ft Verfassungsschutzbericht Thüringen \$&$^ 1992 VORWORT Am 6. November 1991 trat das Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) in Kraft, und das neu gegründete Landesamt für Verfassungsschutz, als obere Landesbehörde, nahm seine Tätigkeit auf. Das Innenministerium ist Aufsichtsbehörde über den Verfassungsschutz und damit eines von mehreren Kontrollorganen zur Überprüfung der Aufgaben und Befugnisse dieses Nachrichtendienstes. Dieser erste vorgelegte Verfassungsschutzbericht 1991 / l 992 stellt einen Beitrag zur Information der politischen Führung und der interessierten Öffentlichkeit unseres Landes dar. Das Jahr 1992 war in Deutschland überschattet von Aktionen rechtsextremistischer Gewalttäter, die nicht nur eine ernstzunehmende Gefahr für die innere Sicherheit unseres Landes darstellten, sondern auch dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland schadeten. Bei der militanten linksextremistischen Szene war ein Ansteigen von Gewaltaktionen zu verzeichnen, die sich vor allem in ihrem Kampf gegen den sogenannten Faschismus zu profilieren suchten, um Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen. Die Aktionen der Anhänger der militanten Flügel beider Richtungen, die auch vor Straftaten gegen Leib und Leben nicht zurückschrecken, werden die Sicherheitsbehörden, somit auch den Verfassungsschutz, weiterhin erheblich fordern. Für das Jahr 1993 wird mit einer wachsenden Bereitschaft zur Gewaltanwendung rechts gegen links und auch umgekehrt gerechnet. Es ist nicht zuletzt auch der Informationssammlung und Berichterstattung des Verfassungsschutzes zu danken, daß in Thüringen - im Vergleich mit anderen Bundesländern - die Gewalttaten der extremistischen Szenen auf einem verhältnismäßig niedrigen Niveau begrenzt werden konnten. Franz Schuster Thüringer Innenminister VERFASSUNGSSCHUTZ IST BURGERSCHUTZ Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (ThLfV) ist für alle Bürger erreichbar: Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz PF 796 99015 Erfurt Telefon (0361)566 8760 2 INHALTSVERZEICHNIS I. Verfassungsschutz ist Bürgerschutz 5 II. Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des ThLfV 10 1. Aufgaben 10 2. Befugnisse 12 3. Kontrolle 14 4. Organisationsstruktur 15 5. Strukturdaten 16 6. Zusammenarbeit mit anderen deutschen Nachrichtendiensten 17 IM. Verfassungsfeindliche Bestrebungen 18 1. Extremismus - allgemein 18 2. Linksextremismus 19 2.1. Terroristische Gruppierungen 20 2.1.1. Rote Armee Fraktion (RAF) 20 2.1.2. Revolutionäre Zellen (RZ) 21 2.2. Anarchisten, Autonome und sonstige Sozialrevolutionäre 21 2.3. Marxisten-Leninisten 26 2.3.1. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 26 2.3.2. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 28 2.3.3. Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 28 2.4. Sonderthema: Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) 29 3. Rechtsextremismus 31 3.1. Begriffsdefinitionen 31 3.2. Formen und Vereinigungen des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland 31 3.3. Neonationalsozialistische Gruppen 32 3.3.1. Verbote 32 3.3.2. Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) 33 3.3.3. Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 33 3.3.4. Deutsch Nationale Partei (DNP) 34 3.4. National-Freiheitliche/Nationaldemokraten 37 3.4.1. Deutsche Volksunion (DVU) 37 3.4.2. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 37 3.5. Sonstige rechtsextremistische Gruppen 39 3.5.1. Die Wiking-Jugend e.V. (WJ) 39 3.5.2. Gemeinschaft Deutscher Osten e.V. (GDO) 40 3.5.3. Aktion freies Deutschland (AFD) 40 3.6. Skinheads 41 3.7. Die Republikaner (REP) 46 3 4. Ausländerextremismus 48 5. Übersicht in Zahlen 49 5.1. Linksextremismus 49 5.2. Rechtsextremismus 49 5.3. Ausländerextremismus 50 5.4. Gewalttaten 50 5.4.1. Linksextremistische Gewalttaten 51 5.4.2. Rechtsextremistische Gewalttaten 51 5.4.3. Gewalttaten von Ausländern 51 IV. Spionage-/Sabotageabwehr, Vergangenheitsbewältigung 52 1. Spionage-/Sabotageabwehr 52 1.1. Allgemeiner Überblick 52 1.2. Geheimdienste der ehemaligen DDR 53 1.2.1. Aufklärungsdienste der ehemaligen DDR 53 1.2.2. Aktivitäten dieser Dienste 54 1.3. Geheimdienste auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR 58 1.3.1. Aufklärungstätigkeiten 58 1.3.2. Der ehemalige militärische Dienst der Sowjetunion 58 1.3.3. Die Nachfolgedienste des KGB in den anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion 59 1.4. Geheimdienste des ehemaligen Warschauer Paktes 59 1.5. Geheimdienste des Nahen und Mittleren Ostens 59 1.6. Vergangenheitsbewältigung 60 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung 62 Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Innenministeriums 62 Anhang Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) 64 4 I. VERFASSUNGSSCHUTZ IST BÜRGERSCHUTZ Der Schutz der Verfassung ist ein grundlegendes Anliegen unserer Demokratie. Mit dem Grundgesetz wurden vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die zum Untergang der Weimarer Republik führten, die Grundlagen für eine "abwehrbereite" Demokratie geschaffen. Das bedeutet, daß der Staat willens und bereit ist, sich mit den ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln konsequent gegen diejenigen zu wehren, die zielund zweckgerichtet - auch mit Gewalt - versuchen, die Demokratie zu zerstören. Den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder obliegt - gemäß unserer Verfassung - die Aufgabe, den Schutz der Verfassung mit zu gewährleisten. Das Land Thüringen hat als erstes der neuen Länder ein Landesamt für Verfassungsschutz (ThLfV) errichtet. Im Gegensatz zum ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR ist es nicht seine Aufgabe, die Herrschaft der Machthabenden zu sichern und Abweichler, die die staatlich verordnete Meinung kritisieren, zu verfolgen. Den Verfassungsschutz interessiert nicht die radikal kritische Meinung des Bürgers zu politischen Fragen und Entscheidungen. Es muß zulässig und möglich bleiben, im freien Spiel der Meinungen, Vorund Nachteile zu wichtigen politischen Problemen und auch unterschiedliche Vorstellungen zu Grundfragen der gesellschaftlichen Ordnung gegeneinander zu stellen. Dies gehört zu der in Artikel 5 des Grundgesetzes (GG) garantierten Meinungsfreiheit. Der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes setzt erst ein, wenn es freiheitliche Anhaltspunkte dafür gibt, daß eine Gruppierung oder eine Einzelperson es demokratische gezielt unternimmt, die Grundprinzipien unserer Verfassung, die freiheitliche Grundordnung demokratische Grundordnung, ganz oder teilweise außer Kraft zu setzen oder zu beeinträchtigen. Im ThürVSG sind die vom Bundesverfassungsgericht in richtungsweisenden Entscheidungen herausgearbeiteten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit aufgenommen worden. Das Gericht hatte in den Verbotsurteilen zur rechtsextremistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) am 23. 10. 1952 (1 BvB 1/51 - BVerfGE 2, S. 1 ff.) und zur Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) am 17. 08. 1956 (1 BvB 2/51 - BVerfGE 5, S. 85 ff.) folgendes ausgeführt: "So läßt sich die freiheitliche demokratische Grundordnung als eine Ordnung bestimmen, die - unter Ausschluß jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft 5 - eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung - auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes - nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit - und der Freiheit und Gleichheit darstellt." Grundprinzipien der Zu den Grundprinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen freiheitlichen - die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor demokratischen allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, Grundordnung - die Volkssouveränität, - die Gewaltenteilung, - die Verantwortlichkeit der Regierung, - die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - die Unabhängigkeit der Gerichte, - das Mehrheitsprinzip und - die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Damit wurde ein Katalog der für eine freiheitliche demokratische Verfassungsordnung unverzichtbaren Werte und Verfahrensregeln festgelegt. Der entschiedene Wille zum Erhalt dieser Grundordnung findet seine Ausprägung im Prinzip der wehrhaften Demokratie. Dieses wendet sich ab von dem Werterelativismus der Weimarer Reichsverfassung. Demokratieverständnis Demokratie stand - vom Demokratieverständnis führender Staatsrechtler in der Weimarer der Weimarer Republik - für die gewaltlose Methode, mit der im politischen Republik Entscheidungsprozeß auch andere Verfassungsinhalte erzeugt werden konnten. Folglich schied jede Verbindung von Demokratie mit verbindlichen Wertordnungen und -maßstäben aus, da dies als eine unzulässige Einschränkung des Willens des demokratischen Souveräns betrachtet wurde. So konnte es in der Endphase der Weimarer Republik geschehen, daß die demokratischen Institutionen der Verfassung ausgehöhlt wurden und unter dem Mantel der Gesetzlichkeit die freiheitliche Verfassungsordnung in ein von einer Partei diktatorisch beherrschtes Staatswesen umgewandelt wurde. Die Schöpfer des Grundgesetzes zogen aus den Erfahrungen mit der Entwicklung der Weimarer Republik und ihrem Ende ihre Konsequenzen. Sie wollten einen toleranten freiheitlichen Staat, aber mit der Einschränkung, daß die gewährte Freiheit nicht zur Beseitigung der Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Verfassungsordnung mißbraucht werden sollte. Notwendige Konsequenz hieraus sind Abwehrmechanismen gegen diejenigen, die antreten, die Grundprinzipien unserer Demokratie zu bekämpfen oder abzuschaffen. 6 Drei miteinander verwobene Merkmale kennzeichnen das Prinzip der abwehrPrinzip bereiten Demokratie: der wehrhaften Demokratie - die Wertgebundenheit Der demokratische Staat bekennt sich zu Grundüberzeugungen, die er nicht zur Disposition stellt. - die Abwehrbereitschaft Der Staat ist gewillt, sich gegenüber Angriffen auf seine systemtragenden Prinzipien zu verteidigen. - die Vorverlagerung des Verfassungsschutzes Der demokratische Verfassungsstaat reagiert nicht erst dann, wenn Verfassungsfeinde gegen gesetzliche, insbesondere strafrechtliche Bestimmungen verstoßen. Durch systematische Beobachtung extremistischer, auf die Beseitigung grundlegender Verfassungsprinzipien gerichteter politischer Bestrebungen schafft der Verfassungsschutz die Voraussetzungen für - Parteienverbote - Strafverfolgungsmaßnahmen und - geistig-politische Auseinandersetzung. Der Verfassungsschutz dient somit vornehmlich dem Schutz des Bürgers davor, durch den Umsturz der Verfassungsordnung seiner Freiheitsrechte beraubt zu werden. Die Legitimation des Verfassungsschutzes ergibt sich aus dem Grundgesetz Legitimation des (Artikel 73 Nr. 10 b und c, sowie Artikel 87 Abs. 1 Satz 2 GG). Verfassungsschutzes Es handelt sich hierbei nicht nur um eine Regelung der Gesetzesund Verwaltungskompetenz, sondern, was meist von den Gegnern des Verfassungsschutzes übersehen wird, zugleich auch um eine materielle verfassungsmäßige Absicherung der Institution Verfassungsschutz. Unter den Instrumentarien zur Ausgestaltung der wehrhaften Demokratie nimmt der Verfassungsschutz in der Gegenwart eine wichtige Rolle ein und ist ein unverzichtbares Werkzeug zur notwendigen Durchsetzung des Bekenntnisses des Grundgesetzes zur wehrhaften Demokratie. Das Grundgesetz sieht daneben weitere Instrumente zur Umsetzung der wehrWeitere Instrumente haften Demokratie vor: zur Umsetzung der wehrhaften - Nach Art. 18 GG i.V.m. SSSS 36 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz kann die Demokratie Verwirkung von Grundrechten ausgesprochen werden, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht werden. 7 - Parteien können, wenn ihre Betätigung sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet, nach Art. 21 Abs. 2 GG i.V.m. SSSS 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz auf Antrag der Bundesregierung durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst werden. - Sonstige Vereine und Vereinigungen können nach Art. 9 Abs. 2 GG i.V.m. SSSS 3 ff. Vereinsgesetz verboten werden, wenn sie zielund zweckgerichtet die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen suchen. - Das Grundgesetz bestimmt Grenzen einer zulässigen Änderung der Verfassung: Art. 79 Abs. 3 GG. Die dort aufgeführten Grundsätze und Strukturprinzipien dürfen nicht beseitigt werden. Die Instrumente zur Abwehr extremistischer Bestrebungen in der wehrhaften Demokratie sind vielfältiger Art und teilweise miteinander verzahnt. Aufgaben, die dem Schurz der Verfassung dienen, werden außer von den Verfassungsschutzbehörden (nachrichtendienstlicher Verfassungsschutz) von zahlreichen anderen Institutionen wahrgenommen. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über das Verbot verfassungswidriger Parteien oder die Verwirkung von Grundrechten (verfassungsgerichtlicher Verfassungsschutz). Polizei, Staatsanwaltschaft und Strafgerichte verfolgen Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates oder gegen die Verfassung richten (strafrechtlicher Verfassungsschutz). Polizei und In diesem Zusammenhang muß auf die Wahrung des Trennungsgebotes von Verfassungsschutz Polizei und Verfassungsschutz einerseits und die Sicherstellung der notwendigen Zusammenarbeit zwischen diesen Stellen andererseits eingegangen werden. Nach dem ThürVSG, SSSS 1 Abs. 1 und 5 Abs. 3, stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz polizeiliche Befugnisse oder eine Weisungsbefugnis gegenüber der Polizei nicht zu. Es darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. Das Trennungsgebot von Polizei und Verfassungsschutz geht zurück auf die Erfahrungen mit der Gestapo und deren Rolle im NS-Staat. Mit dem sog. "Polizeibrief" der drei westlichen Militärgouverneure an den Parlamentarischen Rat vom 14. 04. 1949 wurde der Bundesregierung gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichtete Tätigkeiten einzurichten. Weiter heißt es dort: "Diese Stelle soll keine Polizeibefugnisse haben." Damit wurde das Ziel verfolgt, Nachrichtendienste und Polizei voneinander getrennt zu halten. Das Trennungsgebot hat seit dem ersten Bundesverfassungsschutzgesetz von 1950 auch in den jeweiligen Neufassungen und den Landesgesetzen auf zweifache Weise Eingang gefunden: 8 - Ausschluß polizeilicher Befugnisse für das Bundesamt für Verfassungsschutz, - Verbot der Angliederung des Bundesamtes für Verfassungsschutz an eine polizeiliche Dienststelle. Art und Umfang der Zusammenarbeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz hinsichtlich der Übermittlung von personenbezogenen Daten sind in SS 14 ThürVSG abschließend geregelt. Außer Frage steht, daß im Bereich der Staatsschurzkriminalität eine Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskriminalamt bzw. den Landeskriminalämtern und den Verfassungsschutzbehörden erforderlich ist, um durch ein abgestimmtes Vorgehen der beteiligten Behörden Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes abzuwehren. In diesem Vorfeldbereich berühren sich die Tätigkeitsfelder von Verfassungsschutz und Kriminalpolizei. Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes im Vorfeld beabsichtigter strafbarer Handlungen bei Staatsschutzdelikten tragen dazu bei, daß solche Taten verhindert oder durch Vorsorgemaßnahmen der Polizei begrenzt werden können. 9 II. AUFGABEN, BEFUGNISSE UND KONTROLLE DES THÜRINGER LANDESAMTES FÜR VERFASSUNGSSCHUTZ 1. Aufgaben Die Aufgaben des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschurz (ThLfV) sind im Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. Thür. S. 527), in Kraft seit dem 06. 11. 1991, gesetzlich festgelegt. In Thüringen ist ein Landesamt für Verfassungsschutz als eine dem Innenministerium nachgeordnete obere Landesbehörde eingerichtet worden. Andere Länder weisen die Aufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes unmittelbar einer Abteilung ihres Innenministeriums zu. Die Aufgabe des Landesamtes ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben nach SS 2 ThürVSG beobachtet es Beobachtung 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben; 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht; 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; 4. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR, soweit sie in Thüringen festgestellt werden können. Sammlung Zu diesem Zweck sammelt das Landesamt Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. 10 Auf Ersuchen anderer öffentlicher Stellen wirkt das Landesamt für VerfassungsMitwirkung schutz ferner mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände und Erkenntnisse anvertraut werden; 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen und 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen Kenntnisnahme durch Unbefugte. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes dürfen nicht sein: - ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, - Personen mit Offiziersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und - ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der SED. Die Sicherheitsüberprüfungen sind neben der gesetzlich zulässigen Abfrage bei der sog. "GAUCK-Behörde" (Behörde des Beauftragten der Bundesregierung für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit/Amt für Nationale Sicherheit der ehemaligen DDR) Garantie dafür, daß diesem Gesetzesauftrag auch entsprochen wird. Das Verbot der Übernahme des angeführten Personenkreises ist in SS 3 Abs. 2 des Thüringer Verfassungsschutzgesetzes geregelt. 11 2. Befugnisse Das Landesamt für Verfassungsschurz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtmäßigem Ermessen erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen (SS 5 ThürVSG). Offene Quellen Das Sammeln von Informationen geschieht zum größten Teil (ca. 80%) mit Hilfe offener, jedermann zugänglicher Quellen (z. B. Presseberichte, Programme, Plakate, Satzungen, Äußerungen in der Öffentlichkeit). Nachrichtendienstliche Gegenüber konspirativen Verhaltensweisen versagen jedoch diese Mittel der Mittel Nachrichtengewinnung. Agenten, Extremisten und Terroristen halten ihre Aktivitäten geheim. Aus diesem Grund gestattet das ThürVSG gem. SS 6 den Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung (verdeckte Nachrichtenbeschaffung). Verdeckt werden soll sowohl die Tatsache, daß überhaupt Informationen erhoben werden, als auch der Umstand, von wem sie erhoben werden. Zu den "klassischen" nachrichtendienstlichen Mitteln gehören z. B. der Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, die Observation sowie geheime Bildund Tonaufzeichnungen. Grundsatz der Diese Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger wiegen nicht leicht. Deshalb sind Verhältnismäßigkeit hier die dem Rechtsgüterschutz des Bürgers dienenden Grundsätze des Verfassungsund Verwaltungsrechts zu beachten. Insbesondere muß das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt bleiben, d. h., im Einzelfall muß jeweils das Mittel gewählt werden, das den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten belastet. Der Kernbereich des Persönlichkeitsrechts darf in keinem Fall verletzt werden. Brief-, Postund Gemäß dem Gesetz zu Artikel 10 GG, dem Gesetz zur Beschränkung des Fernmeldegeheimnis Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (G 10), ist dem Verfassungsschutz das Abhören von Telefongesprächen und das Offnen von Briefen gestattet, allerdings unter sehr einschränkenden Voraussetzungen: Die Überwachung muß erfolgen, um drohende Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes abzuwehren. Ferner müssen Anhaltspunkte für schwerwiegende Straftaten, wie z. B. Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung vorliegen; schließlich muß die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Die Anordnung wird nicht vom Landesamt für Verfassungsschutz, sondern auf dessen Antrag durch den Innenminister des Landes Thüringen erlassen. Vor dem Vollzug der Anordnung muß die sog. G 10-Kommission des Thüringer Landtags, die sich aus drei hierzu durch Wahl berufenen Parlamentsmitgliedern 12 zusammensetzt, die vom Landtag aus seiner Mitte für die Dauer einer Wahlperiode bestellt werden (SS 4 des Landesgesetzes zur Ausführung des Bundesgesetzes des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses, AG G 10), über die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Beschränkungsmaßnahmen entscheiden. Diese Kommission ist unabhängig und an Weisungen nicht gebunden. Nur bei Gefahr im Verzuge kann eine Anordnung ohne vorherige Zustimmung der Kommission durch den Innenminister getroffen werden. Deren Genehmigung muß dann aber unverzüglich nachträglich eingeholt werden. Ist die Kommission mit der Beschränkungsmaßnahme nicht einverstanden, muß diese sofort beendet werden. 13 3. Kontrolle Die Tätigkeit des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz unterliegt einer vielfältigen Kontrolle: Die parlamentarische Kontrolle wird ausgeübt durch die Berichtspflicht der Regierung gegenüber dem Landtag, aktuelle Stunden, kleine und große Anfragen, Petitionen usw. Parlamentarische Der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Thüringer Landtags, beKontrolle stehend aus 5 Abgeordneten, ist mindestens viermal im Jahr über allgemeine Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und Angelegenheiten von besonderer Bedeutung durch den Innenminister zu berichten (SS 1 8 ThürVSG). Die bereits erwähnte G 10-Kommission des Thüringer Landtags prüft - gem. dem Landesgesetz zur Ausführung des Bundesgesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (AG G 10) vom 29. Oktober 1991 (GVBl. Thür. S. 515) - Vorlagen des Innenministeriums über beantragte G10Maßnahmen. Verwaltungskontrolle Die Verwaltungskontrolle erfolgt durch den Innenminister des Landes Thüringen, dem insoweit die Dienstund Fachaufsicht obliegt, durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz und durch den Landesrechnungshof. Bürger Jeder Bürger kann gem. SS 11 ThürVSG auf Antrag Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten verlangen, soweit er ein besonderes Interesse an einer solchen Auskunft darlegt. Die Auskunftserteilung muß unterbleiben, wenn Sicherheitsbelange dies gebieten oder die Gefährdung der Aufgabenerfüllung zu besorgen ist. 14 4. Organisationsstruktur Das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz gliedert sich in 4 Abteilungen mit folgenden Zuständigkeiten: Abt. 1 = Zentralabteilung für rechtliche Grundsatzfragen, Personalangelegenheiten, Haushalt, Organisation, Informationstechnik und G 10-Angelegenheiten Abt. 2 = Beschaffung und Observation Abt. 3 = Auswertung Abt. 4 = Spionage-/Sabotageabwehr und Geheimschutz 15 5. Strukturdaten Mitarbeiter Die Zahl der Mitarbeiter des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz stieg von 13 Anfang 1992 auf 40 Mitarbeiter Ende 1992. Insgesamt sind 120 Mitarbeiter vorgesehen. Haushalt Der Haushalt des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz sah 1992, bei einem Gesamtvolumen von 4 229300,DM, persönliche Verwaltungsausgaben in Höhe von 1 966 800,DM, sächliche Verwaltungsausgaben in Höhe von 992 500,DM sowie Investitionen in Gesamthöhe von 1 2 7 0 0 0 0 , - DM vor. Datenspeicherung Im Jahr 1992 wurden vom ThLfV etwa 2000 Einspeicherungen in das von allen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder als Aktenfundstelle gemeinsam betriebene und genutzte Nachrichtendienstliche Informationssystem ("NADIS") vorgenommen, davon etwa die Hälfte im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen. 16 6. Zusammenarbeit mit anderen deutschen Nachrichtendiensten Der Verfassungsschurz in der Bundesrepublik Deutschland ist gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die Gesetzgebungskompetenz zur Regelung der Zusammenarbeit liegt beim Bund (Art. 73 Nr. 10 b und c GG). Das Bundesverfassungsschutzgesetz geht von einer Grundzuständigkeit der Landesverfassungsschutzbehörden hinsichtlich der Aufgabenerfüllung im eigenen Lande aus. Der Bund und die Länder sind verpflichtet, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Es besteht die Verpflichtung der jeweiligen Landesbehörden zur Informationsübermittlung an das Bundesamt für Verfassungsschutz und an die Verfassungsschutzbehörden anderer Länder, soweit diese Übermittlung für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat neben der jeweiligen Landesbehörde die Befugnis, im Benehmen mit dieser, Informationen selbst zu sammeln. 17 III. VERFASSUNGSFEINDLICHE BESTREBUNGEN 1. Extremismus - a l l g e m e i n Politischer Politischer Extremismus ist die Bezeichnung für unterschiedliche politische Extremismus Gesinnungen und Bestrebungen, die sich gegen den demokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Werte und Spielregeln richten. Demokratie und Extremismus werden als antithetisches Begriffspaar verstanden: Extremismus besteht in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und dem Bestreben, dessen tragende Grundprinzipien zu beseitigen. Extremisten zielen darauf ab, die freiheitliche demokratische Grundordnung ganz oder teilweise abzuschaffen oder entscheidend zu beeinträchtigen. Von einer extremistischen Verhaltensweise zu unterscheiden sind radikale Haltungen: Radikalismus Radikalismus ist eine geistige Haltung, die in politischen Fragen Positionen vertritt, die von der Meinung der Mehrheit oder gemäßigter Kräfte stark abweichen, und es ablehnt, sich in politischen Konsens mit anderen Strömungen einbinden zu lassen oder Kompromisse über ihre politischen Forderungen einzugehen. Soweit damit nicht das Ziel verbunden wird, die tragenden Grundprinzipien der Verfassungsordnung abzuschaffen oder im Wesensgehalt zu verändern, gehört der Radikalismus zu dem von der Verfassung vorausgesetzten und garantierten politischen Wettbewerb. 18 2. Linksextremismus Linksextremisten wollen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Deutschland revolutionär beseitigen und an ihrer Stelle eine kommunistische Diktatur oder die Anarchie im Sinne einer herrschaftsfreien Gesellschaft errichten. Die politischen Veränderungen in Osteuropa haben den organisierten Linksextremismus im Westen in eine tiefe Krise gestürzt. Die marxistisch-leninistischen Gruppen versuchen seitdem, den Niedergang des realen Sozialismus und die Wiedervereinigung Deutschlands ideologisch zu verarbeiten und sich zu stabilisieren. Offen bekannt und unverändert geblieben ist jedoch die Feindschaft der Linksextremisten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Hierfür suchen sie nach neuen Strategien und Taktiken. Alle Linksextremisten bekennen sich im Grundsatz zur "revolutionären Gewalt". Aus taktischen Gründen setzen dogmatische Linksextremisten bei tagespolitischen Auseinandersetzungen jedoch überwiegend auf legale Kampfformen; sie versuchen dabei, vor allem soziale Mißstimmungen auszunutzen und zu lenken, um damit Gefolgschaft für ihr revolutionäres Endziel zu gewinnen. Im Jahre 1992 sind bundesweit folgende Gruppierungen mit extremistischer Zielsetzung besonders in Erscheinung getreten: - Die Terroristen der Roten Armee-Fraktion (RAF) und die Revolutionären Zellen (RZ) sind nach wie vor die aggressivsten und brutalsten Gegner des freiheitlichen Rechtsstaats. - Die Anarchisten sind durch ihre wachsende Anhängerschaft und vermehrte Gewalttaten zunehmend in das Blickfeld des Verfassungsschutzes gerückt. Es handelt sich hierbei um einen undogmatischen, mehrheitlich anarchistischen Ideen anhängenden Teil des linken Spektrums, der sehr flexibel und schwer überschaubar ist. Hierzu sind vor allem die sog. militanten Autonomen zu zählen. An Bedeutung verloren haben dagegen - die dogmatischen marxistische/leninistischen Parteien und Gruppen, deren Organisation noch funktioniert. Zu ihnen zählen die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) sowie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD). 19 2.1. Terroristische Gruppierungen Unter Terrorismus versteht man den nachhaltig geführten Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 des Strafgesetzbuches genannt sind (u. a. Mord, Totschlag, erpresserischer Menschenraub, Brandstiftung, Herbeiführung einer Explosion durch Sprengstoff) oder durch andere Gewalttaten, die der Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Zum deutschen, linksextremistisch motivierten Terrorismus sind die "Rote Armee Fraktion" (RAF) und die "Revolutionären Zellen" (RZ) zu zählen. Beide Gruppierungen führen den von ihnen so genannten "militärisch-politischen Kampf" gegen das politische System in der Bundesrepublik Deutschland. 2.1.1. Rote Armee Fraktion (RAF) Nach den umwälzenden politischen Entwicklungen in Osteuropa suchte die RAF nach neuen Kampffeldern, die den eigenen Anhängern und Teilen der Öffentlichkeit vermittelbar sind, so z. B. die Asyl-/Ausländerproblemafik, Frauenund soziale Fragen, europäische Einigung sowie die Folgen der deutschen Wiedervereinigung. Daneben werden wie bisher als Ziele die Durchsetzung der "Forderungen der Gefangenen" und die Errichtung einer revolutionären Front in Westeuropa verfolgt. Im Mittelpunkt steht der angestrebte Aufbau einer "Gegenmacht von unten" gegen die Macht des etablierten Regierungssystems. Wesentliche Entscheidungen werden ausschließlich von der sog. "Kommandoebene" getroffen. Terroranschläge werden von sog. "Kommandos" durchgeführt. Darüber hinaus existiert ein "engeres" - die Vorhaben der Kommandoebene aktiv unterstützendes - und ein "weiteres RAF-Umfeld"; letzteres bemüht sich um die Gewinnung von Sympathie und politischer Unterstützung. Die Rote Armee Fraktion ist am 10. April, 29. Juni und 28. August 1992 mit Erklärungen über ihre zukünftige Haltung zu Terroraktionen an die Öffentlichkeit getreten. Sichtbar wurde in diesen Schreiben die Suche nach einer politischen Neuorientierung und die Neuverteilung der Verantwortung, wobei hinsichtlich des bewaffneten Kampfes keine konkreten Aussagen gemacht worden sind. Der Anschlag auf die Justizvollzugsanstalt in Weiterstadt am 27. 03. 1993 hat gezeigt, daß die RAF nach wie vor willens und bereit ist, Gewaltaktionen durchzuführen, sofern der Staat ihren Forderungen nicht entgegenkommt. 20 Das Ausmaß der Bedrohung durch die RAF ist daher weiter ernst zu nehmen. In Thüringen sind aktuelle linksterroristische Aktivitäten nicht festgestellt worden. 2.1.2. Revolutionäre Zellen (RZ) Die Revolutionären Zellen bildeten sich 1973 im westlichen Bundesgebiet. Es handelt sich um Kleingruppen ohne erkennbare Struktur, die teilweise ein "sozialrevolutionäres Konzept" verfolgen. In der Regel knüpfen sie an aktuelle gesellschaftspolitische Konflikte an. In ihrer Zeitschrift "Revolutionärer Zorn" vermitteln sie ihr ideologisches Selbstverständnis und ihre Aktionsformen. Ihre Angriffe und Aktionen richten sich primär gegen Sachen. Sie wollen möglichst hohen Sachschaden an den betroffenen Einrichtungen hervorrufen. Innerhalb der "RZ" existiert seit 1974 eine autonome, radikale Frauengruppe mit der seit 1977 bestehenden Bezeichnung "Rote Zora". Deren Aktionsschwerpunkte richten sich hauptsächlich auf frauenspezifische Probleme. In Thüringen wurden bisher keine Aktivitäten der RAF und RZ verzeichnet. 2.2. Anarchisten, Autonome und sonstige Sozialrevolutionäre Linksextremisten, die sich selbst als Autonome bezeichnen, gibt es in fast allen großen Städten Deutschlands. Dies gilt ebenso für Thüringen wie für die anderen neuen Bundesländer. Sie sind extrem gewalttätig. Bei Straßenkrawallen treten sie oft vermummt in "schwarzen Blöcken" auf. Ein einheitliches ideologisches Konzept fehlt. Autonome folgen anarchistischen, bisweilen auch nihilistischen Vorstellungen. Gemeinsam ist ihnen allen der Haß auf Staat und Gesellschaft. Die Aufhebung der Rechtsordnung bedeutet für sie Freiheitsgewinn. Ansatzpunkte für Militanz bieten insbesondere ihre Aktionsfelder "Antifaschismus, Antirassismus, Antiimperialismus und Umstrukturierung". Unter letzterem wird der "Häuserkampf" (Besetzung leerstehender Häuser) zur Schaffung sog. "rechtsfreier Räume" verstanden. Die "Szene" ist seit 1991 (ca. 2700) bundesweit auf über 5000 Aktivisten im Jahr 1992 angewachsen. 21 22 Angriffe autonomer Antifaschisten auf Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten nehmen zu. Ihre Aktionen sind häufig von ausgeprägter Brutalität gekennzeichnet. Bei der Anwendung von Gewalt nehmen sie auch die Tötung von Menschen billigend in Kauf. Szeneblätter veröffentlichen Steckbriefe politischer Gegner und fordern unverhohlen zur Gewalt gegen diese Personen auf. In Thüringen kann man, nach vorsichtiger Schätzung, im militanten autonomen Bereich von einer Personenzahl um etwa 100 ausgehen. Die Existenz dieses Spektrums in Thüringen ist durch folgende Beispiele als gesichert anzusehen: - Demonstration von ca. 20 Personen der autonomen Szene anl. einer BuchAktionen der Autolesung von Walter MOMPER in Erfurt am 28. 02. 1992; nomen in Thüringen - Hausbesetzung durch Personen, die sich selbst der alternativen linken Szene zurechnen, z.B. am 23. 04. 1992 durch 20 linksalternative Jugendliche in Suhl; - Anschlag auf die Geschäftsstelle der Deutschen Bank in Erfurt, Berliner Platz 107, am 30. 04. 1992 zwischen 04.00 und 04.20 Uhr. Die Täter beschädigten Fensterscheiben und verschmierten Fensterrahmen und Teile des Gehweges mit Farbe. Aufgrund der Diktion in dem hinterlassenen Bekennerschreiben ist von einer örtlichen, militanten autonomen Täterbeteiligung auszugehen. - Auseinandersetzungen von Angehörigen der autonomen Szene mit "Rechten", bei denen es teilweise zu schweren Körperverletzungen gekommen ist, z. B. eine Schlägerei von etwa 30 Angehörigen der autonomen Szene gegen 15 dem rechten Spektrum angehörende Personen - vermutlich Skins - unter Zuhilfenahme von Ketten, Baseballschlägern und Stöcken am 02. 06. 1 992 in Suhl. - Am 07. 1 1 . 1 9 9 2 fand in Erfurt eine Demonstration des DGB gegen den Rechtsradikalismus statt, an dem sich ca. 600 Personen - unter ihnen ca. 150-200 Autonome - beteiligten. In Höhe des Erfurter Anger, unmittelbar vor der Gaststätte "Burger King", stieß der Demonstrationszug auf eine ca. 15-20 Personen umfassende rechte Gruppierung. Ein sich unter den Autonomen befindender sog. "Schwarzer Block", er bestand aus ca. 50 Personen, bewarf die bis dahin inaktive "rechte" Gruppe mit Steinen und rief in Sprechchören "Nazischweine". Die gegen die Auseinandersetzung vorgehende Polizei wurde aus den Reihen der Autonomen mit Leuchtraketen beschossen. - Am 21.11.1992 stürmten ca. 20-30 vermummte Jugendliche die Gaststätte "Burger King" in Erfurt. Die nach ihrem Habitus der autonomen Szene zuzurechnende Gruppe begann unvermittelt, mittels Baseballschlägern, auf die anwesenden Gäste und das Inventar einzuschlagen, wobei Einrichtungsgegenstände zertrümmert und mindestens 4 Personen verletzt wurden. 23 KEINE FÜHREN fe Dieses Lied wurde in Hhchen während des WWG s von Frauen vorm urd im Knast gesungen. ( n e l o d i " 99 L u f t b a l l o n e " Ktr be-ben dlcr rUB kotzen e e t t t du Bullenetaat, wir hauen dich tun koteen eattl 99 Bullenwachen - 99 Bonben krachen Daten, Akten, und Computer * lad Tferbrnnnt - wir finden'" super die Revolution i e t -l"der drin eagt Jetzt auch die Nachbarin Liebe, leben, GlUcVllchaein und gea"in"ui könn'n wir ochreini BRD du Bullenataat, wir hatten dich tun kotzen sattl BRD du Bullenotaat, *ir hatten dich zun kotzen eattl 25 - Im Anschluß an den Aufmarsch von Rechtsextremisten anläßlich des "RudolfHeß-Gedenktages" in Rudolstadt am 15. 08. 1992 trafen sich Anhänger der linken Szene, von denen der größte Teil aus Berlin kam, mit etwa 50 Kraftfahrzeugen in Pößneck/Th. Durch zivile Einsatzkräfte der Polizei wurden diese Gruppierungen verfolgt und observiert. Nachdem sich die Kolonnen geteilt hatten, fuhr eine größere Gruppe die Rastanlage am Hermsdorfer Kreuz an. Gegen 22.45 Uhr wurden die observierenden zivilen Einsatzkräfte dann durch etwa 50-100 teils vermummte Personen, die mit Eisenstangen und Wurfgeschossen bewaffnet waren, ohne Vorwarnung angegriffen. Bei dem Angriff wurden zwei Funkstreifenwagen und ein Privat-Pkw erheblich beschädigt. Während des weiteren Polizeieinsatzes wurden 96 Personen vorläufig festgenommen. Verschiedene sog. Infoläden in Jena, Erfurt und Weimar dienen als Kommunikationsstützpunkte der Szene. Weitere Treffpunkte sind auch einige "autonome Jugendzentren". Die Publikation der autonomen Zeitschrift "STREIT(E)" aus Saalfeld weist ebenfalls auf die Existenz dieser Szene hin. Skinheads existieren auch in antifaschistischen Gruppen. Es sind Redskins (Rote Glatzen) oder S.H.A.R.P.s. (Skinheads Against Racial Prejudices - Skinheads gegen rassistische Vorurteile), die sich in Thüringen in den Regionen Hermsdorf, Rudolstadt-Schwarza und Saalfeld konzentrieren. Ebenso wie die Skins aus der rechten Szene zeigt dieser Personenkreis militante Verhaltensmuster, was sich vor allem in dem Versuch der gewalttätigen Bekämpfung ihrer politischen Gegner äußert. 2.3. Marxisten-Leninisten 2.3.1. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) - Gegründet: Herbst 1 968 - Sitz: Hessen - Mitgliederzahl: 7000 - Repräsentant: Dirk KRÜGER (Sprecher) - Publikation: Unsere Zeit - Ideologischer Hintergrund: orthodox-kommunistisch Durch den Zusammenbruch der Sowjetunion bedingt, setzt die DKP auf verstärkte Zusammenarbeit mit noch verbliebenen kommunistischen/sozialistischen Staaten wie China und Kuba und hält an ihrer marxistisch-leninistischen Zielsetzung fest. Sie intensiviert die Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Plattform (KPF) innerhalb der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Die DKP 26 WfnHSßEiTv/4s 9EiLE$WcJRE WÜRDE" DiE BoM^En SIE * FÜR ". SICH BeH4LrPSN ^STrengE DicH m09L ic HST WPSNI9 An gR^^lSIaRE DicH miT KpLLE9|nNeH ^saBOTiEtE DEnb@TriEB *f . vEfKAuFe DeiN3 afbE ITSKPSFT ^ SO TEuor v/iE M0e9LiCH .* deg sieht ihre Aufgabe darin, sich als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse in Deutschland zu erneuern. Die verfassungsfeindliche Zielsetzung der DKP ergibt sich vor allem aus dem Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus. Dies ist für sie nicht nur eine Lehre, sondern zugleich eine Anleitung zum Handeln. Nach ihrer Ideologie wird die Arbeiterklasse in der sozialistischen Revolution die Macht erobern, den bürgerlichen Staat zerschlagen und die Diktatur des Proletariats errichten. Die Stadien der sozialistischen Revolution, als auch die Diktatur des Proletariats, sind mit den wesentlichen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes unvereinbar. In Thüringen sind keine Strukturen der DKP bekannt. 2.3.2. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) - Gegründet: 1982 - Sitz: Essen - Publikation: Rote Fahne - Ideologischer Standort: marxistisch-leninistische Kernorganisation Die MLPD konzentriert ihre Kräfte zur Zeit auf den Neuaufbau der Partei auch in den neuen Bundesländern. Zu ihr gehören der - Jugendverband "Rebell" - die Kindergruppen "Rotfüchse" - und der Frauenverband "Courage". Aktivitäten der MLPD im Rahmen von Antifa-Kampagnen sind auch in Thüringen festzustellen, jedoch keine festen organisatorischen Strukturen. 2.3.3. Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) - Gegründet: 1990/in Thüringen 20. 04. 1993 - Sitz: Berlin/ in Thüringen Erfurt - Mitgliederzahl: 500 (1991), Tendenz sinkend - Vorsitzender: Ekkehard UHLMANN in Thüringen Horst HUTHER - Publikation: Trotz alledem - Ideologischer Standort: marxistisch-leninistische Kernorganisation Nach einem Aufruf ehemaliger SED-Mitglieder im Januar 1990 fand eine Gründungsversammlung der KPD für das Gebiet der ehemaligen DDR statt. Die KPD bekennt sich zum revolutionären Marxismus, zum Klassenkampf und zur eigenständigen historischen Rolle des Proletariats. Ihr Ziel ist die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus in einer proletarischen Revolution. Erkenntnisse über Aktivitäten dieser Partei in Thüringen liegen nicht vor. 28 2.4. Sonderthema: Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) Die Frage, ob es sich bei der PDS um eine linksextremistische, gegen die freiheitliche demokratische Verfassungsordnung gerichtete Partei handelt, haben bisher - mit Ausnahme des Freistaates Bayern, wo dies bejaht wird - weder das Bundesamt noch die Verfassungsschutzbehörden der anderen Länder abschließend beantwortet. Begründet wird diese Ungewißheit vom Bundesamt für Verfassungsschutz und vom Verfassungsschutz in den übrigen Ländern damit, daß sich die Partei derzeit noch im Umbruch befindet und eine endgültige Aussage über ihre politische Zielrichtung noch nicht getroffen werden kann. Festgestellt wird aber gleichzeitig, "daß die Verdachtsmomente, von der PDS gingen verfassungsfeindliche Bestrebungen aus, bisher nicht entkräftet werden konnten". (Quelle: Verfassungsschutzbericht des BfV von 1992). Diese Aussage gilt auch für Thüringen. Zur Informationssammlung wegen möglicher verfassungsfeindlicher Bestrebungen werden vom ThLfV die allgemein zugänglichen Informationen ausgewertet. Bei mindestens 95 % der angeblich noch 146 000 Mitglieder der PDS handelt es Verdachtsmomente sich um ehemalige SED-Mitglieder, die zum Teil als (hauptamtliche, inoffizielle gegen PDS oder gelegentliche) Mitarbeiter des MfS tätig waren. Vor diesem Hintergrund sind Stimmen ernst zu nehmen, die den Zielen und Aktivitäten dieser Partei eine verfassungsfeindliche Stoßrichtung zuschreiben. So hat der ehemalige Präsident des Oberlandesgerichts Braunschweig, Dr. R. WASSERMANN, zum Thema "Das Instrument der abwehrbereiten Demokratie nach der Wiedervereinigung" zur PDS ausgeführt: "Die SED besteht, zur PDS gemausert, fort. Verbotsmaßnahmen stehen nicht zur Debatte. Taktische Wandlungen innerhalb kommunistischer Strategien dürfen jedoch nicht vergessen lassen, daß die PDS, wie die DKP, eine kommunistische Partei ist, die von Rechts wegen - legt man das KPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrunde - zu verbieten wäre." Der stellvertretende Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in BadenWürttemberg, Dr. H. RANNACHER, stellte 1992 zum Thema "Entwicklung und Tendenzen des Linksextremismus" zur PDS fest: "Da ist zunächst die PDS zu durchleuchten, die Nachfolgeorganisation der SED oder treffender: die umbenannte SED. Die immer stärkere Position der "Kom29 munistischen Plattform" in der Partei, immer deutlichere Äußerungen von Funktionären etwa zur Gewalt, die immer schwächer werdende Gruppe der wirklich Gewendeten und die wachsende Bedeutung von Stasi-Seilschaften sind nicht zu übersehende Symptome einer latenten Verfassungsfeindlichkeit." Auch ausländische Experten auf diesem Gebiet, so z. B. der französische Extremismus-Experte Patrik MOREAU, der 1992 als intimer Kenner der kommunistischen Szene ein umfassendes Buch über die PDS präsentiert hat, kommt in seinem Vortrag anläßlich einer Tagung der Friedrich-Naumann-Stiftung im Dezember 1 992 zu dem Ergebnis, daß "die PDS als eine extremistische Partei zu gelten habe, die politische Systemschwächen für die eigene Strategie auszunutzen versuche. Die von ihr maßgeblich initiierten Gerechtigkeitskomitees sind ein geradezu klassisches Beispiel der Unterwanderungsstrategie. Die bekannte Bündnispolitik lebt wieder auf." Die Frage der Verfassungswidrigkeit dieser Partei ist mittelfristig klärungsbedürftig. 30 3. Rechtsextremismus 3.1. Begriffsdefinitionen Unter Rechtsextremismus sind politisch-motivierte Bestrebungen zu verstehen, die vor allem im Nationalismus und im Rassismus wurzeln. Beide Begriffe sind eng miteinander verzahnt. Der Nationalismus wird definiert als eine Überbewertung eigener nationaler Nationalismus Interessen zu Lasten der Interessen anderer Nationen und auch zu Lasten von Individualrechten der Angehörigen der eigenen Nation. Der Begriff der "Nation" umfaßt danach nur die Gemeinschaft derjenigen, die aufgrund gemeinschaftlicher Abstammung, also einheitlicher "Rasse" zusammengehören. Mit Rassismus wird eine Geisteshaltung bezeichnet, die vor dem Hintergrund Rassismus des oben geschilderten Nationenbegriffs von einer höheren Wertigkeit der eigenen "Rasse" ausgeht und damit das Recht begründen soll, andere "Rassen" zu beherrschen. Zum Ausdruck kommt diese Haltung in aggressivem Antisemitismus und Ausländerfeindlichkeit. Der Rassismus ist zudem mit dem grundgesetzlich verbürgten Schutz der Menschenwürde und mit dem Gleichheitsgrundsatz nach Art. 1 und 3 GG nicht vereinbar. Der Rechtsextremismus ist gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet. Er stellt die Wertordnung des Grundgesetzes in Frage, weil er die Rechte des Individuums hinter die nationalen Kollektivinteressen zurücktreten läßt und die Lebensinteressen von Fremden mißachtet. 3.2. Formen und Vereinigungen des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland Bei den Parteien und Organisationen des rechtsextremistischen Spektrums sind derzeit zu unterscheiden: - die neonationalsozialistischen Gruppierungen und - die nationaldemokratischen/national-freiheitlichen Parteien. Die neonationalsozialistischen Gruppierungen bekennen sich offen zu den Vorneonationalstellungen der Nationalsozialisten, wobei sie das Führerprinzip und die Herrsozialistische schaftsinstitutionen des NS-Staates als vorbildlich propagieren. Gruppierungen 31 nationalDie nationaldemokratischen und national-freiheitlichen Parteien bevorzugen demokratische und subtilere Formen der politischen Arbeit, mit denen sie Anhänger und Wähler zu national-freiheitliche gewinnen hoffen. Sie agitieren dabei vornehmlich populistisch-propagandistisch Parteien auf für viele Bürger sensiblen Feldern, indem sie Probleme der steigenden Zahl von Asylbewerbern mit dem Schüren der Furcht vor Verlust des Arbeitsplatzes oder der Wohnung verbinden. Hemmungslos greifen sie in Ausnutzung einer wirklichen oder vorgeblichen "Politikverdrossenheit" die Repräsentanten des demokratischen Staatswesens an. Neonationalsozialistische Gruppen - Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) - Deutsche Alternative (DA) - Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) - Nationale Offensive (NO) - Nationalistische Front (NF) National-Freiheitliche/Nationaldemokraten - die National-Freiheitlichen des Dr. FREY einschl. der Deutschen Volksunion (DVU) - die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) - Deutsche Liga für Volk und Heimat (Deutsche Liga) Sonstige Vereinigungen - Wiking-Jugend e.V. (WJ) - Gemeinschaft Deutscher Osten e.V. (GDO) - Aktion Freies Deutschland (AFD) 3.3. Neonationalsozialistische Gruppen 3.3.1. Verbote Im Jahre 1992 wurden durch den Bundesminister des Innern die überregionalen Organisationen - Nationalistische Front (NF) am 27. 11. 1992 - Deutsche Alternative (DA) am 10. 12. 1992 - Nationale Offensive (NO) am 22. 12. 1992 nach dem Vereinsgesetz verboten. Begründet wurde das Verbot mit der aggressiv-kämpferischen Haltung dieser Vereinigungen, die darauf abziele, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Ihre Aktionsfelder waren u.a.: Kampf gegen Ausländer durch aggressive Hetze und Gewalttaten Agitation gegen staatliche Institutionen und ihre Politik Verherrlichung des 3. Reiches 32 In Thüringen belief sich die Anhängerschaft dieser Organisationen, ohne daß funktionierende Strukturen festgestellt wurden, auf einige Personen im Raum Weimar. Eine für den 20. Juni 1992 in Weimar angekündigte Demonstration der Nationalen Offensive wurde verboten. 3.3.2. Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) Die GdNF war eine Organisation der Anhängerschaft des am 25. April 1991 verstorbenen Neonazis Michael KÜHNEN. Diese Gruppierung tritt heute nur noch als anonymes Redaktionskollegium der Publikation "Die Neue Front" mit Kontaktadresse in den Niederlanden in Erscheinung. Der GdNF ist es allerdings als Organisation in den vergangenen Jahren gelungen, verschiedene neue Vereinigungen auf Landesebene zu bilden. Diese sollten an Parlamentswahlen teilnehmen, um ggf. dadurch den Rechtsstatus einer Partei zu erlangen und Verbotsmaßnahmen zu erschweren. Zu ihnen sind zu zählen: - Nationale Liste in Hamburg - Deutsches Hessen in Hessen - Nationaler Block in Bayern - Sächsische Nationale Liste in Sachsen - Der Deutsche Weg in Nordrhein-Westfalen - Volkstreue Liste in Baden-Württemberg. Die Deutsch Nationale Partei (DNP) in Thüringen ist diesen Organisationen ähnlich. Sie ist 1992 in Thüringen durch verschiedene provokative Aktionen ihres Gründers Thomas DIENEL hervorgetreten (strafrechtliche Verurteilung von DIENELs. S. 35). 3.3.3. Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) - Gegründet: 1979 - Mitglieder: ca. 220 - Vorsitzender: Friedhelm BUSSE - Publikation: Neue Nation - ideologischer Standort: neonationalsozialistisch Der jahrelange Niedergang der FAP wurde 1992 leicht gestoppt, da die Partei in einigen neuen Bundesländern, insbesondere in Brandenburg und Sachsen, neue Mitglieder werben konnte. Sie vertritt rassistisch geprägte fremdenfeindliche Ziele. In ihrem Organ "Neue Nation" bezeichnen sich die Mitglieder als "nationale Sozialisten"; sie agieren gegen Ausländer. Aktivitäten der Partei wurden in Thüringen nicht festgestellt. 33 3.3.4. Deutsch Nationale Partei (DNP) - Gegründet: 19. 04. 1992 in Wechselburg/Sachsen - Sitz: Weimar - Mitglieder: ca. 50 - Vorsitzender: Thomas DIENEL - ideologischer Standort: Satzung u. Äußerungen von Mitgliedern, vor allem des Vorsitzenden DIENEL, weisen eine ideologische Nähe zu neonationalsozialistischen Gruppierungen aus Programm Zur geistigen Nähe mit neonationalsozialistischen Gruppierungen gibt zunächst das Programm der DNP Aufschluß. Darin heißt es u. a.: - Nach SS 1 der Satzung verstehen sich die Mitglieder der DNP als der "radikalnationale Stoßtrupp in Mitteldeutschland". - Nach SS 4 der Satzung können Mitglieder der DNP "alle Bürger deutscher Rasse und Kultur werden". Im Programm der DNP fällt zunächst eine taktisch motivierte Anpassung an die bestehende Rechtslage auf. Zitat: - "Wir stehen fest auf der Grundlage der Traditionen des deutschen Volkes und bekennen uns dazu. Die gegenwärtigen politischen Realitäten erlauben es jedoch nicht, mit einer solchen Zielsetzung als Partei aufzutreten. Deshalb hält sich das Programm an die z. Z. geltenden Gesetze mit dem Wissen, daß es aber den Staat herausfordert und provoziert." Darüber hinaus werden in dem Programm der Kampf gegen Ausländer und der Kampf gegen das Geschichtsbild der demokratischen Gesellschaft im Deutschland der Nachkriegszeit herausgestellt. Zitate: - "Verschärft wird der Kampf gegen Ausländer und Kommunisten geführt." - "Wir werden es nicht zulassen ..., daß diese Nation mit ihrer Tradition und Zukunft in den multikulturellen Schmelztiegel von irrsinnigen Politikern geworfen wird." - "Durch die Siegermächte des zweiten Weltkrieges und des Zionismus wurden Greuelmärchen erfunden, die keiner wissenschaftlichen Prüfung standhalten." Mit der Forderung "Brechung der Zinsknechtschaft" wird ein Programmsatz der NSDAP von 1920 wiederholt. 34 Weiterer Beleg für die enge Verbundenheit mit den neonationalsozialistischen Aktivitäten der DNP Gruppierungen sind die über den Vorsitzenden DIENEL festgestellten Aktivitäin Thüringen ten und seine Äußerungen in diesem Zusammenhang: - DIENEL war Initiator einer für den 20. Juni 1992 geplanten öffentlichen Kundgebung in Weimar zum Gedenken an den Volksaufstand vom 17. Juni 1953. An dieser Veranstaltung wollten sich auch andere neonationalsozialistische Organisationen wie die "Nationale Offensive" (NO), die "Deutsche Alternative" (DA) und die "Nationale Liste" (NL) beteiligen. Der Magistrat der Stadt Weimar verbot die Veranstaltung. Bei dem Versuch, sich trotz des Verbotes in Weimar zu versammeln, wurden durch die Polizei 9 Personen festgenommen, Waffen und Schlagwerkzeuge sichergestellt. Eine ebenfalls von DIENEL für den 20. Juni 1 992 in Erfurt geplante Ersatzveranstaltung ist durch den Magistrat der Stadt Erfurt verboten worden. Am 20. Juli 1992 wurden zwei Schweinekopfhälften in den Vorgarten der Jüdischen Landesgemeinde in Erfurt geworfen. Auf beigefügten Zetteln hieß es: "Dieses Schwein Galinski ist endlich tot. Noch mehr Juden müssen es sein" und "Jedes Schwein muß mal sterben wie DuGal Am 22. Juli 1992 bekannte sich DIENEL zu der Tat. - Am 15. August 1992 versammelten sich rund 2000 Personen, vorwiegend Rechtsextremisten, in Rudolstadt, um des fünften Todestages des ehemaligen Hitler-Stellvertreters Rudolf HESS zu gedenken, der am 17. August 1987 im "Kriegsverbrechergefängnis" in Berlin-Spandau verstorben war. Zu diesem Gedenktag hatten DIENEL und Anhänger der DNP insgesamt 18 Veranstaltungen in verschiedenen Städten Thüringens angemeldet. Am Busbahnhof von Rudolstadt formierten sich die Rechtsextremisten zu einem 20minütigen Marsch. Bei der anschließenden Kundgebung traten u. a. als Redner der Leiter und Organisator der Demonstration, Christian WORCH (36), der Bundesvorsitzende der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP), Friedhelm BUSSE (63), sowie Thomas DIENEL (31) und Otto RIEHS (71) auf. Unter den Teilnehmern befanden sich Skinheads und Neonationalsozialisten aus Spanien, Frankreich und Belgien. DIENEL ist anläßlich weiterer Veranstaltungen als Redner mit rechtsextremistiWerdegang schen Äußerungen bekanntgeworden. des DIENEL DIENEL (31) ist seit April 1992 Vorsitzender der DNP. Bis 1989 war er rund 10 Jahre lang Mitglied der SED, aus der er 1989 austrat. Zusätzlich war 35 er FDJ-Sekretär und Mitglied des Stadtausschusses Weimar. Anfang 1990 bekleidete er die Funktion eines Geschäftsführers der "Deutschen Sexliga" in Weimar. Er war Geschäftsführer und ab August 1991 Vorsitzender des Landesverbandes Thüringen der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD). Im November 1991 wurde er wegen neonationalsozistischer Kontakte von diesem Amt suspendiert und trat Ende Januar 1992 aus der NPD aus. Bei seinen öffentlichen Auftritten bekannte er sich zum Antisemitismus und zur Ausländerfeindlichkeit. DIENEL trat offen für eine "Machtergreifung" durch Rechtsextremisten nach dem Vorbild der NSDAP ein. Dies veranlaßte die Bundesregierung, am 9. Dezember 1992 beim Bundesverfassungsgericht den Antrag nach Artikel 1 8 des Grundgesetzes zu stellen, gegenüber DIENEL die Verwirkung der Grundrechte der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), der Versammlungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) auszusprechen. Urteil gegen DIENEL Das Schöffengericht am Kreisgericht Rudolstadt verurteilte Thomas DIENEL am 9. Dezember 1992 wegen Volksverhetzung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Dieses Urteil ist im Berufungsverfahren vor dem Bezirksgericht Gera am 24. 02. 1993 bestätigt worden. Anklagepunkte waren u. a.: - am 7. März 1992 eine 23jährige Farbige in Weimar als "Negervieh und Stück Scheiße" beschimpft zu haben, - am 20. Juli 1992 mit drei weiteren Tätern zwei Schweinekopfhälften in den Vorgarten der Jüdischen Landesgemeinde in Erfurt geworfen und dabei den kurz zuvor verstorbenen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, durch ein beigefügtes Schreiben verunglimpft zu haben, - am 13. September 1992 in Saalfeld eine Rede mit volksverhetzendem und ausländerfeindlichem Inhalt geführt zu haben. In der Hauptverhandlung bekannte sich DIENEL zu den Vorwürfen der Anklage und wiederholte seine neonationalsozialistischen Parolen. Er leugnete den Massenmord an Juden in Konzentrationslagern und beschimpfte Ausländer als Parasiten, die "ins Ausland oder ins Arbeitslager gehörten". Aktivitäten der DNP waren in Thüringen nach der Verurteilung DIENELs und weiteren Strafverfolgungsmaßnahmen gegen andere Anhänger dieser Organisation nicht mehr zu verzeichnen. 36 3.4. National-Freiheitliche/ Nationaldemokraten 3.4.1. Deutsche Volksunion (DVU) - Gegründet: 1987 in Thüringen am 15. 06. 1991 - Sitz: München Thüringer Landesverband in Arnstadt - Mitgliederzahl: 26000 in Thüringen 30 - Vorsitzender: Dr. Gerhard FREY in Thüringen Gerhard KONRAD - Publikationen: Deutsche National-Zeitung, Deutsche Wochen-Zeitung, Deutscher Anzeiger. Die DVU ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik Deutschland. In allen Bundesländern wurden Landesverbände gegründet. Die Partei wird durch den Vorsitzenden Dr. FREY zentralistisch geführt. Neben einer jährlichen großen Parteiveranstaltung in Passau kommt es nur im Vorfeld von Wahlen zu öffentlichkeitswirksamen Versammlungen. Die DVU hält an ihrem verfassungsfeindlichen Kurs fest, vor allem werden NSVerbrechen verharmlost, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus geschürt und demokratische Politiker diffamiert. In Thüringen wurden folgende Veranstaltungen durchgeführt: - am 04. 04. 1 992 in Ilmenau - am 28. 06. 1 992 in Ichtershausen mit Dr. FREY (geschlossene Veranstaltung mit ca. 120 Teilnehmern) - am 04. 10. 1992 in Erfurt mit Dr. FREY (ca. 250 Teilnehmer) - Am 16. 08. 1 992 fand in Mühlhausen der DVU-Parteitag der Landesgruppe Hessen statt (Teilnehmer ca. 250). 3.4.2. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) - Gegründet: 1964 - Sitz: Stuttgart - Mitgliederzahl: 5000 in Thüringen 140 - Vorsitzender: Günter DECKERT in Thüringen GOLKOWSKI - Publikation: Deutsche Stimme Die NPD ist seit 1 964 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. 37 Ausländerfeindliche Agitation in der 'Deutschen Nationai-Zeitung" Hilfe, die Zigeuner kommen! Eine Million will einmarschieren Deutschland als Verbrecher-Paradies Ausländer-Kriminalität ufert aus Lieber Ausländer als Deutsche? So w e r d e n wir benachteiligt Ausländerwahlrecht durch die Hintertür Wie das deutsche Volk betrogen werden soll Milliarden für Asvlbetrüger Wie die Deutschen ausgebeutet werden Vor neuer Ausländer-Welle? Bonn will Einwanderung legalisieren Milliardenqeschenkean Israel Muß Deutschland ewig zahlen? 38 Die NPD verfolgt völkisch-kollektivistische Vorstellungen. Ihr Ziel ist eine Volksgemeinschaft, mit Vorrang der Gemeinschaftsinteressen vor den Freiheitsrechten des Individuums. Ihre rassistisch gefärbte Agitation richtet sich gegen Ausländer und Asylbewerber. In den alten Bundesländern ist eine rückläufige Mitgliederentwicklung zu verzeichnen. Aktivitäten, Veranstaltungen der NPD in Thüringen: Aktivitäten in Thüringen - 2 2 . 0 2 . 1992 angeblicher Gründungsparteitag des Kreisverbandes Apolda - 24. 05. 1992 geplante NPD-Veranstaltung in Bergen/Greiz wurde vom Veranstalter abgesagt, dafür fand eine etwa lOminütige Zusammenkunft von ca. 20-30 Anhängern statt. - 2 1 . 0 6 . 1992 Landesparteitag der NPD Thüringen in Güntersleben, Teilnehmer ca. 50 Personen. Die geschlossene Veranstaltung verlief störungsfrei. - 15.08. 1992 Teilnahme am "Rudolf-Hess-Gedächtnismarsch" in Rudolstadt mit Fahnen und Transparenten - 03. 10. 1992 "Deutschlandtreffen" der NPD in Arnstadt mit etwa 1 000 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet. Hierbei handelte es sich um die weitaus größte Veranstaltung der NPD 1992 in Thüringen. 3.5. Sonstige rechtsextremistische Gruppen 3.5.1. Die Wiking-Jugend e.V. (WJ) - Gegründet: 1953 - Sitz: Stolberg - Mitglieder: 400 in Thüringen etwa 10 - Leiter: Wolfram NAHRATH (geb. 1 963) - Publikation: Wikinger Die nach dem Führerprinzip geleitete, Begriffe aus der germanischen Vorzeit pflegende WJ ist in "Gaue" und "Horste" gegliedert. Die WJ führt bundesweit regelmäßig Lageraufenthalte (Things) mit Lagerfeuern, Vorträgen sowie sportlichen Aktivitäten und Geländespielen nach dem Vorbild der Hitlerjugend durch. 39 Aktivitäten Bekanntgewordene Aktivitäten der WJ in Thüringen: in Thüringen - Sonnenwendfeier am 2 0 . / 2 1 . 06. 1991 in Schmalkalden - Bundesthing am 06. 07. 1991 in Schmalkalden mit Neuwahl des Bundesführers W. NAHRATH - Teilnahme am Deutschlandtreffen der NPD am 03. 10. 1991 in Gera mit Fanfarenzug und Fahnenabordnung (Quelle: Fahrtenjahr "Wikinger" 4/91) - Sonnenwendfeier am 2 0 . / 2 1 . 06. 1992 in Dobian (bei Saalfeld) - Juli 1992: Aufbau der WJ-Gruppe in Eisenberg - 15. 08. 1992 Teilnahme mit Trommlerund Fanfarenzügen am Rudolf-HessGedenktreffen in Rudolstadt - 03. 10. 1992 Teilnahme am Deutschlandtreffen der NPD in Arnstadt - Winterlager vom 27. 1 2. 1992 bis 02. 0 1 . 1993 in Greiz; Teilnehmer: 64 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet. 3.5.2. Gemeinschaft Deutscher Osten e.V. (GDO) - Gegründet: 1981 - in: Nienburg/Weser (Niedersachsen) - Mitglieder: 50 - Vorsitzender: Uwe STOLLE (geb. 1933) - Publikation: Rundschreiben Die GDO ist in Thüringen durch eine an Mitglieder versandte Einladung zu einer Versammlung am 17. 10. 1992 in Weimar in Erscheinung getreten. 3.5.3. Aktion Freies Deutschland (AFD) - Gegründet: 1987 - in: Felsberg-Böddiger (Hessen) - Vorsitzender: Wolfgang JUCHEM (geb. 1940) - ideologischer Standort: unterstützt die Deutsche Liga Die AFD mit rund zwei Dutzend Anhängern beschränkt ihre Aktivitäten im wesentlichen auf die Durchführung von Vortragsveranstaltungen und Verteilen von Flugblättern. Agitationsschwerpunkte sind u. a. - die "Auschwitzlüge" - die "Kriegsschuldlüge" - überstaatliche Einrichtungen wie NATO und EG 40 In Thüringen ist die AFD wie folgt in Erscheinung getreten: Aktivitäten in Thüringen - Anmeldung einer Veranstaltung durch Wolfgang JUCHEM am 23. 07. 1991 in Eisenach (Informationsstand) im Rahmen einer bundesweiten Aktion. Die Veranstaltung wurde durch die Stadt Eisenach untersagt. - Anmeldung einer Veranstaltung am 16. 10. 1992 in Waltershausen. Diese Veranstaltung wurde ebenfalls untersagt. Erkenntnisse über Mitglieder in Thüringen liegen nicht vor. 3.6. Skinheads Ausgangs der 60er Jahre formierte sich in den von Arbeitslosigkeit und sich verEntstehung ändernden sozialen Strukturen betroffenen Industriestädten Großbritanniens die der Bewegung neue jugendliche Subkultur der Skinheads. Die Jugendlichen stammten zumeist aus der unteren Schicht der Arbeiterklasse. Zunächst unpolitisch und auf Freizeitaktivitäten ausgerichtet, bewog die Herkunft aus dem Arbeitermilieu die Jugendlichen, sich mehr dem linken Spektrum zugehörig zu fühlen. Die massive Propaganda von Nationalisten und Rechtsextremisten sowie soziale Spannungen im Gefolge eines vermehrten Ausländerzuzuges nach Großbritannien führten zu einer Bewußtseinsänderung und politischen Radikalisierung der Skinheads. Geprägt von starken Feindbildern (Immigranten, Ausländer, Schwule, Hippies, alles Fremde) entwickelten sie ein martialisches Erscheinungsbild (kahlgeschoren, tätowiert, Bomberjacken, schwere Stiefel usw.) und grenzten sich damit provokant von ihrer sonstigen Umwelt ab. Die Skinhead-Bewegung hat sich inzwischen zu einem internationalen Phänomen entwickelt. Ihre Erscheinungsund Verhaltensformen haben auch in anderen Ländern, darunter Deutschland, Eingang gefunden. Das Handeln und Verhalten der Skinheads ist von Intoleranz und hoher Gewaltbereitschaft geprägt. Als eigenständige Bewegung lehnen sie Parteien und feste Organisationsformen ab. Sie gehören nur in Ausnahmefällen rechtsextremistischen Organisationen an. Mit organisierten Neonationalsozialisten verbinden sie sich nur zum Teil und zeitweilig aus Anlaß von Kundgebungen und Aufmärschen. Bisher konnten sie von diesen weder erkennbar gesteuert noch instrumentalisiert werden. Die Skinhead-Bewegung hat sich eine eigene Kultur geschaffen und bedient sich als Szene-Kommunikationsmittel der Medien Musik (Oi-Musik) und Fanzines. 41 Rechtsradikale in den neuen Ländern Die Neonazis im Osten haben ihre eigene Identität, westliche Schützenhilfe ist nicht gefragt Die Irokesenköpfe sind jetzt kahlrasiert VON BURKHARD SCHRÖDER Frank Hübner, Chef der "Deutschen Alternative", mit zwei rechten "Kameraden" beim Neonazi-Aufmarsch zum Volkstrauertag/Heldengedenktag in Halbe (bei Teupitz). FotoDietmar GustCenit 42 Fanzines sind intern zirkulierende und in regelmäßigen Abständen von Szenenangehörigen herausgegebene Publikationen, die praktisch nur für Anhänger und Freunde bestimmt und nicht frei verkäuflich erhältlich sind. Für Thüringen ist hier das Fanzine "KAMPFGEIST" zu erwähnen, das im Raum Jena/Weimar zur Verbreitung kam. Inspiriert von englischen Musikgruppen, bildeten sich auch in Deutschland eine Skin-Bands Vielzahl von Skin-Bands. In ihren Liedern bringen die Skin-Bands unverhüllt neonationalsozialistisches Gedankengut zum Ausdruck. So ruft die Gruppe "Endsieg" in ihrem "Kanaken"Song dazu auf, Türken in Konzentrationslager zu stecken, türkische Frauen zu schänden und ihre Kinder zu töten. Die Skinhead-Band "Brutale Haie" aus Erfurt fordert in ihrem "Doitschlandlied": "Wir wollen Deutschland sauber und rein, wir wollen Deutschland nur für uns allein, wir wollen Deutschland sauber und rein, wir wollen Deutschland, nur so muß es sein." Skinkonzerte/Veranstaltungen in Thüringen - 1 4 . 0 3 . 1 9 9 2 Schloßvippach, 700 Besucher - 2 1 . 03. 1992 Jugendclubs in Erfurt ("Brutale Haie", "Reichsfront"), ca. 180 Besucher - 04. 07. 1992 "Rock gegen Links" in Erfurt ("Reichsfront"), ca. 180 Besucher. In der Bundesrepublik Deutschland geht man von einer geschätzten Anzahl von ca. 6000 bis 8 0 0 0 Skinheads aus. Eine genaue Zählung ist wegen der vielen regionalen und zum Teil nur stadtteilbezogenen Skin-Gruppierungen, die keine Kontinuität in ihrem Bestand aufweisen, nicht möglich. Für Thüringen ist bei vorsichtiger Schätzung von einem Skinhead-Potential von ca. 300 Personen auszugehen, die in der Regel zwischen 16 und 26 Jahre alt sind. Etwa die Hälfte hiervon wird als militant beurteilt. Größere Skinhead-Gruppen wurden bislang in Erfurt, Ilmenau, Jena, Rudolstadt/Saalfeld und Weimar festgestellt. Für die brutalen Gewalttätigkeiten der Skinheads sind in Thüringen folgende Aktivitäten Beispiele zu nennen: in Thüringen - 0 4 . 0 4 . 1992 Ca. 20 Skinheads stürmen einen Waggon des Personenzuges Jena-Gera und schlagen u.a. mit Baseballschlägern auf die Reisenden ein. Drei der linken Szene zuzurechnende Personen werden teilweise erheblich verletzt. 43 3 c l j uc reite n i c fj 18! DEUTSCHE RUOOLf HEß-MARSCH KRAFT Neona?istische Symbolik, Parteistgnet der FAP Rudolf Hoß wird von den Neonazis als Märtyrer verehrt. UMeOtafr Motiv des Ku-Klux-Klan No Remorse ist eine KultSkrewdriver ist eine Kultgruppe der Skinheads, gruppe der Skinheads, angedeutetes Kettenkreuz, "Blut und Ehre", sich an Betonung der nordischen den Nationalsozialismus Rasse. anlehnende Parole. 44 KAMPFAUFRUF NR.7 WIR GRATULIEREN ZUM GEBURTSTAG &öo!f Eitler DIESES HEFT IST EIN AUFRUF AN ALLE KAMERADEN DIE NICHT NUR REDEN SONDERN HANDELN ! ! ! ! ! ! ! 45 - 23.05. 1992 Schlägerei in einer Gaststätte in Pölzig/Lkr. Gera. Ca. 30-35 Skins versuchen, den Abtransport eines festgenommenen Täters zu verhindern. Es kommt zu tätlichen Auseinandersetzungen mit der Polizei, wobei mehrere Personen auf beiden Seiten verletzt werden. - 07. 06. 1992 Auseinandersetzung zwischen ca. 15 Skinheads und ca. 40 linksorientierten Jugendlichen in Saalfeld. - 15. 11. 1992 Skins schlagen vor einer Disco in Berlstedt/Lkr. Weimar mehrere Personen nieder, von denen zwei schwer, drei weitere leicht verletzt werden. Die von den Gruppierungen der Skinheads ausgehenden Gewalttätigkeiten sind spontan und kaum vorhersehbar. Ein gewisser Teil der Skinheads ist entweder selbst Mitglied, oder gehört dem Sympathisantenkreis neonationalsozialistischer Gruppierungen an. Ob die Skins insgesamt der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden können, darf bezweifelt werden. Aus Sicht des ThLfV ist dazu folgendes festzustellen: Die Zuordnung zum Rechtsextremismus setzt voraus, daß eine Geisteshaltung festgestellt werden kann, die politisch zielund zweckgerichtet die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abschaffen will. Eine solche politische Zielsetzung als Trendmotivation ihres Handelns kann bei der Masse der Skinheads nicht festgestellt werden. Dagegen spricht vor allem: Bei den Skins handelt es sich zu 7 0 % um Kinder, Jugendliche und Heranwachsende, ihre soziale Herkunft ist eine häufig nicht intakte Familie aus einfachen Verhältnissen, sie haben ferner Mißerfolge in der Schule/Ausbildung. Die Bereitschaft zur Gewalttätigkeit und Lust am Randalieren dürfte weniger auf politisch-ideologische Zielsetzungen als vielmehr auf individualund sozialpsychologische Auslösungsfaktoren zurückzuführen sein. 3.7. Die Republikaner (REP) Die Partei besitzt zur Zeit mit ca. 23000 Mitgliedern die größte politische Anziehungskraft im "rechtsradikalen Lager" der Bundesrepublik Deutschland. In Thüringen beläuft sich ihre Mitgliederzahl auf ca. 450 bis 500. Die bisher als rechtsradikal eingestufte Partei wird seit dem 15. Dezember 1992 von den meisten Verfassungsschutzbehörden mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. 46 Bis zu diesem Zeitpunkt erfolgte eine Beobachtung nur in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Hamburg, da sich dort aufgrund von Äußerungen verschiedener Funktionäre der Partei Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergeben hatten. Gegen die Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln haben betroffene Landesverbände der Republikaner und der Bundesvorstand rechtliche Schritte eingeleitet. Endgültige gerichtliche Entscheidungen stehen noch aus. Im Berichtszeitraum wurden vom ThLfV Informationen über "Die Republikaner" gesammelt, um festzustellen, ob konkrete Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Bestrebung beim Landesverband dieser Partei in Thüringen vorliegen. Bisher sind folgende Erkenntnisse und Informationen über die Aktivitäten der Aktivitäten Republikaner in Thüringen registriert worden: in Thüringen - Landesparteitag der REP mit Wahl des Landesvorstandes am 04. 04. 1992 in Eisenach. Eine Landesgeschäftsstelle soll in Eisenach eröffnet werden. - Informationsveranstaltung der REP am 24. 04. 1992 in Kolba/Lkr. Pößneck. - Veranstaltung der REP am 07. 08. 1992 in Ziegenrück/Saalfeld Thema: "Was wird aus Deutschland". Veranstalter It. Einladung: Kreisverband Pößneck - Veranstaltung der REP am 05. 09. 1992 in Stockhausen/Lkr. Eisenach mit dem Ziel, eine Ortsbzw. Kreisgruppe zu gründen. 47 4. Ausländerextremismus Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen v o n Ausländern In Deutschland leben etwa 5-6 Millionen ausländische Mitbürger, davon in Thüringen ca. 30 000. Unter ihnen sind vergleichsweise wenige - in der Bundesrepublik schätzungsweise 40000 über 16 Jahre - , die in extremistischen oder extremistisch beeinflußten Vereinigungen organisiert sind. Eine nicht unerhebliche Zahl von ausländischen - vor allem arabischen - Terrororganisationen kann auf diese Anhänger und deren organisatorische und logistische Strukturen im Bundesgebiet zurückgreifen. Die Aktivitäten der "Palästinensischen Befreiungsorganisation" (PLO) auf deutschem Boden sind hierfür ein beredtes Beispiel. Extremistische und Terrororganisationen von Ausländern werden von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet, um festzustellen, ob ihre Aktivitäten die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder deren auswärtige Belange gefährden. In Thüringen sind bisher einschlägige Erkenntnisse über solche sicherheitsgefährdenden Bestrebungen nicht angefallen. 48 5. Übersicht in Z a h l e n 5.1. Linksextremismus 1992 Bund Thüringen Mitgliedschaften in linksextremistischen Kernorganisationen 21500 * davon - DKP 7000 * -MLPD 1700 * Nebenorganisationen 700 * Autonome/Anarchisten 6800 100 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 28 500 * * - nicht bekannt 5.2. Rechtsextremismus 1992 Bund Thüringen Mitgliedschaften in rechtsextremistischen Parteien, Organisationen und sonstigen Zusammenschlüssen 43100 250 davon - DVU 26000 30 -NPD 5000 140 -DNP 50 50 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 41900 * Überwiegend militante Neonationalsozialisten einschließlich militanter Skinheads 6400 davon - West 2600 -Ost 3800 150 Skinheads - insgesamt 6 0 0 0 - *8000 300 * - nicht bekannt 49 5.3. Ausländerextremismus 1992 Bund Thüringen Mitgliedschaften bei in Deutschland aktiven bzw. erheblich extremistisch beeinflußten Ausländervereinigungen 39 800 * Ausländer in der Bundesrepublik - insgesamt 5-6 Mill. 30000 davon Asylbewerber * 18 000 * - nicht bekannt 5.4. Gewalttaten Im Jahre 1992 hat sich in der Bundesrepublik Deutschland eine besorgniserregende Zunahme von Gewalttaten (2 584) ereignet. Sie haben sich vornehmlich gegen Fremde gerichtet. Ihre Opfer waren größtenteils Ausländer (2 283), insbesondere Asylbewerber. Die Gewalttaten sind um ca. 74% gegenüber dem Vorjahr, auf die vergangenen 10 Jahre betrachtet, um das fast 22fache gestiegen. Da die Täter bisher nur zum Teil gefaßt und gerichtlich verurteilt werden konnten, läßt sich eine sichere Aussage, in welchem Ausmaße die Taten insgesamt auf politischen Motivationen beruhen, nicht treffen. Die Beobachtungstätigkeit des Verfassungsschutzes ist darauf gerichtet, nach Hinweisen zu suchen, ob bei begangenen Taten eine verfassungsfeindliche politische Motivation zu Grunde lag, und ob sich bei den vom Verfassungsschutz beobachteten politischen Zusammenschlüssen Anhaltspunkte für zukünftig geplante Straftaten feststellen lassen. In beiden Beziehungen leistet der Verfassungsschutz Unterstützungsarbeit für die Polizei und für die Institutionen der gerichtlichen Strafverfolgung, ohne aber selbst einen Auftrag zur Strafverfolgung zu besitzen. Aus dem Nachrichtenaufkommen der Sicherheitsbehörden ergibt sich die Erkenntnis, daß es aktuell neben den Straftaten, die der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden können, auch eine ernstzunehmende Bedrohung der Sicherheit durch linksextremistische Gruppierungen gibt, welche die gewaltsame Auseinandersetzung mit ihren politischen Gegnern suchen. Die Gefahr des Anwachsens der gegenseitigen Gewalt zwischen "rechten" und "linken" Extremisten verdient ebenfalls Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern bleibt für das Land Thüringen festzustellen, daß sich die extremistisch motivierten Gewalttaten 1992 in Grenzen hielten. Thüringen rangiert mit insgesamt 80 Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischem Hintergrund und 32 Gewalttaten im linksextremistischem Bereich fast am Ende der Skala aller Bundesländer. 5.4.1. Linksextremistische Gewalttaten 1992 Bund Thüringen Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender linksextremistischer Motivation 972 32 davon Tote durch linksextremistisch motivierte Gewalttäter 1 - vermutlich linksextremistisch motivierte Gewalttaten 389 14 gegen rechts 5.4.2. Rechtsextremistische Gewalttaten 1992 Bund Thüringen Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation 2584 80 davon Tote durch rechtsextremistisch motivierte Gewalttäter 17 - vermutlich rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten gegen links 94 15 5.4.3. Gewalttaten von Ausländern 1992 Bund Thüringen insgesamt (1991 = 142) 213 davon schwere Gewalttaten (1991 =29) 53 davon Tote 4 Sprengstoffanschläge 2 Brandanschläge 47 und Sachbeschädigungen mit erheblicher Gewaltanwendung 60 Anmerkung Alle Vorfälle ereigneten sich in den alten Bundesländern. IV. SPIONAGE-/SABOTAGEABWEHR, VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG 1. Spionage-/Sabotageabwehr 1.1. Allgemeiner Überblick Die Spionageund Sabotageabwehr hat sich auch in Thüringen an den veränderten politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Gegebenheiten in Osteuropa orientiert. Anders als in der Vergangenheit, in der die politische Spionage einen sehr hohen Stellenwert einnahm, liegt der Schwerpunkt der Spionagetätigkeit nunmehr auf dem Gebiet der wirtschaftlichen, technologischen und wissenschaftlichen Spionage. Ob vor dem derzeitigen politischen Hintergrund die Spionageaktivitäten insgesamt abnehmen werden, bedarf eines längeren Zeitraums der Beobachtung. Bereits jetzt kann allerdings festgestellt werden, daß der politische Umbruch des Ostblocks nicht zugleich das Ende fremder geheimdienstlicher Agententätigkeit bedeutet. Die Arbeit der Spionageabwehr der Bundesrepublik Deutschland ist mit dem Ende der "Ost-West-Auseinandersetzungen" weiter unerläßlich. Im Jahre 1992 leitete der Generalbundesanwalt 1 737 Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit ein und beauftragte das Bundeskriminalamt in 604 Fällen mit den Ermittlungen. Bundesweit erfolgten 56 Festnahmen (in Thüringen 2, Thüringer Bürger waren nicht betroffen), darunter 44 Haftbefehle. Hier ist eine Zunahme zu verzeichnen. Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, daß viele inoffizielle Mitarbeiter (IM) des MfS der ehemaligen DDR in den alten Bundesländern durch die Auswertung der "GAUCK"-Akten ermittelt werden konnten. 38 der 44 Haftbefehle betrafen Personen eines ehemaligen DDR-Geheimdienstes. Bei 930 eingeleiteten Strafverfahren wurden 51 Personen wegen Spionagetätigkeit angeklagt. 22 Personen wurden rechtskräftig verurteilt. In 3 Fällen erfolgte die Verurteilung wegen Landesverrats, in 5 Fällen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit in einem besonders schweren Fall. 52 1.2. Geheimdienste der ehemaligen DDR Priorität verdient zur Zeit die Aufarbeitung der Aktivitäten der Geheimdienste der ehemaligen DDR. Soweit deren frühere Agenten in der Bundesrepublik Deutschland bisher noch nicht enttarnt sind, besteht die Gefahr, daß sie von anderen fremden Geheimdiensten weiter eingesetzt werden. Darüber hinaus besteht aufgrund konkreter Fälle Anlaß zur Sorge, daß ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der DDR-Dienste für eine Spionagetätigkeit zu Gunsten der ehemaligen "sozialistischen Bruderländer" genutzt werden. Deshalb erscheint es erforderlich, die Erkenntnisse über die Strukturen der ehemaligen DDR-Dienste aufzuarbeiten und zu analysieren, um den sich daraus ergebenden Gefahren für die Sicherheit unseres Landes begegnen zu können. 1.2.1. Aufklärungsdienste der ehemaligen DDR Der größte Anteil der Spionage-Aktivitäten der ehemaligen DDR gegen die Hauptverwaltung Bundesrepublik Deutschland ging von der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) Aufklärung Die HVA, als Bestandteil des MfS, verfügte in ihrer Zentrale in Berlin-Ost über einen Mitarbeiterstab von ca. 4300 Personen. In den jeweiligen Abteilungen XV der ehemaligen 15 Bezirksverwaltungen waren je nach Größe 75 bis 150 hauptamtliche Mitarbeiter tätig. Die HVA war in ihrer Zentrale in verschiedene Abteilungen gegliedert. Als wichtigste Aufklärungsabteilungen sind zu nennen: Abteilung I (Staatsapparat der Bundesrepublik Deutschland) Abteilung II (Parteien und gesellschaftliche Organisationen) Abteilung IV (Militärstrategische Aufklärung der BRD) Abteilung IX (Gegenspionage, bundesdeutsche Nachrichtendienste) Abteilung X (aktive Maßnahmen, Desinformation) Sektor Wi ssenschaft und Technik (SWT) (Wirtschaftsspionage) Aber auch vom Abwehrbereich des MfS, dem eigentlichen repressiven SicherAbwehrbereich heitsapparat der ehemaligen DDR, gingen intensive Spionageaktivitäten gegen des MfS die Bundesrepublik Deutschland aus. 53 Besonders hervorzuheben sind: Hauptabteilung (HA) (HA) I (Grenzaufklärung innerhalb eines bestimmten Bereichs der Bundesrepublik Deutschland) HA II (Spionageabwehr) HA III (elektronische Aufklärung im Bundesgebiet) HA VI (Sicherung und Kontrolle der Grenze und des Reiseverkehrs) HA VIII (Observation, Ermittlungen im Bundesgebiet) HA XVIII (Sicherung der Volkswirtschaft) HA XIX (Sicherung des Verkehrswesens) HA XX (Bekämpfung politischer Untergrundtätigkeiten, politische Indoktrination, Fluchtorganisationen, Kirchen, Gewerkschaften, Gesundheitswesen, Sport) HA XXII (Terrorismusabwehr) Verwaltung Die Verwaltung Aufklärung (VA), der militärische Geheimdienst, hatte über Aufklärung 1 000 hauptamtliche und etwa 3000 inoffizielle Mitarbeiter (IM). Sie führte eine erhebliche Anzahl von Agenten im alten Bundesgebiet und verfügte über 2 000 Offi ziere im besonderen Einsatz (OibE). In Thüringen gab es Bezirksverwaltungen des MfS - in Erfurt (3 257 Mitarbeiter) - in Gera (2512 Mitarbeiter) und - in Suhl (1 905 Mitarbeiter) mit insgesamt 32 Kreisdienststellen (siehe nachstehende Skizzen). 1.2.2. Aktivitäten dieser Dienste Über die Aktivitäten aller dieser offensiven Aufklärungseinheiten haben die Verfassungsschutzbehörden zahlreiche Hinweise gewonnen. Die bei den Strafverfolgungsbehörden vorliegenden Erkenntnisse auf frühere Agenten legen Zeugnis über die Intensität der Ausspähungsaktivität dieser Dienste ab. Eine Enttarnung von in der Bundesrepublik Deutschland tätig gewesenen Agenten war u. a. durch Befragungen von ehemaligen Mitarbeitern aus diesen Bereichen möglich. Insgesamt sind die Verfassungsschutzbehörden über 2 000 Spurenhinweisen nachgegangen. Etwa die Hälfte davon konnte an die Strafverfolgungsbehörden zwecks weiterer Maßnahmen abgegeben werden. In einer Reihe von Fällen wurde eine Werbung durch die Nachfolgeorganisationen des ehemaligen sowjetischen KGB und der GRU festgestellt. 54 Kreisdienststellen der Bezirksverwaltung Erfurt Thürin an ^A -----"**" ^^-Heiligenstadt - iNoranaussn Sondershausen Mühlhausen Sömmerda Eisenach Weimar Langensalza Gotha Arnstadt 55 T" Kreisdienststellen der Bezirksverwaltung Gera Jena Eisenberg Stadtroda Vrhüringen^ Gera Greiz Rudolstadt / / Zeulenroda Saalfeld / Pößneck i ' 1 1 Lobenstein Schleiz 56 Kreisdienststellen der Bezirksverwaltung Suhl Bad Salzungen Schmalkalden Suhl lllmenau Meiningen 57 1.3. Geheimdienste auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR Die Föderative Republik Rußland entfaltete starke Aktivität bei der Übernahme, Veränderung und Neuordnung der sowjetischen Hinterlassenschaft im Bereich der Geheimdienste. Es wurde versucht, die russische Auslandsaufklärung und die Staatssicherheit auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Am 07. 07. 1992 wurden das Gesetz der russischen Föderation über die Auslandsaufklärung sowie das Gesetz über die föderalen Staatssicherheitsorgane verabschiedet. Danach arbeitet der gesamte Aufklärungsapparat heute als russischer ziviler Inlandsdienst (MBR) und als ziviler Auslandsdienst (SWR) mit gleichen Einrichtungen und annähernd gleichem Personal, aber mehr von eigenen nationalen Interessen geprägten Zielen, weiter. Hinzu gekommen ist ein neuer Geheimdienst für Fernmeldeund elektronische Aufklärung, die sog. "Agentur", Föderative Agentur für Regierungsverbindung und Information. 1.3.1. Aufklärungstätigkeiten Die russischen Dienste, vor allem der SWR, betreiben nach wie vor gezielt Informationsbeschaffung in den Aufklärungsbereichen Innen-, Außenund Sicherheitspolitik. Das besondere Interesse gilt den Parteien, dem politischen Kräfteverhältnis sowie der Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland. In den neuen Bundesländern interessieren sich die russischen Geheimdienste insbesondere für den Behärdenaufbau im Sicherheitsbereich, wie z. B. in Innenministerien, der Polizei und den Verfassungsschutzbehörden. Dabei nutzt die zivile russische Auslandsaufklärung auch alte MfS-Strukturen in den neuen Bundesländern. Mit dem neugeschaffenen ND "Agentur" bekundet die Russische Föderation ihr besonderes Interesse an Funk-, Fernmeldeund elektronischer Auslandsaufklärung sowie an der Fernmeldesicherheit eigener Nachrichtenverbindungen. Frühere Agentennetze des KGB werden ebenfalls weiter genutzt. 1.3.2. Der ehemalige militärische Dienst der Sowjetunion Anders als das KGB war der militärische Dienst GRU von einer Umstrukturierung nicht betroffen. Zwischenzeitlich steht fest, daß die GRU vollständig vom russischen Verteidigungsministerium übernommen wurde und damit der Befehlsgewalt der Russischen Föderation untersteht. 58 Seine Interessen liegen u. a. im Bereich der ausländischen Rüstungsindustrie, der Beobachtung von Abrüstungsvereinbarungen, Aufklärung militärischer Einrichtungen als auch in einer Zunahme der Beschaffung von Erkenntnissen aus der Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, ähnlich des SWR. 1.3.3. Die Nachfolgedienste des KGB in den anderen Republiken der ehemaligen Sowjetunion Nach Gewinn ihrer Unabhängigkeit begannen die Republiken der ehemaligen Sowjetunion mit der Gründung regionaler Geheimdienste. Inzwischen verfügen sie alle über eigene Sicherheitsdienste oder Ministerien für Nationale Sicherheit, die im wesentlichen auf den Strukturen des ehemaligen KGB in diesen Republiken aufgebaut wurden. Vor allem die Ukraine hat große Anstrengungen beim Aufbau des eigenen Sicherheitsdienstes unternommen. Auch dieser Dienst wurde im März 1 992 auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und in entsprechende Abteilungen aufgegliedert. 1.4. Geheimdienste des ehemaligen Warschauer Paktes Im Gegensatz zu den Staaten der ehemaligen Sowjetunion haben zumindest die frühere CSFR und Ungarn erklärt, daß sie künftig gegen die Bundesrepublik Deutschland keine Aufklärungsaktivitäten durchführen werden. Etwas anderes dürfte für Polen, Rumänien und Bulgarien gelten. Hier ist bekannt, daß ihre Aufklärungsaktivitäten sich vor allem im militärischen und wirtschaftlichen Bereich fortsetzen werden. Insgesamt ist festzustellen, daß die voranschreitende Demokratisierung in den Ländern des früheren Ostblocks und deren neue Politik, die auf Verständigung und Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten ausgerichtet ist, nicht automatisch ein Nachlassen der Spionageaktivitäten bedeutet. Im Vordergrund steht die Wahrnehmung wirtschaftlicher Interessen durch illegalen Technologietransfer (Industriespionage und Beschaffung von Technologie). 1.5. Geheimdienste des Nahen und Mittleren Ostens Zunehmende Aktualität erhalten durch Proliferationsbestrebungen die Geheimdienste des Nahen und Mittleren Ostens wie Iran, Irak, Libyen und Syrien. 59 Festzustellen ist, daß die illegale Informationsbeschaffung häufig von Mitarbeitern der Legalresidenturen dieser Länder in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt wird, die Angehörige eines Nachrichtendienstes sind. Zusätzlich werden in der Bundesrepublik Deutschland lebende oppositionelle Emigranten überwacht und bespitzelt. 1.6. Vergangenheitsbewältigung Im Gegensatz zur Tätigkeit der Aufklärungsdienste der ehemaligen DDR sind die Aktivitäten des "Abwehrbereichs" des MfS durch die Akten der "GAUCKBehörde" belegbar. Diesen Unterlagen und den Aussagen ehemaliger MfSOffiziere ist zu entnehmen, daß dieser Apparat der nahezu totalen Überwachung der Bürger der DDR diente. Ihm gehörten ca. 100000 hauptamtliche Mitarbeiter an, die in der Zentrale in Berlin und in den nachgeordneten 15 Bezirksverwaltungen und 260 Kreisund Objektdienststellen eingesetzt waren. Nach verläßlichen Angaben arbeiteten zusätzlich 109000 inoffizielle Mitarbeiter (IM) innerhalb der DDR für das MfS. Es kann sein, daß die tatsächliche Zahl noch höher lag. Für die Mitarbeiter dieses Apparates und deren Helfer gab es keinen öffentlichen oder privaten Bereich, dessen man sich nicht annahm. Die Aufarbeitung "dieser Vergangenheit" gehört nicht zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes in den alten Ländern. Für die neuen Länder gilt, daß ehemalige Strukturen dann aufgearbeitet werden müssen, wenn festgestellt wird, daß es sich hierbei um frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR handelt. Gerade auf diesem Feld liegen zahlreiche Hinweise und Eingaben von Bürgern vor. In der Mehrzahl der Fälle wird auf vermutete, frühere hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter (IM) dieser Dienste sowie auf angeblich noch bestehende oder neu begründete "Seilschaften" aufmerksam gemacht. In der Regel sind diese Angaben jedoch nicht geeignet, den Tatbestand der "fortwirkenden Strukturen" der ehemaligen DDR-Geheimdienste zu begründen. Es konnte festgestellt werden, daß nach der Wende sich frühere Mitarbeiter der ehemaligen DDR-Dienste zur Durchsetzung ihrer sozialen Forderungen und wirtschaftlichen Belange zusammengeschlossen haben. 60 In der Öffentlichkeit wurden bekannt, - die "Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung der DDR" (ISOR). Diese Organisation wurde im Juni 1991 gegründet. Die Zahl ihrer Mitglieder dürfte in den neuen Bundesländern bei etwa 10000 liegen. Die Gemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, die Mitglieder bei der Rechtshilfe zu unterstützen und bei Rentenfragen zu beraten. Gegen das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) hat sie Verfassungsbeschwerde erhoben. Gliederungen bestehen in allen neuen Ländern, so auch in Thüringen. - das "Insiderkomitee zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS". Gegründet wurde dieses Komitee Mitte März 1992 von ehemaligen Mitarbeitern des MfS. Ziel der Initiatoren ist es, die Geschichte des MfS aufzuarbeiten und "entschlossen gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen, Pauschalierungen oder Verleumdungen" anzugehen. Für die Existenz der zuweilen in Presseorganen genannten "Organisation der Offiziere des Ministeriums" (ODOM) gibt es keine konkreten Anhaltspunkte. 61 V. VERFASSUNGSSCHUTZ DURCH AUFKLÄRUNG Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Innenministeriums Aufgaben Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes wird im Thüringer Innenministerium durch das für den Verfassungsschutz zuständige Fachaufsichtsreferat wahrgenommen. Im Rahmen der durch die Innenministerkonferenz des Bundes und der Länder beschlossenen Konzeption "Verfassungsschutz durch Aufklärung" wurden für die Öffentlichkeitsarbeit zwei Aufgabenbereiche vorgegeben: - Aufklärung über gesetzliche Grundlagen, Aufgaben, Organisation, Arbeitsweise und Kontrolle des Verfassungsschutzes - Information über Art und Umfang extremistischer verfassungsfeindlicher und sicherheitsgefährdender Bestrebungen mit dem Ziel, die geistig-politische Auseinandersetzung mit diesem Phänomen zu fördern. Verfassungsschutz ist Demokratie Dieses Thema wurde im Jahre 1992 vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der absoluten Machtfülle des ehemaligen MfS in Vorträgen, Gesprächen und Diskussionen behandelt. Insbesondere bestand bei den Bürgern Erläuterungsbedarf über - die Befugnisse des Verfassungsschutzes im Gegensatz zum MfS, - die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Polizei und Verfassungsschutz, - die Sicherheitslage im Bereich des Extremismus und - die Erkenntnisse über frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der ehemaligen Geheimdienste der DDR. Dafür wurden verschiedene Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit genutzt. Über 25000 Broschüren wurden in Infotheken, auf Ausstellungen oder mittels Rundschreiben in Thüringen verteilt. Bei 81 Vorträgen und fünf Tagesseminaren konnten etwa 3 500 interessierten Personen die o. a. Themen dargelegt werden. Die Ausstellung "Verfassungsschutz im demokratischen Rechtsstaat" des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist 1 992 in Thüringen in Jena, Gera, Weimar, Suhl und Eisenach gezeigt worden. Das Interesse an dieser Ausstellung war sehr groß. Dies ist belegbar durch die etwa 5500 Besucher, die sich für diese Ausstellung interessierten. 62 Keine Gewalt - Gegen Extremismus und Fremdenfeindlichkeit Zu diesem Thema sind für das Jahr 1993 weitere Veranstaltungen an Schulen, bei politischen Parteien und ihren Jugendorganisationen, bei Trägern öffentlicher Einrichtungen und sonstigen Institutionen, die zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen, geplant. Zu Vorträgen und Diskussionen zu diesem und anderen interessierenden Themen können Referenten zur Verfügung gestellt werden. Interessenten wenden sich bitte an folgende Adresse: Thüringer Innenministerium Referat 25 Schillerstraße 27 99096 Erfurt 63 Thüringer Verfassungsschutzgesetz (ThürVSG) Vom 29. Oktober 1991 GVBl. 24 1991 S. 527 Inhaltsübersicht Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 1 Organisation des Verfassungsschutzes SS 2 Aufgaben SS 3 Bedienstete SS 4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 5 Allgemeine Befugnisse SS 6 Nachrichtendienstliche Mittel SS 7 Erhebung personenbezogener Daten Zweiter Abschnitt Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS 8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS 9 Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten SS 10 Errichtungsanordnung SS 11 Auskunft an den Betroffenen Dritter Abschnitt Ubermittlungsvorschriften SS 12 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen SS 13 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 14 Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 15 Übermittlungsverbote SS 16 Unterrichtung der Öffentlichkeit SS 17 Nachberichtspflicht Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 18 Parlamentarische Kontrollkommission SS 19 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission Fünfter Abschnitt Schlußvorschrift SS 20 Inkrafttreten 64 Der Thüringer Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS 1 Organisation des Verfassungsschutzes (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht als obere Landesbehörde unmittelbar dem Innenministerium. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Thüringen nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. SS 2 Aufgaben (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist es, den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben beobachtet das Landesamt für Verfasssungsschutz 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben; 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht; 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden; 4. frühere, fortwirkende unbekannte Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Das Landesamt für Verfassungsschutz sammelt zu diesem Zweck Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über solche Bestrebungen oder Tätigkeiten und wertet sie aus. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. (2) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichfete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 65 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluß handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut im Sinne des SS 1 Abs. 1 Satz 1 erheblich zu beschädigen. (3) Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; 6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt auf Ersuchen der öffentlichen Stellen mit: 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können; 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen; 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. 66 (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt, entsprechend den Rechtsvorschriften, auf Anfrage von Behörden, denen die Einstellung von Bewerbern in den öffentlichen Dienst obliegt, Auskunft aus vorhandenen Unterlagen über Erkenntnisse nach Absatz 1. Die Auskunft ist auf solche gerichtsverwertbaren Tatsachen zu beschränken, die Zweifel daran begründen können, daß der Bewerber jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten wird. SS 3 Bedienstete (1) Die Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit für das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für Nationale Sicherheit der DDR überprüft und für das die Behörde des Sonderbeauftragten beim Bundesminister des Innern für den Umgang mit den Akten des MfS/AfNS einbezogen wird. (2) Ehemalige hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des MfS/AfNS, Personen mit Offiz iersrang der ehemaligen bewaffneten Organe der DDR und ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der SED dürfen mit Aufgaben des Verfassungsschutzes grundsätzlich nicht befaßt werden. SS 4 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenigen zu treffen, die den einzelnen voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, daß er nicht erreicht werden kann. SS 5 Allgemeine Befugnisse (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen, einschließlich personenbezogener Daten, auch ohne Kenntnis der betroffenen Gruppierung oder Person nach pflichtgemäßem Ermessen erheben und in Akten und Dateien verarbeiten und nutzen, namentlich speichern, übermitteln, verändern, löschen und abgleichen, soweit nicht besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. (2) In die Überprüfung nach SS 2 Abs. 4 Nr. 1 und 2 können der Ehegatte, der Verlobte oder die Person, die mit dem zu Überprüfenden in eheähnlicher Gemeinschaft lebt, einbezogen werden. Die Überprüfung ist nur mit Zustimmung des zu Überprüfenden sowie der gegebenenfalls miteinzubeziehenden Person zulässig, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. 67 (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS 6 Nachrichtendienstliche Mittel (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnung und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, Informationen verdeckt erheben. (2) Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer vom Innenministerium zu erlassenen Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden. (3) Die Behörd en des Landes sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. SS 7 Erhebung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit nachrichtendienstlichen Mitteln gemäß SS 6 Abs. 1 erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen gewonnen werden kann. SS 4 findet im übrigen Anwendung. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerläßlich ist und geeignete polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1 gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen. (3) Bei Erhebungen nach Absatz 2 und solchen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses 68 gleichkommen, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören, ist: 1. der Eingriff nach seiner Beendigung dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann und 2. die Parlamentarische Kontrollkommission unverzüglich zu unterrichten. Einer Mitteilung gemäß Nummer 1 bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren noch nicht eingetreten ist. Die durch solche Maßnahmen erhobenen Informationen dürfen nur nach SS 7 Abs. 3 des Bundesgesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses verwendet werden. (4) In den Fällen des Absatzes 1, Nr. 1 und 2 dürfen nachrichtendienstliche Mittel gegen Unbeteiligte nicht gezielt angewandt werden. (5) Die Erhebung nach Absatz I und 2 ist in den Fällen des SS 2 Abs. 4 unzulässig. Zweiler Abschnitt Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS 8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen, wenn: 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 erforderlich ist oder 3. Aufgaben nach SS 2 Abs. 4 zu erfüllen sind, soweit nicht besondere Bestimmungen gelten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Daten über Minderjährige, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet haben in zu ihrer Person geführten Akten nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Minderjährige eine der im Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien ist eine Speicherung von Daten Minderjähriger, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unzulässig. (3) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 2 Abs. 4 dürfen in automatisierten Dateien personenbezogene Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. (4) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderliche Maß zu beschränken. 69 SS 9 Berichtigung und Löschung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, ist dies zu vermerken. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ist oder ihre Kenntnis für die Erfüllung seiner gesetzlichen Aufgaben nicht mehr erforderlich ist. Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, sind unter diesen Voraussetzungen zu vernichten. Die Löschung oder Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, daß dadurch schutzwürdige Belange des Betroffenen beeinträchtigt würden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgelegten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 sind spätestens 10 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall die Entscheidung, daß sie weiter gespeichert bleiben. Soweit Daten automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den Ablauf der Fristen nach Satz 1 und 2 hinzuweisen. (4) Personenbezogene Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, daß nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 angefallen sind. (5) Personenbezogene Daten, die zu löschen sind, dürfen nicht zum Nachteil des Betroffenen verarbeitet werden. SS 10 Errichtungsanordnung (1) Für jede automatisierte Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet werden, ist in einer Errichtungsanordnung, die der Zustimmung des Innenministeriums bedarf, festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Art der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokoll lerung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlaß der Errichtungsanordnung anzuhören. Wesentliche Änderungen sind ihm nach Erlaß mitzuteilen. 70 (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. SS 11 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über die zu seiner Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit er ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit: 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist; 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist; 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, daß er sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das Innenministerium im Einzelfall feststellt, daß dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten für den Datenschutz an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 12 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich ihrer Register, Gebietskörperschaften und andere der staatlichen Aufsicht unterstehenden juristischen Personen des 71 öffentlichen Rechts sowie sonstige öffentliche Stellen des Landes haben von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen zu übermitteln, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung der Informationen, insbesondere über Tatbestände, die in SS 100 a Strafprozeßordnung und in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz aufgeführt sind, für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nach SS 2 Abs. 1 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für seine Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. (3) Gesetzliche Übermittlungsverbote bleiben unberührt. SS 13 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Die in SS 12 Abs. 1 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 oder 4 oder entsprechender Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes erforderlich ist. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (2) Das Landesamt für Verfassungschutz darf Akten und amtlich geführte Dateien und Register anderer öffentlicher Stellen unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 einsehen, wenn die Übermittlung von Informationen aus den Akten, Dateien oder Registern im Wege der Mitteilung durch die ersuchte Behörde den Zweck der Maßnahme gefährden oder das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann von den Behörden des Landes und den sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen Stellen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. (4) SS 12 Abs. 2 und 3 gilt entsprechend. 72 SS 14 Informationsübermittlung durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, an andere Behörden und öffentliche Stellen personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1, 4 und 5 übermitteln. Zu anderen Zwecken darf es, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, personenbezogene Daten nur übermitteln an: 1. den Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben erforderlich ist; 2. Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung erforderlich ist: a) zur Verhütung oder Verfolgung der in SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Tatverdächtigen oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst, b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind; b) zur Verfolgung der in SS 100a Strafprozeßordnung genannten Straftaten oder sonstiger Straftaten im Rahmen der organisierten Kriminalität; 3. Polizeibehörden, soweit sie gefahrenabwehrend tätig sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß dies zu ihrer Aufgabenerfüllung erforderlich ist und die Übermittlung der Abwehr einer im Einzelfall bestehenden erheblichen Gefahr oder zur vorbeugenden Bekämpfung der in Nummer 2 genannten Straftaten sowie von Verbrechen, für deren Vorbereitung konkrete Hinweise vorliegen, dient; 4. andere Behörden und öffentliche Stellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist und der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. (2) Die Empfängerbehörde hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für ihre Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Sie darf die personenbezogenen Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck nutzen, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Grundgesetzes sowie an überoder zwischenstaatliche öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland entgegenstehen. Sie ist nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig und aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, daß er die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 73 (4) Personenbezogene Daten dürfen an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereiches nicht übermittelt werden, es sei denn, daß dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und das Innenministerium im Einzelfall die Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt für Verfassungschutz führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, vor unberechtigtem Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkungen und darauf hinzuweisen, daß das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (5) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist eine Übermittlung personenbezogener Daten durch Abruf im automatisierten Verfahren unzulässig. SS 15 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils hat zu unterbleiben, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, daß unter Berücksichtigung der Art der personenbezogenen Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern. SS 16 Unterrichtung der Öffentlichkeit Das Innenministerium unterrichtet die Öffentlichkeit einmal im Jahr über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1. Dabei dürfen der Öffentlichkeit personenbezogene Daten bekanntgegeben werden, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an der Unterrichtung das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegt. SS 17 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn dies zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Die Unterrichtung kann unterbleiben, wenn sie einen erheblichen Aufwand erfordern würde und nachteilige Folgen für den Betroffenen nicht zu befürchten sind. 74 Vierler Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 18 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeübt. Die Rechte des Landtags und seiner Ausschüsse und der Kommission aufgrund des Landesgesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 29. Oktober 1991 bleiben unberührt. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte mit der Mehrheit seiner Mitglieder (nach d'Hondt) gewählt werden. Die Kontrollkommission wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekanntgeworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtags so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. SS 19 Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission mindestens viermal im Jahr umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Sie berichtet zu konkreten Themen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies wünscht. (2) Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes des Nachrichtenzuganges und unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung und Aufgabenerfüllung im Landesamt für Verfassungsschutz durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. 75 (3) Jedes Mitglied kann den Zusammentritt und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. (4) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann beschließen, daß ihr Akteneinsicht zu gewähren ist. Die Landesregierung entscheidet über die Akteneinsicht im Rahmen ihrer politischen Verantwortung, insbesondere unter Berücksichtigung des notwendigen Quellenschutzes. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichtet unter Beachtung der Geheimhaltungspflichten den Landtag alle zwei Jahre über ihre Tätigkeit. Fünfter Abschnitt Schlußvorschrift SS 20 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. Erfurt, den 29. Oktober 1991 Der Präsident des Landtags Dr. Müller 76 IMPRESSUM Herausgeber: Thüringer Innenministerium Schillerstraße 27 99096 Erfurt Telefon 0 3 6 1 / 3 98-0 Herstellung: Q Gutenberg Druckerei GmbH Weimar Eine Informationsschrift aus dem: Diese Broschüre haben wir - der Umwelt zuliebe - auf chlorfrei gebleichtem Papier drucken lassen.