FREISTAAT THÜRINGEN VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 199 7 Thüringer Innenministerium Verfassungsschutzbericht Thüringen 1997 September 1998 IMPRESSUM Herausgeber: Thüringer Innenministerium Steigerstraße 24 99096 Erfurt Telefon (03 61)37-900 Druck: Gutenberg Druckerei GmbH Weimar Vorwort Toleranz ist ein wesentliches Merkmal einer freien, selbstbestimmten Gesellschaft. Sie ist eine Errungenschaft der Demokratie. Und diese lebt vom Pluralismus der Meinungen, von den Diskussionen und den Ergebnissen solcher Meinungsbildungsprozesse. Ohne Toleranz gibt es keine Demokratie. Doch auch in einem demokratischen Staat geht die Toleranz nicht so weit, daß es Extremisten und Terroristen erlaubt sein könnte, die Freiheitsrechte der Bürger ernsthaft zu bedrohen. Ein Blick auf die Entwicklung der Weimarer Republik lehrt: wehrhafte Demokratie und Toleranz bedingen einander. Wenn sich mit diesem Jahresbericht feststellen läßt, daß trotz aller verfassungsfeindlicher Bestrebungen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Thüringen nicht ernsthaft gefährdet ist, so verdanken wir das auch der Arbeit der Verfassungsschutzbehörde. * Der Verfassungsschutz deckt verfassungsfeindliche Bestrebungen auf, liefert Erkenntnisse über Extremisten und Gefährdungsanalysen. Diese Informationen bilden die Voraussetzung für entsprechende Gegenmaßnahmen, für die Aufklärung der Bevölkerung. * Der Verfassungsschutz gibt in konkreten Fällen auch wichtige Hinweise zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten. Zum Linksund Rechtsextremismus ist auch im Freistaat Thüringen der Ausländerextremismus längst hinzugekommen. Seit Juni 1997 beobachtet das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz - gemäß dem Beschluß der Konferenz der Innenminister und Innensenatoren des Bundes und der Länder (IMK) - zudem auch die Scientology Organisation (SO). Verstärkt haben sich im Vergleich zum Vorjahr die extremistischen Tendenzen unter den Jugendlichen. Dabei überschneiden sich politische Aktivitäten mit kriminellen Handlungen. Diese extremistische Jugendszene stellt das gesamte gesellschaftliche Spektrum des Freistaates vor eine große Herausforderung. Die Straftaten von Extremisten - vor allem Propagandadelikte - haben im Jahr 1 997 insgesamt zwar zugenommen, die Zahl der Gewalttaten im linken wie im rechten Lager hat aber erfreulicherweise abgenommen. Diese und andere Informationen sind für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft unverzichtbar. Nur so können die Bürger ihre Verantwortung für das Fortbestehen von Demokratie und Toleranz sinnvoll wahrnehmen. Das Thüringer Innenministerium wen- 3 det sich daher an Sie und möchte Ihnen mit dem Verfassungsschutzbericht 1997 einen Überblick über die extremistischen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen in unserem Land geben. Dr. Richard Dewes Erfurt, Mai 1998 Thüringer Innenminister 4 Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 7 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie 7 2. Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 7 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung 11 IL Extremistische Jugendszene oder jugendliche Gewaltszene? 16 III. Rechtsextremismus 20 1. Überblick 20 2. Ideologischer Hintergrund 21 3. Neonazis 21 3.1 Die Nationalen e.V. 21 3.2 Anti-Antifa 22 3.3 Thüringer Heimatschutz (THS) 23 3.4 Gedenkaktionen für Rudolf Heß 24 3.5 Verhandlungen gegen Manfred Roeder 25 3.6 Skinheads 26 3.7 Skinheadmusik aus Thüringen 28 4. Rechtsextremistische Parteien 4.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und Junge Nationaldemokraten (JN) 31 4.2 Die Republikaner (REP) 38 4.3 Deutsche Volksunion (DVU) 41 5. Rechtsextremistische Straftaten im Überblick 43 IV. Linksextremismus 44 1. Überblick 44 2. Ideologischer Hintergrund 45 3. Marxistisch-Leninistische Parteien und Organisationen 45 3.1 Die Kommunistische Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 45 3.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 48 3.3 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 51 3.4 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 51 3.5 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 53 3.6 Rote Hilfe e.V. (RH) 56 3.7 "Rote Runde Tische" 56 4. Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre 57 4.1 Allgemeines 57 4.2 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) 59 4.3 Bundesweite Aktionen 60 4.4 Die autonome Szene in Thüringen 6A 4.5 Aktionen autonomer Gruppen in Thüringen 65 5. Terroristische Gruppierungen 71 6. Linksextremistische Straftaten im Überblick 71 V. Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 73 1. Allgemeines 73 2. Die wichtigsten extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland 74 3. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 76 4. Linksextremistische türkische Organisationen 80 VI. Scientology Organisation (SO) 82 1. Scientology - eine Gefahr für die Demokratie? 82 2. Scientology in Thüringen 82 3. Was ist Scientology? 83 4. Zur Strategie der SO 86 5. Scientology - eine religiös verbrämte totalitäre Ideologie 91 6. Glossar scientologischer Begriffe 94 VII. Spionageund Sabotageabwehr 99 1. Überblick 99 2. Fortwirkende Strukturen des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR 100 3. Aktivitäten fremder Nachrichtendienste 102 4. Personeller und materieller Geheimschutz 106 VIII. Hintergrundinformationen 108 1. Rechtsextremer Revisionismus - Auschwitz und die "Auschwitz-Lüge" 108 2. "Linker Revisionismus"? - Aufriß des Problems 11 3 3. Einflüsse der Kommunistischen Plattform (KPF) auf die PDS? 11 8 4. Zur kurdischen Nationalität 121 Anhang: Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 125 Abkürzungsverzeichnis 137 Personenregister 139 Sachregister 141 6 r I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein hohes Maß an Freiheit. Nach den Erfahrungen mit der Weimarer Verfassung verpflichtet das Grundgesetz den Staat aber auch dazu, den Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung untergraben und letztlich beseitigen wollen, um eine andere Ordnung zu errichten, die nicht von unserer Verfassung getragen ist. Das Grundgesetz schreibt also nicht nur Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats fest, sondern trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Diese Verfassung bekennt sich zur streitbaren Demokratie. Die streitbare Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen schwierigen Weg: Sie ist grundsätzlich auch ihren Gegnern gegenüber tolerant. Die Freiheitsrechte - wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsrecht - stehen auch Personen, Vereinen und Parteien zu, die den demokratischen Staat beseitigen wollen. Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie derartigen Bestrebungen nicht tatenlos aus. So ist nach den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine, nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Daneben sehen das Grundgesetz und die Thüringer Verfassung vor, daß Verfassungsschutzbehörden einzurichten sind. Dementsprechend unterhält der Freistaat Thüringen eine Landesoberbehörde mit dem Namen Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV). 2. Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) Nach der Aufbauphase der Jahre 1992 bis 1996 ist dieses Stadium der Entwicklung des TLfV jetzt abgeschlossen. Das Amt hat folgende Struktur: 7 Präsident Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentrale Dienste Politischer Extremismu Nachrichtendienste/ Geheimschutz Referat 11 Referat 21 Referat 31 Grundsatzund Linksextremismus Spionageabwehr Rechtsfragen, G 10 Referat 12 Referat 22 Referat 32 Personal, Haushalt, Rechtsextremismus Aufklärung fortwirkender Innerer Dienst Strukturen des MfS Referat 13 Referat 23 Referat 33 EDV, Registratur, Ausländerextremismus Geheimschutz Poststelle Referat 14 Referat 24 Observation, Technik Forschung und Personen schütz Werbung Referat 15 Referat 25 Öffentlichkeitsarbeit Neue Formen des Berichtswesen Extremismus Abteilung Zentrale Dienste Die Abteilung Zentrale Dienste ist für den inneren Dienstbetrieb des TLfV zuständig. Sie gliedert sich in die Referate Grundsatzund Rechtsfragen, G-10 (Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses - Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz), Personal, Haushalt und Innerer Dienst des TLfV, EDV und Registratur, Observation und Technik, Berichtswesen und Öffentlichkeitsarbeit. Von den nach außen wirksamen Aktivitäten dieser Abteilung sind die Organisation und Durchführung von Vorträgen, Ausstellungen und Informationsständen, das Beantworten von Bürgeranfragen und die Herausgabe von periodischer Berichterstattung erwähnenswert. Seine periodische Berichterstattung versteht 8 das TLfV als Serviceangebot gegenüber der Öffentlichkeit und Fachbehörden, insbesondere solchen, die Aufgaben der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wahrnehmen; dieses Serviceangebot umfaßt insbesondere die für Behörden bestimmte Wochenlage und die Monatsberichte sowie Vorbereitung des Verfassungsschutzberichtes, den das Thüringer Innenministerium jährlich herausgibt. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz ist für jeden Bürger erreichbar: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 796 oder Haarbergstraße 61 99015 Erfurt 99097 Erfurt Telefon 03 6 1 / 4 4 0 6 - 0 Telefax 0361/4406-251 Das Aufsichtsreferat im Thüringer Innenministerium hat folgende Adresse: Thüringer Innenministerium Referat 24 Steigerstraße 24 99096 Erfurt Telefon 0 3 6 1 / 3 7 - 9 0 0 Telefax 0 3 6 1 / 3 7 - 9 3 4 4 4 Abteilung Politischer Extremismus Die Aufgabenstellung der Abteilung Politischer Extremismus des TLfV wird von den Gegebenheiten im Lande, d. h. vom Auftreten extremistischer Gruppierungen in Thüringen, im wesentlichen bestimmt; denn hierüber Informationen zu sammeln und in geeigneter Form weiterzuleiten ist ihr gesetzlicher Auftrag. In einer Vielzahl von Fällen erfolgten aufgrund der Erkenntnisweitergabe des TLfV unmittelbar Maßnahmen der Polizei und anderer Behörden. Innerhalb der Abteilung Politischer Extremismus erfolgt eine Aufgliederung in Links-, Rechtsund Ausländerextremismus und in neue Formen des Extremismus. Das Referat Rechtsextremismus legte seinen Schwerpunkt auf die Informationsbeschaffung im Bereich der militanten, weitgehend unorganisiert tätigen Neonazis, bei denen es in Thüringen weitreichende Überschneidungen mit der jugendlichen Gewaltszene gibt. Daneben oblag ihm die Beobachtung der "klassischen", auch in Thüringen existenten rechtsextremistischen Parteien - wie Republikaner (REP), Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und Deutsche Volksunion (DVU). Das Referat Linksextremismus hatte seinen Schwerpunkt in der Informationsbeschaffung der linksextremistischen autonomen Szene, die ihrerseits teilidentisch 9 mit der jugendlichen Gewaltszene ist bzw. sich mit der politischen Zielsetzung des antifaschistischen Kampfes aus dieser rekrutiert. Daneben beschäftigte sich das Referat mit der Beobachtung der orthodoxen linksextremistischen Parteien - wie der Kommunistischen Plattform der Partei des Demokratischen Sozialismus (KPF), der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Marxistisch-leninistischen Partei Deutschlands (MLPD). Das Referat Ausländerextremismus beschaffte Informationen aus der sich in Thüringen nunmehr fest etablierenden kurdischen und türkischen Extremistenszene. Schwerpunkt war die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), aber auch die ebenfalls verbotene linksextreme Devrimci Sol (Dev Sol) sowohl die Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML). Seit Juni wird die Scientology Organisation (SO) vom Landesamt beobachtet. Erste Aufklärungserfolge sind hier zu verzeichnen, auch wenn in Thüringen keine offiziellen Niederlassungen der SO bestehen. Abteilung Nachrichtendienste/Geheimschutz Die Abteilung Nachrichtendienste des TLfV umfaßt die Referate Spionageabwehr, "Fortwirkende Strukturen des MfS" und Geheimschutz. Das Referat Spionageabwehr legte seinen Schwerpunkt in die Aufklärung der im Lande verbliebenen Agenten und Helfer des sowjetischen Geheimdienstes KGB und seiner russischen Nachfolgedienste, insbesondere den Dienst für Auslandsaufklärung (SWR), die Bundesagentur für das Nachrichtenund Informationswesen der Regierung beim Präsidenten der Russischen Föderation (FAPSI), den fortbestehenden militärischen Geheimdienst Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab (GRU) und den Föderalen Sicherheitsdienst (FSB), sofern er Auslandsaufklärung in Thüringen betreibt. Ergaben sich aus der Aufklärungsarbeit konkrete Hinweise auf Straftaten, wurden die Fälle an die Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung abgegeben. Das Referat "Fortwirkende Strukturen des MfS" wertete sein umfangreiches systematisches Material aus und verfolgte die sich daraus ergebenen Spuren sowie Einzelhinweise aus der Bevölkerung, die allerdings häufig wenig ergiebig waren. Sie bezogen sich zum einen auf vermeintliche oder tatsächliche Bereicherung von SED-Kadern, zum anderen auf scheinbar weiterbestehende MfS-Strukturen. Der Schwerpunkt des Referates Geheimschutz lag auch in diesem Berichtszeitraum in der Durchführung von Sicherheitsüberprüfungsverfahren. Daneben führte das Referat in einer Reihe von Fällen Sabotageund Geheimschutzberatung bei Behörden und Firmen durch. 10 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann ohne die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus nicht dauerhaft gesichert werden. Dabei kommt dem Verfassungsschutz eine wesentliche Bedeutung zu. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Organisationen und Bestrebungen informiert werden. Im Freistaat Thüringen wird Öffentlichkeitsarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes sowohl vom Thüringer Innenministerium als auch vom TLfV wahrgenommen. "FAIRSTÄNDNIS" Vor dem Hintergrund der gewalttätigen Ausschreitungen gegen Ausländer und ihre Unterkünfte wurde im November 1992 von den Innenministerien des Bundes und der Länder eine Aufklärungskampagne gegen Extremismus und Fremden11 feindlichkeit mit dem Slogan "FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhaß" initiiert. Ziel dieser auch im Jahr 1997 fortgeführten Kampagne ist die Information der Öffentlichkeit über Extremismus und seine Gefahren, über Fremdenfeindlichkeit, über Rassismus und Antisemitismus als Elemente rechtsextremistischer Propaganda und Ideologie. Zu diesem Zweck wurden u.a. (insbesondere an Jugend12 r liehe) Aufklärungsmaterialien wie z. B. das Schülerheft "basta - Nein zur Gewalt", die Broschüre "Demokratie-live", die Poster "Gewalt ist die falsche Wahl" und "Annäherung statt Gewalt", das Computerspiel "Im Netzwerk gefangen - Dunkle Schatten 2" sowie Werbematerialien mit dem o. g. Logo verteilt. Wanderausstellung "Demokratie - aber sicher!" Zusätzlich zu den vorgenannten Veröffentlichungen konzipierten die Innenministerien der neuen Länder die gemeinsame Wanderausstellung "Demokratie - aber sicher!" Diese Ausstellung wird bereits seit Januar 1995 vom Thüringer Innenministerium (vorwiegend an Schulen) präsentiert. Im März wurde sie im Friedrich-Schiller-Gymnasium in Gera vor insgesamt 600 Schülern gezeigt. Ein Mitarbeiter des Thüringer Innenministeriums betreute die Ausstellung und stand an einzelnen Tagen den Schülern und Lehrern als Ansprechund Diskussionspartner zur Verfügung. Im Oktober sahen ca. 300 Schüler des Staatlichen Gymnasiums Rudolstadt diese Ausstellung. Zielgruppen dieser Wanderausstellung sind vor allem Schüler und Jugendliche ab etwa 13 Jahren, Multiplikatoren, die mit Jugendlichen arbeiten, sowie alle übrigen interessierten Bürgerinnen und Bürger. Auf neun Stelltafeln informiert die Ausstellung über Grundrechte sowie über die Erscheinungsformen des Extremismus und gibt Auskunft über die Arbeit des Verfassungsschutzes, der als "Frühwarnsystem" auf die Gefahren hinweist, die der Demokratie durch Extremismus und Terrorismus drohen. Die Texte, Tafeln und Bilder wollen nicht nur informieren, sondern auch zur Auseinandersetzung mit den dargestellten Themen anregen. Ergänzt wird die Präsentation durch ein Begleitheft sowie durch anschauliches Informationsmaterial (Poster, Faltblätter, Broschüren, Computerspiele "Dunkle Schatten" und "Was steckt dahinter?" etc.). Wettbewerb "Dialog statt Gewalt" Das Thüringer Innenministerium schrieb anläßlich des "Europäischen Jahres gegen Rassismus (1997)" einen Wettbewerb zum Thema "Dialog statt Gewalt - Wege zur Lösung rassistisch oder fremdenfeindlich motivierter Konflikte - von uns selbst entdeckt und erprobt" aus. Zur Teilnahme waren Teams von maximal fünf Jugendlichen aus Regelschulen, Gymnasien, berufsbildenden Schulen, Jugendeinrichtungen und Vereinen aufgerufen. Es sollte ein Beitrag in Form einer Reportage, Schilderung, Bericht oder ein Hörspiel (in Schriftform und auf Kassette), eine Collage, eine Fotoarbeit oder ein Videofilm eingereicht werden. Die Ziele des Wettbewerbs waren insbesondere: * rassistisches oder fremdenfeindliches Gedankengut oder Verhalten bewußt zu machen, * Ursachen dafür aufzudecken, 13 * unversöhnlichen Streit oder gewaltsam ausgetragene Konflikte unter Jugendlichen zu überwinden, * vorhandene Konflikte als Chance für Lernprozesse zu begreifen, * persönliches Erleben von Anderssein als Bereicherung sozialer Beziehungen zu verstehen, * die öffentliche Aufmerksamkeit für bemerkenswerte Konfliktlösungen zu gewinnen. Es gingen 76 Zusendungen ein. Eine Schülergruppe der Klasse 8 e der Geschwister-Scholl-Schule aus Ilmenau wurde Sieger mit einem Hörspiel. Der zweite Preis ging an die Schüler der evangelischen Religionsgruppe der Regelschule Stadtilm für eine Collage zum Thema Menschenrechte. Dritter wurde die Klasse 7 des Lerchenberg-Gymnasiums Altenburg mit einem Hörspiel zur Ausländerfeindlichkeit. Die Auszeichnung erfolgte am 15. Januar 1998 durch Innenstaatssekretär Gregor Lehnert im Rahmen eines auf das Wettbewerbsthema bezogenen Gesprächs mit den Preisträgern. Dabei waren Vertreter von Presse und Fernsehen anwesend, die die Öffentlichkeit ausführlich informierten. Europäisches Jahr gegen Rassismus (1997) Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind nicht nur ein deutsches Phänomen. Sie treten in allen europäischen Ländern auf. Die EU hat die anhaltende Präsenz von Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus zum Anlaß genommen, das Jahr 1997 zum "Europäischen Jahr gegen Rassismus" zu erklären. 1997 Europäisches Jahr H gegen Rassismus Bund, Länder und viele Nichtregierungsorganisationen versuchten, die Ziele der Europäischen Union umzusetzen. Hierzu gehörte die Darstellung der Bedrohung, die von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus für die Achtung der Grundrechte und den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft ausgeht sowie ein breiter Erfahrungsund Informationsaus14 tausch über Möglichkeiten der Bekämpfung dieser Probleme unter möglichst großer Beteiligung der Bürger in den Staaten der EU. Die EU förderte 1997 Projekte, die sich mit Erscheinungsformen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit befassen und Gegenstrategien entwickeln. Im Freistaat Thüringen wurden von der EU die Straßentheaterprojekte mit den Titeln "Straße Europa" und "Straße Europa II" unter der Trägerschaft der "LAG Spielund Theater in Thüringen e.V." in Nordhausen gefördert. Außerdem wurde das Projekt Jugendbegegnung in England mit dem Titel "Initiative gegen Gewalt" unter der Trägerschaft der "Initiative gegen Gewalt e.V." in Worbis finanziell unterstützt. "In guter Verfassung. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz" Das TLfV startete in diesem Jahr die Buchreihe "In guter Verfassung. Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz". Der erste Band ist erschienen und gibt Auskunft darüber, welche Vorträge im vorangegangenen Jahr im TLfV oder durch seine Mitarbeiter gehalten worden sind. Enthalten sind Themen wie * der Geschichtsrevisionismus im Gefolge der untergegangenen DDR * kriminologische Studien zur extremistischen Gruppengewalt junger Menschen * Buchenwald und der deutsche Antifaschismus * Geschichte der innenpolitischen Kontrolle im 20. Jahrhundert in Deutschland * Wirtschaftsspionage in Thüringen * Osteuropa nach dem politischen Umbruch * zur äußeren und inneren Sicherheit der baltischen Staaten. Dieser Band wurde u.a. kostenlos an alle Hochschul-, Fachschul-, Kreisund Stadtbibliotheken Thüringens abgegeben. Außerdem werden die "Erfurter Beiträge zum Verfassungsschutz" an die Schulen des Bundeslandes verteilt. Die Mitarbeiter des TLfV haben auch 1 997 regelmäßig vor Bundeswehrangehörigen, in Verwaltungsschulen, Schulen, Landratsämtern sowie vor Parteien und Verbänden in Vorträgen über Aufgabenstellung und Schwerpunkte des TLfV referiert. Die Anfragen von Medienvertretern nahmen breiten Raum ein, ihnen wird vom TLfV auch weiterhin große Bedeutung zugemessen. Durch die Einrichtung eines Bürgertelefons zum Thema Scientology (03 61/4406-444) wurde den Bürgern Gelegenheit geboten, sich über extremistische Sekten zu informieren bzw. entsprechende Hinweise zu geben. Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Verfassungsschutzes ist auch die Herausgabe des jährlichen Verfassungsschutzberichtes, der in einer Auflagenhöhe von etwa 6.000 Exemplaren an Behörden, Institutionen, Schulen sowie an interessierte Bürgerinnen und Bürger kostenlos versandt bzw. verteilt wird. 15 II. Extremistische Jugendszene oder jugendliche Gewaltszene? 1 Die überwiegende Mehrheit der Jugendlichen in Thüringen verhält sich strafrechtlich unauffällig und ist weit davon entfernt, sich in extremistischen und gewalttätigen Gruppen und Cliquen zu organisieren. Trotzdem gibt es in Thüringen - wie in anderen Ländern auch - ein ernsthaftes Problem mit der jugendlichen Gewaltszene. Auffällig ist hier vor allem die Zunahme von Straftaten, die von Einzeltätern oder Gruppen der "linken" oder "rechten" Jugendszene begangen werden. Die Selbstsicht der Jugendlichen als "rechts" oder "links" und die Darstellung dieses Bildes in den Medien, der Öffentlichkeit und der Politik führt vielfach zu dem Schluß, es handele sich hierbei um politischen Extremismus. In der übergroßen Zahl der Fälle ist diese Sicht nicht haltbar, fehlt der Gewalt doch oft eine unmittelbare politische Grundlage. Dabei ist allerdings eine eindeutige, trennscharfe Abgrenzung zu primär politisch motivierter Gewalt kaum möglich, da die Übergänge fließend sind.2 Gewalt von Jugendlichen äußert sich in unterschiedlichen Formen. Das Spektrum reicht von verbalen Übergriffen, dem Verwenden gewaltverherrlichender Symbole und dem Aufbau von Feindbildern bis zur Anwendung körperlicher Gewalt. In den meisten Fällen verhindert jedoch das rechtzeitige Eingreifen der Polizei eine Eskalation. Seit dem Anstieg fremdenfeindlicher Jugendgewalt zu Beginn der neunziger Jahre sehen sich Polizei und Justiz seitens der Medien und der Öffentlichkeit dem Vorwurf ausgesetzt, sich deren Kontrolle und Prävention in nur unzureichendem Maße angenommen zu haben. Diese Sicht ist kaum haltbar. Die Bestrafung von Gewaltdelikten ist rigoros, wenngleich die beabsichtigten Effekte einer Verurteilung häufig durch den zeitlich großen Abstand zwischen Tat und Strafe erheblich relativiert werden, da die Jugendlichen den Bezug zur Tat verlieren. Ursachen Es muß festgestellt werden, daß das allgemein und latent vorhandene jugendliche Gewaltpotential mobilisierbar ist, allerdings weniger im institutionellen, organisierten Rahmen, sondern spontan oder anlaßbezogen. Jugendlicher Ak- 1 Aus Gründen der ungebrochenen Aktualität ist das Thema - wie bereits im Vorjahr - Gegenstand des Verfassungsschutzberichtes. 2 Lewandowski, I.: Extremistisch erscheinende Gruppengewalt junger Menschen - Kriminologische Einsichten und justizielle Reaktionsformen. Gekürztes Skript o.g. Gutachtens, Jena 1997, S. 14. 16 tionismus und ein kaum zu analysierendes Motivationsgemenge - aus "Wendefrust", sozialen Problemen, jugendlicher Rebellion, Verunsicherung aufgrund umfassenden gesellschaftlichen Wandels, Gruppendynamik, einem Überangebot massenmedialer Gewaltdarstellungen, Orientierungslosigkeit und allgemeinem Unmut - erzeugen ein Klima, in dem sich aufgestaute Aggression über das Ventil pseudopolitischer Gewalt entlädt. Bei der Mehrheit der Jugendlichen sind, wenn überhaupt, lediglich diffuse politische Vorstellungen feststellbar. So erstaunt nicht, daß die "Wahl" der politischen Seite oft zufällig geschieht. Der Freundeskreis, die an der Schule dominierende Weltanschauung, Spezifika der häuslichen Umgebung spielen in der Regel eine größere Rolle als eine aus politischem und historischem Wissen begründete Meinung. Im Gegenteil: Das tatsächliche Interesse an Politik, die Informiertheit über politische Theorien und Ideologien sind - fehlen sie nicht ganz - äußerst gering. Dabei ist das Vermögen, theoretisch zu denken, bei linksorientierten Jugendlichen höher anzusetzen. Frust und "Null-Bock-Stimmung" spielen hier eine geringere Rolle. Das Phänomen jugendlicher Gewalt ist mit eindimensionalen Ansätzen nicht erklärbar. Vor allem die mangelnde Sozialkompetenz des einzelnen führt im Rahmen gruppendynamischer Prozesse in vielen Fällen zur Präferierung des einfachsten Weges der Problemlösung - dem Einsatz von Gewalt. Formen Will man kategorisieren, lassen sich drei "Szene-Typen" ausmachen: 1. die "Führer" - wenige, meist ältere, wirklich politische Köpfe, 2. einige primär politisch motivierte oder anpolitisierte "Mitläufer" in der zweiten und dritten Reihe, 3. die große Masse der Unpolitischen, Verführbaren und Instrumentalisierbaren. Diesen Jugendlichen fehlt häufig die Fähigkeit, andere Meinungen zu tolerieren und zu akzeptieren, Konflikte im Gespräch auszutragen und zu regeln. So kann die vergebliche Suche nach Anerkennung, Halt und Geborgenheit zu einer ersatzweisen Befriedigung in extremistischen Gruppen führen, wobei die "urbane Bindung der Szenen" auffällig ist. Ansätze von Organisiertheit sind, mit wenigen Ausnahmen, nur in Städten ersichtlich, im ländlichen Bereich dagegen marginal. Diese Gruppen definieren sich nicht allein über mehr oder weniger dogmatische Idealbilder, sondern auch über Feindbilder. Die daraus folgende Entwicklung von Gewalttätigkeiten wird zu einer Ausweichstrategie, die letztlich der Selbstbestimmung dient. Die ideologieträchtige Ausrichtung der Jugendlichen ist damit nur noch Instrument des Gruppen-Zusammenhalts. 17 Unterschiede und Schwerpunkte Rechtsextremistisch orientierte Jugendliche Für rechtsextremistisch orientierte Jugendliche ist typisch, daß sie sich in losen Gruppen, meist innerhalb eines Stadtgebietes, zusammenfinden. Vereinfachte Feindbilder - Antifaschisten, Linke, Homosexuelle, Ausländer, Sicherheitskräfte - kennzeichnen ihre Ideologie. Die Masse der Gruppenmitglieder entspricht dem verbreiteten Klischee: jung, männlich, Hauptschulabgänger. Die hohe Instabilität der Gruppen zeigt sich insbesondere darin, daß ältere Jugendliche oft ausscheiden, wenn feste soziale Bindungen (Freundschaften, Eheschließungen, Eintritt ins Berufsleben) entstehen. Mädchen treten kaum und meist nur als Freundinnen von Mitgliedern in Erscheinung. Die Gruppen sind durchweg gewaltbereit. Männliche Mitglieder dominieren auch dabei. Alkoholeinfluß spielt eine erhebliche Rolle. Fest organisierte rechtsextremistische Jugendliche sind in Thüringen selten. Schwerpunkte - "Rechts" Für diesen Teil der jugendlichen Gewaltszene sind strukturarme Zusammenschlüsse kennzeichnend. Im Jahr 1994 wurde erstmals eine Gruppierung namens Anti-Antifa-Ostthüringen bekannt. Die Anti-Antifa, 1992 von dem Hamburger Neonazi Christian Worch gegründet, strebt eine informelle Vernetzung und Zentralisierung regionaler und lokaler rechtsextremer Potentiale ohne Formalmitgliedschaft und hierarchische Strukturierung an. Der gleichsam "autonome" Zusammenschluß, der auch unter der Bezeichnung Thüringer Heimatschutz (THS) firmiert, ist ein Sammelbecken, das Raum für Kontakte zwischen organisierten Neonazis und gewaltbereiten "nationalen" Jugendlichen bietet. Die Klientel stammt vor allem aus Erfurt, Gera, Gotha, Jena, Kahla, Saalfeld/Rudolstadt, Sonneberg und Weimar. Linksextremistisch orientierte Jugendliche Linksextremistisch orientierte Jugendliche entstammen häufiger politisch interessierten Elternhäusern. In der Regel haben sie eine höhere Schulbildung. Jungen und Mädchen sind in den Gruppen weitgehend gleichberechtigt. Auch hier ist eine gewisse Fluktuation und ein wenig fester Verbund zu beobachten, wenngleich die Stabilität etwas größer zu veranschlagen ist. Als Beitrag zum "antifaschistischen Kampf" verstehen die Jugendlichen ihre Aktivitäten selbst, so u. a. das Sprühen von Parolen und Graffities. Schwerpunkte - "Links" Ein erheblicher Teil der jugendlichen Gewaltszene, der sich selbst "links" definiert, ist dem Bereich der Autonomen und hier dem Aktionsfeld "Antifaschismus/Antirassismus" zuzuordnen. Militante Aktionen richten sich, getarnt als 18 "antifaschistische Selbsthilfe", gegen "Faschos" und deren Struktur. Der Antifaschismus als Bindeglied bietet der traditionell in Kleinund Kleinstgrüppchen zersplitterten linken Szene die Möglichkeit, übergreifende Strukturen zu etablieren. Die autonome Jugendszene ist überwiegend in den Regionen Altenburg, Erfurt, Jena, Saalfeld, Rudolstadt, Gera und Weimar tätig. Gruppe, Identität und Gruppendynamik Die "Einsteiger" sind in der übergroßen Mehrheit apolitisch. Die Gründe liegen im Einstiegsalter (14 bis 15 Jahre) und dem zum Teil dürftigen Wissen um historische und politische Zusammenhänge. Die Politisierung (besser: Pseudopolitisierung) beginnt in der Gruppe. Hier wirkt ein gruppendynamischer Anpassungsdruck, der individuelle Unterschiede nivelliert und über eine Art Wertevermittlung und Sinnstiftung eine Gruppenidentität erzeugt. Ein Wert dieser Art kann beispielsweise das Durchhalten beim "Kampfsaufen" sein. Ist das gruppenspezifische Selbstverständnis apolitisch, wird auch die Sozialisation des "Einsteigers" mit hoher Sicherheit in dieser Form verlaufen. Versteht sich die Gruppe selbst als "politisch", sind die Ergebnisse entsprechend, wobei der Grad der Identifikation in beiden Fällen wesentlich von der Existenz von Führungspersönlichkeiten abhängig ist. Wird das Selbstbild einer "politischen" Gruppe von außen (Medien, Öffentlichkeit, Politik) undifferenziert ernstgenommen, sind Stigmatisierung und Etikettierung sowie staatliche und gesellschaftliche Reaktionsformen programmiert. Dieser Automatismus kann sich allerdings dort verhängnisvoll auswirken, wo erst die Einwirkung von außen innerhalb einer an sich unpolitischen Gruppe eine "reaktive Mechanik" auslöst, die zu wirklicher Politisierung führt. Übergreifendes Merkmal der politischen und der unpolitischen Gruppen ist der jugendtypische Wunsch nach "Anderssein", wobei die Zugehörigkeit zu dieser oder jener Gruppe in hohem Maße zufällig ist. Milieuund Stadtteilbindungen, Freundeskreise usw. spielen hier eine wesentlich größere Rolle als bewußte politische Wahlhandlungen. Gruppenoder Szenekarrieren sind eher selten. In den meisten Fällen führen Veränderungen im privaten Bereich (Arbeit, Ortswechsel etc.) zum Ausstieg. So genügte z. B. in einigen Fällen die Einberufung zur Bundeswehr und die damit einhergehende Trennung von Gruppe und Milieu zum Ausstieg. Schlußfolgerungen Abseits aller Spekulationen über die Existenz einer extremistischen Jugendszene mit klar definierbaren Rändern läßt sich zweifelsfrei eine wirklich existente, verbindende Dominante ausmachen: die Gewalt. Man kann ohne weiteres - als Teil 19 einer weitaus größeren, apolitischen und nicht gewaltbereiten Jugendszene - eine heterogene Teilmenge beschreiben, deren verbindendes Element eine latente Gewaltbereitschaft ist, deren Mitglieder sich mehr oder weniger zufällig mit politischen Versatzstücken schmücken. Sie verstehen sich "links" oder "rechts", wobei die Motivation für den einzelnen oder die Gruppe ebenso vielfältig ist wie ihre Herkunft, ihre Bildung oder die Spezifika subkultureller Milieus. Die Tendenz zur Gewaltanwendung wird noch verstärkt, wenn die Gruppen durch Vorurteile, Ausgrenzung und Isolation abgewertet, diskriminiert und kriminalisiert werden. Ein Patentrezept für die vorbeugende Verhinderung der gewalttätigen Jugendszene existiert nicht; gleiches gilt für die Bekämpfung, wo diese Szene in Erscheinung tritt. Wenig sinnvoll erscheint es, die Szene mit extremistischen Etiketten zu belegen, da hierdurch bestenfalls eine unerwünschte Aufwertung erfolgt. Nicht die Ausgrenzung und die Stigmatisierung, sondern der Dialog vermag einen Beitrag zur Trendwende zu liefern. Hierbei darf das Angebot zum Dialog nicht mit der Illusion verwechselt werden, die Betroffenen seien zu Gesprächen auf hohem Abstraktionsniveau willens oder in der Lage. Das ist bei der Mehrzahl der Betroffenen offensichtlich nicht der Fall. Die in den Konflikten zutage tretenden Probleme der Jugendlichen sollten offengelegt werden, um sie dem Versuch einer gewaltfreien Lösung zuzuführen. Dafür könnten sich gemeinsame "Rechts/Links-Projekte" eignen, sofern sie beide Seiten ansprechen. Entscheidend bleibt das Bemühen, gewaltbereite Jugendliche in die Gesellschaft zu integrieren. III. Rechtsextremismus 1. Überblick Die Situation des Rechtsextremismus im Freistaat Thüringen hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht unwesentlich geändert. Die Entwicklung stellt sich im einzelnen wie folgt dar: * Das rechtsextremistische Potential umfaßt in Thüringen etwa 1000 Personen. Einen Teil davon stellen die Mitglieder der etablierten rechtsextremistischen Parteien. Vergleicht man die Entwicklung der Mitgliederzahlen im vergangenen Jahr, lassen sich unterschiedliche Tendenzen erkennen. Mit ca. 90 Mitgliedern - zuvor etwa 40 - hat die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) in Thüringen einen Zuwachs zu verzeichnen. Mit rund 40 Mitgliedern ist der Bestand der Deutschen Volksunion (DVU) nahezu unverändert. Die Republikaner (REP) haben mit derzeit ca. 260 Mitgliedern in Thüringen - zuvor waren es 280 - eine Abnahme zu verzeichnen. * Zu den Rechtsextremisten in der nicht organisierten Neonazi-Szene zählen etwa 260 Angehörige rechtsextremistisch orientierter Jugendsubkulturen und Mitglieder informeller Gruppen. Dazu kommen etwa 200 Skinheads. * Der im Osten des Landes aktive Thüringer Heimatschutz (THS) - inzwischen etwa 1 20 Personen - ragt aus dem Neonazi-Spektrum durch seine Organisationsansätze und Vernetzungsbemühungen heraus. 2. Ideologischer Hintergrund Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einem fest strukturierten Lehrgebäude. Es besteht aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher Herkunft, die innerhalb der jeweiligen Ausprägung des Rechtsextremismus mehr oder weniger deutlich zutage treten. Grundelemente sind: * ein überzogener, häufig aggressiver Nationalismus, der das Prinzip der Völkerverständigung mißachtet, * die Überbetonung der Staatsinteressen gegenüber den persönlichen Freiheitsrechten der Bürger (völkischer Kollektivismus), * eine völkische Ideologie, die in verschärfter Form als Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit auftritt, wobei dem Antisemitismus eine besondere Stellung zukommt, * Leugnung oder Verharmlosung der Verbrechen des Nationalsozialismus sowie Hervorhebung angeblich positiver Elemente des Dritten Reiches (Geschichtsrevisionismus). 3. Neonazis 3.1 Die Nationalen e.V. Die Nationalen e.V. wurden im September 1 991 von Angehörigen der NPD, der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH), der inzwischen verbotenen Freiheitlichen Demokratischen Arbeiterpartei (FAP) sowie ehemaligen Mitgliedern der REP gegründet. Die Organisation erhielt damals die Bezeichnung "Freiheitliche Wählergemeinschaft - Wir sind das Volk". Ihr Ziel war es, an den Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen im Mai 1992 teilzunehmen. Trotz des für die Betroffenen enttäuschenden Wahlergebnisses (0,16 bis 0,69%) wurde die Zweckgemeinschaft weitergeführt und im August 1 992 in den Verein Die Nationalen e.V. umbenannt. Er wurde mit Sitz in Berlin gegründet. Im April 1995 wurde er in die gleichnamige Partei umgewandelt. In der Präambel ihres Programms definiert sie sich selbst als "Bestandteil der nationalen Bewegung" in Deutschland. Gemeinsam wolle man mit Gleichgesinnten die deutschen Interessen vertreten und sie, um politischen Einfluß zu erringen, zusammenführen. Die 21 beabsichtigte Teilnahme an den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Oktober 1995 scheiterte an fehlenden Unterstützungsunterschriften. Vorsitzender der Organisation ist - bereits seit 1993 - Frank Schwerdt. Bundesweit verfügten die Nationalen über ca. 150 Mitglieder. Das Publikationsorgan der Vereinigung wurde die Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ). Seit August 1992 wird die BBZ von den Nationalen unter der Führung von Frank Schwerdt als Publikation für das gesamte rechtsextremistische Spektrum herausgegeben. Sie erscheint derzeit in den Regionalausgaben: Junges Franken, Neue Thüringer Zeitung, Süddeutsche Allgemeine Zeitung, Mitteldeutsche Rundschau und Wesfc/eufsc/ie Volkszeitung. Die Nationalen e.V., die lange Zeit in Thüringen organisatorisch nicht in Erscheinung traten, gründeten im März 1996 den Kreisverband Gera. Darüber hinaus unterhielten sie Kontakte zum Thüringer Heimatschutz. Am 12. April fand in Tautenhain/Saale-Holzland-Kreis eine von den "Nationalen e.V." organisierte Jugendversammlung mit ca. 50 Teilnehmern statt. Es wurden drei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen SSSS 86 und 86 a StGB (Verbreiten von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) eingeleitet. Die Veranstaltung verlief störungsfrei. Für den 9. November wurde in Jena eine Veranstaltung angemeldet unter dem Motto: "1 989 Befreiung von den Besatzungsmächten. Jetzt Befreiung vom Frankfurter Immobilienspekulanten Ignaz Bubis". Die Veranstaltung wurde verboten, das Verbot beachtet. Auch eine für den 18. November angemeldete Veranstaltung im Raum Rudolstadt/Saalfeld fand wegen eines Verbotes nicht statt. In einer Presseerklärung vom 14. November 1997 gab der Verein seine Auflösung bekannt, da er seine Aufgaben als Sammlungsbewegung als "weitestgehend erfüllt" sah. "Die Nationalen verstehen ihre Auflösung auch als einen wichtigen Beitrag zum Zusammenrücken der verschiedenen nationalen Gruppierungen." 3.2 Anti-Antifa Die Anti-Antifa wurde 1992 von dem Hamburger Neonazi Christian Worch als Reaktion aufwachsende Angriffe militanter Linksextremisten gegründet. In ihrer Propaganda richtet sie sich sowohl gegen den politischen Gegner als auch gegen Institutionen des demokratischen Rechtsstaats. Die Anti-Antifa organisiert den Aufbau informeller Gruppen, d. h. den Zusammenschluß von Rechtsextremisten ohne formale Mitgliedschaft und hierarchische Strukturen, die von regional anerkannten Führungsfiguren gegründet und angeleitet werden. Sie stehen untereinander in Kontakt. Dies scheint auch im übrigen rechtsextremistischen Lager Akzeptanz zu finden. Die so vorgenommene Konzentration auf einen gemeinsamen Gegner bietet Möglichkeiten, die Rechtsextremisten organisationslos zu verflechten. 22 Erklärte Gegner der Anti-Antifa werden durch Uberwachungsmaßnahmen ausgespäht. Die Ergebnisse wurden in verschiedenen Druckschriften publiziert. Die bislang umfangreichste Publikation - "Der Einblick" - erschien im November 1993. Im Oktober 1994 wurde erstmals eine Gruppierung Anti-Antifa Ostthüringen bekannt. Seit Mai 1995 werden regelmäßig wöchentliche Treffen abgehalten. Die Zahl der Beteiligten hat sich von anfänglich 20 auf ca. 120 Personen erhöht. Diese Gruppierung stellt ein Sammelbecken für Neonazis dar, die hauptsächlich aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt, Gera, Jena, Sonneberg, Weimar, Ilmenau, Gotha, Kahla und Nordbayern komHandzettel der Anti-Antifa men. Ostthüringen 3.3 Thüringer Heimatschutz (THS) Seit Anfang des Jahres tritt die Anti-Antifa Ostthüringen hauptsächlich als Thüringer Heimatschutz auf; ein Name, den dieser unstrukturierte Personenzusammenschluß früher gelegentlich führte. Der Thüringer Heimatschutz gliedert sich zur Zeit in drei Sektionen: Sektion Jena (vormals Kameradschaft Jena), Sektion Saalfeld, Sektion Sonneberg. Die Gruppierung unterhält über Thüringen hinaus Verbindungen zu führenden "Größen" der rechtsextremistischen Szene. So wurde z. B. ein Zeitungsprojekt gemeinsam geplant und durchgeführt. In enger Zusammenarbeit von Frank Schwerdt, vormals Vorsitzender der Nationalen e.V., und dem Führungsmitglied des THS, Tino Brandt, entstand die Neue Thüringer Zeitung - Stimme der Nationalen Erneuerung. Schwerdt wird im Impressum der Zeitung als Herausgeber benannt, Christian Wendt als leitender Redakteur. Brandt selbst, der auch den Lokalteil übernimmt, ist Wendts Stellvertreter. 1 997 erschien nur eine Ausgabe (August/September). Im März gelang es einem Angehörigen des THS, in Heilsberg eine Gastwirtschaft gleichen Namens anzumieten. Seit April finden die regelmäßigen "Mittwochtreffs" in diesem Lokal statt. Der THS veranstaltete im Berichtszeitraum ein Fußballturnier und fünf Konzerte; die Veranstaltungen verliefen störungsfrei. Am 11. Oktober durchsuchte 23 die Polizei die Gaststätte Heilsberg (siehe Abschnitt 4.1). Auch in diesem Jahr beteiligten sich Angehörige des THS an der Aktion zum 10. Todestag von Rudolf Heß. 3.4 Gedenkaktionen für Rudolf Heß Seit dem Tod des ehemaligen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß am 17. August 1987 kommt es anläßlich des Todestages regelmäßig zu Gedenkveranstaltungen. Entsprechend den Erfahrungen aus den letzten Jahren konnte damit gerechnetwerden, daß gerade zum zehnten Todestag eine Vielzahl von Aktivitäten des rechten Spektrums stattfinden werden. Durch das Nationale Infotelefon (NIT) Rheinland wurde mit Ansage vom 17. Juni bekannt, daß das "Ruc/o/f-Heß-Aktionskomitee" in der Zeit zwischen dem 8. und 17. August eine "Aktionswoche" durchführen will. Auf Einladung des Komitees fand im Juli das erste diesjährige Heß-Vorbereitungstreffen statt. Daran nahmen führende Neonazis teil. Ein zweites Treffen des "Aktionskomitees" sollte am 2. August organisiert werden, fand aber nicht statt. Nachdem der Bundesvorstand der Jungen Nationaldemokraten (JN) Anfang des Jahres noch der Ansicht war, daß der diesjährige Heß-Marsch unter der Federführung der JN stattfinden sollte, wurde im Juni bekannt, daß er sich lediglich an den entsprechenden Vorbereitungen beteiligen wird. Im Juli teilte die JN-Führung mit, daß sie es ablehnt, an dem Vorbereitungstreffen und dem Marsch teilzunehmen. Ab dem 1. August wurde das NIT Mitteldeutschland für Heß-Durchsagen autorisiert und mit den beiden anderen NIT Sauerland und Rheinland vernetzt. Die Szene tätigte Scheinanmeldungen, plante Autokorsos und Kranzniederlegungen. Weiterhin kam es zu zahlreichen Klebeund Plakatierungsaktionen. Wenige Tage vor dem 17. August MtiotwfiomrteeXuSoif iöefe 199? nor^tUuUO'ltnd, 7MflH0"f He/n>am >W.n (JN; Plakat zum 10. Todestag von .. M c h HO NUIM llmll"|.. "2911; 81 "6 RodolfHeß 24 wurde eine Veranstaltung im dänischen Roskilde sehr wahrscheinlich, zumal die dänischen Justizbehörden ein zuvor erteiltes Veranstaltungsverbot aufhoben. Fast gleichzeitig wurde bekannt, daß für die geplante Großveranstaltung der Raum Kassel bzw. Niedersachsen, Hessen oder Thüringen in Frage käme. Am frühen Morgen des 16. August wurde dagegen bekannt, daß für den selben Tag als Veranstaltungsort Eisenach vorgesehen war. Durch rechtzeitiges Einschreiten der Polizei wurde der Aufmarsch in Eisenach verhindert. Die bundesweit in der Anreise befindlichen Neonazis wurden durch ihre Organisatoren an Thüringen vorbei nach Niedersachsen in der Raum Wolfenbüttel dirigiert. Starke Polizeipräsenz bewirkte auch hier ein Ausweichen, diesmal nach Königslutter/Niedersachsen. Dort versuchten die Organisatoren, einen Aufmarsch durchzuführen. Auch hier scheiterten sie an der massiven Pol izeipräsenz. Allerdings kam es zu erheblichen Auseinandersetzungen mit der einschreitenden Polizei. Insgesamt beteiligten sich an diesem Versuch etwa 120 Personen. In Königslutter wurden schließlich 100 Personen (davon 9 Personen aus Thüringen) in Gewahrsam genommen. Im Laufe des 16. August konnte die Polizei auch in Bad Hersfeld/Hessen 14 Thüringer Rechtsextremisten festnehmen. Am Nachmittag des 16. August kam es daneben in Bad Lauchstädt/SachsenAnhalt zu einem Aufmarsch von ca. 40 Personen, davon ca. 15 Personen aus Thüringen. Zehn Angehörige der rechtsextremistischen Szene wurden in Gewahrsam genommen. 3.5 Verhandlung gegen Manfred Roeder Am 17. März fand vor dem Erfurter Landgericht die Berufungsverhandlung gegen den bekannten hessischen Neonazi Manfred Roeder statt. Er hatte am 9. Juni 1 996 in Erfurt mehrere Plakate der Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" mit den Worten "Lüge" und "Hetze" übersprüht. Gegen das daraufhin im September 1996 ergangene Urteil des Amtsgerichts Erfurt hatten sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung Berufung eingelegt. Die zuständige Kammer des Landgerichts Erfurt lehnte beide Anträge mit Beschluß vom 17. März ab. Sie bestätigte das Urteil des Amtsgerichts - 90 Tagessätze ä 50,DM. Staatsanwaltschaft und Verteidigung legten Revision ein. Eine Entscheidung ist noch nicht ergangen; das Verfahren ist z. Zt. beim Oberlandesgericht Jena anhängig. Roeder wurde am 28. Juni 1982 wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung, Durchführung von Sprengstoffanschlägen, Verabredung einer schweren Brandstiftung und Versuchs der Anstiftung zum Mord zu dreizehn Jahren Freiheitsentzug verurteilt und am 12. Februar 1990 vorzeitig entlassen und ist seither wieder politisch und publizistisch aktiv. 25 3.6 Skinheads Erstmalig trat die in Großbritannien entstandene Skinheads-Bewegung Ende der siebziger Jahre in der Bundesrepublik in Erscheinung. Ihre extreme Ablehnung der bürgerlichen Gesellschaft zeigen Skinheads durch ihr Auftreten: kahlrasierte Köpfe, Bomberjacken, hochgekrempelte Jeans, Springerstiefel. Inzwischen erfolgt jedoch aus taktischen Gründen zunehmend eine Anpassung des äußeren Erscheinungsbildes an die Umgebung, so daß eine Differenzierung zwischen Skinheads und sonstigen gewaltbereiten Jugendlichen erschwert wird. Die Weltanschauung der Skinheads ist sehr diffus. Wesentliches Merkmal sind jedoch übersteigertes Nationalbewußtsein und rassistisch motivierte Ausländerfeindlichkeit. Als Feindbilder gelten daher in erster Linie "Ausländer" und "Linke". Aktionen gegen diese finden oft spontan statt und meist nach gemeinsamen Alkoholexzessen oder aufputschenden Skinheadkonzerten. Beispiele für das brutale Vorgehen von Skinheads sind die Vorfälle in Triptis und Weimar. Am 6. Juni kam es an der Autobahnraststätte Triptis zu einer Auseinandersetzung zwischen Skinheads und türkischen Staatsangehörigen. Ein Bus mit Skinheads aus Gotha, Weimar, Gera und Jena, der sich auf der Fahrt zu einem Konzert nach Budapest befand, hatte an der Autobahnraststätte einen Zwischenstopp gemacht. Ein Teil der Gruppe traf auf vier türkische Staatsangehörige. Nach Wortgefechten kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf drei türkische Staatsangehörige durch Schläge und Fußtritte verletzt wurden. Des weiteren wurden drei Pkw beschädigt. Am 26. September trafen in einer Verkaufseinrichtung in Weimar drei Skinheads und ein vietnamesischer Staatsangehöriger aufeinander. Während der Auseinandersetzung wurde dieser mit den Worten "Fidschi-Sau" und "FidschiSchwein" beschimpft. Anschließend schlugen die Skinheads auf den Vietnamesen ein und fügten ihm mit einem Messer schwere Verletzungen zu. Feste Strukturen innerhalb der Skinheadszene sind eher die Ausnahme. Dazu aber zählt die in der Bundesrepublik mittlerweile verstärkt auftretende Blood & Honour-Bewegung. Die in England entstandene Bewegung trat erstmalig 1995 in Deutschland in Erscheinung. Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit der Organisation von Skinheadkonzerten. Über die Musik soll die Skinheadszene neonazistisch beeinflußt werden. Die Blood & Honour-Leute wollen eine von Parteien und Organisationen unabhängige Basis für die Szene schaffen. In Thüringen hat sich 1997 eine Sektion der Blood & Honour-Bewegung gegründet. Die rechtsextremistische Skinheadszene in Thüringen wird auf ca. 200 Personen geschätzt. Trotz schwacher Organisationsstrukturen gibt es innerhalb der Skinheadszene durch Konzerte und Fanzines (Szenepublikationen) Verbindungen zwischen den einzelnen Szeneangehörigen. Die Fanzines sind maßgebliches Kommunikationsmittel innerhalb der Skinheadszene. Sie werden in der Regel von Szeneangehörigen in Eigenarbeit hergestellt. Sie berichten in ihren Pu26 blikationen über die Konzerte, interviewen Skinheadbands, besprechen CDs und andere Fanzines und informieren über aktuelle Ereignisse in der Szene. Die Fanzines können meist über ein Postfach bestellt oder bei Skinheadkonzerten gekauft werden. In Thüringen gibt es seit Anfang 1995 das rechtsextremistische Fanzine Doitsche Musik aus Erfurt. Die Zahl der Skinheadkonzerte ist 1997 dem bundesweiten Trend entsprechend in Thüringen von 4 (1996) auf 14 angestiegen. Die Veranstaltungen mit Teilnehmerzahlen zwischen 100 und 250 Personen verliefen bis auf ein Konzert am 20. Dezember in Beuren/Lkr. Eichsfeld störungsfrei. Die meisten der in diesem Jahr durchgeführten Skinheadkonzerte fanden im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt und im Landkreis Greiz statt. Bei dem Konzert in Beuren spielte die Skinband "Hauptkampflinie" aus Kassel rechtsextremistische Lieder, woraufhin die anwesenden Personen mitsangen und ausländerfeindliche sowie nazistische Parolen skandierten. Die Veranstaltung wurde daraufhin durch die Polizei aufgelöst und die Instrumente Fanzine "Doitsche Musik" der Band beschlagnahmt. Musikkasset(Erfurt) ten, CDs, Abzeichen und Aufnäher mit rechtsextremistischem Bezug wurden sichergestellt. Gegen alle 184 festgenommenen Personen sind Ermittlungsverfahren gemäß SSSS 86 a (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 1 30 StGB (Volksverhetzung) eingeleitet worden. Zwei angemeldete Konzerte, am 6. September in Triptis und am 29. November in Suhl, wurden durch die zuständigen Behörden verboten. Der Veranstalter des Konzertes in Triptis versuchte daraufhin, eine Ersatzveranstaltung in Pölzig/Lkr. Greiz zu organisieren, die jedoch im Rahmen eines großangelegten Polizeieinsatzes unterbunden wurde. Im Raum Gera und Jena wurden 175 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und Großbritannien festgenommen. Gegen 14 Personen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Vergehen gem. SS 86 a StGB eingeleitet. Sie sind durch ein Schnellverfahren am 7. September vom Amtsgericht Jena abgeurteilt worden. Auch in Suhl waren am 29. November trotz des Veranstaltungsverbotes 180 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Die Polizei sprach 128 Platzverweise aus. Gegen drei Personen wurde, weil sie Gau27 winkel getragen hatten, ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoß gegen SS 86 a StGB eingeleitet. Eine weitere Person verstieß gegen das Waffengesetz. Gegen die Vertreiber rechtsextremistischer Skinheadmusik lief 1997 eine bundesweite Aktion. Die Polizei durchsuchte am 6. August bei 24 Personen die Wohnund Geschäftsräume. Die Exekutivmaßnahmen richteten sich gegen 1 6 Vertriebsbüros in den Bundesländern Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen. Insgesamt wurden rund 2.000 CDs, rechtsextremistisches Propagandamaterial, Geschäftsunterlagen sowie Waffen sichergestellt. In Thüringen richtete sich die Maßnahme gegen den Betreiber des in Weimar ansässigen Phoenix-Versandes, der außerdem zwei Geschäfte in Weimar und Erfurt unterhält, die ebenfalls in die Maßnahme einbezogen wurden. Die Polizei stellte bei der Durchsuchung insgesamt 216 CDs, Flaggen mit Hakenkreuzen, Fanzines, Videokassetten, T-Shirts mit Aufdrucken sowie Geschäftsunterlagen sicher. 3.7 Skinheadmusik aus Thüringen Die Skinheadmusik, neben den Fanzines wichtigstes Kommunikationsmittel innerhalb der Szene, findet seit Anfang der achtziger Jahre in der Bundesrepublik Verbreitung. Typisch für die Skinheadmusik sind dumpfe, schlichte Melodien und ein harter, schneller, geradezu stakkatoartiger Rhythmus. Mit Hilfe der Skinmusik drücken die Bands, deren Mitglieder selbst Angehörige der rechten Szene sind, ihre Weltanschauung aus. Die Texte spiegeln oftmals Rassismus, Antisemitismus und das für die Skinheads typische übersteigerte Nationalbewußtsein wider. Sie können aber auch durchaus unpolitische Inhalte haben. Da die Skinszene keine feste Struktur besitzt, wird gerade bei den Skinheadkonzerten das Gemeinschaftsgefühl gestärkt und der innere Zusammenhalt gefördert. Die Stimmung bei den Konzerten wird durch den harten, aggressiven Musikstil und die gewaltverherrlichenden Texte emotional aufgeheizt. Der zumeist hohe Alkoholkonsum senkt die Hemmschwelle für Gewalttaten deutlich. Die Folge sind häufig spontane gewalttätige Aktionen. In Thüringen sind bisher folgende Skinheadbands bekannt geworden: * "Bataillon", Gotha * "Brutale Haie", Erfurt * "Dragoner", Weimar * "Legion Ost", Gera * "Oithanasie" oder "Gassenhauer", Gera * "Reichsfront" oder "Reichssturm", Erfurt * "Trabireiter", Erfurt * "Vergeltung", Jena * "Volksverhetzer"/"Wl", Sonneberg 28 Die Bands "Dragoner" aus Weimar, "Trabireiter" aus Erfurt und "Legion Ost" aus Gera hatten 1997 mehrere Auftritte in Thüringen und in anderen Bundesländern zu verzeichnen. Auch die 1996 neugegründete Band "Volksverhetzer" aus Sonneberg, die auch unter dem Namen " W l " auftritt, hat sich im Laufe des Jahres 1 997 innerhalb der Skinheadszene etabliert: * 28. Juni Auftritt der Bands "Volksverhetzer" (Sonneberg) und "Trabireiter" (Erfurt) vor ca. 150 Personen in Heilsberg/Lkr. Saalfeld/Rudolstadt, * 1 3. September Skinheadkonzert in Kleinrudestedt/Lkr. Sömmerda mit "Legion Ost" (Gera), "Dragoner" (Weimar) und weiteren Bands. 1997 sind zwei neugegründete Skinheadbands "Normannen" i aus Altenburg und "Schlagab^Sfl tausch" aus Erfurt in Erscheinung getreten. Die Skinband "Normannen" hatte am 1 3. Dezember einen Auftritt beim Skinheadkonzert in Heilsberg. Die Band "Schlagabtausch" ist 1997 bei einigen Konzerten aufgetreten und hat bereits eine Demo-Kassette mit dem Titel "Mutanten aus dem Untergrund" herausgebracht. CD der Erfurter Band "Brutale Haie" Die folgenden CDs sind 1997 von Thüringer Bands herausgekommen: * "Für immer frei" von der Band "Brutale Haie", * "Unsere Einigkeit macht uns zur Macht" von der Band "Volksverhetzer", * "Regeln, Zwänge, Leben" von der Band "Legion Ost". Ein Beispiel für gewaltverherrlichende Texte bietet der Titel "Blutrausch" der CD "Unsere Einigkeit Unsere Einigkeit macht uns 2ur macht macht uns zur Macht" von der Band "Volksverhetzer": CD der Sonneberger Band "Volksverhetzer" 29 Blutrausch Du gehst wie jeden Freitag in die Kneipe rein und schon steht er da, so ein buntes Schwein. Mitten im Gefecht hörst Du auf zu denken Du willst ihn nur noch hassen, keiner kann Dich lenken. Du bist im Blutrausch, ja ja im Blutrausch Deine Bestie kommt jetzt raus Du bist im Blutrausch, ja ja im Blutrausch keine Macht hält Dich jetzt auf. In den Texten der Skinheadmusik kehren verbale Angriffe gegen Politiker und Presse immer wieder. So heißt es in dem Titel "Vaterland II" auf der CD "Für immer frei" der Band "Brutale Haie": Politiker, die das Volk belügen für die zählt nur das Geld in der Zeitung nur Intrigen was ist das bloß für eine Welt. Ein weiteres Thema der Songs sind die Ausländer. Die angebliche Überfremdung Deutschlands durch die Ausländer wird häufig aufgegriffen: Doch irgendwann da wacht ihr auf Ihr werdet es schon sehen Ausländer sind an der Macht der Deutsche darf dann gehen. So steht es in dem Text "Wacht endlich auf" der CD "Unsere Einigkeit macht uns zur Macht" der Band "Volksverhetzer". Da nach Meinung der Skinheads in der Gesellschaft eine Linkstendenz vorherrscht, spielt in den Texten der politische Gegner, die Linken, eine große Rolle: Am sechsten Mai da kam die dunkle Nacht in der Dich das Zeckenschwein hat feige umgebracht und als es bekannt wurde haben die Punks gelacht noch Freudenpartys gemacht. Ein paar Tage später sperrten sie die Zecke ein er bekam zwei Jahre, das kann und darf doch gar nicht sein wo bleibt da die Gerechtigkeit in unserem Land in dieser Zeit. Der hier zitierte Titel "Sandro" der CD "Unsere Einigkeit macht uns zur Macht" zeigt noch ein anderes Motiv. Der im Jahr 1995 bei einer Auseinandersetzung zwischen Jugendlichen der linken und rechten Szene getötete Sandro Weilkes wird zu einem Märtyrer der Bewegung aufgebaut: 30 Jedes Jahr am sechsten Mai sind alle Kameraden beim Trauermarsch dabei sie verdrängen den Schmerz und die Wut und schwören Dir Rache bis aufs Blut. Oh Sandro, warum mußtest Du schon gehn Oh Sandro, in Walhalla werden wir uns wiedersehn. 4. Rechtsextremistische Parteien 4.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und Junge Nationaldemokraten (JN) Nationaidemokratische Partei Deutschlands (NPD) Die 1964 gegründete Partei hat bundesweit etwa 4.300 Mitglieder. Sie verfolgt eine gegen Ausländer und Asylbewerber gerichtete Politik. In ihren Druckerzeugnissen werden die Verbrechen des Nationalsozialismus relativiert. Die NPD strebt eine Volksgemeinschaft an, in der die Freiheitsrechte des einzelnen deutlich untergeordnet werden sollen. Zentrales Publikationsorgan der Partei ist die monatlich mit einer Auflage von 35.000 erscheinende Deutsche Stimme. Unter Führung des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt ist es gelungen, der NPD zu einer bemerkenswerten Aufwärtsentwicklung zu verhelfen. Es konnten neue Mitglieder gewonnen werden. Damit verbesserte sich auch die Finanzsituation der Partei. Dem neuen Schatzmeister Erwin Kemna gelang es, durch einen strikten Sparkurs die zerrütteten Finanzen der Partei zu sanieren. Der NPD ist es nach dem Scheitern der Bemühungen um ein Bündnis mit den Parteien Die Republikaner (REP) und Deutsche Volksunion (DVU) gelungen, sich wieder als eigenständige Kraft im rechtsextremistischen Lager zu etablieren. "Unsere Großväter sind keine Verbrecher" Ihre Handlungsfähigkeit bewies die Partei bei der Großkundgebung gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht" am 1. März in München. Bereits im Vorfeld der Veranstaltung hatten NPD und Junge Nationaldemokraten (JN) zu der "Demonstration des nationalen Widerstandes" aufgerufen und weit über die eigene Anhängerschaft hinaus zur Teilnahme aufgefordert - über Nationale Infotelefone (NIT), Internet und Flugblätter mit dem Titel "Unsere Großväter waren keine Verbrecher". Mehr als 50.000 Exemplare sollen verteilt worden sein. Während die Republikaner (REP) und die Deutsche Volksunion (DVU) sich an der Veranstaltung nicht beteiligen wollten, wurde die NPD schon im Vorfeld von zahlreichen neonazistischen Gruppen und Skinheads unterstützt. 31 4.300 Personen folgten dem Aufruf UNSERE GROSSVÄTER der NPD und beteiligten sich an der , T WAREN KEINE Demonstration gegen die Ausstellung - VERBRECHER Anhänger von NPD und JN, Neonazis, Skinheads. Etwa 5.200 Gegendemonstranten stellte ihnen das linke Spektrum entgegen - die Antifaschistische Aktion München, Bündnis 90/Die Grünen, Junge Sozialdemokraten, Deutscher Gewerkschaftsbund. Der Polizei gelang es aber, die beiden Lager voneinander getrennt zu halten. Die Schlußkundgebung konnte nicht - wie vorgesehen - auf dem Marienplatz abgehalten werden. Er war von Gegendemonstranten besetzt. Insgesamt UND WIR SIND , STOLZ AUF SIE! wurden 76 Personen vorläufig festgenommen, 43 davon aus dem rechtsextremistischen Lager, vorwiegend weFlugblatt zur Demonstration gen Verwendens verbotener Kennzeiam I. März in München chen. Die Demonstration wird in einer Pressemitteilung der NPD als Erfolg gewertet. Sie sei die größte nationale Demonstration seit 20 Jahren in Deutschland gewesen. Auf Seiten der NPD-Demonstranten hatte es keine Gewaltanwendung gegeben. Interne Auflagen der Organisatoren wie Alkoholverbot, kein Mitführen von Waffen und der Reichskriegsflagge, keine Uniformierung wurden befolgt. Die Aktion fand ein breites Medienecho. Aus Thüringen selbst nahmen etwa 100 Personen teil, die dem Thüringer Landesverband der Partei sowie dem Thüringer Heimatschutz angehören. Aktionen zum 1. Mai Nach der Demonstration am 1. März in München warben die NPD und die Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) für eine Demonstration am 1. Mai in Leipzig. Sie sollte unter dem Motto "Die soziale Frage in Deutschland" stehen. Das Verbot durch die Stadt Leipzig wurde vom Oberverwaltungsgericht Bautzen bestätigt. Weitere Anmeldungen von Veranstaltungen in Cottbus und Potsdam wurden von den Behörden ebenfalls mit Verboten beantwortet. In Hannoversch-Münden/Niedersachsen und Grimma/Sachsen kam es zu kleineren Ersatzveranstaltungen. Und im gesamten Bundesgebiet versuchten versprengte Gruppen, spontane dezentrale Demonstrationen durchzuführen. Dabei kam es verschiedentlich 32 zu Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten sowie zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. A m 1 7. August beschloß der NPDParteivorstand, Günter Deckert wegen fortwährender und schwerwiegender Verletzung der Treuepflicht gegenüber der NPD seines Amtes als stellvertretender Parteivorsitzender zu entheben. Deckert habe der NPD mit Beschuldigungen gegen Vorstandsmitglieder geschadet, die er in seiner Schrift Deckert-Stimme verbreitet habe. Vom 10. bis 12. Oktober fand en in Gierstädt/Thüringen Sitzungen des Parteivorstandes, des Länderrates und des Bundeshauptausschusses der ,lnn r. i . | i. T .i Autrut der Junqen NationaldemoNPD statt. Dabei wurde die Teil- , , ;" . _ i i kinr, J n i krctten zur I. Mai Demonstration nähme der NPD an der Bundestags- . . . wähl 1998 beschlossen. Auf diesem " " "kleinen Parteitag" stellte Voigt "Das strategische Konzept der NPD" vor, das die Billigung der Anwesenden fand. Die Lage in Thüringen Der Thüringer Landesverband der NPD, mit Sitz in Gotha, gliedert sich in drei Regionalverbände (Thüringen Nord, Thüringen Mitte/Süd, Thüringen Ost) sowie in die Kreisverbände (KV) Wartburgkreis, Saale-Holzland und Saalfeld/Rudolstadt. Durch die Inaktivität der DVU, insbesondere aber wegen der Richtungskämpfe innerhalb der Republikaner erfuhr die NPD Thüringen im Jahre 1 9 9 7 einen relativ hohen Zulauf. So stieg die Mitgliederzahl der Partei von anfänglich rund 4 0 auf mittlerweile über 90. Als Infodienst des Thüringer Landesverbandes erscheint seit 1995 vierteljährlich die Publikation Klartext. Außerdem gibt es in Thüringen zwei Nationale Infotelefone, deren Anschlußinhaber der NPD zuzuAufnäher der NPD rechnen sind. Thüringen 33 Gründung der Kreisverbände Unter Vorsitz Frank Golkowskis wurde am 2 1 . Juni in Merkers/Wartburgkreis mit 20 Mitgliedern der NPD-Kreisverband Wartburgkreis gegründet. In seiner Antrittsrede betonte der neugewählte Kreisvorsitzende Hans-Joachim Müller, daß man sich vorrangig den sozialen Problemen widmen und den Einfluß der NPD im Wartburgkreis stärken will. Am 28. Juni wurde in Pößneck der NPD-Kreisverband Saale-Holzland-Kreis gegründet. Es nahmen ca. 60 Personen teil, darunter Frank Golkowski und Wolfgang Nahrath, Mitglied des NPD-Bundesvorstandes und ehemaliger Leiter der verbotenen Wiking-Jugend. Zum Kreisvorsitzenden wurde der 19jährige Daniel Bock aus Kahla gewählt. In Saalfeld fand am 27. Juli in der Gaststätte Saaleblick die Gründungsveranstaltung des Kreisverbandes Saalfeld/Rudolstadt statt. Sie stand unter Leitung des Landesvorsitzenden Golkowski. Etwa 30 bis 40 Personen nahmen teil. Die NPD auf ihren Landesparteitagen Am 4. Mai fand in der Jugendherberge Froschmühle bei Eisenberg der 8. ordentliche Landesparteitag der NPD Thüringen mit 25 Anwesenden statt. Frank Golkowski verlas die Grußworte des Bundesvorstandes. Golkowski stellte sich - im Rahmen der Neuwahlen des Vorstandes - als "LandesvorMavicxt HPO LANDESVERBAND THÜRINGEN sitzender für noch ein Jahr" zur Verfügung und wurde in seiner Funktion bestätigt. In einem anschließenden Vortrag beklagte H/1997 Ralf Ollert vom bayerischen Lanfiit qjothetum, 'Bqfrtlyit unb iKcd)t desverband den massiven Polizeieinsatz am 1. Mai, der sich vor allem gegen die Demonstrationsteilnehmer der NPD/JN richtete. I Anschließend kam es zu angeregten Diskussionen über das Leipziger Kundgebungsverbot und den Polizeieinsatz in Sachsen, Thüringen und Hessen. Die Mehrheit äußerte Sympathien für Günter Deckert, obwohl er angeblich ein der NPD vermachtes Objekt in Ehningen/Baden-Württemberg als sein privates Eigentum nutzen Publikation der NPD in Thüringen wollte. 34 Ein außerordentlicher Landesparteitag der NPD Thüringen wurde in Kirchheim bei Arnstadt am 30. August in der Gaststätte "Fontana" durchgeführt. An der Veranstaltung nahmen ca. 40 Personen teil. Der Thüringer Landesvorsitzende der NPD, Frank Colkowski, begrüßte die Teilnehmer und eröffnete den Parteitag. Sein Stellvertreter, Andreas Schönleben, übernahm die Leitung der Veranstaltung. Im Mittelpunkt stand die Wahl der Kandidaten für die Landesliste der Bundestagswahl 1998. Drei Neumitglieder, denen Colkowski persönlich die Mitgliederausweise aushändigte, wurden insbesondere im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl um ihr Engagement gebeten. Dabei wurde u. a. der "starke Medienzuwachs" der letzten Zeit erwähnt. Dem Parteitag schloß sich eine Abendveranstaltung an. An ihr waren außer den Parteitagsteilnehmern weitere 40-50 Personen beteiligt, unter ihnen etwa 20 Skinheads. Für den angekündigten Liedermacher Veit Kelterborn (Rudolstadt) trat die Weimarer Skinheadband Dragoner auf. "Gegen linke Gewalt" Die rechte Szene reagierte auf die Ankündigung einer Demonstration gegen das "Nazizentrum im Saalfeld" mit der Anmeldung einer Gegendemonstration am 1. August bei der Stadtverwaltung Saalfeld unter dem Motto "Gegen linke Gewalt". Der Anmelder und Initiator dieser Gegendemonstration war Frank Colkowski. Am 30. September zog er die geplante Gegendemonstration zurück. Der Bundesvorsitzende der Jungen Nationaldemokraten (JN), Holger Apfel, zeigte sich offensichtlich mit dieser Entscheidung nicht einverstanden. Für den 5. Oktober berief der Landesvorsitzende kurzfristig eine Landesvorstandssitzung ein. Colkowski erklärte dort, daß er von JN-Funktionären und von Führern einschlägiger Gruppierungen massiv beleidigt und ihm Feigheit unterstellt worden wäre, weil er die von ihm für den 11. Oktober in Saalfeld angemeldete Demonstration ohne Absprache mit anderen stornierte. Außerdem wurden ihm enge Verbindungen zu dem Neonazi Dienet nachgesagt. Diese massiven Vorwürfe hätten ihn veranlaßt, seine Funktion als NPD-Landesvorsitzender zur Disposition zu stellen. Golkowski wurde jedoch das Vertrauen ausgesprochen. Für den 11. Oktober meldete das Bundesvorstandsmitglied der JN, Klaus Beier, eine Demonstration unter freiem Himmel unter dem Motto: "Gegen linke Hetze, Lügen und Gewalt" für die Stadt Rudolstadt an. Die Anmeldung erfolgte am 2. Oktober beim Landratsamt Saalfeld/Rudolstadt. Die Veranstaltung wurde verboten. Das Verbot wurde durch Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes Gera vom 9. Oktober und des Thüringer Oberverwaltungsgerichtes Weimar vom 10. Oktober bestätigt. In den Ansagen des Nationalen Infotelefons "Deutschlandsturm", des Nationalen Infotelefons Rheinland-Pfalz und des Nationalen Infotelefons der JN Dres35 den vom 10. Oktober wurde auf das Verbot hingewiesen mit der Empfehlung, Thüringen zu meiden. Im Vorfeld der Verbotsverfügungen wurde bekannt, daß gewaltbereite Personen zum Schutz des rechtsextremistischen Szenetreffs "Heilsberg" bei Rudolstadt Waffen, Reizgas sowie andere verbotene Gegenstände deponierten. In Heilsberg festgestellte Gegenstände Die einschlägigen Objekte wurden in den frühen Morgenstunden des 11. Oktober durch die Polizei durchsucht. In der Gaststätte "Heilsberg" in Heilsberg stieß die Polizei dabei auf ein Waffenarsenal. Gegen 57 angetroffene Anhänger der rechten Szene verhing der zuständige Richter Unterbindungsgewahrsam nach dem Polizeiaufgabengesetz bis zum 13. Oktober. Zwei Rechtsextremisten konnten beschleunigten Strafverfahren zugeleitet werden. "Traditionspflege" Mit rund 250 Teilnehmern fand auf Einladung der NPD am 10. Mai in Neuhaus/Thüringen eine Gedenkveranstaltung zum Todestag des am 6. Mai 1995 bei Auseinandersetzungen zwischen "rechten" und "linken" Jugendlichen getöteten Sandro Weilkes statt. Am Sonntag, dem 16. November, wurde in Kleinfahner/Landkreis Gotha an einem Kriegerdenkmal der gefallenen Soldaten gedacht. Colkowski hielt eine kurze Rede. Die NPD-Fahne wurde ausgebreitet und ein großer Kranz niedergelegt. Es nahmen 21 Personen teil. Anschließend fand in Großfahner/Landkreis Gotha in der Gaststätte "Zum alten Hauptmann" eine Arbeitstagung des NPD-Landesvorstandes statt. Junge Nationaldemokraten Die JN, die Jugendorganisation der NPD, wurde 1969 gegründet. Sie ist mit derzeit über 350 Mitgliedern (einschließlich JN-Anwärtern) bundesweit der größte und aktivste Zusammenschluß jüngerer Rechtsextremisten. Ein nicht zu verkennender Aufwärtstrend ist auf eine zunehmende neonazistische Ausrichtung zurückzuführen. Während sich die JN von Vertretern des "progressiven 36 Nationalismus" abgrenzt, dulden und fördern sie die Mitarbeit von Neonazis. Allerdings ist die JN gegenwärtig bemüht, den Einfluß dieser Neonazis zu begrenzen. Die JN strebt durch die Umwandlung in eine Kaderorganisation die Bildung der Führungselite an. Interessenten der JN sollen sich zunächst in den Stufen Mitgliederanwärter, Mitglieder, Aktivisten, Kaderanwärter und Kader bewähren. Neonazistische Interessenten müssen nicht ihre Gesinnung ändern, sie müssen statt dessen den spezifischen "JN-Stil" (Disziplin, Schulungen, Vermeidung von Gewalt, Alkoholverbot bei Demonstrationen, kein Tragen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) übernehmen. Am 10. Mai tagte in Roding der diesjährige Bundeskongreß der JN. Etwa 100 Personen waren beteiligt, unter ihnen als Gast Frank Schwerdt, Vorsitzender der Vereinigung Die Nationalen e. V Im Mittelpunkt des Kongresses standen eine grundsätzliche ideologische Diskussion über den sogenannten Progressiven Nationalismus und die Neuwahl des Bundesvorstandes. Holger Apfel wurde als Bundesvorsitzender bestätigt. Vom 28. bis 3 1 . März fand in der Eisenacher Jugendherberge eine JN-Bundesschulung statt. An ihr nahmen etwa 50 Personen teil, die aus elf Bundesländern angereist waren. In der Einladung war die Veranstaltung als "Pflichtveranstaltung für alle Funktionsträger" bezeichnet worden. Europäischer Kongreß der Jugend Unter dem Motto "Zerschlagt die EU-Diktatur des internationalen Großkapitals" wurde am 18. Oktober der 4. Europäische Kongreß der Jugend in Fürth im Wald veranstaltet. Führende Persönlichkeiten des nationalen Widerstandes aus Deutschland, wie Udo Voigt, Otmar Wallner, hatten in ihren Reden zu einer noch stärkeren Vernetzung aller Nationalisten in Deutschland und Europa aufgerufen. An dem Treffen nahmen Delegationen aus Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Bulgarien, Ungarn, Spanien, Griechenland, Frankreich, Südafrika und den USA teil. Voigt, Apfel und Roßmüller betonten übereinstimmend, daß die NPD/JN in erster Linie eine Kampfgemeinschaft und erst in zweiter Linie eine Parteiorganisation sei. Alle Referenten riefen zum Widerstand gegen die Brüsseler EU, gegen die Asylantenflut, gegen das internationale Judentum, gegen Liberalismus, Gleichmacherei und Freimaurerei und zum Kampf für die Selbsterhaltung der europäischen Völker auf. Nach dem offiziellen Teil fand ein Kameradschaftsabend statt, der von Jörg Hähnel, Frank Rennicke und der Skinheadband "Zensur" gestaltet wurde. In Thüringen wurde bisher kein JN-Landesverband gegründet. Die geringe Resonanz ist auf Rivalitäten zwischen dem Thüringer Heimatschutz und dem Landesvorstand der NPD in Thüringen zurückzuführen. 37 4.2 Die Republikaner (REP) Die Partei Die Republikaner (REP) wurde am 27. November 1983 von zwei aus der Christlich-Sozialen Union (CSU) ausgetretenen damaligen Bundestagsabgeordneten sowie dem Publizisten Franz Schönhuber gegründet. Ende 1994 kam es nach scharfen innerparteilichen Auseinandersetzungen zwischen dem damaligen Bundesvorsitzenden Schönhuber und seinem Stellvertreter und dem Fraktionsvorsitzenden im Landtag von Baden-Württemberg, Dr. Rolf Schlierer, zum Führungswechsel. Auf dem Bundesparteitag im Dezember 1994 wurde Dr. Schlierer zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Der Partei gehören derzeit bundesweit etwa 15.500 Mitglieder an (1996: 15.000; 1995: 16.000). Die Republikaner weisen jegliche rechtsextremistischen Tendenzen weit von sich und stellen sich als eine Sammelbewegung demokratischer Patrioten dar. Sie offenbaren aber in ihren Stellungnahmen, Publikationen und in den Aussagen führender Funktionäre unverändert Vorstellungen, die gegen einzelne oder mehrere Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstoßen. Damit liefern sie Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Einstellung der Partei. In der Programmatik bildet die Anti-Eurokampagne einen Themenschwerpunkt. Die Einführung der europäischen Währung stellt danach die Zukunft Deutschlands in Frage. Durch eine weiche Währung drohe Inflation. Die politische Macht der EU-Zentralbank würde zu Arbeitsplatzverlusten und höheren Steuern führen. Ein weiterer Themenschwerpunkt der REP ist die Ausländerund Asylpolitik der Bundesregierung, die als Gefahr für das deutsche Volk bezeichnet wird. Äußerungen und Form der Artikulation lassen fremdenfeindliche Beweggründe deutlich zutage treten. Problemlösungen werden vereinfacht dargestellt, Mißstände und wirtschaftliche Schwierigkeiten einseitig den Ausländern und Asylbewerbern angelastet. Damit sollen insbesondere der zunehmende Konkurrenzdruck, dem sich viele Bundesbürger ausgesetzt sehen, und die damit verbundenen Ängste und Aggressionen auf die "Fremden" abgelenkt werden. Bei ihren Agitationen greifen die Republikaner das demokratische Parteiensystem und deren Repräsentanten massiv an. Dabei wird das parlamentarische System als unfähig, korrupt und unehrlich hingestellt, das zudem gegen die Interessen des eigenen Volkes gerichtet sei. Die Parteiführung unter dem Bundesvorsitzenden Dr. Rolf Schlierer möchte die Republikaner als nichtextremistische bürgerliche Kraft etablieren. Sie grenzt sich deshalb von anderen Rechtsextremisten ab. Diese Strategie versucht der Bundesvorstand unter seinen Mitgliedern mit der Androhung des Parteiausschlusses durchzusetzen. Der ehemalige Bundesvorsitzende Franz Schönhuber befürwortet dagegen eine Kooperation des gesamten "rechten Lagers". Er verfolgt mit seinen Anhängern das Ziel, das gesamte "rechte Lager" zu einen und den diesbezüglichen innerparteilichen Richtungskampf zu beenden. Das Ziel einer großen 38 Zahl von REP-Mitgliedern, mit anderen rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen zusammenzuarbeiten, besteht damit unverändert fort. Durch die momentane Stärke beider Lager innerhalb der "Republikaner" ist nicht auszuschließen, daß ein offener Streit in der Partei über die politische Richtung mittelfristig auch Schlierers Position in Frage stellt. Landesparteitag der REP-Thüringen Der Thüringer Landesverband zählt ca. 260 Mitglieder (1996: 280). Bedeutendste Veranstaltung des Landesverbandes Thüringen im Jahr 1997 war der Landesparteitag am 15. Februar in Schönbrunn/Lkr. Hildburghausen. Unter den Teilnehmern befand sich auch die stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, Uschi Winkelsetf. Sie vertrat den Parteivorsitzenden Schlierer. Neben den Berichten über die verschiedenen Aktivitäten des Landesverbandes im Jahre 1996 ging es vor allem um die Wahl des neuen Landesvorstandes. Kurt Hoppe, bisheriger Landesvorsitzender der REPThüringen, trat seine FunkOCR y*?L W.ti-.im fn>M.[ Kitf it. itun h rij-. (.,nd s'i'fcl V(""i'ipiHii.l lhi=iri.i Veite " tion an Rüdiger Ziegler ab. Die Streitigkeiten zwischen REPUBLIKANER den Schönhuberund den BBXSH Scf)//erer-Anhängern sind im Landesverband offenTheo "Goldfingers" neue Tricks bar zugunsten des letzteren entschieden worden. Von den Verfechtern des Scfi//erer-Kurses wurden auch alle weiteren Funktionen im Landesvorstand besetzt. Der Erfurter Kreisverband, mit mehr als 100 Mitgliedern der stärkste, scheint diese Entscheidung maßgeblich beeinflußt zu haben. In seinem Schlußwort äußerte sich der neue Landesvorsitzende zu den Zielen seiner Politik. Er kündigte eine weitere Verstärkung der Mitgliederwerbung an. Ziegler will den Der Republikaner - Organ der Bundespartei 39 Zusammenhalt der Parteimitglieder fördern und sich Bald haben für die Beteiligung an den Thüringer Kommunalund Landeswahlen engagieren. Die erste Verände4a rung betraf die Landesgeschäftsstelle, sie wird von Steinach nach Erfurt verlegt. Mark mehr! Der Thüringer Landesvorsitzende vertritt konsequent die Abgrenzungspolitik von Dr. Schlierer und dessen Parteiordnungsmaßnahmen. Dabei ist dem Bundesvorsitzenden egal, ob es sich hinsichtlich der Konsequenzen, die sich aus den Verstößen gegen die offiziellen Abgrenzungsbeschlüsse ergeben, um v- % einflußreiche oder weniger bedeutende Parteimitglieder handelt. Einige, die hinter Schönhuber standen, sind mittlerweile aus der Partei ausgetreten DerEUEOdraht: oder haben sich dem Scfi//erer-Flügel angeschlosSchlechtes Geld sen. Beispielsweise ist der komplette Kreisverband ftoscbtechteZetten? Wartburgkreis zur Nationaldemokratischen Partei Deutschland (NPD) übergetreten. Polemik gegen die Der Landesvorstand vertritt wie der gesamte LanWährungsunion desverband der Republikaner Thüringens den Scf)//erer-Kurs und dessen Abgrenzungspolitik. Der oppositionelle Flügel des Landesverbandes besteht mittlerweile aus Einzelkämpfern. Die Kritiker des Abgrenzungskurses arbeiten nicht organisiert zusammen, sind sich aber stillschweigend ihrer Übereinkunft bewußt. Franz-Schönhuber-freundeskreis Bundesweit existieren mindestens acht Franz-Schönhufoer-Freundeskreise. Deren Mitglieder wollen alles tun, um - im Sinne Franz Schönhubers - die vielen einigungswilligen und politikfähigen "Patriotinnen und Patrioten" endlich an einen Tisch zu bringen. Eine bestehende Parteioder Vereinsmitgliedschaft scheint daher kein Hinderungsgrund bei der Mitarbeit in diesem Freundeskreis zu sein. Der im Juni 1996 gegründete Franz-Schönfiuber-Freundeskreis Ilmenau entwickelte bislang nur geringe regionale Aktivitäten. Eine Abordnung des FranzScfiönfiuber-Freundeskreises Ilmenau nahm am 10. Mai in Neuhaus am Gedenkmarsch für den 2. Todestag von Sandro Weilkes teil. Organisiert und unterstützt wurde diese Veranstaltung u.a. von der NPD/JN und von den in Thüringen vertretenen nationalen Interessengruppen Die Nationalen e.V. und Thüringer Heimatschutz (THS). Am 30. November fand auf Einladung der Franz-Sc/iön/iuber-Freundeskreise eine Saalveranstaltung mit Franz Schönhuber in Schönbrunn statt. Die Leitung der Versammlung übernahm Kurt Hoppe. In seiner Begrüßungsrede gab er sei40 nen Austritt aus der Partei Die Republikaner bekannt. Hoppe kritisierte den REPBundesvorsitzenden Dr. Rolf Schlierer, der allen Parteimitgliedern droht, die sich an Veranstaltungen mit Schönhuber beteiligen oder in Veranstaltungen anderer Parteien auftreten. Franz Schönhuber dagegen will eine weitere Zersplitterung der Rechten verhindern und über alle Parteien und Organisationen hinweg die Rechten vereinen. 4.3 Deutsche Volksunion (DVU) Die vom Münchner Verleger Dr. Gerhard Frey 1987 gegründete und zentralistisch geführte Partei Deutsche Volksunion (DVU) ist neben der Partei Die Republikaner (REP) eine der beiden größeren rechtsextremistischen Parteien. Obwohl ihre Mitgliederzahl leicht gesunken ist, verfügt sie dennoch über etwa 15.000, zum größten Teil jedoch politisch inaktive Mitglieder. Es sind kaum Parteistrukturen zu erkennen. Abgesehen von der jährlich stattfindenden Großkundgebung in Passau und der Durchführung von Parteitagen beschränken sich die Aktivitäten im wesentlichen auf die Veröffentlichung von Zeitungen und Büchern. Dabei besitzen die "national-freiheitlichen" Wochenzeitungen Deutsche Nationalzeitung (DNZ) und Deutsche Wochenzeitung (DWZj eine besondere Bedeutung. Sie sind auflagestarke Presseorgane der DVU. Hauptsächlich beschäftigen sich diese Zeitungen mit bekannten Themen wie "Ausländerkriminalität", "Wiedergutmachung", "Antisemitismus" und dem angeblichen "Märtyrertum der Rechtsextremisten". In den DVU-Publikationen und verbalen Äußerungen von Parteifunktionären ist jedoch Vorsicht bei der Formulierung rechtsextremistischer Positionen festzustellen. Diese Mäßigung HILFE! läßt sich vor allem auf die Furcht vor "> Ausländer-Kriminalität! ,," strafrechtlichen Maßnahmen oder vor *" Arbeitslosigkeit! |ii" "* Keine D-Mark mehr! pff einem Parteiverbot zurückführen. Dr. Sil" Frey versucht sich als "demokratischer " Deutsches Geld in alle Welt! ü| IFS Rechter" und die DVU - im vermeint"" Immer mehr Fremde! | " lichen Gegensatz zu den etablierten *" Wählerbetrug durch Altparteien! Parteien - als verfassungsloyal darzu- " Rentenklau und Sozialabbau! stellen. Jetzt hilft nur noch Vuu Nachdem sich die Partei im Jahr 1994 nicht an den Wahlen beteiligt Themen der DVU auf dem Flugblatt hatte, konnte sie auch von 1995 bis 1997 nur bei den Wahlen zur Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung und zu den Hamburger Bezirksversammlungen marginale Erfolge erzielen. Damit ist die DVU - nach den Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein am 24. März 1996 und in Hamburg am 21. September 1 997 - nicht mehr in diesen Landesparlamenten vertreten. Obwohl bei der DVU im Jahr 1997 die Wahlerfolge ausblieben, ist die Partei nur bedingt bündnisfähig und -willig. Die Beteiligung an organisationsübergreifenden "Runden Tischen" lehnt sie trotz ihres öffentlichen Bekenntnisses zu einer Bündnispolitik ab. Wahlbündnisse oder -absprachen mit den anderen rechtsextremistischen Parteien Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) und Die Republikaner (REP) werden immer propagiert, scheitern aber am absoluten Führungsanspruch Dr. Freys, da die Zusammenarbeit in einem solchen Bündnis zwangsläufig mit politischen Kompromissen und gleichzeitiger Einschränkung des eigenen Machtanspruchs verbunden wäre. Die diesjährige Hauptveranstaltung, eine Großkundgebung der DVU, fand am 27. September in der Passauer Nibelungenhalle statt. Es nahmen ca. 2.500 Personen teil. Das Ergebnis der Wahl in Hamburg und die angebliche Manipulation der Wahlergebnisse standen im Mittelpunkt der Rede des DVU-Bundesvorsitzenden Dr. Frey. Landesparteitag der DVU Hessen und Thüringen In Thüringen existiert seit 1991 ein Landesverband der DVU mit Sitz in Arnstadt. Er besteht aus rund 40 Mitgliedern. Die politischen Aktivitäten dieser Partei beschränken sich auf regelmäßige Stammtische, meist einmal im Monat, an denen nicht mehr als 10 bis 15 Personen teilnehmen. Gelegentlich findet ein Besuch des Kyffhäuser-Denkmals statt. Am 1. Februar fand in dem Lokal "Lo Scoiattolo" in Wollbach bei Bad Neustadt/Saale der Landesparteitag der DVU Hessen und Thüringen statt. Unter den ca. 300 Teilnehmern befanden sich etwa 60 Thüringer. Weitere Gäste kamen aus Hessen und Bayern. Auch Dr. Gerhard Frey, der Vorsitzende des DVU-Bundesvorstandes, war anwesend. Zu den Rednern der Veranstaltung gehörte neben Dr. Frey auch der bisherige Landesvorsitzende Gerhard Konrad. Dr. Frey kritisierte das Sparpaket der Bundesregierung und die "Verschwendungssucht" der Politiker etablierter Parteien. Er forderte einen Stop des Ausländerzustroms und lehnte die Einführung des Euro ab. Der Redner erhielt während seiner Ausführungen aber nur vereinzelt Beifall. Konrad kritisierte den Bundeskanzler und machte ihn für die steigende Arbeitslosenzahl verantwortlich. Ebenso lastete er die wachsende Kriminalität in Deutschland der Bundesregierung an. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die "Wahl" der neuen Landesvorstände. Unter der Leitung von Dr. Frey persönlich wurde sie in sehr "unkonven42 tioneller" Weise abgehalten. Die KanUnsere didaten "schlug" der Bundesvorsitzende mündlich mit Angabe des vorgeVäter waren sehenen Amtes "vor". Der Kreis der keine Verbrecher! Wähler ließ sich durch Interessenten Wehrmacht erweitern. Die Stimmzettel wurden DIE BESTE handschriftlich ergänzt bzw. mit den TRUPPE / Namen der Gewählten beschriftet. DErVWELT Das Ergebnis der Stimmenauszählung wurde nicht bekanntgegeben. Die von ihm vorgeschlagenen Kandidaten -JIIL ^ ^ ^ ^ ^ UNSERE wurden It. Mitteilung Dr. Freys durch SOLDATEN die "Wahl" bestätigt. Landesvorsitzender Z T | n_-WAREN KEINE der Thüringer Parteiorganisation bleibt VERBRECHER! Gerhard Konrad. Die Mängel bei der Das irre h e u t e : Freispräche für die Wehrmacht In Rußland. Verannlimpluno "er Wehrmacht I" der "R Deutschland M ir Österreich. Was soii das? Wer steckt dahinter? Vorbereitung und Durchführung des Parteitages stießen unter den Teilnehmern vielfach auf Kritik. Einige gaben an, sich von der Partei aufgrund dieser Flugblatt zur Diskussion über die Vorkommnisse distanzieren zu wollen. Rolle der Wehrmacht 5. Rechtsextremistische Straftaten im Überblick Vergleich erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Straftaten Bund Thüringen 1995 1996 1997 1995 1996 1997 Straftaten insgesamt: 7.896 8.730 11.719 733 939 1.206 davon sind hervorzuheben: fremdenfeindliche Straftaten 2.468 2.232 47 119 140 antisemitische Straftaten 1.115 846 26 33 42 gegen politische Gegner 142 175 40 29 31 Vergleich erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Gewalttaten Bund Thüringen 1995 1996 1997 1995 1996 1997 Gewalttaten insgesamt: 837 781 790 53 89 49 davon sind hervorzuheben: fremdenfeindliche Gewalttaten 540 441 463 11 30 18 antisemitische Gewalttaten 27 29 11 1 3 1 gegen politische Gegner 68 84 114 22 11 6 43 Vergleich Straftaten-Gewalttaten g Straftaten B davon Gewattaten 1995 1996 1997 In Thüringen ist auch 1 997 eine Zunahme rechtsextremistischer Straftaten zu verzeichnen. Den größten Teil der insgesamt 1.206 Straftaten nehmen die Propaganda-Delikte (1.051) ein. 49 Gewalttaten wurden begangen. Dies ist ein deutlicher Rückgang zum Vorjahr, als 89 Gewalttaten zu verzeichnen waren. Ein deutlicher Rückgang ist auch bei den fremdenfeindlichen Gewaltstraftaten zu erkennen. Während 1996 noch 30 derartige Delikte vorlagen, gab es 1997 18 Gewaltstraftaten. IV. Linksextremismus 1. Überblick In der Bundesrepublik Deutschland beträgt das Potential der revolutionären Marxisten (einschließlich der Kommunistischen Plattform der PDS) 27.800 Personen, das der gewaltbereiten Linksextremisten (einschließlich Terroristen) 7.000 Personen. Die Situation des Linksextremismus im Freistaat Thüringen hat sich im Jahr 1997 kaum verändert. Eine leichte Zunahme von Anhängern und Sympathisanten im autonomen Bereich war jedoch erkennbar. Nach wie vor gibt es * wenige Mitglieder in marxistisch-leninistischen Parteien sowie einige Sympathisanten, * eine größere Anzahl von Marxisten-Leninisten in anderen Gruppierungen und Parteien, * einen gefestigten Bestand an autonomen Gruppen mit etwa 250 bis 300 Anhängern, der sich organisatorisch weiter entwickelt und informell vernetzt ist. Er tritt insbesondere bei Aktionen, Demonstrationen und Auseinandersetzungen mit dem rechtsextremistischen Lager in Erscheinung. 2. Ideologischer Hintergrund Wie bei den Rechtsextremisten finden sich auch bei den Linksextremisten ideologisch voneinander abweichende Positionen. Neben Anhängern der "wissenschaftlichen Sozialismusund Kommunismustheorien" stehen Sozialrevolutionäre, Anarchisten und Autonome. Grundlage der unterschiedlichen Anschauungen und Theoriebildungen bleiben die Werke von Marx, Engels, Lenin sowie auch die von Stalin, Trotzki und Mao Tse-tung. Allen Linksextremisten gemeinsam ist das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Dafür wollen sie einen ihren jeweiligen Vorstellungen entsprechenden Ersatz schaffen - mag es sich dabei um ein marxistisch-leninistisches Staatsgebilde oder auch eine herrschaftsfreie Gesellschaft handeln. Das Bekenntnis der Linksextremisten zur revolutionären Gewalt, zu Klassenkampf und Klassenherrschaft verbindet ihre sonst oft divergierenden Ansichten. Dabei wird der Grundsatz, daß sich diese Veränderungen nur durch den Einsatz revolutionärer Gewalt vollziehen, aus faktischen Gründen oft verschwiegen. Bei tagespolitischen Auseinandersetzungen wird dann zu legalen, gewaltfreien Formen der politischen Auseinandersetzung gegriffen. 3. Marxistisch-leninistische Parteien und Organisationen 3.1 Die Kommunistische Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) Die Kommunistische Plattform (KPF) der PDS ist nach ihrer Satzung ein Zusammenschluß innerhalb der Gesamtpartei. Sie versteht sich als Gruppierung von Kommunisten im Sinne der marxistisch-leninistischen Lehren in der PDS und ist Ausdruck des so verstandenen innerparteilichen Meinungspluralismus. Gegründet wurde sie im Dezember 1 989 von Kommunisten in der damaligen SED-PDS, um der Zersplitterung der Partei in sog. K(ommunistische)-Gruppen entgegenzuwirken. Die KPF Thüringen konstituierte sich offiziell im März 1993 in Erfurt. Die Mitstreiter der Plattform wollen kommunistisches Gedankengut stärker in die Programmatik und praktische Politik der Partei einbringen. Sie treten insbesondere für ein breites linkes Bündnis unter Einbeziehung der Gewerkschaften, der Friedensbewegung, der Bürgerinitiativen und anderen politischen Bewegungen ein. Die Plattform strebt die Entwicklung einer sozialistischen Alternative zum "bestehenden kapitalistischen System" an. Die Zugehörigkeit zur KPF bestimmt sich danach, ob sich jemand mit ihren inhaltlichen Vorstellungen identifiziert und an der Arbeit der Plattform teilnimmt. Die KPF selbst ist demnach offen für alle, unabhängig von parteilicher oder sonstiger Bindung. Dies bedingt, daß die KPF im Gegensatz zu demokratisch-verfaßten Parteien nicht mitgliedder Kommunistischen Plattform der PDS schaftlich organisiert ist. Das erklärt auch die Mitarbeit und offene MitgliedStandpunkte schaft z. B. von Mitgliedern der DeutAnalysen schen Kommunistischen Partei (DKP) in der KPF. Eine genaue Mitgliederstruktur Diskussionen und -stärke ist somit für Außenstehende Informationen nicht nachvollziehbar. * Die Führung der KPF untergliedert sich entsprechend den verschiedenen Wirkungsebenen in Bundesund Landeskoordinierungsräte. Der Bundeskoordinierungsrat entspricht in seiner StelMitteilungen der KPF ' u n 9 u n d Bedeutung dem Vorstand und der Bundessprecherrat dem geschäftsführenden Vorstand der Partei. Das höchste Gremium der KPF auf Bundesebene ist die Bundeskonferenz. Sie tagt zweimal jährlich, bestimmt die Leitlinien der politischen Arbeit und wählt den Bundeskoordinierungsrat sowie die Mitglieder des Bundessprecherrates. Auf Ortsund Kreisebene existieren vereinzelt Gruppen; auf der Kreisebene können auch Koordinierungsorgane gewählt werden. Nach eigenen Angaben ist die KPF in zwölf Bundesländern, u. a. auch in Thüringen, aktiv. Sie hat bundesweit ca. 1.000 aktive Anhänger, jedoch dürfte deren Zahl infolge Überalterung rückläufig sein. Die KPF verfügt über ein eigenes publizistisches Organ, sie gibt die monatlich erscheinenden Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS heraus. "Das System muß geändert werden, nicht nur Kohl muß weg" Die politischen Auseinandersetzungen zwischen der KPF und der Führung der Gesamtpartei halten weiterhin an. Die Plattform wirft der PDS vor, daß mit dem derzeitigen Wahlprogramm keine echten gesellschaftlichen Veränderungen zu erreichen seien. Im Mittelpunkt der politischen Arbeit sollte die Entwicklung hin zum Sozialismus stehen. Die KPF drängt auf eine Diskussion über die Machtfrage innerhalb des Systems. Ein vermehrter Druck auf die Regierung könne nur durch eine starke außerparlamentarische Bewegung ausgeübt werden. In den Wortmeldungen der Kommunistischen Plattform der PDS (3. Sonderheft der Mitteilungen der KPF, Januar 1997) brachte die Gruppierung vor dem 46 " Schweriner Parteitag der PDS ihre kämpferische Haltung zum Ausdruck: Nach dem Verschwinden der sozialistischen Alternative auf deutschem Boden sei parlamentarischer, aber vor allem außerparlamentarischer Widerstand notwendig. Heinz Mahron, einer der Sprecher der KPF, konstatierte, daß das System nicht reformierbar sei: "Also, das System muß geändert werden, nicht nur Kohl muß weg. Es ist mehr vonnöten, denn mit diesem System kann es keinen Frieden geben. Jede Kraft, die über Reformen hinaus konsequent eine neue Gesellschaftsordnung anstrebt, wird den Herrschenden ein Gegner sein. Die zentrale Frage ist und bleibt: WIDERSTAND!" (Mitteilungen der KPF Nr. 3/97). Die Unzufriedenheit im Lande müsse in aktiven Protest umgewandelt, gebündelt und unterstützt werden. Dabei setzt die KPF ganz im Sinne orthodox-kommunistischer Lehre auf den "massiven Druck der Straße", d. h. auf "Massenbewegung". In diesem Sinne theoretisiert Sahra Wagenknecht, Bundessprecherin der KPF, in der bereits zitierten Ausgabe der Wortmeldungen der KPF, "daß die Überwindung der kapitalistischen Produktionsund Gesellschaftsstrukturen die Voraussetzung, die conditio sine qua non zur Beseitigung der Übel und Scheußlichkeiten unserer Welt ist (...)". Auch in den Fragen privatrechtlichen Eigentums ist der kommunistische Standpunkt der KPF klar. Sie geht davon aus, "daß die Dominanz des privatkapitalistischen Eigentums überwunden werden muß (...)" (Ellen Brombacher, Bundessprecherin der KPF, in Wortmeldungen der KPF, Januar 1997). In "klassenkämpferischer" Weise ist man sich in der KPF daher einig, daß die "Herrschaft des Kapitalismus" überwunden werden muß. Keine folgenlose Oppositionsecke Für ihre althergebrachten kommunistischen ideale sieht die KPF vor allem in Ostdeutschland fruchtbaren Boden. Sie nutzt die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der neuen Bundesländer, um gegen "massenhafte und systematische politische Diskriminierung sowie gegen gezielte Repression" zu agitieren. Auf den beiden diesjährigen Tagungen der 8. Bundeskonferenz der KPF in Berlin im März und November setzte sich die Plattform gegenüber dem Vorstand der Gesamtpartei für die Aufhebung des auf dem Schweriner Parteitag zuvor eingeführten Verbots der Besetzung "offener Listen" mit geeigneten "linken Kandidaten", d. h. auch z. B. mit DKP-Mitgliedern oder Parteilosen, ein. Sie konnte sich jedoch mit diesem Vorstoß nicht durchsetzen. Erfolglos war sie auch mit ihrer Forderung nach der Abschaffung des Verbots von sog. Doppelmitgliedschaften (in einerweiteren Partei oder Vereinigung). Obwohl sie im Vorfeld des PDS-Parteitages zu Zugeständnissen an die Gesamtpartei in der Frage einer möglichen Regierungsbeteiligung der PDS bereit war, lehnt die Spitze der KPF diese realpolitischen Vorstellungen aber nach wie vor ab. Allerdings befürwortet sie - der Gesamtpartei entgegenkommend - den 47 Wiedereinzug der PDS in den Bundestag. In einer Erklärung des Bundeskoordinierungsrates der KPF zur Vorbereitung der Bundestagswahlen 1 998 heißt es daher: "Wir stellen uns auch nicht ... in die folgenlose Oppositionsecke ..., wie (...) behauptet wird, wenn wir ... nicht Arzt am Krankenbett des herrschenden Systems ... sein wollen. (...) Wir jedenfalls wollen den Kapitalismus nicht besser reden, als er ist. Bekanntermaßen halten wir die Profitgesellschaft für - ihrem Funktionieren nach - menschenfeindlich und sehen letztlich den Ausweg für die Zivilisation nur in der Überwindung derselben. (...) Der Nichtwiedereinzug der PDS in den Bundestag wäre das Ende antikapitalistischer Positionen und der sozialistischen Idee im wiederentstandenen kapitalistischen Großdeutschland." [Mitteilungen der KPF Nr. 11 /97) Verhältnis zu anderen marxistischen Gruppierungen In ihrer Bündnispolitik setzt die KPF verstärkt auf eine Zusammenarbeit mit der DKP. Außerdem bestehen in Ostdeutschland auch Kontakte zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) sowie zu anderen marxistisch-leninistischen Gruppierungen. Keine Berührungsängste zeigt die Plattform auch im Umgang mit Gruppen militanter Autonomer. Deren Gewaltbereitschaft wird zwar offiziell abgelehnt, Aktionen sog. zivilen Ungehorsams (z. B. Blockaden, Steinwürfe) werden jedoch toleriert. Die Ideologie der autonomen Gruppen deckt sich in Teilen mit der der KPF. Mit den sog. politischen Gefangenen der RAF verbindet die KPF ein Band der Solidarität. Sie unterstützt zudem die Freilassungsbegehren inhaftierter ehemaliger RAF-Terroristen. In der Ausgabe der Zeitschrift junge Welt vom 1 2. Mai erschien eine Anzeige des Bundeskoordinierungsrats der KPF, in welcher dieser seine Trauer um die bei der Geiselbefreiung im April in Lima getöteten peruanischen Botschaftsbesetzer der "Movimiento Revolucionario Tupac Amaru" (MRTA) bekundete. Im Dezember 1 996 hatten bewaffnete peruanische "Tupac-Amaru"-Gueriilas Angehörige und Gäste anläßlich eines Empfangs in der Residenz des japanischen Botschafters in Lima über vier Monate als Geiseln genommen, um inhaftierte MRTAKämpfer aus der Haft freizupressen. In Thüringen ist die KPF schwerpunktmäßig im Kyffhäuserkreis, in Erfurt, Ilmenau, Arnstadt und Suhl aktiv. (Vergleiche zur Kommunistischen Plattform auch den Abschnitt VIII 3. "Einflüsse der KPF auf die PDS?") 3.2 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Die DKP wurde am 25. September 1968 in Frankfurt am Main gegründet, heutiger Sitz der Bundespartei ist Essen. Sie trat die Nachfolge der 1956 verbotenen KPD an. Sie bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin. Ihr Ziel ist der "revolutionäre Bruch mit dem kapitalistischen Profitsystem" und die Errich48 tung einer Diktatur des Proletariats. Allein der Sozialismus - als erste Phase der kommunistischen Gesellschaft - sei die historische Alternative zum herrschenden System. Derzeit gehören der Partei bundesweit etwa 6.500 Mitglieder a n , davon etwa 3 0 0 in den neuen Bundesländern. In Thüringen selbst gibt es nur wenige aktive Mitglieder. Als publizistisches Zentralorgan erscheint die Zeitschrift Unsere Zeit (UZ). Besonders eng arbeitet die Partei mit den Organisationen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes PRESSEFEST - Bund der Antifaschisten ( W N - B d A ) und VOLKSFEST DER DKP REVIERPARK WISCHUNGEN Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend DORTMUND 29.-31. AUGUST 1997 (SDAJ) zusammen. Diese besitzt seit DezemEin Höhepunkt der Parteiarbeit ber - laut A n g a b e UZ Nr. 9 / 9 7 - auch eine ist das Pressefest der UZ Landesgruppe Thüringen. In ihr fanden sich "antikapitalistisch gesinnte junge und junggebliebene Leute zusammen, die die Ideen von Marx, Engels und Lenin noch nicht in die Mottenkiste geworfen haben". "Wesensmerkmale des künftigen Sozialismus" Anfang Januar veröffentlichte die DKP in ihrem Zentralorgan Unsere Zeit einen Entwurf der Sozialismusvorstellungen der Partei, der von den Mitgliedern streitbar, kontrovers und solidarisch diskutiert werden sollte. Eine von der Programmkommission der DKP überarbeitete Fassung des Papiers "Sozialismus - die historische Alternative zum Kapitalismus", veröffentlicht in der UZ vom 29. August, soll weiter diskutiert und auf dem 14. Parteitag im M a i 1998 zur Verabschiedung vorgelegt werden. In dem Papier wollen seine Autoren die Notwendigkeit des Sozialismus begründen, Leistungen und Fehler benennen und die "Wesensmerkmale des künftigen Sozialismus" umreißen. In dem mehrseitigen Entwurf heißt es dazu, Kapitalismus sei Produktion nicht um des Menschen, sondern des Profits willen. Die Entwicklung der Produktivkräfte diene im Kapitalismus allein der Kapitalverwertung, sei von Ausbeutung, Armut, Krieg und Umweltzerstörung begleitet. Um solchen Sachzwängen zu entgehen, sei ein revolutionärer Bruch nötig. Ein neuer sozialistischer Anlauf müsse sich auf die Erkenntnisse von Marx, Engels und Lenin stützen und die Erfahrungen von 1 91 7 bis 1 9 8 9 analysieren. Politisch bedeute Sozialismus Demokratie, die erstmals wirkliche Volksherrschaft sein werde. In ihr komme den Gewerkschaften als der umfassendsten Klassenorganisationen der Arbeiter und Angestellten aber auch Bürgerinitiativen eine 49 wichtige Rolle zu. Voraussetzung für den Sozialismus sei die Überwindung der Herrschaft der Monopolbourgeoisie durch breite Bündnisse. Der antimonopolitische Kampf mache den Weg zum Sozialismus frei. Der DKP ist es 1997 nicht gelungen, ihren Mitgliederstand gegenüber dem Vorjahr wesentlich zu steigern. Nach eigenen Angaben beruht der geringe Zuwachs auf der Verdoppelung der Mitglieder in den neuen Bundesländern, die der DKP-Vorstand als "Zuwachsgebiet" sieht. Trotz intensiver Werbungsversuche war ein erkennbarer Mitgliederzuwachs 1 997 in der Thüringer Landesorganisation der DKP nicht erkennbar. Die nach wie vor angespannte Finanzlage der Bundespartei konnte durch ein erhöhtes Beitragsund Spendenaufkommen verbessert werden. Die UZ-Spendenkampagne erbrachte den Betrag von 70.000 DM (Stand: November 1997). Anläßlich des KPD-Verbotes (17. August 1956) führte die Partei am 22. Juni in Karlsruhe eine Veranstaltung zum Thema "40 Jahre KPD-Verbot - Gegen politisches Unrecht gestern und heute" durch, auf der der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr sich mit der "Nichtaufarbeitung des Faschismus" in der Bundesrepublik auseinandersetzte. "50 Jahre BRD - 50 Jahre DDR" Größte Veranstaltung der Partei war das 10. UZ-Pressefest vom 29. bis 3 1 . August in Dortmund, sie soll von 40.000 Personen besucht worden sein. 33 Parteien aus vier Kontinenten waren vertreten. In politischen Foren diskutierten die Teilnehmer zu den Themen "Linke Politik" und "50 Jahre BRD - 50 Jahre DDR". An den Bundestagswahlen 1998 will sich die DKP mit eigenen Kandidaten beteiligen. Anfang Januar trafen sich die Vorstände von DKP und PDS in Erfurt zu einem Meinungsaustausch. Beide Parteien vereinbarten die Fortsetzung solcher Gespräche. Neben eigenen internen und öffentlichen Veranstaltungen der DKP, u. a. am 2 1 . November in Erfurt zum Thema "Die Sozialismusvorstellungen der DKP" und "Die DKP und die Bundestagswahl 1 998", beteiligten sich deren Mitglieder und Anhänger an mehreren Veranstaltungen anderer linker Organisationen: * Anläßlich des 78. Jahrestages des Todes von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg fand am 12. Januar in Erfurt eine Gedenkkundgebung statt, auf der der Landesvorsitzende der DKP in seiner Rede die Bundesrepublik Deutschland als "reaktionär faschistisches Deutschland" bezeichnete. * Aus Anlaß des 52. Jahrestages der Befreiung des ehemaligen KZ-Buchenwald fand am 13. April eine Gedenkveranstaltung auf dem Ettersberg statt, und am 16. April gedachten Thüringer DKP-Mitglieder in Buchenwald des Geburtstages von Ernst Thälmann mit einer Gedenkansprache des stellvertretenden Vorsitzenden der DKP-Thüringen. 50 * Die DKP beteiligte sich an der Demonstration "Gegen rechte Gewalt" am 10. Mai in Erfurt und nahm am 24. Mai in Suhl am "5. Medienspektakel" teil. Hier präsentierte sie sich mit einem Informationsstand. 3.3 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Die SDAJ wurde am 5. Mai 1986 in Essen gegründet. Sie ist der DKP eng verbunden und hat z. Zt. etwa 200 Mitglieder bundesweit. Wie aus einem Artikel der UZ vom 28. Februar hervorgeht, gründete sich im Dezember 1996 in Weimar eine Thüringer Landesgruppe. Als Kontaktadresse wird ein Postfach in Hermsdorf angegeben. In dem Artikel heißt es u.a.: "Eine wichtige Aufgabe sehen wir in der Verbreitung der Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus unter den Jugendlichen des Freistaates. Als dringendes Gebot der Zeit erscheint uns eine breite Aktionseinheit aller linken und fortschrittlichen Kräfte gegen Rechtsentwicklung und Sozialabbau von seiten des Kapi- a s ' . position - das Magazin der SDAJ Die SDAJ-Thüringen beteiligte sich an einem linken Bündnis, das zu einer "Demonstration gegen rechte Gewalt" am 10. Mai in Erfurt aufrief und war am 22. Februar in Erfurt an der Gründung eines Landesvorbereitungskomitees für die 14. Weltfestspiele der Jugend vom 28. Juli bis 6. August in Havanna/Kuba beteiligt. 3.4 Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Die MLPD, am 1 8. Juni 1 982 in Bochum gegründet, hat ihren Sitz heute in Gelsenkirchen. In ihren Lehren und ideologischen Positionen bezieht sie sich nicht nur auf Marx, Engels und Lenin, sondern auch auf Stalin und Mao Tse-tung. Vor allem diese maoistische Komponente charakterisiert sie im Vergleich zu weiteren Organisationen. Einen Staat, wie er im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland definiert wird, lehnt die Partei ab. Der "Sturz des Monopolkapitalismus und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft" sind ihre Ziele. Ihren Mitgliederbestand konnte die MLPD gegenüber den Vorjahren auf bundesweit 2.700 ausbauen. In Thüringen gehören ihr etwa 30 Mitglieder an. Nebenorganisationen der Partei sind der Jugendverband Reibe// und die Kinderorganisation Rotfüchse. Die wöchentlich in einer Auflage von 7.500 erscheinende Zeitschrift Rote Fahne ist nach wie vor das zentrale Organ der Partei und die wichtigste ihrer Publikationen. Sie wird im parteieigenen Verlag in Essen hergestellt. Rote Fahne - zentrales Organ Rebell - das Magazin des gleichder MLPD namigen Jugendverbandes der MLPD Die bereits im Jahr 1996 erkennbar gewordenen internen Auseinandersetzungen in der Partei setzten sich auch 1997 fort. Im Politischen Bericht des Zentralkomitees der MLPD vom Januar kündigte die Partei zur Erreichung selbstdefinierter Ziele eine "Konzentration der Organisationsstruktur" an. Die "Phase des Übergangs zur Arbeit auf neuer Grundlage" soll den Aufbau von Kreisen beschleunigen, die bisherige Ortsleitungsebene wird aufgelöst. Als Begründung für diese Umstrukturierung wird die in der Partei vorherrschende "kleinbürgerliche Denkweise" genannt, die "schonungslos bekämpft und zerschlagen" werden müsse. Weiter heißt es in diesem Bericht: "Der Kampf um den Weltfrieden ist Bestandteil und ein Ziel des weltweiten Kampfes zur Befreiung vom Imperialismus, der ohne Einsatz revolutionärer Gewalt nicht erfolgreich sein wird. ... Ob die zunehmenden Kämpfe in einen neuen Aufschwung des Kampfes für nationale und soziale Befreiung münden werden, hängt maßgeblich davon ab, wie es die Marxisten-Leninisten verstehen, diese Kämpfe zu führen als Bestandteil der Vorbereitung der internationalen Revolution." 52 Nach Angaben der Partei soll es nach Abschluß der Umstrukturierung Ende Oktober 1997 neben 25 vorgesehenen Kreisen noch 58 Aufbaugruppen/Stützpunkte bundesweit geben. In den neuen Bundesländern ist die Einrichtung von Kreisen nicht vorgesehen, vermutlich mangels fehlender Mitglieder. Zur Finanzierung ihrer Parteiarbeit und Aktivitäten versucht die Partei einen Kreis von festen Spendern zu organisieren und veröffentlichte dazu in ihrem Zentralorgan entsprechende Kontonummern. Der Parteivorsitzende Stefan Engel wertete das vom 16. bis 18. Mai in Gelsenkirchen durchgeführte 8. Internationale Pfingstjugendtreffen als vollen Erfolg. Nach der Reorganisierung der MLPD bestehe die Hauptaufgabe in der Festigung und Stärkung der Partei, aber auch neue finanzielle Quellen sind erforderlich. Das 4. Sommercamp des Jugendverbandes Rebell fand vom 19. Juli bis 30. August wieder am Plauer See in Mecklenburg-Vorpommern statt. Die Marxisten-Leninisten in Thüringen Die Thüringer MLPD-Mitglieder und Sympathisanten sind in den Ortsbzw. Stützpunkten Eisenach, Sonneberg und Jena organisiert. Eine erhöhte Aktivität dieser Gruppen gegenüber dem Vorjahr war nicht festzustellen, ein Mitgliederzuwachs nicht erkennbar. Ihre Aktionen beschränkten sich auf interne Zusammenkünfte und gelegentliche öffentliche Veranstaltungen. So informierten MLPDMitglieder vor dem Opel-Werk in Eisenach im Juli über den Streik der Opel-Belegschaft in Bochum. In Sonneberg organisierten sie am 1 7. Oktober eine Veranstaltung zum Thema "Solidarität mit dem revolutionären Weg der Befreiung im demokratischen Kongo" und sammelten im November an einem Informationsstand Spenden für die im Kongo herausgegebene Zeitung "Stern von Afrika". Bei einer Demonstration von rund 2.500 Studenten in Jena verteilten MLPD-Mitglieder Flugblätter und verkauften Publikationen des Rebell. 3.5 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Die KPD wurde im Januar 1 990 in Berlin überwiegend von ehemaligen SEDMitgliedern gegründet, deshalb wird sie auch als KPD/Ost bezeichnet. Sie stellt sich in die Tradition der Thälmannschen Partei und sieht sich in der Folge Karl Liebknechts, aber auch Wilhelm Piecks, des ersten und einzigen Präsidenten der DDR. Die ideologische Grundlage dieser Partei liefert der Marxismus-Leninismus, sie will eine kommunistische Gesellschaft aufbauen. Folglich lehnt sie das "undemokratische", "kapitalistische" System der Bundesrepublik ab. Die KPD agierte bisher allein in den neuen Bundesländern, ihre Mitgliederzahl liegt unter 200 (mit sinkender Tendenz), sie spielt im linksextremistischen Spektrum deshalb keine große Rolle. Die Zeitschrift Die Rote Fahne, das zentrale Publikationsorgan der Partei, erscheint monatlich. 53 Die Rote Fahne - Zentralorgan der KPD SS i e *Hote ^ttfjite Zentralorgun der Kommunistischen Partei Deutschlands Erfolgreicher Aufbau des Sozialismus unter Stalin Am 25./26. Januar fand in Berlin der "19. Parteitag" statt. Da sich die Partei als Nachfolgeorganisation der KPD zu Zeiten der Weimarer Republik beruft, bezeichnete sie den stattgefundenen Parteitag bereits als den neunzehnten. Die Delegierten wollen in die politischideologische Offensive gehen. Sie sind bereit, sich in eine kommunistische Aktionseinheit zum antiimperialistischen Widerstand einzufügen. Der Parteitag beschloß * die künftige politische und organisatorische Aufgabe der Leitung und der Mitlieder der Partei * die Thesen "Zur Strategie und Taktik der KPD - Für eine ideologische und politische Offensive im Kampf um die politischen und sozialen Rechte der Arbeiterklasse und aller Werktätigen" * eine Stellungnahme der KPD zur deutsch-tschechischen Erklärung * eine Solidaritätserklärung mit politisch verfolgten Bürgern der BRD * Ergänzungen zu den "Grundsätzen und Zielen" und dem "Statut" der KPD. In geschlossener Sitzung des ZK wurde der neue Parteivorsitzende [Klaus-Peter Schöwitz, Vorsitzender der KPD Thüringen), Stellvertreter sowie das Sekretariat gewählt. Als Schwerpunkt der Arbeit der KPD/Ost wird die Gewinnung von Mitgliedern und Sympathisanten gesehen. In einem Kommunique wurde erklärt, daß das kapitalistische System keine Alternative zum Sozialismus bietet. Der Vorsitzende der KPD/Ost sprach sich in seinem Bericht für eine einheitliche kommunistische Partei bzw. für ein Parteienbündnis aus. Einer der Delegierten berichtete von dem erfolgreichen Aufbau des Sozialismus unter Stalin. Mit Stalins Tod habe der Antikommunismus wieder begonnen. Die Ergebnisse des Sozialismus der DDR und der anderen sozialistischen Länder seien für die Arbeiterklasse und alle Werktätigen das Beste gewesen, was bisher geschaffen wurde. Grußbotschaften von vielen mit der KPD verbundenen Parteien aus Europa, Amerika und Asien seien eingegangen. Die Delegierten der KPD-Landesorganisation Thüringen spendeten 1.000,DM für eine Kuba-Initiative. 54 Gedenkfeier für Ernst Thälmann Am 26. Januar jährte sich der Geburtstag des ehemaligen KPD-Funktionärs Magnus Poser, der 1 944 als antifaschistischer Widerstandskämpfer hingerichtet worden war, zum 90. Mal. Vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Poser in Jena wurde eine Gedenkveranstaltung abgehalten. Ein Mitglied der Kommunistischen Studentenbewegung Jena hielt die Ansprache. Unter den Anwesenden befand sich eine Abordnung der Landesleitung der KPD Thüringen. Mitglieder der KPD Thüringen beteiligten sich oft an Veranstaltungen, zu denen verschiedene linke Parteien und Gruppierungen aufgerufen hatten, so auch an der Kundgebung anläßlich des 52. Jahrestages der Befreiung des ehemaligen KZ Buchenwald am 13. April oder der Gedenkfeier anläßlich des Geburtstages von Ernst Thälmann am 16. April. Bei der Feier zum 1. Mai in Erfurt betrieb die KPD Thüringen einen nicht genehmigten Informationsstand. Auf dem "5. linken Medienspektakel" am 24. Mai in Suhl verteilten Thüringer KPD-Mitglieder an einem Informationsstand ihre Parteimaterialien. Anläßlich des 80. Jahrestages der Oktoberrevolution fand am 25. Oktober in Erfurt eine Gedenkveranstaltung statt, an der etwa 20 Personen teilgenommen haben. Laut Die Rote Fahne Nr. 12/97 nahmen Vertreter der SDAJ, des "Roten Tisches" Ostthüringen, der KPD Gelsenkirchen und der KPD-Landesorganisation Thüringen teil. Das Referat zur Oktoberrevolution hielt der KPD-Vorsitzende von Thüringen, Klaus-Peter Schöwifz. In den Diskussionsbeiträgen sprachen sich die Teilnehmer u. a. dafür aus, den "Roten Tisch" als regelmäßiges Austauschforum zu nutzen, um "aufeinander zuzugehen". Eine weitere Veranstaltung ist für den 18. Februar in Greiz vorgesehen. Am 1. November, zur 7. Tagung des Zentralkomitees, wurde Werner Schleese zum Vorsitzenden des ZK gewählt. Es löste damit Klaus-Peter Schöwifz, der auch KPD-Vorsitzender Thüringens ist, ab. In der sich anschließenden Parteiaktivtagung positionierte sich die Partei zu den kommenden Bundestagswahlen; der neue ZK-Vorsitzende hielt ein Referat "zu grundlegenden Fragen der Parteiarbeit in der Gegenwart und Zukunft". In Zella-Mehlis fand am 2 1 . November das zweite Lesertreffen der Zeitung Die Rote Fahne statt. Die Teilnehmer befaßten sich überwiegend mit der Oktoberrevolution. Dabei wurden die Anwesenden zu einer regen Mitarbeit bei der Gestaltung der Zeitschrift aufgerufen. Die 8. Tagung des ZK der KPD/Ost am 13. Dezember beschloß Festlegungen zur Wahlbeteiligung an Landesund Bundestagswahlen. Klaus-Peter Schöwifz wurde "wegen des systematischen Versuches in der Partei eine andere Linie durchzusetzen und wegen gröblicher Mißachtung des Prinzips des demokratischen Zentralismus sowie Schädigung des Ansehens der KPD, aus dem ZK ausgeschlossen". (Die Rote Fahne 1/98). 55 3.6 Rote Hilfe e.V. (RH) Die "Rote Hilfe e.V." (RH) nimmt kommunistische Traditionen aus den zwanziger Jahren auf. Sie wurde im Jahre 1974 als Vorfeldorganisation der ehemaligen stalinistisch und pro-albanisch ausgerichteten Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPD/ML) gegründet. Heute bezeichnet sich die RH als parteienunabhängig und arbei- > HILFE ^ ^ ^ | tet als Rechtsund Hafthilfeorganisation. Dabei unterstützt sie materiell große Teile des linksextremistischen Spektrums, insbesondere "politische Gefangene" und "politisch Verfolgte". Sie sieht ihre Aufgabe darin, Solida20 Jahre ' ritätsund Antirepressionsarbeit zu leisten. Der RH werden bundesweit etwa STAMMHEIM 3.000 Mitglieder zugerechnet. Sie gliedert sich in etwa 40 Ortsgruppen bzw. Kontaktadressen. Für Erfurt wurde in der Zeitung Die Rote Hilfe nur bis Mitte 1997 eine Post-"fiüli--"" iüir i l Mt""""fai fachadresse angegeben. In Infoläden " TTBWffc MuuMmi^ Im JIMtoffi) "in Lied ~ Gtoskorttn Uusthongrfff" und an Infoständen waren die Szenepublikationen dagegen auch in Publikation des Rote Hilfe e.V. Thüringen erhältlich. 3.7 "Rote Runde Tische" Mitglieder kommunistischer Parteien und Organisationen (KPF, MLPD, KPD, DKP und SDAJ) fanden sich insbesondere im Ostthüringer Raum zu Gesprächen, zu sog. "Roten Runden Tischen" zusammen. Über die Parteigrenzen hinweg wollen die Teilnehmer dieses "Runden Tisches" eine Aktionseinheit schaffen, um politische Veranstaltungen dann gemeinsam durchzuführen. Durch die Zusammenkünfte soll die Zersplitterung des linken Spektrums abgebaut werden, um sich mit vereinigten Kräften "für die sozial Schwachen, die Ausgebeuteten und Unterdrückten" einsetzen zu können. Solche Gespräche finden seit 1996 in unregelmäßigen Abständen statt. 56 4. Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre 4.1 Allgemeines Am Ende der siebziger Jahre bildeten sich insbesondere an Universitäten in den alten Bundesländern erste autonome Gruppen. Heute gibt es Autonome in fast allen größeren Städten. Besonders zahlreich kommen sie in Ballungsgebieten wie Berlin oder dem Rhein-Main-Gebiet vor. Mehr als 6.000 gewaltbereite Personen werden ihnen bundesweit zugerechnet. Der Begriff des "Autonomen", mit dem sie sich selbst kennzeichnen, bedeutet "nach eigenen Gesetzen lebend". Ein "selbstbestimmtes" Leben ohne "Bestimmungen", d. h. auch ohne eigene Gesetze, ist ihr Ziel. Staatliche und gesellschaftliche Zwänge lehnen sie ab. "Keine Macht für niemand!" lautet die Devise. Ihre individuelle Betroffenheit und Befindlichkeit mündet in eine generelle Anti-Haltung. Autonome haben keine festen ideologischen Vorstellungen. Anarchistische Elemente mischen sich in ihren Ansichten mit nihilistischen, sozialrevolutionären, mitunter auch marxistischen Bestandteilen. Ihren Forderungen nach Zerschlagung alles Bestehenden und Hemmenden kann aufgrund des ausgeprägten Individualismus nicht der Wunsch nach Revolutionierung und Verbesserung der Gesellschaft folgen. Revolte, nicht Revolution heißt ihre Devise. Verschiedene Schwerpunktthemen, die in Intensität und Bedeutung wechseln, bilden die Grundlage der Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene: Antifaschismus, Antirassismus, Dritte-Welt-Problematik, "HäuserkampP'/Umstrukturierung von Wohnvierteln, Widerstand gegen das Ausländerund Asylrecht, Anti-Atomkraft-Bewegung, insbesondere Castor-Transporte. Die Formen, in denen man sich mit den genannten Themen auseinandersetzt, sind vielfältig, friedlich oder gewalttätig - Diskussionen, Vortragsveranstaltungen, Demonstrationen, Straßenkrawalle und Militanz gehören dazu. Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen wird dabei nicht mehr so eng getrennt wie ehedem. Beide werden oftmals als notwendig angesehen. Polizisten bieten sich als Repräsentanten staatlicher Macht als Ziel ebenso an wie die in Listen erfaßten vermeintlichen oder tatsächlichen "Faschisten". Fest strukturierte, auf Dauer angelegte und übergreifende Organisationsformen widersprechen ihrem Grundverständnis. So sind es meist kleine, unverbindliche, lokal begrenzte, dezentrale Personenzusammenschlüsse, in denen sie sich zusammenfinden. Daß die Wirkungsmöglichkeiten derartiger Gruppen schon allein wegen ihres niedrigen Organisationsniveaus begrenzt sind, führt gelegentlich zu Versuchen, übergreifende Organisationsformen zu finden. Vor allem das Aktionsthema "Antifaschismus" bietet hier integrative Möglichkeiten. Das Anfang der neunziger Jahre aufgekommene Thema ist inzwischen 57 weithin akzeptiert und gehört derzeit zu den wichtigsten. Dabei reduziert sich das linksextremistische Antifaschismusverständnis nicht auf die heute aktuellen Traditionslinien von Nationalsozialismus und Faschismus. Es schließt die "Auseinandersetzung mit dem imperialistischen System" ein, das als Fortsetzung und Modifikation des Dritten Reiches gilt. So schlössen sich bundesweit 1992 zahlreiche Gruppen in der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) zusammen. Isolierung, regionale Begrenztheit des Aktionsradius und zahlenmäßige Schwäche sollten so überwunden werden. Doch das Vorhaben - vom Ansatz in sich widersprüchlich - ist mit den Grundlagen autonomen Selbstverständnisses unvereinbar. Die Geschlossenheit und straffe Organisation der übergreifenden Formation boten folglich bald Anlaß zu Kritik. Die AA/BO ist in der autonomen Szene nicht unumstritten. Absprachen zwischen den Gruppen sind in der Regel informeller Natur. Vor allem über neue elektronische Medien (Mailboxen, Infotelefone) kommunizieren sie in letzter Zeit verstärkt. Aber auch herkömmliche Formen werden nach wie vor intensiv genutzt. So erscheinen bundesweit weiterhin etwa 30 Szeneblätter, die z. T. konspirativ verbreitet werden. Durch ihre überregionale Ausstrahlung gehört die wöchentlich in Berlin erscheinende Zeitschrift INTERIM zu den bedeutendsten. Als Anlaufpunkte für die gesamte Szene und Interessenten sind sogenannte Infoläden von enormer Bedeutung. In ihnen werden linksextremistische Schriften und Flugblätter vertrieben. Plakate und Aushänge informieren über aktuelle Aktivitäten und geplante Aktionen. Ausgelegte Literatur, u. U. kleine Bibliotheken, sind für jedermann nutzbar. Räumlichkeiten zur Vorbereitung von Aktionen und Demos sind vorhanden, ein Austausch auch mit Angehörigen des linken SpekPublikation des Interim e.V. Berlin trums ist möglich. 58 4.2 Antifaschistische Organisation/Bundesweite Organisation (AA/BO) Die militante Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) gründete sich 1992 unter maßgeblicher Beteiligung der Göttinger Autonomen Antifa (M) mit dem Ziel einer stärkeren Vernetzung und bundesweiten Organisierung des "revolutionären Widerstands". 1997 gehörten der AA/BO elf Gruppen an: * Antifa Bonn/Rhein-Sieg * Antifaschistische Aktion Berlin * Antifaschistische Aktion Passau * Antifaschistische Gruppe Hamburg * Antifaschistisches Plenum Jugend/Antifa-Aktion, Braunschweig * Autonome Antifa Heidelberg * Autonome Antifa (M), Göttingen * Autonome Antifa Weser/Ems * Rote Antifaschistische Initiative, Berlin * Rote Antifa Nürnberg * Unabhängige Antifa Bielefeld. Die AA/BO stellt sich als Sammlungsbewegung und Gegenpol zur Zersplitterung der Linken dar und propagiert offensiv den Widerstand gegen das "bestehende Herrschaftssystem": "Eine antifaschistische, freie Gesellschaft kann nur entstehen, wenn das System mit all seinen Übeln gekippt wird. Denn für alles Reaktionäre gilt, daß es nicht fällt, wenn es nicht niedergerissen wird." Sie betreibt Programm-, Schulungsund Medienarbeit und führt regelmäßig Delegiertentreffen der Mitgliedsgruppen durch. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Gewinnung neuer Anhänger unter Schülern und Jugendlichen. Hauptaktionsfeld der AA/BO ist der "Antifaschismus", wobei der Kampf gegen Faschismus als Kampf gegen das imperialistische System verstanden wird. Mitgliedsgruppen der AA/BO betonen die Notwendigkeit, den "Nazis" direkt entgegenzutreten, ihre Strukturen und Treffpunkte anzugreifen. Des weiteren führen sie ihren Kampf auch gegen Teile der Bevölkerung, die den rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien angeblich die gesellschaftliche Akzeptanz verleihen. In einem Werbeblatt der AA/BO aus dem Jahr 1997 heißt es hierzu u. a.: "Mit der Antifaschistischen Aktion/Bundesweiten Organisation wollen wir den Faschisten organisiert entgegentreten. Wir gehen offensiv gegen Drahtzieher und Ideologen des Nazi-Terrors vor. Faschistische Täterinnen haben Namen und Adressen!" Weiterhin wird ausgeführt: "... Große Teile der Bevölkerung stehen rassistischen Pogromen, faschistischen Anschlägen und nationalsozialistischen Ideen gleichgültig oder wohlwollend gegenüber. Deshalb gilt unser Kampf auch all denen, die den Nazis die gesellschaftliche Akzeptanz verleihen: Bürgerliche Politiker, die Migrantinnen als 'Ratten'... bezeichnen, Gewerkschaftsfunktionäre, die die Nazi-Parole 'Arbeit zuerst für Deutsche' aufgreifen ..., Medien, die mit Berichterstattung über 'Ausländerkriminalität' und 'Terrorkurden' Flüchtlinge ausgrenzen. Sie sind die gesellschaftlichen Drahtzieher, die mit Anzug und Krawatte reaktionäre und faschistische Tendenzen billigen, aufgreifen, begünstigen, vorantreiben und letztlich in Gesetze gießen." In Thüringen hatte sich 1 993 vorübergehend eine Suhler Gruppe unter der Bezeichnung Schwarzer Ast Südthüringen der A A / B O angeschlossen. Außerdem waren Mitgliedsgruppen der AA/BO an der Mobilisierung und Durchführung der verbotenen Antifa-Demonstration am 11. Oktober in Saalfeld beteiligt. Einer Einschätzung der Antifaschistischen Aktion Berlin, abgedruckt in der Szeneschrift INTERIM Nr. 439 vom 11. Dezember, zufolge, sollen bundesweit ca. 3.000 Antifas auf den Beinen gewesen sein, um in Saalfeld eine starke antifaschistische Demonstration durchzuführen. 4.3 Bundesweite Aktionen Im Jahr 1 997 wurden von Angehörigen der autonomen Gruppen im Bundesgebiet zahlreiche Aktionen und Anschläge verübt, bei denen ein erheblicher Sachschaden entstand. Im Mittelpunkt der Aktivitäten standen Widerstandshandlungen gegen die GastorTransporte und die z.T. tätliche Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, bei denen es zu Körperverletzungen unter den Beteiligten kam. Zu alljährlichen, teilweise von Rechtsextremisten durchgeführten Veranstaltungen mobilisierte die Szene Gegenveranstaltungen. Die von einem breiten Linksbündnis geplante Demonstration am 11. Oktober in Saalfeld/Thüringen zum Thema "Kein Nazizentrum Piakot gegen den Castor-Transport 60 in Saalfeld! Den rechten Konsens durchbrechen!" sollte unter maßgeblicher Beteiligung autonomer Gruppen aus dem Bundesgebiet stattfinden, wurde jedoch verboten. Die Aktivitäten gegen die Castor-Transporte setzten sich auch 1997 fort. Im Vorfeld der Transporte riefen militante autonome Gruppen bundesweit zu Behinderungsaktionen auf und propagierten auch gewalttätige Aktionen. Anläßlich des Transports des Castor-Behälters vom 3. bis 5. März von Baden-Württemberg nach Niedersachsen kam es zu Blockadeaktionen, Schienenbesetzungen, Ankettungsaktionen und zu Versuchen, den Schienenstrang zu unterhöhlen. Es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei, zahlreichen Festnahmen und zu Verletzten auf beiden Seiten. Die Anti-Atomkraftgegner beschlossen auf ihren Tagungen im Mai in Münster/Württemberg und im Oktober in Göttingen die Fortsetzung des "Anti-AKWPluralismus". Die Veranstaltungen standen unter dem Motto "Mehrgleisig gegen den Strom". Die Teilnehmer sprachen sich für ein Nebeneinander verschiedener Aktionsformen aus. Dabei seien alle Aktionen legitim, die keine Menschen gefährdeten. Weiterhin waren folgende Aktionen/Demonstrationen bedeutungsvoll: Aktionen gegen den G7-Gipfel in Berlin und gegen Siemens Mit Brandanschlägen und Demonstrationszügen protestierten Linksextremisten gegen die Siemens AG und das Treffen der G7 Staaten am 8. Februar in Berlin. In der Nacht zum 5. Februar setzten Unbekannte in Berlin-Neukölln und BerlinSpandau Firmenfahrzeuge der Siemens AG in Brand. Es entstand erheblicher Sachschaden. Eine Gruppe mit der Aktionsbezeichnung "Umherschweifende Nachtschwärmerinnen" bezichtigte sich der Tat. An der Protestdemo gegen das Treffen der Finanzminister und Notenbankchefs der G7 Staaten in den Mittagsstunden des 8. Februar beteiligten sich etwa 350 (zum Teil vermummte) Personen. Der Aufzug verlief weitgehend friedlich. Zum Abschluß forderten die Veranstalter dazu auf, sich in die am Nachmittag geplante Demonstration gegen den Siemens Konzern einzureihen. Sie führten Losungen mit sich wie "Siemens ist der bedeutendste Träger des Atomprogramms der BRD" oder "Kampf gegen Siemens heißt Kampf gegen Kapitalismus, Patriarchat und Rassismen!" Dem Aufruf gewaltbereiter Linksextremisten zu der Demonstration "Siemens abschalten" folgten mehr als 2.500 Personen. Während des Aufzuges wurden vereinzelt Feuerwerkskörper gezündet. Ebenso waren Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen zu verzeichnen. Die Polizeipräsenz konnte größere Ausschreitungen im Ansatz verhindern. Mehr als 20 Personen wurden vorläufig festgenommen. 61 Auseinandersetzung anläßlich des geplanten Aufzuges der Jungen Nationaldemokraten (JN) in Berlin-Hellersdorf Der JN-Landesverband Berlin/Brandenburg hatte für den 15. Februar zu einem Aufzug unter dem Motto "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" mit anschließender Kundgebung aufgerufen. Militante Linksextremisten riefen zu Protestaktionen auf: "Den Naziaufmarsch mit allen möglichen Mitteln verhindern!" Die JN sagte daraufhin den geplanten Aufzug ab und setzte statt dessen eine geschlossene Versammlung in einer Gaststätte an. Bereits im Vorfeld demonstrierten ca. 1.500 Personen gegen Neofaschismus und Rassismus. Initiiert wurde die Gegenveranstaltung von einem antifaschistisch demokratischen Bündnis zur Verhinderung des Naziaufmarsches. Im Anschluß an die Kundgebung begaben sich die Teilnehmer sowie die Besucher einer Alternatiweranstaltung des Berliner antifaschistischen Bündnisses - laut Presseangaben 350 Personen - zum S- und U-Bahnhof Wuhletal. Dort wurden ca. 30 Rechtsextremisten, die gerade ankamen, mit Flaschen und Steinen attackiert. Nur unter Einsatz starker Kräfte gelang es der Polizei, die Auseinandersetzungen zu beenden. 14 Beamte wurden dabei verletzt. Insgesamt nahm die Polizei 104 Personen vorläufig fest. Drei Festgenommene wurden dem Haftrichter wegen schweren Landfriedensbruchs vorgeführt. Aktionen gegen den Hans-Müstermann-Gedenkmarsch Anlaß der Aktionen in der militanten linksextremistsichen Szene war der seit 1993 stattfindende Hans-Müstermann-Gedenkmarsch in Aschaffenburg. Er hatte sich zum größten Aufmarsch der Neonazi-Szene in Deutschland entwickelt. Die Anmeldung für die diesjährige Demonstration zogen die Veranstalter zurück. Die geplante Ersatzveranstaltung - eine Anti-Antifa-Demo - wurde von der Stadt verboten. An der Gegenveranstaltung, einer Demonstration des Bündnisses gegen Rechts, beteiligten sich 1.500 bis 2.000 Menschen. Unter ihnen befanden sich vor allem Autonome und Punks, die aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Während der Abschlußkundgebung zog ein Teil des militanten AntifaBereichs in Richtung Hauptbahnhof. Dort sollten sich rechte Gruppierungen aufhalten. Es kam zu Sachbeschädigungen. Mehrere Tatverdächtige wurden festgenommen. Der "revolutionäre 1. Mai" Der "revolutionäre 1. Mai" in Berlin war von Anschlägen und Ausschreitungen linksextremistischer Gewalttäter begleitet. Bereits in der Nacht zum 30. April verübten Unbekannte in mehreren Berliner Bezirken sieben Brandanschläge auf zum Teil hochwertige Fahrzeuge. 18 Pkw wurden erheblich beschädigt. Zu den 62 Anschlägen ging bei der dpa Berlin eine Taterklärung ein. Darin drohten die unbekannten Verfasser unter der Überschrift "Revolutionärer 1. Mai - Wagensport ist auch dabei": "Wenn das erstmal Alltag wird, ist es aus mit der Hauptstadt." In der Nacht zum 1. Mai lieferten sich im Bezirk Prenzlauer Berg Kleingruppen aus der autonomen Szene Auseinandersetzungen mit der Polizei. Außerdem kam es zu Sachbeschädigungen an Pkw und zu Brandanschlägen auf Bauwagen. Während des Aufzuges, der von "traditionellen" Autonomen und Gruppen aus dem Einflußbereich der militanten Antifaschistischen Aktion Berlin (AAB) organisiert wurde (ca. 6.500 Demonstranten), kam es zu Ausschreitungen gegen Polizeibeamte. Steine und Flaschen wurden dabei geworfen. Zum Schluß des Marsches wurden Straßensperren errichtet und Pkw beschädigt. Die Ausschreitungen setzten sich in den Abendstunden in den Bezirken Kreuzburg und Prenzlauer Berg fort. Mehr als 330 Personen wurden vorläufig festgenommen - u. a. wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung, versuchter Gefangenenbefreiung und Vermummung. Seit Bekanntwerden des Vorhabens von NPD und JN, am 1. Mai in Leipzig eine Großdemonstration durchzuführen, liefen Vorbereitungen, diese Veranstaltung zu stören bzw. zu verhindern. Trotz des Verbotes der Demonstration reisten Linksextremisten - wenn auch in geringer Zahl - nach Leipzig an. Bereits am Nachmittag des 30. April besetzten sechs Personen die oberste Etage des Völkerschlachtdenkmals. Die Besetzung wurde nach kurzer Zeit von Polizeikräften beendet. In den frühen Morgenstunden des 1. Mai hatten unbekannte Täter in BerlinKöpenick und Berlin-Zehlendorf drei Hakenkrallen an Bahnoberleitungen angebracht. An den Tatorten wurden Blätter hinterlassen, auf denen es hieß: "Heute keine Züge nach Leipzig verhindern den Naziaufmarsch! Autonome". Die vom "Organisationsbüro Ostermarsch e.V." angemeldete "Bündnisdemonstration" mit 3.000 Personen von der Karl-Liebknecht-Straße/Ecke KurtEisner-Straße zum Sachsenplatz verlief friedlich. Nach der Demonstration bewegten sich sowohl Linksals auch Rechtsextremisten in Richtung Völkerschlachtdenkmal, dabei wurden ca. 150 Autonome von der Polizei abgefangen. Es kam wiederum zu Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und Polizeikräften. Protestaktionen zum Tag der Deutschen Einheit Die offiziellen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit fanden in diesem Jahr in Stuttgart statt. Autonome Antifa-Gruppen aus Baden-Württemberg, die dem "Linksradikalen Bündnis 3. Oktober" angehören, riefen mit einer bundesweit verbreiteten Flugschrift "Gegen Großmachtpolitik, Sozialabbau und politische Repression - Den nationalen Konsens sprengen! - Die klassenlose Gesell- schaff erkämpfen!" zur Teilnahme an einer Protestdemonstration gegen die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit in Stuttgart auf. Im Vorfeld der angemeldeten Demonstration konnten aber durch starke Polizeipräsenz Versammlungsteilnehmer aus dem gewaltbereiten linksradikalen Spektrum festgestellt, Tatverdächtige vorläufig festgenommen und Schutzwaffen sichergestellt werden. Insgesamt wurden 33 Personen aus Baden-Württemberg, Rheinlan d-Pfalz, Hamb urg und Niedersachsen u. a. wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz festgenommen. An der Demonstration des "Bündnis 3. Oktober" nahmen ca. 1.200 Personen des linken Spektrums teil. Darunter befand sich auch ein Block der verbotenen PKK. Unter dem Motto "Das Volk lacht das Militär aus!" rief das Antimilitärische Oberjubel-K.O.M.I.T.E.E. (kurz: AMOK) zum 2. AMOK-Lauf am 3. Oktober in Berlin auf. Unterstützt wurde die Initiative von etwa 200 Organisationen und Einzelpersonen. Bereits für den 2. Oktober plante AMOK einen Umzug "Gespenster des Militarismus" durch das Brandenburger Tor. In Berlin brannten ca. 15 Autonome einen Supermarkt nieder und beschädigten eine Vielzahl von Fahrzeugen mit Baseballschlägern und Molotowcocktails. Bereits am Vorabend des Feiertages kam es in Berlin zu Ausschreitungen mutmaßlich linksextremistischer Gewalttäter und Sachbeschädigungen an mehreren Kraftfahrzeugen. Aktionen gegen die Weltausstellung Expo 2000 In der Nacht zum 20. November hatten unbekannte Täter auf dem Gelände der Weltausstellung Expo 2000 Brandsätze unter drei Baufahrzeuge gelegt und gezündet. An zwei Muldenkippern entstand Sachschaden durch Feuer. Der dritte Brandsatz, der an einem Schaufelbagger abgelegt worden war, funktionierte nicht vollständig und erlosch. Beim dpa-Büro in Hannover ging ein zweiseitiges Selbstbezichtigungsschreiben zu diesem Anschlag ein. Es beginnt mit der Drohung "Es sind noch 926 Nächte bis zur Expo" und endet mit "Autonome Gruppen". Bei einem Brandanschlag auf dem Gelände des Baustellendepos einer Firma, die mit Bauarbeiten im Rahmen des Expo 2000 betraut ist, wurden ein Bagger und zwei Radlader schwer beschädigt. Der Sachschaden beträgt mindestens 250.000 DM. 4.4 Die autonome Szene in Thüringen Der autonomen Szene Thüringen werden etwa 250 bis 300 Personen zugerechnet, von denen etwa 150 als gewaltbereit anzusehen sind. Regionale Schwerpunkte sind die Gebiete Altenburg, Erfurt, Gera, Jena und insbesondere Saalfeld/Rudolstadt. 64 Die Aktivitäten Thüringer autonomer Gruppen zeigten sich vor allem in den gewalttätigen Auseinandersetzungen mit rechtsextremistischen Personen und Organisationen, bei denen es wiederholt zu Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Landfriedensbrüchen kam. Festere Organisationsbestrebungen des autonomen Spektrums entwickelten sich nicht - die Gruppen traten mit eigenen Veranstaltungen und Plakataktionen zu unterschiedlichen Themen in Erscheinung, bei denen die "Antifaschismus-Aktivitäten" einen breiten Raum einnahmen. Aber auch die bundesweite "Anti-AKW-Bewegung", die Gastor-Transporte sowie thüringenbezogene Projekte wie zum Beispiel der Ausbau der Waldautobahn und der ICE-Bahntrasse gaben Anlaß zu Widerstandsaktionen. Infoläden, Szenelokale aber auch Wohnungen dienen den örtlichen Gruppen als Kontaktund Anlaufstellen. Überregionale Publikationen, Flugblätter und Plakataufrufe weisen auf örtliche und bundesweite Aktionsvorhaben hin und vermitteln neue Kontaktadressen. Die für den 11. Oktober in Saalfeld von einem breiten Linksbündnis geplante, aber verbotene Demonstration unter dem Motto "Kein Nazizentrum in Saalfeld! Den rechten Konsens durchbrechen!" fand bundesweite Beachtung und Unterstützung. An der Vorbereitung waren Autonome u. a. aus den Bundesländern Bayern, Niedersachsen, Sachsen und Berlin beteiligt. Diese mehrmonatige Vorbereitungsphase führte zu neuen, überregionalen Kontakten der Thüringer Szene. 4.5 Aktionen autonomer Gruppen in Thüringen Auseinandersetzungen um die verbotene Demonstration in Saalfeld am 11. Oktober Der Raum Saalfeld/Rudolstadt bildet nach wie vor den Schwerpunkt linksextremistischer Gewalttätigkeiten. Mehr als 100 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 15 bis 26 Jahren gehören zum Umfeld der dortigen Szene. Den aktiven Kern bilden 30 bis 40 Personen. Die meisten aus dieser Gruppe treten seit 1995 in Erscheinung. Die Szene selbst - seit 1991 aktiv - beschäftigte sich bisher vornehmlich mit spontanen Gewaltaktionen, Ausschreitungen gegen mutmaßliche oder tatsächliche "Rechte" und gegen einschreitende Polizeikräfte. Hausbesetzungen und Demonstrationen mit z. T. hohen Personenund Sachschäden sind ein weiteres Betätigungsfeld. Ein beträchtlicher Teil der Jugendlichen tritt auch mit allgemein kriminellen Delikten wie beispielsweise Diebstahl in Erscheinung. Für den 11. Oktober entwickelte die linksextremistische Szene unter der Losung "Kein Nazizentrum Saalfeld!" das Konzept eines Aufmarsches im Raum Saalfeld/Rudolstadt. Diese Initiative der Antifa Saalfeld/Rudolstadt fand bundesweit Widerhall. 65 Den Stein des Anstoßes für die linke Szene hatte die Forderung der Rechten nach einem Nationalen Jugendzentrum in Saalfeld geliefert. Das bereits vorhandene Stadtteilund Jugendzentrum Gorndorf besuchten auch rechte Jugendliche. Dieses wurde in der Interpretation linksextremistischer Aktivisten dann als "Hochburg faschistischer Aktivitäten" bezeichnet. Nach einem Leserbrief in der örtlichen Presse handelt es sich bei dem erwähnten Objekt keinesfalls Rechten r 1-1*5 um ein Zentrum der Rechten. So schreibt ein Mitglied einer Roll- I ff | f stuhlfahrergruppe, daß es sich Konsens brechen! | i | f f DEMO fit II dort regelmäßig mit anderen Behinderten treffe und noch nie von Rechten belästigt worden sei. Die für den 11. Oktober geplante Demonstration sollte unter dem Motto stehen "Kein Nazizentrum Saalfeld! Den rechten Konsens durchbrechen! Faschistische Strukturen aufdecken und zeruofcmfc schlagen!" Durch Flugblätter, in SzeneBahnhof Saalfeld, Ihürim schriften etc. wurde bundesweit bereits seit Ende August zur TeilRECHTE GEWALT nahme mobilisiert. Unterstützt wurde der Aufruf von mehr als 30 antifaschistischen und antirassistischen Initiativen aus GewerkAufruf zur Demonstration in Saalfeld den rechten Konsens durchbrechen kein n a z i z e n t r u m in s a a l f e l d ! Plakat für die Demonstration in Saalfeld 66 Schaftsorganisationen, PDS, Bund der Antifaschistinnen (BdA), autonomen Gruppierungen aus Thüringen und dem gesamten Bundesgebiet, insbesondere Gruppierungen der militanten Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), die eigenständige Mobilisierungsaktionen durchführte. Die Vorbereitungen wurden bewußt zweigleisig betrieben, da es den Initiatoren darauf ankam, sowohl die Gewalttäterszene als auch "normale Antifaschisten" zu mobilisieren. Es kam sogar zu mindestens einem Treffen der Veranstalter und Gegenveranstalter in Erfurt. Hieran waren ein Vertreter der LAG AntiFa/Antirassismus Thüringen und der Neonazi Thomas Dienel beteiligt. Sie machten später, als die Angelegenheit öffentlich bekanntwurde, unterschiedliche Angaben. In der Szene selbst sorgten die Nachrichten hierüber für Verunsicherung und Kritik. Mit Blick auf die beabsichtigten Randale wurde die Veranstaltung verboten; die Verbotsverfügung wurde durch Beschluß des Verwaltungsgerichtes Gera bestätigt. Trotzdem stellten sich die Sicherheitsbehörden auf die Anreise von Gewalttätern ein. Nach vorliegenden Erkenntnissen war mit der Anreise von gewaltbereiten Personen der linksextremistischen Szene aus dem gesamten Bundesgebiet nach Saalfeld zu rechnen. So sollten u. a. aus Hamburger und Berliner Raum, Sachsen (Leipzig, Ostsachsen), Bayern (Nürnberg, Erlangen, Fürth) und Göttingen insgesamt ca. 15 Busse und private Pkw mit bis zu 700 Personen anreisen. Der Polizei wurde am Mittag des 11. Oktober bekannt, daß auf dem Autobahnrastplatz Osterfelde sieben Reisebusse aus den Bereichen Berlin, Hamburg und Nürnberg stehen. Auf der A9 kam es in der Nähe Eisenbergs zu einer Autobahnblockade, beide Fahrspuren wurden blockiert, ein Aufzug formierte sich, Plakate wurden entrollt. Diese Personengruppe wurde vorläufig festgenommen. Gegen alle 304 Beteiligten wurden Ermittlungsverfahren wegen Nötigung sowie wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet. Trotz der Verbotsverfügung kamen bereits in der Nacht vom 10. zum 11. Oktober Personen in den Raum Saalfeld/Rudolstadt, um an den verbotenen Demonstrationen der linken und rechten Szene teilzunehmen. Diese führten teilweise Schlagstöcke, Reizgas und Messer bei sich. So wurden bereits in den Nachtund frühen Morgenstunden insgesamt 91 Personen aus beiden politischen Lagern vorläufig festgenommen. Im Laufe des 11. Oktober reisten weitere, zum Teil gewaltbereite Personen sowohl der rechten als auch der linken Gruppierungen an. Im Rahmen dieser Kontrollen wurden gegen insgesamt 186 Personen freiheitsentziehende Maßnahmen durchgeführt. Bei 52 Personen wurde durch den zuständigen Richter der Unterbindungsgewahrsam bis Montag früh angeordnet. Außerdem wurden zwei beschleunigte Strafverfahren durchgeführt und abgeschlossen. Drei Verfahren wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz und ein Verfahren wegen Verstoßes gegen SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) wurden ebenfalls eingeleitet. Gegen 148 kontrollierte Personen (sowohl der linken als auch der rechten Szene aus Thüringen, Sachsen, SachsenAnhalt, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Schleswig-Holstein, NordrheinWestfalen, Niedersachsen und Hamburg) wurden Platzverweise und Betretungsverbote ausgesprochen. In den Innenstädten von Jena und Erfurt kam es am Nachmittag des 11. Oktober zu Aufzügen der linken Szene mit ca. 50 bzw. 200 Jugendlichen. Diese verliefen weitgehend friedlich. Verteilt wurden u.a. Flugblätter mit der Aufschrift "Was früher die Gestapo, ist heute das BKA" und "Rechtshilfeinfo zur AntifaDemo in Saalfeld". In Jena beteiligten sich auch Jugendliche aus dem Raum Weimar und Saalfeld. Hier kam es zu einer Körperverletzung an einem Unbeteiligten aus dem Demo-Zug heraus. Die mit bundesweiter Unterstützung vorbereitete geplante Demonstration in Saalfeld hat gezeigt, daß linksextremistisch beeinflußte Gruppen bereit und in der Lage sind, bei besonderen Anlässen bis zu mehreren tausend Demonstranten zu mobilisieren. Die Werbekampagne der autonomen Szene Saalfelds in Berlin und in Teilen des Bundesgebietes sowie die Veröffentlichung des Aufrufes zur Demonstration in überregionalen Szeneschriften hat zu erheblichen Mobilisierungsmaßnahmen geführt, in die ein nicht geringer Anteil gewaltbereiter Personen eingebunden war. Die unterbundene Veranstaltung und die Konsequenz des Polizeieinsatzes wurden in den folgenden Wochen bundesweit diskutiert. Die Szene war verunsichert und unternahm mehrere, dann aber nicht realisierte Versuche, erneut in Saalfeld öffentlich aufzutreten. Ihr ist klar, daß sie bei der Bevölkerung im Raum Saalfeld/Rudolstadt auch in Zukunft nicht mit Unterstützung rechnen kann. Auf mehreren "Nachbereitungstreffen" kündigten die Initiatoren der verbotenen Demonstration an, im Frühjahr 1998 erneut eine Demonstration durchführen zu wollen. Aktionen gegen die Thüringer-Wald-Autobahn Die Thüringer-Wald-Autobahn soll Erfurt und Schweinfurt miteinander verbinden. Vom 1. bis zum 3. Februar wurden insgesamt 1 3 Baufahrzeuge auf der Baustelle des zukünftigen Tunnelabschnittes der Thüringer-Wald-Autobahn, im Bereich der Gemeinde Branchewinda, 99310 Wipfratal, Umkreis, beschädigt. Unbekannte Täter bohrten in die Seitenflanken von Spezialreifen Löcher in die Reifen. Insgesamt wurden 78 Reifen zerstört. In der Zeit vom 6. bis zum 8. Juni durchbohrten unbekannte Täter an sieben Baufahrzeugen mehrere Fahrzeugreifen und zerschlugen an zwei Fahrzeugen Scheiben und Lichtanlagen. Die Fahrzeuge befanden sich auf der nicht abgesicherten Baustelle des zukünftigen Autobahnkreuzes im Bereich der Molsdorfer Senke. 68 Am 15. August demonstrierten ca. 30 bis 40 Jugendliche, die sich selbst als Waldpiratlnnen bezeichnen, gegen den Bau der Thüringer-Wald-Autobahn im Waldstück "Schneidersgrund" bei Zella-Mehlis. Sie versuchten dort, auf den Bäumen Plattformen zu errichten und Netze, Laufseilbrücken zu spannen. Den Baumbesetzern wurde am 1 7. August durch Polizeikräfte ein Platzverweis erteilt. Die Mehrzahl verließ die Örtlichkeit nach mehrmaliger Aufforderung und der Androhung der polizeilichen Räumung. 14 Jugendliche setzten die Besetzungsaktion fort. Die Baumbesetzungsaktion endete am 23. August, nachdem die Beteiligten an den vorangegangenen Tagen nacheinander die Plattformen verließen. Am 26. August kam es erneut zu einer Besetzungsaktion der "Waldpiratlnnen". An der Autobahnbaustelle im Bereich Zella-Mehlis Steinatalbrücke - A71 - ketteten sich an drei Baukränen jeweils drei Personen an. Durch Polizeikräfte konnten die Personen zum Verlassen der Kräne bewegt werden. Anti-Atomkraft-Bewegung Thüringen Im Juli 1996 gründete sich das Anti-Atom-Plenum Thüringen. Es versteht sich als ein undogmatisches Bündnis aus Vertreterinnen von Parteien, Organisationen und einzelnen Menschen ohne formale Mitgliedschaft. Das Anti-Atom-Plenum Thüringen betrachtet sich selbst als Teil einer außerparlamentarischen Opposition. Das Ungleichgewicht der Kräfte zwischen Atomlobby und Anti-AKW-Bewegung lasse eine faire parlamentarische oder juristische Auseinandersetzung nicht zu. So äußerte die Aktionsgruppe Arnstadt, daß sie "den Protest gegen die Atompolitik der Herrschenden nicht als isoliertes Thema" betrachte, sondern ihren "Widerstand u. a. mit einer Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem und am fortschreitenden Demokratieabbau" verbinde. Am 20. Februar fand in Jena ein "öffentliches Schienensägen" statt. Die Protestaktion gegen Atommülltransporte wurde von der Jugend-, Aktionsund Projektwerkstatt (JAPS) initiiert. Auf einem Flugblatt (Herausgeber Anti-Atom-Plenum Thüringen) bewerteten die Veranstalter diese Aktion als "symbolisch". Sie wollen damit zeigen: "Wenn alles legale Wehren nichts hilft, lassen wir uns trotzdem nicht einschüchtern und zum Aufgeben zwingen ..,!" Am 1. März fand in Erfurt eine Demonstration gegen Atomenergie und Castor-Transporte statt. Initiiert wurde sie vom Anti-Atom-Plenum Thüringen, unterstützt vom Bündnis 90/Die Grünen. Anmelder der Veranstaltung war der "Ran e.V. - DGB Jugend" Erfurt. Die Demo führte vom Fischmarkt bis zum Bahnhofsvorplatz vorbei an der Siemensvertretung in Erfurt. Hier fand eine Zwischenkundgebung zum Thema "Siemens und das Atomgeschäft" statt. Kritisiert wurden das Engagement des Konzerns für die Atomenergie und indirekt die deutsche Bundesbahn, welche die Transporte durchführt. Ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie wurde gefordert. Zusätzlich verteilten die Veranstalter folgende 69 Flugschrift: "Die Bullen sind in Gorleben - das CHAOS kommt nach JENA". An der Aktion beteiligten sich ca. 250 bis 300 Personen, vorwiegend Jugendliche aus Weimar, Arnstadt, Jena und Erfurt. Laut Presseangaben beteiligten sich ca. 150 Thüringer Jugendliche an den Aktionen gegen den Castor-Transport Anfang März im Wendland. In allen Lagern sollen Thüringer vertreten gewesen sein. Bislang konnten mehrere Personen aus ganz Thüringen im Zusammenhang mit den Störaktionen gegen den CastorTransport festgestellt werden. Aktionen gegen den Burschenschaftstag in Jena Vom 22. bis 25. Mai führte die Deutsche Burschenschaft in Jena ihren Buschenschaftstag 1 997 durch. Höhepunkt der Veranstaltung war der Fackelzug am 24. Mai in der Innenstadt. Am 22. Mai griffen zehn bis zwölf Personen eine Gruppe Burschenschaftler im Stadtzentrum tätlich an und raubten Burschenschaftsutensilien. Die Täter konnten entkommen. Zwei Tage später wurde das Objekt der Burschenschaft "Arminia" mit Steinen beworfen. Unbekannte Täter bewarfen den angemieteten Reisebus der Burschenschaft mit Eiern und zerstachen den rechten Vorderreifen. Ca. 50 Personen des linken Spektrums versuchten, eine Protestveranstaltung vor dem Hotel "Esplanade" durchzuführen. Durch Polizeipräsenz konnten Störungen verhindert werden. Starke Polizeikräfte begleiteten den Fackelzug. Aus der Gegenrichtung näherten sich 150 bis 200 Personen der linken Szene. Übergriffe fanden jedoch nicht statt. Bereits im Vorfeld des Fackelzuges wurden 17 Personen der linken Szene in Unterbindungsgewahrsam genommen. Monrag, 21. Juli 1991 Antifa-Workcamp Buchenwald *in . ^ -m* <_^ < *- _ ^ --,^F Vom 1 9. bis zum 25. Juli fand das Antifa-Workcamp Buchenwald mit etwa neuigkeäten 200 Teilnehmern statt, das wiederum von der Antifa Bitterfeld und der Gruppe R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N.-BdA organisiert wurde. In Szeneschriften und Plakataktionen wurde dazu aufgerufen. Bereits im Vorfeld kam es zwischen Veranstaltern und Gedenkstättenleitung Zeitung des Antifa-Workcamps Buchenwald 70 zu Unstimmigkeiten, da diese die Teilnehmerzahl auf 25 Personen begrenzen wollte. So fanden 1997 keine Arbeitseinsätze auf dem Gelände in Buchenwald statt. Statt dessen wurden von den Teilnehmern täglich Mahnwachen in der Weimarer Innenstadt und in Buchenwald unter dem Motto: "Gegen die Kriminalisierung des Antifa-Workcamps! Wir fordern die Fortführung unserer Arbeiten auf dem Gelände des KZ-Buchenwald! Keine weiteren Verleumdungen durch die Stadt Weimar!" abgehalten. 5. Terroristische Gruppierungen Terrorismus ist der militant geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten wie Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Brandstiftung oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Terroristische Aktionen der Roten Armee Fraktion (RAF), der Revolutionären Zellen (RZ) und der Frauengruppe "Rote Zora" blieben 1997 aus. Auch die Antiimperialistische Zelle (AIZ), die noch 1995 als die gefährlichste und unberechenbare terroristische Gruppierung galt, wurde nach der im Februar 1996 erfolgten Festnahme zweier mutmaßlicher Mitglieder nicht mehr aktiv. 6. Linksextremistische Straftaten im Überblick Die Situation des Linksextremismus im Freistaat Thüringen hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Zu einer geringen Zahl von Mitgliedern in marxistisch-leninistischen Parteien sowie deren Sympathisanten kommt eine Reihe von Personen, die sich aus marxistisch-leninistischer Überzeugung in weiteren Organisationen engagieren. Mit etwa 250 bis 300 Anhängern autonomer Gruppen ist deren Bestand 1997 im Vergleich zum Jahr 1996 leicht angestiegen. Die organisatorische und informelle Vernetzung dieser Personen und Gruppen setzt sich weiterhin in Kampagnen und gewalttätigen Aktionen um. Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund Thüringen 1995 1996 1997 Straftaten insgesamt: 24 59 53 gegen politische Gegner 7 20 22 Sonstige 17 39 31 Straftaten in Thüringen E insgesamt B gegen portische Gegner * Sonstige 1995 1996 1997 Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund 1 997 in Thüringen (unterschieden nach bestimmten Delikten) Thüringen 1995 1996 1997 Straftaten insgesamt: 24 59 53 davon sind hervorzuheben: Raubüberfälle 0 1 1 Körperverletzung 1 7 6 Sachbeschädigung mit Gewaltanwendung 1 1 8 Landfriedensbrüche 2 12 9 Widerstandshandlungen 2 6 0 Schmierereien mit politischem Inhalt 11 10 6 Vergleicht man die Zahl der linksextremistischen Straftaten 1997 in Thüringen mit den Angaben der vorangegangenen Jahre, fällt auf, daß eine weitere Steigerung gegenüber dem Vorjahr ausgeblieben, ja ein leichter Rückgang zu verzeichnen ist. Waren es 1994 28, 1995 24, 1996 59, so sind 1997 noch 53 Straftaten erfaßt worden. Fast die Hälfte aller Straftaten (22 Delikte) wurde gegen den politischen Gegner verübt; dies ist ein leichter Anstieg gegenüber dem Vorjahr (20 Delikte von 59 Gesamtstraftaten). Im einzelnen waren 1997 9 Landfriedensbrüche (1996: 12), 6 Körperverletzungen (1996: 7), 6 Schmierereien mit politischem Inhalt (1996: 10), 8 Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung (1996: 1), darunter 2 Brandanschläge 72 (1996: 0), festgestellt worden. Bemerkenswert ist ferner, daß 1997 keine Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte begangen wurden, 1996 waren es noch 6. Eine weiterhin andauernde Gewaltbereitschaft drückt sich in den Gewalttätigkeiten aus. Ziel dieser Auseinandersetzungen war auch 1997 in erster Linie das rechtsextremistische Lager. Fast immer handelte es sich bei den Tätern um Jugendliche. Zu denen, die bereits einschlägig in Erscheinung traten, kamen immer wieder Neueinsteiger, die bei gewalttätigen Aktionen erstmals auffielen. Ihr Angriffsziel bildeten fast ausschließlich rechtsorientierte Altersgenossen. Bewaffnet mit Schlagwerkzeugen und vermummt wurden die Gegner überfallen. Diese Vorgehensweise zeigt dabei eine deutliche Zunahme der Gewaltbereitschaft an. Auch schwere Körperverletzungen werden billigend in Kauf genommen. Hinzu kommt, daß die Auseinandersetzung mit den Rechten geradezu gesucht wird. Die Jugendlichen, die sich selbst als linksorientiert und antifaschistisch verstehen, gehen bewußt gegen die politisch Andersdenkenden vor. Ein konkretes politisches Ziel verfolgen sie nicht. Linksextremistische Ideologieansätze sind nicht gefestigt. Der Begriff des Jugendextremismus trägt dieser Besonderheit Rechnung und faßt die Spezifika dieser Erscheinung im Vorfeld eines Linksextremismus im engeren Sinne. Die Schaffung von Freiräumen und eine ungehemmte Entfaltung der eigenen Person sind das unmittelbare politische Ziel der Jugendlichen. V. Ausländerextremismus 1. Allgemeines Unter dem Begriff Ausländerextremismus werden alle Bestrebungen von Ausländern zusammengefaßt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind. Dazu gehören auch solche, die durch Anwendung von Gewalt die auswärtigen Belange dieses Staates beeinträchtigen. Motive und ideologische Ausrichtung der extremistisch aktiven Ausländergruppen sind vielfältig. Oftmals werden politisch motivierte Aktivitäten entwickelt, welche mit der Hoffnung verbunden sind, auf diese Art Veränderungen der politischen Verhältnisse in den jeweiligen Heimatländern herbeizuführen. Außerdem wird versucht, die Bundesrepublik mit entsprechenden Handlungen unter Druck zu setzen. Dennoch trat auch im vergangenen Jahr nur eine kleine Minderheit der 7,3 Millionen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer (26.000 in Thüringen) mit Aktionen in Erscheinung, die der oben definierten Extremismus73 form zuzurechnen sind. Das Zusammenleben mit den ausländischen Mitbürgern gestaltet sich in Thüringen, wie auch im gesamten Bundesgebiet, überwiegend konfliktfrei. Bundesweit gehören rund 58.200 Personen einer extremistischen Vereinigung an. Das sind rund 1 % aller in Deutschland lebenden Ausländer. Dazu kommen etwa 12.100 Sympathisanten der entsprechenden Organisationen. Immer noch das größte Mitgliederund Anhängerpotential fällt mit rund 30.800 den islamisch-extremistischen Gruppierungen zu. Zu den linksextremistischen Gruppen gehören rund 19.400 Mitglieder und 8.000 sind nationalistischen Organisationen zuzuordnen. Vergleicht Aufruf zum Tourismus-Boykott man die Zahlen von Mitgliedern und Anhängern extremistischer Organisationen in Thüringen mit den genannten Zahlen des Bundes, sind sie weiterhin gering. Es gibt nur ca. 85 Mitglieder entsprechender Organisationen und das Sympathisantenpotential beläuft sich auf etwa 250 Personen. 2. Die wichtigsten extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland Kurdische Gruppen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Nebenorganisationen der PKK: * Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) * Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) * Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) - Bochum - * Union der Studenten Kurdistans (YXK) Verband der Vereine aus Kurdistan (KOMKARj 74 Türkische Gruppen mit linksextremistischer Ausrichtung Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/MLj * "Partizan"-Flügel * "DABK"-Flügel (Ostanatolisches Gebietskomitee) Basisorganisationen: * Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa e.V. (ATIK) * Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) Nebenorganisation: * Türkisch Marxistisch-leninistischer Jugendbund (TMLGB) Revolutionäre Linke (DEVRIMO SOL, Abk. DEV SOL) * Revolutionäre Volksbefreiungspartei/front - Karatas Flügel (DHKP-C) * Türkische Volksbefreiungspartei/'front - Yagan Flügel (THKP-C) Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei (TDKPj Basisorganisation in Deutschland: * Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (DIDF) Türkische Gruppen mit nationalistischer Ausrichtung Konföderation der idealistischen Türken in Europa (AUTDK, früher AUTDF) Basisorganisation in Deutschland: * Deutsche Türk-Föderation (ATF) Türkische Gruppen mit islamischer Ausrichtung islamische Gemeinschaft Milli Cörüs e. V. (IGMG) Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V Köln (ICCB) Iranische Gruppen mit islamistischer Ausrichtung Anhänger der iranischen Regierung * Union islamischer Studentenvereine (U.I.S.A.) Gegner der iranischen Regierung * Nationaler Widerstand Iran (NWRI) 75 Arabische Gruppen islamistischer Ausrichtung sunnitisch Muslimbruderschaft (MB) Islamischer Bund Palästinas (IBP), Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Islamische Heilsfront (FIS, algerisch) Bewaffnete Islamische Gruppe (GIA, algerisch) sohiitisch Partei Gottes (Hizb Allah, libanesisch) Gruppe des islamischen Widerstandes (AMAL) 3. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Weltweit leben etwa 25 Millionen Kurden, hauptsächlich verteilt auf die Türkei, den Iran, Irak, Syrien und Armenien. In den einzelnen Nationalstaaten setzen sich verschiedene Kurdenorganisationen schon seit Jahren mit unterschiedlichen Mitteln für eine stärkere Autonomie ihrer Landsleute, die dort eine Minderheit bilden, ein (vgl. Abschnitt VIII. 8. "Zur kurdischen Nationalität"). Unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ca. 2,5 Millionen türkischen StaatsangehöFahne der Kampfrigen sind etwa 500.000 kurdischer Abstammung. Als einheit der PKK, einzig legitime Vertretung ihrer spezifisch kurdischen ARSK Interessen definiert sich die PKK. Entstehung und Entwicklung Die marxistisch-leninistisch orientierte PKK wurde am 27. November 1978 in der Türkei gegründet. Eines der Gründungsmitglieder war der heutige Generalvorsitzende Abdullah Öcalan, damals Student der Politikwissenschaft in Ankara. Öcalan, 1949 als Sohn eines Landarbeiters in Anatolien geboren und von seinen Anhängern "Apo" genannt, steht seither unangefochten an der Spitze der Partei und leitet das höchste Parteiorgan, das Zentralkomitee, mit Sitz in Damaskus. Die PKK stellt PKK-Fahne ab 1995 sich als eine den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus verpflichtete, straff organisierte Kaderpartei dar. Sie verfügt in der Bundesrepublik über rund 10.000 Anhänger, etwa 50.000 gelten als Sympathisanten. 76 Ziele und Strategie Bereits im Gründungsmanifest der Partei wird festgehalten, daß im Mittelpunkt der Arbeit der aktive "revolutionäre Kampf" für einen "freien, unabhängigen und demokratischen Kurdenstaat" steht. Die PKK führt seit 1984 mit Hilfe ihres militärischen Arms, der in den Kurdengebieten operierenden Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK), im Südosten der Türkei einen blutigen Guerillakrieg. In der Bundesrepublik versuchte die PKK in den vergangenen Jahren, diesen Kampf durch politische und gewalttätige Aktionen zu unterstützen. Immer wieder kam es zu brutalen Anschlägen gegen zumeist türkische Einrichtungen. Bei den in Deutschland lebenden Kurden wird an das nationale Gefühl appelliert, um sie zur aktiven Unterstützung der Partei zu veranlassen, Parteiangehörige sollen für den militärischen Kampf rekrutiert werden. Der Parteiapparat wird mittels Spenden finanziert. Um den Rückhalt in der kurdischen Bevölkerung zu sichern und den Einfluß der PKK auf möglichst viele soziale Gruppen und Lebensbereiche auszudehnen, bedient sich die PKK auch mehrerer rechtlich selbständiger Tarnund Nebenorganisationen. Die 1 985 gegründete Teilorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) ist auf internationaler Ebene für die Öffentlichkeitsarbeit der PKK zuständig. Die anhaltenden gewalttätigen Aktionen in der Bundesrepublik und die damit verbundene Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führte im November 1993 zum Verbot der PKK. Auch das Zeigen von Symbolen der Partei und der "Nationalen Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK), eine internationale Teilorganisation der PKK, sowie das aktive Eintreten für diese Organisationen sind in Deutschland unter Strafe gestellt. Auch in Thüringen gibt es immer wieder entsprechende Verstöße. Mitte 1996 änderte die PKK ihre Strategie. Ocalan rief die PKK-Anhänger in Deutschland zum Gewaltverzicht auf. Der Phase erhöhter Aktivitäten folgte eine Zeit relativer Ruhe. Die deutsche Öffentlichkeit soll nun auf politischem Wege für die kurdischen Anliegen gewonnen werden. Das anhaltende und offenkundige Bemühen der PKK, sich als berechenbar und friedlich Publikation der Informationsstelle darzustellen, ist mit der Hoffnung auf Kurdistan in Bonn 77 die Aufhebung des Vereinsverbotes verbunden. Auch wenn die PKK-Führung derzeit darauf bedacht ist, in Deutschland massive Verstöße gegen das Betätigungsverbot oder schwerwiegende Gewalttätigkeiten zu vermeiden, bleibt die Bundesrepublik weiterhin ein wichtiges Betätigungsfeld zur Rekrutierung von Aktivisten und zur Beschaffung von Finanzmitteln. Auch ist die Fähigkeit zu militanten Aktionen und zur Mobilisierung großer Menschenmassen ungebrochen. Finanzierung Die PKK muß ihren hauptamtlichen Parteiapparat, die europaweite umfangreiche Propagandatätigkeit sowie ihre militärischen Aktionen finanzieren. Dies geschieht im wesentlichen durch Mitgliedsbeiträge und den Verkauf von Publikationen. Außerdem ist die PKK natürlich auf die erfolgreiche Durchführung der regelmäßigen Spendenkampagnen angewiesen. Die beauftragten Spendensammler übten in den letzten Jahren teilweise massiven Druck auf die zahlungsunwilligen Landsleute aus, erpreßten diese und gingen mit erheblicher Gewalt vor. Immerhin muß, neben einer regelmäßigen Monatsspende, bei jährlichen Spendenaktionen zusätzlich ein Monatsgehalt bereit gestellt werden. In den vergangenen Jahren kamen in Thüringen immer mehr als 100.000 DM zusammen. Die Vermutung, daß ein Teil des Spendenaufkommens in Deutschland in hiesige Gewerbebetriebe reinvestiert wird, hat sich im vergangenen Jahr erhärtet. Kurdisches Exilparlament Am 12. April 1995 wurde in Den Haag nach mehrmonatiger Vorbereitungsphase das "Kurdische Exilparlament" gegründet. Ihm gehören 65 Abgeordnete an, ein großer Teil besteht aus Anhängern der PKK und deren Teilund Nebenorganisationen. Die stärkste Fraktion mit 12 Sitzen stellt die Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK). Das Parlament soll den nationalen Befreiungkampf unterstützen und für die Akzeptanz eines unabhängigen Kurdistans unter Führung der PKK streiten. Obwohl die PKK in der Öffentlichkeit natürlich immer wieder die Unabhängigkeit des Kurdischen Exilparlaments betont, gibt es zahlreiche Hinweise auf die Einflußnahme der Partei, so auf die Sitzverteilung zugunsten Fahne der ERNK der PKK und ihrer Nebenorganisationen im Paria(Nationale Befreiunqsment. Außerdem nehmen Abgeordnete nachweislich front Kurdistans) an PKK-Veranstaltungen teil. Mit der Gründung des vermeintlich unabhängigen Kurdischen Exilparlaments versuchte die PKK, eine Institution zu installieren, welche in der Öffentlichkeit neutral erscheint und sich damit als Ansprechpartner für jegliche politische Parteien und Organisationen in Europa anbietet. 78 MED-TV Der Satellitensender MED-TV wurde im Frühjahr 1995 unter Einfluß der PKK gegründet und wird von Brüssel aus betrieben. Die Sendungen können nach Europa und in den Nahen Osten ausgestrahlt werden. Der Sender ist für die PKK ein wichtiges Propagandamittel. Der Generalvorsitzende Öcalan hat die Möglichkeit, sich in Europa, z. B. bei Großveranstaltungen, direkt an seine Anhänger zu wenden. MED-TV kann auch in Thüringen empfangen werden. Aktivitäten der PKK in Thüringen Die PKK, die in Europa ihre oberste Führungsebene mit der "Europäischen Frontzentrale" (ACM) aufgebaut hat, gliedert sich auf Länderebene in Regionen, Gebiete und Teilgebiete. An allen Schaltstellen arbeiten jeweils hauptamtliche Führungskader. In Thüringen baute die PKK in den vergangenen Jahren über in Hessen ansässige Kurden entsprechende Strukturen auf. Der Großraum Erfurt wurde als erstes eigenständiges Teilgebiet von der PKK erschlossen. Ein von der PKK bestimmter Teilgebietsleiter führt das Gebiet mit Hilfe eines ihm zur Seite gestellten Teilgebietskomitees. In Thüringen beträgt die Zahl der Mitglieder und Anhänger der PKK ca. 50 Personen, die Zahl der Sympathisanten beläuft sich auf etwa 150 bis 200 Personen. Auch in zentralen Gemeinschaftsunterkünften und Asylbewerberheimen sind zunehmend Bemühungen zu erkennen, mit konspiratorischen Methoden PKKStrukturen aufzubauen. Es wurde festgestellt, daß kurdische Asylbewerber in wachsendem Maße durch Aktivisten der PKK angeworben und teilweise geschult werden. In einzelnen Unterkünften wurden sogenannte Heimkomitees gegründet, die für die Mobilisierung zu Veranstaltungen, Spendensammlungen, Verteilung/Verkauf von Propagandamaterial zuständig sind und als Verbindungsstelle für den Teilgebietsleiter dienen. Hierdurch konnte eine starke Zunahme der Verteilung von Publikationen festgestellt werden. Dies gilt auch für die Verteilung in türkisch/kurdischen Einrichtungen, wie Döner Kebaps. Auch 1997 konnten Teilnehmer, überwiegend aus den Gemeinschaftsunterkünften, zu Plakat der YEK-KOM (Föderation kurVeranstaltungen im Bundesgebiet mobidischer Vereine in Deutschland e.V.) 79 lisiert werden. Am 26. April fand z. B. in Düsseldorf eine Großdemonstration mit ca. 45.000 Teilnehmern statt. Aus Thüringen nahmen über 80 Personen teil. Bei der Veranstaltung wurden vereinzelt Fahnen der PKK, ERNK und ARGK sowie Bilder von Ocalan und im Krieg gefallener Kämpfer vorgezeigt. In Sprechchören wurden Parolen wie: "Es lebe die PKK!", "Es lebe ein freies Kurdistan skandiert!". Bei der Abschlußkundgebung wurde u.a. eine Ansprache von Ocalan über MED-TV eingespielt. Das Kurdistan-Kulturund Friedensfestival, eine Großveranstaltung mit mehr als 70.000 Teilnehmern, fand am 6. September im Kölner Müngerdorfer Stadion statt. Daran nahmen auch 150 Kurden aus Thüringen teil. Die Fähigkeit, innerhalb kürzester Zeit relativ viele Teilnehmer für Großveranstaltungen zu mobilisieren, zeigt, wie stark nach wie vor die Präsenz und der Einfluß der PKK, sowohl auf Bundesebene als auch in Thüringen, auf die im Land lebenden Kurden ist. In zwei Gemeinschaftsunterkünften in Thüringen wurde 1997 die Erpressung von Spendengeld von kurdischen Asylbewerbern durch Anhänger der PKK bekannt. Eine Erpressung fand während der monatlich stattfindenden Auszahlung der Sozialleistungen an die Asylbewerber statt, die zweite erfolgte in schriftlicher Form. Im vergangenen Jahr nahm die Anzahl türkischer und kurdischer Gewerbebetriebe weiterhin stark zu. Sie ist inzwischen auf 180 angestiegen. Ein Großteil der Inhaber und Betreiber sind Kurden. Überwiegend handelt es sich um die sogenannten Döner Kebaps, die in den Städten und zunehmend auch in den Landgemeinden Thüringens eröffnet werden. Die Betreiber derartiger Einrichtungen sind erfahrungsgemäß an den jeweiligen kurdischen Arbeitgeberverband angeschlossen. Der systematische Aufbau von Grill-Ketten, der 1996 erstmals aufgefallen war, wurde in diesem Jahr fortgesetzt. Inhaber sind oftmals Kurden, bei denen ein PKK-Bezug zu vermuten ist. Damit zeigt sich, wie die Vermehrung und Reinvestition des PKK-Vermögens in Deutschland im einzelnen erfolgt. Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen der PKK fanden im vergangenen Jahr in Thüringen nicht statt. Lediglich anläßlich des bei den Kurden sehr beliebten Neujahrsfestes "Newroz", um den 2 1 . März, fanden in verschiedenen Gemeinschaftsunterkünften interne Feiern statt, die von der PKK zu Propagandazwecken genutzt wurden. Unterund Nebenorganisationen der PKK wurden in m Thüringen bislang noch nicht festgestellt. 4. Linksextremistische türkische Organisationen Organisationsstrukturen von türkischen linksextremistischen Organisationen haben sich in Thüringen verfestigt. Angehörige der Türkischen Kommunistischen Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) bzw. der Devrimci Sol (Dev Sol), die aus den alten Bundesländern zugezogen Fahne der TKP/ML 80 sind, betätigen sich als Geschäftsleute und Gewerbetreibende. Flugblätter und Zeitschriften der genannten Organisationen wurden unter den Anhängern und in Asylbewerberunterkünften verteilt. Unter den Teilnehmern an Veranstaltungen in den Altbundesländern wurden auch solche mit Wohnsitz in Thüringen festgestellt. Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Die extremistische TKP/ML, eine sowohl am Marxismus-Leninismus als auch an den Ideen Mao Tse-tungs orientierte Partei, hat ihre Aktivitäten in Deutschland verstärkt. In Thüringen ist die Partei seit 1995 etabliert. Bekannte Anhänger der Partei sind hier ansässig. Von einer Öffnung und verstärkten Zusammenarbeit der TKP/ML mit anderen linksextremistischen Organisationen muß in Zukunft ausgegangen werden. Devrimci Sol (Dev Sol) Die Dev Sol, bereits 1983 verboten, ist eine extremistische, marxistisch-leniniOzgür gelecek - stisch orientierte Partei, die konspirativ Publikation der TKP/ML arbeitet. Auch 1997 war die Partei im Bundesgebiet aktiv. Bereits 1994 hatte sich die Organisation aufgrund parteiinterner Streitigkeiten in zwei Lager gespalten: den Yagan-Flügel, heute THKP-CDevrimci-Sol, und den Karatas-Flügel, heute DHKP-C. Die miteinander verfeindeten, sich ohne Einschränkung bekämpfenden Flügel unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Gewaltbereitschaft und Brutalität kaum. Die DHKP-C überwiegt jedoch durch ihre Größe und Bedeutung. Die propagandistischen und terroristischen Aktionen beider Dev Sol-Flügel, die sich fast ausschließlich auf innertürkische Ereignisse beziehen, beschränken sich weiterhin auf die alten Bundesländer. Hervorzuheben ist die Zusammenarbeit mit anderen linksextremistischen türkischen Organisationen wie die TKP/ML. Derzeit gehen von der Dev Sol in Thüringen keine sicherheitsgefährdenden Bestrebungen aus. Dennoch ist damit zu rechnen, daß diese Organisation versuchen wird, Thüringen als Operationsgebiet zu gewinnen und dabei Kontakte zu hier wohnhaften und bereits als linksextremistisch bekannten Türken aufzunehmen. 81 VI. Scientology 1. Scientology - eine Gefahr für die Demokratie? Im Ergebnis eines langjährigen Diskurses unter Beteiligung der Politik, der Wissenschaft, der Medien, der Öffentlichkeit und der Verfassungsschutzbehörden gelangte die Konferenz der Innenminister und Innensenatoren des Bundes und der Länder (IMK) auf ihrer Sitzung am 6. Juni 1997 in Bonn zu der Auffassung, daß das Menschenund Gesellschaftsbild der Scientology elementaren Prinzipien des Grundgesetzes widerspricht und formulierte im Ergebnis die Einschätzung, "... daß bei der Scientology-Organisation tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen und damit die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung ... durch den Verfassungsschutz gegeben sind."3 Seitdem wird die Scientology-Organisation (SO) in Bund und Ländern, mit Ausnahme Schleswig-Holsteins, durch die Verfassungsschutzbehörden beobachtet. 2. Scientology in Thüringen Die vom Landesamt für Verfassungsschutz seit Juni 1997 durchgeführten Ermittlungen ergaben, daß Scientology auch in Thüringen Aktivitäten entfaltet. Allerdings erscheint das SO-Engagement im Freistaat, verglichen mit anderen Bundesländern, eher marginal. Die SO unterhält im Freistaat keine offiziellen Niederlassungen; Organisationsstrukturen sind nicht erkennbar. Die Aktivitäten der Scientology in Thüringen sind, soweit erkannt, an einzelne Personen gebunden und werden offenbar von SO-Niederlassungen außerhalb der Landesgrenzen gesteuert. Ob sich scientologische Tarnorganisationen wie z. B. "Narconon", "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." und "Mitbürger unterstützen Toleranz" in Thüringen betätigten oder betätigen kann weder bestätigt noch ausgeschlossen werden. Allerdings betrieb die SO, wohl auch in Reaktion auf den IMK-Beschluß vom 6. Juni 1997, auch im Freistaat verstärkt Öffentlichkeitsarbeit. Ministerien, Polizeidienststellen und Justizvollzugsanstalten, aber auch andere öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken, Stadtverwaltungen und Volkshochschulen, wurden Scientology-Materialien zugesandt. Ein erkennbares Engagement in Schulen und Kindergärten sowie im Bereich des Nachhilfeunterrichts ("Applied Scholastics") konnte nicht festgestellt werden. 3 Beschlußniederschrift über die Sitzung der IMK am 6. Juni 1 9 9 7 in Bonn, TOP 28: Scientology-Organisation; TOP 28.2: Die Beobachtung der Scientology-Organisation durch den Verfassungsschutz. 82 Weitere Ermittlungen ergaben, daß in Thüringen scientologisch geführte Unternehmen existieren. Diese versuchen, Einfluß auf Kunden und Geschäftspartner, vor allem mittelständische Unternehmer sowie Existenzgründer, zu gewinnen. Zudem wird in Thüringen über eine private Kontaktstelle "Dianetik" angeboten. Über die Zahl der Personen, die in Thüringen der Scientology-Organisation angehören, liegen bislang keine Erkenntnisse vor. Durch die Einrichtung eines Bürgertelefons konnten einige wertvolle, in der Mehrzahl jedoch nicht verifizierbare Informationen zu den Aktivitäten der SO in Thüringen gewonnen werden. 3. Was ist Scientology ? Die "Church of Scientology" wurde in den fünfziger Jahren in den USA von dem Science-Fiction-Autor Lafayette Ronald (Ron) Hubbard[]9] 1-1986) gegründet. Nach dem Tod Hubbards, internen Machtkämpfen und Säuberungen setzte sich Mitte der achtziger Jahre der "reformistische" Flügel um DavidMiscavage durch, der die Scientology in einen weltweit operierenden, hierarchisch strukturierten Trust mit totalitärer Binnenstruktur verwandelte, der unter ideologischem Vorzeichen versucht, seine wirtschaftlichen und politischen Zielsetzungen zu verwirklichen. Nach eigenen Angaben soll es in 107 Ländern 3.100 Kirchen, Missionen und angeschlossene Organisationen mit ca. 8 Millionen Mitgliedern geben. Die oberste Leitungsebene, das Managementzentrum, die strategische Planungsebene und das ideologische Hauptquartier des zentralistisch geführten Imperiums befinden sich in Clearwater (Florida/ USA). Die für Europa zuständige Zentrale befindet sich in Kopenhagen. In Deutschland unterhält die Scientology 20 offizielle Niederlassungen. Dazu kommen unzählige Organisationen und Einrichtungen, die den Begriff Scientology nicht führen, dennoch aber scientologisch sind. Das Gewicht scientologischer Aktivitäten L Ron Hubbards Bestseller "Dianetik verlagerte sich nach dem Machtwechsel allmählich vom Psychomarkt auf den wirtschaftlichen Sektor, dessen breit angelegte Unterwanderung nun, als Voraussetzung für die Erringung politischen Einflusses, das Primärziel der SO darstellt. Die Scientology behauptet jedoch nach wie vor, eine Religionsgemeinschaft zu sein. Hubbards Richtlinien wie auch die Aktivitäten der Scientology nach Hubbards Tod zeigen aber, daß im Mittelpunkt scientologischen Strebens stets ökonomische und Machtinteressen stehen. Dazu Hubbard: "Make money - make more money - make other people produce so as to take money".4 Wer sich mit Scientology auseinandersetzt, stößt auf eine Vielzahl von "Fachbegriffen". Redefinitionen aus der Wissenschaftsund Alltagssprache werden, für Nicht-Scientologen durchaus unverständlich, von einem Korsett verwirrender Sprachschöpfungen gestützt. In dieses geschlossene sprachlichen System "verpackt", werden Hubbards Lehrsätze als fundamentale Einsichten mit der Qualität von Naturgesetzen präsentiert, sind dadurch der internen und externen Kritik entzogen und erinnern in ihrer Absolutheit an das bekannte Diktum: "Der Marxismus ist allmächtig, weil er wahr ist." Hier muß kein Beweis mehr angetreten werden - Kritik oder auch nur differenzierende Sichtweisen prallen, weil ja der "Hubbardismus" einzig wahr und allmächtig ist, ab. 5 Scientology bedient sich der Sprache als Instrument einer perfiden Propaganda. Die transportierten Inhalte dienen der Indoktrination, der Abgrenzung nach außen, der Homogenisierung nach innen und damit der Festigung ihrer hierarchischen und elitär-antipluralistischen Struktur. Dazu schrieb Friedrich Nietzsche bereits vor nahezu 100 Jahren: "In Zukunft, also im 20. Jahrhundert, werden diejenigen in einer Gesellschaft die eigentliche Macht ausüben, die fähig sind, ihre Sprachregeln in der Gesellschaft durchzusetzen. Dann ist die Wahl der Begriffe und der Sprache kein Nebenkriegsschauplatz, sondern dann wird der Kampf um die Sprache zur entscheidenden Schlacht." Viktor Klemperer und Hannah Arendt arbeiteten deutlich heraus, daß Sprachschöpfungen großen Stils ein konstituives Merkmal totalitärer Ideen sind, und daß sich bei allen ideologischen Unterschieden übergreifende inhaltliche Gemeinsamkeiten ausmachen lassen. Das zeigt sich vor allem im Vergleich: Zitat 1: "Wer sich gegen die Gesellschaftsordnung an sich wendet, den schieße ich rücksichtslos nieder. Jeder Versuch, diesen Staat [...] zu erschüttern, wird mit Blut ertränkt."6 4 "Mach Geld, mach mehr Geld, sorge dafür, daß andere Geld machen." HCOPL vom 9. 3. 72. 5 Da man bei der Auseinandersetzung mit der SO zwangsläufig mit der durch sie geprägten Sprache operieren muß, werden die gängigsten Begriffe der SO-Sprache im Glossar, und die verwendeten Abkürzungen im Abkürzungsverzeichnis am Ende des Textes erläutert. 6 Picker, Henry: Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. Frankfurt/M., Berlin: Ullstein, 1989, S. 110, S. 3 6 0 . 84 Zitat 2: "[...] Agenten, Spekulanten, Einbrecher, Rowdys, [...] Agitatoren und [...] Spione sind am Tatort zu erschießen." "... alle [...] die den Feind direkt oder indirekt unterstützen (sind) samt und sonders auszurotten."7 Zitat 3: "Eine Person, die in den Ethik-Zustand des Feindes zurückgestuft worden ist, gilt als vogelfrei. Man darf ihr Eigentum abnehmen, sie in jeder Weise verletzen, ohne daß man ... bestraft wird. Man darf ihr Streiche spielen, sie verklagen, sie belügen oder vernichten."8 Das erste Zitat ist eine Äußerung Hitlers aus dem Jahr 1942, Nummer zwei äußerte Lenin 1919, das dritte Zitat stammt von Hubbard und datiert aus dem Jahr 1965. Die Äußerungen unterscheiden sich zwar durch den jeweiligen ideologischen und zeitgeschichtlichen Background. Die große Gemeinsamkeit besteht jedoch im Inhaltlichen, nämlich darin, daß sich in allen drei Zitaten, über jede ideologische Divergenz hinweg, eine deutliche Freund-Feind-Definition findet ("wer nicht für uns ist, ist gegen uns"), die zudem eine eindeutige, zwar unterschiedlich formulierte, im Kern jedoch gleichlautende Botschaft zum Umgang mit Feinden, Kritikern, Spionen, Agenten, Abweichlern enthält. Sie lautet: bekämpfen, vernichten. Es lassen sich beliebig viele weitere Belege finden. Im Gedankengebäude der Scientology sind Parallelen, oder Hubbards Heilslehre schmückt sich mit Anklänge zu den großen politialtägyptischen Symbolen schen Heilslehren des 20. Jahrhunderts offenkundig. Stichwort: Totalitarismus. Hannah Arendt, die Begründerin der modernen Totalitarismusforschung nennt sieben charakteristische Merkmale totalitärer Ideologien: 1. einen ideologischer Wahrheitsund Alleinvertretungsanspruch, 2. eine hermetisch geschlossene Weltanschauung, die auf ewigen Wahrheiten beruht, 3. eine anti-aufklärerische, absolutistische Legitimation, 4. eine rigide Unterscheidung zwischen "Gut" und "Böse", "Freund" und "Feind", Lenin Wladimir lljitsch: Ausgewählte Werke in zwei Bänden; B. 2. Berlin (Ost): Dietz 1959, S. 313, S.409f. Hubbard Communication Office Policy Letter (HCOPL) vom 7. 3. 65. 85 5. die Bildung einer eigenen Sprache zur Abgrenzung (nach außen) und Homogenisierung (nach innen), 6. die Ablehnung der Demokratie und die Befürwortung des Kollektivismus und 7. Gewaltbereitschaft nach innen und außen.9 Projiziert man diese analytische Maske auf Scientology, kommt man schnell zu einem eindeutigen Ergebnis. Es geht hier nicht darum, unterschiedliche Phänomene gleichzusetzen, aber im Bewußtsein der begrenzten analytischen Reichweite des Totalitarismusmodells kommt es allein darauf an zu zeigen, daß sich im Vergleich die o. g. Merkmale sowohl bei Scientology, als auch beim Nationalsozialismus oder Kommunismus mehr oder minder stark nachweisen lassen. Als Beleg mag das Verhältnis der SO zur Demokratie gelten. 4. Zur Strategie der SO Scientology versus Demokratie Da die SO politische Zielsetzungen nach außen hin aus taktischen und kommerziellen Gründen verschleiert, werden in ihrem Schrifttum politische Fragen und Themen eher am Rande behandelt. Daß die SO sehr wohl politisch motiviert vorgeht und eine prinzipiell ablehnende Fundamentalkritik an der Demokratie vorträgt, ergibt sich aus dem wenigen allerdings sehr deutlich. Demokratie, so Hubbard, sei ein "kollektives Denken des reaktiven Gedächtnisses". An anderer Stelle heißt es: "Die reaktive Bank, der unbewußte Verstand - wie immer sie es nennen wollen - unterdrückt alle anständigen Impulse und fördert die schlechten. Daher ist eine Demokratie ein Kollektivdenken von reaktiven Banken ..." 10 Führt man konsequent zu Ende, was Hubbard vorgedacht hat, bedeutet dies, daß die Überwindung der Demokratie für Hubbard zwingend notwendig ist, denn alle scientologischen Techniken zielen darauf ab, das "reaktive Gedächtnis" zu beseitigen, um den Weg des Einzelnen in die - freilich scientologische - Freiheit zu ermöglichen und letztlich den Weg in eine neue Gesellschaft freizumachen. Hubbard folgerichtig: "So können wir [...] zu dem Schluß kommen, daß sich die erste wirkliche Demokratie ergeben wird, wenn wir jeden einzelnen Menschen von den reaktiven Impulsen befreit haben. Solche Menschen können vernünftig denken, sie können sich auf gute und praktische Maßnahmen verständigen und man kann sich bei ihnen darauf verlassen, daß sie positive Maßnahmen 9 Hannah Ahrendt ( 1 9 0 6 - 1 9 5 9 ] : amerikanische Soziologin dt. Herkunft; mit der im Jahr 1938 veröffentlichten Arbeit "Elemente und Ursprünge totalitärer Herrschaft" wurde sie zur Begründerin der modernen Totalitarismusforschung. 10 Innenministerium NRW (Hg.): Scientology: Eine Gefahr für die Demokratie - eine Aufgabe für den Verfassungsschutz: Düsseldorf 1996, S. 51 ff. 86 "Denke selbst!", eine Verbreitungskampagne auf "MultimillionenDollar-Niveau" entwickeln. Bis wir dies erreicht haben, werden wir fortfahren, die menschliche 'Demokratie' - ebenso wie jede andere politische Philosophie, die der Mensch zur Heilung seiner Übel hervorgebracht hat, zu kritisieren."11 Hier träumt Hubbard den Traum aller Diktatoren - einen neuen Menschen schaffen und mit ihm eine neue Zivilisation bauen. Gegen die universalistischen Ideen von Demokratie, Liberalismus und Egalitarismus gerichtet, erscheint Scientology letztlich als Ausfluß antiaufklärerischen, irrationalen Denkens. Die parlamentarische Demokratie ist scientologischem Verständnis nach ein in letzter Konsequenz dem Liberalismus folgendes politisches Ordnungsprinzip, das aufgrund seiner pluralistisch-egalitären Basis abzulehnen ist. Der scientologische Gegenentwurf lautet: "Clear the Planet". Das bedeutet eine im scientologischen Sinne "geklärte" Welt, die, nach scientologischen Gesichtspunkten hierarchisch strukturiert und "hubbardistisch" homogen, durch eine Elite operierender Thetanen geführt wird. Eine ideale Gesellschaft, heißt es bei Hubbard weiter, sei allein "eine Gesellschaft nichtaberrierter Menschen" (Clears), die in einer "nichtaberrierten Kultur" leben. Hubbard bringt direkt zum Ausdruck, wie er sich die Eroberung politischer Schaltstellen vorstellt: "Eine Nation oder ein Staat funktioniert aufgrund der Fähigkeiten seiner ... Führungspersonen. Es ist leicht, in so einem Bereich einen Posten zu erhalten,... nutzen Sie jegliche Ihnen zur Verfügung stehenden Talente, um eine Stellung in der Nähe solcher Personen zu bekommen und machen Sie sich daran, an der betreffenden Umgebung zu arbeiten und sie besser zum Funktionieren zu bringen". 12 i' Ebd., S. 51 ff. 12 Ebd., S. 51 ff. 87 Das Ziel der Erschaffung einer neuen Gesellschaft allein ist an sich schon hochpolitisch, dazu, mit Blick auf die Menschenrechte in einer solchen Gesellschaft, antidemokratisch, denn nur Menschen mit dem richtigen Bewußtsein - einem scientologischen versteht sich - sollen in Hubbards Utopia in den ungeteilten Genuß von Menschenund Bürgerrechten kommen. Hubbard: "Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele ..." , 3 Bei Hubbard lassen sich also politische Zielsetzungen und Parallelen zu den großen Totalitarismen des 20. Jahrhunderts sowie eine strikte Ablehnung der Demokratie feststellen. Das Vorhandensein einer totalitären Binnenstruktur der SO kann als gegeben vorausgesetzt werden. Ob Scientology allerdings aktiv auf die Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung hinarbeitet, ob die Organisation überhaupt in der Lage ist, Hubbards größenwahnsinnige Vorstellungen in die Praxis umzusetzen, bleibt unklar. Hubbards Omnipotenzwahn läßt allerdings vermuten, daß zumindest die, mehr oder minder an der Realität orientierten, SO-Kampagnen ("Clear the Planet") den praktischen Versuch darstellen, scientologische Prinzipien auf die Gesellschaft zu übertragen. In der Bundesrepublik präsentiert sich Scientology derzeit als ein Konglomerat suboptimaler, miteinander konkurrierender, in die Defensive gedrängter, aber fest am Markt etablierter Einzelorganisationen, deren Hauptziel darin besteht, ihre Existenz zu sichern und, bei wegbrechenden Marktanteilen und rapidem Mitgliederschwund, umsatzsteigernd und profitmaximierend zu wirtschaften. Scientology in der Wirtschaft Mit der Gründung des weltweiten Verbandes scientologischer Unternehmer WISE im Jahr 1979 begann der planmäßige Einzug der Scientology in die Wirtschaft. WISE hat die Aufgabe, die Verwaltungstechnologie Hubbards in der Wirtschaft zu verbreiten, Kunden zu gewinnen. Sowohl Einzelmitglieder als auch ganze Firmen können WISE-Lizenznehmer werden. Die Gefahren, die von einer Vereinnahmung durch WISE ausgehen, bestehen vor allem darin, daß die scientologische "Statistik" zum einzigen Bewertungskriterium in allen Bereichen des Unternehmens erhoben wird. Nur wer steigende Statistiken aufweist, gilt als gesund und "powerfull". Sinkende Statistiken dagegen ziehen zumeist Sanktionen der übergeordneten Stellen nach sich. So werden, z.T. Entscheidungen gefällt, die jeder betriebswirtschaftlichen Vernunft Hohn sprechen. Außerdem wurden Fälle bekannt, bei denen die SO versuchte, durch Einflußnahme auf die Personalauswahl, Macht über unternehmerische Entscheidungen zu gewinnen. Mitar13 Ebd., S. 51 ff. 88 beiter wurden gezwungen, an Schulungen mit scientologischem Inhalt teilzunehmen, bei Weigerung erhielten sie Kündigungen. Neben den üblichen Personalakten werden sog. "Ethikakten" geführt, Mitarbeiter wurden zur Bespitzelung der Kollegen angehalten. Die Stelle eines "Ethik-Offiziers" wurde eingerichtet, eine Ethik-Abteilung etabliert (vgl. Abschnitt Scientologische Ethik). Hohe Privatentnahmen aus Firmenkassen können zudem zu Liquiditätsproblemen führen und haben in Einzelfällen Unternehmen bis zum Konkurs ruiniert. Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat die Effekte scientologischer Betätigung in der Wirtschaft wie folgt beschrieben: "Psychische Deformation, bis zum Ruin verschuldete, erpreßbare Mitarbeiter, Wirtschaftsspionage und Veruntreuung, Illoyalität, Begünstigung im Amt, unlauterer Wettbewerb und Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht".14 Dazu Hubbord: "Erobern Sie, egal wie, die Schlüsselpositionen, [...] als Personalchef einer Firma, als Leitereines guten Orchesters, als Sekretärin des Direktors, als Berater der Gewerkschaft - irgendeine Schlüsselposition".15 Die SO betreibt gezielt die Unterwanderung vor allem mittelständischer Unternehmen des tertiären volkswirtschaftlichen Sektors (Dienstleistungen), wobei die Schwerpunkte in den Bereichen Kommunikations-, Personalund Managementschulung, im Marketing-Bereich, im Bereich Telekommunikation und EDV, in der Färbund Stilberatung, der Werbung und der Unternehmensberatung liegen. Das größte und bedeutendste Segment der SO-Betätigung in der Wirtschaft dürfte jedoch der Immobilienhandel darstellen. Der Erfolg scientologischen Engagements in der Wirtschaft ist nur schwer abzuschätzen, zumal Hubbards ökonomische Grundsätze, die unternehmerisches Engagement allein auf Profitmaximierung ausrichten und die soziale Marktwirtschaft auf einen ungehemmten Manchester-Kapitalismus reduzieren, bei einigen Unternehmern auf absolute Zustimmung stoßen dürften. "Aussteiger" verzichten, um Imageschäden zu vermeiden, oft auf Offenlegung ihrer Kontakte und müssen die Einbußen letztlich selbst tragen. Die SO offeriert ja letztlich kapitalistische, rücksichtslose Durchsetzungsstrategien, die Profit nicht nur versprechen, sondern garantieren. Insofern spricht die SO jene wirtschaftlichen Eliten an, die expansiv orientiert sind, aber gleichzeitig ein Orientierungssystem und eine Rechtfertigung benötigen, um ihr Expansionsstreben ohne lästige soziale Zugeständnisse durchzuführen.,ö Außerdem kann die SO in der Privatwirtschaft den Umstand nutzen, daß ihre Praktiken mit den etablierten Praktiken einiger Unternehmen deckungsgleich sind, was der SO den Einstieg oftmals erleichtert (z. B. in den Bereichen Marke14 Bundesministerium f. Familie, Senioren, Frauen u. Jugend (Hg.): Die Scientology-Organisation. Gefahren, Ziele und Praktiken. Köln 1996, S. 27ff. '5 Ebd., S. 27ff. " Ebd., S. 27ff. 89 ting, Managementschulungen, Kommunikationstraining und Immobilienhandel). Insofern perfektioniert die SO nur das bereits Vorhandene und agiert als finanziell potenter Partner im Hintergrund. Das Ziel dieses Engagements kann, folgt man der Logik der SO, die allen Lebensbereichen einen inneren Zusammenhang zuschreibt, nur darin bestehen, über das Sprungbrett wirtschaftlicher Macht an die Schaltstellen der Politik zu gelangen. Wirtschaftliche und gesellschaftspolitische Expansion gehen Hand in Hand, wobei einschränkend darauf hingewiesen werden muß, daß die SO die Praktikabilität dieser Strategie noch nie unter Beweis stellen konnte. Scientologische Ethik Die Weltsicht einer jeden totalitären Bewegung basiert auf einem in sich geschlossenen System "ewiger Wahrheiten" und fundamentaler Einsichten, die in Form unumstößlicher Lehrsätze mit der Qualität von Naturgesetzen präsentiert werden. Daraus resultiert bei allen Totalitarismen ein vehement verfochtener ideologischer Wahrheitsund Alleinvertretungsanspruch, der wiederum zu einer beschränkten Weltsicht führt, die strikt zwischen der "guten", im Besitz der alleinseligmachenden Wahrheit befindlichen eigenen Sphäre und dem notwendigerweise feindlichen Rest unterscheidet. Scientology stellt hier keine Ausnahme dar. In der scientologischen Praxis führt dieses Freund-Feind-Denken zu einem rigiden Umgang mit denen, die die "ewigen Wahrheiten" und selbstdefinierten Leitsätze der Doktrin einer kritischen Prüfung unterziehen. Jede innere und äußere Kritik wird durch Scientology zum "Verbrechen" erklärt, die Kritiker zu "Verbrechern", "Unterdrückern" und "antisozialen Persönlichkeiten" gestempelt, die es zu "handhaben", zu bekämpfen gilt. Mit dem durch Hubbard redefinierten "Ethik"-Begriff schuf sich die SO ein probates Instrument im Kampf gegen Kritiker. Hubbards Ausführungen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig; er schreibt: "Der Zweck von Ethik ist, Gegenabsichten aus der Umwelt zu entfernen. Nachdem das erreicht worden ist, hat sie E-Meter (Elektropsychometer), mit dem geistige zum Zweck, FremdabsichZustände "gemessen" werden ten aus der Umwelt zu ent- fernen."17 "Ethisch" ist also alles, was Scientology nützt. Gleichermaßen als Waffe gegen innere und äußere Feinde verwendbar, hat sich Hubbards krudes Ethikverständnis nach internen Machtkämpfen in der gesamten Organisation durchgesetzt. Hubbards unzählige Ethikanweisungen stellen nun eine, für jede "Org" verbindliche Normenvorgabe dar, die es, unter Strafandrohung, buchstabengetreu zu erfüllen gilt. Ihrer Verbreitung dienen die sog. Hubbard Communication Office Policy Letters (HCOPL), früher von Hubbard, nun von der obersten Leitungsebene der SO verfaßte Richtlinienbriefe, deren Handlungsanweisungen für alle Scientologen verbindlich sind. Im Innern der Organisation wachen "Ethikabteilungen" und "Ethikoffiziere" über die Einhaltung der Kodizes. Mit der "Handhabung" externer Kritiker beschäftigt sich das Office of Special Affairs (OSA), der scientologische Geheimdienst, der im deutschen Sprachraum auch als Presseund Rechtsamt bezeichnet wird. Die strafwürdigen Ethikvergehen umfassen auch einen Komplex "unterdrückerischer Handlungen", der sich explizit gegen interne und externe Kritik richtet. Es heißt dort u.a.: "Unterdrückerische Handlungen sind definiert als Handlungen oder Unterlassungen, die unternommen werden, um Scientology oder Scientologen wissentlich zu unterdrücken, einzuschränken oder zu behindern." 18 5. Scientology - eine religiös verbrämte totalitäre Ideologie Die SO, die selbst als religiöse Gemeinschaft, als angewandte religiöse Philosophie in der Tradition fernöstlicher Kulte auftritt, ist nach Auffassung der Konferenz der Innenminister und Innensenatoren (IMK) eine verdeckt operierende, strategisch angelegte, antidemokratische Organisation mit totalitären Zügen. Dabei dient die Positionierung der SO auf dem Markt der "religiös"-psychosozialen Lebenshilfen lediglich der Werbung neuer Anhänger, die, mit dem Versprechen auf Verbesserung ihrer persönlichen Situation in Abhängigkeit gebracht und in das kostenintensive Kurssystem integriert, zur Refinanzierung der Organisation beitragen. Bedeutsamer als die pseudoreligiöse Tarnung erscheint hier jedoch, daß Hinweise darauf existieren, daß die SO mittelund langfristig das Ziel anstrebt, Wirtschaft, Gesellschaft und letztlich die Politik zu unterwandern, um über Einfluß auf diesen Gebieten zu politischer Macht zu gelangen. Das Argument, die SO könne nicht eindeutig als extremistisch angesehen werden, weil ihren Aktivitäten das Element der politischen Bestimmtheit fehle, die Organisation nicht an den tradierten Formen des politischen Wettbewerbs teil'7 Ebd.,S. 16ff. 18 HCOPL in der Fassung vom 10. 09. 1983, S. 2 MBBBnnnnmiKi neun HWirfMii Werbung für den Heilsweg der SO nehme, greift nicht, da die einschlägigen SO-Publikationen das Gegenteil propagieren. Der Inhalt der Veröffentlichungen legt nahe, daß eine nach scientologischen Gesichtspunkten organisierte Gesellschaft die grundgesetzliche Werteordnung - z. B. den Gleichheitsgrundsatz, die Meinungsfreiheit, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das Recht auf Ausbildung und Ausübung einer Opposition - beseitigen oder in ihrer Wirkung erheblich beeinträchtigen würde. Auch den Äußerungen des klassischen Linksund Rechtsextremismus fehlt, wie der SO, zumeist jeder formalpolitische Charakter - einen politischen Anspruch und politische Ziele haben und verfolgen sie dennoch. Die ideologischen Vorgaben Hubbards, die von Scientologen als sakrosankte Handlungsanleitungen verstanden werden und die von der Führungsriege der SO formulierten strategischen Zielsetzungen, lassen durchaus erkennen, daß Scientology längerfristig verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgt und Berührungspunkte mit dem politischen Extremismus aufweist, wobei - und das ist eine Besonderheit - der ein92 zelne Scientologe nicht notwendigerweise Extremist sein muß, da er oft nur sich selbst und nicht "die Welt" verändern will. Die SO schmückt sich also mit kirchlichen, religiösen Attributen, um ihren wahren Charakter zu verschleiern. Da die Behauptung eine Religion zu sein, nur eine Staffage ist, genießt die SO in Deutschland nicht die Vorteile der durch Artikel 4 des Grundgesetzes geschützten Religionsfreiheit. Daß es sich bei der SO nach Auffassung der Bundesregierung nicht um eine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft handelt, hat inzwischen höchstrichterliche Bestätigung durch das Bundesarbeitsgericht (BAG) gefunden. Dem Bundesarbeitsgericht zufolge dient das Auftreten der SO als Kirche lediglich als Vorwand zur Verfolgung wirtschaftlicher Interessen.19 Bei Scientology wurden bislang nur tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Aktivitäten festgestellt. Der Verfassungsschutz soll diesen Kenntnisstand, u. a. durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, in Jahresfrist erweitern, verifizieren und den politischen Entscheidungsträgern Bericht erstatten. Er kann lediglich die Zuarbeit für die Politik leisten; der obliegt es dann, über geeignete Maßnahmen zu entscheiden. Der Verfassungsschutz ist eine reine Nachrichtensammelstelle ohne Exekutivbefugnisse, wobei der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nur eingeschränkt möglich ist. Die Bekämpfung des Phänomens ist - aus guten Gründen - nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes. Nach den zur Zeit vorliegenden Erkenntnissen ist die Scientology Organisation um einiges kleiner und weniger effizient, als sie in ihren Selbstdarstellungen glauben machen will. Man kann bei der SO allerdings sehr wohl eine gesellschaftsschädigende Komponente ausmachen, die sich aus verschiedenen Elementen, wie totalitärer Binnenstruktur, wirtschaftskriminellen Aktivitäten zusammensetzt. Außerdem erzeugt die SO innerhalb ihres Systems einen starken inneren Druck, der von oben nach unten weitergegeben wird. Die Geschichte zeigt, daß solche Systeme auf längere Zeit nur überleben können, wenn sie reformfähig sind. Inwieweit Scientology entwicklungsfähig, wandlungsfähig und fähig zu weiterer Expansion ist, muß sich zeigen. Der Druck, der in Deutschland durch die Beobachtung der Verfassungsschutzbehörden und eine weitgehende gesellschaftliche Ächtung auf die SO ausgeübt wird, drängt Scientology in die Defensive. Deutschland bewegt sich in seiner Reaktion auf die Anfechtungen durch die SO durchaus im Kanon der Reaktionen anderer europäischer Länder. Die von der SO postulierte Sonderrolle Deutschlands, die die seitens des Staates gegen die SO geübte Praxis gern mit der Verfolgung der Juden in Hitlerdeutschland gleichsetzt, ist nirgendwo sichtbar. Die SO tritt nicht zu Wahlen an, beteiligt sich weder am parlamentarischen noch am außerparlamentarischen Wettstreit. Es erscheint allerdings falsch, vom Fehlen des formalpolitischen Charakters im Wirken der SO auf das Fehlen einer politischen Dimension zu schließen, denn ihre Aktivitäten sind ideologisch deter- " Beschluß des Bundesarbeitsgerichts vom März 1995 - 5 AZB 21 / 9 4 . 93 ES GIBT EINEN BESSEREN {^ /N * f ^ WEG, AUF OT t?J? L C ^ ' M I ZUZUSTEUERN.* J '' " * ^ DEN NUR AUF DER FREEWINDS ERHÄLTLICHEN OT-DEBUG Auf einem Schiff der SO erfolgt die Ausbildung zum Operierenden Thetan (OTj miniert und, expressis verbis, politisch bestimmt. Terroristischen Aktivitäten z. B. fehlt gleichfalls jeder formalpolitische Charakter - eine politische Dimension besitzen sie dennoch. Die Ablehnung der Demokratie als politischer Organisationsform und das angestrebte Fernziel, die "Klärung" der Welt, die die Errichtung einer scientologisch geprägten Gesellschaft in Aussicht stellt, sprechen für sich. Damit verkörpert die SO eine neue Qualität des Extremismus, abseits des tradierten LinksRechts-Schemas. 6. Glossar scientologischer Begriffe Aberation/Aberierte - nach dem Verständnis der Scientologen ist Aberation ein "Abweichen vom vernünftigen Denken oder Verhalten" und damit "geistiger Gesundheit entgegengesetzt". Damit wird das gesamte geistige Leben außerhalb der Scientology als fixe Ideen, als Ausfluß krankhafter Wahnzustände disqualifiziert. Alle Nicht-Scientologen sind demnach Aberierte, die man bekehren muß. Auditing/Auditor - lat. audire: hören. Von der SO angewandte Fragetechnik, welche die Organisation selbst als "geistliche Beratung" bezeichnet, eine Mischung aus Verhör, Beichte und Therapietechnik. Der fragende SO-Angehörige, der Auditor, wird als Geistlicher definiert. Nach Aussteigerund Kritikerangaben dient die Methode auch der systematischen Ausforschung der Intimsphäre des Betroffenen und eröffnet der SO vielfältige Möglichkeiten der Bewußtseinskontrolle, der Manipulation oder auch der Erpressung. In einer Eigenwerbung der "Kirche" heißt es verharmlosend: "In einer Auditing-Sitzung, der seelsorgerischen Beratung der Scientology-Kirche, hilft der Auditor dem Gemeindemitglied, seine Fähigkeiten zu verbessern und höheres spirituelles Bewußtsein zu erlangen". Beim Auditing kommt ein sog. "E-Meter" zum Einsatz, ein primitives Hilfsgerät nach Art eines Lügendetektors, das den Widerstand mißt, der einem 94 schwachen elektrischen Strom beim Körperdurchfluß entgegengebracht wird. Über die Veränderung des Hautwiderstandes sollen laut Scientology Aussagen über die Befindlichkeit bzw. Entwicklungsbedürftigkeit eines Befragten möglich sein. Das E-Meter soll psychische Blockaden, sog. "Engramme" (siehe dort) auf der "Zeitspur" (siehe dort) des Menschen finden, die über den Weg der Bewußtwerdung "geklärt", unwirksam gemacht werden. ABLE - Association for Better Living an Education International - dt.: Internationale Assoziation für Besseres Leben und Bildung, Teil der strategischen Planungsund Führungsebene der SO. ABLE verbreitet "LRH-Tech" (siehe dort) in den sozialen Bereichen der Gesellschaft, z. B. über Nachhilfeunterricht, AntiDrogenund Resozialisierungsprogramme. Es handelt sich um Alibi-Aktionen, mit deren Hilfe SO-Gedankengut getarnt verbreitet wird. "Brücke zur völligen geistigen Freiheit" - bezeichnet in der Kunstsprache der SO den langen und kostspieligen Weg zum "Operierenden Thetan" (OT; siehe dort), der nur durch die Absolvierung von derzeit über 200 Kursen beschritten werden kann. Church - dt.: Kirche. Teil der SO, der mit einer Kirche im eigentlichen Sinne wenig gemein hat. Auffällig ist die marginale Stellung des scientologischen "Glaubensbekenntnisses" und die Uberbetonung des wirtschaftlichen Segments der "Church", deren hauptsächlicher Zweck im Verkauf von Materialien, Kursen, Büchern, Kassetten und den Rechten am Namenszug Hubbards besteht. Inhalt: Scientology, Dianetik, "LRH-Tech" (siehe dort). Sitz Clearwater/Florida und Los Angeles. Clear/Preclear - Das Ziel der "Dianetik" (siehe dort) ist es, durch Auditing clear (geklärt) zu werden, d. h. total befreit zu sein, frei von Störungen und Krankheiten, immun gegen radioaktive Strahlung, ausgestattet mit hoher Intelligenz, "power" und Kreativität. Erreichen können dieses Ziel nur Scientologen, der Rest der Menschheit ist laut Hubbardex kathedra - : "preclear" (ungeklärt). DSA/OSA - Department for Special Affairs/Office of Special Affairs - dt.: Abteilung/Büro für spezielle Angelegenheiten, eine Bezeichnung für den scientologischen Geheimdienst, der im deutschen Sprachraum auch als Presseund Rechtsamt bezeichnet wird. Bei jeder scientologischen Niederlassung mit mehr als 150 Mitarbeitern soll ein Ableger dieser Institution gehalten werden. DSA und OSA arbeiten auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Dianetics/Dianetik - von Hubbard geprägtes Kunstwort aus griechisch dia = durch und nous = Verstand, welches für die von ihm entwickelte "Selbsthilfemethode" steht, die angeblich "ungenutztes geistiges Potential und wahre Fähigkeiten" freisetzten soll. Hubbard bezeichnet die Dianetik auch als "Wissenschaft des Geistes". Erstmals in einem Science-Fiction-Magazin veröffentlicht, fand "Dianetics" durch den gleichnamigen Hubbard-Bestseller von 1950 weite Verbreitung. Ziel der "Dianetik" ist es, clear (siehe dort) zu werden. Engramme - nach Hubbard störende Zustände, auch aus "früheren Leben", die den Scientologen hindern, "clear" zu sein. Die Engramme sind angeblich auf einer "Zeitspur" (siehe dort) aufgezeichnet und können durch "Auditing" (siehe dort) beseitigt werden. Geschieht dies nicht, entstehen laut Hubbard zwangsläufig psychosomatische Krankheiten. Ethik/Ethik-Akten/Ethik-Offizier - "Ethik" ist der zentrale Begriff der SO-ldeologie, wobei das scientologische Ethikverständnis in keiner Weise dem üblichen Sinn des Begriffes entspricht. "Ethik" wurde von Hubbard redefiniert als "Vernunft und Erwägung in Bezug auf optimales Überleben". Damit wird der Zweck verfolgt "... Gegenabsichten aus der Umwelt zu entfernen. Nachdem das erreicht worden ist, hat sie (die Ethik) zum Zweck, Fremdabsichten aus der Umwelt zu entfernen." Ethisch ist also alles, was Scientology nutzt - gegenteilige Meinungen, zuwiderlaufende Handlungen sind "unethisch". In den "Ethik-Akten" werden alle erreichbaren Daten eines Scientologen festgehalten. Der "Ethik-Abteilung" und dort dem "Ethik-Offizier" obliegt die Kontrolle und Erweiterung der "Ethik-Akten". Der "Ethik-Offizier" ist die Überwachungsund Kontrollinstanz in der Welt der SO. Er wird tätig, wenn ein Scientologe "falsch funktioniert", "fallende Statistiken" meldet oder Kritik übt. Er verhängt Strafen und wacht darüber, daß der jeweilige Scientologe "seine Ethik in Ordnung bringt". Hubbard nennt elf Ethikzustände, an denen jeder Scientologe gemessen wird. handhaben - kennzeichnet die Summe aller scientologischen Praktiken, die dazu dienen, Probleme, Situationen und Personen "in den Griff zu bekommen", d. h. stets zu agieren, nie zu reagieren. Wer z. B. Kritik übt, muß "gehandhabt" werden. Hubbard, Lafayette Ronald (Ron) - 1911 in Tilden Nebraska geboren. Hubbard landete in den fünfziger Jahren mit seinem Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft von der geistigen Gesundheit" einen Bestseller. Der mäßig begabte Science-Fiction-Autor fügte der dianetischen Technik später den "Thetanen" hinzu, erweiterte sie zur "Scientology-Religion" aus und propagierte den Inhalt nun als Religion. Anfang der achtziger Jahre mußte er seine Führungsrolle an eine nachgewachsene Führungsschicht junger Scientology-Technokraten abgeben, die das System reformierten und zu einem weltweit operierenden Konzern mit Weltmachtanspruch umgestalteten. Aus dem Leben Hubbards sind nur wenige "harte Daten" bekannt, eine unabhängig verfaßte Hufoc>ara'-Biographie muß erst noch geschrieben werden. Die Scientologen verehren in Hubbard den "founder" (Gründer), statten ihn mit allerlei genialischen Fähigkeiten aus und verliehen ihm schon zu Lebzeiten den Status eines Säulenheiligen. Quasi gottähnlich verließ sein Thetan (siehe dort) den Body am 24. 1. 1986. Hubbard Communication Office Policy Letters (HCOPL) - Von Hubbard verfaßte, für jeden Scientologen verbindliche Richtlinienbriefe. Sie sind in voluminösen Kompendien, den "grünen Volumes", zusammengefaßt, die als praktische Handlungsanleitungen dienen. Sie müssen in allen Scientology-Filialen und 96 scientologisch geführten Unternehmen vorhanden sein und buchstabengetreu angewendet werden. LRH - Abkürzung für Lafayette Ronald (Ron) Hubbard (siehe Hubbard). LRH-Tech - Hubbards scientologische Managementund Verwaltungstechnologie, deren wesentliche Elemente das sog. "Org.-Board", die "Statistiken (siehe dort) und die "Ethik-Abteilung" (siehe dort) sind. MEST - Nach Hubbards Definition besteht das Universum aus "Matter, Energy, Space and Time" (Materie, Energie, Raum und Zeit). Die Thetanen operieren im MEST-Universum, beherrschen die genannten Elemente und können dort jeden beliebigen Platz aufsuchen. OCA - Oxford Capacity Analysis - Bezeichnung des scientologischen Persönlichkeitstests. Nach der Beantwortung von ca. 200 z.T. absurden Fragen entsteht die sog. "OCA-Kurve", die angeblich Schwachstellen des Probanden auffindbar werden läßt. Ein Negativergebnis ist in jedem Falle vorprogrammiert und soll zum Kauf von SO-Kursen und Materialien anregen. Eine wissenschaftliche Qualität des Tests konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Der meist mit dem Bild Einsteins versehene Test besitzt einen einzigen Zweck: den Kundenfang. Org - Abkürzung für eine scientologische "Organization". Die Org oder auch "Class-V-Organization" steht in der Hierarchie über der Mission. PTS - Potential Trouble Source - dt.: potentieller Ärgernisverursacher, ist ein jeder, der mit einer "unterdrückerischen Person" (Suppressive Person - SP; siehe dort) in Verbindung steht. Die PTS muß "gehandhabt" werden (siehe dort). Raw Meat - dt.: rohes Fleisch ist verächtliche Bezeichnung für alle Nicht-Scientologen. Reinigungs-Rundown - scientologischer Kurs zur Entgiftung des Körpers. Exzessive Saunagänge, hochdosierte Vitamingaben und Jogging soll einen im scientologischen Sinne reinen Körper, Voraussetzung für einen gesunden Geist, fabrizieren. Denn, so Hubbard: Reiner Körperklares Denken. Hubbard entwickelte das Reinigungsprogramm u. a. deswegen, weil er feststellte, "... daß immer mehr Menschen aufgrund der Umweltbelastungen sich nicht oder nur schlecht an Geschehnisse in ihrer Vergangenheit erinnern konnten". Religious Technology Center (RTC) - Machtzentrum auf der obersten Hierarchieebene der SO unter Leitung von David Miscavage in Los Angeles. Das RTC koordiniert seit 1982 - aus steuerlichen Gründen - die lizensierte Vergabe der Rechte fast aller Namenszüge, Titel, Begriffe und eingetragenen Warenzeichen der SO, u.a. "Scientology", "Dianetik", "Hubbard" "LRH-Tech". Schwarze Propaganda/Schwarze PR - Summe scientologischer Techniken, die der Handhabung von Kritikern und Gegnern dienen. Hubbard: "Der komplizierteste Gebrauch von PR ist ihr versteckter Gebrauch, um den Ruf von Personen und Gruppen zu vernichten. Der korrekte Fachausdruck dafür ist Schwarze Propaganda. Im Grunde ist es eine Spionagetechnik." 97 Scientology - ein Kunstwort aus lat.: scire = wissen und griech.: logos = Wort. Die "Lehre des Wissens" ist die vom SO-Gründer Hubbard (siehe dort) entwickelte esoterische Pseudophilosophie, die auf dem Denkgebäude der Dianetik (siehe dort) aufbaut, um den Thetanen bereichert und eine Summe von Methoden propagiert, die dem Menschen angeblich zu einer Gottähnlichkeit verhelfen sollen. Im Kern chiliastisch, propagiert Scientology die Erlösung des Menschen in einem scientologisch geprägten goldenen Zeitalter. Scientology erhebt gegenüber Dianetik den Anspruch, eine Religion zu sein und ist heute Bezeichnung für die gesamte Organisation. Sea Org - von Hubbard geschaffene Elite-Kadettenanstalt und Kaderschmiede der SO mit Sitz auf dem SO-Schiff "Freewinds" und in der sog. "Flag LandBase", dem ehemaligen Hotel Fort Harrison in Clearwater/Florida. Die höheren Scientology-Weihen (ab Ol III) kann man nur dort erreichen. SP - Suppressive Person - dt.: unterdrückerische Person. Ein jeder, der aktiv gegen Scientology agiert. Nach einer von Hubbard erlassenen "Freiwild-Doktrin" ist der SP sprichwörtlich alles zuzutrauen. Er qualifiziert die "SP" von vornherein als "böse" und "antisozial". Logische Konsequenz: mit der SP ist im Sinne der SO nach Gutdünken zu verfahren. Statistik - die Statistiken sind zentraler Bestandteil des Lebens eines jeden Scientologen. An ihnen - und nur daran -werden Erfolg und Mißerfolg des Einzelnen im scientologischen System gemessen. Täglich, wöchentlich und monatlich muß abgerechnet werden. Nur wer steigende Statistiken, also wachsende Produktivität, aufweist, gilt als gesund und "powerfull". Schwindel ist vorprogrammiert, zumal sinkende Statistiken Sanktionen (Abmahnungen, Strafen, öffentliche Selbstkritik u. ä.) nach sich ziehen können. Thetan - scientologisches Geistwesen, das unsterblich ist und sich demzufolge in jedem Leib verkörpern kann. Laut Hubbard ist der "Thetan" neben Körper (body) und Verstand (mind) Teil des Menschen. Der "Thetan" ist eine, das eigene Ich darstellende Geistseele mit übersinnlichen Kräften, den von seinen Fesseln zu befreien, Sinn und Ziel der Scientology ist. Im Zustand völliger geistiger Freiheit wird aus dem "Thetanen" der "Operierende Thetan" (OT). Die "operierenden Thetanen" befinden sich jedoch ebenfalls im Status differenzierter Omnipotenz, gibt es doch, für teures Geld, "OT's" der Stufen I bis VIII auf einer nach oben offenen Skala. Bei jeder Wiedergeburt, so Hubbard, sucht sich der Thetan einen neuen "body", nicht unbedingt einen menschlichen. Als "OT" wird der Scientologe Herr über das "MEST-Universum" (siehe dort), seine Aufgabe ist, es zu "klären" (siehe dort). War ehest - dt.: Kriegskasse. Sie wurde eingerichtet, um die SO-Kampagnen "Clear Planet", "Clear Europe", "Clear Deutschland" und "Clear Schweiz" zu finanzieren. Alle Scientologen sind gehalten, sich an der Finanzierung zu beteiligen. 98 WISE - World Institute of Scientology Enterprises - WISE ist, als Teil der strategischen Planungsebene, verantwortlich für alle wirtschaftlichen Aktivitäten der SO. Die 1979 gegründete WISE-Gruppe vereint alle Unternehmer, die nach scientologische Lizenzen mit "LRH-Tech" wirtschaften. Sie müssen angeblich einen nicht unerheblichen Teil ihres Umsatzes an die WISE-Zentrale in Clearwater abführen. Zeitspur - scientologischer Begriff, der die zeitliche Abfolge aller "früheren Leben" des einzelnen Scientologen verdeutlichen soll. Mit dem Auditing können die Scientologen auf Bewußtseinsebene in diese Leben zurückkehren. Mittels "E-Meter" (siehe "Auditing") werden dann die in den Biographien verborgenen sog. "Engramme" (siehe dort) beseitigt. VII. Spionageund Sabotageabwehr "Die Frage, ob man Spionage braucht oder nicht, ist rein theoretischer Art. Kein halbwegs großer Staat, geschweige denn ein sehr großer, kann ohne sie aus(Jewgeni Primakow, 1995) 1. Überblick Der Zusammenbruch der Sowjetunion und das Ende des Ost-West-Konflikts haben die internationalen Beziehungen verändert. Die politische und wirtschaftliche Trennung Europas in Ost und West wird durch die Osterweiterung von NATO und EU langsam überwunden. Dessen ungeachtet geht - bei unterschiedlichsten Auffassungen - die ständig wachsende Annäherung zwischen den europäischen Staaten nur sehr zögerlich mit einem gleichzeitigen Abbau der Spionage einher. Während etwa die Tschechische Republik und Ungarn offiziell bekundeten, von einer Spionage gegen Deutschland abzusehen, änderten andere Staaten lediglich Intensität oder sogar nur Methoden der Spionagetätigkeit, um an geheimhaltungsbedürftige Informationen zu gelangen. Dabei richten sie ihr Hauptaugenmerk auf die Bereiche Wirtschaft, Politik und Militär. Hierbei kommt den fremden Nachrichtendiensten immer wieder entgegen, daß in Deutschland offensichtlich eine geringe Sensibilität gegenüber den Gefährdungen der Sicherheit existiert, die von diesen Diensten ausgehen. Solche geheimdienstlichen Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Bundesrepublik und hier insbesondere in Thüringen zu erkennen und zu verhindern, ist die Aufgabe der Spionageabwehr des TLfV. Bei den geheimdienstlichen Tätigkeiten zählt zwar die Spionage als Schwerpunkt der Abwehr- arbeit, ebenso werden aber staatlich gelenkte Sabotageund Subversionsversuche (Einwirkung auf den Meinungsund Willensprozeß) beobachtet. Hinsichtlich der präventiven Spionageund Sabotageabwehr in sensiblen Bereichen der Wirtschaft gibt es zwischen dem TLfV und dem Ministerium für Wirtschaft und Infrastruktur eine enge Zusammenarbeit. Die Wirtschaftsspionage hat sich zweifellos zum Schwerpunkt der Aktivitäten fremder Nachrichtendienste entwickelt. Dabei geht es um die staatlich gelenkte oder von einem anderen Staat geschützte, vom fremden Nachrichtendienst ausgehende Aufklärung in Wirtschaftsunternehmen und -betrieben. In der Bundesrepublik Deutschland sind neben osteuropäischen Nachrichtendiensten (Rußland, Kasachstan, Ukraine, Rumänien, Bulgarien) auch solche des Nahen und Mittleren Ostens (Iran, Irak, Libyen, Syrien) und Asiens (China, Nordkorea) aktiv. In Thüringen wurden im Jahr 1997 verstärkt die Aktivitäten russischer Nachrichtendienste beobachtet. Das TLfV beobachtet die fortwirkenden Aktivitäten von Mitgliedern des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, sofern sie verfassungsfeindlichen Charakter tragen. 2. Fortwirkende Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen DDR Gemäß SS 2 Abs. 1 Satz 4 ThürVSG sind Personenzusammenschlüsse ehemaliger Mitarbeiter des MfS sowie anderer ehemals staatsnaher Institutionen dann zu beobachten, wenn diese heute noch nachrichtendienstlich tätig sind. Als Interessengemeinschaften ehemaliger MfS-, NVA-, Zollverwaltungsund Polizeiangehöriger sind bekannt: * die Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR e.V. (ISOR e.V.) * die Gesellschaft zur rechtlichen und humanitären Unterstützung (GRH) * die Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrechten und Menschenwürde e.V. (GBM). Für diese drei Vereine steht inzwischen fest: um fortwirkende Strukturen im Sinne des o. g. Gesetzes handelt es sich nicht. Nachrichtendienstliche Aktivitäten sind bei keiner Organisation festgestellt worden. Vielmehr haben sie sich zum Ziel gesetzt, gegen gesetzlich festgelegte Beschränkungen des Rentenanspruchs bei den o. g. Berufsgruppen vorzugehen, die sie selber als "Rentenstrafrecht" bezeichnen. Die Mitglieder - nahezu ausnahmslos Pensionäre - sehen ihre Menschenrechte und Grundfreiheiten verletzt, weil nach ihrer Auffassung Rentenrecht und politisches Strafrecht miteinander vermischt würden. Ihrem Unmut darüber machen sie mit demokratischen Mitteln Luft, so wurde Klage beim Bundes100 Verfassungsgericht eingereicht, Petitionen an den Petitionsausschuß des Deutschen Bundestages gesandt und das Europäische Parlament über den aus ihrer Sicht politisch motivierten Mißbrauch des Rentenrechts informiert. Alle drei Organisationen existieren als Territoriale Initiativgemeinschaften oder Territoriale Arbeitsgruppen in Thüringen, wobei die ISOR e.V. mit 2.273 Mitgliedern am stärksten vertreten ist.20 Anzumerken ist, daß es trotz ähnlicher Anliegen und Interessen zwischen ISOR, GRH und GBM in Thüringen so gut wie keine Zusammenarbeit gibt. Das Engagement für ehemalige "Kundschafter für den Frieden" ist nach wie vor hoch. Für verurteilte IM-West wird die Rehabilitierung, für einsitzende Agenten die Lockerung der Haftbedingungen gefordert. Kaum einen gemeinsamen Nenner bei ihrer Arbeit fanden die Mitglieder vom Insiderkomitee für die Aufarbeitung der Geschichte des MfS e. V., Berlin (IK). Ehemalige hochrangige Mitglieder der Hauptabteilungen des MfS und der Hauptverwaltung Aufklärung hatten sich 1 992 zusammengetan, um ihre berufliche Vergangenheit kritisch aufzuarbeiten. Was für einige IK-Angehörige "wahrheitsgetreue" Geschichtsaufarbeitung war, empfanden andere jedoch als Nestbeschmutzung. Auf der IK-Mitgliederversammlung vom 12. April wurde - diesmal einvernehmlich - festgestellt, daß * die in das IK gesetzten Erwartungen nichterfüllt worden, * die große Resonanz bei ehemaligen MfS-Mitarbeitern ausblieb und * geplante Projekte nicht realisiert werden konnten. Nach fünf Jahren recht erfolgloser Arbeit wurde das Insiderkomitee aufgelöst. Um jedoch "keine falschen politischen Signale" zu setzen, soll es fortan innerhalb der GBM ein Insiderkomitee zur kritischen Aneignung der Geschichte des MfS (IG) geben. Arbeitsgruppen des IK existierten in Thüringen nie. Zu allen vorgenannten Organisationen bleibt abschließend festzuhalten: sie arbeiten weder konspirativ noch sind sicherheitsgefährdende Tendenzen erkennbar. Der Schwerpunkt bei der Aufdeckung fortwirkender Strukturen liegt hingegen in der Suche nach Personen, die zu Vorwendezeiten für das MfS und/oder den KGB tätig waren, den sogenannten KGB-Helfern, deren Dienste nie eingestellt oder nach der Wende für Nachfolgedienste des KGB reaktiviert worden sind. Sie verfügen nicht selten über eine hohe Bildung und haben exponierte Stellungen sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst eingenommen. Ebenso interessant sind ehemalige hauptamtliche Angehörige des MfS und wertige Ex-IMs, wenn ihnen der Wechsel in ausgewählte Wirtschaftsbranchen ohne übliche staatliche Fördermittel zu gut gelang oder sie den Sprung in den öffentlichen Dienst schafften, weil beispielsweise Anfragedaten zu ihrer Vergangenheitsüberprüfung manipuliert wurden. An der Aufdeckung solcher Machenschaften wird das TLfV auch weiterhin mit Nachdruck arbeiten. 2deg Vgl. ISOR aktuell Nr. 8 1997. 3. Aktivitäten fremder Nachrichtendienste Die Aktivitäten fremder und ggf. auch befreundeter ausländischer Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland sind vor allem auf eine möglichst umfassende Ausforschung der Politik/Militärpolitik der Bundesrepublik und des deutschen Wirtschaftspotentials gerichtet. Dabei reicht die Bandbreite ihrer nachrichtendienstlichen Bemühungen von der "klassischen" Spionage bis hin zur Beschaffung von sogenannten Dual-use-Gütern21 und Schlüsseltechnologien und bezieht auch die Beobachtung von Dissidenten bzw. Oppositionellen der jeweiligen Länder ein. Nachrichtendienstlich gesteuerte sensitive Geschäfte sind vor allem von den sogenannten Krisenbzw. Schwellenländer des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens (Iran, Irak, Syrien, Libyen, Pakistan, Nordkorea, Indien) bekannt. Die Nachrichtendienste Nordkoreas beschaffen Know-how zur Durchführung nicht nur ihrer eigenen Rüstungsprogramme, sondern auch für die anderer Länder. Der Iran bedient sich vielfältiger Tarninstitutionen und Tarnfirmen, deren Hauptaufgabe die Beschaffung von Trägertechnologien ist. Diese werden vor allem für den Raketenbau genutzt, wobei bekannt ist, daß dafür mehrere Entwicklungsprogramme gleichzeitig laufen. Iranischen Meldungen zufolge ist das Land bestrebt, eine weitgehende Unabhängigkeit in der Rüstungsproduktion zu erreichen. Zu diesem Zweck kauft der Iran in Europa Werkzeugmaschinen und Teile von Produktionsanlagen ein. Zentrale Beschaffungsstrukturen kennzeichneten bis vor kurzem die Bemühungen um illegalen Technologietransfer des Irak. Das Land ist im Besitz von Raketen und hält trotz weitreichender UNSCOM-Kontrollmaßnahmen22, die im Jahre 1997 durch einen Konfliktfall weltweites Interesse fanden, an seinen ABC-Waffen23und Raketenprogrammen fest. Weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit startete Syrien Ende der siebziger Jahre ein eigenes Programm zur Herstellung chemischer Kampfstoffe. Eine im zivilen Sektor auf den Gebieten Werkstoffe, Optoelektronik, Fernerkundung/Satellitenaufklärung, Solarenergie und Festkörperphysik tätige Forschungseinrichtung und dessen Filialen sind wahrscheinlich an der Beschaffung von Dual-use-Gütern und Technologien zur Durchführung dieses Programms beteiligt. Syrien verfügt mittlerweile über Bestände an chemischen Kampfstoffen. Libyen hat zwar die B-Waffenkonvention unterzeichnet, scheint aber weiterhin an dem Ziel, eigene C-Waffen herstellen zu können, festzuhalten. Während die libysche Regierung weiterhin an ihrer Aussage festhält, daß die in die Schlag21 Dual-use-Güter: Erzeugnisse, die neben ihrer zivilen Verwendbarkeit auch für militärische Zwecke genutzt werden können, so zum Bau von Waffen, Waffensystemen etc. 22 Abrüstungsmission der Vereinten Nationen. 23 Atomare, biologische und chemische Waffen. zeilen geratene Anlage Pharma 150 in Rabta lediglich eine Pharmaziefabrik sei, gibt es weitere Hinweise auf die Existenz einer Kampfstoffabrik, die jedoch laut libyschen Aussagen lediglich Teile eines Bewässerungsprojektes sein sollen. In diesem Jahr wurde die Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit den Polizeibehörden und dem Zoll intensiviert, um den nachrichtendienstlich gesteuerten illegalen Technologietransfer aufzudecken und bereits im Ansatz zu verhindern. Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation zeigen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eine starke Präsenz, auch im Land Thüringen wurden weiterhin hohe Aktivitäten festgestellt. Die aus dem ehemaligen KGB hervorgegangenen drei umstrukturierten und der aus UdSSR-Zeiten unverändert übernommene militärische Nachrichtendienst bilden die Basis für die gegen Deutschland gerichtete Auslandsspionage: * Ziviler Auslandsnachrichtendienst (SWR) * Föderaler Dienst für Sicherheit (FSB) * Bundesagentur für das Nachrichtenund Informationswesen der Regierung beim Präsidenten der Russischen Föderation (FAPSI) * Militärischer Nachrichtendienst (GRU). Ihre Aktivitäten auf dem Gebiet der Informationsbeschaffung sind staatlich legitimiert, ja sogar ausdrücklich festgeschrieben. Das Gesetz über die russische Auslandsaufklärung (vom 17. Januar 1996) legt im Paragraph 5 seine Ziele konkret fest, und zwar "dem Präsidenten, der Bundesversammlung und der Regierung der Russischen Föderation die nachrichtendienstlichen Informationen an die Hand zu geben, die sie als Entscheidungsgrundlage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Verteidigung, Wissenschaft, Technik und Umwelt benötigen" und "die wirtschaftliche Entwicklung und den wissenschaftlich-technischen Fortschritt des Landes zu unterstützen und die Sicherheit der Russischen Föderation in militärisch-technischer Hinsicht zu gewährleisten". Im Gesetz orientiert man darauf, "mit Unternehmen, Institutionen und Organisationen der Russischen Föderation Verträge zu schließen, die zur Erfüllung ihres Nachrichtenbeschaffungsauftrages notwendig sind". Das ausdrückliche Ziel der Informationsbeschaffung beschränkt sich jedoch nicht nur auf den Auslandsnachrichtendienst SWR, auch die FAPSI, die sogenannte "russische TELEKOM", bemüht sich um Kontakte auf dem westlichen Markt und die GRU ist längst nicht mehr nur an nachrichtendienstlichen Informationen mit militärischem Bezug interessiert, sondern dehnt ihr Interessengebiet auch auf die Politik, die High-Techund die Computerbranche aus. Zu den primären Aufgaben des FSB gehört die - gegebenenfalls auch grenzübergrei103 fende - Überwachung ausländischer Staatsbürger unter nachrichtendienstlichem Aspekt. Besonders aktiv und öffentlichkeitswirksam zeigte sie sich 1997 im wirtschaftlichen Bereich. Sie soll die russische Wirtschaft durch die Suche nach verläßlichen Geschäftspartnern unterstützen und bietet ausländischen Investoren persönlichen Schutz an. Jelzin drängte 1997 die russischen Geheimdienste auf eine bessere Koordinierung der für die nationale Sicherheit tätigen staatlichen Organe. Dieses Hauptziel stellte sich auch das zweite Treffen der Abwehrdienste der GUS-Staaten, das unter Federführung Rußlands im Oktober 1 997 stattfand. Als weiteres Ziel gaben die Abwehrdienste der GUS-Länder eine qualitative Verbesserung der Zusammenarbeit, insbesondere durch Datenund Informationsaustausch und verbesserte gemeinsame wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit, an. Wichtig ist vor allem für Geschäftsreisende und Firmeninhaber die Tatsache, daß Daten über im Ostgeschäft tätige, interessant scheinende Personen schon bei der Visabeantragung über die Botschaften an die Dienste abfließen und somit operativ genutzt werden können. Hilfreiche Hinweise im Zusammenhang mit Reisen und Aufenthalten in der Russischen Föderation sind in der Broschüre "Sicher reisen und arbeiten in Rußland" 24 enthalten. Es ist zu beobachten, daß sich ehemalige KGB-Mitglieder beruflich umorientieren und nunmehr in Wirtschaftsunternehmen, privaten Sicherheitsdiensten oder als Wirtschaftsberater für den russischen Markt tätig sind. Dabei kann man davon ausgehen, daß es sich durchaus nicht in allen Fällen um echte "ND-Aussteiger" handelt. Es liegen Erkenntnisse darüber vor, daß sich ehemalige sowjetische Auslandsaufklärer in kommerziellen und unternehmerischen Strukturen zusammengeschlossen haben, deren Ziel unverkennbar auch nachrichtendienstliche Tätigkeit für den russischen Staat ist. Neue Erkenntnisse lassen vermuten, daß das vom KGB zu DDR-Zeiten installierte Hilfsnetz von sogenannten "KGB-Helfern" nach den politischen Veränderungen der letzten Jahre zumindest in Teilbereichen reaktiviert und möglicherweise in ein aktives Agentennetz umgewandelt werden soll. Nach dem bisherigen Erfahrungsund Erkenntnisstand haben russische Dienste in Thüringen mehrere Versuche unternommen, frühere "KGB-Helfer" zu reaktivieren. Aufgrund von Informationen eines ehemaligen KGB-Agenten wurde im Landesamt ein Verdachtsfall bearbeitet, der Anhaltspunkte hinsichtlich aktueller Spionageversuche für einen russischen Nachrichtendienst enthielt. Eine besondere Brisanz lag vor, weil die verdächtige Person seit 1990 in sensiblen Bereichen des öffentlichen Dienstes im Freistaat Thüringen tätig war. Bis 1990 war sie als IM in der Westaufklärung für die HVA (Hauptverwaltung Aufklärung des 24 Hg. vom Deutschen Industrieund Handelstag in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit in der Wirtschaft. Bonn 1997. 104 MfS) aktiv. Ihre Führungsoffiziere beurteilten sie als "Top-Agenten". Nach hiesigen Erkenntnissen wurde diese Person 1 987 ohne Kenntnis des MfS vom damaligen KGB geworben und war bis in die Gegenwart für einen russischen Nachfolgedienst tätig. Der Fall wurde 1 997 abgeschlossen. Zur Tätigkeit ausgeschiedener Agenten der russischen Dienste Womit beschäftigen sich eigentlich pensionierte russische Top-Spione? Eine Vielzahl von ihnen hat sich längst nicht in ein ruhiges, bürgerliches Leben zurückgezogen. Im April 1991 wurde die "Assoziation der Veteranen der Auslandsaufklärung" gegründet und existiert heute, sechs Jahre später, unter der Bezeichnung "Organisation Veteranen der Auslandsaufklärung" (OWWR) mit mehr als 3.000 Mitgliedern. Selbstgestellte Ziele dieses Zusammenschlusses sind neben dem Gedankenaustausch auch die Unterstützung bei vielschichtigen Problemen, die nach dem Abzug der Auslandsagenten und ihrem damit verbundenen offizieilen Ausscheiden aus der nachrichtendienstlichen Tätigkeit auftreten, insbesondere in der sozial-kommunikativen Betreuung, finanziellen Absicherung und medizinischen Versorgung. Dabei geht die OWWR jedoch über die Grenzen einer Interessenvertretung ehemaliger russischer Aufklärer weit hinaus. Walentin Nikolajewitsch Fjodorow, Organisationsleiter, betont die herausragenden Eigenschaften ehemaliger Auslandsagenten: "Von der Spionage Pensionierte - das ist ein elitärer, hochintellektueller Teil der Gesellschaft, das sind ehrliche, disziplinierte, verantwortungsvolle Leute ... Mit einem Wort, mit ihnen kann man Spionage betreiben."25 Neben einer breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit, die unter anderem die Herausgabe eines sechsbändigen Werkes unter dem Titel "Abriß der Geschichte der russischen Auslandsaufklärung" umfaßt und eine Plattform in den Massenmedien sucht, ist die OWWR auch unternehmerisch aktiv. Unter ihrem Dach schuf sie eine Reihe von Geschäftsstrukturen, deren Einnahmen, ihren eigenen Angaben zufolge, teilweise zur Finanzierung und Absicherung sozialer Leistungen Verwendung finden. Darüber hinaus bieten in diesen Unternehmen ehemalige Mitarbeiter des Auslandsaufklärungsdienstes SWR, des Inlandsnachrichtendienstes FSB und des Ministeriums des Inneren ihre Dienste an. So wurden vor allem Consultingdienste, Detekteien und Sicherheitsunternehmen in enger Zusammenarbeit mit der Organisation "Veteranen der Aufklärung" gegründet, dazu kamen Beteiligungen an Versicherungsgesellschaften, Pharma-, Handelsund Tourismusunternehmen, und sogar an Banken. Fjodorow betont immer wieder, wie nutzbringend der reiche Erfahrungsschatz ehemaliger Top-Spione noch heute für die Organisation selbst und darüber hin25 Broschüre der O W W R . aus für die gesamte russische Politik ist: "Unsere Organisationsmitglieder sind natürlich auch nicht untätig bei allem, was in Rußland und ringsherum passiert. Sie sind besonders für all die Momente unserer Tätigkeit sensibilisiert, die die Fragen der nationalen Sicherheit berühren, da ja ihr gesamtes Berufsleben damit verbunden war." 26 "Die Arbeit der erfahrenen 'Spionagerentner' in unseren Firmen erlaubt es, nützliche Verbindungen in diplomatischen, Handlungsund anderen Vertretungen, in Rußland und auch im Ausland weiter auszubauen."27 Die OWWR beabsichtigt den Aufbau von Organisationen ähnlichen Profils in anderen GUS-Staaten, bemüht sich mit ehemaligen ausländischen Aufklärern Kontakte zu knüpfen. Die eindeutigen Aussagen der Organisationsleitung zum Stellenwert russischer Spionagetätigkeiten erfordern weiterhin eine kritische Beobachtung dieser Kontakte durch die Nachrichtendienste. "Wir versuchen anhand von Fakten aus der Geschichte des russischen Staates zu zeigen, daß unser Staat ohne eine starke Spionage, eine Spionage, die durch das ganze Volk unterstützt wird, ohne eine Spionage, die in der Gesellschaft geachtet und populär ist, unmöglich einen festen Platz in der Weltarena ... einnehmen kann." 28 Fazit: Aufklärer bleiben Aufklärer, ihr Leben lang! Da die OWWR eine nach ihren Angaben gegenseitig nutzbringende Zusammenarbeit mit dem russischen Auslandsaufklärungsdienst SWR pflegt und den SWR sogar als ihren Hauptsponsor bezeichnet, besteht zu Recht die Annahme, daß auch die Spionagerentner, obwohl offiziell aus dem Dienst ausgestiegen, weiterhin nachrichtendienstlich aktiv sind. 4. Personeller und materieller Geheimschutz Nur in einigen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und der Wirtschaft gehen Personen mit sensiblen Informationen um. Diese im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenstände und Erkenntnisse sind wegen ihrer Brisanz als sogenannte Verschlußsachen (VS) zu behandeln und vor unerlaubtem Zugriff zu schützten. Daher ist zu prüfen, welcher Personenkreis die Befugnis erhalten soll, mit Verschlußsachen umzugehen (personeller Geheimschutz). Es wird darauf geachtet, daß die Zahl der Geheimnisträger auf ein Mindestmaß reduziert ist. So lassen sich Geheimnisse am besten schützen und die Sicherheitsüberprüfungen - innerhalb des engen Risikobereiches - effizienter durchführen. So sind beispielsweise im Bereich der Thüringer Landespolizei von ca. 7.000 Polizisten nur ca. 900 als sogenannte Geheimnisträger einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen worden, da nicht jeder Polizist auch eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt. 2