2000 in Kleinjena (SachsenAnhalt) stattfand, wurde die ehemalige DVU-Abgeordnete Sachsen-Anhalts, Claudia WIECHMANN zur Bundesvorsitzenden gewählt. Sie erklärte, dass sich die Partei hauptsächlich für den Schutz nationaler Interessen, für die Wahrung der deutschen Identität und für den besonderen Schutz der Familie einsetzen wolle. Substantielle Unterschiede zur Programmatik der DVU lassen sich den politischen Kernaussagen der FDVP nicht entnehmen. Eine fremdenfeindliche und unterschwellig antisemitische Grundhaltung ist elementarer Bestandteil ihres politischen Bekenntnisses. Auf dem Bundesparteitag am 23. Juni in Niemegk/Brandenburg fassten die etwa 150 Delegierten der FDVP den Beschluss: "Für die Freiheit", vermittels dessen das Ziel der "politischen Erneuerung in Deutschland" umgesetzt werden solle. Beschlossen wurde ferner, für den weiteren Aufbau der Partei Landesbeauftragte einzusetzen, Satzungsänderungen durchzuführen und organisatorische Veränderungen vorzunehmen. Die Partei kündigte an, im Jahre 2002 an der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt teilnehmen zu wollen. Thüringer Landesverband Am 18. Juni 2000 wurde der Landesverband Thüringen der FDVP gegründet. Zur Landesvorsitzenden wählten die Delegierten das ehemalige Mitglied der Partei "Die Republikaner", Kerstin Brehme, und zu ihrem Stellvertreter den Rechtsanwalt Günter Steinert, Erfurt, der vorher dem "Bund Freier Bürger" angehörte. Im Jahr 2000 verfügte der Landesverband über etwa 20 Mitglieder. Diese Zahl hat sich auch im Jahre 2001 nicht wesentlich geändert. Der FDVP-Landesverband Thüringen, der keine weiteren örtlichen Parteigliederungen unterhält, trat in der Berichtszeit im Freistaat durch öffentliche Veranstaltungen oder Aktionen/Demonstrationen nicht in Erscheinung. Im Internet präsentiert sich der Landesverband lediglich mit einer Postfachanschrift, einer Telefonnummer und einer E-Mail-Adresse. 3.7 "Die Republikaner" (REP) Die Partei "Die Republikaner" wurde im Jahre 1983 von ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten und ihrem späteren Bundesvorsitzenden Franz Schönhuber gegründet. Auf dem Parteitag 1994 wählte die Partei den Arzt und Rechtsanwalt Dr. Rolf Schlierer zum neuen Bundesvorsitzenden. Der Bundesvorstand hat seinen Sitz in Berlin und gibt monatlich die Publikation "Der Republikaner" mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren heraus. Die Partei verfügt bundesweit nur noch über rund 11.500 Mitglieder (2000: 13.000; 1999:14.000), die in 16 Landesverbänden organisiert sind. Permanente Wahlniederlagen sowie die daraus resultierende innerparteiliche Unzufriedenheit bestimmen in den letzten Jahren die Verfassung der Partei, die einen stetigen Mitgliederschwund hinnehmen musste. Zur Stärkung der politischen Durchschlagskraft der strukturund mitgliederschwachen nördlichen und östlichen Landesverbände trafen sich am 3. Februar in Berlin auf Einladung des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Frank ROHLEDER, REP-Landesvorsitzende und Lan25 desschatzmeister aus Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, MecklenburgVorpommern, Berlin, Hamburg und Schleswig-Holstein zur "Mitteldeutschen Konferenz". Im Zentrum der Zusammenkunft standen neben der Beratung haushaltstechnischer Fragen verschiedene organisatorische Optimierungen im Hinblick auf die Bundestagswahl 2002. Am 28. Februar trafen sich die Republikaner in Geisenhausen/Bayern zu ihrer alljährlichen Aschermittwochsveranstaltung. Vor 900 Zuhörern gingen die Redner hauptsächlich auf die Landtagswahlen in Baden-Württemberg im März ein. Der Bundesvorsitzende Dr. Rolf Schlierer und der bayrische Landesvorsitzende Johann GÄRTNER gaben sich optimistisch und verliehen ihrer Hoffnung Ausdruck, erneut in den Landtag von Baden-Württemberg einzuziehen. Schlierer sprach bereits von einem "historischen Ereignis" für den Fall, dass eine rechte Partei zum dritten Mal in Folge in einen Landtag einziehen würde. In beiden Reden kamen darüber hinaus die Themen Zuwanderung, Ausländerpolitik sowie Spendenskandale und Finanzaffären von Bundesund Landesregierungen zur Sprache. Die folgende Wahlniederlage von 4,4% der Stimmen bei der Landtagswahl im März im einstigen "REP-Stammland" Baden-Württemberg traf die Partei hart. Sie verlor ihr einziges Landtagsmandat, woraufhin innerparteiliche Kritik am Bundesvorsitzenden Schlierer laut wurde. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg erlebten die REP im September 2001 mit nur 0,1% aller Stimmen ein weiteres Debakel. Nur geringfügig besser schnitten sie bei den Senatswahlen in Berlin ab, als sie 1,3% der Stimmen erhielten. Am 24./25. November 2001 verabschiedete der Bundesvorstand der Partei "Die Republikaner" in Eisenach eine Resolution, die die mögliche Beteiligung von Soldaten der Bundeswehr an den US-Vergeltungsschlägen in Afghanistan betraf. In der auch ins Internet eingestellten Entschließung wird ein Einsatz deutscher Soldaten als "unverantwortlich" abgelehnt. Der -grünen Kriegstreiber" sei "widerlich". Die "Republikaner" bekannten sich zwar zu der Notwendigkeit, den Terrorismus zu bekämpfen. Zugleich warnten sie jedoch davor, unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung einen Überwachungsstaat zu errichten. Extremistische Strömungen bei den Republikanern Nach wie vor finden sich bei den Republikanern eine Reihe von Anhaltspunkten für rechtsextremistische Bestrebungen. Die Partei äußert sich in fremdenfeindlicher Weise, relativiert die Verbrechen des Nationalsozialismus und agitiert gegen das Demokratieprinzip. Zwar verfolgt nicht jedes einzelne Parteimitglied der Republikaner verfassungsfeindliche Ziele, doch machen einflussreiche Gruppen und Funktionäre der REP keinen Hehl daraus, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung feindlich gesinnt zu sein. Diesem Umstand Rechnung tragend wiesen mehrere oberste Gerichte in den vergangenen Jahren Klagen von einzelnen REP-Landesverbänden zurück, welche darauf gerichtet waren, die den Verfassungsschutzbehörden übertragene Beobachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu verbieten. Um die aus Sicht der Republikaner desolate Situation zu verändern und einen erfolgversprechenden Neubeginn zu wagen, fehlen ihnen neben finanziellen Mitteln derzeit personelle Alternativen und programmatische Konzepte. 26 Der Landesverband Thüringen der Republikaner Der Landesverband Thüringen der Republikaner wurde 1992 gegründet. Seit August 1998 ist Dr. Heinz-Joachim Schneider aus Jena Landesvorsitzender. Auf dem Landesparteitag am 21. April 2001 in Fehrenbach/Lkrs. Hildburghausen wurde er in seinem Amt bestätigt. In der parteiinternen Debatte auf Bundesebene, in der sich die Stärke der einzelnen Landesverbände widerspiegelt, spielen die Thüringer REP wegen ihrer geringen Mitgliederzahl nur eine untergeordnete Rolle. Dem Thüringer Landesverband gehören lediglich 170 (2000: 190 ) von den bundesweit rund 11.500 Mitgliedern der Republikaner an. Nach eigenen Angaben gliedert sich der Thüringer Landesverband der REP in 12 Kreisverbände. Parteipolitische Aktivitäten wie regelmäßige Mitgliederversammlungen oder politische Stammtische fanden in den Kreisverbänden Thüringens mit sehr statt. Sie dienten nicht nur dazu, neue Mitglieder zu werben, sondern auch über Themen wie Jugendarbeit, Ausländerpolitik und den Wertverfall des EURO zu diskutieren. Die alles in allem geringen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Republikaner, die zum Teil noch vom Landesverband Sachsen unterstützt worden sind, waren in erster Linie auf die immer wieder bemängelte passive Haltung vieler Mitglieder und die schlechte finanzielle Lage der hren. Auf die Terroranschläge vom 11. September auf das World Trade Center in New York ging der Landesverband Thüringen der Republikaner in einer Pressemitteilung ein. Hierin bezeichnete der Landespressesprecher Friedhard BECK die Attacken als "gewaltsame Angriffe auf die westliche Wertegemeinschaft" und forderte "eine erneute Diskussion über die elementaren Sicherheitsinteressen Deutschlands" und die Ausländerpolitik der Bundesregierung. In einer Briefkastenaktion verteilte der Thüringer Landesverband der Republikaner F t- ter mit der Überschrift: "Terror in Jena?". Der Landesvorsitzende Dr. Schneider äußerte sich auf den Druckzetteln zusammen mit Pressesprecher Beck zum Jenaer "Programm gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus, Antisemitismus und Intoleranz" (F.R.A.u.I.). Nach Ansicht der beiden REP-Funktionäre entlade sich in diesem städtischen Programm "Hass" gegen die politische Rechte. Mit solchen und ähnlichen Aktionen will der Landesverband der REP öffentlich auf sich aufmerksam machen. Mitglieder des Vorstandes vertreten die Auffassung, man müsse der Bevölkerung verdeutlichen, "daß unsere Prognosen von einem hohen Wahrheitsgehalt getragen werden und im Gegensatz zu den Aussagen unserer Politiker keine leeren Versprechungen beinhalten". Ein erklärtes Ziel der Republikaner in Thüringen ist es, bei der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag im September 2002 mit einer eigenen Landesliste anzutreten. Um die Kandidaten für diese Landesliste zu nominieren, führte der REP-Landesverband am 21. Juli 2001 mit circa 40 stimmberechtigten Mitgliedern in Weimar einen Wahlparteitag durch. Als Gäste waren der Bundesgeschäftsführer Gerhard TEMPEL sowie der stellvertretende Bundesvorsitzende, Frank Rohleder, anwesend. Den Volkstrauertag nutzten die Republikaner wie in den Vorjahren erneut zur öffentlichen Selbstdarstellung. Am 18. November 2001 legten die Kreisverbände Erfurt und Weimar am Gedenkstein für gefallene Soldaten auf dem Weimarer Friedhof Kränze nieder. 27 Der REP-Landesverband Thüringen sowie der REP-Kreisverband Weimar sind seit 2001 bzw. 2000 jeweils mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten. 4. Neonazis 4.1 "Neuer Nationalsozialismus" (Neonazismus) Die Neonationalsozialisten (Neonazis) fordern, eine Staatsform zu errichten und eine "Volksgemeinschaft" aufzubauen, die sich am historischen Vorbild des Dritten Reiches orientieren. In ideologischer Hinsicht greifen sie auf das 25-Punkte-Programm der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) von 1920 zurück sowie auf die Leitsätze, die Adolf Hitler in seinem Buch "Mein Kampf" niedergelegt hatte. So propagieren sie einen totalitären Staat auf der Grundlage des Eliteund Führerprinzips, der nur die eigene Rasse für hochwertig erachtet und das deutsche Volk vor "rassisch minderwertigen" Ausländern bewahren will. Diese Neonazis erstreben die rechtliche und politische Wiederzulassung der NSDAP als ersten Schritt auf dem Wege zu einem "Vierten Reich", das unter Ausschluss von Ausländern und Juden und nach der Angliederung der ehemaligen deutschen Ostgebiete eine maßstabsgetreue Reinkarnation des historischen "Großdeutschen Reiches" darstellen soll. Die einzige geschichtliche Leitfigur deutscher Neonazis stellte bis Anfang der achtziger Jahre Adolf Hitler dar. Seitdem bildete sich im neonazistischen Lager jedoch eine starke Unterströmung heraus, die der Person und dem Wirken Hitlers kritisch gegenüber steht und sich weltanschaulich eher an den NSDAP-Ideologen Dr. Otto Strasser und Gregor Strasser sowie dem SA-Stabschef Ernst Röhm orientiert29 . Die ideologische Ausdifferenzierung des Neonazismus schlägt sich auch auf organisatorischer Ebene nieder. So existieren heute neben weitgehend unorganisierten Neonazis auch eine Reihe von Gruppierungen, die sich unter anderem bei Demonstrationen unter das "legale Dach der NPD begeben, um deren Kampf um politische Anerkennung zu unterstützen. 4.2 "Thüringer Heimatschutz" (THS) früher: "Anti-Antifa Ostthüringen" Im Jahre 1992 gründete der Hamburger Neonazi Christian Worch die "Anti-Antifa", um auf die wachsenden Angriffe militanter Linksextremisten gegen Gesinnungsgenossen aus der rechten Szene zu reagieren. Ihre Propaganda richtet sich sowohl gegen den politischen Gegner als auch gegen Institutionen des demokratischen Rechtsstaates. Die Anti-Antifa organisiert den Aufbau informeller Gruppen, d. h. Zusammenschlüsse von Rechtsextremisten ohne formale Mitgliedschaft und hierarchisch gegliederte Strukturen. Diese mehr oder minder konturlosen Zirkel werden von regional anerkannten Führungsfiguren gegründet und angeleitet. Um den Rechtsextremismus "organisationslos" zu verflechten, stehen sie untereinander in Kontakt. Dieses Konzept scheint auch im übrigen rechtsextremistischen Lager Akzeptanz zu fin29 Die Brüder Strasser repräsentierten in der Frühzeit des Nationalsozialismus den linken Flügel der NSDAP. Sie gründeten 1931 die "Schwarze Front" als Sammlungsbewegung aller völkisch-konservativen Kräfte innerhalb der NSDAP, um ihre sozialrevolutionären Vorstellungen in der Wirtschaftsund Gesellschaftspolitik durchzusetzen. Im Februar 1933 wurde die "Schwarze Front", der zeitweise bis zu 5.000 NSDAP-Mitglieder angehörten, verboten. Gregor Strasser und Ernst Röhm wurden auf Befehl Hitlers im Jahre 1934 im Zuge der Niederschlagung des sogenannten "Röhm-Putsches" ermordet. Dr. Otto Strasser, einer der überlebenden Führer der "Schwarzen Front", setzte sich 1933 nach Kanada ab. Er verstarb 1974. 28 den, bietet es doch die Möglichkeit, sich trotz fehlender zentraler Organisationsformen auf einen gemeinsamen Gegner zu konzentrieren. Im Oktober 1994 wurde erstmals eine Gruppierung "Anti-Antifa-Ostthüringen" bekannt, die ab Mai des darauffolgenden Jahres wöchentliche Treffen abhielt. Die Zahl der Beteiligten stieg von anfangs 20 auf rund 120 Personen an. Die Anti-Antifa-Ostthüringen bildete ein Sammelbecken für Neonazis, die hauptsächlich aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt, Gera, Jena, Sonneberg, Weimar, Ilmenau, Gotha, Kahla und Nordbayern kamen. Seit Anfang 1997 tritt sie hauptsächlich als "Thüringer Heimatschutz" auf. Dem THS sind die Sektionen Jena (früher Kameradschaft Jena), Saalfeld, Sonneberg, die Freie Kameradschaft Gera und seit Juni 2000 die Sektion Eisenach, die auch unter der Bezeichnung Nationales und Soziales Aktionsbündnis Westthüringen (NSAW) auftritt, zuzuordnen. Das NSAW setzt sich eigenen Angaben zufolge aus den Kameradschaften Eisenach, Unstrut-Hainich und Bad Liebenstein sowie dem Nationalen Widerstand Schmalkalden, dem Anti-Antifaschistischen Komitee Eisenach und dem Skinhead Club Friedrichroda zusammen. Durch den Zulauf von Anhängern zur Sektion Eisenach erhöhte sich die Zahl der Aktivisten des THS auf rund 170 (2000: 160) Personen. Der THS unterhält Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen und Parteien innerund außerhalb Thüringens. Im NPD-Landesverband ist der THS mit drei Funktionären vertreten; zwei NPD-Kreisverbände werden von THS-Anhängern geführt. Im Internet stellt sich der THS unter anderem so dar: "Wir sind keine Partei und keine religiöse Gemeinschaft. Wir sind eine Alternative zu verschiedensten patriotischen Parteien. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht unsere kulturelle Identität zu pflegen, zu bewahren und zu schützen. Der THS bezeichnet sich weder als "rechts" noch i- tisch und -feindlich und bekennen uns zum nationalen Sozialismus, zum Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals und die menschlich-moralische Ausbeutung durch dieses. Klischees und das übliche Schubladen-Denken sind für uns und unsere Arbeit nicht maßgeblich. Wir stellen nicht Unterschiede, sondern Gemeinsamkeiten mit anderen politischen Kräften in den Vordergrund. Der Grundsatz des THS ist es, Vorurteilen vermeintlich andersdenkender politischer Lager nicht mit Haß, sondern mit Argumentation und Konversation zu begegnen [...]." Aktivitäten Im Berichtszeitraum wurden keine öffentlich wirksamen Aktivitäten festgestellt, für die der THS formell verantwortlich zeichnete. Einige Aktionen und Demonstrationen können jedoch Aktivisten des NSAW zugeschrieben werden. Sie wurden überwiegend von dem Leiter der THS-Sektion Eisenach initiiert und angemeldet. Als Veranstalter benannte dieser Aktivist jeweils Einzelpersonen bzw. fiktive Strukturen (Bürgerinitiativen). Demonstration für "Wahrung der Grundrechte in Deutschland" am 03. März in Sonneberg Die "Bürgerinitiative für die Wahrung der Grundrechte in Deutschland", die zuvor nicht in Erscheinung getreten war, organisierte für den 03. März in Sonneberg einen Aufzug mit Abschlusskundgebung. Die Aktion stand unter dem Motto: "Stoppt die Repression gegen den nationalen Widerstand". Ein Eisenacher Neonazi meldete die Veranstaltung, an der etwa 200 Personen des rechten Spektrums teilnahmen, an und übernahm ihre Leitung. Bereits im Vorfeld und während der Demonstration nahm die Polizei wegen Verwendung von Kennzeichen 29 verfassungswidriger Organisationen und wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz (Vermummung) gegen verschiedene Teilnehmer Ermittlungen auf. Die Rede der Abschlusskundgebung hielt ein bekannter Neonazi aus Nordrhein-Westfalen. Demonstration der "Bürgerinitiative Deutsches Eisenach" am 17. März in Eisenach Am 17. März führte eine "Bürgerinitiative Deutsches Eisenach" in Eisenach eine Demonstration durch, die unter dem Motto: "Schluß mit der linken Nestbeschmutzung - Gleiches Recht für alle" stand. Vor rund 130 Demonstrationsteilnehmern traten ein namhafter Neonazi aus -Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein sowie der Sektionsleiter der Sektion Eisenach des THS als Redner auf. Gegen den Aufmarsch der rechtsextremistischen Bürgerinitiative protestierten ca. 300 Personen. Drei Gegendemonstranten aus dem linken Spektrum wurden vorläufig festgenommen, darüber hinaus sprach die Polizei 70 Platzverweise aus. Flugblattaktion in Gotha Am 12. und 13. April fanden sich in Gothaer Briefkästen Handzettel, auf denen die Einführung der "Todesstrafe für Kinderschänder" gefordert wurde. Auf den Flugblättern war unter anderem das "Nationale und Soziale Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW) als Verantwortlicher vermerkt. Demonstration am 28. Juli in Gotha Am 28. Juli fand in Gotha eine rechtsextremistische Demonstration unter dem Motto: "Gegen Sozialabbau und Globalisierung-Heimat statt Standort Deutschland" statt. Veranstalter dieser Kundgebung war eine "Bürgerinitiative gegen Sozialabbau". Als Veranstaltungsleiter fungierte zum wiederholten Male unter anderem der Leiter der Sektion Eisenach des THS. An der Demonstration nahmen etwa 250 Personen teil, die hauptsächlich aus Thüringen kamen. Sie führten Transparente und Fahnen - darunter auch die Fahne der NPD - mit sich. Als Redner traten drei Rechtsextremisten aus Hamburg, Niedersachsen und Bayern auf. Der Hamburger Neonazi Christian Worch thematisierte unter anderem die derzeitige Staatsverschuldung und die Abwertung der D-Mark, übte deutliche Kritik an der amtierenden Bundesregierung und forderte deren Absetzung. Er erklärte allen Globalisierungstendenzen eine deutliche Absage, da eine derartige Politik Deutschland nur schaden würde. Worch führte aus, dass die Globalisierungspolitik für das deutsche Volk im Chaos enden würde; daher gelte für ihn das Motto: "Gegen das System und Kapital wir bleiben national". Die Rede des Niedersächsischen Rechtsextremisten Dieter Riefling war ebenfalls von Ablehnung der Globalisierungspolitik gekennzeichnet. Er sprach sich gegen Arbeitskräfte aus Billiglohnländern, die immer häufiger in Deutschland anzutreffen seien, aus und verlangte eine starke Opposition aus "fleißigen, treuen und ehrlichen Deutschen im eigenen Land". Abschließend forderte er die "Errichtung des Sozialismus der nationalen Art in Deutschland". Auf der Abschlusskundgebung äußerte sich ebenfalls der bayerische Rechtsextremist Gerhard itischen Globalisierung und lehnte in diesem Zusammenhang die EU-Mitgliedschaft der Bundesrepublik ausdrücklich ab. Darüber hinaus skandierte er mehrfach die Parole: "Deutschland den Deutschen - Wir sind das Volk". Am Ende seiner Rede führte er aus, dass Bundeskanzler Gerhard Schröder nach deutschem Recht eigentlich als Kriegsverbrecher zu bezeichnen sei. Er schloss seinen Redebeitrag mit der Parole: "Wir sind das Volk Nein zum System 30 Deutschland den Deutschen Freiheit Volksgenossen Vorwärts, aufwärts Hin zum Sieg Heil dem Volk! Heil dem Reich! Heil Deutschland!". Gedenkveranstaltung anläßlich des 14. Todestages von Rudolf Heß Rudolf Heß (1894 - 1987) nahm als Stellvertreter des "Führers" nach Hitler und Göring den dritten Rang in der NS-Parteihierarchie ein. Bis zu seinem Tod im Jahre 1987 saß er im Alliierten Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau ein. Rechtsextremistische Gruppen versuchten seitdem immer wieder, Rudolf Heß anlässlich seines Todestages zum "Märtyrer der auf diese Weise wenigstens einen einigenden Identifikationsfaktor in der zersplitterten Szene zu etablieren. Bereits die letztjährigen Heß-Aktionen zeigten jedoch, dass Rudolf Heß als Integrationsfigur der Neonaziszene zunehmend an Bedeutung verliert. So gab es auch 2001 kein überregionales "Heß-Aktionskomitee", das eine zentrale "Gedenkveranstaltung" in der Bundesrepublik hätte organisieren können. Dennoch war damit zu rechnen, dass Rechtsextremisten den 17. August nutzen würden, sich zum Anlass des 14. Todestages des Hitler-Stellvertreters medienwirksam in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Im Zuge der Heß-Kampagne des Jahres 2001 warben die "Thüringer Aktionsgruppen für Rudolf Heß" im Internet um Unterstützung für den "Kampf um Wahrheit und Gerechtigkeit um und für Rudolf Heß". Laut Selbstdarstellung wurden die "Thüringer Aktionsgruppen für Rudolf Heß" auf Eigeninitiative eines "Thüringer Aktivisten" in das Leben gerufen. Als Kontaktadresse war auf der entsprechenden Internetseite die Funktelefonnummer eines Eisenacher Neonazis angegeben. Ebenfalls per Internet rief der bekannte Hamburger Rechtsanwalt und Rechtsextremist Jürgen Rieger für den 18. August zu einer Gedenkkundgebung mit Trauermarsch in Wunsiedel (Bayern) auf. Als Redner sollten Rieger und der Sohn von Rudolf Heß, Wolf-Rüdiger HEß auftreten. Seitens der THS-Sektion Eisenach (NSAW) wurde im Vorfeld auf diese Veranstaltung hingewiesen. Nachdem die von Jürgen Rieger angemeldete Veranstaltung zunächst verboten worden war, legte dieser mit Erfolg Rechtsmittel gegen den Verbotsbescheid des Landratsamtes Wunsiedel ein, so dass der Trauermarsch anlässlich des Heß-Todestages schließlich stattfinden konnte. Der Aufzug begann mit einer Ansprache des Versammlungsleiters Rieger, in deren Verlauf auch ein Grußwort des krankheitsbedingt abwesenden Heß-Sohnes Wolf-Rüdiger HEß verlesen wurde. Anschließend bewegte sich die Demonstration auf einer vorgegebenen Strecke durch das Stadtgebiet Wunsiedels. Während des Marsches wurde Trauermusik abgespielt, Parolen wurden hingegen nicht skandiert. Die Reden der Schlusskundgebung hielten Rieger und der Hamburger Neonazi Christian Worch. An der Heß-Gedenkkundgebung nahmen rund 800 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet, unter ihnen auch einige Thüringer, teil. Die eigentliche Veranstaltung verlief ohne besondere Vorkommnisse, im Rahmen der Vorkontrolle wurden allerdings drei Verstöße gegen SS 86a Strafgesetzbuch (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), sowie drei Verstöße gegen das Versammlungsgesetz festgestellt. Insgesamt kam es zu 14 Festnahmen von Personen aus dem rechten sowie zu zwei Festnahmen von Personen aus dem linken Spektrum. 31 Am 19. August meldete Rieger per Fax beim Landratsamt Wunsiedel eine von nun an bis zum Jahre 2010 jährlich stattfindende Gedenkkundgebung für Rudolf Heß an. Sonstige Heß-Gedenk-Aktionen in Thüringen In der Nacht vom 14. zum 15. August wurde am Denkmal Ernst des Frommen in Gotha ein Kranz niedergelegt. Die Kranzschleife trug die Aufschrift: "Rudolf HESS Märtyrer des Friedens Thüringer Aktionsgruppen für Rudolf HESS". (Schreibweise übernommen) In einer Pressemitteilung zeichneten "freie Nationalisten" der "Thüringer Aktionsgruppen für Rudolf Heß" für die Aktion verantwortlich. Am 18. August sammelten sich in Gotha circa 20 Personen, die ein Transparent mit HeßBezug mitführten und Heß-Parolen anstimmten. Die Aktion dauerte nur wenige Minuten. Darüber hinaus gab es - wie auch in den Vorjahren - zahlreiche Klebebzw. Flugblattaktionen zum Thema Heß. Großdemonstration von Neonazis am 1. September in Leipzig (Sachsen) Am 1. September demonstrierten rund 2000 Rechtsextremisten unter dem Motto "1. September - damals wie heute: Für Freiheit, Frieden und Selbstbestimmung!" in Leipzig. Die ursprünglich für den 1. September in Weimar angemeldete Demonstration der NPD wurde von Frank Schwerdt, dem NPD-Bundesgeschäftsführer und Thüringer NPD-Landesvorsitzenden, abgesagt. Zur Teilnahme an der Veranstaltung mobilisierte unter anderem das dem THS zuzurechnende "Nationale und Soziale Aktionsbündnis Westthüringen" auf seiner Homepage. Hier war auch die Mobilfunknummer eines Eisenacher Neonazis als Kontaktnummer angegeben. Dem THS zuzurechnende Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene Eisenachs Ein "gewalttätiger Überfall", den so genannte "Russlanddeutsche" in der Nacht vom 28. zum 29. September auf eine Gruppe "nationaler Jugendlicher" in Eisenach verübt haben sollen, bot offensichtlich Anlass für eine Reihe von Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene Eisenachs. Dieser angebliche Vorfall wurde ausdrücklich herangezogen, um eine für den 13. Oktober geplante Demonstration zu begründen. Geplante Demonstration am 13. Oktober in Eisenach Unter dem Motto: "Gegen Ausländergewalt-Mehr Schutz für deutsche Opfer" meldete ein Eisenacher Neonazi für den 13. Oktober eine Demonstration in Eisenach an. Als Veranstalter wurde eine "Bürgerinitiative für die Wahrung der Grundrechte in Deutschland" angegeben. Zwei bekannte Rechtsextremisten waren als Redner für die Kundgebung vorgesehen, zu der etwa 100 bis 150 Teilnehmer erwartet wurden. 32 In einem Internet-Beitrag wurde das ursprünglich gewählte Motto der Veranstaltung jedoch am 8. Oktober geändert: "Deutsches Blut gehört zusammen - Keine Konflikte im eigenen Volk". "Nach ideologischer Auseinandersetzung mit dem alten Aufruf erklären wir diesen für politisch nicht sinnvoll und falsch", hieß es dazu. Zur Erläuterung wiesen die Veranstalter unter anderem mit folgenden Aussagen auf die Problematik von Minderheiten hin: Deutsche Minderheiten - sowohl Deutschstämmige aus den früheren GUS-Staaten als auch Angehörige des nationalen Widerstandes - müssten in ihrem Heimatland geschützt werden. Die meisten Aussiedler seien keine Ausländer, sondern abstammungsbedingt "Zugehörige des deutschen Volkes". Hier bestünde politischer Aufklärungsbedarf. Gewalt sei kein Mittel zur Bewältigung von Konflikten - was auch mit dieser Demonstration verdeutlicht werden solle. Die Demonstration wurde durch die Stadt Eisenach untersagt. Nach einem Rechtsstreit, der sich über mehrere Instanzen erstreckte, sah sich der Veranstalter schließlich gezwungen, dieses Verbot zu befolgen. Am 13. Oktober nahm Christian Worch im Internet zu dieser rechtlichen Auseinandersetzung Stellung. Er empfahl, Kundgebungen künftig nur noch unter dem "privaten bürgerlichen Namen" des Veranstalters anzumelden und fiktive Organisation wie Bürgerinitiativen o. ä. höchstens als Nebenanmelder zu benennen. WORCH reagierte damit auf den Untersagungsbeschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichtes, das in letzter Instanz zur Begründung seines Urteils unter anderem auf die fehlenden Organisationsstrukturen der anmeldenden "Bürgerinitiative" verwiesen hatte. Demonstration am 20. Oktober in Eisenach Für den 20. Oktober meldete ein bekannter Rechtsextremist in Eisenach eine weitere Demonstration an. Das Motto: "Deutsches Blut gehört zusammen - Keine Konflikte im eigenen Volk" entsprach der Losung der für den 13. Oktober geplanten und verbotenen Demonstration. Auf der Kundgebung, zu der 100-150 Teilnehmer erwartet wurden, sollten zwei bekannte Rechtsextremisten, darunter Christian Worch, als Redner auftreten. Gegen ein von der Stadt Eisenach am 16. Oktober ausgesprochenes Kundgebungsverbot legte der Anmelder erfolgreich Rechtsmittel ein, so dass die Demonstration schließlich zum angemeldeten Termin stattfand. Als die Teilnehmer die Parole "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" anstimmten, wurde sie von der Polizei aufgelöst. Dem widersetzten sich die letztlich 70 Demonstranten durch eine Sitzblockade, woraufhin alle vorläufig festgenommen wurden. Mahnwachen in Eisenach Am 6. Oktober fand eine Mahnwache statt, nachdem die Veranstalter gegen ein zuvor ausgesprochenes Kundgebungsverbot erfolgreich Rechtsmittel eingelegt hatten. Die Aktion, an der 15 Personen teilnahmen, verlief störungsfrei. Am 18. November meldete eine in Eisenach wohnende Frau eine Mahnwache für den 23. November in Eisenach an. Das Motto der Kundgebung lautete: "Stoppt die USBombardements in Afghanistan". Die Eisenacherin trat sowohl als Veranstalterin als auch als Versammlungsleiterin auf; als Stellvertreter benannte sie einen bekannten Rechtsextremisten. Die Mahnwache wurde jedoch durch die Stadt Eisenach verboten. Der Widerspruch, den die Veranstalterin gegen diesen Bescheid einlegte, blieb erfolglos. 33 Dennoch fanden sich einige Rechtsextremisten zum geplanten Termin am vorgesehenen Veranstaltungsort ein. Ein Teilnehmer führte ein Transparent mit der Aufschrift: "Wollt ihr den totalen Krieg? - Wir nicht" mit sich und wurde daraufhin vorl tgenommen. 5. Skinheads Entstehung der Subkultur und Erscheinungsbild Die Wurzeln der Skinheadbewegung liegen in Großbritannien. Sie bildete sich dort Ende der 60er Jahre in den Arbeitergegenden der Großstädte zunächst als eine unpolitische Gegenbewegung zu den Hippies und der jugendlichen Subkultur der sogenannten Modernists, auch kurz "Mods" genannt. Diese erste Skinheadbewegung ebbte zu Beginn der 70er Jahre vorübergehend ab. Erst ab etwa 1977 wurden ihre Kleidung, ihre Musik und ihr Verhalten wieder von Jugendlichen aufgegriffen und kopiert. Im Unterschied zu vorher wurden aber nun aufgrund steigender sozialer Probleme Teile der Bewegung politisch aktiv. Ende der 70er Jahre drang die Skinhead-Bewegung auch in den alten Bundesländern vor. Anders als in Großbritannien, wo die soziale Not für die Entwicklung der Skinheads ausschlaggebend war, lag die Ursache für das Entstehen der westdeutschen Skinhead-Szene jedoch in der Auflehnung einiger Jugendlicher gegen vermeintliche gesellschaftliche Mißstände. Schon bald richteten sich gewalttätige Aktionen - zumeist nach Alkoholexzessen - gegen die Feindbilder "Ausländer" und "Linke". Der größte Teil der Szene übernahm in diesem Zusammenhang rechtsextremistisches Gedankengut, das sich fortan zum grundlegenden Bestandteil ihres Selbstverständnisses entwickelte. Auch in der ehemaligen DDR entstand in der ersten Hälfte der 80er Jahre eine SkinheadSzene. So entwickelten sich in verschiedenen ostdeutschen Großstädten ab etwa 1980 aus den Reihen jugendlicher Rowdies und Hooligans Gruppen, deren grundsätzliche Oppositionshaltung zum SED-Staat sich in der Übernahme des typischen Skinhead-Outfits äußerte. Diese Jugendcliquen wiesen bereits deutliche Bezüge zum Rechtsextremismus auf und machten sehr bald durch Gewalttaten auf sich aufmerksam. Der spektakulärste Vorfall war wohl in diesem Zusammenhang der Überfall von Skinheads auf ein Punk-Konzert in der Zionskirche in Ostberlin am 17. Oktober 1987, bei dem die Täter mit außerordentlicher Brutalität vorgingen30 . Mit der Wiedervereinigung Deutschlands kam es bei Konzerten und anderen Veranstaltungen erstmals zu breiten Kontakten von Skinheads aus Ost und West. In der Folge entwickelte sich eine zunehmend diffuser werdende gesamtdeutsche Skinhead-Subkultur, die sich mehr und mehr politisierte. Parallel hierzu erhöhte sich auch die Gewaltbereitschaft der Szene beträchtlich, so dass mittlerweile der weitaus größte Teil der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten von Skinheads ausgeht. Besonders hoch ist das Personenpotenzial der rechtsextremistischen Skinhead-Szene in Ostdeutschland. Bei einem Bevölkerungsanteil der ostdeutschen Bundesländer von rund 21% lebt über die Hälfte der rechtsextremistischen Skinheads in der Bundesrepublik in den neuen Bundesländern. 30 Vgl. hierzu Farin, Klaus; Seidel-Pielen, Eberhard: Krieg in den Städten; Berlin 1991, S. 67. 34 Die Weltanschauung der Skinheads ist heterogen, sie verschmilzt Elemente wie Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Ihre Einstellung offenbart sich in der Verachtung von Ausländern, Juden, Andersdenkenden oder so genannten "Undeutschen", zu denen z. B. Obdachlose und Homosexuelle gezählt werden. Großen Einfluß bei der Verfestigung dieser Gesinnung zum szenespezifischen Allgemeingut übten die ab Mitte der 80er Jahre in der Bundesrepublik aufkommenden Skinbands aus. Sie verarbeiteten in ihren Liedtexten zunehmend rechtsextremistisches Gedankengut, das weite Teile der Skinheadbewegung dazu brachte, "farbige Rassen" strikt abzulehnen und nur den -arischen Rassen" eine Existenzberechtigung zuzugestehen. Etwa zur gleichen Zeit wurden auch erste Fanzines31 als szeneinternes Kommunikationsmittel publiziert. Erscheinungsbild Skinheads drücken ihre Ablehnung gegen Staat und Gesellschaft besonders augenfällig durch ihr äußeres Erscheinungsbild, das heißt: martialische und uniformähnliche Kleidung, kahlrasierte Köpfe ("Glatzen"), Springerstiefel (auch schwere, manchmal mit Stahlkappen versehene Arbeitsschuhe) und Bomberjacken (meist grün, blau oder schwarz), aus. Dieses Outfit allein ist jedoch noch kein Beleg für eine Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Skinheadszene. Die simple Gleichung: "Glatze+Springerstiefel+Bomberjacke =Skinhead" gilt daher genau wie die Gleichung: "Skinhead=Rechtsextremist" nicht in jedem Falle. Strömungen innerhalb der Szene Innerhalb der Skinheadszene lassen sich verschiedene Strömungen voneinander unterscheiden, so zum Beispiel "Boneheads", "Hammerskins", "White-Power-Skins" usw. Der Begriff "Bonehead" steht für den harten, militanten Kern der rechtsextremistischen Skinhead-Bewegung32 . Die "Hammerskins" sind eine aus den USA stammende Bewegung, die 1986 gegründet wurde. Sie vertreten rassistisches und in Anklängen nationalsozialistisches Gedankengut. Ihr Erkennungsmerkmal sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer in einer Raute. Ein "White-Power-Skin" ist meist fremdenfeindlich und antisemitisch eingestellt. Er trägt an seiner Jacke für gewöhnlich eine weiße Faust, das Emblem der "White-Power-Bewegung", die sich für eine "ethnisch reine Rasse der Weißen" einsetzt. Darüber hinaus gibt es noch die so genannten "Fascho-Skins". So werden in der Szene nationalistische Skinheads oder Skinhead-Sympathisanten bezeichnet, die durch ihren "Scheitel" auffallen, d.h. durch kurzgeschnittene Haare mit Seitenscheitel. Abseits dieser Szene gibt es auch durchaus unpolitische Skinheads. Diese suchen ebenfalls den Rückhalt in der Gruppe und neigen bei Zusammenkünften zu Alkoholexzessen und zu Gewaltausbrüchen, denen jedoch zumeist die politische Motivation fehlt. Auch politisch eher links orientierte Skinheads, wie z.B. die antirassistischen "Sharp-Skins" oder "Redskins", kommen in der Szene vor. 31 Kunstwort, das sich aus dem engl. "Fan" und "Magazine" zusammensetzt und neben der einschlägigen Musik einen weiteren bedeutenden Kommunikationsfaktor innerhalb der Skin-Szene darstellt. 32 Von der "linken" Szene werden diese auch als "Nazi-Skins" bezeichnet. Zu ihren Kennzeichen gehören häufig eintätowierte NS-Symbole. 35 Weibliche Skinheads spielen in der traditionell von Männern geprägten und beherrschten rechtsextremistischen Szene eine eher unbedeutende Rolle. Die Frauen in der Skinheadszene werden als "Renee" bzw. "Skingirl" bezeichnet und haben am Hinterkopf geschorenes Haar sowie im Stirnbereich meist einen Strang längeren Deckhaares. Die sehr jungen "Mitläufer" der Szene, die zum Teil jünger als 16 Jahre, im Einzelfall sogar unter 14 Jahre alt sind, nennt man "Babyskins". Sie werden häufig von den älteren Skins ("Altglatzen") zu rechtsextremistischen Straftaten angestiftet. Strukturen der Skinheadszene Ab Mitte der 90er Jahre ließen sich in Deutschland erste Organisationsansätze in der bislang strukturlosen Skinheadszene feststellen. So gab es seit 1995 in der Bundesrepublik eine deutsche "Division" der in Großbritannien -Bewegung. Das Ziel dieser Bewegung ist es, auf internationaler Ebene eine autonome Struktur für die Skinheadszene zu schaffen. Um die Szene durch das Medium Musik ideologisch zu beeinflussen, richtet die "B&H"-Bewegung ihren Tätigkeitsschwerpunkt auf die Organisation von Partys und Konzerten, insbesondere mit nationalistischen und rassistischen Bands. Ende des Jahres 1997 gründete sich in Thüringen die bundesweite "B&H"Jugendorganisation "White Youth", deren Ziel es war, jüngere Szeneangehörige zu organisieren und an ältere Kameraden zu binden. Die Organisation von Konzerten und Partys in Zusammenarbeit mit der B&H-Sektion Thüringen standen im Mittelpunkt der Aktivitäten der Am 12. September 2000 verbot das Bundesministerium des Innern die deutsche Division der Skinhead-Gruppierung "Blood&Honour" sowie deren Jugendorganisation "White Youth". Beide Vereinigungen richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken Zum Zeitpunkt des Verbotes gehörten etwa 200 Personen in 15 Sektionen - darunter auch eine thüringische - der "Blood&Honour"-Division Deutschland an. Zudem gab es bundesweit rund 50 "White Youth"-Mitglieder. Am 13. Juni wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage des früheren Bereichsleiters "Mitteldeutschland" der Skinheadorganisation "Blood&Honour" sowie des ehemaligen Leiters von "White Youth" gegen das vereinsrechtliche Verbot der beiden Organisationen als unzulässig ab. Damit wurden die Vereinsverbote rechtskräftig. Über Strukturen verfügen auch die sog. "Hammerskins". Diese auf internationaler Ebene aktive Bewegung ist seit Mitte der 90er Jahre auch in Deutschland vertreten. Die Bewegung versteht sich als Elite innerhalb der Skinszene und verfolgt das Ziel, alle "weißen, nationalen -Nation" zu vereinigen. Weit überwiegend lehnt die rechtsextremistische Skinheadszene, deren n- gen auf etwa 350 Personen beläuft, jedoch eine Einbindung in feste und auf Dauer angelegte Organisationsstrukturen weitgehend ab. Rechtsextremistische Parteien, wie DVU und REP, stehen den Skinheads zudem mit Vorbehalten gegenüber. Für die NPD/JN und die Neonazis hingegen ist die Skinheadszene insbesondere bei Demonstrationen ein ergiebiges Mobilisierungspotenzial. So werden Skinheads oftmals auch als Ordner bei derartigen Veranstaltungen eingesetzt. Für die Motivation der Skinheads, sich in derartige Aktivitäten einbinden zu lassen, spielen auch der gebotene Aktionismus und die 36 artige Aktivitäten einbinden zu lassen, spielen auch der gebotene Aktionismus und die erwartete Konfrontation mit Gegendemonstranten eine nicht unwesentliche Rolle. Entgegen der früher bestehenden Abgrenzung zwischen der Neonaziund der Skinheadszene bewegen sich heute beide Szenen aufeinander zu. Die Gründe hierfür liegen zum einen in den offenen Strukturen der Neonazis, die in "unabhängigen Kameradschaften" agieren und damit der Organisationsunwilligkeit vieler Skinheads entgegenkommen. Zum anderen tragen auch Strukturierungsversuche wie "Blood & Honour" oder "Hammerskin" zur steigenden Politisierung und damit zur Annäherung der Skinheadan die Neonaziszene bei. Ein Beispiel für diese auch in Thüringen zu beobachtende Entwicklung ist der dem a- len und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW) zuzurechnende "Skinhead Club Friedrichroda", der seit Januar mit einer Kontaktadresse auf der Website des NSAW aufgeführt ist und bereits mehrfach öffentlich in Erscheinung trat. Skinhead-Konzerte Skinhead-Musik und -Konzerte sind entscheidende Elemente, um die Szene zusammenzuhalten. So bieten die oft als überregionale Treffen organisierten Konzerte die Möglichkeit, Informationen auszutauschen und Kontakte zu pflegen. Häufig werden am Rande der Konzerte durch Skinhead-Vertriebe oder Einzelpersonen auch szenetypische Artikel wie SkinheadBekleidung, Tonträger und Fanzines verkauft. Die Veranstaltungswerbung findet meistens über Telefonketten, per SMS, über Mailinglisten im Internet und Mundpropaganda statt. Den Teilnehmern ist in der Regel nur ein Vorabtreffpunkt bekannt, von dem aus sie zum eigentlichen Veranstaltungsort weitergeleitet werden. Die Szene reagiert mit diesem hohen Maß an Konspiration bei der Vorbereitung von Skinhead-Konzerten auf das restriktive Vorgehen der Behörden in den letzten Jahren, durch das die Durchführung derartiger Veranstaltungen in vielen Fällen bereits im Vorfeld erfolgreich unterbunden werden konnte. Das Gemeinschaftsgefühl, das die Konzerte stiften, und die harten und aggressiven Rhythmen der Skinhead-Musik fördern bei bisher noch unpolitischen Jugendlichen oftmals den Einstieg in die rechtsextremistische Szene. Konzerte mit ausländischen Bands haben in der Szene einen relativ hohen Stellenwert, da diese Gruppen ihre rassistische und antisemitische Einstellung in den Texten ihrer Lieder häufig offener als deutsche Bands propagieren. Die Anzahl der Skinhead-Konzerte in der Bundesrepublik blieb 2001 mit 80 Veranstaltungen gegenüber dem Vorjahr im Wesentlichen unverändert (2000: 82). Skinhead-Konzerte in Thüringen In Thüringen fanden 2001 insgesamt fünf (2000: 1; 1999: 11; 1998: 17) Skinhead-Konzerte statt. Ein Konzert wurde durch die Polizei aufgelöst. Am 17. März fand in Sonneberg ein Konzert mit den Bands "Sturmangriff" (Sonneberg/ Thüringen), "Blutorden" (Saalfeld/Thüringen) und "Frontalkraft" (Cottbus/Brandenburg) statt. 37 Mitglieder der Band "Sturmangriff" hatten dazu circa 70 bis 80 Angehörige der rechtsextremistischen Szene überwiegend aus Thüringen und Bayern eingeladen. Am 12. Mai fand in Altenburg im Rahmen einer als Geburtstagsfeier bezeichneten Veranstaltung ein Skinhead-Konzert mit rund 100 Teilnehmern statt. Bei der Veranstaltung spielten unter anderem die Altenburger Bands "Kreuzfeuer" und "Wewe Darüber hinaus fand in Altenburg am 16. Juni 2001 auch ein weiteres Skin-Konzert statt, zu dem rund 100 Personen erschienen. Bei der als "Grillparty" deklarierten Veranstaltung traten die Bands "Blitzkrieg" (Sachsen), "Confident of Victory" (Brandenburg) und "Wewelsburg" auf. Die Polizei stellte am Veranstaltungsort Fahrzeuge aus Thüringen, Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz und Sachsen fest. Am 01. Dezember fand in Gera-Rusitz ein Skinhead-Konzert mit etwa 50-60 Teilnehmern statt. Bei dem Konzert traten die Skin-Bands "Eugenik" aus Gera und "Blutstahl" aus Jena auf. Am 07. Dezember fand in Erfurt-Möbisburg ein als Geburtstagsfeier deklariertes SkinheadKonzert mit der Geraer Band "Eugenik" statt. Die Polizei stellte bei dem Konzert die Identität von 65 Personen fest. Ein Teilnehmer wurde wegen Verstoß gegen SS 86a StGB (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) vorläufig festgenommen. Am 29. Dezember löste die Polizei in Gera-Rusitz ein Skinhead-Konzert auf. Im Rahmen dieser Maßnahme überprüften die beteiligten Polizeikräfte die Identität von 155 überwiegend aus Thüringen und Bayern stammenden Personen und sprachen diverse Platzverweise aus. Gegen den Veranstalter und einen Mitorganisator wurden Verfahren wegen Verstoß gegen das Ordnungsbehördengesetz eingeleitet, da das Konzert nicht angemeldet war. 12 Personen nahm die Polizei vorübergehend fest, fünf weitere Personen unter 18 Jahren wurden in Polizeigewahrsam genommen. Drei Konzertbesucher leisteten Widerstand gegen die Polizeibeamten. Gegen zwei weitere Personen erstattete die Polizei Anzeigen wegen Tragens von Symbolen verfassungswidriger Organisationen. Reaktion der Szene auf restriktives Vorgehen der Thüringer Behörden gegen Skin-Konzerte: Ausweichen auf andere Bundesländer Auch im Jahr 2001 besuchten Thüringer Skinheads Konzerte außerhalb Thüringens, insbesondere in den angrenzenden Bundesländern. Am 09. März fand in Bergisdorf (Sachsen-Anhalt) ein Konzert mit 200 Teilnehmern überwiegend aus den Bundesländern Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen statt. Hierbei spielten die Bands "Max Resist" (USA), "Intimidation One" (USA) und "Confident of Victory" (ehemals "Sturm & Drang" aus Brandenburg). Ein darüber hinaus geplanter Auftritt der Altenburger Skinhead-Band "Wewelsburg" wurde aufgrund der Auflösung des Konzertes durch die Polizei unterbunden. Die Konzertteilnehmer erhielten Platzverweise. Bei der Auflösung eines Skin-Konzertes am 09. Juni in einem Waldgebiet bei Martinsrieth (Sachsen-Anhalt) traf die Polizei auf massiven Widerstand eines erheblichen Teiles der 300 Teilnehmer, die den Beamten Steine und Flaschen entgegen schleuderten. 58 Gewalttäter, darunter auch Skinheads aus Thüringen, wurden vorläufig festgenommen. 38 Auf den Internetseiten des "Thüringer Heimatschutz" und des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Westthüringen" wurde die Auflösung des Konzertes als "eindeutiger Missbrauch der politischen Staatsmacht" gewertet. Skinhead-Bands Erstmalig wurde im Jahre 2001 durch den Generalbundesanwalt gegen eine rechtsextremistische Skinhead-Band wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt. Im Zeitraum vom 30. September bis 5. Oktober nahm die Polizei vier Mitglieder der Berliner Band "Landser" sowie einen Vertreiber bzw. Produzent der Tonträger fest. Gegen alle fünf Personen wurde Haftbefehl erlassen. Im Rahmen der Maßnahmen durchsuchte die Polizei zudem über 20 Objekte in Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Hierbei wurde umfangreiches Beweismaterial zur Bandstruktur sowie zur Herstellung und zum Vertrieb der "Landser"-CD's beschlagnahmt. Kurz danach wurden innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Deutschland Solidaritätsaufrufe für die Band verbreitet. So wurde unter anderem auf der Website des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW) auf das "offizielle LandserSolidaritätskonto" hingewiesen. Die seit 1992 existierende Skinhead-Band "Landser" veröffentlichte mehrere indizierte Tonträger mit strafbaren Inhalten. Dem Selbstverständnis ihrer Mitglieder zufolge will die Gruppe den "Soundtrack zur arischen Revolution" liefern. In ihren Musikstücken ruft "Landser" dazu auf, schwere Straftaten gegen Ausländer, Juden und politisch Andersdenkende zu begehen. Im Jahr 2001 traten folgende Thüringer Skinhead-Bands, insbesondere durch Auftritte bei Konzerten, in Erscheinung: "Blutorden" (vormals "Saalepiraten"), Saalfeld "Blutstahl" (vormals "Division Wiking"), Jena "Eugenik" (frühere Schreibweise: "Oigenik"), Gera "Kampfgeschwader", Gotha "Kreuzfeuer" (frühere Schreibweise: "Kroizfoier"), Altenburg "Radikahl", Weimar "Sturmangriff" (vormals "Volksverhetzer"), Sonneberg "Wewelsburg", Altenburg "Protest", Gera (vormals "Order of Purity") Am 20. Februar wurden die Wohnungen der Bandmitglieder von "Eugenik" im Rahmen eines Ermittlungsverfahren wegen Verbreitens von Propagandamitteln und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie Verleumdung durchsucht. Bei der Durchsuchung wurden mehrere Computer sichergestellt. Ausgangspunkt für diese polizeiliche Maßnahme war eine Anzeige einer Brauerei. Die Band hatte auf ihrer Website mit dem Logo der Brauerei geworben und diese als Unterstützer ihrer Aktivitäten dargestellt. Zudem waren über dem Hinweis auf die Brauerei die Zahlen "14" und "88" abgebildet33 . 33 Die Zahl 14 wird in Anlehnung an die "14 words" des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane verwendet: "We must secure the existence of our people and a future for white children". Dies bedeutet übersetzt: "Wir müssen das Leben unserer Rasse und eine Zukunft für unseren weißen Kinder sichern". Die Zahl 88 verwenden Rechtsextremisten als Synonym für die Parole "Heil Hitler". Die Zahl 8 steht in diesem Falle für H, den achten Buchstaben des Alphabets. Die Zahl 88 entspricht somit HH oder: "Heil Hitler". 39 Ende April wurde die Website der Skinhead-Band "Eugenik" durch eine eigene Radiosendung ergänzt. Neben kurzen Ansagen der Moderatoren enthielt diese erste Sendung von "Radio Rübezahl" überwiegend Musiktitel aus dem Skinheadund Black-Metal-Bereich. Am 07. August führte die Polizei im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachtes auf Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung bei den Mitgliedern der Gothaer Skinhead-Band "Kampfgeschwader" Durchsuchungen durch. Neben umfangreichem Diebesgut wurden CD's und Propagandamaterial verfassungsfeindlicher Organisationen sichergestellt. Grundlage für das Verfahren war die von der Band herausgegebene CD "Skinheads Thüringen", die im Februar 2000 bei einer Durchsuchung in Gotha sichergestellt wurde. Auf dem Cover der CD sind Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen abgebildet. Die Liedtexte sind zum Teil volksverhetzend und gewaltverherrlichend. Die im Jahresbericht 2000 genannten Bands "Dragoner" (Weimar), "Hate Face" (Erfurt), "Law & Order" (Gera), "Normannen" (Altenburg) und "Protest" (Gera) sind im Jahr 2001 nicht in Erscheinung getreten. Vertrieb von Skinhead-Material Die Verbreitung von Skinhead-Material, wie Tonträger, Fanzines und szenetypische Kleidung, erfolgt über szeneinterne Vertriebe und über den Verkauf bei Konzerten. Im Zusammenhang mit diesen Verkaufsaktivitäten steigt auch die Bedeutung des Internet, mit dem ein erheblich größerer "Kundenkreis" erreicht werden kann, immer mehr. Die Anbieter nutzen die hiermit verbundenen technischen Möglichkeiten, um ihr Angebot auf innovativem Wege, beispielsweise durch Hörproben usw., darzustellen. Websites, die rechtsextremistische Musik als Sounddatei zum Herunterladen anbieten, ermöglichen es dem Nutzer, mit geringem Aufwand CDs selbst herzustellen. Die Unterbindung der Verbreitung strafbarer rechtsextremistischer Skinhead-Musik wird dadurch erheblich erschwert. Ende 2000 leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren gegen die Betreiber des Geraer Internet-Versandhandels "Aufruhr-Versand" ein. Anlass hierfür waren die vom "AufruhrVersand" angebotenen CDs des rechtsextremistischen Liedermachers Frank Rennicke. Zu diesen CDs liegt ein richterlicher Beschlagnahmebeschluss aus dem Jahr 1998 vor. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens führte die Polizei am 20. Februar bei den beiden Betreibern des Versandes Durchsuchungen durch, in deren Verlauf sie Versandunterlagen, Tonträger, Disketten, CD-ROMs und Computer sicherstellte. Vom 03. bis 05. April führte die Polizei bundesweite Durchsuchungsmaßnahmen bei Internetnutzern der Musiktauschbörse "Napster" wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Gewaltdarstellung durch. Durch Recherchen im Internet hatte das Bundeskriminalamt zuvor 120 "Napster"-Nutzer festgestellt, die strafrechtlich relevante rechtsextremistische Musikdateien bekannter Skinhead-Bands zur Verbreitung anboten. In Thüringen stellte die Polizei bei drei Personen im Raum Mühlhausen und Gera unter anderem PC's, CD's und Disketten sicher. 40 Exkurs: Rechtsextremistische Liederund Balladenabende Neben dem Besuch von Skinhead-Konzerten finden auch die rechtsextremistischen Liederund Balladenabende in Skinheadkreisen Anklang. Zum Teil gehören diese Liederabende zum Rahmenprogramm anderer rechtsextremistischer Veranstaltungen. Insbesondere die NPD und die JN versuchen auf diese Weise, ihre Attraktivität für Skinheads zu steigern. Die musikalische Qualität der bei solchen Gelegenheiten dargebotenen Stücke liegt im Vergleich zur primitiven Skin-Musik deutlich "höher", d. h. Inhalte und Melodien sind eingängiger. Die Zahl der bundesweit durchgeführten rechtsextremistischen Liederund Balladenabende ist mit 47 (2000: 44) Veranstaltungen gestiegen. In Thüringen fanden 2001 folgende Liederabende statt: Am 06. Januar führte der JN-Landesverband Thüringen in Postendorf/Saale-Holzland-Kreis eine Mitgliederversammlung mit circa 60 Personen durch. Dem offiziellen Teil der Veranstaltung schloss sich ein Kameradschaftsabend an, bei dem ein Thüringer Liedermacher auftrat. Am 19. Mai fand in Porstendorf/Saale-Holzland-Kreis ein Liederabend mit einer Brandenburger Liedermacherin statt. Veranstalter war der NPD-Kreisverband Jena. Auf der Website des Thüringer Heimatschutzes und durch Flyer wurde im voraus Werbung 6. Deutsche Heidnische Front (DHF) Die Deutsche Heidnische Front (DHF) wurde im Jahre 1998 als neuheidnisch-völkische Bewegung in Thüringen gegründet. Mittlerweile existieren auch Gruppierungen der DHF im übrigen Bundesgebiet. Ihre Mitglieder rekrutieren sich zum Teil auch aus der SkinheadSzene. Unter dem Motto der bereits erläuterten "14 words" des amerikanischen Rechtsextremisten David LANE34 verschrieb sich die DHF ihrem Hauptziel, der "Existenzsicherung für alle germanischen Völker". Ihre Ideologie war anfänglich eindeutig völkisch-rassistisch, nationalistisch und darüber hinaus von einem starken Antisemitismus durchdrungen. Nicht zuletzt n "Reichsführer" der Organisation, Hendrik Möbus, gab es Verflechtungen der DHF mit dem nationalistisch geprägten Randbereich der Black Metal-Szene. Kennzeichnend für 2001 war eine Neuorientierung und Umorganisation der DHF. Damit verbunden war ein Führungswechsel. Die Thüringer Gruppe der Organisation, die nur aus wenigen Personen besteht, verlor an Bedeutung. Zu nennenswerten Aktivitäten der DHF kam es Auf ihrer im April umgestalteten Website präsentiert sich die DHF weit weniger aggressiv. Statt der bereits bekannten vordergründig rechtsextremistischen Inhalte betont die DHF nun eher "germanisch vorchristliche Traditionen" und tritt für eine "Demokratie nordischgermanischer Ausprägung" ein. Sie beschreibt eine besondere Stellung zur Natur und propa34 S. hierzu die ergänzenden Ausführungen zum vorangegangenen Unterabschnitt "Skinhead-Bands". 41 giert eine "Veränderung der Gesellschaft an sich", um die Umweltprobleme zu lösen. Darüber hinaus diffamiert die DHF allerdings weiterhin die verschiedenen monotheistischen Weltreligionen sowie die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre Repräsentanten. 7. Reaktionen der rechtsextremistischen Szene auf die Terroranschläge in den USA und die amerikanischen Militäraktionen in Afghanistan Die Äußerungen der rechtsextremistischen Szene Thüringens nach den Terrorangriffen auf die USA sind inhaltlich breit gefächert. Die Spannweite der Ansichten reicht von völliger Ablehnung der Terrorakte bis zu unverhohlener Zustimmung. Alle Wortmeldungen drücken jedoch einen ausgeprägten Antiamerikanismus aus, der sich in seiner Ausprägung und Intensität bis auf einige Ausnahmen nicht wesentlich von rechtsextremen Argumentationsmustern in der Vergangenheit unterscheidet. Auch die ablehnende Haltung gegen die Bereitschaft der Bundesrepublik, die USA auch militärisch beim Kampf gegen den Terro t- zen, sowie die einhellige Verurteilung der amerikanischen Militäraktionen in Afghanistan, spiegeln bekannte Positionen des rechtsextremistischen Lagers wider. Die rechte Szene bedauerte den Tod unschuldiger Zivilisten, wies jedoch zugleich auf die Opfer der Kriege hin, an denen die USA teilgenommen haben. In diesem Zusammenhang sprach sie auch von einem "Befreiungsschlag der unterdrückten Völker" gegen die "Weltpolizei". NSAW Das "Nationale und Soziale Aktionsbündnis Westthüringen" richtete auf seiner Website eine Sonderseite ("flammable-usa" ) ein, in der sie unter der Überschrift: "Terror gegen Amerika? oder Widerstand gegen Imperialismus und Unterdrückung?" unter anderem Bilder und eigene Wortmeldungen veröffentlichte. Das NSAW behauptete im Zusammenhang mit den Ereignissen, in "Teilen des deutschen Volkes" habe sich die Meinung verdichtet, dass "die USA die Anschläge selber initiiert habe, um die östliche Welt unter ihre Gewalt zu bekommen und Gegner wie bin Laden auszuschalten." Darüber hinaus würden die Anschläge vom Staat auch als Anlass dazu benutzt, "politisch Andersdenkende[...], die nicht mit der Politik der USA einverstanden sind und dies offen sagen" mit Repressionen zu verfolgen. Innerhalb der Sonderseite publizierte das NSAW auch eine Erklärung des Deutschen Kollegs vom 12. September 2001, von der es sich jedoch formell distanzierte. In dieser Erklärung des rechtsintellektuellen Theoriezirkels unter Führung des NPD-Anwaltes Mahler heißt es unter anderem wörtlich: "Der Luftschlag der noch unbekannten Todeskommandos hat das Herz dieses Ungeheuers getroffen und für einen Tag gelähmt. Die Symbolkraft dieser militärischen Operation zerschmettert die Selbstgefälligkeit der auf Heuchelei gegründeten westlichen Zivilisation." "Die militärischen Angriffe auf die Symbole der mammonistischen Weltherrschaft sind - weil sie vermittelt durch die Medien den Widerstandsgeist der Völker beleben und auf den Hauptfeind ausrichten - eminent wirksam und deshalb rechtens." Die Deklaration schloss mit den Worten: 42 "Die Sache der Völker steht gut. Vor die Wahl gestellt, zu kämpfen oder unterzugehen, werden sie den Kampf wählen und siegen: Denn der Feind ist geistlos geworden und ohne Vision THS In einem vom THS per Internet verbreiteten Bericht wurden die Terroranschläge in den USA als "Quittung für ihre verfehlte Außenpolitik" bezeichnet. In seiner Funktion als NPD-Bundesgeschäftsführer verlas der Neonazi und amtierende Landesvorsitzende der NPD Thüringen, Frank Schwerdt, am 3. Oktober in Berlin während eines Aufzuges die Erklärung: "Den Völkern Freiheit - Den Globalisten ihr globales Vietnam". SCHWERDT zufolge wurde sie am vorangegangenen Tag auf einer gemeinsamen Arbeitssitzung von Vertretern freier Gruppen, hierunter auch ein Mitglied des Thüringer Heimatschutzes, sowie der NPD verabschiedet. Als Vertreter des THS unterzeichnete Andre Kapke. Die Erklärung, die anschließend via Internet verbreitet wurde, geht auf den "globalen Befreiungskrieg der Völker ein. "Der Luftschlag vom 11. September 2001 ist die Markierung der Globalisten als Aggressoren durch die geschundenen und abgeweideten Völker". Im Anschluss hieran beschwört sie erneut eine Zusammenarbeit der nationalen Opposition "für den Sieg im globalen Krieg der Völker". NPD Die NPD-Bundesführung versuchte im Rahmen ihrer legalistischen Politik, öffentliche Sympathiebekundungen mit den Verursachern der Terroranschläge einzudämmen, nachdem entsprechende Äußerungen aus den Reihen der Landesverbände zuvor bundesweit a t- lichkeit gedrungen waren. Hintergrund für diese Bemühungen dürfte das laufende NPDVerbotsverfahren gewesen sein, in dem der Partei unter anderem vorgeworfen wird, Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung zu betrachten. In der aktuellen Ausgabe der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" (10/01) wurde in diesem Zusammenhang auf eine Anweisung des NPD-Bundesvorsitzenden Udo Voigt verwiesen, die besagte, dass kein NPD-Verband mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit zu treten hätte, die der politischen Linie der Partei zuwiderlaufe. Auch ein Artikel, der in Form einer Rechtsschulung zum Strafgesetzbuch abgefasst wurde und die Überschrift: "Vorsicht mit Äußerungen zum 11. September 2001", trug, warnte vor nicht autorisierten Statements. Die NPD Thüringen hielt sich im Wesentlichen an die Vorgaben des Bundesvorstandes, nachdem sie anfänglich vorgeprescht war. So fanden sich auf ihren Internetseiten hauptsächlich die Stellungnahmen der Bundespartei zum 11. September 2001, eigene Äußerungen richteten sich nach der vom Bundesvorstand festgelegten Sprachregelung. Zuvor hatte der NPD-Landesverband am 13. September jedoch eine eigene Stellungnahme zu den Terroranschlägen heraus gegeben, die jede Distanzierung von den Urhebern der Anschl ge und vom Einsatz terroristischer Mittel vermissen ließ. Sie beschränkte sich allein auf die Feststellung, dass in weiten Teilen der Bevölkerung Angst und Betroffenheit herrschten. Mit der Zwischenüberschrift "Solche Anschläge sind auch hier möglich" versuchten die Verfasser der Erklärung zudem, die Bürgerinnen und Bürger Thüringens im Sinne ihrer parteipolitischen Ziele gezielt zu verunsichern. In einer später veröffentlichten Einlassung wies der NPD-Landesvorsitzende Frank SCHWERDT darauf hin, dass die Reaktionen der von den USA "Unterdrückten und Mißhandelten" vorhersehbar gewesen seien. Einzig die NPD und die ihr nahestehenden Gruppen hätten die Verantwortlichen in den NATO-Ländern schon immer dazu gedrängt, ihre Politik radikal zu ändern und das allen Völkern gegebene Recht auf Freiheit zu achten. Schwerdt mo43 nierte in derselben Erklärung, dass ausgerechnet diejenigen, die noch vor kurzem Deutschland zum "Hort einer multiethnischen Gesellschaft" machen wollten, sich nun in verbalen Attacken und Verdächtigungen gegen Ausländer ergehen würden. Auch die im Jahre 2001 besonders aktiven NPD-Kreisverbände Jena und Gera hielten sich zunächst an parteiinterne Vorgaben. Pressemitteilungen der NPD-Bundesgeschäftsstelle wurden auf die eigenen Websites überspielt; eigene Äußerungen widmeten sich ausschließlich Themen mit regionalem Bezug. Beide Kreisverbände durchbrachen allerdings später die von der Bundes-NPD aufgestellten Richtlinien, die dem Umgang mit den Ereignissen vom 11. September galten. So meldete sich der NPD-Kreisverband Jena nach einiger Zeit in eigenem Namen zu Wort. Er begründete die verspätete Stellungnahme damit, sich mit Absicht nicht vorschnell, "wie die meisten Politiker hier im Land", zu den Urhebern der Anschläge geäußert zu haben. Der NPD-Kreisverband Gera veröffentlichte am 8. Oktober 2001 auf seiner Website einen sehr vage formulierten Mobilisierungsaufruf. In diesem Aufruf mit der Überschrift: "Der Krieg hat begonnen" warf die Geraer NPD der Bundesregierung vor, "mit dem Feuer zu spielen". Dieser Vorwurf wurde durch den Appell ergänzt: "Haltet sie auf! Organisiert Mahnwachen, Demonstrationen, sprecht mit euren Nachbarn! Reißt sie von Ihren Sesseln runter!". Bemerkenswerterweise war die Überschrift "Der Krieg hat begonnen" mit dem Titel eines Schriftstückes identisch, das vom NPD-Bundesvorstand herausgegeben und vom derzeitigen NPD-Bundesvorsitzenden VOIGT in Berlin während einer Demonstration am 8. Oktober verlesen wurde. In dieser Erklärung hieß es unter anderem, die NPD werde sich an die Spitze einer neuen deutschen Friedensbewegung und aller Globalisierungsgegner setzen. Darüber hinaus wurde durch den Organisationsleiter der NPD Thüringen für den 10. November 2001 eine Demonstration mit zwei Kundgebungen unter dem Motto: "Frieden für Deutschland! Stoppt die Kriegstreiber" in Gera angemeldet35 . Zur Teilnahme an dieser "Friedensdemonstration" mobilisierte die NPD Gera über ihre Homepage. Auf ihr hielt sie dazu an, sich nach den Anti-Kriegsdemonstrationen, von denen viele bereits stattgefunden hatten, der Demonstration in Gera anzuschließen, um echte Solidarität mit den Opfern der amerikanischen Luftangriffe zum Ausdruck zu bringen. Die Vorwürfe, die in diesem Zusammenhang laut wurden, trugen die üblichen antiamerikanische Züge und sprachen den militärischen Einsätzen die Legitimität ab: "Sie behaupten, den Terror zu bekämpfen, indem sie Unschuldige bombardieren. In Wahrheit verfolgen die USA massive wirtschaftliche und strategische Interessen in Afghanistan." REP Mit einer Pressemitteilung des REP-Landesverbandes Thüringen meldete sich dessen Pressesprecher zu Wort. In gewohnt pauschalierender und fremdenfeindlicher Manier forderte er unter anderem "[...] die Unterbindung aller islamischen Umtriebe in Deutschland sowie die tstätten des Fanatismus auf deutschem Boden wie Moscheen und Koranschulen, Stop der Massenzuwanderung besonders für Muslime." Im Gegensatz zur NPD unterstützte der Thüringer Landesverband der Republikaner jedoch ein entschlossenes Vorgehen der NATO-Bündnispartner zur Vergeltung der Gewaltakte in New York und Washington. Gleichzeitig verlangte er jedoch, alle militärischen Aktivitäten Deutschlands auf dem Balkan und alle deutschen Unterstützungen und Vermittlungen im Na35 Vgl. hierzu die entsprechenden Erläuterungen im Unterkapitel "Aktivitäten der NPD im Freistaat Thüringen". 44 hen Osten zu stoppen, "um eine Torpedierung deutscher Beteiligungen an NATOVergeltungsaktionen aus dem Inneren unseres Landes heraus zu verhindern". Mit dieser Pressemitteilung präsentierte sich der Landesverband der REP zugleich erstmals im Internet. Eine weitere Presseerklärung zu den Terroranschlägen in den USA, in der offensichtlich das Wort "islamisch" durch "islamistisch" ersetzt wurde, verteilten die Republikaner im Raum Reaktionen im Internet Auch in rechtsextremen Web-Diskussionsforen und -Gesprächskreisen, die aus der Sicht des Diskussionsteilnehmers den Vorteil weitgehender Anonymität bieten, wurden die terroristischen Anschläge thematisiert. Entsprechende Äußerungen fanden sich im Diskussionsforum des "Mitteldeutschen Gesprächskreises", der von den NPD-Kreisverbänden Magdeburg und Jena gemeinschaftlich betrieben wird. Einige Diskussionsbeiträge äußerten Zustimmung, manchmal sogar Freude über diese Tat: "Denn ein kleiner unbeugsamer Schlag DENKENDER Menschen erhebt sich über all den Heuchlern und kann nur verwundert zusehen. Mein Herz, mein ganzer Geist war von tief empfundener Freude erfüllt[...]. Es sterben täglich Millionen Menschen durch das menschenverachtende System der Amerikaner und das grausamer als die paar hundert in den USA. [...] Mein Respekt gehört jenen, die ihr Leben im Kampf gegen das Unrechtssystem der USA ließen." "Kampf dem US-Imperialismus! Die Symbole für Globalisierung & US-Imperialismus, das WTC und das Pentagon sind gefallen. Da will bei mir keine rechte Trauerstimmung aufkommen! Keine Solidarität mit der internationalen Völkermordzentrale USA - die Verbrechen der US-Cowboys sind nicht vergessen. Sie haben vor 60 Jahren unser Deutschland in Schutt und Asche gebombt -jetzt haben sie die Antwort erhalten! Kein deutsches Blut für Israel und seine US-Büttel !" Dem gegenüber standen allerdings auch Aussagen, die die terroristischen Anschläge verurteilten: "Ich bin nicht gerade ein Freund der Amerikaner, doch ich verabscheue diese hinterhältige Tat. Aber eine Antwort muss es geben und von friedlichen Diskussionen kann keine Rede sein. Ich glaube nämlich wenn die USA und ihre Verbündeten keine Reaktion zeigen wird es wieder passieren. Ich hoffe das diesen Terroristen und ihren Sympathisanten gezeigt wird wo der Hammer hängt. Mir geht es nicht um Amerika, ich hoffe die NATO versaut diese Sache nicht um so weniger haben wir hier in diesem Land zu erwarten. [Alle Fehler im Original]" "Da hat es ja erstaunlich geknallt in den USA. Tausende unschuldige Opfer klagen an! Terror ist feige, gemein und fördert wiederum den Gegen-Terror. Diese verbrecherische Tat ist unverzeihbar! [...] Wir werden für unsere Ziele, ein gemeinsames deutsches Volk/Staatenbund zu schaffen, auf dem politischen Parkett mit friedlichen Mitteln siegen !" 45 8. Politisch motivierte Kriminalität - Rechts - im Überblick Die im Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität Rechts - im Jahr 2001 in Thüringen begangenen Straftaten lassen sich wie folgt darstellen (Quelle: Thüringer Landeskriminalamt): Straftaten 2001 insgesamt: 1.313 davon im einzelnen: Propagandadelikte 1.066 Landfriedensbruch 6 Störung öffentl. Friedens/Bedrohung 18 Volksverhetzung 116 Körperverletzung 61 Sachbeschädigung 20 Brandstiftung 0 Sonstige 26 Von den 1.313 in diesem Bereich erfassten Straftaten lag 433 eine extremistische Motivation zu Grunde. Diese Zahlen können auf Grund neu festgelegter Erfassungsmodalitäten nicht mit den Zahlen vergangener Jahre verglichen werden. Das Definitionssystems "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) wurde auf Beschluss der Innenministerund senatoren der Länder vom 09./10.05.2001 rückwirkend zum 01. Januar 2001 mit dem Ziel in Kraft gesetzt, die bundeseinheitliche Erfassung und Bewertung politisch motivierter Straftaten sicherzustellen. Im Mittelpunkt der neuen Definition der politisch motivierten Kriminalität steht nun nicht mehr der Extremismusbegriff, sondern die tatauslösende politische Motivation des Täters. Straftaten, denen zwar ein politisches Motiv, nicht aber zwingend eine gefestigte Ideologie zu Grund liegt, werden zuerst nach ihrer Deliktsqualität unterschieden und anschließend hinsichtlich ihres Begründungszusammenhangs einem oder mehreren Themenfeldern zugeordnet. In einem nächsten Schritt erfolgt die Bewertung, in welchem Phänomenbereich (z.B. "rechts" oder "links") die Straftaten angesiedelt ist. Erst zum Schluss wird dann festgestellt, ob tatsächlich eine extremistische Motivation vorlag. Die durch das Definitionssystem PMK völlig neu festgelegten Erfassungsmodalitäten lassen einen Vergleich mit statistischen Erhebungen der Vorjahre grundsätzlich nicht zu, da aus einem Gegenüberstellen der Statistiken keine verwertbare Aussage darüber getroffen werden könnte, inwieweit sich das rechtextremistische Gefahrenpotential verändert hat. III. Linksextremismus 1. Überblick Bundesweit umfasst das Potenzial der revolutionären Marxisten etwa 26.300 Personen. Hinzu kommen annähernd 7.000 Personen, die die Verfassungsschutzbehörden der gewaltbereiten linksextremistischen Szene zurechnen. Unter ihnen befinden sich auch etwa 6.000 Autonome. 46 Bei anlassbezogenen, überregionalen Aktionen und Demonstrationen gelingt es der gewaltbereiten Szene oft, zusätzlich mehrere tausend Sympathisanten zu mobilisieren. Im Freistaat Thüringen werden den autonomen Gruppen 300 bis 350 Anhänger und Sympathisanten zugerechnet, von denen etwa 150 bis 200 als gewaltbereit gelten. Im Ganzen entspricht das Potential dem der Vorjahre. Die marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen, die in Thüringen agieren, konnten das Potential ihrer Mitglieder bzw. Anhänger nicht erhöhen, obwohl sie sich bemühten, vor allem jüngere Menschen für eine Mitarbeit oder Mitgliedschaft zu gewinnen. Mitgliederzahlen linksextremistischer Gruppierungen in Thüringen 1999 2000 2001 KPF der PDS 120 100 100 DKP 50 bis 100 50 50 MLPD 50 50 50 KPD wenige Mitglieder wenige Mitglieder wenige Mitglieder Autonome 300 bis 350 300 bis 350 300 bis 350 Was die Bestrebungen anbelangt, die auf Linksextremisten zurückgehen, so hat sich die Lage im Freistaat Thüringen im Jahr 2001 kaum verändert . Die Zahl, die Art und die Intensität der Aktivitäten, die von Autonomen ausgingen, die der Szene immanente Neigung zu Strafund Gewalttaten, die von ihr eingesetzten Kommunikationsmittel und die von ihr bevorzugten thematischen Schwerpunkte änderten sich im Wesentlichen nicht. Ebenso verhält es sich mit -leninistischen Parteien und Organisationen. Sofern sie überhaupt in der Öffentlichkeit in Erscheinung traten, blieb ihr Engagement unspektakulär. Angehörige des autonomen Spektrums, aber auch kommunistische Gruppen unterhielten jedoch Kontakte, die über Thüringen hinausgingen, sich auf die ganze Bundesrepublik und über deren Gebiet hinaus erstreckten. 2. Ideologischer Hintergrund Das linksextremistische Spektrum ist in sich breit gefächert. Seine Anhänger vertreten ideologische Ansichten, die im Einzelnen erheblich voneinander abweichen. Sie stehen entweder Theorien nahe, in deren Mittelpunkt eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft steht, oder sie zählen zu den Sozialrevolutionären, Anarchisten und Autonomen. Die unterschiedlichen Anschauungen und theoretischen Gebilde gründen insbesondere auf die Werke von Marx, Engels, Lenin, von Stalin, Trotzki und Mao Tse-tung. Das Ziel aller Linksextremisten besteht darin, die Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Ihre Bestrebungen, wie unterschiedlich sie auch immer geartet sein mögen, richten sich letzten Endes gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In jedem Falle wollen sie die bestehenden Verhältnisse beseitigen und durch Strukturen ersetzen, die ihre jeweiligen Vorstellungen widerspiegeln. Ein marxistischleninistisches Staatsgebilde streben sie ebenso an wie eine "herrschaftsfreie Gesellschaft". Die Ansichten der Linksextremisten weichen häufig erheblich voneinander ab. Das Bekenntnis zur revolutionären Gewalt, zum Klassenkampf und zur Klassenherrschaft verbinden sie jedoch. Ihr Grundsatz, dass gesellschaftliche Veränderungen nur mit Hilfe von Gewalt erreicht werden können, wird aus taktischen Erwägungen oft verschwiegen. Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen greifen sie häufig zu legalen, gewaltfreien Formen des politischen Enga47 gements. So gelingt es ihnen, auf bestimmten Feldern der Politik auch Bündnispartner zu finden, die dem Extremismus abgeneigt sind. Die eigene extremistische Ausrichtung wird bewusst verschleiert. 3. Marxistisch-Leninistische Parteien und Organisationen 3.1 "Kommunistische Plattform" (KPF) der "Partei des Demokratischen Ideologie Das Statut der PDS räumt ein, in der Partei Plattformen, Arbeitsund Interessengemeinschaften zu bilden. Einen Zusammenschluss solcher Art stellt die KPF dar. In der damaligen SED-PDS am 30. Dezember 1989 gegründet, definiert sie sich in ihrer Satzung als "ein offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der PDS". Als eine marxistischleninistische Organisation, die sich eindeutig zum Kommunismus bekennt, arbeitet sie mit der DKP und der KPD eng zusammen. Sie ist "offen für alle, unabhängig von parteilicher und sonstiger politischer Bindung", sofern "Mehrheitsbeschlüsse der KPF" und das Statut der PDS anerkannt werden. Sie strebt ein "breites linkes Bündnis" an, um "die Zusammenarbeit mit allen ..., die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stehen", sicherzustellen. Struktur Auf der Bundesebene wird die KPF vom Bundeskoordinierungsrat (BKR) geleitet und vom Bundessprecherrat vertreten. Auf der Landesebene wirken Landeskoordinierungsund Landessprecherräte. Das höchste Gremium der KPF bildet die Bundeskonferenz, die der Satzung gemäß wenigstens einmal im Jahr einberufen werden muss. Sie legt die politischen Grundorientierungen der KPF fest, sie wählt den Bundeskoordinierungsund Bundessprecherrat. Ihren eigenen Angaben nach ist die KPF in 12 Bundesländern aktiv. Bundesweit hat sie annähernd 1500 Anhänger. In Thüringen konstituierte sich die KPF im März 1993. Schätzungen zufolge gehören ihr etwa 100 Mitglieder an. Die "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS", ihr Publikationsorgan, erscheinen bundesweit in jedem Monat. Debatte über das neue PDS-Programm Auf Landeswie auf Bundesebene überwog in den Diskussionen der KPF die Debatte um das neue Programm der PDS. So berieten die Mitglieder des BKR auf ihrer monatlichen Sitzung am 13. Januar über die Positionen, die im Vorstand der PDS zur sogenannten Programmdebatte vertreten werden. Es gebe, stellten die "Mitteilungen" der KPF im Februar heraus, zwei Grundlinien: Eine Mehrheit des Vorstandes befürworte, ein neues Parteiprogramm zu diskutieren, ohne einen Zeitraum vorzugeben. Eine Minderheit des Vorstandes gedenke hingegen, das von 1993 an gültige Parteiprogramm so schnell wie möglich außer Kraft zu setzen. Die KPF widersprach der Ansicht, das derzeit gültige Programm neu zu fassen. Aus ihrer Sicht sei es lediglich notwendig, dieses Programm zu überarbeiten. In dieser Hinsicht wären im Besonderen drei Punkte in Erwägung zu ziehen: 48 - Eine Analyse des gegenwärtigen Standes der Entwicklung des Kapitalismus - Eine Neubewertung der DDR-Vergangenheit und ihres "Sozialismusversuchs" - Die Eigentumsfrage und das Wesen des Kapitalismus. Es sei die Aufgabe von Ellen Brombacher und Jürgen Herold, die die KPF in der Programmkommission vertreten, diese Positionen in die Diskussion einzubringen. Und auch künftig müsse sich die Partei als "prinzipielle Opposition zum kapitalistischen System" verstehen. Die Debatte um das neue PDS-Programm stand auch im Mittelpunkt der 2. Tagung der 10. Bundeskonferenz der KPF, die am 11. März in Berlin stattfand. Es werde, schätzte die KPF ein, die politische Ausrichtung in dem neuen Parteiprogramm grundlegend abgeändert. Es sei damit zu rechnen, dass der Kapitalismus, ebenso die Eigentumsfrage auf eine andere Weise bewertet würden. Auf der BKR-Tagung, die am 9. Juni in Berlin stattfand, diskutierten die Teilnehmer drei Entwürfe für das neue Parteiprogramm: - Den sogenannten Brie-Brie-Klein-Entwurf vom 27. April, der von Andre und Michael Brie sowie von Dieter Klein erarbeitet worden war. - Einen Entwurf vom 6. Mai, den Monika Balzer (KPF Hamburg), Ekkehard Lieberam (Sprecher des Marxistischen Forums Sachsen), Dorothee Menzner (Landesvorsitzende der PDS Niedersachsen) und Winfried Wolf (MdB PDS) fertiggestellt hatten. - Einen Entwurf vom Mai 2001, für den Rolf Köhne und Juan Sanchez-Brakebusch die Verantwortung trugen. Überwiegend stimmten die Teilnehmer der Tagung vor allem dem Entwurf vom 6. Mai zu. Die Mitglieder des BKR empfahlen jedoch, auf dem für den 6./7. Oktober geplanten Parteitag ber die Programmentwürfe noch nicht abzustimmen. Vielmehr solle die Diskussion in der Partei fortgesetzt, eine Kampfabstimmung während des Parteitages verhindert und der Wahlkampf für den Bundestag im Jahr 2002 auf der Basis des gegenwärtig gültigen Programms geführt werden. An der erweiterten Beratung des BKR, zu der am 1. September nach Berlin eingeladen worden war, nahm auch eine größere Anzahl von Parteimitgliedern aus verschiedenen Bundesländern teil. Es war das Ziel dieser Veranstaltung, strittige Fragen in Vorbereitung des bevorstehenden Dresdener Parteitages der PDS zu diskutieren. Im Hinblick auf die vorgesehene Programmdiskussion waren sich die Teilnehmer der Beratung darin einig, die vorliegenden drei Entwürfe gleichberechtigt zu behandeln. Eine vorschnelle Entscheidung zugunsten eines Konzeptes sei zu vermeiden, das Programm von 1993 jedoch bis zum Jahr 2003 zu ersetzen. Gleichwohl sprachen sich die Delegierten der 2. Tagung des 7. Parteitages der PDS am 6./7. Oktober mit großer Mehrheit für den sogenannten Brie-Brie-Klein-Entwurf aus. 3. Tagung der 10. Bundeskonferenz der KPF Auf der 3. Tagung der 10. Bundeskonferenz der KPF, die am 3. November in Berlin stattfand, werteten die 67 Delegierten auch die Ergebnisse des Dresdner Parteitages aus. Thomas Hecker, ein Mitglied des Sprecherrates der KPF, meinte, in der Programmfrage bedeute der Parteitag eine "ernst zu nehmende Niederlage". Das Votum, das die Delegierten in Bezug auf das Parteiprogramm abgegeben hätten, habe in der PDS die Ausrichtung "s verändert..., die die Systemopposition aufgeben und um jeden Preis regieren wollen". Anfang 2002 werde der BKR entscheiden, wie sich die KPF in der Programmdebatte zu verhalten gedenke. Für die Delegierten erhebe sich aufgrund der Entwicklung, die sich in der PDS voll49 zogen habe, die Frage, ob die KPF weiter bestehen würde. Solange die PDS den Charakter einer Antikriegspartei behalte, solle der Kampf jedoch nicht aufgegeben werden. Auf der 3. Tagung der 10. Bundeskonferenz der KPF fanden auch Neuwahlen für die Bundesgremien statt. Als Mitglieder des Sprecherrates wurden Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Jürgen Herold (alle Berlin) und Friedrich Rabe (Sachsen-Anhalt) bestätigt. Im BKR, dessen Mitglieder ebenfalls neu gewählt wurden, wird die KPF Thüringen nunmehr nicht mehr von vier, sondern nur noch von zwei Mitgliedern vertreten. Die KPF und die Zwangsvereinigung von KPD und SPD 1946 Am 18. April gaben die PDS-Bundesvorsitzende Gabriele Zimmer und die Berliner PDSVorsitzende Petra Pau zum 55. Jahrestag der Vereinigung von KPD und SPD im Jahre 1946 in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone zur SED eine Erklärung ab, in der sie sich auch bei den Sozialdemokraten entschuldigten. Hierauf reagierte die KPF mit einer Gegenerklärung, die am 20. April in der Tageszeitung "Junge Welt" erschien. Sie war von Ellen Brombacher, Sahra Wagenknecht, Jürgen Herold, Thomas Hecker, Heinz Marohn und Friedrich Rabe - Mitglieder des BKR bzw. Bundessprecher der KPF - unterzeichnet worden. In dieser Gegenerklärung, die den Titel "Die Identität unserer Partei nicht zur Disposition stellen!" trägt, vertreten sie die Ansicht, dass die Vereinigung von SPD und KPD "nicht nur ... historisch erklärbar" sei, sondern auch "historisch notwendig" gewesen war. Einen Sinn vermögen sie in der "Pauschalentschuldigung" nicht zu erkennen. Vielmehr liefe ein solches Vorgehen auf "Selbstverleugnung" hinaus. Die Unterzeichner der Gegenerklärung vermuteten, dass "führende Genossinnen und Genossen der PDS" bereits zu den nächsten Bundestagswahlen koalitionsfähig sein und die SPD daher "schonen" wollten. Sie würden sich gegen einen Kurs zur Wehr setzen, der die Identität der Partei untergrabe. Sahra Wagenknecht spricht der Bundesrepublik Deutschland den demokratischen Charakter ab In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" umriss Sahra Wagenknecht am 17. Juni nicht nur ihre politischen Ansichten. Sie sprach der Bundesrepublik Deutschland auch ihren demokratischen Charakter ab: Auf die Frage "Sie sprechen vom Sozialismus, Gregor Gysi vom demokratischen Sozialismus. Widerspricht sich das nicht?" antwortete Wagenknecht: "Demokratie und Sozialismus widersprechen sich nicht nur nicht. Ich würde es sogar noch zuspitzen: Für mich ist Sozialismus Voraussetzung für Demokratie. Heute wird zwar demokratisch gewählt, doch die wirkliche Macht liegt in den Händen der Wirtschaft." Zudem dürfe "die Wirtschaft nicht den Renditejägern überlassen bleiben. Konzerne und Großbanken müssen vergesellschaftet werden. Dort, wo die Wertschöpfung sich schon aus technologischen Gründen in riesigen Unternehmen konzentriert, begründet Privateigentum gesellschaftliche Macht. Heute können Großanleger und Kapitaleigner der Bevölkerungsmehrheit ihre Interessen diktieren. Der Shareholder-Value ist wichtiger als das Lebensschicksal von Millionen." Um eine Einschätzung gebeten, ob die DDR demokratischer gewesen sei als die Bundesrepublik, führte Wagenknecht aus: "Sie war jedenfalls nicht undemokratischer. Es gab zum Beispiel im betrieblichen Bereich mehr Mitbestimmung als heutzutage in den Konzernen. Das politische System war natürlich nicht so, wie ich es mir für ein sozialistisches Land wünsche. Aber auch die Bundesrepublik ist in ihrer Substanz nicht demokratisch. Wenn ein Land sich 50 von einer Minderheit, den Eignern und Dirigenten des großen Kapitals, vorschreiben lässt, welche Prioritäten es setzt, dann hat das mit Demokratie nichts zu tun." 3.2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Ideologie In Frankfurt am Main 1968 gegründet, orientiert sich die DKP an den Lehren des MarxismusLeninismus. Marx, Engels und Lenin liefern die theoretischen Grundlagen, auf die sich die Partei bezieht und die sie, sofern sie es für notwendig erachtet, weiterentwickelt. Sie setzt die Politik der KPD fort, die 1956 verboten worden ist. Auf dem 15. Parteitag, der vom 2. bis 4. Juni in Duisburg-Rheinhausen stattfand, beschloss der Parteivorstand den Leitantrag "Die DKPPartei der Arbeiterklasse - Ihr politischer Platz heute". Darin strebt die Partei in gewohnter Weise an, eine sozialistische Gesellschaft - in der sie die erste Stufe auf dem Weg zu einer klassenlosen Gesellschaft sieht - zu formen. Als der entscheidenden gesellschaftsverändernden Kraft sei es die Aufgabe der Arbeiterklasse, mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen zu brechen. Struktur Der Partei gehören bundesweit etwa 4500 Mitglieder an. Von ihnen stammen ungefähr 250 aus den neuen Ländern, etwa 50 aus dem Freistaat Thüringen. Die DKP Thüringen, die im Januar 1996 gegründet worden ist, umfasst fün ngen, OstThüringen, Süd-Thüringen, Nord-Thüringen und West-Thüringen. Der Koordinierungsrat, der von der Landesmitgliederversammlung gewählt wird, bildet das Führungsgremium. Horst Huther amtiert als Vorsitzender des Koordinierungsrates, Henner Görisch als dessen Stellvertreter. Bundesweit gibt die Partei die Wochenzeitschrift "Unsere Zeit" (UZ) heraus, deren Auflage eine Höhe von 8000 Exemplaren erreicht. In Thüringen erscheint das Informationsblatt "Thüringenreport". Die Politik der DKP in den neuen Bundesländern Auf der 5. Tagung des Parteivorstandes, die am 24./25. März in Essen stattfand, sprach die stellvertretende Vorsitzende Nina Hager über die Politik der DKP in Ostdeutschland. Die Partei sei, merkte sie an, in den neuen Ländern kaum präsent, der Zugang zur Arbeiterklasse in Betrieben, Verwaltungen, Dienstleistungseinrichtungen gering, und es gebe zu wenig öffentlich wirksame Veranstaltungen. Auch junge Menschen erreiche man kaum. Die "11 Punkte" der DKP-Gruppe Berlin-Nordost zur Lage in Ostdeutschland, in denen die neuen Bundesländer als "ein durch westdeutsche Sonderbeamte überwachtes, halbkoloniales Territorium der Bundesrepublik Deutschland" bezeichnet werden, lehnte Hager ab, da sie mit den politischen Ansichten der Partei nicht zu vereinen seien. Die Gruppe Berlin-Nordost hatte nicht nur die "11 Punkte" formuliert. Sie hatte auch gefordert, spezifisch ostdeutsche Belange in der Politik der Bundespartei stärker zu berücksichtigen und damit eine grundsätzliche interne Diskussion ausgelöst. Auf der Beratung, die am 24. Mai in Berlin stattfand und zu der eigens Funktionäre aus den neuen Ländern bzw. Berlin eingeladen worden waren, verlangte sie ein Sonderprogramm der Partei für Ostdeutschland ebenso wie eine qualitative Veränderung der Gesamtpartei, die die entstandene "Mischung" adäquat widerspiegele. 51 Diskussionen über das neue DKP-Programm In Übereinstimmung mit dem thematischen Schwerpunkt, auf den sich der Parteivorstand im Verlauf seiner 7. Tagung am 29./30. September in Essen festgelegt hatte, referierte der Bundesvorsitzende Heinz Stehr "zum Stand der Erarbeitung eines neuen DKP-Parteiprogramms". Auf Grundlage der seit dem 12. Parteitag (16./17. Januar 1993 in Mannheim) vorliegenden "Thesen zur programmatischen Orientierung", des Aktionsprogramms der Partei sowie des Beschlusses " Die DKP - Partei der Arbeiterklasse - Ihr politischer Platz heute", der auf dem 15. Parteitag gefasst worden war, solle die Programmkommission bis zum Frühjahr 2002 einen ersten zusammenhängenden Diskussionsentwurf erarbeiten. Die bestimmende Konzeption für die Zukunft bleibe der Sozialismus/Kommunismus und das aktuell gültige, aus dem Jahr 1978 stammende "Mannheimer Programm" könne nicht vor 2004 ersetzt werden. Mit der Erarbeitung des neuen Programms solle auch eine politische Offensive der Partei einhergehen, um junge Mitglieder - vorwiegend aus der Arbeiterjugend - zu gewinnen. Daher wurde beschlossen, zum 2. Februar 2002 einen "Jugendpolitischen Ratschlag" nach Hannover einzuberufen. Aktvitäten, Ansichten, Ziele Auf den Terroranschlag vom 11. September reagierte die DKP bereits am folgenden Tag. Unter dem Titel "Schwarzer Tag für Frieden und Demokratie" gab sie ein Extrablatt der Parteizeitung heraus. Sie verurteilte die Tat, indem sie sie "verabscheuungswürdig" und "skrupellos" nannte. Solche Anschläge, meinte der Parteivorsitzende Stehr, hätten nichts mit dem politischen Befreiungskampf zu tun. Für die Täter könne es weder Verständnis noch Solidarität geben. Am 13. September stellte die DKP Thüringen im Internet zusätzlich eine Erkl rung ein, die in dieselbe Richtung zielte. Auf seiner 8. Tagung beschloss der Parteivorstand am 1. Dezember in Essen, nach Möglichkeit in allen Bundesländern eigene Kandidaten aufzustellen, um im September 2002 an den Wahlen zum Bundestag teilzunehmen. In der Öffentlichkeit trat die Bundespartei auf dem 12. Pressefest der UZ vom 22. bis 24. Juli in Dortmund/Revierpark Wischlingen, das angeblich 40.000 Menschen anzog, in Erscheinung. Den stärksten Widerhall fand die Großveranstaltung "Wir gegen Rechts". Außerdem fanden Foren zu verschiedenen politischen Themen statt. Gemeinsam mit der DKP Hessen gestaltete die DKP Thüringen einen Teil des Programms unter dem Motto "Friede den Hütten Krieg den Palästen". Es schloss eine Diskussionsrunde mit Jugendlichen ein, die unter dem tglied der DKP werden? Ja oder Nein!" stand. Darüber hinaus gab die DKP Thüringen das Informationsblatt "Thüringenreport" heraus, das seit März 1999 "monatlich" erscheint. Von April 2001 an konnte es dem in der zweiten Ausgabe (Mai 1999) vom Parteivorsitzenden Huther beschriebenen Ziel, Mitglieder und Sympathisanten mit dem "Parteileben vertraut (zu) machen und immer mehr die Existenz und die Arbeit der DKP in Thüringen (zu) unterstreichen" nicht mehr regelmäßig entsprechen. Die bisher letzte Ausgabe des "Thüringenreports" kam im Oktober heraus. Personelle und finanzielle Probleme der Partei fanden hier ihren Niederschlag. Die Auflage der bundesweit vertriebenen Zeitschrift belief sich auf 300 Exemplare. Am 27. Januar fand in Bad Sulza/Lkr. Weimarer Land eine Internet-Tagung statt, um die Präsentation der Partei in diesem Medium zu verbessern. Im Mittelpunkt der Veranstaltung, an 52 der Webmaster und Informationstechniker teilnahmen, stand u. a. die Arbeit mit elektronischen Medien, die Datensicherheit und die Verbesserung des Angebotes im Netz. Am 13./14. Oktober wurde in einem bundesweiten Seminar für "Webmaster" und Internetnutzer der DKP in Bad Sulza u.a. darauf eingegangen, wie Internetseiten erstellt und die verschiedenen Angebote der Partei vernetzt werden können. Es wurde vorgeschlagen, eine -Webmaster einzurichten. Öffentlich trat die Partei in Erscheinung, als sie am 22. Juni - dem 60. Jahrestag des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion - in Erfurt eine zweistündige Mahnwache abhielt und Flugblätter verteilte. An der Aktion nahmen auch Vertreter der KPD und der KPF teil. Am 1. September betrieb die DKP Thüringen in Erfurt einen Informationsstand, um Material zum Weltfriedenstag zu verteilen. Ebenso wirkte sie am 2. Landesweiten Friedenfest der PDS am 2. September in Gera mit. Zusammen mit dem "Roten Tisch Thüringen" richtete sie einen Informationsstand aus, an dem u. a. Sonderausgaben der DKP-Wochenzeitschrift UZ und das Aktionsprogramm "Die Rechtsentwicklung stoppen! Widerstand gegen Kriegspolitik, Sozialund Demokratieabbau" verteilt wurden. Die DKP Suhl trat als Mitorganisator bzw. Unterstützer des "Aktionstages gegen Residenzpflicht", der am 3. Oktober an der Landkreisgrenze zwischen Suhl und Zella-Mehlis stattfand, in Erscheinung. Ein im Internet verbreiteter Aufruf forderte, alle "rassistischen Sondergesetze" aufzuheben sowie Flüchtlingen, die sich in Deutschland aufhalten, uneinges e- wegungsfreiheit einzuräumen. Darüber hinaus wurde dazu aufgerufen, zivilen Ungehorsam und Widerstand gegen die betreffenden Gesetze zu leisten. Auf seiner 5. Sitzung nannte der Vorstand der Partei die Bildungsarbeit, die die Thüringer DKP leiste, vorbildlich. Ebenso stellte er die Bildungsabende, an denen sich junge Antifaschisten in Jena und Gera beteiligten, heraus. Gemeinsam mit der DKP Nordbayerns führte die Thüringer Parteigliederung in Bad Sulza/Lkr. Weimarer Land vom 31. März bis 1. April ein Bildungswochenende durch. In dessen Verlauf leitete ein führender Funktionär der DKP Thüringen das Seminar "Die Klassentheorie des Marxismus/Leninismus" . Unter dem Titel "Themen, die uns bewegen" fand eine Diskussion statt, die u. a. dem Ost-West-Verhältnis in der DKP und der aktuellen Situation in der BRD galt. In ihr trat Rolf Priemer, der stellvertretende Bundesvorsitzende, als Gastreferent auf. 3.3 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Ideologie und Struktur 1968 in Essen gegründet, steht die Jugendorganisation SDAJ der DKP nahe. Sie versteht sich als unabhängiger Jugendverband, der keiner Partei zugehört, der allen Schülern, Studenten, Auszubildenden und jungen Arbeitern offen steht. Sie fordert den "revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen". Sie steht dafür ein, eine sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen, wozu es des "bewussten Klassenkampfes der Arbeiterklasse" bedürfe. Daher sei es für die SDAJ eine wesentliche Aufgabe, in der Arbeiterjugend Klassenbewusstsein zu verbreiten. 36 Bundesweit zählt die SDAJ Schätzungen nach un36 "Zukunftspapier" der SDAJ, S.31. Vgl. dazu auch die entsprechenden Aussagen von Sanders im Interview mit der "jungen welt" (jw), 12. März 53 gefähr 300 Mitglieder. In Thüringen ist sie lediglich mit wenigen Mitgliedern vertreten. In Thüringen Ende 1996 gegründet, verband sie sich 1998 mit der SDAJ Sachsen zur Landesgruppe Thüringen Sachsen. Auf ihrer Internetseite gab sie bekannt, dass im September 2001 usen eine neue Gruppe gebildet worden sei. "Zukunftskongress" Unter dem Leitspruch "Die Zukunft muss sozialistisch sein! Wir fordern unsere Rechte die SDAJ am 10./11 März in Berlin einen "Zukunftskongress" ab. Nach Angaben der DKPZeitschrift "Unsere Zeit" (UZ) nahmen an der bedeutendsten Veranstaltung dieser Gruppierung mehr als 200 Jugendliche teil. In zwölf Arbeitsgruppen diskutierten sie u- kunftspapier" erarbeiteten "Grundrechte der Jugend" . Dieses Dokument war am 29./30. Januar 2000 auf dem 15. Bundeskongress in Hamburg beschlossen worden, um der Organisation in den nächsten Jahren als theoretische Orientierung zu dienen. In einer Abschlusserklärung rief die Bundesvorsitzende Tina Sanders auf, "gegen Nazis oder Krieg, für Löhne oder demokratische Rechte" enger zusammenzurücken. Pfingstcamp Im Unterschied zu den Vorjahren fand das traditionelle Pfingstcamp der SDAJ nicht in Form eines zentralen Camps statt. Vielmehr richtete die Organisation vier regionale Camps aus: Das "Nordcamp" in Norderstedt - Landesverbände Hamburg und Niedersachsen Das "Ostcamp" in Radis - Landesverbände Berlin, Sachsen/Thüringen der Jugend Das "Westcamp" in Ahaus - Landesverbände Ruhrund Rheinland-Westfalen Das "Südcamp" in Heidenheim - Landesverbände Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Die etwa 60 Teilnehmer - darunter einige aus Thüringen - des "Ostcamps" in Radis (SachsenAnhalt) diskutierten u. a. über: die Repression von Kommunisten, die Schülerund Arbeiterjugendpolitik und die XV. Weltfestspiele der Jugend vom 8. bis 16. August in Algier. "XV. Weltfestspiele der Jugend und Studenten" in Algier An den "XV. Weltfestspielen der Jugend und der Studenten", die vom 8. bis 16. August in Algier stattfanden, war die SDAJ mit 37 von 80 Mitgliedern in der deutschen Delegation in erheblichem Umfang vertreten. In einer Rede hat die Bundesvorsitzende Tina Sanders unter dem Titel "Die Jugend der Welt klagt den Imperialismus an" am 13. August die Bundesrepublik Deutschland in einer scharfen Form angeklagt. Die Bilanz, die die SDAJ zog, fiel widersprüchlich aus. Auf Versuche, von Seiten des Gastgeberlandes vereinnahmt zu werden, ging sie ebenso ein wie auf Auseinandersetzungen mit der irakischen Delegation. In einem "Gemeinsamen Vorbereitungskomitee", in dem verschiedene Jugendorganisationen vertreten waren, war die SDAJ im Vorfeld der Veranstaltung innerhalb Deutschlands federführend gewesen. Aus diesem Grunde hatte die Organisation auch am 23. April in Mühlhausen eine Informationsveranstaltung durchgeführt. 54 3.4 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Ideologie Die MLPD, die 1982 in Bochum als "politische Vorhutorganisation der Arb e- gründet wurde, hat ihren Sitz in Gelsenkirchen. In dem Parteiprogramm, das auf dem Gelsenkirchener Parteitag 1999 beschlossen worden ist, bezeichnet sie den Sozialismus als ihr gesellschaftliches Ziel, die Diktatur des Proletariat als notwendig. "Erst durch den Sturz der kapitalistischen Herrschaft und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaftsordnung", heißt es in dem Programm, "werden alle Formen der Ausbeutung und Unterdrückung der werktätigen Massen abgeschafft." Die MLPD bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tse-tung. Ihre Aufgabe sieht sie darin, diese Lehren schöpferisch anzuwenden, sie weiterzuentwickeln und an die aktuelle Situation anzupassen. Struktur Schätzungen zufolge gehören der MLPD bundesweit etwa 2000 Mitglieder an. An die 50 Thüringer zählen zum Landesverband Elbe-Saale (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen). Nebenorganisationen wie der Jugendverband "REBELL" und die Kinderorganisation "Rotfüchse", die der Partei zugehören, sind auch in Thüringen vertreten. Organisatorische Schwerpunkte der Partei bilden Eisenach und Sonneberg. Die Zeitschrift "Rote Fahne", das Zentralorgan der Partei, erscheint bundesweit wöchentlich in einer Auflage von etwa 7500 Exemplaren. 5. Verbandsdelegiertentag des Jugendverbandes "REBELL" Am Anfang des Jahres fand der 5. Verbandsdelegiertentag (VDT) des Jugendverbandes "REBELL" statt. Er stellt das höchste Organ des Verbandes dar und wird alle zwei Jahre einberufen. Im Mittelpunkt stand einem Bericht der "Roten Fahne" zufolge die Aufgabe, den "REBELL" als "marxistisch-leninistischen Jugendmassenverband auszurichten". Unter der ideologisch-politischen Führung der Partei solle "die Masse der Jugend für den Kampf um den echten Sozialismus" gewonnen werden. In einem Grußwort an die Delegierten hob der Parteivorsitzende Stefan Engel die "Schlüsselfunktion" hervor, die dem "REBELL" für den Parteiaufbau zukomme. Das "Internationale Pfingstjugendtreffen" in Gelsenkirchen Das traditionelle "Internationale Pfingstjugendtreffen" fand unter den Motto "Die Zukunft liegt in unserer Hand - weltweit" zum zehnten Mal am 2./3. Juni in Gelsenkirchen statt. Den Angaben der "Roten Fahne" nach sollen an dem Treffen, dessen Programm mehr als 150 Punkte umfasste, mehr als 60 Organisationen und über 10000 Menschen teilgenommen haben. An der Auftaktdemonstration, deren Motto "Für internationale Solidarität Der Jugend eine Zukunft" lautete, beteiligten sich am 2. Juni in der Innenstadt von Gelsenkirchen bis zu 2000 Personen. Die MLPD und die Terroranschläge vom 11. September Mehrmals reagierte die MLPD auf die Terroranschläge vom 11. September. In einem ausführlichen Interview, das der Parteivorsitzende Stefan Engel der "Roten Fahne" gab, verurteilte er sie. Er nannte sie feige und unsinnig. Die Partei distanziere sich grundsätzlich von solchen "massenfeindlichen" Terrorakten, da Ereignisse wie die Anschläge vom 11. September miss55 braucht würden, um die internationale proletarische Bewegung zu unterdrücken. Der Imperialismus könne, hob er hervor, nur durch den Kampf der Arbeiterklasse und der Völker geschlagen werden, der US-Imperialismus bleibe ein Hauptfeind. Die militärischen Maßnahmen, die die USA und die NATO angekündigt haben, lehnte er ab. Aktivitäten in Thüringen In Thüringen trat die MLPD öffentlich vor allem im Rahmen von Demonstrationen in Erscheinung. Am Rande der Demonstration gegen Rechtsextremismus, die am 3. März in Sonneberg stattfand, verteilte sie eigene Schriften. Sie wirkte auch an dem "Sonneberger Bündnis das die Demonstration vom 12. Mai in Sonneberg, die unter dem Leitspruch "Zivilcourage für die Achtung der Menschenrechte und Wahrung der Demokratie Gegen Naziaufmärsche" stattfand und sich gegen den von der NPD getragenen sogenannten Sandro-Weilkes-Gedächtnismarsch richtete, vorbereitete. Nachdem die Militäraktionen der USA in Afghanistan begonnen hatten, verteilten Mitglieder der Partei und ihres Jugendverbandes im Verlauf einer spontanen Demonstration auf dem Marktplatz in Eisenach am 8. Oktober Flugblätter des Zentralkomitees. Darin wurden die militärischen Maßnahmen eine "Aggression gegen das afghanische Volk" genannt, ein Zusammenhang zwischen den Terroranschlägen und den Aktionen gegen die Taliban bestritten. Zugleich rief die MLPD auf, an den emonstrationen am 13. Oktober in Berlin und Stuttgart teilzunehmen. Am 25. Januar unterstützte sie mit Flugblättern, in denen sie u. a. eine "30 Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich" forderte, den europaweiten Aktionstag der Beschäftigten der Opel-Werke in Eisenach. Die Aktivitäten der Partei zielen auch dahin, Mitglieder und Interessenten ideologisch zu schulen. Im Besonderen setzt sie dafür theoretische Schriften ein, die von ihr herausgegeben worden sind. Unter der Leitung von Günter Slave, dem Mitglied des Zentralkomitees und Vorsitzenden des Landesverbandes Elbe-Saale, fanden am 8. und am 21. März auch in Eisenach Veranstaltungen statt, um die Streitschrift "Neue Perspektiven für die Befreiung der Frau" vorzustellen. Während der ersten Präsentation der Schrift waren die Autoren, u.a. Stefan Engel, der Bundesvorsitzende der Partei, anwesend. Am 18. November fand in Eisenach eine weitere Veranstaltung der Partei und ihrer Kinderorganisation statt. Sie gehörte zu den bundesweiten Auftaktveranstaltungen, die die vier Werbewochen für MLPD und "REBELL" unter dem Titel "Stärkt die Zukunftspartei MLPD" vom 16.-18. November eröffneten. Auf diese Weise wollte die MLPD an Einfluss gewinnen. Sie wollte sich aber auch als eine revolutionäre Arbeiterpartei darstellen, die eine sozialistische Alternative aufzeigt, die den aktiven Widerstand gegen Bushs "New War" organisiert, die für die Jugend und die Befreiung der Frau mehr als andere Parteien eintritt. Der Parteivorsitzende nannte die Werbewochen einen Erfolg, da die MLPD Mitglieder und Abonnenten gewonnen, aber auch Spenden in erheblicher Höhe erhalten habe.37 3.5 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD/Ost) Ideologie Die KPD/Ost wurde im Januar 1990 von ehemaligen SED-Mitgliedern in Berlin "wiedergegründet". An die 1918 gegründete KPD und deren Thälmannsche Tradition knüpft sie ebenso 37 Interview des Parteivorsitzenden in "Rote Fahne" 48/01 56 bewusst an wie an die SED, die infolge der Vereinigung von KPD und SPD 1946 in der damaligen sowjetischen Besatzungszone entstanden war. In den "Grundsätzen und Zielen" die sie auf dem 18. Parteitag im Dezember 1994 beschlossen hatte, bekennt sie sich - wie auch in früheren programmatischen Grundsätzen - "vorbehaltlos zu den Lehren von Marx, Engels, Lenin und zu ihren Gründern und Führern Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Ernst l- mann und Wilhelm Pieck". Sie gehe vom Marxismus-Leninismus aus, und sie sei "eine Partei der Arbeiterklasse und der Ausgebeuteten und Unterdrückten", heißt es in den "Grundsätzen und Zielen" weiter. Es gelte, den Kapitalismus auf "revolutionär-demokratischem" Wege zu überwinden und letzten Endes eine sozialistische Gesellschaft zu errichten. Die KPD/Ost leiste ihre Arbeit auf der Grundlage des Grundgesetzes, kämpfe jedoch "an der Seite aller demokratischen Kräfte für die vollständige Verwirklichung der im Grundgesetz verbrieften Rechte für alle Bürger". Zugleich tritt sie dafür ein, eine neue Verfassung für das vereinte Deutschland auszuarbeiten. Das zentrale Publikationsorgan der Partei bildet die monatlich erscheinende Zeitschrift "Die Rote Fahne". Struktur Die Anzahl der Mitglieder dieser Partei, die überwiegend aus den neuen Bundesländern stammen, beläuft sich bundesweit auf etwa 400 Personen. In den alten Bundesländern ist die Partei in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Niedersachsen organisatorisch vertreten. Der KPD-Landesorganisation Thüringen, die seit April 1993 besteht, gehören nur wenige Mitglieder an. Noch zu Beginn des Jahres war sie allein über das Zentralkomitee der Partei, das sich in Berlin befindet, zu erreichen. Seit Februar verfügt sie wieder über eine eigene Adresse in Der 21. Parteitag der KPD/Ost Am 24. März führte die KPD/Ost in Klosterfelde bei Berlin den 21. Parteitag38 durch, der unter der Losung "Sozialismus/Kommunismus - Zukunft der Menschheit" stand. Auf dem Parteitag beschlossen die Delegierten ein Dokument, das denselben Namen trägt. Der Öffentlichkeit solle es jedoch erst zugänglich gemacht werden, nachdem es ergänzt und verbessert worden sei. Der bisherige Vorsitzende der Partei, Werner Schleese, wurde wiedergewählt. Bei der Wahl der übrigen Mitglieder von Zentralkomitee und Sekretariat soll es zu einer beachtlichen Verjüngung gekommen sein. Außerdem wurde beschlossen, dem Zentralkomitee eine Jugendkommission anzugliedern und den "Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD)39 so schnell wie möglich wiederzugründen. Unter den Gästen des Parteitags sollen sich auch Vertreter der DKP und KPF befunden haben. Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September Auf die Terroranschläge vom 11. September reagierte das Sekretariat des Zentralkomitees mit einer Erklärung, in der es die Anschläge verurteilte. Terrorakte seien grundsätzlich ungeeignet, gesellschaftliche Konflikte zu lösen. Würde nicht auf eine friedliche Lösung von Konflikten gesetzt, könne der Geltungsdrang der imperialistischen Weltmächte ein weltweites Inferno heraufbeschwören. Das ZK distanziere sich von den Manipulierungsversuchen der Massenmedien, die auf die Anschläge zurückgingen und die Bevölkerung für politische Zwecke instrumentalisieren sollen. Die Terrorakte rührten von den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen, vom gegenwärtigen kapitalistischen Imperialismus her. 38 Die Zählung der Parteitage knüpft an die Nummerierung aus der Zeit der Weimarer Republik an. 39 Ein parteizugehöriger Jugendverband diesen Namens existierte seit 1925 in der Weimarer Republik, entsprechende Vorgänger seit 1918. Der Termin für die Wiedergründung ist für April 2002 angesetzt. 57 Die Parteikonferenz vom 11. November Unter der Losung "Aktionseinheit - notwendiger denn je" fand am 11. November in Strausberg bei Berlin eine Konferenz der Partei statt. Wie die Zeitschrift "Die Rote Fahne" berichtete, sei es deren wichtigstes Ziel gewesen, ein breites Aktionsbündnis herzustellen, um einen dritten Weltkrieg abzuwenden. Folgerichtig hätten die Teilnehmer der Konferenz die USA und ihre Verbündeten aufgefordert, die Kriegshandlungen gegen Afghanistan sofort zu beenden. Gegen eine Entsendung von Soldaten der Bundeswehr hätten sich neben den Diskussionsrednern der KPD auch Vertreter der DKP und KPF ausgesprochen. Unter den 100 Teilnehmern befanden sich auch Vertreter des "Roten Tisches in Ostthüringen". Der 22. Parteitag der KPD/Ost Am 15. Dezember hielt die KPD/Ost in Strausberg bei Berlin ihren 22. Parteitag ab. Dort standen sowohl der Bericht des Zentralkomitees und die Beschlüsse des 21. Parteitages auf der Tagesordnung als auch die Aufgaben für das Jahr 2002. Aus dem Arbeitsprogramm, das für das Jahr 2002 beschlossen wurde, ragen heraus: - Vorbereitung der Liebknecht-Luxemburg-Ehrung am 13. Januar in Berlin, - Weiterführung der Vorbereitungen zur Wiedergründung des "Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands" (KJVD), - Entscheidung über eine mögliche Teilnahme der Partei an der Bundestagswahl im September 2002, - Vorbereitung der Teilnahme an der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im April 2002 im Rahmen des Wahlbündnisses DKP-KPD. Aktionen Auch im Jahr 2001 führte die Partei im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald am 18. August eine Gedenkfeier durch, um der Ermordung von Ernst Thälmann zu gedenken. Vor etwa 50 Teilnehmern beschrieb der Parteivorsitzende Werner Schleese Ernst Thälmann in einer Rede als " einen standhaften Marxisten, einen Kämpfer für die Aktionseinheit der Arbeiterklasse gegen Ausbeutung, Folter und Krieg, für Sozialismus und Fri s- te Form, seiner zu gedenken, sei es, sich seine Auffassungen zu eigen zu machen, in seinem Sinne in der Partei, im deutschen und internationalen Proletariat für den Sozialismus zu wirken. Die Partei bekenne sich, hob Schleese hervor, zur Aktionseinheit der Kommunisten, zum Klassenkampf des Proletariats und zum Sozialismus. An die Gedenkfeier schlossen sich Diskussionsrunden in Erfurt und Weimar an. In Erfurt stand das Dokument "Sozialismus/Kommunismus - Zukunft der Menschheit", das auf dem 21. Parteitag beschlossen worden war, im Mittelpunkt. In Weimar galt die Veranstaltung dem Thema "Hat Ernst Thälmann uns heute auch noch etwas zu sagen ?" Sowohl in Erfurt als auch in Weimar war der Parteivorsitzende als Redner vorgesehen. Am 6. Oktober fand das 6. Leserforum der parteieigenen Zeitschrift "Die Rote Fahne" im thüringischen Viernau/Lkr. Schmalkalden-Meiningen statt. Zu dieser Veranstaltung hatte die Landesleitung der Partei eingeladen. Die Teilnehmer kamen aus Thüringen und SachsenAnhalt. Der Chefredakteur berichtete über das Publikationsorgan, die Arbeitsweise der Redaktion und ihre Probleme. Ebenso ging er auf die aktuelle politische Lage in Deutschland und in der Welt ein. Im Mittelpunkt der Diskussion standen die Terroranschläge vom 11. Sep58 tember in den USA. Die Teilnehmer stimmten der Erklärung zu, die das Zentralkomitee der Partei verabschiedet hatte. Die Thüringer Landesorganisation der Partei lud ein, den Grenztruppen der DDR zu Ehren am 1. Dezember an einer Gedenkfeier auf dem Erfurter Hauptfriedhof teilzunehmen. Auf ihrer Internetseite rief sie auf, nach der Veranstaltung am "Denkmal für die gefallenen Grenzsoldaten Rudi Arnstadt und Manfred Weiß" an einem Forum zum "Tag der Grenztruppen" teilzunehmen und den Lichtbildervortrag "Reise in die Koreanische Demokratische Volksrepublik" zu besuchen. 3.6 "Gemeinsame Erklärung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Kommunistischen Plattform der PDS des Landes Thüringen" vom 24. Februar In eine "Gemeinsame Erklärung" der Thüringer Landesgliederungen von DKP, KPD und KPF, die am 24. Februar verabschiedet wurde, gingen Gespräche ein, die Vertreter dieser Parteien miteinander geführt hatten. Einige Jahre schon hatten Vertreter von marxistischleninistischen Parteien und Organisationen darüber diskutiert, auf welche Weise sie enger zusammenarbeiten könnten. "Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen in der gemeinsamen Arbeit waren sich die Teilnehmer darin einig", heißt es in der Erkl u- sammenwirken der Kommunisten, unabhängig von ihrer Organisationszugehörigkeit auf der Grundlage gemeinsamer politischer Überzeugungen und unter Zurückstellung unterschiedlicher Auffassungen ein unbedingtes Erfordernis" ist. Die Teilnehmer legten fest, die Beratungen zu vertiefen und vierteljährlich zusammenzutreffen, um Erfahrungen auszutauschen und die politische Lage einzuschätzen. Gemeinsam wollen sie "außerparlamentarische Aktionen" unterstützen, die sich vor allem gegen den Neofaschismus, gegen imperialistische Kriege und gegen Sozialabbau richten, aber auch "ökologische Fragen" aufgreifen. Insbesondere "vor Ort" sollten die Mitglieder der verschiedenen Organisationen eng zusammenarbeiten, gleichermaßen "weitere Kommunisten und Sympathisanten zur Mitarbeit gewinnen". Im Mittelpunkt der Aktivitäten - so die Vertreter von DKP, KPD und KPF - müsse stehen, in bestehenden Plattformen gegen Rechts und an der Gründung entsprechender Bündnisse mitzuwirken. 3.7 "Roter Tisch in Ostthüringen" Ideologie und Struktur Der "Rote Tisch in Ostthüringen", der früher als "Roter Tisch der Kommunisten Ostthüringens" bekannt war, stellt einen Zusammenschluss von Mitgliedern verschiedener Parteien, Vereinigungen und einzelnen Personen dar. In ihm sind die DKP, SDAJ, KPD, MLPD und die KPF der PDS vertreten. In einer Selbstdarstellung, die er 2001 auf seiner Website verbreitete, bekennt er sich dazu, den Kapitalismus/Imperialismus beseitigen zu wollen, um eine klassenlose kommunistische Gesellschaft aufzubauen, die "frei von Ausbeutung und Unterdrückung jeglicher Art" ist. Da es in Deutschland bisher an einer starken Organisation fehle, die dieses Ziel erreichen könne, halte es der "Rote Tisch" für seine Aufgabe, "eine solche... müsse es gelingen, "eine gemeinsame Praxis der unterschiedlichen ... linken Gruppen und Einzelpersonen" herzustellen. Ebenso sollten Aktionseinheiten, die zum Beispiel den Antifaschismus und Antirassismus, den Kampf gegen den imperialisti59 schen Krieg und staatliche Repression betreffen, angestrebt werden, um die Zersplitterung der linken Szene zu beseitigen. Gemeinsame Aktionen sollten angestrebt, die Eigenständigkeit der Beteiligten und die Toleranz gegenüber ideologisch abweichenden Meinungen jedoch gewahrt werden. "Erster bundesweiter Bündniskongress Die bedeutendste Veranstaltung des "Roten Tisches" stellte der "Erste bundesweite Bündniskongress" dar, der in der Zeit vom 21. bis 23. September in Postendorf bei Jena stattfand. In seinem Mittelpunkt standen die Terroranschläge in den USA, deren Ursachen und Folgen. Die Teilnehmer sprachen sich dafür aus, regionale Bündnisse zu unterstützen, Wahlbündnisse zwischen Kommunisten und Sympathisanten zu schließen, die Zusammenarbeit aller Friedenskräfte zu verbessern und internationale Aktionsbündnisse zu schaffen. In einer am 22. September verabschiedeten Resolution, die die Terroranschläge betraf, wenden sich die Teilnehmer in diesem Sinne an alle progressiven Kräfte. Drei Treffen fanden statt, um die Veranstaltung vorzubereiten. Aktivitäten Im Vorfeld der Demonstration "Es gibt keine Alternative zur sozialen Revolution", die am 30. April in Erfurt stattfand, beteiligte sich der "Rote Tisch" mit einem Text am gemeinsamen Reader der Organisatoren. In dem Beitrag, der auch im Internet eingestellt wurde, forderte er eine "endgültige und radikale Überwindung der herrschenden Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung". Ein Ausweg aus dem imperialistischen Irrsinn könne nur gefunden werden, heißt es weiter, wenn der Kapitalismus überwunden und eine befreite Gesellschaft aufgebaut werde. Die Gruppierung beteiligte sich auch an einer Reihe von weiteren Veranstaltungen, die in Thüringen organisiert wurden. Mit dem Transparent "Gebot der Zeit Aktionseinheit" nahm sie neben der DKP, SDAJ, KPD u. a. an der Veranstaltung teil, die am 8. April der Befreiung des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald gedachte. Ebenso wirkte die Vereinigung an der Veranstaltung vom 20. Juli auf dem Nordfriedhof in Jena mit, zu der jedes Jahr einberufen wird, um des Todes des Jenenser Antifaschisten und Widerstandskämpfers Magnus Poser40 zu gedenken. Mit etwa 20 internationalen politischen Organisationen beteiligte sich der "Rote Tisch" auch vom 28. Juli bis 5. August am diesjährigen "Antiimperialistischen Sommerlager" in Assisi. Zwei der geplanten Foren, die der Geschichte des italienischen Kommunismus und Ernesto Che Guevara galten, habe er selbst ausgerichtet. Das Lager will revolutionären Antiimperialisten die Möglichkeit bieten, Meinungen und Erfahrungen auszutauschen. Es dient aber auch der Koordinierung von internationalen Aktionen und strategischer Planungen. In diesem Jahr stand es ganz im Zeichen des G 8-Gipfels in Genua. 3.8 "Rote Hilfe e. V." (RH) Die "Rote Hilfe e. V." versteht sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Sie organisiere die Solidarität für alle, unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung, die in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden. Darüber hinaus gelte ihre Solidarität 40 In Jena 1907 geboren, starb Poser am 21. Juli 1944 im KZ Buchenwald. Auf dem Jenenser Nordfriedhof ist ihm eine Gedenkstätte gewidmet. 60 "den von der Reaktion politisch Verfolgten in allen Ländern der Erde". Die Organisation gliedert sich bundesweit in etwa 38 Ortsbzw. Regionalgruppen. In Thüringen existieren solche Gruppen in Erfurt und Südthüringen. Im Januar gab die Erfurter Szeneschrift "SPUNK" bekannt, dass die Erfurter Ortsgruppe wiedergegründet worden sei. Gleichzeitig wurde auf -Hilfe-Tag" im Erfurter Infoladen Sabotnik hingewiesen. Die Regionalgruppe Südthüringen, die im Oktober 2000 gegründet wurde, hat ihren Sitz in ZellaMehlis. Bundesweit gehören der "Roten Hilfe" etwa 4.200 Mitglieder an. Vierteljährlich erscheint die Publikation "Die Rote Hilfe" mit einer Auflage in Höhe von 5000 Exemplaren. 4. Autonome 4.1 Allgemeines Ideologie und Struktur Ende der siebziger Jahre bildeten sich in der Bundesrepublik die ersten autonomen Gruppen heraus. Heute agieren Autonome in fast allen größeren Städten, insbesondere in Ballungsgebieten wie Berlin oder dem Rhein-Main-Gebiet. Bundesweit beläuft sich die Anzahl der Autonomen, die zur Gewalt bereit sind, auf etwa 6.000. Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Gesetzen zu leben, ein selbstbestimmtes Leben ohne fremde Vorgaben, Anordnungen und Gesetze zu führen. Staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet die paradoxe Devise. Ihre individuelle Befindlichkeit mündet in eine generelle Anti-Haltung. Autonome haben daher keine festumrissenen ideologischen Vorstellungen. Ihre Ansichten setzen sich aus anarchistischen Elementen ebenso zusammen wie aus nihilistischen, sozialrevolutionären und marxistischen Gedanken. Autonome wollen alles zerschlagen, was vorhanden ist, was sie zu hemmen oder einzuengen scheint. Ihres ausgeprägten Individualismus wegen verlangen sie nicht nach in sich geschlossenen, theorielastigen Konzeptionen, die auf eine Veränderung der Gesellschaft zielen. Verschiedene Schwerpunkte, deren Intensität und Bedeutung schwanken, bilden für die Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene die Grundlagen: Antifaschismus, Antirassismus, Dritte Welt, Neoliberalismus und Globalisierung "Häuserkampf"/Umstrukturierung von Wohnvierteln, Widerstand gegen das Ausländerund Asylrecht, Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte, Proteste gegen Auslandseinsätze der Bundeswehr. Mit ihren Themen setzen sich die Autonomen auf friedliche oder gewalttätige Art und Weise auseinander. Ihre Aktivitäten können Diskussionen und Vortragsveranstaltungen ebenso einschließen wie Demonstrationen und Straßenkrawalle, Sachbeschädigungen, Brandund Sprengstoffanschläge. Gewalt gegen Personen wenden Autonome vor allem bei Protestaktionen an, die sich gegen Veranstaltungen der rechten Szene richten. Hier suchen Autonome die 61 direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner oder mit den Einsatzkräften der Polizei. Sachbeschädigungen, die häufig ein erhebliches Ausmaß erreichen, und Körperverletzungen, die auch Polizeibeamte treffen, sind die Folge. Dem Grundverständnis der Autonomen widersprechen Organisationsformen, die fest strukturiert, auf Dauer angelegt und übergreifender Art sind. Sie agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Gruppen. Organisation Ihren Wirkungsmöglichkeiten sind allein ihres niedrigen Organisationsstandes wegen enge Grenzen gesetzt. Daher unternahmen sie Versuche, übergreifende Organisationsformen zu finden. Integrative Möglichkeiten eröffnet ihnen vor allem das Aktionsfeld "Antifaschismus". Die Vorstellung, die die Linksextremisten vom Antifaschismus haben, reduziert sich nicht auf die Bekämpfung der heute aktuellen Traditionslinien von Nationalsozialismus und Faschismus. Sie schließt auch die "Auseinandersetzung mit dem imperialistischen System" ein, das ihrer Ansicht nach das Dritte Reich in modifizierter Form fortsetzt. Der bisher bedeutendste Versuch, autonome Strukturen bundesweit zu organisieren, ist fehlgeschlagen, nachdem die 1992 gegründete "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) im April 2001 aufgelöst worden ist. Isolierung, auf die Region begrenzte Aktionen und zahlenmäßige Schwäche konnten nicht überwunden werden. Die Bildung einer solchen Organisation ließ sich nur schwer mit dem Selbstverständnis der Autonomen in Übereinstimmung bringen. Verständigung zwischen den Gruppen Absprachen zwischen den Gruppen sind in der Regel informeller Art. Insbesondere verständigen sie sich über das Internet, durch E-Mail und Infotelefone. Dies ermöglicht eine überregionale Vernetzung, Agitation und Mobilisierung. Nach wie vor werden aber auch herkömmliche Formen der Kommunikation intensiv genutzt: Die in Berlin wöchentlich erscheinende Zeitschrift INTERIM, die über die Stadt hinauswirkt, hat die größte Bedeutung erlangt. Als Anlaufpunkte für die Szene und für Interessenten sind sogenannte Infoläden von besonderer Bedeutung. Die Infoläden bieten Kontaktmöglichkeiten, sie dienen als Treffpunkt, und sie vertreiben linksextremistische Schriften und Flugblätter. Mit Plakaten und Aushängen informieren sie über aktuelle Aktivitäten und geplante Aktionen. Literatur, die sie auslegen, und kleine Bibliotheken, die sie eingerichtet haben, können von allen genutzt werden. Dort finden Interessierte Literatur zu Themen, die die Szene betreffen. Darüber hinau Räume, um Aktionen und Demonstrationen vorzubereiten und um sich mit Anhängern des linken Spektrums auszutauschen. Faxgeräte, Computer oder Kopierer, die sich in den Infol den befinden, können von den Mitgliedern der Szene benutzt werden. 4.2 "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) Ideologie und Struktur Im Jahre 1992 gegründet, hat sich die militante "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) im April aufgelöst. Somit war der bedeutendste Versuch fehlgeschlagen, autonome Strukturen bundesweit stärker als bisher zu vernetzen und zu vereinen. 62 Die AA/BO verstand sich als Sammelbewegung, die die Zersplitterung der Linken aufzuheben gedachte. Offensiv rief sie zum Widerstand gegen das "bestehende Herr auf, da sich eine antifaschistische, freie Gesellschaft nur herausbilden könne, wenn das System mit allen seinen Übeln beseitigt würde. "Denn für alles Reaktionäre gilt", meinte sie, " dass es nicht fällt, wenn es nicht niedergerissen wird". Die AA/BO betrieb Programm-, Schulungsund Medienarbeit. Regelmäßig berief sie Treffen von Delegierten der Gruppen ein, die ihr angehörten. Das Hauptaktionsfeld der Organisation bildete der "Antifaschismus", wobei der Kampf gegen den Faschismus als Kampf gegen das imperialistische System verstanden wurde. Auflösung der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" Die Auflösung der AA/BO hängt vor allem mit der Schwäche zusammen, die die autonome Antifa-Szene seit langem prägt. Auf Initiative der beiden AA/BO-Mitgliedsgruppen "Autonome Antifa (M)" Göttingen und "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) sowie des Leipziger "Bündnisses gegen Rechts" (BgR) fand im April in Göttingen ein Antifa-Kongress statt. Unter dem Leitspruch " Antifa-Kongress 2001 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen" sollte der Standort bestimmt werden, an dem sich die Antifa-Bewegung befindet. Die Diskussion galt aber auch der Frage, welche Perspektiven antifaschistische und linksradikale Politik hätten. Bereits in dem Aufruf, der zum Kongress eingeladen hatte, war festgestellt worden, dass die organisierte Antifa an ihre Grenzen gelangt sei. Organisationen wie der AA/BO sei es nicht gelungen, sich als relevante Kräfte zu etablieren. Die Auflösung der AA/BO sollte inhaltlichen Diskussionen um einen Prozess der Neuorientierung, die für den Kongress vorgesehen waren, zusätzliche Impulse verleihen. Die AA/BO durchlief bereits im Jahre 2000 eine deutliche Schwächephase. Vermutlich ist sie vor allem darauf zurückzuführen, dass ein Teil des autonomen Spektrums der Mitgliedsgruppe "Antifaschistische Aktion Berlin (AAB)" vorwarf, einen Vergewaltiger in ihren Reihen zu schützen. Hieraus entwickelte sich eine grundsätzliche Auseinandersetzung, die dem Thema galt. Sie zog schließlich eine Spaltung der AA/BO nach sich und führte zum Austritt mehrerer Mitgliedsgruppen. Anfang 2000 gehörten der Organisation noch zwölf Gruppen als Mitglieder an, Ende desselben Jahres nur noch sieben. 4.2.1 Exkurs: Der "Antifa-Kongress" in Göttingen - ein gelungener Versuch der Krisenbewältigung? Die Schwäche der Antifa-Bewegung hält immer noch an. Große Teile der autonomen AntifaSzene treten deshalb dafür ein, mit anderen Kräften stärker zusammenzuarbeiten. Hiervon erhoffen sie sich, ihre Interventionsfähigkeit zurückzuerlangen und wieder an Einfluss zu gewinnen. Die öffentliche Debatte über die Bekämpfung des Rechtsextremismus bietet einen Ansatzpunkt, neue Kontakte herzustellen und Verbindung zu anderen Gruppen aufzunehmen. Allerdings fürchten autonome "Antifaschisten", im "Staatsantifaschismus" ihr revolutionäres Profil zu verlieren. Sie warnen deshalb davor, Antifa-Bündnisse dieser Art einzugehen. Sie weisen solche Bündnisse zurück, da sie sie nur aus einer Position der Stärk g- lich halten. Im Angesicht der Schwäche, in der sich die Szene gegenwärtig befindet, ist sie jedoch auf Bündnispartner angewiesen, um überhaupt noch in Erscheinung zu treten und wahrgenommen zu werden. Der "Antifa-Kongress", der im April nach Göttingen einberufen worden war, sollte - erhofften sich Teile der Szene - den Ausgangspunkt bilden, um die Krise der Antifa zu überwinden. 63 Unter dem Leitspruch "Antifa-Kongress 2001 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen" hatten die "Autonome Antifa (M)" Göttingen und die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB), die beide maßgebliche Mitgliedsgruppen der ehemaligen AA/BO bildeten , sowie das Leipziger "Bündnis gegen Rechts" (BgR) aufgerufen, sich an dem Kongress zu beteiligen. Vor allem sollte der Kongress, an dem etwa 600 Personen teilnahmen, klären, welche Perspektiven antifaschistische Politik habe. Ein thematischer Schwerpunkt des Kongresses galt daher der Trennung zwischen Antifa-Bewegung und antirassistischen Gruppen bzw. Initiativen, die zur Disposition gestellt werden sollte. Die bundesweite Schrift "Phase 2", die von Initiatoren des Kongresses als künftiges Diskussionsforum der Antifa-Bewegung angekündigt worden war, ging Ende Juli auf den Verlauf und das Ergebnis des Göttinger Kongresses ein. Die Verfasser meinten, wirklich neue Erkenntnisse, die auf den Zustand der linksradikalen Szene deuteten, habe der Kongress nicht erbracht. Vielmehr habe er im Prinzip bestätigt, was vorher schon bekannt gewesen sei: "Die Antifabewegung der 90er Jahre befindet sich in einer inhaltlichen wie strukturellen Krise und ist an ihren Endpunkt geraten." Gleichwohl vermuteten die Verfasser des Artikels, dass der Kongress eine überfällige Diskussion eingeleitet habe, um die Perspektive antifaschistischer Politik zu erkunden. Autonome aus Leipzig hingegen hielten den Kongress für einen Misserfolg. Unter der Überschrift "Zum Ende der Antifa" äußerten sie sich in der Leipziger Szeneschrift "klarofix" über den Zustand der autonomen Antifa-Bewegung wie folgt: "Was macht der letzte überregionale organisatorische Zusammenhang der Radikalen Linken: er löst sich auf mittendrin im Gezeter. Die Transformation der Autonomen Antifa in eine linke Bewegung mit einem Politikansatz, der die kapitalistischen Gesellschaft in ihrem gesamten Umfang kritisiert und diese auf den Müllhaufen der Geschichte befördert, ist gescheitert!". Ihrer Ansicht nach war der Versuch somit fehlgeschlagen, die AA/BO aufzulösen, um Anstöße für eine Neuorientierung zu geben. 4.3 Bundesweite Aktionen Ausschreitungen bei "Antifa-Aktionen" am 1. September in Leipzig Die Protestaktionen, an denen sich am 1. September in Leipzig mehr als 1000 militante Linksextremisten beteiligten, richteten sich nicht nur gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremisten. Sie zielten auch auf den zivilgesellschaftlichen Antifaschismus ab. Nachdem die Polizei eine Konfrontation zwischen autonomen Gruppen und rechten Demonstranten verhindert hatte, errichteten militante Autonome Barrikaden und zündeten sie an. Später zerschlugen sie Fensterscheiben in Büround Geschäftsgebäuden, plünderten einen Supermarkt und ließen eine Straßenbahn entgleisen. Als Kräfte der Polizei einschritten, wurden sie mit Pflastersteinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern attackiert. Die Gewalttäter behinderten nicht nur die Einsatzkräfte der Feuerwehr. Sie versuchten auch, die Rechtsextremisten, die sich unter Geleitschutz befanden, auf dem Weg zum Bahnhof anzugreifen, nachdem die Polizei den rechten Aufmarsch aufgelöst hatte. Insgesamt wurden 83 Personen in Gewahrsam genommen. Bereits am frühen Vormittag wurde auch ein Friedensfest, das von verschiedenen, überwiegend nicht extremistischen Organisationen durchgeführt wurde, zum Ziel militanter Linksextremisten. Etwa 40 Anhänger des autonomen Spektrums versuchten, die Veranstaltung - mit der ein Zeichen gegen den rechten Aufmarsch gesetzt werden sollte - zu stören. Dabei zeigten sie ein Transparent mit der Aufschrift "Deutschland den Krieg erklären". Als Polizeibeamte gegen ihre Aktionen vorgingen, warfen sie mit Steinen nach der Bühne. Eine Person wurde verletzt. 64 Im Vorfeld hatte das Leipziger "Bündnis gegen Rechts" (BgR) im Internet bundesweit aufgerufen, sich in Leipzig an Protestaktionen zu beteiligen. Unter der Losung "Deutschland den lgesellschaftlichen Militarismus und die neue Weltordnung angreifen" hatte es nicht nur aufgefordert, gegen den Aufmarsch der Nazis vorzugehen. Es hatte auch aufgerufen, die Zivilgesellschaft anzugreifen, die gegen die "Nazidemonstration" aufmarschiere und des Weltfriedens gedenke. Der Ansicht des Leipziger "Bündnisses gegen Rechts" zufolge stelle die Zivilgesellschaft lediglich eine andere Spielart des deutschen Nationalismus dar. Sie bilde gleichsam ein Gegengewicht zum völkischen Nationalismus der Nazis, strebe jedoch an, ein "geläutertes" Deutschland zu einer führenden Macht in Europa und in der Welt zu erheben. Da die Neonazis die NATO ablehnten und die Diktatur Hitlers hochhielten, stünden sie der Umsetzung des nationalen Projekts "Großmacht Deutschlan Wege. Am 1. September gelte es daher vor Augen zu führen, dass der zivilgesellschaftliche Antifaschismus ein imperialistisches Projekt sei, um die kapitalistische Ordnung militärisch durchzusetzen. Die Demonstration, die vom BgR vorbereitet worden war, verlief ohne Zwischenfälle. Mehrere hundert Personen hatten sich ihr angeschlossen. Antirassistisches Grenzcamp in Kelsterbach (Hessen) In den Jahren zuvor waren Camps in den Grenzregionen der Bundesländer Sachsen und Brandenburg eingerichtet worden. Im Jahre 2001 wurde das 4. "Antirassistische Grenzcamp" in der Zeit vom 27. Juli bis 28. August jedoch in der Nähe des Frankfurter Flughafens durchgeführt, da er der Ansicht der Initiatoren nach die "wichtigste Außengrenze" innerhalb der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Die Teilnehmer des Camps, die sich überwiegend aus Anhängern des autonomen Spektrums zusammensetzten, protestierten mit Kundgebungen und Demonstrationen vor allem gegen die Abschiebung von Flüchtlingen. Sie wandten sich aber auch gegen die Vorfälle, die das Gipfeltreffen in Genua überschattet hatten. Im Verlauf der Auftaktkundgebung protestierten am 28. Juli in Frankfurt am Main an die 850 Personen, die überwiegend dem autonomen Spektrum zugehörten, vor dem italienischen Generalkonsulat. Nach einer Demonstration, der sich am 3. August etwa 600 Personen angeschlossen hatten, zogen an die 60 von ihnen vor das italienische Fremdenverkehrsbüro. Mehrere Personen drangen in dessen Räume ein und forderten, die in Genua festgenommenen Demonstranten freizulassen. Nachdem die Kundgebung vom 4. August, die vor dem Abflugbereich des Flughafens stattfand, beendet worden war, versuchten etwa 200 Mitglieder der autonomen Szene, in den Bereich des Flughafens mit Gewalt einzudringen. Es gelang den Kräften der Polizei, den Angriff abzuwehren. Auch in der Thüringer linksextremistischen Szene stellt die Asylpolitik im Rahmen des Aktionsfeldes "Antirassismus" ein Thema dar. Mehrfach beteiligte sich die Szene daran, Teilnehmer für die antirassistischen Grenzcamps zu mobilisieren. Inzwischen wird erwogen, das 5. Grenzcamp im Jahr 2002 in Thüringen durchzuführen. Am 3. Oktober fand in der Region Suhl/Zella-Mehlis ein "Aktionstag gegen Residenzpflicht" statt, an dem sich auch Linksextremisten beteiligten. An diesem Tag, den die Organisatoren mit Bedacht gewählt hatten, dem "Tag des "nationalen Freudentaumels", wollten sie auf die Grenzen aufmerksam machen, die in Deutschland und in Europa noch bestehen. Sie forderten, alle "rassistischen Sondergesetze" abzuschaffen und allen Flüchtlingen, die sich in Deutschland aufhielten, die Freiheit einzuräumen, sich uneingeschränkt zu bewegen. Zugleich riefen sie auf, zivilen Ungehorsam zu üben und gegen diese Gesetze Widerstand zu leisten. Die "Rote Hilfe Südthüringen", die ntifa Suhl-Zella-Mehlis", der "Verband junger Antifaschisten Zella-Mehlis" und die "DKP Suhl" wurden als Mitorganisatoren bzw. Unterstützer des Aktionstages genannt. 65 Revolutionärer 1. Mai in Berlin und in anderen Städten Berlin Am "Revolutionären 1. Mai" gingen von militanten Linksextremisten in Berlin wieder schwere Gewalttaten aus. Über 600 Personen wurden festgenommen, mehr als 160 Polizeibeamte verletzt. Im Gegensatz zu den vergangenen Jahren war die zentrale 18-Uhr-Demonstration verboten worden. Sie wurde von einem Bündnis in Kreuzberg getragen, das die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) dominierte. Darüber hinaus konnte ein Aufzug der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) nur unter strengen Auflagen stattfinden. Im Vorfeld der Ereignisse wurde in Berlin eine Reihe von Anschlägen darunter auch Brandanschläge auf Einsatzfahrzeuge der Polizei - verübt, die vermutlich einen linksextremistischen Hintergrund hatten. Am Nachmittag des 1. Mai nahmen ungefähr 2500 Personen an der Demonstration teil, die vom Oranienplatz zum Kottbusser Tor im Bezirk Kreuzberg führte und von stalinistisch-maoistisch orientierten Gruppen organisiert worden war. Einzelne Polizisten wurden mit Flaschen beworfen. Unter dem Motto "Gegen das Demonstrationsverbot für Linke am 1. Mai" fand zu derselben Zeit in Kreuzberg ein weiterer Aufzug statt, dem sich ca. 4.700 Personen - darunter zahlreiche Autonome und Mitglieder revolutionär-marxistischer Gruppen - angeschlossen hatten. Auch diese Veranstaltung verlief ohne grö l- le. Nachdem die beiden Aufzüge zu Ende gegangen waren, kam es am frühen Abend zu stundenlangen Straßenschlachten mit der Polizei. Zuvor waren mehrere hundert Personen, die sich unerlaubt auf dem Heinrichplatz versammelt hatten, zum Mariannenplatz gezogen, wo sie sich unter die etwa 3000 Besucher eines Straßenfestes mischten. Annähernd 1500 Störer bewarfen die Polizeibeamten mit Pflastersteinen und Flaschen, setzten Kraftfahrzeuge und Barrikaden, die sie errichtet hatten, in Brand. Die Szene hielt die Aktionen, die am 1. Mai auf sie zurückgingen, für einen Erfolg. An diesem Tag sollen bis zu 50 000 Pflastersteine "in Bewegung" gesetzt worden sein. Frankfurt am Main Auch in Augsburg, Dresden, Essen, Mannheim und Frankfurt am Main rief die linke Szene zu Protestaktionen am 1. Mai auf, um auf Demonstrationen der Rechtsextremisten zu reagieren. In Frankfurt am Main versuchten Linksextremisten, die Anreise von rechten Sympathisanten aufzuhalten. Sie blockierten U-Bahnstrecken und bewarfen Sonderzüge mit Steinen. Zudem versuchten Autonome mehrmals, die Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Nachdem die Veranstaltung der Rechtsextremisten beendet worden war, wurden abfahrende Reisebusse von Angehörigen der linken Szene angegriffen und beschädigt. 139 Personen wurde die Freiheit entzogen, 28 Polizeibeamte erlitten Verletzungen. Erfurt Mit einer Demonstration, die am 30. April in Erfurt stattfand, erinnerte die Thüringer linksextremistische Szene an die Bedeutung des 1. Mai als "Kampftag der Arbeit Losung "Es gibt keine Alternative zur sozialen Revolution Gemeinsam solidarisch leben und kämpfen" marschierten 400 bis 500 Personen friedlich durch die Erfurter Innenstadt. 66 Aktionen gegen die Castor-Transporte März Linksextremisten beteiligten sich an den Protesten gegen die Castor-Transporte, die im März und November von der französischen Wiederaufbereitungsanlage (WAA) La Hague in das Zwischenlager nach Gorleben geleitet wurden. Nachdem gegen den Transport, der im März erfolgte, zunächst lediglich friedlich protestiert worden war, veränderte sich die Situation jedoch, als der Zug am 27.März im Wendland eintraf. Hier hatten sich annähernd 6000 Atomkraftgegner formiert, um den Weitertransport aufzuhalten. Wiederholt wurden die Polizeikräfte, die den Transport sichern sollten, mit Steinen beworfen, mit Signalmunition und Stahlkugeln beschossen. Einsatzfahrzeuge der Polizei wurden schwer beschädigt. Im Verlauf der Ausschreitungen wurden 29 Polizeibeamte verletzt, 595 Personen in Gewahrsam genommen und 39 festgenommen. November Der im November durchgeführte Castor-Transport erreichte hingegen sein Ziel, ohne in erheblichem Maße behindert worden zu sein. Lediglich im Wendland führten Blockaden dazu, ihn für eine kurze Zeit aufzuhalten. Insgesamt blieb die Beteiligung an den Protestaktionen jedoch unter den Erwartungen der Atomkraftgegner. Statt der 15 000 Demonstranten, die von den Organisatoren erwartet worden waren, hatten sich nur etwa 5000 zur Auftaktkundgebung am 10. November in Lüneburg eingefunden. Im Vorfeld der beiden Transporte kam es zu Anschlägen und Sachbeschädigungen, die die Anlagen und Bahnstrecken der Deutschen Bahn AG trafen. Insbesondere wurden auf Oberleitungen Hakenkrallenanschläge verübt. Thüringen und die Castor-Transporte In Thüringen wurde über das Internet, mit Plakaten und Flyern zum Widerstand gegen die Castor-Transporte aufgerufen. In Hinsicht auf die Transporte im März fanden zusätzlich in so auch in Jena - Veranstaltungen statt, um Atomkraftgegner zu mobilisieren. Im Rahmen eines sogenannten Widerstandstrainings blockierten im Jenaer Bahnhof ca. 15 Personen für mehrere Minuten die Abfahrt eines ICE. Für die Protestaktion gegen die Castor-Transporte warben militante Atomkraftgegner auch mit einem Beitrag in der Erfurter Szeneschrift "Spunk", die im Februar erschien. Sie hoben aber auch die Bedeutung der AntiAtomkraftbewegung heraus, wenn es gelte, linksradikale Ansätze zu vermitteln und umzusetzen. Im Dezember ging dieselbe Schrift auf die Protestaktionen ein, die sich im November gegen den Transport gerichtet hatten. Demnach sollen an die 50 "Aktivist(innen)" aus Th ringen an den Protesten beteiligt gewesen sein. Den im Vergleich zum März-Transport geringen Widerstand führen die Verfasser des Beitrages vor allem auf den Polizeieinsatz zurück: "Vieles scheiterte auch diesmal wieder daran, dass zuwenig auf Konfrontation mit den Bullen gegangen wird. Das gilt natürlich nicht für alle Situationen. Auch haben sich die Schergen zepte und Strategien entwickelt." 67 Proteste gegen "Globalisierung" G 8-Gipfel in Genua Die Proteste, die sich gegen die Globalisierung richteten, waren im Jahre 2001 von massiven Ausschreitungen militanter Gegner gekennzeichnet. Im Juli erreichten sie einen Höhepunkt, als ein Demonstrant im Verlauf von Gewaltausbrüchen während des G 8-Gipfel von Genua zu Tode kam. Dort hatten sich bis zu 100.000 Personen eingefunden, um zu protestieren. Die Lage spitzte sich zu, nachdem ein italienischer Demonstrant bei Auseinandersetzungen mit der Polizei am 20. Juli tödlich verletzt worden war. Infolge der massiven Ausschreitungen gab es Hunderte von Verletzten und erhebliche Sachschäden. Die Schäden, die von gewaltt tigen Demonstranten besonders Banken, Tankstellen und Geschäftshäusern zugefügt worden waren, belaufen sich auf annähernd 50 Millionen Euro. Die Polizei nahm mehrere Hundert Personen fest, unter denen sich mehr als 70 Deutsche befanden. EU-Gipfel in Göteborg Nach dem Todesfall in Genua kam es in einer Reihe von deutschen Städten zu spontanen Protesten und Kundgebungen, zu Sachbeschädigungen an Geldinstituten und italienischen Einrichtungen. Die Sicherheitsbehörden hatten in Genua mit massiven Protesten gerechnet, nachdem es bereits im Juni während des EU-Gipfels in Göteborg zu schweren Ausschreitungen militanter Globalisierungsgegner gekommen war. In Göteborg hatten am 15. Juni ungefähr 20000 Menschen, unter denen sich bis zu 1000 Militante befanden, gegen das Gipfeltreffen protestiert. Die militanten Gegner waren randalierend durch die Innenstadt von Göteborg gezogen und mit Pflastersteinen und Molotow-Cocktails u. a. gegen Geschäftshäuser und Polizeibeamte vorgegangen. Als ein Polizeibeamter in Notwehr seine Schusswaffe einsetzte, wurden drei Personen verletzt, darunter ein Deutscher. Mehr als 500 Personen wurden festgenommen. Mehrere Demonstranten und Polizeibeamte erlitten Verletzungen. EU-Gipfel in Brüssel Ebenso war es auch während des EU-Gipfels, der im Dezember in Brüssel stattfand, zu Ausschreitungen militanter Globalisierungsgegner gekommen. Nachdem eine Demonstration, an der etwa 70000 Personen teilnahmen, am 13. Dezember in Brüssel weitgehend störungsfrei verlaufen war, kam es während eines Aufmarsches am 14. Dezember zu Gewalttätigkeiten. Militante Demonstranten, die sich unter den annähernd 12 000 Teilnehmern befanden, warfen in der Innenstadt von Brüssel Scheiben von Banken, Geschäften und einer Polizeidienststelle ein. Sie beschädigten Fahrzeuge und eine Tankstelle. Unter den Personen, die festgenommen wurden, befanden sich auch deutsche Staatsangehörige. 4.4 Exkurs: "Globalisierung" - Aktionsfeld von Linksextremisten in Thüringen Die Proteste, die sich gegen die Globalisierung der Weltwirtschaft richten, werden in Thüringen zunehmend zum Aktionsfeld der Linksextremisten, insbesondere von solchen, die dem autonomen Spektrum zuneigen. So nahmen Personen aus Thüringen auch an den Protestaktionen gegen den G 8-Gipfel in Genua teil. "AktivistInnen aus Thüringen" riefen für den 22. Juli zu einer Protestkundgebung vor der Staatskanzlei in Erfurt auf, nachdem sie aus Genua 68 zurückgekehrt waren. Dort wurde u.a. ein Handzettel mit der Überschrift "worauf beruht der staat - wenn nicht auf gewalt?" verteilt, in dem die Autoren den Tod des italienischen Demonstranten mit einem brutalen Mord gleichsetzten und verurteilten. Zum ersten Mal in Europa sei ein Demonstrant, der sich gegen einen Regierungsgipfel auflehnte, von der Polizei hingerichtet worden. Die Verfasser stellten klar, dass ihr Widerstand übe gegen die Politik der Globalisierung hinausgehe. Der Tote sei auch einer von ihnen gewesen. Seine Hinrichtung sei aus der Sicht der Herrschenden ein Symbol, stellvertretend sei er das Opfer einer großen, weltweiten Bewegung geworden. Der Text schloss mit den Worten: "solidarität mit dem weltweiten widerstand gegen neoliberalismus, rassismus und faschismus". Zwei andere Personen aus Erfurt schilderten in einem Beitrag, den die Erfurter Szeneschrift "Spunk" im September veröffentlichte, warum sie in Genua an den Aktionen teilgenommen und welche Eindrücke sie dort gewonnen hätten. Auch sie verstehen sich als ein Teil der Bewegung, deren Widerstand über den Protest gegen die Globalisierung hinausreicht. Proteste, die sich gegen Gipfeltreffen richten, halten sie für gut geeignet, ihre grundsätzliche Kritik am Kapitalismus auf die Straße zu tragen. Darüber hinaus hätten die Erfahrungen, die in Genua gemacht worden sind, gezeigt, wie die Polizei und andere staatliche Institutionen auf Proteste dieser Art reagieren. Die beiden Personen nahmen auch an einer Protestkundgebung am 20. August in Erfurt teil. Sie war Teil eines bundesbzw. europaweit ausgerufenen Aktionstages, der den Vorfällen in Genua galt. Die Protestkundgebung stand unter der Losun s- mus tötet" und verlief ohne Störungen. Am Tag danach bedeckten Schmierereien wie zum Beispiel"TOT DEM STAAT" und "KAPITALISMUS TÖTET" Erfurter Geschäftshäuser. In mehreren Städten zogen die Ereignisse in Genua darüber hinaus Resonanzaktionen nach sich. Unbekannte warfen am 20. und am 22. Juli die Scheiben von Geldinstituten in Weimar und Zella-Mehlis ein. Zusätzlich beschmierten sie deren Fassaden mit den Losungen "Genua war Genua - Mord", "Rache für Genua". Am 22. Juli fanden in Weimar und Jena friedliche Protestkundgebungen statt. In der Nacht vom 23. auf den 24. Juli sprühten unbekannte Täter die Worte ""GENUA IST ÜBERALL" und "KAPITALISMUS TÖTET" auf die Fassade des Erfurter Rathauses. 4.5 Die autonome Szene in Thüringen Struktur Das autonome Umfeld im Freistaat Thüringen wird auf 300 bis 350 Personen beziffert, wovon etwa 150 bis 200 Autonome als gewaltbereit gelten. Diese Summe entspricht dem Potenzial der Vorjahre. Abgänge und Neuzugänge glichen einander aus. Regionale Schwerpunkte der Thüringer Szene bilden Erfurt, Jena, Eisenach und Gera. Autonome sind aber auch in den Regionen Weimar, Nordhausen, Meiningen/Suhl/Zella-Mehlis und Mühlhausen aktiv. Zu den Szeneschriften, die in Thüringen herausgegeben werden, gehören "Spunk" und "future is unwritten", die monatlich in Erfurt bzw. in Jena erscheinen. Überwiegend nutzt die Szene jedoch das Internet und Email-Anschlüsse, um miteinander zu kommunizieren. Sie ermöglichen eine überregionale Vernetzung, Agitation und Mobilisierung. Von der Szene betriebene Infoläden befinden sich in: Erfurt (Infoladen Sabotnik), Jena (Infoladen Jena und Infoladen "Schwarzes Loch & Archiv"), Meiningen (Infoladen "Notausgang") und Weimar (Infoladen Gerberstraße) . 69 Der Infoladen Sabotnik übt eine zentrale Funktion aus und ist in das bundesweite InfoladenNetz eingebunden. Der autonomen Szene ist es nicht gelungen, sich enger zusammenzuschließen. Hier und da wirkte das Bündnis "Autonome Thüringer Antifa Gruppen" (ATAG), das annähernd ein Jahr besteht, an Aktivitäten der autonomen Szene mit. In ihm haben sich verschiedene autonome namentlich aus Erfurt, Nordhausen, Eisenach, Mühlhausen, Bad Salzungen und Meiningen - zusammengeschlossen. Aktionsfelder Das wichtigste Aktionsfeld der linksextremistischen Gruppen, insbesondere des gewaltbereiten Spektrums, stellt auch im Freistaat Thüringen nach wie vor der "Antifaschismus" dar. Die autonome Szene Thüringens organisierte auch in diesem Jahr zahlreiche Aktionen gegen das rechtsextremistische Lager. Sobald Parteien oder Gruppierungen aus diesem Spektrum Demonstrationen oder öffentliche Veranstaltungen anderer Art ankündigten, riefen die Autonomen zu Gegenveranstaltungen auf. Sie strebten an, rechtsextremistische Demonstrationen abzuwenden oder zumindest zu behindern. Gleichermaßen zielten die Aktionen der Autonomen dahin, gegen die Politik der Bundesregierung und gegen vermeintliche gesellschaftliche Missstände Protest zu erheben. Ihrer Ansicht nach förderten "staatlicher Rassismus" und "Kriminalisierung des antifaschistischen Kampfes" - auch in der Bevölkerung - rechtsextremistische Tendenzen. Bei Demonstrationen konnten Ausschreitungen zwischen den beiden verfeindeten Lagern in der Regel nur durch den Einsatz der Polizei abgewendet werden. Bereits im Vorfeld organisierten die Autonomen Blockadeaktionen, die sie zum Teil auch mit Erfolg durchsetzen konnten. Oft suchten sie den unmittelbaren Kontakt zum politischen Gegner, um Demonstrationen oder Kundgebungen mit allen Mitteln zu verhindern. Mitunter missachteten sie Vorgaben und Auflagen bewusst. Im Rahmen ihrer Aktionen kam es auch im Jahr 2001 zu Körperverletzungen und Landfriedensbrüchen. Anhänger des autonomen Spektrums bezeichneten die Gegenaktionen als einen Erfolg, wenn es ihnen gelungen war, einen Umzug umzuleiten oder eine Veranstaltung vorzeitig zu beenden. Geringe Resonanz in der Szene oder eine mangelnde Beteiligung von Anhängern der Szene wurden hingegen kritisch angemerkt. In Thüringen wurden die Anhänger des autonomen und anarchistischen Spektrums nicht nur aktiv, wenn es um die Themen "Antirassismus" und "Atomkraft" ging. Zunehmend wandten sie sich auch dem Thema "Globalisierung" zu. Berichten aus der Szene nach waren auch Personen aus Thüringen im Juli nach Genua gefahren, um gegen den G-8-Gipfel zu protestieren. Aktivitäten Auch gesellschaftsund tagespolitische Ereignisse riefen Reaktionen der autonomen Szene Thüringens hervor. So demonstrierten Autonome auch gegen Veranstaltungen der Vertriebenverbände und Burschenschaften, denen sie revanchistische und nationalistische Tendenzen vorwerfen. Auf das Burschenschaftstreffen, das im Juni 2001 in Eisenach stattfand, auf einen Vortrag, den der Ministerpräsident von Thüringen, Bernhard Vogel, Mitte Juni vor der t Rhenania" in Jena halten wollte, und auf ein Treffen des "Bundes der Ver70 triebenen" im September in Erfurt reagierten die Autonomen mit Gegenaktionen und Sachbeschädigungen. Als der Bundeskanzler am 17. August Jena besuchte, prangerte die autonome Szene dessen Arbeitsmarktpolitik ebenso an wie dessen "Taten im Jugoslawienkrieg" und die "verfehlte NATO-Politik auf dem Balkan". Aufrufe verurteilten außerdem, dass der Kanzler die Härte billigte, die die italienische Polizei und Justiz angewandt habe, um den gewalttätigen Ausschreitungen während des Weltwirtschaftsgipfels in Genua zu begegnen. In Eisenach wurde ein Gebäude, in dem sich u.a. das Wahlkreisbüro des Thüringer Innenministers befindet, mit eschmiert. Auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr wurden von den Autonomen thematisiert. So demonstrierte die Szene am 23. August in Jena gegen eine Gelöbnisveranstaltung der Bundeswehr und gegen deren Einsatz in Mazedonien. Im Vorfeld hatten Unbekannte in Jena die Parolen "BUNDESWEHRGELÖBNIS SPRENGEN" und "KEIN GELÖBNIS IN JENA RÖHLINGER ABSCHIESSEN!" auf Wände geschmiert41 . Am 13. September 2001 wurde in der Erfurter Michaeliskirche eine "Universitätslesung" des Schriftstellers Martin Walser massiv gestört.42 Unter dem Wahlspruch "Es gibt tausend Gründe - Deutschland zu hassen!" mobilisierte die autonome Szene Erfurt ihre Anhänger für eine Demonstration, die sich am 2. Oktober 2001 in Erfurt gegen den "Tag der Deutschen Einheit" richtete.43 Mit demonstrativen Aktionen reagierte die autonome Szene Thüringens sowohl auf die Terroranschläge vom 11.September als auch auf die Militärschläge, die sich gegen die Taliban in Afghanistan richteten. Außerdem kam es in mehreren Städten Thüringens zu Sachbeschädigungen und Schmierereien, aber auch zu anderen strafbaren Handlungen, die sich auf die Ereignisse in den USA und in Afghanistan bezogen. Durch Hausbesetzungen versucht die Szene immer wieder, sogenannte "Freiräume" für ein "selbstbestimmtes Leben", das sich einer staatlichen Kontrolle entzieht, zu schaffen. Sie sollen es der Szene ermöglichen, ihre Vorstellungen von "alternativem Wohnen und Leben" in die Tat umzusetzen, aber auch als Basis für ihre politischen Aktivitäten dienen. Seit April hält e- setzt. Im April wurde auch in Gera, im September in Jena ein Haus besetzt. Im Frühjahr organisierte die autonome Szene in Eisenach demonstrative Aktionen, die ihrer Forderung nach einem eigenen, unabhängigen Jugendzentrum Ausdruck verleihen sollten. 4.6 Aktionen autonomer Gruppen in Thüringen Hausbesetzung am 30. April in Gera Am 30. April besetzten in Gera mehrere Jugendliche ein leerstehendes Haus, um ihrer Forderung nach einem alternativen Jugendzentrum Nachdruck zu verleihen. Da der Eigentümer und die Stadtverwaltung die Besetzung zunächst duldeten, schritt die Polizei nicht sofort ein. 41 Siehe S. 77. 42 Siehe S. 77 f. 43 Siehe S. 78 71 Nach Angaben der Polizei beteiligten sich an der Besetzung sechs vermummte Jugendliche. Im Umfeld des Hauses konnten bis zu 40 Jugendliche festgestellt werden, die ihre Sympathie mit den Besetzern bekundeten, als die Sicherheitskräfte eintrafen. Einer Presseerklärung im Internet zufolge waren die Besetzer Jugendliche aus Gera und dessen Umgegend, die in verschiedenen künstlerischen, antirassistischen und antifaschistischen Bereichen mitarbeiten würden. Sie gehörten weder einer festen Gruppe, noch einem Verein an. Ihre Projekte, meinten die Besetzer, könnten sie in einem alternativen Zentrum, d.h. in selbstverwalteten Freiräumen ohne staatliche Kontrolle und ohne kommerziellen Einfluss, am besten verwirklichen. Sie vertraten die Auffassung, dass die Stadt nicht gewillt sei, das geplante Zentrum zu unterstützen, indem sie Objekte oder finanzielle Mittel bereitstelle. In der Nacht zum 1. Mai soll es Pressemittelungen zufolge zu einer Auseinandersetzung zwischen den Besetzern und einer Gruppe rechtsgerichteter Jugendlicher gekommen sein. Gegen etwa 20 Rechtsextremisten, die das Haus überfallen haben sollen, wurde Strafanzeige wegen Körperverletzung erstattet. Unter der Losung "Kein Platz für linksradikale Antifaschisten" rief die Kameradschaft Gera auf, am 5. und 6. Mai gegen die Hausbesetzung vorzugehen. Am 4. Mai räumte die Polizei das Objekt, da der Hauseigentümer inzwischen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs gestellt hatte. Die Besetzer widersetzten sich zunächst der Aufforderung, das Gebäude zu verlassen, und verbarrikadierten sich. Nachdem sich die Polizei gewaltsam Zutritt verschafft hatte, ließen sich die Besetzer ohne Widerstand aus dem Haus führen. Gegen sieben Jugendliche wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs und passiven Widerstandes gegen Vollzugsbeamte eingeleitet. Aktionen gegen Sandro-Weilkes-Gedächtnismarsch am 12. Mai in Neuhaus und Sonneberg Unter der Losung "Nicht Rache, nur Gerechtigkeit für Sandro Weilkes" hatte der NPDKreisverband Saalfeld/Rudolstadt/Sonneberg für den 12. Mai in Neuhaus am Rennweg/Lkr. Sonneberg einen "Trauermarsch" angemeldet. Infolge einer Verbotsverfügung fand er jedoch in Sonneberg statt. Der Trauermarsch sollte an Sandro Weilkes erinnern, der im Verlauf einer Auseinandersetzung zwischen rechtsund linksgerichteten Jugendlichen im Jahr 1995 erstochen worden war. Seither versucht die rechte Szene, seinen Tod als Märtyrertod hinzustellen. Jedes Jahr organisiert sie Demonstrationen und Kundgebungen. Über das Internet und das Antifa-Infotelefon Erfurt rief die autonome Antifa-Szene auf, unter dem Motto "Neuhaus gegen Rassismus und rechte Gewalt" am 12. Mai an einer Demonstration in Neuhaus teilzunehmen. Die Aktion der Antifa wurde von der "anarchistisch kommunistischen Gruppe YAFAGO" aus Erfurt, dem Infoladen Weimar und der Antifaschistischen Das "Sonneberger Bündnis gegen Rechts", dem auch die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) angehört, meldete unter dem Motto "Zivilcourage für die Achtung der Menschenrechte und die Wahrung der Demokratie - Gegen Naziaufmärsche in Sonneberg" eine Demonstration an. 72 An der Antifa-Demonstration, die in Neuhaus störungsfrei verlief, beteiligten sich etwa 100 Personen, die ungefähr zur Hälfte aus Autonomen bestanden. Die Versammlung des Sonneberger "Bündnisses gegen Rechts", an der sich etwa 200 Personen beteiligten, wurde ohne besondere Vorkommnisse vorzeitig beendet. Im Anschluss daran formierten sich annähernd 70 Personen, die aus Neuhaus angereist waren, spontan zu einem Demonstrationszug, der sich auf die "Marschstrecke der Rechtsextremisten" zu bewegte. Polizeikräfte verhinderten, dass die beiden Gruppen zusammentrafen. Drei Autonome wurden wegen Beleidigung und Körperverletzung von Polizeibeamten vorläufig festgenommen. Unbekannte Täter befestigten in Sonneberg in der Nähe der Route, die für den "Trauermarsch" der NPD vorgesehen war, ein Transparent mit der Aufschrift "Nur ein toter Nazi ist ein guter Nazi". Am 10. Mai gingen im Landratsamt Sonneberg zwei Schreiben ein. In ihnen drohten unbekannte Täter dem Landrat an, seine Wohnung zu sprengen, da er die NPDDemonstration am 12. Mai in Sonneberg nicht verboten hatte. Aktionen gegen das Burschenschaftstreffen am 9. Juni in Eisenach Über Aufrufe im Internet und das Antifa-Infotelefon Erfurt forderten die Antifaschistische Aktion Eisenach (AAe) und der Arbeitskreis Antifaschismus/Antirassismus (AK AntiFa/AntiRa) auf, am 9. Juni an einem "Anti-Burschenschafts-Aktionstag" in Eisenach teilzunehmen. Unter dem Motto "Rechte Strukturen entlarven United against Burschis" planten die Initiatoren eine Demonstration, die von Zwischenkundgebungen unterbrochen und mit einem Konzert beendet werden sollte. An der Demonstration gegen das Burschenschaftstreffen nahmen etwa 180 Personen teil. Die Teilnehmer der Demonstration, die überwiegend dem autonomen Antifa-Spektrum angehörten, zündeten Feuerwerkskörper an. Einige unter ihnen wichen von der vorgeschriebenen Marschstrecke in der Innenstadt ab und bewarfen Burschenschaftler mit Getränkedosen. Ausschreitungen konnten durch einen massiven Polizeieinsatz verhindert werden. Da der Versammlungsleiter gegen den Auflagenbescheid verstoßen hatte, nahm die Polizei strafrechtliche Ermittlungen auf. Eine Konzertveranstaltung, an der sich etwa 100 Personen beteiligten, verlief störungsfrei. Bereits mehrere Tage vor Beginn des Burschenschaftstreffens wurden zahlreiche öffentliche Gebäude in Eisenach mit Losungen wie "Burschen angreifen", "Nazibande", "Nazis aufs Maul" und "Kampf dem Faschismus" beschmiert. Am 8. Juni zündeten unbekannte Täter auf der Zufahrtsstraße zur Wartburg Holzpaletten und Reifen an. Zusätzlich legten sie sogenannte Reifentöter auf die Fahrbahn, um einen mit Burschenschaftlern besetzten Reisebus an der Fahrt von der Wartburg in die Innenstadt zu hindern. Zu befürchtende Ausschreitungen zwischen Autonomen und Mitgliedern der Eisenacher rechtsextremistischen Szene, die mit Flugblättern gegen deren Aktion vorgegangen waren, wurden von Sicherheitskräften verhindert. In einer im Internet eingestellten Erklärung werteten die Organisatoren die Aktionen gegen das Burschenschaftstreffen als einen Erfolg. An der Demonstration hätten sich etwa 200 Personen beteiligt und das anschließende Konzert sei von ungefähr 450 Personen besucht worden. 73 Attacke gegen den Thüringer Ministerpräsidenten Dr. Bernhard Vogel am 14. Juni in Jena Am 14. Juni richtete die "Landsmannschaft Rhenania", eine schlagende Verbindung mit Sitz in Jena und Marburg, eine Veranstaltung aus, zu der der Thüringer Ministerpräsident Dr. Bernhard Vogel als Redner eingeladen worden war. Bevor der Ministerpräsident seine Rede beginnen konnte, wurde er von einem Studenten mit einer Torte beworfen. Der Täter wurde enommen. In einem Schreiben, das dem dpa-Büro Erfurt und verschiedenen Tageszeitungen zugestellt wurde, bekannte sich ein "Image-Beschmutzungskommando" (IBK) zu dem Anschlag. Das Schreiben wurde auch auf einschlägigen Internetseiten der linksextremistischen Szene eingestellt. Darin heißt es: "Der Auftritt eines führenden Politikers der Landesregierung bei einer rechtskonservativen Vereinigung, wie es die "Rhenania" ist, zeigt, dass die latent und zu weilen offen rassistische Politik Vogels kein Ergebnis dummer Zufälle und unkontrollierter Ausrutscher ist." Er greife, warfen die Verfasser dem Ministerpräsidenten außerdem vor, mit seinem Vortrag "Europa der freien Völker" die Ideologie der "Neuen Rechten" auf und bewege sich auf einem Schnittpunkt zwischen den "Rechtskonservativen" und der "Neuen Rechten". Diesen gehe es nicht um eine Supermacht Deutschland, sondern um ein "Europa der Regionen". Da sich in der "Nation Europa" die politisch und ökonomisch stärksten Regionen durchsetzen würden, fiele Deutschland auch auf diesem Umweg eine Führungsrolle zu. Europa würde zum Sprungbrett eines deutschen Nationalismus. Dreizehntes Antifa-Workcamp in Buchenwald vom 21. bis 28. Juli Das Dreizehnte Antifa-Workcamp fand vom 21. bis 28. Juli nahe der Gedenkstätte Buchenwald bei Weimar statt. Von der militanten Jugendorganisation des Bundes der Antifaschisten (BdA), R.O.T.K.Ä.P.P.C.H.E.N. und dem Infoladen "Volk&Wissen" aus Dessau organisiert, sollte es an der "Erhaltung der Gedenkstätte Buchenwald und der Auseinandersetzung mit den Angriffen auf die Geschichtswiderspiegelung dieses Ortes" mitwirken. In der linksextremistischen Szene wurde im Internet, in einschlägigen Szeneschriften und mit Plakaten zur Teilnahme aufgerufen. Wie in den Jahren zuvor war das Szeneobjekt Gerberstraße in Weimar als erster Anlaufpunkt vorgesehen. Die annähernd 200, meist jugendlichen Personen, die am Antifa-Workcamp teilnahmen, kamen aus Deutschland, Österreich und Polen. Die Arbeitsprojekte waren gemeinsam mit der Leitung der Gedenkstätte festgelegt worden. Sie betrafen das Gelände der Gustloffwerke, das in museologischer Hinsicht bisher wenig erschlossen worden ist. Projekte, die in den vergangenen Jahren am Steinbruch, an der ehemaligen Bahnstrecke Weimar-Buchenwald und der Genickschussanlage begonnen worden waren, wurden fortgesetzt. In Workshops und Diskussionen wollten sich die Antifa-Anhänger nicht nur mit der Geschichte und der Gegenwart des Lagers befassen, sondern auch aktuelle politische Themen der linken Szene aufgreifen. Dazu gehörten u.a.: "Kritik der Ideologie des Antifaschismus", "Rechte Strukturen in Jena", "Bundeswehr und der III. Weltkrieg", "Politische Gefangene in der Türkei", "Weltfestspiele in Algerien". 74 Am 22. Juli demonstrierten die Teilnehmer des Camps in der Weimarer Innenstadt spontan gegen das Vorgehen der Polizei gegen Gegendemonstranten während des G-8-Gipfels. Die Aktion verlief friedlich und ohne Vorkommnisse. Auch in der Tageszeitung des Workcamps, "Das Rote Blatt", wurden die Ereignisse vom 21./22. Juli in Genua thematisiert. Die Autoren des Beitrages verurteilten den Polizeieinsatz, der - wie sie es sahen - zu einem Zeitpunkt stattfand, als "Demokraten" die Welt unter sich aufteilten. Am 27. Juli führten die Teilnehmer des Workcamps unter der Losung "Freiheit für alle inhaftierten Globalisierungsgegner" eine weitere spontane Demonstration durch. Sie forderten, in Göteborg und Genua alle Gefangenen sofort freizulassen. Sie verurteilten die Sicherheitsdoktrin, die ihrer Ansicht nach europaweit immer offener faschistische Züge annehme. Transparente trugen die Losung "Freiheit für die politischen Gefangenen in Kurdistan". An der überwiegend friedlichen Aktion beteiligten sich etwa 60 Teilnehmer des Antifa-Workcamps. Die Polizei verhinderte Ausschreitungen, als Anhänger des rechten Spektrums in der Nähe des Demonstrationszuges der Linken auftauchten und es zu verbalen Auseinandersetzungen kam. Den rechtsgerichteten Jugendlichen wurde Platzverweis erteilt. Bereits in den Vormittagsstunden des 27. Juli demonstrierten etwa 30 Teilnehmer des Workcamps friedlich auf dem Gelände der Gedenkstätte. Sie verteilten Flugblätter mit dem Titel -Workcamp protestiert gegen die Zerstörung des Gedenkortes Buchenwaldbahn durch das Forstamt Bad Berka!". Mit der Blockade der "Blutsstraße" wollten sie ein Zeichen dafür setzen, dass sie nicht länger bereit wären, die Zerstörung des denkwürdigen Ortes hinzunehmen. Die Kritik richtete sich gegen die Waldarbeiten des Forstamtes Bad Berka. Antifa-Demonstrationen gegen geplanten Aufmarsch der rechtsextremistischen Szene am 28. Juli in Gotha Die Thüringer autonome Szene rief im Internet und mit Plakaten auf, an den Demonstrationen gegen den Aufmarsch der rechtsextremistischen Szene am 28. Juli in Gotha teilzunehmen. Angehörige der autonomen Szene Thüringen meldeten unter dem Motto "Weg mit dem faschistischen NSAW! Nazistrukturen zerschlagen! Naziaufmarsch angehen!" auch für Eisenach, Nordhausen und Erfurt Antifa-Demonstrationen an. Zum einen warb die Szene für die Antifa-Demonstrationen, die in den Vormittagsstunden in Nordhausen, Erfurt und Eisenach stattfanden. Zum anderen forderte sie auf, nach Gotha weiterzureisen, wo um 13 Uhr die eigentliche Gegendemonstration durchgeführt werden sollte. Ein breites demokratisches "Aktionsbündnis gegen rechte Gewalt" hatte unter dem Motto - Gegen Ausgrenzung und Rassismus" eine Gegendemonstration angemeldet. Zuvor war eine Demonstration, die von einem Angehörigen der autonomen Szene Eisenachs in Gotha angemeldet worden war, wieder abgesagt worden. Die Autonomen hatten entschieden, sich der Gegendemonstration des Aktionsbündnisses anzuschließen. Initiiert wurden diese Antifa-Aktionen von den "Autonomen Thüringer Antifa Gruppen" (ATAG). In diesem Bündnis, das seit 2000 besteht, haben sich die anarchistisch-kommunistische Gruppe "youth against fascism and government " (yafago), Erfurt, die "Autonome Antifa Südharz", Nordhausen, die "Antifaschistische Aktion Eisenach" (AAe), die "Antifaschistische Gruppe Fuchs", Mühlhausen, die "AAGS-Bad Salzungen" (Autonome Antifa-Gruppe 75 Bad Salzungen) und die "F.U.R.A. - Freie Union Revolutionärer AnarchistInnen", Meiningen, zusammengeschlossen. Plakataufrufe und Info-Material, die die Demonstrationen der Antifa betrafen, konnten über den Erfurter Infoladen Sabotnik, gleichermaßen über die Infotelefone der Gruppe yafago und der Antifaschistischen Aktion Eisenach angefordert werden. Plakataufrufe der ATAG wurden in Göttingen und Altenburg festgestellt. Die autonome Szene Sachsens rief über das AntifaInfotelefon Leipzig auf, sich an den Aktionen zu beteiligen. Die Gemeinsamkeit von Demokratie und Faschismus, meinte die ATAG in einem ihrer Demonstrationsaufrufe, lasse sich darauf zurückführen, dass sie beide ihren Ursprung im kapitalistischen System hätten. Der Unterschied bestehe nur in der Wahl der Mittel. Ein bürgerlicher Staat könne weder Rassismus noch Rechtsextremismus wirkungsvoll bekämpfen, da ihm beide Erscheinungen immanent seien. Folglich solle die radikale Linke nicht nur die Symptome - Nazis oder Rassismus - bekämpfen, sondern das System im Ganzen. Nur wenn gegen die Wurzeln, aus denen die Nazis erwüchsen, angegangen würde, ergäbe sich eine wirkliche Perspektive auf ein Leben, das weder Unterdrückung und Ausbeutung, noch Nazis kenne. Das "Kollektiv Deutschland", der demokratische und völkische Rassismus würden erst dann ein Ende finden, wenn dieser Staat und dieses System abgeschafft seien. In Erfurt demonstrierten etwa 60 Autonome friedlich gegen Rechtsextremismus. In ihren Reden kritisierten sie, wie die Thüringer Naziszene angeblich mit staatlichen Geldern gefördert würde, und wie sich die Polizei während der Aktionen, die sich in Genua gegen den Weltwirtschaftsgipfel gerichtet hatten, verhalten hätte. An Passanten verteilten sie Flugblätter, mit denen sie verlangten: "Weg mit dem NSAW! Gegen den rassistischen Normalzustand! Kapitalismus abschaffen - Für eine herrschaftsfreie Gesellschaft!" und "Gegen den Kapitalismus - gegen die Festung Europa! Globalisiert den antifaschistischen Widerstand!". Anschließend fuhren etwa 40 Demonstranten zur Antifa-Demonstration nach Gotha. In Eisenach demonstrierten etwa 25 Autonome gegen die Aktionen, die auf das rechtsextremistische "Nationale und Soziale Aktionsbündnis Westthüringen" (NSAW) zurückgingen. Auch sie kritisierten, wie die Polizei gegen die Ausschreitungen der Globalisierungsgegner in Genua vorgegangen sei. Etwa 15 Autonome aus Eisenach reisten zur Antifa-Demonstration nach Gotha. Annähernd 100 Autonome aus Nordhausen und den angrenzenden Regionen demonstrierten friedlich gegen Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene, gegen den Polizeieinsatz im Juli 2001 in Genua und für ein eigenständiges unabhängiges Jugendzentrum in Nordhausen. Einige Autonome fuhren zur Antifa-Demonstration nach Gotha. An der Demonstration in Gotha, die von einem breiten demokratischen Bündnis getragen wurde und sich gegen den Aufmarsch der Rechtsextremisten richtete, beteiligten sich etwa 1.000 Personen. Unter ihnen befanden sich 80 bis 100 Autonome aus Thüringen und den angrenzenden Bundesländern. Gewalttätige Ausschreitungen blieben aus, da die Polizei die Autonomen und die Teilnehmer der rechten Demonstration voneinander fernhalten konnte. Ein Polizist erlitt Verletzungen, als Flaschen u.a. aus dem Demonstrationszug heraus auf die Sicherheitskräfte geworfen wurden. Die Polizei sprach gegen 71 Autonome Platzverweise aus und nahm drei Autonome aus Thüringen vorläufig fest, da sie gegen das Versammlungsrecht verstoßen oder Widerstand gegen Polizeibeamte geleistet hatten. 76 Protestaktionen gegen das "Öffentliche Gelöbnis" der Bundeswehr am 23. August in Jena Das "Öffentliche Gelöbnis" der Bundeswehr, das am 23. August auf dem Jenenser Marktplatz stattfand, rief mehrere Protestaktionen hervor. So demonstrierten ca. 50 Personen unter dem Motto "Dem Militär den Marsch blasen! - Wir pfeifen auf das Bundeswehrgelöbnis!" friedlich gegen die Veranstaltung. Die Aktion wurde u. a. von der Antifaschistischen Hochschulgruppe (AHG) unterstützt. Ferner hatten sich zu der Protestkundgebung "Gegen das Gelöbnis am 23.08.2001" etwa 20 Personen in der Nähe des Gelöbnisortes versammelt. Sie war von einer "Initiative gegen das 01" angemeldet worden. Die Teilnehmer, deren Anzahl hinter den Erwartungen weit zurückgeblieben war, versuchten, den Ablauf der Feier mit Trillerpfeifen und Rufen lautstark zu stören. Die Ordnungskräfte schritten ein, als Demonstranten in den Veranstaltungsraum der Feier eingedrungen waren. Zwei Personen wurden vorläufig in Gewahrsam genommen; eine von ihnen war im Besitz einer Schreckschusswaffe. An beiden Gegenaktionen waren Anhänger des örtlichen autonomen und Antifa-Spektrums beteiligt. Auf Internet-Seiten der Szene, in denen von etwa 150 Teilnehmern die Rede war, wurde der Protest als ein Erfolg gewertet. Der Protest richtete sich nicht nur gegen das Gelöbnis. Einige Teilnehmer der Demonstration bezeichneten die Soldaten der Bundeswehr als Kriegsverbrecher, die an die Tradition des deutschen Nazismus anknüpften, indem sie sich an den NATO-Einsätzen im ehemaligen Jugoslawien beteiligten. Bereits im Vorfeld des Gelöbnisses wurden in Jena Wände mit den Parolen "BUNDESWEHRGELÖBNIS SPRENGEN" und "KEIN GELÖBNIS IN JENA - RÖHLINGER44 ABSCHIESSEN" beschmiert. Massive Störung einer Buchlesung am 13. September in Erfurt Im Rahmen der "Universitätslesungen" trug der Schriftsteller Martin Walser am 13. September in der Erfurter Michaeliskirche aus seinem neuen Werk "Lebenslauf der Liebe" vor. Unmittelbar nach Beginn der Veranstaltung versuchten etwa 25 Autonome, sie mit Trillerpfeifen und Zwischenrufen zu stören. Einer der sogenannten Antifaschist(inn)en drang zum Podium vor und erklärte die Lesung für beendet. Er begann, eine eigene Rede vorzutragen, in der er Walser als "Antisemiten" und "geistigen Brandstifter" bezeichnete. Zugleich wurde von den Gegnern der Veranstaltung ein Transparent entrollt, das die Aufschrift "Deutschland denken trug. Sieben Jugendliche aus Erfurt und Jena wurden vorläufig in Gewahrsam genommen und wegen des Verdachtes auf Hausfriedensbruch angezeigt. Sie hatten weder der Aufforderung, die Kirche zu verlassen, Folge geleistet, noch den Platzverweisen, die die Polizei ausgesprochen hatte. Mehrere Personen protestierten auch vor der Michaeliskirche mit Transparenten gegen die Buchlesung. Die Störaktion wurde von Angehörigen der örtlichen autonomen und Antifa-Szene initiiert. Auf Internet-Seiten, über das Antifa-Infotelefon Erfurt und auf Flyern hatte die Szene Tage zuvor aufgerufen, gegen die Veranstaltung zu protestieren. Die Aufrufe waren u.a. von der Gruppe der Besetzer(innen) des ehemaligen Topf & Söhne Geländes (Erfurt) und der anarchistisch - kommunistischen Gruppe yafago (Erfurt) unterzeichnet worden. 44 Röhlinger übt das Amt des Oberbürgermeisters von Jena aus. 77 Der erwähnte Flyer enthielt auch einen Hinweis auf den Erfurter "Infoladen Sabotnik", der als Informationsstelle benannt wurde, sowie die offensichtlich fingierte Angabe "V.i.S.d.P.: Martin Tango, Uni-Campus 1, Erfurt". Den Hintergrund der Protestaktion stellte die Dankesrede dar, die Martin Walser 1998 in der Frankfurter Paulskirche gehalten hatte, nachdem ihm der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen worden war. Damals habe er, wurde Walser vorgeworfen, "gegen 'die Instrumentalisierung unserer Schande' durch unbenannte Mächte gekämpft, welche die Nationalsozialist(inn)en45 wohl jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung nannten". Keine 60 Jahre später habe er die Deutschen - nicht trotz, sondern wegen Auschwitz - wieder als Opfer einer Verschwörung halluziniert, das Gründungsmanifest der Berliner Republik gepredigt, die - ideologisch aufgerüstet - wieder andere Länder überfalle und zusehe, wie aus dem Kosovo Serben, Serbinnen, Roma, Sinti, Juden und Jüdinnen vertrieben würden. "Es gibt tausend gute Gründe - Deutschland zu hassen!" - Die für den 2. Oktober in Erfurt geplante Demonstration wurde verboten Mit dieser Demonstration gedachte die Szene, gegen den "Tag der deutschen Einheit" zu protestieren. Ihrer Auffassung nach stehe er für "nationalen Größenwahn", für Pogrome gegen Ausländer und Andersdenkende sowie für "kollektive Geschichtsentsorgung". Mehrere Personen fanden sich an dem Ort der Veranstaltung ein, obwohl sie verboten worden war. Die Polizei sprach ungefähr 70 Platzverweise aus, um das Verbot durchzusetzen, und nahm mehrere Personen in Gewahrsam. Die Initiative für die geplante Demonstration ging offensichtlich von der örtlichen autonomen und Antifa-Szene aus. Die anarchistisch-kommunistische Gruppe yafago beteiligte sich federführend bei der Mobilisierung. Sie erfolgte über Internet-Seiten der Szene, Flugblatt-Aufrufe und über das Antifa-Infotelefon Erfurt. Plakataufrufe, die zusätzlich in Erfurt und Meiningen geklebt wurden, suggerierten eine Verbindung zwischen den Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik und dem Nationalsozialismus. Wegen des Verdachts der Beleidigung wurden Anzeigen erstattet. In einer im Internet eingestellten Stellungnahme kritisierte die Gruppe "yafago" das Verbot der Demonstration als Kriminalisierung "linker Strukturen". Gleichzeitig kündigte sie unter dem Motto "Gibt es tausend Gründe, Deutschland zu hassen? - über den Hintergrund einer nie stattgefundenen Demo und den Umgang der PDS und Öffentlichkeit mit Demonstrationsverboten" eine Podiumsdiskussion an. Die Szene reagierte auch insofern auf das Verbot, als sie für den 17. November abermals zu einer Demonstration in Erfurt aufrief. Diesmal wählte sie den Leitspruch "Wehret den Zuständen! Kritik an den deutschen Verhältnissen läßt sich nicht verbieten". Letzten Endes sagten die Initiatoren diese Veranstaltung ab, da die zuständigen Behörden angeblich erneut anstrebten, ein Demonstrationsverbot zu verhängen und es außerdem an "Bündnispartnern" fehle. 45 Schreibweise so im Original 78 Reaktionen der autonomen Szene Thüringens auf die Terroranschläge in den USA und die anschließenden militärischen Aktionen in Afghanistan Die autonome Szene Thüringens hielt sich mit öffentlichen Reaktionen auf die von islamistischen Gewalttätern am 11. September in den USA verübten Anschlägen zunächst weitgehend Nach Beginn der Militäraktionen in Afghanistan demonstrierten am 8. Oktober 250 bis 300 Personen in Jena. Die Demonstration richtete sich gegen die militärische Intervention der Vereinigten Staaten und ihrer Bündnispartner und stand unter dem Motto "Am Tag X + 1 Tag, auf die Straße gegen den Krieg". Sie ging auf die "Antifaschistische Hochschulgruppe Jena" (AHG) und die "SchülerInneninitiative Enrages" zurück, die im autonomen Spektrum aktiv sind. Im Verlauf der Veranstaltung wurde ein Angehöriger der rechten Szene Jenas tätlich angegriffen. Mögliche Ausschreitungen anderer Art wurden von Polizeikräften verhindert. Für den 25. Oktober planten die "SchülerInneninitiative Enrages" und die AHG erneut Aktionen gegen die Militärangriffe der USA. Mit Flyern riefen sie unter dem Motto "Nieder mit dem Krieg!" ab 12 Uhr zu einem "SchülerInnenstreik" vor der Jenenser Stadtkirche auf. An der Demonstration, die friedlich verlief, nahmen annähernd 150 Personen teil. Unter dem Tenor "Nieder mit dem Krieg! Her mit dem Sozialismus!" bereiteten die Gruppierungen "SchülerInneninitiative Enrages" und "Antifaschistische Hochschulgruppe Jena" (AHG) abermals einen "SchülerInnenstreik" für den 13. Dezember in Jena vor. Flyer, die AHG verantwortlich zeichnete, waren im linken Spektrum verteilt worden, um für den Streik zu werben. Der Aussage eines der Initiatoren zufolge sollte sich die Aktion gegen den Krieg in Afghanistan und die mögliche Beteiligung deutscher Truppen richten. An der Veranstaltung, die störungsfrei verlief, nahmen nach Angaben der Polizei etwa 100 Personen, vor allem Schüler und Studenten, teil. 5. Terroristische Gruppierungen Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten wie Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Brandstiftung, Sprengstoffanschläge oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Auch im Jahre 2001 blieben Aktionen linksterroristischer Gruppen aus. 6. Nutzung moderner Kommunikationsmittel durch Linksextremisten Linksextremisten bedienten sich im Jahre 2001 nicht nur klassischer Mittel der Agitation und Kommunikation wie Flugschriften, Handzettel und Szeneschriften, sondern setzten weiter auf das Medium Internet. Es bietet der linksextremistischen Szene die Möglichkeit, über die regionalen Grenzen hinweg auf nationaler und internationaler Ebene miteinander zu kommunizieren und sich zu vernetzen. Zudem bietet das Internet der Szene die Möglichkeit, per E-Mail 79 verschlüsselte Informationen kostengünstig und schnell zu versenden. Über eine Vielzahl von "Links" (automatisierte Verknüpfungen) sind auch Webseiten gleichgesinnter Gruppierungen einfach zu erreichen. In speziell angelegten Archiven können jederzeit Informationen abgerufen werden, um linksextremistische Aktivitäten zu unterstützen. Fast alle marxistisch-leninistischen Parteien und Organisationen sind im Internet vertreten. Von den Parteien, die in Thüringen vertreten sind, trifft das auf die DKP und den SDAJ Th ringen ebenso zu wie auf den "Roten Tisch in Ostthüringen". Auch die autonome Szene Thüringens richtete eigene Webseiten ein. Eine besondere Bedeutung kommt dabei u.a. den Webseiten des Infoladens Sabotnik und der allgemeinen Seite der "Thüringer Autonomen" zu. Zeitnah berichten sie über Aktionen der Autonomen, die durchgeführt worden sind oder geplant werden. Mobilisierungsaufrufe, Diskussionsbeiträge und Presseerklärungen werden in den Archiven der Homepages abgelegt. Für fast alle demonstrativen Aktionen nutzte die autonome Szene Thüringens in diesem Jahr das Internet zur Mobilisierung. So wurden hier nicht nur Ablauf und Unterstützergruppen bekannt gegeben, sondern auch ausführlich die Hintergründe der geplanten Aktionen dargestellt. Manche Gruppierungen - wie zum Beispiel das "Thüringer Antifa-Archiv" oder der "Thüringer Ermittlungsausschuß" (ThEA) - nutzten das Medium, um sich in der Szene darzustellen. Zugleich wird auf die jeweils bestehenden Möglichkeiten der Kontaktaufnahme hingewiesen. Auch in Thüringen nutzen autonome Gruppen das Internet u.a. dazu, ihre Publikationen einem breiten Leserkreis zugänglich zu machen. 7. Politisch motivierte Kriminalität Links - im Überblick Die im Phänomenbereich der politisch motivierten Kriminalität Links - im Jahr 2001 in Thüringen begangenen Straftaten lassen sich wie folgt darstellen (Quelle: Thüringer Landeskriminalamt): Straftaten 2001 insgesamt 41 davon sind hervorzuheben Körperverletzung 5 Sachbeschädigung46 17 Landfriedensbrüche 2 Totschlag 0 Brandstiftungen 2 Ein Vergleich mit den Zahlen vergangener Jahre ist auch hier auf Grund des neu eingeführten Definitionssystems "PMK" nicht möglich. In diesem Zusammenhang wird auf die Ausführungen unter Punkt II.8. (Politisch motivierte Kriminalität Rechts - im Überblick) auf Seite 46 verwiesen. Diese gelten entsprechend. 46 Hierzu zählen auch Schmierereien mit politischem Inhalt 80 IV. Ausländerextremismus 1. Allgemeines Mit dem Begriff "Ausländerextremismus" werden Bestrebungen von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen die innere Sicherheit oder auswärtige Belange gefährden. Auch Bestrebungen ausländischer Organisationen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Deutschlands gerichtet sind, fallen unter den Begriff des Ausländerextremismus. Motive und ideologische Ausrichtung der extremistisch aktiven Ausländergruppen sind vielfältig. Oftmals werden politisch motivierte Aktivitäten entwickelt, welche mit der Hoffnung verbunden sind, auf diese Art Veränderungen der politischen Verhältnisse in den jeweiligen Heimatländern herbeizuführen. Außerdem wird versucht, die Bundesrepublik mit entsprechenden Handlungen unter Druck zu setzen. Die mittlerweile über sieben Millionen in Deutschland lebenden Ausländer lehnen in ihrer übergroßen Mehrheit extremistische Verhaltensweisen ab und distanzieren sich auch von politisch-extremistischen Gruppierungen und Parteien. Dies gilt auch für die ca. 40.000 in Thüringen lebenden ausländischen Mitbürger. Das Zusammenleben mit ihnen gestaltet sich überwiegend friedlich und konfliktfrei. Bundesweit zählen ausländerextremistische Organisationen, deren Aktivitäten in erster Linie von den politischen und aktuellen Ereignissen in den Herkunftsländern bestimmt werden, 59.100 Anhänger. Islamisch extremistischen Organisationen gehören 31.950 Personen an. 18.250 Ausländerextremisten, die in Deutschland leben, werden linksextremistischen Gruppierungen zugeordnet. Vergleicht man die Zahlen von Mitgliedern ausländerextremistischer Organisationen in Th ringen mit den genannten Bundeszahlen, so erscheinen diese in Relation weiterhin sehr gering. Die Anzahl der Mitglieder entsprechender Organisationen liegt bei ca. 100 (2000: 125). Die geringe Mitgliederzahl ausländischer Extremisten ist einerseits auf den sehr geringen Anteil von Ausländern an der Bevölkerung ( unter 2 %) zurückzuführen, andererseits auf dessen spezifische Zusammensetzung. Die bedeutendste extremistische Ausländerorganisation, die sich in Thüringen organisiert hat, stellt weiterhin die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) dar. Darüber hinaus ist die "Türkische Kommunistische Partei" (TKP/ML) mit wenigen Anhängern vertreten; über gefestigte Strukturen verfügt sie im Freistaat jedoch nicht. Aktivitäten der extremistischen Sikh-Organisation "Babbar Khalsa International" wurden im Jahr 2001 nicht festgestellt. Im Zusammenhang mit den schrecklichen Ereignissen vom 11. September rückten islamistische47 Bestrebungen in Deutschland verstärkt in das Blickfeld der Medien. Dabei stellt der Islamismus in Deutschland vorrangig ein Problem in den alten Bundesländern dar. In ihnen ist der Anteil der Ausländer im allgemeinen nicht nur höher. In ihnen hat sich auch die große Mehrheit der annähernd drei Millionen Muslime niedergelassen, die in Deutschland leben. In Thüringen sind 3.500 bis 4.000 Muslime ansässig. Bei weitem überwiegen jene unter ihnen, die extremistischen Ideen fern stehen. 47 Islamistisch ( = Islamisten) bedeutet islamisch-extremistisch und ist nicht mit islamisch ( =religiös am Islam orientiert) zu verwechseln. 81 Anmerkung: Die Mitgliederzahlen ausländerextremistischer Organisationen/Bund liegen noch nicht vor. Die vorstehend aufgeführten Zahlen sind vom BfV noch nicht bestätigt. 2. Die wichtigsten extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland Kurdische Gruppen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Teilund Nebenorganisationen der PKK: - Kurdische Demokratische Volksunion (YDK) - Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) - Partei der freien Frauen (PJA) - Union der StudentInnen Kurdistans (YXK) Patriotische Union Kurdistans (PUK) Demokratische Partei Kurdistans/Irak (DPK/I) Türkische Gruppen mit linksextremistischer Ausrichtung Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) - "Partizan"-Flügel - "DABK"-Flügel (Ostanatolisches Gebietskomitee) Basisorganisationen: - Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) - Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. (ATIF) - Föderation für demokratische Rechte in Deutschland (ADHF) - Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) Nebenorganisation: - Türkisch Marxistisch-Leninistischer Jugendbund (TMLGB) Revolutionäre Linke (Devrimci Sol, Abk. Dev Sol) - Revolutionäre Volksbefreiungspartei-/front (DHKP-C) - Türkische Volksbefreiungspartei-/front - Revolutionäre Linke (THKP-C) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Basisund Nebenorganisationen: - Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland (AGIF) - Kommunistische Jugendorganisation (KGÖ) Türkische Gruppen mit nationalistischer Ausrichtung Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V. (ADÜTDF) 82 Türkische Gruppen mit islamistischer Ausrichtung Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG) Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln (ICCB) Iranische Gruppen Anhänger der iranischen Regierung (islamistisch): - Union islamischer Studentenvereine (U.I.S.A.) Gegner der iranischen Regierung (linksextremistisch): - Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Arabische Gruppen islamistischer Ausrichtung Sunnitisch: - Muslimbruderschaft (MB) - Islamischer Bund Palästinas (IBP) - Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) - Islamische Heilsfront (FIS) - Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) Schiitisch: - Partei Gottes (Hizb Allah) - Gruppe des islamischen Widerstandes (AMAL) 3. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 3.1 Ziele und Strategie Die "Partiya Karkeren Kurdistan" (PKK) wurde am 27.November 1978 in der Türkei gegründet. Seither hat Abdullah Öcalan, der im Februar 1999 inhaftiert und rechtskräftig zum Tode verurteilt worden ist, das Amt des Vorsitzenden inne. Im Gründungsmanifest der Partei wurde der aktive "Revolutionäre Kampf" für einen "freien, unabhängigen und demokratischen Kurdenstaat" in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt. Von 1984 an bediente sich die PKK einer eigenen Guerilla, der "Volksbefreiungsarmee Kurdistans "(ARGK), um dieses Ziel zu verwirklichen. Sie führte einen blutigen Krieg mit dem türkischen Militär, vorzugsweise im Südosten des Landes. 83 Auf dem europäischen Kontinent hat die PKK in Deutschland die meisten und aktivsten Anhänger. Die Bundesrepublik galt der PKK zeitweise als "Kriegsgegner Nummer 2", da sie die Türkei - u.a. auch mit Waffenlieferungen - unterstützte. Daher machte die PKK mit teilweise äußerst gewalttätigen Aktionen, die sich gegen türkische Einrichtungen in der Bundesrepublik richteten, auf ihr Ziel aufmerksam. Zwei Brandanschlagswellen führten am 26. November 1993 schließlich dazu, dass der Bundesinnenminister ein Betätigungsverbot verhängte. Von diesem Verbot waren auch einige ihrer Teilund Nebenorganisationen betroffen. Unter ihnen befand sich auch ihre Propagandaorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK). Auf das Verbot reagierte die Partei mit zahlreichen Umstrukturierungsmaßnahmen und Neugründungen, um ihre Handlungsfähigkeit zu erhalten. Nachdem Öcalan verhaftet und zum Tode verurteilt worden war, kam es noch einmal zu Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen in Deutschland. Von Öcalan angeregt, änderte die PKK ihre Strategie im August 1999 grundlegend ab. Die Führung sagte sich vom bewaffneten Kampf los und zog die Guerilla zum größten Teil aus der Türkei in den Nordirak ab. Die PKK rückte von der Forderung ab, einen eigenen Kurdenstaat zu bilden und politische Autonomie zu erhalten. Statt dessen verlangte sie von der türkischen Regierung, die kurdische Sprache und Kultur anzuerkennen, die kurdische Identität zu bewahren und demokratische Rechte zu gewährleisten. Öcalan rief die PKK auf, sich als legale politische Kraft zu organisieren, um sowohl in der Türkei als auch in Europa politische Anerkennung zu finden. Ziel ist es, als legitime Vertreterin der Kurden bei der Lösung der Kurdenfrage akzeptiert zu werden und eine Hinrichtung Öcalans zu verhindern. Im Januar 2000 fand der außerordentliche 7. Parteikongress der Partei im Grenzgebiet Iran/ Irak statt. Er legte den Grundstein für ein neues Programm, für eine "neue Strategie des demokratischen Wandels" und verabschiedete eine neue Satzung. Die Parteiführung propagierte den "Neuanfang", der zahlreiche konzeptionelle und strukturelle Änderungen enthält. An die Stelle des bewaffneten Kampfes trat der "demokratisch-politische Kampf". Organisatorische Strukturen, die ihm widersprachen, sollten aufgelöst und durch demokratische Organisationen ersetzt werden. Die ARGK wurde in "Volksverteidigungskräfte" (HPG), die einzig defensiv ausgerichtet sein sollten, umbenannt. Mit der Gründung der "Kurdischen Demokratischen Volksunion" (YDK), die im Mai 2000 erfolgte, sollte die auf dem Kongress angekündigte Auflösung des politischen Arms ERNK vollzogen werden. Letzten Endes handelte es sich hierbei lediglich um eine Umbenennung. Weder personell noch strukturell sind grundlegende Änderungen zu erkennen. Nach wie vor wird der inhaftierte Abdullah Öcalan von seinen Anhängern als Parteivorsitzender akzeptiert und verehrt. Nach seiner Verhaftung setzte die PKK einen Präsidialrat ein. Er vertritt Öcalan, besteht aus neun Mitgliedern, führt die Partei und trifft Entscheidungen. 3.2 Aufbau und Organisation Die PKK stellt eine hierarchisch gegliederte, nach dem Prinzip des "demokratischen Zentralismus" straff geführte, ursprünglich marxistisch-leninistische Kaderpartei dar. An ihrer Spitze stehen nach wie vor konspirativ arbeitende Funktionäre. Aus Gründen der Sicherheit werden sie regelmäßig nach dem Rotationsprinzip ausgetauscht. In Europa erfolgt die Parteiarbeit unter der Bezeichnung YDK. Sie setzt die Anweisungen des Präsidialrats um und gibt sie an die Basis weiter. 84 Die PKK hat das Bundesgebiet in mindestens 7 Regionen (Eyalet) eingeteilt. Sie gliedern sich in etwa 30 Gebiete (Bölge), die sich wiederum aus Teilgebieten (Alan) zusammensetzen (Druckvorlage aus VS-Bericht 2000, S. 128) Das Teilgebiet Erfurt (Großraum Thüringen) rechnet der Region Nord und dem Gebiet Kassel zu. Einzelne Orte Thüringens sind anderen Teilgebieten, teilweise auch anderen Gebieten und Regionen angegliedert. So werden Teile Nordthüringens von einem niedersächsischen Teilgebiet, einzelne Orte im Osten des Freistaates von PKK-Funktionären aus Sachsen betreut. Der Großraum Thüringen wurde als eigenständiges "Teilgebiet Erfurt" von der PKK erschlossen und fest in die Parteistrukturen in Deutschland eingebunden. Die Anzahl der Mitglieder und Anhänger der Partei beläuft sich in Thüringen auf etwa 60 Personen (2000: ca. 70). Bei Veranstaltungen ist die PKK in Thüringen in der Lage, bis zu 300 Sympathisanten zu mobilisieren. Die Mitglieder der PKK im Teilgebiet Erfurt stehen unter der Leitung eines Teilgebietsleiters. Er ist dafür verantwortlich, Spendengelder zu sammeln, Publikationen zu verteilen und Mitglieder zu werben. Er soll aber auch die ortsansässigen Kurden o e- monstrationen oder andere Veranstaltungen mobilisieren. Ein sogenanntes Teilgebietskomitee, dessen Mitglieder sich aus Asylbewerbern in den Gemeinschaftsunterkünften, insbesondere jedoch aus kurdischen Gewerbetreibenden zusammensetzen, unterstützt ihn. Ein wesentliches Auswahlkriterium ist ein besonderes Engagement für die Belange der Partei. Regelmäßig nehmen die PKK-Funktionäre und Aktivisten an Schulungen teil. Sie sind der Parteiführung berichtspflichtig. Für Verstöße werden sie zur Verantwortung gezogen. Vergehen können einen Ausschluss aus der Partei oder öffentliche Diskreditierung nach sich ziehen. Seit sich die PKK auf eine "Strategie des demokratischen Wandels" festgelegt hat, darf Gewalt - was früher üblich war - offiziell nicht mehr angewendet werden. Immer wieder bilden zentrale Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber Anlaufpunkte für PKK-Aktivisten. Die kurdischen Bewohner werden mit Landsleuten zusammengeführt. Ihnen wird angeboten, das Asylverfahren oder die Gründung einer Existenz zu unterstützen. Auf diese Weise eröffnet sich der Partei die Möglichkeit, neue Mitglieder zu gewinnen. Sie werden von der PKK betreut und geschult. Vereinzelt werden sogenannte Heimkomitees gegründet, die für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, Spendensammlungen, Verteilung oder Verkauf von Propagandamaterial zuständig sind und dem Teilgebietsleiter als Ansprechpartner dienen. 3.3 Finanzierung Die PKK hat einen hohen finanziellen Bedarf, um die Kosten für ihren umfangreichen Parteiapparat, ihre militärischen Aktionen und die Propagandaarbeit abzudecken. Sie finanziert sich durch die monatlichen Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Publikationen und von Eintrittskarten für Großveranstaltungen. Überwiegend stammen die Einnahmen jedoch aus der Spendenkampagne, die jedes Jahr im Herbst stattfindet. Nachdem die Partei ihre Strategie abgeändert hatte, zeichnete sich ein Rückgang des Spendenaufkommens ab. Die "Sammler" hatten Schwierigkeiten, glaubhaft zu vermitteln, warum nach der Aufgabe des bewaffneten Kampfes die Zahlung noch nötig sei. Auch das sonst übliche Druckmittel, unwillige potenzielle Spender mit Gewalt zur Zahlung zu bewegen, soll nicht mehr massiv angewendet werden. Solche Aktionen würden den offiziellen Bemühungen um politische Anerkennung zuwiderlaufen. Begründet wird der Finanzbedarf der Partei nun 85 mit der geplanten Einrichtung von Rundfunkund Fernsehstationen in Kurdistan, dem Wiederaufbau des Landes, der Unterstützung der sich im Exil befindlichen Guerilla und der Finanzierung der "Selbstverteidigung" 48 . Im Jahr 2001 zeichnete sich unter den Kurden, die mit der PKK sympathisieren, eine höhere Zahlungsmotivation ab als im Jahr zuvor. 3.4 Aktivitäten Thüringer PKK-Anhänger im Spiegel der aktuellen Ereignisse des Jahres 2001 Großdemonstration am 27. Januar in Köln Am 27. Januar nahmen mehr als 16.000 Menschen an einer friedlichen Demonstration zum Thema "Solidarität mit den Gefangenen in der Türkei" in Köln teil. Eine Person, die der -Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) angehört, hatte die Veranstaltung angemeldet. Das "Solidaritätskomitee für die politischen Gefangenen in der Türkei" (DETUDAK) und die der PKK nahestehende "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland -KOM) hatten an der Organisation mitgewirkt. Anhänger der PKK und Mitglieder linksextremistischer Türkenorganisationen wie u.a. der MLKP, der "Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front" (DHKP-C) und der Türkischen Kommunistischen Partei/MarxistenLeninisten" (TKP/ML) aus Deutschland und dem europäischen Ausland protestierten gemeinsam gegen die gewaltsame Niederschlagung der Gefangenenrevolte im Dezember des letzten Jahres in der Türkei und somit gegen den Strafvollzug in türkischen Gefängnissen. Mit Sprechchören und Bannern forderten sie, dem "Massaker in türkischen Gefängnissen" ein Ende zu setzen. Die von der PKK dominierte Veranstaltung richtete sich auch gegen die Angriffe der "Patriotischen Union Kurdistans" (PUK) und den Einmarsch des türkischen Militärs in den Nordirak, um die "Patriotische Union Kurdistans" zu unterstützen. Berichten der Tageszeitung Özgür Politika - die der PKK nahe steht - vom 28.Januar zufolge wurde eine Erklärung des Präsidialrats der PKK verlesen, in der es hieß: "Wir werden nicht einen Moment zögern, von unserem legalen Verteidigungsrecht Gebrauch zu machen. Außerdem werden wir dieses Recht nicht nur auf Südkurdistan beschränken. Wir ziehen keineswegs einen Krieg vor. Wenn wir jedoch dazu genötigt werden, werden wir beweisen, dass wir zu einem noch gewalttätigeren Krieg als in der Vergangenheit fähig sind." Aus Thüringen nahmen etwa 60 Personen, die der PKK und der TKP/ML zuneigen, an der Demonstration teil. Zweiter Jahrestag der Festnahme Öcalans Am 15. Februar jährte sich zum zweiten Mal die Festnahme Öcalans in Kenia und seine gewaltsame Verbringung in die Türkei. Auch 2001 erklärte die Führung der PKK den 15. Februar zum "Nationalen Trauertag". In einer Erklärung49 , die das "Kurdistan-InformationsZentrum" (KIZ) veröffentlichte, rief der Präsidialrat der PKK das kurdische Volk auf, sich an "politischen Aktionen" wie Demonstrationen und Märschen zu beteiligen, um sich zum Vorsitzenden zu bekennen und die "Lösung der kurdischen Frage in demokratischem Rahmen zu 48 Trotz der Aufgabe des bewaffneten Kampfes waren Stellungen der PKK im Nordirak und im Südosten der Türkei insbesondere Ende 2000/Anfang 2001 in Kampfhandlungen mit der konkurrierenden "Patriotischen Union Kurdistans" (PUK) und dem türkischen Militär verwickelt. Dem Selbstverständnis der PKK nach handelt es sich hierbei nicht um einen Bruch des einseitigen Waffenstillstandes, sondern um ihr aufgezwungene legitime Verteidigungshandlungen. 49 Vom 3. Februar 2001 86 In der Erklärung warnte der Präsidialrat von Neuem davor, dass die bewaffneten Auseinandersetzungen vom Nordirak auf die Türkei übergreifen könnten. Er rief auf, den politischen Widerstand (Serhildan) 50 gegen den türkischen Staat zu verstärken. Die PKK werde, hieß es in der Erklärung, von ihrem legitimen Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machen, wenn sie angegriffen würde. Eine demokratische und friedliche Lösung der Kurdenfrage habe jedoch nach wie vor Vorrang. In einer Erklärung, die in dieselbe Richtung zielte, erwog Ende Januar, die Kämpfe im Südosten der Türkei im Rahmen der Selbstverteidigung wiederaufzunehmen, wenn die PKK vom türkischen Militär und den konkurrierenden kurdischen Parteien PUK und "Demokratische Partei Kurdistans/Irak" (DPK/I) angegriffen würde. Daraufhin drohte der türkische Justizminister Öcalan an, die Aussetzung seiner Hinrichtung aufzuheben und die Haftbedingungen zu verschärfen, falls er weiter "provozierende öffentliche Erklärungen" abgebe. In der Folgezeit wurde in kurdischen Medien ü die Anwälte Öcalans berichtet. Die der PKK nahestehende kurdische Partei HADEP 51 unternahm einen Beschwichtigungsversuch. Sie veröffentlichte eine Erklärung der Anwälte, in der sie die Äußerungen Öcalans nicht als Drohung, sondern als Bewertung verstanden wissen wollten. Im gesamten Bundesgebiet und im europäischen Ausland fanden an den Tagen um den 15. Februar überwiegend friedliche Demonstrationen statt. Es kam zu Sitzstreiks, es wurden Menschenketten gebildet, Petitionen und Informationsmaterial an politische Parteien und die Öffentlichkeit übergeben, vor griechischen, türkischen und amerikanischen Vertretungen Am 15. Februar versammelten sich die Anhänger der PKK-Region Nord in Hannover, um eine Menschenkette und anschließend eine Mahnwache zu bilden. Statt der 300 Personen, die angekündigt worden waren, reihten sich schließlich etwa 1.100 Personen r- den - in die Menschenkette ein. In Berlin wurden von einer bislang unbekannten Gruppe, die sich "aufständische kurdische Jugend" nennt, Reifen angezündet. Mit ihrer Aktion wollten sie, wie es in einem Handzettel hieß, gegen das "Komplott gegen unseren Führer" Widerstand leisten. "Wir werden dagegen mit allen erlaubten Mitteln und dieses an der Grenze der Legalität, unseren Widerstand fortsetzen und davor nicht zurückschrecken", drohten sie. Zur gleichen Zeit kam es in Hamburg Solidaritätsveranstaltung für die HADEP52 am 25.Februar Am 25. Februar fand in der Stadionsporthalle in Hannover eine "Solidaritätsveranstaltung mit der Partei HADEP" statt. Hierzu hatte die HADEP Landespolitiker aus Niedersachsen eingeladen. Die Veranstaltung wurde von einer Einzelperson angemeldet, die der YEK-KOM zuzurechnen ist. Diese Person hatte schon mehrmals Kundgebungen angemeldet, die von der PKK dominiert wurden. 50 Zum Begriff "Serhildan" führte Osman Öcalan in der Tageszeitung Özgür Politika, die der PKK nahe steht, vom 4. September 2001 aus: "Wir bezeichnen die politischen Aktivitäten als Serhildan. Es wäre falsch, das als 51 Halkin Demokrasi Partisi - Demokratische Partei des Volkes 52 Die HADEP wurde 1994 als Partei in der Türkei gegründet und fordert die Anerkennung der kulturellen und elementaren Menschenrechte für die Kurden innerhalb der bestehenden Grenzen in der Türkei. Zeitungen, die der PKK nahe stehen, berichten immer wieder von Repressalien, wie Verhaftungen oder Razzien, des türkischen Staates gegen die Partei. Immer wieder ist ein Verbot der Partei im Gespräch. Die türkische Regierung rechtfertigt ihr Vorgehen gegen die HADEP, indem sie deren Nähe zur PKK hervorhebt. Sie sieht sie als deren Unterstützungspartei. Die PKK sieht die HADEP ihrerseits als eine Partei an, die sie kontrolliert. Das belegt die Äußerung des Präsidialratsmitglieds Osman Öcalan:" Ohne die PKK kann die HADEP überhaupt nichts tun." 87 Die PKK unterstützte die Veranstaltung, indem sie Eintrittskarten verkaufte, in den Vereinen mobilisierte und Reisebusse anmietete. Wie die Zeitung Özgür Politika meldete, sollen ca. 5.000 Personen an der Veranstaltung teilgenommen haben. Darunter befanden sich auch etwa 60 Thüringer Anhänger der PKK. Das Programm setzte sich aus kulturellen Darbietungen und Redebeiträgen, u.a. des stellvertretenden Vorsitzenden der HADEP, zusammen. Newroz Am 21. März feiern die Kurden weltweit ihr traditionelles Neujahrsfest Newroz53 . In den Tagen um den 21. März fanden im gesamten Bundesgebiet friedliche Kundgebungen, Fackelzüge, Konzerte und andere Veranstaltungen statt. Am 20. März versammelten sich in Erfurt an die 60 Kurden zu einem zweistündigen Aufzug. Er war von einem Mitglied des Kurdisch-Deutschen Freundschaftsvereins e.V. aus Erfurt angemeldet worden und führte vom Domplatz zum Wenigemarkt . Die Teilnehmer trugen nicht nur Fackeln und Bildnisse Öcalans mit sich, sondern auch Schilder mit den Aufschriften "Es lebe APO"54 , "Frieden in Kurdistan-Freiheit für Öcalan", "Ohne Öcalan ist ein Friedensschluss nicht möglich". Sie riefen Parolen, meist in kurdischer Sprache, und verteilten Flugblätter. Unter der Überschrift "Unter welchem Zeichen wird NEWROZ 2001 stehen? Große Sorge in Bezug auf die Entwicklung im Mittleren Osten" ging das Flugblatt auf den historischen Hintergrund des Festes ein. Es hob hervor, dass die Feiern in der Türkei bis zum Jahre 2000 - in dem sie zum ersten Mal nicht gestört wurden unterdrückt worden seien. Das Verhalten der Polizei und des Militärs gegenüber den Kurden und ihren Feiern in "Kurdistan" würde Aufschluss darüber geben, ob die Türkei "weiterhin auf Konfrontationskurs gehen wird". Mit der Verhaftung von HADEP-Mitgliedern, dem Einmarsch des türkischen Militärs in den Nordirak und den vom türkischen Staat unterstützten Angriffen der konkurrierenden kurdischen Partei PUK auf die PKK-Volksverteidigungskräfte habe sich ein Krisenherd herausgebildet. Mit den Worten "Die Kurdinnen und Kurden hoffen von ganzem Herzen auf Frieden!" endete das Flugblatt. Die Newroz-Feierlichkeiten dauerten im Bundesgebiet bis Ende März an. Führungsgremien der PKK sowie einige Teilund Nebenorganisationen hatten im Vorfeld Erklärungen veröffentlicht. Darin riefen sie die Basis auf, in großer Zahl an den Feierlichkeiten teilzunehmen und an der Friedenslinie festzuhalten. Gelegentlich zeigten die Demonstranten verbotene Symbole. Wie in den Jahren zuvor, so dienten die Feierlichkeiten der PKK auch 2001 als ein Forum, um ihre politischen Ziele zu verbreiten. Funktionäre der PKK hielten die Duldung der Newroz-Feierlichkeiten in türkischen Städten, die vorrangig von Kurden bewohnt werden, für einen ersten positiven Schritt der Türkei zu einer friedlichen Lösung der Kurdenfrage. An diesen Feierlichkeiten sollen Hunderttausende teilgenommen haben. Einleitung einer "Zweiten Friedensinitiative" - Europaweite Demonstration am 12. Mai in Dortmund Am 8. Mai veröffentlichte die Özgür Politika eine Erklärung des PKK-Präsidialrates. Sie ging auf den "Öcalan-Prozess" vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg ein, der am 31. Mai beginnen sollte. Der Präsidialrat machte darauf aufmerksam, 53 Das Newroz-Fest geht auf einen etwa 2600 Jahre alten Mythos zurück. Seinerzeit hatte sich das Volk mit einem Fackelmarsch gegen die Tyrannei eines assyrischen Despoten erhoben. Seitdem wird dieses Fest alljährlich als Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit begangen. 54 Übersetzt: Onkel, Bezeichnung für Abdullah Öcalan 88 dass mit dem Prozess die Haltung gegenüber dem gesamten kurdischen Volk zum Ausdruck gebracht werde, da Öcalan dessen unbestrittener Führer sei. Der anhaltenden "Verleugnungsund Vernichtungspolitik" wegen müsse der Prozess eine Phase einleiten, "in der die internationalen Kräfte und die über Kurdistan herrschenden Staaten ihre Kurden-Politik grundlegend ändern sowie die Freiheit des Vorsitzenden APO und die nationale Freiheit anerkennen." "Die Phase vor dem EGMR", heißt es weiter, "bietet dazu die Gelegenheit. Sie muss zu einer Phase entwickelt werden, in welcher der Volksaufstand (Serhildan) verstärkt und erweitert wird. In diesem Sinne beginnen wir unsere 'Zweite Friedensinitiative'. Entwickeln wir den ersten Schritt der neuen Initiative mit der Demonstration am 8. Mai55 in London und mit der Demonstration am 12. Mai in Dortmund weiter." Unter dem Motto "Frieden in Kurdistan, Dialog jetzt" demonstrierten am 12. Mai in Dortmund etwa 35.000 Kurden aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland. Unter den Teilnehmern sollen sich auch an die 140 kurdische Volkszugehörige aus Thüringen befunden haben. Die Veranstaltung, die friedlich verlief, war von der YEK-KOM und der "Dialoggruppe Kurdistan Dortmund" angemeldet worden. Bereits im Vorfeld hatten sie auf den aktuellen Friedenskurs des kurdischen Volkes hingewiesen. PKK-Organisationen hatten in den Medien aufgerufen, an der Versammlung teilzunehmen und an der Friedenslinie festzuhalten. Die Demonstranten zogen in zwei Marschsäulen durch die Dortmunder Innenstadt und versammelten sich zu einer gemeinsamen Abschlusskundgebung vor der Westfalenhalle. Vereinzelt wurden verbotene Fahnen der PKK sowie Bilder des PKK-Führers Öcalan gezeigt, aber auch Parolen wie "Es lebe der Vorsitzende APO" und "Freiheit für Öcalan-Frieden in Kurdistan" skandiert. Die Polizei nahm fünf Personen fest, die verbotene Symbole gezeigt hatten. Vereinzelt waren auch Transparente linksextremistischer türkischer Organisationen wie der TKP/ML und der MLKP zu sehen. Während der zentralen Kundgebung sprachen u.a. Vertreter des von der PKK beeinflussten "Kurdischen Nationalkongresses" (KNK), der PKK-Frauenorganisation "Partei der freien Frauen" (PJA) sowie Politiker deutscher Parteien und Gäste aus dem europäischen Ausland. Sie forderten nicht nur, mit Hilfe der europäischen Staaten das Kurdenproblem auf Dauer friedlich zu lösen. Sie verlangten auch, das Todesfasten in türkischen Gefängnissen zu beenden, das Verbot der PKK aufzuheben, Abdullah Öcalan freizulassen und die Demokratisierung der Türkei zu vertiefen. Der Vorsitzende der PKK sandte ein Grußbotschaft, in der er die Fortsetzung des Friedenskurses ankündigte. In einer Telefonschaltung sprach Osman Öcalan, der Bruder Abdullah Öcalans und Mitglied des Präsidialrates, zu den Teilnehmern. Er betonte, dass sich die Türkei in einer politischen und wirtschaftlichen Krise befände, die nur durch einen Demokratisierungsprozess überwunden werden könne. Er hob hervor, dass die Kurden zum Frieden, aber auch zum Kampf bereit seien. PKK startet sogenannte Identitätskampagne Der Verhandlungstermin im Verfahren des in der Türkei inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan gegen die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) wurde am 31. Mai auf den 31. August56 verlegt . Die Verschiebung wurde 55 Demonstration gegen das Verbot der PKK in Großbritannien 56 Im weiteren Verlauf wurde der Prozesstermin aus den gleichen Gründen auf den 28. September 2001 verschoben. Zu diesem Verhandlungstermin versammelten sich in mehreren Städten im Bundesgebiet bis zu 500 PKKAnhänger zu friedlichen Kundgebungen. Die Anwälte Öcalans präsentierten eine umfangreiche Verteidigungsschrift. Sie wird seitdem häufig in der Özgür Politika in Auszügen präsentiert und dient der Parteiführung als der gewählten Friedensstrategie gegenüber der Basis. 89 damit begründet, dass die Anwälte Öcalans ihren Mandanten nur unzureichend besuchen ften und die notwendigen Unterlagen nur mit Verzögerung an sie weitergeleitet würden. Aus Anlass des angesetzten Verhandlungstermins hielten der PKK nahestehende Organisationen eine Pressekonferenz in Berlin ab. Die Veranstaltung, die von etwa 500 Personen besucht wurde, stand unter dem Motto "Unsere politische Identität soll bekannt werden, die Verbote sollen aufgehoben werden". Sie wurde vom Fernsehsender MEDYA-TV, der der PKK nahe steht, live übertragen. Die Teilnehmer führten Plakate mit sich, die die Aufschriften "Identität Kurdisch" und "Freiheit für Öcalan" trugen. Verschiedene kurdische Organisationen, so die YEK-KOM und ihr Dachverband "Konföderation kurdischer Vereine in Europa" (KONKURD), forderten in Reden und in einer gemeinsamen Presseerklärung einstimmig, die politische und nationale Identität des kurdischen Volkes offiziell anzuerkennen. Ein Mitglied des von der PKK beeinflussten KNK proklamierte den 31. Mai als offiziellen Beginn der "Zweiten Friedensinitiative". Deren vorrangigen Ziele seien: -Anerkennung der kurdischen Identität -Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und Großbritannien -gesetzliche Anerkennung der Existenz der Kurden . Es wurde angekündigt, die öffentlichen Protestaktionen - z.B. in Form von Unterschriftenkampagnen57 - auszuweiten. Sie sollten fortgeführt werden, bis es zu einer offiziellen Anerkennung "des Status unseres Volkes" komme. In einem Flugblatt der YEK-KOM wurde die "Leugnungsund Ablehnungspolitik der internationalen Kräfte" kritisiert. Vom EGMR erwarten die Verfasser die Verurteilung der "Verleugnungsund Vernichtungspolitik gegenüber dem kurdischen Volk" und das Zugest von internationalen Rechten und Normen. Im Rahmen der propagierten "Zweiten Friedensinitiative" rief das Präsidialratsmitglied Osman Öcalan am 31. Mai in MEDYA-TV eine sogenannte "Identitätskampagne" aus. Er forderte alle Kurden auf, sich in Gruppen an die Gerichte zu wenden, um die kurdische Identität anerkennen zu lassen. Jeder Kurde solle sagen können, dass er Kurde und Mitglied der PKK sei. Darüber hinaus solle man sich bei der deutschen Regierung schriftlich erkundigen, warum die PKK verboten worden sei. Bei den Aktivitäten sollen die demokratischen Regeln eingehalten werden. Den Auftakt der "Identitätskampagne" bildete eine Demonstration, die am 13. Juni vor dem OLG Düsseldorf stattfand und an der rund 600 Personen teilnahmen58 . Den Anlass bot die erwartete Urteilsverkündung im Prozess gegen den mutmaßlichen ehemaligen PKKDeutschlandkoordinator Sait Hasso. Die Demonstranten versammelten sich mit Plakaten und Öcalan-Fahnen vor dem Gerichtsgebäude. Sie übergaben durch zwei Rechtsanwälte 1470 vorgefertigte Selbsterklärungen, die die Aufschrift "Auch ich bin ein PKK'ler" trugen, den Namen und die Adresse der Unterzeichner angaben. 59 57 Die KON-KURD beabsichtigte laut Özgür Politika vom 12. Juni 2001 100.000 Unterschriften im Rahmen der Kampagne unter dem Motto "Völker existieren in ihrer Identität. Unsere nationale und politische Id unsere Würde" zu sammeln. Im Juli wurden laut Özgür Politika als neues Ziel 200.000 Unterschriften festgesetzt. Am 29. November 2001 berichtete die Zeitung, dass sich bisher insgesamt 128.000 Menschen unter dem Motto "Auch ich bin PKK'ler angezeigt hätten, davon etwa 53.000 in Deutschland. Am Ende des Jahres waren die Unterschriftensammlungen noch nicht beendet. Die Selbsterklärungen "Auch ich bin PKK'ler" werden durch Vertreter bei Gerichten, sonstigen Justizbehörden, Polizeidienststellen, Land Stellen abgegeben. 58 Nach Berichten der Özgür Politika und einer Erklärung des "Kurdistan-Informations-Zentrums" (KIZ) vom 13. Juni 2001 59 Nach Angaben der YEK-KOM in der Özgür Politika vom 28. November 2001 habe die PKK nach der Identitätskampagne über 40.000 Mitglieder. 90 Aktionen zur "Identitätskampagne" in Erfurt Für den 23. und 30.Juli hatte das Vorstandsmitglied des "Kurdisch-Deutschen Freundschaftsvereins e.V." in Erfurt, Roland Wanitschka (DKP), Informationsstände angemeldet. An einem -Bildern versehenen Stand boten Kurden kostenlos Informationsmaterial an, das sich auf Kurdistan und die PKK bezog. Die Aktion stand in Zusammenhang mit der sogenannten Identitätskampagne. In die am Stand ausliegende Unterschriftenliste der PKK-nahen Organisation KONKURD, die mit der Überschrift "Völker existieren mit ihrer Identität - Unsere politische und nationale Identität ist unsere Würde" versehen war, trugen sich hauptsächlich Kurden ein. In dem der Liste beiliegenden Flugblatt wird der Kampf der Kurden gegen die "Verleugnungsund Vernichtungspolitik" internationaler Kräfte, zu denen Deutschland, Großbritannien und die USA gerechnet werden, geschildert und die Verantwortung hervorgehoben, die Europa in Hinsicht auf die nun einzufordernde Anerkennung der kurdischen Identität trüge. Die Haltung Europas werde sich im Prozess gegen den inhaftierten PKK-Führer Öcalan zeigen. Er werde genutzt, die Rechte der Kurden einzufordern. Der Kampf werde andauern, bis die politische und gesellschaftliche Identität anerkannt seien. Insbesondere wurde auf die Friedenslinie der PKK verwiesen, die die Grundlage des Kampfes bilde. Abschließend wurden folgende Forderungen formuliert: * Aufhebung des Betätigungsverbots der PKK, Unterlassung anderer nahmen gegen die politische und nationale Identität der Kurden, * Anerkennung der nationalen und politischen Identität der Kurden, Gewährleistung der freien Organisation und Artikulation, * Recht auf Ausbildung in der eigenen Muttersprache und ihren freien Gebrauch, * Unterstützung aller Bemühungen für eine umfassende Lösung des türkisch-kurdischen Konfliktes, * Unterstützung aller Bemühungen für Demokratisierung im Mittleren Osten und für Freiheit in Kurdistan, * Aufhebung der Todesstrafe für Abdullah Öcalan und seine Freilassung. Die Informationsstände erregten bei den Passanten nur ein geringes Interesse. Internationales Kurdistan-Kulturfestival Am 1. September fand im Müngersdorfer Stadion in Köln das alljährliche Kurdistan-Festival unter dem Motto "Lasst uns gemeinsam den Frieden säen!" statt, das von der YEK-KOM veranstaltet worden war. Aus dem gesamten Bundesgebiet und dem westeuropäischen Ausland waren etwa 45.000 Menschen - zum größten Teil mit Bussen und Sonderzügen - angereist, um an der Veranstaltung teilzunehmen. Unter ihnen befanden sich auch Kurden aus Thüringen. Das Festival verlief friedlich; nur vereinzelt wurden verbotene PKKund ERNK-Fahnen gezeigt. Redner verschiedener von der PKK beeinflusster Organisationen, wie des KNK, hoben nicht nur die aktuelle Friedenslinie der PKK hervor. Sie forderten auch Europa und die Türkei auf, auf diesen Kurs positiv zu reagieren. Namentlich von Deutschland wurde verlangt, das Verbot der PKK aufzuheben. Der Verlauf der "Identitätskampagne" wurde als ein großer Erfolg gewertet. Einem Bericht der Özgür Politika60 nach führe das Festival die "Identitätskampagne" im Sinne des "Serhildans" weiter. Zehntausende hätten APO hochleben lassen. 60 Özgür Politika, 2. September 2001 91 In einer Grußbotschaft, die Abdullah Öcalan aus Imrali sandte, betonte er, dass mit der türkischen Regierung ein Dialog erforderlich sei, wenn Demokratie und Frieden erreicht werden sollten. Auch der Präsidialrat der PKK unterstrich in seiner Botschaft die Notwendigkeit, den friedlichen Kurs fortzusetzen. Er sprach jedoch auch von einer kommenden "Phase des stärkeren Kampfes". Zudem verurteilte er den "Verrat", den ehemalige Mitglieder der PKK begangen hätten. Die Guerilla, der sich Jugendliche und Frauen anschließen sollten, stehe nach wie vor bereit. Es wurden nicht nur politische Reden gehalten, sondern auch zahlreiche kulturelle Darbietungen gezeigt. Dritte Friedensinitiative Im August beschloss die PKK auf ihrer 6. Nationalkonferenz, den "politischen Aufstand" zu intensivieren. Mit dem Weltfriedenstag beginne am 1. September eine neue Periode des politischen Kampfes, die 3. Friedensinitiative. Somit werde die "Identitätskampagne" auf die Türkei ausgeweitet. Am 15. November veröffentlichte die Özgür Politika eine Erklärung des Präsidialrates. Darin rief er das kurdische Volk auf, den "Serhildan" zu verstärken. Man solle in Kurdistan und in der Türkei die Anerkennung der nationalen Identität, die Freiheit Öcalans, die Anerkennung der Sprache sowie nationale und kulturelle Rechte fordern. Die Kurden in Europa sollten einen "neuen Vorstoß" im Hinblick auf die "Identitätskampagne" unternehmen und sie insofern vorantreiben, als sie die Anzahl der Veranstaltungen und Demonstrationen erhöhten. Osman Öcalan61 forderte die Kurden in der Türkei zu demokratischen Aktionen auf und erklärte: "Sie werden nicht Millionen Menschen in Gefängnisse stecken können". Im Zuge des geforderten "neuen Vorstoßes" wurden die Aktionen zur "Identitätskampagn in ganz Europa noch einmal ausgeweitet. Um dem "neuen Vorstoß" zu entsprechen, richtete der Kurdisch-Deutsche Freundschaftsverein e.V. aus Erfurt am 14. Dezember in Jena erneut einen Informationsstand aus. 3.5 Propagandamittel Kurdische Fernsehsender Im Rahmen ihrer Propagandaaktionen greift die PKK auf kurdische Fernsehsender zurück, die über Satellit auch in Deutschland empfangen werden können. Nachdem der unter britischer Lizenz stehende PKK-Propagandasender MED-TV am 23.April 1999 endgültig verboten worden war, nahm der kurdische Sender MEDYA-TV am 30. Juli 1999 den Sendebetrieb auf. Dessen Nachrichten und politischen Magazine stehen vordergründig im Zeichen der PKK-Politik. Immer wieder nutzen führende Funktionäre der Partei, so die Mitglieder des Präsidialrats, den Sender, um aktuelle politische Entwicklungen anzustoßen oder sie in ihrem Sinne zu kommentieren. Seit dem 21. März 2000 strahlt ein weiterer kurdischer Fernsehsender über Satellit auch nach Europa aus. Er trägt den Namen "Mezopotamya Broadcasting A/S" (me tv). Wie die der PKK nahestehende Zeitung Özgür Politika berichtete, wird der Sender als Beitrag zur kurdischen Kunst, Kultur, Literatur und Sprache angesehen. 61 Özgür Politika, 17. November 2001 92 Die Nachfrage nach Medien in kurdischer Sprache ist auch in Deutschland sehr hoch. Die Kurden sind auf die wenigen einschlägigen Medien angewiesen, um sich über Entwicklungen in der Heimat zu informieren und um ihre kulturelle Identität wahren zu können. Als problematisch muss es angesehen werden, dass diese Sender sehr einseitig im Sinne der PKK Bericht erstatten. Da die PKK den Anspruch erhebt, die Kurden allein zu vertreten, koordiniert zumeist sie diese Sender. Sie prägt die Zuschauer mit ihrem Politikverständnis und rekrutiert Publikationen Ein weiteres Propagandamittel der PKK stellt die türkischsprachige Tageszeitung "Özgür Politika" (Freie Politik) dar. Sie veröffentlicht Verlautbarungen der PKK-Führungsgremien, Interviews mit PKK-Funktionären oder Veranstaltungshinweise, was auf ihre Nähe zur PKK deutet. Neben der Özgür Politika bildet das Parteiorgan "Serxwebun" (Unabhängigkeit) eine wichtiges Propagandainstrument. Es richtet sich vorwiegend an die Kader und Kämpfer der Organisation, wohingegen die Özgür Politika im Stile einer Tageszeitung eine breite Leserschaft anspricht. Die zahlreichen Publikationen der sogenannten Massenorganisationen der PKK bieten die Möglichkeit, verschiedene Zielgruppen (z.B. Frauen, Jugendliche, Intellektuelle etc.) anzusprechen und auf sie im Sinne der Partei Einfluss zu gewinnen. Beispielhaft hierfür steht die "Union der kurdischen Jugendlichen" (YCK) mit ihrer Verbandszeitschrift Sterka Ciwan (Stern der Jugend). Die meisten Berichte gehen auf die Guerilla-Kämpfer, die kurdische Kultur und die PKK , aber auch auf deren Teilund Nebenorganisationen ein. Die genannten Publikationen werden regelmäßig von den jeweils Verantwortlichen an PKKSympathisanten in Thüringen verkauft. Internet Die PKK agitiert mit zunehmender Tendenz über das Internet. Zahlreiche Homepages der Teilund Nebenorganisationen gehen auf die neuesten Erklärungen der Führungsgremien der PKK ein, die die Kurdistan-Problematik, Parteibeschlüsse und Entwicklungen in der Kurdenfrage betreffen. Veranstaltungshinweise, Kontaktadressen und Ablaufberichte werden aktuell eingestellt. Nach wie vor steht die Entwicklung um den PKK-Führer Öcalan im Blickpunkt. Neben diesen zahlreichen kurdischoder türkischsprachigen Seiten bieten deutschsprachige Internetseiten, z.B. des der PKK nahestehenden "Kurdistan Informations-Zentrums" (KIZ) oder der "Informationsstelle Kurdistan" (ISKU) der Partei die Möglichkeit, unter Deutschen für ihre Ziele und Anliegen zu werben und somit das Potential der Sympathisanten auszuweiten. Regelmäßig werden hier Spendenappelle veröffentlicht und Veranstaltungshinweise eingestellt. Bewertung Die PKK hielt auch im Jahr 2001 an ihrer Friedensstrategie fest. Sie verstärkte ihre Bem hungen, diese Wandlung der Öffentlichkeit möglichst glaubhaft zu vermitteln. Indem sie eine 62 und eine damit einhergehende "Identitätskampagne" einleitete, will sie sich der Öffentlichkeit als demokratiefähiger Ansprechpartner für die Lösung der 62 Als 1. Friedensinitiative gilt die Aufgabe des bewaffneten Kampfes am 1. September 1999 nach der Verhaftung Öcalans. 93 Kurdenfrage darstellen. Neben der Türkei will sie insbesondere die europäischen Regierungen ansprechen. Ihnen wirft die Partei vor, sie bei der Lösung der Kurdenfrage nach wie vor unzureichend zu unterstützen. Deutschland kommt hierbei im Hinblick auf das Betätigungsverbot eine Schlüsselposition zu. Stärker als bisher steht die Legitimation und die Demokratisierung innerhalb der Organisation im Vordergrund der Kampagne. Ein entscheidender Faktor für den gesteigerten Aktionismus der PKK ist die viel beklagte ausbleibende Reaktion der Türkei auf die Friedensinitiativen der PKK. Die Partei brachte daher stärker als bisher die Option in das Gespräch, den bewaffneten Kampf wiederaufzunehmen. Zu Beginn des Jahres spitzte sich die Lage zu, weil das türkische Militär in den Nordirak einmarschierte, um die PUK zu unterstützen, und die Angriffe auf PKK-Stellungen in der Südosttürkei fortsetzte. Führungsmitglieder sprachen von einem möglichen "neuen Krieg" und drohten Selbstmordanschläge in türkischen Metropolen an. 63 Aufgrund der "aggressiven und gewalttätigen Vernichtungspolitik" und der aufgezwungenen militärischen Konfrontation sei man gezwungen, betonten sie, auf diese Weise zu reagieren, um sich zu verteidigen. Im Verlauf des Jahres fügte die Parteispitze immer wieder in ihre Erklärungen ein, dass sie it sei, im Krisengebiet einen neuen Krieg zu führen. Solche Äußerungen sind zunächst als Warnungen zu verstehen. Sie sollen als Druckmittel dienen, die Türkei zu Konzessionen in Hinsicht auf eine Lösung der Kurdenfrage zu bewegen. Die Guerilla rückte wieder stärker in das Blickfeld. Sie wurde vielfach als Garantie für Demokratie und Frieden bezeichnet, weshalb es sie auszubauen gelte.64 Diese Hinweise auf eine mögliche Rückkehr zum bewaffneten Kampf dienen auch dazu, die Basis zu motivieren und Kritiker der Friedensstrategie in den eigenen Reihen ruhig zu halten. Die Mehrheit der Anhänger akzeptiert den Kurswechsel der Partei, beklagt jedoch die ausbleibenden Erfolge. Eine Abspaltung ehemaliger Parteifunktionäre, die den Friedenskurs ablehnen, blieb ohne Wirkung auf die Anhänger der PKK. Eine Abkehr vom Friedenskurs würde das Verfahren Öcalans vor dem EGMR gefährden. Nach wie vor weist die Partei darauf hin, dass das Schicksal Öcalans und das Schicksal des kurdischen Volkes untrennbar miteinander verbunden bleiben und für die Ausrichtung der Partei entscheidend sei. Die Parteiführung lässt keinen Zweifel daran, dass die Friedensphase negativ beeinflusst würde, wenn sich Öcalans Gesundheitszustand verschlechtere. Ein weiterer Grund, den bewaffneten Kampf wiederaufzunehmen, bestünde, wenn die Guerilla existentiell bedroht würde. Gerade nach den Terroranschlägen in den USA blickt man innerhalb der PKK mit Sorge auf die Entwicklung im Nahen Osten. 65 Mit der Ausweitung der "Identitätskampagne" auf die Türkei versucht die PKK, den Druck auf die türkische Regierung in Hinsicht auf die ungeklärte Kurdenfrage zu erhöhen. Drohende Exekutivmaßnahmen werden den Anhängern dabei als "Opfer" abverlangt und in Kauf genommen. Ziel ist es auch, die Türkei als Aggressor bloßzustellen und die europäischen Regierungen zum Eingreifen anzuhalten. Der Präsidialrat warnte die Türkei in einer im Internet verbreiteten Erklärung zum Beginn der 3. Friedensinitiative am 1. September, dass neue Methoden des Aufstandes im Krisengebiet angewendet würden, sollte die Türkei nicht einlenken. Das Jahr 2002 wurde in diesem Zusammenhang als ein Wendepunkt bezeichnet. Die Partei, die Guerilla und das Volk würden unter allen Umständen die Gewinner sein. 63 U.a. durch Präsidialratsmitglied Murat Karayilan in der Özgür Politika vom 17./18. Januar 2001 64 Osman Öcalan in der Özgür Politika vom 12. September 2001 65 Siehe Bericht zu den Terroranschlägen am 11. September 94 3.6 Reaktionen der PKK auf die Terroranschläge vom 11. September Die PKK und die Organisationen, auf die sie Einfluss nimmt, verurteilten einstimmig die Terroranschläge vom 11. September. In einer Erklärung der PKK66 heißt es, das kurdische Volk teile den Schmerz des amerikanischen Volkes. In der Erklärung wurde zugleich zur Zusammenarbeit aufgerufen, "um die Welt des Friedens, der Demokratie, der Gleichheit und der Das Präsidialratsmitglied Duran Kalkan67 erklärte, Amerika müsse seine Politik "ins Verhör" nehmen und von dem Weltmachtanspruch absehen. Vielmehr solle es bereit sein, die "Welt zu teilen" und gemeinsam zu leben. Nur so könnten derartige Angriffe verhindert werden. Übereinstimmend warnten Führungsmitglieder davor, den Islam und den Nahen Osten im Anschläge verantwortlich zu machen, da dies zur Konfrontation und schlie lich zur Spaltung der Kulturen und Religionen führe. Kritisch äußerte man sich auch zu den Vergeltungsschlägen der USA in Afghanistan. Man befürchtet die Ausweitung auf andere des Nahen und Mittleren Ostens und fordert demokratische Lösungsansätze. Die PKK fürchtet vor allem, dass sich die Türkei die aktuelle Situation zunutze macht, um die Bekämpfung des Terrors im eigenen Land und in den Rückzugsgebieten der PKK im Nordirak zu verstärken. Die "Volksverteidigungskräfte" (HPG) der PKK seien darauf vorbereitet.68 Im Falle eines Angriffes werde man sich legal verteidigen. Die zivilen und militärischen Reaktionen seien dann nicht mehr berechenbar.69 Die PKK verweist in ihren Stellungnahmen in diesem Zusammenhang immer wieder auf ihre bisherigen Friedensbemühungen. 4. Linksextremistische türkische Organisationen Die linksextremistischen türkischen Organisationen in Deutschland thematisierten auch im Jahr 2001 vorrangig die aktuellen politischen Vorgänge in ihrem Heimatland. Den Schwerpunkt bildete wiederum die Agitation, die insbesondere von der DHKP-C, MLKP und der TKP/ML ausging. Sie richtete sich gegen die Einführung eines neuen Gefängnistyps in der Türkei mit kleineren Zellen und unterstützte die in diesem Zusammenhang von Gefangenen in der Türkei durchgeführten Hungerstreiks. Darüber hinaus wurden weltpolitische Ereignisse, so die Terroranschläge vom 11.September in den USA und deren Militäroperationen in Afghanistan, aufgegriffen und propagandistisch genutzt. Die eingangs erwähnten linksextremistischen türkischen Parteien sind in Thüringen bisher organisatorisch nicht vertreten. Im Freistaat leben lediglich wenige Mitglieder und Anhänger der TKP/ML, die sich an Veranstaltungen und Aktivitäten der verschiedenen linksextremistischen Organisationen im Bundesgebiet beteiligen. 66 Özgür Politika, 13. September 2001 67 Özgür Politika, 13. September 2001 68 Präsidialratsmitglied Murat Karayilan am 2. Oktober 2001 in der Özgür Politika 69 Kurdistan Informations-Zentrum, 18. September 2001 95 4.1 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Ziel und Strategie Die in der Türkei verbotene TKP/ML orientiert sich sowohl am Marxismus-Leninismus als auch an der Lehre von Mao Tse-tung. Seit 1994 in zwei Flügel gespalten, strebt sie an, den türkischen Staat gewaltsam zu zerschlagen, um eine marxistisch-leninistisch orientierte "demokratische Volksherrschaft" zu errichten. Sie bedient sich ihres militärischen Arms, der in der Türkei terroristisch operierenden "Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO), um dieses Ziel zu erreichen. In Deutschland gingen in der jüngsten Vergangenheit von der TKP/ML keine Gewalttaten mehr aus. Alljährlich führt sie Spendenkampagnen durch, um den Guerillakampf in der Türkei zu unterstützen. Darüber hinaus finanziert sie sich durch Einnahmen aus Veranstaltungen, die von ihren Basisorganisationen organisiert werden. Zu Propagandazwecken vertreibt die TKP/ML in Deutschland die Publikationen "Özgür Gelecek" (Freie Zukunft) und "Devrimci Demokrasi" (Revolutionäre Demokratie). Im Internet ist sie mit eigenen Homepages vertreten. Aufbau und Organisation Im April 1972 von Ibrahim Kaypakkaya gegründet, ging die TKP/ML aus der marxistischleninistischen "Kommunistischen Partei der Türkei" (TKP) und der "Türkischen Volksbefreiungspartei" (THKP) hervor. Der streng hierarchisch organisierten Kaderpartei TKP/ML geh ren in Deutschland ungefähr 1.700 Mitglieder an. Seit ihrer Gründung ist die Partei von zahlreichen Zusammenschlüssen, Spaltungen und Wiedervereinigungen geprägt worden, zuletzt 1994 durch die Spaltung in den "Partizan-Flügel" und das "Ostanatolische Gebietskomitee" (DABK). Der "Partizan-Flügel" dominiert sowohl der Anzahl seiner Anhänger als auch seiner Aktivit ten wegen in der Partei. In mehreren westeuropäischen Ländern unterhält er Basisorganisationen, die seine politischen Ziele propagieren. In der Bundesrepublik treten die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (ATIF) und die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK) für ihn ein. Als Basisorganisationen des DABK fungieren die "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland" (ADHF) sowie die "K demokratische Rechte in Europa" (ADHK). Die Basisorganisationen beider Flügel bemühen sich, ihre Zugehörigkeit zur TKP/ML zu verschleiern. Veranstaltungen und Aktivitäten Zu Ehren des Parteigründers Ibrahim Kaypakkaya führen beide Flügel r- lich Gedenkveranstaltungen durch. Die diesjährige Veranstaltung des "Partizan-Flügels" fand am 12. Mai in Ludwigshafen statt. Zu den Feierlichkeiten, die das DABK am 26. Mai in Oberhausen veranstaltete, um des 28.Todestages Kaypakkayas zu gedenken, reisten etwa 4000 Personen aus dem Bundesgebiet an. Am 22. Dezember beging die ATIK in Offenbach den 15. Jahrestag ihrer Gründung. Die vom "Verband demokratischer Künstler" organisierte Feier wurde von etwa 2000 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet besucht. 96 Auf Flugblättern und im Internet agitiert die ATIK gegen die militärischen Angriffe der USA auf Afghanistan. Sie behauptet, die Geschichte der USA sei voll von Massakern und Putschen, und sie bezeichnete die USA als den größten Kriegsverbrecher. Die USA, dessen sei sich die ATIK sicher, haben selbst die Basis für die Anschläge geschaffen und müssen daher zur Verantwortung gezogen werden. Sie meint: "Kein Argument rechtfertigt diesen Angriff der USA und der NATO gegen Afghanistan . Es ist der Imperialismus, der zwischen den Völkern Feindschaft sät und sie gegeneinander Kriege führen lässt." 4.2 Revolutionäre Linke - Devrimci Sol (Dev Sol) Überblick Von Dursun Karatas 1978 gegründet, zerfiel die Dev Sol nach internen Schwierigkeiten im Juni 1992 in zwei Flügel. Der nach dem Gründer benannte und größere Karatas-Flügel bezeichnet sich als "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), der nach Bedri Yagan benannte Flügel "Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Revolutionäre Linke" (THKP-C). Die THKP-C, die in der Bundesrepublik etwa 100 Mitglieder zählt, spielt in der hkeit nur eine geringe Rolle. In Deutschland wurde die Dev Sol im Februar 1983 vom Bundesinnenministerium verboten. Als Nachfolgeorganisation der Dev Sol ist die DHKP-C seit dem 13. August 1998 in Deutschland verboten. Der THKP-C wurde ein Betätigungsverbot auferlegt. Beide Flügel treten in verschiedenen Publikationen für ihre Ziele und Ideen ein. Die DHKP-C präsentiert sich in Deutschland mit "Devrimci Sol" ( Revolutionäre Linke) und "Vatan" (Vaterland). Das Internet wird zur Verbreitung von Berichten über aktuelle Ereignisse, Aufrufen und Informationen zu Solidaritätsund Protestkampagnen intensiv genutzt. DHKP-C - Ziel und Strategie Die militante DHKP-C strebt die Zerschlagung des türkischen Staates und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft an. Sie orientiert sich an den Lehren des MarxismusLeninismus. Sie bedient sich der Gewalt, um ihre Ziele durchzusetzen. In der Türkei wurden in der Vergangenheit zahlreiche Terroranschläge verübt, zu denen sich deren militärischer Arm, die "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC), bekannte. So verübte ein Organisationsmitglied am 3. Januar einen Selbstmordanschlag auf eine Polizeistation in Istanbul, der drei Personen das Leben kostete und sieben Menschen verletzte. Das Attentat stand mit den Hungerstreikaktionen in den türkischen Gefängnissen im Zusammenhang, die auch in diesem Jahr von der DHKP-C thematisiert und für eigene Propagandaund Agitationszwecke genutzt wurden. In Deutschland hingegen hielt die DHKP-C an ihrer friedlichen Linie fest. Die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den rivalisierenden Flügeln DHKP-C und THKP-C setzten sich auch im Jahr 2001 nicht fort. Die DHKP-C verfügt in der Bundesrepublik über ca. 850 Mitglieder, ist jedoch in Thüringen organisatorisch nicht vertreten. Ereignisse und Aktionsschwerpunkte In Strafverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach SS 129a StGB wurden auch in diesem Jahr Funktionäre der DHKP-C zu Haftund Bewährungsstrafen 97 verurteilt. So verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg den ehemaligen Europaverantwortlichen der DHKP-C, Nuri Eryüksel, am 5. Januar zu einer Freiheitsstrafe von sechseinhalb Jahren wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung. Am 20.Oktober jährte sich der Beginn des Hungerstreiks in türkischen Haftanstalten. Seither bekundeten DHKP-C -Anhänger mit zahlreichen Kundgebungen, Besetzungen von Parteib ros der SPD und der Grünen, mit Hungerstreiks und Flugblattaktionen ihre Solidarität mit den politischen Gefangenen in der Türkei . Am 20. April übergoss sich ein DHKP-C-Anhänger vor dem Justizgebäude in Regensburg mit Benzin und zündete sich an, worauf er seinen schweren Verletzungen erlag. Er führte ein Transparent mit sich, das die Aufschrift trug: "Ich protestiere gegen den türkischen Staat und die Massaker in den türkischen Gefängnissen." Nach den Terrorakten vom 11. September und den Militärschlägen der USA in Afghanistan verlagerte sich der Agitationsschwerpunkt der DHKP-C zumindest vorübergehend. Laut DHKP-C -Propaganda seien Ursachen dafür, dass Menschen bei einer derartigen Aktion ihr Leben opferten, im amerikanischen Imperialismus zu finden, der die Völker der Welt seit Jahrzehnten ausbeute und das Verlangen nach Gerechtigkeit und Freiheit mit Füßen trete. Die DHKP-C polemisiert weiter: "In einer solchen Welt könne man nicht darüber nachdenken, warum es zu solchen Anschlägen kam, sondern warum es nicht mehr solche e- geben habe". Solidaritätsbündnisse mit den Hungerstreikenden in der Türkei Es wurden sogenannte Solidaritätskomitees gegründet, um öffentlichkeitswirksame Aktionen vorzubereiten und durchzuführen. Die organisationsübergreifenden Veranstaltungen wurden von Anhängern verschiedener türkischer linksextremistischer Organisationen besucht. Die DHKP-C bildete das "Komitee gegen Isolationshaft" (IKM). Während einer Kundgebung der deutschen linken Szene wurden am 30. Januar in Erfurt Flugblätter des IKM mit dem Tenor: "Das Schweigen brechen - Unterstützt die türkischen Gefangenen im Kampf gegen Isolation, Folter und Mord!" an Passanten verteilt. In weiten Teilen des Bundesgebietes bildeten sich "Solidaritätsvereine mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei" (TAYAD), um die Kampagne zu unterstützen. Das von der "Marxistischen Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) gesteuerte "Solidaritätskomitee mit den politischen Gefangenen in der Türkei" (DETUDAK) war ma geblich daran beteiligt, öffentlichkeitswirksame Aktivitäten zu koordinieren. An einer gemeinsamen Großdemonstration der PKK und der im DETUDAK vereinten Organisationen nahmen am 27. Januar in Köln auch Thüringer TKP/ML-Anhänger teil. Friedlich protestierten die Demonstranten sowohl gegen die gewaltsame Beendigung der Gefangenenrevolte im Dezember 1999 in der Türkei als auch gegen den Angriff des türkischen Militärs im Nordirak. Nach Angaben der "Özgür Politika " beteiligten sich an der Aktion etwa 16.000 Personen. 98 5. Islamistische Organisationen Die islamistischen Organisationen verfügen über das mit Abstand größte Mitgliederbzw. Anhängerpotential unter den extremistischen Ausländerorganisationen. Die Mitgliederzahl erhöhte sich im Jahr 2001 auf 31.950 (2000: 31.450). Dennoch stellen die Anhänger im Verhältnis zu den in Deutschland lebenden Ausländern muslimischen Glaubens lediglich eine verschwindend geringe Minderheit dar. Die Mehrzahl dieser Organisationen verfolgt das Ziel, die Regierungssysteme in ihren Heimatländern durch eine auf Koran/Scharia gründende islamistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen. Ihren Ursprung haben sie in Ländern mit starken islamistischen Bewegungen so in Ägypten, Algerien, im Libanon, in den von Israel besetzten und nun unter Selbstverwaltung der Palästinenser stehenden Gebieten, in der Türkei sowie in der Theokratie der Islamischen Republik Iran. Islamisten gehen davon aus, dass mit den im Koran/der Scharia, in der Sunna und den Hadithen enthaltenen Bestimmungen eine alle Lebensbereiche regelnde Ordnung vorgegeben sei, die es überall zu verwirklichen gelte. Daher bemühen sich islamistische Organisationen, ihren Anhängern auch in Deutschland Räume für ein Leben nach der Scharia zu schaffen. 5.1 "Verband der islamischen Gemeinde sog. Kalifatsstaat wurde verboten Der Bundesminister des Innern hat mit Verfügung vom 8. Dezember die islamistische Vereinigung "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti), die dazugehörige, in den Niederlanden registrierte am" (Stichting Dienaar aan Islam), soweit sie sich in Deutschland betätigt, sowie 19 Teilorganisationen nach den Paragraphen 3, 14 und 15 des Vereinsgesetzes verboten. Das Verbot wurde am 12. Dezember vollzogen. Das Verbot erging unmittelbar nach der Änderung des Vereinsgesetzes, das das sogenannte Religionsprivileg beinhaltete. Durch diese Gesetzesänderung soll künftig verhindert werden, dass sich extremistische Gruppen unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit unbehindert betätigen können. Im Rahmen der Vollzugsmaßnahmen wurden über 200 Wohnungen und Objekte in sieben 70 durchsucht. Neben umfangreichem Schriftgut, Geschäftsunterlagen und Bargeld wurden auch Schusswaffen mit scharfer Munition beschlagnahmt. Der "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." wurde 1984 aus einer Abspaltung der "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) - heute "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) - von Cemaleddin Kaplan gegründet. Im März 1994 rief Cemaleddin Kaplan den "Kalifatsstaat" aus und ernannte sich zum "Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime". Nachdem er 1995 verstorben war, folgte auf ihn sein Sohn Metin Kaplan. Die in Köln ansässige Organisation war hierarchisch aufgebaut und gliederte sich in Deutschland in verschiedene Gebiete (Bölge). Bundesweit gehörten ihr zuletzt ca. 1.100 Mitglieder an. Der ICCB oder ihm angeschlossene Vereine sind in Thüringen bisher nicht festgestellt worden. Es war das Ziel der Organisation, das laizistische türkische Staatsgefüge zu beseitigen und durch ein auf Koran und Scharia basierendes islamisches System zu ersetzen. Islam und De70 Betroffen waren Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. 99 mokratie galten als unvereinbar. Um das Endziel, die Weltherrschaft des Islam unter Führung eines einzigen Kalifen zu erreichen, wurde zumindest seit August 1996 der "Jihad" - notfalls unter Einsatz des "Schwertes" und Inkaufnahme des Todes - propagiert. In Publikationen polemisierte die Organisation gegen die USA, Israel und das jüdische Volk. Der "Kalifatsstaat" -aggressiver Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere gegen das Demokratieund Rechtstaatsprinzip. Er verstieß gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährdete durch seine Betätigung die innere Sicherheit sowie außenpolitische Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die verbandseigene Publikation "Ümmet-i Muhammed"71 sowie die vom Verein produzierte Fernsehsendung "HAAK-TV"72 dienten dazu, die Mitglieder zu informieren. Öffentlich trat der Verein durch gelegentliche Flugblattaktionen und Infostände, vor allem in Köln, sowie durch Protestdemonstrationen im Zusammenhang mit der Festnahme und der Strafverfolgung von Metin Kaplan in Erscheinung. 73 5.2 Auswirkungen des Verbots der "Fazilet Partisi74" (FP) auf die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görus e.V." bildet mit 27.500 Mitgliedern (2000: 27.000) die größte islamistische Organisation im Bundesgebiet. Die Anzahl ihrer Anhänger liegt jedoch weit höher. Sie besitzt Zweigstellen in verschiedenen europäischen Ländern und in Übersee. In ganz Europa betreibt die Organisation mehr als 500 Moscheevereine. Neben beträchtlichen finanziellen Mitteln verfügt sie über einen umfangreichen Immobilienbesitz, der seit 1995 von der "Europäischen Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft EMUG) verwaltet wird. Auch die IGMG versucht ihren Anhängern ein gesellschaftliches Leben zu ermöglichen, das der Scharia entspricht. Daher verfolgt sie das Ziel, landesbzw. bundesweite Föderationen und Dachverbände von Muslimen, die zunehmend als Ansprechpartner staatlicher und kirchlicher Stellen an Bedeutung gewinnen, zu dominieren, um ihren gesellschaftlichen Einfluss auszuweiten. Mit einem vielfältigen Angebot an Betreuungs-, Schulungsund Freizeitaktivitäten im religiösen und sozialen Bereich versucht sie, vor allem Jugendliche unter dem Vorwand, ihre islamische Identität zu wahren, an die Organisation zu binden und zu indoktrinieren. Obwohl sich die IGMG in jüngster Zeit in offiziellen Verlautbarungen positiv zu den Grundprinzipien westlicher Demokratien äußert, hält sie enge Verbindungen zu islamistischen Parteien in der Türkei - zuletzt zur islamistischen "Fazilet Partisi" (FP). Der Gründer der FP, Prof. Necmettin Erbakan, und Abgeordnete der Partei nahmen in der Vergangenheit gelegentlich an Großveranstaltungen der IGMG in Deutschland teil oder traten als Redner auf. 71 Übersetzt: Die Gemeinde Mohammeds 72 Sinngemäß: wahres islamisches Fernsehen 73 Gegen Metin Kaplan und zwei weitere Funktionäre des "Kalifatstaates" ermittelte der Generalbundesanwalt, nachdem Halil Ibrahim Sofu, der Führer einer Abspaltergruppe in Berlin im Mai 1997 von drei Unbekannten in seiner Wohnung erschossen worden war. Kaplan wurde vorgeworfen, indirekt zur Ermordung des "Gegenkalifen" aufgerufen zu haben. Die Anklage lautete auf Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung und fentliche Aufforderung zu Straftaten. Kaplan wurde am 15. November 2001 wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu vier Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist inzwischen rechtskräftig. 74 Übersetzt: Tugendpartei 100 Am 22. Juni wurde die "Fazilet-Partisi", die mit 102 von insgesamt 550 Abgeordneten als wichtigste Oppositionskraft im Parlament vertreten war, wegen ihrer Aktivitäten gegen die laizistische türkische Staatsordnung vom türkischen Verfassungsgericht verboten. Die Ideologie der FP war von einem religiös begründeten türkischen Nationalismus sowie durch Antizionismus und Judenfeindlichkeit geprägt. Die FP war als direkte Nachfolgepartei der 1998 wegen antilaizistischer Aktivitäten verbotenen "Refah-Partisi" 75 (RP) des Prof. Necmettin Erbakan gegründet worden. Durch das Urteil vom 22. Juni wurde Erbakan in der Türkei bereits zum vierten Mal mit einem Parteienverbot konfrontiert. Bereits 1971 waren seine "Partei der Nationalen Ordnung" verboten und die daraufhin von ihm gegründete "Nationale Heilspartei" 1980 durch den Militärputsch aufgelöst worden. Gegen das Verbot der RP hatte Erbakan erfolglos vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) geklagt. Mit seiner Entscheidung vom 31.07.01 erklärte dieser das Verbot für rechtmäßig. Das Verbot stelle - so die Begründung - keine Verletzung der Versammlungsund Vereinsfreiheit dar, sondern habe der Notwendigkeit gedient, die demokratische Gesellschaft in der Türkei zu schützen. Bereits während des seit Dezember 2000 laufenden FP-Verbotsverfahrens wurde innerhalb der FP über die Gründung einer oder mehrerer Folgeparteien diskutiert. Hierbei zeichneten sich unterschiedliche Vorstellungen der Parteianhänger ab. Sie führten schließlich zur Spaltung der Partei in die sogenannten "Traditionalisten" - um den bisherigen Generalvorsitzenden Recai Kutan und den mit Politikverbot belegten FP-Gründer Erbakan - und die sogenannten "Reformer"/ "Erneuerer" - um den früheren Istanbuler Bürgermeister Tayyip Erdogan und den Abgeordneten Abdullah Gül. Am 20. Juli riefen die "Traditionalisten" die Gründung einer neuen Partei mit dem Namen "Saadet-Partisi" 76 (SP) unter dem Vorsitz von Kutan aus. Die "Reformer" zogen am 14. August mit der Gründung ihrer neuen Partei, der "Adelet ve Kalkinma Partisi" 77 (AKP) unter dem Generalvorsitzenden Erdogan, nach. Die AKP gibt an, sich für eine stärkere Differenzierung zwischen Laizismus und Religionsfeindlichkeit einsetzen zu wollen. Die in der Türkei vollzogene Spaltung der Islamisten dürfte auch Auswirkungen auf die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) in Deutschland haben, die maßgeblich von Erbakan und dessen Politik beeinflusst wird. Auffällig war, dass die der IGMG nahestehende türkische Tageszeitung "Milli Gazete" der Berichterstattung über die Neugründung der AKP nur wenig Platz einräumte. Der SPVorsitzende Kutan wird mit den Worten zitiert: "Der Stamm der großen Platane ist in unserem Besitz. Diejenigen, die sich von uns abgewandt haben, werden eines Tages zurückkehren." 5.3 Die Terroranschläge arabischer Islamisten am 11. September in den USA Am 11. September kam es in den USA zu den bislang folgenschwersten Terroranschlägen arabischer Islamisten. Eine Gruppe von neunzehn Terroristen entführte vier Verkehrsflugzeuge US-amerikanischer Fluglinien, von denen zwei gezielt in die Zwillingstürme des World 75 Übersetzt: Wohlfahrtspartei 76 Übersetzt: Partei der Glückseligkeit 77 Übersetzt: Partei der Gerechtigkeit und des Aufschwungs 101 Trade Centers in New York gesteuert wurden und sie zum Einsturz brachten. Eine Maschine schlug auf das amerikanische Verteidigungsministerium (Pentagon) in Washington D.C. auf. Das vierte Flugzeug verfehlte offenbar sein Ziel und stürzte über Pennsylvania ab. Bei den Anschlägen kamen annähernd 3.000 Menschen ums Leben. Die Ermittlungen führten recht bald zu Usama bin Laden und dem ihm zuzuordnenden Netzwerk islamischer Fundamentalisten - der "Al-Qaida78 - als mutmaßliche Drahtzieher des verheerenden Attentats. Mit der Identifizierung der Täter wurde bekannt, dass sich unter ihnen ein deutscher Staatsangehöriger arabischer Abstammung befand bzw. sich einige Täter über Jahre in Deutschland aufgehalten hatten. Seitdem sind daher auch deutsche Sicherheitsbehörden verstärkt bei den weiteren Ermittlungsmaßnahmen gefordert. Ende der achtziger Jahre gründete Usama bin Laden das Netzwerk "Al-Qaida", das sich aus fanatischen Glaubenskämpfern zusammensetzt. Seit Anfang 1998 besteht die "Islamische Kampffront gegen Juden und Kreuzritter", in de -Qaida" und andere islamistische Gruppierungen zusammengeschlossen haben. Die auch als arabische Mujahedin79 bezeichneten Anhänger werden überwiegend in den von Usama bin Laden finanzierten "Trainingslagern" in Afghanistan, Sudan und anderen arabischen Gebieten als Kämpfer für den 80 ausgebildet. Usama bin Laden und die "Islamische Kampffront" streben an, einen an Koran und Scharia orientierten Gottesstaat zu errichten. Um dieses Ziel zu erreichen, erklärte er es für legitim, Amerikaner oder deren Verbündete - seien es Militärs, seien es Zivilisten - zu töten. Bin Laden gilt als Verantwortlicher für die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998. Seinerzeit führten Ermittlungen zur Verhaftung eines Funktionärs, der sich in Deutschland aufhielt und enge Verbindungen zu bin Laden unterhalten haben soll. Auch hinter dem Anschlag auf den Zerstörer der US-Marine im Jahr 2000 in Aden/Jemen werden bin Laden und seine Gefolgschaft vermutet. Obgleich die USA und Israel als Hauptfeinde der Islamisten gelten, gab es in jüngster Zeit auch Hinweise auf in Europa existente Terrorzellen sowie deren Anschlagsziele. So wurden im Dezember 2000 mutmaßliche Anhänger der arabischen Mujahedin in Frankfurt/M. festgenommen, die offenbar einen Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt planten. Das Kontaktnetz der "Arabischen Mudjahedin" erstreckt sich auf alle Kontinente, gründet jedoch nicht auf festen, geschlossenen Strukturen. Anhänger einzelner, den arabischen Mujahedin zuzurechnender Kleinund Kleinstgruppen konnten bereits in Deutschland identifiziert werden. In Thüringen waren weder im Zusammenhang mit den Ermittlungen nach dem 11. September noch davor von arabischen Mujahedin installierte Zellen feststellbar. Zur Bündelung des Informationsaufkommens sowie zur Koordinierung der nach den Anschlägen in Thüringen zu ergreifenden Maßnahmen ist auf Erlass des Thüringer Innenministeriums zum 13.09.01 eine "Koordinierungsstelle Terrorismus" beim Thüringer Landeskriminalamt eingerichtet worden. Diese setzt sich aus Vertretern des Landesverwaltungsamtes, der 78 Übersetzt: Die Basis 79 Panislamisch orientierte "Gotteskrieger" meist arabischer Herkunft, die an Kämpfen in Afghanistan, BosnienHerzegowina, Tschetschenien oder in Kaschmir teilgenommen haben und dazu religiöse wie auch paramilitärische und terroristische Unterweisungen in afghanischen, sudanesischen oder pakistanischen Trainingslagern erhalten haben. Dazu zählen Anhänger nahezu aller militanten islamistischen Organ des Maghreb,, aus Libyen, Ägypten, Sudan, Saudi-Arabien und des Nahen Ostens 80 Siehe dazu Exkurs Islam-Islamismus 102 Generalstaatsanwaltschaft, der Polizeidirektion Erfurt und des Landesamtes für Verfassungsschutz zusammen. 5.4 Exkurs Islam - Islamismus Der Islam Der Islam stellt eine der großen Weltreligionen dar, zu der sich weltweit über 1,2 Milliarden Menschen bekennen (s. Graphik) Seine Anfänge reichen bis in das 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zurück, als Mohammed (etwa 570 632 n.Chr.), der Religionsstifter, auf der arabischen Halbinsel lebte und wirkte. Durchaus auch anknüpfend an christliches Glaubensgut gilt Mohammed im Islam als Prophet Gottes, der das Wort des alleinigen Gottes abschließend, vollständig und richtig verkündete. Der Islam erkennt Jesus als historische Figur an und bejaht seine Existenz als einen unter vielen Propheten. Die Verkündigungen Gottes (Allah), vermittelt durch den Propheten Mohammed, sind im heiligen Buch der Muslime, dem Koran, festgehalten. Die islamische Theologie vertritt die Lehrmeinung von der Offenbarung. Danach hat Gott dem Menschen wiederholt geoffenbart, was er vom Menschen will, erstmalig in der Offenbarung an Adam und historisch zum letzten Mal durch Mohammed. Im Gegensatz zu früheren Propheten und Gottgesandten, deren Botschaft lediglich mündlich überliefert wurde und dadurch immer wieder Veränderungen erfuhr, sei Mohammed mit dem ausdrücklichen Auftrag aufgetreten, die Botschaft aufschreiben zu lassen. Schriftlich fixiert wurden die in 114 Suren (Kapitel) unterteilten Texte im Koran - "dies ist die Schrift, an der nicht zu zweifeln ist, (geoffenbart) als Rechtleitung für die Gottesfürchtigen" (Koran 2, 1).81 Das Wort "Islam" bedeutet im übertragenen Sinne Hingabe zu Gott bzw. Unterwerfung unter seinen Willen. Nach islamischer Auffassung muss jede Handlung des Menschen dahingehend geprüft werden, wie sie mit dem Willen Gottes in Übereinstimmung zu bringen ist. Manche Taten - so die Erfüllung der islamischen Glaubenspflichten82 - sind zwingend umzusetzen, andere - beispielsweise der Verzehr von Schweinefleisch - sind absolut verboten, wieder andere - so die sportliche Betätigung - gelten als neutral. Wichtig ist, dass beim Jüngsten Gericht die Summe der guten Taten die der schlechten übersteigt. Zerfall in Sunniten und Schiiten Recht bald kam es im Islam zu Spaltungen und Sektenbildungen. Die Trennung in die beiden Hauptrichtungen - nämlich Sunniten (ca. 800 Mill.) und Schiiten (ca. 200 Mill.) - wurde durch die nach Mohammeds Tod entbrannten Streitigkeiten um seine rechtmäßige Nachfolge hervorgerufen. Während die Sunniten die Nachfolgereihe, beginnend mit Abu Bakr, dem Schwiegervater Mohammeds, als rechtmäßig erachten und somit die Herkunft aus dem Stamm des Propheten für die Nachfolge als ausreichend gilt, erkennen die Schiiten Ali, den 81 Vgl. dazu Peter Antes: Der Islam als politischer Faktor, Hannover 1997, S. 20 f. 82 Auch die "fünf Säulen des Islam 1. die Bekenntnisformel (shahada): Ich bezeuge, es gibt keine Gottheit außer Gott; ich bezeuge, Mohammed ist 2. das Gebet (salat) 3. das Entrichten der Almosensteuer (Zakat), 4. das Fasten im Monat Ramadan 5. 5.die Wallfahrt nach Mekka (sofern die finanziellen Verhältnisse das zulassen, ansonsten sind auch Ersatzlösungen, z.B. das Entrichten spezieller Almosen, üblich) 103 Schwiegersohn und Vetter Mohammeds, und die ihm nachfolgenden blutsverwandten Imame (Führer) als einzig rechtmäßige Herrscher an. Die "Partei Alis" (Schia-t-Ali) konnte sich nicht gegen die in der Nachfolgefrage liberalere Auffassung der übrigen Glau Sunniten) durchsetzen und spaltete sich deshalb ab. Für die Schiiten ist die religiöse Führungsrolle des Imam ein göttliches Gebot. Der Imam - und seine ihm blutsverwandten Nachfolger - gelten als einzig legitime Führer der muslimischen Gemeinschaft. Durch die Verehrung Alis bedingt sind die Schiiten stärker personenzentriert. Im Gegensatz zur Sunna 83 entwickelten sich in der Schia ein muslimischer Klerus, Märtyrerverehrung, messianische Vorstellungen und Passionsgedanken. Seit der "Islamischen Revolution" im Iran 1979 ist der vom Iran geprägte Schiismus durch eine besondere Radikalität sowie einen universellen Machtanspruch gekennzeichnet. Schiitische Minderheiten sind darüber hinaus im Irak, Syrien, Libanon, der Türkei sowie in Afghanistan, Indien und Pakistan vertreten. Neben den Glaubensspaltungen kam es im Laufe der geschichtlichen Entwicklung des Islam zu weiteren Trennungen, bedingt durch den örtlich unterschiedlich praktizierten Islam mit jeweiligen kulturellen Besonderheiten (Volksislam). Nicht nur mit Blick auf die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten, sondern auch wegen der vier sunnitischen Rechtsschulen84 , die den ihnen angehörenden Gemeinschaften aus Koran und Tradition abgeleitete Verhaltensweisen nahe legen, bleibt festzuhalten, dass es sich bei dem Islam nicht um ein homogenes Denkmodell oder Glaubensgebäude handelt. So reicht das Spektrum des praktizierten Islam von einer weitausgreifenden, toleranten bis hin zu einer äußerst strengen Auslegung der Vorschriften. Fundamentalismus Der Fundamentalismus stellt eine Ausprägung des Islam dar, die sowohl unter den Sunniten als auch unter den Schiiten Verbreitung findet. Die fundamentalistisch orientierten Glaubensanhänger sind unter anderem der Vorstellung verhaftet, sämtliche innerhalb des Islam bestehenden Unterschiede aufzulösen und eine Einheit des Islam - wie zu Zeiten Mohammeds - herzustellen. Die "verderbliche Lebensweise" der westlichen Welt stößt da mit den streng ausgelegten islamischen Vorschriften nicht vereinbar - auf einhellige Ablehnung. Das kompromisslose Festhalten an politischen und/oder an religiösen Grundsätzen ist charakteristisch für den islamischen Fundamentalismus. Die streng religiös-islamische Orientierung wird als einzig geeigneter Weg zur Unabhängigkeit gegenüber allen Diktaten und Vorgaben von außen angesehen. Islamismus Der auf den islamischen Fundamentalismus zurückzuführende Islamismus unterscheidet sich grundlegend vom traditionellen Islam. Führende Vertreter dieser Denkrichtung, vorrangig Naturwissenschaftler, die eine akademische Ausbildung in westlichen Staaten durchlaufen haben, geht es weniger um eine theologisch fundierte Exegese des Koran als vielmehr um eine Instrumentalisierung der Religion - meist mittels polemischer Demagogik. Der Islam soll als Herrschaftsmittel eingesetzt werden und Machtansprüche begründen. Obwohl Islamisten mit naturwissenschaftlicher Ausbildung einerseits von konservativen Theologen nur wenig geschätzt werden, da sie in Fragen der Koran-Interpretation als nicht kompetent gelten, verfügen sie andererseits über im Kampf gegen die anti-islamische westliche Welt notwendige Voraussetzungen: Auslandserfahrungen und Fremdsprachenkenntnisse. 83 Praxis der muslimischen Urgemeinde, gilt neben dem Koran als Glaubensgrundlage der Sunniten 84 Hanafiten, Malikiden, Schafiten, Hanbaliten 104 Das Theorem des Islamismus enthält vor allem Strategien zur Machtübernahme, dagegen weniger inhaltliche Konzepte für die Idee eines islamischen Staates. Als wichtigste Grundlagen des Islamismus sind zu benennen: * Der Islam gilt als alleinige, für alle verbindliche geoffenbarte Wahrheit. * Die gesellschaftliche Verwirklichung des auf der Scharia 85 gegründeten islamischen Gottesstaates ist Verpflichtung. * Die Auflage zum Kampf gegen alle Ungläubigen ist unverrückbares Gebot. * Der Kampf ist mit den Mitteln der politischen und sozialen Revolution sowie des Jihads86 zu führen. * Die grundsätzliche Ablehnung westlicher Wertvorstellungen, sofern sie sich nicht den islamischen Glaubensund Rechtsvorstellungen unterordnen lassen, ist unbestreitbar. Da sich die Anhänger des Islamismus an diesen Prinzipien orientieren, lehnen sie den Pluralismus und das Mehrparteiensystem in der Regel grundsätzlich ab. Ausgehend vom Absolutheitsund Totalitätsanspruch des Koran negieren sie zudem den funktionalen Unterschied zwischen den feststehenden Grundregeln des Islam und den in westlichen Rechtsordnungen verankerten Menschenrechten. Die darüber hinaus für Islamisten charakteristische antijüdische bzw. antizionistische Haltung zielt letztlich darauf ab, die heiligen Stätten des Islam in Jerusalem von der israelischen Besatzung zu befreien. Die unterschiedlichen Auslegungen des im Koran erwähnten Jihad als bloße Anstrengung oder als politischer und sogar bewaffneter Kampf führen zu unterschiedlichen Strategien, die jeweils situationsbezogen umgesetzt werden. Meist propagieren fanatische Islamisten zur Durchsetzung ihrer Ziele und Machtansprüche nicht nur Gewalt, sondern wenden diese gezielt - bis hin zu terroristischen Anschlägen - gegen die aus ihrer Sicht "Ungläubigen" an. Zu den Exponenten dieses Islamismus - auch als islamischer Extremismus bezeichnet - gehören beispielsweise Gruppen wie die schiitische "Hizb Allah" (Partei Gottes) im Libanon, die algerische sunnitische "Islamische Heilsfront" (FIS) oder die ägyptische sunnitische "Al Gama'al Islamiya" (Islamische Vereinigungen). V. Scientology Organisation 1. Scientology - ein Fall für den Verfassungsschutz Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) stellte mit Beschluss vom 05./06. Juni 1997 fest, dass in Hinsicht auf die Scientology Organisation (SO) tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen und somit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung durch 85 Islamisches Rechtssystem 86 Bedeutet etymologisch soviel wie besondere "Anstrengung". Diese konnte bereits zu Mohammeds Zeiten militärischer Natur sein. Den im "Kampf um Gottes Willen" Gefallenen werde das Paradies zuteil. Die Deutung als heiliger Krieg geht vermutlich auf die im islamischen Recht gebräuchliche Teilung der Welt in zwei Lager "Haus des Islam" und "Haus des Krieges" zurück. Zur Ausweitung des "Hauses des Islam" im Sinne einer islamischen Ordnung gilt der Jihad als probates Mittel. 105 die Verfassungsschutzbehörden gegeben sind. Das Menschenund Gesellschaftsbild der weltweit operierenden SO widerspricht elementaren Prinzipien des Grundgesetzes. Der von SO erhobene Absolutheitsanspruch, die totalitäre Ausrichtung der Organisation sowie die von ihr angestrebte Gesellschaftsordnung sind mit den Mechanismen einer parlamentarischen Demokratie unvereinbar. Die Auffassung, wonach nur den nach SO-Methoden "geklärten" und damit "perfekten" Menschen Grundrechte zustehen, widerspricht sowohl den in Artikel 1 Grundgesetz (GG) festgeschriebenen Menschenrechten als auch dem Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3 GG). Das strikte Untersagen jeglicher Kritik an der SO gefährdet die in Artikel 5 GG verbriefte Meinungsfreiheit. Gegenüber so genannten Gegnern angewandte Verfolgungspraktiken stehen im Widerspruch zu dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Artikel 2 GG). 2. Hintergrund und Methoden Die erste "Church of Scientology" 87 wurde 1954 von dem Science-Fiction Autor Lafayette Ronald Hubbard (1911-1986) in den USA gegründet. Als Fundament der scientologischen Ideologie gilt das von Hubbard bereits 1950 veröffentlichte Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit". Diese ständig "weiterentwickelte" Lehre wird seither in eigens dazu eingerichteten sogenannten "DianetikZentren" verbreitet. Dabei bedient man sich auch spezieller, von Hubbard entwickelter Verfahren zur Persönlichkeitsveränderung. Dazu gehört u.a. die "Oxford-Persönlichkeitsanalyse", ein 200 Fragen umfassender, (noch) kostenloser Persönlichkeitstest, der oft den Einstieg in das Kurssystem von Scientology bedeutet. Weitere, darauf aufbauende Trainings sollen zunächst den Eindruck erwecken, die SO wolle die persönliche Situation des Einzelnen verbessern helfen. Ziel ist jedoch vielmehr, einen nach scientologischer Ideologie "perfekten Menschen" zu formen, einen Menschen der "clear" ist im Sinne ihrer Lehre und der sich auf der "Brücke zur völligen Freiheit" befindet. -Zustand", in dem der Mensch frei sei von "allen körperlichen Schmerzen und schmerzlichen Emotionen", soll mit einem nach festen Reg dem Auditing , erreicht werden. Durch diese Fragetechnik - eine Mischung aus Verhör, Beichte und Therapie - sollen Scientologen angeblich die geistige Selbstbefreiung erfahren und sich zu Verfehlungen bekennen. Sofern dabei schmerzhafte Erinnerungen/Erlebnisse bekannt werden, nutzt die Organisation diese, um gezielt Druck auf den jeweiligen SOAnhänger auszuüben bzw. ihn nach Belieben zu manipulieren. Diese Selbstoffenbarungen -Sitzung werden von einem sogenannten Auditor protokolliert. Mit derartigen, kostspieligen "Verfahren zur Persönlichkeitsveränderung" bindet die SO ihre Mitglieder strategisch an sich und beutet sie darüber hinaus finanziell aus. Letzten Endes strebt die SO an, eine Führungsrolle in der Gesellschaft zu übernehmen, um sie insgesamt zu "clearen". Der scientologische Erkenntnisweg führt von der Stufe "Clear" über die derzeit von I bis VIII reichenden Stufen eines "Operierenden Thetan" (OT )88 . Ein Ziel ist, durch Beschreiten der OT-Stufen scientologische Übermenschen zu produzieren, die durch Erschaffung einer neuen Weltordnung zur Rettung der Menschheit beitragen. Erst bei Durchlaufen dieser "OT-Stufen" 87 Der Begriff Scientology setzt sich aus den Worten "sciere" (lateinisch: wissen) und "logos" (griechisch: Lehre, Studium) zusammen. Er bedeutet demnach soviel wie "Studium der Weisheit". 88 Siehe auch "Erläuterung einzelner scientologischer Begriffe 106 wird der Scientologe auch mit der eigentlichen Zielsetzung von SO, der Welteroberung, konfrontiert.89 Organisationsstruktur Nach dem Tod Hubbards im Jahr 1986 und einer Reihe von internen Machtkämpfen entwickelte sich die SO unter der Nachfolge von David Miscavage zu einem streng hierarchisch strukturierten und weltweit agierenden Netzwerk aus "Kirche", Wirtschaftsunternehmen und einer Vielzahl von Unterorganisationen. Eigenen Angaben zufolge wird Scientology in 129 über alle Kontinente verteilten Ländern von etwa 8 Millionen Mitgliedern praktiziert. Die SO mit ihren Unterorganisationen ist ähnlich einem Wirtschaftskonzern organisiert. Das Managementzentrum, die oberste Leitungsebene, die strategische Planungsebene und das i- deologische Hauptquartier des Imperiums befinden sich in Clearwater (Florida/USA). Die Europazentrale befindet sich in Kopenhagen (Dänemark), die "Scientology Kirche Deutschland e.V." ist in München ansässig. Daneben existieren in einzelnen Bundesländern sogenannten "Kirchen", "Missionen", "Dianetik-Zentren" oder "Celebrity Centres". Die Befehlszentrale der SO, das "Religious Technology Center" (RTC), wird seit Mitte der achtziger Jahre von Miscavage geleitet. Das RTC ist im Besitz aller urheberrechtlich geschützten Zeichen und Produkte der SO und kontrolliert deren Lizenzvergabe und Verwendung. Für die Überwachung einzelner SO-Sektoren sind das "Watchdog Comittee"90 und das "International Scientology Management" verantwortlich. Die wichtigste Teilorganisation und tragende finanzielle Säule der SO ist der 1979 zur Verbreitung der Hubbardschen "Technologie" gegründete internationale Wirtschaftsverband "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE). Ihm sind alle Unternehmen, die nach scientologischen Lizenzen wirtschaften, angeschlossen. Die "Church of Scientology International" ist die "Mutterkirche", der alle Organisationen ("Missionen", "Kirchen" etc.) zugeordnet sind. Sie betreibt den Verkauf von Kursen, Materialien und Dienstleistungen. Mit der "Association for Better Living and Education" (ABLE) sollen vornehmlich Schüler und junge Erwachsene angesprochen werden. 91 Diese Vereinigung widmet sich laut SO den "Lösungen für eine belastete Gesellschaft", um auch in sozialen Bereichen eine Verbesserung der Lebenssituation nach Scientology-Verständnis zu ermöglichen. Zu diesen Gruppierungen zählen beispielsweise: "Narconon", Therapieangebot zur angeblichen Rehabilitierung von Drogenund Alkoholabhängigen. Nach Feststellung des Verwaltungsgerichtshofes Baden-Württemberg war bis 1993 kein einziger erfolgreicher Drogenentzug nachgewiesen worden, 92 "Criminon", Programm zur Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft, 89 "Das System Scientology" - Broschüre des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, 2. Auflage, 2000 90 Wachhund-Komitee 91 "Die Scientology-Organisation" - Broschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 92 VGH Baden-Württemb erg, Beschluss vom 10.5.1993 107 die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Aufdeckung und Bekämpfung angeblicher Missstände in der Psychiatrie, das "Zentrum für individuelles und effektives Lernen" bietet Nachhilfeprogramme für lernschwache Schulkinder an. Die SO begreift sich als "Kirche" und behauptet von sich selbst, eine Religionsgemeinschaft (Erlösungsreligion) in der Tradition des Buddhismus zu sein. Bereits im Jahre 1995 hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass ein Auftreten der SO als "Kirche" lediglich ein Vorwand ist, der zur Verfolgung ihrer wirtschaftlichen Interessen dient.93 Durch rücksichtsloses Gewinnstreben werden Mitarbeiter zu ständig neuen Höchstleistungen angetrieben, um die politischen und wirtschaftlichen Ziele dieses Unternehmens zu maximieren. 3. SO in Thüringen Auch im Jahr 2001 konnten in Thüringen SO-Niederlassungen wie "Kirchen", "Missionen", -Zentren" nicht festgestellt werden. Wie bereits in den Vorjahren so k- ten sich die Aktivitäten der SO auch im Jahre 2001 im Wesentlichen darauf, gelegentlich "Werbematerial" wie Zeitschriften, Magazine und Bücher an Einzelpersonen, Stadtverwaltungen, Polizeibehörden oder Redaktionen von Regionalblättern zu versenden n- aus bietet die SO mehrsprachige Seiten im Internet an. Sie nutzt sie zur Selbstdarstellung bzw. zur Werbung neuer Mitglieder. VI. Spionageabwehr 1. Überblick Deutschland - bevorzugtes Aufklärungsziel Die Aufgabe der Spionageabwehr des TLfV besteht darin, geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland - insbesondere in Thüringen - zu erkennen und zu verhindern. Obwohl sich die weltpolitische Lage erheblich verändert und sich ehemals feindlich gesinnte Staaten einander angenähert haben, ist Deutschland seiner zentralen Lage in Europa und seiner Wirtschaft wegen unverändert ein bevorzugtes Aufklärungsziel für eine Vielzahl von Nachrichtendiensten fremder Staaten geblieben. Vor allem die russischen Dienste entfalten rege nachrichtendienstliche Aktivitäten, die sich gegen die Interessen Deutschlands richten. Das Aufklärungsinteresse Russlands und anderer Länder der "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) umfasst hauptsächlich die "klass - Politik, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. 93 Beschluss vom 22.3.1995 - 5 AZB 21/94 108 Deutsche Sicherheitsinteressen werden jedoch nicht nur durch nachrichtendienstliche Aktivitäten aus Republiken der GUS berührt. Auch Staaten Nordafrikas sowie nah-, mittelund fernöstliche Staaten verfolgen in Deutschland nachrichtendienstliche Ziele. Insbesondere Länder wie Iran, Irak, Libyen und Syrien richten ihr Interesse vornehmlich auf die Aussp hung und Unterwanderung von Personen und Gruppen, die in Deutschland leben und in Opposition zur Regierung ihres Heimatlandes stehen. Die Aufmerksamkeit der Spionageabwehr richtet sich aber nicht allein auf Aktivitäten der Nachrichtendienste der bereits genannten Länder. Der Beobachtung durch den Verfassungsschutz bedürfen gleicherweise die chinesischen und nordkoreanischen Dienste. Schließlich gilt es auch, den Blick nicht von vornherein vor Aktivitäten von Nachrichtendiensten jener rschließen, die mit Deutschland politisch verbunden sind. Proliferation Proliferation bedeutet die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dafür erforderlichen Know-how sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen. Um ihre politischen Absichten durchsetzen zu können, bemühen sich Länder aus Krisenregionen darum, in den Besitz von nuklearen, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen zu gelangen und die zu ihrem Einsatz erforderlichen Trägertechnologien zu beschaffen. Gegenstand der Proliferation dieser so genannten ABC-Waffen sind technische Komponenten, Verfahren und Know-how zu ihrer Entwicklung und Fertigung. Da bestimmte Produkte häufig sowohl militärisch als auch zivil genutzt werden können, ergibt sich ihre Proliferationsrelevanz zumeist erst aus der Kenntnis des Einsatzzweckes. Die Beschaffungsaktivitäten der um Proliferation bemühten Staaten sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sehr konspirativ und folglich nur schwer erkennbar abgewickelt werden. Auf diese Weise sollen die Exportgenehmigungsund Exportkontrollmechanismen in Deutschland unterlaufen und verhindert werden, dass die deutschen Behörden den Endempfänger und -verwendungszweck eines bestimmten zu exportierenden Gutes erkennen. Dabei spielen insbesondere auch Lieferungen, die über Drittländer an ihr Ziel gelangen, eine wichtige Rolle. Es gilt daher nicht nur, klassische Spionageaktivitäten abzuwehren und aufzuklären, sondern auch diesen Proliferationsbemühungen entgegenzuwirken. Wirtschaftsspionage Die Wirtschaftsspionage zählt zu den klassischen Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Sie unterscheidet sich von der "Konkurrenzausspähung" (umgangssprachlich: Industriespionage), die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsspionage kennt keine einheitlichen Ziele. Sie konzentriert sich auch nicht allein auf hochsensible Informationen oder Neuentwicklungen. Vielmehr richten sich die Aufklärungsziele und Methoden nach dem jeweiligen technologischen Stand der handelnden Staa109 ten. Hochentwickelte Staaten versuchen vor allem Unternehmensund Marktstrategien auszuforschen. Technisch weniger entwickelte Staaten legen den Schwerpunkt auf die Beschaffung technischen Know-hows, um Entwicklungsoder Lizenzgebühren zu sparen. Ins Visier der Abwehrdienste sind im letztgenannten Zusammenhang vor allem die Nachrichtendienste der Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion geraten. So sind beispielsweise die Dienste in Russland und der Ukraine gesetzlich verpflichtet, die Wirtschaft ihres Landes zu unterstützen. Dabei entfalten sie entsprechende Aktivitäten sowohl in ihrem Heimatland geg r- lassungen ausländischer Unternehmen, als auch hier in Deutschland. Besonders gefährdet sind deutsche Firmen mit Niederlassungen in den GUS-Staaten. Konkrete Anhaltspunkte, die auf eine Zunahme der Wirtschaftsspionage im Freistaat Thüringen deuten, haben sich in diesem Jahr nicht ergeben. In Hinsicht auf die präventive Spionageund Sabotageabwehr in sensiblen Bereichen der Wirtschaft gibt es zwischen dem TLfV und dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur enge Kooperationsbeziehungen, die vor allem das Gebiet des personellen und materiellen Geheimschutzes betreffen. 2. Spionage und neue Medien Die rasante technische Entwicklung, die sich auf dem Gebiet der Datenverarbeitung vollzogen hat, sowie der offene und weltweite Zugang zu Informationen kommen dem allgemeinen Bedürfnis nach einem schnellen und unkomplizierten Informationsaustausch entgegen. Auch in der nachrichtendienstlichen Kommunikation gewinnt der Einsatz des Computers mehr und mehr an Bedeutung. Neben programmierbaren Taschenrechnern und elektronischen Notizbüchern als Speichermedien mit Verschlüsselungsmöglichkeiten, die schon eine lange Zeit verwendet werden, kommen PCs und Notebooks zunehmend zum Einsatz. Sie werden als Kryptierund Dekryptierhilfe und zur Sammlung von Informationen in Datennetzen gebraucht. In Zukunft ist damit zu rechnen, dass mit dem Computer, über Modem und Telefonnetz (auch verstärkt über Mobiltelefon), nachrichtendienstliche Meldungen (verschlüsselt) versandt werden. Genutzt werden können hier auch Computernetze, z. B. das Internet. Risiken moderner Kommunikationsmittel Die Nutzung moderner Kommunikationsmittel, z. B. E-Mail, ist mit dem Risiko verbunden, dass fremde Nachrichtendienste mitlesen. Der Einsatz einer leistungsstarken Informationstechnik ermöglicht es den Nachrichtendiensten, dieses Mittel effektiver einzusetzen, indem durch automatisierte Suche nach Schlüsselworten und Wahlverbindungen die angefallenen Daten nach ihrer Relevanz selektiert werden. Diese so genannte Fernmeldeaufklärung wird von den Kommunikationspartnern in der Regel gar nicht wahrgenommen. Schutz hiergegen versprechen sichere und zuverlässige Verschlüsselungssysteme. Eine große Bedrohung für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft stellen die für potenzielle Angreifer leicht zugänglichen, nahezu ungeschützten Informationsund Kommunikationssysteme dar. Entsprechende Risiken beziehen sich sowohl auf virtuelle Angriffe als auch auf physische Schädigungen von Informationsund Kommunikationssystemen. 110 3. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation Die wichtigsten Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation sind derzeit folgende: SWR Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR befasst sich vor allem mit der politischen, wissenschaftlichtechnologischen und ökonomischen Aufklärung der Zielländer. Zusätzlich forscht der SWR fremde Nachrichtenund Sicherheitsdienste durch Gegenspionage aus. Der SWR hat ca. 13.000 Mitarbeiter und steht unter der Leitung von Generaloberst Sergej Lebedew, der fast 14 Jahre in Deutschland zubrachte und als Deutschlandkenner gilt. GRU Die Zielbereiche des Militärischen Auslandsaufklärungsdienstes GRU liegen in der Aufkl rung des gesamten militärischen Komplexes. Insbesondere zählt dazu die militärpolitische und strategische Informationsbeschaffung. Der GRU betreibt darüber hinaus Spionage im Bereich der Rüstungspolitik und ziviler Produkte mit militärischen Anwendungsmöglichkeiten. Der GRU untersteht dem russischen Verteidigungsministerium. Im März hat Pr Putin den GRU einem ehemaligen FSB-Generalleutnant, Sergej Iwanow, unterstellt. FSB Der FSB wird von Nikolaj Patruschew geleitet und hat eine Personalstärke von etwa 100.000 Mitarbeitern. Als Inlandsabwehrund Sicherheitsdienst ist er für die zivile und militärische Spionageabwehr sowie für die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität zuständig. Eine eigene Abteilung ist für die Beobachtung des politischen Extremismus in FAPSI Die Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Informationen (FAPSI) erfüllt sowohl Aufklärungsals auch Abwehraufgaben. Einschließlich der russischen Fermeldetruppe hat sie eine Personalstärke von etwa 120.000 Mitarbeitern. Sie steht unter der Leitung von Wladimir Matjuchin. Ihre Zielbereiche sind Fernmeldeund elektronische Aufklärung, Erfassung und Entschlüsselung des internationalen Fernmeldeverkehrs sowie die technische Bereitstellung und Gewährleistung der Abhörsicherheit wichtiger staatlicher Nachrichtenverbindungen. FAPSI ist der Fernmeldespezialdienst für Aufklärungund Abwehraufgaben. Er ist in die kommerzielle Nutzung von Nachrichtentechnik einbezogen. FAPSI erteilt Betreiberlizenzen für Kommunikationstechnik, ist für die Vergabe der Funkkanäle und Frequenzen (bei Banken und Indurstrieunternehmen) zuständig und genehmigt den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren. FOS Der Schutzdienst des russischen Präsidenten und der Regierungsmitglieder hat die Sicherheit des Personenkreises zu gewährleisten. Ihm obliegen Personenschutz, Objektschutz, Spionage111 abwehr innerhalb der Präsidialverwaltung sowie die Sicherheitsüberprüfung des Personals der Präsidialverwaltung. Aufgaben und Befugnisse bestimmt allein der russische Präsident. Der Dienst wird von Jewgenij Murow geleitet und umfasst ca. 30.000 - 35.000 Personen. FPS Generaloberst Konstantin Totzkij leitet den Föderalen Dienst für Grenzschutz (FPS), der für die Bewachung und den Schutz der Außengrenzen des russischen Territoriums zuständig ist. mden Territorium, vornehmlich in grenznahen Regionen der russischen Nachbarstaaten befugt. Dem Dienst gehören etwa 200.000 Mitarbeiter an. Methoden der russischen Nachrichtendienste Zu den Arbeitsmethoden der russischen Aufklärungsdienste gehören sowohl die offene Informationssammlung als auch die konspirative, verdeckte Nachrichtenbeschaffung. So nutzen die Dienste Informationsquellen, die der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, wie Fachinformationszentren, Bibliotheken, Datenbanken, Industriemessen oder das Internet. Bei ihren konspirativen Beschaffungsaktivitäten, zu denen auch die "Gesprächsabschöpfung" gehört, verschleiern die Geheimdienstangehörigen ihre wahren Absichten und versuchen "unter falscher Flagge" - z. B. als Diplomat oder Journalist getarnt - an nachrichtendienstlich interessante Informationen zu gelangen. Zusätzlich erfolgt die verdeckte Informationsbeschaffung in den Zielländern durch geheime Mitarbeiter, die als Agenten angeworben wurden. Es werden aber auch Nachrichtendienstmitarbeiter eingesetzt, die unter einer falschen Identität als sogenannte "Illegale" in das Zielland eingeschleust wurden. Die Zentralen der russischen Dienste nutzen außerdem die Möglichkeit, hauptamtliche Mitarbeiter - als Privatoder Geschäftsreisende getarnt - mit nachrichtendienstlichen Aufträgen in die Zielländer zu entsenden. Zumindest ein Teil der Visaanträge, die in großer Anzahl von bereits enttarnten Nachrichtendienstoffizieren für eine Einreise nach Deutschland gestellt wurden, stand im Zusammenhang mit Geheimdienstaktivitäten. Darüber hinaus können die russischen Aufklärungsdienste auf hauptamtliche Mitarbeiter zurückgreifen, die an Legalresidenturen - die es in Thüringen nicht gibt eingesetzt werden. Zusätzlich werden Nachrichtendienstoffiziere in der Privatwirtschaft, z. B. in Handelsunternehmen mit russischer Kapitalbeteiligung oder -mehrheit, in Deutschland verdeckt untergebracht. Neben diesen Aktivitäten auf deutschem Territorium wird auch das eigene Hoheitsgebiet in die nachrichtendienstliche Strategie einbezogen. Im Blickfeld des Inlandsdienstes FSB stehen deutsche Staatsangehörige, z. B. das Personal deutscher diplomatischer und konsularischer Vertretungen, Geschäftsleute und Firmenvertreter, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit oder ihres persönlichen Umfeldes in der Lage sind, geheimdienstlich interessante Informationen oder Produkte zu beschaffen. Die Informationsbeschaffung mit menschlichen Quellen wird ergänzt durch moderne Nachrichtentechnik, die bei der Fernmeldeund elektronischen Aufklärung sowie als Kommunikationsinstrument bei der Agentenführung eingesetzt wird. 112 4. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der anderen GUSStaaten Die anderen Republiken der GUS, die aus der Sowjetunion hervorgegangen sind, haben die Strukturen der sowjetischen Nachrichtendienste übernommen und der eigenen Staatsgewalt unterstellt. Auf diese Weise sind die früheren Diensteinheiten des KGB nicht aufgelöst worden. Sie werden vielmehr als Dienste der neu entstandenen Republiken der GUS fortgeführt. Überwiegend unterhalten diese Dienste gegenseitige Kontakte. Sie tauschen untereinander Informationen aus und streben eine Zusammenarbeit auf möglichst breiter Ebene an. Das gilt insbesondere im Hinblick auf eine Kooperation mit den Nachrichtenund Sicherheitsdiensten der Russischen Föderation, die in einzelnen Bereichen bereits existiert, zum Teil auf gegenseitigen Abkommen oder gemeinsamen Beschlüssen beruht und sich sowohl auf Fragen der Abwehr wie der Aufklärung erstreckt. So haben z. B. die Leiter des russischen FSB und der Sicherheitsdienste der meisten übrigen Republiken der GUS vor einigen Jahren ein Gremium eingerichtet, das die Zusammenarbeit koordiniert, und sie haben den Aufbau eines gemeinsamen Datenbanksystems beschlossen. Der Datenaustausch erstreckt sich unter anderem auch auf Informationen über die Einund Ausreise von Personen, die für die Geheimdienste von besonderem Interesse sind. Dazu gehören mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Daten westlicher Geschäftsleute und Firmenvertreter, die im Ostgeschäft tätig sind, aber auch die von Personen, die sich aus privatem Anlass in der GUS aufhalten. Meist unterhalten diese Republiken lediglich einen Inlandsnachrichtendienst mit Abwehraufgaben. Aufklärungstätigkeit nehmen diese Dienste in der Regel nur insofern wahr, als sie diplomatische oder konsularische Vertretungen ausländischer Staaten in ihrem Land überwachen und versuchen, dort tätiges Personal nachrichtendienstlich abzuschöpfen oder anzuwerben. Darüber hinaus werden die in der GUS verbleibenden Deutschstämmigen, deren zum Besuch einreisende Verwandte sowie Aussiedler nachrichtendienstlich bearbeitet. Letztere gelangen bereits in das Blickfeld der Dienste, wenn ihre Ausreiseanträge bearbeitet werden. Wenn Personen zu Verwandtenbesuchen wieder in ihre frühere Heimat einreisen, wird versucht, sie zur Informationsgewinnung abzuschöpfen oder sie für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit zu gewinnen. Einige Republiken der GUS haben über ihre zivilen Nachrichtenund Sicherheitsdienste hinaus auch noch eigenständige militärische Nachrichtendienste eingerichtet, die der russischen GRU gleichen. 5. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas Die iranischen, syrischen, libyschen und chinesischen Nachrichtendienste konzentrieren sich erfahrungsgemäß auf folgende Gebiete: Einerseits betreiben sie die Ausforschung ihrer in Deutschland lebenden oppositionellen Emigranten, bewachen deren Tätigkeit und versuchen, sie durch eine gezielte Einschleusung nachrichtendienstlich involvierter Personen zu beeinflussen. Darüber hinaus versuchen sie gleicherweise, in Deutschland lebende Landsleute - die in interessanten Berufsgruppen (Wissenschaftler, Geschäftsleute) tätig sind - für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit zu gewinnen. Dabei entfalten sie ihre Aktivitäten auch in den klassischen Bereichen Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Forschung. 113 Iranische Nachrichtendienste Den Aufklärungsschwerpunkt des iranischen Nachrichtendienstes VEVAK - Ministerium für Nachrichtenwesen und Sicherheit - bildete auch im Jahr 2001 die iranische Exilopposition in Deutschland. Das Interesse galt vor allem den Aktivitäten der im Iran mit terroristischen Mitteln agierenden "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) sowie ihres weltweit agierenden politischen Arms "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI). Im Blickfeld des VEVAK standen aber auch monarchistische und kommunistische Gruppierungen. Syrische Nachrichtendienste Die syrischen Auslandsnachrichtendienste agieren über die offiziellen und halboffiziellen Vertretungen ihres Landes in Deutschland. Die unter diplomatischer Abdeckung tätigen Nachrichtendienstoffiziere setzten ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten unvermindert fort. Irakische Nachrichtendienste Primäres Aufklärungsziel der Nachrichtendienste des Irak ist nach wie vor die irakische Auslandsopposition. Der irakische Dienst "Directorate of General Intelligence" (DGI) versucht, über die in der irakischen Botschaft in Bonn eingerichtete nachrichtendienstliche Residentur sowie durch den Einsatz von Informationen u. a. geflüchtete Geheimnisträger aus der irakischen Administration zu lokalisieren, um mit ihnen Kontakt aufzunehmen und sie zur Rückkehr zu bewegen. Dabei werden im Irak lebende Familienangehörige häufig als Druckmittel eingesetzt. Libysche Nachrichtendienste Der libysche Auslandsnachrichtendienst "External Security Organization" (ESO; arabisch: Hayat Amn Al-Jahmahiriya) steuert seine Aktivitäten in der Bundesrepublik ausschließlich über die Libysche Botschaft in Bonn, das "Libysche Volksbüro" (LVB). Die Ausspähungsaktivitäten gegen Dissidenten werden unvermindert fortgesetzt. Fernöstliche Nachrichtendienste Auch fernöstliche Nachrichtendienste haben Deutschland als Aufklärungsziel nicht aus den Augen verloren. Hier sind in erster Linie die Volksrepubliken China und Nordkorea zu nennen. Chinesische Nachrichtendienste Bei ihren Bemühungen, sich zu einer Weltmacht zu entwickeln, nutzt die VR China weiterhin in Rüstung, Wirtschaft und Wissenschaft Anschluss an die führenden Industrienationen zu gewinnen. Der zivile chinesische Nachrichtendienst (MSS) wie auch der militärische Dienst (MID) betreiben Informationsbeschaffung auf allen "klassischen" Spionagefeldern, d. h. sowohl im Bereich Außenund Sicherheitspolitik als auch auf den Sektoren der Wirtschaft und Wissenschaft sowie der technologischen Entwicklung. 114 Zu den Aufgaben der chinesischen Nachrichtendienste gehört auch die Überwachung der E- xilchinesen und dabei insbesondere solcher Vereinigungen, die in Opposition zu der Regierung in Peking stehen. Schließlich nutzen die Dienste auch die Niederlassungen chinesischer Firmen in Deutschland, um dort Nachrichtendienstmitarbeiter getarnt unterzubringen, oder sie setzen Nachrichtendienstoffiziere als "Journalisten" ein. Nordkoreanische Nachrichtendienste Nordkorea unterhält zahlreiche Nachrichtendienste, die der kommunistischen Partei, den Volksstreitkräften oder dem "Geliebten General" KIM Jong II direkt unterstellt sind. Die Bundesrepublik Deutschland und die Koreanische Demokratische Volksrepublik (KDVR) haben am 1. März volle diplomatische Beziehungen zueinander aufgenommen. Es bleibt abzuwarten, ob bzw. welche Auswirkungen diese Beziehungen auf die nachrichtendienstliche Entwicklung haben werden. VII. Geheimschutz 1. Allgemeines Geheimnisse sind Tatsachen, deren Kenntnis auf einen bestimmten Personenkreis beschränkt ist. Sie bedürfen in einem unterschiedlichen Umfang einer wirksamen Abschirmung. Im Interesse der Funktionsfähigkeit und tüchtigkeit staatlicher Einrichtungen haben Behörden im Rahmen ihrer Organisationsgewalt Vorkehrungen zu treffen, um geheimhaltungsbedürftige Umstände vor unbefugter Kenntnisnahme zu schützen. In diesem Zusammenhang muss eine Reihe von Fragen beantwortet werden, die der Regelung bedürfen: Wer darf Zugang zu Geheimnissen haben? In welchem Umfang? Wie ist der Ausschluss unbefugter Dritter sicherzustellen? Auf welche Weise sind Geheimnisse zu schützen? Wie kann Spionage und Sabotage wirksam entgegengewirkt werden? Dem TLfV obliegt in Hinsicht auf den personellen und materiellen Geheimschutz (gemäß SS 2 Abs. 4 ThürVSG) die gesetzliche Mitwirkung. 2. Personeller Geheimschutz Unter dem Begriff Geheimschutz werden sämtliche Vorkehrungen im weiteren Sinne verstanden, die dem Schutz von Geheimnissen dienen. Nicht jede beliebige Person, nicht jeder Amtsträger ist geeignet, mit Geheimnissen umzugehen. Folglich gilt es, Personen, die aufgrund bestimmter Verhaltensweisen für Verrat, Erpressung oder Spionage anfällig sein könnten, von vornherein vom Zugriff zu Geheimnissen fernzuhalten. Diesem Ziel dient die Sicherheitsüberprüfung (SÜ). Mit ihr wird festgestellt, ob der Überprüfte seiner Vergangenheit, seinem Charakter, seinen Gewohnheiten und seinem Umgang nach Anlass bietet, an seiner persönlichen Vertrauenswürdigkeit zu zweifeln, ob er somit ein Sicherheitsrisiko darstellt. Dabei kommt es nicht auf ein Verschulden im Sinne persönlicher Vorwerfbarkeit an. Sicherheits115 überprüfungen erfolgen auf der Grundlage der Sicherheitsrichtlinien (SiR) für das Land Th ringen (Thür StAnz Nr. 19/1991 S. 338). Die Thüringer Sicherheitsrichtlinien schließen die Landesbehörden, die landesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und kommunalen Gebietskörperschaften ebenso ein wie die Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts, die der Aufsicht des Landes unterstehen. Für folgende Personen werden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt: Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben sollen, die Zugang zu oder Umgang mit Verschlusssachen der Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM oder VS-VERTRAULICH haben; Personen, die sich auf technischem Wege Zugang zu Verschlusssachen verschaffen können; Personen, die in Sicherheitsbereichen oder in Dienststellen tätig sind, die in besonderem Maße Ziel fremder Nachrichtendienste sind. Ihrer besonderen Stellung wegen sind Richter und Landtagsabgeordnete von einer Sicherheitsüberprüfung grundsätzlich ausgenommen. Für eine Sicherheitsüberprüfung ist der Geheimschutzbeauftragte (GSB) der jeweiligen Dienststelle bzw. der zuständigen obersten Landesbehörde zuständig. Das TLfV wirkt an der Die Sicherheitsüberprüfung wird je nach Geheimhaltungsgrad abgestuft entweder als einfache (Ü1), erweiterte (Ü2) oder als erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3) durchgeführt. Sie bedarf der Zustimmung des Betroffenen ebenso wie der gegebenenfalls einzubeziehenden Person (z.B. Ehegatte, Lebenspartner). Sicherheitsüberprüfungen werden turnusmäßig wiederholt. Wiederholungsüberprüfungen sollen Aufschluß darüber erbringen, ob sich nach Abschluss der Sicherheitsüberprüfung Umstände ergeben, die die Vertrauenswürdigkeit des Ermächtigten in Zweifel ziehen können. Das TLfV hat im Jahr 2001 in 285 Fällen an Sicherheitsüberprüfungen mitgewirkt und sein Votum gegenüber dem GSB der einleitenden Dienststelle abgegeben. Mehr als die Hälfte der Anträge auf Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung stellte das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur für den Bereich der Wirtschaft. Mehr als 100 Firmen haben sich seit 1991 einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren unterzogen. 3. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz betrifft die Entwicklung, Planung und Durchführung technischer Maßnahmen, die dem Schutz geheimhaltungsbedürftigen Materials vor Entwendung oder Kenntnisnahme durch Unbefugte dienen. Zu den "technischen Sicherheitsmaßnahmen" sind auch organisatorische Vorkehrungen zu rechnen, die den Geheimschutz verbessern können. Die Rechtsgrundlagen enthalten die Verschlusssachenanweisung für den Freistaat Thüringen (VSA), die am 15. Dezember 1999 in Kraft gesetzt worden ist, und die Richtlinien, die sie ergänzen, und zwar - zum Geheimschutz von Verschlusssachen beim Einsatz von Informationstechnik (VSITR), - zur technischen Sicherung und Bewachung von Verschlusssachen (VSSR), und - zur Beratung und Durchführung von Kontrollen zum Schutz von Verschlusssachen (VSKR) 116 Die VSA richtet sich an Landesbehörden und landesunmittelbare öffentlich-rechtliche Einrichtungen, die mit Verschlusssachen befasst sind und somit Vorkehrungen zu deren Schutz zu treffen haben. Darüber hinaus betrifft sie Personen, die Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder eine Tätigkeit ausüben, die ihnen den Zugang zu Verschlusssachen eröffnet und bei der sie bestimmte Schutzvorkehrungen zu beachten haben. Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, und zwar unabhängig von ihrer Darstellungsform. Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte und technische Einrichtungen oder auch nur das gesprochene Wort können ebenso zu den Verschlusssachen rechnen wie Zwischenmaterial, das im Zusammenhang mit Verschlusssachen anfällt (z.B. Entsprechend der Schutzbedürftigkeit der Verschlusssache nehmen die herausgebenden Stellen die erforderliche Einstufung in einen bestimmten Geheimhaltungsgrad vor. Niedrigster Geheimhaltungsgrad ist "VS-Nur für den Dienstgebrauch". Diese Einstufung erfolgt, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder zum Nachteil gereichen kann (z.B. Fahndungsunterlagen zum Terrorismus oder Extremismus). Als VS-VERTRAULICH ist eine Verschlusssache einzustufen, deren Kenntnis durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder von Schaden sein kann (z.B. Ermittlungsberichte in Fällen von Spionageverdacht). Die Einstufung mit dem Grad GEHEIM wird vorgenommen, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann (z.B. Teile der Alarmplanung der Bundeswehr). Den höchsten Geheimhaltungsgrad, STRENG GEHEIM, erhalten Verschlusssachen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann. Aus der jeweiligen Einstufung ergeben sich die notwendigen personellen und materiellen Sicherheitsvorkehrungen. In Hinsicht auf den materiellen Geheimschutz enthält die VSA eine Reihe von Vorschriften, die die Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen, den Zugang zu Verschlusssachen, die Dienstpflichten zum Schutze von Verschlusssachen, die Aufbewahrung, Verwaltung und Mitnahme außerhalb des Dienstgebäudes bei Verletzung von Geheimschutzvorschriften betreffen. Nur eine sachund situationsgerechte Einstufung stellt den wirksamen Schutz geheimhaltungsbedürftiger Informationen sicher und vermeidet unnötigen Aufwand und Kosten. Daher ist der Geheimhaltungsgrad einer Verschlusssache zu ändern oder aufzuheben, sobald die Gründe für die bisherige Einstufung entfallen sind. Die Verantwortung für den materiellen Geheimschutz obliegt dem Dienststellenleiter. Darüber hinaus trägt jeder, dem eine Verschlusssache anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist, die persönliche Verantwortung für ihre sichere Aufbewahrung und vorschriftsmäßige Behandlung sowie für die Geheimhaltung ihres Inhaltes gemäß den Bestimmungen der VSA, unabhängig davon, wie die Verschlusssache zu seiner Kenntnis oder in seinen Besitz gekommen ist. Das TLfV berät sicherheitsempfindliche Behörden, Einrichtungen und Unternehmen über technische Sicherheitsmaßnahmen wie etwa Alarmsysteme oder "Verwahrgelasse" (Stahlschränke). Es berät sie auch über den Umgang mit Verschlusssachen, sichere Organisationsabläufe usw. Es erteilt den ersuchenden Behörden technische Sicherheitsempfehlungen, die zugleich Aspekte der Wirtschaftlichkeit berücksichtigen. 117 Gleichermaßen werden die Empfehlungen auf die individuellen Sicherheitsbedürfnisse der jeweiligen Behörden zugeschnitten. In diesem Zusammenhang ist insbesondere der Umgang mit den Verschlusssachen maßgebend, die bei den ersuchenden Behörden vorhanden sind. Auskünfte, die die Geheimschutzbetreuung von Firmen betreffen, erteilt das: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Infrastruktur Der Geheimschutzbeauftragte für die Wirtschaft Postfach 10 05 52 Max-Reger-Straße 4-8 99005 Erfurt 99096 Erfurt Telefon (03 61) 37 97-9 99 Telefax ( 03 61) 37 97-9 90 Fortwirkende Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR Die Tätigkeit des Ministeriums für Staatssicherheit hat nicht nur bei den Menschen Spuren hinterlassen, die unmittelbar oder mittelbar von ihr betroffen waren. So überrascht es keineswegs, dass das Thema "Stasi" auch in Politik, Medien und Justiz noch immer in einem hohen Nach wie vor befasst sich auch das TLfV mit dieser Thematik. Sein Auftrag lautet," ... frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR..." zu beobachten. Aktivitäten, die in der Gegenwart von ehemaligen Angehörigen des MfS ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, sollen auf diese Weise im Ansatz erkannt und unterbunden werden. Zu diesem Zweck sammelt das TLfV Informationen, vorzugsweise sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen, die Bestrebungen oder Tätigkeiten solcher Art betreffen, und wertet sie aus. Ehemalige Mitarbeiter der DDR-Dienste oder ähnlicher staatsnaher Einrichtungen werden von Seiten des TLfV jedoch nicht beobachtet, wenn sie sich zusammenschließen, um ausschließlich soziale, wirtschaftliche oder juristische Belange, die sie betreffen, durchzusetzen oder um die Vergangenheit aufzuarbeiten. Hinweise, die auf fortwirkende Strukturen deuten, kommen überwiegend aus der Bevölkerung. In Einzelfällen gab es Hinweise darauf, dass frühere Angehörige des MfS von Nachfolgediensten des KGB weitergenutzt bzw. reaktiviert wurden. Da in solchen Fällen das Aufgabengebiet der Spionageabwehr berührt wird, ist eine enge Zusammenarbeit der beiden Bereiche geboten. 118