FREISTAAT THÜRINGEN VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT /+ ^^^^H ^^^r 19 9 5 Thüringer Innenministerium Verfassungsschutzbericht Thüringen 1995 Vorwort Der Jahresbericht über den Verfassungsschutz, der zum vierten Mal erscheint, dient der Information der Öffentlichkeit. Er gibt der interessierten Bevölkerung einen Überblick über die wichtigsten verfassungsfeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen in Thüringen. Trotz gradueller Unterschiede sind diese Abbild der bundesrepublikanischen Verhältnisse. Ein Thüringer Spezifikum ist die immer wieder aufflammende Kontroverse um das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald, das einen Kristallisationspunkt rechtsund linksextremistischer Polemik und Aktivitäten darstellt. Auch die zunehmende Brutalität in den Auseinandersetzungen zwischen den Lagern jugendlicher Subkulturen, die im Jahre 1995 in Thüringen ein Todesopfer zur Folge hatte, läßt aufmerken. Ohne die Lage in diesem Bundesland dramatisieren zu wollen, ist eine erhöhte Aufmerksamkeit ohne Zweifel angebracht. Extremisten sind hier nach wie vor eine kleine, aber deutlich wahrnehmbare Minderheit. Der bei weitem größte Anteil ihrer Aktivitäten und Impulse geht in Thüringen von Rechtsextremisten aus. Bereits im Vorjahr war eine wesentliche Zunahme rechtsextremistischer Straftaten zu verzeichnen, so daß sich die Steigerungstendenz auch 1995 in etwa gleicher Stärke fortsetzt. Propagandadelikte nehmen dabei nach wie vor den breitesten Raum ein. Doch vor allem sticht der weitere Anstieg von Konflikten zwischen den politischen Gegnern hervor. 1995 liegen 40 derartige Delikte vor, davon verliefen bereits 22 gewalttätig - 1994 im Vergleich dazu 7. Ein leichter Rückgang ist bei linksextremistischen Straftaten zu verzeichnen. 24 Delikte wurden in Thüringen im Berichtszeitraum verübt - 1994 im Vergleich dazu 28. Auch hier stehen Propagandadelikte an erster Stelle. Die Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner treten deutlich hervor. Die rückläufige Tendenz des Vorjahres - 1 993 gab gab es 10 derartige Delikte, 1994 nur 4 - hat sich umgekehrt. Trotz der immer noch geringen Zahl gehören die linksextremistischen Übergriffe zu den folgenschwersten. Die Verwendung moderner Kommunikationsmittel, die in beiden extremistischen Lagern der stärkeren Vernetzung und Abstimmung der Akteure dient, stellt nach wie vor eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Aktivitäten linksextremistischer Terroristen betrafen Thüringen 1995 nicht. Trotz der - im ganzen betrachtet - noch immer positiven Bilanz für den Freistaat gilt es, den Aktivitäten von Extremisten vorzubeugen und ihren Bestrebungen den Boden zu entziehen, bevor ein akutes Sicherheitsdefizit entsteht. Engangement und Aufmerksamkeit für die Belange unseres demokratischen Staates können nicht allein Aufgabe der zuständigen Behörden sein, die Mitwirkung jedes einzelnen ist gefragt. Um sie zu ermöglichen, bedarf es der Information. An dieser Stelle will auch der Verfassungsschutzbericht 1995 seinen Beitrag leisten. Dr. Richard Dewes Thüringer Innenminister Inhaltsverzeichnis I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 7 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie 7 2. Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 7 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung 8 IL Politischer Extremismus in Thüringen 12 1. Die extremistische Jugendszene in Thüringen 13 1.1 Jugend und Gewalt 13 1.2 Rechtsextremistisch orientierte Jugendliche 14 1.3 Linksextremistisch orientierte Jugendliche 14 1.4 Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremistisch und linksextremistisch orientierten Jugendlichen 14 1.5 Beispiele von Gewalttätigkeiten zwischen "rechten" und "linken" Jugendlichen 16 2. Gedenkstätte Buchenwald 1995 19 2.1 Rückblick 19 2.2 Buchenwald 1995 20 2.3 Deckert-Januar 1995 20 2.4 Der 50. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen KZ Buchenwald im April 1995 21 2.5 Die Feierlichkeiten vom 8. bis 11. April 22 2.6 "6. Antifa-Workcamp'95" 22 2.7 Ausblick 23 III. Rechtsextremismus 23 1. Überblick 23 2. Ideologischer Hintergrund 24 3. Neonazis 24 3.1 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 24 3.2 Deutsche Nationalisten (DN) 25 3.3 Aktion Sauberes Deutschland (ASD) 25 4 3.4 Anti-Antifa 3.5 Die Nationalen e.V. 28 3.6 Umstrukturierung und Vernetzung der Neonaziszene 29 3.7 Skinheads, Skinbands, Skinfanzines 31 4. Rechtsextremistische Parteien 33 4.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 33 4.2 Die Republikaner (REP) 4.3 Deutsche Volksunion (DVU) 35 4.4 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 38 5. Jugendund Studentenorganisationen 39 5.1 Junge Nationaldemokraten (JN) 39 6. Sonstige rechtsextremistische Gruppen 40 7. Rechtsextremistische Straftaten 40 7.1 Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hindergrund 40 7.2 Rechtsextremistische Gewalttäter 41 7.3 Zahlenspiegel erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Straftaten 1993 bis 1995 42 IV. Linksextremismus 43 1. Überblick 43 2. Ideologischer Hintergrund 43 3. Marxistisch-Leninistische Parteien und Organisationen 44 3.1 Die Kommunistische Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 44 3.2 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 48 3.3 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 49 4. Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre 50 5. Verflechtungsund Vernetzungsbestrebungen der linksextremistischen Gruppierungen 54 6. Terroristische Gruppierungen 56 6.1 Rote Armee Fraktion (RAF) 56 6.2 Revolutionäre Zellen (RZ)/Rote Zora 57 6.3 Antiimperialistische Zelle (AIZ) 57 7. Linksextremistische Straftaten 58 7.1 Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund 58 7.2 Zahlenspiegel erwiesener oder zu vermutender linksextremistischer Straftaten 1993 bis 1995 59 V. Ausländerextremismus Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 60 VI. Spionageund Sabotageabwehr 64 1. Überblick 64 2. Aufgaben 64 3. Aufarbeitung der Hinterlassenschaften der ehemaligen DDR-Staatsicherheit 64 4. Tätigkeit fremder Nachrichtendienste 65 5. Personeller und materieller Geheimschutz 67 Anhang: 68 Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 68 Abkürzungsverzeichnis 81 Personenregister 82 Sachregister 84 6 I. Einige Informationen zum Verfassungsschutz 1. Verfassungsschutz - Instrument der streitbaren Demokratie Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Verfassung des Freistaats Thüringen garantieren allen Bürgerinnen und Bürgern ein Höchstmaß an Freiheit. Doch schreibt das Grundgesetz auch vor, Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung untergraben und letztlich beseitigen wollen, um eine andere Ordnung zu errichten, die nicht von der Verfassung getragen ist. Das Grundgesetz schreibt also nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates fest, sondern trifft auch Vorkehrungen zu seinem Schutz. Unsere Verfassung bekennt sich zur streitbaren Demokratie. Die streitbare Demokratie beschreitet - notwendigerweise - einen komplizierten Weg: Sie ist grundsätzlich auch ihren Gegnern gegenüber tolerant. Die Freiheitsrechte - wie beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsrecht - stehen auch Personen, Vereinen und Parteien zu, die den demokratischen Staat beseitigen wollen. Jedoch liefert sich die streitbare Demokratie derartigen Bestrebungen nicht tatenlos aus. So ist beispielsweise nach den Artikeln 9 und 21 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine, nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Daneben ordnet das Grundgesetz in den Artikeln 73 Nr. 10 b und c sowie 87 Abs. 1 an, daß verfassungsfeindliche Bestrebungen nachrichtendienstlich zu beobachten sind. Diese Aufgabe obliegt in Thüringen dem Landesamt für Verfassungsschutz. 2. Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) Nach dem Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) vom 29. Oktober 1991 wurde in Thüringen ein Landesamt für Verfassungsschutz eingerichtet. Als obere Landesbehörde untersteht es unmittelbar dem Thüringer Innenministerium. Das TLfV gliederte sich 1995 in vier Abteilungen: Abteilung 1 - Zentralabteilung für Personalangelegenheiten, Haushalt, Organisation, rechtliche Grundsatzfragen, G 10-Angelegenheiten und Informationstechnik Abteilung 2 - Nachrichtenbeschaffung Abteilung 3 - Auswertung Abteilung 4 - Spionage-/Sabotageabwehr, Vergangenheitsbewältigung, Geheimschutz 7 Die Aufgaben und Befugnisse des Amtes bestehen im Sammeln und Auswerten von Informationen; Zwangsbefugnisse, wie sie beispielsweise die Polizei besitzt, stehen ihm nicht zur Verfügung. 1995 waren im TLfV 76 Mitarbeiter tätig. Die Haushaltsmittel beliefen sich 1995 auf 7.219.958,03 DM. Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) ist für jeden Bürger erreichbar: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz Postfach 796 oder Haarbergstraße 61 99015 Erfurt 99097 Erfurt Telefon (0361)44 06-0 Telefax (0361)44 06-251 Das Aufsichtsreferat im Thüringer Innenministerium hat folgende Adresse: Thüringer Innenministerium - Referat 24 - Schillerstraße 27 99096 Erfurt Telefon (0361)398-0 Telefax (0361)6431222 3. Verfassungsschutz durch Aufklärung Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus gesichert werden. Dabei kommt dem Verfassungschutz eine wesentliche Bedeutung zu. Seine Tätigkeit gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch die Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Organisationen und Bestrebungen informiert werden. Die Aufgaben des "Verfassungsschutzes durch Aufklärung" werden vom Thüringer Innenministerium und vom TLfV wahrgenommen. Dies geschieht z. T. durch entsprechende Vortragsund Diskussionsveranstaltungen, insbesondere an den Schulen des Freistaats. Teil der Öffentlichkeitsarbeit ist auch dieser Verfassungsschutzbericht, der - wie bereits in den vergangenen Jahren - in einer Auflagenhöhe von mehreren Tausend Exemplaren an Behörden, Institutionen, Schulen sowie an interessierte Bürgerinnen und Bürger kostenlos versandt bzw. verteilt wird. 8 Wanderausstellung "Demokratie - aber sicher!" Ein fester Bestandteil der Aufklärungsarbeit ist außerdem die gemeinsame Wanderausstellung der Innenministerien der neuen Länder "Demokratie - aber sicher!". Diese Wanderausstellung wurde im Januar1 im Erfurter Jugendclub "Hagebutte" vom Präsidenten des TLfV eröffnet und im Anschluß daran in verschiedenen Erfurter Schulen sowie in einer Bundeswehrkaserne in Erfurt gezeigt. Im September wurde sie im Staatlichen Gymnasium in Neuhaus am Rennweg vor insgesamt 1400 Schülern präsentiert. Zur Eröffnung fand eine Podiumsdiskussion vor Schülervertretern mit dem Präsidenten des Landesamtes, dem Landrat des Landkreises Sonneberg, dem Direktor des Gymnasiums sowie Vertretern des Thüringer Innenministeriums statt. Darüber hinaus wurde die Ausstellung ständig von einem Mitarbeiter des Thüringer Innenministeriums betreut, der Schülern und Lehrern als Ansprechund Diskussionspartner zur Verfügung stand. Weiterer Ausstellungsort war das Städtebauliche Informationszentrum in Weimar. Demokratie - aber sicher! Die Ausstellung, die künftig zweimal im Jahr an verschiedenen Standorten in Thüringen präsentiert werden soll, richtet sich vor allem an Schüler und Jugendliche ab etwa 13 Jahren, an sog. Multiplikatoren, die mit Jugendlichen arbeiten, sowie an alle interessierten Bürgerinnen und Bürger. 1 Bei Datumsund Monatsangaben aus dem Berichtszeitraum wird die Jahreszahl nicht angegeben. Auf 9 Stelltafeln informiert sie über Grundrechte sowie über die Erscheinungsformen des Extremismus und gibt Auskunft über die Arbeit des Verfassungsschutzes, der als "Frühwarnsystem" auf die Gefahren hinweist, die der Demokratie durch Extremismus und Terrorismus drohen. Die Texte, Tafeln und Bilder der Ausstellung wollen nicht nur informieren, sondern auch zur Auseinandersetzung mit den dargestellten Themen anregen. Es soll deutlich werden, daß der Verfassungsschutz - im Widerspruch zu manchem Vorurteil - Öffentlichkeit sucht und braucht. Ergänzt wird die Ausstellung durch ein Begleitheft sowie durch anschauliches Informationsmaterial (Poster, Faltblätter, Broschüren, Computerspiele "Dunkle Schatten" und "Was steckt dahinter?" etc.). Über künftige Ausstellungsorte und Termine wird die örtliche Presse jeweils rechtzeitig informieren. Fortsetzung der "FAIRSTÄNDNIS-Kampagne" Fremdenfeindlichkeit, politischer Extremismus und Gewalt sind in den letzten Jahren zu einem zentralen Thema in der öffentlichen Auseinandersetzung geworden. Vor dem Hintergrund der Zunahme politisch motivierter Gewalttaten gegen Ausländer starteten die Innenminister von Bund und Ländern 1992 unter dem Logo "FAIRSTANDNIS Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhaß" eine 10 bundesweite Aufklärungskampagne gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt, an der sich auch das Thüringer Innenministerium beteiligt. Im Jahr 1995 fand in diesem Rahmen u. a. die sog. Pop-Tour statt, einer von der Deutschen Bahn AG initiierten Promotion-Tour. Sie bestand aus einem 7 Waggon starken Eisenbahnzug (dem sog. Pop-Train), der zwischen dem 24. August und 30. September 45 deutsche Bahnhöfe anfuhr. Zielorte in Thüringen waren Weimar und Gera. In einem Waggon befanden sich Computer (u. a. für das Computerspiel "Dunkle Schatten") sowie Informationsstände mit Informationsund Werbematerial der "FAIRSTÄNDNIS-Kampagne". Das Thüringer Innenministerium war jeweils in den Bahnhofsvorhallen mit einem eigenen Informationsstand vertreten. Ein Mitarbeiter stand den interessierten Bürgerinnen und Bürgern als Ansprechpartner zur Verfügung. Es wurden zahlreiche Informationsund Werbematerialien zu den Themen Demokratie, Extremismus und Verfassungsschutz kostenlos verteilt. Die Pop-Tour endete mit einer Abschlußparty im Erfurter Hauptbahnhof (der sog. Pop-Party), die am 30. September auf Bundesebene in 18 großen Bahnhöfen gleichzeitig stattfand. Die Aufklärungsund Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes soll künftig fortgesetzt und intensiviert werden. Der Verfassungsschutzbericht sowie die Materialien der "FAIRSTÄNDNISKampagne" können (in begrenzter Auflage) über das Thüringer Innenministerium2 kostenlos bezogen werden. : Zur Anschrift vgl. Kapitel I., 1.2. 11 II. Politischer Extremismus in Thüringen Der politische Extremismus in Thüringen, der in vielem die bundesrepublikanischen Verhältnisse widerspiegelt, weist auch Spezifika auf. Zwei von ihnen sollen im folgenden näher dargestellt werden: - die an Zahl und Intensität zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen jugendlichen Extremisten, die insbesondere ihre wachsende Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeit kennzeichnen - die diesjährigen Geschehnisse um das ehemalige Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, die durch den 50. Jahrestag der Befreiung dieses Lagers im Jahre 1995 besondere Aktualität und Brisanz besitzen. 12 1. Die extremistische Jugendszene in Thüringen In der Jugendszene Thüringens nimmt die Anzahl gewaltbereiter, zu extremistischen Positionen neigender Jugendlicher zu. Mit einem Anteil von 3% gewaltbereiter Jugendlicher liegt die Zahl allerdings nur unwesentlich über der der übrigen Bevölkerung - ein Indiz dafür, daß Gewaltbereitschaft und -tätigkeit kein jugendspezifisches Problem darstellen. Dem stehen zudem mehr als 80% der Jugendlichen entgegen, die sich von Radikalismus und Gewalt selbst bedroht fühlen, die sich an konservativen Weiten und einem bürgerlichen Lebensstil orientieren. Dem Bekenntnis vieler Jugendlicher, "rechts" oder "links" zu sein, fehlt oft eine unmittelbare politische Grundlage. Es ist in erster Linie Ausdruck ihres Bedürfnisses, einer Gemeinschaft zuzugehören. Kommt es bei ihrer sozialen Einbindung zu Schwierigkeiten, weichen sie auf alternative Angebote aus. So erstaunt nicht, daß die "Wahl" der Seite oft zufällig geschieht. Der Freundeskreis, die an der Schule dominierende Weltanschauung, Spezifika der häuslichen Umgebung spielen in der Regel eine größere Rolle als eine aus politischem und historischem Wissen begründete Meinung und so bewußt getroffene Entscheidung. Im Gegenteil: Das tatsächliche Interesse an Politik, die Informiertheit über politische Theorien und Ideologien sind - fehlen sie nicht ganz - äußerst gering. Dabei ist das Vermögen , theoretisch zu denken, bei linksorientierten Jugendlichen höher anzusetzen. Frust und "NullBock-Stimmung" spielen hier eine geringere Rolle. 1.1 Jugend und Gewalt Gewaltbereitschaft und ihr Ausleben in Gewalttätigkeit äußern sich verschieden. Das Spektrum reicht von verbalen Übergriffen, dem Verwenden gewaltverherrlichender Symbole und dem Aufbau von Feindbildern bis zur Anwendung körperlicher Gewalt. Das Unvermögen, Aggressionen zu unterbinden, läßt diese auch bei nur vermeintlicher Provokation in Tätlichkeiten umschlagen. Dem steht der organisierte Einsatz von Gewalt, z.B. das Abhalten von "Strafaktionen" gegen Andersdenkende, entgegen. Die Tendenz zur Gewaltanwendung wird noch verstärkt, wenn die Gruppen durch Vorurteile, Ausgrenzung und Isolation abgewertet, diskriminiert und kriminalisiert werden. Vielen Jugendlichen fehlt die Fähigkeit, andere Meinungen zu tolerieren und zu akzeptieren, Konflikte im Gespräch auszutragen und zu regeln. So führt die vergebliche Suche nach Anerkennung, Halt und Geborgenheit u.U. zu einer ersatzweisen Befriedigung in extremistischen Gruppen. Diese Gruppen definieren sich dann nicht nur über mehr oder weniger dogmatische Idealbilder, sondern auch über Feindbilder. Die daraus folgende Entwicklung von Gewalttätigkeiten wird zu einer Aus weichstrategie, die letztlich der Selbstbestimmung dient. Die ideologieträchtige Ausrichtung der Jugendlichen ist nur noch Instrument des Gruppenzusammenhalts. 13 1.2 Rechtsextremistisch orientierte Jugendliche Für rechtsextremistisch orientierte Jugendliche ist spezifisch, daß sie sich in informellen Gruppen, meist innerhalb eines Stadtgebietes, zusammenfinden. Die Verbindung ist lose. Vereinfachte Feindbilder - Antifaschisten, Linke, Homosexuelle, Ausländer, Sicherheitskräfte - kennzeichen ihre Ideologie. Die Masse der Gruppenmitglieder entspricht dem verbreiteten Klischee: jung, männlich, Hauptschulabgänger. Die hohe Instabilität der Gruppen zeigt sich insbesondere darin, daß ältere Jugendliche oft ausscheiden, wenn feste soziale Bindungen (Freundschaften, Eheschließungen, Eintritt ins Berufsleben) entstehen. Mädchen treten kaum und meist nur als Freundinnen von Mitgliedern in Erscheinung. Die Gruppen sind durchweg gewaltbereit. Männliche Mitglieder dominieren auch dabei. Alkoholeinfluß spielt eine erhebliche Rolle. Fest organisierte rechtsextremistische Jugendliche sind in Thüringen selten. Auch die Skingirlbewegung tritt nicht in Erscheinung. Die fünf existierenden Skinbands, u.a. "Brutale Haie" (Erfurt), "Voll die Guten" (Gera), "Vergeltung" (Jena), sind unauffällig.3 Fanzines4 sind nicht bekannt geworden. 1.3 Linksextremistisch orientierte Jugendliche Linksextremistisch orientierte Jugendliche entstammen häufiger politisch interessierten Elternhäusern. In der Regel haben sie eine höhere Schulbildung. Jungen und Mädchen sind in den Gruppen weitgehend gleichberechtigt. Auch hier tritt eine gewisse Fluktuation auf und ist kein fester Verbund gegeben, wenngleich die Stabilität etwas größer zu veranschlagen ist. Als Beitrag zum "antifaschistischen Kampf verstehen die Jugendlichen ihre Aktivitäten selbst, so u.a. das Sprühen von Parolen und Graffities. 1.4 Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremistisch und linksextremistisch orientierten Jugendlichen Tätliche Auseinandersetzungen zwischen rechtsund linksextremistischen Jugendlichen, wie sie im Jahr 1995 häufig auftraten, sind nicht in jedem Falle tatsächlich politisch motiviert. Der Begriff des politischen Extremismus faßt dieses Phänomen insofern nur unzureichend. Es handelt sich um einen speziel- 3 Siehe auch Kapitel III., 3.7. 4 Fanzines, begrifflich entstanden aus dem englischen "fan" und "magazine", sind Schriften "Rechter" mit Berichten über Skinbands, Konzerte und Ereignisse der Szene. Die Artikel spiegeln das rechtsextremistische Weltbild wider. 14 len Jugendextremismus, der maßgeblich von Subkulturen getragen wird. Der Umstand, daß rechtsextremistische Parteien hier ihren politischen Nachwuchs zu rekrutieren suchen, bedarf allerdings besonderer Aufmerksamkeit. Unter den zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremistisch und linksextremistisch orientierten Jugendlichen kommt der Tötung des Sandro Weilkes in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai herausragende Bedeutung zu. Auf dem Marktplatz von Neuhaus am Rennweg hielt sich im Zusammenhang mit einer Diskoveranstaltung eine der rechten Szene zuzuordnende Gruppe Jugendlicher, unter ihnen der 22jährige Sandro Weilkes, auf. Hier traf sie auf eine weitere Gruppe, die ihrem Aussehen nach "links" eingeordnet wurde. Zwischen beiden Parteien kam es zunächst zu einer verbalen, dann zu einer tätlichen Auseinandersetzung. In ihrem Verlauf stach ein 15jähriger auf Sandro Weilkes ein. Der Jugendliche verstarb wenig später im Krankenhaus. Der Täter, der geflohen war, wurde noch in der Nacht festgenommen. Bereits am folgenden Nachmittag versammelten sich auf dem Marktplatz von Neuhaus, dem Ort des Geschehens, etwa 50 der rechten Szene zuzuordnende Jugendliche. Es kam zu mehreren Zusammenstößen zwischen ihnen und linksextremistisch orientierten Jugendlichen. Als polizeiliche Beobachtungen ergaben, daß die Rechtsextremisten eine Demonstration planen, wurden 40 Platzverweise ausgesprochen und 5 Personen in Gewahrsam genommen. Für den 13. Mai beabsichtigte die rechtsextremistische Szene aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt einen Gedenkmarsch zu Ehren des Getöteten durchzuführen. Er wurde bei den zuständigen Behörden offiziell angemeldet. Mailboxsysteme riefen dazu bundesweit auf. Mehrere Nationale Infotelefone (NIT) berichteten ausführlich über das Ereignis und forderten ebenfalls zur Teilnahme an dem Trauermarsch auf. Der Aufzug wurde verboten. Die Beerdigung des Getöteten, die am Vortage unter starken polizeilichen Sicherheitsvorkehrungen stattfand, verlief störungsfrei. Bei Kontrollen, die die Polizei im Zusammenhang mit der Beerdigung und dem geplanten Trauermarsch durchführten, wurden insgesamt 71 Personen in Gewahrsam genommen. Gegen 13 Festgenommene wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet: - sechs wegen des Verdachts der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen - vier wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz - zwei wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz - eines wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz. Von den 71 in Gewahrsam genommenen Personen waren 30 bereits früher strafrechtlich in Erscheinung getreten. Zehn Personen sind einschlägig wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Landfriedensbruch vorbestraft. 77 Gegenstände wurden sichergestellt: u.a. 18 Messer, 32 Knallkartuschen, 2 Holzknüppel und 3 Baseballschläger. Im Juni entwickelte sich Neuhaus zu einem Wallfahrtsort der rechtsextremistischen Szene. Ein allgemeines Veranstaltungsverbot verhinderte die im Raum Neuhaus/Sonneberg bereits geplanten Nachfolgeaktionen. Stattdessen wich man nach Coburg aus. Über die dortige Veranstaltung und den Polizeieinsatz wurde in den NIT berichtet. In einem rechtsextremistischen Mailboxsystem heißt es dazu z.B.: , Auch die Herrschenden in Thüringen sollten nicht glauben, daß man bis in alle Ewigkeit das Versammlungsrecht ausschalten kann.... Ruhe wird es erst geben, wenn wir auch am Ort des Verbrechens trauern können." Diese Nachwirkungen der tödlichen Auseinandersetzung zeigen in besorgniserregender Weise die hohe Aktionsund Mobilisierungsbereitschaft der extremistischen Jugendlichen. Der minderjährige Täter wurde im Dezember wegen Totschlags in einem minderschweren Fall zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Gericht stellte fest, daß die Steuerungsfähigkeit des Schülers durch einen "Affektstau" herabgesetzt war. Um gezielter und wirksamer auf das Entstehen und die Verfestigung extremistischer Jugendszenen reagieren zu können, unterstützt die Landesregierung insbesondere den Einsatz von Streetworkern und die Einrichtung örtlicher Präventionsräte. 1.5 Beispiele von Gewalttätigkeiten zwischen "rechten" und "linken" Jugendlichen5 4. Februar: In einer Gaststätte bei Rudolstadt trafen sich ca. zehn "Rechte". Zwei Frauen,, J_inke", betraten das Lokal und fotografierten beim Verlassen die versammelte Gruppe. Sie stiegen hastig in ihren Pkw und fuhren ab. Als zwei der Fotografierten die Frauen verfolgen wollten und zum Auto eilten, hielt ein unbekanntes Fahrzeug direkt auf sie zu. Durch einen Sprung zur Seite konnten sie sich retten. Zur gleichen Zeit fuhren zwei "Rechte" in den Ort, um am Treffen in dem Lokal teilzunehmen. Drei Fahrzeuge verfolgten und stoppten sie. Die zehn vermummten Insassen stiegen aus und griffen die beiden an. Die Autos wurden mit verschiedenen Schlagwerkzeugen beschädigt, die Überfallenen liefen weg. 20. Februar: Eine Gruppe bewaffneter, linksextremistischer Jugendlicher überfiel eine in einer Gartenlaube in Erfurt stattfindende Feier rechtsextremistischer Jugendlicher. Sie umstellten die Laube und versuchten, sie in Brand zu setzen. Zwei der neun Opfer wurden durch Schläge verletzt. Die Laube brannte nieder.6 5 Zu der Auseinandersetzung in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai in Neuhaus am Rennweg vgl. die ausführliche Darstellung im vorangegangenen Kapitel 6 Weiteres dazu im Kapitel IV., 7.1. 16 2. April: Im Umkreis eines Ilmenauer Jugendklubs überfielen zwei Skins zwei Mädchen, 15 bzw. 17 Jahre alt, die sie als linksgerichtet einordneten. Sie attackierten die jungen Frauen zunächst verbal, dann körperlich. Es kam zu sexueller Belästigung und Raub. Der schon öfter zum Ausgangspunkt von Straftaten gewordene Club wurde daraufhin - und im Zusammenhang mit anderen Delikten - geschlossen. 2. Juni: Ein 19jähriger der rechten Szene belästigte einen Passanten, der einen Aufkleber "Nie wieder Faschismus" trug. Er hinderte ihn am Weitergehen und riß ihm den Aufkleber herunter. Der junge Mann hatte bereits mehrfach, gemeinsam mit anderen Jugendlichen, "Linke" tätlich angegriffen. 17. Juli: Angehörige der rechten Szene bedrohten die Mutter eines Jugendlichen, der sich wegen des Tötungsverbrechens an einem "Rechten" (6. Mai) in Untersuchungshaft befand. 29. Juli: Elf Jugendliche drangen am frühen Morgen nach einer Geburtstagsfeier gewaltsam in ein Geraer Wohnhaus ein, weil sie dort Mitglieder der linken Szene vermuteten, die sie verprügeln wollten. Die Bewohner konnten sich über das Dach retten. Da die Jugendlichen nun niemanden mehr antrafen, entfernten sie sich. 5./6. August: In der Nacht kam es in Altenburg zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen aus der rechten und linken Szene, als etwa 20 Anhänger der rechten Szene das "Alternativhaus" der Autonomen belagerten. Im weiteren Verlauf kam es zu Tätlichkeiten, in deren Folge zwei mutmaßliche Rechte Schußverletzungen davontrugen. Bei der anschließenden Hausdurchsuchung wurden durch die Polizei Waffen sichergestellt.7 21. August: Eine Gruppe "Rechter" wurde beim Besuch eines Erfurter Jugendclubs von anwesenden Punkern angegriffen. Eine Person dieser Gruppe erlitt Verletzungen. Der Jugendclub wird von überwiegend linksorientierten Jugendlichen und Punkern aufgesucht. 8./9. September: Erneute Auseinandersetzungen um das Altenburger Alternativhaus. Jugendliche der rechten Szene zogen vor den Treffpunkt "Linker" und provozierten mit Sachbeschädigungen und Verbalattacken. In der Folge kam es zu Tätlichkeiten, die das Einschreiten der Polizei notwendig machten. Diese Auseinandersetzungen fanden in den Folgetagen ihre Fortsetzung, wurden aber durch das Eingreifen der Ordnungskräfte weitgehend eingedämmt. ' Vgl. dazu auch das Kapitel IV., 7.1. 10. September: Angehörige der rechten Szene störten in Rudolstadt und Saalfeld Gedenkfeiern für die Opfer des Faschismus. Die Angriffe reichten von Verbalattacken und Handzetteln mit rechtsextremistischem Inhalt bis zum Deponieren einer Sprengsatzattrappe an einem Gedenkstein. 12. September: Der wegen des Tötungsverbrechens vom 6. Mai in Untersuchungshaft einsitzende Jugendliche wurde im Gefängnis von drei Skins zusammengeschlagen. 75. September: Ca. 30 Angehörige der rechtsextremistischen Szene versuchten, eine Veranstaltung des als "links" geltenden "Sozio-Kulturellen Zentrums" im Jenaer Planetarium zu stören. Durch Steine und andere Wurfgeschosse wurde die Verglasung des Gebäudes zerstört, Personen wurden nicht verletzt.8 14. Oktober: In Rudolstadt fand eine Demonstration für "Frieden und Völkerverständigung sowie gegen Faschismus und Rassismus" statt. Die Veranstaltung richtete sich gegen die Störungen Rechtsextremer bei den Kranzniederlegungen für die Opfer des Faschismus am 10. September. Trotz angekündigter, jedoch verbotener Gegendemonstrationen verlief die Demonstration störungsfrei. 2. November: Vier Halbwüchsige, zwei Jungen und zwei Mädchen zwischen elf und 14 Jahren, mißhandelten in Gotha einen 15jährigen Sonderschüler und malten ihm Hakenkreuze auf den Körper. Mißhandelter Sonderschüler aus Gotha (2. November 1995) Vgl. weiter dazu Kapitel III., 7.1. 18 9. Dezember: Mehrere zwölfbis 22jährige bewaffnete Jugendliche stürmten einen Punkertreff in Sondershausen, zerstörten die Einrichtung und legten Feuer. Ein Junge und ein Mädchen wurden verletzt. 31. Dezember: Vor dem Altenburger Alternativhaus kam es wieder zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen "rechten" und "linken" Jugendlichen. Dabei wurden, auch durch den Einsatz von Schlagwaffen, einige Jugendliche verletzt. 2. Gedenkstätte Buchenwald 1995 Das ehemalige Konzentrationslager (KZ) Buchenwald ist neben seiner berechtigten Stellung als nationale Gedenkstätte auch Kristallisationspunkt für linksund rechtsextremistische Aktivitäten in Deutschland. Während die Linksextremisten Buchenwald als Symbol für einen fragwürdigen Antifaschismus mißbrauchen, dürfen sich Rechtsextremisten sicher sein, durch Aufmärsche an diesem Ort weltweites Aufsehen zu erregen. Die historische Aufarbeitung der wechselvollen Geschichte des Lagers führt stets zu heftigen Auseinandersetzungen in den extremistischen Lagern und zu Vorwürfen gegen die Gedenkstättenleitung. Ihr Postulat, die Diskussion auf wissenschaftlicher Grundlage zu versachlichen - sowohl hinsichtlich der Ausstellungsgestaltung als auch der Gedenkstruktur -, fordert weitere Anfeindungen von "Links" und "Rechts" heraus. Nach Auffassung des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz ist das Museum im ehemaligen KZ Buchenwald erheblich gefährdet, durch extremistische Aktionen beschädigt oder zerstört zu werden. 2.1 Rückblick Buchenwalds hoher Symbol wert ließ den Ort bereits in der Wendezeit zum Tummelplatz linksund rechtsextremer Gruppen werden. Während "die Linke" eine Kontinuität zum instrumentalisierten Antifaschismus der DDR als Legitimationsbasis eigenen Handelns bewahren möchte, steht für "die Rechten" vor allem die Leugnung des Symbolwertes im Vordergrund. Diese Polarisierung findet stets eine extremistische Klientel, deren Aktionismus eine Eigendynamik gewinnt. Regelmäßig wurde und wird Buchenwald zur linksextremistischen Selbstdarstellung und Standortbestimmung mißbraucht, bot und bietet Ziele für publikumswirksame rechtsextremistische Angriffe. Damit sieht sich neben der Gedenkstättenleitung auch der Freistaat Thüringen ständigen Vereinnahmungstendenzen ausgesetzt; die Gedenkstätte steht im Kreuzfeuer beider Lager sowie der Medien und der Öffentlichkeit. 19 2.2 Buchenwald 1995 Die Gedenkstätte Buchenwald war auch im Jahr 1995 wieder Kristallisationspunkt, Schauplatz und Objekt zahlreicher ideologischer Auseinandersetzungen zwischen,,Links" und "Rechts" einerseits und der Leitung der Gedenkstätte andererseits. Der Schwerpunkt lag, bedingt durch den 50. Jahrestag der Befreiung des Lagers, in Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und der Gedenkstättenleitung. Die primär politische Auseinandersetzung um Veränderungen in der Gedenkstätte drängte die Sachdiskussion in den Hintergrund. Die rechtsextreme Szene war in Bezug auf Buchenwald weitgehend inaktiv. Eine Neuauflage der Buchenwaldrandale von 19949 erfolgte aufgrund des massiven Polizeiaufgebotes nicht. Störversuche der rechten Szene wurden im Ansatz verhindert, Gegenveranstaltungen scheiterten. als boJet*! i-ebeo. OK*. J A - t * *- *"**** \w Sh jus! Wi-X^ r Es -J *" ".V" SaM.Sit K* lUm.u aas üjfea fcefa'o. ^f&C^i ^"U^-k -,-"y/ ) Utctie^ U*e\ uaG. PS> i . 5^ 4ii~Jujsdj3fesJ-^*j.<*.Q. 3 & ü \ SC-U Cim.; 1--et -"j^oCx^.^cL^^ i Qjx&zt. (d"7 A-Kx teilte nwc^www-*^. Öl iit'iht Eintragungen in das Besucherbuch der Gedänkstätte Buchenwald 2.3 Deckert - Januar 1995 Im Januar sandte der Bundesvorsitzende der NPD, Günter Deckert, zwei Drohbriefe an den Direktor der Gedenkstätte Buchenwald-Mittelbau Dora, Dr. Volkhard Knigge. ' Vgl. dazu den Thüringer Verfassungsschutzbericht 1994, S. 12 f. 20 Deckerts Absicht, "politische Spaziergänge" nach Buchenwald zu unternehmen, wurde von der Gedenkstättenleitung bereits Ende 1994 durch die Erteilung von Haus verboten unterbunden. In den Drohbriefen kündigte Deckert an, ohne Anmeldung mit Pressevertretern in der Gedenkstätte erscheinen zu wollen. Über die verhinderten Besuche berichtete das NPD-Organ Deutsche Stimme (1/1995), daß Deckert nunmehr rechtliche Schritte gegen Dr. Knigge einleiten werde. In einem Brief der NPD-Bundesgeschäftsstelle an Knigge heißt es: "Herr Deckert lehnt es ab, sich auf die Argumenteebene mit einem SED-Mitläufer (oder doch.Westimport', x-ter Wahl) zu begeben, weil er auf dieser moralischen Untiefe und Scheinheiligkeit nicht diskutiert. Sollte ein politischer Machtwechsel stattfinden, wären Sie auf der Liste, mit Ihrem ganzen Vermögen, unter Aberkennung aller Rentenansprüche usw.... Zudem teilen wir Ihnen mit, daß Sie bei NS-B (Nat. Salzgitter-Brighton) gespeichert sind." Daraufhin sprach Dr. Knigge am 19. Januar gegen Günter Deckert, den Thüringer NPD-Vorsitzenden Frank Golkowski und seine Gesinnungsgenossen ein unbefristetes Hausverbot aus. Im weiteren Verlauf des Jahres zeichnete sich die rechtsextremistische Szene in Bezug auf Buchenwald durch Inaktivität aus. Es kam lediglich zu Propagandadelikten und Hakenkreuzschmierereien. "Anti-Antifa-Aktionen" und weitere Versuche der "politischen Profilierung" durch Rechtsextremisten unterblieben. 2.4 Der 50. Jahrestag der Befreiung des ehemaligen KZ Buchenwald im April 1995 Das thüringenweit bedeutendste und politisch hervorstechendste Ereignis im Jahr 1995 war das Gedenken an den 50. Jahrestag der Befreiung des KZ durch die USArmee. Zu den Feierlichkeiten vom 8. bis 11. April reisten ca. 500 Linksextremisten an. In augenfälligem Kontrast hierzu stand die Passivität der rechtsextremistischen Szene. Eine für den 8. April angekündigte "Kundgebung" von Anhängern der verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) unter Beteiligung führender Funktionäre in Weimar fand nicht statt. Dennoch waren der Polizei im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten 27 Personen der rechtsextremistischen Szene aufgefallen. Sie wurden in Gewahrsam genommen. Über sieben Personen lagen umfangreiche polizeiliche Erkenntnisse vor. Drei der Festgenommenen hatten sich an der "Buchenwaldrandale" im August 1994 beteiligt. Der Freistaat Thüringen traf erhebliche Vorkehrungen, um die Gedenkveranstaltungen und deren Teilnehmer zu schützen. Durch ein starkes Polizeiaufgebot konnten Störversuche, Krawalle und Gegenveranstaltungen verhindert oder im Ansatz unterbunden werden. 2.5 Die Feierlichkeiten vom 8. bis 11. April Linksextremistische Gruppierungen mobilisierten zur Teilnahme an den offiziellen Gedenkfeierlichkeiten, insbesondere zur Eröffnung der neuen historischen Dauerausstellung zur Geschichte des KZ 1937 bis 1945 am 8. April und zur Gedenkfeier des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora am 9. April auf dem Lagergelände zahlreiche Personen. Hierbei taten sich die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) und verschiedene andere kommunistische Gruppen - Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Kommunistische Plattform (KPF) - sowie Personen des Terrorismus-Umfeldes hervor. Auf dem Areal der Gedenkstätte wurden Zeitschriften verkauft und Flugblätter der teilnehmenden Parteien und Organisationen zur Verteilung gebracht. Einige Teilnehmer trugen FDJ-Hemden und FDJFahnen. Weiterhin wurden rote und schwarze Fahnen und Transparente mit der Aufschrift "Widerstand -jetzt erst recht" gezeigt. Mit der Begrüßung des Präsidenten des Internationalen Buchenwald-Komitees, Dr. Pierre Durand, wurde die Manifestation eröffnet. Danach ergriff der Thüringer Ministerpräsident, Dr. Bernhard Vogel, das Wort. Seine Rede wurde an der Stelle, an der er von der Befreiung des Lagers durch Truppen der dritten amerikanischen Armee sprach, durch Pfiffe, "Buh"und "Heuchler"-Rufe unterbrochen. 2.6 "6. Antifa-Workcamp '95" In der Gedenkstätte Buchenwald fand vom 23. bis zum 30. Juli das "6. Antifa-Workcamp '95" statt. Das Programm bestand aus einem Arbeitsteil in der Gedenkstätte und mehreren "Informationsveranstaltungen", die die Mitglieder des Vörbereitungskreises organisierten. So wurden u.a. ein Kurdistan-Abend des "Deutsch-Kurdischen-Freundschaftskreises" (Darmstadt) sowie Vortrage zu den Themen "Politische Gefangene in der Gegenwart" und "Antifaschistischer Kampf im KZ Buchenwald" angekündigt.10 Das Camp, das seit 1990 regelmäßig durchgeführt wird, kann auf einen ständig wachsenden Vörbereitungsund Teilnehmerkreis verweisen. Die Veranstaltung wird seit 1990 vom Bund der Antifaschisten (BdA) Sachsen-Anhalt organisiert. Nach Eigeneinschätzung der Veranstalter sollen am "Workcamp" 150 Personen aus 25 Städten teilgenommen haben, darunter auch Christa Klar von der .Angehörigengruppe der politischen Gefangenen". In diesem Zusammenhang erlebte Weimar zwei "Spontandemonstrationen" im Innenstadtbereich. Eine "Solidaritätsaktion" galt der Freilassung Mumia Abu Jamals, der als ehemaliges Mitglied der "Black-Panther"-Bewegung in den Vereinigten Staaten einsitzt und zum Tode verurteilt wurde. Die ca. 40 Teilnehmer der VerNeues Deutschland 20. 7. 1995 22 anstaltung kamen zum überwiegenden Teil aus dem Antifa-Workcamp. Die Demonstration wurde auf friedlichem Wege aufgelöst. Eine zweite Veranstaltung richtete sich gegen den Bosnien-Einsatz der Bundeswehr. An den Büchertischen des Camp kamen die Szeneschrift telegraph, sowie das "Info zum Prozeß gegen Birgit Hogefeld" zur Verteilung. Die Organisatoren und die Teilnehmer gehören vorwiegend linksextremistischen Organisationen an; die Koordination übernahm bislang die Antifa Bitterfeld. Reklame, Aufrufe und Berichterstattung fanden vor allem im Neuen Deutschland statt. 2.7 Ausblick Buchenwald wird auch in Zukunft ein Symbol für zwei totalitäre Diktaturen auf deutschem Boden bleiben. Es wird, setzt man die heute vorherrschenden Tendenzen als Maßstab an, trotz der Bemühungen der Geschichtswissenschaft an primär politisch orientierter Symbolkraft gewinnen und damit nicht nur ein Ort des Mahnens und Gedenkens, sondern auch der extremistischen Polemik bleiben. Gerade die schockierende Bipolarität der Lagergeschichte wird die Extremisten beider Lager auch künftig anziehen. III. Rechtsextremismus 1. Überblick Für die Situation des Rechtsextremismus im Freistaat Thüringen sind folgende Entwicklungen charakteristisch: - das rechtsextremistische Potential umfaßt etwa 1000 Personen, dabei ist insbesondere bei den etablierten Parteien NPD, DVU und REP mit insgesamt 300 bis 350 Personen eine deutliche Abnahme des Mitgliederbestands zu verzeichnen - ein offensichtlich gescheiterter Versuch, mittels sogenannter "Runder Tische" einen dauerhaften überparteilichen Zusammenschluß verschiedener rechtsextremistischer Parteien zu konstituieren - eine unorganisierte Neonazi-Szene, die sich aus Angehörigen rechtsextremistisch orientierter Jugendsubkulturen und informellen Gruppen zusammensetzt - ein fest auszumachendes Gewalttäterpotential, wobei durch den tödlichen Ausgang einer Auseinandersetzung unter Jugendlichen in Thüringen eine neue Dimension der Gewalttätigkeiten erreicht ist 23 - die bekannten Ansätze von Vernetzungstendenzen mit Hilfe der "Anti-Antifa", verstärkt durch den breiten Einsatz moderner Kommunikationsmittel 2. Ideologischer Hintergrund Rechtsextremistisches Denken wurzelt nicht in einem fest strukturierten Lehrgebäude. Es besteht aus geistigen Versatzstücken unterschiedlicher Herkunft. Wesentliche Grundelemente sind: - überzogener, häufig aggressiver Nationalismus - die Übertonung von Staatsinteressen gegenüber den persönlichen Freiheitsrechten der Bürger - eine völkische Ideologie, die in verschärfter Form als Rassenideologie und Fremdenfeindlichkeit auftritt - das Leugnen oder Verharmlosen der Verbrechen des Nationalsozialismus. 3. Neonazis 3.1 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) Die im Jahre 1979 gegründete Organisation wurde am 24. Februar durch den Bundesminister des Innern verboten. Ihre Tätigkeit richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Das Verbot durch das Bundesinnenministerium wurde möglich, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Parteieigenschaft in einem anhängigen Parteiverbotsverfahren verneint hatte. Die Gruppierung, an deren Spitze der Bundesvorsitzende Friedhelm Busse stand, war in den vergangenen Jahren durch aggressive Nazipropaganda, z.T. verbunden mit spektakulären Aufmärschen, in Erscheinung getreten. Sie wurde seit 1984 von Anhängern der im Vorjahr verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA) unterwandert. Bis zum Verbot bestand die Gruppierung aus den Landesverbänden Nordrhein-Westfalen, Berlin und Hamburg. Ihre enge Beziehung zur nationalsozialistischen Ideologie wurde in der Selbstbeschreibung: "Wir sind eine nationale Partei! Wir sind eine sozialistische Partei!" deutlich. Zur Propagierung ihrer neonazistischen Politik bediente sich die FAP der Publikationen Auforuch, Neue Nation und Standorte. Nach dem Verbot der Organisation fanden in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachen, Hessen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Sachsen Exekutivmaßnahmen statt. Das Vereinsvermögen wurde beschlagnahmt. Gleichzeitig erging in Hamburg gegen den nur dort agierenden Verein "Nationale Liste" (NL) ein Verbot. Die Führungsposition hatte der Neonazi Christian Worch inne. 24 In Thüringen gab es keine Organisationsstruktur der FAP, lediglich vereinzelte Anhänger. Im Berichtszeitraum sind keine Aktivitäten mehr bekanntgeworden. 3.2 Deutsche Nationalisten (DN) Die im Jahre 1993 gegründete Vereinigung hat bundesweit nur noch etwa 70 Mitglieder. Ihr Vorsitzender ist Michael Petri (Hessen). Die vormals existierenden Landesverbände bestehen nicht mehr. Eine "nationale und volkstreue Politik" wolle die DN betreiben und sich für die "Ablehnung der multikulturellen Gesellschaft" einsetzen - so die Beschreibung ihres politischen Selbstverständnisses. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, das die Staatsanwaltschaft Koblenz gegen Michael Petri wegen des Verdachts der Gewaltdarstellung und Aufstachelung zum Rassenhaß durchführte, wurden bundesweit 81 Wohnungen durchsucht. Darunter befanden sich auch am 7. Juni die Wohnungen fünf mutmaßlicher DN-Mitglieder aus Thüringen. Bei zwei Personen bestätigte sich der Verdacht, daß sie das Flugblatt "Was uns Deutschen bevorsteht" bezogen hatten. Diese fremdenfeindliche, rassistische Hetzschrift wendet sich u.a. gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft und das damit verbundene aktive und passive Wahlrecht von Türken, Negern, Zigeunern, Juden, Tamilen, Kongolesen und Arabern. Weiter heißt es in dem Flugblatt, die von Ausländern unterwanderten Regierungen in Bund und Ländern seien zum Angriff gegen das deutsche Volk angetreten. "Ausrottung des deutschen Volkes ist ihr Programm!!!" Darüber hinaus werden vor allem türkische Mitbürger kriminalisiert. Bei einer dritten Person wurden Zufallsfunde als Beweismittel sichergestellt. Sie begründen den Verdacht, daß Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet wurden und Verstöße gegen das Vereinsgesetz vorliegen. Von dem im März 1994 in Schleusingen gegründeten Landesverband Thüringen konnten bisher keine Aktivitäten mit Außenwirkungen festgestellt werden. 3.3 Aktion Sauberes Deutschland (ASD) Die 1986 gegründete, sich um den Neonazi Ernst Tag sammelnde ASD versteht sich als "nationale sozialistische Bewegung Großdeutschlands" und als "nationale sozialistische Kampfgruppe" gegen das "System". Ihr erklärtes Ziel ist die Schaffung einer politischen Elite, die "die weißen Menschen Europas wachrüttelt und ihre bevorstehende Vernichtung durch den Zionismus und Kommunismus verhindern soll". In Thüringen wurden 1994 die beiden Ortsgruppen Leinefelde und Mühlhausen durch zwei Anmeldungen von Aufzügen im Zusammenhang mit der "Heß25 Gedenkveranstaltung" im August 1994 bekannt. 1995 ist die ASD öffentlich nicht mehr in Erscheinung getreten. 3.4 Anti-Antifa Die "Anti-Antifa" wurde 1992 von dem Hamburger Neonazi Christian Worch als Reaktion auf wachsende Angriffe militanter Linksextremisten gegründet. In ihrer Propaganda richtet sie sich sowohl gegen den politischen und publizistischen Gegner als auch gegen Institutionen des demokratischen Rechtsstaats. Die AntiAntifa organisiert den Aufbau informeller Gruppen, d.h. den Zusammenschluß von Rechtsextremisten ohne formale Mitgliedschaft und hierarchische Strukturen, die von regional anerkannten Führungsfiguren gegründet und angeleitet werden sowie untereinander in Kontakt stehen. Dies scheint auch im übrigen Rechtsextremismus Akzeptanz zu finden. Die so vorgenommene Konzentration auf einen gemeinsamen Gegner bietet Möglichkeiten, die Rechtsextremisten "organisationslos" zu verflechten. Erklärte Gegner der Anti-Antifa werden durch Überwachungsmaßnahmen ausgespäht. Die Ergebnisse wurden in verschiedenen Druckschriften publiziert. Die bislang umfangreichste Publikation, "Der Einblick", erschien im November 1993. Im Oktober 1994 wurde erstmals eine Gruppierung "Anti-Antifa Ostthüringen" bekannt. Seit Mai werden regelmäßig wöchentliche Treffen abgehalten. Die Zahl der Beteiligten hat sich von anfänglich 20 im September auf ca. 80 Personen erhöht. Die Gruppierung, die auch unter der Bezeichnung "Thüringer Heimatschutz" (THS) aktiv ist, stellt ein Sammelbecken für Neonazis dar. Sie stammen hauptsächlich aus dem Raum Saalfeld/Rudolstadt, Gera, Jena, Sonneberg, Weimar, Ilmenau, Gotha, Kahla und Nordbayern. Jenenser Angehörige bezeichnen sich als "Kameradschaft Jena". Im Berichtszeitraum kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner. Einen Schwerpunkt der diesjährigen Aktivitäten bildete die Organisation der Rudolf-Heß-Aktionswoche vom 12. bis 20. August. Alljährlich werden seit dem Ableben des ehemaligen Hitler-Stellvertreters am 17. August 1987 von rechtsextremistischen Gruppen in Inund Ausland Gedenkkundgebungen, Aufzüge u.a. veranstaltet. Für unrühmliches Aufsehen sorgte in diesem Zusammenhang der Rudolstädter Aufzug am 15. August 1992. Durch fehlerhafte Zustellung der Verbotsverfügung war es den 2 500 Teilnehmern damals gelungen, eine "Ersatzveranstaltung" durchzuführen. Zum diesjährigen Todestag von Rudolf Heß rief die Anti-Antifa unter dem Motto "Vorwärts, nichts wird vergessen!" zu der Aktionswoche auf. In Thüringen wurden 10 Veranstaltungen angemeldet, Kundgebungen und Aufzüge in Nordhausen, Gera, Jena, Eisenberg, Saalfeld, Sonneberg und Rudolstadt. Sie wurden von den zuständigen Behörden verboten. Vor, während und nach der 26 geplanten Aktionswoche kam es zu zahlreichen Plakatklebeund Schmieraktionen, zur Verbreitung von Flugblättern und Handzetteln. Am 5. August kam es in Gotha und Nordhausen zu zahlreichen Festnahmen. So wurden in Gotha anläßlich eines Schützenfestes 31 Angehörige der rechten Szene wegen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorläufig festgenommen. Unter ihnen befand sich auch der Vorsitzende des Landesverbandes Thüringen der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), Frank Golkowski. Im Zuge der Durchsetzung der Verbotsverfügung einer in Nordhausen von Rechtsextremisten angemeldeten und verbotenen Demonstration wurden sieben Personen vorübergehend festgenommen. Für den Anmelder und seinen Stellvertreter wurde zehntägiger Unterbindungsgewahrsam angeordnet. Die zentralen Veranstaltungen der Rudolf-Heß-Aktionswoche wurden mit Demonstrationen im dänischen Roskilde und im niedersächsischen Schneverdingen abgeschlossen. Während es in Roskilde zu Auseinandersetzungen zwischen 150 Rechtsextremisten, darunter etwa 20 Deutschen und 400 bis 500 Linksextremisten kam, verlief die Demonstration in Schneverdingen fast störungsfrei. 150 bis 200 rechtsextremistische Szene-Angehörige, unter ihnen 15 aus Thüringen, zogen durch die Stadt und skandierten Parolen wie "Ruhm und Ehre für Rudolf Heß". Sie führten Transparente und eine Reichskriegsflagge mit sich. 15 Platzverweise wurden durch die Polizei ausgesprochen. Am 10. September sollte in Saalfeld am Denkmal für die Opfer des "Todesmarsches Buchenwald" eine Kranzniederlegung stattfinden. Ein bombenähnlicher Gegenstand mit der Aufschrift "Vorsicht Sprengarbeiten" wurde unmittelbar am Denkmalsockel vorgefunden. Das Thüringer Landeskriminalamt stellte fest, daß es sich um eine Bombenattrappe handelte. Während einer Gedenkveranstaltung am Mahnmal der Opfer des Faschismus in Rudolstadt legten Rechtsextremisten Propagandamaterial auf den Kränzen ab. Die mutmaßlichen Täter werden der Anti-Antifa zugerechnet. Die Gruppierung unterhält über Thüringen hinaus Verbindungen zu führenden "Größen" der rechtsextremistischen Szene. So wurde z.B. ein Zeitungsprojekt gemeinsam geplant und durchgeführt. In enger Zusammenarbeit von Frank Schwerdt, dem Vorsitzenden "Der Nationalen e.V."" und dem Führungsmitglied der Anti-Antifa Ostthüringen/ THS Tino Brandt entstand die Neue Thüringer Zeitung - Stimme der Nationalen Erneuerung. Für die Monate September/Oktober erschien die Nr. 1/1. Jg., für November/Dezember die zweite Ausgabe. Als Herausgeber wird der o.g. Frank Schwerdt benannt, als Leitender Redakteur Christian Wendt, ein führender Funktionär der Vereinigung "Die Nationalen e.V.". Sein Stellvertreter ist Tino Brandt, der auch den Lokalteil übernimmt. " Vergleiche dazu auch das folgende Kapitel. Mit Ausnahme des Lokalteiles sind Aufmachung und Artikel identisch mit der ebenfalls erstmals erschienenen Süddeutschen Allgemeinen, mit der Nr. 8/3. Jg. Junges Franken und mit der Nr. 18/3. Jg. der Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ), dem Publikationsorgan der Vereinigung "Die Nationalen e.V.". Laut Impressum ist Frank Schwerdt der Herausgeber aller Zeitungen. 3.5 Die Nationalen e.V. "Die Nationalen e.V." wurden am 3. September 1991 von Mitgliedern der NPD, der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH), der FAP sowie ehemaligen REP-Mitgliedern unter dem Namen "Freiheitliche Wählergemeinschaft - 'Wir sind das Volk" (WSDV) gegründet. Ihr Ziel war es, an den Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen teilzunehmen. Trotz des enttäuschenden Wahlergebnisses wurde die Wählergemeinschaft am 28. August 1992 als Verein "Die Nationalen e.V." mit Sitz in Berlin gegründet. Der Vorsitzende ist Frank Schwerdt. Publikationsorgan der Vereinigung ist die Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ). Die Nationalen e.V. waren bundesweit maßgeblich an der Planung und Durchführung der Aktionen zum Gedenken an Rudolf Heß beteiligt. So erschien ein Aufruf zur "Rudolf-Heß-Aktionswoche vom 12. bis 20. August 1995"12 mit dem Untertitel: "Wunsiedel - Koordinierungsbüro/ Die Nationalen". Die Gruppierung bemühte sich im Berichtszeitraum, durch Veranstaltungen in anderen Bundesländern ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und Kontakte zu bestehenden Neonazi-Gruppen herzustellen. Obwohl "Die Nationalen e.V." und ihre Jugendorganisation "Junges Nationales Spektrum" (JNS) in Thüringen bisher organisatorisch nicht in Erscheinung traten, war eine Annäherung an die südthüringische Anti-Antifa festzustellen. So wurde in der Rudolf-Heß-Aktionswoche die Veranstaltung "Stoppt die Gesinnungsjustiz" (12. August, Jena) von der Anti-Antifa-Gruppe "Thüringer Heimatschutz" (THS) auf Anweisung des Vorsitzenden Schwerdt angemeldet. Folgende Veranstaltungen wurden des weiteren geplant, fanden nach Verbot durch die zuständigen Behörden jedoch nicht statt: 23. September/Rudolstadt: Motto: "Gegen die Polizeigesetze - stoppt den staatlichen Terror" 14. Oktober/Rudolstadt: "Mahnwache" am Denkmal für die Opfer des Faschismus, verbunden mit der 12 Vgl. dazu ausführlich das Kapitel III, 3.4. 28 Forderung, den gleichnamigen Platz in "Platz der Opfer der Vertreibung" umzubenennen und ein Denkmal für die Opfer der Vertreibung zu errichten 4. November/Rudolstadt: Motto: "Entfernung der alten roten Schreibtischtäter aus allen öffentlichen Ämtern, vor allem der Polizei und Justiz" 9. November/Gera und 11. November/Sonneberg: Mahnwache mit anschließendem Umzug Motto: "Gegen das Vergessen der Opfer des Mauerbaus" 3.6 Umstrukturierung und Vernetzung der Neonaziszene Das konsequente Vorgehen der Behörden führte zu einer Verunsicherung und organisatorischen Lähmung von Anhängern und Mitläufern der rechtsextremistischen Szene. Um den Destabilisierungserscheinungen entgegenzuwirken, versuchten sie, sich durch die Bildung selbständiger regionaler Gruppen neu zu formieren. Dabei spielten vor allem Zusammenkünfte, die keine feste hierarchische Einordnung der Beteiligten aufwiesen, eine Rolle. Dieser neue Organisationsansatz der Szene ist insofern bemerkenswert, als er von den bisherigen, klar hierarchisch geprägten Verhaltensmustern deutlich abweicht. Die Verwendung moderner Kommunikationsmittel führte zu einer Vernetzung der Beteiligten. Vage Ansätze für die Bildung rechtsextremistischer Terrorgruppen beschränkten sich bislang auf kontroverse Diskussionen, Gedankenspiele und vereinzelte Straftaten. Die Grundlagen dieses neuen Organisationskonzeptes sind maßgeblich dem Aufbau der linksextremistischen autonomen Szene entlehnt worden. Sie lassen sich durch folgende drei Punkte charakterisieren: - Verzicht auf eine Partei. - Systematische Bildung selbständiger informeller Gruppen, die einem unpolitischen Inhalt gelten und in ihrer formalen Gestaltung differieren (z.B. Vereine, Stammtische), die bewußt auf die Wahl eines Vorstands und den Beschluß einer Satzung verzichten. Die Anleitung und Führung dieser Ortsgruppen sowie ihre Verflechtung durch "Regionalräte" sollen sogenannte "anerkannte Personen", Mitglieder, die sich einer allgemeinen Akzeptanz erfreuen, übernehmen. Ihnen soll auf Bundesebene ein sogenannter "Ältestenrat" übergeordnet werden. - Ein modernes und sicheres Kommunikationssystem soll die nur lose verbundenen Zusammenschlüsse miteinander vernetzen, um Effizienz und Schlagkraft der Unternehmungen zu gewährleisten. 29 Der durch diesen Aufbau vorgetäuschte "Mangel an Organisation" soll eventuellen Verboten der Vereinigungen vorbeugen und diese gegebenenfalls zu unterlaufen helfen. Das formelle Fehlen einer festen, personell abgrenzbaren Führungsebene der neonazistischen Szene erschwert so die gesamte Strafverfolgung, insbesondere die Durchsetzung strafrechtlicher Konsequenzen gegen einzelne im Hinblick auf Organisationsdelikte. Einen weiteren Ansatzpunkt, die breitgefächerte Szene neonazistischer Gruppen zu vereinheitlichen und durch die - wenn auch nur plakative - Festlegung auf einen gemeinsamen Gegner zu binden, stellt die Bildung der Anti-Antifa13 dar. Mit konkreten Aktionen gegen die linke autonome Szene sollen der Zusammenhalt der Gruppen gestärkt und neue Gruppenmitglieder geworben werden. Trotz ihres intensiven Bemühens, die genannten Überlegungen umzusetzen, konnten die rechtsextremistischen Führungsfiguren im Verlauf des Jahres 1995 keine grundlegenden "Erfolge" erzielen. Ursächlich für dieses Versagen dürfte vor allem der Umstand sein, daß sich das Bedürfnis und die Suche des in Betracht kommenden, meist sehr jugendlichen Personenkreises nach einer straffen Führung in einer hierarchisch aufgebauten Gemeinschaft nicht mit "autonomen" Organisationsund Lebensformen vereinbaren lassen. So stellt die Betonung des Individualismus, eine Voraussetzung für eine an autonomen Formen orientierte Lebensweise, eine intellektuelle Barriere für die meisten Gruppenmitglieder dar. Zur Umsetzung einer solchen Strategie bedarf es der Kompetenz, das ideologische Ziel und den beschrittenen Weg auseinanderhalten zu können: Während das Ziel die Gemeinschaft ist, die auf dem Prinzip von Führertum und Gefolgschaft aufbaut, führt der Weg über die Bildung "autonomer" Gruppen. Ungeachtet dieser Schwierigkeiten ließen sich in Thüringen einschlägige Vorhaben im Raum Jena/Stadtroda sowie Saalfeld/Rudolstadt feststellen. Hier treffen sich regelmäßig Neonazis aus der Region Südthüringen zu "Kameradschaftsabenden". Sie benutzen die Namen THS und "Anti-Antifa Ostthüringen". Einen deutlichen Fortschritt hingegen gab es (aus Sicht der Beteiligten) bei der Vernetzung rechtsextremistischer Aktivisten. Sie verstanden es, moderne Kommunikationsmittel - Infotelefone, Computernetze, Mobiltelefone - ihren speziellen Ansprüchen dienstbar zu machen. Bei den Nationalen Infotelefonen (NIT) handelt es sich um Anrufbeantworter. Sie werden im Vorfeld gemeinsamer Veranstaltungen mit Informationen versehen und liefern zu Schwerpunkten neonazistischer Politikvorstellungen Hintergrundinformationen. Die einzelnen Gruppen können ihre Bildungsund Organisationsarbeit so ohne Schwierigkeiten abstimmen. Da die NIT auch weiteren Personen, Gegnern der Neonazis und Behörden zugänglich sind, weist die inhaltliche Gestaltung der gespeicherten Texte entsprechende Einschränkungen auf. Brisante Vgl. dazu ausführlich das Kapitel III, 3.4. 30 Themen werden ausgespart. Zur Zeit sind mehrere nationale und regionale Infotelefone bekannt. In Thüringen existiert keine entsprechende Anlage. Ein weiteres, sehr effizientes Hilfsmittel, über das die neonazistische Szene verfügt, ist das sogenannte Thule Netz, ein Netzwerk, das auf dem Prinzip von miteinander verbundenen Mailboxen basiert. Mit Hilfe eines Modems werden Daten zwischen Computern über die Telefonleitungen ausgetauscht. Eine zusätzlich installierte Software ermöglicht es, selbständig Verbindungen aufzubauen und somit jederzeit Daten zu empfangen bzw. zu senden (Mailbox bzw. elektronischer Briefkasten). Da die Nachrichten zu verschlüsseln sind und unerwünschte Benutzer durch die Vergabe gesonderter Zugangsberechtigungen ausgegrenzt werden können, wird auf diese Weise eine interne Kommunikation möglich, die kaum Einschränkungen und Vorsichtsmaßregeln unterliegt. Von den 15 in Deutschland an das Thule Netz angeschlossenen Mailboxen finden sich drei in den neuen Bundesländern. Ohne daß bislang in Thüringen selbst eine in dieses Netz integrierte Mailbox existiert, wurden Nutzer festgestellt. Darüber hinaus wurde versucht, Zugang zum Internet, einem globalen Netzverband, zu erlangen. Die angestrebte Internationalisierung des Netzes, seine Einbindung in ein derart großes und unüberschaubares System würden seine Kontrolle erschweren. Gleichzeitig wäre die Möglichkeit gegeben, potentielle Interessenten weltweit ohne Einschränkung von Grenzen zu erreichen. Eine gute Ausstattung an Mobiltelefonen ermöglicht es vorzugsweise den Aktivisten der rechtsextremen Szene, unabhängig von örtlichen und zeitlichen Gegebenheiten Absprachen zu treffen, ein Vorzug, der gerade bei der Koordinierung von Aufmärschen und laufenden Aktionen zum Tragen kommt. So wurden derartige Geräte zum Beispiel bei der Organisation von Aufmärschen für den 13. und 20. Mai in Neuhaus eingesetzt, die als Trauermärsche für den am 6. Mai erstochenen Angehörigen der rechten Szene firmierten.14 3.7 Skinheads, Skinbands, Skinfanzines15 Die Skinheads - wegen ihrer rasierten Schädel so benannt - traten erstmals Ende der 60er Jahre in England auf. In ihrer Subkultur wurzelt das typische äußere Erscheinungsbild der Skinheads: Bomberjacken, mit Stahlkappen versehene Arbeitsstiefel und hochgekrempelte Jeans. In ihren Anfängen war die Szene durchaus unpolitisch. Sie manifestierte sich im Besuch von Fußballspielen. Später suchten viele englische Skinheads ihre politische Heimat in der Nähe kommunistischer Gruppierungen. 14 Vgl. dazu ausführlich das Kapitel II., 1.4. 15 Vgl. die Erklärung im Kapitel II., 1.2 (Fußnote). 31 Die politische Kehrtwendung der Skinheadszene erfolgte erst durch die massiven Kampagnen der rechtsextremistischen britischen "Nationalen Front". In ihrer Agitation wurde der starke Zuzug von Ausländern als Bedrohung dargestellt. Erstmals flössen so rassistische Elemente in das Denken der Szene ein. Anfang der 80er Jahre griff die Skinheadbewegung von England nach Deutschland über. Ursache für das Entstehen der Skinheadszene in den alten Bundesländern waren nicht wie in Großbritannien soziale Nöte, sondern jugendliche Rebellion gegen die Erwachsenenwelt und als Mißstände empfundene gesellschaftliche Strukturen. Die auch in der Bundesrepublik anfänglich unpolitische Subkultur entwickelte sich in der Folgezeit auseinander. Aus der Szene schälte sich eine starke Strömung mit ausländerfeindlicher, rassistischer und schließlich rechtsextremistischer Einstellung heraus. Sie wird durch rechtsextremistische Skinbands und Fanzines beeinflußt. Ein kleinerer Teil der Szene besteht aus den linksextremistischen Redund Sharpskins, die den rechtsextremistischen Skinheads gegenüberstehen. Unter dem Druck von Strafverfolgungsmaßnahmen haben viele Skinheads damit begonnen, sich in Haarschnitt und Kleidung dem Erscheinungsbild des "Normalbürgers" anzupassen. Ihr Lebensgefühl und szenetypisches Gruppenverhalten sind jedoch unverändert erhalten geblieben. Beide drücken sich insbesondere in gemeinschaftlichen Alkoholexzessen sowie in der Pflege der Feindbilder "Linke" und "Ausländer" aus. Auch das gemeinsame Aufputschen an den häufig gewaltverherrlichenden Texten der Skinbandkonzerte spielt eine nicht unwesentliche Rolle. Zudem erlaubt die Teilnahme an den Musikdarbietungen, sich gemeinschaftlich zu artikulieren, das Gruppengefühl zu stärken und den Zusammenhalt zu fördern. Die Skinheadmusik wirkt so als Integrationsund Aggressionsfaktor. Am 25. März sollte im Großraum Gera eine bundesweit konspirativ vorbereitete Skinbandveranstaltung stattfinden. Es gelang, den geheimgehaltenen Veranstaltungsort in Triptis festzustellen. Etwa 400 Skinheads reisten im Laufe des Tages an. Auftritte von folgenden vier Skinbands waren vorgesehen: "Triebtäter" (Schwäbisch Gmünd, Baden-Württemberg) "Feuerstoß" (Gernsbach, Baden-Württemberg) "Legion Ost" (Gera, Thüringen) "Sturmtrupp" (Neuburg, Bayern). Den Teilnehmern wurde das Verbot der Veranstaltung bekannt gegeben; die Polizei erteilte Platzverweise und nahm die Skinheads, die sich bereits in der Gaststätte (Veranstaltungsort) versammelt hatten, in Unterbindungsgewahrsam. Einzelne versuchten dabei das "Horst-Wessel-Lied" zu singen. 32 153 Personen, die während der Vorkontrollen an den Autobahnabfahrten und Zufahrtsstraßen in Gewahrsam genommen wurden, verwirklichten die folgenden Straftatbestände: - Mitführen von verbotenen Gegenständen nach dem Waffengesetz - Mitführen von Kennzeichen verfassungswidriger und verbotener Organisationen - Mitführen von verbotenem Schriftgut, Musikkassetten und CD's mit indizierten Texten. Insgesamt wurden 231 Personen in Unterbindungsgewahrsam genommen; 53 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet. Ein weiteres Skinheadkonzert wurde für den 11. November in Rudolstadt geplant. Das Vorhaben scheiterte. Den Organisatoren gelang es nicht, geeignete Räume anzumieten. Durch verstärkte Aufklärungsmaßnahmen der Polizei konnten in den Abendstunden des 11. November im Raum Jena/Saalfeld mehrere Personengruppen festgestellt werden, die der rechten Szene zuzuordnen sind. Insgesamt wurden 40 Personen aus Thüringen, Bayern und Sachsen in Unterbindungsgewahrsam genommen. Unter ihnen befanden sich auch mehrere Führungspersonen der rechtsextremistischen Szene. 4. Rechtsextremistische Parteien 4.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Die 1964 gegründete Partei hat bundesweit etwa 4 000 Mitglieder. Sie verfolgt vor allem eine gegen Ausländer und Asylbeweber gerichtete Agitation. In ihren Verlautbarungen und Druckerzeugnissen werden die Geschehnisse während des Nationalsozialismus verharmlost und relativiert. Die NPD strebt eine Volksgemeinschaft an, in der die Interessen des "Volksganzen" vor den Freiheitsrechten des einzelnen stehen sollen. Zentrales Publikationsorgan der Partei ist die monatlich erscheinende Deutsche Stimme. Am 10./11. Juni führte die NPD im bayerischen Arnstorf ihren Bundesparteitag durch. Mit großer Mehrheit wurde Günter Deckert als Bundesvorsitzender wiedergewählt. In seinem Rechenschaftsbericht bezeichnete er die Partei als "strukturell und politisch wieder konsolidiert". Er sprach sich auch gegen das Entstehen einer multikulturellen Gesellschaft in Deutschland aus. Die Ämterenthebung, die das Bundespräsidium wegen seines eigenmächtigen Vorgehens in Fragen der Finanzund Vermögenspolitik gegen Deckert ausgesprochen hatte, wurde inzwischen wieder zurückgenommen. Am 27. Oktober bestätigte der Bundesgerichtshof das Urteil des Landgerichts Karlsruhe, das Deckert wegen Volksverhetzung und AufStachelung zum Rassenhaß zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt hatte. Die 33 Haft wurde im November angetreten. Auf einer Veranstaltung in Weinheim hatte Deckert im November 1991 die Massen Vernichtung von Juden in Auschwitz geleugnet. Am 23. Juni 1994 war er vom Landgericht Mannheim u.a. wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß zu einer einjährigen Freiheitsstrafe auf Bewährung sowie einer Geldstrafe von 10 000 DM verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil am 15. Dezember 1994 auf. Das Verfahren wurde zur erneuten Verhandlung über das Strafmaß und die Strafaussetzung zur Bewährung an das Landgericht Karlsruhe zurückverwiesen. Anfang des Jahres erhielt der Leiter der Gedenkstätte Buchenwald ein Drohschreiben Deckerts, das sich mit den Ende 1994/Anfang 1995 erteilten Hausverboten auseinandersetzt. Die Hausverbote waren im Zusammenhang mit geplanten "politischen Spaziergängen" ergangen.16 In Thüringen ist der Landesverband der NPD in drei Regionalverbände gegliedert. Ihnen werden noch etwa 50 Mitglieder zugerechnet. Landesvorsitzender ist Frank Golkowski, der auf dem Landesparteitag am 19. August in Pößneck wiedergewählt wurde. Angeblich erhielt dieser im Dezember 1994 und Januar 1995 Drohbriefe, in denen Anschläge gegen ihn angekündigt wurden. Diese Briefe gingen auch verschiedenen Thüringer Tageszeitungen zu. Bei einer Durchsuchung seiner Wohnund Geschäftsräume konnten jedoch Beweismittel sichergestellt werden, die den Verdacht, daß die Schreiben von ihm selbst verfaßt wurden, erhärten. Öffentliche Veranstaltungen der Thüringer Parteiorganisation fanden nicht statt. Mitglieder und Funktionäre waren jedoch auf dem Bundesparteitag vertreten, nahmen im Oktober in Karlstadt/Main an einer Veranstaltung zum Thema "Bayern aktuell - 30 Jahre NPD" teil und fuhren im November zu einem internationalen Falangisten-Treffen nach Madrid/Spanien. "Die INDIANER m m stoppten die i Einwanderung nicht. s Heute leben sie in llEiSILIt T A I tun .- Propagandamaterial N P D 030 / 432 18 35 der "NationaldemoNa t i o n a g d * mok r e t i "c he P a r t e i D e u t s c h l a n d " P o s t f a c h 6 5 Ol 0 2 * 1 3 3 0 1 B e r l i n kratischen Partei Deutschlands" (NPD) Vgl. dazu ausführlich das Kapitel IL, 2.3 sowie den Thüringer Verfassungsschutzbericht 1994, S. 13, 24. 34 Anfang des Jahres gab der Landesverband unter dem Titel Klartext, einem vierteljährlich erscheinenden Infodienst, eine neue Publikation heraus. Für sie zeichnet der Landesvorsitzende persönlich verantwortlich. Neben der Widergabe von Flugblättern der NPD widmet sich Klartext in seinen Artikeln den bekannten Problemkreisen "Absage an die Europäische Union", "Ausländerdebatte und Ausländerkriminalität" und "Versagen der Altparteien". 4.2 Die Republikaner (REP) Der 1983 in München gegründeten Partei gehören bundesweit noch ca. 16.000 (1994: 20 000) Mitglieder an. Bundesvorsitzender ist seit dem letzten Parteitag im Dezember 1994 Dr. Rolf Schlierer. Franz Schönhuber, der langjährige Vorsitzende und Mitbegründer der REP, hatte sich nicht wieder zur Wahl gestellt, nachdem seine Kontakte zur Deutschen Volksunion (DVU) Gegenstand innerparteilicher Auseinandersetzungen geworden waren. Er erklärte im November seinen Austritt aus der Partei und zog damit die Konsequenzen aus dem vorangegangenen Richtungsstreit und dem zwischenzeitlich gegen ihn erwirkten Ausschluß. In seiner Begründung verwies er darauf, daß sich zwischen ihm und der Parteispitze ein Graben aufgetan habe, der nicht mehr zu überbrücken sei. Dr. Rolf Schlierer warf er vor, sich bei den etaWiesekon zur letzten Wahl von ans Ytrrhergesagr - blierten Parteien anzubiedern. Sie ist da Hi Die Arbeitslosigkeit und die fehlenden Lehrsteilen . Charakteristisch für die REP Deshalb - anstatt Millionen für mrtschaflsasylanten und sogenannten Ausländerhilfen aaszugeben - Schaffang insgesamt sind ihre permanenvan Arbeitsplätzen und zwar zuerst für Deutsehe . ten Verstöße gegen die in ArtiWir sind keine Aasländerfeinde and lehnen jede G rwatt ab ,aber ah deutsche Patrioten fühlen wir uns für die kel 1 und 3 des Grundgesetzes sozialen Belange der DEUTSCHES verantwortlich, Deutschland ist die Heimat der Deutsehen . garantierten Grundrechte. Sie respektieren nicht den GrundDlEgEPUBUKAHER satz, die Würde des Menschen Thüringen PF Ml zu achten und in Deutschland U!23SteiHaeh lebende Minderheiten wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Hautfarbe nicht zu diskriminieren. Kriminalität und soziale Mißstände werden pauschal Ausländern und Flugblatt der Thüringer "Republikaner", verAsylbewerbern angelastet. In teilt in Vachdorf (Kreis Hildburghausen) im der "Rettung des deutschen August 1995 35 Vaterlandes" sieht die sich als "Gesinnungsgemeinschaft" verstehende Partei ihre ureigene Aufgabe. In Thüringen werden die REP seit Februar als rechtsextremistische Partei beobachtet. Der Landesverband, dem derzeit ca. 200 bis 250 Mitgliedern angehören, ist kaum mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung getreten. Die Veranstaltungen wurden in der Regel intern abgehalten. Zu Störungen durch Teilnehmer oder politische Gegner kam es nicht. Eigene Veröffentlichungen und Flugblätter wurden nur vereinzelt festgestellt. In Vachdorf (Kreis Hildburghausen) beispielsweise galten sie einem dunkelhäutigen Postzusteller, der Anfang August von einzelnen Dorfbewohnern seiner Hautfarbe wegen angegriffen wurde (siehe Flugblatt Seite 35). Mitglieder der REP verteilten in dem Ort am 24. August Flugblätter. Vor allem für Deutsche sollten Arbeitsplätze geschaffen werden, "anstatt Millionen für Wirtschaftsasylanten und sogenannte Ausländerhilfen auszugeben". Am 19. März führten die REP ihren Landesparteitag in Neustadt am Rennsteig durch. Unter den ca. 75 Teilnehmern befanden sich auch der neue Bundesvorsitzende, Dr. Rolf Schlierer, sowie der - inzwischen aus der Partei ausgetretene - ehemalige Bundesvorsitzende, Franz Schönhuber. Wolfgang Kleindienst wurde als Landesvorsitzender bestätigt. Der ehemalige BundesvorsitHancfbian der Thüringer Republikaner REP) zende der REP, Franz Schönhuber, besuchte am 11./12. und 13. Ein Modell für alle Patrioten August vier REP-VeranstaltunNach Teiinahmeiusagt namhafter Persönlichkeiten der deutschen Rechten lud das Landesprasidlum Thüringen der Republikaner Patrioten aus anderen Parteien und Verbinden zum 1. Juni gen in Pößneck, Fehrenbach, Tie1995 nach Elsenach zu einem . 1 . Runden Tisch* über die Zukunft der deutschen Rechten. fenort und Erfurt, an denen bis zu Die geschlossene Veranstaltung war gut besucht. Die Teilnehmer, darunter führende Funktionsträger rechter Parteien, waren sich 50 Personen beteiligt waren. Er nach gründlicher Auasprache einig, daB In Zukunft nur das geschlossene Auftreten der demokratischen Rechten zum parlamentarischen Durchbruch verhelfen könne. Zu diesem Zweck wurde sprach zum Thema "Gegen das einstimmig dst .Eisenacher Signal" verabschiedet, das sich an alle deutschen Patrioten richtet: Vergessen des Mauerbaues am 13. "Eisenacher Signal August 1961". Zugleich stellte er Die jüngsten Landtagswahlen haben gezeigt: Die potentiellen Wähler sind rechter Zwietrachl ,m parteipolitischen Bereich überdrüssig. Gesein im September erschienenes ringe Stimmenzahlen für die antretenden Rechtsparteien und Flucht m die Wahlenthaiicng sind die Folge. Man kann nicht glaubhall den Buch "In Acht und Bann - PolitiAnspruch erheben, die Einheit Deutschlands vollenden und dem ganzen Volk dienen zu wollen, wenn man nicht einmal die Einheil der Gleichgesinnten erreicht, die dazu bereit sind. sche Inquisition in Deutschland" Die in Eisenach Versammellen sind sich einig, da3 eine in Zukunft einhctlich aultrelende politische Rechte den zu erwartenden harten vor. Für die Tiefenorter VeranKampl bestehen und Ericige erringen kann. Um die Einheil aller Patrioten (rechtzeitig) vorzubereiten, sollen ab sostaltung warben Plakate, die vom lort nach dem Eisenacher Beispiel überall lokal, tegional und leiztlich bundesweit unter dem Motto .Gemeinsam für Deutschland' "Freundeskreis Eisenacher Signal Runde Tische einberulen werden mit dem Ziel, ungeachtet früherer Auseinanderset- - Bündnis für Deutschland" zungen jede Perser, und jede Stromung solidarisch zu siützen, die auf eine Sammlung der demokratischen Rechten hinwirkt. unterzeichnet waren. Schallt viele .Runde Tische1, damit das Jahr 1995/96 für die deutsche Rechte ein Janr der Versöhnung, Öffnung und Erneuerung wird! Nur gemeinsam 'äöt sich eine flächendeckende, schlagkräftige und glaubAm 1. Juni 1995 fand in Eisewürdige politische Alternative zum Sonner Paneienkanell aufbauen, auf die viele Deutsche warten. nach auf Initiative der REP ThüO'eses Bündnis für Deutschland gilt es vorzubereiten - auf jeder Ebene und überall: ringen ein sogenannter "1. Runder Eisenach -- ein Modell für alle Patrioten!" Tisch" statt. An dieser nicht öffentlichen Veranstaltung waren 36 auch Vertreter der Thüringer NPDund der DVU-Verbände sowie Funktionäre des DLVH beteiligt. Der lose Zusammenschluß der rechten Gruppierungen tritt auch unter den Bezeichnungen "Freundeskreis - Ein Herz für Deutschland", "Nationale Liste Thüringen" bzw. "Eisenacher Signal - Deutschnationale Bewegung Thüringen" auf. In der Diskussion über die Zukunft der deutschen Rechten vertraten die Teilnehmer einheitlich den Standpunkt, daß ihnen nur die Überwindung der bisherigen Abgrenzung, ein geschlossenes Zusammenwirken und Auftreten der Rechtsparteien zum parlamentarischen Durchbruch verhelfen könne, ein Vorgehen, zu dem die Bundesführungen derzeit nicht bereit wären. Um die Sammlung der "demokratischen Rechten" zu unterstüzen, wurde folgerichtig die Schaffung weiterer "Runder Tische" angeregt. Über die lokale Ebene hinaus sollten sie bundesweit ausgedehnt werden; als Modell "Für die Patrioten" sollte das "Eisenacher Signal" dienen." Ebenso sprach sich der Landesvorsitzende der REP in einem offenen Brief vom 25. Mai für einen übergreifenden Konsens rechter Parteien und Gruppierungen aus. Der von der Partei 1990 gefaßte Abgrenzungsbeschluß habe die gesamte Rechte handlungsunfähig gemacht. Der Bundesvorstand distanzierte sich von diesen Ansätzen nicht nur in einer Pressemitteilung, sondern drohte Parteimitgliedern, die sich dennoch an den Bündnisbestrebungen beteiligen würden, disziplinarische Maßnahmen an. In Folge der Streitigkeiten mit dem Bundesvorstand und innerhalb des Landesverbandes trat der - erst am 19. März bestätigte - Thüringer Landesvorsitzende Kleindienst im November zurück und erklärte seinen Austritt aus der Partei. Er kam damit einem gleichlautenden Beschluß des Bundespräsidiums zuvor, der auch drei weitere Vorstandsmitglieder ihrer Funktionen und Mitgliedsrechte entheben wollte. Daß es dem neuen Bundesvorsitzenden Dr. Schliererbisher nicht gelungen ist, kontroverse Strömungen innerhalb der Partei zusammenzuführen, zeigt das Auftreten führender REP-Funktionäre, die sich auch in anderen Bundesländern um Bündnisse bemühen. 4.3 Deutsche Volksunion (DVU) Der 1987 von Dr. Gerhard Frey, einem Münchener Verleger, gegründeten DVU gehören bundesweit ca. 15 000 Mitglieder an. Ihre eindeutig rechtsextremistische Ausrichtung ist nicht ausdrücklich im Parteiprogramm verankert. Offen werden die verfassungsfeindlichen Ziele jedoch in den wöchentlich von Dr. Frey persönlich herausgegebenen Publikationsorganen Zur Umsetzung dieses Vorhabens vgl. das Kapitel III., 4.4 Deutsche National-Zeitung (DNZ) und Deutsche Wochen-Zeitung (DWZ) sowie in einer Reihe von Rundbriefen zum Ausdruck gebracht. Die hier aggressiv betriebene Agitation richtet sich vorrangig gegen Asylbewerber und Juden. Am 30. September fand die alljährliche Großkundgebung der DVU mit ca. 2 300 Teilnehmern in der Passauer Nibelungenhalle unter dem Motto "Recht und Freiheit für Deutschland" statt. Seit Anfang Juni wurden in der DNZ und DWZ regelmäßig Mitfahrgelegenheiten angeboten. Der Landesverband Thüringen organisierte eine Busfahrt zu der Veranstaltung mit Zusteigemöglichkeiten in Sachsen-Anhalt und Sachsen. Der Thüringer Landesverband der DVU gründete sich am 15. Juni 1991. Landes Vorsitzender ist Gerhard Konrad. Die Zahl der Mitglieder liegt vermutlich unter 50. Außenwirksame Aktivitäten sind kaum feststellbar. Zwei Mitglieder des Landesverbandes Thüringen gehören dem Bundesvorstand an. Am 18. Februar fand in Planschwitz (Sachsen) ein gemeinsamer Parteitag der DVULandesverbände Thüringen und Sachsen statt. Leiter dieser nichtöffentlichen Veranstaltung, an der 56 Delegierte teilnahmen, war der Bundesvorsitzende Dr. Gerhard Frey. Der DVU-Landesverband Thüringen führte 1995 vier "Politische Stammtische" in Arnstadt und in Weimar durch. In der DNZ und DWZ wurde auf diese Veranstaltungen hingewiesen. Es nahmen jeweils 15 bis 20 Personen teil. Bei der Gründungsversammlung des sogenannten "Eisenacher Signal"18 am 1. Juni in Eisenach war neben weiteren rechtsextremistischen Parteien auch die DVU Thüringen beteiligt. In einer Erklärung vom 3. Oktober distanziert sich der Landesverband jedoch von einer weiteren Teilnahme. Die Bestrebungen des Zusammenschlusses seien ohnehin zum Scheitern verurteilt, solange die Durchsetzung privater Interessen selbst bei führenden Kräften im nationalen Spektrum den Kampf für ein "nationales und deutsches Deutschland" überwiege. 4.4 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) Die am 3. Oktober 1991 gegründete DLVH versteht sich als "Sammelpartei der nationalen Rechten". Sie bietet sich vorrangig als Auffangbecken für enttäuschte Mitglieder anderer rechtsextremistischer Parteien wie DVU, NPD und REP an. Die DLVH versucht die "Zersplitterung der rechten Kräfte" zu überwinden und strebt eine Zusammenarbeit mit anderen Rechtsparteien an. Sie hat bundesweit ca. 900 Mitglieder. Hinsichtlich einer Mitgliederoder Organisationsstruktur in Thüringen liegen keine Erkenntnisse vor. Am 14. Oktober fand in Pommersfelden (Bayern) der 3. ordentliche Bundesparteitag der DLVH statt, an dem auch zwei Vertreter des Landesvorstandes der REP Thüringen teilnahmen. Die Delegierten führten Neuwahlen zum Bundesvorstand durch. Die bisherigen Vorstandsmitglieder wurden bestätigt. Vgl. dazu das vorangegangene Kapitel. 38 Die Einführung der sogenannten "Runden Tische" 19 fand ihren Niederschlag in einer Ergänzung der Satzung. Danach bekennt sich die DLVH zur Sammlung aller patriotisch gesinnten Bürgerinnen und Bürger. Für alle Deutschen bestehe "... eine generelle Vereinbarkeit mit einer Mitgliedschaft innerhalb der DLVH - unabhängig von Zugehörigkeit in anderen Parteien, Verbänden, Vereinen oder sonstigen volkstreuen politischen Organisationen". Mit dem Ziel, die "Rechte" zu einen und sich gegenseitig zu unterstützen, war die DLVH auch an der Konstituierung des sogenannten "1. Runden Tisches" in Eisenach durch den Landesvorstand der REP Thüringen, Vertreter der NPD Thüringen und DVU Thüringen beteiligt. Darüber hinaus engagierte sie sich für die Durchführung ähnlicher "Runder Tische" auch in anderen Bundesländern. Die hier verabschiedeten Resolutionen "Rheinischer Appell", "Pulheimer Erklärung" oder "Pfälzer Aufruf unterscheiden sich inhaltlich nur unwesentlich vom "Eisenacher Signal". 5. Jugendund Studentenorganisationen 5.1 Junge Nationaldemokraten (JN) Der im Jahre 1969 gegründeten Jugendorganisation der NPD gehören heute bundesweit etwa 150 Mitglieder an. Bundesvorsitzender ist der in Niedersachsen wohnende Holger Apfel. Die Jugendorganisation teilt die Ideologie der NPD. Auch sie sieht sich als nationalistische Gesinnungsund Kampfgemeinschaft, die nicht Bestandteil des "Systems" sein will. So erstaunt nicht, daß die JN Kontakte zu neonazistischen Gruppierungen unterhält. Zusammen mit Angehörigen zwischenzeitlich verbotener Organisationen - wie der FAP, der Wiking-Jugend (WJ) und der Nationalen Liste (NL) - beteiligte sie sich bereits in der Vergangenheit an, J^udolfHeß-Gedenkveranstaltungen" und sogenannten , JTeldengedenkfeiern". Foto: Plakat der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) anläßlich der Rudolf-HeßAktionswoche vom 12. bis 20. August 1995. Vgl. dazu das Kapitel HI., 4.2. 39 Eine spezielle Thüringer Organisationsstruktur der JN konnte nicht festgestellt werden. Dennoch unterhält die Gruppe - insbesondere ihr Vorsitzender persönlich - enge Beziehungen zu Aktivisten der Thüringer Neonaziszene. Das belegt u.a. eine JN-Bundesschulung, die vom 14. bis 16. April in Luisenthal (Thüringen) unter dem Motto "Von der konservativen Revolution bis zur Niederschlagung des Reiches" stattfand. Unter den 45 beteiligten Personen befanden sich auch bekannte Thüringer Vertreter der Neonaziszene. 6. Sonstige rechtsextremistische Gruppen Der "Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung" in Vlotho (NordrheinWestfalen) führte vom 17. bis 19. März in Schmiedefeld ein überregionales Lesertreffen durch. Etwa 100 Personen waren daran beteiligt. Ein für den 19. März geplanter "politischer Spaziergang" auf dem Gelände der Mahnund Gedenkstätte Buchenwald war den Teilnehmern durch Hausverbot verwehrt worden. Der Verlag wurde 1963 von dem früheren NPD-Landes Vorsitzenden in Nordrhein-Westfalen, Udo Walendy, gegründet. Er ist u.a. Herausgeber der Broschüre Historische Tatsachen, in der jegliche Kriegsschuld Deutschlands geleugnet und die von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen gerechtfertigt werden. 7. Rechtsextremistische Straftaten 7.1 Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund20 1. In den späten Abendstunden des 24. Juni hielten sich etwa 100 Rechtsextremisten auf dem Gelände der Burg Hohenstein (bei Nordhausen) auf, entfachten ein Feuer und sangen einschlägiges Liedgut. Nur drei Stunden nach Bekanntwerden der Sommersonnenwendfeier wurde diese von den zusammengezogenen Polizeikräften aufgelöst. Es kam zu 84 Festnahmen. Unter anderem befand sich der Bundesvorsitzende der JN, Holger Apfel, unter den Festgenommenen. Die Mehrheit der Teilnehmer kam aus verschiedenen Bundesländern, hauptsächlich aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Aus Thüringen konnte ein Teilnehmer festgestellt werden. Propagandamaterialien und waffenähnliche Gegenstände wurden beschlagnahmt. !0 Zu der Auseinandersetzung in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai in Neuhaus am Rennweg vgl. die ausführliche Darstellung in Kapitel II., 1.4. 40 2. Am 15. September versuchten ca. 30 Angehörige der rechtsextremistischen Szene, eine Veranstaltung des "Sozio-Kulturellen-Zentrums" im Jenaer Planetarium zu stören. Durch Steine und andere Wurfgeschosse wurde die Sicherheitsverglasung des Gebäudes zerstört, Personen wurden nicht verletzt. Insgesamt konnten 31 Personen vorläufig festgenommen werden. Sechs Tatverdächtige wurden auf richterlichen Beschluß in Unterbindungsgewahrsam genommen, die anderen Personen wurden nach erkennungsdienstlicher Behandlung und Vernehmung der Beschuldigten entlassen. Bei den anschließenden Wohnungsdurchsuchungen wurde teilweise rechtsextremistisches Propagandamaterial festgestellt. 3. Am 28. Oktober beleidigten in Nordhausen drei Jugendliche im Alter von 14, 17 und 18 Jahren einen Farbigen aus Togo. Die aus Sangerhausen (SachsenAnhalt) stammenden Täter attackierten ihn aus einem Auto heraus. Als er sie später zur Rede stellte, warf der 14jährige eine Bierflasche nach ihm, der 17jährige schlug mit einem Baseballschläger auf ihn ein. Das Opfer wurde schwer verletzt. Gegen den 17jährigen wurde Haftbefehl erlassen. Am 18. Dezember wurde er als Haupttäter zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die beiden 14bzw. 18jährigen Mittäter erhielten drei bzw. vier Wochen Dauerarrest. 7.2 Rechtsextremistische Gewalttäter Eine Reihe einschlägiger Gewalttaten wird von Personen verübt, die in ihren Handlungen von einer rechtsextremistischen Motivation geleitet werden, ohne daß sie einer Organisation oder einem Personenzusammenschluß zugerechnet werden können. Strukturarme bzw. strukturlose Zusammenschlüsse von Jugendlichen sind für diesen Teil der rechtsextremistischen Szene kennzeichnend. Ein deutlicher Anteil der Gewalttaten wird von Skinheads verübt. Regionale Schwerpunkte waren Jena, Suhl, Erfurt, Sonneberg/Ilmenau, Rudolstadt/Saalfeld, Gera und Weimar. 1995 sind bei den von Rechtsextremisten verübten Straftaten 219 Personen in Erscheinung getreten, 67 von ihnen als Gewalttäter. 41 der Straftäter waren Skinheads. 41 7.3 Zahlenspiegel erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Straftaten 1993 bis 1995 Vergleich erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Straftaten Bund Thüringen 1993 1994 199521 1993 1994 1995 Straftaten insgesamt: 10 561 7 952 219 477 733 davon: fremdenfeindliche Straftaten 6 721 3 491 46 62 47 antisemitische Straftaten 656 1366 -" 15 26 gegen politische Gegner 265 243 12 7 40 sonstige Straftaten 2919 2 852 161 393" 620 Vergleich erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Gewalttaten24 Bund Thüringen 1993 1994 1995 2 ' 1993 1994 1995 Straftaten insgesamt: 2 232 1489 95 41 53 davon: fremdenfeindliche Straftaten 1609 860 3426 15 11 antisemitische Straftaten 72 41 -" 1 1 gegen politische Gegner 157 95 12 7 22 sonstige Straftaten 394 493 49 18 19 Wie bereits im Vorjahr war in Thüringen 1995 eine wesentliche Zunahme rechtsextremistischer Straftaten zu verzeichnen. Die Steigerungstendenz hat sich in etwa gleicher Stärke fortgesetzt. Propagandadelikte nehmen dabei nach wie vor den breitesten Raum ein. Während fremdenfeindliNeonazistische Schmierereien in Altenburg che Aktionen nachließen, 21 Die statistischen Angaben für den Berichtszeitraum lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor. 22 Wurde 1993 nicht gesondert erfaßt. 23 Gesamtzahl der Propagandadelikte, Gewaltandrohungen, Sachbeschädigungen. 24 Die Zahlen in der Tabelle Gewalttaten sind eine Teilmenge der Tabelle Straftaten. 25 Siehe Anmerkung 21. 26 Im Jahresbericht 1993 wurden 31 fremdenfeindliche Gewalttaten genannt. Die Zahl hat sich durch weitere Ermittlungsergebnisse auf 34 erhöht. 42 weisen die speziell antisemitisch ausgerichteten Straftaten einen Zuwachs auf. Doch vor allem sticht der weitere Anstieg von Konflikten zwischen den politischen Gegnern hervor. 1995 liegen 40 derartige Delikte vor, 1994 waren es nur 7. Bereits 22 der 40 Straftaten im Berichtszeitraum verliefen gewalttätig, 1994 Gegen Anarchisten und Autonome gerichtete wurden im Vergleich dazu nur Skinhead-Parole in Saalfeld 7 registriert. Auf dieses der politischen Auseinandersetzung in Thüringen erwachsene Gewaltpotential ist der Anstieg von Gewalttätigkeiten so in maßgebender Weise zurückzuführen. IV. Linksextremismus 1. Überblick Die Situation des Linksextremismus im Freistaat Thüringen hat sich gegenüber dem Vorjahr kaum verändert. Sie stellt sich gegenwärtig wie folgt dar: Es gibt - wenige Mitglieder in marxistisch-leninistischen Parteien sowie einige Sympathisanten - eine größere Anzahl von Marxisten-Leninisten in anderen etablierten Gruppierungen und Parteien - einen inzwischen gefestigten Bestand an autonomen Gruppen mit etwa 250 Anhängern, der sich zunehmend organisatorisch und informell vernetzt und der in Kampagnen sowie gewalttätigen Aktionen auszumachen ist. 2. Ideologischer Hintergrund Linksextremisten streben entweder ein marxistisch-leninistisches Staatsgebilde an oder wollen eine herrschaftsfreie Gesellschaft errichten. Ihr Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt" eint sie ebenso wie ihre Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung. 43 3. Marxistisch-Leninistische Parteien und Organisationen 3.1 Die Kommunistische Plattform (KPF) der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) Die am 30. Dezember 1989 von Kommunisten innerhalb der damaligen SEDPDS gegründete KPF orientiert sich - als eigenständiger Zusammenschluß innerhalb der PDS - weiterhin am Marxismus-Leninismus. Sie bündelt und artikuliert traditionelle kommunistische Positionen und arbeitet gezielt und zweckgerichtet darauf hin, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen und auf dem Wege "revolutionärer Transformation" eine klassenlose kommunistische Gesellschaft zu errichten. Organisatorischer Standort der KPF in der PDS Die KPF ist eine linksextremistische Gruppierung innerhalb des Organisationsgefüges der PDS. Die Satzung der KPF schöpft allerdings die Möglichkeiten, auch Nichtmitglieder der PDS einzubinden, voll aus. Neben dieser Eigentümlichkeit entzieht sie sich einer konkreten Beschreibung gegenüber Dritten, da sie offiziell nicht mit natürlichen Personen mitgliederschaftlich strukturiert ist. Dieses Fehlen der Mitgliederstruktur macht den innerhalb einer demokratischen Partei üblichen, nach der Satzung nachzuvollziehenden Maßstab, wer Mitglied in welchem Gremium ist, unmöglich. Wer also tatsächlich Mitglied der KPF ist, ist für Außenstehende nicht feststellbar. Trotz dieser konspirativen Grundstruktur unterhält die KPF eigene Organe, die ihrerseits in die PDS eingebunden sind. Hierbei organisiert sich die KPF, entsprechend der Gliederungsebenen der PDS, in Bundesund Landeskoordinierungsräten sowie Bundesund Landessprecherräten. Entsprechende Gliederungen auf Kreisebene sind möglich, aber nicht unbedingt notwendig. Das höchste Gremium der KPF auf Bundesebene ist ihre Bundeskonferenz. Sie bestimmt die Leitlinien der politischen Arbeit und wählt den Bundeskoordinierungsrat (Vorstand) sowie die Mitglieder des Bundessprecherrates (geschäftsführender Vorstand), so zuletzt auf der 2. Tagung der 6. Bundeskonferenz der KPF am 25726. Februar in Berlin, auf der auch die Satzung neu beschlossen wurde. Im Bundeskoordinierungsrat müssen alle Länder, die über eine Landes-KPF verfügen, vertreten sein. Aufgabe des Bundeskoordinierungsrates ist es, zwischen den Bundeskonferenzen den politischen Konsens weiterzuentwickeln und den bereits erreichten verbindlich zu gestalten. Bemerkenswert ist, daß der Satzung der KPF eindeutige Regelungen darüber fehlen, wie sich die Organe zusammensetzen und wie sie sich konstituieren. Zwar gibt es kein Weisungsrecht gegenüber den Landesverbänden der KPF, aber Mehrheitsbeschlüsse der KPF sind als Grundlage zum Verbleiben innerhalb der Platt44 form zu akzeptieren. Daher bindet der Mehrheitsbeschluß de facto nicht nur die gleiche Organisationsebene, sondern auch die unteren Ebenen. Dieses Prinzip trägt entscheidend zum einheitlichen Auftreten der KPF bei, die so den Eindruck einer zentralistisch aufgebauten und hinsichtlich ihrer Mitgliederschaft und Größe konspirativ tätigen Organisation hinterläßt. Die Sprecherräte der KPF sind auf allen Ebenen zwischen den Tagungen der Koordinierungsräte Ansprechpartner der PDS und der Öffentlichkeit. Sie tragen aktuellen Ereignissen Rechenschaft und haben allein das Recht, von der KPF autorisierte Meinungen zu vertreten. So sichert sich die KPF davor ab, daß Meinungen von Sympathisanten Anlaß bieten, sie auszugrenzen. Bundesweit gibt die KPF monatlich die Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS heraus, in denen nur selten länderspezifische Angelegenheiten angesprochen werden. Kontakte unterhält die KPF insbesonders zur DKP und KPD, zum "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" und zu mehreren kommunistischen Parteien in und außerhalb Europas. Die KPF der PDS in Thüringen gründete sich im März 1993 in Erfurt. Die Teilnehmer beschlossen ein Programm, in dem die weitere politische Arbeit dargelegt wurde. Ihre wesentlichen Aktivitäten finden im südlichen Thüringer Raum statt, insbesondere im Raum Suhl. Eigene Publikationsorgane gibt die Thüringer KPF nicht heraus; gelegentlich wird in den Mitteilungen der KPF und in der Thüringer PDS-Zeitung Unsere Neue Zeit über Thüringer Aktivitäten berichtet. Grobanalyse der Mitgliedschaft der KPF Eine Auswertung der Altersstruktur von den sich zur KPF bekennenden PDS-Mitgliedern und deren soziale Einordnung läßt folgende Tendenz sichtbar werden: Der aktive Kern setzt sich aus männlichen Mitgliedern der Altersgruppe 50 bis 80 Jahre zusammen. Es handelt sich vor allem um Vorruheständler oder Rentner, die in der Regel im Staats-, Parteiund Wissenschaftsapparat der ehemaligen DDR führend tätig waren, z.B. als Parteisekretäre, Offiziere bewaffneter Organe, Historiker oder Gesellschaftswissenschaftler. Eine weitere, jedoch bedeutend kleinere Gruppe besteht vorwiegend aus männlichen Mitgliedern im Alter von 18 bis 30 Jahren. Die Berufsbezeichnung ist meist "Student"; ein Teil kommt aus den KPF-Verbänden der alten Bundesländer. Die Altfunktionäre stellen die Verbindung zur Mitgliederbasis her. Von Vorteil ist hierbei, daß die Mitgliedschaft der PDS zu ca. 95 % mit ehemaligen SEDMitgliedern identisch ist. Aufgrund der langjährigen Erfahrungen, über die die Altfunktionäre in der Parteiarbeit verfügen, sowie ihrer Kenntnisse über Mentalität und Denkweise der Mitglieder besitzen sie in den Basisgruppen der PDS Rückhalt. Auffällig ist die Diskrepanz zum Durchschnittsalter der Parlamentarier der PDS und zu den Vorständen der Partei, die im Mittel deutlich jünger sind. Politische Ziele und Selbstverständnis der KPF Die KPF selbst versteht sich als Kommunistische Sammelbewegung innerhalb der PDS. Offen bekennt sie sich zu ihrem Ziel, die Mehrheitsverhältnisse innerhalb der PDS zugunsten der Kommunisten zu verändern. Heinz Mahron, Bundessprecher der KPF, sagt dazu in seinem Aufsatz "Basis verbreitern, um den Einfluß der Plattform zu erhöhen": "Ist es nicht richtiger, die Kräfte in der PDS zu stärken, welche die Einordnung in das System etablierter Parteien nicht mittragen wollen? Ist es nicht richtiger, in der Partei zu bleiben, um an der Basis, in Arbeitsund Interessengemeinschaften sowie in Vorständen aller Ebenen einem zunehmenden Anpassungskurs entgegenzuwirken?" Das Selbstverständnis der KPF wird in der Präambel der Satzung so definiert, daß die Organisation durch ihre aktive Mitwirkung in Gewerkschaften, der Friedensbewegung, in Bürgerinitiativen und anderen politischen, sozialen und ökologischen Bewegungen für ein breites Bündnis eintrete. Die dabei gewonnenen praktischen Erfahrungen nutze sie, um die Aktionsfähigkeit der PDS zu erhöhen. Sie strebe insbesondere die Zusammenarbeit mit all jenen an, die mit dem Ziel einer sozialistischen Alternative zum bestehenden kapitalistischen System aktiv in politischen, sozialen und anderen Auseinandersetzungen der Gegenwart stünden. Die politische Arbeit der KPF der PDS ist von internationalistischen Gesichtspunkten geleitet. Im Interesse der Aktionseinheit strebt sie ein breites Bündnis mit kommunistischen Parteien, Gruppen, Zusammenschlüssen sowie anderen linken Kräfte an. Die Arbeit in den Parlamenten ist für die KPF bestenfalls ein notwendiges Übel. So wird z.B. im Gründungsdokument der KPF der PDS Hessen (13. Mai) ausgeführt, es könnten "grundlegende gesellschaftliche Veränderungen ... nicht in Parlamenten beschlossen, sondern nur durch den Druck der Straße erkämpft werden" ... Auch bleibe der KPF "in der gegenwärtigen Situation ... nur, die inhaltlichen, organisatorischen und bewußtseinmäßigen Voraussetzungen für die Kämpfe von morgen zu schaffen". Insgesamt wird aus den Veröffentlichungen der KPF deutlich, daß man sich als intellektuelle Elite der PDS versteht, ausgerüstet mit einem starken Sendungsbewußtsein. Die theoretischen Grundlagen des Kommunismus der KPF setzen auf dem erkenntnistheoretischen Fundament der DDR-Wissenschaft auf. Man bemüht sich, auf Grundlage dieses Theoriekomplexes sowohl die eigene Vergangenheit als auch den Untergang der DDR "wissenschaftlich" zu verdrängen. Dabei wird das Mittel der Legendenbildung eindrucksvoll eingesetzt. Die Grundthese läßt sich in dem Merksatz "Der Sozialismus der DDR starb nicht hauptsächlich an eigenen Schwächen, sondern wurde vom Kapitalismus niedergewirtschaftet" beschreiben. 46 * Das Verhältnis zwischen PDS und KPF Der Plattformgedanke wurde 1990 in einer Zeit geboren, in der noch nicht klar war, ob die SED als Partei weiterbestehen könne oder ob ihr ein Organisationsverbot bevorstehe. Die Plattformen dienten als organisatorische Auffangbecken für die heterogenen Strömungen in der Partei. Aus heutiger Sicht ist einzuschätzen, daß der Plattformgedanke damals die größte Kraft besaß und damit auch die KPF ihren größten Einfluß in der PDS hatte. Dieser Einfluß hat in dem Maße nachgelassen, wie es der Parteiführung der PDS gelang, sich parteiintern durchzusetzen. Hierfür gab es im Jahre 1995 einige Belege, wie zum Beispiel die Debatten im Vorfeld des 4. Parteitages der PDS sowie die Selbsteinschätzungen der KPF zum Verlauf dieses Parteitages. Es läßt sich feststellen, daß der Bundesvorstand der PDS nunmehr eindeutig das Führungsorgan der Partei ist; die grundlegenden theoretischen und praktischen Ansätze der KPF werden in diesem Gremium nicht mehrheitlich geteilt. Darauf weisen folgende Sachverhalte hin: Sahra Wagenknecht wurde nicht als Repräsentantin der KPF in den Bundesvorstand der PDS gewählt; gegen weitere KPF-Mitglieder führte der Parteivorstand im Rahmen der Stalinismusdebatte massive inhaltliche und persönliche Angriffe. Die KPF verfügt auch im Thüringer Landesverband der PDS bzw. dessen Landesvorstand nicht über bemerkbare politische Mehrheiten. Ein offizielles Gespräch der KPF Thüringen mit dem Landesvorstand der PDS Thüringen am 14. November in Erfurt brachte außer in der Frage der gegenseitigen Akzeptanz innerhalb der PDS Thüringen keine Anknüpfungspunkte für gemeinsame politische Handlungen. Auf Parteitagen der PDS bleibt die KPF, um Einfluß zu nehmen, auf die Sympathie einzelner Delegierter angewiesen. Auffällig ist, daß die Standpunkte der KPF sich mit den Parteitagsbeschlüssen kaum decken. Das Basistreffen der KPF am 273. Dezember unter dem Motto "Wie antikapitalistisch kann die PDS sein" ist sowohl von den Führungsgremien der Partei als auch von Teilen der Basis als "alternativer Parteitag" aufgefaßt und als solcher in der PDS-Presse scharf kritisiert worden. Die Aussagen führender Funktionäre der PDS zur KPF sind weiterhin nicht eindeutig. Sie werden von der Diskrepanz gekennzeichnet, daß einerseits der politische Einfluß der Plattform auf die Gesamtpartei als gering eingeschätzt wird, andererseits eine Trennung von der KPF nicht ernsthaft erwogen wird. Hierbei mag eine tragende Rolle spielen, daß die KPF selbst nicht nur eine Trennung von der PDS rundweg ablehnt, sondern die Auffassung vertritt, daß ein Drittel der PDS-Mitglieder die Standpunkte der KPF teile, so daß eine Trennung von der KPF zu einer tiefgehenden Spaltung der PDS führen müsse. Unabhängig von der Frage, ob diese Auffassung den Tatsachen entspricht, ist nicht zu verkennen, daß sich auch andere, nicht zu KPF bekennende PDS-Mitglieder ihrem ideologischen Standort öffentlich annähern. So erschien im Zuge der parteiinternen ideologischen Auseinandersetzung am 18. Mai im Neuen Deutschland eine Anzeige mit der Überschrift: "In großer Sorge", in der 38 PDS-Mitglieder die Anpassung der PDS an die SPD-Politik kritisierten, die Aufweichung des Oppositionsverständnisses beklagten und die Verabschiedung vom Klassenkampf befürchteten. Diese Veröffentlichung deckt sich mit vielen Standpunkten und Forderungen der KPF. 3.2 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Die MLPD wurde am 18. Juni 1982 in Bochum gegründet. Ihr Sitz befindet sich in Gelsenkirchen. Sie bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao-Tsetung. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wird von der Partei abgelehnt. Statt dessen fordert sie den "Sturz des Monopolkapitalismus und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft". Gegenüber dem Vorjahr konnte die MLPD ihren Mitgliederbestand von 2 000 auf 2 300 bundesweit ausbauen. Nebenorganisationen der Partei "er sind der Jugendverband "Rebell" und die Kinderorganisation "Rotfüchse". -isUlTÄ Um ihren Einfluß weiter zu erhöhen, gründete die MLPD die Aktion MLPD Tlivirmjc S"T ^rV^Ä*" "Arbeitsplätze für Millionen". Als Zentralorgan erscheint wöchentlich Alle reden von Arbeitsloslgked die Rote Fahne in einer Auflagenhöhe von 7 500 Stück. Sie wird im parteieigenen Verlag in Essen hergestellt. Die bedeutendste Veranstaltung der Partei war das "7. Pfingstjugendtreffen", das am 3./4. Juni in Gelsenkirchen mit etwa 4 000 Teilnehmern stattfand. Dazu gründeten sich bundesweit Initiativgruppen für Thüringen in Eisenach und Sonneberg. Weiterhin beteiligte sich die Partei an einem internationalen Seminar vom Titelblatt der Zeitschrift "Der Funke ", 2. bis 4. Mai in Brüssel, zu dem etwa herausgegeben von der Marxistisch60 Parteien und Organisationen verLeninistischen Partei Deutschlands schiedener Länder angereist waren. (MLPD) in Thüringen Der Versuch, dieses Spektrum zu 48 einer "Einheit der internationalen kommunistischen Bewegung" zusammenzuschließen, gelang nicht. Zur Vorbereitung des V. Parteitages veröffentlichte die MLPD eine neue Ausgabe ihres theoretischen Organs Revolutionärer Weg " (Nr. 26) unter dem Titel"Der Kampf um die Denkweise in der Arbeiterbewegung". Bundesweit führte sie dazu etwa 25 Schulungsveranstaltungen durch, u.a. am 16. Dezember in Eisenach. Der Partei gehören in Thüringen etwa 30 Personen an, die überwiegend in den Ortsgruppen Eisenach und Sonneberg organisiert sind. Eine Betriebsgruppe - mit nur wenigen Mitgliedern - besteht im Eisenacher Opel-Werk. Seit 1993 gibt die Organisation die Zeitschrift ,JDer Funke " heraus. Weiterhin führte die Partei am 14. Januar in Jena eine Diskussionsveranstaltung zum Thema "Wer kämpft, kann gewinnen - für eine neue Opposition" durch. Am 1. September beteiligte sie sich als Mitorganisator einer Kundgebung anläßlich des "Antikriegstages" in Sonneberg. Beide Veranstaltungen nutzte die Partei, um neue Mitglieder zu werben. Einige Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen, ist der MLPD 1995 auch offensichtlich gelungen. Ein nennenswerter Einfluß auf die Arbeitnehmer in größeren Thüringer Betrieben ist nicht festzustellen. 3.3 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Die KPD wurde im Januar 1990 in Berlin, wo sie auch ihren Parteisitz hat, zum überwiegenden Teil von ehemaligen SED-Mitgliedern gegründet. Sie selbst stellt sich in die Tradition Thälmanns und der von ihm geführten Partei gleichen Namens. Sie ist auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus organisiert und will eine kommunistische Gesellschaft aufbauen. Regelmäßig erscheinen die Monatsschrift Die " rote Fahne ", das Organ "Trotz alledem " und der Pressedienst "Standpunkt". Die Partei ist nur in den fünf neuen Bundesländern tätig. Ihr gehören etwa 200 Mitglieder an. Sie spielt im Spektrum der linksextremistischen Parteien und Organisationen nur eine unbedeutende Rolle. Am 17./18. Dezember 1994 fand in Berlin der "18. Parteitag" statt. Die Delegierten wählten u.a. das Zentralkomitee (ZK). Sie sprachen sich dafür aus, verstärkt junge Menschen als Mitglieder zu werben. Weiterhin soll die Mitarbeit in den Gewerkschaften intensiviert werden, um den Einfluß der Partei zu erhöhen. Auf einer Tagung der KPD am 5. August in Berlin wurde u.a. ein Beschluß zum sogenannten Eigentum der KPD gefaßt. Darin wird behauptet, daß sich die PDS unrechtmäßig in den Grundbüchern als Eigentümer von Immobilien ausweise. Die KPD bekräftigte, niemals auf ihr "rechtmäßiges" Eigentum zu verzichten. Darunter versteht sie sowohl das von den Nationalsozialisten 1933 als auch das von der Allianz BRD/ PDS konfiszierte Gut. Unrechtmäßig hätten SEDMitglieder von der KPD beanspruchte Vermögenswerte dem Staat überlassen. 49 Der KPD-Landesorganisation Thüringen gehören weiterhin nur wenige Mitglieder an. Drei Thüringer Delegierte wurden auf dem Parteitag im Dezember 1994 in Berlin in das ZK bzw. in die Zentrale Revisionskommission gewählt. Die von der Partei 1995 entwickelten Aktivitäten blieben gering. Anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung des ehemaligen KZ Buchenwald führte die KPD am 7. und 8. April in Erfurt zwei Veranstaltungen zu den Themen "Antistalinismus - theoretische Keule des Antikommunismus" und "50 Jahre Befreiung vom Faschismus - die Aufgaben der europäischen Kommunisten Werbeflugblatt der Thüringer Landesleifür eine gerechte Zukunft" durch. tung der Kommunistischen Partei DeutschAn einem Infostand am 1. Mai lands (KPD) in Suhl wurde Informationsmaterial verteilt, eine neue "Zelle" soll sich eigenen Angaben zufolge am 1. Juli in Gera gegründet haben. Am 7. November fand in Erfurt ein Gespräch zwischen Funktionären der KPD und Mitgliedern der PDS-Landesleitung statt. Die Teilnehmer diskutierten über aktuelle politische Aufgaben, Fragen und Probleme zu antikapitalistischen Positionen sowie zum Oppositionsverständnis. Beide Parteien wollen die begonnenen Gespräche fortsetzen. 4. Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre Erste autonome Gruppen entwickelten sich Ende der 70er Jahre insbesondere an den Hochschulen. Mittlerweile gibt es in fast allen großen Städten linksextremistische Gruppierungen, die sich selbst als Autonome - d.h. nach eigenen Gesetzen lebend - bezeichnen. Ihnen werden bundesweit über 6.000 gewaltbereite Personen zugerechnet, die schwerpunktmäßig unverändert in den Ballungsräumen Berlin, Rhein-Main-Gebiet und im Ruhrgebiet organisiert sind. Autonome verfügen über kein einheitliches ideologisches Konzept. Sie folgen diffusen anarchistischen, Sozialrevolutionären, nihilistischen bis hin zu marxi50 stischen Vorstellungen. Ihre Forderungen zielen zumeist nicht auf Veränderung zum Nutzen der Gesellschaft insgesamt, sondern auf eigenes selbstbestimmtes Leben. Die Autonomen eint der ausgeprägte Haß auf Staat und Gesellschaft. Priorität hat für sie der persönliche Freiheitsgewinn, der durch die Zerschlagung der bestehenden Rechtsordnung erreicht werden soll. Als Vorstufe dazu sind, um die "Angreifbarkeit" des Staates aufzuzeigen und eine "Gegenmacht" zu entwickeln, "herrschaftsfreie Lebensräume" und "Widerstandsnester" zu erkämpfen. In Strategieund Positionspapieren sowie in internen Diskussionsveranstaltungen beklagten Autonome jahrelang das Fehlen handlungsfähiger Zusammenschlüsse. Sie bemängelten, daß es ihnen nicht gelang, Perspektiven aufzuzeigen und lebendige Strukturen von "Gegenmacht" zu entwickeln und zu verbreiten. So entwickelten sich in den letzten Jahren vor allem im "Antifa"-Kampf zwei überörtliche, möglicherweise auf Dauer angelegte Zusammenschlüsse: 1992 gründete sich die militante antifaschistische Organisation "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO). 1993 bildete sich eine neue unabhängige Initiative von autonomen Antifagruppen mit dem Ziel einer bundesweiten Organisierung. Der AA/BO, die von der "Autonomen Antifa (M)" in Göttingen geleitet wird, schloß sich 1993 eine in Suhl (Thüringen) gebildete Gruppe mit der Bezeichnung "Schwarzer Ast Südthüringen" an, über die 1995 keine Erkenntnisse mehr angefallen sind. In dem autonomen, in Berlin erscheinenden Szeneblatt INTERIM (Ausgabe 11. Februar 1993) wurde die Notwendigkeit "antifaschistischer Militanz" ausführlich beschrieben und begründet. Bei Demonstrationen treten Autonome oftmals mit "Haßkappen" vermummt als "schwarzer Block" auf. Gewalttätigkeiten - u.a. das Werfen von Molotowcocktails und Pflastersteinen, das Schlagen mit Baseballschlägern und tätliche Angriffe auf Polizeibeamte - werden von Angehörigen der autonomen Szene zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele angewandt. Autonome führen eine intensive Kommunikation über - bundesweit ca. 30 zum Teil konspirativ verbreitete - Szeneblätter. Überregionale Ausstrahlung haben die wöchentlich in Berlin erscheinende Schrift INTERIM sowie das unter ausländischen Tarnanschriften vertriebene Untergrundblatt radikal und die internationale Zeitung CLASH. Für die Kommunikation der Szene haben darüber hinaus sogenannte Infoläden eine zentrale Bedeutung. In ihnen werden linksextremistische Schriften und Flugblätter vertrieben sowie Plakate, die auf aktuelle Aktivitäten und Aktionen in der Szene aufmerksam machen, ausgehängt. Infoläden sind ferner Anlaufund Kontaktstellen nicht nur für Personen des autonomen Spektrums, sondern auch für Angehörige des sonstigen linken Spektrums. Aktionen und Demos werden hier geplant und vorbereitet. Zur Agitation und Mobilisierung der Interessenten werden moderne Kommunikationsmittel - z.B. Infotelefone und Mailboxen - eingesetzt. Ein erheblicher Teil linksextremistisch motivierter Gewalttaten ist dem Aktionsfeld .Antifaschismus/Antirassismus" zuzuordnen. Militante Aktionen richten sich gegen "Faschos" und deren Strukturen, getarnt als "antifaschistische Selbsthilfe". Autonome sehen im Antifaschismus eine Möglichkeit, ihre Strukturen zu festigen und so ihren subversiven Zielen näher zu kommen. Auseinandersetzungen mit neonazistischen Gruppen führten zwangsläufig zur Auseinandersetzung mit der Staatsmacht. Damit erreichte der Kampf neue Dimensionen. Ein großes Maß an Militanz zeigt auch der linksextremistische Kampf gegen Umstrukturierung, d.h. gegen Maßnahmen zur Stadtsanierung und Strukturverbesserung innerstädtischer Wohnviertel, gegen "Miethaie" und "Spekulanten". Insbesondere der "Häuserkampf' (Besetzung leerstehender Häuser), der der Schaffung "autonomer Zentren bzw. rechsfreier Räume" dient, hält bis heute an. Im Mittelpunkt autonomer "Internationalismus-Arbeit" stand auch in diesem Jahr die "Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf und der PKK": So engagierten sich in "Kurdistan-Komitees" auch Angehörige der autonomen/ antifaschistischen Szene. Am 18. November demonstrierten in Köln trotz des Verbotes mehrere hundert Personen - vorwiegend aus dem linksextremistischen Spektrum - gegen das seit zwei Jahren bestehende Verbot der PKK. Vom 14. bis 17. April fand in Berlin ein bundesweiter "Autonomie-Kongreß" statt, an dem etwa 2.000 Personen teilnahmen. Plangemäß begannen die Kongreßtage jeweils mit einem Auftaktplenum. Zu folgenden Themen wurde dabei gesprochen: - "Was verstehen wir heute unter Autonomie?" - "Solidarisierung/ Auseinandersetzung/ Abgrenzung linksradikaler undogmatischer Gruppen untereinander" - "Revolution täglich oder gar nicht! Organisierung/ Widerstand/ Träume und Utopien" Im Anschluß bildeten die Teilnehmer zahlreiche Arbeitsgruppen. In ihnen wurde u.a. über den Autonomiebegriff, Autonomie und Militanz, Computervernetzung, antirassistische Politik und Organisierung diskutiert. Während des Kongresses gaben die Veranstalter unter dem Titel "Konpress" eine Kongreß-Zeitung heraus. In den sechs Ausgaben wurden im wesentlichen Organisationshinweise, Selbstdarstellungen und Thesenpapiere publiziert. Den Abschluß des Kongresses bildete am 17. April eine friedlich verlaufende Demonstration. Etwa 1.000 Teilnehmer versammelten sich unter dem Motto: "Die Terroristen sind die, die Abschiebeknäste bauen und nicht die, die sie sprengen!" Auffällig sind Verständigungsschwierigkeiten zwischen Mitgliedern von Autonomenund Antifagruppen, die aus der ehemaligen DDR stammen, und solchen 52 aus den alten Bundesländern. Sie unterscheiden sich nicht nur in ihrer Ausdrucksweise, sondern vor allem in grundlegenden Überzeugungen und ideologischen Positionen. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise die Erkenntnis der Erstgenannten von Bedeutung, daß der Mythos eines nichtkapitalistischen Weges sich während der DDR-Wende selbst widerlegt habe und es daher nicht ausreiche, den Kapitalismus abzuschaffen. Eine sozialistische Alternative ist für sie nicht akzeptabel. Undenkbar wäre es, daß sie ein Flugblatt mit dem Text "Es lebe der Kommunismus" unterschreiben. Die Notwendigkeit, einer festen Organisation anzugehören, sei es auch nur aus Gründen der Solidarität, wird in Zweifel gezogen. Bundespolitische Bezüge sind in der Regel nicht gewollt. Vielmehr versucht die Szene in den neuen Bundesländern, sich bei sogenannten Ortsvernetzungstreffen kennenzulernen und gemeinsame Strategien zu verabreden. Anläßlich der bundesweiten Exekutivmaßnahmen am 13. Juni, die sich u.a. gegen Hersteller und Verbreiter der Untergrundzeitschrift "radikal" richteten, und im Hinblick auf bevorstehende Haftprüfungstermine mobilisierte die linksextremistische Szene bundesweit für eine am 16. Dezember in Hamburg geplante Demonstration. Ihr Motto hieß: "Radikal ins nächste Jahrtausend". An der Kundgebung nahmen ca. 5 000 Personen teil, darunter etwa 1 700 Autonome. Nach Beendigung der Veranstaltung kam es in Hamburg zu Spontanaktionen Fotos: Linksextremistische Schmierereien in Suhl 53 mit Sachbeschädigungen. Ca. 300 Personen aus dem linksextremistischen und autonomen Spektrum beteiligten sich. Sieben von ihnen wurden festund 95 in Gewahrsam genommen. Die Demonstration wurde von der PDS und der Linken Liste (LL) in Hamburg angemeldet. Ein Aktionsbündnis hatte zu einer bundesweiten Demonstration gegen die zentralen Feierlichkeiten zum "Tag der Deutschen Einheit" am 3. Oktober in Düsseldorfaufgerufen. Es beteiligten sich über 3 000 Personen, darunter Angehörige der PDS, DKP, SDAJ sowie zahlreiche Autonome. Das autonome Spektrum bildete während der Demonstration zwei "schwarze Blöcke", aus denen heraus Provokationen gegen die eingesetzten Sicherheitskräfte erfolgten - Anzünden von Feuerwerkskörpern, Rempeleien und einige Sachbeschädigungen. Dem gingen bereits in der Nacht erhebliche Sachbeschädigungen an Kaufhäusern und Bankfilialen in Düsseldorf voraus. Die autonome Szene in Thüringen trat 1995 mit Sachbeschädigungen - Schmierereien, Sprühaktionen, Plakatierungen, Hausbesetzungen - sowie der Teilnahme an Antifa-Veranstaltungen in Erscheinung. Dabei hielten die tätlichen Auseinandersetzungen mit jugendlichen Rechtsextremisten an. Der antifaschistische Kampf stand im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Der Thüringer autonomen Szene werden etwa 250 Personen zugerechnet. Sie sind überwiegend in den Regionen Altenburg, Erfurt, Gera, Jena, Saalfeld/ Rudolstadt und Weimar tätig. Die Infoläden in Erfurt und Weimar sowie im Altenburger Alternativhaus dienen den Thüringer Autonomen als Anlaufund Kommunikationsstelle. Unterstützung erhält die Szene mitunter durch örtliche Parteistrukturen der PDS. Vorläufiger Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen den linksund rechtsextremistischen Gruppen war die tödliche Verletzung eines Angehörigen der rechten Szene am 576. Mai in Neuhaus am Renn weg durch einen 15jährigen Jugendlichen.27 In der Gedenkstätte Buchenwald fand vom 23. Juli bis 30. Juli das "6. AntifaWorkcamp" statt. Neben Arbeiten in der Gedenkstätte selbst waren u.a. für den 26. Juli ein "Kurdistan-Abend" des "Deutsch-Kurdischen-Freundschaftsverein" Darmstadt und für den 27. Juli ein Vortrag zum Thema "Politische Gefangene in der Gegenwart" angekündigt.28 5. Verflechtungsund Vernetzungsbestrebungen der linksextremistischen Gruppierungen Neben den traditionellen Wegen, Informationen über Zeitungen, Szeneschriften, Bücher, Kontaktadressen und Infoläden auszutauschen und zu diskutieren, 27 Vgl. dazu die ausführliche Darstellung im Kapitel II., 1.4. 28 Vgl. Näheres zum Antifa-Workcamp im einschlägigen Kapitel IL, 2.6. 54 setzen Linksextremisten in steigendem Maße auch auf moderne Techniken. Insbesondere die autonome Szene bedient sich für ihre Agitation und Mobilisierung, für Warnungen vor staatlichen Maßnahmen, zur Verbreitung von Rechercheergebnissen zu relevanten Angriffszielen, zur Koordinierung und zum Austausch von Informationen, Erfahrungen und Tips für die "militante Praxis" sogenannter Mailboxen, Infotelefone und Telefonketten. Über Vernetzungen mit internationalen Mailboxverbundsystemen bestehen außerdem Verbindungen ins Ausland. Zur Steuerung von Aktionen, Kundgebungen und Demonstrationen werden verstärkt Mobiltelefone verwandt. Nicht zuletzt die günstige Preisentwicklung für Hard-/Software bietet der linksextremistischen Szene verstärkt die Möglichkeit, über Mailboxen zu kommunizieren.29 Von besonderer Bedeutung für den linksextremistischen Bereich in Deutschland sind die beiden Mailboxverbundsysteme "ComLink" (CL) und "SpinnenNetz". Während sich linksextremistische Gruppierungen und Personen in das CL-Netz lediglich als Nutzer einklinken, wurde das "SpinnenNetz" von Angehörigen der autonomen/antiimperialistischen Szene aufgebaut und wird auch von ihnen betrieben. Das CL-Netz ist in das internationale Mailboxsystem "Association for Progressive Communication" (APC) eingebunden und bietet einen weltweiten Nachrichtenaustausch. Das von der Szene betriebene "SpinnenNetz" ist über das "International Counter Network" (ICN) in den computergestützten internationalen Informationsaustausch eingebunden. Es bestehen Verbindungen in westeuropäische Länder, die USA, Nordund Osteuropa sowie den Nahen Osten. Teilnehmer (User) beider Systeme benötigen ein persönliches Paßwort. Dieses wird ihnen auf einen schriftlichen Antrag hin erteilt. Der Zugang zum "SpinnenNetz" wird von den Betreibern zusätzlich eingeschränkt, indem über sogenannte Security-Stufen der Umfang der Zugangsberechtigung festgelegt wird. Beim Umgang mit sensiblen Informationen werden immer häufiger Verschlüsselungsprogramme verwandt. Für die Verbreitung von Kurzinformationen und von Terminen bevorstehender Veranstaltungen unterhält die Szene regional und bundesweit Infotelefone. Die Informationen werden bei Anfrage über Anrufbeantworter bzw. persönlich weitergegeben. Insbesondere im "Kampf gegen Faschisten und Rassisten" werden sogenannte Telefonketten aufgebaut. Bei Bekanntwerden von Aktivitäten des rechtsextremistischen Lagers, von Angriffen gegen Personen und Szene-Einrichtungen, von bevorstehenden "Repressionsmaßnahmen" u.a. wird über ein zentrales Notrufund Infotelefon ein Alarm ausgelöst, der über bestimmte Verteiler ("Schneeballprinzip") die Telefonketten mobilisiert. In kurzer Zeit können so angeschlossene Gruppen und Personen erreicht werden. 29 Vgl. zu den technischen Voraussetzungen das Kapitel III., 3.6. Die neuen elektronischen Techniken werden insbesondere von der militanten linksextremistischen Szene genutzt. Ihre Vorgehensweise stellt weiterhin eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar, da sie immer wieder mit neuen Schwierigkeiten bei der Beobachtung und Verfolgung der militanten und terroristischen Gruppierungen konfrontiert werden. 6. Terroristische Gruppierungen Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten wie Mord, Todschlag, erpresserischen Menschenraub, Brandstiftung oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Während 1995 terroristische Aktionen der RAF ausblieben, ist die Gruppierung Antiimperialistische Zelle (ATZ) mit vier Sprengstoffanschlägen in Erscheinung getreten. Für einen weiteren Sprengstoffanschlag ist die aus Zusammenhängen der Revolutionären Zellen (RZ) entstandene Frauengruppe "Rote Zora" verantwortlich. Thüringen blieb von terroristischen Aktivitäten linksextremistischer Gruppierungen verschont. 6.1 Rote Armee Fraktion (RAF) Die RAF hat den Weg, den sie in ihrer Erklärung vom April 1992 einschlug, beibehalten. Sie erklärte damals das Scheitern ihrer bisherigen "bewaffneten Politik" und kündigte eine vorläufige Einstellung tödlicher Anschläge an. Gleichzeitig rief sie zu einer politischen Neuorientierung auf. Ihr Ziel ist der Aufbau einer "Gegenmacht von unten". Dieser Schritt hatte tiefgreifende Auswirkungen auf das bislang stabile RAFGefüge. Innerhalb des Umfelds von Personen und Gruppierungen, die seit Jahren offen die Politik der RAF betrieben, Solidaritätsaktionen für inhaftierte RAF-Mitglieder durchführten und Kontakte zu Illegalen unterhielten, wurde verstärkt über den Zustand und die Perspektiven revolutionärer Politik diskutiert. In der Folge spaltete sich sowohl dieser Personenkreis als auch die inhaftierten RAFMitglieder selbst in Befürworter und Ablehner ("Hardliner") der "neuen Politik". Das im Juni 1993 in Bad Kleinen festgenommene RAF-Mitglied Birgit Hogefeld bestätigte in einer Erklärung im Juli 1995 vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main diesen Schritt und wertete die bisherige Politik der RAF als zu abstrakt und abgehoben von der gesellschaftlichen Realität. Es sei falsch gewesen, eine Eskalation des Kampfes zuzulassen. Die Tötung des US-Soldaten Pimental bei dem Anschlag auf die US-Air Base 1985 wertete Hogefeld als den schlimmsten Fehler dieser RAF-Politik. 56 6.2 Revolutionäre Zellen (RZ)/ Rote Zora Die RZ halten unverändert an ihrem Ziel fest, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung Sozialrevolutionär zu überwinden. Ihre terroristischen Aktionen führen sie nicht aus dem Untergrund, sondern aus konspirativen Strukturen in der "Legalität", den sogenannten "Zellen". Anschläge richten sich vornehmlich gegen Sachwerte und nur in Ausnahmefällen gegen Personen. In jedem Fall setzen sie dabei auf vermittelbare Ziele. Die aus RZ-Zusammenhängen entstandene Frauengruppe "Rote Zora" bekannte sich in einem Selbstbezichtigungsschreiben zu dem Sprengstoffanschlag am 24. Juli auf die Lürssen-Werft in Lemwerder. Sie bezeichnete die Werft als einen der Rüstungslieferanten für das türkische Regime, das einen mörderischen Krieg gegen das kurdische Volk führe. 6.3 Antiimperialistische Zelle (AIZ) Als die RAF im April 1992 das Scheitern ihrer bisherigen "bewaffneten Politik" erklärte, bildete sich die AIZ als eine neue Gruppierung. Sie hält an den Zielen und Überlegungen der RAF bis zum Mordanschlag auf den damaligen Leiter der Treuhandanstalt, Dr. Detlev Karsten Rohwedder, im April 1991 fest und kritisiert die neue Politik der RAF-Mitglieder als Weg in den Revisionismus. In ihrer Erklärung vom November 1994 kündigte die AIZ neue Schwerpunkte ihrer Politik an. Zu ihnen gehört auch, "dort militant/ bewaffnet anzugreifen, wo die brdeliten ihre arbeitsplätze bzw. ihre Wohnsitze haben". In der Folge verübte sie Sprengstoffanschläge: - am 22. Januar auf das Wohnhaus des ehemaligen Staatssekretärs Dr. Volkmar Köhler (CDU), in Wolfsburg - am 23. April auf das Wohnhaus des MdB, Prof. Dr. Joseph Theodor Blank (CDU), in Erkrath - am 17. September auf das Wohnhaus des MdB, Paul Breuer (CDU), in Siegen - am 23. Dezember auf das Gebäude des peruanischen Honorarkonsulats in Düsseldorf. Bei diesen Anschlägen wurden die Sprengkörper jeweils im Eingangsbereich der Wohnhäuser bzw. des Geschäftshauses deponiert. Damit haben die Täter auch die Gefährdung unbeteiligter Dritter billigend in Kauf genommen. Gleichzeitig bestätigte die AIZ in ihrem Positionspapier vom 13. Juli die hohe Gefährdungseinschätzung der Sicherheitsbehörden. Auf die terroristischen Aktivitäten der AIZ reagierte die "radikale Linke" mit Kritik und Ablehnung. Die AIZ erfülle nicht die Kriterien revolutionärer Politik. Die Art ihrer Anschläge wird als verantwortungslos, feige und skrupellos bezeichnet. In der Untergrundschrift "radikal" vom November heißt es hierzu u.a.: 57 "Das Erzeugen von allgemeiner Angst bei Funktionärinnen aus den unteren Chargen durch diffuse Bedrohung mag zwar recht wirkungsvoll sein, aber es vermittelt ungefähr das Gegenteil vom Verantwortungsbewußtsein von Revolutionärinnen der Gesellschaft gegenüber, das sie eigentlich vertreten". Eine weiterer Kritikpunkt ist das Verhältnis der AIZ zu islamisch-revolutionären Gruppen, da sie nicht auf frauenfeindliche Strukturen und nationalistische Bestrebungen innerhalb dieser Gruppen eingehe. Die AIZ zeigte sich von dieser Kritik bislang unbeeindruckt und hält konsequent an ihrer eingeschlagenen Politik fest. Dies machte sie zuletzt in ihrer Erklärung zum Sprengstoffanschlag am 23. Dezember in Düsseldorf deutlich. In ihr spricht sie den revolutionär-islamischen Gruppierungen im "antiimperialistischen kämpf der gegenwart" eine Führungsrolle zu. Konsequenz kündigt sie an: "die antiimperialistische zelle wird in Zukunft ihre aktivitäten verstärkt in den Zusammenhang derjenigen stellen, die in militanter form auf revolutionär-islamischer grundlage den imperialismus herausfordern." Sowohl die terroristischen Aktionen, die die AIZ durchführte, als auch die von ihr veröffentlichten Erklärungen lassen keinen Zweifel daran, daß sie trotz massiver Kritik von Seiten der "radikalen Linken" ihre Politik des "bewaffneten Kampfes" fortsetzen will. Mit den Anschlägen im Jahr 1995 hat sie das militante Niveau ihrer terroristischen Aktivitäten gesteigert. 7. Linksextremistische Straftaten 7.1 Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder zu vermutedem linksextremistischen Hintergrund30 Zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der rechtsund linksextremistischen Szene kam es am 4. Februar in Zeigerheim/Rudolstadt, als etwa zehn vermummte Personen zwei Angehörge der rechten Szene in ihrem Fahrzeug angriffen. Die Polizei konnte sechs Tatverdächtige der örtlichen linksextremistischen Szene ermitteln.31 Am 20. Februar störten ca. 20 Jugendliche eine Feier, die in einer Gartenlaube im Süden der Stadt Erfurt stattfand. Die zum Teil mit Baseballschlägern bewaffenten Angreifer vertrieben die Versammelten, die der rechten Szene zugehören. Die Gartenlaube brannte ab. Gegen die zehn bekannten Täter aus dem linksex"' Zu der Auseinandersetzung in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai in Neuhaus am Rennweg vgl. die ausführliche Darstellung im Kapitel II., 1.4. " Vgl. zum Vorfeld der Auseinandersetzung das Kapitel IL, 1.5. 58 tremistischen Spektrum wurde wegen Landfriedensbruch, Körperverletzung und Brandstiftung ermittelt und Anklage erhoben. Ein Urteil ist noch nicht ergangen. Bei einer Wohnungsdurchsuchung konnten am 4. Mai neben einer Schreckschußpistole und einem Jagdgewehr vor allem Schlagstöcke, Würgehölzer, Kampfketten und ein Morgenstern sichergestellt werden. Am 11. März und 27. Mai kam es in Zeulenroda bzw. Rudolstadt zu Hausbesetzungen durch mehrere Jugendliche. Zu der Aktion in Zeulenroda bekannte sich in Flugblättern eine Gruppierung "Jugend gegen Obdachlosigkeit". Gegen die Besetzer erging Strafantrag wegen Verdachts des Hausfriedensbruchs. Am 14. Mai beschädigten sieben vermummte Personen, die von einem bundesweiten "Besetzerlnnen-Kongreß" aus Leipzig zurückkehrten, in Pößneck zehn Schaufensterscheiben und mehrere Pkw's. Die Täter wurden vorläufig festgenommen. Nachdem zwei Personen von einem Szeneangehörigen tätlich angegriffen und mit einer Waffe bedroht wurden, kam es am 16. Mai zu einer Hausdurchsuchung im Altenburger Alternativhaus (Heinrich-Heine-Str. 3). Eine Schreckschußpistole, Haschischpfeifen und Plakate, die zu den Chaostagen '95 in Hannover aufriefen, wurden sichergestellt. In der Nacht 576. August belagerten etwa 20 rechtsextremistische Jugendliche das Alternativhaus in Altenburg. Es kam zu gewalttätigen Ausschreitungen. Zwei Belagerer trugen Schußverletzungen davon. Bei der anschließenden Hausdurchsuchung wurden ein Luftgewehr, Schreckschußpistolen und BTM-Utensilien sichergestellt. Mehrere Personen aus dem Alternativhaus wurden vorläufig festgenommen. Zu weiteren Auseinandersetzungen um das Haus kam es am 8. und 9. September sowie am 18. November. 7.2 Zahlenspiegel erwiesener oder zu vermutender linksextremistischer Straftaten 1993 bis 1995 Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund Bund Thüringen 1993 1994 19952' 1993 1994 1995 Straftaten insgesamt: 1120 637 537 22 28* 24* davon: gegen politische Gegner 360 187 73 10 4 7 Brandanschläge 139 116 82 0 3 0 Sonstige 621 334 382 12 21 17 * In dieser Gesamtzahl sind neben den gewalttätigen Auseinandersetzungen Links/Rechts und Brandanschlägen auch andere Straftaten enthalten (Aufgliederung s.u.) Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund 1995 in Thüringen (unterschieden nach bestimmten Delikten) 1994 1995 Gesamt: 28 24 davon: - Brandanschläge 3 0 - Raubüberfälle 1 0 Sachbeschädigung mit Gewaltanwendung 2 1 - Widerstandshandlungen 1 2 - gegen politische Gegner 4 7 - Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole 4 1 - Schmierereien mit politischem Inhalt 10 11 - Sonstige 3 2 Im Gegensatz zum Vorjahr war bei den linksextremistischen Straftaten 1995 in Thüringen ein leichter Rückgang zu verzeichnen. 24 Delikte wurden im Berichtszeitraum verübt, 1994 im Vergleich dazu 28. Propagandadelikte stehen nach wie vor an erster Stelle. Aber auch die Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner treten deutlich hervor. Die rückläufige Tendenz des Vorjahres -1993 gab es 10 derartige Delikte, 1994 nur 4 - hat sich dabei umgekehrt. Damit läuft der Thüringer Trend der bundesrepublikanischen Entwicklung entgegen. Hier stehen 187 derartigen Delikten im Jahr 1994 nur 73 im Berichtszeitraum gegenüber. Bedenklich stimmt vor allem, daß die linksextremistischen Übergriffe in Thüringen trotz ihrer immer noch relativ geringen Zahl zu den folgenschwersten gehören. Es ist eine deutliche Zunahme von Gewaltbereitschaft und -tätigkeit festzustellen. V. Ausländerextremismus Extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern Vor dem Hintergrund der anhaltenden Gefährdung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch ausländische Extremisten/Terroristen befaßt sich auch das TLfV intensiv mit Aktivitäten und entstehenden Strukturen im Umfeld der hier lebenden Ausländer. Sicherheitsgefährdende Bestrebungen gehen in der Regel von Gruppierungen aus, die in der Bundesrepublik zum Umsturz der heimatlichen Regierung aufrufen oder Einrichtungen, z.B. Botschaften, Konsulate, Banken, Reisebüros angreifen. Damit werden in der Regel die im jeweiligen Heimatland begründeten innenpolitischen Auseinandersetzungen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt, nicht selten mit größter Härte und Aggressivität. Ursache dafür 60 sind vor allem die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den Heimatländern oder auch ungelöste ethnische und religiöse Konflikte, wie z.B. in der Türkei und im Nahen Osten. Wichtiges Aktionsmittel extremistischer Organisationen bzw. Gruppen ist die Agitation, d.h. meist die Verbreitung von Propagandaschriften und die Durchführung öffentlichkeitswirksamer Protestveranstaltungen. Oft jedoch entwickeln ausländische Extremisten auch Gewaltaktivitäten. In Thüringen leben Menschen aus rund 150 Nationen. Von den ca. 2,5 Millionen Einwohnern des Landes sind 16 500 Ausländer. Das sind rund 0,7 % der Thüringer Bevölkerung. Der größte Teil sind Vietnamesen und Osteuropäer. Noch relativ gering ist die Zahl der Bewohner aus der Türkei oder aus islamischen Ländern, also von Angehörigen jener Nationalitäten, von denen aufgrund bundesweiter Erfahrungen (vor allem der alten Bundesländer) extremistische Aktivitäten zu erwarten sind. Die Zahl der in Thüringen lebenden ausländischen Mitbürger ist im Vergleich zu den 6,8 Millionen Ausländern im gesamten Bundesgebiet äußerst niedrig. Entsprechend gering sind auch die Aktivitäten im extremistischen Umfeld. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, daß die Mehrheit der in Deutschland lebenden Ausländer ein friedliches Zusammenleben anstrebt und sich von jeglichen extremistischen Bestrebungen distanziert. Bundesweit gehören rund 55 000 Personen einer extremistischen Vereinigung an.12 Das sind 0,78 % aller in Deutschland lebenden Ausländer. Noch immer ist das größte Mitgliederund Anhängerpotential mit rund 32 000 Personen bei den islamisch-extremistischen Gruppierungen zu finden. Die Linksextremisten vereinen 17 000 Mitglieder. 7 000 Personen sind den extrem nationalistischen Gruppen zuzuordnen. In der Vergangenheit gingen Gewalttaten im Bereich des "Ausländerextremismus" mehrheitlich von palästinensischen und islamisch-extremistischen Terrororganisationen und Gruppen aus, welche sich gegen das Bestehen des israelischen Staates richteten und eine Lösung des Palästina-Problems auf dem Verhandlungswege strikt ablehnten. In den letzten Jahren jedoch rückte immer mehr das Schicksal des kurdischen Volkes in das Bewußtsein der Medien und der Öffentlichkeit. Dazu beigetragen haben nicht nur die Kämpfe im Südosten der Türkei, zwischen der türkischen Staatsmacht und der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), sondern auch zahlreiche Gewaltaktionen der PKK in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern, welche sich zunächst bevorzugt gegen türkische Einrichtungen richteten. Mit Mord-, Sprengstoffund Brandanschlägen, mit Besetzungen und Geiselnahmen griff die PKK zu eindeutig terroristischen Mitteln, um ihr Ziel, die Errichtung eines eigenständigen kurdischen Staates, durchzusetzen. 32 Damit ist jedoch ein deutlicher Anstieg zu den vorangegangenen Jahren wahrnehmbar. 1993 gab es knapp 39 000 Mitglieder, 1994 etwa 47 000. Das auf dem 5. Parteikongreß im "Nationale Befreiungsfront Januar 1995 eingeführte neue Kurdistans" Symbol der Arbeiterpartei KurdistEniya Rizgariya Netewa Kurdistan ans (PKK) -ERNKWeltweit leben etwa 25 Millionen Kurden verteilt auf die Türkei, den Iran, Irak, Syrien und Armenien. In den einzelnen Nationalstaaten setzen sich verschiedene Kurdenorganisationen schon seit Jahren mit unterschiedlichen Mitteln für eine stärkere Autonomie ihrer Landsleute ein. Unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden ca. 2,5 Millionen türkischen Staatsangehörigen sind etwa 500 000 kurdischer Abstammung. Obwohl die Mitglieder, Anhänger und Sympathisanten der PKK nur eine Minderheit der Volksgruppe darstellen, prägen sie das Erscheinungsbild "der Kurden" in der Öffentlichkeit, da sie politisch motiviert und gewalttätig in Erscheinung treten. Etwas mehr als 7 500 Personen werden der PKK in Deutschland zugerechnet, 50 000 Personen gelten als Sympathisanten. Die PKK wurde 1978 von ihrem heutigen Führer Abdullah Öcalan gegründet und stellt sich als eine den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus verpflichtete, straff organisierte Kaderpartei dar. Die Partei erhebt einen Alleinvertretungsanspruch gegenüber allen anderen kurdischen Organisationen. Der militärische Teil der PKK ist die in den Kurdengebieten operierende Guerillatruppe Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK). Die 1985 gegründete Teilorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) ist auf internationaler Ebene für die Öffentlichkeitsarbeit der PKK zuständig. Darüber hinaus bedient sich die PKK mehrerer rechtlich selbständiger Nebenorganisationen. Mit diesen Verbänden versucht sie, sowohl in der Türkei als auch im westlichen Ausland ihren Rückhalt in der kurdischen Bevölkerung zu festigen und für ihre Ziele zu werben. 62 Plakat der Nationalen Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), das anläßlich des NewrozFestes zum nationalen Aufstand und bewaffneten Kampf aufruft (links im Bild: Abdullah Ocalan, der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans [PKK]). Im November 1993 wurde die PKK in Deutschland verboten. Seitdem operiert sie konspirativ unter dem Deckmantel zahlreicher neu gegründeter Vereine. Auf diese Weise versucht die PKK, ihren Einfluß unter der kurdischen Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Nicht selten werden dabei auch kurdische Landsleute im Interesse der "gemeinsamen Sache" massiv unter Druck gesetzt. So hat die "SollVorgabe" für die "Spendenkampagne" 1994 bei 30 Millionen Mark gelegen. In Thüringen versucht die PKK u.a. über in Hessen ansässige Kurden, entsprechende Strukturen aufzubauen und ihre Ideen zu verbreiten. Ansätze einer Strukturierung sind ebenfalls bei der "Türkischen Kommunistischen Partei/ Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) zu erkennen. Hier sind Verbindungen zu entsprechenden Organisationen in Bayern nachweisbar. Insgesamt betrachtet, gestaltet sich die Integration ausländischer Menschen und das Zusammenleben mit ihnen in Thüringen überwiegend konfliktfrei. Extremistische Tätigkeiten wurden bisher nur in Ansätzen erkennbar. 63 VI. Spionageund Sabotageabwehr 1. Überblick Absichten, Pläne und Mittel anderer zu erkunden, um sie für eigene Zwecke nutzbar zu machen, ist keine neue Vorgehensweise. Diese unter dem Begriff "Spionage" gefaßte Tätigkeit richtet sich heute vor allem auf das Auskundschaften geheimer Informationen aus den Bereichen Politik, Militär und Wirtschaft. Seit Anfang der 90er Jahre hat sich vor dem Hintergrund der veränderten geopolitischen Lage insbesondere die Wirtschaftsspionage zum Schwerpunkt der Aktivitäten fremder Nachrichtendienste entwickelt. Nach wie vor ist Deutschland dabei ein bevorzugtes Ausspähungsziel. Gründe für die verstärkte Spionage auf diesem Sektor sind der harte Wettbewerb auf dem Weltmarkt und der gewaltige Kostenfaktor: Die industrielle Forschung, Entwicklung und Herstellung von innovativen Produkten verschlingt Milliarden an Kosten. Wirtschaftsspionage verursacht Jahr für Jahr erhebliche Vermögensschäden und schwächt den Industriestandort Deutschland in beträchtlichem Umfang. Diese Situation macht es unumgänglich, Spionageversuchen fremder Mächte auf deutschem Boden durch geeignete Mittel entgegenzuwirken. 2. Aufgaben Aufgabe der im TLfV organisierten Spionageabwehr ist die Sammlung und Auswertung von Informationen über geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Auch die präventive Arbeit zum Schutz sicherheitsgefährdeter Behörden und Wirtschaftsunternehmen und die Beobachtung fortwirkender Aktivitäten der Mitglieder des ehemaligen Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) gehören, sofern diese verfassungsfeindlichen Charakter tragen, zu dem originären Tätigkeitsbereich des Amtes. 3. Aufarbeitung der Hinterlassenschaften der ehemaligen DDR-Staatssicherheit Die enge Zusammenarbeit der Nachrichtendienste des ehemaligen Warschauer Paktes, die dabei entstandenen Strukturen und das große Potential nachrichtendienstlich geschulten Personals bilden einen Risikofaktor, den es trotz des Zerfalls des ursprünglichen Ostblocks zu beachten gilt. So verfügt allein der aus dem Komitee für Staatssicherheit (KGB) entstandene russische Aufklärungsdienst 64 über etwa 15.000 Mitarbeiter, die sich durch Abschöpfung des Ministeriums für Staatssicherheit auch auf dessen Erfahrungen und Strukturkenntnisse stützen. Im Jahre 1995 wurden durch umfangreiches Quellenstudium die personellen Strukturen des MfS und des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS), ihrer Bezirksverwaltungen und Kreisdienststellen aufbereitet. Dieses Material dient jetzt als Grundlage für weitere Befragungen zur Aufdeckung bisher unbekannter Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR und zum Aufspüren von noch immer hier tätigen, bisher unbekannten "KGB-Helfern", insbesondere im öffentlichen Dienst des Freistaates. Beobachtet wird auch die Tätigkeit der sogenannten Insiderkomitees, die mit Hilfe verschiedener territorialer Arbeitsgruppen, u.a. auch in Erfurt aktiv sind. Sie geben vor, eine Aufarbeitung der Geschichte des MfS zu betreiben. Es wird weiter beobachtet, inwieweit sich weitere Zusammenschlüsse ehemaliger MfS-Mitarbeiter entwickelt haben, sich entwickeln und dabei sicherheitsgefährdende Ziele verfolgen. 4. Tätigkeit fremder Nachrichtendienste Allgemeine Feststellungen Sowohl die Nachrichtendienste des früheren Ostblocks als auch die von Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sind um eine möglichst umfassende politische, militärische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Ausforschung des deutschen Entwicklungstandes bemüht. Ihr besonderes Interesse gilt jedoch Informationen aus den Bereichen industrielle Forschung und Produktion, Handel und wirtschaftliche Organisation. Dabei sind folgende Technologiebereiche besonders spionagegefährdet: - Materialtechnik - Information und Kommunikation - Biotechnologie und Medizin - Luftfahrtund Verkehrstechnik - Energie und Umwelttechnik. Insgesamt kann man davon ausgehen, daß das größte Interesse am Wirtschaftsstandort Deutschland von etwa 12 Staaten ausgeht, die nicht allein von ihrem eigenen Territorium aus operieren, sondern außerdem Stützpunkte in Deutschland unterhalten. Einige Staaten verfügen über mehrere geheime Nachrichtendienste, so daß man auf die Arbeit von etwa 23 Geheimdiensten, die für die innere und äußere Sicherheit unseres Staates bedeutsam sind, schließen kann. Während die osteuropäischen Nachrichtendienste ein besonderes Interesse am Know-how führender Unternehmen zeigen, sind die des Nahen und Mittleren Ostens vor allem an der illegalen Beschaffung von Rüstungsgütern und Hochleistungstechnologie interessiert. 65 Osteuropäische Nachrichtendienste Die Ausforschung von Wirtschaft und Wissenschaft bildet traditionell ein wichtiges Aufgabenfeld östlicher Nachrichtendienste. Gewonnene Informationen sollen zu einer möglichst raschen Entwicklung eines leistungsfähigen und modernen Wirtschaftssystems verhelfen. Die Informationen werden dabei sowohl über allgemein zugängliche Quellen, wie etwa Fachzeitschriften, beschafft, als auch mit Hilfe nachrichtendienstlicher Mittel. Der Zerfall der Großmacht UdSSR hat bewirkt, daß durch die Neuschaffung von eigenen Nachrichtendiensten in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Deutschland eine größere Anzahl von Aufklärungsdiensten gegenübersteht als je zuvor. Erschwerend kommt hinzu, daß dabei auf alte Strukturen und personelles Potential des KGB zurückgegriffen werden konnte und Rußland mit den neu entstandenen Nachrichtendiensten enge kooperative Beziehungen pflegt. Sie reichen bis hin zu gemeinsamen Ausspähungszielen. Nach anfänglichen Strukturierungsschwierigkeiten gibt es Grund zu der Annahme, daß die Nachrichtendienste Kasachstans und der Ukraine bereits im westlichen Ausland tätig sind. Ihr besonderes Interesse gilt dabei deutschstämmigen Aussiedlern und Asylbewerbern, die sie als Agenten für ihre Spionagezwecke anzuwerben versuchen. Das TLfV geht einigen möglichen Fällen auf diesem Gebiet nach. Angesichts der ehemals intensiven Kontakte zwischen KGB und MfS ist nicht auszuschließen, daß die sieben neuen Nachrichtendienste Rußlands auf noch bestehende oder aktivierbare Verbindungen in der früheren DDR zurückgreifen. Auch andere osteuropäische Länder - Bulgarien, Polen, Rumänien - betreiben Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der Verdacht, daß ehemalige bzw. noch agierende Angehörige von östlichen Nachrichtendiensten mit Vertretern der Organisierten Kriminalität zusammenarbeiten, hat sich 1995 erhärtet. Angesichts der Zunahme von Exportbeziehungen Thüringer Unternehmen in Länder Osteuropas muß die Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und dem TLfV intensiviert werden. Nachrichtendienste des Nahen und Mittleren Ostens Die Beobachtung oppositioneller Gruppen, deren Mitglieder sich als Asylsuchende in Deutschland aufhalten und die Beschaffung von sogenannten DualUse-Gütern33 sind Arbeitsschwerpunkte der iranischen, syrischen, libyschen und irakischen Nachrichtendienste. Dabei richten sie ihr Hauptaugenmerk auf das Anwerben von Agenten, die sich zum Beispiel als Händler niedergelassen haben und bereit sind, eventuell über Drittländer Ausfuhrund Embargobestimmungen zu umgehen. Das gilt besonders für Produkte, die zur Herstellung atomarer, biologischer oder chemischer Waffen Verwendung finden können. " Das sind Erzeugnisse, die neben ihrer zivilen Verwendbarkeit auch für miliätrische Zwecke benutzt werden können, so zum Bau von Waffen oder Waffensystemen. 66 5. Personeller und materieller Geheimschutz In einigen Bereichen der Verwaltung und der Wirtschaft gehen Personen mit sensiblen Informationen um, die wegen ihrer Brisanz als Verschlußsachen behandelt werden, also vor unerlaubtem Zugriff zu schützen sind. Zur Gewährleistung dieses Schutzes werden Sicherheitsüberprüfungen unterschiedlichster Intensität durch das TLfV im Auftrag der zuständigen Behörden und Betriebe durchgeführt. Der Staat, auch der Freistaat Thüringen, ist aufgrund der einschlägigen Bestimmungen des Strafgesetzbuches verpflichtet zu regeln, welcher Personenkreis die Befugnis erhalten soll, mit Verschlußsachen umzugehen (personeller Geheimschutz), sowie Unbefugten den Zugang zu Verschlußsachen zu erschweren (materieller Geheimschutz). Bereits 1991 wurden in Thüringen entsprechende Regelungen in Form von Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Personen (Sicherheitsrichtlinien) und den Umgang mit Verschlußsachen (VerschlußsachenanWeisung) getroffen. Hierbei hat der personelle Geheimschutz u.a. den Zweck zu verhindern, daß hauptamtliche Mitarbeiter fremder Nachrichtendienste oder andere Personen, die von einem fremden Nachrichtendienst angeworben wurden oder bei denen Sicherheitsrisiken vorliegen, zu "Geheimnisträgern" bestellt werden. Darüber hinaus soll sichergestellt werden, daß ein späterer nachrichtendienstlicher Anwerbungsversuch nach Möglichkeit offenbar wird oder nachträglich eingetretene Sicherheitsrisiken rechtzeitig bekannt werden. Schließlich soll vorgebeugt werden, daß nicht Verzweifelungshandlungen zur Preisgabe von Verschlußsachen führen. Das Landesamt wirkt gemäß seinen Aufgaben (SS 2, Abs. 4 des ThürVSG) seit nunmehr fünf Jahren an der Sicherheitsüberprüfung für Geheimnisträger mit. Es wurden in dieser Zeit ca. 1.500 Überprüfungsanträge gestellt. Seitens der Geheimschutzbeauftragten der obersten Landesbehörden und anderer Behörden liegen dem Landesamt für Verfassungsschutz 518 Neuanträge auf Sicherheitsüberprüfungen vor, davon allein 226 für den Geheimschutz in der Wirtschaft. Von ihnen konnten bisher 114 Überprüfungen abgeschlossen werden. Im Jahre 1995 konnte sichergestellt werden, daß in nunmehr fast allen Behörden, bei denen Verschlußsachen anfallen, Geheimschutzbeauftragte tätig sind. Sie trafen sich am 5. Dezember zu einer vom TLfV organisierten Arbeitstagung in Erfurt. In enger Zusammenarbeit mit dem Geheimschutzbeauftragten des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft und Infrastruktur wurden 1995 zwölf Firmen auf Antrag sicherheitstechnisch überprüft. Diese Überprüfung ist Voraussetzung für die Teilnahme an Ausschreibungen von Aufträgen in sicherheitsempfindlichen Bereichen. 67 Anhang: Thüringer Verfassungsschutzgesetz - ThürVSG vom 29. Oktober 1991 (GVB1 Thür. S. 527) Inhaltsübersicht Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS 1 Organisation des Verfassungsschutzes SS 2 Aufgaben SS 3 Bedienstete SS 4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 5 Allgemeine Befugnisse SS 6 Nachrichtendienstliche Mittel SS 7 Erhebung personenbezogener Daten Zweiter Abschnitt Datenschutz rechtliche Bestimmungen SS 8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS 9 Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten SS 10 Errichtungsanordnung SS 11 Auskunft an den Betroffenen Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 12 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen SS 13 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 14 Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 15 Übermittlungsverböte SS 16 Unterrichtung der Öffentlichkeit SS 17 Nachberichtspflicht Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 18 Parlamentarische Kontrollkommission SS 19 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission Fünfter Abschnitt Schlußvorschrift SS20 Inkrafttreten 68 Der Thüringer Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS1 Organisation des Verfassungsschutzes (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht als obere Landesbehörde unmittelbar dem Innenministerium. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Thüringen nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. SS2 Aufgaben (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben; 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht; 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder daraufgerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; 4. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt zu diesem Zweck Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. 69 (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der daraufgerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluß handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut im Sinne des SS 1 Abs. 1 erheblich zu beschädigen. (3) Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen; 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; 6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der öffentlichen Stellen mit: 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können; 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen; 70 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedüftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, entsprechend den Rechtsvorschriften, auf Anfrage von Behörden, denen die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst obliegt, Auskunft aus vorhandenen Unterlagen über Erkenntnisse nach Absatz 1. Die Auskunft ist auf solche gerichtsverwertbare Tatsachen zu beschränken, die Zweifel daran begründen können, daß der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. SS3 Bedienstete (1) Die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale Sicherheit der DDR überprüft und für das die Behörde des Sonderbeauftragten beim Bundesminister des Innern für den Umgang mit den Akten des MfS/AfNS einbezogen wird. (2) Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, Personen mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht befaßt werden. SS4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenige zu treffen, die den einzelnen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, daß er nicht erreicht werden kann. SS5 Allgemeine Befugnisse (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtgemäßem Ermessen erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen, namentlich speichern, übermitteln, verändern, löschen und abgleichen, soweit nicht besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. 71 (2) In Überprüfung nach SS 2 Abs. 4 Nr. 1 und 2 können der Ehegatte, der Verlobte oder die Person, die mit dem Überprüfenden in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, einbezogen werden. Die Überprüfung ist nur mit Zustimmung des zu Überprüfenden sowie der gegebenenfalls miteinzubeziehenden Person zulässig, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS6 Nachrichtendienstliche Mittel (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, Informationen verdeckt erheben. (2) Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer vom Innenministerium zu erlassenen Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden. (3) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. SS7 Erhebung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gemäß SS 6 Abs. 1 erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. SS 4 findet im übrigen Anwendung. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerläßlich ist und geeignete polizeiliche 72 Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1 gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen. (3) Bei Erhebung nach Absatz 2 und solchen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören, ist: 1. der Eingriff nach seiner Beendigung dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann und 2. die Parlamentarische Kontrollkommission unverzüglich zu unterrichten. Einer Mitteilung gemäß Nummer 1 bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzungen auch nach fünf Jahren noch nicht eingetreten ist. Die durch solche Maßnahmen erhobenen Informationen dürfen nur nach SS 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses verwendet werden. (4) In den Fällen des Absatzes 1, Nr. 1 und 2 dürfen nachrichtendienstliche Mittel gegen Unbeteiligte nicht gezielt angewandt werden. (5) Die Erhebung nach Absatz 1 und 2 ist in den Fällen des SS 2 Abs. 4 unzulässig. Zweiter Abschnitt Datenschutz rechtliche Bestimmungen SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen, wenn: 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 erforderlich ist oder 3. Aufgaben nach SS 2 Abs. 4 zu erfüllen sind, soweit nicht besondere Bestimmungen gelten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Daten über Minderjährige, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet haben in zu ihrer Person geführten Akten nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Minderjährige eine der im Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien ist eine Speicherung von Daten Minderjähriger, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unzulässig. (3) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 2 Abs. 4 dürfen in automatisierten Dateien personenbezogene Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. 73 (4) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderliche Maß zu beschränken. SS9 Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, ist dies zu vermerken. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ist oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß dadurch schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgelegten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 sind spätestens 10 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall die Entscheidung, daß sie weiter gespeichert bleiben. Soweit Daten automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den Ablauf der Fristen nach Satz 1 und 2 hinzuweisen. (4) Personenbezogene Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, daß nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 angefallen sind. (5) Personenbezogene Daten, die zu löschen sind, dürfen nicht zum Nachteil des Betroffenen verarbeitet werden. SS10 Errichtungsanordnung (1) Für jede automatisierte Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet werden, ist in einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des Innenministeriums bedarf, festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Art der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 74 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlaß der Errichtungsanordnung anzuhören. Wesentliche Änderungen sind ihm nach Erlaß mitzuteilen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. SS11 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit er ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit: 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist; 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamt für Verfassungsschutz zu befürchten ist; 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, daß er sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das Innenministerium im Einzelfall feststellt, daß dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. 75 Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS12 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Register, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Landes haben von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen zu übermitteln, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung der Informationen, insbesondere über Tatbestände, die in SS 100 a Strafprozeßordnung und in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz aufgeführt sind, für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nach SS 2 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für seine Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. (3) Gesetzliche Übermittlungsverbote bleiben unberührt. SS13 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Die in SS 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 oder 4 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten und amtlich geführte Dateien und Register anderer öffentlicher Stellen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 einsehen, wenn die Übermittlung von Informationen aus den Akten, Dateien oder Registern im Wege der Mitteilung durch die ersuchte Behörde den Zweck der Maßnahme gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. 76 (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von den Behörden des Landes und den sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. (4) SS 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. SS14 Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an andere Behörden und öffentliche Stellen personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1, 4 und 5 übermitteln. Zu anderen Zwecken darf es, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten nur übermitteln an: 1. den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist; 2. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung erforderlich ist; a) zur Verhütung oder Verfolgung der in SSSS 74 a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Tatverdächtigen oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind; b) zur Verfolgung der in SS 100 a Strafprozeßordnung genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität; 3. Polizeibehörden, soweit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß dies zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist und die Übermittlung der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung der in Nummer 2 genannten Straftaten sowie von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient; 4. andere Behörden und öffentliche Stellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist und der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. (2) Die Empfängerbehörde hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sie darf die personenbezogenen Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Grundgesetzes sowie an überoder zwischenstaatliche öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. Sie ist nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig und aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, daß er die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dem sie ihm übermittelt wurden. (4) Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereiches nicht übermittelt werden, es sei denn, daß dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und das Innenministerium im Einzelfall die Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, vor unberechtigtem Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, daß das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (5) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Übermittlung personenbezogener Daten durch Abruf im automatisierten Verfahren unzulässig. SS15 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils hat zu unterbleiben, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, daß unter Berücksichtigung der Art der personenbezogenen Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Personen des Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. SS16 Unterrichtung der Öffentlichkeit Das Innenministerium unterrichtet die Öffentlichkeit einmal im Jahr über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1. Dabei dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegt. 78 SS17 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern würde und nachteilige Folgen für den Betroffenen nicht zu befürchten sind. Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS18 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeübt. Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse und der Kommission aufgrund des Landesgesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 29. Oktober 1991 bleiben unberührt. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder (nach d' Hondt) gewählt werden. Die Kontrollkommission wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekanntgeworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtags so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. SS19 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission mindestens viermal im Jahr umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Sie berichtet zu konkreten Themen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes 79 für Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies wünscht. (2) Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzuganges und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung und Aufgabenerfüllung im Landesamt für Verfassungsschutz durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. (3) Jedes Mitglied kann den Zusammentritt und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. (4) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann beschließen, daß ihr Akteneinsicht zu gewähren ist. Die Landesregierung entscheidet über die Akteneinsicht im Rahmen ihrer politischen Verantwortung, insbesondere unter Berücksichtigung des notwendigen Quellenschutzes. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. Fünfter Abschnitt Schlußvorschrift SS20 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Erfurt, den 29. Oktober 1991 Der Präsident des Landtags Dr. Müller Abkürzungsverzeichnis AA/BO Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation AfNS Amt für Nationale Sicherheit (DDR) AIZ Antiimperialistische Zelle ANS/NA Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten APC Association for Progressive Communication ARGK Volksbefreiungsarmee Kurdistans ASD Aktion Sauberes Deutschland B BBZ Berlin-Brandenburger Zeitung BdA Bund der Antifaschisten C CL ComLink D DKP Deutsche Kommunistische Partei DLVH Deutsche Liga für Volk und Heimat DN Deutsche Nationalisten DNZ Deutsche National-Zeitung DVU Deutsche Volksunion DWZ Deutsche Wochen-Zeitung E ERNK Nationale Befreiungsfront Kurdistans F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FDJ Freie Deutsche Jugend I ICN International Counter Network J JN Junge Nationaldemokraten JNS Junges Nationales Spektrum K KGB Komitee für Staatssicherheit (Sowjetunion) KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPF Kommunistische Plattform KZ Konzentrationslager L LL Linke Liste M MfS Ministerium für Staatssicherheit (DDR) MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands 81 N NL Nationale Liste NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands P PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PKK Arbeiterpartei Kurdistans R RAF Rote Armee Fraktion REP Die Republikaner RZ Revolutionäre Zellen S SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands T THS Thüringer Heimatschutz ThürVSG Thüringer Verfassungsschutzgesetz TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten TLfV Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz V VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten W WJ Wiking Jugend WSDV Freiheitliche Wählergmeinschaft "Wir sind das Volk" Z ZK Zentralkomitee Personenregister A Abu Jamal, Mumia 22 Apfel, Holger 39,40 B Blank, Prof. Dr. Joseph Theodor 57 Brandt, Tino 27 Breuer, Paul 57 Busse, Friedhelm 24 D Decken, Günter 20, 21, 33 Dewes, Dr. Richard 3 Durand, Dr. Pierre 22 82 F Frey, Dr. Gerhard 37, 38 G Golkowski, Frank 21, 27, 34 H Hogefeld, Birgit 23, 56 K Klar, Christa 22 Kleindienst, Wolfgang 36, 37 Knigge, Dr. Volkhard 20, 21 Köhler, Dr. Volkmar 57 Konrad, Gerhard 38 M Mahron, Heinz 46 Mumia Abu Jamal (siehe Abu Jamal) O Öcalan, Abdullah 62 P Petri, Michael 25 R Rohwedder, Dr. Detlev Karsten 57 S Schlierer, Dr. Rolf 35, 36, 37 Schönhuber, Franz 36 Schwerdt, Frank 27,28 T Tag, Ernst 25 V Vogel, Dr. Bernhard 22 w Wagenknecht, Sarah 47 Walendy, Udo 40 Weilkes, Sandro 15 Wendt, Christian 27 Worch, Christian 24,26 83 Sachregister A Aktion Sauberes Deutschland (ASD) 25 Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) 24 Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) 65 Anti-Antifa 21, 24, 26 ff., 30 Anti-Antifa Ostthüringen 26,27 Antifa 22 f., 51, 54 Antifa Bitterfeld 23 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) 51 Antiimperialistische Zelle (AIZ) 56, 57 f. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 52, 61 Association for Progressive Communication (APC) 55 Aufbruch 24 Aufstachelung zum Rassenhaß 24, 33 Ausländerextremismus 60 f. Auschwitz 34 Autonome (siehe auch Schwarzer Ast Südthüringen) 18, 30, 43, 51 ff. Autonome Antifa (M) 51 B Berlin-Brandenburger Zeitung (BBZ) 28 Buchenwald 12, 19 ff., 20, 21, 27, 34, 40, 50, 54 Bund der Antifaschisten (BdA) 22 Bundesgerichtshof 33 Bundesminister des Innern 24 Bundesverfassungsgericht 24 C CLASH 51 ComLink (CL) 55 Computernetze (siehe auch ComLink, Internet, SpinnenNetz, Thule Netz)...30 D Der Funke 49 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 22, 45, 54 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 28, 38, 39 f. Deutsche Nationalisten (DN) 25 Deutsche National-Zeitung (DNZ) 38 Deutsche Stimme 21, 33 Deutsche Volksunion (DVU) 23, 35, 38 f., 39 Deutsche Wochen-Zeitung (DWZ) 38 Die Nationalen e.V. 27, 28 f. Die Republikaner (REP) 23, 28, 35 f., 38, 39 84 Die rote Fahne 49 Drohbriefe ... 21, 34 E Eisenacher Signal 36, 37, 38, 39 F FAIRSTÄNDNIS - Kampagne 10 Fanzines 14, 31 Freiheitliche demokratische Grundordnung 7 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 21, 24, 28, 39 Freiheitliche Wählergemeinschaft "Wir sind das Volk" (WSDV) 28 Fremdenfeindliche Straftaten 42, 43 Fremdenfeindlichkeit 10, 24 Freundeskreis - Ein Herz für Deutschland 37 G Geheimschutz 7, 67 f. Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund 58 Gesetzesverletzungen mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund 40 Gewalttaten 12, 13 ff., 41, 52, 56, 61 Grundgesetz 7, 35,48 H Historische Tatsachen 40 I Infoläden 51,54 informelle Gruppen 14, 23, 26, 29 Infotelefone (siehe auch Nationale Info-Telefone (NIT) 30, 51, 55 f. INTERIM 51 International Counter Network (ICN) 55 Internet 31 J Jugendextremismus 13 (vgl. 12-20) Junge Nationaldemokraten (JN) 40 Junges Franken 28 Junges Nationales Spektrum (JNS) 28 K Kameradschaft Jena 26 Klartext 35 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 49 Kommunistische Plattform (KPF) 22, 44, 45 ff. Konpress 52 K KZ Buchenwald (siehe Buchenwald) 85 L Linke Liste (LL) 54 M Mailboxen 15, 31, 51, 55 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 22, 48 f. Ministerium für Staatssicherheit (MfS) 64 f., 65 Mitglieder-/Anhängerzahlen Linksextremismus 43 Mitglieder-/Anhängerzahlen Rechtsextremismus 23 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS 45 Mobiltelefone 30,31,55 N Nachrichtendienste 66 ff. Nachrichtendienste Mittlerer Osten 66 Nachrichtendienste Naher Osten 66 Nachrichtendienste Osteuropa 66 f. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 21, 23, 27, 28, 34, 35, 38 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 62 Nationale Info-Telefone (NIT) 15, 16, 30 Nationale Liste (NL) 24, 37,40 Neue Nation 24 Neue Thüringer Zeitung 27 Neues Deutschland 23, 48 P Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 44 ff., 49, 54 Pfälzer Aufruf 39 Politische Spaziergänge 21, 34, 40 Pulheimer Erklärung 39 R radikal 51, 53, 57 Rebell 48 Revolutionäre Zellen (RZ) 56, 57 Revolutionärer Weg 49 Rheinischer Appell 39 Rote Armee Fraktion (RAF) 56, 57 f. Rote Fahne 49 RoteZora 56, 57 Rotfüchse 48 Rudolf-Hess-Gedenkveranstaltungen 26, 27, 28, 39, 40 Runder Tisch 24, 36, 37, 39 86 Skinbands 14, 31 f. Skingirlbewegung 14 Skinheads 31 f., 41 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 54 Sozialistische Einheitspartei Deutschland (SED) 21, 44. 45, 47, 49 SpinnenNetz 55 Spionage (siehe auch Wirtschaftspionage) 7, 64 ff. Schwarzer Ast Südthüringen 51 Standorte 24 Standpunkt 49 Süddeutsche Allgemeine 28 T telegraph 23 Terrorismus 9, 22, 56 Thüringer Heimatschutz (THS) 26, 27, 28, 30 Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) 7 f., 8, 19, 64 Trotz alledem 49 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 63 U Unsere Neue Zeit 45 V Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) 22 Verfassungsschutz durch Aufklärung 8 f. Verlag für Volkstum und Zeitgeschichtsforschung 40 Vernetzung 14, 19 ff., 39, 40 f. Volksbefreiungsarmee Kurdistans (ARGK) 62 w Wanderausstellung "Demokratie - aber sicher!" 9 f. Wiking-Jugend (WJ) 39 Wirtschaftsspionage 64 ff.