VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 1999 Thüringer Innenministerium 3 Vorwort Die Freiheit des Einzelnen wird durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaates Thüringen garantiert. Die moderne Gesellschaft lebt davon, dass es den Pluralismus der Meinungen gibt. Ohne Toleranz - einem Merkmal der freien selbstbestimmten Gesellschaft - gibt es keine Demokratie. Doch kann auch die Toleranz nicht so weit gehen, es politischen Extremisten und Terroristen zu erlauben, die Freiheitsrechte der Bürger ernsthaft zu bedrohen. Die geschichtlichen Erfahrungen aus der Zeit der Weimarer Republik verweisen auf ein Wechselverhältnis von wehrhafter Demokratie und Toleranz. Auch mit diesem Jahresbericht lässt sich feststellen, dass - trotz verfassungsfeindlicher Bestrebungen - die freiheitliche demokratische Grundordnung im Freistaat Thüringen nicht ernsthaft gefährdet ist. Hierzu trägt auch die Arbeit des Thüringer Landesamts für Verfassungsschutz bei. Diese Behörde * liefert Erkenntnisse über Bestrebungen politischer Extremisten und Gefährdungsanalysen, * regt angemessene exekutive Maßnahmen an und liefert die Voraussetzung für eine Aufklärung der Bevölkerung, * bekämpft unerlaubte Aktivitäten fremder Nachrichtendienste im Freistaat und * hält potenzielle Geheimnisverräter oder Personen mit Sabotageabsichten aus sensiblen Bereichen heraus. Der vorliegende Jahresbericht gibt einen Überblick der Aktivitäten der Rechts-, Linksund Ausländerextremisten sowie der Bestrebungen von Scientologen und ausländischer Nachrichtendienste. Im Einzelnen lässt sich feststellen, dass es in Thüringen im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von Straftaten mit rechtsextremistischer Motivation gegeben hat (5,1 Prozent). Speziell bei fremdenfeindlichen Straftaten ist dagegen ein Rückgang um 30,6 Prozent zu verzeichnen. Für die Zahl der Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund ergab sich ein starker Rückgang um 58,7 Prozent. Die Ergebnisse der Europaund Landtagswahl in Thüringen haben zudem gezeigt, dass die Bevölkerung des Freistaats für den politischen Extremismus nur wenig anfällig ist. Die drei rechtsextremistischen Parteien erreichten in der Summe lediglich 2,5 Prozent (Europawahl) und 4,1 Prozent (Landtagswahl). Trotz millionenschweren Werbeaufwands fehlten der DVU noch 2,9 Prozent für den Einzug ins Landesparlament. Der Thüringer Verfassungsschutzbericht 1999 ist die aktuelle Darstellung extremistischer und sicherheitsgefährdender Bestrebungen. Das Thüringer Innenministerium möchte mit dieser Publikation alle Bürgerinnen und Bürger, die sich an innenpolitischen Diskussionen beteiligen wollen, über die Arbeitsergebnisse des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz informieren. Diese Informationen sind unverzichtbar für Menschen, denen es wichtig ist, selbst Verantwortung für das Fortbestehen von Demokratie und Toleranz zu übernehmen. Erfurt, April 2000 Christian Köckert Thüringer Innenminister 4 5 Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie 9 2. Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 10 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung 12 II. Rechtsextremismus 1. Überblick 17 2. Ideologischer Hintergrund 18 3. Rechtsextremistische Parteien 19 3.1 Die Republikaner (REP) 19 3.2 Deutsche Volksunion (DVU) 25 3.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 33 3.4 Junge Nationaldemokraten (JN) 47 3.5 NPD-Abspaltung in Thüringen "Bund Deutscher Patrioten" (BDP) 50 4. Neonazis 52 4.1 Anti-Antifa 52 4.2 Thüringer Heimatschutz (THS) 52 4.3 Gedenkaktionen für Rudolf Heß 53 4.4 Wehrmachtsausstellung: "Das Lügengespenst zerfetzt" 55 4.5 Skinheads 57 4.6 Black Metal und Rechtsextremismus 64 5. Rechtsextremismus und moderne Kommunikationstechniken 67 6. Rechtsextremistische Straftaten im Überblick 69 III. Linksextremismus 1. Überblick 71 2. Ideologischer Hintergrund 72 3. Marxistisch-Leninistische Parteien und Organisationen 72 3.1 Die Beobachtung kommunistischer Parteien durch die Verfassungsschutzbehörden 72 3.2 Kommunistische Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 74 3.3 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 78 3.4 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 85 3.5 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 86 3.6 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 88 3.7 Rote Hilfe e. V. (RH) 90 3.8 Roter Tisch der Kommunisten Thüringens 90 3.9 Linksextremistische Parteien und Organisationen bei den Wahlen 92 3.10 Exkurs: 50 Jahre DDR 95 4. Autonome 100 4.1 Allgemeines 100 4.2 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) 102 4.3 Bundesweite Aktionen 103 4.4 Die autonome Szene in Thüringen 107 4.5 Aktionen autonomer Gruppen in Thüringen 107 4.6 Perspektiven der Autonomen für das Jahr 2000 117 5. Terroristische Gruppierungen 119 6. Nutzung moderner Kommunikationsmedien durch Linksextremisten 119 7. Linksextremistische Straftaten im Überblick 120 IV. Ausländerextremismus 1. Allgemeines 122 2. Die wichtigsten extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland 123 3. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 125 3.1 Ziele und Strategie 125 3.2 Finanzierung und Spendengelder 126 3.3 Aufbau und Organisation 126 3.4 Die PKK und Abdullah Öcalan 129 4. Linksextremistische türkische Organisationen 139 6 7 4.1 Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 139 4.2 Devrimci Sol (Dev Sol) 140 5. Sikhs/Tamilen 141 5.1 Extremistische Sikhs-Organisationen 141 5.2 Tamilen 143 6. Kosovo-Albaner 143 V. Scientology-Organisation (SO) 1. Allgemeines 145 2. Anspruch, Ziele, Wirkungsfelder 147 3. Ablehnung der parlamentarischen Demokratie 149 4. "Ethik" der SO 152 5. SO in der Wirtschaft 154 6. Zusammenfassung 155 7. Die SO in Thüringen 157 VI. Ereigniskalender extremistischer Bestrebungen in Thüringen 158 VII. Spionageabwehr 1. Ausgangslage 167 2. Spionageziele im Freistaat Thüringen 168 3. Die Methoden fremder Nachrichtendienste 170 4. Die Nachrichtendiente der Russischen Föderation und anderer GUS-Staaten 173 5. Die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste der GUS 176 6. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas 177 7. Fazit zur Tätigkeit fremder Nachrichtendienste in Thüringen 178 8. Fortwirkende Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR 178 - VIII. Geheimschutz 1. Allgemeines 180 2. Personeller und materieller Geheimschutz 180 3. Was ist ein Sicherheitsrisiko? 181 3.1 Allgemeine Grundsätze 181 3.2 Die Sicherheitsrisiken nach SS 4 SiR 183 Anhang: Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 192 Anmerkungen 210 Abkürzungsverzeichnis 214 Personenverzeichnis 219 Sachverzeichnis 223 8 9 Einige Informationen zum Verfassungsschutz Informationen 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nach den Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung verpflichtet das Grundgesetz den Staat aber auch dazu, den Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung untergraben und letztlich beseitigen wollen, um eine andere Ordnung zu errichten, die nicht von unserer Verfassung getragen ist. Das Grundgesetz schreibt also nicht nur Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, sondern trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Diese Verfassung bekennt sich zur streitbaren Demokratie. Die streitbare Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg: sie ist grundsätzlich auch ihren Gegnern gegenüber tolerant. Die Freiheitsrechte - wie beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsrecht - stehen auch Personen, Vereinen und Parteien zu, die den demokratischen Staat beseitigen wollen. Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie derartigen Bestrebungen nicht tatenlos aus. So ist beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine, nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Um die notwendigen Informationen über Verfassungsfeinde zu erlangen, unterhalten der Bund und die Länder Verfassungsschutzbehörden. Im Freistaat Thüringen ist die Verfassungsschutzbehörde als Landesoberbehörde 1992 eingerichtet worden. Sie trägt den Namen Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV). 2. Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz ist wie folgt strukturiert: Präsident Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentrale Politischer NachrichtenDienste Extremismus dienste Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz ist für jeden Bürger erreichbar: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 796 oder Haarbergstraße 61 99015 Erfurt 99097 Erfurt Telefon 0361/4406-0 Telefax 0361/4406-251 Informationen Im Thüringer Innenministerium besteht eine Stabsstelle Verfassungsschutz als Aufsichtsinstanz für das Landesamt und für die Erstellung von Konzepten für die Extremismusbekämpfung und -prävention: Thüringer Innenministerium Stabsstelle Verfassungsschutz Steigerstraße 24 99096 Erfurt Telefon 0361/37-93438 Telefax 0361/37-93444 10 11 Abteilung Zentrale Dienste Die Abteilung Zentrale Dienste ist für den inneren Dienstbetrieb und für fachübergreifende Aufgaben des TLfV zuständig. Sie bearbeitet Informationen Grundsatzund Rechtsfragen, Abhörund Postkontrollangelegenheiten (G10), Personal, Haushalt und Innerer Dienst, EDV und Registratur, Technik, Berichtswesen und Öffentlichkeitsarbeit. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von Vorträgen, Ausstellungen und Informationsständen, das Beantworten von Bürgeranfragen und die Herausgabe von periodischer Berichterstattung erwähnenswert. Seine periodische Berichterstattung versteht das TLfV als Serviceangebot gegenüber der Öffentlichkeit und Fachbehörden, insbesondere solchen, die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrnehmen. Dieses Serviceangebot umfasst insbesondere die für die Behörden bestimmte Wochenlage und die Monatsberichte sowie die Vorbereitung des Verfassungsschutzberichtes, den das Thüringer Innenministerium jährlich herausgibt. Abteilung Politischer Extremismus Die Aufgabenstellung der Abteilung Politischer Extremismus des TLfV wird von den Gegebenheiten im Land, d. h. vom Auftreten extremistischer Gruppierungen in Thüringen, im Wesentlichen bestimmt; denn hierüber Informationen zu sammeln und in geeigneter Form weiterzuleiten, ist ihr gesetzlicher Auftrag. In einer Vielzahl von Fällen erfolgten aufgrund der Erkenntnisweitergabe des TLfV unmittelbar Maßnahmen der Polizei und anderer Behörden. Innerhalb der Abteilung Politischer Extremismus erfolgt eine Aufgliederung in Links-, Rechtsund Ausländerextremismus und in Neue Formen des Extremismus. Abteilung Nachrichtendienste Die Abteilung Nachrichtendienste des TLfV befasst sich mit der unerlaubten Tätigkeit fremder und ehemaliger, aber fortwirkender Nachrichtendienste im Freistaat. Hierbei werden abwehrende und vorbeugende Aspekte bearbeitet, und zwar als Spionageabwehr, Fortwirkende Strukturen des MfS und Personeller und materieller Geheimschutz. 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann nicht allein von staatlichen Behörden geschützt werden. Hierzu bedarf es auch der Mithilfe aller Bürgerinnen und Bürger. Die Bedeutung der politischen Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen erfordert eine umfangreiche Aufklärung über die Gefahren, die durch den politischen Extremismus drohen. Information und Aufklärung sind für die Bürger erforderlich, um die wahren Absichten extremistischer Bestrebungen erkennen zu können. Es liegt im Interesse jedes Einzelnen, dass die politisch Verantwortlichen durch die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes rechtzeitig in die Lage versetzt werden, verfassungsfeindliche Bestrebungen abzuwehren und zu bekämpfen. Die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz gewährleistet, dass Regierung und Parlament, aber auch die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Organisationen und Bestrebungen informiert werden. Im Freistaat Thüringen wird Öffentlichkeitsarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes sowohl vom Thüringer Innenministerium als auch vom TLfV wahrgenommen. FAIRSTÄNDNIS-Kampagne Informationen Vor dem Hintergrund der Zunahme politisch motivierter Gewalttaten gegen Ausländer starteten die Innenministerien von Bund und Ländern 1992 unter dem Motto "FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhass" eine bundesweite Aufklärungskampagne gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Ziel dieser bis heute fortgeführten Kampagne, an der sich auch das Thüringer Innenministerium beteiligt, ist es, über den Extremismus und seine Gefahren sowie über Fremdenfeindlichkeit und Rassismus als Bestandteile rechtsextremistischer Ideologie aufzuklären. 12 13 Zu diesem Zweck wurden insbesondere an Jugendliche Aufklärungsmaterialien verteilt, wie z. B. das Schülerheft "basta - Nein zur Gewalt" (Hefte 1 bis 4), dazu eine pädagogische Handreichung, die Broschüre "Demokratie live" (Nr. 1 und 2), Computerspiele ("DunkInformationen le Schatten" 1, 2 und 3), Poster sowie weitere Werbematerialien mit dem Logo der Kampagne produziert. Ausstellung "Demokratie ist verletzlich - Rechtsextremismus in Deutschland" Im März 1999 wurde die Ausstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz "Demokratie ist verletzlich - Rechtsextremismus in Deutschland" in einem Offiziersheim der Bundeswehr in Erfurt gezeigt. Wanderausstellung "Demokratie - aber sicher!" Ebenfalls Bestandteil der Aufklärungsarbeit ist die gemeinsame Wanderausstellung der neuen Bundesländer "Demokratie - aber sicher!" geworden. Diese Ausstellung wird bereits seit Januar 1995 vom Thüringer Innenministerium vorwiegend an Schulen gezeigt. Im Juli 1999 wurde sie im Staatlichen Gymnasium Friedrich von Hardenberg in Greußen präsentiert. Ein Mitarbeiter des Thüringer Innenministeriums betreute die Ausstellung. Zielgruppen dieser Wanderausstellung sind vor allem Schüler und Jugendliche ab etwa 13 Jahren, Multiplikatoren, die mit Jugendlichen arbeiten, sowie alle interessierten Bürgerinnen und Bürger. Auf neun Stelltafeln informiert die Ausstellung über Grundrechte sowie über die Erscheinungsformen des Extremismus und gibt Auskunft über die Arbeit des Verfassungsschutzes, der als "Frühwarnsystem" auf die Gefahren hinweist, die der Demokratie durch Extremismus und Terrorismus drohen. Die Texte, Tafeln und Bilder wollen nicht nur informieren, sondern auch zur Auseinandersetzung mit den dargestellten Themen anregen. Ergänzt wird die Präsentation durch ein Begleitheft, durch anschauliches Informationsmaterial (Poster, Faltblätter, Broschüren, Computerspiele "Dunkle Schatten" und "Was steckt dahinter?" etc.) und durch Exponate. In die Ausstellung integriert ist auch die bundesweit laufende Aufklärungskampagne "FAIRSTÄNDNIS". Die Broschüren und Werbematerialien der Ausstellung und Kampagne sind über das Thüringer Innenministerium erhältlich. Ebenfalls im Juli 1999 wurde ein Projekt zum Thema "Gegen Gewalt und Extremismus" von Schülern des Staatlichen Gymnasiums Friedrich von Hardenberg in Greußen unter Leitung einer Sozialkundelehrerin erarbeitet. Hierzu gehörte eine sehr informative eigene Ausstellung zum vorgenannten Thema. Des Weiteren nahmen an einem Projekttag in Greußen jeweils zwei Mitarbeiter des Thüringer Innenministeriums sowie des TLfV an Gesprächsrunden mit Schülern und Asylbewerbern teil. Verfassungsschutzbericht Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Information der Bürgerinnen und Bürger durch den jährlichen Verfassungsschutzbericht, mit einer Auflagenhöhe von mehreren tausend Exemplaren. Der Verfassungsschutzbericht wird an Behörden, Institutionen, Schulen und interessierte Bürgerinnen und Bürger kostenlos versandt. Er kann entweder beim Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, Postfach 796, 99015 Erfurt, Telefon 0361/4406-0, Telefax 0361/4406251 oder beim Thüringer Innenministerium, Stabsstelle Verfassungsschutz, Steigerstraße 24, 99096 Erfurt, Telefon 0361/3793438, Telefax 0361/3793444 angefordert werden. Informationen "In guter Verfassung. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz" Das TLfV setzte in diesem Jahr die 1997 gestartete Buchreihe "In guter Verfassung. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz" fort. Der dritte Band erschien Mitte des Jahres 1999 und befasst sich u. a. mit Themen wie: * US-Nachrichtendienste im Kalten Krieg * Tätigkeit sowjetischer Nachrichtendienste in Deutschland 14 15 * 17. Juni 1953 - faschistischer Putsch oder Volksaufstand * Geras Aufklärertschekisten * Das MfS und die Journalisten * Die SED im Bezirk Erfurt vor und während der Wende Informationen * Verfassungsschutz - abschaffen oder renovieren? * Islam - Islamismus - Islamischer Fundamentalismus Die Bände werden kostenlos an alle Hochschul-, Fachschul-, Kreisund Stadtbibliotheken und an Schulen Thüringens verteilt. Interessenten können die Bände der Reihe "Demokratie im Diskurs" über den Buchhandel beziehen: Band 1 Innere Sicherheit im vereinten Deutschland. Ein Lesebuch. Heron Verlag, Erfurt 1997, 175 S., 39,80 DM, ISBN 3-9806080-0-X Band 2 In guter Verfassung. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz. Heron Verlag, Erfurt 1997, 195 S., 39,80 DM, ISBN 3-9806080-1-8 Band 3 In guter Verfassung II. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz. Heron Verlag, Erfurt 1998, 392 S., 60,00 DM, ISBN 3-9806080-2-6 Band 4 ... dich brenn' ich eigenhändig an ... Buchenwald - Kristallisationspunkt für Extremisten? Ein Bericht. Heron Verlag, Erfurt 1998, 102 S., 39,80 DM, ISBN 3-9806080-3-4 Band 5 In guter Verfassung III. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz Heron Verlag, Erfurt 1999, 604 S., 60,00 DM, ISBN 3-9806080-4-2 Im Jahr 1999 fanden mehrere Veranstaltungen im TLfV statt, bei denen folgende Vorträge gehalten worden sind: 3. Mai - Markus Lesch, Korrespondent der Welt in Dresden, "Die Unterwanderung der Blockparteien durch die Bürgerrechtsbewegung nach der Wende" 10. Mai - Hadayatullah Hübsch, Schriftsteller aus Frankfurt, "Islam ist nicht gleich Islamismus" 14. Juni - Helmut Müller-Enbergs, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Behörde des Bundesbeauftragten für Stasiunterlagen, "Suhls Aufklärertschekisten" 30. September - Dipl.-Pol. Andreas Klump, Doktorand am Institut für vergleichende Politikwissenschaften der J. W. Goethe-Universität Frankfurt/Main, Referent im Bundesamt für Verfassungsschutz Köln, "Esoterischer Rechtsextremismus - Ideologie, Erscheinungsformen und offene Fragen" 7. Oktober - Heinz Voigt, Geschichtswerkstatt Jena, "Das war die DDR" 12. Oktober - Dr. Jürgen Wüst M. A., Politologe, Projektleiter am Institut für Organisationskommunikation Bensheim, "Menschenrechtsarbeit im Zwielicht - IGFM -" 3. November - Udo Scheer, freischaffender Schriftsteller und Publizist, 1. Vorsitzender des Vereins Geschichtswerkstatt Jena e. V., "Die Opposition in Jena in den siebziger und achtziger Jahren" 30. November - Dr. phil. rer. pol. habil. Patrick Moreau, Historiker Informationen und Politologe, zurzeit Mitarbeiter im wissenschaftlichen Dienst des Premierministers der Republik Frankreich Paris/Berlin, "Kommunistische und postkommunistische Parteien in Westeuropa nach den Wahlen zum Europaparlament - eine organisatorische und ideologische Bestandsaufnahme" Die Mitarbeiter des TLfV haben auch 1999 vor Bundeswehrangehörigen, in Verwaltungsschulen, Schulen, Landratsämtern sowie vor Parteien, Verbänden und politischen Stiftungen in Vorträgen über Aufgabenstellung und Schwerpunkte des TLfV referiert. Anfragen von Medienvertretern nahmen breiten Raum ein, ihnen misst das TLfV auch weiterhin große Bedeutung zu. 16 17 II. Rechtsextremismus Rechtsextremismus 1. Überblick Die Situation des Rechtsextremismus im Freistaat Thüringen hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht wesentlich geändert. Sie stellt sich im Einzelnen wie folgt dar: Rechtsextremistische Parteien Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) konnte als Einzige der drei rechtsextremen Parteien im Lande einen Mitgliederzuwachs verzeichnen (von 200 auf 260 Personen), während die Zahl der Mitglieder bei der Partei Die Republikaner (REP) leicht zurück ging (von 220 auf 190 Personen) und bei der Deutschen Volksunion (DVU) auf dem Vorjahresniveau (200 Personen) stagnierte. Nicht organisierte Neonazi-Szene Zu den Rechtsextremisten in der nicht organisierten Neonazi-Szene zählen etwa 400 Personen (300 im Jahr 1998). Dazu kommen ca. 350 Skinheads (310 im Vorjahr). Thüringer Heimatschutz (THS) Der vor allem im Osten des Freistaates aktive THS zählt etwa 120 Personen (120 im Jahr 1998) sowie weitere Sympathisanten. Der THS ragt aus dem Neonazi-Spektrum durch seine Organisationsund Vernetzungsansätze ebenso heraus, wie durch die Tatsache, dass eine Anzahl hochrangiger THS-Mitglieder und ihre Anhänger in die NPD eintraten, sich u. a. im Landtagswahlkampf verstärkt im Rahmen der Partei engagierten und auch im Landesvorstand einige Machtpositionen erringen konnten. Das rechtsextremistische Potenzial in Thüringen Mitgliederzahlen rechtsextremistischer Gruppierungen 1997 1998 1999 NPD 90 200 260 DVU 40 200 200 REP 260 220 190 Neonazis 260 300 400 Skinheads 200 310 350 THS 120 120 120 Die Addition der oben angeführten Mitgliederzahlen ergibt 1.520 Personen (im Gegensatz zu 1.350 im Jahr 1998), die dem rechtsextremen Potenzial in Thüringen zuzurechnen sind. In dieser Rechnung sind Doppelund Mehrfachmitgliedschaften unberücksichtigt geblieben. Das tatsächliche personelle Potenzial liegt aus diesem Grund 10 bis 20 Prozent niedriger. Rechtsextremismus 2. Ideologischer Hintergrund Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einem fest strukturierten Lehrgebäude. Es besteht aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher Herkunft, die innerhalb der jeweiligen Ausprägung des Rechtsextremismus mehr oder weniger deutlich zu Tage treten. Grundelemente sind: * ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip der Völkerverständigung missachtet, * die Überbetonung der Staatsinteressen gegenüber den persönlichen Freiheitsrechten der Bürger (völkischer Kollektivismus), 18 19 * eine völkische Ideologie, die in verschärfter Form als Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit auftritt, wobei dem Antisemitismus eine besondere Stellung zukommt, Rechtsextremismus * Leugnung oder Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie Hervorhebung angeblich positiver Elemente des Dritten Reiches. Einige Neonazis sind inzwischen dazu übergegangen, das Vorgehen der Nationalsozialisten zu verteidigen, ja zu verherrlichen. 3. Rechtsextremistische Parteien 3.1 Die Republikaner (REP) Die Bundespartei Franz Schönhuber und die beiden ehemaligen Bundestagsabgeordneten der CSU Eckhard Voigt und Franz Handlos gründeten im Jahr 1983 die Partei Die Republikaner. Nach innerparteilichen Streitigkeiten 1994 setzte sich gegen den langjährigen Bundesvorsitzenden Schönhuber der bisherige Stellvertreter und Fraktionsvorsitzende des Landes Baden-Württemberg, Dr. Rolf Schlierer, durch. Der Partei gehören bundesweit 14.000 Mitglieder an (1998: 15.000; 1997: 15.500). Der Bundesvorstand hat seinen Sitz in Berlin und gibt monatlich die Publikation Der Republikaner mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren heraus. Die Republikaner weisen jegliche rechtsextremistische Tendenz weit von sich. Insbesondere der Bundesvorsitzende Schlierer ist um ein seriöses rechtskonservatives Erscheinungsbild bemüht. Trotzdem weist die Partei weiterhin Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen auf. In einzelnen Proklamationen zeigen sich Distanz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, Fremdenfeindlichkeit, kollektivistische und geschichtsrevisionistische Vorstellungen. Dr. Rolf Schlierer gerät als Verfechter eines "sanften" rechtsextremistischen Kurses immer mehr unter Druck Nach den Niederlagen der REP bei Europawahl und Landtagswahl im Jahr 1999 spitzte sich die innerparteiliche Krise zu. Dr. Rolf Schlierer Rechtsextremismus gerät als Verfechter eines "sanften" rechtsextremistischen Kurses immer mehr unter Druck. Rufe nach einem Wechsel an der Parteispitze wurden lauter. Solange die innerparteiliche Opposition jedoch über keine Galionsfigur verfügt, die diese Kräfte bündelt und auch bereit ist, gegen Schlierer anzutreten, werden sich seine Gegner nicht durchsetzen können. Der Thüringer Landesverband der Republikaner Die Republikaner gründeten ihren Thüringer Landesverband Anfang 1992, sie werden im Freistaat seit Februar 1995 durch das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Der Thüringer Verband zählt etwa 190 Mitglieder und weist damit eine rückläufige Tendenz auf. (1998: 220; 1997: 260). 20 21 Auch in Thüringen artikulieren sich die Kritiker des Bundesvorsitzenden Schlierer lauter, sie verweisen auf die DVU, die bei der Landtagswahl in Thüringen mehr als dreimal so viele Stimmen wie die eigene Partei verbuchen konnte. Die Kritiker meinen, dass die andeRechtsextremismus re rechte Partei die Wähler besser anspreche und mit überlegener Taktik ein großes Potenzial an Gesinnungsgenossen mobilisieren könne. Sie wenden sich gegen den Beschluss zur Abgrenzung von anderen rechten Parteien ("Ruhstorfer Beschluss") und halten den Schlierer-Kurs für zu starr und nicht wirksam genug. Viele Mitglieder wünschen sich einen Wechsel an der Führungsspitze. Einige traten bereits zur DVU oder NPD über. Ein großer Teil der Mitglieder der REP sind an der Parteiarbeit nicht interessiert. Höchstens 30 Personen gehören zum Kreis derer, die regelmäßig an Parteiveranstaltungen teilnehmen. Die geringe Zahl der Aktivisten gefährdet die Struktur des Landesverbandes und lähmt die Parteiarbeit. Landesparteitag der Republikaner in Altenburg Auf ihrem Landesparteitag am 27. Februar in Altenburg berieten die Republikaner gemeinsam mit Vertretern des Bundes freier Bürger (BFB) und der Partei Pro DM über ein Bündnis für die kommenden Wahlen in Thüringen. Laut Presseberichten waren etwa 100 Delegierte der drei Parteien angereist, um gemeinsam die Kandidaten aufzustellen. Bündnis 99 mit Populismus in der Anzeigenwerbung Im zweiten Teil des Parteitages wählten 53 Delegierte den neuen Landesvorstand der Republikaner; sie bestätigten den bisherigen Landesvorsitzenden Schneider im Amt. In seiner Rede gab Schneider das Ziel vor, bei den Wahlen den Einzug in den Landtag und in viele Kommunalparlamente zu schaffen. Er mahnte die Parteimitglieder zur Einheit der Partei, nur so seien die Wahlziele zu erreichen. Ein Großaufgebot aus Polizei und Bundesgrenzschutz sicherte den Veranstaltungsort weiträumig ab. Vor dem Tagungshotel kam es zu zwei Spontandemonstrationen, an denen 50 überwiegend der linken Szene angehörende Personen teilnahmen. Republikaner: "Nie wieder Krieg" Neben dem Wahlkampf bildeten die Demonstrationen der Republikaner gegen die Nato-Einsätze in Jugoslawien einen Schwerpunkt der Parteiarbeit. Am 25. März kurz nach Mitternacht führten sie in Altenburg einen spontanen Umzug mit 16 Personen durch. Sie führten brennende Fackeln und drei REP-Fahnen mit sich. Über ein Megaphon wendete sich ein Demonstrant an die Bürger der Stadt, sprach sich "gegen den Krieg im Kosovo" aus, "wo viele deutsche Soldaten im Einsatz sind" und warnte vor einem dritten Weltkrieg. Für den 26. März hatte der Kreisvorstand der Republikaner einen Aufzug gegen Nato-Kampfeinsätze im Kosovo angemeldet. Etwa 70 Rechtsextremismus Anhänger der Republikaner, des Bundes Deutscher Patrioten und Jugendliche der rechten Szene nahmen an der knapp einstündigen Demonstration teil. Transparente trugen die Aufschriften "Nie wieder Krieg" und "Wir zahlen nicht für einen Krieg, der uns nichts angeht". Die Marschierenden riefen "Hände weg von Jugoslawien" und "Hier marschiert der nationale Widerstand". Die Republikaner bei den EU-Wahlen Mit Losungen wie "Ja zu Europa, Nein zu dieser EU!", "Politik für Deutsche!" und "Weg mit der Brüsseler Korruption!" wandten sich die Republikaner gegen die angeblich einseitige Ausplünderung des Hauptnettozahlers Deutschland. Statt "Bevormundung der nationalen Regierungen durch eine unkontrollierbare zentralistische Büro22 23 kratie der Europäischen Union" fordern die REP, den Willen der Völker in das Europa-Parlament hineinzutragen, um die EU als Bund souveräner Nationalstaaten neu zu beleben. Den Abschluss des wenig engagiert geführten REP-Wahlkampfs bildete eine zentrale KundgeRechtsextremismus bung am 12. Juni in Berlin. Neben dem bundesweiten Rückgang um 2,2 Prozent auf 1,7 Prozent mussten die Republikaner auch Verluste in Thüringen hinnehmen. Ihr Stimmenanteil sank von 2,9 auf 1,9 Prozent. Die Republikaner bei den Landtagswahlen Die REP beteiligten sich bereits zum dritten Mal an Landtagswahlen in Thüringen. Der Anteil von 0,8 Prozent der Landesstimmen 1990 konnte - sicher durch die 1992 begonnene Organisation des Landesverbandes - 1994 auf 1,3 Prozent verbessert werden. Die durch das Bündnis mit dem Bund Freier Bürger (BFB) und der DM-Partei erhoffte Aufwärtsentwicklung beim Wahlergebnis am 12. September blieb aus. Mit 0,8 Prozent der Zweitstimmen befinden sich die REP wieder auf dem Niveau von 1990. Im Vorfeld der letzten Landtagswahl gab es bereits Anfang 1999 zwischen dem Thüringer REP-Landesvorsitzenden Dr. Heinz-Joachim Schneider und dem DVU-Pressesprecher Kurt Hoppe erste Gespräche. Danach sollten die REP auf ihre Kandidatur verzichten, damit die DVU konkurrenzlos antreten könne. Unabhängig von diesem Übereinkommen nahmen die REP Kontakt mit den Landesverbänden von BFB und DM-Partei auf, um eventuell ein Wahlbündnis einzugehen. Die Landesvorsitzenden der REP, des BFB und der zwischenzeitlich in Thüringen gebildeten DM-Partei Dr. Schneider, Günther Steinert und Gerhard Otto, einigten sich und gründeten das Bündnis 99. Ein, wie sich herausgestellt hat, wenig erfolgreiches Zweckbündnis. Das Ziel der REP, eine größere, nicht von vornherein rechtsorientierte Wählerschaft anzusprechen, erreichten sie nicht. Bereits im Januar stand die Landesliste fest. Angeführt vom REP-Landesvorsitzenden Dr. Schneider fanden sich unter den ersten zehn Listenplatzinhabern vier Bewerber vom BFB und einer für die DMPartei. Sie gehörten gleichzeitig zu den insgesamt 40 Direktkandidaten, die die REP zur Landtagswahl nominierten. Die Wahlkampfaktivitäten der REP waren eher verhalten: * Am 16. Juli organisierte der Kreisverband Altenburg einen Aufzug unter dem Motto "Sozialabbau durch Rot/Grün". Ca. 50 bis 100 Teilnehmer besuchten die Veranstaltung, die geladenen Gastredner, u. a. der Landesvorsitzende Schneider, blieben ihr fern. * Zu einer Wahlkampfveranstaltung am 4. September, ebenfalls vom Kreisverband Altenburg organisiert, sprach der Bundesvorsitzende Schlierer vor etwa 280 Teilnehmern. * Die für den 4. und 11. September in Erfurt angemeldeten Infostände untersagte die Stadtverwaltung. Dr. Heinz-Joachim Schneider, Vorsitzender des Thüringer Landesverbandes der Republikaner Erste Informationsblätter zum Bündnis 99 wurden unmittelbar nach Rechtsextremismus der Europawahl Ende Juni/Anfang Juli in Umlauf gebracht. Darin wurde deutliche Kritik an der derzeitigen Bundesregierung geübt: "Wir wenden uns gegen ... roten Steuerwahnsinn und grünen Ökoterror ... und gegen die Abschaffung der Deutschen Mark ..." Ca. zwei Wochen vor dem Wahltermin wurde das Wahlprogramm (Faltblatt) und eine Bündnis 99-Zeitung an die Haushalte verteilt. Zusätzlich präsentierte sich das Bündnis mit einigen Seiten im Internet. Ebenso wurden die üblichen Wahlplakate geklebt, jedoch in deutlich geringerem Umfang als von der DVU. Trotz der aufgeführten Aktivitäten kamen der Aufforderung "Richtung wechseln! Liste 7 / Zweitstimme Die Republikaner" 24 25 am Wahltag nur 8.762 Wähler nach, das entspricht 0,8 Prozent der Zweitstimmen. Lediglich in sechs der insgesamt vierundvierzig Wahlkreise erreichten die REP mehr als ein Prozent der Zweitstimmen: * Sonneberg I 1,3 Prozent Rechtsextremismus * Saale-Orla-Kreis I 1,3 Prozent * Saale-Orla-Kreis II 1,2 Prozent * Holzlandkreis I 1,1 Prozent * Greiz II 1,3 Prozent * Altenburger Land II 1,7 Prozent Die Hoffnung, vom Bündnisbonus zu profitieren und so die 5-Prozent-Hürde zu überspringen, wurde deutlich verfehlt. Verwundern muss das Ergebnis nicht, war doch das Wahlbündnis von Anfang an in den Reihen der Beteiligten nicht unumstritten. Dem kurz vor der Wahl geschlossenen Bündnis fehlte es sowohl an innerer Übereinstimmung als auch an Persönlichkeiten, die über ihren Bekanntheitsgrad eine potenzielle Wählerschaft ansprechen und für ihr Programm gewinnen konnten. 3.2 Deutsche Volksunion (DVU) Die Bundespartei Die DVU wurde am 5. März 1987 auf Initiative des Münchner Verlegers Dr. Gerhard Frey unter maßgeblicher Beteiligung von NPD-Funktionären und -Mitgliedern als "DVU-Liste D" gegründet. Der Zusatz "Liste D" wurde 1991 durch Satzungsänderung gestrichen, seitdem nennt sich die rechtsextremistische Partei Deutsche Volksunion (DVU). Die DVU distanziert sich heute deutlich von der NPD, dagegen wird eine Annäherung an die REP jüngsten Presseberichten zufolge nicht ausgeschlossen. Seit ihrer Gründung ist Dr. Frey DVU-Bundesvorsitzender. Die Partei verfügt derzeit über insgesamt 16 Landesverbände und zählt bundesweit ca. 17.000 Mitglieder. Sie finanzierte sich außer über Mitgliedsbeiträge und Spenden zu einem erheblichen Teil durch den Verkauf und die Abonnements der vom Freyschen DSZ-Druckund Dr. Frey, Bundesvorsitzender der DVU Zeitschriftenverlag GmbH herausgegebenen Publikationen Deutsche Nationalzeitung und Deutsche Wochenzeitung. Eine geringer werdende Leserschaft und damit verbundene Sparzwänge dürften Anfang September zur Zusammenlegung beider Zeitungen zur National-Zeitung in einer vermutlich reduzierten wöchentlichen Auflage geführt haben (50.000 Stück). Per Zeitung wird massiv Werbung für einschlägige Bücher, Videos, Münzen u. Ä. betrieben, die über Freys Rechtsextremismus Verlag bezogen werden können. Der rechtsextremistische Charakter der DVU tritt hauptsächlich durch die aggressive, ausländerfeindliche Agitation zu Tage. Durch Übertreibungen und verzerrte Wertungen aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen werden bewusst Ängste in der Bevölkerung geschürt. Neben einer Verharmlosung der Verbrechen im Dritten Reich ist eine aggressiv-polemische Stimmungsmache gegen Institutionen des demokratischen Rechtsstaates DVU-typisch. Für das mangelnde Demokratieverständnis der DVU steht auch die Aufnahmepraxis neuer Mitglieder. Während in Auslegung des Artikels 21 Grundgesetz die Aufnahme von Mitgliedern in eine Partei über den zuständigen unteren Verband erfolgen muss, legt SS 3 der DVU-Satzung fest, dass über die Aufnahme eines Mitgliedes der Bundesvorstand, also die Parteispitze, entscheidet. 26 27 Der Thüringer Landesverband der DVU 1991 wurde in Thüringen der DVU-Landesverband mit Sitz in Arnstadt gegründet, Vorsitzender ist Gerhard Konrad. Nach dem erfolgreichen Rechtsextremismus Abschneiden der DVU bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 1998 stieg die Mitgliederzahl im Thüringer Verband von ungefähr 40 auf ca. 200 an. Von den in Thüringen existenten Kreisverbänden gingen auch trotz der diesjährigen Landtagswahl keine nennenswerten Aktivitäten aus. In unregelmäßigen Abständen trafen sich die DVU-Mitglieder in Weimar zu sechs politischen Stammtischen. 20 Personen legten anlässlich des Volkstrauertages Kränze auf Soldatengräber nieder (an der Schmücke, bei Gehlberg/Ilmkreis). Die DVU bei den Landtagswahlen Im April 1998 gelang der DVU bei der Landtagswahl in SachsenAnhalt mit 12,9 Prozent der Zweitstimmen der Einzug ins Parlament. Mit einem Stimmenanteil von 5,3 Prozent erreichte sie dieses Ziel auch bei der Landtagswahl vom 5. September in Brandenburg. Die DVU trat 1999 erstmals zur Landtagswahl in Thüringen an. Anders als in Sachsen-Anhalt und zuletzt in Brandenburg bewarben sich noch zwei weitere rechtsgerichtete Parteien - NPD und REP - um Wählerstimmen. Thüringenweit hat die DVU 3,1 Prozent der Zweitstimmen erreicht. Auf ihrem Nominierungsparteitag am 26. Juni in Ohrdruf mit 36 Parteimitgliedern und 240 Gästen stellten die Delegierten die 18 Bewerber umfassende Landesliste der DVU, angeführt vom Spitzenkandidaten Otto Reißig, auf. Der Vorsitzende des Thüringer Landesverbandes, Gerhard Konrad, folgte auf Listenplatz 2. Direktkandidaten benannte der Parteitag in keinem Wahlkreis. Der DVU-Wahlkampf verlief nach dem bereits aus anderen Bundesländern bekannten Muster. Wahlkampfveranstaltungen mit Auftritten des Spitzenkandidaten oder anderer Bewerber hatte es in Thüringen nicht gegeben. Der Werbeetat lag bei deutlich mehr als einer Million DM. Ca. 50.000 Plakate wurden geklebt. Etwa 14 Tage vor dem Wahltermin wurden Postwurfsendungen mit betont amtlichem Anschein verteilt. Persönlich adressierte Wählerbriefe, die an männliche Erst- und Jungwähler verschickt wurden, sorgten landesweit für Aufsehen. Auch auf DVU-Werbung per Flugzeug in den letzten Tagen vor der Wahl verzichteten die Wahlstrategen nicht. Die DVU-Zentrale finanzierte von ihrem übrigen Wahletat Wahlwerbespots im Rundfunk. Gemäß SS 26 Abs. 2 Thüringer Rundfunkgesetz (TRG) sind neben den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auch die privaten Rundfunksender verpflichtet, allen Parteien, die via Radio Wahlwerbung wünschen, Sendeplätze zur Verfügung zu stellen. Mit betont amtlichem Anschein versehen wurden persönlich adressierte Wählerbriefe an männliche Erstund Jungwähler verschickt Rechtsextremismus Trotzdem verfehlte die DVU ihr Wahlziel von 7 bis 8 Prozent in Thüringen deutlich. Sie erreichte 3,1 Prozent, das sind 36.344 der Zweitstimmen. Als Erfolg kann die DVU lediglich für sich verbuchen, als einzige der drei angetretenen rechten Parteien an der Wahlkampfkostenerstattung zu partizipieren. Den höchsten Zweitstimmenanteil erreichte die DVU im UnstrutHainich-Kreis II mit 4,3 Prozent, gefolgt von Ilmkreis I, Altenburger Land I und Weimar-Land/Schwarza-Kreis II mit jeweils 4,2 Prozent. Einen Stimmenanteil von 4,1 bzw. 4,0 Prozent konnte die DVU sonst nur noch im Wartburgkreis I und in Schwarza I für sich verbuchen. In 20 der übrigen Wahlkreise erreichte die DVU noch Stimmenanteile über 3,0 Prozent, in den restlichen 18 lag sie darunter. Die niedrigsten Ergebnisse sind für die Wahlkreise Jena I mit 1,9 Prozent sowie Erfurt III und IV mit jeweils 1,8 Prozent zu verzeichnen. 28 29 Der im DVU-Durchschnitt hohe Stimmenanteil im Ilmkreis I überrascht wenig. Hatte doch der dort ansässige DVU-Spitzenkandidat Otto Reißig, stellvertretender DVU-Landesvorsitzender, bereits bei der Stichwahl zum Bürgermeisteramt in Frauenwald am 27. Juni mit Rechtsextremismus 49,1 Prozent nur knapp verloren. Die Zustimmung zu diesen Kandidaten erklärt auch den DVU-Stimmenanteil von 14,7 Prozent - das sind 83 von 565 Stimmen - in der Gemeinde Frauenwald. Otto Reißig Das Abschneiden der DVU bei der Landtagswahl ist zwar auffällig, entspricht aber nicht dem gewünschten Erfolg. In lediglich fünf Wahlkreisen wurden knapp mehr als vier Prozent erreicht. Diese Regionen deshalb als DVU-Hochburgen zu bezeichnen, scheint wenig angemessen. Erst nach einer erneuten Wahlbeteiligung der DVU und entsprechenden Vergleichszahlen ließen sich derartige Schlüsse ziehen. DVU-Großveranstaltung in Passau Dem jährlichen Rhythmus folgend, veranstaltete der Bundesvorstand der DVU am 25. September in der Passauer Nibelungenhalle eine Großkundgebung. Bruno Wetzel, stellvertretender Bundesvorsitzender, eröffnete die Veranstaltung mit 2.000 Teilnehmern unter dem Motto "Wir lieben Deutschland". Verschiedene Abgeordnete der rechtsextremistischen Parteien aus Landtagen und Stadträten meldeten sich zu Wort. "Sozusagen im Sturm" gewann Liane Hesselbarth, Fraktionschefin im Brandenburger Landtag, "mit ihren Worten die Herzen der Tausenden DVU-Anhänger" (National-Zeitung vom 1. Oktober). "Dann ist es soweit, Dr. Frey ergreift das Wort. Die Tausende sind gespannt. Es ist ruhig in der Nibelungenhalle. Das ändert sich schlagartig. Schon die ersten Sätze Dr. Freys werden lautstark umjubelt ..." (National-Zeitung). Das ist Hofberichterstattung totalitären Zuschnitts. Frey berührte in seiner Ansprache folgendeThemen: * Chancengleichheit der Parteien, * Wahlniederlage der Sozialdemokraten, * Ausländerpolitik der Bundesregierung, * Totenehrung für die Wehrmachtssoldaten. Aus Thüringen nahmen etwa 30 DVU-Mitglieder teil. Exkurs: Die DVU - rechte Volkspartei oder massenmediales Phänomen? Das "Wahlkampfkonzept" der DVU Egal in welchem Bundesland die DVU zu einer Landtagswahl antritt, der Wahlkampf verläuft nach dem hinlänglich bekannten Muster: massenhafte Plakatierung, meist in den so genannten sozial schwachen Regionen und ein durch platte Parolen bestimmtes Programm. Konzepte oder auch nur ansatzweise Überlegungen zur Beseitigung aufgeführter Missstände fehlen. Sozialneid wird geschürt, die "ÜberRechtsextremismus fremdung" Deutschlands zur Ursache allen Übels erklärt und den Politikern der Regierungsparteien wird jegliche Fähigkeit zur Lösung der anstehenden Aufgaben abgesprochen. Deshalb "Protest wählen" - diese Aufforderung findet sich dann in den unmittelbar vor dem Wahltermin verteilten Postwurfsendungen mit betont amtlichem Anschein. An männliche Erstund Jungwähler werden zudem persönlich adressierte Wählerbriefe versandt und auch auf die Wahlwerbung per Rundfunk und Flugzeug wird nicht verzichtet. Beachtlich sind die für derartige Aktivitäten bereitgestellten Finanzen. Was es jedoch so gut wie nie gibt, sind DVU-Direktkandidaten, die sich in Wahlveranstaltungen der Diskussion mit dem Bürger stellen. Ursächlich hierfür ist zum einen, dass es der DVU an geeigneten Personen mangelt, die in einem solchen Meinungsstreit bestehen könnten. Wesentlicher ist jedoch, dass dem Parteigründer und DVU30 31 Bundesvorsitzenden Frey gar nicht daran gelegen ist, solche Personen in seinen Reihen zu haben. Frey ist die Partei, was wann und wo gesagt wird, bestimmt er. Länderspezifische Themen kommen in keinem DVU-Landeswahlkampf vor, auch erspart sich die DVU jegliRechtsextremismus che Analysen, um etwaige länderbedingte Einflüsse auf das Wählerverhalten festzustellen. Berechtigt scheint also die Frage, ob es bei dem DVU-Wahlkampf, der den "Bauch" und nicht den Kopf anspricht, überhaupt um den Wähler oder viel mehr um sporadische Medienpräsenz und reinen Stimmenfang geht, um so wenigstens einen Teil des verausgabten Wahlkampfbudgets zu erhalten. Vermutlich tritt die DVU bei Kommunalwahlen nur deshalb äußerst selten an, weil die Möglichkeit der Wahlkampfkostenerstattung hier nicht besteht. Die DVU als Volkspartei? Die DVU - 1971 als Verein gegründet und 1987 zur Partei umfunktioniert - ist das Geschöpf Gerhard Freys. Er ist Bundesvorsitzender und Chefideologe zugleich und hält die Partei durch Einnahmen aus Verlagsund Immobiliengeschäften finanziell am Leben. Unumwunden gibt Frey zu: "Ich bin tatsächlich der einzige Parteivorsitzende seit Gründung der Bundesrepublik, der seine Partei finanziert."1 Weil das so ist, geht ohne seine ausdrückliche Zustimmung nichts. Er und seine engsten Mitarbeiter in der Münchner Parteizentrale bestimmen, wer bei Wahlen kandidiert und wer auf den DVU-Landeslisten welchen Platz einnimmt. Diese Vorschlagsliste dürfen die Mitglieder der Landesbzw. Kreisverbände dann auf dem Listenparteitag bestätigen. Ebensowenig demokratisch ist das innerhalb der Partei praktizierte Aufnahmeverfahren neuer Mitglieder. Während in Auslegung des Artikels 21 Grundgesetz die Aufnahme von Mitgliedern in eine Partei über den zuständigen unteren Verband erfolgen muss, legt SS 3 der DVU-Satzung fest, dass darüber der Bundesvorstand, also die Parteispitze entscheidet. Kaum ein DVU-Listenkandidat zeigt sich als solcher während des Wahlkampfes dem Wahlvolk, nicht ohne Grund wird die DVU als Phantompartei bezeichnet. Wahlkundgebungen unter Einbeziehung der Öffentlichkeit sind tabu. Unter beinahe konspirativen Bedingungen werden solche Veranstaltungen abgehalten. Einlass erhält nur, wer eine persönliche Einladung vorweisen kann, die Teilnehmer werden mit Bussen zu dem bis zuletzt geheimgehaltenen Versammlungsort gebracht. Hätte eine "Volkspartei" eine derartige Distanz zum Volk nötig? Selbst innerhalb der Kreisund Landesverbände duldet Frey kein auf die jeweiligen regionalen Gegebenheiten zugeschnittenes politisches Engagement. Parteipolitische Initiative, Meinungsund Willensbildung an der Parteibasis lässt er nicht zu - er duldet keine politischen Köpfe neben sich. Parteimitglieder, die wagen, Kritik an der DVU-Praxis zu üben, oder sich auch nur erlauben, Empfehlungen zu einer erfolgreicheren Parteiarbeit an Frey zu richten, werden meist ins Abseits gestellt. Solange Frey Bundesvorsitzender der Partei ist, wird sich daran nichts ändern. Doch eine DVU ohne Frey oder eines seiner Familienmitglieder als Parteioberhaupt wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht geben. Die DVU in der parlamentarischen Arbeit DVU-Wahlerfolge wie in Sachsen-Anhalt und zuletzt in Brandenburg führen in der Öffentlichkeit zu Verwunderung und Entsetzen. Kopfschütteln verursachten die ersten, von künftigen DVU-Abgeordneten vor laufenden Kameras abgegebenen Statements. Sie gaben einen Vorgeschmack darauf, was in der Fraktionsarbeit folgt: hölzern einstudierte Sätze, wonach man die übertragene Verantwortung Rechtsextremismus wahrnehmen und den Politikerkollegen tüchtig auf die Finger klopfen werde. Wie schon im Wahlkampf fehlen auch hier konkrete politische Aussagen, die Kandidaten sind allesamt politisch unbeschriebene Blätter. Bestätigt wird damit vielmehr, dass der DVU jegliches politisches Konzept fehlt. Nicht einmal im Fall eines Wahlerfolges ist sie in der Lage, politische Grundüberlegungen zu präsentieren. Das parlamentarische Wirken der DVU-Fraktionen ist, unabhängig ob in einem alten oder neuen Bundesland, immer gleich. Bald kommt es zu internen Streitereien, die - wie zuletzt in Sachsen-Anhalt - zu Austritten aus der Partei führen. Vereinzelte Wiederaufnahmen sind nach Schlichtung durch die Münchner Zentrale nicht ausgeschlossen. Ansonsten erschöpft sich die Parlamentsarbeit in massenhaftem Verfassen von Anfragen sowie in Redebeiträgen, die nicht selten verbalen Ausfällen gleichkommen. Die Manuskripte sollen gelegentlich direkt aus der Münchener Parteizentrale stammen. Presseanfragen 32 33 lehnen die Fraktionen meist ab. Für derartiges Engagement wurden bisherige DVU-Fraktionen von ihren Wählern abgestraft, sie scheiterten jeweils bei den nächsten Wahlen an der 5-Prozent-Hürde. Mit solchen Folgen kann man auch für die DVU in Sachsen-Anhalt und Rechtsextremismus Brandenburg rechnen. Alles in allem ist die DVU eine Partei, die bei Wahlen große Publizität erfährt, deren Personal jedoch kaum durch Kompetenz in den Sachfragen - auch im Interesse der Partei - glänzt. So überzeugt die DVU allein durch ihren professionellen Umgang mit den Mitteln der Informationsgesellschaft. Sie ist ein massenmediales Phänomen. 3.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Die Bundespartei Der 1964 gegründeten Partei gehören bundesweit etwa 6.000 Mitglieder an (1998: 6.000). In ihrer Politik thematisiert sie vorrangig die Ausländer-Problematik, Asylbewerber und strebt eine Volksgemeinschaft an, in der die Freiheitsrechte des Einzelnen deutlich untergeordnet werden sollen. Als zentrales Publikationsorgan der Partei dient die monatlich mit einer Auflage von ca. 8.000 Stück erscheinende Deutsche Stimme. Dem seit 1996 amtierenden Bundesvorsitzenden Udo Voigt gelang es, die NPD als eigenständige Kraft im rechtsextremistischen Lager zu etablieren. Mit Aktionsbündnissen, in die auch unterUdo Voigt gelang es, die schiedliche rechtsextremistische StröNPD als eigenständige mungen außerhalb des ParteienKraft im rechtsextremispektrums einbezogen werden, stellt stischen Lager zu etasich die NPD als Integra-tionskraft dar. blieren Erste Erfolge ermutigen die Aktivisten auf ihrem Weg zu einer rechten Sammlungsbewegung. Der NPD sind die Unterorganisationen Junge Nationaldemokraten (JN) und der Nationale Hochschulbund (NHB) zuzurechnen. 35 Jahre NPD Am 27. November feierte die NPD in München ihr 35-jähriges Bestehen. Etwa 500 Anhänger - darunter Gäste aus Österreich, Spanien und der Ukraine - hatten sich zu der Veranstaltung unter dem Motto "Alles Große steht im Sturm" versammelt. Führende Politiker der Partei sprachen über die Geschichte ihrer Organisation. Sascha Roßmüller, Bundesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN), wiederholte seine These von der JN als "Speerspitze" im Kampf gegen das "korrupte System". Der Bundesvorsitzende Udo Voigt überraschte seine Parteifreunde mit der Erklärung, es gebe bereits die von vielen "Patrioten" geforderte Vereinigte Rechte: nämlich in Form der NPD. Sie sei die einzige nationale Partei, die sich nicht mit kurzfristigen Wahlerfolgen begnüge und eine wirkliche, tiefgreifende Veränderung der politischen Verhältnisse in Deutschland anstrebe. Gründung als Sammlungsbewegung nach Verfall der Deutschen Reichspartei Nach dem Niedergang der DeutRechtsextremismus schen Reichspartei (DRP) betrieb vor allem deren Vorsitzender Adolf von Thadden die Neugründung einer rechten Partei. Der Gründungsparteitag der NPD fand am 28. November 1964 im "Döhrener Maschpark" in Hannover statt. Die Deutsche Reichspartei hatte - neben Deutscher Partei und Gesamtdeutscher Partei - mit etwa 3.000 Mitgliedern das "organisatorische Gerippe" der neuen Partei gebildet. Adolf von Thadden 34 35 Wahlerfolge in den 60-er Jahren Bei der Bundestagswahl 1965 erreichte die NPD zwei Prozent, dreimal so viel wie das letzte DRP-Ergebnis. Es gelang der Partei, in sechs Rechtsextremismus Landtage einzuziehen. Den Höhepunkt lieferte das Ergebnis bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg 1968 mit 9,8 Prozent der Stimmen. Bei der Bundestagswahl 1969 verfehlte die NPD mit 4,3 Prozent nur knapp den Einzug ins Parlament. Damals verfügte die Partei deutlich über 25.000 Mitglieder. Nach ihrem Niedergang in den 70er Jahren zählt sie gegenwärtig nur etwa 6.000 Mitglieder. Niedergang der Partei gestoppt Nachdem der frühere Bundesvorsitzende Günter Deckert seine Partei bis an den Rand der Spaltung geführt hatte, wählte sie auf einem Sonderparteitag am 22./23. März 1996 den bisherigen bayerischen Landesvorsitzenden Udo Voigt zum neuen Vorsitzenden. Ihm gelang es daraufhin, die Partei als eigenständige Kraft im rechtsextremistischen Lager wieder zu etablieren. Mit Aktionsbündnissen, in die unterschiedliche Strömungen außerhalb des Parteienspektrums - auch aus der Neonazi-Szene - einbezogen werden, stellt sich die NPD als Integrationskraft dar. Insbesondere in den neuen Bundesländern hat sie zahlreiche überwiegend jüngere Mitglieder gewinnen können. Strategie der NPD Die NPD, hinter DVU und REP in ihrer Mitgliederzahl drittstärkste und die älteste rechtsextremistische Partei in Deutschland, hält an ihrer offenen Systemfeindlichkeit und an ihrem seit 1997 propagierten Strategiepapier, dem "Drei-Säulen-Konzept", fest. Neben dem "Kampf um die Köpfe" geht es ihr um den "Kampf um die Straße" und den "Kampf um die Parlamente". Im "Kampf um die Straße" gelang es der NPD, durch zahlreiche medienwirksame Demonstrationen und öffentliche Veranstaltungen auf sich aufmerksam zu machen, die "Köpfe" zu erreichen. Sie warb hier für ihre politischen Vorstellungen und führte so den "Kampf um die Parlamente". Die NPD konnte als aktionsbetonte Gruppierung ein großes Potenzial ihrer Mitglieder und Anhänger mobilisieren. Sie nahm 1999 an nahezu allen Wahlen im gesamten Bundesgebiet teil. Die Parteiführung setzt weiterhin auf eine außerparlamentarische Opposition. Sie versucht langfristig in die Parlamente einzuziehen. Durch öffentlichkeitswirksame Demonstrationen und Veranstaltungen versuchte sich die NPD auch dem neonazistischen Lager und den Skinheads als attraktiver Partner darzustellen. Parteipolitisches Konzept Die NPD hält an ihrem Kurs des "deutschen Sozialismus" mit betont antikapitalistischen Elementen fest. Sie sieht sich als moderne und revolutionäre Partei, die gegen Globalisierung und für eine "raumorientierte Volkswirtschaft" eintritt. Die Nationaldemokraten fordern das Recht auf Arbeit für Deutsche und lehnen jegliche Versuche zur Ausländerintegration als "inhuman" ab. Für Unruhe in der NPD sorgte die verstärkte Diskussion über eine "Sozialismus-Linie" in der NPD, die zu Parteiaustritten und Abspaltungen aus der NPD führten. Das DDR-System wird zwar als Unrechtsstaat abgelehnt, jedoch Rechtsextremismus einige Aspekte der sozialistischen Gesellschaftsordnung positiv bewertet. Diese Strömung sollte vor allem Wähler in Ostdeutschland, speziell die PDS-Wähler, ansprechen. In Westdeutschland blieb sie jedoch ohne Wirkung. In Ostdeutschland konnte die Partei auf geringem Niveau gewisse Erfolge verzeichnen. Bei den Europaund Landtagswahlen wurden in einzelnen Wahlkreisen häufiger Ergebnisse um 1 Prozent erreicht. Bei den Kommunalwahlen in der Hochburg Sachsen gelangen der NPD lokal auffällige Erfolge, z. B. in Königstein mit 11,8 Prozent, jedoch lag die NPD mit 1,4 Prozent der Stimmen bei der sächsischen Landtagswahl im September hinter den REP. 36 37 Insgesamt konnte die Partei 1999 mehr junge Mitglieder für sich gewinnen, was sich auch in den erheblich höheren Stimmenanteilen bei Erstwählern zeigte. Rechtsextremismus Bundesweite Aktionen Für den 2. Oktober hatten der NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen und die freien Nationalisten zur Demonstration "Gegen Integration und doppelte Staatsbürgerschaft" nach Köln eingeladen. Dem bundesweiten Aufruf über das Internet folgten etwa 400 Personen. Ca. 1.500 Personen nahmen an der Gegendemonstration teil. Die Polizei verhinderte ein direktes Aufeinandertreffen beider Demonstrationszüge. Militante Linksextremisten versuchten vergeblich, die Absperrungen zu durchbrechen, um die NPD-Kundgebung zu behindern. Sie bewarfen die Polizeibeamten mit Steinen und Flaschen. Am 6. November führte die NPD drei Demonstrationen durch. In Rosenheim/Bayern demonstrierten ca. 400 Personen des rechten Spektrums unter dem Motto: "Kampf den Drogen und der Drogen- mafia". An der Veranstaltung nahmen führende Rechtsextremisten wie Sascha Roßmüller (Bundesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten) sowie die Neonazis Christian Worch und Manfred Roeder teil. Nach Rosenheim reisten auch Thüringer Rechtsextremisten. Rund 300 Personen des linken Spektrums versuchten die Veranstaltung massiv zu stören. Neonazis Christian Worch In Pasewalk/Mecklenburg-Vorpommern versammelten sich über 300 Nationalisten unter dem Motto: "Meinungsfreiheit für alle - Schluss mit der Gesinnungsjustiz". Als Redner traten u. a. der stellvertretende NPD-Vorsitzende Dr. Hans-Günter Eisenecker und das BundesRechtsextremismus vorstandsmitglied Steffen Hupka auf. In Neustrelitz/Mecklenburg-Vorpommern nahmen ca. 100 Personen an einem Fackelumzug zum 10. Jahrestag der friedlichen Revolution teil. Zu allen Veranstaltungen wurde u. a. über die NPD-Bundesseite im Internet aufgerufen. Der Thüringer Landesverband der NPD Struktur Der Thüringer Landesverband der NPD wurde 1990 gegründet und hat seitdem seinen Sitz in Gotha. Derzeit gliedert er sich in die folgenden 13 Kreisverbände: Saale-Holzland-Kreis, Saale-Orla-Kreis, Unstrut-Hainich-Kreis, Wartburgkreis, Saalfeld-Rudolstadt, Ilmkreis, 38 39 Gera, Greiz, Gotha/Erfurt, Jena, Weimar, Sonneberg und Suhl. Die noch 1998 bestehenden drei größeren Regionalverbände (Thüringen Nord, Mitte/Süd und Ost) wurden durch die jetzige Organisierung in Kreisverbände abgeschafft. Nunmehr ist die NPD in den Rechtsextremismus meisten Thüringer Landkreisen vertreten, weitere Neugründungen im Jahr 2000 sind vorgesehen. Die NPD Thüringens konnte in der Vergangenheit einen deutlichen Mitgliederzuwachs verzeichnen. Ende 1999 gab es ca. 260 Mitglieder in der NPD Thüringens. Die Steigerung der Mitgliederzahlen resultierte größtenteils aus dem Neueintritt von jüngeren Personen, teilweise auch aus dem Wechsel von Personen anderer Parteien des rechten Spektrums. 1999 erhielt der Landesverband auch Zugänge von Anhängern des unstrukturierten Personenzusammenschlusses Thüringer Heimatschutz (THS). Nach internen Auseinandersetzungen innerhalb der NPD Thüringens besteht der Landesverband derzeit größtenteils aus jungem Personal. Diese Personen engagierten sich zunehmend stärker in der NPD, insbesondere im Vorfeld der Landtagswahl 1999. Trotz dieser Mitgliedersteigerung war es der NPD aber nicht möglich, deutliche Wahlerfolge in Thüringen zu erzielen. Mitgliederzahlen der NPD in Thüringen und im Bund von 1992 bis 1999 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 NPD-Thüringen 40 60 60 50 40 90 200 260 NPD-Bund 5.000 5.000 4.500 4.000 3.500 4.300 6.000 6.000 Aktionen der Thüringer NPD Außerordentlicher Landesparteitag in Mittelpöllnitz Auf dem außerordentlichen Parteitag des NPD-Landesverbandes am 27. März in Mittelpöllnitz/Saale-Orla-Kreis wurde ein neuer Landesvorstand gewählt. Die ca. 50 geladenen Personen wählten Grit Ortlepp aus Gotha zur neuen Landesvorsitzenden. Nach dem Rücktritt des ehemaligen NPD-Landesvorsitzenden Frank Golkowski in November 1998 hatte bis zu diesem Zeitpunkt Roswitha Schumann aus Gera als vorübergehende Landesvorsitzende amtiert. Sie gehört auch dem NPD-Bundesvorstand an. Der Parteitag war von besonderer Brisanz, da durch die Neuwahlen die strukturellen Mängel im Landesverband, vor allem der personellen Besetzung, beseitigt werden sollten. Unter den geladenen Gästen waren u. a. Udo Voigt (NPDParteivorsitzender) und dessen Stellvertreter Dr. Hans-Günter Eisenecker. Unangemeldete NPD-Demonstration am 1. Mai in Gera Nachdem das Verbot der bundesweiten zentralen NPD-Großdemonstration unter dem Motto: "Arbeit zuerst für Deutsche!" in Bremen bekannt geworden war, führten Anhänger der rechten Szene, vorwiegend NPD-Mitglieder und Sympathisanten, in den Morgenstunden des 1. Mai einen unangemeldeten Demonstrationszug durch Gera durch. Die Personen versammelten sich am Hauptbahnhof und marschierten in Richtung Stadtzentrum. Sie führten Trommeln, Transparente und Fahnen mit sich. Es wurden in Sprechchören Worte wie "Widerstand", "Freiheit" und "Arbeit für Deutsche" skandiert. Innerhalb weniger Minuten beendete die Polizei den Aufzug, sie nahm insgesamt 57 Personen wegen Teilnahme an einer nichtangemeldeten Demonstration vorläufig fest. Rechtsextremismus 40 41 Gedenkmarsch für Sandro Weilkes am 8. Mai in Neuhaus Bei einer Auseinandersetzung zwischen rechtsund linksgerichteten Jugendlichen im Jahr 1995 war Sandro Weilkes erstochen worden. Rechtsextremismus Seither versucht die rechte Szene, diesen Tod als Märtyrertod darzustellen. Für den vierten Jahrestag dieses Ereignisses meldete Tino Brandt vom Thüringer Landesverband der NPD am 12. April einen Gedenkmarsch an. Neben der Thüringer NPD mobilisierten der Thüringer und der Fränkische Heimatschutz für die Veranstaltung. Die linke Gegenreaktion erfolgte durch die Antifaschistische Aktion Sonneberg Neuhaus. Am 5. Mai meldete eines ihrer Mitglieder eine Demonstration an unter dem Motto: "Keine Naziaufmärsche in Neuhaus oder anderswo". Polizeibeamte konnten Plakate dieser Antifagruppe mit der Losung "Den Nazis zeigen was es heißt, gejagt zu werden!" feststellen. Darauf waren die Treffpunkte der rechten Szene in den Landkreisen Sonneberg und Coburg angegeben. Etwa 25 bis 30 Teilnehmer der Gegendemonstration der Antifaschistischen Aktion setzten sich gegen 14.10 Uhr in Bewegung und erreichten auf der vorgeschriebenen Marschstrecke gegen 14.30 Uhr den Ehrenhain der sowjetischen Soldaten. Nach einer Abschlusskundgebung endete um 14.45 Uhr die Versammlung ohne Störungen. Gegen 14.20 Uhr begann der Gedenkmarsch für Sandro Weilkes und erreichte auf der vorgeschriebenen Marschroute gegen 14.35 Uhr mit ca. 250 Teilnehmern den Marktplatz Neuhaus. Sie hatten Thüringenfahnen und Transparente zum Gedenken an Sandro Weilkes mit sich geführt. Nach der Abschlusskundgebung legten die Teilnehmer gegen 15.00 Uhr einen Kranz am ehemaligen Tatort nieder. Die Veranstaltung verlief - bei starker Polizeipräsenz - ohne Störungen. Verbotene NPD-Demonstration am 14. August in Eisenach Für den 14. August meldete die NPD eine Demonstration unter freiem Himmel in Eisenach unter dem Motto: "Jugend in den Landtag. Wir sind die echte Opposition" anlässlich der Thüringer Landtagswahl an. Als Redner war u. a. der bekannte Hamburger Neonazi Christian Worch vorgesehen. Besondere Brisanz erhielt die Aktion durch die zeitliche Nähe zum zwölften Todestag von Rudolf Heß am 17. August. Die Polizei setzte das Verbot der Veranstaltung im Rahmen eines Großeinsatzes durch (vgl. auch Abschnitt 4.3 Gedenkaktionen für Rudolf Heß). NPD-Wahlkampfkundgebung am 4. September in Gera Nach der verbotenen Demonstration in Eisenach fand am 4. September eine Wahlkampfkundgebung mit Aufzug der NPD-Thüringen unter dem Motto: "Neue Leute braucht das Land ... Jugend in den Landtag" in Gera statt. Für diese Veranstaltung wurde bundesweit im Internet, auf Flugblättern, mit einem Hinweis in der Monatszeitung Deutsche Stimme (Ausgabe 8/99) und über Infotelefone mobilisiert. Über 400 NPD-Mitglieder und Anhänger marschierten in der Geraer Innenstadt auf. Als Redner traten Holger Apfel (NPD-Bundesvorstand) und Steffen Hupka (NPD-Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt) auf. Sie riefen zu einer Protestwahl auf. Die Wahlkampfparolen wurden lautstark gerufen und mit Trommelwirbel "unterstrichen". Außerdem polemisierten die Redner gegen die ebenfalls bei den Landtagswahlen antretenden Parteien des rechten Spektrums REP und DVU. Diese Demonstration galt als Abschlusswahlkundgebung vor den 3. Thüringer Landtagswahlen am 12. September und wurde von der NPDThüringen als Erfolg gewertet. Ein Großaufgebot der Polizei konnte Zusammenstöße zwischen den Teilnehmern der NPD-Demonstration und einer zeitgleichen Gegendemonstration verhindern. Rechtsextremismus NPD-Tagung "Zehn Jahre Mauerfall" Unter dem Motto "Zehn Jahre Mauerfall" fand am 13. November in Thörey/Ilmkreis eine Veranstaltung des Thüringer Landesverbandes der NPD mit 70 Teilnehmern statt. Anwesend waren auch der NPDBundesvorsitzende Udo Voigt und der Chefredakteur des Parteiorgans Deutsche Stimme Jürgen Distler. Distler prangerte in einer Rede zur Wiedervereinigung Deutschlands die damals führenden Politiker an. Sie hätten nur mit dürftigem Interesse eine schnelle Wiedervereinigung verfolgt. Voigt berichtete über die geschichtliche Entwicklung Deutschlands seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die Gegenwart. Er wendete sich gegen die aktuelle Vergangenheitsbewältigung. 42 43 Die NPD bei der Landtagswahl Nur 0,237 Prozent der Stimmen Rechtsextremismus Die NPD beteiligte sich an den Wahlen zum 3. Thüringer Landtag am 12. September, stellte aber keine Direktkandidaten (Wahlkreisstimme) auf. Auf der 12 Personen umfassenden Landesliste wurde Andreas Schönleben als Spitzenkandidat, die Landesvorsitzende Grit Ortlepp auf Platz drei geführt. Von den gültigen Zweitstimmen (Landesstimmen) entfielen 2.757 auf die NPD. Die Partei erreichte somit 0,237 Prozent aller Stimmen. Das Ergebnis zeigt erneut die geringe Bedeutung der NPD als Wahlpartei. Sie erreichte weder das für eine Wahlkampfkostenerstattung notwendige eine Prozent, noch gelang ihr ein Stimmenzuwachs. Intensive Wahlvorbereitung Insbesondere kurz vor der Landtagswahl engagierten sich führende NPD-Mitglieder, wovon einige dem THS angehören, bei dem Wahlkampf. Durch Plakatierung, Durchführung von Infoständen, vor allem in Gera und Jena, und durch umfangreich verteiltes Informationsmaterial wurde der Wahlkampf öffentlichkeitswirksam durchgeführt. Die überregional erscheinende Monatszeitschrift Deutsche Stimme des NPD-Parteivorstandes stellte in den Ausgaben Der NPD-WahlkampfAugust und September die Spitkoordinator Frank Schwerdt zenkandidaten der NPD Thüringen vor. Zudem druckte sie ein Interview mit der NPD-Landesvorsitzenden Grit Ortlepp ab. Unmittelbar vor der Thüringer Landtagswahl verteilten Aktivisten die Wahlkampfzeitung Neue Thüringer Zeitung (Regionalausgabe der Deutschen Stimme August/September 1999). Flugblätter tauchten als Postwurfsendungen in den Haushalten auf. Neben NPD-Wahlkampf-Themen boten sie die Abbildungen der Spitzenkandidaten (Andreas Schönleben, Jörg Krautheim, Grit Ortlepp und Jan Stöckel) und deren Statements. Als Wahlkampflosungen der NPD dienten die Wendungen: "Neue Leute braucht das Land ... Thüringen hat die Wahl!" und "Wir sind die echte Opposition! Konsequent, national, sozial!" Die Partei favorisierte im Wahlkampf die folgenden Themen: * Sicherheit durch Recht und Ordnung, * soziale Sicherheit für alle Deutschen, Rechtsextremismus * Mittelstand fördern, * Arbeit statt Profite, * Umweltund Heimatschutz, * Arbeitsplätze zuerst für Deutsche, * Verringerung des Ausländeranteils in Thüringen, * NPD als Partei der wirtschaftsund sozialpolitischen Erneuerung. Die NPD Thüringen hatte nach intensiver Wahlvorbereitung mit einem deutlich besseren Ergebnis gerechnet. Durch die Beteiligung und ein erfolgreiches Abschneiden bei den Wahlen sollte die Partei an Popularität hinzugewinnen, die Mitgliedschaft in der Partei gestärkt, der Landesverband zusammengeschweißt und eine Stimmenabgabe zugunsten anderer Parteien des rechten Spektrums verhindert werden. Der Bundesvorstand unterstützte den Landesverband finanziell, koordinierte die Beschaffung von Wahlkampfmaterial (Frank 44 45 Schwerdt) und schickte führende Mitglieder des Bundesvorstandes zur Wahlwerbung. Verantwortlich für die Umsetzung des Wahlkampfes in Thüringen war aber der Landesverband selbst. Rechtsextremismus Ursachen des schlechten Abschneidens Das marginale Endergebnis zeigte, dass die NPD nur einen sehr geringen Bevölkerungsanteil für ihre politischen Zielsetzungen gewinnen konnte. Die meisten Stimmen in den Wahlkreisen errang sie immerhin dort, wo auch NPD-Spitzenkandidaten antraten. Für das schlechte Abschneiden sind mehrere Faktoren verantwortlich. Zum ersten die Konkurrenz mit den gleichzeitig angetretenen rechtsextremistischen Parteien DVU und Die Republikaner (Bündnis 99). Rechtsextremistisch eingestellte Wähler könnten sich aus taktischen Gründen für die DVU entschieden haben, falls sie der DVU größere Chancen eingeräumt hatten. Der geringe Stimmenanteil der NPD wird auch aus einer nicht ausreichenden oder falschen Wahlwerbung herrühren. Eine derart starke Plakatierung, wie sie beispielsweise von der DVU ausging, konnte die NPD nicht leisten. Nur teilweise wurden, z. B. in den Städten Gera und Jena, intensiv Plakate aufgehängt, die dort möglicherweise zu erhöhten Ergebnissen führten. Der NPD-Wahlkampfetat für Thüringen konnte sich nicht mit dem der DVU messen. Durch die Slogans der DVU zur direkten Aufforderung zur Protestwahl und kurze Wendungen ließen sich Protestwähler eher von der DVU-Wahlkampfschlacht beeinflussen, als ihre Stimme der NPD zu geben, die ihre politischen Ziele weniger populistisch formuliert hatte. In einigen größeren Städten Thüringens hatten NPD-Mitglieder Infotische aufgestellt und Lautsprecherfahrten (u. a. in Gera) durchgeführt, deren Wahlwerbung sich der einzelne Bürger nicht entziehen konnte. Der aggressive Ton mag aber Erinnerungen an zwei Diktaturen in Deutschland hervorrufen haben. Zu den Demonstrationen in Thüringen reisten führende Rechtsextremisten an. Durch die medienwirksame Aufbereitung der Demonstrationen, Gegenveranstaltungen und erhöhte Polizeipräsenz schreckte die NPD in der Öffentlichkeit wohl eher ab. WER WIR SIND -- WAS WIR WOLLE Ayo) 7T DEMOKRATEN 47 Die NPD-Thüringen hatte keine eigenen Persönlichkeiten hervorgehoben. Zwar wurden auf Flugblättern und in Wahlzeitungen Fotos mit den Spitzenkandidaten abgedruckt, diese stellten sich aber kaum der Öffentlichkeit vor. Rechtsextremismus Ergebnisse früherer Wahlen Bei früheren Wahlen konnte die NPD in Thüringen ebenfalls keine Wahlerfolge erzielen. Zu der Landtagswahl 1994 und zu der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag 1998 trat die NPD in Thüringen wegen fehlender Unterstützungsunterschriften nicht an. Zur Europawahl 1999 erreichte die NPD ihr bis heute bestes Ergebnis in Thüringen. Sie errang mit 7.021 Stimmen 0,630 Prozent (1994: 0,257 Prozent). Im Vergleich zwischen Europawahl und der Landtagswahl 1999 verlor die NPD in Thüringen 0,393 Prozentpunkte. Zur Europawahl erzielte die NPD in der Stadt Gera ein überdurchschnittliches Ergebnis von 1,418 Prozent der Stimmen, das bei der Landtagswahl in den beiden Wahlkreisen auf 0,870 bzw. 0,738 Prozent schrumpfte. 3.4 Junge Nationaldemokraten (JN) Struktur und Organisation Mit den im März 1969 gegründeten Jungen Nationaldemokraten besitzt die NPD als einzige rechtsextremistische Partei eine einflussreiche Jugendorganisation. In ihr vereinen sich bundesweit rund 350 Mitglieder (1998: 400). Die JN vertritt die Jugend in der NPD und soll als Kaderorganisation zukünftige Führungseliten heranbilden. Die JN versteht sich als "nationalistische Jugendbewegung", eine "weltanschauliche-geschlossene Jugendbewegung neuen Typs mit revolutionärer Ausrichtung". Sie sei "integraler Bestandteil" der NPD. Gemäß ihrem Statut fassen sich die JN als eine Gemeinschaft junger Deutscher auf, die eine staatliche Ordnung nach demokratisch-nationalistischen Grundsätzen anstreben. In den 90er Jahren geriet die JN gegenüber der NPD in ein Schattendasein. Durch die stärkere neonazistische Ausrichtung und die Vorreiterrolle bei der Annäherung zwischen NPD und dem Neonazi- Lager konnte die JN zwar junge Rechtsextremisten anziehen, die Gesamtmitgliederzahl sank jedoch im Vergleich zum Vorjahr. Bundesweite Aktionen 30 Jahre Junge Nationaldemokraten Am 13. März veranstalteten die JN in Mitterskirchen/Lkr. Rottal-Inn (Bayern) mit etwa 350 Personen einen Jubiläumskongress unter dem Motto "30 Jahre Junge Nationaldemokraten - 30 Jahre Kampf - Aktion - Widerstand". Holger Apfel, damaliger JN-Bundesvorsitzender, wies in seiner Rede auf den kritischen Abstand der Jugendorganisation zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) hin. Die JN habe nach der Krise Anfang der 90er Jahre ihre Aktionsfähigkeit - als revolutionäre Jugendbewegung - wiedererlangt. Die Abgrenzungsbeschlüsse gegenüber Neonazis seien "längst gekippt". Das "repressive Staatssystem" habe durch seine ständigen Verbotsverfügungen zu einer Solidarisierung mit anderen Gruppen geRechtsextremismus führt. Flugblätter der NPD NPD-Chef Udo Voigt thematisierte den "Kampf um die Straße", Demonstrationen rückten die Partei in das Bewusstsein der Öffentlichkeit. Außerdem wollen sich die Nationaldemokraten der "zeitgeistlichen Protestformen" der Skinheads annehmen und sie in die JN integrieren. Ein Bündnis mit der Deutschen Volksunion (DVU) und den Republikanern um jeden Preis lehnt Voigt ab. Er betonte den sozialrevolutionären Charakter seiner Partei, man habe es aber nicht nötig, der PDS hinterherzulaufen. Lars Käppler, JN-Bundesvorstandsmitglied, wies auf den Aktionsmonat unter dem Motto "Einwanderung 48 49 stoppen - Widerstand jetzt!" mit vielen dezentralen Aktionen hin. Deren Abschluss bildete der diesjährige Bundeskongress am 10. April. Rechtsextremismus JN-Bundeskongress Auf dem JN-Bundeskongress am 10. April in Klingenberg/Bayern wählten die Jungen Nationaldemokraten den bisherigen Stellvertreter Sascha Roßmüller aus Bayern zum Nachfolger Holger Apfels als neuen JN-Bundesvorsitzenden. Mit der Wahl Roßmüllers wird die JN ihren bisherigen Kurs als Einheit mit der NPD beibehalten und auf eine stärkere Eigenständigkeit eher verzichten. Der bei der Wahl zum Bundesvorsitz gescheiterte ehemalige nordrhein-westfälische JN-Landesvorsitzende Achim Ezer gründete im Juni als Abspaltung von der JN das Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft (BDVG) mit Sitz in Eschweiler. Das BDVG versteht sich als ein "organisierter Zusammenschluss von Deutschen, deren Vorstellungen sich am strukturellen Ordnungsprinzip der Nation orientieren". Als Ziel wird die "Wiederherstellung einer wahren Volksgemeinschaft" propagiert. Das BDVG besteht aus einer Gruppe ehemaliger JN-Mitglieder, die Ezer nach der gescheiterten Wahl zum Bundesvorsitzenden gefolgt sind. Das BDVG entwikkelte bisher nur geringe Aktivitäten, es wird nicht durch die NPD unterstützt. Europäischer Kongress der Jugend Am 30. Oktober veranstaltete die JN in Falkenberg/Niederbayern den "6. Europäischen Kongress der Jugend". An der Veranstaltung unter dem Motto: "Europas Nationen, Erbe und Auftrag" nahmen ca. 500 Personen teil. Udo Voigt (Bundesvorsitzender der NPD) und der JN-Vorsitzende Sascha Roßmüller referierten zu den Themen "EU-Diktatur", "Globalkapitalismus" und "der gemeinsame Weg der europäischen Nationalisten in das neue Jahrtausend". Als Redner trat auch der in der rechtsextremen Szene bekannte Publizist Herbert Schweiger aus Österreich auf. Kongressteilnehmer diskutierten die Notwendigkeit einer intensiveren Zusammenarbeit auf der europäischen Ebene, lehnten Bündnisbestrebungen unter den nationalistischen Parteien jedoch ab. Die Jungen Nationaldemokraten in Thüringen Die JN haben in Thüringen bisher noch keinen eigenen Landesverband gegründet, jedoch steigt hier das Interesse an einer Mitgliedschaft in der JN. Verbandsmitglieder gibt es in den Städten Jena und Gera und im Wartburg-Kreis sowie im Landkreis Saalfeld/Rudolstadt. Die JN trat bisher in Thüringen aber kaum in Erscheinung. 3.5 NPD-Abspaltung Bund Deutscher Patrioten (BDP) 20 Angehörige der rechten Szene Thüringens gründeten am 23. Januar in Gößnitz/Lkr. Altenburger Land den Bund Deutscher Patrioten (BDP). Sie wählten Frank Golkowski, den früheren Chef der ThüRechtsextremismus ringer NPD, zu ihrem Vorsitzenden und Rene Kärst aus Altenburg zu seinem Stellvertreter. Diese Partei - mit Sitz in Gotha - soll nach Vorstellung ihrer Gründer als "Gemeinsames Bündnis Rechts" in Thüringen fungieren. Der BDP begreift sich - gemäß seiner Satzung - als eine Partei, die sich "zur freiheitlich demokratischen Grundordnung, zur deutschen und abendländischen Kultur" bekennt. Als "politischer Zusammenschluss patriotischer Deutscher aller Schichten, Konfessionen ... und Weltanschauungen" strebt sie die "politische Wirksamkeit in allen Teilen Deutschlands" an. Ihrem Parteiprogramm zufolge will sich der BDP für die "Zusammenarbeit mit allen gutwilligen Nationen" einsetzen, wendet sich aber gegen "Kulturvermischung" und "zunehmenden Materialismus". 50 51 Angestrebt wird eine "Volksherrschaft", die mit "handlungsfähigen Organen" die "Grundziele der Volksgemeinschaft" verwirklichen soll. Der BDP wendet sich Rechtsextremismus gegen die "Schuldenbewirtschaftung" in Deutschland und lehnt einen "internationalen Wirtschaftsapparat auf kapitalistischer Basis" ab. Die Bundesrepublik soll keine "fremdbestimmte Marionette Europas" werden. Außerdem seien - trotz "Vereinigung von BRD und DDR" - ihre Grenzen "längst nicht erreicht". Der BDP will die "Preisgabe deutscher Gebiete nicht dulden ..." Der Mitgliederbestand des BDP dürfte sich größtenteils aus Golkowski-Anhängern zusammensetzen, die dem gestürzten NPD-Landesvorsitzenden gefolgt sind, nachdem er im Bundesund Landesverband in Misskredit geraten war. Am 6. Februar gründete sich in Altenburg ein Kreisverband; am 6. März fand der Landesparteitag in Arnstadt statt. Den ersten Bundesparteitag führte der BDP am 13. März ebenfalls in Arnstadt durch. Er bestätigte Golkowski als Bundesvorsitzenden der Partei. Bisher existieren nur zwei Landesverbände: in Thüringen und in Sachsen. Die Bundesgeschäftsstelle des BDP befindet sich in Gotha. Der "Bund Deutscher Patrioten" hatte 1999 versucht, an der Thüringer Landtagswahl teilzunehmen. Dazu fehlten ihm vermutlich die notwendigen Unterstützungsunterschriften. Seitdem entFrank Golkowski wickelte er keine nennenswerten politischen Aktivitäten. 4. Neonazis 4.1 Anti-Antifa Der Hamburger Neonazi Christian Worch gründete 1992 als Reaktion auf wachsende Angriffe militanter Linksextremisten die Anti-Antifa. In ihrer Propaganda richtet sie sich sowohl gegen den politischen Gegner als auch gegen Institutionen des demokratischen Rechtsstaats. Die Anti-Antifa organisiert den Aufbau informeller Gruppen, d. h. den Zusammenschluss von Rechtsextremisten ohne formale Mitgliedschaft und hierarchisch gegliederte Strukturen, die von regional anerkannten Führungsfiguren gegründet und angeleitet werden. Sie stehen aber untereinander in Kontakt. Dies scheint auch im übrigen rechtsextremistischen Lager Akzeptanz zu finden. Die so vorgenommene Konzentration auf einen gemeinsamen Gegner bietet Möglichkeiten, die Rechtsextremisten "organisationslos" zu verflechten. Im Oktober 1994 wurde erstmals eine Gruppierung Anti-Antifa Ostthüringen bekannt. Ab Mai 1995 fanden wöchentliche Treffen statt. Die Zahl der Beteiligten erhöhte sich von anfangs 20 auf ca. 120 Personen. Diese Gruppierung bildete ein Sammelbecken für Neonazis, die hauptsächlich aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt, Gera, Jena, Sonneberg, Weimar, Ilmenau, Gotha, Kahla und Nordbayern kamen. Rechtsextremismus 4.2 Thüringer Heimatschutz (THS) Seit Anfang 1997 tritt die Anti-Antifa Ostthüringen hauptsächlich als Thüringer Heimatschutz auf. Ein Name, den dieser unstrukturierte Personenzusammenschluss bereits früher gelegentlich führte. Der Thüringer Heimatschutz, der unter der Führung Tino Brandts steht, gliedert sich in die Sektionen: Sektion Jena (früher Kameradschaft Jena), Sektion Saalfeld, Sektion Sonneberg und die Freie Kameradschaft Gera. Der THS unterhält Verbindungen zu anderen Organisationen innerund außerhalb Thüringens. Im Wahljahr 1999 gewann der THS durch umfangreiche Mitarbeit im Landesverband und den Kreisverbänden der NPD Thüringens ei52 53 nen erheblichen Einfluss; von den elf Kreisverbänden Thüringens stellt der THS vier Kreisvorsitzende. Im elfköpfigen Landesvorstand der NPD ist er mit gleichfalls vier Funktionären vertreten. Rechtsextremismus 4.3 Gedenkaktionen für Rudolf Heß Schleppende Vorbereitung der Gedenkaktionen Rudolf Heß (1894 - 1987) belegte nach Hitler und Göring den dritten Rang in der NS-Parteihierarchie. Bis zu seinem Tod im Jahr 1987 saß er im Kriegsverbrechergefängnis Berlin-Spandau ein. Rechtsextremistische Gruppen spielten ihn anlässlich seines Todestages immer wieder zum Märtyrer hoch. Inzwischen hat Heß als Integrationsfigur der Neonaziszene an Bedeutung verloren. Im Jahr 1999 gab es kein überregionales HeßAktionskomitee, das eine zentrale Gedenkveranstaltung hätte organisieren können. Trotzdem rechneten Aufruf zu Heß-Gedenkaktionen die Sicherheitsbehörden damit, dass die Rechtsextremisten den 12. Todestag des "Hitlerstellvertreters" nutzen würden, um sich medienwirksam zu präsentieren. Strategiewechsel: regionale Aktivitäten Bereits im Jahr 1998 hatte sich ein Trend zur verspätet einsetzenden Planung und zur schleppenden Mobilisierung abgezeichnet. Dieser verstärkte sich in diesem Jahr. Im Internet erschien unter der Überschrift "Rudolf Heß lebt ... solange wir ihn nicht vergessen!" ein Aufruf zu Aktionswochen vom 9. bis zum 22. August. Die Szene hatte nach den Misserfolgen der letzten Jahre einen Strategiewechsel vollzogen. Gedenkmärsche mit mehreren hundert oder tausend Teilnehmern schienen angesichts der staatlichen Gegenmaßnahmen derzeit nicht realisierbar zu sein. Folglich sollte der Schwerpunkt der Aktivitäten auf die regionale Ebene verlagert werden. Mehrere rechtsextremistische Infotelefone riefen zu dezentralen und spontanen HeßAktionen auf. Die Beteiligung an den Aktionen blieb in Deutschland allerdings gering. Vereinzelte regionale Demonstrationen konnten die Sicherheitsbehörden im Ansatz unterbinden oder sofort auflösen: So im Vorfeld des "Gedenktages" am 13. August in Oebisfelde/Sachsen-Anhalt, in Niestetal/Hessen, im Raum Uschlag-Staufenberg/Niedersachsen und am 14. August in Pinneberg/Schleswig-Holstein, in Witten/Herdecke/ Nordrhein-Westfalen, bei Worpswede/Niedersachsen. Am Todestag von Rudolf Heß, dem 17. August, verhinderte die Polizei Aufmärsche der Neonazis in Neumünster, Barmstedt/Schleswig-Holstein, BerlinHellersdorf und Rostock-Warnemünde/Mecklenburg-Vorpommern. In Eisenhüttenstadt/Brandenburg konnten dagegen - Presseberichten zufolge - 70 NPD-Anhänger am Abend des 13. Augusts mit Trommeln und Fackeln eine Kundgebung abhalten. Nach zwei Niederlagen der Stadt Eisenhüttenstadt vor Gericht musste die Polizei die Veranstaltung begleiten. 20 linke Gegendemonstranten versuchten die Veranstaltung zu stören. Rechtsextremismus NPD-Aufmarsch in Eisenach verhindert Seit dem 22. Juni tauchten in einigen Städten und Gemeinden Thüringens Flugblätter und Plakate auf, auf denen sich Hinweise auf die Heß-Gedenkaktionen fanden. Die Thüringer NPD meldete für den 14. August in Eisenach eine Demonstration unter freiem Himmel an. Die zeitliche Nähe zum zwölften Todestag von Rudolf Heß am 17. August ließ darauf schließen, dass die Partei die Veranstaltung in eine Heß-Gedenkaktion umwandeln könnte. Die Stadt Eisenach verbot diese Veranstaltung, das Verwaltungsgericht Meiningen bestätigte die Verbotsverfügung, das Oberverwaltungsgericht Weimar genehmigte die Demonstration unter Auflagen. Das Ordnungsamt der Stadt Eisenach verbot am 14. August diese 54 55 Veranstaltung erneut. Sie begründete diesen Schritt damit, dass nach neuen polizeilichen Erkenntnissen Störungen der öffentlichen Ordnung drohten. Es bestünde die Gefahr, dass NPD-Anhänger den Tod des Präsidenten des Zentralrats der Juden, Ignatz Bubis, als Anlass Rechtsextremismus für einen "Freudenmarsch" nutzen könnten. Außerdem war der Versammlungsleiter wegen des Verdachts einer schweren Körperverletzung festgenommen worden. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fanden Polizeibeamte rechtsextremistisches Propagandamaterial. Etwa 400 Personen (darunter 280 Neonazis und 120 NPD-Anhänger) wollten an der Demonstration in Eisenach teilnehmen. Nach dem Verbot erteilten die Beamten 99 Platzverweise und nahmen 20 Personen in Gewahrsam, darunter auch den "Freien Nationalist" Christian Worch. Eine Spontandemonstration in Ilmenau bzw. in Erfurt konnten die Sicherheitsbehörden verhindern. Spontan-Demos in Thüringen unterbunden Ein hohes Polizeiaufgebot verhinderte auch am 21. August eine spontane Heß-Gedenkaktion im Raum Saalfeld/Rudolstadt. Sie war daraufhin nach Jena verlegt worden, fand aber - mangels Teilnehmer - nicht statt. Am selben Tag sollte auch eine spontane Heß-Demo in Weimar stattfinden, zeitlich parallel zu einer Veranstaltung des Mitteldeutschen Rundfunks. Polizeibeamte nahmen elf Personen im Raum Weimar vorläufig fest und verhinderten so einen medienwirksamen Auftritt. 4.4 Wehrmachtsausstellung: "Das Lügengespenst zerfetzt" Rechtsextremisten sehen sich in Kritik an "Wehrmachtsausstellung" bestätigt Rechtsextremisten verschiedener Lager fühlen sich durch die Kritik ausländischer Historiker an der Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" und das darauffolgende Ausstellungsmoratorium der Veranstalter in ihrer ablehnen- den Haltung bestätigt. Im Unterschied zu den wissenschaftlichkritischen Ansätzen Dr. Bogdan Musials und Dr. Kriztian Ungvarys nutzen viele von ihnen aber die Gunst der Stunde, um ihre revisionistischen Theorien zu beleben, die auf eine Entlastung des Nationalsozialismus hinauslaufen. Das Nationale Infotelefon Hamburg wertete in einer Ansage am 5. November das "Scheitern der Ausstellung" als Sieg der nationalen Opposition. Es sei nun erwiesen, dass die deutsche Geschichte absichtlich verfälscht werde, um daraus politischen Gewinn zu ziehen. Die Republikaner begrüßten den vorläufigen Stopp der "AntiWehrmachtsausstellung" und forderten, sie vollständig einzustellen. In einer Pressemitteilung würdigte die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) die Schließung der Exposition als Erfolg der Nationalen Außerparlamentarischen Opposition (NAPO). Die NPD habe sich bereits in vielen Demonstrationen dafür eingesetzt. In einem Flugblatt heißt es, mit der Ausstellung sollten die Verbrechen der Alliierten nachträglich gerechtfertigt und die "milliardenschwere Abzockerei" legitimiert werden. Die von dem DVU-Chef Dr. Gerhard Frey herausgegebene Nationalzeitung übertrifft aber wieder alle Mitbewerber durch ihren emotioRechtsextremismus nal-forcierten Stil: "Die jüngsten Aufdeckungen massiver Fälschungen und Manipulationen in der von dem linksbourgeoisen Milliardär Reemtsma finanzierten Ausstellung ... haben das Lügengespenst endgültig zerfetzt. Kein Stein bleibt auf dem anderen im Spukhaus, das Reemtsmas Hilfshistoriker Hannes Heer errichtet hat." 56 57 4.5 Skinheads Entstehung der Subkultur und Erscheinungsbild Rechtsextremismus Die Skinheadbewegung hat ihren Ursprung im England der 60er Jahre und war zunächst eine unpolitische Subkultur. Parallel zu steigenden sozialen Problemen in den 70er Jahren politisierte sich die Szene zunehmend. In der Bundesrepublik Deutschland traten die Skinheads erstmals Anfang der 80er Jahre in Erscheinung. Ihre Ablehnung von Staat und Gesellschaft drücken die Skinheads durch ihr Äußeres aus: kahlrasierte Köpfe ("Glatzen"), Springerstiefel und Bomberjacke. Gewalttätige Aktionen - zumeist nach Alkoholexzessen - richten sich zumeist gegen die Feindbilder "Ausländer" und "Linke". Die Weltanschauung der Skinheads ist auch entsprechend diffus, sie setzt sich aus Elementen wie Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus zusammen. In Thüringen gibt es etwa 350 Skinheads (1998: 310). Organisationsansätze in der Szene Seit Mitte der 90er Jahre zeigt sich in der bisher strukturlosen deutschen Skinheadszene eine Tendenz zur Organisation. In Großbritannien war in den 80er Jahren aus dem Umfeld der nationalistischen Partei National Front (NF) die Blood & Honour-Bewegung hervorgegangen. Diese strebt international eine autonome Struktur für die Skinheadszene an. Die Blood & Honour-Angehörigen organisieren Skinheadkonzerte, nutzen das Medium Musik aber auch zur ideologischen Beeinflussung. In Deutschland gibt es seit 1995 eine "Division" der Blood & HonourBewegung. Mit 150 bis 200 Anhängern gilt sie als die einflussreichste Skinhead-Gruppierung. Die deutsche Division wiederum gliedert sich in Sektionen, wobei die Berliner hier eine führende Rolle einnehmen. In Thüringen gibt es seit 1997 eine Sektion der Blood & HonourBewegung. In den 80er Jahren formierte sich in den USA die Hammerskin-Bewegung. Ihre Anhänger fassen sich als die Elite unter den Skinheads auf. Sie besitzt auch einen geringeren Einfluss auf die deutsche Skinheadszene. Die Hammerskins haben sich zum Ziel gesetzt, alle weißen Skins in einer Hammerskin-Nation zu vereinigen. Einen weiteren Organisationsansatz liefert die Ende 1997 in Thüringen gegründete White Youth-Bewegung. Auch deren Anhänger wollen junge Leute organisieren und sie an "ältere" Kameraden binden. Fähige Szeneangehörige sollen gefördert, inhaftierte Kameraden unterstützt werden. Des Weiteren gibt es die Gliederung White German Girls. Etwa 100 Skinheads gehören in Thüringen zur White Youth. Die Anhänger streben aber bereits eine bundesweite Etablierung an. - Angehörige der Blood & Honour-Sektion und der White Youth-Bewegung organisierten in Thüringen gemeinsam Skinheadkonzerte und "Partys". Skinheads und Parteien Die Einbindung der Skinheads in rechtsextremistische Parteien ist weiterhin eher die Ausnahme. Allerdings sind Skinheads durchaus bei der Mobilisierung für rechtsextremistische Veranstaltungen, zumeist von der NPD, aktiv. Bei einer NPD-Demonstration zum Thema Doppelte Staatsbürgerschaft am 10. April in Berlin-Mahrzahn war auch die Thüringer Sektion der Blood & Honour-Bewegung präsent. "Die NPD ist leider die einzige überhaupt noch wählbare Partei ..." proklamiert die Berliner Skinheadband "Landser" in einem Interview Rechtsextremismus mit der Zeitschrift Blood & Honour Nr. 8, erschienen 1999. Trauermarsch für erstochenen Skin in Bad Berka Am 31. Juli erstach ein bislang nicht einschlägig in Erscheinung getretener Bürger Bad Berkas/Kreis Weimarer Land den Skin Andreas Otto, einen aktiven Angehörigen der rechten Szene Bayerns. Daraufhin meldete Jörg Krautheim für die Thüringer NPD einen Trauermarsch beim Landratsamt in Apolda an. Etwa 470 Personen der rechten Szene Bayerns, Sachsens und Thüringens beteiligten sich am 7. August an der Demonstration, darunter Angehörige der NPD, des Fränkischen und Thüringer Heimatschutzes und Skinheads. Der Trauermarsch durch die Innenstadt Bad 58 59 Berkas hielt am Tatort zu einer kurzen Zwischenkundgebung an. Rechtsextremismus Frank Schwerdt, Mitglied des NPD-Bundesvorstands, hielt während der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz eine Rede (Bild unten), in der er den Getöteten als jemanden charakterisierte, der nicht die Gewalt, "sondern den Ausgleich suchte". Jemand, der "national gesinnt", aber auch lebenszugewandt gewesen sei. Schuld am Tod Ottos sei aber nicht nur der Täter, sondern auch jene seien für die Tat verantwortlich, die "Menschen mit nationaler Gesinnung für vogelfrei erklärten". Damit seien die "höheren Ränge des Staats", aber auch die Medien gemeint. Nun hoffe er auf eine "gerechte Bestrafung des Täters". Die Veranstaltung verlief ohne Störungen, nur im Vorfeld kam es zu Verstößen gegen SS 86 a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). Trauermarsch durch die Innenstadt Bad Berkas Skinhead-Musik Zu Beginn der 80er Jahre entstand in England die so genannte OIMusik. Bei dem "Urlaut" OI handelt es sich um den Schlachtruf der Skinheads. Die ersten Songs dieser Richtung waren weitgehend unpolitisch. Zunehmend beanspruchten aber solche Bands diesen Schlachtruf, die ihre volksverhetzende, rassistische und gewalttätige Einstellung nicht verleugneten. Trotzdem muss in der vielfältigen Skinheadszene differenziert werden. Neben Skinheadbands, die rechtsextremistisches Gedankengut propagieren, gibt es heute auch solche, die weitgehend unpolitisch, deren Texte zumindest nicht extremistisch sind. Letztere befassen sich oft mit sozialkritischen Themen, stellen staatliche Institutionen, aber auch Arbeitgeber und Eltern in Frage. Faltblatt eines rechten "Leserdienstes" Rechtsextremismus Die deutschen Skinheadbands orientieren sich in ihren Liedern an den internationalen Trends. Typisch für Skin-Musik sind harte, schnelle, fast stakkatoartige Rhythmen, dumpfe, schlichte Melodien. Skinheadkonzerte besitzen große Bedeutung für das Gemeinschaftsgefühl dieser jungen Leute. Aber auch die entsprechenden Szene-Publikationen, die Fanzines, ermöglichen vielfältige Kontakte und informieren die Fans über die Veranstaltungen. In Thüringen fanden im Jahr 1999 elf Konzerte statt: 60 61 Termin Ort Bands Teilnehmer 22. Januar Weimar "Dragoner" (Thüringen) Rechtsextremismus "Hauptkampflinie" (Hessen) 200 11. Juni Altenburg "Kreuzfeuer" (Thüringen) "Normannen" (Thüringen) "Memelsburg" "Dying breed" (USA) 200 11. September Thörey/Ilmkreis "Donnertyrann" (Thüringen) "Reichsfront" (Thüringen) eine Band aus Würzburg 100 25. September Sonneberg "Sturmangriff" (Thüringen) 100 9. Oktober Harpersdorf/ "Eugenik" (Thüringen) Saale-Holzland-Kreis "Donnertyrann" (Thüringen) 200 16. Oktober Daasdorf/ "Dragoner" (Thüringen) Lkr. Weimarer Land Martin Rocktäschel (Liedermacher, Thüringen) 120 16. Oktober Altendambach/ "Sturmangriff" (Thüringen) Lkr. Hildburghausen "Blutorden" (Thüringen) "Südsturm" (Bayern) 200 30. Oktober Döllstädt/Lkr. Gotha "Sturmangriff" (Thüringen) "Nordmacht" (Mecklenburg-Vorpommern) "Razors Edge" (Großbritannien) "HMF" (Schweden) 450 6. November Thörey/Ilmkreis "Frontbann" (Thüringen) "Ilmpiraten (Thüringen) "Donnertyrann" (Thüringen) "Odessa" (Sachsen) 250 13. November Schorba/ "Max Resist" (USA) Saale-Holzland-Kreis "Radikahl" (Thüringen) "Volkstroi" (Brandenburg) "Stahlgewitter" (Niedersachsen) "Might of Rage" (Sachsen) 1.000 11. Dezember Thörey/Ilmkreis "Sturm & Drang" (Brandenburg) "Die Barbaren" (Brandenburg) "Neue Argumente" 150 Konzerte mit ausländischen Bands besitzen in der Szene einen hohen Stellenwert und führen zu hohen Besucherzahlen. Für das Konzert in Schorba am 13. November waren die Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet, der Schweiz und den USA gekommen. Als die meisten der 1.000 Gäste die Gaststätte verlassen hatten, randalierten noch etwa 100 Personen und richteten einen Sachschaden von 10.000 DM an (Bild). Die Konzerte am 6. November und 11. Dezember in Thörey fungierRechtsextremismus ten als Benefizveranstaltungen für den erstochenen Skin Andreas Otto. Thüringer Skinheads nahmen auch an Konzerten in anderen Bundesländern teil. Beispielsweise fuhren sie zu dem Ian Stuart-Gedenkkonzert nach Garitz in Sachsen-Anhalt. Hier traten die Bands "Blue Eyed Devils" und "Chaos 88" aus den USA, "Kraftschlag" aus Schleswig-Holstein und "Ultima Ratio" vor 2.000 Zuschauern auf. Für den 27. November in Friedenfels/Bayern hatten Gefolgsleute der Blood & Honour-Bewegung ein Skinkonzert mit den Bands "Südsturm" aus Bayern, "Pluton Svea" aus Schweden und "Prollschock" aus Österreich organisiert. Die Polizei löste die Veranstaltung aber wegen Verstößen gegen SS 86 a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) auf. Sie nahm alle Teilnehmer, darunter auch Thüringer, vorläufig fest. 62 63 Thüringer Skinheadbands Die Szene der Skinheadbands ist sehr unstet, es erfolgen ständig Umbenennungen oder Neugründungen von Musikgruppen. TrotzRechtsextremismus dem lassen sich die folgenden Bands, die im Jahr 1999 bei Konzerten aufgetreten sind, benennen: * "Blutorden" (früherer Name: "Saalepiraten"), Saalfeld, * "Donnertyrann", Erfurt, * "Dragoner", Weimar, * "Eugenik" (frühere Schreibweise: "Oigenik"), Gera, * "Frontbann", Eisenach, * "Ilmpiraten", Ilmenau, * "Kreuzfeuer" (frühere Schreibweise: "Kroizfoier"), Altenburg, * "Normannen", Altenburg, * "Querschläger" (früherer Name: "Schlagabtausch"), Erfurt, * "Radikahl", Weimar, * "Reichsfront", Erfurt und * "Sturmangriff" (früherer Name: "Volksverhetzer" bzw. "VV1"), Sonneberg. Die Geraer Band "Legion Ost" wechselte ihren Namen und tritt nun unter der Bezeichnung "Law & Order" auf. Dazu passend der Titel ihrer CD, die sie Anfang 1999 herausgab: "Recht & Ordnung". Mit ihren Songs hält die Band der Gesellschaft einen Spiegel vor, in der sich diese freilich nur verzerrt wiedererkennen würde. Keine guten Noten erhält das deutsche Volk. In der ersten Strophe des Titels "Dem Deutschen Volk" heißt es: Ihr redet nur und richtet und quatscht noch von Moral Ihr urteilt und entscheidet und Ihr habt nur diese Wahl ich bin nur Euer Fehler Ihr habt mich selbst gemacht als Euer Alptraum kehr ich wieder ich bin die Saat Eurer Schmach. 4.6 Black Metal und Rechtsextremismus Schlag gegen Mailorder-Vertrieb Mit den Durchsuchungsmaßnahmen der Staatsanwaltschaft und Polizei gegen den Mailorder-Vertrieb für Black Metal-Musik "Darker Than Black" (DTB) geriet diese Subkultur in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Die Beamten beschlagnahmten umfangreiche Mengen an CD's, Musikkassetten, T-Shirts mit verbotenen Aufschriften oder Symbolen. Die zwei Hauptbeschuldigten, die Brüder Hendrik und Ronald Möbus, wurden verdächtigt, mit verbotenen Gegenständen Handel betrieben zu haben. Der von ihnen geführte Mailorder-Vertrieb für Black Metal-Musik DTB soll danach rechte Tendenzen in die "schwarze Musikszene" tragen. Hendrik Möbus Rechtsextremismus Eine kriminelle Vorgeschichte Hendrik Möbus hatte mit zwei Mittätern im April 1993 in Sondershausen einen Mitschüler erdrosselt. Dieser soll sich über die Gruppe um die Black Metal-Band "Absurd" lustig gemacht haben. Einige Zeitungen sprachen daraufhin von einem "Satansmord". Tatsächlich lag jedoch kein Kultmord - etwa aus "religiösen", rituellen Motiven - vor, auch wenn sich damals die Täter zum Satanismus bekannt haben sollten. 64 65 Am 26. September fand in Behringen (bei Eisenach) ein Konzert mit mehreren Black Metal Bands statt. Hier zeigte Hendrik Möbus von der Bühne den Hitlergruß und rief "Sieg Heil". Wegen Verstoßes gegen SS 86 a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriRechtsextremismus ger Organisationen) verurteilte ihn das Amtsgericht Eisenach am 14. Juli zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe. Hendrik Möbus war, als er den Hitlergruß zeigte, gerade vier Wochen auf freiem Fuß, nachdem seine Reststrafe aus der Verurteilung wegen Mordes zur Bewährung ausgesetzt worden war. Am 29. Oktober widerrief das Amtsgericht Erfurt Möbus' Haftaussetzung zur Bewährung. Der Beklagte entzog sich der Verbüßung der Haftstrafe bislang durch Flucht. Aktivist der Deutschen Heidnischen Front Aus Äußerungen Möbus' in verschiedenen Interviews, z. B. in einschlägigen Fanzines oder im Black-Metal-"Szene-Almanach 1998", lässt sich der Schluss ziehen, dass aus dem früheren Satanisten heute ein Neonazi geworden ist. In der Homepage der Deutschen Heidnischen Front wird Hendrik Möbus als einer ihrer Aktivisten bezeichnet. In einer Selbstdarstellung dieser neuheidnischen völkischen Bewegung finden sich neben Elementen der altgermanischen Mythologie auch Ideologieelemente des Nationalsozialismus wieder. Subkultur oder Ideologie? Hinter Black Metal stehen diffuse Vorstellungen, die sich grob dem Satanismus zuordnen lassen, also Darstellungen, die dem Düsteren, Grausamen zugeneigt sind, bis hin zur Verklärung des Bösen, Krankhaften, Grausamen. Die Akteure dieser Richtung beziehen sich auf die Gestalt Satans (hebr. 'Widersacher'), der nach dem Alten Testament (Hiob 1/6 ff., 2/1 ff.) als Ankläger in der himmlischen Ratsversammlung gilt. Die Musik des Black Metal lässt sich als simplere, aggressivere Variante des Heavy Metal-Stils beschreiben. Zu hören sind kreischende, hochgestimmte Gitarren, ein donnerndes, rasend aggressives Schlagzeug und ein verzerrter, "krächzender" Gesang. Die Auftritte finden in einer finsteren archaisch anmutenden Atmosphäre statt. Zur antichristlichen, neuheidnischen Ausrichtung kommt die Glorifizierung von Gewalt, Krieg und Tod. Einige der Black Metal-Bands greifen auf nazistische Symbole zurück und betreiben in ihren Liedtexten rassistische Propaganda. In den Medien ist deshalb immer wieder auf die rechtsextremistischen Tendenzen in der Black Metal-Szene hingewiesen worden. Das trifft freilich nicht auf alle Bands und Anhänger zu. Teile der Dark Wave-Szene selbst gehen gegen rechte Tendenzen in ihren eigenen Reihen vor. So grenzt sich beispielsweise die Initiative "Grufties gegen Rechts" deutlich von rechten Black Metal Bands ab. Für Thüringen lässt sich der rechtslastige Teil der Black Metal-Szene im Wesentlichen mit dem Kreis um die Brüder Hendrik und Ronald Möbus beschreiben, die sich zum einen in der Band "Absurd" engagierten und zum anderen den Mailorder-Vertrieb "Darker Than Black" führten (siehe Abbildungen unten). Rechtsextremismus 66 67 5. Rechtsextremismus und moderne Kommunikationstechniken Rechtsextremismus Unter den neuen Kommunikationsmedien erfuhr das Internet unter den Rechtsextremisten erneuten Aufwind. Rechte Gruppierungen haben sich im Netz weiter etabliert. Während das Internet also kräftig "boomt", sank die Bedeutung von Mailboxen und Nationalen Infotelefonen (NIT). Die NIT, über die anlassbezogen Nachrichten von einem Anrufbeantworter abgerufen werden können, waren 1999 in Thüringen nicht geschaltet. Im übrigen Bundesgebiet existieren aber mehrere NIT, die tagespolitische Ereignisse kommentieren, über Veranstaltungen informieren und organisatorische Hinweise geben. Auch die Bedeutung rechtsextremistischer Mailboxsysteme ist 1999 weiter zurückgegangen. Das Thule-Netz und das Nordland-Netz haben sich aufgelöst. Auch für das Nachfolgeprojekt Thing-Netz wird die Resonanz unter den Rechtsextremisten eher gering eingeschätzt. Anders beim Internet. Es bietet die Möglichkeit, sofort und weltweit Informationen zu beschaffen sowie Daten auszutauschen. Dazu stehen verschiedene Internetdienste zur Verfügung, von denen das World Wide Web (WWW) der bekannteste ist. Über E- Mail-Dienste wird elektronische Post versendet. Mit den Newsgroups stehen im Usenet verschiedene Visuelle Einstimmung Diskussionsforen zur auf der Webseite Verfügung. Parallel zum allgemeinen Internetboom entwickelte sich die Akzeptanz dieses grenzüberschreitenden Kommunikationsmediums unter den Rechtsextremisten. Die Zahl der Homepages deutscher Rechtsextremisten wuchs 1999 auf über 300 an. Alle rechtsextremen Parteien der Bundesrepublik Deutschland, zahlreiche Neonazigruppen, Skinheads und rechte Publikationen präsentieren sich im Internet. Mit dem leicht nutzund bedienbaren Internet können Extremisten ihre verfassungsfeindlichen Ziele "kostengünstig" in der ganzen Welt propagieren. In erster Linie wird das Internet zur Selbstdarstellung genutzt. Daneben floriert ein Versandhandel mit Präsentation und OnlineBestellmöglichkeiten von szenetypischem Material, wie CDs, Textilien, Plakate und einschlägiger Literatur. Online-Ausgaben einiger rechter Printmedien oder das Internetprojekt NIT vervollständigen das Informationsangebot der Rechtsextremisten im Internet. Hier werden aktuelle Ereignisse aus Szenesicht kommentiert oder über Demonstrationen und andere Veranstaltungen informiert. Damit, aber auch mittels elektronischer Post, lassen sich Informationen - beispielsweise zur Mobilisierung der Szene für Veranstaltungen - verteilen. Auf einigen Internetseiten wird zur Anwendung von Gewalt gegen den politischen Gegner aufgefordert. Es existieren "Schwarze Listen" auf denen z. B. zum Mord an der "Lieblingszecke" aufgerufen wird. Anleitungen zum Bombenbau sind ebenfalls im Netz präsent. Unter den aktuellen Ereignissen des Jahres 1999 rangiert der Kosovokrieg ganz oben. Er wird als Teil einer rechtsextremen Rechtsextremismus Verschwörungstheorie aufgearbeitet. Zahlreich sind Analysen der Landtagswahlen des Jahres aus Szenesicht. Die Online-Angebote der Extremisten gewinnen zunehmend an Professionalität. Zum Teil tragen Tonund Videosequenzen dazu bei, die propagandistischen Ziele wirkungsvoll zu vermitteln. Während auf vielen Hompages lediglich eine rechtsextreme Grundeinstellung zum Ausdruck kommt, präsentieren andere, vornehmlich über ausländische Provider eingestellt, eindeutig strafbare Inhalte. Das Bild-, Tonund Textmaterial weist gewaltverherrlichende, rassistische und volksverhetzende Züge auf. Die Verbrechen der Nationalsozialisten, wie der Holocaust, werden im Ergebnis scheinbar seriöser Ermittlungstätigkeit in Frage gestellt. Durch die Vielzahl revisionistischen Materials im Internet besteht - nicht nur in Szenekreisen - die nicht zu unterschätzende Gefahr der Meinungsmanipulation. 68 69 6. Rechtsextremistische Straftaten im Überblick Vergleich erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Straftaten in Thüringen (Quelle: Thüringer Landeskriminalamt) Rechtsextremismus Thüringen 1997 1998 1999 Straftaten insgesamt: 1.206 1.064 1.118 davon im einzelnen: Propagandadelikte 1.051 844 939 Landfriedensbruch 12 3 5 Störung öffentlichen Friedens/Bedrohung 8 14 9 Volksverhetzung 59 108 87 Körperverletzung 19 25 38 Sachbeschädigung 10 16 18 Brandstiftung 0 3 1 Sonstige 47 51 21 Für Thüringen ist ein Anstieg (5,1 Prozent) von Straftaten festzustellen, denen eine rechtsextremistische Motivation zugrunde lag oder eine solche nicht ausgeschlossen werden konnte. Den Hauptteil der 1.118 Straftaten bilden die so genannten Propagandadelikte (Verbreiten von Propagandamitteln bzw. Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). Es handelt sich dabei um 84 Prozent aller rechtsextremistischen Straftaten. Zu diesen Vergehen zählen z. B. das Schmieren von Hakenkreuzen oder anderen strafbaren NSSymbolen, das Zeigen des "Hitlergrußes" in der Öffentlichkeit oder das Rufen von Nazi-Parolen. Zu 536 Straftaten konnten insgesamt 1.020 Tatverdächtige ermittelt werden, davon 106 weibliche (10,4 Prozent). 3,9 Prozent der Täter waren jünger als 14 Jahre, 37,7 Prozent lagen zwischen 14 und 17 Jahren, 20,9 Prozent zwischen 18 und 20 Jahren. 37,5 Prozent der Täter waren 21 Jahre alt oder älter. In den 1.118 rechtsextremistischen Delikten (Straftaten insgesamt) sind 77 fremdenfeindliche Straftaten enthalten, was einem Anteil von 6,9 Prozent entspricht. Im Vergleich zu 1998 (111 Fälle) ist somit ein Rückgang von 30,6 Prozent feststellbar. Rechtsextremismus 70 71 III. Linksextremismus 1. Überblick Linksextremismus Das Potenzial der revolutionären Marxisten in der Bundesrepublik Deutschland beträgt unverändert etwa 28.700 Personen, zu denen noch weitere 7.000 Personen kommen, die die Verfassungsschutzbehörden der gewaltbereiten linksextremistischen Szene zurechnen. Diesem Gewaltpotenzial gelingt es, bei anlassbezogenen und überregionalen Aktionen/Demonstrationen zusätzlich mehrere tausend Personen zu mobilisieren. Die Situation des Linksextremismus im Freistaat Thüringen hat sich im Jahr 1999 kaum verändert. Die Anhänger und Sympathisanten der autonomen Gruppen mit jeweils 300 bis 350 Personen entwikkelten sich organisatorisch und informell weiter und nutzten dafür die Möglichkeiten heutiger Kommunikationstechniken. Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit ist nach wie vor die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus bei Aktionen und Demonstrationen der so genannten "Antifaschismuskampagne". Die weiterhin agierenden marxistisch-leninistischen Parteien, Organisationen und Gruppierungen konnten ihr Mitgliederund Anhängerpotenzial kaum erhöhen. Ihre Aktivitäten bleiben weitgehend in der Bevölkerung unbeachtet. Dennoch waren bundesweite und überregionale Kontakte sowohl des autonomen Lagers wie der orthodoxen kommunistischen Gruppen auch 1999 wahrnehmbar. Mitgliederzahlen linksextremistischer Gruppierungen in Thüringen 1997 1998 1999 KPF 50 bis 100 120 120 DKP wenige Mitglieder 50 bis 100 50 bis 100 MLPD 30 30 bis 40 50 KPD wenige Mitglieder wenige Mitglieder wenige Mitglieder Autonome 250 bis 300 300 bis 350 300 bis 350 2. Ideologischer Hintergrund Wie bei den Rechtsextremisten finden sich auch bei den Linksextremisten ideologisch voneinander abweichende Positionen. Neben Anhängern der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" stehen Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Grundlage der unterschiedlichen Anschauungen und Theoriebildungen bleiben die Werke von Marx, Engels, Lenin sowie auch die von Stalin, Trotzki und Mao Tse-tung. Allen Linksextremisten gemeinsam ist das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Dafür wollen sie einen, ihren jeweiligen Vorstellungen entsprechenden Ersatz schaffen - mag es sich dabei um ein marxistisch-leninistisches Staatsgebilde oder auch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" handeln. Das Bekenntnis der Linksextremisten zur revolutionären Gewalt, zu Klassenkampf und Klassenherrschaft verbindet ihre sonst oft divergierenden Ansichten. Dabei wird der Grundsatz, dass sich diese Veränderungen nur durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen, aus taktischen Gründen oft verschwiegen. Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen wird dann zu legalen, gewaltfreien Formen der politischen Auseinandersetzung gegriffen. 3. Marxistisch-Leninistische Parteien und Organisationen Linksextremismus 3.1 Die Beobachtung kommunistischer Parteien durch die Verfassungsschutzbehörden Ein Aufgabenschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörden im politischen Extremismus bleibt weiterhin die Beobachtung der linksextremistischen Szene, sowohl der militanten Autonomen wie auch der im Bundesgebiet agierenden revolutionär-marxistischen Organisationen und Parteien. Zu ihnen gehören u. a. die "Marxistische Gruppe" (MG), die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) mit ihren Nebenund Vorfeldorganisationen, die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Rote Hilfe e. V." (RH), die "Kommunistische Plattform" (KPF) in der PDS sowie weitere trotzkische 72 73 Zusammenschlüsse mit teilweise bis zu 500 Mitgliedern. Diesem Spektrum werden bundesweit zurzeit etwa 28.000 bis 29.000 Mitglieder zugerechnet. Linksextremismus Linksextremisten bekennen sich grundsätzlich zur "revolutionären Gewalt". Sie setzen dabei überwiegend auf "legale Kampfformen" im Rahmen ihrer antidemokratischen Agitation und Propagandatätigkeit. Das Ziel, anstelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine sozialistisch/kommunistisch geprägte Diktatur zu errichten, bleibt erhalten. Sie wollen die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland beseitigen. Obwohl der Niedergang des real existierenden Sozialismus in Europa zu deutlichen Mitgliederverlusten beim linksextremistischen Potenzial geführt hat, lässt sich seit einigen Jahren jedoch eine Konsolidierung der organisierten Parteien und Gruppierungen feststellen. Die Annahme, der historische Niedergang des Sozialismus habe seine Ursache nicht im Marxismus-Leninismus, sondern nur in der mangelnden Ausführung einer an sich guten Idee, findet in jüngster Zeit vermehrt Zustimmung im Sympathisantenkreis dieser Organisationen. Zunehmend fallen auch frühere ideologische Abgrenzungen. Gewachsen ist die Bündnisfähigkeit - auch zwischen militanten und nichtmilitanten linksextremistischen Gruppen - bei bundesweiten Aktionen. Die Berührungsängste zwischen der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS und den militanten Autonomen sind kaum noch erkennbar. Ausländische und inländische kommunistische Parteien arbeiten zusammen. Die revolutionär-marxistischen Parteien und Organisationen werden neue Anhänger gewinnen. Zum einen ist ihre Ideologie nicht geächtet, zum anderen treten ihre Vertreter selbstbewusst auf und sind dabei, ihre Verbindungen und Strukturen insbesondere im europäischen Rahmen zu entfalten. Auch das vorhandene rechtsextremistische Potenzial im Bundesgebiet mit ihren vielfachen Strömungen und Spielarten trägt dazu bei, dass die linksextremistischen Gruppierungen nicht kleiner werden; ihnen gilt ihr besonderes Augenmerk im Rahmen der "Antifaschismus-Bewegung". In den neuen Ländern entladen sich Spannungen zwischen rechtem und linkem Potenzial hauptsächlich in Form von tagtäglichen, z. T. tätlichen Auseinandersetzungen. 3.2 Kommunistische Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) Die Kommunistische Plattform (KPF) ist ihrer Satzung nach ein Zusammenschluss innerhalb der Gesamtpartei. Gegründet wurde sie im Dezember 1989 von Kommunisten in der damaligen SED-PDS, um der Zersplitterung der Partei in so genannte K-Gruppen (kommunistische Gruppen) entgegenzuwirken. Die Mitstreiter der Plattform wollen kommunistisches Gedankengut stärker in die Programmatik und praktische Politik der Partei einbringen. Sie treten für ein breites linkes Bündnis unter Einbeziehung der Gewerkschaften, der Friedensbewegung, der Bürgerinitiativen und anderen politischen Bewegungen ein. Die Plattform strebt die Entwicklung einer sozialistischen Alternative zum "bestehenden kapitalistischen System" an. Die Zugehörigkeit zur KPF bestimmt sich danach, ob sich jemand mit ihren inhaltlichen Vorstellungen identifiziert und an der Arbeit der Plattform teilnimmt. Die KPF selbst ist demnach offen für alle, unabhängig von parteilicher oder sonstiger Bindung. Dies bedingt, dass die KPF im Gegensatz zu demokratischverfassten Parteien nicht mitgliedschaftlich organisiert ist. Das erklärt auch die Mitarbeit und offene Mitgliedschaft von Mitgliedern der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) in der KPF. Eine genaue Mitgliederstruktur und -stärke ist somit für Außenstehende nicht nachvollziehbar. Die Führung der KPF untergliedert sich in Bundeskoordinierungsrat Linksextremismus und Landeskoordinierungsräte. Das höchste Gremium der KPF auf Bundesebene ist die Bundeskonferenz. Diese tagt zweimal jährlich, bestimmt die Leitlinien der politischen Arbeit und wählt den Bundeskoordinierungsrat sowie die Mitglieder des Bundessprecherrates. Nach eigenen Angaben ist die KPF in zwölf Bundesländern, u. a. auch in Thüringen, aktiv. Sie hat bundesweit ca. 2.000 aktive Anhänger. Monatlich erscheinen die Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS. 74 75 Die KPF Thüringen Die KPF Thüringen konstituierte sich offiziell im März 1993 in Erfurt. Nach eigenen Angaben besitzt Linksextremismus sie 120 Mitglieder. Die Thüringer Plattform führte zwei Veranstaltungen mit der KPF-Sprecherin Ellen Brombacher durch: * am 8. März in Weimar "Was will die Kommunistische Plattform der KPF", * am 13. Dezember in Erfurt "Zu aktuellen Debatten in der PDS". Die Jenaerin Antje Jörgens ist Mitglied des Bundeskoordinierungsrates und kandidierte für die KPF bei der Landtagswahl. Neue Sprecher der KPF der PDS 2. Tagung der 9. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS Auf der 2. Tagung der 9. Bundeskonferenz der KPF am 19. Juni in Berlin dämpfte Sahra Wagenknecht die Erfolgsstimmung unter den Genossen: Bei der Europawahl am 13. Juni habe die PDS absolut 100.000 Stimmen verloren. Überhaupt könnte die PDS schon in ein oder zwei Jahren "ihr Bielefeld" erleben (wobei es sich - dieser Logik folgend - bei "Bielefeld" wohl um das "Godesberg" der Grünen handeln soll). Die Kompromisse der PDS als Regierungspartei in Mecklenburg-Vorpommern sicherten zwar einen "Rest von Einfluss". Dies sei aber gefährlich, denn es existiere - so Wagenknecht - "kein S. Wagenknecht Übel, zu dem es nicht noch ein jeweils größeres Übel gäbe". Die KPF-Sprecherin Ellen Brombacher thematisierte erneut die bevorstehenden Änderungen am Programm der PDS. Die darin fixierte Antikriegsposition müsse - mit Blick auf die "Nato-Aggression in Jugoslawien" - ohne Abstriche erhalten bleiben. Sie befürchtet aber, dass die Einschätzung des Kapitalismus "bis zur Unkenntlichkeit verwischt werden soll". Brombacher erwartet Versuche, "das klare Bekenntnis zur Legitimität" der "Existenz" der DDR in Frage zu stellen. Die KPF müsse sich Auffassungen widersetzen, wonach DDR-Strukturen dafür verantwortlich gemacht würden, "dass es im Osten heutzutage viele junge Neonazis gibt". Die Delegierten der 2. Tagung der 9. Bundeskonferenz wählten einen neuen Bundeskoordinierungsrat mit 23 Mitgliedern, darunter fünf Personen aus den alten Bundesländern und vier aus Thüringen. Dem neuen Bundessprecherrat gehören Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Jürgen Herold und E. Brombacher Friedrich Rabe an. Benjamin kontra Gysi Michael Benjamins Erwiderung auf Gregor Gysis Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus Der PDS-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Gregor Gysi, stellte am 3. August das ThesenLinksextremismus papier "Gerechtigkeit ist modern" - eine notwendige Antwort auf Gerhard Schröder und Tony Blair - vor. Es enthält Vorschläge zur Lösung der beherrschenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme. In der sozialistischen Tageszeitung Neues Deutschland vom 20. August liefert Michael Benjamin, Mitglied des Bundeskoordinierungsrates der Kommunistischen Plattform der PDS, eine Replik unter dem Titel "Zu wenig für eine Vision für das 21. Jahrhundert". Benjamin kritisiert an Gysis Thesen, dass darin "die Überwindung der Vorherrschaft des großen Kapitalismus außen vor" bleibe. Das Programm der PDS 76 77 hatte den Sozialismus dagegen unmittelbar mit der Überwindung "der Dominanz des kapitalistischen Eigentums" verbunden. Gysis Thesen würden diesen Zusammenhang zerreißen. Danach Linksextremismus müsse die Gesellschaft lediglich von der Dominanz der Kapitalverwertung befreit werden. Das große Kapital könne also bleiben. Man müsse seine Verfügungsmacht nur dort beschneiden, "wo sie dem Gemeinwohlinteresse zuwider laufe". Michael Benjamins Erwiderung auf Gregor Gysis Thesen So interessant die Erwägungen zum Umbau der Arbeitsgesellschaft auch seien, solange das Privateigentum die Gesellschaft dominiere, Arbeitskraft als Ware verkauft wird - argumentiert Benjamin - werde es hohe und niedrige Einkommen, werde es Lohnkämpfe, Streiks geben. Der sozialistische Versuch in der DDR werde mit Vokabeln wie "Gleichmacherei, Innovationsfeindlichkeit, unproduktiv verwendete öffentlichen Ausgaben" bezeichnet. Das sei aber "ahistorisch und ungerecht". Es ginge in dem Papier nur um eine Ehrenrettung des sozialdemokratischen Zeitalters mit seinen bröckelnden und zerfallenden Errungenschaften. Benjamin vermisst in dem Papier deutliche Worte zu den "zerstörerischen Kräften des realexistierenden Kapitalismus, zur Zerstörung ostdeutscher Strukturen, zu Rechtsradikalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus". So interessant die Aussagen "zur Veränderung der Konsumtionsweise" sind, genauso wichtig sei der Hinweis darauf, dass ein großer Teil der Bevölkerung heute seinen Lebensunterhalt fristen und sich erst einmal der Möglichkeit des Genusses enthalten muss. Für die weitere programmatische Debatte in der Partei wünscht sich Michael Benjamin zwar sozialistische Visionen - "nicht minder aber die nüchterne Bilanz von zehn Jahren gesamtdeutschen realen Kapitalismus". 3.3 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Die Bundespartei Die DKP wurde 1968 in Frankfurt am Main gegründet und hat ihren Sitz in Essen. Sie trat die Nachfolge der 1956 verbotenen KPD an und bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin. Die Parteiarbeit ist auf den "revolutionären Bruch mit dem kapitalistischen Profitsystem" gerichtet. Die DKP strebt die Errichtung der Diktatur des Proletariats an. Allein der Sozialismus - als erste Phase der kommunistischen Gesellschaft - sei die historische Alternative zum herrschenden System. Linksextremismus Derzeit gehören der Partei bundesweit etwa 6.700 Mitglieder an, davon etwa 260 in den neuen Ländern. Die DKP gibt als ihr Zentralorgan die Wochenzeitschrift Unsere Zeit (UZ) heraus. Eng arbeitet die Partei mit den Organisationen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) zusammen. Der Thüringer Landesverband der DKP Der Thüringer Landesverband hat seinen Sitz in Erfurt und verfügt über die DKP-Gruppen Erfurt, Ostthüringen, Nordthüringen, Westthüringen und Südthüringen. Ihm gehören 50 bis 100 Mitglieder an. Der Thüringer Landesverband gibt seit März die Publikation 78 79 Thüringenreport heraus. Das Informationsblatt der Deutschen Kommunistischen Partei soll monatlich erscheinen. Es will Mitglieder und Sympathisanten mit dem "Parteileben vertraut machen und immer mehr die Existenz und die Arbeit der DKP in Thüringen unterstreiLinksextremismus chen" (Thüringer DKP-Vorsitzender Horst Huther). Luxemburg-Liebknecht-Ehrung Bei den traditionell stattfindenden Ehrungen für Liebknecht und Luxemburg waren auch Genossen der DKP vertreten. Am 10. Januar in Suhl warf z. B. ein Mitglied der DKP Südthüringen Mitgliedern der SPD und Grünen vor, sie seien neue Mittäter bei der Verfolgung von Demokraten. Bei der Veranstaltung am 17. Januar am Erfurter Talknoten trat auch ein Mitglied der DKP Thüringen auf. Er betonte, dass die jetzige bürgerliche Gesellschaft dem Sozialismus/Kapitalismus weit unterlegen sei. Seine Rede schloss er mit den Worten: "Jeder der Anwesenden muss selber urteilen, ob die DDR 1989 der BRD beigetreten ist oder beigetreten wurde." Thüringer Jugend und DKP Nachwuchs schwer zu finden Am 13. Juni fand in Essen der jugendpolitische Ratschlag der DKP statt. Die Parteizeitung Unsere Zeit dokumentierte über mehrere Nummern die Reden dieser Veranstaltung. So druckte sie in der Ausgabe vom 3. September den Beitrag des Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Jugend Thüringen ab. Seit der "Zerschlagung der DDR" ist es - nach seiner Einschätzung - schwierig geworden, junge Mitglieder für "unsere Partei" zu finden. Daher sei es zu begrüßen, dass sich der Parteivorstand um "diese Zielgruppe" bemüht. Situation in Thüringen In den neuen Bundesländern soll, so der AG-Vorsitzende, nach dem Ende der DDR alles, was an diese Zeit erinnert, verschwinden. Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) verlor ihre Bedeutung. Die Jugendclubs kämpfen um ihr Dasein mit "neuen Fördermitteln". Jugendliche fän- den sich in Kneipen und Diskotheken wieder. Sie sind, wenn es ihnen an Eigeninteresse für politische Inhalte fehlt, für die Arbeit der Organisation verloren. Jugendbeauftragter der Partei Die Parteimitglieder seien in der Regel "viel älter", deshalb ist es vorteilhaft, einen Vertreter der Partei für diese Altersgruppe zu benennen. In Thüringen nehme er diese Aufgaben wahr. Der Jugendbeauftragte übernimmt * die Präsenz an verschiedenen Orten, z.B. durch Info-Tische, * die Teilnahme an politischen Treffen, gemeinsam mit der PDS und Antifa-Gruppen, um hier den Standpunkt der DKP zu vertreten, * die Koordination der AG Jugend in Thüringen (Untergliederung in Kreise, Bezirke), * "jugendgerechte Planungen", z. B. ein "politisches Wochenende". Diese Aktivitäten dienten dazu, junge Menschen für die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) oder die DKP als Mitglieder zu gewinnen. Die Treffen der AG Jugend Thüringen sollten monatlich stattfinden. Linksextremismus DKP sucht "mutige junge Revolutionäre" DKP, SDAJ, KPD, Roter Tisch der Kommunisten Ostthüringens auf dem Linken Medienspektakel in Suhl In Suhl hatte der Ortsverband der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) das 7. Linke Medienspektakel mit vielen politischen und kulturellen Veranstaltungen organisiert. Zahlreiche politische Gruppierungen präsentierten sich am 29. Mai mit Informationsständen, so auch die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) und der Rote Tisch der Kommunisten Ostthüringens. Am "Roten Tisch" sitzen Mitglieder der KPD, DKP, der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS und der SDAJ. 80 81 DKP-Angehörige konnten an ihrem Stand bereits das Juniheft des Thüringenreports vorstellen. Darin wird des 50. Jahrestages der Nato "gedacht", die Erwerbslosenstatistik interpretiert und etwas DDRNostalgie betrieben ("Auferstanden aus Ruinen ..."). Auf einem FlugLinksextremismus blatt sucht die DKP Gruppe Erfurt, nicht ohne - wohl unfreiwillige - Komik, nach mutigen Revolutionären, "die die alte Welt aus den Angeln heben wollen", und bietet dafür "eine marxistische Partei, die den Klassikern treu geblieben ist und ihre Lehren schöpferisch anwendet". Zahlreiche politische Gruppierungen präsentierten sich mit Infoständen Erkennungszeichen des 7. Linken Medienspektakels Die SDAJ Thüringen/Sachsen präsentierte sich mit einem Solidaritätsaufruf für Kuba. Brigaden der "SDAJ (BRD)" wollen beim Aufbau der Ambulanz einer kubanischen Universität helfen. Die Genossen der KPD boten ihre Zeitung Die Rote Fahne zum Kauf an. Exkurs: Positionen der DKP gegenüber der PDS Zwischen DKP und verschiedenen Gliederungen der PDS erfolgte auch 1999 eine bundesweite Zusammenarbeit in vielfältigen Formen. Dies geschah vorwiegend durch die Teilnahme an Aktionsbündnissen. Darüber hinaus gab es Gespräche zwischen Vertretern der Vorstände von DKP und PDS, insbesondere bei den jährlich mehrfach stattfindenden Spitzentreffen von Funktionären beider Parteien. Vor allem auf regionaler und örtlicher Ebene unterhalten DKP und PDS intensive Kontakte. Bei Kommunalwahlen in einigen Ländern und bei der Europawahl am 13. Juni kandidierten Mitglieder der DKP auf offenen Wahllisten der PDS. Besonders enge Kontakte bestehen zwischen der Kommunistischen Plattform der PDS und der DKP. Zwischen der KPF der PDS und der DKP in Thüringen gibt es ein produktives wechselseitiges kameradschaftliches Verhältnis. Am 28. September 1998 erklärte der DKP-Vorsitzende Stehr in eiLinksextremismus nem Interview in der Zeitung Neues Deutschland folgendes: "Ich sehe ... die PDS eher als Partnerin, weil in wesentlichen politischen Fragen eine Zusammenarbeit stattfindet. Das verlangen einfach die Verhältnisse. Aber im Kampf um die Köpfe konkurrieren wir natürlich. DKP und PDS unterscheiden sich in Strategie und Taktik." Auf der 5. Tagung des Parteivorstandes der DKP am 7. Februar in Essen äußerte sich Rolf Priemer, stellvertretender Vorsitzender der DKP, in diesem Sinne: "... wir halten eine kommunistische Partei in Deutschland für notwendig, die festhält am sozialistischen Ziel ... und die ihr theoretisches Fundament in der schöpferischen Anwendung und Weiterentwicklung der Theorie von Marx, Engels und Lenin für unsere heutigen Kampfbedingungen hat." Eine solche Partei wolle aber laut Priemer die PDS nicht sein. 82 83 Laut Satzung der Kommunistischen Plattform der PDS ist die KPF ein offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der PDS. Die der KPF der PDS zugehörigen Genossinnen und Genossen bekennen sich zum Sozialismus als Ziel einer längst Linksextremismus notwendigen gesellschaftlichen Umgestaltung, zu der sich verändernden Arbeiterklasse als der dafür entscheidenden Kraft. Sie stellt sich dem Erbe von Marx, Engels und Lenin, den theoretischen Erkenntnissen und Erfahrungen der Arbeiterbewegung. Gegen einen inhaltlichen Vergleich von PDS und DKP wendet Priemer jedoch ein: "Die PDS ist aus der SED hervorgegangen, die sich als marxistisch-leninistische Partei verstand. Dieser Werdegang hat zur Folge, dass ein Teil der PDS-Mitgliedschaft noch in kommunistischen Traditionen steht, wenn auch die Partei als ganze nicht-kommunistisch ist. Den weiter in der PDS wirkenden Genossinnen und Genossen, die sich als Kommunisten verstehen, ist der gute Glaube und der gute Wille zuzubilligen, in der PDS für kommunistische Positionen wirksam sein zu können. Allerdings sehen wir auch die Gefahr, dass die Tatsache der Existenz kommunistischer Gruppierungen in der PDS - die im Übrigen auf der Politik der Parteiführung de facto kaum Einfluss haben - von der nicht-kommunistischen Parteiführung als Hebel benutzt wird, um die Einheit und Konsequenz der kommunistischen Parteien international und der DKP in Deutschland aufzubrechen und zu 'sozialdemokratisieren' bzw. eine pluralistische Richtung zu drängen." Weiterhin führte Priemer aus: "Insoweit die PDS oder einzelne ihrer Repräsentanten bzw. Teile der Mitgliedschaft inhaltlich mit den Aktionszielen der DKP übereinstimmen und zu einer Zusammenarbeit bereit sind, ist eine Kooperation anzustreben. Dies gilt vor allem für die parlamentarische Ebene, wo die PDS sich artikulieren kann. Solange die PDS ... nicht insgesamt eine Abgrenzung gegen die Kommunisten vollzieht, ist es bei Wahlen eine richtige Strategie, die PDS bei der Eroberung von Mandaten zu unterstützen. Die DKP tritt für eine Sammlung und Bündelung der Linkskräfte ein, für die Stärkung der Linkskräfte und nicht zuletzt der DKP. Im Verhältnis zur PDS kommt es der DKP darauf an, dass sie in einem linken Bündnis nicht ihr eigenes Profil verliert oder nicht mehr zeigen kann. Sie darf auch erwarten und muss verlangen, dass dieses, ihr kommunistisches Profil von der PDS respektiert wird, wenn es um Kooperation geht. Wir sollten uns nicht nur zentral, sondern vor allem auch regional und lokal um Gespräche mit der PDS bemühen und prüfen, welche Möglichkeiten sich auf verschiedensten Feldern zur Zusammenarbeit ergeben." Im Oktober entflammte eine kontroverse Diskussion zum Verhältnis DKP/PDS, die diesem Thema eine völlig neue Prägung verlieh. In einem Interview mit der Deutschen Presseagentur (dpa) am 16. Oktober forderte ein führender Vertreter der PDS die DKP auf, bei Wahlen künftig nicht mehr zu kandidieren. Die DKP sei überflüssig; das wisse die DKP selbst. Der geforderte Verzicht auf Kandidaturen kommt einer Aufforderung zur Selbstauflösung gleich. Mit einem Wahlverzicht würde sich die DKP selbst auflösen, denn eine Partei, die sechs Jahre lang nicht bei Wahlen antritt, verliert ihren Parteistatus. Das Motiv solcher Äußerungen liegt in dem Wunsch, des Westaufbau der eigenen Partei zu beschleunigen, für den er zuständig ist und der bislang nur schleppend verläuft. Während die DKP im Westen auf ca. 6.000 Mitglieder blicken kann, gehören der PDS dort lediglich ca. 3.200 an. Diese Äußerungen lösten sowohl in der PDS als auch in der DKP unterschiedliche Reaktionen aus. Die Kritiker in den eigenen Reihen fürchten vor allem, dass das kritische aber solidarische Verhältnis zur DKP zu offensichtlich würde. So erklärte Bernd Rump, PDS-Vorstandsmitglied, dass die PDS in eine Nähe zur DKP gerückt werde, die Linksextremismus nicht zu wünschen sei. Auch die übrigen Vorstandsmitglieder der PDS wandten sich gegen eine Bevormundung der DKP. So warnte u. a. Michael Benjamin von der Kommunistischen Plattform davor, den Anschein zu erwecken, die PDS sei antikommunistisch. Weitere Stimmen wiesen darauf hin, dass die DKP nicht Hauptzielgruppe der PDS sei. Man könne aufgrund der Unterschiede zwischen beiden Parteien nicht automatisch davon ausgehen, dass DKP-Anhänger PDS wählen, wenn die DKP auf eine Kandidatur verzichtet. 84 85 3.4 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Bundesund Landesverband Linksextremismus Die Organisation wurde 1968 in Essen gegründet und ist eng mit der DKP verbunden. Bundesweit gibt es etwa 300 Mitglieder der SDAJ, in Thüringen sind es nur einige wenige. Die Thüringer Landesgruppe gründete sich im Dezember 1996. 1998 verband sie sich mit der SDAJ-Sachsen zur Landesgruppe Thüringen/Sachsen. "Rot, Frech, Radikal" - Pfingstcamp in Marburg Vom 21. Mai bis 24. Mai führte die Organisation in Marburg/Hessen das Pfingstcamp unter dem Motto "Rot, Frech, Radikal ins nächste Jahrtausend - Die Zukunft muss sozialistisch sein" durch. Die Teilnehmer diskutierten u. a. zu den Themen Erstarkung der Neonazigruppen im Osten, Antimilitarismus und Arbeiterjugendpolitik. Veranstalter des Camps waren die SDAJ Thüringen/Sachsen, Hessen, Rheinland und Saarland. Jugendkonferenz gegen Militarismus und Krieg Laut DKP-Zeitschrift Unsere Zeit vom 19. November fand eine "Jugendkonferenz gegen Militarismus und Krieg" der SDAJ am 6. November in Hamburg statt. Unter den rund 100 Teilnehmern befand sich auch der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr. Die Redner stellten fest, der imperialistische Gegner stehe heute wie vor 80 Jahren im eigenen Land. Dagegen solle sich eine "Friedensbewegung" neu formieren. 3.5 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Die 1982 in Bochum gegründete MLPD hat ihren Sitz in Gelsenkirchen. In ihren ideologischen Positionen bezieht sie sich nicht nur auf Marx, Engels, Lenin, sondern auch auf Stalin und Mao Tse-tung. Einen Staat wie die Bundesrepublik Deutschland lehnt die Partei ab. Ihr geht es um den "Sturz des Monopolkapitalismus und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft". Nach eigenen Angaben gehören ihr bundesweit 2.600 Mitglieder an. Der Jugendverband Rebell und die Kinderorganisation Rotfüchse sind die Nebenorganisationen der MLPD. Die Zeitschrift Rote Fahne - zentrales publizistisches Organ der Partei - erscheint wöchentlich in einer Auflagenhöhe von 7.500 Exemplaren. Stefan Engel, Vorsitzender der MLPD Linksextremismus VI. Parteitag der MLPD Neues Programm der Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) angenommen "Vor kurzem führte die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands ihren VI., den Gelsenkirchener Parteitag durch", teilt die Wochenzeitung der MLPD Rote Fahne vom 17. Dezember mit. Sie verschweigt ihren Lesern aber die genaue Zeitund auch die Ortsangabe. Darüber waren - entsprechend der konspirativen Tradition der kommu86 87 nistischen Internationale - nur die betroffenen Parteimitglieder informiert. Der Verweis auf Gelsenkirchen erinnert nur daran, dass der Bundesverband seinen Sitz in dieser Stadt unterhält. Linksextremismus Einen Schwerpunkt des Parteitages bildete das neue Parteiprogramm. Diskussionsgruppen im gesamten Bundesgebiet hatten sich bereits mit dem Entwurf beschäftigt. In Thüringen trafen sich die Aktivisten von Mai bis Oktober in Eisenach und Sonneberg. Wenig überraschend, dass die Delegierten das neue Programm einstimmig bestätigten. Es zielt auf eine von Ausbeutung und Unterdrückung befreite Gesellschaft ab, also auf einen "echten Sozialismus". Der Weg in die Diktatur des Proletariats Während ihres Parteitages wählten die Delegierten das Zentralkomitee, die Zentrale Kontrollkommission und die Zentrale Revisionskommission. Nach ihrem Parteitag will sich die Partei einem neuen Selbstveränderungsprozess unterziehen, der die folgenden Punkte umfasst: * Verbreitung des neuen Parteiprogramms, * Höherentwicklung der dialektischen Einheit von Partei und Massen, * Stärkung des Jugendverbands Rebell, * Umsetzung der Losung "Organisiert Euch", * systematischer Aufbau der MLPD in allen Regionen Deutschlands. Für den Übergang zum Sozialismus haben sich die Delegierten der MLPD auf einen Fahrplan verständigt: * Eintritt in eine Arbeiteroffensive, * Herbeiführen einer akut revolutionären Situation, * Umwandlung der MLPD in eine Massenpartei, * Steigerung zu einer revolutionären Massenpartei, * Sturz der Diktatur der Monopole, * Errichtung der nächsten Diktatur, nämlich der des Proletariats. Die MLPD in Thüringen Bis zu 50 Thüringer Mitglieder gehören dem Landesverband ElbeSaale (Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) an. Im Rahmen der bundesweiten Proteste gegen den Krieg in Jugoslawien initiierte die MLPD so genannte "Dienstagsaktionen". Der Angriffsbefehl des Nato-Generalsekretärs war an einem Dienstag, dem 23. März, gegeben worden. Die erste "Dienstagsaktion" in Eisenach fand laut Rote Fahne 15/99 am 20. April statt. In Sonneberg und Eisenach gründeten sich Vorbereitungsgruppen für das "9. Internationale Pfingstjugendtreffen", das die MLPD am 22./23. Mai in Gelsenkirchen unter dem Motto "Für die Zukunft der Jugend weltweit" veranstaltete. - Anlässlich des 10. Jahrestages der Grenzöffnung organisierte die MLPD-Ortsgruppe Sonneberg für den 27. November eine Gedenkfeier. Die MLPD ist praktisch bedeutungslos. 3.6 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Eine Partei der neuen Bundesländer Im Januar 1990 gründeten ehemalige SED-Mitglieder in Berlin die KPD, deshalb wird sie auch als KPD/Ost bezeichnet. Sie stellt sich in die Tradition der Thälmannschen KPD, die sich im Jahre 1946 mit Teilen der SPD zur SED vereinigt hat. Ideologisch basiert diese Partei auf dem Marxismus-Leninismus und verfolgt das Ziel einer kommunistischen Gesellschaft. Folglich lehnt sie das "undemokratische", Linksextremismus "kapitalistische" System der Bundesrepublik ab. Die KPD, mit ihrem Vorsitzenden Werner Schleese, agierte bisher allein in den neuen Ländern, ihre Mitgliederzahl liegt bundesweit unter 200. Die Zeitschrift Die Rote Fahne, das zentrale Publikationsorgan der Partei, erscheint monatlich. Der KPD-Landesorganisation Thüringen gehören nur wenige Mitglieder an. Erreichbar ist sie nur über das ZK der KPD in Berlin. Der 20. Parteitag der KPD Die Delegierten des "20. Parteitages der KPD"2 am 27./28. März in Rüdersdorf/bei Berlin stellten fest, dass die Partei wieder beim Marxismus-Leninismus angekommen sei (Die Rote Fahne, April 1999). 88 89 Im Vorfeld des Parteitages habe es eine zweijährige Phase gegeben, bei der es viele Diskussionen, zuweilen auch harte Auseinandersetzungen im Zentralkomitee und in einigen Organisationsstrukturen gegeben hat. Es gab ernsthafte Differenzen mit jenen Genossen, die Linksextremismus versuchten, die KPD von ihrem marxistisch-leninistischen Kurs abzudrängen. In Rüdersdorf lagen den Delegierten der Entwurf eines marxistisch-leninistischen Programms, eines veränderten Statuts und veränderte Ordnungen für die Schiedskontrollkommission und die Finanz-Revisionskommission zur Abstimmung vor. Das neue Parteiprogramm verabschiedeten die Delegierten mit großer Mehrheit. Es soll dazu dienen, die Partei zu einer revolutionären, marxistisch-leninistischen kommunistischen Partei leninschen Typs zu entwickeln. Die Partei will sich verstärkt gegen antikommunistische, revolutionistische und reformistische Kräfte, auch gegen die DKP und die PDS, wenden. Die Rote Fahne in Viernau Die KPD veranstaltete auch 1999 für ihre Zeitschrift Die Rote Fahne ein Leserforum. Das 4. Leserforum zum Thema "50. Jahrestag" fand am 2. Oktober 1999 in Viernau/Lkr. Schmalkalden-Meiningen statt. Die Teilnehmer kamen laut Die Rote Fahne November 1999 "einstimmig" zu dem Schluss, "dass mit der DDR mehr als nur ein Staat beseitigt wurde". An diesem Forum beteiligten sich sowohl Mitglieder der DKP als auch Sympathisanten der KPD. 3.7 Rote Hilfe e. V. (RH) Die "Rote Hilfe e. V." (RH) nimmt kommunistische Traditionen aus den zwanziger Jahren auf. Sie wurde im Jahre 1974 als Vorfeldorganisation der ehemaligen stalinistisch ausgerichteten Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) gegründet. Heute bezeichnet sich die RH als parteienunabhängig und arbeitet als Rechtsund Hafthilfeorganisation. Dabei unterstützte sie auch 1999 linksextremistische Straftäter. Sie sieht ihre Aufgabe darin, "Solidaritätsund Antirepressionsarbeit" zu leisten. In der RH sind - nach eigenen Angaben - bundesweit etwa 3.500 Mitglieder organisiert. Sie gliedert sich in etwa 30 Ortsbzw. Regionalgruppen. Eine der Ortsgruppen befindet sich nach Angaben der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift Die Rote Hilfe in Erfurt. Im Jahr 1999 startete die Rote Hilfe e. V. die "Kampagne 5.000 plus X - Werde auch du Mitglied in der Roten Hilfe!" Sie hat sich zum Ziel gesetzt, zu Beginn des Jahres 2000 einen Mitgliederstand von mehr als 5.000 Personen zu erreichen. 3.8 Roter Tisch der Kommunisten Thüringens Am Roten Tisch der Kommunisten Ostthüringens treffen sich neben Parteilosen auch Mitglieder der DKP, der SDAJ, der KPD, der MLPD, Linksextremismus der Kommunistischen Plattform der PDS und des Deutschen Freidenkerverbands, der, nach eigenem Bekunden, "die Interessen aller nicht religiösen Menschen vertritt". Über Parteiund Verbandsgrenzen hinweg will dieser "offene Zusammenschluss" eine Aktionseinheit schaffen, die mit dem gemeinsamen Auftreten bei politischen Veranstaltungen beginnt. Positionspapier des Roten Tisches Im Juni tauchte ein Positionspapier ("Grundsätze und Ziele") des Roten Tischs der Kommunisten Ostthüringens auf. Danach setzt sich der Rote Tisch der Kommunisten Ostthüringens zum Ziel, "die Zersplitterung der linken Kräfte ... Schritt für Schritt durch gemeinsame 90 91 Gespräche, Terminkoordination und Aktion zu überwinden". Kommunisten fassen sich danach nicht als "besondere Partei gegenüber den anderen Arbeiterparteien" auf, sondern stellen sich in den Dienst der "Gesamtbewegung" mit dem Ziel "Sturz der Bourgeoisie, ErobeLinksextremismus rung der Macht durch das Proletariat". Dieses soll "der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital entreißen, die Hauptproduktionsmittel in die Hände des Volkes ... legen". Die einzelnen Gruppierungen (DKP, SDAJ, KPD, MLPD, KPF) wollen ihre voneinander abweichenden Positionen gegenseitig tolerieren, im Zentrum des Interesses stehen praktische Fragen wie die Koordinierung von Terminen, die gegenseitige Unterstützung bei Aktionen, Demonstrationen, Info-Tischen oder die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften. Das Positionspapier bietet eine Beschreibung der gegenwärtigen Situation an. Danach leben wir in einer "kapitalistischen Gesellschaftsformation". Der "staatsmonopolistische Kapitalismus" hat seine Produktionsverhältnisse weltweit ausgebreitet. Die "weitere Entfaltung der Produktivkräfte ... innerhalb der alten Gesellschaft verschafft den Widerspruch zu den Produktionsverhältnissen bis hin zu deren notwendigen Umgestaltung". - Hier befinden wir uns im Zentrum der marxistischen Erlösungslehre alten Stils. Die Geschichte ist also wieder die "Geschichte von Klassenkämpfen". Die Autoren des Positionspapiers vergessen dabei nicht, die "Klasse" - getreu ParteilehrjahrUnterlagen aus eigentlich vergangen geglaubten Zeiten - exakt zu definieren. Mit diesem Rüstzeug fällt es nicht schwer, die Notwendigkeit des Klassenkampfes zu "beweisen". Aktionen des Roten Tisches Angehörige des Roten Tisches nahmen an Demonstrationen gegen den Nato-Einsatz in Ex-Jugoslawien am 26. März in Erfurt teil. Anlässlich der Feierlichkeiten zum 54. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald artikulierten sie sich am 11. April mit einem Transparent. Es trug die Aufschrift "Gebot der Zeit - Aktionseinheit Roter Runder Tisch der Kommunisten aus Thüringen". Am 29. Mai präsentierte sich der "Rote Tisch" beim 7. Linken Medienspektakel in Suhl. 3.9 Linksextremistische Parteien und Organisationen bei den Wahlen Die linksextremistischen Parteien und Organisationen beteiligten sich nicht an der Landtagswahl 1999. Weder die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) noch die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) hatten eigene Direktkandidaten aufgestellt. Auch der Versuch des Roten Tisches der Kommunisten, eines Zusammenschlusses kommunistischer Einzelmitglieder, der Antifa und Parteilosen sowie der Kommunistischen Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), an den Wahlen mit einer Kommunistischen Liste teilzunehmen, scheiterte bereits im Vorfeld. Lediglich der KPF gelang es, auf der Landesliste der PDS auf Platz 41 ihre Wahlbewerberin zu plazieren. Die DKP nutzte eine Wahlveranstaltung der PDS in Gera, um mit einem eigenen Informationsstand für ihre Ziele zu werben. Kommunistische Plattform (KPF) der PDS Für die KPF kandidierte die Studentin Antje Jörgens, Jena, auf Platz 41 der - 44 Bewerber umfassenden - Landesliste. Jörgens wurde auf der 1. Tagung des 5. Landesparteitages der PDS Thüringen am 6. Dezember 1998 in den erweiterten Landesvorstand und auf der PDSVertreterversammlung am 12./13. März als Kandidatin für die Landtagswahl gewählt. Während der 2. Tagung der 9. Bundeskonferenz Linksextremismus der KPF am 19. Juni in Berlin wurde sie in den Bundeskoordinierungsrat gewählt. Zur Landtagswahl stellte sich Jörgens mit einem Kandidatenbrief im Internet vor. Aus einem Informationsblatt der PDS zu ihrer Person geht hervor, dass sie seit Ende 1998 die Kommunistische Plattform der PDS im Landesvorstand vertritt. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Die DKP mit ihren 50 bis 100 Mitgliedern in Thüringen nahm nicht mit eigenen Kandidaten an der Wahl teil. Die Partei rief ihre Mitglieder und Anhänger dazu auf, die PDS zu wählen und verbreitete auf dem PDS-Friedensfest am 29. August in Gera eigene Publikationen, 92 93 u. a. das Parteistatut der DKP und die Thesen zur Programmatischen Orientierung der Partei aus dem Jahr 1993. Im Zentralorgan der DKP Unsere Zeit (UZ) Nr. 36 vom 10. September äußerte sich ein Mitglied der DKP-Thüringen zur Landtagswahl: Linksextremismus "Dennoch ist die PDS nicht 'nur' als einzige konsequente Antikriegspartei, sondern auch wegen ihrer Programmatik hinsichtlich der Verbesserung der Lebensgrundlagen im Land (Freistaat) Thüringen die einzige Alternative. Eine eigenständige Kandidatur der DKP, so wurde am 30. Januar 1999 vom Landeskoordinierungsrat eingeschätzt, ist zum jetzigen Zeitpunkt sowohl wirtschaftlich als auch personell noch nicht möglich". Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Die KPD kandidierte nicht zur Landtagswahl 1999 in Thüringen. Die erst 1990 in Berlin (neu) gegründete Partei basiert ideologisch auf dem Marxismus-Leninismus und verfolgt als Ziel eine kommunistische Gesellschaft. Ihr Verhältnis zur PDS ist gestört, da sie der Partei einen Verrat an der DDR im Jahr 1989 vorwirft. Die KPD betrachtet sich als alleinige Vertreterin der Arbeiterklasse, die konsequent den Marxismus-Leninismus vertritt. So verwundert es nicht, dass ein Wahlaufruf, die PDS zu wählen, unterblieb. Marxistische-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Auch die MLPD trat nicht mit eigenen Kandidaten zur Landtagswahl an. Weil bei der Landtagswahl keine Partei antrete, die sich für die "Interessen der Massen" einsetzt, rief sie dazu auf, "bewusst ungültig zu wählen" (Rote Fahne vom 10. September). Zur Bundestagswahl 1998 hatte die Partei in zwei Wahlkreisen mit Direktkandidaten kandidiert. Sie erhielten jedoch nur 0,14 % der Stimmen im Wahlkreis Meiningen/Sonneberg und 0,16 % der Stimmen im Wahlkreis Eisenach/Mühlhausen. I reBESa 95 3.10 Exkurs: 50 Jahre DDR Würdigung durch linksextremistische Organisationen Linksextremismus Wenn die Sprecher der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS auch die DDR "in Trauer" gegen ihre Kritiker verteidigten, so fehlte es ihnen doch nicht an einer kritischen Sicht ("Zorn") auf die destruktiven Elemente der SED-Herrschaft. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD-Ost) macht hingegen die Abkehr der Staatsführung vom Stalinismus für den Untergang der DDR verantwortlich. Für die Genossen der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) haben der deutsche und internationale Kapitalismus und Imperialismus den ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden vernichtet. Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) spricht nur vom Untergang eines "bürokratischen Kapitalismus". Auch an eigenem Versagen gescheitert Differenzierte Einschätzung der DDR durch Sprecher der Kommunistischen Plattform Michael Benjamin, Sprecher der Kommunistischen Plattform der PDS, bekundete in einem Interview mit der jungen Welt vom 7. Oktober - 50 Jahre nach der Gründung der DDR - "Trauer und Zorn über den Verlust eines Staates, der sich zu Frieden und Antifaschismus bekannte", in dem es "mehr Wärme gab und keine Ellenbogenmentalität, mehr Solidarität und weniger Egoismus". Gescheitert sei die DDR an "einem ökonomisch und militärisch überlegenen Gegner". Aber auch an eigenem Versagen, "vor allem jener, die Verantwortung trugen", an ihrem "Mangel an ernsthafter Mitgestaltung und Kontrolle, fehlender Offenheit". Es habe an dem Vermögen gefehlt, "notwendige Veränderungen in die Wege zu leiten und an der dazu vielleicht erforderlichen Konfliktbereitschaft". Besonders ein "hypertrophiertes Sicherheitsdenken und Verletzungen der eigenen Gesetze" hätten das Vertrauen der DDR-Bevölkerung, das es "ihrem Staat bis in die achtziger Jahre hinein entgegenbrachte, verspielt". Bild links: Kundgebung in Berlin zur Gründung der DDR Ohne Trommler und Blechbläser "Entschuldigung, wir gratulieren" - eine Veranstaltung der KPF zum 50. Jahrestag der DDR-Gründung Wie junge Welt und Neues Deutschland vom 11. Oktober berichteten, hatte die Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS für den 9. Oktober zu einem Treffen in den Großen Saal des Hauses am Köllnischen Park in Berlin gebeten, etwa 500 "Gratulanten" folgten der Einladung. "Wir werden nicht vergessen, dass es ohne die Deutsche Bank ging", so die KPF-Sprecherin Ellen Brombacher. "Wir werden es uns nicht nehmen lassen, Bewahrenswertes ebenso zu benennen wie Kritikwürdiges". Der Nato-Krieg gegen Jugoslawien wäre - gibt die junge Welt wieder - zu Zeiten der DDR-Existenz nicht möglich gewesen. An der Veranstaltung nahmen viele Vertreter aus Politik und kulturellem Leben teil, die der KPF nicht angehören, so der ehemalige DDRStaatsratsvorsitzende Egon Krenz und der stellvertretende Kulturminister der DDR Klaus Höpke. Ein chilenischer Sänger, der in der DDR sein Exil verlebte, trat auf, "DDR-deutsche" Kollegen trugen Lieder von Brecht und Eisler vor. Vor der Tür des Hauses erklangen dagegen Biermann-Lieder aus dem Lautsprecher. Die Gruppe "Jugendliche in der PDS" hatte sich hier postiert und entrollte ein Transparent mit der Aufschrift "EntschuldiLinksextremismus gung, wir wollen Sozialismus statt DDR". Wir ergeben uns nicht! Der KPD-Vorsitzende Werner Schleese zum 50. Jahrestag der DDR "Man wird einfach die DDR nicht los, obwohl sie kurz nach ihrem 40. Jahrestag konterrevolutionär beseitigt wurde", das sei - so Die Rote Fahne in ihrem Oktoberheft - "für die Machthaber der BRD" ein Grund "zum Verrücktwerden". Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD-Ost), eine Anfang 1990 von ehemaligen Mitgliedern der Sozialistischen Einheitspartei 96 97 Deutschlands (SED) gegründete marxistisch-leninistische Partei, hält die DDR für "das Beste, was die deutsche Arbeiterklasse je hervorgebracht hat". Diese sei "ein sozialistischer Staat mit allen Möglichkeiten zur weiteren gesellschaftlichen Ausgestaltung" gewesen. Sie Linksextremismus war keinesfalls nur ein "Experiment" und sei nicht "an dieser oder jener Schwäche ... 'gescheitert'", sondern "von außen vor allem der Konterrevolution zum Opfer gefallen". Die so "zeitweilig Besiegten aber ergeben sich nicht. ... Sie wollen genauer wissen, was wirklich hinter den Kulissen geschah", wollen den "Lügenvorhang ... zerreißen". "Die entscheidende Ursache für jahrzehntelangen Revisionismus, für die Abkehr vom Marxismus-Leninismus und damit den Verrat an der Arbeiterklasse" hätten "Chruschtschow und seine Clique mit ihren Lügen über Stalin" geliefert. "Vom XX. Parteitag der KPdSU ausgehend vollzog sich so bis zum endgültigen Verrat Gorbatschows eine ständig eskalierende revisionistische Entwicklung, die der Klasse ihres stärksten Kampfmittels beraubte." Die Rote Fahne empfiehlt "all jenen ehemaligen Funktionären der DDR und der SED, die gegenwärtig wieder den Büchermarkt mit ihren Erinnerungen bereichern", zu dieser "Grundursache für den zeitweiligen Sieg der Konterrevolution vorzustoßen". Die KPD habe begonnen, die Geschichte der deutschen Arbeiterklasse neu zu bewerten und zu schreiben, "ganz im Sinne aller DDR-Bürger, die nicht bereit sind, sich dem imperialistischen System zu ergeben ..." Seit ihrer Gründung auf der Vernichtungsliste Aus einem Referat auf der Konferenz "Die DKP und der 50. Jahrestag der Gründung der DDR" Die Wochenzeitung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) Unsere Zeit (UZ) druckte in ihrer Ausgabe vom 15. Oktober ein während der Konferenz am 2. und 3. Oktober in Berlin gehaltenes Referat ab, worin Gert Julius die Stellung der DDR in der Geschichte bewertete. Die DDR, der "letzte Friedensstaat in Deutschland" habe "von ihrer Gründung an auf der Vernichtungsliste des deutschen und interna- tionalen Kapitalismus und Imperialismus" gestanden. Die "durch amerikanische Hilfe entstandenen Lebensverhältnisse im Westen Berlins und Deutschlands hätten zu dem "Exodus von Facharbeitern und anderer lebenswichtiger Bevölkerungsgruppen" und damit zu einer Destabilisierung der DDR geführt. Da sei der SED-Spitze nur der Mauerbau geblieben, um ihren Staat vor dem Kapitalismus zu bewahren. Die DDR-Bevölkerung habe aber "der Werbung im Westfernsehen mehr vertraut als einer künftigen sozialistischen Entwicklung". Die durch die Sowjetunion eingeleitete Auflösungsbewegung der sozialistischen Länder sei auch für den Zusammenbruch der DDR verantwortlich gewesen. Immerhin hätten während des Übergangs "verantwortliche Politiker ein sinnloses Blutvergießen in aussichtsloser Situation vermieden". Den Vorwurf, in der DDR hätten die Machthaber die Menschenrechte missachtet, lässt Julius nicht gelten. Er unterscheidet nämlich zwischen bürgerlichen Grafik aus: "UZ", und sozialen Menschenrechten. Letztere 15. Oktober 1999 (das Recht auf erschwinglichen Wohnraum, auf Arbeit, auf kostenlose mediziLinksextremismus nische Versorgung, auf preisgünstige Nahrungsmittel usw.) seien in der DDR gewährleistet gewesen. Und die Kritik an dortigen Verhältnissen wolle er denen überlassen, die dort gelebt haben. Vom bürokratischen zum Monopol-Kapitalismus Die "Rote Fahne", Wochenzeitung der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) zum 50. Geburtstag der DDR In der DDR habe sich mit ihrer Gründung - gemeinsam mit der "damals sozialistischen Sowjetunion" (SU) - "ein hoffnungsvoller Über98 99 gang zur ersten sozialistischen Gesellschaft auf deutschem Boden" abgezeichnet. Doch im Jahr 1956 ergriff in der SU "eine entartete Bürokratenklasse die Macht", die DDR-Führung sei ihr hierin "willfährig" gefolgt. "Es entstand ein bürokratischer Kapitalismus, in dem Linksextremismus die neue herrschende Klasse mit dem SED-Parteibuch in der Tasche die Arbeiterklasse" aus der Machtposition verdrängte und ausbeutete. "Zur Vertuschung des kapitalistischen Charakters des Systems" seien "verschiedene sozialistische Errungenschaften vorerst aufrecht erhalten" worden. Der technologische Rückstand zum Westen habe in den 80er Jahren aber dazu geführt, dass auch diese abgebaut wurden. Die Wiedervereinigung schätzt die Rote Fahne als "Folge der demokratischen Volksbewegung" ein. Es habe aber keine Revolution stattgefunden. "An die Stelle der bürokratischen Kapitalisten trat das deutsche Monopolkapital." Die MLPD schließt "aus der Entartung der Bürokratie im Sozialismus", dass der Sozialismus nur siegen könne, wenn eine "proletarische, sozialistische Denkweise" vorherrsche. Dafür sei "die Kontrolle über die Denkweise der verantwortlichen Bürokratie auf allen Ebenen" notwendig. Die MLPD will - der Roten Fahne zufolge - "pünktlich zum Beginn des Jahrtausends" eine Offensive der Parteiarbeit starten und sich besonders in den neuen Bundesländern engagieren. Die Wahlentscheidung zwischen "Rote Fahne": PDS und CDU/CSU interpretiert die Wiedervereinigung ist Zeitung dagegen als eine "zwischen "Folge der demokratischen Pest und Cholera". Volksbewegung" 4. Autonome 4.1 Allgemeines Ende der siebziger Jahre bildeten sich in der Bundesrepublik die ersten autonomen Gruppen. Heute agieren Autonome in fast allen größeren Städten, insbesondere in Ballungsgebieten wie Berlin oder dem Rhein-Main-Gebiet. Bundesweit gibt es mehr als 6.000 gewaltbereite Autonome. Der Begriff des Autonomen bedeutet, nach eigenen Gesetzen lebend. Ein selbstbestimmtes Leben ohne "Bestimmungen", also ohne Gesetze, ist ihr Ziel. Staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet die paradoxe Devise. Ihre individuelle Befindlichkeit mündet in eine generelle Anti-Haltung. Autonome haben folglich keine festen ideologischen Vorstellungen. Anarchistische Elemente mischen sich in ihren Ansichten mit nihilistischen, sozialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Versatzstükken. Autonome wollen alles Bestehende und Hemmende zerschlagen. Mit ihrem ausgeprägten Individualismus verlangt es sie aber nicht nach theorielastigen Konzeptionen zur Veränderung der Gesellschaft. Revolte, nicht Revolution, heißt ihre Devise. Verschiedene Schwerpunktthemen, die in Intensität und Bedeutung wechseln, bilden die Grundlage der Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: Linksextremismus * Antifaschismus, * Antirassismus, * Dritte Welt, * "Häuserkampf"/Umstrukturierung von Wohnvierteln, * Widerstand gegen das Ausländerund Asylrecht, * Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte, * Aktionen gegen die Weltausstellung EXPO 2000 in Hannover, * Proteste gegen das Eingreifen der Nato-Streitkräfte in den KosovoKonflikt. Die Formen, in denen sich Autonome mit ihren Themen auseinander setzen, sind vielfältig, friedlich oder gewalttätig. Sie reichen von Diskussionen, Vortragsveranstaltungen, Demonstrationen bis zu 100 101 Straßenkrawallen, Sachbeschädigungen, Brandund Sprengstoffanschlägen. Bei Protestaktionen gegen Veranstaltungen der rechten Szene suchten Autonome vermehrt die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner bzw. mit Einsatzkräften der Polizei. SachbeschäLinksextremismus digungen und Körperverletzungen, auch an Polizeibeamten, waren die Folge. Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen dem Grundverständnis der Autonomen. Sie agieren meist in kleinen, unverbindlichen, lokal begrenzten, dezentralen Personenzusammenschlüssen. Dass die Wirkungsmöglichkeiten derartiger Gruppen schon allein wegen ihres niedrigen Organisationsniveaus begrenzt sind, führte zu Versuchen, übergreifende Organisationsformen zu finden. Vor allem das Aktionsthema "Antifaschismus" bietet hier integrative Möglichkeiten. Dabei reduziert sich das linksextremistische Antifaschismusverständnis nicht auf die heute aktuellen Traditionslinien von Nationalsozialismus und Faschismus. Es schließt die "Auseinandersetzung mit dem imperialistischen System" ein, das ihnen als Fortsetzung und Modifikation des Dritten Reiches gilt. So schlossen sich bundesweit im Jahr 1992 zahlreiche Gruppen in der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) zusammen. Isolierung, regionale Begrenztheit des Aktionsradius und zahlenmäßige Schwäche sollten so überwunden werden. Doch das Vorhaben - vom Ansatz her in sich widersprüchlich - ist mit den Grundlagen autonomen Selbstverständnisses schwer vereinbar. Absprachen zwischen den Gruppen sind in der Regel informeller Natur. Vor allem über neue elektronische Medien (Mailboxen, Internet, Infotelefone) kommunizieren sie, aber auch herkömmliche Formen werden nach wie vor intensiv genutzt. So erscheinen bundesweit weiterhin etwa 30 Szeneblätter, die z. T. konspirativ verbreitet werden. Durch ihre überregionale Ausstrahlung hat die wöchentlich in Berlin erscheinende Zeitschrift INTERIM die größte Bedeutung. Als Anlaufpunkte für die gesamte Szene und Interessenten sind so genannte Infoläden von besonderer Bedeutung. In ihnen werden linksextremistische Schriften und Flugblätter vertrieben. Plakate und Aushänge informieren über aktuelle Aktivitäten und geplante Aktionen. Ausgelegte Literatur, u. U. kleine Bibliotheken, sind für jeder- mann nutzbar. Interessierte finden dort Literatur zu szenetypischen Themen. Räumlichkeiten zur Vorbereitung von Aktionen und Demos sind vorhanden, ein Austausch auch mit Angehörigen des linken Spektrums ist möglich. 4.2 Antifaschistische Organisation/ Bundesweite Organisation (AA/BO) Die militante Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/ BO) gründete sich 1992 unter maßgeblicher Beteiligung der Göttinger Autonomen Antifa (M) mit dem Ziel einer stärkeren Vernetzung und bundesweiten Organisierung des "revolutionären Widerstands". Der AA/BO gehören die folgenden Mitgliedsgruppen an: * Antifaschistische Aktion Berlin (aab), * Rote Antifaschistische Initiative (rai), Berlin, * Antifa Bonn/Rhein-Sieg, * Antifaschistisches Plenum Braunschweig + Jugend Antifa-Aktion, * Autonome Antifa (M), Göttingen, * Antifaschistische Gruppe Hamburg (agh), * Antifaschistische Initiative Heidelberg (aihd), * Rote Antifa Nürnberg (ran), * Autonome Antifa in der organisierten Autonomie, Nürnberg, * Antifaschistische Aktion Passau (aap), * Autonome Antifa Lüdenscheid, Linksextremismus * Rote Antifa Aktion Leipzig (raal). Die AA/BO sieht sich als Sammlungsbewegung und Gegenpol zur Zersplitterung der Linken und propagiert offensiv den Widerstand gegen das "bestehende Herrschaftssystem": "Eine antifaschistische, freie Gesellschaft kann nur entstehen, wenn das System mit all seinen Übeln gekippt wird. Denn für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn es nicht niedergerissen wird." Sie betreibt Programm-, Schulungsund Medienarbeit und führt regelmäßig Delegiertentreffen der Mitgliedsgruppen durch. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gewinnung neuer Anhänger unter Schülern und Jugendlichen. Hauptaktionsfeld der AA/BO ist der "Antifaschismus", wobei der Kampf gegen Faschismus als Kampf gegen das imperialistische Sy102 103 stem verstanden wird. Mitgliedsgruppen der AA/BO betonen die Notwendigkeit, den "Nazis" direkt entgegenzutreten, ihre Strukturen und Treffpunkte anzugreifen. Linksextremismus Die von der AA/BO initiierte Kampagne "Antifa Offensive 99 - Den rechten Vormarsch stoppen!" versucht, die "antifaschistische Organisierung" voranzutreiben. An der bundesweiten Kampagne mit Informationsveranstaltungen und Demonstrationen beteiligten sich auch zahlreiche Gruppen außerhalb der AA/BO. In Thüringen engagierten sich der Arbeitskreis "Antifaschismus/Antirassismus - Für internationale Solidarität Eisenach" und die "Antifaschistische Aktion eisenach" (AAe) für dieses Unternehmen. 4.3 Bundesweite Aktionen Auch 1999 verübten Angehörige der autonomen Szene zahlreiche Anschläge, bei denen ein erheblicher Sachschaden entstand. Insbesondere bei Antifa-Aktionen suchten sie die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und griffen auch Einsatzkräfte der Polizei an. Reaktionen auf den Einsatz der Nato-Streitkräfte im Kosovo Am 13. Mai versammelten sich in Bielefeld etwa 1.000 Kriegsgegner, darunter ca. 500 Linksextremisten vor dem Veranstaltungsort des Sonderparteitages von Bündnis 90/Die Grünen. Demonstranten, darunter etwa 50 vermummte Autonome, blockierten die Zugänge, versuchten Absperrungen zu überwinden und bewarfen Delegierte und Polizeibeamte mit Farbbeuteln, Eiern und Jogurtbechern. Aktionsfeld Antifaschismus Bei Protestaktionen gegen Aufmärsche der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und der Jungen Nationaldemokraten (JN) gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" in Kiel, Köln, Hamburg und Osnabrück kam es zu Ausschreitungen, in deren Verlauf sowohl Teilnehmer der rech- ten Veranstaltungen als auch Einsatzkräfte der Polizei angegriffen wurden. So kam es anlässlich der Protestdemonstration gegen eine Kundgebung der NPD am 2. Oktober in Köln zu Ausschreitungen. Im Anschluss an die Gegendemonstration begaben sich etwa 1.000 Personen zum Veranstaltungsort der NPD. Dort versuchten militante Linksextremisten vergeblich, in Kleingruppen Polizeiabsperrungen gewaltsam zu durchbrechen, um die NPD-Veranstaltung zu behindern. Sie bewarfen Polizeibeamte mit Flaschen, Farbbeuteln und Steinen. Mehrere Störer wurden vorläufig festgenommen bzw. in Gewahrsam genommen. Die Szeneschrift INTERIM Nr. 467 vom 14. Januar empfiehlt Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen von "Rechten" oder auch von diesen angemieteten Bussen. Die "Rechten" würden so finanziell belastet, die ebenso betroffenen Busunternehmen würden künftige Anmietungen möglicherweise ablehnen. Auch könnte die Abwesenheit der "Rechten" vor Ort für Besuche deren Privatwohnungen oder der dort zurückgelassenen Autos genutzt werden: "Naziaufmärsche müssen wieder teurer werden!" Am 25. Mai verübten dann unbekannte Täter einen Brandanschlag auf Busse eines privaten Reiseunternehmens in Schenefeld/Schleswig-Holstein, Sachschaden ca. 1 Million DM. In einer Selbstbezichtigung wurde dem Unternehmen vorgeworfen, Faschisten befördert zu haben. Auch sei der Anschlag eine Warnung an alle: Linksextremismus "Nazibusse auf den Schrottplatz!" Mit einem "Antifaschistischen Aktionstag" anlässlich des Fußballspiels SV Mannheim gegen den FC St. Pauli am 26. September wandte sich die Szene gegen Neonazis unter den Fans des SV Waldhof Mannheim. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen etwa 400 Szeneangehörigen und einer gleichgroßen Anzahl von Neonazis und Hooligans. Über 50 Personen wurden vorläufig festgenommen. Revolutionärer 1. Mai in Berlin Die militante Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) und weitere autonome und kommunistisch orientierte Gruppen initiierten in Berlin104 105 Kreuzberg die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration mit bis zu 8.000 Teilnehmern. Der Aufzug stand unter dem Motto "Es gibt keine Alternative zur Revolution! International kämpfen. Gegen Ausbeutung und Unterdrückung!" Dabei kam es zu schweren Ausschreitungen. Linksextremismus Aus der Demonstration heraus wurden Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge massiv mit Flaschen, Steinen und Eisenstangen attackiert. Nach vorzeitigem Ende des Marsches eskalierten die Krawalle. Die bis nach Mitternacht in Kleingruppentaktik agierenden Randalierer demolierten Schaufensterscheiben und Autos, errichteten Barrikaden, setzten Container und Bauwagen in Brand und plünderten einen Drogeriemarkt. Polizeibeamte wurden mit einem Hagel von Steinen und Flaschen eingedeckt. Die Polizei nahm insgesamt 380 Personen vorläufig fest, 159 Polizeibeamte wurden verletzt. Aktionsfeld Anti-Atomkraft-Bewegung Die Anti-Atomkraft-Bewegung liefert nach wie vor auch ein wichtiges Aktionsfeld für militante Linksextremisten. Hier hat ihr Engagement weiterreichende Ziele, es geht ihnen um den Kampf "gegen das dahinterstehende System". Diese Neuorientierung wollen sie in die Bewegung einbringen. Illustrationen aus: "Interim" - Das wöchentliche Berlin-Info, Nr.482 Unbekannte verübten am 24. März einen Anschlag auf einen Bahnstromleitungsmast der Bahnlinie zwischen den Ortschaften Dietersdorf und Plügkuff im Landkreis Potsdam Mittelmark, Sachschaden ca. 450.000 DM. Am 6. Juni fanden im Rahmen von Ermittlungsverfahren zu so genannten Hakenkrallenanschlägen bundesweit Durchsuchungsmaßnahmen statt. Die Szene wertet dies als Versuch, die Bewegung zu spalten. Ein radikaler Teil solle geschwächt und politisch ausgegrenzt werden. Illustrationen aus: "Interim" - Das wöchentliche Berlin-Info, Nr.482 Die Szeneschrift INTERIM Nr. 482 vom 26. August ermuntert mit einem Comic zu Hakenkrallenanschlägen auf Strecken der Deutschen Bahn AG. Die Bilder sind nach dem Muster der Kindersendung "Käpt'n Blaubär" gezeichnet worden. Der Titel lautet: "KÄPT'N SAUBÄRS SEEMANNSGARN". Linksextremismus Kampf gegen geplante Weltausstellung EXPO 2000 Auch die in Hannover geplante Weltausstellung EXPO 2000 dient als Ziel militanter Linksextremisten. Nach einer Sachbeschädigung auf der Baustelle für eine Mehrzweckhalle der Volkswagen AG in Braunschweig in der Nacht zum 14. September hinterließen die unbekannten Täter ein Flugblatt. Unter der Überschrift "ANGRIFF AUF EXPO & VW-HALLE" heißt es darin: "Die Halle wie auch die EXPO sind ein Symbol der herrschenden Weltordnung! Wir werden unsere Angriffe verstärken & fordern alle Gleichgesinnten auf, die EXPO und ähnliche Ziele entschieden anzugreifen!! Für einen militanten Widerstand!! Der Kampf gegen Machtfilz und Kapital geht weiter!!" 106 107 4.4 Die autonome Szene in Thüringen Der autonomen Szene Thüringen werden etwa 300 bis 350 Personen zugerechnet, von denen etwa 150 bis 200 als gewaltbereit anLinksextremismus zusehen sind. Regionale Schwerpunkte bilden die Gebiete Saalfeld/ Rudolstadt, Jena, Erfurt, Eisenach, Weimar und Altenburg. Als Treffpunkte der autonomen Szene Thüringen dienten hauptsächlich die Infoläden Sabotnik in Erfurt und Black Cats in Weimar sowie das Haus für Soziokultur in Weimar. Die Aktivitäten Thüringer autonomer Gruppen zeigten sich in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit rechtsextremistischen Personen und Organisationen, bei denen es wiederholt zu Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Landfriedensbrüchen kam. Festere Organisationsbestrebungen des autonomen Spektrums entwickelten sich nicht. Die Gruppen traten mit eigenen Veranstaltungen und Plakataktionen zu unterschiedlichen Themen in Erscheinung, bei denen die Antifa-Aktivitäten einen breiten Raum einnahmen. Themenschwerpunkte der autonomen Szene bildeten aber auch der NatoEinsatz in Jugoslawien im Frühjahr 1999, Aktionen zur Landtagswahl und die Solidarität mit den Kurden. Als Kommunikationsmittel setzte die autonome Szene Thüringen das linke Mailboxverbundsystem ComLink, aber auch Szenepublikationen wie die Gerberei (herausgegeben von der Antifa Weimar) und Spunk (herausgegeben von Autonomen) aus Erfurt, ein. 4.5 Aktionen autonomer Gruppen in Thüringen Demonstration für kurdische Selbstbestimmung am 5. März in Erfurt Mobilisierung für eine Demonstration in Erfurt Nach der Festnahme und Überführung des PKK-Generalvorsitzenden Abdullah Öcalan in die Türkei kam es in zahlreichen deutschen Städten zu Protestaktionen, so am 22. Februar in Bremen, am 25. Februar in Essen, am 27. Februar in Braunschweig, Mainz, Kiel, Nürnberg und Freiburg, am 1. März in Düsseldorf und Siegen und am 2. März in Köln. Bei der Aufzählung der Demonstrationsorte fällt auf, dass sich keiner in den neuen Bundesländern befindet. Folgerichtig kam es zu Absprachen zwischen Kurden und deutschen Politikern der linken Szene mit dem Ziel, für Erfurt eine vergleichbare Veranstaltung zu organisieren. Der Großraum Erfurt ist von der PKK bereits organisatorisch erschlossen, das daraus folgende Interesse kurdischer Funktionäre verband sich mit der Suche der thüringischen Linken nach neuen Feldern der politischen Auseinandersetzung. Daraufhin wurde am 1. März die Demonstration "Für das uneingeschränkte Recht der Kurdinnen und Kurden auf Selbstbestimmung. Für eine politische, friedliche Lösung der Kurdenfrage" angemeldet. Mit Flugblättern warben die Veranstalter thüringenweit für die Demonstration am 5. März in der Erfurter Innenstadt. Teilnahmeaufrufe fanden sich im Internet (z. B. unter der Adresse der Landesarbeitsgemeinschaft Antifaschismus/Antirassismus) und im linken Mailboxsystem ComLink. Darüber hinaus informierte das Leipziger Antifa-Telefon über diese Veranstaltung. Demonstration für kurdische Selbstbestimmung Unter den 400 bis 500 Demonstrationsteilnehmern befanden sich neben 300 Kurden auch Mitglieder der Kommunistischen Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), der DeutLinksextremismus schen Kommunistischen Partei (DKP), der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). 100 bis 150 Demonstranten entstammten der autonomen Szene Thüringens (Antifa Weimar, Antifa Erfurt, Antifa Jena, Antifa Arnstadt). Die Auftaktkundgebung Die Redner - darunter ein DKP-Mitglied - forderten eine internationale Kurdistankonferenz, die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland und den Stopp deutscher Waffenlieferungen an die Türkei. Sie kritisierten scharf die Innenpolitik des "türkischen Regimes" und sprachen sich für einen Abschiebestopp der in Deutschland lebenden Kurden aus. 108 109 Friedlicher Verlauf der Veranstaltung Während der Demonstration kam es zu keinen Ausschreitungen. Gegen zehn Jugendliche, die der rechten Szene angehören, wurde Linksextremismus ein Platzverweis ausgesprochen. Einer der Plakataufrufe zeigte die PKK-Fahne und verstieß damit gegen das Vereinsgesetz. Aktionen gegen das Burschenschaftstreffen in Eisenach Der Eisenacher "Arbeitskreis Antifaschismus/Antirassismus" hatte Aktionen gegen das Treffen der Burschenschafter vom 27. bis 30. Mai in Eisenach vorbereitet. In einem "Flugi-Text" bezeichnen deren Verfasser die Deutsche Burschenschaft (DB), die hier ihr alljährliches Wartburgfest durchführt, "als konservativ bis faschistisch". Demonstrationsaufruf der Antifaschistischen Aktion Der Arbeitskreis Antifaschismus/Antirassismus Eisenach war in die Kampagne der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) unter der Bezeichnung "Antifa-Offensive 99" eingebunden und beteiligte sich auch an entsprechenden Vorbereitungstreffen. Die Demonstration am 28. Mai in Eisenach soll auch in den "Fahrplan Antifa-Offensive" aufgenommen worden sein. Nur 50 bis 100 Personen nahmen - trotz bundesweiter Mobilisierung - am Demonstrationszug gegen das Treffen der Burschenschafter in Eisenach am 28. Mai teil, darunter wenige auswärtige Teilnehmer. Zu Ausschreitungen kam es bei starker Polizeipräsenz nicht. Die Sprache wird härter - gegen den Nato-Einsatz Unbekannte sprühten (vor dem 4. Mai) auf einen Felsen in Lichtenhain/Lkr. Saalfeld/Rudolstadt "Hitler Schröder Mörder in Jugoslawien". Der Schriftzug war nur von der Bergbahn aus zu sehen. In Jena wurden am 25. Mai über 80 Plakate verschiedenen Formats mit den folgenden Darstellungen festgestellt: * die Köpfe Bundeskanzler Schröders, Außenminister Fischers, Verteidigungsminister Scharpings im Visier, * das Brandenburger Tor im Visier mit der Aufforderung: Bombardiert die Berliner Republik, * ein nach unten stürzendes Kampfflugzeug der Bundeswehr mit erkennbarer Rauchentwicklung, dazu die Aufforderung: Holt sie runter! Stoppt den deutschen Angriffskrieg gegen Jugoslawien! (Wie die Presse berichtete, führten bei einer Erfurter Protestdemonstration bereits am 24. April Angehörige des Infoladens Jena ein Transparent mit sich, das die Aufschrift trug "Schießt die Bomber ab".), Linksextremismus * das Fahrzeug des Herrhausen-Attentates und andere Bilder zum Mordanschlag der Roten Armee Fraktion (RAF) mit dem Zusatz: Letzte Warnung, Schröder! Deutsche Soldaten raus aus dem Balkan. Zwei mutmaßliche Täter konnten festgenommen werden. Einwohner Weimars fanden am Wochenende des 8./9. Mai eine vorgetäuschte Mitteilung der Stadtverwaltung Weimar vor. Darin werden eine bevorstehende "militärische Aggression gegen die BRD" suggeriert und Informationen über "Schutzmöglichkeiten" der Bevölkerung angekündigt. 110 111 Aktionen gegen den Parteitag der Thüringer DVU in Ohrdruf Mit 36 Parteimitgliedern und 240 Gästen aus Thüringen, Bayern und Hessen führte der DVU-Landesverband am 26. Juni den NominieLinksextremismus rungsparteitag durch. In der Thüringer autonomen Szene war zu Aktionen gegen die DVU-Veranstaltung mobilisiert worden. Bei starker Polizeipräsenz kam es zu keinen Störungen der Veranstaltung. Allerdings hatten vier Unbekannte mit Pflastersteinen einen Reisebus beworfen, der mit 20 Personen auf dem Weg zur DVU-Veranstaltung in Ohrdruf war. Etwa zeitgleich bewarfen zwei maskierte Täter einen zweiten Reisebus im Wartburgkreis, mit fünf Personen besetzt, mit Pflastersteinen. Personen wurden bei den Aktionen nicht verletzt. 11. Antifa-Workcamp Weimar/Buchenwald Vorbereitung und Mobilisierung Das diesjährige Antifa-Workcamp Weimar/Buchenwald fand vom 25. bis zum 31. Juli mit etwa 200 Teilnehmern statt. Die Jugendorganisation des Bundes der Antifaschisten (BdA) R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N./ Sachsen-Anhalt und der Infoladen Volk und Wissen aus Dessau hatten wie in den Jahren zuvor das Workcamp organisiert. Der BdA steht in der Tradition des orthodoxkommunistischen Antifaschismus, während "Volk und Wissen" der autonomen Szene zuzurechnen ist. Für den 12. Dezember 1998 hatte die Arbeitsgemeinschaft AntifaWorkcamp beim BdA Sachsen-Anhalt nach Dessau zu einem ersten Vorbereitungstreffen eingeladen. Ein zweites fand am 20. Februar in Merseburg statt. Die Berliner Szenezeitschrift INTERIM Nr. 477 vom 3. Juni druckte einen Teilnahmeaufruf für das Antifa-Workcamp ab. An dem Vorbereitungstreffen am 19. Juni in Weimar (Infoladen Black Cats) nahmen Antifa-Gruppen aus mehreren deutschen Städten teil und legten den Programmablauf fest. Geworben wurde für das Workcamp auch auf Plakaten in Göttinger Szenetreffs und über das Leipziger Antifa-Telefon. Arbeitsprojekte und zahlreiche Veranstaltungen Dieses Jahr waren auch die Leitung der Gedenkstätte Buchenwald und die Stadtverwaltung Weimar in die Vorbereitung und Durchführung der Veranstaltungen eingebunden. Die Aktivitäten des Workcamps setzten sich zusammen aus Arbeitsprojekten im Bereich der Gedenkstätte, Führungen durch die Gedenkstätte Buchenwald, Gesprächen mit ehemaligen Häftlingen, Diskussionsveranstaltungen, Konzerten und einem "alternativen Stadtrundgang" durch Weimar. Die Teilnehmer des Workcamps reisten am 25. Juli an und schlugen im ehemaligen Kinderferienlager in Ettersburg ca. 40 Zelte auf. Die Arbeiten erfolgten vom 26. bis zum 30. Juli im * Bereich der Gedenkstätte, * im Steinbruch, * an der Straße der Nationen, ehemalige Bahnund Buslinie, * an Gedenksteinen für Todesmärsche. Goethe und Schiller "umgestürzt" Linksextremismus Am 30. Juli boten die Teilnehmer des Antifa-Workcamps mehrere Veranstaltungen in der Weimarer Innenstadt an. So führte ein Marsch durch die Schillerstraße zum Frauenplan. Dabei trugen sie ein Transparent mit der Aufschrift: "Wegsehen, saufen, fressen - '33 schon vergessen". Auf dem Theaterplatz warfen einige Teilnehmer des AntifaWorkcamps das Goetheund Schiller-Denkmal um - jedoch nur symbolisch. Wenn Weimar seine Vergangenheit nicht vollständig annehme, müsse es auch der Dichter entbehren, erklärte dazu ein Sprecher der Gruppe gegenüber der Presse. Die Jugendlichen hatten mit ihrer Aktion gegen die Zerstörung der Skulpturen auf dem Jakobsfriedhof demonstrieren wollen. Diese waren von dem in England geborenen 112 113 Künstler Stuart Wulff zur Erinnerung an die Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald aufgestellt worden. - Fazit: Das von vielen politischen und kulturellen Veranstaltungen begleitete 11. AntifaWorkcamp Weimar/Buchenwald nahm einen durchweg störungsfreiLinksextremismus en Verlauf. Ein Willkommen den "Terroristen" Thüringer Linksextremisten trafen sich in Braunsdorf bei Saalfeld Unter dem Motto "Willkommen Terroristen in der fünften Generation" fand am 21. November ein Internationalistisches Wochenende in Braunsdorf bei Saalfeld/Lkr. Saalfeld/Rudolstadt statt. Verschiedene Thüringer Gruppierungen stellten sich und ihre Projekte vor, darunter: * die Junge Linke, Landesverband Thüringen (eine linksextremistische Gruppierung mit marxistischer Ausrichtung, die ihren Mitgliedern und Sympathisanten die theoretischen Grundlagen der politischen Arbeit vermitteln will), * der Rote Tisch (an dem sich neben Parteilosen die Mitglieder der DKP, der SDAJ, der MLPD und der Kommunistischen Plattform der PDS treffen, um über die Aktionseinheit zu beraten) und * der Thüringer Ermittlungsausschuss (ThEA, eine im Jenaer Infoladen angesiedelte "Antirepressionstruppe", die Rechtshilfe für Linksextremisten leistet). Anzeige vom Info-Laden in Jena Die Veranstaltung verlief störungsfrei. Anmeldungen hatte der Infoladen Jena entgegen genommen. Die Mobilisierung erfolgte auch über die Antifa-Infotelefone Erfurt und Leipzig sowie durch den Infoladen Weimar. Aktion gegen den Vortrag Peter Dehousts in Jena Die Burschenschaft Jenensia veranstaltete am 1. Dezember in Jena einen Vortrag von Peter Dehoust, dem Mitherausgeber der rechtsextremistischen Zeitschrift Nation & Europa. Unter dem Motto "Verbindungen kappen! Burschenschaften abschaffen! Keinen Fußbreit den Faschisten!" rief das Aktionsbündnis gegen Rechts, dem auch die autonome Antifa Jena angehört, zu einer "Antifaschistischen Aktion und Blockade" auf. Plakate mit einem Appell zur Teilnahme hingen in der Innenstadt Jenas aus. Peter Dehoust, Mitherausgeber der rechtsextremistischen Zeitschrift Linksextremismus Nation & Europa in Jena Etwa 100 Personen versammelten sich vor Beginn der Vortragsveranstaltung mit dem Rechtsextremisten Peter Dehoust zur Gegendemonstration vor dem Objekt der Burschenschaften. Sie zeigten ein Transparent mit der Aufschrift "Burschenschaftler sind Faschisten". Nach Absprache mit dem Polizeiführer führten etwa 120 Angehörige der linken Szene einen Umzug zur Jenaer Stadtkirche durch. Sie skandierten "Deutsche Polizei schützt Faschisten", ein Transparent forderte: "Antifaschistische Selbsthilfe organisieren". 114 115 Solidarität mit den Revolutionären Zellen Exekutivmaßnahmen gegen Revolutionäre Zellen/Rote Zora Linksextremismus Der deutsche Staatsangehörige Tarek Mousli war am 23. November wegen dringenden Verdachts der Rädelsführerschaft in der terroristischen Vereinigung Revolutionäre Zellen (RZ)/Rote Zora festgenommen worden. Parallel dazu erfolgten Durchsuchungen in acht Objekten Berlins, Brandenburgs und Sachsen-Anhalts, in denen sich Mousli aufgehalten haben soll. Am 19. Dezember durchsuchten Einsatzkräfte des Bundeskriminalamtes erneut sechs Objekte in Berlin (Szeneobjekt Mehringhof), Frankfurt/Main und Hannover. Sie nahmen drei Personen fest. Tarek Mousli Farbbeutelanschlag auf das Gebäude des Thüringer Innenministeriums Als Reaktion auf diese exekutiven Maßnahmen warfen unbekannte Täter am 21./22. Dezember mehrere Luftballons, die mit schwarzer und roter Farbe gefüllt waren, an die Fassade des Gebäudes, in dem sich das Thüringer Innenministerium befindet. Am 28. Dezember ging bei der Tageszeitung Thüringer Allgemeine ein Selbstbezichtigungsschreiben ein. Darin bekennt sich die bisher nicht in Erscheinung getretene Gruppierung "Die Autonomen DekorateurInnen" zu der Aktion. Die Verfasser protestieren in ihrem Schreiben gegen die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen mutmaßliche Mitglieder der Revolutionären Zellen (RZ) und der Roten Zora in Berlin (Durchsuchung des Mehringhofes) am 19. Dezember. Neue "Einrichtungen" der autonomen Szene in Thüringen Der Thüringer Ermittlungsausschuss (ThEA) stellt sich vor Im Thüringer Raum präsentierte sich per Handzettel unlängst der Thüringer Ermittlungsausschuss. Die im Infoladen Jena (autonome Szene) beheimatete "Antirepressionsgruppe" bietet die folgenden Dienstleistungen an: * Ermittlungen bei Festnahmen, die während der Demonstrationen erfolgten, * Hilfe "bei polizeilichen und rechtlichen Angelegenheiten", * Rechtshilfeveranstaltungen auf Anfrage von Gruppen, die "politischen Repressionen" ausgesetzt sind, * Hilfe bei Festnahme und Hausdurchsuchung, * Hilfe bei Vorladung als Zeuge, als Beschuldigter bei der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht, * Hilfe bei der Auswahl des Anwalts, * Prozessbeobachtung und -begleitung. Die Herstellung des Kontaktes zum ThEA wird in den o. g. Fällen empfohlen, hilfreich seien Gedächtnisprotokolle der Betroffenen. Der ThEA interessiert sich auch dafür, "wann, wo welche Faschos Gerichtsprozesse haben". Das Antifa-Archiv Jena stellt sich vor Linksextremismus Eine Thüringer Erfassungsstelle für "lokale Nazi-Strukturen" Auf Flugblättern präsentierte sich im Jenaer Raum das dem autonomen Spektrum zuzurechnende Antifa-Archiv/Thüringen. Es stellte sich "zu einer Zeit, in der es fast täglich zu Übergriffen gegen Flüchtlinge, Linke und Alle, die nicht in das beschränkte Weltbild von Neonazis passen", komme, die folgenden Ziele: * Errichtung einer Info-Stelle für ganz Thüringen, * Sammlung, Dokumentation und Archivierung "rassistischer Vorfälle", * Sammlung von Informationen über lokale Nazi-Strukturen und - aktivitäten, * Angebot von neofaschistischer Primärliteratur zu Recherchezwecken, 116 117 * Angebot von antifaschistischer, antirassistischer Literatur, * Lageeinschätzungen von Antifa-Gruppen, * Herstellung einer breiten Öffentlichkeit. Linksextremismus Zwei Standbeine des Antifa-Archivs Nach vielen Diskussionen im Infoladen Jena habe sich das Archiv aus der vormaligen Info-Sammelstelle neu gegründet. Dabei gehe es, warnen die Initiatoren, nicht um bloßes "Material anhäufen". Eine arbeitsfähige Struktur basiere auf zwei Standbeinen: * Menschen, die das Archiv führen und Anfragen bearbeiten, * Menschen, die das Archiv mit Informationen versorgen und Anfragen stellen. Antifaschistische Arbeit bedeute, "Nazis öffentlich zu enttarnen und sie gesellschaftlich zu isolieren". Die Ergebnisse dieser Arbeit sollen teilweise auch in einer Info-Zeitung veröffentlicht werden. Seit Jahresmitte auch in Erfurt ein Infoladen Seit Mitte 1999 betreiben Erfurter Angehörige der autonomen und antifaschistischen Szene den Infoladen Sabotnik. Wie das Szeneblatt SPOCK ("Intergalaktische Solidarität statt nationalem Wahn" fordert das Titelblatt) mitteilt, dient der Infoladen Sabotnik dem Informationsaustausch. Hier kann "eine Tasse Kaffee getrunken werden". Der Laden unterhält - nach eigenen Angaben - eine umfangreiche Bibliothek mit Schriften zu den Themen "antifaschistischer widerstand, staat & herrschaft, rassismus, geschlechter-verhältnisse, kapitalismus, informatik & verschlüsselung, anarchie, ernährung und geschichte". 4.6 Perspektiven der Autonomen für das Jahr 2000 Da sich die Aktionsfelder Autonomer häufig an aktuell auftretenden politischen Entscheidungen oder Themen orientieren, sind Prognosen für 2000 nur schwer möglich. Dennoch zeichnen sich bereits Tendenzen und einzelne Schwerpunkte ab. Das Aktionsfeld Antifaschismus wird weiterhin eine dominierende Rolle bei der Mobilisierung, Strukturierung und Organisierung der autonomen Szene spielen. Einen weiteren Schwerpunkt werden der Antirassismus und der Kampf gegen Kernenergie bilden. Es ist mit Protesten und Widerstand gegen die Atomtechnologie zu rechnen. Unter der Überschrift "Dem Staat die Krallen zeigen" riefen Atomkraftgegner in der Monatszeitung anti atom aktuell vom November 1999 zum Widerstand gegen die herrschende staatliche Ordnung auf. Nicht die Atomanlagen seien der Fehler, sondern das System, welches die Profitinteressen der Konzerne über die Lebensinhalte der Menschen stelle. Für den Fall, dass 2000 weitere Castor-Transporte stattfinden werden, muss mit Anschlägen der Anti-AKW-Bewegung gegen Betriebsanlagen der Deutschen Bahn AG gerechnet werden. Bereits in der Vergangenheit war es zu Anschlägen mit Hakenkrallen/Wurfankern gegen Bahnoberleitungen gekommen. Als "Highlight" für das Jahr 2000 stellen sich die Autonomen die Aktionen im Zusammenhang mit der EXPO 2000, die vom 1. Juni bis 31. Oktober 2000 in Hannover stattfindet, vor. Schon 1999 fanden erste Anti-EXPO-Vorbereitungstreffen statt, bei denen u. a. die Aktivitäten bis zur und während der EXPO besprochen worden sind. Dabei wünschten sich die Teilnehmer besonders Aktionen von "Antinationalen Gruppen", "Öko-Gruppen" und "Anti-Gen-Aktionen". Bis zum Beginn der EXPO werden weitere Vorbereitungstreffen veranstaltet. Linksextremismus Während der EXPO ist u. a. mit folgenden Aktivitäten zu rechnen: Wie bei allen spektakulären Ereignissen werden Camps stattfinden. Darüber hinaus muss mit Spontanaktionen aller Art gerechnet werden. Hierfür dürften vor allem die regelmäßig in Hannover stattfindenden "Chaostage" für die autonome Szene ein willkommener Nährboden sein. Autonome sehen die EXPO vor allem als "Werbeveranstaltung für eine kapitalistische Weltordnung mit erhöhtem deutschen Gewicht und ökologischer Zerstörung". Unter diesem Gesichtspunkt ist zu erwarten, dass die autonome Szene Aktionen im Zusammenhang mit der EXPO mit Themen wie Atompolitik, Gentechnologie, Ausländerproblematik und Antifaschismus verbindet. 118 119 5. Terroristische Gruppierungen Terrorismus ist der militant geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Linksextremismus Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten wie Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Brandstiftung oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Auch im Jahre 1999 blieben Aktivitäten linksterroristischer Gruppen aus. Die Rote Armee Fraktion (RAF) hatte ihre Auflösung erklärt. Im Mai stellte sich das mutmaßliche RAF-Mitglied Barbara Meyer den Behörden. In Wien kam es im September zu einem Schusswechsel zwischen der Polizei und den mutmaßlichen RAF-Mitgliedern Horst Ludwig Meyer und Andrea Klump, in dessen Verlauf Meyer tödlich verletzt und Klump festgenommen wurde. Ebenfalls blieben terroristische Aktionen der Revolutionären Zellen (RZ) und der Frauengruppe "Rote Zora" 1999 aus. Im Zusammenhang mit Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Mitglieder der RZ/Rote Zora wurden im November und Dezember bundesweit Objekte durchsucht und mehrere Personen festgenommen. Auch die Antiimperialistische Zelle (AIZ), die noch 1995 als die gefährlichste und unberechenbarste terroristische Gruppierung galt, wurde nach der im Februar 1996 erfolgten Festnahme zweier mutmaßlicher Mitglieder nicht mehr aktiv. 6. Nutzung moderner Kommunikationsmedien durch Linksextremisten Neben der klassischen Agitation und Kommunikation mittels Flugschriften, Zeitungen, Zeitschriften und Bücher, setzen Linksextremisten verstärkt auf neue Medien wie Mailboxen und das Internet. Insbesondere im Internet sind sowohl größere linksextremistische Organisationen, wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Kommunistische Plattform (KPF) der PDS und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), als auch autonome Gruppen, wie die Autonome Antifa (M), vertreten. Einige von ihnen haben eigne Homepages eingerichtet. Über eine Vielzahl von "Links" (auto- matisierte Verknüpfungen) sind auch Homepages gleichgesinnter inund ausländischer Gruppierungen aufrufbar. Diese Medien bieten den Nutzern nationale und internationale Kommunikationsund Vernetzungsmöglichkeiten. Beispielsweise können über speziell angelegte Archive jederzeit Informationen zur Unterstützung linksextremistischer Aktivitäten abgerufen werden. Ebenso ermöglichen sie eine zeitnahe und breite Mobilisierung zu Aktionen und Demonstrationen. Durch den Einsatz von Verschlüsselungsprogrammen und -techniken wird hierbei auch konspirativ gehandelt. Linksextremisten gehen zunehmend auch dazu über, das Agieren der politischen Gegner im Internet zu sabotieren. Ebenso wie Rechtsextremisten verbreiten die Linksextremisten im Internet über ausländische Anbieter Nachrichten und Publikationen mit strafbarem Inhalt. 7. Linksextremistische Straftaten im Überblick Vergleich erwiesener oder zu vermutender Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund in Thüringen (Quelle: Thüringer Landeskriminalamt) Linksextremismus Thüringen 1997 1998 1999 Straftaten insgesamt: 53 126 52 davon sind hervorzuheben Raubüberfälle 1 0 0 Körperverletzung 6 5 3 Sachbeschädigung mit Gewaltanwendung 8 10 4 Landfriedensbrüche 9 7 6 Widerstandshandlungen 0 0 0 Schmierereien mit politischem Inhalt 6 10 31 120 121 Vergleicht man die Zahl der Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund im Jahr 1999 (52) mit den Angaben des Vorjahres (126), so ergibt sich ein starker Rückgang um 58,7 Prozent. Der überproportionale Anstieg im Jahr 1998 war auf die 75 Straftaten zurückzufühLinksextremismus ren, die anlässlich der Antifa-Demonstration am 14. März im Raum Saalfeld verübt wurden. Mit den im Jahr 1999 registrierten 52 Straftaten ist etwa das Niveau der Vorjahre wieder erreicht (1997: 53 Fälle, 1996: 59 Fälle, 1995: 24 Fälle). Die Verdreifachung der Fälle von "Schmierereien mit politischem Inhalt" dürfte auf die gestiegene Artikulationsfreudigkeit der Autonomen anlässlich der Europaund Landtagswahl zurückzuführen sein. Zu 22 Straftaten konnten 117 Tatverdächtige ermittelt werden, davon 11 weibliche (9,4 Prozent). Zum Zeitpunkt der Tatausführung befanden sich 95 Prozent der Tatverdächtigen im Alter von 17 bis 21 Jahren. IV. Ausländerextremismus 1. Allgemeines In Deutschland leben mittlerweile mehr als sieben Millionen Ausländer, die in ihrer übergroßen Mehrheit extremistische Verhaltensweisen ablehnen und sich auch von politisch-extremistischen Gruppierungen und Parteien distanzieren. Dies gilt ebenso für die in Thüringen lebenden knapp 30.000 ausländischen Mitbürger (unter ein Prozent der Gesamtbevölkerung). Das Zusammenleben mit ihnen gestaltet sich überwiegend friedlich und konfliktfrei. Nur eine Minderheit der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer trat auch 1999 mit Aktionen in Erscheinung, die als sicherheitsgefährdend oder extremistisch zu bezeichnen sind. Das betrifft Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik werden hierbei politisch motivierte Aktivitäten entwickelt, die eine Änderung der herrschenden Verhältnisse in den jeweiligen Heimatländern zum Ziel haben. Diese Bestrebungen werden mit dem Begriff Ausländerextremismus bezeichnet. Dabei reicht das Spektrum von Ausländerextremismus Linksextremisten über extreme Nationalisten bis zu islamischen Extremisten. Motive und auch ideologische Ausrichtungen der extremistisch aktiven Ausländergruppen sind breit gefächert. Immer wieder soll auch versucht werden, die Bundesrepublik mit entsprechenden Handlungen unter Druck zu setzen. Bundesweit gehören rund 58.000 Ausländer einer extremistischen Vereinigung an. Weitere ca. 12.000 Menschen sympathisieren mit entsprechenden Organisationen. Noch immer das größte Mitgliederund Anhängerpotenzial fällt mit rund 31.000 den islamistischextremistischen Gruppierungen zu. Zu den linksextremistischen Gruppen gehören rund 19.000 Mitglieder, und 8.000 sind nationalistischen Organisationen zuzuordnen. Vergleicht man die Zahlen von Mitgliedern und Anhängern extremistischer Organisationen in Thüringen mit den genannten Bundeszahlen, so erscheinen diese weiterhin sehr gering. Die Anzahl der 122 123 Mitglieder entsprechender Organisationen liegt noch knapp unter 100, und das Sympathisantenpotenzial beläuft sich auf etwa 250 bis 300 Personen. Ausländerextremismus 2. Die wichtigsten extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland Kurdische Gruppen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Nebenorganisationen der PKK: * Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) * Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) * Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) - Düsseldorf - * Union der Studenten Kurdistans (YXK) * Partei der werktätigen Frauen Kurdistans (PJKK) Türkische Gruppen mit linksextremistischer Ausrichtung Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) * "Partizan"-Flügel * "DABK"-Flügel (Ostanatolisches Gebietskomitee) Basisorganisationen: * Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) * Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. (ATIF) Nebenorganisation: * Türkisch Marxistisch-Leninistischer Jugendbund (TMLGB) Revolutionäre Linke (DEVRIMCI SOL, Abk. DEV SOL) * Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-front - Karatas Flügel (DHKP-C) * Türkische Volksbefreiungspartei/-front - Yagan Flügel (THKP-C) Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei (TDKP) * Basisorganisation in Deutschland: * Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (DIDF) Türkische Gruppen mit nationalistischer Ausrichtung Konföderation der idealistischen Türken in Europa (AÜTDK, früher AÜTDF) Basisorganisation in Deutschland: * Deutsche Türk-Föderation (ATF) Türkische Gruppen mit islamistischer Ausrichtung Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG) Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln (ICCB) Iranische Gruppen mit islamistischer Ausrichtung Anhänger der iranischen Regierung * Union islamischer Studentenvereine (U.I.S.A.) Gegner der iranischen Regierung * Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Ausländerextremismus Arabische Gruppen islamistischer Ausrichtung sunnitisch * Muslimbruderschaft (MB) * Islamischer Bund Palästinas (IBP), Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) * Islamische Heilsfront (FIS, algerisch) * Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA, algerisch) schiitisch * Partei Gottes (Hizb Allah, libanesisch) * Gruppe des islamischen Widerstandes (AMAL) Indische Gruppen mit nationalistischer Ausrichtung (Sikhs) International Sikh Youth Federation (ISYF) Babbar Khalsa International (BK) 124 125 3. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Weltweit gibt es etwa 25 Millionen Kurden, hauptsächlich verteilt auf die Türkei, den Iran, Irak, Syrien und Armenien. In den einzelnen Ausländerextremismus Nationalstaaten setzen sich verschiedene Kurdenorganisationen schon seit Jahren mit unterschiedlichen Mitteln für eine stärkere Autonomie ihrer Landsleute, die dort eine Minderheit bilden, ein. Dabei geht es insbesondere um das Recht, die kurdische Sprache zu sprechen sowie die kulturelle Identität der Kurden zu bewahren. Etwa 2,5 Millionen türkische Staatsangehörige leben in der Bundesrepublik Deutschland, davon sind etwa 500.000 kurdischer Abstammung. Als einzig legitime Vertretung ihrer spezifisch kurdischen Interessen definiert sich die PKK. 3.1 Ziele und Strategie Bereits im Gründungsmanifest der Partei ist festgehalten, dass im Mittelpunkt der Arbeit der aktive "revolutionäre Kampf" für einen "freien, unabhängigen und demokratischen Kurdenstaat" steht. Die PKK führt seit 1984 mit Hilfe ihres militärischen Arms, der in den Kurdengebieten operierenden Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK), im Südosten der Türkei einen blutigen Guerillakrieg. In der Bundesrepublik versuchte die PKK in den vergangenen Jahren, diesen Kampf durch politische und gewalttätige Aktionen zu unterstützen. Immer wieder kam es zu brutalen Anschlägen gegen zumeist türkische Einrichtungen. Bei den in Deutschland lebenden Türken kurdischer Abstammung wird an das nationale Gefühl appelliert, um sie zur aktiven Unterstützung der Partei zu veranlassen, Parteiangehörige sollen für den militärischen Kampf rekrutiert werden. Der Parteiapparat wird mittels Spenden finanziert. Um den Rückhalt in der kurdischen Bevölkerung zu sichern und den Einfluss der PKK auf möglichst viele soziale Gruppen und Lebensbereiche auszudehnen, bedient sich die PKK auch verschiedener, rechtlich selbstständiger Tarnund Nebenorganisationen. Die 1985 gegründete Teilorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) ist auf internationaler Ebene für die Öffentlichkeitsarbeit der PKK zuständig. 3.2 Finanzierung und Spendengelder Die PKK muss ihren hauptamtlichen Parteiapparat, die europaweite umfangreiche Propagandatätigkeit sowie bisher auch ihre militärischen Aktionen finanzieren. Dies geschieht im Wesentlichen durch Mitgliedsbeiträge und den Verkauf von Publikationen. Außerdem ist die PKK auf die erfolgreiche Durchführung der regelmäßigen monatlichen und jährlichen Spendenkampagnen angewiesen. Die beauftragten Spendensammler übten in den letzten Jahren teilweise massiven Druck auf die zahlungsunwilligen Landsleute aus, erpressten diese und gingen mit erheblicher Gewalt vor. Bei der jährlichen Spendenaktion muss ca. ein Monatsgehalt bereitgestellt werden. In den vergangenen Jahren, so auch 1999, erzielte die PKK in Thüringen regelmäßig ein Spendenaufkommen von mehr als 100.000 DM. Im Zusammenhang mit der Festnahme Abdullah Öcalans 1998 stieg die Spendenbereitschaft stark an. Das setzte sich auch im Jahr 1999 fort. Allerdings verbreitet sich unter den potenziellen Spendern bei der Kampagne 1999/2000 Unmut über mögliche Verwendungszwekke der Gelder, nachdem sich im Zuge der Verurteilung Öcalans die Strategie der PKK geändert hat. Ausländerextremismus 3.3 Aufbau und Organisation Die PKK, die in Europa ihre oberste Führungsebene mit der "Europäischen Frontzentrale" (ACM) besitzt, gliedert sich auf Länderebene in Regionen, Gebiete und Teilgebiete. An allen Schaltstellen arbeiten jeweils hauptamtliche Führungskader. Die PKK in Deutschland untergliedert sich in sieben Regionen (Eyalet) mit einer jeweils unterschiedlichen Anzahl von Gebieten (Bölge). Diese wiederum werden in Teilgebiete (Alan) unterteilt (siehe Schema). Die PKK-Funktionäre gliederten Thüringen wie folgt auf: * Teilgebiet Erfurt (der Großraum Thüringen, zum Gebiet Kassel gehörig), * Nord-Thüringen (zum Teilgebiet Göttingen/Gebiet Kassel), * Süd-West-Thüringen (zum Teilgebiet Thüringen/Gebiet Kassel), * Nord-Ost-Thüringen (zum Teilgebiet Leipzig-Stadt/Gebiet Leipzig). 126 127 Die Leiter der Gebiete und Teilgebiete werden aus Sicherheitsgründen in unregelmäßigen Abständen ausgewechselt. Der Teilgebietsleiter hat die Aufgabe, Spendengelder einzutreiben, Publikationen vorzubereiten und zu vertreiben, Mitglieder zu werben und für VeranAusländerextremismus staltungen zu mobilisieren. Bei seiner Arbeit unterstützt ihn das so genannte Teilgebietskomitee. Die Mitglieder dieses "Komitees" rekrutiert der Teilgebietsleiter auch aus dem Kreis der Asylbewerber in den Gemeinschaftsunterkünften und unter türkisch-kurdischen Gewerbetreibenden (vorwiegend Döner-Kebap-Anbieter). Die PKK schult ihre Funktionäre und Aktivisten, ihre Tätigkeit wird von der Parteiführung kontrolliert und jede "Unregelmäßigkeit" rigide geahndet. Öcalan Präsidialrat (1999 gegründet als Sprachrohr für Öcalan) Zentralkomitee der PKK für Europa - ACM PKK in Deutschland Sektor Mitte Sektor Nord Sektor Süd Regionen: Regionen: Regionen: - Mitte - Nord - Süd - Westfalen - Nord-West - Baden - Berlin/einschl. - Bayern neue Länder Region Nord Gebiet: Gebiet: Gebiet: Gebiet: Gebiet: Salzgitter Bielefeld Kassel Osnabrück Hannover Teilgebiet Erfurt Der Großraum Erfurt ist als eigenständiges Teilgebiet in Thüringen von der PKK erschlossen. Die Zahl der Mitglieder und Anhänger der PKK beträgt in Thüringen ca. 80 bis 90 Personen, die Zahl der Sympathisanten beläuft sich auf etwa 200 bis 300 Personen. In Erfurt gibt es seit 1998 einen Arbeitgeberverein, der sich im Verlauf des Jahres 1999 noch um seine Zulassung als offizieller eingetragener Verein bemühte. Das Ziel des Vereins besteht darin, eine starke Arbeitgebergemeinschaft aufzubauen, deren Mitglieder für ihre Geschäfte vorrangig auf kurdische Zulieferer zurückgreifen. Auf diese Weise sollen sie sich von türkischen Lieferanten lösen. Im August 1999 wurde in Erfurt ein "Deutsch-Kurdischer Freundschaftsverein" gegründet. Am 17. Oktober erfolgte die öffentliche Vorstellung des Vereins. Er soll als kurdisches Kulturzentrum wirken mit dem Ziel, Ausländer zu integrieren und Kontaktpflege zu interessierten Deutschen zu betreiben. Immer wieder Anlaufpunkte für PKK-Aktivisten sind zentrale Gemeinschaftsunterkünfte und Asylbewerberheime. Hier werden kurdische Asylbewerber durch die PKK betreut und geschult. Vereinzelt werden auch so genannte Heimkomitees gegründet, die für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, Spendensammlungen, Verteilung/Verkauf von Propagandamaterial zuständig sind und Ansprechpartner Ausländerextremismus für den Teilgebietsleiter sind. Nach Schaffung dieser Strukturen verbesserte sich die Verteilung der Publikationen. Med-TV Im Frühjahr 1995 wurde unter Einflussnahme der PKK der Satellitensender Med-TV gegründet und von Brüssel aus betrieben. Der Sender strahlte nach Europa und in den Nahen Osten aus. Med-TV konnte auch in Thüringen empfangen werden. Am 23. April 1999 entzog die britische "International Television Commission" (ITC) dem kurdischen Fernsehsender Med-TV die Sendelizenz. Dieser Entscheidung waren mehrere Verwarnungen vorausgegangen, die zum Teil gewaltverherrlichende Berichterstattung zu unterlassen. Seit dem 29. März sendet der ebenfalls unter britischer Lizenz stehende Sender Cudi TV (CTV). Er übertrug stünd128 129 lich Nachrichten in türkischer Sprache und in kurdischen Dialekten. Die Berichterstattung blieb gemäßigt und ohne direkten PKK-Bezug. Seit dem 30. Juli bringt der Sender nur noch kulturelle Beiträge, denn zu diesem Termin startete MEDYA-TV (auf der Frequenz von MedAusländerextremismus TV) sein Programm. Dieser neue Sender bietet insbesondere PKKFührungspersonen die Möglichkeit, die Politik der Partei der politischen Basis zu vermitteln. 3.4 Die PKK und Abdullah Öcalan Die PKK wurde am 27. November 1978 in der Türkei gegründet. Eines der Gründungsmitglieder ist der heutige Generalvorsitzende Abdullah Öcalan. Öcalan, 1948 als Sohn einer Bauernfamilie in einem ostanatolischen Dorf bei Urfa geboren, absolvierte die Grundund Mittelschule und lernte wie alle in diesem Staat lebenden kurdischen Kinder die türkische Sprache. 1966 ging er nach Ankara und bestand das Abitur. Während des Studiums der Politikwissenschaften kam Öcalan mit kommunistischem und nationalistischem Gedankengut in Berührung. Er war Mitherausgeber einer Broschüre, die die wichtigsten Ziele und Aufgaben einer Revolution in Kurdistan proklamierte. Die von Abdullah Öcalan im November 1978 gegründete "Partiya Karkeren Kurdistan" (PKK) gilt als streng organisierte Kaderpartei. Zunächst war das Kampfziel der PKK die "Errichtung eines unabhängigen kurdischen Staates". Nachdem im Jahre 1980 das Militär in der Türkei die Macht übernommen hatte, sah sich die PKK einem heftigen Verfolgungsdruck ausgesetzt. Die Führung der Partei ging nach Syrien, und Öcalan leitete seine Guerilla-Organisation mit harter Hand aus Damaskus. Er verfolgte Kritiker seines Führungsstiles genauso unnachgiebig wie Abweichler und abtrünnige PKK-Angehörige. Zahlreiche Morde an Kurden sollen auf die direkte Anweisung Öcalans ausgeführt worden sein. In Deutschland verübten PKK-Anhänger zahlreiche Anschläge gegen deutsche und türkische Einrichtungen, insbesondere im Juni und November 1993. Diese gewaltsamen Aktionswellen führten zum Betätigungsverbot der PKK am 26. November 1993 in der Bundesrepublik. In Erwartung der Aufhebung des Verbots und dem Bedürfnis, als Gesprächspartner auf politischer Ebene anerkannt zu werden, änderte Öcalan im Mai 1996 seine Strategie. Er erklärte öffentlich, auf die Anwendung von Gewalt in Deutschland zu verzichten. An diesem Gewaltverzicht hielt die PKK in Deutschland bis auf wenige Ausnahmen fest. In der Türkei hingegen verschärfte sich 1998 der seit Jahren andauernde Konflikt. Nachdem Syrien ebenfalls 1998 auf türkischen Druck jede Unterstützung der PKK einstellte, fühlte Öcalan sich nicht mehr sicher und verließ Syrien. Mit diesem Schritt begann die mehrwöchige Odyssee des Generalsekretärs, die schließlich im Februar 1999 ihr Ende mit der Verhaftung Öcalans fand. Stationen einer Flucht Zunächst landete Öcalan am 12. November 1998 mit einer aus Moskau kommenden Maschine der Aeroflot in Rom. Damit bestätigten sich Spekulationen über seinen vorherigen Aufenthalt in Russland. Öcalan stellte in Italien sofort Antrag auf politisches Asyl. Bis zum 16. Dezember 1998 befand sich der PKK-Führer in Rom unter Hausarrest. Die Diskussionen um seinen weiteren Verbleib verschärften sich zusehends. Ein Auslieferungsersuchen der Türkei lehnte die italienische Regierung ab. Mehrere Länder verweigerten in den nächsten Wochen die Aufnahme Öcalans. Überraschend verließ er am 16. Januar 1999 Italien, um Ausländerextremismus sich erneut nach Russland zu begeben. In den folgenden Tagen traf Öcalan in Nairobi/Kenia ein und hielt sich dort für zwölf Tage in der griechischen Botschaft auf. Am 15. Februar wurde Öcalan beim Verlassen des Botschaftsgebäudes von kenianischen Sicherheitsbehörden festgenommen und zum Flughafen gebracht. Von dort flog man ihn unverzüglich in die Türkei. Bei der Vorbereitung der Festnahme sollen der türkische, der israelische und der US-amerikanische Geheimdienst zusammengearbeitet haben. In der Türkei wurde Öcalan in einem Prozess wegen Hochverrats angeklagt. Der Prozess begann am 30. April in Ankara. In der 139 Seiten umfassenden Anklageschrift der Staatsanwaltschaft forderte diese erwartungsgemäß die Todesstrafe für den PKK-Führer. Am 31. Mai fand die Hauptverhandlung auf der Gefängnisinsel Imrali statt. Öcalan wurde der Angriff auf die Einheit des Staates nach SS 125 des türkischen Strafgesetzbuches vorgeworfen. Am 8. Juni beantragte die Staatsanwaltschaft im Rahmen der Verhandlung die Todesstrafe 130 131 für den PKK-Führer. Mit der Urteilsverkündung am 29. Juni erging das Todesurteil gegen Abdullah Öcalan. Bis zur endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des Todesurteils standen Öcalan mehrere Revisionsinstanzen zur Verfügung. Ausländerextremismus Für den 7. Oktober war der Beginn des Berufungsverfahren vorgesehen. Am 25. November bestätigte das türkische Kassationsgericht in Ankara das Urteil. Am 30. Dezember hat das oberste Berufungsgericht der Türkei den Antrag der Rechtsanwälte Öcalans, das Todesurteil aufzuheben, abgelehnt. Das Gericht habe in dem Prozess keine Rechtsfehler begangen. Eine Bestätigung des Todesurteils durch das Parlament und den Staatspräsidenten steht noch aus. Außerdem beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit dem Fall Abdullah Öcalan. Am 12. Januar 2000 fasste die Koalitionsregierung in Ankara den Entschluss, die Akte Öcalan erst wieder zu öffnen, wenn der Europäische Gerichtshof eine Entscheidung getroffen hat. Erst danach wird das Türkische Parlament und schließlich der Staatspräsident über das Schicksal des PKK-Führers entscheiden. Strategie der PKK - nach der Festnahme, Auslieferung und Verurteilung Abdullah Öcalans Bereits nach seiner Verhaftung in Rom Ende 1998 hatte Öcalan an seine Anhänger appelliert, den gewaltlosen Kurs der Partei der letzten Jahre beizubehalten. Der Verlauf zahlreicher, darauf folgender Demonstrationen war friedlich und zeigt, dass sich die PKK-Anhänger an die von Öcalan vorgegebene Linie der Gewaltfreiheit halten. Öcalan hofft, mit dem friedlichen Vorgehen der PKK intensiver auf eine politische Lösung der Kurdenfrage hinwirken zu können. Nach seiner Verbringung in die Türkei fällt es der PKK-Führung schwer, die herausgegebene Linie der Gewaltfreiheit bis an die Basis der Organisation durchzusetzen. Zu Beginn des Jahres eskalierte die Lage unter den europäischen Kurden zunächst, vornehmlich jugendliche Aktivisten reagieren oftmals spontan gewalttätig. Diese Haltung wurde durch einige Hardliner innerhalb der PKK unterstützt. Bereits am ersten Verhandlungstag seines Prozesses unterbreitete Öcalan dem türkischen Staat ein Kooperationsangebot. Dieses beinhaltet, den Kampf zu beenden und die Volksbefreiungsarmee (ARGK) zur Übergabe der Waffen zu veranlassen. Er sei an der friedlichen Lösung der Kurdenfrage interessiert und habe dies auch in mehreren Waffenstillstandsangeboten seit 1993 zum Ausdruck gebracht. Der Präsidialrat, das Führungsgremium, nach Öcalans Verhaftung in Kenia gegründet, erklärte sich solidarisch. Obwohl in PKK-Kreisen mit dem Todesurteil gegen Öcalan gerechnet wurde, kam es nach der Urteilsverkündung am 29. Juni zu etwa 50 Brandanschlägen in Deutschland. Die Mehrzahl der PKK-Anhänger sowie der Präsidialrat vertritt aber weiterhin das Prinzip der Gewaltfreiheit. Damit erklärten sie die völlige Übereinstimmung mit Öcalans Vorschlägen zu einer friedlichen und demokratischen Lösung des Kurdenkonfliktes. Am 24. Mai konstituierte sich in Amsterdam der Kurdische Nationalkongress (KNK). Ihm gehören 29 kurdische Parteien und Organisationen an. Ebenso sind hochrangige Mitglieder des Zentralkomitees der PKK vertreten. Öcalan wurde einstimmig zum Ehrenvorsitzenden gewählt. Der KNK verfolgt das Ziel, eine politische Lösung für das Kurdenproblem zu finden. Mit der Schaffung des KNK sah sich das von der PKK stark beeinflusste "Kurdische Exilparlament" (1995 gegründet) seiner Aufgaben enthoben und löste sich anlässlich seiner 11. Vollversammlung in Brüssel auf. Die "Exilparlamentarier" schlossen sich dem KNK an. Am 2. August wurde erneut eine Erklärung Öcalans verbreitet. Darin fordert er die Einstellung des bewaffAusländerextremismus neten Kampfes sowie den Abzug der Guerillaeinheiten der PKK aus den Gebieten der Türkei - beginnend mit dem 1. September. Der Präsidialrat der PKK ließ am 5. August eine Erklärung verbreiten, nach der er dem Appell Öcalans bedingungslos folgt und die Rebellen aufruft, jegliche separatistische Aktionen einzustellen. Die Erklärung stellt keine Bedingungen an die türkische Regierung, enthält jedoch Forderungen und Erwartungen. So werden gesellschaftliche Reformen im Rahmen einer Lösung des Kurdenkonfliktes erwartet. Auch die Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) erklärte am 6. August, sie betrachte den Aufruf Öcalans als Befehl und werde ihm folgen. Das ZK der PKK kündigte am 9. August einen außerordentlichen Parteikongress an, bei dem ein neues Programm verabschiedet werden soll. Darin wird es keinen Auftrag zum bewaffneten Kampf mehr geben. In dem neuen Programm soll der "politische Widerstand" und das "Demokratieprojekt" im Zentrum stehen. Damit wären die Voraussetzungen für die Umwandlung der PKK von einer militäri132 133 schen in eine rein politische Organisation gegeben. Auch für den Fall der Vollstreckung des Todesurteils bleiben die angestrebten Veränderungen in der Partei bindend, ließ der Präsidialrat am 1. September verbreiten. Ausländerextremismus Nachdem die PKK anfangs für einen separaten Kurdenstaat kämpfte, später Autonomie für die Kurden in der Türkei forderte, distanzierte sich Öcalan bereits in seinen Vernehmungen durch türkische Behörden von diesen Zielsetzungen und forderte lediglich kulturelle Rechte und Meinungsfreiheit für die Kurden in einer "demokratischen türkischen Republik". Damit bereitet er den Weg zur politischen Lösung der Kurdenfrage Am 1. Oktober ergaben sich acht PKK-Anhänger unter Führung des ehemaligen Europasprechers der ERNK an der irakisch-türkischen Grenze dem türkischen Militär. Sie überreichten eine Friedensbotschaft des ZK der PKK. Die gleiche Aktion fand am 29. Oktober mit acht PKK-Anhängern aus Wien kommend statt. Damit reagierten sie auf die Forderung Öcalans vom 22. September, eine Gruppe von PKK-Kämpfern solle sich mit ihren Waffen den türkischen Behörden ergeben. Dies sei ein Schritt, der die Ernsthaftigkeit der neuen friedlichen Linie der PKK unterstreiche. In einer Erklärung vom 5. Dezember stellte der Präsidialrat der PKK fest, dass es bisher noch keine angemessene Reaktion des türkischen Staates auf die zahlreichen Friedensinitiativen gegeben habe. Die Verfolgung von PKK-Angehörigen habe eher noch zugenommen. Mehr als hundert Kämpfer seien getötet worden. Die PKK könne diese Politik nicht hinnehmen und werde von ihrem Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machen. Mit dieser Warnung reagiert die Partei auf Stimmen innerhalb ihrer Organisation, die eine Abkehr von der Friedenspolitik fordern. Die Kritiker verweisen auf die Festnahme der beiden Friedensdelegationen vom 1. und 29. Oktober und auf die türkischen Angriffe auf Einheiten der Volksbefreiungsarmee Kurdistans während ihres Rückzugs. Reaktionen der PKK auf die Festnahme, Auslieferung und Verurteilung Öcalans Für die Kurden in Deutschland und ganz Europa war die Festnahme ihres Führers Abdullah Öcalan im Februar 1999 ein Schock. Sofort kam es überall zu spontanen, vielfach von der PKK initiierten Protestdemonstrationen, Geiselnahmen und Besetzungen von griechischen, türkischen, amerikanischen, kenianischen und israelischen Botschaften, Konsulaten und anderen Einrichtungen. Bei dem Versuch, das israelische Konsulat in Berlin zu stürmen, wurden vier Kurden von israelischen Sicherheitskräften erschossen. Auch deutsche Einrichtungen, wie die SPD-Parteizentrale in Hamburg, zählten zu den Angriffsobjekten. Ausländerextremismus Öcalan auf der Gefängnis-Insel Imrali Thüringer PKK-Anhänger reisten noch am Tag der Festnahme Öcalans nach Hannover, um sich an dortigen Aktionen zu beteiligen. Bereits am 20. Februar nahmen Thüringer Kurden an einer friedlich verlaufenden Demonstration von 5.000 PKK-Anhängern in Bielefeld teil. Am 21. und 22. Februar beteiligten sich Thüringer PKK-Anhänger an einem Hungerstreik in Straßburg und am 24. Februar an Demonstrationen in Rom und Berlin. 134 135 Am 5. März fand in Erfurt die - u. a. von einem DKP-Mitglied angemeldete - Demonstration von ca. 500 Personen statt. Es nahmen 300 Kurden und rund 200 Personen des linken Spektrums teil. Die Redner forderten eine internationale Kurdistankonferenz, die AufheAusländerextremismus bung des PKK-Verbots in Deutschland und den Stopp von deutschen Waffenlieferungen an die Türkei. Vereinzelt wurden verbotene PKKund ERNK-Fahnen gezeigt. Ab dem 19. März begingen Kurden in ganz Deutschland ihr traditionelles Neujahrsfest "NEWROZ". Die Feiern erstreckten sich wie jedes Jahr auf die Tage vor und nach dem 21. März. In vielen europäischen Städten fanden friedliche Demonstrationen, Fackelzüge, Infostände und Kundgebungen mit mehreren tausend Kurden statt. Im Mittelpunkt der Aktionen stand erwartungsgemäß das Schicksal von Abdullah Öcalan. 130 Personen, darunter 30 Kurden, beteiligten sich am 20. März an einer auch von der örtlichen Antifaszene mitgetragenen Antirassismus-Veranstaltung in Altenburg. Am 1. April reisten ca. 30 Thüringer Kurden nach Kassel, um im Verband von 500 bis 600 Kurden an dem Trauermarsch für Orhan Aykan, der sich selbst verbrannt hatte, teilzunehmen. Aykan hatte sich im Zuge der Geschehnisse um Öcalan am 26. März selbst angezündet. Zu einer Veranstaltung unter dem Motto "Frieden in Kurdistan - Demokratie in der Türkei" reisten am 17. April 80.000 Personen nach Bonn. Aus Thüringen kamen drei Busse mit 180 bis 200 Personen. Auf einer Großdemonstration am 22. Mai in Düsseldorf forderten die Demonstranten einen "fairen Prozess für Öcalan und die Zulassung von internationalen Beobachtern zu dem Prozess". Aus Thüringen reisten 60 Kurden an. Am 31. Mai begann die Hauptverhandlung gegen Öcalan. Die PKKFührung plante, den Prozess mit europaweiten Demonstrationen zu begleiten. So trafen sich am 5. Juni in Den Haag 30.000 Demonstranten, unter ihnen ca. 20 Thüringer Kurden. Sie forderten die Freilassung des PKK-Führers. Am 19. Juni demonstrierten 5.000 Personen, darunter 80 Kurden aus Thüringen, in Hamburg und 4.000 in Nürnberg. Am 15. Juni schließlich fand eine Demonstration in der Thüringer Landeshauptstadt statt. Unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - Frieden in Kurdistan" versammelten sich 200 Kurden in Erfurt. Die Verkündung des Todesurteils am 29. Juni war Anlass für zahlreiche Demonstrationen an den folgenden Tagen. Spontane, friedliche Protestdemonstrationen fanden insbesondere vor türkischen und amerikanischen staatlichen und halbstaatlichen Einrichtungen statt. Solche Veranstaltungen mit jeweils 50 bis 250 Teilnehmern gab es in Berlin, Hamburg, Bonn, Frankfurt und zahlreichen europäischen Städten. In der Nacht zum 30. Juni wurde das Konzept des friedlichen Protests erstmals seit Monaten durchbrochen. Es kam zu etwa 50 Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen, wie Geschäfte, Reisebüros, Vereine und eine Moschee. Anschläge konnten u. a. in Berlin, Wuppertal, Bremen und Stuttgart festgestellt werden. Am 1. Juli fand auch in Erfurt eine spontane friedliche Demonstration mit ca. 100 Kurden statt. Bei dieser Gelegenheit wurde unter den Kurden eine Postkarte verteilt, welche eine Demonstrantin mit dem PKK-Führer Öcalan auf einem Bild im Hintergrund zeigt. Die Empfänger der Karte werden aufAusländerextremismus gefordert, diese an Abdullah Öcalan zu schikken, um ihn so in seinem Kampf zu bestärken. Bereits am 17. Juli folgte eine Demonstration von 3.000 Kurden in Düsseldorf. Aus Thüringen nahPostkarte für Öcalan men ca. 20 Personen an der Veranstaltung teil. Zum 15. Jahrestag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes durch die Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) am 15. August 1984 veranstalteten die Kurden in ganz Europa Versammlungen und Festivals u. a. in Bonn und London. In Deutschland standen die Veranstaltungen hauptsächlich unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - Frieden in Kurdistan". 136 137 Ebenfalls in diesem Monat, am 28. August, fand das alljährliche Kurdenfestival mit ca. 50.000 Kurden im Dortmunder Westfalenstadion statt. Diese Veranstaltung stand unter dem Motto "Nein zur Todesstrafe - Frieden jetzt". Aus Thüringen nahmen 140 SympathiAusländerextremismus santen an der Veranstaltung teil. Vor dem Hintergrund des Beginns des Berufungsverfahrens gegen Abdullah Öcalan am 7. Oktober demonstrierten am 9. Oktober ca. 15.000 Kurden auf einer zentralen Großdemonstration in Frankfurt/ Main. Aus Thüringen reisten 80 Kurden zu der Veranstaltung an. Am 21. Oktober, dem Tag der Fortsetzung der Berufungsverhandlung, demonstrierten in Erfurt 40 Kurden. Am 20. Oktober forderten auch Mitglieder der Kurdistan-Initiative Eisenach während einer Mahnwache auf dem Marktplatz ihrer Stadt die Freilassung Abdullah Öcalans. In der Zeit vom 22. Oktober bis 6. November fand auf Initiative der Berliner "Informationsstelle Kurdistan e. V." (ISKU) eine Busrundreise durch das Bundesgebiet statt. Das Motto lautete "Freiheit für Abdullah Öcalan - Für eine politische Lösung in Kurdistan". Die Bustour machte in zahlreichen deutschen Städten wie Bremen, Köln, Mainz, Magdeburg, Berlin und am 3. und 4. November in Jena Station. Am zweiten Tag demonstrierten 120 Personen, darunter 40 Kurden, im Stadtzentrum von Jena. Im Zuge der Bestätigung des Todesurteils durch das türkische Kassationsgericht am 25. November betrieben acht Kurden in Erfurt einen Infostand, an dem sie Flugblätter der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) verteilten. Aus dem gleichen Anlass fanden in vielen deutschen Städten Sympathiedemonstrationen für Öcalan statt. Am 27. November begingen die PKK-Anhänger mit zahlreichen Veranstaltungen in vielen Ländern der Welt den 21. Jahrestag der Gründung der Partei. Vertreter des Kurdischen Nationalkongresses (KNK) und der Nationalen Befreiungsfront (ERNK) hielten auf zahlreichen Veranstaltungen ihre Ansprachen. Der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan übermittelte aus der Ferne seine Grußbotschaften. Am 29. und 30. November demonstrierten überwiegend in Frankreich lebende Kurden vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Dort entschied man mit einer einstweiligen Verfügung gegen das Todesurteil und für eine Aussetzung des Urteils bis zum Abschluss des Prozesses in Straßburg. Anfang Januar 2000 beschloss die türkische Regierung, diese Entscheidung zu respektieren. Am 4. Dezember meldeten sich die Kurden zum letzten Mal im Jahr 1999 mit einer Demonstration in Köln zu Wort. Etwa 9.000 Kurden aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland waren vor Ort. Aus Thüringen reisten 50 Kurden an. Das Motto der Veranstaltung: "Nein zur Todesstrafe - Frieden jetzt". Ausblick Die PKK hat sich nach Festnahme und Verurteilung ihres Generalsekretärs Abdullah Öcalan weitgehend an den vorgegebenen gewaltlosen Kurs gehalten. Mit ihren zentral gesteuerten europaweiten Ausschreitungen Anfang 1999 verdeutlichte sie aber, dass der friedliche Kurs nicht von der gesamten Partei getragen wird. Sie zeigte, dass diese noch immer ein erhebliches Bedrohungspotenzial für die inneAusländerextremismus re Sicherheit der Bundesrepublik darstellt. Die Brandanschläge haben verdeutlicht, dass ein latent existierendes Gewaltpotenzial der in Deutschland lebenden PKK-Anhänger vorhanden ist. Im Verlauf des Jahres 1999 war der Versuch einer Wandlung der PKK zu einer politischen Organisation, die ernsthaft einen Friedenskurs eingeschlagen hat, zu beobachten. Die PKK-Anhänger wurden weitgehend zur Gewaltlosigkeit bewogen. Gegenwärtig ist nicht sicher, wie die PKK-Führung auf eine etwaige Hinrichtung Öcalans reagieren wird. Erneute Gewalttätigkeiten sind durch die PKK oder ihre Sympathisanten bei - aus Sicht der PKK - unbefriedigender Lageentwicklung nach wie vor nicht auszuschließen. In Betracht zu ziehen ist auch die Möglichkeit der Abspaltung radikaler Kleingruppen, die mit dem aktuellen Friedenskurs der PKK nicht einverstanden sind, auch wenn die PKK bemüht sein wird, nach außen ein Bild der Geschlossenheit zu präsentieren. 138 139 4. Linksextremistische türkische Organisationen Organisationsstrukturen von türkischen linksextremistischen Organisationen bestehen in Thüringen nach wie vor. Angehörige der TürAusländerextremismus kischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) bzw. der Devrimci Sol (Dev Sol) betätigen sich als Geschäftsleute und Gewerbetreibende. Mitglieder dieser Organisationen verteilen vereinzelt Flugblätter und Zeitschriften unter Anhängern, auch in Asylbewerberunterkünften. An Veranstaltungen im Bundesgebiet nahmen auch im Jahr 1999 Personen aus Thüringen teil. 4.1 Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Die extremistische TKP/ML, eine sowohl am Marxismus-Leninismus als auch an den Ideen Mao Tse-tungs orientierte Partei, ist in Deutschland weiterhin aktiv. In Thüringen hat sich die Partei bereits 1995 etabliert. Im Freistaat halten sich bekannte Anhänger der Partei auf. Die TKP/ML arbeitet mit anderen linksextremistischen Organisationen zusammen. Sie solidarisierte sich z. B. nach der Festnahme Öcalans mit der PKK und nahm an verschiedenen Protestaktionen teil. Die TKP/ML wurde am 24. April 1972 gegründet und spaltete sich im April 1994 in die beiden Flügel "Partizan-Flügel" und "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK). Beide Flügel führten in den vergangenen Jahren jeweils jährlich Gedenkveranstaltungen zu Ehren ihres Parteigründers Ibrahim Kaypakkaya durch. 1999 trafen sich Vertreter des Partizan-Flügels am 24. April in der Hessenhalle in Gießen. Aus Thüringen reisten 35 bis 40 Personen an. Die europaweit agierende Basisorganisation der TKP/ML "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa e. V." (ATIK) führte am Osterwochenende in Frankfurt ihren Jahreskongress durch. Während einer Verkehrskontrolle in Duisburg nahm die Polizei zwei TKP/ML-Aktivisten, türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Thüringen, fest. Die beschlagnahmten Papiere lieferten Hinweise auf links- extremistische Organisationen, Termine und Städtenamen. Dabei handelte es sich um einen Maßnahmenkatalog für Solidaritätsaktionen bei Gefängnisrevolten in der Türkei. Die Beamten stellten 150 Schuss Munition, Schriften der TKP/ML sowie Listen mit Namen und Angaben von Geldbeträgen - weit über 50.000 DM - sicher. Die beiden Aktivisten waren offensichtlich als Spendensammler für ihre Organisation tätig. Die Spendenkampagne 1999 hatte im Oktober begonnen. 4.2 Devrimci Sol (Dev Sol) Die Dev Sol, bereits 1983 verboten, ist eine marxistisch-leninistisch orientierte Partei, die konspirativ arbeitet. Sie wurde 1978 in der Türkei gegründet. Ende 1992 spaltete sich die Organisation aufgrund parteiinterner Streitigkeiten in zwei Lager: den Yagan-Flügel, heute THKP-C, und den Karatas-Flügel, heute DHKP-C. Die Benennung der Flügel erfolgte nach den Anführern Bedri Yagan und Dursun Karatas. Die miteinander verfeindeten, sich ohne Einschränkungen bekämpfenden Flügel unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Gewaltbereitschaft und Brutalität kaum. Anhänger beider Flügel begehen in ihrem Machtkampf auch in Deutschland schwere Straftaten, wie die Tötung von Ausländerextremismus Parteifeinden, Freiheitsberaubung oder Brandstiftung. Die DHKP-C überwiegt mit 1.000 Mitgliedern bzw. Anhängern durch Größe und Bedeutung. Am 13. August 1998 verbot das Bundesministerium des Inneren die beiden rivalisierenden Flügel. 140 141 5. Sikhs/Tamilen 5.1 Extremistische Sikhs-Organisationen Ausländerextremismus Sowohl die International Sikh Youth Federation (ISYF) als auch die Babbar Khalsa International (BK) unterstützen den Kampf der indischen Religionsgemeinschaft der Sikhs für ein autonomes und von der indischen Zentralregierung weitgehend unabhängiges "Khalistan" (Land der Reinen) auf dem Gebiet des indischen Bundesstaates "Punjab". Die Sikhs fühlen sich von der überwiegend aus Hindus bestehenden indischen Staatsregierung um Zusagen für einen autonomen Staat betrogen. In Indien kam es im Rahmen der Unabhängigkeitsbestrebung immer wieder zu Gewaltexzessen, wobei es auf beiden Seiten eine Unzahl von Toten und Verletzten gab. Die ISYF wurde 1984 als Auslandsorganisation der indischen "All India Sikh Student Feeration" (AISSF) gegründet Die in Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten etablierten Sikhs-Organisationen unterstützen den terroristisch geführten Kampf im Heimatland vor allem durch propagandistische und finanzielle Mittel. Zu Gewaltaktionen in Deutschland liegen bislang keine Informationen vor. Während in Thüringen nur einige Anhänger der ISYF bekannt wurden, ist die BK seit 1998 mit einer eigenen Zone-Thüringen vertreten. Dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz ist es im Jahre 1999 gelungen, einen umfassenden Überblick über die Strukturen der BK-Deutschland und ihrer seit 1995 im Aufbau befindlichen regionalen Zonen sowie die Zusammensetzung der jeweiligen Vorstände und Funktionäre zu gewinnen. Ausländerextremismus Zeichen der Sikhs-Organi-sation Babbar Khalsa Die BK ist in Thüringen erstmals am 17. November in Altenburg mit einem Infostand öffentlich in Erscheinung getreten. Auf ihren Flugblätter warf die BK der indischen Regierung vor, binnen weniger Jahre Indien in einen rein hinduistischen Staat verwandeln zu wollen, in dem andersgläubige Minderheiten dann radikal unterdrückt würden. Die indische Regierungspartei Bharatiya Janta Partay schätzt die Organisation als "radikal, hindu-chauvinistisch und faschistisch" ein. 142 143 5.2 Tamilen Die "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) kämpfen für die Errichtung eines unabhängigen sozialistisch geprägten Tamilenstaat "TaAusländerextremismus mil Eelam" in dem überwiegend von Tamilen bewohnten Norden und Osten von Sri Lanka. Die "Tigers" verübten eine Vielzahl von Terroranschlägen gegen sri-lankische und indische Ziele. Die Organisationen in Deutschland unterstützen diesen Kampf vor allem durch Spendengelder. In Thüringen sind sie bislang nicht aktiv geworden. 6. Kosovo-Albaner Im Zusammenhang mit dem militärischen Eingreifen der Nato-Streitkräfte in den Kosovo-Konflikt gerieten auch die Aktivitäten der KosovoAlbaner in Thüringen in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Vor dem Beginn des Krieges gab es in Thüringen etwa 700 Kosovo-Albaner und 200 Serben. Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Volksgruppen sind in Thüringen bisher nicht bekannt geworden. In Deutschland agieren mehrere albanische Organisationen, von denen die beiden folgenden durch die Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden: * Volksbewegung Kosovos (LPK) Die marxistisch-leninistisch orientierte LPK (bundesweit ca. 300 Mitglieder) strebt einen von Serbien unabhängigen Staat Kosovo an und unterstützt die Befreiungsarmee von Kosovo politisch, moralisch und finanziell. Die Spenden werden über einen, von der Demokratischen Vereinigung der AlbanerInnen in Deutschland (DVAD) verwalteten Fond, Vendlindja Thevret (Das Vaterland ruft), der Befreiungsarmee von Kosovo (UCK) zur Verfügung gestellt. Führende Funktionäre der LPK sprechen sich derzeit gegen militante Aktionen außerhalb Jugoslawiens aus. * Nationaldemokratische Liga der albanischen Treue (B.K.D.S.H.) Diese nationalistische Organisation (bundesweit 150 Mitglieder) strebt einen Staat an, der die Gebiete Albanien, Kosovo und die von Albanern bewohnten Teile Montenegros, Mazedoniens und Griechenlands umfassen soll. Gewaltsame Aktionen hat die Organisation in Deutschland bisher nicht entwickelt. Der Demokratische Bund Kosovos (LDK) bildet die zahlenmäßig stärkste Organisation der Kosovo-Albaner in Deutschland (ca. 25.000 Mitglieder), er stellt zugleich in Kosovo selbst die größte albanische Partei. LPK, LDK und andere kosovo-albanische Gruppierungen führten seit Beginn der Nato-Luftangriffe am 24. März zahlreiche Demonstrationen in Deutschland durch. Daran beteiligten sich zum Teil mehrere tausend Personen, die das militärische Eingreifen der Nato begrüßten. Gelegentlich kam es am Rande der Demonstrationen zu Rangeleien mit nationalistischen Serben, größere Zusammenstöße blieben aus. Für Erfurt hatte ein Mitglied der Demokratischen Vereinigung der Albaner in Deutschland (DVAD) zum 6. April eine Versammlung unter freiem Himmel angemeldet. Sie stand unter dem Motto "Unterstützung der Maßnahme der Nato im Kosovo". Einige der bis zu 300 Teilnehmer trugen Transparente und Fahnen. Sie skandierten "UCK", "Kosovo", "Nato-Nato" und "Danke Deutschland". Die Redner der Kundgebung auf dem Fischmarkt dankten den Nato-Staaten und forderten den Einsatz von Bodentruppen. Ausländerextremismus 144 145 V. Scientology-Organisation (SO) Scientology-Organisation 1. Allgemeines Im Ergebnis eines Diskurses unter Beteiligung der Politik, der Wissenschaft, der Medien, der Öffentlichkeit und der Verfassungsschutzbehörden gelangte die Konferenz der Innenminister und Innensenatoren des Bundes und der Länder (IMK) auf ihrer Sitzung am 6. Juni 1997 in Bonn zu der Auffassung, dass das Menschenund Gesellschaftsbild der Scientology-Organisation (SO) elementaren Prinzipien des Grundgesetzes widerspricht und formulierte im Ergebnis ihrer Einschätzung, "... dass bei der Scientology-Organisation tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen und damit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung ... durch den Verfassungsschutz gegeben sind."3 Seitdem wird die SO in Bund und Ländern, mit Ausnahme Schleswig-Holsteins, durch die Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Die "Church of Scientology" wurde in den 50er Jahren in den USA von dem Science-Fiction-Autor Lafayette Ronald (Ron) Hubbard (19111986) gegründet. Nach dem Tod Hubbards, internen Machtkämpfen und Säuberungen setzte sich Mitte der 80er Jahre der "reformistische" Flügel um David Miscavage durch, der die Scientology in einen weltweit operierenden, hierarchisch strukturierten Trust mit einer totalitären Binnenstruktur verwandelte. Nach eigenen Angaben soll es in 107 Ländern 3.100 Kirchen, Missionen und angeschlossene Organisationen mit ca. acht Millionen Mitgliedern geben. Die oberste Leitungsebene, das Managementzentrum, die strategische Planungsebene und das ideologische Hauptquartier des zentralistisch geführten Imperiums firmieren in Clearwater/Florida. Die für Europa zuständige Zentrale befindet sich in Kopenhagen. In Deutschland unterhält Scientology 20 offizielle Niederlassungen. Dazu kommen unzählige Organisationen und Einrichtungen, die den Namen Scientology nicht führen, aber dennoch scientologisch sind. Das Gewicht scientologischer Aktivitäten verlagerte sich nach dem Machtwechsel allmählich vom Markt der Lebenshilfen auf den wirtschaftlichen Sektor. Scientology behauptet jedoch nach wie vor, eine 147 Religionsgemeinschaft zu sein. Die Genesis der Organisation bestätigt aber, dass im Mittelpunkt scientologischen Strebens stets ökonomische Interessen und Machtstreben standen. Dazu Hubbard: "Make money - make more money - make other people produce so as to Scientology-Organisation take money".4 2. Anspruch, Ziele, Wirkungsfelder Wer sich mit Scientology auseinandersetzt, stößt schnell auf eine Vielzahl von "Fachbegriffen". Redefinitionen aus der Wissenschaftsund Alltagssprache werden, für Nicht-Scientologen durchaus verwirrend, von einem Korsett unverständlich erscheinender Sprachschöpfungen gestützt. In dieses geschlossene sprachliche System "verpackt", werden Hubbards Lehrsätze als fundamentale Einsichten mit der Qualität von Naturgesetzen präsentiert. Hier muss kein Beweis mehr angetreten werden. Kritik oder auch nur differenzierende Sichtweisen prallen ab, weil ja der "Hubbardismus" einzig wahr und allmächtig ist. Scientology bedient sich der Sprache als Instrument einer perfiden Propaganda. Die transportierten Inhalte dienen der Indoktrination, der Abgrenzung nach außen, der Homogenisierung nach innen und damit der Festigung der hierarchischen und elitärantipluralistischen Struktur. Dazu folgende Überlegung: Vor nahezu 100 Jahren schrieb Friedrich Nietzsche den prophetischen Satz: "In Zukunft, also im 20. Jahrhundert, werden diejenigen in einer Gesellschaft die eigentliche Macht ausüben, die fähig sind, ihre Sprachregeln in der Gesellschaft durchzusetzen. Dann ist die Wahl der Begriffe und der Sprache kein Nebenkriegsschauplatz, sondern dann wird der Kampf um die Sprache zur entscheidenden Schlacht."5 Nietzsche nimmt hier vorweg, was Viktor Klemperer und Hannah Arendt am Beispiel des Marxismus-Leninismus und des Nationalsozialismus durchaus überzeugend herausarbeiteten, nämlich, dass "Sprachschöpfungen" großen Stils stets ein konstitutives Merkmal totalitärer Ideen sind, und, dass sich bei allen ideologischen Unterschieden übergreifende inhaltliche Gemeinsamkeiten ausmachen lassen, die vor allem auf die "Machtfrage", das "wer-wen?", das "Hammer-oder-Amboss-sein" zurückgehen. Das zeigt sich vor allem im Vergleich: Zitat 1: "Wer sich gegen die Gesellschaftsordnung an sich wendet, den schieße ich rücksichtslos nieder. Jeder Versuch, diesen Staat [...] zu erschüttern, wird mit Blut ertränkt."6 Zitat 2: "[...] Agenten, Spekulanten, Einbrecher, Rowdys, [...] Agitatoren und [...] Spione sind am Tatort zu erschießen." "...alle [...] die den Feind direkt oder indirekt unterstützen (sind) samt und sonders auszurotten."7 Zitat 3: "Eine Person, die in den Ethik-Zustand des Feindes zurückgestuft worden ist, gilt als vogelfrei. Man darf ihr Eigentum abnehmen, sie in jeder Weise verletzen, ohne dass man ... bestraft wird. Man darf ihr Streiche spielen, sie verklagen, sie belügen oder vernichten."8 Das erste Zitat stammt von Hitler (1942), das zweite von Lenin (1919), das dritte von Hubbard (1965). Schlussfolgerung: Die Äußerungen unterscheiden sich durch den jeweiligen ideologischen und zeitgeschichtlichen Kontext. Die große Gemeinsamkeit besteht jedoch im Scientology-Organisation Inhaltlichen, nämlich darin, dass sich in allen drei Zitaten, über jede ideologische Divergenz hinweg, deutliche Freund-Feind-Definitionen finden ("wer nicht für uns ist, ist gegen uns"), die zudem eine eindeutige, zwar unterschiedlich formulierte, im Kern jedoch gleichlautende Botschaft zum Umgang mit unliebsamen Zeitgenossen transportieren. Die Botschaft lautet: bekämpfen, vernichten. Es lassen sich beliebig viele, weitere Belege finden.9 Bei jeder totalitären Ideologie besteht ein Missverhältnis zwischen heilbringendem Anspruch und profaner, durch einen Minderheitenwillen bestimmter Machtausübung. Dieser Mechanismus führt zwangsläufig zu Machtmissbrauch und kann die Effekte, die aus der Machtunterworfenheit der übergroßen Mehrheit resultieren nicht nur nie ganz kompensieren, sondern steigert bei wirklicher oder vermeintlicher Gefahr für das jeweilige System den "normalen" Druck" bis zur Unerträglichkeit. Dass solche Systeme dennoch eine relative Stabilität aufweisen, ist ein bislang wenig erforschtes Phänomen. Einige, durchaus tragfähige Erklärungsansätze, finden sich in Sigrid Meuschels Publikation "Legitimation und Parteiherrschaft in der DDR".10 148 149 Hannah Arendt, die Begründerin der modernen Totalitarismusforschung, nennt sieben charakteristische Merkmale totalitärer Ideologien: Scientology-Organisation * einen absoluten Wahrheitsund Alleinvertretungsanspruch, * eine hermetisch geschlossene Weltanschauung, die auf "ewigen Wahrheiten" beruht, * eine anti-aufklärerische, absolutistische Legitimation, * eine rigide Unterscheidung zwischen "Gut" und "Böse", "Freund" und "Feind", * die Ablehnung der Demokratie und die Befürwortung des Kollektivismus, * Gewaltbereitschaft nach innen und außen, * die Bildung einer eigenen Sprache zur Abgrenzung nach außen und zur Homogenisierung nach innen.11 Projiziert man diese analytische Maske auf die kommunistische und die NS-Ideologie, oder aber auf Scientology, kommt man schnell (mit qualitativen und quantitativen Unterschieden) zu einem eindeutigen Ergebnis.12 3. Ablehnung der parlamentarischen Demokratie Da die SO politische Zielsetzungen nach außen hin aus taktischen und kommerziellen Gründen verschleiert, werden in ihrem Schrifttum dezidiert politische Fragen und Themen eher am Rande behandelt. Dass die SO sehr wohl politisch motiviert vorgeht und eine prinzipiell ablehnende Fundamentalkritik an der Demokratie vorträgt, ergibt sich aus dem Wenigen allerdings sehr deutlich. Demokratie, so Hubbard, sei ein "... kollektives Denken des reaktiven Gedächtnisses". An anderer Stelle heißt es: "Die reaktive Bank, der unbewusste Verstand - wie immer sie es nennen wollen - unterdrückt alle anständigen Impulse und fördert die schlechten. Daher ist eine Demokratie ein Kollektivdenken von reaktiven Banken ...".13 Führt man konsequent zu Ende, was Hubbard vorgedacht hat, bedeutet dies, dass die Überwindung der Demokratie für Hubbard zwingend notwendig ist, denn: alle scientologischen Techniken zielen darauf ab, das "reaktive Gedächtnis" zu beseitigen, um den Weg des Einzelnen in die - freilich scientologische - Freiheit zu ermöglichen und letztlich den Weg in eine neue Gesellschaft freizumachen. Hubbard folgerichtig: "So können wir [...] zu dem Schluss kommen, dass sich die erste wirkliche Demokratie ergeben wird, wenn wir jeden einzelnen Menschen von den reaktiven Impulsen befreit haben. Solche Menschen können vernünftig denken, sie können sich auf gute und praktische Maßnahmen verständigen und man kann sich bei ihnen darauf verlassen, dass sie positive Maßnahmen entwickeln. Bis wir dies erreicht haben, werden wir fortfahren, die menschliche 'Demokratie' - ebenso wie jede andere politische Philosophie, die der Mensch zur Heilung seiner Übel hervorgebracht hat, zu kritisieren."14 Gegen die universalistischen Ideen von Demokratie, Liberalismus und Egalitarismus gerichtet, erscheint Scientology letztlich als Ausfluss antiaufklärerischen, irrationalen Denkens.15 Die parlamentarische Demokratie ist scientologischem Verständnis nach ein in letzter Konsequenz dem Liberalismus folgendes politisches Ordnungsprinzip, das aufgrund seiner pluralistisch-egalitären Basis abzulehnen ist. Der scientologische Gegenentwurf lautet: "Clear the Planet". Das impliziert das Streben nach einer im scientologischen Sinne "geklärten" Welt, die, nach scientologischen Gesichtspunkten, hierarchisch strukturiert und "hubbardistisch" homogen, durch eine Scientology-Organisation Elite "Operierender Thetanen" (OT) geführt wird. Eine ideale Gesellschaft, heißt es bei Hubbard, sei allein "eine Gesellschaft nichtaberrierter Menschen" (Clears), die in einer "nichtaberrierten Kultur" leben. Hubbard bringt dezidiert zum Ausdruck, wie er sich die Eroberung politischer Schaltstellen vorstellt, Zitat: "Eine Nation oder ein Staat funktioniert aufgrund der Fähigkeiten seiner ... Führungspersonen. Es ist leicht, in so einem Bereich einen Posten zu erhalten, ... nutzen Sie jegliche Ihnen zur Verfügung stehenden Talente, um eine Stellung in der Nähe solcher Personen zu bekommen und machen Sie sich daran, an der betreffenden Umgebung zu arbeiten und sie besser zum Funktionieren zu bringen."16 Das Ziel der Erschaffung einer neuen Gesellschaft allein ist an sich schon hochpolitisch, dazu, mit Blick auf die Menschenrechte in einer solchen Gesellschaft, antidemokratisch, denn nur Menschen mit dem richtigen Bewusstsein - einem scientologischen versteht sich - sollen in Hubbards Utopia in den ungeteilten Genuss von Menschen150 151 und Bürgerrechten kommen. Hubbard: "Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieScientology-Organisation ren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele ..."17 Die Weltsicht einer jeden totalitären Bewegung basiert auf einem in sich geschlossenen System "ewiger Wahrheiten". Daraus resultiert ein vehement verfochtener Wahrheitsund Alleinvertretungsanspruch, der wiederum zu einer beschränkten Weltsicht führt, die strikt zwischen der "guten", im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit befindlichen eigenen Sphäre, und dem, notwendigerweise "feindlichen", Rest unterscheidet. Nachstehende Zitate vermitteln einen Eindruck vom Denken Hubbards. Die Ablehnung der Demokratie als staatliche Organisationsform erschöpft sich hier nicht in einer bloß passiven Anti-Haltung. Demokratie erscheint im Denken Hubbards nicht als Wert, sondern als ein bekämpfenswertes Übel, das durch die eigene Organisationsform ersetzt werden muss. Die Zitate sprechen für sich selbst, sodass an dieser Stelle auf weitere Kommentare verzichtet werden kann. "Scientology gibt uns eine erste Chance zur Schaffung einer wahren Demokratie. [...] Somit können wir aufgrund vorliegender Beweise davon ausgehen, dass die erste wahre Demokratie entsteht, wenn wir jedes Individuum von den bösartigen reaktiven Impulsen befreit haben. Derartige Wesen können vernünftige Maßnahmen besprechen und ihnen zustimmen, und man kann ihnen vertrauen, dass sie nützliche Maßnahmen entwickeln."18 "Da Scientology jetzt totale Freiheit bringt, muss sie auch die Macht und die Autorität haben, totale Disziplin zu fordern."19 "Und ich sehe nicht, dass populäre Maßnahmen, Selbstverleugnung und Demokratie dem Menschen irgendetwas gebracht haben, außer ihn weiter in den Schlamm zu stoßen [...] und die Demokratie hat uns Inflation und die Einkommenssteuer beschert."20 "Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nichtaberrierter Menschen - Clears -, die in einer nichtaberrierten Kultur leben. [...] Es genügt nicht, als Einzelner nichtaberriert zu sein, wenn man in den Schranken einer Gesellschaft, die eine Kultur aus vielen unvernünftigen Vorurteilen und Sitten entwickelt hat, leben muss."21 "Vielleicht werden in ferner Zukunft nur den Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele, deren Erreichung die Überlebensfähigkeit und das Glück der MenschScientology-Organisation heit erheblich zu steigern vermochten."22 4. "Ethik" der SO In der scientologischen Praxis führt dieses Freund-Feind-Denken zu einem rigiden Umgang mit denen, die die "ewigen Wahrheiten" und selbstdefinierten Leitsätze der Doktrin einer kritischen Prüfung unterziehen. Jede innere und äußere Kritik wird durch Scientology per se zum "Verbrechen" erklärt, die Kritiker zu "Verbrechern", "Unterdrückern" und "antisozialen Persönlichkeiten" gestempelt, die es zu "handhaben", zu bekämpfen gilt. Mit dem durch Hubbard redefinierten "Ethik"-Begriff schuf sich die SO ein probates Instrument im Kampf gegen Kritiker. Hubbards Ausführungen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Er schreibt: "Der Zweck von Ethik ist, Gegenabsichten aus der Umwelt zu entfernen. Nachdem das erreicht worden ist, hat sie zum Zweck, Fremdabsichten aus der Umwelt zu entfernen."23 152 153 "Ethisch" ist also alles, was Scientology nützt. Gleichermaßen als Waffe gegen innere und äußere "Feinde" verwendbar, hat sich Hubbards krudes Ethikverständnis nach internen Machtkämpfen in der gesamten Organisation durchgesetzt. Hubbards unzählige EthikScientology-Organisation anweisungen stellen nun eine, für jede "Org" verbindliche Normenvorgabe dar, die es, unter Strafandrohung, buchstabengetreu zu erfüllen gilt. Ihrer Verbreitung dienen die so genannten Hubbard Communication Office Policy Letters (HCOPL), früher von Hubbard, nun von der obersten Leitungsebene der SO verfasste Richtlinienbriefe, deren Handlungsanweisungen für alle Scientologen verbindlich sind. Im Innern der Organisation wachen "Ethikabteilungen" und "Ethikoffiziere" über die Einhaltung der Kodizes. Mit der "Handhabung" externer Kritiker beschäftigt sich das Office of Special Affairs (OSA), der scientologische Geheimdienst, der im deutschen Sprachraum auch als "Presseund Rechtsamt" bezeichnet wird. Die strafwürdigen Ethikvergehen umfassen auch einen Komplex "unterdrückerischer Handlungen". Dort heißt es u. a.: "Unterdrückerische Handlungen sind definiert als Handlungen oder Unterlassungen, die unternommen werden, um Scientology oder Scientologen wissentlich zu unterdrücken, einzuschränken oder zu behindern."24 5. SO in der Wirtschaft Mit der Gründung des weltweiten Verbandes scientologischer Unternehmer, WISE, im Jahr 1979 begann der Einzug der Scientology in die Wirtschaft. WISE hat die Aufgabe, die Verwaltungstechnologie Hubbards in der Wirtschaft zu verbreiten. Sowohl Einzelmitglieder als auch ganze Firmen können WISE-Lizenznehmer werden. Die Gefahren, die von einer Vereinnahmung durch WISE ausgehen, bestehen vor allem darin, dass die scientologische "Statistik" zum einzigen Bewertungskriterium in allen Bereichen des Unternehmens erhoben wird. Nur wer steigende Statistiken aufweist, gilt als gesund und "powerfull". So werden mitunter Entscheidungen gefällt, die jeder betriebswirtschaftlichen Vernunft Hohn sprechen. Außerdem wurden Fälle bekannt, bei denen die SO versuchte, durch Einflussnahme auf die Personalauswahl Macht über unternehmerische Entscheidungen zu gewinnen. Mitarbeiter wurden gezwungen, an SO-Kursen teilzunehmen, bei Weigerung erhielten sie Kündigungen. Hohe Privatentnahmen aus Firmenkassen können zudem zu Liquiditätsproblemen führen und haben in Einzelfällen Unternehmen bis zum Konkurs ruiniert. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat die Effekte scientologischer Scientology-Organisation Betätigung in der Wirtschaft wie folgt beschrieben: "Psychische Deformation, bis zum Ruin verschuldete, erpressbare Mitarbeiter, Wirtschaftsspionage und Veruntreuung, Illoyalität, Begünstigung im Amt, unlauterer Wettbewerb und Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht".25 Dazu Hubbard: "Erobern Sie, egal wie, die Schlüsselpositionen, [...] als Personalchef einer Firma, als Leiter eines guten Orchesters, als Sekretärin des Direktors, als Berater der Gewerkschaft - irgendeine Schlüsselposition."26 Der Erfolg scientologischen Engagements in der Wirtschaft ist nur schwer abzuschätzen, zumal Hubbards ökonomische Grundsätze, die unternehmerisches Engagement allein auf Profitmaximierung ausrichten und die soziale Marktwirtschaft auf einen ungehemmten "Manchester-Kapitalismus" reduzieren, bei einigen Unternehmern auf absolute Zustimmung stoßen dürften. Die SO präferiert ja letztlich rücksichtslose Durchsetzungsstrategien, die Profit nicht nur versprechen, sondern garantieren. Hier spricht die SO jene wirtschaftlichen Eliten an, die expansiv orientiert sind, aber gleichzeitig ein Orientierungssystem und eine Rechtfertigung benötigen, um ihr 154 155 Expansionsstreben ohne lästige soziale Zugeständnisse durchzuführen.27 Sie kann dabei den Umstand nutzen, dass ihre Praktiken mit den Scientology-Organisation etablierten Praktiken einiger Branchen deckungsgleich oder zumindest kompatibel sind, was ihr den Einstieg oftmals erleichtert. Insofern perfektioniert die SO nur das bereits Vorhandene. Das Ziel dieses Engagements kann, folgt man der Logik der SO, die allen Lebensbereichen einen inneren Zusammenhang zuschreibt, nur darin bestehen, über das Sprungbrett wirtschaftlicher Macht an die Schaltstellen der Politik zu gelangen. Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Expansion bilden in Hubbards Denken eine Einheit, wobei einschränkend darauf hingewiesen werden muss, dass die SO die Praktikabilität dieser Strategie noch nie unter Beweis stellen konnte. 6. Zusammenfassung Bei Hubbard lassen sich - expressis verbis - Parallelen zu den Totalitarismen des 20. Jahrhunderts sowie eine strikte Ablehnung der Demokratie feststellen. Das Vorhandensein einer totalitären Binnenstruktur der SO kann als gegeben vorausgesetzt werden. Ob Scientology allerdings aktiv auf die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung hinarbeitet, ob die Organisation überhaupt in der Lage ist, Hubbards größenwahnsinnige Vorstellungen in die Praxis umzusetzen, bleibt unklar. Hubbards Omnipotenzwahn lässt allerdings vermuten, dass die mehr oder minder realitätsnahen SO-Kampagnen ("Clear Germany", "Clear the Planet" usw.) den praktischen Versuch darstellen, scientologische Prinzipien auf die Gesellschaft zu übertragen. In der Bundesrepublik präsentiert sich Scientology derzeit als ein Konglomerat suboptimaler, miteinander konkurrierender, in die Defensive gedrängter, aber fest am Markt etablierter Einzelorganisationen, deren Hauptziel darin besteht, ihre Existenz zu sichern und umsatzsteigernd zu wirtschaften. Nach den zurzeit vorliegenden Erkenntnissen ist die Organisation um einiges kleiner und weniger effizient, als sie in ihren Selbstdarstellungen glauben machen will. Innerhalb ihres Systems erzeugt die SO einen starken Druck, der von oben nach unten weitergegeben wird. Die Geschichte zeigt, dass solche Systeme auf längere Zeit nur überleben können, wenn sie reformfähig sind. Inwieweit Scientology entwicklungsfähig, wandlungsfähig und damit fähig zu weiterer Expansion ist, muss sich zeigen. Die Pression, die in Deutschland durch die Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden und eine weitgehende gesellschaftliche Ächtung auf die SO ausgeübt wird, drängt Scientology in die Defensive. Deutschland bewegt sich in seiner Reaktion auf die Anfechtungen durch die SO durchaus im Kanon der Reaktionen anderer europäischer Länder. Die von der SO postulierte Sonderrolle Deutschlands, die die Bekämpfung der Scientology gern mit der Verfolgung Scientology-Organisation der Juden in Hitlerdeutschland gleichsetzt, ist nirgendwo sichtbar. Der Status der SO als Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft ist umstritten. Aber selbst wenn die SO diesen Status für sich in Anspruch nehmen könnte, kann und muss der Verfassungsschutz in dem Moment tätig werden, in dem eine Religionsgemeinschaft unter dem Vorwand der Religionsausübung auf die Beseitigung der Werte der Verfassung hinarbeitet. Die SO tritt nicht zu Wahlen an. Es ist allerdings falsch, deshalb auf das Fehlen einer politischen Dimension zu schließen, denn ihre Aktivitäten sind ideologisch determiniert und, expressis verbis, politisch bestimmt.28 Die Ablehnung der Demokratie als politischer Organisationsform und das angestrebte Fernziel, der "Klärung" der Welt, die die Errichtung einer scientologisch geprägten Gesellschaft in Aussicht stellt, sprechen für sich. Damit verkörpert die SO eine neue Qualität des Extremismus, abseits des tradierten Links-Rechts-Schemas.29 156 157 Letztlich offeriert die SO, auf den Kern reduziert, nichts anderes als "Sinn" und "Erfolg", befriedigt das Bedürfnis nach Nestwärme, Kollektivismus, Wertund Sinnstiftung, nach Metaphysik und verbindet dies idealiter mit kapitalistischem Profitstreben in Reinstform.30 Scientology-Organisation Hubbard vermeidet jede Kapitalismuskritik. Er befindet sich keineswegs in Gegnerschaft zum neoliberalen Modell. Erst dieser Umstand verleiht der SO ihren "Schwung": Hubbard setzt auf die Kräfte des Marktes, anstatt sie zu zügeln, und widmet die bereits bestehenden Mechanismen in seinem Sinne um. Wie der Vergleich zeigt, ist Hubbard im ideologischen Bereich weder einzigartig, noch originell. Die SO ist die Privatschöpfung eines durchaus verwirrten Geistes. Dass Scientology dennoch "funktioniert" liegt wohl daran, dass die zunehmende Liberalisierung und Globalisierung des Wirtschaftens überall in der Welt vergleichbare ökonomische Rahmenbedingungen hervorbringt, die diversen Heilslehren ideale Ansatzpunkte bietet.31 7. Die SO in Thüringen Die seit Juni 1997 durchgeführten Beobachtungen haben ergeben, dass Scientology auch in Thüringen aktiv ist. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das Engagement der SO im Freistaat jedoch gering. Die Aktivitäten konzentrieren sich auf Einzelpersonen bzw. einzelne Unternehmen. Die SO besitzt keine offiziellen Niederlassungen wie z.B. "Kirchen", Missionen oder Dianetik-Zentren in Thüringen. Mit Werbeständen, Plakataktionen hält sich die SO in Thüringen zurück. Im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit versandte sie jedoch an Behörden, Polizeidienststellen und Verbände ScientologyMaterialien und Bücher. Die Aktivitäten der SO in der Wirtschaft des Freistaates Thüringen können als marginal bezeichnet werden. Soweit man überhaupt von Schwerpunkten sprechen kann, beziehen sie sich auf die Bereiche Marketing, Elektronische Datenverarbeitung, Managementschulung, Unternehmensberatung und Immobilienhandel VI. Ereigniskalender extremistischer Bestrebungen in Thüringen Termin Ereignis 5. Januar Militanter volksverhetzender Brief ging in der Gedenkstätte Buchenwald ein, gerichtet an den Direktor. 9. Januar Gründung des DVU-Ortsverbandes Heldburg während einer Veranstaltung des DVU-Kreisverbandes Hildburghausen in Heldburg 17. Januar Liebknecht-Luxemburg-Demonstration in Erfurt und Suhl (u. a. mit Vertretern von DKP und KPD) 18. Januar Angehörige der linksextremistischen Szene Jenas versuchen mit dem Pkw das Fahrzeug eines Rechtsextremisten anzufahren - in der Wohnung des Hauptverdächtigen fand die Polizei mehrere Waffen. Ereigniskalender 19. Januar In der Umgebung Jenas tauchen acht gefälschte Fahndungsplakate, angeblich vom LKA, auf; darauf die Bilder und Beschreibungen von drei Rechtsextremisten. 22. Januar Skinheadkonzert in Weimar mit ca. 200 Teilnehmern 23. Januar Gründung des Bundes Deutscher Patrioten (BDP) in Gößnitz/Lkr. Altenburger Land 23. Januar Politischer Stammtisch der DVU in Weimar 158 159 30. Januar Angehörige der autonomen Szene nehmen am Antifaschistischen Mahngang unter dem Motto "Nie wieder Faschismus" in Weimar teil Ereigniskalender Ende Januar "Endspurt" der 98er Spendenkampagne der PKK 6. Februar Gründung des Kreisverbandes Altenburg des Bundes Deutscher Patrioten 8./10. Februar Störaktionen gegen die Unterschriftensammlung an einem Informationsstand der CDU (gegen doppelte Staatsbürgerschaft) in Erfurt und Jena 25. Februar Beginn der Thüringer Diskussionsrunden zum neuen Programm der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) in Eisenach 27. Februar NPD-Infostand an der Jenaer Stadtkirche 27. Februar Landesparteitag der Republikaner in Altenburg und Gegendemonstrationen, an denen überwiegend Personen der linken Szene teilnehmen 27. Februar Landesparteitag der Deutschen Volksunion (DVU) in Bad Kösen/Sachsen-Anhalt 5. März Demonstration für kurdische Selbstbestimmung in Erfurt, neben etwa 300 Kurden nahmen auch Angehörige der autonomen Szene, Mitglieder der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS, der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) teil. 6. März Politischer Stammtisch der DVU in Weimar 13. März Bundesparteitag des BDP in Arnstadt 18. März Angehörige der autonomen Szene unterstützen den Aktionstag für das ehemalige Black-PantherMitglied Mumia Abu-Jamal. 20. März Angehörige der autonomen Szene und Kurden beteiligen sich am Mahngang zum Internationalen Tag gegen Rassismus in Altenburg 25. März Demonstration der Republikaner in Altenburg gegen die Nato-Kampfeinsätze im Kosovo 26. März Mitglieder der DKP, KPD und Angehörige der autonomen Szene nehmen an der Erfurter Demonstration gegen den Nato-Einsatz in Jugoslawien teil. 26. März Gedenkmarsch für die getötete Jana Georgi in Saalfeld, Teilnahme von 200 Personen, überwiegend Angehörige der örtlichen linken Szene 27. März Parteitag der Thüringer Gruppierung Bündnis 99 (REP, Bund Freier Bürger, Partei Pro DM) in Erfurt 27. März Landesparteitag der NPD in Mittelpöllnitz/ Saale-Orla-Kreis 6. April Während einer Demonstration der KosovoAlbaner in Erfurt verliest ein UCK-Abgesandter im Kampfanzug einen Rekrutierungs-Befehl. Ereigniskalender 10. April Politischer Stammtisch der DVU in Weimar 11. April Autonome beteiligen sich an einer Friedensdemonstration in Weimar. 11. April Mitglieder der KPD, der DKP und des Roten Runden Tisches beteiligen sich an dem Treffen anlässlich des 54. Jahrestages der Befreiung des KZ Buchenwald. 11./12. April Unbekannte stören die Totenruhe im Speziallager II (Buchenwald), das an Menschen erinnert, die hier von 1945 bis 1950 verstarben (Beschädigung von 14 Holzkreuzen). 160 8 Erei nskalen 23. April NPD-Infostand in Jena, starke Polizeipräsenz verhindert Auseinandersetzungen mit den Gegendemonstranten. 24. April Unbekannte Täter stürmen einen Jugendclub in Ingersleben/Lkr. Gotha, in dem sich zu diesem Zeitpunkt "Rechte" aufhielten. 24. April Schulung der Republikaner aus den Landesverbänden Sachsens und Thüringens in Bad Klosterlausnitz/Saale-Holzland-Kreis 1. Mai kurzer Aufmarsch von NPD-Mitgliedern und Sympathisanten vor dem Geraer Hauptbahnhof, durch die Polizei abrupt unterbunden vor dem 4. Mai Aggressive Plakate gegen den Nato-Einsatz in Jugoslawien tauchen auf: Köpfe führender Bundespolitiker im Visier. 8. Mai Wahlkampf-Veranstaltung der REP in Altenburg 8. Mai Gedenkmarsch der rechtsextremistischen Szene für Sandro Weilkes in Neuhaus/ Lkr. Sonneberg 15. Mai Politischer Stammtisch der DVU in Weimar Ereigniskalender 15. Mai Angehörige der rechten Szene überfallen einen Jugendclub in Langenleuba Niederhain/ Lkr. Altenburger Land. 20. Mai Infostand der NPD in Gera 28. Mai Angehörige der autonomen Antifa demonstrieren gegen ein Treffen der Burschenschafter in Eisenach 29. Mai Mitglieder der DKP, SDAJ, KPD und des Roten Tisches der Kommunisten Ostthüringens präsentieren sich beim Linken Medienspektakel in Suhl mit Infoständen. 162 163 5. Juni Ausschreitungen zwischen Angehörigen der linken und rechten Szene während des Altstadtfestes in Ilmenau Ereigniskalender 11. Juni Skinheadkonzert in Altenburg mit ca. 200 Teilnehmern 12. Juni Redskin-Demonstration in Eisenach 13. Juni DVU erringt bei den Kommunalwahlen drei Mandate (zwei in Frauenwald/Ilmkreis, eines in Lauscha/Lkr. Sonneberg). 15. Juni Kurdendemonstration in Erfurt, an der sich auch Linksextremisten beteiligen 19. Juni Sonnenwendfeier mit 50 Angehörigen der rechten Szene in Oberheldrungen/Kyffhäuserkreis 19. Juni Politischer Stammtisch der DVU in Weimar 26. Juni Landesparteitag der DVU in Ohrdruf/Lkr. Gotha 1. Juli Spontandemonstration von ca. 100 Kurden für die Freilassung Öcalans 5. Juli Angehörige der rechten Szene greifen das Haus für Soziokultur in Weimar an 16. Juli Aufzug der Republikaner in Altenburg 25. bis 31. Juli 11. Antifa-Workcamp in Weimar, an dem auch Angehörige der autonomen Szene teilnehmen 29. Juli Spielzeug mit Darstellungen der Waffen-SS in einem Thüringer Geschäft entdeckt 31. Juli Tötungsdelikt an einem Skin in Bad Berka/Lkr. Weimarer Land 7. August Trauermarsch für erstochenen Skin in Bad Berka 14. August Verbot der NPD-Demonstration unter dem Motto "Jugend in den Landtag. Wir sind die echte Opposition" durch das Ordnungsamt Eisenach, Spontandemos durch die Sicherheitsbehörden verhindert 18. August Anschlag auf Weimarer Kunstpyramide durch Angehörige der rechtsextremistischen Szene 18. August Gedenkveranstaltung für den früheren KPDVorsitzenden Ernst Thälmann in Buchenwald 20. August Brandanschlag auf das Weimarer Haus für Soziokultur durch Angehörige der rechten Szene 21. August versuchte Heß-Demos im Raum Saalfeld/ Rudolstadt, Jena und Weimar durch Polizei unterbunden 24. August Hakenkreuze und SS-Runen auf Wahlplakaten der DVU im Kyffhäuserkreis; Beschädigungen von Plakaten rechter Parteien erfolgten im gesamten Freistaat. 29. August Informationsstand der DKP in Gera Ereigniskalender 30. August Rechte überfallen drei Schriftsteller in Weimar 4. September Rechts-Links-Auseinandersetzung in Meuselwitz/Lkr. Altenburger Land 4. September NPD-Wahlkampfkundgebung mit Aufzug der NPD-Thüringen in Jena unter dem Motto "Jugend in den Landtag. Wir sind die echte Opposition", Gegendemo, an der sich auch Angehörige der autonomen Szene beteiligten 11. September Skinheadkonzert in Thörey/Ilmkreis mit ca. 100 Teilnehmern 164 165 12. September Landtagswahl, die DVU erzielt 3,1 Prozent der Zweitstimmen, die Republikaner (Bündnis 99) kommen auf 0,8 Prozent und die NPD auf 0,2 Prozent der Stimmen. Ereigniskalender 14. September Veranstaltung des Thüringer Heimatschutzes mit Dr. Claus Nordbruch in Jena 25. September Skinheadkonzert in Sonneberg 2. Oktober fremdenfeindliche Übergriffe auf Japaner in Erfurt 2. Oktober Leserforum der KPD-Zeitung Die Rote Fahne in Viernau/Lkr. Schmalkalden-Meiningen 6. Oktober Durchsuchungsaktion der Polizei gegen den von Hendrik und Ronald Möbus geführten Mailorder-Vertrieb für Black Metal Musik 9. Oktober Skinheadkonzert in Harpersdorf/Saale-Holzland-Kreis mit 200 Teilnehmern 16. Oktober Skinheadkonzert in Daasdorf/Lkr. Weimarer Land mit 120 Teilnehmern 16. Oktober Skinheadkonzert in Altendammbach/Lkr. Hildburghausen mit ca. 200 Teilnehmern 21. Oktober 40 Kurden demonstrieren in Erfurt für Abdullah Öcalan 23. Oktober Politischer Stammtisch der DVU in Weimar 30. Oktober Skinheadkonzert in Döllstädt/Lkr. Gotha mit 450 Teilnehmern 4. November Demonstration für Abdullah Öcalan in Jena 6. November Skinheadkonzert in Thörey/Ilmkreis mit 250 Teilnehmern 11. November Infostand der Sikhs-Organisation Babbar Khalsa in Altenburg 13. November Skinheadkonzert in Schorba/Saale-HolzlandKreis mit 1.000 Teilnehmern und anschließender Randale 13. November NPD-Veranstaltung "Zehn Jahre Mauerfall" in Thörey/Ilmkreis 14. November Kranzniederlegungen der Rechtsextremisten anlässlich des Volkstrauertages in RudolstadtSchwarza, Sonneberg und bei Gehlberg/ Ilmkreis 19.-21. Linksextremisten-Treff in Braunsdorf bei November Saalfeld, um "andere Gruppen kennen zu lernen" 25. November Flugblatt der Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e. V. in Erfurt 27. November Kreisparteitag der Republikaner in Erfurt 1. Dezember Vortrag des Rechtsextremisten Peter Dehoust in Jena mit einer "Antifaschistischen Aktion und Blockade" Ereigniskalender 5. Dezember Flugblattaktion des Erfurter Infoladens Sabotnik gegen den Vortrag Peter Sloterdijks in Weimar 11. Dezember Skinheadkonzert in Thörey/Ilmkreis mit 150 Teilnehmern 21./22. Farbbeutelanschlag auf das Gebäude des Dezember Thüringer Innenministeriums in Erfurt durch eine linksextremistische Gruppierung 166 167 VII. Spionageabwehr Spionageabwehr 1. Ausgangslage Den Freistaat Thüringen verbinden mit einer Vielzahl von Staaten freundschaftliche Beziehungen auf politischem, ökonomischem, militärischem, wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet. Diese Offenheit sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Staaten nicht auf die Tätigkeit von Auslandsnachrichtendiensten verzichten. "Die Frage, ob man Spionage braucht oder nicht, ist rein rhetorischer Art. Kein halbwegs großer Staat, geschweige denn ein sehr großer, kann ohne sie auskommen. Wahrscheinlich wird sie dann zu existieren aufhören, wenn keine Staaten mehr bestehen. Eine solche Perspektive wird jedoch ausschließlich in der Theorie durchgespielt, in der Praxis lassen sich keine derartigen Tendenzen erkennen. ... Die Notwendigkeit, weiterhin Spionage zu betreiben, wurde in keinem einzigen Staat, der in der Zeit des Kalten Krieges zu den Gegnern der UdSSR gezählt hatte, in Frage gestellt. Diskutiert wurde lediglich über eine Akzentverschiebung in der Tätigkeit der Geheimdienste und über den Verzicht auf einige Arbeitsmethoden. Nie wurde jedoch erwogen, auf die Spionage als ein überaus wichtiges Instrument der Staatspolitik zu verzichten. ... Die wichtigste Aufgabe des Geheimdienstes war und wird aber sein Beitrag zur Erhöhung des Verteidigungspotenzials und zur Beschleunigung der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung Russlands bleiben."32 Jewgenij Primakow Daraus leitet sich die Aufgabe der Spionageabwehr ab: Sie sammelt Informationen über "sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht"33, wertet diese aus und stellt die daraus gewonnenen Erkenntnisse Bedarfsträgern zur Verfügung - zum Schutz der einheimischen Wirtschaft, Wissenschaft und bestimmter Kernbereiche, die aufgrund ihrer Wertigkeit als sicherheitspolitisch sensible Bereiche eingeschätzt werden. Grundlage für eine erfolgreiche Spionageabwehr ist die Suche nach spezifischen Motiven für die Spionageaktivitäten des jeweiligen Landes und deren Transformation auf die jeweiligen Rahmenbedingun- gen, die Thüringen als "Informations-Fundgrube" qualifizieren. Dazu bedarf es eines umfassenden Kenntnisstandes über nahezu alle Kernbereiche des öffentlichen Lebens. So wird ein Großteil der Informationen für die Spionageabwehr aus offen zugänglichen Quellen gewonnen. 2. Spionageziele im Freistaat Thüringen Der Aufklärungsschwerpunkt fremder Nachrichtendienste im Freistaat Thüringen liegt - infolge der immer stärker werdenden Profilierung des Wirtschaftsund Forschungspotenzials - in der Beschaffung von Wirtschaftsinformationen. Waren vor einem Jahrzehnt die Möglichkeiten, Zeitungsmeldungen, Unternehmensprospekte und die Telefonnummer des Geschäftsführers zu erlangen eine relativ hohe Herausforderung, kommt den Agenten heute zugute, dass der überwiegende Teil solcher Informationen offen zugänglich ist, die Bereitschaft zum Transfer von Wissen in vielen Bereichen ständig wächst und die Sensibilität gegenüber dem Phänomen der Spionage allgemein und der Wirtschaftsspionage im Besonderen nur schwach ausgeprägt ist. Heute werden die Fragen nach der Branchenführerschaft gestellt, nach den Schutzmechanismen, die es zum Erlangen dieses Knowhows zu überwinden gilt und in erster Linie nach den Personen, die auf solche Unterlagen Zugriff haben. Besonders interessant sind HinSpionageabwehr weise auf menschliche Schwächen, Neigungen, Probleme der Mitarbeiter - die dann, beispielsweise bei Geschäftsreisen, als Ansatzpunkte nachrichtendienstlicher Werbung genutzt werden können. Die Globalisierung und die damit verbundene gravierende Veränderung der Welt in eine Informationsund Wissensgesellschaft bieten Nachrichtendiensten unterschiedlicher politischer Systeme mittlerweile völlig neuartige Möglichkeiten zur Informationsgewinnung. Information und Wissen als Faktor für Innovationen nehmen einen immer größeren Stellenwert ein, nur über Innovationen lassen sich neue Märkte erschließen. Damit einher geht eine rasante Weiterentwicklung, die die neueste Technik schon in drei bis vier Jahren veralten lässt. 168 169 Deshalb sind Bereiche mit einer hohen Konzentration und Wertigkeit von Informationen ein bevorzugtes Ausspähungsziel fremder Nachrichtendienste. Dazu gehören Behörden, Verbände, Informationsvermittlungsstellen sowie Forschungsinstitute und TechnoSpionageabwehr logietransferzentren. Das Interessenspektrum reicht dabei von globalen Zielen und Strategien aus den Bereichen Außen-, Innen-, Wirtschaftsund Sicherheitspolitik über gezielte Informationsbeschaffung zum Stand der wissenschaftliche Forschung bis zu Fertigprodukten, deren Preisgestaltung und Absatzstrategien. Dabei treten die Nachrichtendienstmitarbeiter und ihre Agenten, unabhängig vom jeweiligen Herkunftsland, unter verschiedenen Legenden in der Öffentlichkeit auf: als Mitarbeiter von Botschaften, Außenministerien, Handelsorganisationen, als Geschäftsleute, Wissenschaftler, und Journalisten. Diese Tarnpositionen erlauben es, relativ ungezwungen mit wichtigen Informationsträgern in Kontakt zu kommen und dabei wertige, manchmal sogar sensible Informationen abzuschöpfen. Diese so genannte "weiche" Informationsgewinnung wird vom "Opfer" meist gar nicht bemerkt. Im Rahmen der Verdachtsfallbearbeitung wurden im Jahr 1999 verschiedene Hinweise auf Spionageaktivitäten auf ihre Relevanz geprüft. Die daraus gewonnenen Ergebnisse wurden unter methodischen Gesichtspunkten analysiert und dienen neben der Erstellung von Lagebildern auch der präventiven Spionageabwehr. Eine Reihe von Gesprächen wurde, anlassbezogen, sowohl mit Einzelpersonen als auch mit Firmen geführt. Die Analyse vorliegender Informationen, gewonnen aus solchen Gesprächen, Veröffentlichungen und der Fallbearbeitung, lassen einige Schwachpunkte in der Sicherheitsstruktur von Unternehmen und Instituten erkennen. Was kann für die Sicherheit des Know-hows einer Firma getan werden? Exemplarisch genannt seien hier: eine sorgfältige Personalauswahl, Zugangsbeschränkungen zu Computern und Unterlagen, der Einsatz von Verschlüsselungstechnik, die rechtzeitige Anmeldung von Patenten. Nicht zuletzt bildet aber auch die Loyalität der Mitarbeiter gegenüber ihrer Firma oder Forschungseinrichtung einen wesentlichen Faktor im gesamten Schutzkonzept. Apelliert werden soll hier vor allem an kleine und mittlere Unternehmen, ihr Know-how vor Industrieund Wirtschaftsspionage zu schützen. Ihnen fällt es angesichts der geringen Eigenkapitaldecke offen- sichtlich am schwersten, ausreichende Schutzvorkehrungen zu treffen. Begrifflich gibt es eine klare Trennung zwischen Wirtschaftsund Industriespionage. Unter "Wirtschaftsspionage" ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Die Ermittlung solcher Straftaten fällt in das Aufgabenspektrum des Landesamtes für Verfassungsschutz. Bei der "Industriespionage" handelt es sich um die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen untereinander betreiben (Konkurrenzspionage). Dabei ist es unwesentlich, ob sich das jeweilige Konkurrenzunternehmen im Inoder im Ausland befindet. Der Nachweis, ob es sich bei gezielten Angriffen auf Firmeninterna um Wirtschaftsoder Industriespionage handelt, ist im Zuge des immer stärker werdenden Konkurrenzkampfes zwischen den (weltweit agierenden) Unternehmen und dem Rückzug staatlicher Einflussnahme aus den ehemaligen Staatsbetrieben des Ostblocks nur in den seltensten Fällen zu erbringen. Kaum verändert haben sich dagegen die Führungsstellen: Sie befinden sich meist in den Zentralen der jeweiligen Auftragsländer oder, wie eine Reihe 1999 bekannt gewordener Spionagefälle zeigte, in Stützpunkten des jeweiligen Ziellandes. Solche Stützpunkte bilden z. B. Botschaften, Konsulate und andere offizielle Vertretungen. Diese werden als so genannte Legalresidenturen bezeichnet. Aufgrund ihres Status und ihrer offiziellen Funktion ergeben sich für deren Spionageabwehr Mitarbeiter besonders günstige Situationen, um interessante Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft oder Militär kennenzulernen und abzuschöpfen. 3. Die Methoden fremder Nachrichtendienste Ein Großteil der Informationen, für die fremde Nachrichtendienste ein Interesse zeigen, sind durch offene Beschaffungsaktivitäten zu gewinnen. Dazu gehören die Lektüre von Fachzeitschriften, Publikationen, der Besuch von Messen, Ausstellungen und Seminaren. Im Rahmen der Gesprächsabschöpfung wird durch methodische Ge170 171 Spionageabwehr Menwith Hill US Spy Station / Modell-Skizze der Menwith Hill Base sprächsführung der Kenntnisstand und die Zugangslage des Gesprächspartners ermittelt. Moderne Medien ermöglichen eine globale, lautlose und kaum Spuren hinterlassende Aufklärung: Durch die Recherche im Internet und die gezielte Nutzung von Adress-, Telefonund Wirtschaftsdatenbanken können ohne großen personellen, finanziellen und risikoreichen Aufwand Personenabklärungen34 vorgenommen werden. Somit bietet das Internet sowohl eine Möglichkeit der Tippgewinnung35 als auch die Anbahnung und Führung mittels E-Mail-Verkehr bis zur Nutzung des Internet als "Toten Briefkasten" durch Versenden der Nachrichten in verschlüsselter Form mittels Textverarbeitungs-, Grafikund Klangdateien. Immer größere Beachtung, insbesondere in den Medien, findet die technische Aufklärung, die auf die Ausforschung unverschlüsselter Fernmeldeverbindungen und das Eindringen in interne Netzwerke gerichtet ist. Die Sensibilität der Nutzer moderner Medien für die Sicherheitslücken, die beim Versand unverschlüsselter Informationen entstehen, ist im Jahr 1999 erheblich gewachsen. Ein wichtiger Auslöser für das gesteigerte Interesse an der Fähigkeit fremder Nachrichtendienste, die internationale Satellitenkommunikation zu überwachen, bildete der im Auftrag der EU-Arbeitsgruppe STOA36 vom britischen Journalisten und Physiker Duncan Campell erarbeitete Bericht zum "Stand der Abhörtechnik im Jahre 2000". Darin wird aufgezeigt, dass auf Basis von bereits 1948 geschlossenen Vereinbarungen zwischen den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland ein so genanntes "Echelon"-Aufklärungssystem betrieben wird, welches in der Lage sein soll, nahezu die gesamte Kommunikation (E-Mail, Telefonund Telefaxverkehr), soweit sie über SatelliSpionageabwehr ten erfolgt, zu überwachen. Über die Existenz und den Leistungsumfang von diesem Aufklärungssystem liegen bislang noch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Dennoch wächst der Druck auf den amerikanischen Nachrichtendienst * durch amerikanische Bürgerrechtler, die gesetzlichen Grundlagen für das Abhören amerikanischer Bürger vorzulegen, * durch europäische Nato-Staaten, die erfahren wollen, inwieweit mittels Echelon auch Wirtschaftsspionage betrieben wird. Im November versicherte der Chef der NSA-Abhöranlage37 in Bad Aibling, dass die von dort aus betriebene Aufklärung sich weder gegen deutsche Interessen richtet, noch gegen deutsche Gesetze verstößt. Bad Aibling gilt als einer der wichtigsten NSA-Stützpunkte. 172 173 Erkenntnisse über die Tätigkeit amerikanischer Nachrichtendienste in Thüringen liegen derzeit nicht vor. Der russische Inlandsnachrichtendienst FSB erhielt bereits 1998 die Spionageabwehr Genehmigung, mit dem Vorweis einer richterlichen Befugnis bei den Providern die Internetaktivitäten der Kunden zu überwachen. Dieses Überwachungsprojekt wurde unter der Bezeichnung "SORM 1"38 bekannt. Weigerten sich Provider, dem Nachrichtendienst auch ohne solche Befugnis Daten zur Verfügung zu stellen, wurde ihnen - nach eigenen Angaben - mit Lizenzentzug gedroht. Mit SORM 2 sollen die Kontrollbefugnisse des Geheimdienstes erweitert werden. Die Provider wurden aufgefordert, auf eigene Kosten "Hotlines" zu den FSB-Computern einzurichten, um so den Internetverkehr aus einem FSB-Stützpunkt in Echtzeit überwachen zu können. Das betrifft alle Datentransfers, den gesamten elektronischen Briefverkehr, die Analyse der besuchten Internet-Seiten und die Nutzungsdauer. Es soll außerdem in Erwägung gezogen worden sein, Ausländer von der Veröffentlichung bei russischen InternetProvidern auszuschließen. Jedoch nicht nur Russland strebt nach einer Kontrolle der Internetinhalte und ihrer Nutzer. Syrien etwa beschränkt die Möglichkeit des weltweiten Surfens auf eine elitäre Führungsschicht, Diplomaten und Vertreter ausländischer Unternehmen. Weitaus offener dagegen zeigt sich die Islamische Republik Iran. Hier jedoch behindern die hohen Anschlusskosten die Verbreitung des neuen Kommunikationsmittels in Privathaushalten. 4. Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation und anderer GUS-Staaten Das Hauptaugenmerk der Spionageabwehr in Thüringen liegt unverändert auf der Beobachtung der Tätigkeit russischer und anderer GUSNachrichtendienste. Verfolgt man die Entwicklungen im politischen Bereich, insbesondere die Besetzung mit politischen Schlüsselpositionen in der Russischen Föderation, wird eines deutlich: der Einfluss der russischen Sicherheitsdienste auf die russische Gesellschaft und Politik ist ungebrochen und scheint ein nicht unwesentlicher Faktor für die Machterhaltung der Kreml-Oligarchie zu sein. Während die neuen NatoPartner Polen, Tschechien und Ungarn einen umfangreichen Durch-leuchtungsprozess einleiteten und ehemalige Kader der früheren kommunistischen Geheimdienste sowohl aus dem öffentlichen Dienst als auch aus den sich neu formierenden Nachrichtendiensten entfernten, wurden in Russland unter der Führung Jelzins ehemalige KGB/FSB-Führungskräfte sogar an die Spitze der Regierung und der Präsidialadministration gestellt. Sowohl Primakow als auch Stepaschin und Putin konnten vor ihrem Einsatz als Ministerpräsidenten auf eine KGB-Laufbahn bis zur Leitung des Geheimdienstes zurückblicken. Auch in Wirtschaft und Medien konnten ehemalige Nachrichtendienstler in einflussreiche Positionen gelangen. Welch hohen Stellenwert die Tätigkeit der russischen Nachrichtendienste im Rahmen des russischen Sicherheitskonzeptes einnimmt, verdeutlicht folgende Aussage: "Besondere Bedeutung für die Gewährleistung der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation hat das rechtzeitige Erkennen von Bedrohungen und die Bestimmung ihrer Quellen. Das wird, koordiniert vom Dienst der Auslandsaufklärung der Russischen Föderation, durch eine ununterbrochene Beobachtung der politischen, militärischen, ökonomischen, informationellen, technologischen, sozialen und anderen äußeren Bedrohungen, die die nationale Sicherheit der Russischen Föderation und den Zustand und die Gefechtsbereitschaft der Streitkräfte, der anderen Truppen und der militärischen Formationen und Organe beeinflussen, erreicht. Es wächst auch die Bedeutung der Spionageabwehr Spionageabwehr bei der Gewährleistung der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation."39 Neben dem zivilen Auslandsaufklärungsdienst SWR, der sich mit der politischen, wissenschaftlich-technologischen und ökonomischen Aufklärung befasst, sind für die Russische Föderation der militärische Auslandsnachrichtendienst (GRU) und die Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information (FAPSI) nachrichtendienstlich tätig. Der FSB ist als Inlandsabwehrund Sicherheitsdienst in erster Linie für die Spionageabwehr sowie für die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität zuständig, besitzt aber in Abstimmung mit den russischen Auslandsnachrichtendiensten auch die Befugnis zu Aufklärungsaktivitäten. 174 175 In der Vergangenheit trat der FSB zunehmend öffentlichkeitsorientiert auf. Erinnert sei hierbei an den Aufruf des damaligen FSB-Chefs Kovaljov an alle russischen Staatsbürger im Jahre 1997, sich unter Spionageabwehr einer Telefonnummer dem Nachrichtendienst zu offenbaren. Spektakuläre Prozesse wurden gegen die an der Aufdeckung von Umweltschäden beteiligten ehemaligen Kapitäne der Marine Aleksandr Nikitin, Grigorij Pasko und den Physiker Vladimir Soifer geführt. Allen wurde Spionage und Gefährdung der nationalen Sicherheit vorgeworfen. Akademgorodok, sibirisches Wissenschaftszentrum Es gibt immer noch ein gut funktionierendes Informantennetz des russischen Inlandsnachrichtendienstes. Der FSB besitzt weitreichende Kompetenzen bei der Überwachung von deutschen Staatsbürgern, die privat, beruflich oder im Rahmen von Projekten nach Russland einreisen. In enger Zusammenarbeit mit russischen Behörden geraten bereits bei der Beantragung von Einreisevisa nachrichtendienstlich interessante Personen in das Beobachtungsfeld der Abwehrbehörde. Dazu zählen neben Touristen, Wissenschaftlern, Studenten und Geschäftsleuten auch Vertreter von Wohltätigkeitsund Umweltvereinen sowie potenzielle Investoren. Da der FSB auch die Befugnis zur Auslandsaufklärung besitzt, wird hier vor einer nachrichtendienstlichen Ansprache bei Reisen in die Russische Föderation unter Nutzung von Kompromaten gewarnt. Der militärische Nachrichtendienst GRU dürfte angesichts der Unruheherde im Inneren des Landes und an einigen seiner Außengrenzen weiterhin ein reges Interesse an modernsten militärischen Forschungsergebnissen besitzen. Die Aufklärungsschwerpunkte des SWR liegen vor allem in den Bereichen Medizin (Pharmazie, Gesundheitsschutz, Epidemiologie, Katastrophenmedizin), Umweltschutz und Innovation zur Schaffung wettbewerbsfähiger Strukturen. Der Wirtschaftsund Rüstungsspionage dienen eine Reihe von Handelsund Sicherheitsunternehmen und Tarnfirmen, die von ausgeschiedenen russischen Geheimdienstlern gegründet worden waren. Erleichtert wird dieser so genannte "Technologietransfer" durch die zahlreichen Kooperationsund Partnerschaftsabkommen sowie durch Joint Ventures Thüringer Unternehmen mit russischen Partnern und die Bereitstellung von Praktikumsplätzen. Russische Nachrichtendienstoffiziere versuchten auch 1999 in mehreren Fällen, unter Firmenlegende40, nach Deutschland einzureisen. 5. Die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste der GUS Die aus dem Zerfall der ehemaligen UdSSR hervorgegangenen Republiken haben die nachrichtendienstlichen Strukturen weitgehend übernommen und den Bedürfnissen der eigenen Staatsgewalt angepasst. Die Nachrichtendienste der GUS-Staaten kooperieren auf vertraglicher Grundlage auf den verschiedenen Aufgabengebieten miteinander. Jedoch schließt diese Zusammenarbeit nicht den VerSpionageabwehr zicht von Spionageaktivitäten gegeneinander aus. Der zwischen Russland und Weißrussland im Dezember geschlossene Unionsvertrag wird insbesondere eine engere Zusammenarbeit der Nachrichtendienste dieser Länder nach sich ziehen. Weitere sicherheitsrelevante Aktivitäten von Personen aus dem osteuropäischen Raum Weißrussische Geschäftsleute gewinnen verstärkt in Thüringen an Einfluss. So konnte festgestellt werden, dass Beteiligungen bzw. Übernahmen von Thüringer Firmen erfolgen. Schwerpunkte liegen bei 176 177 Immobilien, Computern und Elektronik. In diesem Bereich ist mit gezielter Abschöpfung und dem damit verbundenen Missbrauch von Fördermitteln zu rechnen. In einigen Fällen sind nachrichtendienstliche Bezüge vorhanden, in anderen Fällen lassen sich Bezüge zur Spionageabwehr Organisierten Kriminalität erkennen. So führte die Bearbeitung von nachrichtendienstlichen Verdachtsfällen im Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz, vor allem im Bereich "Wirtschaftsspionage", in nicht wenigen Fällen in eine völlig andere Richtung: Während der Beobachtung von Einzelpersonen konnten kriminelle Aktivitäten von Personen aus dem osteuropäischen Raum festgestellt werden, die vermutlich gezielt Tarnfirmen gründeten, sodass hierdurch der Verdacht auf Geldwäsche und Subventionsbetrug ausgelöst wurde. Da die Beobachtung und Ermittlungen von Strukturen, die der Organisierten Kriminalität zugeordnet werden können, nicht in den Aufgabenbereich des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutzes gehören, wurden entsprechende Hinweise an das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz und die zuständigen Polizeiund Zollbehörden weitergeleitet. 6. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas Die iranischen, syrischen, libyschen und chinesischen Nachrichtendienste konzentrieren sich erfahrungsgemäß auf die Ausforschung ihrer in Deutschland lebenden oppositionellen Emigranten, überwachen deren Tätigkeit und versuchen, sie durch eine gezielte Einschleusung nachrichtendienstlich involvierter Personen zu unterwandern und zu beeinflussen. Die VR China versucht, in Deutschland lebende Landsleute, die in interessanten Berufsgruppen tätig sind oder als Studenten interessante Studienfächer belegen, für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit zu gewinnen. Besondere Aufmerksamkeit verdient weiterhin die Einbindung der Nachrichtendienste dieser Länder in den illegalen Güterund Technologietransfers zum Zweck der Proliferation41. Die nach Hegemonie strebenden so genannten Krisenund Schwellenländer setzen ihre Beschaffungsaktivitäten unvermindert fort. Der Schwerpunkt ihres Interesses liegt auf der Raketentechnologie. 7. Fazit zur Tätigkeit fremder Nachrichtendienste in Thüringen Insgesamt lässt sich folgendes Lagebild für die Tätigkeit fremder Nachrichtendienste im Freistaat Thüringen aufzeigen: Die Abwehrarbeit gestaltet sich zunehmend komplizierter. Es spricht alles dafür, dass ein qualitativer Wandel in den nachrichtendienstlichen Methoden eingetreten ist. Fremde Nachrichtendienste nutzen immer stärker die "offenen" Zugangsmöglichkeiten der Informationsgewinnung. Diese sind wegen der zunehmenden Tiefgründigkeit ihrer Berichterstattung zur Erstellung einer Grobanalyse zu bestimmten Sachverhalten durchaus ausreichend. 8. Fortwirkende Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR Zum 10. Male jährte sich am 9. November der Mauerfall. Dieses Ereignis von hoher emotionaler Bedeutung gilt auch heute noch als Symbol und entscheidende Etappe im Prozess der Annäherung beider deutscher Staaten, der seinen Abschluss in der Wiedervereinigung fand. Die Bedeutung dieses Jubiläums ließ bereits im Vorfeld eine neue Belebung der Debatte um Tätigkeit, Methoden und Strukturen des ehemaligen MfS bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) erwarten. Naturgemäß sind mit dieser Problematik auch FraSpionageabwehr gen, Vermutungen und Befürchtungen verbunden, ob denn dieses an Bedeutung hervorstechende Element des Repressionsapparates der ehemaligen DDR nicht doch in Teilen weiter tätig ist, ob nicht doch Mittel und Wege gefunden wurden, seine Aktivitäten fortzusetzen. Das Wirken des Ministeriums für Staatssicherheit hat nicht nur bei den unmittelbar und mittelbar Betroffenen Spuren hinterlassen, es beschäftigt noch heute große Teile der Bevölkerung, obwohl die Existenz des Apparates bereits im Frühjahr 1990 endete. So überrascht keineswegs, in welch hohem Maße das Thema "Stasi" auch in Politik, Medien und Justiz präsent ist. Nach wie vor befasst sich das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz mit dieser Thematik. Sein Auftrag lautet "... frühere, fortwir178 179 kende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieser Gesetze ..." zu beobachten. Aktivitäten ehemaliger Angehöriger gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sollen auf diese Spionageabwehr Weise im Ansatz erkannt und ihre Fortsetzung verhindert werden. Entsprechende Hinweise und Verdachtsfälle werden an das TLfV sowohl aus der Bevölkerung als auch durch Behörden und Einrichtungen des öffentlichen Lebens herangetragen. Ihre Richtigkeit und Wertigkeit ist auf das Genaueste zu prüfen. Kernpunkt dieser Analyse ist und bleibt das Kriterium nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Es ist bekannt, dass ehemalige MfS-Angehörige von Nachfolgediensten des KGB weitergeführt bzw. reaktiviert wurden. Neben Insiderwissen werden auch Kontakte zu Personen eingebracht, die wieder bzw. noch immer nutzbringende Positionen einnehmen, möglicherweise auch sogar selbst über nachrichtendienstliche Erfahrung verfügen. Eine Problematik eigener Art ergibt sich aus einem Teil der Hinweise, die von Bürgern an das TLfV herangetragen wurden und werden. Die meisten dieser Fälle hielten einer näheren Nachprüfung nicht stand. VIII. Geheimschutz 1. Allgemeines Unter Geheimschutz versteht man den Schutz von Verschlusssachen gegenüber dem Zugriff durch Unbefugte. Auch in einem demokratischen Rechtsstaat besteht die Notwendigkeit, bestimmte Informationen besonders zu schützen und zu sichern. Das ist dann erforderlich, wenn eine unberechtigte Kenntnisnahme den Bestand des Staates gefährden oder seinen Interessen schweren Schaden zufügen könnte. Gefahren drohen dabei nicht nur durch Ausspähungsaktivitäten fremder Nachrichtendienste, sondern ebenso durch kriminelle oder sonstige Handlungsweisen. Verschlusssachen (VS) sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Es kann sich dabei um mündliche Informationen, Schriftstücke, Zeichnungen, Lagekarten, Bildmaterial, VSDatenträger jeglicher Art, Kryptosysteme sowie um vielfältige Formen von Zwischenmaterial handeln. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft. Zuständig für den personellen und materiellen Geheimschutz sind im öffentlichen Bereich grundsätzlich die Geheimschutzbeauftragten. Für den Bereich der Wirtschaft liegt die Zuständigkeit beim Geheimschutzbeauftragten des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und InGeheimschutz frastruktur. Das TLfV hat seit 1991 als mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung im Sinne SS 2 Abs. 4 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes (ThürVSG) zu ca. 2.900 Einzelfällen sein Votum gegenüber den Geheimschutzbeauftragten der einleitenden Dienststellen abgegeben (vgl. SS 14 der SiR). 2. Personeller und materieller Geheimschutz Beim Schutz geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen unterscheidet man zwischen personellem und materiellem Geheimschutz. Im Rah180 181 men des personellen Geheimschutzes sollen Sicherheitsüberprüfungen die Bewertungsvoraussetzungen schaffen, um personenbezogen die Zuweisung einer besonderen Vertrauensposition (sicherheitsempfindliche Tätigkeit) entscheiden zu können. Dadurch soll verGeheimschutz hindert werden, dass Personen mit Sicherheitsrisiken Tätigkeiten ausüben, bei denen sie Zugang zu Verschlusssachen haben. Hierbei kann es sich um Bereiche in Behörden und der so genannten geheimschutzbetreuten Industrie handeln. Die Rechtsgrundlagen des personellen Geheimschutzes finden sich in den Sicherheitsrichtlinien für das Land Thüringen vom 11.6.1991. Von Maßnahmen des materiellen Geheimschutzes spricht man, wenn es darum geht, zu schützende Informationen gegen unbefugten Zugriff zu sichern. Die Rechtsgrundlagen hierfür finden sich in der Verschlusssachenanweisung für das Land Thüringen (VSA) und deren ergänzenden Richtlinien. 3. Was ist ein Sicherheitsrisiko? Die Landesregierung hat die Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung im Rahmen des Geheimschutzes (Sicherheitsrichtlinien/SiR) für das Land Thüringen am 11. Juni 1991 beschlossen und mit sofortiger Wirkung in Kraft gesetzt. Sie wurden im Thüringer Staatsanzeiger Nr. 19/1991 veröffentlicht. Im Folgenden soll auf das Kernstück dieser Sicherheitsrichtlinien, nämlich die Beschreibung der Umstände, die ein Sicherheitsrisiko im Sinne der SiR bilden, näher eingegangen werden. 3.1 Allgemeine Grundsätze Tatsächliche Anhaltspunkte Sicherheitsrisiken müssen durch tatsächliche Anhaltspunkte begründet sein. Vermutungen oder abstrakte Möglichkeiten reichen nicht aus, um einer Person die Möglichkeit der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu versagen. Einzelfallentscheidung Die tatsächlichen Anhaltspunkte müssen im Einzelfall, bezogen auf die sicherheitsempfindliche Tätigkeit, die die zu überprüfende Person ausübt oder ausüben soll, vorliegen (vgl. SS 4 Abs. 1 SiR): "Bei der Beurteilung sind die Umstände des Einzelfalles maßgebend." Es kommt ausschließlich auf die sicherheitsmäßige Bewertung an, d. h. das Sicherheitsrisiko ist im Hinblick auf die auszuübende sicherheitsempfindliche Tätigkeit zu bewerten. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die personalrechtliche Entscheidung, einen inoffiziellen Mitarbeiter des ehemaligen Staatssicherheitsdienstes, aus welchen Gründen auch immer, im öffentlichen Dienst zu belassen, für die Beurteilung, ob dieser Betroffene auch als Geheimnisträger im sicherheitsempfindlichen Bereich eingesetzt werden darf, unmaßgeblich ist. Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten Auf der Grundlage dieses Votums des TLfV entscheidet der Geheimschutzbeauftragte unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles, ob im Hinblick auf die vorgesehene sicherheitsempfindliche Tätigkeit ein Sicherheitsrisiko vorliegt (vgl. SS 15 SiR). Wird eine einheitliche Beurteilung nach Erörterung zwischen TLfV und dem Geheimschutzbeauftragten nicht erreicht, ist das Thüringer Innenministerium zu beteiligen. Geheimschutz Von dieser so genannten Konfliktfallregelung musste seit 1991 bei den 2.900 bearbeiteten Anträgen erst 2-mal Gebrauch gemacht werden. 182 183 3.2 Die Sicherheitsrisiken nach SS 4 SiR Allgemeines Geheimschutz Sicherheitsrisiken sind nach SS 4 SiR in sechs Fallgruppen aufgeteilt: 1. Fallgruppe: hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR (Absatz 2 Nr. 1) 2. Fallgruppe: hauptamtliche Funktionäre und wegen besonderer Aktivitäten ihnen gleichzusetzende Mitglieder der SED, einer der Nationalen Front angehörenden Parteien oder ihrer Massenorganisationen in der ehemaligen DDR (Absatz 2 Nr. 2) 3. Fallgruppe: Umstände, die Zweifel an der gebotenen Zuverlässigkeit der Person bei der Wahrnehmung sicherheitsempfindlicher Tätigkeit begründen (Absatz 3 Nr. 1) 4. Fallgruppe: Umstände, die eine besondere Gefährdung der Person durch Anbahnungs-/Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, begründen (Absatz 3 Nr. 2) 5. Fallgruppe: Umstände, die Zweifel begründen, dass sich die Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennt und bereit ist, jederzeit für deren Erhaltung einzustehen (Absatz 3 Nr. 3) 6. Fallgruppe: Umstände, die keine ausreichende Überprüfung ermöglichen (Absatz 3 Nr. 4) Die Fallgruppen 1 und 2 berücksichtigen ausdrücklich die besonderen Gegebenheiten in einem so genannten neuen Bundesland. Die letzte Fallgruppe, die z. B. bei Verweigerung der erforderlichen Zustimmung zur Sicherheitsüberprüfung ober bei langjährigem, im Einzelnen nicht näher überprüfbarem Auslandsaufenthalt vorliegen würde, stellt nach neuerer Rechtsauffassung kein Sicherheitsrisiko mehr dar. Vielmehr ist in diesen Fällen die Sicherheitsüberprüfung lediglich nicht durchführbar. Letzteres hat natürlich ebenfalls zur Folge, dass die betreffende Person nicht mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden kann. Nach Ablauf von fünf Jahren bei einer einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü1) oder nach 10 Jahren bei einer der erweiterten Sicherheitsüberprüfungen (Ü2/Ü3)42 kann, sofern die Identität der betroffenen Person zweifelsfrei festgestellt ist, eine mangelnde Überprüfbarkeit in der Regel nicht mehr entgegengehalten werden. Fallgruppe 1 - Hauptamtliche und inoffizielle Mitarbeiter der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR Hauptamtliche Mitarbeiter sind gemäß SS 6 Abs. 4 Nr. 1 des Gesetzes über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (StUG) Personen, die in einem offiziellen Arbeitsoder Dienstverhältnis des Staatssicherheitsdienstes gestanden haben, und Offiziere des Staatssicherheitsdienstes im besonderen Einsatz. Inoffizielle Mitarbeiter sind gemäß SS 6 Abs. 4 Nr. 2 StUG Personen, die sich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereit erklärt haben. Den Mitarbeitern des Staatssicherheitsdienstes gleichgestellt sind gemäß SS 6 Abs. 5 StUG Personen, die gegenüber diesen Mitarbeitern hinsichtlich deren Tätigkeit für den Staatssicherheitsdienst rechtlich oder faktisch weisungsbefugt waren, und inoffizielle Mitarbeiter des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei der VolksGeheimschutz polizei. Durch eine Anfrage des Geheimschutzbeauftragten bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) können in der Regel die Umstände dieses speziellen Sicherheitsrisikos ermittelt werden. Dabei ist grundsätzlich zu beachten, dass * die BStU-Auskunft auch heute noch vorläufigen Charakter hat und insofern erneute Anfragen im Rahmen der Aktualisierung bedingen, * die BStU-Auskunft in der Regel keine Auskünfte darüber beinhaltet, ob der Betroffene früher einem anderen Aufklärungsund Ab184 185 wehrdienst als dem MfS angehört hat, beispielsweise dem Militärischen Nachrichtendienst der Nationalen Volksarmee (NVA), * die BStU-Auskunft nicht immer vollständig ist, beispielsweise nur die Karteikarten F 16 und F 22 vorliegen, dagegen keine BerichtsGeheimschutz akte existiert, * Führungsoffiziere des Arbeitsgebietes 1 der Kriminalpolizei der Volkspolizei durch das StUG nicht beauskunftet werden, sondern nur deren inoffiziellen Mitarbeiter. Insofern kommt der Prüfpflicht der Kaderund Personalakte und sonstiger als geeignet erkennbarer Unterlagen durch den Geheimschutzbeauftragten nach SS 13 Abs. 2 SiR besondere Bedeutung zu. Bewertung derartiger Erkenntnisse Nicht jede hauptamtliche Tätigkeit für das MfS begründet generell ein Sicherheitsrisiko. Eine operative hauptamtliche Verwendung im MfS ist jedoch ausnahmslos als Sicherheitsrisiko zu bewerten. Die klassische Ausnahme ist dagegen der 3-jährige Wehrdienst beim Wachregiment Feliks Dzierzynski, wenn ausschließlich Wachaufgaben wahrgenommen wurden. Eine weitere Fallgestaltung für ein fehlendes Sicherheitsrisiko, trotz hauptamtlicher Tätigkeit für das MfS, liegt beispielsweise bei einer hauptamtlichen Küchenhilfskraft des MfS vor, die diese Tätigkeit als Küchenhilfskraft heute wieder in einem Sicherheitsbereich ausüben soll. Auch bei einer inoffiziellen Tätigkeit für das MfS ist stets eine sorgfältige und umfassende Ermittlung und Abwägung der konkreten Umstände erforderlich. Zu berücksichtigen ist u. a.: * Motivation für die MfS-Mitarbeit. Erfolgte diese mit dem Ziel, materielle Zuwendungen oder sonstige Leistungen zu erlangen, auf deren bevorzugte Gewährung kein Anspruch bestand, ist dies zu Lasten des Betroffenen zu berücksichtigen. * Art der Tätigkeit (evtl. geringerer Unrechtsgehalt), * Materieller oder immaterieller Schaden für Dritte, * Dauer der Tätigkeit, * Verhalten des Betroffenen nach Auflösung des MfS, demokratische Bewährung, * Belastungen für die zukünftige sicherheitsempfindliche Tätigkeit, * Alter des Betroffenen bei der Unterschrift der Verpflichtungserklärung. Fallgruppe 2 - Hauptamtliche Funktionäre und wegen besonderer Aktivitäten ihnen gleichzusetzende Mitglieder der SED, einer der Nationalen Front angehörenden Parteien oder ihrer Massenorganisationen in der ehemaligen DDR Zu hauptamtlichen Funktionen in einer Partei oder Massenorganisation zählen insbesondere: * Mitglieder des Zentralkomitees (ZK) der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) * Sekretäre des ZK * 1. Sekretäre der Bezirksund Kreisleitungen * Leiter zentraler Parteiinstitutionen * Abteilungsleiter und Stellvertreter der Verwaltung des ZK der SED * Leitende Mitarbeiter zentraler Parteiinstitutionen * Sekretäre der Bezirksund Kreisleitungen * Leiter der Bezirksparteischulen * Leiter von Kreisund Betriebsschulen des Marxismus-Leninismus * hauptamtliche Mitarbeiter der Bezirksund Kreisleitungen * Sekretäre der Grundorganisationen * sonstige hauptamtliche Funktionen in der SED * hauptamtliche Funktionen in Blockparteien der ehemaligen DeutGeheimschutz schen Demokratischen Republik * hauptamtliche Mitarbeiter in folgenden "Massenorganisationen": Freie Deutsche Jugend (FDJ), Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB), Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF). Zur Feststellung dieser hauptamtlichen Funktionen genügt in der Regel eine Auswertung der beglaubigten Ablichtung des "Ausweises für Arbeit und Sozialversicherung", der dem Antrag auf Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung beizufügen ist (vgl. Anlage 1 der SiR), bzw. die Prüfung der Angaben des Betroffenen zum beruflichen Werdegang in der Sicherheitserklärung. 186 187 Ungleich schwerer ist dagegen festzustellen, ob es sich bei dem Betroffenen um ein SED-Mitglied gehandelt hat, das wegen besonderer Aktivitäten einem hauptamtlichen Funktionär gleichzusetzen ist. In diesem Fall kommt der sorgfältigen Auswertung der Kaderund Geheimschutz Personalakte durch den Geheimschutzbeauftragten wiederum große Bedeutung zu. Im Hinblick darauf, dass durch den so genannten "Modrow-Erlass" Kaderakten teilweise bereinigt worden sind, ist die Auswertung der Kaderakte aber nicht immer aufschlussreich. In derartigen Fällen ist eine Befragung der betroffenen Person im Einvernehmen mit dem Geheimschutzbeauftragten durch das TLfV bzw. die eventuelle Befragung anderer Personen angebracht (vgl. SS 9 Abs. 3 Nr. 4 a und 4 b SiR). Bewertung derartiger Erkenntnisse Kriterien zur Einzelfallentscheidung sind: * demokratische Bewährung nach dem Zusammenbruch des totalitären Systems (fdGO-Bekenntnis), Zeitfaktor, * erkennbare Distanz gegenüber dem Marxismus-Leninismus, * Art der Tätigkeit in einer Partei, * Dauer der Tätigkeit in einer Partei und * Alter des Betroffenen zum Zeitpunkt der hauptamtlichen Funktionärstätigkeit. Fallgruppe 3 - Zweifel an der gebotenen Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung sicherheitsempfindlicher Tätigkeit Zweifel an der Zuverlässigkeit können sich aus zahlreichen Anhaltspunkten ergeben, die da beispielsweise sind: * strafrechtliche Verfahren, insbesondere Verurteilungen, * übermäßiger Alkoholgenuss, * Einnahme bewusstseinsändernder Drogen oder Medikamente, * geistige oder seelische Störungen, * Verstöße gegen Dienstpflichten (Disziplinarverfahren). Die vorgenannten Umstände werden in der Regel bekannt durch: * Eigenangabe des Betroffenen in der Sicherheitserklärung, * Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister hinsichtlich abgeschlossener Verfahren (Mitwirkungsaufgabe des TLfV nach SS 9 Abs. 3 Nr. 2 SiR), * Anfragen beim Landeskriminalamt hinsichtlich laufender Verfahren (eine Mitwirkungsaufgabe des TLfV nach SS 9 Abs. 3 Nr. 3 a der SiR), * Unterrichtung und Beteiligung des Geheimschutzbeauftragten durch die personalverwaltende Stelle laut Mitteilungskatalog (SS 18 SiR). Bewertung derartiger Erkenntnisse Beispielhaft sei erwähnt, dass der so genannte Ladendiebstahl eines erwachsenen Geheimnisträgers ein Sicherheitsrisiko durchaus begründen kann, insbesondere ein Wiederholungsfall. Fallgruppe 4 - Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche Die besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit sind Sicherheitsrisiken, die entweder auf konkreten Erkenntnissen der Spionageabwehr über den Betroffenen beruhen oder auf langjährigen Erfahrungen der Spionageabwehr bezügGeheimschutz lich der Vorgehensweise fremder Nachrichtendienste basieren. Gegnerische Nachrichtendienste nutzen insbesondere Schwächen aus, um Personen unter Druck zu setzen und zur nachrichtendienstlichen Tätigkeit zu zwingen. Ausnutzbare Schwächen sind beispielsweise: * Überschuldung, * Spielsucht, * Geldgier, * Verhaltensweisen, die der Betroffene unbedingt verborgen halten will. 188 189 Diese Umstände werden häufig bekannt durch: * Eigenangaben in der Sicherheitserklärung über "Kontakte zu fremden Nachrichtendiensten / Umstände, die auf einen AnbahnungsGeheimschutz und Werbungsversuch hindeuten" (Derartige Offenbarungen kommen in der Praxis jedoch sehr selten vor.) * Leistungsstörungen bei Kreditrückzahlungen * Pfändungsund Überweisungsbeschlüsse (Diese werden in der Regel von den gehaltszahlenden Stellen an die personalbearbeitenden Dienststellen gemeldet. Diese wiederum leiten bei einem Geheimnisträger die Erkenntnisse an den zuständigen Geheimschutzbeauftragten weiter (SS 18 Abs. 1 Nr. 4 SiR). * Mitteilung der Spionageabwehr Bewertung derartiger Erkenntnisse Hier ist die Bewertung des Sicherheitsrisikos "Überschuldung" besonders langwierig und schwierig, wie bereits durch eine Vielzahl von Einzelfällen bewiesen ist. Fallgruppe 5 - Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung Es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung vorliegen. Schon die einfache Mitgliedschaft in einer extremistischen Organisation kann ausreichen, um Zweifel an der Verfassungstreue zu begründen. Ob sie bezogen auf die sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausreicht, um als Sicherheitsrisiko eingestuft werden zu können, muss im Einzelfall geprüft werden. Derartige Umstände werden u. a. bekannt durch: * Eigenangaben des Betroffenen in der Sicherheitserklärung über "Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen" (Welche Organisationen als extremistisch eingestuft sind, ergibt sich aus dem jeweils geltenden Verfassungsschutzbericht. Dabei kommt derzeit z. B. auch die Problematik der Scientology Organisation zum Tragen. * Auswertung der Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde. Bewertung dieser Erkenntnisse Erforderlich ist eine analytische Bewertung der Aussagen des Betroffenen in Verbindung mit den vorliegenden Hintergrunderkenntnissen. Sicherheitsrisiko in der Person des Ehegatten, Verlobten oder anderer Personen des näheren Lebensumfeldes Ein Sicherheitsrisiko für einen Geheimnisträger kann auch bedingt sein durch: * Ehegatten, * Verlobte oder * andere Personen des näheren Lebensumfeldes (SS 4 Abs. 4 SiR). Geheimschutz Unter "andere Personen des näheren Lebensumfeldes" werden hier Personen verstanden, die älter als 18 Jahre sind und mit dem Betroffenen in einem Haushalt leben (z. B. Kinder, Eltern), also Personen, zu denen in der Sicherheitserklärung personenbezogene Daten angegeben werden müssen. Eine komplette Einbeziehung anderer Personen des näheren Lebensumfeldes in die Sicherheitsüberprüfung des (künftigen) Geheimnisträgers sehen die Sicherheitsrichtlinien allerdings nicht vor. In die erweiterten Sicherheitsüberprüfungen komplett einbezogen werden nur: 190 191 * die Ehegatten, * die Verlobten und * Personen, mit der die betroffene Person in eheähnlicher Gemeinschaft leben (SS 10 Abs. 2 Nr. 3 SiR). Geheimschutz Für diesen einzubeziehenden Personenkreis sowie die anderen Personen des näheren Lebensumfeldes können alle sechs vorgenannten Fallgruppen eines Sicherheitsrisikos zutreffen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Ehegatte hauptamtlicher oder inoffizieller Mitarbeiter eines der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR war. Gleiches gilt, wenn zu der einzubeziehenden Person z. B. eine erhebliche Anzahl strafrechtlicher Verurteilungen vorliegen oder der Partner führend in extremistischen Organisationen tätig ist. Sicherheitserhebliche Umstände zur einzubeziehenden Person werden in der Regel in der gleichen Weise bekannt wie beim Geheimnisträger selbst. Dies ergibt sich aus der Tatsache, dass alle o. g. Überprüfungsmaßnahmen - wie für den Geheimnisträger selbst auch - durchgeführt werden müssen (vgl. dazu: SS 10 Abs. 2 Nr. 3 SiR). Zu anderen Personen des näheren Lebensumfeldes (z. B. Kinder) werden solche Umstände durch Auswertung der Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde bekannt. Bewertung der Erkenntnisse zu einzubeziehenden Personen und anderen Personen des näheren Lebensumfeldes Zunächst ist unter Anwendung der o. g. Grundsätze festzustellen, ob ein Sicherheitsrisiko in der einzubeziehenden Person oder der Person des näheren Lebensumfeldes gegeben ist. Anhand der Umstände des Einzelfalles muss dann noch geprüft werden, inwieweit das festgestellte Sicherheitsrisiko auf den (künftigen) Geheimnisträger selbst durchschlägt. Wusste dieser beispielsweise glaubhaft nicht, dass seine einzubeziehende Person eine inoffizielle Tätigkeit für das MfS ausgeübt hat, ist eine Übertragbarkeit des Sicherheitsrisikos auf ihn rechtlich nicht zulässig. Toleriert bzw. unterstützt er seine einzubeziehende Person dagegen bei einer Tätigkeit in einer gewaltgeneigten extremistischen Organisation, dürfte ihm die Ausübung seiner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit kaum anvertraut werden. Anhang: Thüringer Verfassungsschutzgesetz - ThürVSG - Vom 29. Oktober 1991 (GVBl. S. 527), geändert durch Artikel 2 des Thüringer Gesetzes zur Umsetzung des Artikels 13 des Grundgesetzes vom 27. Juli 1999 (GVBl. S. 454) Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS1 Organisation des Verfassungsschutzes (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht als obere Landesbehörde unmittelbar dem Innenministerium. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Thüringen nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. SS2 ThürVSG Aufgaben (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz 192 193 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines ThürVSG Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben; 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht; 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; 4. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt zu diesem Zweck Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut im Sinne des SS 1 Abs. 1 erheblich zu beschädigen. (3) Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit geThürVSG genüber der Volksvertretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 194 195 (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der öffentlichen Stellen mit: 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentliThürVSG chen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können; 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen; 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedüftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, entsprechend den Rechtsvorschriften, auf Anfrage von Behörden, denen die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst obliegt, Auskunft aus vorhandenen Unterlagen über Erkenntnisse nach Absatz 1. Die Auskunft ist auf solche gerichtsverwertbare Tatsachen zu beschränken, die Zweifel daran begründen können, dass der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. SS3 Bedienstete (1) Die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale Sicherheit der DDR überprüft und für das die Behörde des Sonderbeauftragten beim Bundesminister des Innern für den Umgang mit den Akten des MfS/AfNS einbezogen wird. (2) Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/ AfNS, Personen mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht befasst werden. SS4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenige zu treffen, die den Einzelnen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS5 Allgemeine Befugnisse (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtgemäßem Ermessen erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen, namentlich speichern, übermitteln, verändern, löschen und abgleichen, so weit nicht besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. (2) In Überprüfung nach SS 2 Abs. 4 Nr. 1 und 2 können der Ehegatte, der Verlobte oder die Person, die mit dem Überprüfenden in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, einbezogen werden. Die Überprüfung ThürVSG ist nur mit Zustimmung des zu Überprüfenden sowie der gegebenenfalls miteinzubeziehenden Person zulässig, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. 196 197 SS6 Nachrichtendienstliche Mittel (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstThürVSG lichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, Informationen verdeckt erheben. (2) Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer vom Innenministerium zu erlassenen Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden. (3) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. SS7 Erhebung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gemäß SS 6 Abs. 1 erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzuneh- men, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. SS 4 findet im Übrigen Anwendung. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerlässlich ist und geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1 gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen. (3) Bei Erhebung nach Absatz 1, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören, ist: 1. der Eingriff nach seiner Beendigung dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann und 2. die Parlamentarische Kontrollkommission unverzüglich zu unterrichten. Einer Mitteilung gemäß Nummer 1 bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzungen auch nach fünf Jahren noch nicht eingetreten ist. Die durch solche Maßnahmen erhobenen Informationen dürfen nur nach SS 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses verwendet werden. (4) Maßnahmen nach Absatz 2 dürfen nur aufgrund richterlicher Anordnung getroffen werden. Bei Gefahr im Verzug kann der PräsiThürVSG dent des Landesamtes für Verfassungsschutz eine Maßnahme nach Absatz 2 anordnen; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel nicht mehr erforderlich, so ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. 198 199 Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht eines Bediensteten des Landesamts für Verfassungsschutz, der die Befähigung zum Richteramt hat. Für die Verwendung der nach Absatz 2 oder 5 erhobenen personenbezogenen Daten sowie die Entscheidung über die ThürVSG nachträgliche Information der von Maßnahmen nach Absatz 2 Betroffenen gelten SS 7 Abs. 3 und SS 5 Abs. 5 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechend. (5) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgesehen, kann die Maßnahme durch den Präsidenten des Landesamts für Verfassungsschutz oder einen von ihm bestellten Beauftragten angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse zu Zwekken der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (6) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach Absatz 4 Satz 1, 2 oder 4 oder Absatz 5 Satz 2 ist das Amtsgericht am Sitz des Landesamts für Verfassungsschutz. Für das Verfahren gelten die Bestimmungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. (7) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag jährlich über die nach Absatz 4 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 5 angeordneten Maßnahmen. Die Parlamentarische Kontrollkommission übt auf der Grundlage dieses Berichts die parlamentarische Kontrolle aus. (8) In den Fällen des Absatzes 1, Nr. 1 und 2 dürfen nachrichtendienstliche Mittel gegen Unbeteiligte nicht gezielt angewandt werden. (9) Die Erhebung nach Absatz 1 und 2 ist in den Fällen des SS 2 Abs. 4 unzulässig. Zweiter Abschnitt Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen, wenn: 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 erforderlich ist oder 3. Aufgaben nach SS 2 Abs. 4 zu erfüllen sind, so weit nicht besondere Bestimmungen gelten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Daten über Minderjährige, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet haben in zu ihrer Person geführten Akten nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der im Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien ist eine Speicherung von Daten Minderjähriger, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unzulässig. (3) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 2 Abs. 4 dürfen in automatisierten Dateien personenbezogene Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. (4) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten ThürVSG sind auf das für die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderliche Maß zu beschränken. SS9 Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrich200 201 tig sind; in Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, ist dies zu vermerken. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre SpeicheThürVSG rung unzulässig war oder ist oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass dadurch schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgelegten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 sind spätestens 10 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall die Entscheidung, dass sie weiter gespeichert bleiben. So weit Daten automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den Ablauf der Fristen nach Satz 1 und 2 hinzuweisen. (4) Personenbezogene Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 angefallen sind. (5) Personenbezogene Daten, die zu löschen sind, dürfen nicht zum Nachteil des Betroffenen verarbeitet werden. SS 10 Errichtungsanordnung (1) Für jede automatisierte Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet werden, ist in einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des Innenministeriums bedarf, festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Art der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Errichtungsanordnung anzuhören. Wesentliche Änderungen sind ihm nach Erlass mitzuteilen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. SS 11 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, so weit er ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, so weit: 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist; 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamt für Verfassungsschutz zu befürchten ist; 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder ThürVSG 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. 202 203 (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, ThürVSG so weit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass er sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, so weit nicht das Innenministerium im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 12 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Register, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Landes haben von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu übermitteln, so weit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung der Informationen, insbesondere über Tatbestände, die in SS 100 a Strafprozessordnung und in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz aufgeführt sind, für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nach SS 2 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für seine Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. (3) Gesetzliche Übermittlungsverbote bleiben unberührt. SS 13 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Die in SS 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 oder 4 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten und amtlich geführte Dateien und Register anderer öffentlicher Stellen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 einsehen, wenn die Übermittlung von Informationen aus den Akten, Dateien oder Registern im Wege der Mitteilung durch die ersuchte Behörde den Zweck der Maßnahme gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. ThürVSG (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von den Behörden des Landes und den sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. (4) SS 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. 204 205 SS 14 Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz ThürVSG (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an andere Behörden und öffentliche Stellen personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1, 4 und 5 übermitteln. Zu anderen Zwecken darf es, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten nur übermitteln an: 1. den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst, so weit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist; 2. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung erforderlich ist; a) zur Verhütung oder Verfolgung der in SSSS 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Tatverdächtigen oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind; b) zur Verfolgung der in SS 100 a Strafprozessordnung genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität; 3. Polizeibehörden, so weit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist und die Übermittlung der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung der in Nummer 2 genannten Straftaten sowie von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient; 4. andere Behörden und öffentliche Stellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist und der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. (2) Die Empfängerbehörde hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sie darf die personenbezogenen Daten, so weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Grundgesetzes sowie an überoder zwischenstaatliche öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. Sie ist nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig und aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dem sie ihm übermittelt wurden. (4) Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereiches nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und das Innenministerium im Einzelfall die Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, vor unberechtigtem Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft ThürVSG über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (5) So weit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Übermittlung personenbezogener Daten durch Abruf im automatisierten Verfahren unzulässig. 206 207 SS 15 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils hat zu unterThürVSG bleiben, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der personenbezogenen Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen des Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. SS 16 Unterrichtung der Öffentlichkeit Das Innenministerium unterrichtet die Öffentlichkeit einmal im Jahr über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1. Dabei dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegt. SS 17 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern würde und nachteilige Folgen für den Betroffenen nicht zu befürchten sind. Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 18 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeübt. Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse und der Kommission aufgrund des Landesgesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 29. Oktober 1991 bleiben unberührt. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder (nach d' Hondt) gewählt werden. Die Kontrollkommission wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtags so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische KontrollkommisThürVSG sion gewählt hat. SS 19 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission mindestens viermal im Jahr umfassend über die allge208 209 meine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Sie berichtet zu konkreten Themen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies wünscht. ThürVSG (2) Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzuganges und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung und Aufgabenerfüllung im Landesamt für Verfassungsschutz durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. (3) Jedes Mitglied kann den Zusammentritt und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. (4) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann beschließen, dass ihr Akteneinsicht zu gewähren ist. Die Landesregierung entscheidet über die Akteneinsicht im Rahmen ihrer politischen Verantwortung, insbesondere unter Berücksichtigung des notwendigen Quellenschutzes. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. Fünfter Abschnitt Schlussbestimmungen SS 20 Gleichstellungsbestimmung Statusund Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in männlicher und weiblicher Form. SS 21 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. 1 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. September 1999. 2 Die Zählung der Parteitage berücksichtigt das Wirken der KPD in der Zeit von 1918 bis 1933. 3 Beschlussniederschrift über die Sitzung der IMK am 6. Juni 1997 in Bonn, TOP 28: Scientology-Organisation; TOP 28.2: Die Beobachtung der Scientology-Organisation durch den Verfassungsschutz. 4 "Mach Geld, mach mehr Geld, sorge dafür, dass andere Geld machen.", in: Hubbard Communication Office Policy Letter (HCOPL) vom 9. März 1972. 5 Gabriel, L., Radnitzky, G. und Schopper, E.: Die I-Waffen. Information im Kräftespiel der Politik. München/Berlin 1982, Klappentext. 6 Picker, H.: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. Frankfurt/ M., Berlin 1989, S. 98, S. 110, S. 360. 7 Lenin, W. I.: Ausgewählte Werke in zwei Bänden. Bd. 2. Berlin (Ost) 1959, S. 313, S. 409 f. 8 HCOPL vom 7. März 1965. 9 Vgl. Marxistisch-leninistische Staatsund Rechtstheorie. Berlin (Ost) 1975. Vgl. Protokoll des 2. Parteitages der SED vom 20. September bis 24. September 1947 in Berlin. Berlin (Ost) 1947. Vgl. Hitler, A.: Mein Kampf. 469 bis 474. Auflage. München 1939. Vgl. Thaler-Singer, M. und Lalich, J.: Sekten. Heidelberg 1997. Anmerkungen 10 Meuschel, S.: Legitimation und Parteiherrschaft in der DDR. Frankfurt/M. 1992. 11 Hannah Arendt (1906 bis 1959): amerikanische Soziologin dt. Herkunft; mit der Arbeit "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" (u. a. Frankfurt/M. 1955) wurde sie zur Begründerin der modernen Totalitarismusforschung. 12 Höhn, P. und Roewer, H.: Das Unvergleichliche vergleichen. Innenpolitische Kontrolle in Deutschland im 20. Jahrhundert, in: In guter Verfassung. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz. Bd. 2 der Reihe 210 211 Demokratie im Diskurs. Erfurt: Heron, 1997, S. 157: Es geht hier nicht darum, unterschiedliche Phänomene gleichzusetzen. Die begrenzte analytischen Reichweite des Totalitarismusmodells ist bekannt - es kommt allein darauf an, zu zeigen, dass sich im Vergleich die o. g. Anmerkungen Merkmale, sowohl bei Scientology, als auch im Nationalsozialismus oder Kommunismus mehr oder minder stark nachweisen lassen. Auch der Standard-Einschränkung, dass die genannten Phänomene nicht vergleichbar seien, liegt bereits ein Vergleich zugrunde. Natürlich fehlen bislang für den Nachweis der totalitären Ausrichtung der SO Kenntnisse aus ihrem "Innenleben". Ein Weg, diesem Missstand mittelbar abzuhelfen, ist die kritische Analyse von Quellentexten. Neben der qualitativen Analyse sollte auch der Quantifizierung Raum gegeben werden, um zu vermeiden, dass sich die SO in praxi als "Papiertiger" erweist. Hier sind Soziologen, Sprachwissenschaftler, Historiker, vor allem aber Politologen gefordert, deren Handwerkszeug zu einer Bewertung und Klassifizierung des Phänomens im o. g. Sinne allemal ausreichend sein dürfte. 13 Innenministerium NRW (Hg.): Scientology. Eine Gefahr für die Demokratie - eine Aufgabe für den Verfassungsschutz. Düsseldorf 1996, S. 51 ff. 14 Innenministerium NRW (Hg.): Scientology. Eine Gefahr für die Demokratie - eine Aufgabe für den Verfassungsschutz. Düsseldorf 1996, S. 51 ff. 15 Der Kommunismus zog seine Legitimation aus der realen Not der Arbeiterschaft in der Industrialisierung, der Nationalsozialismus aus dem "Dolchstoß", der "Schmach von Versailles" und beide aus "dem Versagen" demokratischer Systeme. Dagegen anzunehmen, dass Fürst Xenu im ewigen Kampf gegen die Thetanen stehe, gehört eher ins Aufgabengebiet der Psychiatrie. 16 Ebd., S. 51 ff. 17 Ebd., S. 51 ff. 18 HCOPL vom 13. Februar 1965, Neuauflage 7. Oktober 1985. 19 HCOPL vom 5. Januar 1968. 20 Hubbard, L. R.: Das Scientology-Handbuch, S. 639. 21 Hubbard, L. R.: Dianetik, S. 486. 22 Ebd., S. 487. 23 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Die Scientology-Organisation. Gefahren, Ziele und Praktiken. Köln 1996, S. 16 ff. 24 HCOPL in der Fassung vom 10. September 1983, S. 2. 25 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.): Die Scientology-Organisation. Gefahren, Ziele und Praktiken. Köln 1996, S. 27 ff. 26 Ebd., S. 27 ff. 27 Ebd., S. 27 ff. 28 Terroristischen Aktivitäten fehlt gleichfalls jeder formalpolitische Charakter - eine politische Dimension besitzen sie dennoch. 29 Vgl. Jaschke, H.-G.: Die Auswirkungen der Anwendung scientologischen Gedankengutes auf eine pluralistische Gesellschaft oder Teile von ihr in einem freiheitlich demokratisch verfassten Rechtsstaat. Düsseldorf 1996, S. 59. 30 Vgl. Haffner, S.: Zur Zeitgeschichte. 36 Essays. München. Knaur Anmerkungen 1982 und Haffner, S.: Anmerkungen zu Hitler. Frankfurt/M.: Fischer 1981. Man denke etwa an das Parteiprogramm der NSDAP von 1925. Beim Marxismus erübrigt sich jeder Kommentar. 31 Gaschke, S.: Pflicht zum kritischen Blick, in: ZEIT-Punkte 4/97: Achtung, Seelenfänger! Sekten, Gurus, Psycho-Freaks. Hg. von Dr. Theo Sommer. Hamburg 1992 ff, S. 3. 32 Veröffentlicht in der Zeitschrift Wostok 3/1995. 33 Thüringer Verfassungsschutzgesetz vom 29. Oktober 1991, SS 2, Aufgaben (siehe Anhang). 212 213 Anmerkung: "für eine fremde Macht" bedeutet, dass die Beobachtung nachrichtendienstlicher Aktivitäten ungeachtet ihrer geographischen bzw. politischen Zuordnung erfolgt. Anmerkungen 34 Sammlung personenbezogener Daten. 35 Hinweise für die Gewinnung von V-Leuten (geheime Informanten der Geheimdienste). 36 Scientific and Technological Options Assessment. 37 National Security Agency. 38 Sistema operativno-rosysknych meroprijatij. 39 Konzeption der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation, in : Krasnaja swjesda, 27. Dezember 1997. 40 Geheimdienstmitarbeiter, die ihren Auftrag, ihre Auftraggeber und ihre tatsächlichen Namen tarnen, arbeiten unter "Legende". 41 Unter Proliferation im engeren Sinne versteht man die Weitergabe und Verbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen und der zu deren Einsatz erforderlichen Raketensysteme. 42 Vgl.: Verfassungsschutzbericht Thüringen 1998. AA/BO Antifaschistische Aktion/Bundesweite A Organisation AAB Antifaschistische Aktion Berlin AAP Antifaschistische Aktion Passau ACM Zentralkomitee der PKK für Europa ADÜTDF Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V. AfNS Amt für Nationale Sicherheit (DDR) AIZ Antiimperialistische Zelle AKW Atomkraftwerk AMAL Gruppe des islamischen Widerstandes ARGK Volksbefreiungsarmee Kurdistans ATF Deutsche Türk-Föderation ATIB Türkisch-islamische Union in Europa ATIF Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. ATIK Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa AÜTDK Konföderation der idealistischen Türken in Europa BdA Bund der Antifaschisten B BDP Bund Deutscher Patrioten Abkürzungsverzeichnis BDVG Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BK Babbar Khalsa International BKA Bundeskriminalamt B.K.D.S.H. Nationaldemokratische Liga der albanischen Treue BND Bundesnachrichtendienst BStU Bundesbeauftragter für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz DABK Ostanatolisches Gebietskomitee D DDR Deutsche Demokratische Republik Dev Sol Devrimci Sol (Türkische Revolutionäre Linke) 214 215 DHKP-C Revolutionäre Volksbefreiungsfront - Karatas Flügel (Türkei) DIDF Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der BundesreAbkürzungsverzeichnis publik Deutschland e. V. DKP Deutsche Kommunistische Partei DRB Deutsche Reichspartei DSF Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft DTB Darker Than Black DVU Deutsche Volksunion EMUG Europäische Moscheebauund Unter- E stützungsgemeinschaft e. V. ERNK Nationale Befreiungsfront Kurdistans FAPSI Föderale Agentur für Regierungsfern- F meldewesen und Information beim Präsidenten der Russischen Föderation FDGB Freier Deutscher Gewerkschaftsbund FDJ Freie Deutsche Jugend FIS Islamische Heilsfront FSB Föderaler Sicherheitsdienst der Russischen Föderation G-10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- G und Fernmeldegeheimnisses - Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz GG Grundgesetz GIA Bewaffnete Islamische Gruppe GRU Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab (Russische Föderation) GUS Gemeinschaft Unabhängiger Staaten HAMAS Islamische Widerstandsbewegung H Hizb Allah Partei Gottes HVA Hauptverwaltung Aufklärung, Auslandsdienst der DDR IBP Islamischer Bund Palästinas I ICCB Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. Köln IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. ISYF International Sikh Youth Federation J JN Junge Nationaldemokraten K KGB Komitee für Staatssicherheit (Sowjetunion) KOMKAR Verband der Vereine aus Kurdistan KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPD/ML Kommunistische Partei Deutschlands/ Marxisten-Leninisten KPF Kommunistische Plattform der Partei des Demokratischen Sozialismus KZ Konzentrationslager L LPK LTTE Volksbewegung Kosovos Liberation Tigers of Tamil Eelam Abkürzungsverzeichnis M MAD MB Militärischer Abschirmdienst Muslimbruderschaft MfS Ministerium für Staatssicherheit (DDR) MG Marxistische Gruppe MLKP Marxistisch-Leninistisch Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands N NAPO Nationale Außerparlamentarische Opposition NHB Nationaldemokratischer Hochschulbund NIT Nationales Infotelefon NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands 216 217 NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran Abkürzungsverzeichnis O OSA OT Office of Special Affairs Operierender Thetanen P PDS PKK Partei des Demokratischen Sozialismus Arbeiterpartei Kurdistans R RAF REP Rote Armee Fraktion Die Republikaner RH Rote Hilfe e. V. RZ Revolutionäre Zellen S SDAJ SED Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SO Scientology Organisation SORM Sistema operativno-rosysknych meroprijatij StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StUG Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR SWR Dienst für Auslandsaufklärung (Russische Föderation) T TDKP Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei ThEA Thüringer Ermittlungsausschuss THKP-C Türkische Volksbefreiungsfront - Yagan Flügel THS Thüringer Heimatschutz ThürVSG Thüringer Verfassungsschutzgesetz TKP/ Türkisch-Kommunistische Partei/Funke Kivilcim TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten TLfV Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz TMLGB Türkisch Marxistisch-Leninistischer Jugendbund U UCK U.I.S.A. Befreiungsarmee von Kosovo Union islamischer Studentenvereine UNZ Unsere Neue Zeitung UZ Unsere Zeit V VS VSA Verschlusssache Verschlusssachenanweisung VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten W WISE WWW Word Institute of Scientology Enterprises World Wide Web Abkürzungsverzeichnis Y YCK YEK-KOM Union der Jugendlichen aus Kurdistan Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland YXK Union der Studenten Kurdistans Z ZK Zentralkomitee 218 219 Abu-Jamal, Mumia 159 A Apfel, Holger 42, 48-49 Personenregister B Benjamin, Michael Brandt, Tino 76-78, 84, 95 41, 52 Brombacher, Ellen 75-76, 96 C Chruschtschow, Nikita 97 D Deckert, Günter Dehoust, Peter 35 114 Distler, Jürgen 42 E Eisenecker, Dr. Hans-Günter Engel, Stefan 38, 40 86 Engels, Friedrich 72, 78, 82-83, 85 Ezer, Achim 49 F Frey, Dr. Gerhard 25, 30-32, 56 G Golkowski, Frank Göring, Hermann 39, 50-51 53 H Handlos, Franz Hecker, Thomas 19 76 Herold, Jürgen 76 Heß, Rudolf 41, 53-55, 164 Hitler, Adolf 53, 148 Hoppe, Kurt 23 Hubbard, Lafayette Ronald (Ron) 145, 147-155 Hupka, Steffen 38, 42 Huther, Horst 79 Jörgens, Antje 75, 93 Julius, Gerd 97-98 K Käppler, Lars Karatas, Dursun 48 140 Kärst, Rene 50 Kaypakkaya, Ibrahim 139 Klump, Andrea 119 Konrad, Gerhard 27 Kovaljov, Nikolaj 175 Krautheim, Jörg 44, 58 Krenz, Egon 96 Lenin, Wladimir Iljitsch 72, 78, 82-83, 85, L 148 Liebknecht, Karl 79 Luxemburg, Rosa 79 M Mao Tse-tung Marx, Karl 72, 85 72, 78, 82-83, 85 Meyer, Barbara 119 Meyer, Ludwig 119 Miscavage, David 145 Möbus, Hendrik 64-66, 165 Möbus, Ronald 64, 66, 165 Personenregister Modrow, Hans 187 Mousli, Tarek 115 N Nordbruch, Dr.Claus 165 O Öcalan, Abdullah 107, 127, 129-131, 134-138, 163, 165 Ortlepp, Grit 39, 43-44 Otto, Andreas 58-59, 62 Otto, Gerhard 23 220 221 P Primakow, Jewgenij Primer, Rolf 167, 174 82-83 Putin, Wladimir Wladimirowitsch 174 Personenregister R Rabe, Friedrich Reißig, Otto 76 27, 29 Rocktäschel, Martin 61 Roeder, Manfred 38 Roßmüller, Sascha 34, 38, 49-50 S Schleese, Werner Schlierer, Dr. Rolf 88, 96 19, 20 Schneider, Dr. Heinz-Joachim 22-24 Schönhuber, Franz 19 Schönleben, Andreas 43-44 Schumann, Roswitha 39 Schweiger, Herbert 50 Schwerdt, Frank 43-44, 59 Stalin, eigentl. Dschugaschwili, Jossif Wissarionowitsch 72, 85, 97 Stehr, Heinz 82, 85 Steinert, Günter 23 Stepaschin, Sergej 174 Stöckel, Jan 44 Stuart, Ian 62 T Thadden, Adolf von Thälmann, Ernst 34 164 Trotzki, Lew Dawidowitsch 72 V Voigt, Eckhard Voigt, Udo 19 33-35, 40, 42, 48, 50 Wagenknecht, Sahra 75 W Weilkes, Sandro 41, 162 Wetzel, Bruno 29 Worch, Christian 38, 41-42, 52, 55 Y Yagan, Bedri 140 Personenregister 222 223 Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) 178 A Anti-AKW-Bewegung 118 Anti-Antifa 52 Anti-Antifa Ostthüringen 52 Sachregister Anti-Atomkraft-Bewegung 105 Antifa Arnstadt 108 Erfurt 108 Jena 108, 114 Weimar 107-108 AntifaArchiv Jena 116 Antifa Offensive 99 103, 109 Antifaschismuskampagne 71 Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) 104 Antifaschistische Aktion Eisenach 103 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) 101-103, 109 Antifa-Workcamp Weimar/ Buchenwald 111, 163 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 107-109, 123, 125-126, 129, 131-138, 159 Arbeitsgemeinschaft Antifa-Workcamp 111 Arbeitsgemeinschaft Jugend Thüringen 79-80 Arbeitskreis "Antifaschismus/ Antirassismus - Für internationale Solidarität Eisenach" 103 Autonome 71, 100-118, 159-160, 163 Autonome Antifa (M) 119 B Babbar Khalsa International 124, 141-142, 166 Befreiungsarmee von Kosovo (UCK) 143, 160 Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA) 124 Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft (BDVG) 49 Black Cats 107, 112 Black Metal 64-66 Black Metal-Band Absurd 64, 66 Blood & Honour-Bewegung 57-58, 62 Bund Deutscher Patrioten (BDP) 50-51, 158159 Bündnis 99 21, 24, 45 C Castor-Transporte Clears 150 118 ComLink 107-108 Cudi TV (CTV) 128 D Darker Than Black (DTB) Der Republikaner 64, 66 19, 25, 35-36, 42, 45, 48, 56, 159-160, 162-163, 166 Deutsche Demokratische Republik (DDR) 36, 51, 76-77, 79, 89, 93, 95-99, 178179, 183 Deutsche Heidnische Front 65 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 71-72, 74, 7884, 89, 91-93, 95, 97, 108, 113, 119, 158160, 162, 164 Deutsche Nationalzeitung 26 Deutsche Reichspartei (DRP) 34-35 Deutsche Stimme 33, 42-43 Sachregister Deutsche Türk-Föderation (ATF) 124 Deutsche Volksunion (DVU) 17, 21, 24-33, 35, 42, 45, 48, 56, 111, 158-160, 162163-165 Deutsche Wochenzeitung 26 Devrimci Sol (Dev Sol) 123, 139-140 Die Republikaner (REP) 17, 19-25, 35, 160, 162 224 225 Die Rote Fahne 81, 88-89, 97 Die Rote Hilfe 90 Dienstagsaktionen 88 Dienst für Auslandsaufklärung (SWR) 176 Sachregister Drei-Säulen-Konzept 35 DSZ-Druckund Zeitschriftenverlag GmbH 25 E-Mail-Dienste 67 E Eisenacher "Arbeitskreis Antifaschismus/Antirassismus" 109 Europäische Frontzentrale (ACM) 126 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG) 124 EXPO 2000 106, 118 F Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information beim Präsidenten der Russischen Föderation (FAPSI) 174 Föderaler Sicherheitsdienst (FSB) 173, 175 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. (ATIF) 123, 166 Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V. 123 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) 123, 137 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 79, 186 Freier Deutscher Gewerkschaftsbund (FDGB) 186 G Geheimschutz Geheimschutzbeauftragten 180-191 180, 182 Gerberei 107 Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (DSF) 186 Gruppe des islamischen Widerstandes (AMAL) 124 H Hakenkrallenanschläge Hammerskins 106 57-58 Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Russischen Föderation (GRU) 174-175 Homepages 68 I Infoladen 101, 111, 113, 166 Informationsstelle Kurdistan e. V. (ISKU) 137 Infotelefone 101, 113 INTERIM 101, 104-106, 111 International Sikh Youth Federation (ISYF) 124, 141-142 Internationales Pfingstjugendtreffen 88 Internet 67-68, 101 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) 124 Islamische Heilsfront (FIS) 124 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 124 Islamischer Bund Palästinas (IBP) 124 J Junge Linke 113 Sachregister Junge Nationaldemokraten (JN) 34, 38, 47-50, 103 K Komitee für Staatssicherheit der Sowjetunion (KGB) 179 Kommunistische Partei Deutschland/ Marxisten-Leninisten (KPD/ML) 90 226 227 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 71, 78, 80-81, 88-89, 91-93, 95-97, 108, Sachregister 158-160, 162 Kommunistische Plattform (KPF) 71-78, 91-92, 95, 96, 108, 119, 159 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) 123, 139 Konföderation der idealistischen Türken in Europa (AÜTDK) 124 Kurdischer Nationalkongress (KNK) 132 Kurdisches Exilparlament 132 K-Gruppen (kommunistische Gruppen) 74 L Landtagswahlen 23-25, 27-29, 43-47, 92-93 Leipziger Antifa-Infotelefon 108 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 143 M Mailboxen Marxismus-Leninismus 67, 101 73, 88 Marxistische Gruppe (MG) 72 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 71-72, 85-88, 91-93, 95, 9899, 113, 119, 159 Med-TV 128 MEDYA-TV 129 Ministerium für Staatssicherheit (MfS) 178-179, 182, 185-186 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS 74 Muslimbruderschaft (MB) 124 N Nation & Europa 114 Nationaldemokratische Liga der albanischen Treue (B.K.D.S.H.) 143 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 17, 21, 25, 3356, 58-59, 103-104, 159162, 164, 166 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) 34 Nationale Außerparlamentarische Opposition (NAPO) 56 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 123, 125 Nationale Infotelefone (NIT) 67 NIT Hamburg 56 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 124 National Front 57 National-Zeitung 26, 29-30 Neonazis 17, 52-66 Neue Thüringer Zeitung 43 Nordland-Netz 67 O Office of Special Affairs (OSA) OI-Musik 153 60 Online-Bestellmöglichkeiten 68 Operierender Thetanen (OT) 150 Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) 123, 139 Sachregister P Partei Gottes (Hizb Allah) Partizan-Flügel 124 123, 139 Präsidialrat 133 Redskin 163 R Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei (TDKP) 123 Revolutionäre Volksbefreiungsfront - Karatas Flügel (Türkei) (DHKP-C) 123, 140 228 229 Revolutionäre Zellen (RZ)/Rote Zora 115, 119 Revolutionärer 1. Mai in Berlin 104 Rote Armee Fraktion (RAF) 110, 119 Rote Fahne 86, 88, 93, 98 Sachregister Rote Hilfe e. V. (RH) 72, 90 Roter Tisch der Kommunisten Ostthüringens 80, 90, 162 Roter Tisch der Kommunisten Thüringens 90-91, 113 R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N. 111 Ruhstorfer Beschluss 21 S Sabotnik Satan 107, 117 65 Schwarze Listen 68 Scientology Organisation (SO) 145-157 Sicherheitsrisiko 181-191 Sicherheitsüberprüfungen 184 Sistema operativno-rosysknych meroprijatij (SORM) 173 Sikhs 141 Skinheadbands Blue Eyed Devils 62 Blutorden, Saalepiraten 61, 63 Chaos 88 62 Die Barbaren 61 Donnertyrann 61, 63 Dragoner 61, 63 Dying breed 61 Eugenik, Oigenik 61, 63 Frontbann 61, 63 Hauptkampflinie 61 HMF 61 Ilmpiraten 61, 63 Kraftschlag 62 Kreuzfeuer, Kroizfoier 61, 63 Landser 58 Law & Order 63 Legion Ost 63 Max Resist 61 Memelsburg 61 Might of Rage 61 Neue Argumente 61 Nordmacht 61 Normannen 61, 63 Odessa 61 Pluton Svea 62 Prollschock 62 Querschläger, Schlagabtausch 63 Radikahl 61, 63 Razors Edge 61 Reichsfront 61, 63 Stahlgewitter 61 Sturm & Drang 61 Sturmangriff, Volksverhetzer, VV1 61, 63 Südsturm 61-62 Volkstroi 61 Skinheadkonzerte 17, 48, 57-63, 158, 163-166 Skinhead-Musik 60-63 Skinheads 36 Sowjetunion 98 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 78, 80-81, 85, 91, 113, 162 Sozialistische Einheitspartei Deutschland (SED) 74, 88, 95, 97, 183, 186 Spionageabwehr 167-179 Spock 117 Spunk 107 Sachregister T Tamilen Thule-Netz 143 67 Thüringenreport 79, 81 Thüringer Ermittlungsausschuss (ThEA) 113, 116 Thüringer Heimatschutz (THS) 17, 43, 52-53, 58 Türkisch Marxistisch-Leninistischer Jugendbund (TMLGB) 123 230 231 Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 123, 139-140 Türkische Volksbefreiungsfront - Yagan Flügel (THKP-C) 123, 140 Sachregister U Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) 123 Union der Studenten Kurdistans (YXK) 123 Union islamischer Studentenvereine (U.I.S.A.) 124 Unsere Zeit (UZ) 78, 85, 93, 97 V Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln (ICCB) 124 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) 78 Verschlusssachen 180 Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) 125, 132 Volksbewegung Kosovos (LPK) 143, 144 W Waffen-SS Wanderausstellung "Vernichtungs163 krieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" 55 White German Girls 58 Word Institute of Scientology Enterprises (WISE) 154 World Wide Web (WWW) 67 Z Zentralkomitee (ZK) 186