Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport Verfassungsschutzbericht 2024 Schleswig-Holstein Impressum Herausgeber: Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein Düsternbrooker Weg 92 24105 Kiel Mai 2025 Der Verfassungsschutzbericht 2024 ist auch über das Internet abrufbar unter: www.schleswig-holstein.de/DE/Themen/V/verfassungsschutz.html Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern und Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwandt werden. Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis VIII Vorwort XIV I Überblick 3 1 Überblick: Rechtsextremistische Bestrebungen 3 2 Überblick: Islamismus und islamistischer Terrorismus 5 3 Überblick: Linksextremistische Bestrebungen 7 4 Überblick: Extremismus mit Auslandsbezug 11 5 Überblick: Reichsbürger und Selbstverwalter 12 6 Überblick: Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 13 II Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 17 1 Allgemeines 17 1.1 Definition 17 1.2 Phänomenbereiche der PMK 18 2 Kernaussagen 19 3 Entwicklung der PMK in Schleswig-Holstein 21 3.1 Entwicklung der PMK von 2019 - 2024 21 3.2 Entwicklung der PMK in den Phänomenbereichen 22 3.3 Entwicklung der PMK-Gewalt in den Phänomenbereichen 22 3.4 Entwicklung der PMK in den Kreisen und kreisfreien Städten 23 3.5 Entwicklung der PMK-Gewalt in den Kreisen und kreisfreien Städten 24 4 Phänomenbereiche der PMK 25 4.1 Entwicklung der PMK -rechts25 4.2 Delikte der PMK -rechts26 4.3 Entwicklung der PMK -links29 4.4 Delikte der PMK -links30 4.5 Entwicklung der PMK -ausländische Ideologie34 4.6 Delikte der PMK -ausländische Ideologie35 Seite I 4.7 Entwicklung der PMK -religiöse Ideologie36 4.8 Delikte der PMK -religiöse Ideologie37 4.9 Entwicklung der PMK -sonstige Zuordnung39 4.10 Delikte der PMK -sonstige Zuordnung40 5 Phänomenübergreifende PMK 43 5.1 Straftaten gegen Amtsund Mandatsträger/-innen 43 5.2 Antisemitische Straftaten 45 5.3 Reichsbürger / Selbstverwalter 47 5.4 Spionage/Sabotage 49 5.5 Russland-Ukraine-Konflikt 50 5.6 Hamas-Israel-Konflikt 51 5.7 Sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Identität 53 5.8 Hasskriminalität 54 5.9 Hasspostings 55 5.10 Internet 56 5.11 Frauenfeindlichkeit 57 III Rechtsextremistische Bestrebungen 61 1 Rechtsextremistische Parteien 61 1.1 Die Heimat/Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 61 1.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten 61 1.1.2 Ausblick 63 1.2 Junge Nationalisten (JN) Schleswig-Holstein 64 1.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten 64 1.2.2 Ausblick 65 1.3 Weitere rechtsextremistische parteigebundene Strukturen 65 2 Neonazistische Szene 65 2.1 Entwicklungen und Aktivitäten 65 2.2 Ausblick 67 3 Subkulturell geprägte Szene 67 3.1 Entwicklungen und Aktivitäten 68 3.2 Ausblick 68 3.3 Rechtsextremistische Musikszene 69 3.3.1 Entwicklungen und Aktivitäten 69 3.3.2 Ausblick 69 3.4 Kampfsport 70 3.4.1 Entwicklungen und Aktivitäten 70 3.4.2 Ausblick 71 Seite II 4 Neue Rechte 71 4.1 "Tag des Vorfelds" (TdV) 73 4.2 Identitäre Bewegung Schleswig-Holstein (IBSH) / Nordfeuer 74 4.2.1 Entwicklung und Aktivitäten 74 4.2.2 Ausblick 75 5 Rechtsextremistische Verlage 76 5.1 Entwicklung und Aktivitäten 76 5.2 Ausblick 77 6 Queerfeindlichkeit 77 7 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in Schleswig-Holstein 78 IV Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 83 1 Entwicklung und Aktivitäten 83 2 Ausblick 84 3 Personenpotenzial im Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates 84 V Reichsbürger und Selbstverwalter 89 1 Reichsbürger 89 1.1 Wahlkommission der Königlich Preußischen Provinz Schleswig-Holstein (WKSH) 89 1.1.1 Entwicklung und Aktivitäten 90 1.1.2 Ausblick 90 1.2 Internationale Organisation Völkerrecht (IOV) 91 1.2.1 Entwicklung und Aktivitäten 91 1.2.2 Ausblick 92 2 Selbstverwalter 92 2.1 Königreich Deutschland (KRD) 93 2.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten 93 2.1.2 Ausblick 94 2.2 "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) 94 2.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten 95 2.2.2 Ausblick 96 3 Unstrukturiertes Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter 96 4 Personenpotenzial der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene 96 Seite III VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 101 1 Salafistische Bestrebungen/Salafismus 101 1.1 Entwicklungen und Aktivitäten 102 1.2 Missionierungsarbeit (da'wa) 103 1.3 Ausblick 106 2 Terroristische Organisationen 107 2.1 Der Islamische Staat (IS) 113 2.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten 114 2.1.2 Ausblick 115 2.2 Das al-Qaida-Netzwerk 115 2.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten 116 2.2.2 Ausblick 117 2.3 HAMAS 118 2.3.1 Entwicklungen und Aktivitäten 119 2.3.2 Ausblick 120 2.4 Hizb Allah 121 2.4.1 Entwicklungen und Aktivitäten 122 2.4.2 Ausblick 123 3 Legalistische und sonstige islamistische Organisationen 123 3.1 Die Muslimbruderschaft/Muslimbrüder (MB) 124 3.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten 125 3.1.2 Ausblick 125 3.2 Die Furkan-Gemeinschaft 126 3.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten 127 3.2.2 Ausblick 130 3.3 Die Hizb ut-Tahrir (HuT) und ihr nahestehende Gruppierungen 130 3.3.1 Entwicklungen und Aktivitäten 131 3.3.2 Ausblick 133 3.4 Schiitischer Extremismus/Einfluss des Islamischen Zentrums Hamburg e.V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus 133 3.4.1 Entwicklungen und Aktivitäten 134 3.4.2 Ausblick 135 3.5 Tablighi Jama'at (TJ) 136 3.5.1 Entwicklungen und Aktivitäten 137 3.5.2 Ausblick 137 4 Personenpotenzial im Islamismus/islamistischem Terrorismus 137 Seite IV VII Linksextremistische Bestrebungen 143 1 Organisationen und Gruppierungen 143 1.1 Dogmatischer Linksextremismus 143 1.1.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 143 1.1.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 145 1.2 Undogmatischer Linksextremismus 147 1.2.1 Autonome 148 1.2.2 Postautonome 150 1.3 Rote Hilfe e. V. (RH) 152 2 Linksextremistische Schwerpunkte 154 2.1 Antifaschismus und Antirassismus 154 2.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten 155 2.1.2 Ausblick 158 2.2 Beteiligung im Rahmen der Klimabewegung 158 2.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten 159 2.2.2 Ausblick 160 2.3 Antimilitarismus - "Rheinmetall Entwaffnen"-Camp in Kiel 160 3 Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen 161 VIII Extremismus mit Auslandsbezug 165 1 Organisationen 165 1.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 165 1.1.1 Aktuelle Entwicklungen 166 1.1.2 Ausblick 168 1.2 Türkischer Linksextremismus, insbesondere Marxistische Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 169 1.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten 170 1.2.2 Ausblick 171 1.3 Türkischer Rechtsextremismus/Ülkücü-Bewegung 171 1.3.1 Aktuelle Entwicklungen 172 1.3.2 Ausblick 173 1.4 Säkularer palästinensischer Extremismus 173 1.4.1 Aktuelle Entwicklungen 173 1.4.2 Ausblick 174 2 Entwicklungen und Aktivitäten im Berichtsjahr 174 2.1 Aktivitäten der PKK 174 2.1.1 Finanzierung PKK-naher Organisationen 175 2.1.2 Reaktionen auf Ereignisse in der Türkei 176 2.1.3 Wirken der PKK in die deutsche Öffentlichkeit, Rekrutierung 178 Seite V 2.2 Aktivitäten der Ülkücü-Bewegung 180 2.3 Aktivitäten der MLKP 181 2.4 Reaktionen aus dem säkularen auslandsbezogenen Extremismus auf internationale Konflikte 181 3 Mitgliederentwicklung 183 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr 187 1 Überblick 187 2 Spionageabwehr 189 2.1 Drohnenüberflüge über dem Truppenübungsplatz Putlos 191 2.2 Drohnenüberflüge über dem ChemCoast Park in Brunsbüttel 192 3 Proliferationsbekämpfung 192 3.1 Gastwissenschaftler 193 3.2 Grundlagenforschung 195 4 Wirtschaftsschutz und Wirtschaftsspionage 195 4.1 Überregionale Wirtschaftsschutzkonferenz in Bremen durchgeführt 197 4.2 Rheinmetall Entwaffnen-Camp in Kiel 197 5 Cyberabwehr 198 5.1 Aktivitäten ausländischer Dienste: DDoS-Angriffe 199 5.2 Aktivitäten ausländischer Dienste: Phishing 199 5.3 IT-Worker aus Nordkorea 202 5.4 Abgrenzung Cyberspionage zur Internetkriminalität 202 6 Verfassungsschutz als Ansprechpartner 203 X Hintergrund 207 1 Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein 207 1.1 Der Verfassungsschutz als Früherkennungsund Frühwarnsystem 207 1.2 Gesetzlicher Auftrag und Aufgaben 207 1.3 Organisation des Verfassungsschutzes 211 1.4 Kontrolle des Verfassungsschutzes 211 1.5 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz 213 1.6 Informationsaustausch mit anderen öffentlichen Stellen 214 1.7 Geheimund Sabotageschutz, Zuverlässigkeitsüberprüfungen 215 1.7.1 Sicherheitsüberprüfungen 215 1.7.2 Zuverlässigkeitsüberprüfungen 217 Seite VI 1.8 Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde bei Aufenthaltsund Einbürgerungsverfahren 218 1.9 Kontakt 219 2 Merkmale verfassungsfeindlicher Bestrebungen 219 2.1 Phänomenübergreifende Merkmale verfassungsfeindlicher Bestrebungen 219 2.1.1 Antisemitismus 219 2.1.2 Queerfeindlichkeit 220 2.2 Phänomenbezogene Merkmale des Rechtsextremismus 222 2.3 Phänomenbezogene Merkmale des Islamismus und islamistischem Terrorismus 223 2.4 Phänomenbezogene Merkmale des Linksextremismus 225 2.5 Phänomenbezogene Merkmale extremistischer Bestrebungen mit Auslandsbezug 228 2.6 Phänomenbezogene Merkmale der Reichsbürger und Selbstverwalter 230 2.7 Phänomenbezogene Merkmale der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates 232 XI Liste der im Bericht genannten extremistischen Organisationen 235 1 Rechtsextremistische Organisationen 235 2 Reichsbürger und Selbstverwalter 235 3 Islamistische und islamistisch-terroristische Organisationen 236 4 Linksextremistische Organisationen 237 5 Extremistische Organisationen mit Auslandsbezug (nicht islamistisch) 238 Seite VII Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz ABC-Waffen atomare, biologische und chemische Waffen AC Aryan Circle ADÜTDF Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) AfD Alternative für Deutschland AKP Adalet ve Kalkinma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) AGL Anarchistische Gruppe Lübeck ANF Firatnews Agency (Ajansa Nuceyan a Firate) APT Advanced Persistent Threat AQ al-Qaida ASWN Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland e. V. BAB Bundesautobahn BAFA Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BKA Bundeskriminalamt BMI Bundesministerium des Inneren und für Heimat BRD Bundesrepublik Deutschland BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik bspw. beispielsweise BVerfG Bundesverfassungsgericht bzw. beziehungsweise Ca. circa CD Compact Disc CEM Council of European Muslims COVID-19 Coronavirus-Krankheit-2019 (coronavirus disease 2019) CSC China Scholarship Council DAAD Deutsch Akademischer Austauschdienst Da'wa Missionierung DDoS Distributed Denial of Service d. h. das heißt DiWiSH Digitale Wirtschaft Schleswig-Holstein e.V. DKP Deutsche Kommunistische Partei DKTM Kiel Kurdisches Gemeindezentrum Schleswig-Holstein e. V. (Demokratik Kürt Toplum Merkezi Kiel) DKTM Neumünster Demokratisch Kurdische Gemeinde Zentrum Neumünster e. V. (Demokratik Kürt Toplum Merkezi Neumünster) DMG Deutsche muslimische Gemeinschaft e. V. DMG-B Deutsche muslimische Gemeinschaft Braunschweig e. V. DS Deutsche Stimme DVD Digital Versatile Disc Seite VIII Ebd. Ebenda ECFR European Council for Fatwa and Research EM Einzelmitglieder EM-Qualifikationsspiel Europameisterschaft Qualifikationsspiel EU Europäische Union EUMAM UA European Union Military Assistance Mission Ukraine e. V. eingetragener Verein FAU Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union FED-DEM Föderation Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland e. V. (Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyan le Bakure Alman) ff. fortfolgende G10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses GADMO German-Austrian Digital Media Observatory GBA Generalbundesanwalt GEAS Gemeinsames Europäisches Asylsystem GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GI Generation Islam GmbH Gesellschaft mit beschränkter Haftung GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum HAMAS Harakat al-Muqawama al-Islamiyya (Islamische Widerstandsbewegung) HBDH Vereinte Revolutionäre Bewegung der Völker (Halklarin Birlesik Devrim Hareketi) HIA Hizb-i Islami Afghanistan (Islamische Partei Afghanistan) HPG Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gel) HSK Kurdischer Roter Halbmond (Heyva Sor a Kurdistane) HTS Hai'at Tahrir ash-Sham (Komitee zur Befreiung der Levante) HuT Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung) IB Identitäre Bewegung IBD Identitäre Bewegung Deutschland IBSH Identitäre Bewegung Schleswig-Holstein IGS Islamische Gemeinschaft der Schiitischen Gemeinden Deutschlands e.V. IHK Industrieund Handelskammer IHK SH Industrieund Handelskammer Schleswig-Holstein IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat ISIS Islamischer Staat im Irak und Großsyrien ISPK Islamischer Staat Provinz Khorasan ISPK Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel IT Informationstechnologie Seite IX IVG Indigenes Volk Germaniten IZH Islamisches Zentrum Hamburg JaN Jabhat an-Nusra JN Junge Nationaldemokraten/Junge Nationalisten KaDaRi Kauf das Richtige KCDK-E Demokratischer Gesellschaftskongress der Kurd*innen in Europa (Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li Ewropa) KCK Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (Koma Civaken Kurdistan) Kern-AQ Kern-Al-Qaida KI Künstliche Intelligenz KMU Kleine mittelständische Unternehmen KON-MED Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland KPD Kommunistische Partei Deutschlands KRD Königreich Deutschland KRITIS Kritische Infrastrukturen LVerfSchG Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein MB Muslimbruderschaft/Muslimbrüder MGB Milli Görüs-Bewegung MHP Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi) MLKP Marxistische Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands NATO North Atlantic Treaty Organization Nr. Nummer NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSBS Nationalsozialisten Bad Segeberg o. g. oben genannte OLG Oberlandesgericht PFLP Volksfront für die Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine) PIJ Palästinensischer Islamischer Jihad PKG Parlamentarisches Kontrollgremium PKK Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistane) PKW Personenkraftwagen PLO Palestine Liberation Organization PMK AI politisch motivierte Kriminalität Ausländische Ideologie PMK - links - politisch motivierte Kriminalität - links - PMK - rechts - politisch motivierte Kriminalität - rechtsPMK RI politisch motivierte Kriminalität Religiöse Ideologie PYD Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekitiya Demokrat) RH Rote Hilfe e. V. RI Realität Islam Seite X S. Seite SAV Sozialistische Alternative SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SKB Bund Sozialistischer Frauen (Sosyalist Kadinlar Birligi) StGB Strafgesetzbuch TAK Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen Azadiya Kurdistan) TCS Patriotisch revolutionäre Jugendbewegung (Tevgera Ciwanen Welatparez u Soresger) TdV Tag des Vorfelds TH Türkische Hizbullah THD Tanzim Hurras ad-Din (Organisation der Wächter der Religion) TJ Tablighi Jama'at (Missionierungsgesellschaft) TKKG TurboKlimaKampfGruppe u. a. unter anderem Ummah Gemeinschaft der Muslime vgl. vergleiche VR Vereinsregister VPN Virtual Private Network VS Verschlusssache VStGB Völkerstrafgesetzbuch WHN Wählergemeinschaft Heimat Neumünster WKSH Wahlkommission der Königlich Preußischen Provinz Schleswig-Holstein YÖP Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik) YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) YS Young Struggle YSP Grüne Linkspartei (Yesil Sol Parti) ZAC Zentrale Ansprechstelle Cybercrime z. B. zum Beispiel Ziff. Ziffer ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland Seite XI Seite XII Seite XIII Vorwort Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die internationale Sicherheitslage hat sich auch im vergangenen Jahr dynamisch entwickelt. Insbesondere Foto: Frank Peter die anhaltenden Konflikte in verschiedenen Regionen der Welt, hybride Bedrohungsszenarien sowie der Einfluss globaler Desinformationskampagnen stellen Staaten und Gesellschaften vor große Herausforderungen. Deutschland und auch Schleswig-Holstein sind von diesen Entwicklungen unmittelbar betroffen. Die internationale Vernetzung und die wirtschaftliche Bedeutung Deutschlands machen uns zu einem potenziellen Ziel vielfältiger Bedrohungen, die von extremistischen Bestrebungen bis hin zu ausländischer Einflussnahme reichen. Die Intensität und Vielschichtigkeit dieser Bedrohungen erfordern eine enge Zusammenarbeit auf nationaler und internationaler Ebene, um die Sicherheit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu gewährleisten. Besondere Aufmerksamkeit erfordern die Folgen der Digitalisierung der Gesellschaft, die einerseits Innovation und Fortschritt fördert, andererseits jedoch neue Angriffsflächen für Cyberangriffe, Spionage und Sabotage bietet. Auch der globale Terrorismus bleibt eine Bedrohung, die durch transnationale Netzwerke und Ideologien gespeist wird. Parallel dazu sehen wir, wie Extremistinnen und Extremisten zunehmend versuchen, die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen und das Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht dient der Information über diese komplexen Bedrohungslagen sowie der Sensibilisierung und Aufklärung der Öffentlichkeit. Er zeigt die zentralen Herausforderungen für den Verfassungsschutz auf und unterstreicht die Bedeutung eines gemeinsamen Engagements aller gesellschaftlichen Kräfte für den Schutz unserer Grundwerte. Seite XIV Die Wahrung der inneren Sicherheit in einer sich ständig verändernden Welt erfordert klare Strategien, entschlossenes Handeln und eine weitsichtige Perspektive. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein leisten hierzu einen wichtigen Beitrag. Aber es bleibt dabei: Nur gemeinsam als Gesellschaft können wir unsere Demokratie stärken und für die Herausforderungen der Zukunft gewappnet sein. Ihre Sabine Sütterlin-Waack Schleswig-Holsteinische Ministerin für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport Seite XV I Überblick Seite 1 Seite 2 I Überblick 1 Überblick: Rechtsextremistische Bestrebungen Im Berichtsjahr sank das rechtsextremistische Personenpotenzial in Schleswig-Holstein leicht um rund 1,7 Prozent auf insgesamt 1 180 Personen (2023: 1 200). Der Rückgang vollzog sich im Wesentlichen in der Kategorie der parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten blieb konstant bei 350 (2023: 350). Die Heimat (HEIMAT) Die HEIMAT blieb politisch marginalisiert. Die Namensänderung von NPD in HEIMAT und die Versuche, sich als bürgernahe, heimatverbundene Partei darzustellen, führten nicht zu dem erhofften Erfolg. Der Wahlkampf zur Europawahl verlief ebenfalls nicht erfolgreich; das Wahlergebnis war entsprechend schwach. Die Partei versuchte, durch Social-Media-Kampagnen sich als modern und bürgernah zu präsentieren, doch ihre tatsächliche Agenda konnte sie nicht verbergen. Die Resonanz war gering. Die Aktivitäten der HEIMAT blieben lokal begrenzt, und ihre Mitgliederzahl stagnierte. Die Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) der HEIMAT/NPD, mit rund 10 Anhängern in Schleswig-Holstein, betrieb ebenfalls einen aktiven Wahlkampf zur Europawahl und versuchte, ihre Präsenz durch Flugblattverteilung und Plakataktionen unter dem Motto "Jugend wählt: Heimat Zukunft Remigration" zu erhöhen. Trotz internationaler Vernetzungsbestrebungen blieb die JN eine weitgehend erfolglose Kleinstgruppierung ohne nennenswerten Einfluss. Neonazistische Szene Die neonazistische Szene in Schleswig-Holstein ist von einer zweckorientierten Zusammenarbeit geprägt und orientiert sich ideologisch am historischen Nationalsozialismus. Abgesehen von den jährlichen, geschichtsrevisionistischen Gedenkveranstaltungen fanden im Berichtsjahr nur wenige öffentliche Aktionen in Schleswig-Holstein statt. Der neonazistische "Aryan Circle" (AC) trat vor allem in den sozialen Medien auf und versuchte dort neue Anhänger zu werben. Es ist zu erwarten, dass die Szene stagniert, da ihre rückwärtsgewandte Ideologie keine breite Anhängerschaft mehr findet. Dennoch bleibt sie durch digitale Vernetzungen gefährlich, da sie so Radikalisierungen Vorschub leisten kann. Seite 3 I Überblick Subkulturell geprägte Szene - Rechtsextremistische Musik - Kampfsport Im Berichtsjahr blieb die rechtsextremistische subkulturelle geprägte Szene in Schleswig-Holstein weitgehend unauffällig. Die neu gegründete Jugendgruppe "Jung & Stark Schleswig-Holstein" war vorwiegend online aktiv und verbreitete rechtsextremistische Feindbilder. In der rechtsextremistischen Musikszene fiel auf, dass insbesondere kleinere, konspirative Musikveranstaltungen wie Liederabende und Musikdarbietungen zu internen Szenefeiern in Schleswig-Holstein zunahmen. Große öffentliche Konzerte fanden nicht statt. Kampfsport diente der Szene weiterhin zur Vernetzung und Radikalisierung. Im Berichtsjahr wurde die Gründung von sogenannten Active Clubs in Schleswig-Holstein bekannt. Deren Ziel ist die Schaffung eines dezentralen Netzwerks aus regionalen Kampfsportgruppen. Diese Clubs nutzen vor allem soziale Medien zur Rekrutierung. Eine nennenswerte Realweltpräsenz wurde noch nicht festgestellt. Die Szene hat das Potenzial durch verstärkte Online-Aktivitäten und kleinere, lokale Veranstaltungen weiter zu wachsen und ihre gewaltbereite Dynamik zu verstärken. Identitäre Bewegung Schleswig-Holstein (IBSH) / Nordfeuer Die Identitäre Bewegung Schleswig-Holstein (IBSH), die seit 2022 unter dem Namen "Nordfeuer" agiert, gehört zum Spektrum der Neuen Rechten. Sie verfolgt die Strategie der Metapolitik, um extremistische Positionen gesellschaftlich akzeptabler zu machen. Ihre Ideologie basiert auf dem Ethnopluralismus, der eine ethnisch homogene Gesellschaft anstrebt, was mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. "Nordfeuer" konnte im Berichtsjahr weder in den sozialen Medien noch durch reale Aktivitäten Zuwächse verzeichnen. Ihre Themen, wie das Konzept der Remigration, wurden in sozialen Medien verbreitet. Der Jahrestag des Messerangriffs in Brokstedt und Gewalteskalation unter minderjährigen Schülern an einer Schule in Uetersen (Kreis Pinneberg) wurden politisch instrumentalisiert. Trotz geringer Aktivität besteht bei "Nordfeuer" Potenzial, durch strategische Neuorientierung und verstärkte Vernetzung wieder an Bedeutung zu gewinnen. Rechtsextremistische Verlage Rechtsextremistische Verlage spielen eine zentrale Rolle in der Verbreitung ideologischer Inhalte innerhalb der rechtsextremistischen Szene und sind Teil der Metapolitik, einer Strategie der Neuen Rechten, die darauf abzielt, den vorpolitischen Raum mit Seite 4 I Überblick Begriffen und Ideen zu prägen und zu besetzen, um auf diese Weise den gesellschaftlichen Diskurs weiter an den rechten verfassungsrechtlichen Rand und darüber hinaus zu verschieben. Im Berichtsjahr setzten rechtsextremistische Verlage verstärkt auf digitale Kanäle, um eine junge, internetaffine Zielgruppe anzusprechen. Sie traten in Verbindung mit Netzwerken der Neuen Rechten auf. Ein Beispiel für solche Aktivitäten war der "Tag des Vorfelds" am 20. Juli in Neumünster, bei dem sich unter anderem Akteure aus dem Spektrum der Neuen Rechten versammelten. Durch rechtsextremistische Verlage besteht die Gefahr, dass verfassungsfeindlichen und autoritären Ideologien ein geistiger Nährboden bereitet wird, der sich zunehmend bis weit in das bürgerliche Lager ausbreitet und das politische Klima zugunsten von Gruppierungen verändert, deren Ziel die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist. 2 Überblick: Islamismus und islamistischer Terrorismus Insbesondere die jihadistisch motivierten Anschläge von Mannheim und Solingen mit insgesamt vier Todesopfern haben im Berichtsjahr verdeutlicht, dass Deutschland und Europa nach wie vor im Fokus jihadistischer Organisationen und islamistisch motivierter Einzeltäterinnen und Einzeltäter stehen. Eine besondere Bedrohung für die Sicherheitslage stellen dabei fortdauernd global agierende Organisationen, die über lokale Ableger verfügen, dar. Hierzu zählt in erster Linie der "Islamische Staat" (IS) und der regionale Ableger "Islamischer Staat Provinz Khorasan - (ISPK)". Weiterhin stellen sogenannte "weiche" Ziele, wie Weihnachtsmärkte, Kulturund Sportereignisse, die kaum oder nur schwer zu schützen sind, für Jihadistinnen und Jihadisten besonders symbolische Ziele für terroristische Anschläge dar. Im Berichtsjahr stellten somit auch die beiden sportlichen Großveranstaltungen, die olympischen Sommerspiele in Frankreich vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 und die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden in Europa und Deutschland dar. Der jihadistisch-motivierte Anschlag am 23. August 2024 in Solingen, bei dem drei Menschen getötet und acht weitere teils lebensgefährlich verletzt wurden, verdeutlicht einen anhaltenden Trend: Die Anschläge der letzten Jahre zeichnen sich durch eine einfache und leicht umzusetzende Vorgehensweise aus. Häufig werden dabei leicht zu beschaffende Waffen wie Hiebund Stichwaffen oder Fahrzeuge genutzt. Dieser Trend setzte sich auch im aktuellen Berichtsjahr fort. Ein weiteres Phänomen ist, dass die Täterinnen und Täter zunehmend unabhängig agieren und nicht direkt in die Strukturen von Terrororganisationen eingebunden sind. Die Seite 5 I Überblick Propaganda des IS ruft potenzielle IS-Anhängerinnen und -Anhänger dazu auf, auch ohne direkte Organisationsanbindung Anschläge zu planen und zu verüben. Diese Entwicklung verstärkt die Bedrohungslage und unterstreicht die anhaltend hohe Gefahr, die insbesondere vom islamistischen Terrorismus für Deutschland und Schleswig-Holstein ausgeht. Daneben stellt die oft unscharfe Abgrenzung zwischen politischem Extremismus und psychischen Erkrankungen als mögliche Hauptursache einer Tat die Sicherheitsund Ermittlungsbehörden vor eine besondere Herausforderung. Psychische Störungen können eine zentrale Rolle in Radikalisierungsprozessen und Gewalttaten spielen, wodurch eine eindeutige Zuordnung zu einem Phänomenbereich in vielen Fällen schwierig bleibt. Die Schwerpunkte salafistischer Aktivitäten in Schleswig-Holstein liegen unverändert in den einschlägigen Moscheevereinen, insbesondere in den Städten Kiel, Lübeck, Neumünster, Flensburg und Rendsburg. Im Hamburger Randbereich orientieren sich die Anhängerinnen und Anhänger salafistischer Bestrebungen vorwiegend nach Hamburg. In Schleswig-Holstein ist das Personenpotenzial salafistischer Bestrebungen mit 700 Personen gleichbleibend wie im Vorjahr. Bundesweit ist das Personenpotenzial salafistischer Bestrebungen leicht auf 11 000 gestiegen. Die Zahlen sind somit auf einem konstant hohen Niveau und unterstreichen, dass sich im Land feste salafistische Strukturen etabliert haben. Somit bleibt der Salafismus weiterhin eine zentrale Herausforderung der Verfassungsschutzbehörden im Phänomenbereich Islamismus. Die klassische Missionierungsarbeit (Da'wa) im Salafismus hat sich zunehmend von der Straße ins Internet verlagert. Social Media Plattformen spielen eine entscheidende Rolle bei der Verbreitung salafistischer Inhalte. Salafistische Influencerinnen und Influencer nutzen unterschiedliche Social Media Plattformen gezielt zur Verbreitung ihrer Ideologie und erreichen damit insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene. Neben den bekannten salafistischen Szenegrößen haben sich neue salafistische Influencerinnen und Influencer etabliert, welche oft nur über ein profanes Islamverständnis verfügen. Dieser Trend lässt sich auch in Schleswig-Holstein feststellen. Auch hier sind Akteurinnen und Akteure online aktiv und beeinflussen durch ihre Inhalte andere junge Menschen. Im Gegensatz zum Vorjahr konnten im Berichtsjahr in Schleswig-Holstein keine Aktivitäten prominenter Reiseprediger aus anderen Bundesländern oder dem Ausland festgestellt werden. Auch konnten keine Aktivitäten der klassischen Street-Da'wa in Schleswig-Holstein verzeichnet werden. Neben jihadistischen Terrorgruppen stehen auch islamistische Organisationen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes, auch wenn sie in Deutschland offiziell keine Gewalt anwenden. Die Einstellung zur Gewalt variiert innerhalb der Gruppierungen jedoch erheblich. So wenden einige Gruppierungen in ihren Ursprungsländern gezielt Gewalt an, Seite 6 I Überblick verzichten in Deutschland und Schleswig-Holstein aber aus taktischen Gründen darauf. Andere Gruppen propagieren Gewalt zumindest als legitimes Mittel oder befürworten terroristische Aktivitäten anderer Organisationen, auch wenn sie selbst keine Gewalt anwenden. Zudem gibt es islamistische Kräfte, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, aber Gewaltanwendung grundsätzlich ablehnen. Diese sogenannten legalistischen Gruppierungen nutzen legale Strukturen, um ihre extremistischen Ziele schrittweise voranzutreiben. Das Personenpotenzial der legalistischen Gruppierungen und sonstigen Organisationen beträgt in Schleswig-Holstein 120, und ist damit im Vergleich zum Jahr 2023 nahezu unverändert. Besonders erwähnenswert sind in diesem Kontext Hizb ut-Tahrir-nahe Gruppierungen, wie Generation Islam (GI), Realität Islam (RI) und Muslim Interaktiv (MI). Diese Gruppierungen verbreiten ihre islamistische Ideologie sowohl online mit professionellen, teils popkulturellen Auftritten als auch durch Kundgebungen und Demonstrationen, wobei sie identitätspolitische Diskurse mit Opfernarrativen, staatlicher Unterdrückung und Assimilationsdruck verknüpfen. Der anhaltende Nahostkonflikt wirkt sich weiterhin auch auf Deutschland und Schleswig-Holstein aus und wird von Teilen der islamistischen Szene gezielt instrumentalisiert, um neue Anhängerinnen und Anhänger für ihre Ideologien zu gewinnen. Dabei wird vor allem ein Freund-Feind-Schema zwischen Musliminnen und Muslimen und der "Mehrheitsgesellschaft" konstruiert, um gesellschaftliche Spaltungen zu erzeugen und zu vertiefen. Damit wahren islamistische Gruppierungen ihr eigenes religiösideologisches Selbstverständnis und fördern zugleich eine gesellschaftliche Abgrenzung bis hin zur Abschottung. Insgesamt ist in Schleswig-Holstein das Personenpotenzial im Phänomenbereich Islamismus innerhalb eines Jahres leicht von 825 auf 820 Anhängerinnen und Anhänger zurückgegangen. Dabei blieb das Personenpotenzial des Salafismus unverändert bei 700 Personen. 3 Überblick: Linksextremistische Bestrebungen Im Berichtsjahr blieb das linksextremistische Personenpotenzial nach einer leichten Erhöhung im Vorjahr unverändert. Der linksextremistischen Szene in Schleswig-Holstein gehörten damit 745 Personen an. Das gewaltorientierte Personenpotenzial lag unverändert bei 340. Innerhalb der verschiedenen linksextremistischen Spektren konnten Verschiebungen zwischen einzelnen Gruppierungen festgestellt werden, die aber keine Relevanz für das Gesamtpersonenpotenzial entfalteten. Zudem waren die Veränderungen derart marginal, dass sie zu keiner Neubewertung einzelner Strukturen führten. Seite 7 I Überblick Im undogmatischen Spektrum hat der im Vorjahr erstmals seit 2011 verzeichnete leichte Personenrückgang wie erwartet keine Trendwende eingeläutet. In der Gesamtbetrachtung blieb das Personenpotenzial im Berichtsjahr konstant. Neben der üblichen Fluktuation innerhalb der Gruppierungen konnten keine signifikanten Veränderungen festgestellt werden. Insbesondere die aktionsorientierte autonome Szene ist jedoch grundsätzlich in der Lage, anlassbezogen auch wegen des von ihr ausgehenden Eventcharakters zumindest temporär Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen und für ihre Ziele zu vereinnahmen. Aufgrund ihrer aktionsorientierten und reaktiven Vorgehensweise insbesondere in ihrem gesellschaftlich anerkannten Hauptbetätigungsfeld Antifaschismus und Antirassismus erfolgte die öffentliche Wahrnehmung des Linksextremismus weitgehend über die Aktivitäten des undogmatischen Spektrums. Das parteigebundene dogmatische Personenspektrum änderte sich im Berichtsjahr insgesamt nicht. Aus dieser Stagnation leitet sich jedoch keine Umkehr des jahrelangen Trends des Personenpotenzialrückgangs ab. Die Grundproblematik der Überalterung der Parteien, der insgesamt geringen konstanten Aktionsfähigkeit sowie des Unvermögens, neue Mitglieder gewinnen zu können, bleibt bestehen. Das dogmatische Spektrum insgesamt, aber insbesondere die DKP und die SDAJ steigerten ihre Aktivitäten und öffentliche Wahrnehmbarkeit seit Beginn des Angriffskriegs auf die Ukraine und dem Terrorangriff der HAMAS auf Israel und waren auch im Berichtsjahr auf niedrigem Niveau aktiv. Im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten wurde jedoch einmal mehr deutlich, dass insbesondere die DKP mit ihren russlandfreundlichen und öffentlich geäußerten propalästinensischen Positionen selbst im linksextremistischen Spektrum isoliert dasteht. Das dogmatische Spektrum erreichte mit seinen politischen Positionen und Zielen auch im Berichtsjahr das bürgerliche Spektrum nicht und konnte somit trotz gesteigerter Aktivität im Rahmen aktueller Krisen seine geringe Bedeutung weder in der linksextremistischen Szene noch im bürgerlichen Bereich steigern. Die Rote Hilfe (RH) bestätigte bei stabilem Mitgliederbestand durch die kontinuierliche, alle linksextremistischen Spektren übergreifende Betätigung ihre herausragende Bedeutung als wichtigster Stabilitätsfaktor der linksextremistischen Szene auch in Schleswig-Holstein. In der Gesamtbetrachtung ist die Intensität der Aktivität der linksextremistischen Szene in Schleswig-Holstein auf einem gemäßigten, aber über die verschiedenen Spektren hinweg deutlich öffentlich wahrnehmbaren Niveau. Seite 8 I Überblick Antifaschismuskampf, Klimabewegung und Rheinmetall Entwaffnen-Camp in Kiel - Schwerpunkte linksextremistischer Betätigung Der Antifaschismuskampf blieb im Berichtsjahr weiterhin der Schwerpunkt linksextremistischer Agitation. Im Fokus stand hier deutlich die Alternative für Deutschland (AfD) als Hauptfeindbild der gesamten linksextremistischen Szene. Seit zu Beginn des Jahres das sogenannte "Geheimtreffen" der AfD und anderer Teilnehmender im November 2023 in Potsdam öffentlich wurde, das unter anderem die Rückführung von nicht assimilierten Ausländern aus Deutschland zum Thema hatte, war ein erhöhtes Aktivitätsniveau der Szene zu verzeichnen. So traten linksextremistische Gruppierungen durch steigende demonstrative Aktivitäten in Erscheinung, meistens zusammen mit dem bürgerlichen Spektrum. Im Verlauf des Berichtsjahres protestierte insbesondere das autonome Spektrum beständig reaktiv-anlassbezogen gegen Veranstaltungen und Infostände der AfD. Hierbei verübte es auch wiederholt Strafund Gewalttaten, die vor allem im autonomen Bereich als notwendiges Mittel angesehen werden, um sich den staatlichen "repressiven" und "faschistischen" Strukturen entgegen zu stellen. Dabei reichten die verwirklichten Straftatbestände von Beleidigung und Sachbeschädigungen bis hin zu Brandstiftung und Körperverletzung. Zudem konnten im Berichtsjahr Outingaktionen gegen den politischen Gegner festgestellt werden. Das intensive Protestgeschehen gegen die AfD hat einmal mehr verdeutlicht, dass insbesondere die autonome Szene über eine hohe Mobilisierungsund Aktionsfähigkeit verfügt und in der Lage ist, ihre Protestplanungen sehr flexibel aufzustellen und umzusetzen. Der Themenbereich Klimabewegung verlor in Anbetracht der multiplen innenund außenpolitischen Krisen erstmals seit Jahren in der öffentlichen Diskussion an Bedeutung. Zudem entfaltete der Großteil der Klimabewegung weiterhin keine verfassungsschutzrechtliche Relevanz. In Schleswig-Holstein ist die "TurboKlimaKampfGruppe Kiel" (TKKG) der linksextremistische Hauptakteur im Bereich der Klimabewegung. Die Gruppe war vielfältig aktiv, z. B. im Rahmen des Klimastreiks im März in Kiel unter dem Motto "Klimakampf ist Klassenkampf" und bewarb im Vorfeld zusammen mit der Antifa Kiel den "Antikapitalistischen Block". Sie betätigte sich kontinuierlich über das Themenfeld Klimaschutz hinaus gemeinsam mit weiteren linksextremistischen Gruppierungen und ist ein beständiger Akteur in der linksextremistischen Szene geworden. Ein steuernder Einfluss von Linksextremisten auf die Klimabewegung ist weiterhin nicht feststellbar. Das linksextremistisch beeinflusste Bündnis "Rheinmetall entwaffnen" veranstaltete vom 3. bis 8. September antimilitaristische Aktionstage einschließlich eines Protestcamps in Kiel. Kiel ist Standort diverser Rüstungsund Zuliefererbetriebe sowie mehrerer Bundeswehreinrichtungen und stellt damit aus linksextremistischer Sicht einen wirkungsvollen Ort für antimilitaristische Aktionen dar. Für die Aktionstage und das Camp wurde über Monate bundesweit mit dem Ziel mobilisiert, über ein möglichst großes ProtestgeSeite 9 I Überblick schehen die Haltung gegen Waffenexporte, Aufrüstung und Krieg in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen. Außerdem diente das Camp der bundesweiten und spektrenübergreifenden Vernetzung der Teilnehmenden. Am Camp-und Protestgeschehen beteiligten sich neben linksextremistischen Einzelpersonen und Gruppierungen aus Schleswig-Holstein und dem Bundesgebiet auch Organisationen aus dem auslandsextremistischem Spektrum wie PKK-nahe Personen, türkische Linksextremistinnen und Linksextremisten sowie auch pro-palästinensisch eingestellte Personen. Keine Erfolge bei der Vernetzung ins zivilgesellschaftliche Spektrum Linksextremistinnen und Linksextremisten sind bestrebt, über die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen eine Anschlussfähigkeit ins breite bürgerliche Spektrum zu erreichen. Dafür soll über ein vorerst gemäßigtes Auftreten eine dauerhafte Annäherung an diese Kreise ermöglicht werden, um daraufhin ihre linksextremistischen Ziele implementieren und verbreiten zu können. Ihr primäres Ziel ist es, Personen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu gewinnen und Einfluss auf die politische Meinungsbildung zu nehmen. Der linksextremistischen Szene gelang es über alle Spektren auch im Berichtsjahr nicht, angestrebte Vernetzungen und eine intensivierte Zusammenarbeit mit dem zivilgesellschaftlichen Spektrum aufzubauen. Über eine gemeinsame Teilnahme an Protesten gegen die AfD und vorheriger gemeinsamer Mobilisierung ging die Zusammenarbeit nicht hinaus. Zudem ist nicht erkennbar, dass linksextremistische Gruppierungen einen signifikanten Einfluss auf gemeinsame Protestbewegungen aufbauen konnten. Insbesondere die Interventionistische Linke (IL) scheint ihre frühere Scharnierfunktion zwischen dem bürgerlichen Spektrum und linksextremistischen Akteuren hier verloren zu haben. Gewaltpotenzial unverändert hoch, keine steigende Militanz ersichtlich Die Gewaltbereitschaft in der schleswig-holsteinischen linksextremistischen Szene ist unverändert hoch, eine zunehmende, sich verstetigende Radikalisierung ist jedoch nicht ersichtlich. Die Bereitschaft insbesondere des gewaltorientierten undogmatischen Personenpotenzials zur Gewaltausübung kam im Berichtsjahr im Zusammenhang mit Protesten gegen den politischen Gegner wie die AfD, aber auch gegen Polizistinnen und Polizisten als nach linksextremistischer Ansicht Repräsentantinnen und Repräsentanten des repressiven Staates konkret in Form von Körperverletzungen und Widerstand gegen bzw. tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamtinnen und -beamte zur Umsetzung. Besonders die autonome Szene ist weiterhin durch eine hohe Neigung zu Aggression und Gewalt gekennzeichnet, die im Berichtsjahr spontan im Zusammenhang mit Demonstrationen oder Veranstaltungen des politischen Gegners, aber auch geplant zur Umsetzung kam. So wurde beispielsweise nach dem Outing eines vermeintlichen Rechtsextremisten dessen PKW in Brand gesetzt. Seite 10 I Überblick 4 Überblick: Extremismus mit Auslandsbezug Die mitgliederstärksten Beobachtungsobjekte im Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug in Schleswig-Holstein, die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), die türkischen Rechtsextremisten (Ülkücü-Bewegung) sowie die türkisch-linksextremistische Marxistische Leninistische Kommunistische Partei (MLKP), führten im Berichtsjahr ihre Veranstaltungen zunächst überwiegend im üblichen Turnus durch. Im September beteiligten sich insbesondere die Anhängerinnen und Anhänger der MLKP sowie der PKK gemeinsam mit deutschen so genannten Internationalistinnen und Internationalisten und pro-palästinensischen Akteuren an dem "antimilitaristischen" Protestcamp des linksextremistisch beeinflussten Bündnisses Rheinmetall Entwaffnen (RME) in Kiel. Dieses RME-Camp bot eine Möglichkeit, sich intensiv und überregional mit den zahlreichen unterschiedlichen Akteuren des linken Spektrums zu vernetzen. Seit Oktober des Berichtsjahres schien sich in der Türkei eine Perspektive für eine politische Lösung des Kurdenkonfliktes zu eröffnen - regierungsnahe Politiker erwähnten die Möglichkeit einer Begnadigung des PKK-Gründers Abdullah Öcalan, sofern die PKK die Waffen niederlege. Am 23. Oktober durfte nach mehr als drei Jahren Kontaktsperre der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan Besuch empfangen, was die PKK-Anhängerschaft stets gefordert hatte. Am selben Tag verübte ein Sonderkommando der PKK-Guerilla in der türkischen Hauptstadt Ankara einen Anschlag auf ein Rüstungsunternehmen, bei dem mehrere Personen starben bzw. verletzt wurden. Als Vergeltung bombardierte die türkische Luftwaffe kurdisch dominierte Gebiete mit mutmaßlichen PKK-Stützpunkten in Syrien und im Nordirak. In der Folgezeit zeichnete sich ab, dass die PKK-Führung nicht bereit ist, auf ihre militärischen Einheiten als Machtbasis zu verzichten. Gleichwohl setzten wichtige politische Akteure in der Türkei die Sondierungsgespräche über eine mögliche Lösung der kurdischen Frage fort. In Deutschland und in Schleswig-Holstein blieben die Reaktionen der PKK-Anhängerschaft auf die Initiative der türkischen Regierung im Berichtszeitraum verhalten. Mehr Widerhall im Veranstaltungsgeschehen der PKK-Anhängerschaft fanden die Entwicklungen in Syrien: Nachdem die Milizen der islamistischen Organisation Hai'at Tahrir Ash-Sham (Komitee zur Befreiung der Levante - HTS) am 8. Dezember die syrische Hauptstadt Damaskus eroberten und das Assad-Regime stürzten, überwog in der PKK-Anhängerschaft die Befürchtung, dass die HTS mit Unterstützung der Türkei auch die kurdisch dominierten Siedlungsgebiete in Nordund Ostsyrien erobern könnte. Entsprechende Protestversammlungen gegen eine Besatzung dieser Gebiete, die im organisationsinternen Sprachgebrauch "Rojava" genannt werden, wurden bis zum Ende des Berichtsjahrs nicht nur in Kiel, sondern im gesamten Bundesgebiet von der PKK-Anhängerschaft organisiert bzw. besucht. Seite 11 I Überblick 5 Überblick: Reichsbürger und Selbstverwalter Das Personenpotenzial der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene ist im Vergleich zum Vorjahr um rund 14 Prozent auf 800 Personen (2023: 700) angewachsen. Reichsbürgerinnen und Reichsbürger gehen vom Fortbestand des Deutschen Reichs aus, dessen Staatsangehörigkeit sie für sich in Anspruch nehmen; die deutsche Staatsangehörigkeit lehnen sie ab. Der Bundesrepublik Deutschland sprechen Reichsbürgerinnen und Reichsbürger die Legitimität und Souveränität ab. Das Grundgesetz und die bestehende Rechtsordnung haben für sie keinen Bestand. Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter begründen ihre Rechtsauffassung mit historischen Gesetzestexten, einem selbst definierten Naturrecht oder mit aus dem Zusammenhang gerissenen Auszügen aus der Bibel. Nach dem Selbstverständnis der Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter sind ihre "selbst verwalteten Gebiete" exterritorial. Sie gehören somit nicht zu Deutschland. Und auch die bundesrepublikanische Rechtsordnung gelte folglich nicht. Die Behauptung, die Bundesrepublik Deutschland als Staat existiere nicht, und die Ablehnung der bundesdeutschen Rechtsordnung sind zwei zentrale gemeinsame Ideologieelemente von Reichsbürgern und Selbstverwaltern. Zur Reichsbürgerszene gehört die "Wahlkommission der Königlich Preußischen Provinz Schleswig-Holstein" (WKSH) sowie die "Internationale Organisation Völkerrecht" (IOV). Zum Spektrum der Selbstverwalter gehören das "Königreich Deutschland" (KRD), das am 13. Mai 2025 durch den Bundesinnenminister verboten wurde sowie die Gruppierung "Indigenes Volk Germaniten" (IVG). Seite 12 I Überblick 6 Überblick: Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Die Szene der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates will das Vertrauen der Bevölkerung in die freiheitliche demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland untergraben und den Staat als autokratisch darstellen. Sie bedient sich regelmäßig Verschwörungstheorien, antisemitischer Rhetorik und rechtsextremistischer Ideologien, einschließlich der Gleichsetzung des parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaats mit der NS-Diktatur. Darüber hinaus werden Stereotype von Reichsbürgern und Selbstverwaltern verwendet, um demokratische Prozesse zu delegitimieren. Die Entwicklung im Berichtsjahr deutete darauf hin, dass die Szene der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates ihren realweltlichen Zenit überschritten haben dürfte. Trotz rückläufiger Aktivitäten blieb die Szene aber in den Sozialen Medien aktiv. Da die Sozialen Netzwerke der Szene als Echokammer sowie zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen jedweder Art dienen und Radikalisierungstendenzen insbesondere von Einzelpersonen in nicht unerheblichen Maße Vorschub leisten können, bleibt die Szene eine zwar deutlich kleinere, aber gleichwohl noch relevante Größe im Spektrum verfassungsfeindlicher Gruppierungen. Seite 13 Seite 14 II Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Seite 15 Seite 16 II Politisch motivierte Kriminalität (PMK)1 1 Allgemeines 1.1 Definition Der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung der Täterin oder des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Taten * den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, * sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, * sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, * durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, gegen eine Person wegen ihrer zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder Engagements gerichtet sind bzw. aufgrund von Vorurteilen der Täterin oder des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht / sexuelle Identität, sexuelle Orientierung oder äußeres Erscheinungsbild begangen werden. Diese Straftaten können sich unmittelbar gegen eine Person oder Personengruppe, eine Institution oder ein Objekt / eine Sache richten, welche/s seitens der Täterin oder des Täters einer der o. g. gesellschaftlichen Gruppen zugerechnet wird (tatsächliche oder zugeschriebene Zugehörigkeit) oder sich im Zusammenhang mit den vorgenannten Vorurteilen der Täterin oder des Täters gegen ein beliebiges Ziel richten. Darüber hinaus werden Tatbestände gem. SSSS 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102, 104, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 130, 234a oder 241a Strafgesetzbuch (StGB) sowie des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB) als Staatsschutzdelikte erfasst. 1 Verfasser: Landeskriminalamt SH, Abteilung 3. Seite 17 II Politisch motivierte Kriminalität Politisch motivierte Gewaltkriminalität (PMK-Gewalt) ist die Teilmenge der PMK, die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäterinnen oder des Straftäters erkennen lässt. Sie umfasst folgende Deliktsbereiche: * Tötungsdelikte, * Körperverletzungen, * Brandund Sprengstoffdelikte, * Landfriedensbruch, * Gefährliche Eingriffe in den Schiffs-, Luft-, Bahnund Straßenverkehr, * Freiheitsberaubung, * Raub, * Erpressung, * Widerstandsdelikte, * Sexualdelikte. 1.2 Phänomenbereiche der PMK Die PMK wird zudem in verschiedene Phänomenbereiche unterteilt: - Politisch motivierte Kriminalität -rechts-, - Politisch motivierte Kriminalität -links-, - Politisch motivierte Kriminalität -ausländische Ideologie-, - Politisch motivierte Kriminalität -religiöse Ideologie-, - Politisch motivierte Kriminalität -sonstige Zuordnung2. Die PMK wird durch den Polizeilichen Staatsschutz nach bundeseinheitlichen Richtlinien erfasst, um eine differenzierte und vergleichbare Auswertung und Lagedarstellung zu ermöglichen. 2 Der bisherige Phänomenbereich PMK -nicht zuzuordnen(PMK -NZ-) wurde zum 01.01.2023 inhaltsgleich in PMK -sonstige Zuordnung(PMK -SZ-) umbenannt. Der Phänomenbereich PMK -sonstige Zuordnungweist des Öfteren Überschneidungen zu den übrigen Phänomenbereichen auf. Insbesondere lässt sich in der Bewertung der Sachverhalte immer wieder feststellen, dass sowohl in der deliktischen Kategorisierung als auch bei Betrachtung der subjektiven Leitlinien der handelnden Personen Bezüge zur PMK -rechtsvorliegen. Eine absolute Trennschärfe lässt sich demnach nicht immer herstellen. Seite 18 II Politisch motivierte Kriminalität 2 Kernaussagen Nachfolgend werden die zentralen Erkenntnisse zur PMK in Schleswig-Holstein skizziert. * Erneut deutlicher Anstieg der Gesamtfallzahlen PMK - Anstieg um 942 Taten (+54,3 %) auf 2 677 Taten (2023: 1 735 Taten) * Entwicklung der Gewaltdelikte - Zunahme um 16 Delikte auf 153 Gewaltdelikte (2023: 137; +11,7 %) - Anteil der Gewaltdelikte an den Gesamtfallzahlen liegt bei 5,7 % (2023: 7,9 %) - 65 Gewaltdelikte im Bereich der PMK -rechts(2023: 81; -19,8 %) - Anteil der Gewaltdelikte im Bereich PMK -rechtsliegt bei 4,3 % (2023: 8,3 %) - 27 Gewaltdelikte im Bereich der PMK -links(2023: 12; +125 %) - Anteil der Gewaltdelikte im Bereich PMK -linksliegt bei 10,2 % (2023: 8,8 %) * Aufklärungsquoten - Aufklärungsquote PMK -gesamt-: 46,7 % (2023: 55,2 %) - Aufklärungsquote PMK -gesamtGewaltdelikte: 68 % (2023: 70,8 %) - Aufklärungsquote PMK -rechtsgesamt: 54,8 % (2023: 80,2 %) - Aufklärungsquote PMK -rechtsGewaltdelikte: 80 % (2023: 80,3 %) - Aufklärungsquote PMK -linksgesamt: 17,7 % (2023: 29,9 %) - Aufklärungsquote PMK -linksGewaltdelikte: 40,7 % (2023: 41,7 %) * Deutliche Zunahme PMK -rechts- - Zunahme um 541 Taten auf 1 516 (+55,5 %) - Regionale Schwerpunkte: Lübeck (198 Taten), Pinneberg (191 Taten), Kiel (172 Taten), sowie Ostholstein (120 Taten) * Deutliche Zunahme PMK -links- - Zunahme um 128 Taten auf 265 (+93,4 %) - Regionale Schwerpunkte: Pinneberg (56 Taten), Kiel (38 Taten), Lübeck (26 Taten) und Stormarn (24 Taten) Seite 19 II Politisch motivierte Kriminalität * Zunahme PMK -ausländische Ideologie- - Zunahme um 10 Taten auf 114 (+9,6 %) - Regionale Schwerpunkte: Kiel (25 Taten) und Lübeck (16 Taten) * Gleichbleibendes Fallzahlenniveau PMK -religiöse Ideologie- - Rückgang um 1 Tat auf 30 (-3,2 %) - Regionaler Schwerpunkt: Kiel (9 Taten) * Deutliche Zunahme PMK -sonstige Zuordnung- - Zunahme um 264 Taten auf 752 Taten (+54,1 %) - Regionale Schwerpunkte: Pinneberg (112 Taten), Rendsburg-Eckernförde (92 Taten), Segeberg (72 Taten), Lübeck (70 Taten) und Kiel (65 Taten) * Deutliche Zunahme bei Straftaten gegen Amtsund Mandatsträger/-innen - Zunahme um 116 Taten auf 229 Taten (+102,7 %) - Die Aufklärungsquote beträgt 48,9 % (2023: 74,3 %). - Deliktischer Schwerpunkt: Beleidigungsdelikte (166 Taten) * Anstieg bei antisemitischen Straftaten - Anstieg um 11 Taten auf 126 Taten (+9,6 %) - Die Aufklärungsquote beträgt 64,3 % (2023: 61,7 %). - Deliktischer Schwerpunkt: Volksverhetzung (100 Taten) * Leichter Rückgang bei Straftaten der "Reichsbürger / Selbstverwalter" - Rückgang von 28 auf 24 Taten (-14,3 %) - Die Aufklärungsquote beträgt 86,7 % (2023: 96,4 %). - Kein deliktischer Schwerpunkt feststellbar * Leichter Anstieg bei Straftaten im Kontext "Russland-Ukraine-Konflikt" - Leichter Anstieg von 74 auf 78 Taten (+5,4 %) - Die Aufklärungsquote beträgt 33,3 % (2023: 51,4 %). - Deliktischer Schwerpunkt: Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung (17 Taten) Seite 20 II Politisch motivierte Kriminalität * Leichter Anstieg bei Straftaten im Kontext "Hamas-Israel-Konflikt" - Leichter Anstieg von 83 auf 88 Taten (+6 %) - Die Aufklärungsquote beträgt 39,8 % (2023: 31,3 %). - Deliktischer Schwerpunkt: Volksverhetzung (33 Taten) * Deutliche Anstiege bei den Themenfeldern Straftagen gegen die sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Identität, Hasskriminalität, Hasspostings, Tatmittel Internet und Frauenfeindlichkeit 3 Entwicklung der PMK in Schleswig-Holstein 3.1 Entwicklung der PMK von 2019 - 2024 Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität 3.000 2.677 2.500 2.000 1.735 1.500 1.414 1.264 1.322 1.033 1.000 500 84 102 137 153 66 77 - 2019 2020 2021 2022 2023 2024 PMK PMK Gewalt Im Berichtsjahr wurden in Schleswig-Holstein 2 677 Straftaten der PMK insgesamt registriert. Das bedeutet einen massiven Anstieg um 942 Taten (+54,3 %) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum und stellt ein Allzeithoch der PMK-Fallzahlen in SH dar. Die Zahl der erfassten Gewaltdelikte stieg im Erfassungszeitraum um 16 auf nunmehr 153 Taten (+11,7 %) und macht damit 5,7 % der gesamten PMK aus. Seite 21 II Politisch motivierte Kriminalität 3.2 Entwicklung der PMK in den Phänomenbereichen Entwicklung PMK - Phänomenbereiche 3.000 2.677 2.500 2.000 1.735 1516 1.500 975 1.000 752 488 500 265 137 104 114 31 30 - PMK gesamt PMK rechts PMK links PMK ausl. PMK relig. PMK sonstige Ideologie Ideologie Zuordnung 2023 2024 Mit Ausnahme des geringfügigen Rückgangs von 1 Tat in dem Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologie-, sind die Fallzahlen in den Themenfeldern PMK -rechtsum 541 Taten (+55,5 %), PMK -linksum 128 Taten (+93,4 %), PMK -sonstige Zuordnungum 264 Taten (+54,1 %) sowie PMK -ausländische Ideologieum 10 Taten (+9,6 %) überwiegend deutlich angestiegen. 3.3 Entwicklung der PMK-Gewalt in den Phänomenbereichen Enwicklung PMK-Gewalt - Phänomenbereiche 180 160 153 140 137 120 100 81 80 65 60 40 40 31 27 17 20 12 10 3 4 0 PMK Gewalt PMK rechts PMK links Gewalt PMK ausl. PMK relig. PMK sonstige gesamt Gewalt Ideologie Gewalt Ideologie Gewalt Zuordnung Gewalt 2023 2024 Seite 22 II Politisch motivierte Kriminalität In der Gesamtentwicklung der PMK-Gewalt ist insgesamt eine Zunahme der Fallzahlen zu verzeichnen. In den Phänomenbereichen PMK -sonstige Zuordnungund PMK -ausländische Ideologiesind die Fallzahlen zur Gewaltkriminalität jeweils im mittleren und unteren zweistelligen Bereich verblieben. Im Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologiesind die Fallzahlen nahezu gleichbleibend im unteren einstelligen Bereich. Im Phänomenbereich PMK -rechtsist eine Abnahme von 16 Taten (-19,8 %) zu verzeichnen. Lediglich im Phänomenbereich PMK -linksist ein erheblicher Anstieg der Fallzahlen im unteren zweistelligen Bereich um 15 Taten (+125 %) festzustellen. 3.4 Entwicklung der PMK in den Kreisen und kreisfreien Städten PMK - Regional 400 376 350 313 309 300 250 194 195 203 203 202 200 187 186 164 150 133 132 126 115 125 121 101 110 99 110 108 92 94 100 77 70 81 77 51 58 50 0 2023 2024 Bereits im Vorjahr waren der Kreis Pinneberg und die Städte Lübeck und Kiel im Bereich PMK am stärksten betroffen. Darüber hinaus steigerten sich im Jahr 2024 die Fallzahlen im Kreis Pinneberg auf 376 Taten (+93,8 %) sowie in der Stadt Lübeck auf 313 Taten (+60,5 %) und der Stadt Kiel auf 309 Taten (+52,2 %). Hiernach verzeichnen diese Regionen auch im Jahre 2024 die höchsten Fallzahlen. Seite 23 II Politisch motivierte Kriminalität 3.5 Entwicklung der PMK-Gewalt in den Kreisen und kreisfreien Städten PMK-Gewalt - Regional 35 33 30 25 24 21 21 20 19 18 16 15 14 13 12 10 10 9 9 8 7 6 5 5 5 5 5 4 4 4 4 3 3 3 2 2 1 0 2023 2024 Im Bereich der PMK-Gewalt steigerten sich im Jahr 2024 die Fallzahlen in der Stadt Kiel von 18 auf 33 Fälle (+83,3 %). Der deutliche Anstieg in Kiel hängt mit Straftaten zusammen, die rund um das Demonstrationsgeschehen "Rheinmetall entwaffnen" begangen wurden. Der Rückgang der Fallzahlen in der Stadt Neumünster lässt sich auf das dort im Jahre 2023 durchgeführte Rechtsrockkonzert zurückführen. Im Rahmen der Auflösung des Rechtsrockkonzerts kam es bereits zu insgesamt 19 Straftaten zum Nachteil von Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten, die in der Statistik aus 2023 geführt werden. Der Wegfall dieser 19 Taten begründet die niedrigen Fallzahlen im Jahre 2024 für die Stadt Neumünster. In den Kreisen Segeberg, Ostholstein und Dithmarschen ist der klare Anstieg keinem Themenkomplex zuzuordnen. Die Straftaten betreffen alle Deliktsarten, alle Phänomenbereiche sind gleichmäßig betroffen. Der Anstieg in Flensburg von 9 auf 14 Fälle (+55,6 %) ist auf den Phänomenbereich PMK -sonstige Zuordnung(+5 Fälle) zurückzuführen. Seite 24 II Politisch motivierte Kriminalität 4 Phänomenbereiche der PMK 4.1 Entwicklung der PMK -rechtsPMK -rechts1.600 1516 1.400 1.200 1.000 975 800 709 699 663 667 600 400 200 81 65 40 45 41 46 - 2019 2020 2021 2022 2023 2024 PMK rechts PMK rechts Gewalt Der PMK -rechtswurden im Betrachtungszeitraum 1 516 Straftaten zugeordnet, was im Vergleich zum Vorjahr einen erheblichen Zuwachs von 541 Straftaten bzw. 55,5 % bedeutet. Die Anzahl der rechten Gewalttaten reduzierte sich im Betrachtungszeitraum hingegen um 16 Taten auf 65 Taten (-19,8 %), wodurch sie nunmehr 4,3 % aller gemeldeten Straftaten im Bereich der PMK -rechts(2023: 8,3 %) ausmachen. Körperverletzungen (61 von 65 Fällen bzw. 93,8 %) prägen die Gewaltkriminalität. Insgesamt konnten 52 Gewaltdelikte aufgeklärt werden (80 %). In über zwei Drittel der Gewalttaten im Bereich PMK -rechts(55 Straftaten = 84,6 %) wurde die Motivation als fremdenfeindlich bewertet. Im Jahr 2024 gab es zudem eine schwere Brandstiftung und einen versuchten Totschlag, die der PMK -rechtszugeordnet werden konnten. Diese beiden Straftaten konnten aufgeklärt werden. Seite 25 II Politisch motivierte Kriminalität 4.2 Delikte der PMK -rechtsPMK -rechtsDelikte 800 756 700 600 491 500 400 310 300 198 200 178 116 100 87 31 44 48 31 45 28 13 0 SS 86a StGB SS 130 StGB SS 185 StGB SS 303 StGB SS 223 StGB SS 241 StGB SS 224 StGB 2023 2024 Der Bereich Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (SS 86a StGB) macht mit 756 Straftaten den größten Anteil der gesamten festgestellten Kriminalität im Bereich der PMK -rechtsaus (49,9 %). Hierzu zählen insbesondere Darstellungen von Hakenkreuzen. Im Bereich der Volksverhetzung ist auch in diesem Jahr ein erneuter Anstieg zu verzeichnen (+ 112 Straftaten). Hierzu zählen auch die Straftaten, bei denen zur Melodie "L'Amour toujours" von Gigi D'Agostino ausländerfeindliche Parolen gesungen wurden. Bei fast der Hälfte der rechten Straftaten (45,4 %) wurde das Motiv der Fremdenfeindlichkeit mit den exemplarischen Unterthemen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Islamfeindlichkeit angenommen. Die Themenfelder "Ukraine" (13 Straftaten) und "Israel/Palästina" (8 Straftaten) haben im Betrachtungszeitraum an Bedeutung verloren. Der prozentual größte Anstieg der Fallzahlen (+56 Straftaten, +180,6 %) ist im Bereich der Sachbeschädigung zu verzeichnen. Bei 25 der 87 Straftaten (28,7 %) wurden Wahlplakate im Zusammenhang mit der Europawahl beschädigt. Im Folgenden werden verschiedene Themenfelder der PMK -rechtsim Jahr 2024 behandelt. Delikte können je nach Motivation der Täterin oder des Täters nur einem oder auch mehreren Themenfeldern zugeordnet werden. Seite 26 II Politisch motivierte Kriminalität Fremdenfeindlichkeit 689 von 1 516 Straftaten (45,4 %) weisen eine fremdenfeindliche Motivation auf. Im Jahr 2023 wurden 460 fremdenfeindliche Straftaten registriert, wodurch sich ein Anstieg in 2024 von 49,8 % zum Vorjahr ergibt. Als Teil der Hasskriminalität wurden diese Straftaten insbesondere aus einer feindlichen Haltung der Täterin oder des Täters gegenüber einer Ethnie, einer Staatsangehörigkeit oder einer Religion begangen. Bei den Straftaten mit fremdenfeindlicher Motivation liegt die Aufklärungsquote bei 72,7 % (Vorjahr 75,4 %). Während Volksverhetzungen mit 306 Straftaten (44,4 %) und Beleidigungen mit 162 Straftaten (23,5 %) den größten Anteil fremdenfeindlicher Delikte bildeten, sind die Propagandadelikte mit 77 Straftaten (11,2 %) im Verhältnis zu allen Straftaten des Phänomenbereichs PMK -rechtsunterrepräsentiert. Im Vergleich zum Vorjahr ist mit +61,9 % bei den fremdenfeindlichen Volksverhetzungen, +42,5 % bei den Propagandadelikten und +45,9 % bei den Beleidigungen in allen drei Deliktsbereichen eine sehr deutliche Steigerung festzustellen. Außerdem wurden 35 Bedrohungen und 21 Sachbeschädigungen mit fremdenfeindlichem Hintergrund bekannt. Bei 55 Gewalttaten im Phänomenbereich PMK -rechtswurde eine fremdenfeindliche Motivation festgestellt. Es konnten 44 Straftaten (80%) aufgeklärt werden. Diese 55 fremdenfeindlichen Gewalttaten setzen sich aus 1 versuchten Totschlag, 1 tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte, 1 schwere Brandstiftung, 11 gefährlichen und 41 einfachen Körperverletzungen zusammen. Folgende Tatbeispiele lassen sich skizzieren: * Im Fall des versuchten Totschlags äußerte der Beschuldigte zunächst, dass er alle Ausländer hasse. Er ging dann auf den ihm nicht bekannten Geschädigten zu und versuchte, diesen mittels Messer im Oberkörperbereich zu verletzen. Durch Abwehrhandlungen konnte der Geschädigte Verletzungen entgehen. Zur Motivation befragt gab der Beschuldigte an, alle Ausländer, Queere und politische Gegner zu hassen. * Beim tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte kam es zuerst zu volksverhetzenden Beleidigungen gegenüber den eingesetzten Beamten. Ein Beamter mit westasiatischem Phänotyp wurde als "Kanacke" betitelt. Im weiteren Verlauf versuchte der Beschuldigte Kopfnüsse zu verteilen und in Richtung Kopf der eingesetzten Beamten zu treten. * Im Falle der Brandstiftung vergoss der psychisch auffällige Beschuldigte im Eingangsbereich eines Mehrfamilienhauses Treibstoff und entzündete diesen. Die Flüssigkeit geriet aus unbekannten Gründen nicht in Brand. Die iranisch stämmigen Bewohner waren nicht vor Ort. Vorausgegangen sollen ausländerfeindliche Beschimpfungen durch den Beschuldigten sein. Ursächlich für viele der fremdenfeindlichen Gewalttaten waren Streitigkeiten, einhergehend mit Beleidigungen. Seite 27 II Politisch motivierte Kriminalität Gegen den Staat Von den 1 516 der PMK -rechtszugeordneten Straftaten im Jahr 2024 richteten sich 81 (5,3 %) direkt gegen den deutschen Staat, dessen Einrichtungen und Symbole. Taten dieser Art konnten zu 69,1 % aufgeklärt werden. Als größte Deliktsfelder bei Taten gegen den deutschen Staat, dessen Einrichtungen und Symbolen stellten sich Propagandadelikte mit 33 (40,7 %), Beleidigungen mit 19 (23,5 %) und Volksverhetzung mit 12 (14,8 %) Delikten heraus. 49 der Straftaten gegen den Staat richten sich gegen die Polizei (60,5 %). Im Vergleich zum Jahr 2023 (23) ist für das Jahr 2024 ein Rückgang von 21 auf insgesamt 2 rechte Gewalttaten gegen den Staat zu verzeichnen. Die hohe Fallzahl aus 2023 lässt sich zurückführen auf das am 04. März 2023 in Neumünster stattgefundenen rechtsextreme Konzert "Der Norden rockt". Bei den beiden Gewaltdelikten handelte es sich um tätliche Angriffe gegen Vollstreckungsbeamte (Polizei). Politische Gegner Im Jahr 2024 wurden "politische Gegner" 135 Mal das Ziel von rechts motivierten Straftaten, was eine Steigerung von 181,3 % zum Vorjahr bedeutet. In 24 Fällen (17,8 %) konnte ein Tatverdächtiger ermittelt werden. Bei den Straftaten gegen politische Gegner handelt es sich um 36 Propagandadelikte, 6 Volksverhetzungen, 54 Sachbeschädigungen,19 Beleidigungen, 5 Körperverletzung, 6 Bedrohung und 4 Diebstähle, 3 öffentlichen Aufforderungen zu Straftaten, 1 Belohnung und Billigung von Straftaten und 1 Straftat nach dem Kunsturheberrechtsgesetz. Von diesen 135 Straftaten waren 66 direkt gegen eine linke politische Einstellung gerichtet. Neben 25 Sachbeschädigungen und 21 Taten des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen wurden 4 Fälle der Gewaltkriminalität bekannt. Bei den restlichen Taten handelt es sich um Volksverhetzungen, Beleidigungen und Diebstahlsdelikte. Die exemplarisch dargestellten Gewalttaten beinhalten nachfolgende Sachverhalte: * Im März 2024 kam es nach einer verbalen Auseinandersetzung zwischen einem selbst ernannten AfD-Sympathisanten und einer Geschädigten, die der Beschuldigte dem linken Spektrum zuordnete, zu einem körperlichen Angriff. In dessen Verlauf wurde die Geschädigte mehrfach mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. * Im Oktober 2024 wurde ein Geschädigter überraschend durch einen Unbekannten mit dem Ellenbogen gegen Kopf geschlagen. Der Geschädigte stürzte und wurde am Boden liegend mehrfach gegen den Kopf getreten. Der Geschädigte trug zum Tatzeitpunkt eine Trainingsjacke des Fußballvereins "Roter Stern Lübeck". Seite 28 II Politisch motivierte Kriminalität * Auch bei der dritten Gewalttat wurde der Geschädigte auf Grund seiner Kleidung angegangen. Im November 2024 wurde dem Geschädigten unvermittelt durch eine unbekannte Person mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der Geschädigte war zum Tatzeitpunkt mit einem T-Shirt mit dem Aufdruck "Pöbel MC" bekleidet. Bei "Pöbel MC" handelt es sich um einen politisch links eingestellten Rapper. Bei den übrigen 69 der 135 Straftaten gegen politische Gegner, die nicht dem linken Spektrum zuzuordnen sind, handelt es sich um 15 Propagandadelikte, 4 Volksverhetzungen, 27 Sachbeschädigungen,10 Beleidigungen, 2 Körperverletzung, 5 Bedrohung und 2 Diebstähle, 2 öffentlichen Aufforderungen zu Straftaten, 1 Belohnung und Billigung von Straftaten und 1 Straftat nach dem Kunsturheberrechtsgesetz. Im Zusammenhang mit den Europawahlen vom 09. Juni 2024 kam es zur Registrierung von insgesamt 38 Straftaten im Bereich der PMK -rechts-. Diese 38 Taten setzen sich aus 9 Propagandadelikten, 25 Sachbeschädigungen, 3 Beleidigungen gegen Personen des politischen Lebens und 1 Diebstahl zusammen. In allen Fällen wurden im öffentlichen Raum aufgestellte Wahlplakate angegangen. Überproportional betroffen waren Plakate der SPD (16 Taten) und des "Bündnis 90/Die Grünen" (10 Taten). 4.3 Entwicklung der PMK -linksPMK -links450 400 383 350 300 265 253 250 230 200 144 137 150 100 50 30 27 22 21 12 10 0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 PMK links PMK links Gewalt 265 der PMK -linkszuzuordnenden Straftaten im Jahr 2024 bedeuten im Vergleich zum Vorjahr eine Zunahme von 128 Fällen bzw. 93,4 %. Die Zahl der erfassten Gewaltdelikte stieg ebenfalls um 15 Taten (+125 %). Im Vergleich zum Vorjahr (29,9 %) sank die Aufklärungsquote auf 17,7 %. Von den 27 Gewaltdelikten konnten 11 (40,7 %) aufgeklärt werden. Seite 29 II Politisch motivierte Kriminalität Die 27 Gewalttaten beinhalten 6 gefährliche Körperverletzungen, 5 einfache Körperverletzungen, 11 tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, 3 Brandstiftungen und 2 gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Eine Häufung der Gewalttaten ist in der Stadt Kiel mit 13 Taten zu verzeichnen. Davon stehen 11 Straftaten im Zusammenhang mit dem Protestcamp "Rheinmetall entwaffnen". 4.4 Delikte der PMK -linksPMK -linksDelikte 160 149 140 120 100 80 70 60 40 31 20 14 13 12 11 6 6 9 2 4 0 SS 303 StGB SS 242 StGB SS 185 StGB SS 304 StGB SS 114 StGB SS 188 StGB 2023 2024 Die Straftaten im Phänomenbereich PMK -linkswurden 2024 durch Sachbeschädigungen, Diebstähle und Beleidigungen dominiert. Die Sachbeschädigungen umfassen dabei wie schon in den vergangenen zwei Jahren mit 149 Taten mehr als die Hälfte (56,2 %) der registrierten Straftaten. Im Folgenden werden verschiedene Themenfelder der PMK -linksim Jahr 2024 behandelt. Straftaten können je nach Motivation der Täterin oder des Täters nur einem oder auch mehreren Themenfeldern zugeordnet werden. Antifaschismus/"gegen rechts" Das bedeutendste Themenfeld der PMK -linkswar im Jahr 2024 erneut der Antifaschismus. Der von linksmotivierten Straftäterinnen und Straftätern verübte "Kampf gegen rechts" zeichnete sich vor allem durch Sachbeschädigungen aus. Den Themenfeldern Antifaschismus und "gegen rechts" sind 200 Taten (75,5 %) zuzuordnen (2023: 63 Taten). In diesem Zuge wurden im Berichtsjahr 6 Körperverletzungen, 3 Brandstiftungen und 1 gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr begangen. Die Seite 30 II Politisch motivierte Kriminalität nachfolgend beispielhaft aufgelisteten Straftaten richteten sich gegen Mitglieder der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) oder standen in Zusammenhang mit Veranstaltungen der AfD. * In einem Fall kam es im Rahmen eines Infostandes der AfD zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Betreibern des Standes und zweier dem linken Spektrum zuzuordnenden Passanten. * Des Weiteren kam es im Rahmen einer politischen Feier der AfD vor dem Veranstaltungsort zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern der AfD und Teilnehmern einer Demonstration. Im weiteren Verlauf wurden durch Demonstranten Feuerwerkskörper in Richtung der AfD-Mitglieder geworfen, hierdurch wurde eine unbeteiligte Servicekraft am Kopf verletzt. * In einem anderen Fall kam es im Vorwege eines AfD-Parteitages zu einem Aufbringen einer unbekannten Säure auf der Herrentoilette der Tagungsstätte. * Ferner wurde ein Geschädigter auf dem Weg zu der Kundgebung "Gegen importierte Gewalt" von einem Gegendemonstranten körperlich angegangen. * Auch wurde durch Gemeindemitarbeiter mitgeteilt, dass an einer Bushaltestelle Antifa-Aufkleber aufgebracht waren, unter denen sich Rasierklingen befanden. Die Klingen hätten bei unachtsamer Entfernung Verletzungen hervorgerufen. * Im Rahmen des Landesparteitages der AfD wurde ein Polizeibeamter durch das Schlagen mit einer Fahnenstange durch Gegendemonstranten verletzt. * Bei den drei Brandstiftungen handelt es sich um drei in Brand gesetzte Fahrzeuge. Zwei Geschädigte sind Mitglieder in der AfD, ein Geschädigter ist Funktionsträger in der "Jungen Alternative" (Jugendorganisation der AfD). * Im Rahmen einer Demonstration warf ein Veranstaltungsteilnehmer einen Gegenstand auf einen fahrenden PKW. In diesem saßen zwei Mitglieder der AfD-Fraktion des Bundestages. Insgesamt wurden 107 Taten in Zusammenhang mit der AfD im Berichtsjahr 2024 erfasst, wobei 1 Tat zum Nachteil von Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten begangen wurden, die auf einer AfD-Veranstaltung eingesetzt waren. Die 106 übrigen Taten zum Nachteil der AfD weisen ein breites Spektrum an Deliktsfeldern auf (neben den oben genannten Fällen u.a. Beleidigung, Diebstahl, Bedrohung, Nötigung, Sachbeschädigung). Seite 31 II Politisch motivierte Kriminalität Straftaten im Zusammenhang mit der Europawahl am 09. Juni 2024 Ein weiteres bestimmendes Themenfeld der PMK -linksim Berichtsjahr 2024 stellen Straftaten im Zusammenhang mit der Europawahl am 09. Juni 2024 dar (70 Taten). In 42 Fällen wurden Wahlplakate beschädigt, davon 38 der AfD. In 25 Fällen wurden Wahlplakate der AfD entwendet. Straftaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole Ein weiteres bestimmendes Themenfeld der PMK -linksim Berichtsjahr 2024 stellen Straftaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole dar. Darunter sind Straftaten zum Nachteil von politischen Parteien und der Polizei einzuordnen. * Im Zusammenhang mit der Europawahl kam es zu zahlreichen Sachbeschädigungen an Wahlplakaten, insbesondere an Plakaten der AfD. * Vom 03. September 2024 bis zum 08. September 2024 kam es zu einem Protestcamp des Bündnisses "Rheinmetall entwaffnen" in Kiel. In diesem Zusammenhang kam es zu 8 tätlichen Angriffen auf Polizeibeamtinnen und -beamte (SS 114 StGB) und 2 gefährlichen Körperverletzungen zum Nachteil von Polizeibeamtinnen und -beamten (SS 224 StGB). In 7 Fällen kam es zu Beleidigungen von Personen des politischen Lebens (SS 188 StGB). * Durch die "Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet" (ZMI) im BKA wurde zudem folgender Sachverhalt mitgeteilt: Der Beschuldigte postete öffentlich auf der Plattform X zu einem Post der AfD-Politikerin Dr. Alice Weidel "Du dummes Nazischwein halt einfach deine Fresse mit deiner scheiß Lügenpropaganda und Menschenfeindlichkeit. In der Revolution wirst du als erstes geköpft". Ökologie Straftaten im Themenfeld Ökologie stellten im Berichtsjahr mit 10 Fällen eine untergeordnete Rolle dar. Folgende Taten können beispielhaft skizziert werden: * Im Berichtszeitraum kam es durch Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppierung "Letzte Generation" zu einer Aktion auf dem Flughafen Sylt, bei der die Beschuldigten sich unerlaubt gewaltsam Zugang zum Flughafengelände verschafften. Ein Beschuldigter wurde am beschädigten Zaun des Flughafens festgestellt. Zwei Beschuldigte drangen bis zu einem Privatflugzeug vor. Beide versuchten, sich auf den Tragflächen des Flugzeugs festzukleben. Seite 32 II Politisch motivierte Kriminalität * In Brunsbüttel kam es an der Baustelle des LNG Terminals "West Jetty" zu einer Besetzungsaktion der dort befindlichen Arbeitsgeräte durch 47 Personen, die der Gruppierung "Ende Gelände" zuzuordnen waren. Zudem gelangten einige Personen mittels Schlauchbooten zu einem schwimmenden Ponton, auf dem sich ein Kran befand. Weitere Personen haben sich in einem so genannten "Tripod" aufgehalten, welches die Beschuldigten vor Ort selbst errichteten. Es handelte sich um eine Protestaktion gegen LNG. Es kam zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen den Mitgliedern von "Ende Gelände" und einem Mitarbeiter, wobei sich dieser leicht verletzte. * In Kiel haben sich vier Beschuldigte unbefugt in den Sicherheitsbereich des "Port of Kiel" begeben, welcher durch unbefugte Personen nicht betreten werden darf. Es wurde ein Banner mit der Aufschrift "Mit Vollgas in die Klimakrise" ausgerollt. Zudem habe eine Person einen Rauchtopf gezündet. Zum selben Zeitpunkt hat sich ein Kreuzfahrtschiff der "AIDA" im Hafenbereich befunden. Antimilitarismus/Rüstung/Bundeswehr Dem Thema "Antimilitarismus/Rüstung/Bundeswehr" bekam auf Grund des Protestcamps "Rheinmetall entwaffnen" in Kiel in 2024 wieder mehr Bedeutung zu. Der Protest richtete sich nicht nur gegen Rheinmetall, sondern auch gegen andere Rüstungsunternehmen in Kiel. Ein besonderes Augenmerk wurde auf TKMS gelegt, da dort U-Boote für den israelischen Staat gefertigt werden. Daraus resultierte eine rege Beteiligung der pro-palästinensischen Community an den Versammlungen. Bestimmend war jedoch das Bündnis RME. Es konnte eine bundesweite Mobilisierung festgestellt werden. In der Spitze waren bis zu 500 teilnehmende Personen im Protestcamp. Am 07. September 2024 kam es zu einem angemeldeten Aufzug von 1 000 Teilnehmenden vor das Werksgelände von TKMS. Es ist zu konstatieren, dass sowohl die Gesamtzahlen der PMK -linksals auch die Gewaltdelikte einem stärkeren Aufwärtstrend unterliegen. Die linke Szene ist mit ihren unterschiedlichen ideologischen Bezugsthemen vielseitig aufgestellt. Ein Teil der Szene betrachtet dabei auch Gewalt als legitimes Mittel, um politische Ziele zu erreichen. Diese Gewalt äußert sich im Wesentlichen in versammlungstypischen Straftaten, Sachbeschädigungen und Brandstiftungen, vornehmlich zum Nachteil des politischen Gegners sowie polizeilicher Einsatzkräfte. Seite 33 II Politisch motivierte Kriminalität 4.5 Entwicklung der PMK -ausländische IdeologiePMK -ausländische Ideologie120 114 104 100 92 80 60 40 20 16 17 14 10 7 7 4 2 0 0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 PMK ausländische Ideologie PMK ausländische Ideologie Gewalt Der PMK -ausländische Ideologiewurden im Jahr 2024 insgesamt 114 Straftaten zugeordnet. Hieraus ergibt sich im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 10 Taten bzw. 9,6 %. Die Zahl der erfassten Gewaltdelikte stieg im Erfassungszeitraum von 10 Taten in 2023 auf nunmehr 17 Taten (+70 %), von denen 14 aufgeklärt werden konnten (82,4 %). Die Aufklärungsquote der politisch motivierten Straftaten mit ausländischer Ideologie insgesamt lag bei 57,9 % (2023: 55,8 %). Seite 34 II Politisch motivierte Kriminalität 4.6 Delikte der PMK -ausländische IdeologiePMK -ausländische IdeologieDelikte 30 26 25 20 20 19 16 15 14 13 12 10 9 8 8 8 6 5 4 4 0 SS 130 StGB SS 185 StGB SS 303 StGB SS 86a StGB SS 223 StGB SS 140 StGB SS 224 StGB 2023 2024 Den deliktischen Schwerpunkt im Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologiestellt, wie im Jahre 2023 (20 Taten) der SS 130 StGB (Volksverhetzung) mit 26 Taten dar. Die 17 Gewaltdelikte unterteilen sich in 12 Körperverletzungen gem. SS 223 StGB, 4 Gefährliche Körperverletzungen gem. SS 224 StGB und 1 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gem. SS 113 StGB. Hierbei handelt es sich überwiegend um Auseinandersetzungen auf Grund der Zugehörigkeit einer bestimmten Nation bzw. Ethnie. Ein starker Anstieg ist im Bereich der Beleidigungen erkennbar, ohne dass sich ein Schwerpunkt auf bestimmte Themen feststellen lässt. Im Kontext Türkei wurden im Rahmen des Asylverfahrens 1 Fall übermittelt, bei dem der Verdacht bestand, dass sich der Asylsuchende der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (PKK) strafbar gemacht haben könnte. Seite 35 II Politisch motivierte Kriminalität 4.7 Entwicklung der PMK -religiöse IdeologiePMK -religiöde Ideologie35 31 30 30 25 24 20 19 16 15 10 9 5 4 4 3 3 2 0 0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 PMK religiöse Ideologie PMK religiöse Ideologie Gewalt Dem seit 2017 gesondert erfassten Bereich PMK -religiöse Ideologiekonnten im Jahr 2024 30 Straftaten zugeordnet werden. Der Rückgang im Vergleich zum Vorjahr um 1 Tat (-3,2 %) zeigt ein gleichbleibendes Fallzahlenniveau. Die Zahl der Gewaltdelikte erhöhte sich im Betrachtungszeitraum, bei absolut ebenfalls sehr geringen Fallzahlen, von 3 auf 4 (1 Körperverletzung gem. SS 223 StGB, 2 Gefährliche Körperverletzung gem. SS 224 StGB, 1 Schwere Brandstiftung gem. SS 306a StGB). Gewaltdelikte machten somit einen Anteil von 13,3 % an der Gesamtzahl der Straftaten im Phänomenbereich -religiöse Ideologieaus. Alle Taten sind dem Themenfeld "Islamismus" zuzurechnen. Die Entwicklung der PMK -religiöse Ideologieverbleibt damit bei den traditionell absolut sehr geringen Fallzahlen. Seite 36 II Politisch motivierte Kriminalität 4.8 Delikte der PMK -religiöse IdeologiePMK -religiöse IdeologieDelikte 8 7 7 6 6 5 5 4 4 4 3 3 3 3 3 2 2 2 2 2 1 1 1 0 0 SS 126 StGB SS 86 StGB SS 89a StGB SS 130 StGB SS 241 StGB SS 224 StGB SS 86a StGB SS 129a,b StGB 2023 2024 Die Straftaten im Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologiewurden 2024 im Wesentlichen geprägt durch Störungen des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten und das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. 5 der 30 gemeldeten Fälle waren der Deliktsgruppe des Terrorismus zuzuordnen (2023: 4 Taten). Bei diesen 5 Verfahren handelte es sich um 1 Verfahren gem. SSSS 129a, b StGB (Mitgliedschaft / Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland) und 4 Verfahren wegen SS 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat). Beispielhaft sei hier der folgende Sachverhalt aus dem Betrachtungszeitraum genannt: * Im Frühjahr 2024 erreichte das Landeskriminalamt Schleswig-Holstein über das Bundeskriminalamt ein Hinweis eines ausländischen Nachrichtendienstes. Demnach habe ein in Schleswig-Holstein lebender Jugendlicher vor, ein Attentat auf ein Konsulat in Deutschland zu begehen. Er wurde zunächst in Gewahrsam genommen und anschließend wieder freigelassen. Die weiteren intensiven Ermittlungen in den folgenden Monaten ergaben Anzeichen für eine fortschreitende islamistische Radikalisierung. Im November 2024 konnte der Jugendliche in Untersuchungshaft genommen werden, nachdem die Ermittlungen eine Konkretisierung von Anschlagsplänen ergaben. Die restlichen 25 Straftaten unterteilten sich in 5 Taten wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten gem. SS 126 StGB, 4 Taten wegen Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen gem. SS 86 StGB sowie 2 Taten wegen Verbreitung von Kennzeichen o.g. Organisationen Seite 37 II Politisch motivierte Kriminalität gem. SS 86a StGB. Außerdem wurden jeweils 3 Taten wegen Volksverhetzung gem. SS 130 StGB und Bedrohung gem. SS 241 StGB sowie 2 Taten wegen gefährlicher Körperverletzung gem. SS 224 StGB registriert. Weitere Straftaten wie die Belohnung und Billigung von Straftaten, Vortäuschen einer Straftat, Körperverletzung, Sachbeschädigung, Gemeinschädliche Sachbeschädigung und die (versuchte) schwere Brandstiftung gem. der SSSS 140, 145d, 223, 303, 304, 306a StGB wurden jeweils einmal registriert. Bezüglich der Motivlage unterteilten sich die Straftaten wie folgt: 3 Straftaten waren rein islamistisch/fundamentalistisch motiviert, 1 Straftat richtete sich gegen den Staat und seine Einrichtungen und Symbole und bei 7 Straftaten lagen mehrere Ausprägungen gleichzeitig vor. Hinzu kamen bei diesen Straftaten neben den zuvor genannten auch Christen-/Fremdenfeindlichkeit und die Bildungspolitik. Insgesamt 11 Straftaten waren salafistisch motiviert und zielten im Wesentlichen auf eine Unterstützung des sog. "Islamischen Staates" ab. Davon waren insgesamt 6 Straftaten gem. SSSS 89a, 86 StGB, 2 gem. SS 126 StGB und jeweils 1 nach SSSS 145d, 223, 241 StGB. Die übrigen 8 Straftaten betrafen zum nicht unerheblichen Anteil inhaltlich und auch in der Art der Ausprägung (z.B. gleichzeitig antisemitisch und Bezug zu Palästina / Israel) den noch andauernden Nahost-Konflikt. Grundsätzlich ist festzustellen, dass aufgrund der Erfassungsrichtlinien eine Vielzahl der im Phänomenbereich bearbeiteten Straftaten und Gefahrenabwehrvorgänge im vorliegenden Berichtsjahr nicht miterfasst werden, sodass die Zahlen für den Bereich der PMK -religiöse Ideologienur eine begrenzte Aussagekraft aufweisen. Seite 38 II Politisch motivierte Kriminalität 4.9 Entwicklung der PMK -sonstige ZuordnungPMK -sonstige Zuordnung800 752 700 600 500 471 488 400 368 300 200 134 115 100 24 31 40 9 8 11 0 2019 2020 2021 2022 2023 2024 PMK Sonstige Zuordnung PMK Sonstige Zuordnung Gewalt Mit 752 Straftaten der PMK -Sonstige Zuordnungim Jahr 2024 ist ein deutlicher Anstieg um 264 Taten bzw. 54,1 % im Vergleich zum Vorjahr feststellbar. In diesem Phänomenbereich konnten 284 (37,8 %) der Straftaten aufgeklärt werden. 40 (5,3 %) der insgesamt 752 in diesem Phänomenbereich begangenen Straftaten waren Gewaltdelikte (2023: 6,4 %). Dies entspricht einer Zunahme von 9 Fällen bzw. 29 %. In 23 Fällen (57,5 %) konnte eine Täterin bzw. ein Täter ermittelt werden. Den Großteil der Gewaltdelikte machten die einfachen Körperverletzungen gem. SS 223 StGB aus. Hier ist ein leichter Anstieg um 5 Taten von 16 auf 21 Taten in 2024 gegenüber 2023 zu verzeichnen. Auch die Zahlen der gefährlichen Körperverletzungen gem. SS 224 StGB sind von 7 auf 8 Taten leicht angestiegen. Die Zahl der Widerstandshandlungen und tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte ist von 1 Tat auf 4 Taten angestiegen. Hinzu kommt 1 tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte (SS 114 StGB). Weiterhin wurden im Berichtszeitraum zusätzlich 1 Landfriedensbruch (SS 125 StGB) und 5 gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr (SS 315 b StGB) bekannt. Seite 39 II Politisch motivierte Kriminalität 4.10 Delikte der PMK -sonstige ZuordnungPMK -sonstige ZuordnungDelikte 250 237 200 150 141 120 100 96 83 78 54 55 50 44 34 35 38 16 21 0 SS 303 StGB SS 185 StGB SS 86a StGB SS 188 StGB SS 242 StGB SS 130 StGB SS 223 StGB 2023 2024 Die Straftaten im Phänomenbereich wurden 2024, wie auch in den Jahren zuvor, im Wesentlichen durch Sachbeschädigungen sowie Propagandaund Beleidigungsdelikte und weniger durch Körperverletzungsoder Bedrohungsdelikte geprägt. Der signifikante Anstieg der Fallzahlen (+264 Taten) resultiert demnach vor allem durch die Zunahme von Sachbeschädigungen gem. SS 303 StGB (+96 Taten), Beleidigungen gem. SS 185 StGB (+66 Taten) und Beleidigungen/üble Nachrede/Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens gem. SS 188 StGB (+44 Taten). Besonders zu betrachtende Themenfelder in diesem Phänomenbereich werden im Folgenden dargestellt: Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen Insgesamt gab es 239 Taten (2023: 125 Taten), die im Zusammenhang mit Wahlen standen. 227 Taten entfallen allein auf Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens (27 Taten) sowie Diebstahls(43 Taten) und Sachbeschädigungsdelikte (157 Taten) mit dem Angriffsziel Wahlplakat. Alle Parteien sind in diesem Zusammenhang gleich betroffen. Seite 40 II Politisch motivierte Kriminalität Weitere Straftaten im Zusammenhang mit dem Wahlkampfgeschehen waren: * 2 öffentliche Aufforderungen von Straftaten (SS 111 StGB): In einem Fall wurde in einer Chatgruppe dazu aufgerufen, Wahlplakate der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" zu entfernen. In dem anderen Fall wurde auf das Wahlplakat der "freien Wähler" mit Sprühlack die Forderung aufgebracht, den Spitzenkandidaten zu verletzen. * Im Fall eines Widerstandes (SS 113 StGB) konnten zwei alkoholisierte Personen beim Beschädigen von Wahlplakaten festgestellt werden. Im Rahmen der Personalienfeststellung versuchten sich die Täter, der polizeilichen Maßnahme zu entziehen und leisteten anschließend Widerstand. * Insgesamt 9 Vorfälle im Wahlkampfgeschehen erfüllten den Tatbestand des SS 86a StGB. Hier wurden in 8 Fällen durch unbekannte Täter Wahlplakate mit verfassungsfeindlichen Zeichen aus dem Spektrum des Nationalsozialismus (z.B. Hakenkreuz) beschmiert. Überproportional betroffen war hier die Partei "Bündnis 90/Die Grünen" (6 Fälle). Es bleibt festzustellen, dass ein Anstieg der Straftaten im Zusammenhang mit Wahlen zu verzeichnen ist. Parteien mit exponiertem Konfliktpotenzial Dem aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskurs folgend, wurden zwei Parteien in die nähere Betrachtung einbezogen, die derzeit kontrovers wahrgenommen werden und dadurch einer erhöhten Gefahr unterliegen, Ziel von politisch motivierten Straftaten zu werden. Neben der Betrachtung von Straftaten, welche sich gegen die Partei AfD und deren Repräsentanten richten, ist in der Jahresbetrachtung ein erneuter Anstieg von Taten gegen die Partei "Bündnis90/Die Grünen" und deren Repräsentanten zu verzeichnen. 2024 kam es zu insgesamt 132 Vorfällen (+23,4 %), die sich gegen "Bündnis90/Die Grünen" richteten. Bei 95 Taten (2023: 57 Taten) wurden Wahlplakate durch Diebstahl (18 Taten) oder Sachbeschädigung (77 Taten) angegangen. Diese Taten sind damit unmittelbar der Europawahl 2024 zuzurechnen und machen den größten Anteil der Straftaten gegenüber dieser Partei und deren Repräsentanten aus. Es wurden 4 Verstöße nach SS 130 StGB festgestellt. Hierbei handelte es sich überwiegend um sog. Hasspostings, welche über soziale Netzwerke verbreitet wurden und aufgrund des jeweiligen Inhalts den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllten. Seite 41 II Politisch motivierte Kriminalität Auch 5 weitere Straftaten, die sich dem Deliktsbereich der Beleidigung zurechnen lassen, fanden im digitalen Raum in sozialen Netzwerken statt. In 3 Fällen kam es zu den nachfolgend skizzierten Körperverletzungsdelikten zum Nachteil der Partei "Bündnis 90/Die Grünen"': * In zwei Fällen wurden sogenannte "Ekelbriefe" (getragene Coronamaske und mit Fäkalien beschmutztes Tuch) in die Parteibüros gesandt. * In einem Fall wurde Fäkaliensubstanz in ein auf Kipp stehendes Fenster eines Parteibüros geschüttet. Hervorzuheben ist die Blockadeaktion gegen Bundesminister Habeck am Fähranleger Schlüttsiel. Herr Habeck befand sich auf einer privaten Reise. Bei dem Eintreffen der Fähre am Anleger erwarteten mehrere Hundert Personen den Bundesminister. Die Demonstranten setzten sich aus Landwirten, Spediteuren und weiteren kritischen Bürgern zusammen. Es herrschte eine aufgeheizte Stimmung. Schließlich entschied man sich, die Fähre wieder ablegen zu lassen, um eine Eskalation der Situation zu verhindern. Ein Verfahren nach SS 125 StGB (Landfriedensbruch) wurde eingeleitet. Die Motivation kann keinem Phänomenbereich trennscharf zugeordnet werden. Ein starker Anstieg von Taten ist gegen die Partei SPD zu verzeichnen: 94 Straftaten wurden zum Nachteil der Partei begangen (2023: 28 Taten). Alleine in 61 Fällen kam es zu Sachbeschädigungen, auch hier überwiegend an Wahlplakaten. In 19 Fällen wurden Beleidigungen angezeigt. In 2 Fällen kam es zu Körperverletzungsdelikten. * In einem Fall handelt es sich um einen zugesandten "Ekelbrief". * In dem anderen Fall kommt es zu einem Böllerwurf in Richtung eines Bundesministers. Der Geschädigte wurde nicht verletzt. In 38 Fällen (2023: 25 Fälle) wurde die Partei AfD oder deren Vertreter Opfer von Straftaten. Diese Taten beziehen sich zum ganz überwiegenden Teil auf Angriffe gegen Wahlplakate (5x Diebstahl / 17x Sachbeschädigung). In 9 Fällen wurde eine Anzeige wegen Beleidigung erstattet. Es kam zu 8 Diebstählen von Wahlplakaten. * Zum Nachteil von AfD-Mitgliedern gab es eine gefährliche Körperverletzung. Während des Plakatierens wurden diese von einem psychisch kranken Anwohner bedrängt und es wurde versucht, einen Geschädigten von der Leiter zu stoßen. Seite 42 II Politisch motivierte Kriminalität Covid19-Pandemie Auf den Themenbereich Covid19-Pandemie entfielen lediglich 11 Taten (2023: 9 Taten), die überwiegend als Hasspostings im Internet oder durch Schreiben von Briefen begangen wurden. 5 Phänomenübergreifende PMK 5.1 Straftaten gegen Amtsund Mandatsträger/-innen Straftat Gesamt Gesamt PMK PMK PMK PMK 2023 2024 rechts links AI SZ Verwenden von Kennzeichen 7 10 5 0 0 5 verfassungswidriger Organisationen (SS 86a StGB) Verfassungsfeindliche Verunglimpfung 1 0 0 0 0 0 von Verfassungsorganen (SS 90b StGB) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 3 8 5 0 0 3 (SS 111 StGB) Hausfriedensbruch (SS 123 StGB) 1 0 0 0 0 0 Landfriedensbruch (SS 125 StGB) 0 1 0 0 0 1 Störung des öffentlichen Friedens 1 2 0 0 1 1 durch Androhung von Straftaten (SS 126 StGB) Gefährdendes Verbreiten personenbe- 0 1 0 1 0 0 zogener Daten (SS 126a StGB) Volksverhetzung (SS 130 StGB) 11 7 4 1 1 1 Belohnung und Billigung von 3 5 2 0 0 3 Straftaten (SS 140 StGB) Falsche Verdächtigung (SS 164 StGB) 1 0 0 0 0 0 Beleidigung (SS 185 StGB) 23 69 4 2 1 62 Üble Nachrede (SS 186 StGB) 0 1 0 0 0 1 Verleumdung (SS 187 StGB) 1 1 0 0 0 1 Üble Nachrede und Verleumdung 39 95 8 8 1 78 gegen Personen des politischen Lebens (SS 188 StGB) Verhetzende Beleidigung 1 1 1 0 0 0 (SS 192a StGB) Verletzung der Vertraulichkeit des 1 0 0 0 0 0 Wortes (SS 201 StGB) Seite 43 II Politisch motivierte Kriminalität Straftat Gesamt Gesamt PMK PMK PMK PMK 2023 2024 rechts links AI SZ Verletzung des höchstpersönlichen 1 0 0 0 0 0 Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen (SS 201a StGB) Körperverletzung (SS 223 StGB) 1 3 0 0 1 2 Gefährliche Körperverletzung 2 1 0 0 0 1 (SS 224 StGB) Nötigung (SS 240 StGB) 1 4 0 1 0 3 Bedrohung (SS 241 StGB) 9 10 2 0 1 7 Urkundenfälschung (SS 267 StGB) 0 1 0 0 0 1 Sachbeschädigung (SS 303 StGB) 6 7 0 0 0 7 Gefährl. Eingriff in den Strassenverkehr 0 2 0 1 0 1 (SS 315b StGB) Summe: 113 229 31 14 6 178 Im Bereich der Straftaten gegen Amtsund Mandatsträger/-innen ist für das Jahr 2024 ein Anstieg auf insgesamt 229 Taten (2023: 113 Taten) zu registrieren, was einer Steigerung von 102,7 % entspricht. Von den insgesamt 229 Taten wurden 31 Taten der PMK -rechts-, 14 Taten der PMK -links-, 6 Taten der PMK -AIund 178 Taten der PMK -sonstige Zuordnungzugeschrieben. Den deliktischen Schwerpunkt im Bereich PMK -rechtsbildete dabei der SS 188 StGB (Üble Nachrede und Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens) mit insgesamt 8 Taten (2023: 3 Taten). Der Großteil der Straftaten (178 Taten) gegen Amtsund Mandatsträger/-innen war, wie bereits 2023, für das Jahr 2024 im Bereich des Phänomenbereiches PMK -sonstige Zuordnungzu registrieren. Dies ist eine Steigerung von 104 Taten gegenüber dem Jahr 2023 (74 Taten) und entspricht einer Steigerung der Fallzahlen von 140,5 %. Hier stellten die Beleidigungsdelikte (SSSS 185, 187, 188 StGB) mit 141 Straftaten den größten Anteil dar, wobei im Bereich des spezielleren Straftatbestandes SS 188 StGB mit 78 Straftaten (2023: 32 Taten) ein erheblicher Anstieg von 143,8 % zu verzeichnen ist. Im Bereich des Straftatbestandes SS 185 StGB wurden 62 Straftaten für das Jahr 2024 im Bereich PMK -sonstige Zuordnungregistriert. Hier ist eine Zunahme der Deliktszahlen (+ 39 Taten) gegenüber dem Jahr 2023 (23 Taten) festzustellen, was einem deutlichen Anstieg von 169,6 % entspricht. Seite 44 II Politisch motivierte Kriminalität Im Bereich des SS 241 StGB (Bedrohung) konnte eine Reduzierung auf 7 Straftaten gegenüber 9 Straftaten im Jahr 2023 dokumentiert werden. Dies entspricht einer Abnahme von 22,2 %. Es ist zu konstatieren, dass insbesondere für Amtsund Mandatsträger/-innen fortgesetzt das Risiko besteht, im Rahmen öffentlicher Positionierungen und aktueller politischer Entscheidungen, Ziel verbaler Anfeindungen zu werden. Diese werden überwiegend in digitaler Form durch E-Mails, Aussagen / Kommentare in den sozialen Netzwerken oder auf einer anderen Website mit öffentlichen Kommentarfunktionen getätigt. Die gestiegenen Zahlen (SSSS 188,185 StGB) im Bereich PMK -sonstige Zuordnungdürften mit einem gesteigerten Anzeigenverhalten der Geschädigten und insbesondere auch der Meldungen (Hassposting/Hasskriminalität im Internet) durch die "Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet" (ZMI) im BKA zu begründen sein. 5.2 Antisemitische Straftaten Straftat Gesamt Gesamt PMK PMK PMK PMK PMK 2023 2024 rechts Links AI SZ RI Verwenden von Kennzeichen 7 8 7 0 1 0 0 verfassungswidriger Organisationen (SS 86a StGB) Vorbereitung einer schweren 0 2 0 0 0 0 2 staatsgefährdenden Gewalttat (SS 89a StGB) Verletzung von Flaggen und Ho- 1 0 0 0 0 0 0 heitszeichen ausländischer Staaten (SS 104 StGB ) Öffentliche Aufforderung zu 1 1 1 0 0 0 0 Straftaten (SS 111 StGB) Störung des öffentlichen Frie- 7 0 0 0 0 0 0 dens durch Androhung von Straftaten (SS 126 StGB) Volksverhetzung (SS130 StGB) 80 100 72 1 19 6 2 Belohnung und Billigung von 2 1 0 0 1 0 0 Straften (SS 140 StGB) Beschimpfung von Bekenntnis- 0 1 1 0 0 0 0 sen, Religionsgesellschaften und Weltanschaungsvereinigungen (SS 166 StGB) Beleidigung (SS 185 StGB) 3 2 2 0 0 0 0 Körperverletzung (SS 223 StGB) 0 1 1 0 0 0 0 Seite 45 II Politisch motivierte Kriminalität Straftat Gesamt Gesamt PMK PMK PMK PMK PMK 2023 2024 rechts Links AI SZ RI Gefährliche Körperverletzung 0 1 1 0 0 0 0 (SS 224 StGB) Bedrohung (SS 241 StGB) 3 2 1 0 0 1 0 Diebstahl (SS 242 StGB) 1 1 0 0 1 0 0 Bes. schwerer Fall des Diebstahls 0 1 1 0 0 0 0 (SS 243 StGB) Sachbeschädigung (SS 303 StGB) 8 2 0 0 1 1 0 Gemeinschaftliche 0 3 0 0 0 2 1 Sachbeschädigung (SS 304 StGB) Summe: 115 126 87 1 23 10 5 Im Jahr 2024 wurden insgesamt 126 antisemitische Straftaten erfasst. Dies stellt einen Anstieg um 9,6 % gegenüber dem Vorjahr dar (2023: 115 Taten) dar. Die Aufklärungsquote lag bei 64,3 % (2023: 61,7 %). Von den insgesamt 126 Straftaten ließen sich 87 Straftaten dem Phänomenbereich PMK -rechts-, 23 Straftaten dem Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologie-, 10 Straftaten dem Phänomenbereich PMK -sonstige Zuordnung-, 5 Straftaten dem Phänomenbereich -religiöse Ideologieund 1 Straftaten dem Phänomenbereich PMK -linkszuordnen. Seit den Terrorangriffen der Hamas auf den Staat Israel am 07. Oktober 2023 konnte in diesem Kontext eine überproportionale Zunahme von antisemitischen Straftaten registriert werden, hierbei handelte es sich überwiegend um Volksverhetzungen. Im Berichtszeitraum wurden in Schleswig-Holstein die folgenden 2 Gewaltdelikte angezeigt (2023: 0 Taten): * In einem länger schwelenden Nachbarschaftsstreit wurde der Geschädigte (jüdischen Glaubens) vom Beschuldigten erst beleidigt und anschließend versuchte der Beschuldigte, den Geschädigten mit der Faust zu schlagen. * Auch im zweiten Fall handelt es sich um eine Auseinandersetzung zwischen Nachbarn. Nach langanhaltenden verbalen Streitigkeiten versuchte der Beschuldigte den Geschädigten (jüdischen Glaubens) mit einem abgebrochenen Besenstiel zu attackieren. Der deliktische Schwerpunkt liegt bei den Volksverhetzungen (SS 130 StGB) mit 100 Taten (2023: 80 Taten). In diesem Deliktsbereich sind alleine 59 Straftaten in Form von Hasspostings im Internet begangen worden. Im Berichtszeitraum wurde einmal öffentlich zu Straftaten aufgefordert (SS 111 StGB). Seite 46 II Politisch motivierte Kriminalität In einer Bushaltestelle befand sich ein Aufkleber mit dem Konterfei der Politiker Habeck und Baerbock. Händisch war auf dem Aufkleber "Durch den Hochofen von Auschwitz jagen" geschrieben. Im Weiteren wurden 5 Straftaten (SSSS 303, 304 StGB) im Zusammenhang mit jüdischen Gedenkstätten und Erinnerungsorten festgestellt. Beispielhaft kam es zu folgenden Tatbegehungen: * In einem Fall wurde in Elmshorn an Stelen am Synagogengedenkplatz ein Graffiti aufgebracht, dass mit einer islamistischen Bewegung in Zusammenhang stehen könnte. * In 2 weiteren Fällen wurde jeweils in Uetersen eine Gedenkstätte beschädigt, die an die Todesmärsche aus dem KZ Buchenwald erinnern soll und an der ehemaligen Synagoge in Bad Segeberg wurde der Schriftzug "Free Palestina" aufgebracht. * Zu den oben dargestellten Sachbeschädigungen kam es in Oldenburg in Holstein zu einer Beschädigung eines Snackautomaten. In die Sicherheitsscheibe wurde das Wort "JEW" und darunter ein großer Davidstern geritzt. In 2 Fällen wurden Personen jüdischen Glaubens wie folgt bedroht (SS 241 StGB): * Einem Geschädigten wurde über soziale Netzwerke der Tod angedroht. * Einem anderen Geschädigter wurde mitgeteilt, dass man Personen schicken würde, um ihn körperlich anzugehen. 5.3 Reichsbürger / Selbstverwalter Straftat Gesamt Gesamt PMK PMK 2023 2024 rechts SZ Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger 2 1 1 0 oder terroristischer Organisationen -Kennzeichen(SS 86a StGB) Öffentliche Aufforderung zu Straftaten 0 1 1 0 (SS 111 StGB) Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 2 3 0 3 (SS 113 StGB) Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte 2 1 0 1 (SS 114 StGB) Hausfriedensbruch (SS 123 StGB) 1 0 0 0 Störung des öffentlichen Friedens durch 0 2 0 2 Androhung von Straftaten (SS 126 StGB) Volksverhetzung (SS 130 StGB) 2 3 3 0 Beleidigung (SS 185 StGB) 3 1 0 1 Verleumdung (SS 187 StGB) 0 1 0 1 Seite 47 II Politisch motivierte Kriminalität Straftat Gesamt Gesamt PMK PMK 2023 2024 rechts SZ Beleidigung gegen Personen des politischen 0 1 1 0 Lebens (SS 188 StGB) Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes 1 0 0 0 (SS 201 StGB) Gefährliche Körperverletzung - Versuch 1 0 0 0 (SS 224 StGB) Nötigung (SS 240 StGB) 1 2 0 2 Bedrohung (SS 241 StGB) 6 2 1 1 Erpressung - Versuch (SS 253 StGB) 1 0 0 0 Urkundenfälschung (SS 267 StGB) 3 2 0 2 Sachbeschädigung (SS 303 StGB) 0 2 0 2 Gemeinschädliche Sachbeschädigung 1 1 1 0 (SS 304 StGB) Zerstörung wichtiger Arbeitsmittel - Versuch 0 1 1 0 (SS 305a StGB) Erpressung - Versuch (SS 253 StGB) 2 0 0 0 Summe: 28 24 9 15 In 2024 wurden 15 der 24 strafrechtlich relevante Fälle unter dem Themenfeld "Reichsbürger und Selbstverwalter" aus dem Bereich PMK -sonstige Zuordnungsubsumiert. Dies ist ein Anstieg von nur einem Fall zum Vorjahr (14 Fälle). Die Aufklärungsquote liegt in diesem Phänomenbereich für 2024 bei 86,7 %. 7 der 15 Taten richteten sich gegen die Angriffsziele "Amtsoder Mandatsträger/-innen" und "Polizei". Folgende Sachverhalte aus dem Kontext der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" stachen in 2024 hervor: * Der Beschuldigte verschickte einen Brief an den Ministerpräsidenten und drohte darin Behördenvertretern mit "Konsequenzen bis zum Tod". * In einem anderen Fall wurde einem Mitarbeiter des Finanzamtes telefonisch gedroht, bei der Behörde zu erscheinen und diese anzuzünden. * Im Rahmen des Protestgeschehens der Bauern / des Mittelstandes kam es auf dem Gelände des Axel Springer Verlages zu einer Blockadeaktion. Ca. 120 Gewerbetreibende blockierten zunächst mit PKW und LKW zwei Zufahrten zu einem Betriebsgelände und brachten somit den dortigen Betrieb überwiegend zum Erliegen. Nach anfänglichen, erfolgreichen Kooperationsgesprächen hielt ein Kern von Personen an der Blockade fest und war nicht bereit, einen Interessensausgleich anzustreben. Die Teilnehmer ließen zunehmend weniger einen demonstrativen Zweck erkennen. Die Versammlung wurde daher aufgelöst. Personen, welche sich weigerten das Areal zu verlassen, wurden zu einem späteren Zeitpunkt mit erhöhtem Kräfteaufgebot der Örtlichkeit verwiesen. Die Teilnehmer gaben an, auf die Missstände der aktuellen Regierung hinweisen zu wollen, weiterhin nahm man Bezug auf die aktuellen Demonstrationen seitens der Landwirte, wobei vor Ort keine Seite 48 II Politisch motivierte Kriminalität Landwirte festzustellen waren. Aufgrund verschiedener Aussagen ist hier von einer unangemeldeten Demonstration von Verschwörern/Reichsbürgern auszugehen. Ergänzend zu der Bearbeitung von Strafverfahren ist die Befassung mit dem Phänomen geprägt durch die Bearbeitung von strafrechtlich irrelevantem Schriftverkehr. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" überziehen eine Vielzahl von Behörden mit pseudojuristischen Schreiben und fordern zu Einlassungen der Behörden zu den verschiedensten Sachthemen auf. Der Umstand, dass es in Schleswig-Holstein im vergangenem Jahr zu keinen herausragenden Gewaltdelikten im Kontext der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gekommen ist, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass aufgrund der ideologischen Ausrichtung in Verbindung mit der Waffenaffinität in Einzelfällen, gewaltsame Verhaltensweisen und Angriffe jederzeit in Betracht gezogen werden müssen, wenn sich staatliche Organe in den Kontakt mit "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" begeben. Dem Bereich PMK -rechtssind 9 der 24 Fälle zuzuordnen. Ein deliktischer Schwerpunkt ist nicht erkennbar. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Rückgang von 3 Fällen zu verzeichnen. 5.4 Spionage/Sabotage Straftat Gesamt Gesamt PMK SZ 2023 2024 SS87 StGB Agententätigkeit zu Sabotagezwecken 0 1 1 SS88 StGB Verfassungsfeindliche Sabotage 1 0 0 SS109f StGB Sicherheitsgefährdender 4 1 1 Nachrichtendienst SS109g StGB Sicherheitsgefährdendes Abbilden 1 1 1 Summe 1 3 3 Aufgrund der aktuell veränderten Sicherheitslage erlangt das Themenfeld Spionage/Sabotage eine immer größere Bedeutung. Das Erfordernis, die gesellschaftlichen Entwicklungen und die festgestellte Kriminalitätslage in allen genannten Phänomenbereichen der PMK auf eine mögliche Motivlage fremder staatlicher Akteure zu betrachten, stellt die Sicherheitsbehörden im Berichtszeitraum vor neue Herausforderungen. Dieses Themenfeld ist stark davon geprägt, dass viele weiche Daten zur Bewertung und Einordnung der polizeilich erfassten Vorgänge herangezogen werden müssen. Im Berichtszeitraum konnten verschiedene Auffälligkeiten an militärischen Einrichtungen und kritischer Infrastruktur festgestellt werden, ohne dass die Vorgänge zweifelsfrei diesem Themenfeld zugeordnet werden konnten. Zudem ließ sich aus vielen Vorkommnissen noch kein Anfangsverdacht einer Straftat begründen, so dass bislang keine Erfassung erfolgte. Seite 49 II Politisch motivierte Kriminalität Strafrechtlich relevant konnten 2024 Drohnenüberflüge über mehrere Monate (August bis Dezember 2024) hinweg über dem ChemCoastPark in Brunsbüttel, weitere Drohnenüberflüge an militärischen Liegenschaften festgestellt und entsprechende Ermittlungsverfahren eingeleitet werden. Weiterhin wurden 1 Strafverfahren nach SS 87 StGB (Agententätigkeit zu Sabotagezwecken), 1 Strafverfahren nach SS 109f StGB (Sicherheitsgefährdender Nachrichtendienst) und 1 Strafverfahren nach SS 109g StGB (Sicherheitsgefährdendes Abbilden) geführt. 5.5 Russland-Ukraine-Konflikt Russland-Ukraine-Konflikt 90 80 78 74 70 60 49 50 41 40 30 25 20 15 13 10 7 1 1 0 0 0 PMK gesamt PMK rechts PMK links PMK PMK religiöse PMK sonstige ausländische Ideologie Zuodnung Ideologie 2023 2024 Dem Themenfeld Russland-Ukraine-Konflikt konnten 78 Taten im Jahr 2024 (2023: 74 Taten) zugeordnet werden. Auf das Themenfeld Russland-Ukraine-Konflikt bezogen sich im Bereich PMK -sonstige Zuordnung49 Taten. Einen Großteil machten hier erneut Hasspostings (18 Taten) aus, welche durch den jeweiligen Inhalt den Delikten der Beleidigung (11 Taten), der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger oder terroristischer Organisationen (5 Taten) und der Billigung von Straftaten (1 Tat) und Volkverhetzung (1 Tat) zugerechnet wurden. Im Bereich PMK -ausländische Ideologiebildete das Themenfeld Russland-Ukraine-Konflikt 15 Straftaten im Jahr 2024 ab. Dies stellt einen Rückgang von 10 Straftaten dar. Hierbei ist die Billigung von Straftaten gemäß SS 140 StGB mit 7 Taten am stärksten Seite 50 II Politisch motivierte Kriminalität vertreten. Die Tatbegehung erfolgte in 5 Fällen durch das Aufbringen und die Zurschaustellung von Z-Symboliken im öffentlichen Raum. Im Zusammenhang mit dem anhaltenden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine konnten im Bereich PMK -rechts13 Straftaten festgestellt werden. Dies beinhaltet einen Anstieg zum Vorjahr um 6 Fälle (2023: 7 Taten). Erfasst wurden 4 Volksverhetzungen, 4 Propagandadelikte, 3 Beleidigungen, 1 Bedrohung und 1 Sachbeschädigung. 5.6 Hamas-Israel-Konflikt Hamas-Israel-Konflikt 100 90 88 83 80 70 60 50 48 43 40 30 23 19 20 7 8 9 8 10 5 1 0 PMK gesamt PMK rechts PMK links PMK PMK religiöse PMK sonstige ausländische Ideologie Zuordnung Ideologie Hamas-Israel-Konflikt 2023 Hamas-Israel-Konflikt 2024 In Bezug auf den Nahostkonflikt wurden seit dem Terroranschlag der Hamas auf den Staat Israel am 07. Oktober 2023 im Berichtszeitraum 6 Volksverhetzungen, 1 Propagandadelikt und 1 Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten bekannt. Nach dem Anschlag in Magdeburg am 20. Dezember 2024, bei dem ein Täter mit Migrationshintergrund einen PKW in den dortigen Weihnachtsmarkt steuerte und mehrere Menschen getötet wurden, postete die Beschuldigte über soziale Netzwerke im Zusammenhang mit einer pro-palästinensischen Kundgebung, dass sie dort gerne mit einem Auto hineinfahren würde. Man müsste diese Personen "loswerden", dann hätte man Frieden. Seite 51 II Politisch motivierte Kriminalität Taten legten eine antisemitische Haltung der Täterin oder des Täters nahe. Von den insgesamt 26 Volksverhetzungen im Bereich PMK -ausländische Ideologiesind 21 Taten dem Themenfeld Palästina/Israel-Konflikt zuzurechnen. Beispielhaft sei folgender Fall benannt: * Ein Geschädigter, der ein T-Shirt mit der Aufschrift "HAIFA Israel" und einer Applikation einer Regenbogenfahne trug, wurde durch drei Unbekannte beleidigt ("Israel Hurensohn") und bedroht ("Wenn ich dich das nächste Mal sehe, steche ich dich ab"). Zusätzlich wurde der Geschädigte bespuckt. In 2 Fällen waren Parteibüros betroffen: * An der Hauswand eines FDP-Büros wurde ein Plakat mit Beleidigungen gegen den Staat Israel angebracht. * An der Beschriftung eines Parteibüros "Bündnis 90/Die Grünen" wurden Aufkleber mit dem Text "Palestine will never die" hinterlassen. Zusätzlich wurde an der Fassade mit roter Schrift "Stoppt den Genozid in Gaza. Die Grünen haben Blut an den Händen" aufgebracht. Von den im Bereich PMK -ausländische Ideologieinsgesamt 13 Fällen gem. SS 86 a StGB sind 4 Straftaten dem Nahostkonflikt zuzurechnen. Von den 16 Sachbeschädigungen (SS 303 StGB) im Bereich PMK -ausländische Ideologiestehen 13 in diesem Zusammenhang. Durch den Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina kam es zu 19 Taten (2023: 23 Taten) im Bereich PMK -sonstige Zuordnung-, von denen 10 als Sachbeschädigungsdelikte bekannt wurden. Weitere Verstöße in diesem Zusammenhang entfielen auf 4 Volksverhetzungen, 4 Beleidigungen und einer gefährlichen Körperverletzung. Hier wurde aus einem Versammlungsgeschehen "Solidarität mit Gaza" heraus durch den Beschuldigten ein Gegenstand in Richtung Versammlungsteilnehmer geworfen. Seite 52 II Politisch motivierte Kriminalität 5.7 Sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Identität Sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Identität 120 105 100 80 68 70 60 51 40 29 20 13 4 5 0 1 0 0 0 gesamt rechts links AI RI SZ 2023 2024 Bei den PMK-Straftaten, die sich gegen die sexuelle Orientierung und geschlechtsbezogene Identität richten, ist ein starker Anstieg im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Der deutlich überwiegende Teil dieser Taten ist den Phänomenbereichen PMK -sonstige Zuordnungund PMK -rechtszuzuordnen. 1,9 % aller PMK -rechtsTaten wurden aus Feindlichkeit bzgl. einer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität (queer) begangen. Bei diesen 29 Taten (2023: 13 Taten) handelt es sich im Schwerpunkt um 7 Volksverhetzungen, 5 Propagandadelikte, 5 Beleidigungen und 5 Sachbeschädigungen. Zusätzlich wurde im Bereich Queerfeindlichkeit ein Gewaltdelikt registriert. Hierbei handelt es sich um den bereits bei Fremdenfeindlichkeit dargestellten Fall des versuchten Totschlags. Der Beschuldigte hatte hier geäußert, Queere zu hassen. 18 Straftaten (2023: 8 Taten) konnten aufgeklärt werden. Der starke Anstieg könnte mit der Sensibilisierung in der Bevölkerung bezüglich des Themas und einer erhöhten Anzeigebereitschaft erklärbar sein. Insgesamt wurden 70 Taten aus dem Bereich PMK -sonstige Zuordnungbekannt, die sich auf die sexuelle Orientierung und/oder die geschlechtsbezogene Identität beziehen. Hiervon wurden 33 Taten aufgeklärt, was einer Quote von 47,1% entspricht. Es entfielen 12 dieser Taten auf die Deliktsgruppe der PMK -Gewalt-, 7 Taten davon konnten aufgeklärt werden (58,3 %). Seite 53 II Politisch motivierte Kriminalität Einfache Körperverletzungsdelikte wurden mit 9 bekannt gewordenen Fällen am häufigsten begangen. Zusätzlich wurden 3 gefährliche Körperverletzungsdelikte registriert. Die Fälle lassen sich wie folgt darstellen: * In einem Fall wurde der Geschädigte eine Treppe hinuntergeschubst. * In einem anderen Fall schüttete der Beschuldigte dem Geschädigten eine heiße Flüssigkeit ins Gesicht. * Im dritten Fall wurde eine Transfrau geschubst und am Boden liegend gegen den Kopf getreten. Aus dem Bereich der PMK -sonstige Zuordnungohne Gewaltbezug liegen weitere 58 Fälle vor, bei denen der Bezug zur sexuellen Orientierung und/oder geschlechtsbezogener Diversität des Opfers herzuleiten ist. Hier liegt der Schwerpunkt auf den 17 Beleidigungen, gefolgt von 13 Sachbeschädigungen und 10 Diebstählen. Ergänzt wurden diese Delikte durch 14 Hasspostings in sozialen Netzwerken, die den Tatbestand des SS 86a StGB, der Volksverhetzung im Sinne des SS 130 StGB und Belohnung und Billigung von Straftaten gem. SS 140 StGB erfüllen. 5.8 Hasskriminalität Hasskriminalität 1000 906 900 800 719 700 628 600 500 473 400 300 200 100 112 100 43 60 0 5 12 10 0 gesamt rechts links AI RI SZ 2023 2024 Im Berichtsjahr wurden in Schleswig-Holstein 906 Straftaten im Bereich Hasskriminalität registriert. Das bedeutet einen Anstieg um 278 Fälle (+44,3 %) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Seite 54 II Politisch motivierte Kriminalität Im Bereich PMK -rechtsist eine Steigerung um 52 % (246 Taten) auf 719 Taten festzustellen. Die deliktischen Schwerpunkte sind Volksverhetzung (SS 130 StGB) mit 351 Taten, Beleidigung (SS 185 StGB) mit 204 Taten, die Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (SS 86a StGB) mit 93 Taten und Körperverletzungsdelikte (SSSS 223 ff StGB) mit 83 Taten. 5.9 Hasspostings Hassposting 450 400 381 350 300 250 228 200 180 155 150 106 95 100 50 26 8 13 16 6 4 0 gesamt rechts links AI RI SZ 2023 2024 In der Gesamtentwicklung der Hasspostings ist eine Zunahme der Fallzahlen um 153 auf 381 Taten (+67,1 %) zu verzeichnen. Die Steigerung im Bereich PMK -rechtsbeträgt +46,2 % (49 Taten). Der deutlichste Zuwachs ist im Bereich PMK -sonstige Zuordnungum 85 Taten (+89,5 %) festzustellen. Am häufigsten wurden die Straftatbestände Volksverhetzung (SS 130 StGB) mit 128 Taten, die Beleidigung (SS 185 StGB) mit 99 Taten und Beleidigungen von Personen des politischen Lebens (SS 188 StGB) mit 60 Taten erfasst. Seite 55 II Politisch motivierte Kriminalität 5.10 Internet Internet 600 564 500 400 354 300 285 215 200 172 132 100 28 23 24 15 12 12 0 gesamt rechts links AI RI SZ Internet 2023 Internet 2024 In dem Bereich der Straftaten, bei denen das Tatmittel Internet genutzt worden ist, wurden im Vergleich zum Vorjahr 210 Taten mehr erfasst (+59,3 %). Die Straftatbestände Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (SS 86a StGB) mit 165 Taten, die Volksverhetzung (SS 130 StGB) mit 134 Taten und die Beleidigung (SS 185 StGB) mit 108 Taten sind am häufigsten erfasst worden. Bei 285 Taten (18,8 %) im Phänomenbereich PMK -rechtswurde im Jahr 2024 durch den Täter oder die Täterin das Internet als Tatmittel verwendet. Während es im Jahr 2023 noch 172 Taten waren, wurden im hier betrachteten Erfassungszeitraum wesentlich mehr versendete bzw. veröffentlichte Inhalte mit verhetzendem, beleidigendem oder verfassungswidrigem Charakter zur Anzeige gebracht. Hierunter sind auch die sogenannten "Hasspostings" zu fassen. Der Anstieg in diesem Deliktsfeld um 65,7 % erklärt sich durch die Zunahme von Beleidigungen (26 Taten, + 100 %) und Propagandadelikten (126 Taten, + 47,6 %). 2024 wurden insgesamt 105 Sachverhalte mit volksverhetzenden Inhalten aus dem Internet bekannt (2023: 91 Taten). In Zusammenarbeit mit der "Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet" des BKA und der "Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein", die u.a. Bürgerhinweise zu strafrechtlich relevanten Beiträgen im Internet entgegennehmen, konnten auch im Jahr Seite 56 II Politisch motivierte Kriminalität 2024 wesentlich mehr Ermittlungsverfahren wegen Hass und Hetze im Internet eingeleitet werden. Von allen Straftaten aus dem Bereich PMK -rechtsmit dem Tatmittel Internet wiesen 134 Taten (47 %) einen fremdenfeindlichen Charakter auf. Zudem deuteten 52 Taten (18,3 %) auf eine antisemitische Motivation des Täters bzw. der Täterin hin. 228 Taten (80 %) in diesem Themenfeld konnten aufgeklärt werden. 5.11 Frauenfeindlichkeit Frauenfeindlichkeit 20 19 18 17 16 14 12 12 10 8 8 6 4 2 2 2 1 1 0 0 0 0 0 gesamt rechts links AI RI SZ Frauenfeindlichkeit 2023 Frauenfeindlichkeit 2024 Insgesamt ist ein Anstieg der Taten, bei denen Frauenfeindlichkeit eine Rolle spielte, auf 19 (+7 Taten, +58,3 %) festzustellen. Die Gesamtaufklärungsquote beträgt 94,7 %. Im Jahr 2024 wurden im Bereich PMK -rechts17 frauenfeindliche Straftaten registriert (2023: 9 Taten, +112,5%), welche sich in 11 Propagandadelikte, 4 Volksverhetzungen und 2 Körperverletzungen unterteilten. Letztere ereigneten sich wie folgt: * Die Taten geschahen auf dem Gelände einer Klinik, wo der amtsbekannte Beschuldigte Personal im städtischen Krankenhaus beleidigte, bespuckte und dabei "Heil Hitler" rief. Weiterhin trat er einen Rollstuhlfahrer und eine Frau, die zudem in Bezug auf ihr Geschlecht beleidigt. Außerdem wurde durch den Täter der Hitlergruß ausgeführt. 16 von 17 Straftaten konnten aufgeklärt werden. Seite 57 Seite 58 III Rechtsextremistische Bestrebungen Seite 59 Seite 60 III Rechtsextremistische Bestrebungen 1 Rechtsextremistische Parteien 1.1 Die Heimat3/Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Logo der HEIMAT Die Partei Die Heimat (HEIMAT) mit Sitz in Berlin wurde 1964 als Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet und im Juni 2023 in "Die Heimat" umbenannt. Seit dem 39. ordentlichen Parteitag im November ist der aus Sachsen stammende Peter Schreiber Bundesvorsitzender der Partei. Zwei Mitglieder der HEIMAT Schleswig-Holstein wurden als Beisitzer in den Parteivorstand der Bundespartei gewählt.4 Die HEIMAT/NPD vertritt nach den Feststellungen des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) "ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept" und "will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar."5 Mit geschichtsrevisionistischen Äußerungen unterstreicht die HEIMAT/NPD darüber hinaus ihre grundsätzlich bejahende Haltung gegenüber dem Regime der NS-Zeit. Einmal monatlich gibt die HEIMAT die Zeitschrift "Deutsche Stimme" (DS) heraus, die in einem Zeitschriftenformat erscheint und auch für HEIMAT-Mitglieder kostenpflichtig ist. Zudem betreibt sie den Youtube-Kanal "DS-TV", der überwiegend Inhalte der jeweils neu erschienenen DS vorstellt. 1.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten des schleswig-holsteinischen Landesverbandes der HEIMAT fanden im Berichtsjahr nahezu ausschließlich in Neumünster statt. Nachdem die HEIMAT bei der Kommunalwahl im Jahr 2023 als "Wählergemeinschaft Heimat Neumünster" (WHN) antrat und mit drei Mitgliedern in die Neumünsteraner Ratsversammlung einzog, versuchte sie sich als bürgernahe, heimatverbundene Partei zu etablieren. 3 Siehe Internetseite des Bundeswahlleiters, abgerufen am 15.11.2023. 4 Siehe Internetseite HEIMAT, abgerufen am 16.12.2024. 5 Siehe Internetseite des Bundesverfassungsgerichts, Pressemitteilung Nr. 4/2017 vom 17.01.2017. Seite 61 III Rechtsextremistische Bestrebungen Im Januar protestierten Mitglieder der HEIMAT Neumünster während des Neujahrsempfangs der Stadt. Wie die Partei behauptete, sei sie bei dieser Veranstaltung nicht erwünscht gewesen. Daher wolle sie mit dieser Aktion darauf aufmerksam machen, dass auch sie ein durch Wahlen legitimiertes Mitglied der Ratsversammlung der Stadt Neumünster sei.6 Nachdem die HEIMAT während einer Ratsversammlung in Neumünster im Februar mit der NPD und deren politischen Werten gleichgesetzt wurde, wehrte sie sich mit der Aussage, sie sei in Neumünster als unabhängige Wählergemeinschaft zur Kommunalwahl angetreten und als solche durch die Bürger gewählt worden. Ein Vergleich mit der NPD sei demnach unzutreffend. Diese Argumentation war - vermutlich unfreiwillig - verräterisch, da sie erneut den wahren Grund für die Umbenennung der Partei offenbarte: Als "Wählergemeinschaft Heimat Neumünster" versuchte die Partei erneut, zumindest nach außen von dem negativ konnotierten Namen NPD wegzukommen und sich stattdessen als parteiungebundene Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern aus Neumünster darzustellen. Tatsächlich bestand die WHN überwiegend aus HEIMATMitgliedern und Sympathisanten, welche vor der Namensänderung der damaligen NPD zugerechnet wurden.7 Im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni betrieb die HEIMAT in Schleswig-Holstein einen aktiven Wahlkampf. Über Facebook veröffentlichte die Partei verschiedene Werbespots8, in denen sie bemüht war, sich betont locker und bürgernah zu geben, um von Wählerinnen und Wählern nicht von vorneherein als verstaubte Riege Ewiggestriger mit den immer gleichen neonazistischen Parolen zu gelten. Gleichwohl konnte die wahre Absicht ihrer Propaganda nicht verborgen bleiben: Verächtlichmachung des politischen Gegners. Die HEIMAT war auch im Straßenwahlkampf präsent. An einem Infostand in Neumünster warb die HEIMAT im Mai um Wählerstimmen. Hierbei stellte sie sich in gewohnter Weise als sogenannter Heimatschützer dar und propagierte unter anderem das für die HEIMAT typische Thema der Remigration. Das Wahlergebnis fiel am Ende niedrig aus. Insgesamt erreichte die HEIMAT in Schleswig-Holstein mit 1 095 Stimmen einen Anteil von 0,1 Prozent (2019: 0,3 Prozent).9 Den mutmaßlich islamistischen Terroranschlag in Solingen am 23. August, bei dem drei Menschen getötet und acht Menschen verletzt wurden, nahm die HEIMAT zum Anlass, 6 Siehe Internetseite HEIMAT Neumünster, abgerufen am 13.12.2024. 7 Siehe Youtube Kanal der HEIMAT Neumünster, abgerufen am 13.12.2024. 8 Siehe Facebookseite HEIMAT Neumünster, abgerufen am 16.12.2024 9 Siehe Internetseite der Bundeswahlleiterin, abgerufen am 13.12.2024. Seite 62 III Rechtsextremistische Bestrebungen um auf vorangegangene Gewalttaten in Schleswig-Holstein hinzuweisen. Auf ihrer Facebook Seite veröffentlichte die HEIMAT eine Aufzählung verschiedener im Raum Neumünster begangener Straftaten, und brachte sie in Verbindung zu der Tat von Solingen. Hierdurch sollte suggeriert werden, dass die genannten Straftaten ebenfalls durch ausländische ausreisepflichtige Personen begangen wurden und es sich bei dem Anschlag in Solingen nicht um einen Einzelfall handele.10 Am 17. November reihte sich die HEIMAT Neumünster in das jährlich von Rechtsextremisten begangene "Heldengedenken" (siehe auch Kapitel 2) mit einer Gedenkveranstaltung in Neumünster ein. Das sogenannte Heldengedenken wird regelmäßig von rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien organisiert. Während der Volkstrauertag dem Gedenken aller Opfer von Kriegen und Gewaltherrschaft gewidmet ist, fokussiert sich das "Heldengedenken" auf die Glorifizierung der für Deutschland gefallenen Soldaten. Dies wurde beispielsweise in einem über Facebook veröffentlichten Video deutlich, in dem die HEIMAT Soldaten und die Zivilbevölkerung als Opfer alliierter Gewalt darstellte. So nutzte die HEIMAT auch die Gedenkveranstaltung der Stadt Neumünster zum Volkstrauertag für ihre geschichts-revisionistischen Zwecke, indem sie eine eigene Kranzniederlegung direkt nach dem offiziellen Veranstaltungsteil zelebrierte.11 1.1.2 Ausblick Trotz des Erfolges bei der Kommunalwahl in Neumünster im Vorjahr konnte sich die HEIMAT im Berichtsjahr nicht als Partei mit Akzeptanz in der Bevölkerung und Gestaltungseinfluss etablieren. Ihr politischer Wirkungskreis beschränkte sich auf den Raum Neumünster und entfaltete keine Wirkung ins Land hinein. Der durch die Namensänderung erhoffte Imagewandel blieb aus. Mit 80 Mitgliedern blieb sie im Vergleich zum Vorjahr stabil auf niedrigsten Niveau. Der Prozess fortschreitender Marginalisierung der HEIMAT dürfte sich weiter personell und politisch fortsetzen. 10 Siehe Facebookseite HEIMAT Neumünster, abgerufen am 13.12.2024 11 Siehe Facebookseite Ratsfraktion HEIMAT Neumünster, abgerufen am 13.12.2024. Seite 63 III Rechtsextremistische Bestrebungen 1.2 Junge Nationalisten (JN) Schleswig-Holstein Logo Junge Nationalisten Die HEIMAT / NPD unterhält die 1969 gegründete Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN). Zu der JN Gruppe aus Schleswig-Holstein zählen rund 10 Anhänger. 1.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten Im Berichtsjahr fanden in Schleswig-Holstein vereinzelt öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der JN statt. Wie auch die Mutterpartei HEIMAT betrieb die JN einen aktiven Europa-Wahlkampf. Anhänger der JN verteilten Flugblätter der HEIMAT in Schleswig-Holstein. In Ostholstein fand außerdem eine Plakataktion der JN statt. Hierbei wurden Plakate mit der Aufschrift "Jugend wählt: Heimat Zukunft Remigration" an öffentlichen Orten angebracht. Die Aktivitäten der JN entfalteten lediglich eine regional begrenzte öffentliche Aufmerksamkeit. Durch die regelmäßige Verbreitung der Aktionen über die sozialen Medien im Internet versuchte die JN den Eindruck zu erwecken, eine aktive Gruppierung mit hohem Aktionismus zu sein. Am 18. und 19. Mai fand im niedersächsischen Eschede der Europakongress der JN statt. Daran nahmen auch Mitglieder aus Schleswig-Holstein teil. Unter dem Motto "Fight for Europe - kämpfen für Europa" versammelten sich neben der JN auch Mitglieder verschiedener rechtsextremistischer Organisationen aus dem europäischen Ausland. In kameradschaftlicher Atmosphäre sollte hier eine Vernetzung internationaler Kräfte stattfinden.12 12 Siehe Internetseite HEIMAT, abgerufen am 16.12.2024. Seite 64 III Rechtsextremistische Bestrebungen 1.2.2 Ausblick Es ist zu erwarten, dass die JN ihre Aktivitäten auch in den kommenden Jahren fortsetzt. Besonders die Nutzung von sozialen Medien wird auch in Zukunft eine zentrale Rolle spielen, um Aktionen zu dokumentieren und die JN größer erscheinen zu lassen als sie tatsächlich ist. Langfristig wird es davon abhängen, ob es der JN gelingt, über die sozialen Medien und durch internationale Kooperationen neue Interessenten auf sich aufmerksam zu machen und ihre Position innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu festigen. Bislang blieben diese Versuche ohne nennenswerten Erfolg. 1.3 Weitere rechtsextremistische parteigebundene Strukturen Zu dieser Kategorie zählen der ehemalige "Flügel", eine völkisch-nationalistische Bestrebung innerhalb der Alternative für Deutschland (AfD), als auch die bundesweit agierenden rechtsextremistischen Parteien Der III. Weg und Die RECHTE. Beide Parteien haben keine eigenen Landesverbände in Schleswig-Holstein und entfalteten im Land keine politischen Aktivitäten von öffentlich relevanter Bedeutung. 2 Neonazistische Szene Die Gruppierungen der neonazistischen Szene zeichnet eine zweckund zielgerichtete organisierte Zusammenarbeit aus. Neonazis agieren eher aktionistisch und sind ideologisch am historischen Nationalsozialismus ausgerichtet. Die wesentlichen Ideologieelemente sind übersteigerter Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Antipluralismus. Es wird ein am Führerprinzip ausgerichteter Staat angestrebt, dessen Grundlage eine im rassistischen Sinne verstandene Volksgemeinschaft bildet, die Menschen anderer Herkunft oder Kultur ausgrenzt und abwertet. Ethnische Vielfalt und eine pluralistische Gesellschaft werden als Bedrohung für die Existenz des eigenen Volks angesehen. Solche Auffassungen stehen in unüberbrückbarem Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 2.1 Entwicklungen und Aktivitäten Im Berichtsjahr gab es kaum öffentlichkeitswirksame Aktionen der neonazistischen Szene. Eine erkennbare inhaltliche Agitation im Sinne einer öffentlich bekundeten Positionierung zu aktuellen politischen Themen in Schleswig-Holstein fand ebenso nahezu nicht statt. Insofern setzte sich der Trend des Vorjahres weiter fort. Einzig zu den immer gleichen, jährlich wiederkehrenden Anlässen konnten schleswig-holsteinische Szenemitglieder mobilisiert werden. Seite 65 III Rechtsextremistische Bestrebungen Die Teilnahme an geschichtsrevisionistischen Gedenkveranstaltungen hatte auch weiterhin eine besondere Bedeutung für die Szene. Weil in Schleswig-Holstein eigene Aktionen ausblieben, nahmen Angehörige der Szene oft weite Anreisen in andere Bundesländer oder ins europäische Ausland in Kauf, allerdings lag die Teilnehmerzahl in der Regel jedoch nur im einstelligen Bereich. Zu diesen Veranstaltungen gehörten unter anderem der "Tag der Ehre" am 10. Februar in Budapest sowie die Trauermärsche am 11. Februar in Dresden und am 8. Mai in Demmin (Mecklenburg-Vorpommern). In Budapest erinnerte das internationale neonazistische Teilnehmerfeld mit einem bis zu 60 Kilometer langen Gedenkmarsch an die Schlacht um Budapest, bei der ungarische und deutsche Truppen in der Endphase des Zweiten Weltkrieges gegen die Rote Armee kämpften. Die Szene drückt damit ihre Bewunderung für die Wehrmacht und Schutzstaffel(SS-)Verbände im Dritten Reich aus. Zum jährlichen Trauermarsch in Dresden am 11. Februar gedenken Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet der deutschen Opfer der alliierten Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Die Verantwortung des "Dritten Reiches" für den Ausbruch des Krieges wird dabei im Sinne einer Schuldumkehr bewusst ausgeblendet, um das Narrativ einer deutschen Opferrolle zu bedienen. Anlässlich des Jahrestages der vollständigen Kapitulation der Wehrmacht reisten schleswig-holsteinische Rechtsextremisten am 8. Mai nach Demmin (Mecklenburg-Vorpommern). Dieser Trauermarsch wird alljährlich von der rechtsextremistischen Partei HEIMAT (ehemals NPD) organisiert. Bei dem Marsch wurden Banner mit Aussagen wie "Wir feiern nicht 8. Mai 1945 Wir vergessen nicht" gezeigt, um auszudrücken, dass man den 8. Mai 1945 nicht als Tag der Befreiung von Krieg und Nationalsozialismus, sondern als nationale Niederlage begreift und die deutschen Opfer betrauert. Ein weiteres jährlich wiederkehrendes geschichtsrevisionistisches Ereignis ist das sogenannte "Heldengedenken", das Rechtsextremisten am Volkstrauertag begehen. Dabei deuten sie den eigentlichen Sinn des Gedenkens an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft dahingehend um, dass sie ausschließlich an die aus ihrer Sicht heldenhaft gefallenen deutschen Soldaten erinnern. Als neonazistische Gruppierung in Schleswig-Holstein trat lediglich der im Raum Segeberg ansässige "Aryan Circle" (AC) in Erscheinung. Der AC war im Internet aktiv und fiel in den Sozialen Medien durch die Anwerbung neuer Mitglieder auf. Seite 66 III Rechtsextremistische Bestrebungen 2.2 Ausblick Setzt sich die Entwicklung der Vorjahre fort, ist in Schleswig-Holstein mit einer Stagnation der neonazistischen Szene zu rechnen. Die Rückwärtsgewandtheit, die sich in der Glorifizierung des Dritten Reiches und der wiederkehrenden, unveränderten neonazistischen Termine manifestiert, mag zwar ausreichen, um das Gemeinschaftsgefühl zu stärken und die bestehende Anhängerschaft zu konsolidieren. Für einen signifikanten Zuwachs an neuen Mitgliedern dürfte diese inhaltliche Ausrichtung jedoch kaum geeignet zu sein. Die neonazistische Szene wird auch in Zukunft die Sozialen Medien weiter nutzen, da geeignete Immobilien für realweltliche Treffen fehlen. Die schnelle und oft unverbindliche Dynamik der digitalen Kommunikation stellt für die Szene dabei sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung dar. Einerseits ermöglichen immer wieder neu gegründete neonazistisch ausgerichtete Internetgruppen eine rasche Vernetzung vieler Gleichgesinnter, die sich in ihren extremistischen Ansichten gegenseitig bestärken und bestehende rechtsextremistische Ressentiments weiter anheizen. Andererseits kommt es häufig zu einem schnellen "Gruppensterben", da den Protagonisten der Übergang von virtuellen Kennverhältnissen zu realweltlichen, aktionsorientierten Strukturen meist nicht gelingt. Dies führt dazu, dass die Kommunikation innerhalb der Gruppen oft wieder versickert. Ungeachtet der eher geringen Resonanz bei der Durchführung tatsächlicher Aktionen birgt das menschenverachtende und häufig gewaltbefürwortende Weltbild innerhalb der neonazistischen Szene die Gefahr, dass Einzelpersonen oder Kleingruppen sich radikalisieren. 3 Subkulturell geprägte Szene Die subkulturell geprägte Szene gehört in die Kategorie des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials. Darüber hinaus gehören in diese Kategorie organisationsungebundene Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, rechtsextremistische Internetaktivistinnen und Internetaktivisten sowie sonstige Einzelpersonen und Gewalttäterinnen und Gewalttäter. Subkulturell geprägte Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten gehören in der Regel keiner festen Organisationsstruktur an. Angehörige der subkulturellen Szene haben meist kein in sich geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild. An die Stelle einer gefestigten ideologischen Grundhaltung treten einzelne Versatzstücke rechtsextremistischer Weltanschauung wie beispielsweise rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Positionen, die in der Regel mit einer hohen Gewaltbereitschaft einhergehen. Seite 67 III Rechtsextremistische Bestrebungen Subkulturell geprägte Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten sind an inhaltlicher politischer Arbeit in Parteien oder anderen rechtsextremistischen Gruppierungen wenig interessiert. Die subkulturelle Szene eint ein erlebnisorientierter Lebensstil, der sich hauptsächlich in der Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen, internen Szenefeiern sowie Musikund Kampfsportveranstaltungen ausdrückt. 3.1 Entwicklungen und Aktivitäten Angehörige der subkulturellen Szene traten im Berichtsjahr in Schleswig-Holstein nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Politische Aktivitäten entfalteten lediglich Einzelpersonen, die beispielsweise an rechtsextremistischen Gedenkmärschen am 11. Februar in Dresden oder am 8. Mai in Demmin teilnahmen (s. Kap. Neonazistische Szene). Zudem fanden vereinzelt konspirativ geplante kleinere Szene-Feiern ohne Außenwirkung statt. Im Sommer wurde in sozialen Medien die rechtsextremistische Jugendgruppierung "Jung & Stark Schleswig-Holstein" bekannt. Die Vernetzung der zumeist minderjährigen oder heranwachsenden Mitglieder beschränkt sich in Schleswig-Holstein vornehmlich auf den virtuellen Raum. Nach außen tritt die in fast allen Bundesländern präsente Gruppierung gemäßigt auf, bedient jedoch klare rechtsextremistische Feindbilder, durch Aktionen gegen die "Antifa" oder die LGBTQIA+-Szene, etwa im Zusammenhang mit dem "Christopher Street Day" in verschiedenen deutschen Städten. Der Zusammenschluss unterliegt einer starken personellen Fluktuation, die sich auch in Abspaltungen und Neugründungen anderer rechtsextremistischer Jugendgruppen manifestiert. 3.2 Ausblick Subkulturell geprägte Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten dürften insbesondere im Bereich der Online-Netzwerke weiter an Einfluss gewinnen. Dies könnte auch zu einer stärkeren Präsenz in der realen Welt beitragen und zu einer Mischung aus virtuellen Aktivitäten und gezielten, lokalen Aktionen führen. Aufgrund der einfachen Zugangsmöglichkeiten und der vermeintlichen Anonymität im Netz ist es wahrscheinlich, dass das Potenzial dieser Personengruppe, die die Mehrheit des gewaltorientierten Spektrums ausmacht, weiter anwächst. Die Zahl von 350 Personen, die im Vergleich zum Vorjahr unverändert geblieben ist, könnte sich somit künftig erhöhen. Seite 68 III Rechtsextremistische Bestrebungen 3.3 Rechtsextremistische Musikszene Für die subkulturell geprägte und weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Szene sind Musikveranstaltungen das verbindende Element. Dort werden Kontakte gepflegt und teils internationale Vernetzungen etabliert. Rechtsextremistische Musik transportiert das Lebensgefühl der Szene, verbreitet ihre Ideologien und bietet einen schnellen Einstieg in die Szene. Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden in der rechtsextremistischen Musikszene drei Veranstaltungsformen: Konzerte, Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen. Bei Letzteren handelt es sich um Veranstaltungen mit Live-Musik, bei denen der Versammlungscharakter gegenüber der Musikdarbietung überwiegt, wie beispielsweise im Rahmen von Szene-Feiern oder Parteiversammlungen. 3.3.1 Entwicklungen und Aktivitäten Die Gesamtzahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen lag im Berichtsjahr bundesweit bei knapp über 300 Darbietungen und verringerte sich gegenüber dem Vorjahr nur marginal. In Schleswig-Holstein stieg die Anzahl der Veranstaltungen von drei (2023 ein Konzert, ein Liederabend, eine sonstige Musikveranstaltung) auf fünf an. Diese waren ausnahmslos den sonstigen Musikveranstaltungen zuzuordnen. Die konspirativ geplanten Darbietungen waren interne Szene-Feiern mit live auftretenden Liedermacherinnen oder Liedermachern, an denen zwischen 25 und 70 Personen teilnahmen. Die Veranstaltungsorte erstreckten sich über das gesamte Land, ein regionaler Schwerpunkt war nicht festzustellen. Im Berichtsjahr gab es in Schleswig-Holstein keine aktive rechtsextremistische Musikgruppe. Die einzige hier beheimatete Liedermacherin stammt aus Neumünster und trat bundesweit unter ihrem Pseudonym "Wut aus Liebe" auf. 3.3.2 Ausblick Seit Jahren ist zu beobachten, dass in Schleswig-Holstein die Anzahl durchgeführter rechtsextremistischer Konzerte gen Null tendiert. Ursächlich sind unter anderem ein Mangel an in Frage kommenden Veranstaltungsräumen sowie die Schwäche der heimischen Szene, für Veranstaltungen mit dreistelligen Zuschauerzahlen zu mobilisieren. Zudem scheint die polizeiliche Auflösung des Konzerts in Neumünster Anfang März 2023 bei den Protagonisten der schleswig-holsteinischen Subkultur zu einer spürbaren VerunSeite 69 III Rechtsextremistische Bestrebungen sicherung und Resignation geführt zu haben. Infolgedessen dürfte der Fokus künftiger Planungen weniger auf finanziell riskanten Konzerten liegen, sondern eher auf kleineren Liederabenden oder sonstigen Musikveranstaltungen mit in der Regel geringerer Teilnehmerzahl. 3.4 Kampfsport Seit Jahren hat sich Kampfsport in Form von Training, Organisation von Wettkämpfen, Besuch als Zuschauer oder aktive Kampfteilnahme als ein Aktionsfeld in fast allen rechtsextremistischen Strukturen etabliert. Wie im Bereich der Musik dient die Ausübung von Kampfsport der Heranführung an die Szene sowie der Vernetzung politisch Gleichgesinnter. Zudem werden die Kämpfer für körperliche Auseinandersetzungen mit der Polizei oder dem politischen Gegner geschult. 3.4.1 Entwicklungen und Aktivitäten Wie 2023 gelang es der rechtsextremistischen Kampfsportszene auch im Berichtsjahr bundesweit nicht, öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zu organisieren. In Schleswig-Holstein ist die rechtsextremistische Kampfsportszene als heterogen zu bewerten, da sie neben subkulturell geprägten Rechtsextremisten Anhänger aus allen rechtsextremistischen Bereichen findet. Das Personenpotenzial lag im sehr niedrigen zweistelligen Bereich. Im Berichtsjahr wurden in mehreren Bundesländern Versuche unternommen, sogenannte Active Clubs zu gründen. Diese streben ein dezentrales Netzwerk regionaler Gruppen an, die Kampfsport trainieren und insbesondere Jugendlichen den Zugang zu rechtsextremistischen Strukturen ermöglichen, um sie auf einen angeblich bevorstehenden Rassenkrieg vorzubereiten. Die aus den Vereinigten Staaten adaptierte Idee hat ein bayerischer Rechtsextremist Mitte des Jahres in der Szene-Zeitschrift "N.S. Heute"13 näher erläutert und die Ausrichtung, Zielsetzung und Strategie der Active Clubs konkretisiert. Mit Hilfe von Sport und gemeinsamen Freizeitaktivitäten sollen junge erlebnisorientierte Personen an die Szene herangeführt werden. Die Active Clubs würden zudem der Vereinigung und Festigung der Szene dienen, weshalb eine Mitgliedschaft als vereinbar mit Aktivitäten in anderen rechtsextremistischen Bestrebungen gesehen wird. In Schleswig-Holstein wurden Active Clubs in Kiel und im Herzogtum Lauenburg bekannt, deren Existenz sich bislang auf die Präsenz in den sozialen Medien beschränkt. 13 Ausgabe Nr. 41 (Mai/Juni 2024) Seite 70 III Rechtsextremistische Bestrebungen 3.4.2 Ausblick Es ist zu erwarten, dass in nahezu allen rechtsextremistischen Strukturen Kampfsport weiterhin einen hohen Stellenwert im Rahmen der persönlichen Wehrhaftigkeit darstellen wird. Die Nachwuchsgewinnung nichtpolitisierter Jugendlicher, wie sie die Active Clubs anstreben, kann zu einer Erhöhung des gewaltorientierten Personenpotenzials führen, wenn die bislang festgestellten virtuellen Vernetzungsbestrebungen zu realweltlichen Zusammenkünften führen. 4 Neue Rechte Der Begriff "Neue Rechte" bezeichnet ein informelles Netzwerk, das sich aus einer Vielzahl von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen zusammensetzt. Eine dieser Organisationen ist die Identitäre Bewegung Schleswig-Holstein (IBSH), die hier im Land unter dem Namen "Nordfeuer" auftritt (siehe dazu Kapitel 4.2). Innerhalb dieses neurechten Netzwerks kooperieren nationalkonservative bis rechtsextremistische Akteure, um durch eine Vielzahl strategischer Ansätze antiliberale und antidemokratische Positionen sowohl im gesellschaftlichen als auch politischen Diskurs zu etablieren. Das übergeordnete Ziel dieser Akteure besteht in der Verwirklichung einer "Kulturrevolution von rechts", durch die gesellschaftliche und politische Normen im Sinne ihrer Ideologie verändert werden sollen. Neurechte Akteure versuchen, ihre ideologischen Positionen bereits im vorpolitischen Raum zu verankern, um gleichsam in einem noch relativ frühen Stadium politische Positionen mehrheitsfähig zu machen und durchzusetzen. Dieser vorpolitische Raum ist jener gesellschaftliche und politische Bereich, in dem bereits eine Politisierung stattfindet, ohne dass sie schon die obere parteipolitische und parlamentarische Ebene erreicht hat. In diesem Stadium der sogenannten Metapolitik geht es den Akteuren des neurechten intellektuellen Rechtsextremismus darum, die "Grenze des Sagbaren" zu verschieben und extremistische Positionen gesellschaftlich akzeptabel zu machen. Die handelnden Akteure nehmen unterschiedliche, teils sich gegenseitig ergänzende Rollen ein und sprechen dabei unterschiedliche Zielgruppen an. Diese Szene bezeichnet sich selbst gerne als "Mosaik". Damit will sie ihre unterschiedliche Zusammensetzung verdeutlichen, die jedoch über ihre gemeinsame, im Kern antidemokratische Ideologie am Ende wieder ein größeres Ganzes bildet, das gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet ist. Rechtsextremistische Bezüge manifestieren sich insbesondere in der Missachtung fundamentaler Prinzipien wie der Menschenwürde sowie des Rechtsstaatsund/oder Seite 71 III Rechtsextremistische Bestrebungen Demokratieprinzips, wobei die Verstöße in unterschiedlichen Formen und Intensitäten auftreten. Ein zentrales Konzept der Neuen Rechten ist die Remigration. Sie basiert auf dem ideologischen Fundament des Ethnopluralismus. Dieser verfolgt das Ziel, ethnisch homogene Gesellschaften zu etablieren, in denen sogenannte "Volksfremde" aus der Gemeinschaft ausgeschlossen oder ausgewiesen werden. Neurechte Akteure in Deutschland streben dabei die Bewahrung der "ethnokulturellen Identität" des deutschen Volkes an. In Reaktion auf die aktuellen Migrationsbewegungen wird ein "gesteuerter Bevölkerungsaustausch" unterstellt, bei dem die autochthone europäische Bevölkerung durch gezielte Zuwanderung, insbesondere aus Afrika sowie dem Nahen und Mittleren Osten, ersetzt werde. Das Konzept der Remigration wird als politisches Mittel verstanden, diesem so beschriebenen Prozess entgegenzuwirken und eine ethnisch homogene Gesellschaft im Sinne des Ethnopluralismus zu schaffen. Der Begriff der Remigration gehört spätestens seit Aufkommen der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) zum festen Wortschatz neurechter Akteure und Gruppierungen. Er geht auf den österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner zurück, der zu den Vordenkern, Ideengebern und weiterhin führenden Protagonisten der Neuen Rechten gehört. In einem am 14. August 2023 veröffentlichten Artikel konkretisierte Sellner unter dem Titel "Was ist Remigration" seine Überlegungen dahingehend, dass von der Remigration drei Gruppen betroffen seien: "Illegale und geduldete Scheinasylanten", "legale hier lebende, nicht assimilierte Problemgruppen ohne Staatsbürgerschaft" und "bereits eingebürgerte, aber nicht assimilierte Parallelgesellschaften". Mit der letztgenannten Gruppe erklärt Sellner explizit, dass er seine Überlegungen zur Remigration auch auf Staatsangehörige bezieht, die bei fehlender Assimilation Ziel entsprechender Maßnahmen sein sollen. Die von Sellner geforderte millionenfache Remigration zielt also nicht nur auf eine restriktive Migrationspolitik im Rahmen eines konservativen Einwanderungskonzepts ab. Vielmehr basiert sie auf einer völkischen Grundannahme, die die Wiederherstellung beziehungsweise Wahrung der ethnokulturellen Identität zum zentralen politischen Ziel erklärt, weil nur in diesem Kontext eine lebensund erhaltenswerte Vertrauensgemeinschaft realisiert werden könne. Der Forderung nach Remigration liegt eine klare Festlegung auf Homogenität zugrunde. Dies wiederum hat denklogisch zur Folge, dass Fremde ohne individuelle und rechtsstaatlich gebotene Einzelfallprüfung pauschal auszuschließen sind. Aus Sellners Sicht Seite 72 III Rechtsextremistische Bestrebungen ist es "kulturfremden" Migranten außereuropäischer Herkunft, insbesondere Muslimen, grundsätzlich und dauerhaft nicht möglich, sich im europäischen Kontext zu assimilieren, weshalb zur Wahrung der postulierten ethnokulturellen Identität deren Remigration als geboten erachtet wird. 4.1 "Tag des Vorfelds" (TdV) Unter Beteiligung zahlreicher Personen, Medien und Organisationen aus dem rechtsextremistischen Spektrum fand am 20. Juli in Neumünster eine Veranstaltung mit Redebeiträgen und Präsentationen unter der Überschrift "Tag des Vorfelds" (TdV) statt. Wer teilnehmen wollte, musste sich über die dem AfD-Landesverband Schleswig-Holstein zuzuordnende E-Mail-Adresse (siehe unten Flyer 1) anmelden. Ein Treffen von Akteuren der Neuen Rechten in dieser Besetzung und Größe gab es so bislang noch nicht in Schleswig-Holstein. Mit dem Begriff "Vorfeld" ist der gesellschaftlich-politische Bereich gemeint, in dem eine unterschwellige Positionierung stattfindet. Die Kommunikationsstrategie in diesem so genannten Vorfeld zielt darauf ab, durch das Besetzen und Prägen von Begriffen extremistische Positionen gesellschaftlich akzeptabel zu machen. Es geht hier nicht um Realpolitik, sondern um die grundsätzliche Ausrichtung politischer Strömungen (Metapolitik, s. o., Kapitel 4). Zum "Vorfeld" gehören Vereinigungen, Organisationen und lose Zusammenschlüsse. Sie bilden den Resonanzraum der politischen Ausrichtung. Flyer 1 und Flyer 2 zum Tag des Vorfelds Seite 73 III Rechtsextremistische Bestrebungen Unter den angekündigten Teilnehmenden war neben mehreren rechtsextremistischen Gruppierungen zunächst auch das rechtsextremistische "COMPACT"-Magazin, ein multimedial ausgerichtetes Unternehmen mit Sitz in Falkensee (Brandenburg) (s. Flyer 1). Nach dem Verbot des "COMPACT-Magazins GmbH" nebst seiner Teilorganisation "CONSPECT FILM GmbH" durch das Bundesministerium des Inneren am 16. Juli erschien ein geänderter Flyer (s. Flyer 2). Am 24. Juli klagten die Betroffenen gegen das Verbot und stellten einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) folgte am 14. August dem Antrag der "COMPACT-Magazin GmbH" und stellte die aufschiebende Wirkung der Klage des Vereins gegen sein Vereinsverbot bis zur Entscheidung in der Hauptsache wieder her. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache darf die "COMPACT-Magazin GmbH" ihre Tätigkeit daher fortführen. 4.2 Identitäre Bewegung Schleswig-Holstein (IBSH) / Nordfeuer Die Identitäre Bewegung (IB) ist als Teil der Neuen Rechten zu bewerten und verfolgt ideologisch eine subtile, auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs abzielende Strategie der Beeinflussung. Sie bekennt sich zum Ethnopluralismus und betreibt die Kommunikationsstrategie der sogenannten Metapolitik (siehe dazu Kapitel 4). 4.2.1 Entwicklung und Aktivitäten Das hergebrachte, seit Bestehen der Identitären Bewegung charakteristische gelb-schwarze Lambda als "Markenzeichen" wurde im Mai 2023 ausgetauscht und durch ein lediglich angedeutetes Lambda in weiß-blauer Optik ersetzt. Logos der Identitären Bewegung Die Identitäre Bewegung in Schleswig-Holstein, die seit 2022 unter dem Namen "Nordfeuer" auftritt, hat das grafische Element des Logos weiter reduziert, dafür aber ihren neuen Namen hinzugefügt. Die Entscheidung, den Namen in "Nordfeuer" zu ändern, hatte rein strategische Gründe. Es ging in erster Linie darum, den Aktivismus zu tarnen oder zu verstecken, um sicherzustellen, dass beteiligte Personen nicht sofort mit den Aktionen in Verbindung gebracht Seite 74 III Rechtsextremistische Bestrebungen werden können. Diese Strategie ging jedoch nicht auf. Es führte im Berichtsjahr weder zu einem Anstieg der Interessenten noch zu einer Zunahme realweltlicher Aktivitäten. Auch in den sozialen Medien, in denen "Nordfeuer" nach wie vor vertreten ist, zeigt sich ein rückläufiger Trend, sowohl hinsichtlich der Zahl der Beiträge als auch ihrer Reichweite. Das digitale Engagement von "Nordfeuer" zielt auf die Verbreitung ideologischer Grundsätze ab, die eine deutliche inhaltliche Verbindung zur Identitären Bewegung aufwiesen. Sie dokumentierten aber auch eigene Aktivitäten, warben für Vernetzungstreffen, Boxtrainings und Wanderungen. Thematisch stand dabei das politische Konzept der Remigration, einer Rückführung von Menschen mit Migrationshintergrund, in ihre Herkunftsländer im Vordergrund. Insbesondere zwei Vorfälle wurden instrumentalisiert: Zum einen war es der Jahrestag des Messerangriffs in einem Regionalzug in Brokstedt (Kreis Steinburg), bei dem ein Asylbewerber zwei Menschen tötete und zum zweiten war es eine Gewalteskalation unter minderjährigen Schülern an einer Schule in Uetersen (Kreis Pinneberg). "Nordfeuer" war an den Tatorten mit Plakaten und Flugblättern aktiv, auf denen für das Konzept der Remigration als vermeintliche Lösung zur Verhinderung von Straftaten geworben wurde. Die anhaltende Präsenz in den sozialen Medien konnte nicht verbergen, dass keine flächendeckenden Strukturen von "Nordfeuer" in Schleswig-Holstein bestanden. Überregionale Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen in Form von Treffen, gemeinsamen Aktivitäten und Aktionen wurden aufrechterhalten. 4.2.2 Ausblick "Nordfeuer" beeinflusste im Berichtsjahr kaum das rechtsextremistische Geschehen in Schleswig-Holstein. Ihre Themenfelder besetzten zunehmend andere Gruppierungen aus dem Spektrum der Neuen Rechten. Trotz ihrer politischen Zurückhaltung im Berichtsjahr, birgt die Gruppierung durchaus Potenzial. Sollte sie es schaffen, sich strategisch neu zu positionieren und relevante gesellschaftliche Themen aufzugreifen, könnte "Nordfeuer" in der Zukunft wieder an Bedeutung gewinnen. Ihre Präsenz in den sozialen Medien und insbesondere die Ansprache vor allem jüngerer Aktivisten besitzt weiterhin die Wirkkraft, ihre Reichweite und Aktivität zu steigern. Dazu trägt sicher auch der Umstand bei, dass Nordfeuer "auf der Höhe der Zeit" kommuniziert, das heißt, die jeweils aktuellen und schlagzeilenträchtigen politischen und gesellschaftlichen Themen in den Mittelpunkt ihrer Agitation stellt und mit der eigenen verfassungsfeindlichen Ideologie auflädt und zuspitzt. Ihre überregionale Vernetzung schafft dabei nicht nur eine breitere Öffentlichkeit und einen größeren politischen Aktionsradius, sondern auch die Sicherung langfristiger Stabilität und Effektivität ihrer Aktivitäten. Seite 75 III Rechtsextremistische Bestrebungen 5 Rechtsextremistische Verlage Rechtsextremistische Verlage haben in der Szene eine besondere Bedeutung. In ihren gedruckten und elektronischen Produkten liefern sie die ideologischen Grundlagen. Sie sind Bestandteil der sogenannten Metapolitik, eine zentrale Strategie der Neuen Rechten, den vorpolitischen Raum mit Begriffen und Ideen zu prägen und zu besetzen, um auf diese Weise den gesellschaftlichen Diskurs weiter an den rechten verfassungsrechtlichen Rand zu verschieben, um so den Boden für die Akzeptanz verfassungsfeindliche Ideen zu bereiten (siehe dazu auch Kapitel 4). Die Verfasserinnen und Verfasser stellen in ihren Beiträgen nicht nur die demokratischen und gesamtgesellschaftspolitischen Normen und Werte in Frage, sie definieren sie vielmehr im Sinne rechtsextremistischer Ideologie um, das heißt, sie entkernen ihren originären Inhalt, indem die äußere Hülle als scheinbar demokratische, rechtsstaatliche Fassade erhalten bleibt, jedoch mit rechtsextremistischen Begriffen und Narrativen befüllt wird. Ihr Ziel ist die Etablierung einer rechtsextremistischen Gegenkultur in der Gesellschaft. Die Autorinnen und Autoren betrachten sich als sogenannte Mittler für Aufklärung und Enthüllung. Ihre Zielgruppe sind neben Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten insbesondere Gruppierungen aus dem Bereich des Rechtspopulismus. Rechtsextremistische Publikationen vereinnahmen Themen des politischen Zeitgeschehens ideologisch. Gleichzeitig bezeichnen sie die Medien, die dem Prinzip der Demokratie und des Rechtsstaats verpflichtet sind, oft als "Lügenpresse". Dieser Begriff wird verwendet, um die etablierten Medien zu verunglimpfen und ihnen vorzuwerfen, lügenhaft, voreingenommen und manipulierend zu sein. "Lügenpresse" dient als Kampfbegriff, um gegen die Regierung und das demokratische System insgesamt zu mobilisieren, indem eine "Wir gegen die"-Mentalität erzeugt wird. "Lügenpresse" wurde bereits während des Ersten Weltkriegs im Zusammenhang mit der Kriegsberichterstattung genutzt, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, um antisemitische und nationalistische Ideologien zu festigen. 5.1 Entwicklung und Aktivitäten Wie in den Vorjahren vertrieben auch im Berichtsjahr rechtsextremistische Verlage erneut Schriften mit geschichtsrevisionistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Inhalten. Ziel war es, die ideologische Ausrichtung ihrer Leser zu festigen, Zweifel und Vorbehalte gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu schüren und lebendig zu halten, damit der Nährboden für eine Beeinträchtigung und letztlich Beseitigung der Bundesrepublik Deutschland als freiheitlicher, demokratischer und soziSeite 76 III Rechtsextremistische Bestrebungen aler Rechtsstaat fruchtbar bleibt. Zugleich sollen neue Interessenten aus dem konservativen-rechten Milieu gewonnen werden. Um eine möglichst große Reichweite zu erzielen und ein kontinuierlich wachsendes, überwiegend junges und internetaffines Publikum anzusprechen, setzten die Verlage auf eine Vielzahl digitaler Kanäle. Gleichwohl nutzten die Verlage auch weiterhin realweltliche Zusammenkünfte, um ihre politischen Ansichten zu verbreiten. Im Berichtsjahr sind sie wiederholt in Verbindung mit dem informellen Netzwerk der Neuen Rechten in Erscheinung getreten. 5.2 Ausblick Die rechtsextremistischen Verlage mit Sitz in Schleswig-Holstein, die seit Jahrzehnten eine bundesweit herausragende Bedeutung haben, werden voraussichtlich auch in den kommenden Jahren ihre Position aufrechterhalten und weiter ausbauen. Insbesondere durch die Nutzung moderner Kommunikationskanäle und digitaler Plattformen können sie ihre Botschaften gezielt verbreiten und die bürgerliche Mitte, vor allem junge Erwachsene und Jugendliche gewinnen. Ihre Rolle als treibende Kraft hinter der Agitation gegen den demokratischen und rechtsstaatlichen Konsens wird durch gezielte, ideologisch aufgeladene Publikationen weiterhin gestärkt. Diese Verlage fungieren als geistiger Nährboden für eine breitere Unterwanderung der politischen Landschaft und fördern eine Verschiebung hin zu völkischen und autoritären Ideologien. Somit bleibt die Gefahr einer langfristigen Verfestigung einer rechtsextremistischen Ideologie bestehen. Der Gefahr einer schleichenden Transformation des politischen Klimas in Deutschland in Richtung rechtsextremistischer Strukturen liefern die Verlage geistigen Vorschub. 6 Queerfeindlichkeit Rechtsextremistische Gruppierungen lehnen die gesellschaftliche Anerkennung von Diversität in Bezug auf sexuelle Orientierung sowie alternative Partnerschaftsund Familienmodelle ab. Sie vertreten die Auffassung, einem drohenden "Volkstod" ausgesetzt zu sein, der nur durch die ethnisch deutsche Familie und traditionelle Ehe zwischen Mann und Frau abzuwenden sei. Rechtsextremisten verbreiten dieses Ideologem vor allem im digitalen Raum, setzen es aber auch durch Aktionen in der realen Welt um. Dazu gehörten im Berichtsjahr bundesweit Störaktionen gegen Veranstaltungen des Christopher Street Day (CSD), die überwiegend aus der gewaltbereiten rechts-extremistischen Szene kamen. Die Aktionen, die teilweise eine Teilnehmerzahl im dreistelligen Bereich aufwiesen, wurden häufig aus dem rechtsextremistischen Parteienspektrum orSeite 77 III Rechtsextremistische Bestrebungen ganisiert, zunehmend jedoch auch von jungen gewaltorientierten rechtsextremistischen Online-Gruppierungen. Auch in Schleswig-Holstein verfolgen rechtsextremistische Gruppierungen eine queerfeindliche Agenda. Im Vergleich zu früheren Jahren stieg das Mobilisierungspotenzial zu den Störaktionen gegen den CSD an. Ein weiteres Agitationsfeld fanden Rechtsextremisten während des "Pride Months". Während die queere Gemeinschaft mit den Regenbogenfarben die Vielfalt feierte, setzten sie als "patriotische" Gegenbewegung mit der sogenannten Stolzmonat-Kampagne Aktionen sowohl in der digitalen als auch in der realen Welt um. Dabei nutzten sie die Farben der Deutschlandflagge als Ausdruck von Nationalstolz und ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der queeren Lebensweise. Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Bedeutung von Diversität und Gleichberechtigung ist zu erwarten, dass Rechtsextremisten in Zukunft verstärkt versuchen, diese Themen für ihre eigenen ideologischen Ziele zu instrumentalisieren. 7 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in Schleswig-Holstein Das rechtsextremistische Personenpotenzial wird in drei Kategorien erfasst. Unterscheidungsmerkmal ist dabei der Organisationsgrad. Die erste Kategorie bildet das Potenzial in den Parteien ab, einschließlich des sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzials in Parteien, wie beispielsweise rechtsextremistische Bestrebungen innerhalb einer Partei. In der zweiten Kategorie wird das rechtsextremistische Personenpotenzial in parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen erhoben. Dazu zählen unter anderem rechtsextremistische Gruppierungen, bei denen eine zweck und zielgerichtete organisierte Zusammenarbeit erkennbar ist, wie beispielsweise bei neonazistischen Zusammenschlüssen, Gruppierungen der Neuen Rechten oder auch bei rechtsextremistischen Vereinen. Zum weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial als dritter Kategorie gehören subkulturell geprägte Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, organisationsungebundene Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten ebenso wie rechtsextremistische Internetaktivistinnen und Internetaktivisten und sonstige Einzelpersonen. Seite 78 III Rechtsextremistische Bestrebungen Im Berichtsjahr sank das rechtsextremistische Personenpotenzial in Schleswig-Holstein leicht um rund 1,7 Prozent auf insgesamt 1180 Personen (2023: 1200). Der Rückgang vollzog sich im Wesentlichen in der Kategorie der parteiunabhängigen beziehungsweise parteiungebundenen Strukturen. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten blieb konstant bei 350 (2023: 350). 2022 2023 2024 in Parteien 230 220 220 darunter NPD/JN - HEIMAT 90 80 80 Der III. Weg 5 5 5 DIE RECHTE 5 5 5 sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial 130 130 130 in Parteien in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen 380 370 340 Strukturen weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 610 610 620 Personenpotenzial Gesamt Land 1 220 1 200 1 180 davon als gewaltorientiert eingeschätzte 350 350 350 Rechtsextremisten Seite 79 Seite 80 IV Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Seite 81 Seite 82 IV Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Die Szene der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates ist eine aggressiv-kämpferische Bestrebung, die darauf abzielt, die freiheitliche demokratische Ordnung zu untergraben und das Vertrauen der Bevölkerung in das politische System nachhaltig zu erschüttern. Akteurinnen und Akteuren der verfassungsschutzrelevanten Delegitimiererszene sind der Überzeugung, dass der freiheitlich verfasste, demokratische Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland in Wirklichkeit ein autokratischer Staat ist, der gegenüber der Bevölkerung autoritär auftritt. Hierzu werden Elemente verschiedener Verschwörungstheorien herangezogen, die häufig antisemitische Narrative und Ressentiments sowie Versatzstücke rechtextremistischer Ideologien enthalten. Ebenso findet eine in diffamierender Absicht vorgenommene Gleichsetzung des parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaats mit der NS-Diktatur statt. Außerdem werden zunehmend Reichsbürgerund Selbstverwalter-Stereotype zur Delegitimierung demokratischer Prozesse und ihrer Repräsentantinnen und Repräsentanten propagiert. 1 Entwicklung und Aktivitäten Wie bereits im Vorjahr nutzte die Szene für ihre Agitation intensiv das Internet, insbesondere die sozialen Netzwerke. Zentrale Plattform war der Online-Messengerdienst Telegram. Er diente der Delegitimiererszene zur Agitation und als Forum zur Vernetzung. Der Telegramkanal "Freie Schleswig-Holsteiner" war erneut der virtuelle Sammelpunkt der Szene. Die Delegitimiererszene griff im Berichtsjahr politisch-gesellschaftlich relevante Themen auf, um sie propagandistisch in Sinne ihrer Ideologie zu instrumentalisieren nach dem Motto: "Seht her, so kujoniert und führt euch dieser Staat hinters Licht." Ziel der Agitation war es, existenzielle Ängste zu schüren und Widerstand zu mobilisieren. Neben den gestiegenen Energieund Lebenshaltungskosten, bildete insbesondere der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine einen thematischen Schwerpunkt. Das Berichtsjahr war von insgesamt rückläufigen Aktivitäten der Szene gekennzeichnet. Die Anziehungskraft des Demonstrationsgeschehens hat deutlich abgenommen. Die Anhängerschaft "auf der Straße" erreichte nicht mehr die Größenordnung wie noch zu Pandemiezeiten. Die von der Delegitimiererszene gewählten Themen verloren an Zugkraft. Nichtsdestotrotz organisierten Szeneangehörige auch im Berichtsjahr wieder entsprechende Demonstrationen beziehungsweise sogenannte Spaziergänge. Unter dem Motto "Deutschland schafft sich ab - nicht mit uns!" wurde beispielsweise am 29. Juni zu einer Demonstration am Exerzierplatz in Kiel aufgerufen. Als Mobilisierungsplattform diente, wie schon bei vorherigen Veranstaltungen, der Telegram-Kanal "Freie Schleswig-Holsteiner". Seite 83 IV Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Die Teilnehmerzahl von etwa 40 Personen blieb, trotz zahlreicher Mobilisierungsaufrufe in den sozialen Netzwerken, weit hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Hier zeigt sich der fortschreitende Bedeutungsverlust der Delegitimiererszene besonders deutlich. Konnten zu Beginn der Bewegung vor rund drei Jahren noch Teilnehmerzahlen im vierstelligen Bereich erzielt werden, so scheint es der Szene mittlerweile schwer zu fallen, selbst das eigene Spektrum in ausreichendem Maße zu mobilisieren. 2 Ausblick Die Entwicklung im Berichtsjahr deutet darauf hin, dass die Szene der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates ihren realweltlichen Zenit überschritten haben dürfte. Dennoch wird in den sozialen Medien weiterhin Kommunikation stattfinden. Diese virtuelle Welt war für die Szene von Anfang an wichtig, hier ist sie faktisch entstanden und hat ihre Verbreitung gefunden. Daran wird sich kurzfristig wohl nichts ändern. Da die Sozialen Netzwerke der Szene als Echokammer sowie zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen jedweder Art dienen und Radikalisierungstendenzen insbesondere von Einzelpersonen in nicht unerheblichen Maße Vorschub leisten können, bleibt die Szene eine zwar deutlich kleinere, aber gleichwohl noch relevante Größe im Spektrum verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Speziell Verschwörungsnarrative mit antisemitischer oder rechtsextremistischer Konnotation sind geeignet, als Legitimation zum "aktivem Widerstand" und zur Begehung schwerster Straftaten zu dienen. 3 Personenpotenzial im Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates 2022 2023 2024 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierer des Staates 130 80 40 davon: gewaltorientiertes Personenpotenzial 10 5 Seite 84 IV Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Seite 85 Seite 86 V Reichsbürger und Selbstverwalter Seite 87 Seite 88 V Reichsbürger und Selbstverwalter 1 Reichsbürger Reichsbürgerinnen und Reichsbürger beziehen sich auf den Fortbestand des historischen Deutschen Reiches, wobei das Datum, auf das sie sich fokussieren, variiert. Häufig werden 1919, 1937 oder auch eine andere Jahreszahl genannt. Diese Reichsbürgerinnen und Reichsbürger sehen sich als "Bürger und Staatsangehörige des Deutschen Reiches", "Preußens" oder des "Königreich Preußen". Alles schließt nach ihrem Selbstverständnis eine Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland aus. Sie negieren die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und gehen davon aus, dass das Grundgesetz und die bestehende Rechtsordnung keinen Bestand haben. Reichsbürgergruppierungen haben eigene Reichsregierungen, Reichsministerien, Reichsministerinnen und Reichsminister und Reichsbehörden gebildet. Einige geben Dokumente wie Reichspässe und Reichsführerscheine heraus, die die Mitglieder kaufen können. Gegen Geld bieten sie Seminare an, in denen sie verschiedene Rechtsfragen aus Sicht der jeweiligen Reichsregierung darstellen. Mit ihren Bezügen auf das historische Deutsche Reich weist die Ideologie der sogenannten (Staats-)Bürger des Deutschen Reichs Überschneidungen zu revisionistischen und teils völkischen Ideologieelementen des Rechtsextremismus auf. Dies spiegelt sich auch in personellen Überschneidungen zwischen der Reichsbürgerbewegung und dem Rechtsextremismus wider. 1.1 Wahlkommission der Königlich Preußischen Provinz Schleswig-Holstein (WKSH) Logo der Wahlkommission der Königlich Preußischen Provinz Schleswig-Holstein Anhänger sogenannter Wahlkommissionen vertreten die Auffassung, dass das Wilhelminische Kaiserreich in seinen Grenzen von 1871 als sogenanntes 2. Deutsche Reich weiterhin existiere, jedoch aufgrund unzureichender Verwaltungsstrukturen gegenwärtig nicht handlungsfähig sei und deshalb ein verfassungsmäßiger Notstand bestünde. Ziel der bundesweit dezentral agierenden Wahlkommissionen ist die Wiederherstellung der fehlenden Verwaltungsstrukturen und damit letztlich die Reaktivierung des Kaiserreichs von 1871. Seite 89 V Reichsbürger und Selbstverwalter In Schleswig-Holstein übernimmt diese Aufgabe die "Wahlkommission der Königlich Preußischen Provinz Schleswig-Holstein (WKSH)". Da Deutschland nach Ansicht der WKSH nach wie vor ein besetztes Land sei, in dem Militärgesetze gelten würden, ist es ihr selbsterklärtes Ziel, an der Rückkehr Deutschlands in die Souveränität mitzuwirken und Schleswig-Holstein als Teil des Staates Preußen innerhalb Deutschlands in die Zukunft zu führen. 1.1.1 Entwicklung und Aktivitäten Die WKSH besteht seit August 2022 und will Bürgerinnen und Bürgern in der Region helfen, ihre "ererbte Staatsangehörigkeit14" innerhalb eines "Ewigen Bundes deutscher Staaten15" wiederzuerlangen. Darüber hinaus sollten Gemeinden vor Ort "reaktiviert16" und Gemeindewahlen parteiunabhängig organisiert werden. Im Berichtsjahr gab es keine Hinweise für ein "Reaktivieren" einer Gemeinde in Schleswig-Holstein. Die Gruppierung unterhielt neben einer eigenen Website auch einen Telegram-Kanal namens "Preußische Provinz Schleswig-Holstein", dessen Mitgliederzahl im mittleren zweistelligen Bereich lag. 1.1.2 Ausblick Auch wenn die Erfolgsaussichten dieser Bestrebungen als gering eingeschätzt werden, richtet sich das Handeln der Gruppierung gegen elementare Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Durch die Ablehnung der staatlichen Existenz und die gezielte Infragestellung der demokratischen Prinzipien trägt sie zur Destabilisierung der verfassungsmäßigen Ordnung bei. Die WKSH wird auch zukünftig ihre Aktivitäten fortsetzen, ihre organisatorischen Strukturen weiter ausbauen und dabei bestehende Netzwerke erweitern, um eine flächendeckende Präsenz zu etablieren. 14 Die Formulierung bezieht sich auf das "Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz" (RuStAG) von 1913. Dort ist das Abstammungsprinzip verankert, das die deutsche Nation ethnisch homogen definieren sollte. Es legte die Staatsangehörigkeit auf die ethnische Zugehörigkeit zum Deutschen Volk fest, sodass nur Kinder von deutschen Eltern die Reichszugehörigkeit erhielten. 15 Hierbei handelt es sich um einen Rekurs auf die Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871. Das Kaiserreich war als ein "Ewiger Bund" deutscher Fürsten gedacht und maß den einzelnen Bundesstaaten ein hohes Maß an Eigenständigkeit und verfassungsrechtlicher Gestaltungsmacht zu. 16 Für einen Teil der Reichsbürgerund Selbstverwalter-Szene gilt die Verfassung des Deutschen Kaiserreiches von 1871-1918 als einzig gültig. Ihr Ziel ist es, Städte und Gemeinden auf dieser verfassungsrechtlichen Grundlage neu zu organisieren. Sie glauben, dass die Bundesrepublik Deutschland ein privatrechtliches Unternehmen unter alliierter Kontrolle ist. Seite 90 V Reichsbürger und Selbstverwalter 1.2 Internationale Organisation Völkerrecht (IOV) Logos der Internationalen Organisation Völkerrecht Die "Internationale Organisation Völkerrecht (IOV)" ist eine neuere Gruppierung innerhalb der Reichsbürgerszene. Die Organisation beruft sich unter anderem auf das Völkerrecht und damit aus ihrer Sicht auf ein dem Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland übergeordnetes Normsystem. Die IOV bezeichnet sich selbst als "Ratifizierte Schutzmacht nach Art. 132 und 140 Genfer Abkommen IV" und bietet Bürgerinnen und Bürgern Hilfe bei vermeintlich rechtswidrigem Vorgehen von Behörden an. Insofern unterscheidet sich das IOV in ihrem Vorgehen nicht von anderen Gruppierungen innerhalb des Reichsbürgerspektrums. Die IOV ist darauf ausgerichtet, staatliche Maßnahmen abzuwehren. Bußgelder, Rundfunkbeiträge und staatliche Gebühren und Abgaben stellen aus Sicht des IOV rechtswidrige Forderungen dar, die es zurückzuweisen gilt. Daneben wird staatliches Handeln, mit Verweis auf das vermeintlich "höherrangige" Völkerrecht, die Menschenrechte oder andere "übergeordnete" Normen für ungültig erklärt. Die Auslegung der jeweiligen Rechtsnormen erfolgt dabei meist willkürlich und dient in erster Linie dazu, die eigene Argumentation zu untermauern. Die IOV betreibt eine eigene Website. Dort propagiert die Gruppierung ihre Ideologie und stellt "rechtliche" Informationen zur Verfügung. 1.2.1 Entwicklung und Aktivitäten Die IOV ist im Gefüge der schleswig-holsteinischen Reichsbürgerund Selbstverwalterszene eine Kleinstorganisation. Sie trat erstmalig im Berichtsjahr mit dem Versenden von zahlreichen szenetypischen Schreiben an verschiedene Behörden in Schleswig-Holstein in Erscheinung. Zu den Adressaten der teilweise umfangreichen Schriftsätze zählten neben den Ausländerbehörden auch das Finanzund Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein. In den zumeist standardisierten Schreiben wurden in der Regel vermeintliche, sich aus dem Völkerrecht ergebende Rechte wie beispielsweise die Ausstellung von Reiseausweisen eingefordert. Gleichzeitig enthielten die Schreiben Informationen an Behörden, wie aus Sicht der IOV künftig mit ihren eigenen Anhängern, den Seite 91 V Reichsbürger und Selbstverwalter sogenannten Zivilisten, umzugehen sei, da diese außerhalb des "Rechtskreises17" der Bundesrepublik Deutschland stünden. Ein zentrales Element der Reichsbürgerideologie ist die Unterscheidung zwischen (juristischen) Personen und Menschen beziehungsweise Zivilisten. Frauen und Männer, die das herrschende System akzeptieren, sind nach Auffassung der IOV juristische Personen und damit Personal oder Sklaven der "BRD-GmbH". Die Bezeichnung "Mensch" beziehungsweise "Zivilist" kommt laut IOV nur Szeneangehörigen zu. Die IOV will damit zum Ausdruck bringen, dass sie außerhalb der geltenden Rechtsordnung steht. 1.2.2 Ausblick Es ist zu erwarten, dass sich die IOV weiterhin auf den Versand von Schreiben an Behörden konzentrieren wird, obgleich schon im Berichtsjahr ein leichter Rückgang zu verzeichnen war. Weitere Aktivitäten der IOV sind derzeit nicht absehbar. Aus heutiger Sicht erscheint es eher unwahrscheinlich, dass die "Internationale Organisation Völkerrecht" zu einer nennenswerten Größe mit Bestand in der Reichsbürgerszene werden könnte. 2 Selbstverwalter Bei Selbstverwalterinnen und Selbstverwaltern ist die ideologische Ausrichtung ebenfalls nicht einheitlich. Sie berufen sich unter anderem auf ein selbst definiertes Naturrecht als Grundlage ihres Zusammenlebens oder beziehen ihre Rechtsauffassung aus Gesetzestexten vergangener Jahrhunderte sowie von aus dem Zusammenhang gerissenen Auszügen aus der Bibel. Sie propagieren die Vorstellung einer besseren, harmonischeren und menschlicheren Welt, in der sich jeder frei von Bindungen entfalten kann. Ihre "selbst verwalteten Gebiete" erklären sie für exterritorial, also nicht zu Deutschland gehörend und somit nicht den Landesgesetzen unterworfen. Diese Gebiete können eigene Grundstücke, aber auch ganze Gemeinden und Städte sein. Allen gemeinsam ist, dass sie die Bundesrepublik Deutschland und ihre Rechtsordnung ablehnen beziehungsweise deren Existenz bestreiten. Wenn aus diesem irrationalen Ideologiekonstrukt eine Legitimation zur Selbstverteidigung abgeleitet wird, kann daraus eine reale Gefahr für die öffentliche Sicherheit erwachsen. 17 Angehörige der IOV teilen die Welt in sogenannte Rechtskreise auf. Diese stehen, anders als in der Rechtswissenschaft, in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, wobei das Völkerrecht den höchsten Rechtskreis und das Handelsrecht den niedrigsten Rechtskreis bildet. Diese Unterteilung bietet Szeneangehörigen die Möglichkeit, die eigenen Interessen auf eine vermeintlich höhere juristische Ebene zu heben, während die Gesetze und Verordnungen der Bundesrepublik Deutschland für ungültig erklärt werden. Seite 92 V Reichsbürger und Selbstverwalter 2.1 Königreich Deutschland (KRD) Logo des Königreich Deutschland Das Königreich Deutschland (KRD) ist ein bundesweit aktiver Verein, der einen sogenannten autarken Gemeinwohlstaat aufbauen will. Dazu etabliert das KRD eigene Strukturen wie die "Königliche Reichsbank", die "Gemeinwohlkasse", das "Meldeamt", die "Deutsche Heilfürsorge", die "Deutsche Rente" und den Online Marktplatz "Kauf das Richtige (KaDaRi)". Das KRD hat sich eine eigene Verfassung gegeben, in der es sich selbst zum "Staat" mit der Bezeichnung "Königreich Deutschland" erklärt. Das Oberhaupt des Staates, Peter Fitzek, trägt den Titel "König von Deutschland". Der "König" wird auf Lebenszeit gewählt, kann seinen Nachfolger bestimmen, untersteht nicht der Gerichtsbarkeit, und jedes Gesetz bedarf der Zustimmung des "Königs". Dieser sogenannte König vertritt seinen Staat auch gegenüber auswärtigen Staaten. Das KRD gibt an, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Rechtsordnung anzuerkennen, sieht sich selbst aber als souveränen Staat, der nicht der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland unterworfen ist. 2.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten Beim KRD ging es im Berichtsjahr weiterhin hauptsächlich darum, neue Anhänger zu gewinnen. Dazu unterhielt das KRD ein sogenanntes LEUCHT-TURM-Team. Dessen Mitglieder waren für die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen verantwortlich, wie zum Beispiel Seminare und Wanderungen. Die Veranstaltungen wurden bundesweit angeboten, auch in Schleswig-Holstein. Sie verfolgen den Zweck, das KRD weiter aufzubauen und zu festigen. Die KRD-Seminare behandeln stets das gleiche Thema: Den "Ausstieg aus der BRD" und den "Einstieg in das KRD". Die Kosten für die angebotenen Seminare liegen im dreibis vierstelligen Bereich. Für eine Aufnahme als "KRD-Staatszugehöriger"18 oder "KRD-Staatsangehöriger"19 müssen weitere finanzielle Leistungen erbracht werden. 18 Die sogenannte Staatszugehörigkeit ist eine lockere Verbindung zum KRD, bei der lediglich die Vision des KRD befürwortet werden muss. Die stellt den ersten unverbindlichen Einstieg in das KRD dar. 19 Die sogenannte Staatsangehörigkeit ist die verbindliche Mitgliedschaft im KRD, die nur über die Anerkennung der sogenannten Verfassung des KRD und eine Prüfung erlangt werden kann. Seite 93 V Reichsbürger und Selbstverwalter Trotz des umfangreichen Informationsangebots wuchs das Personenpotenzial nicht im gleichen Maße an. Dies deutet auf eine hohe Fluktuation der Mitglieder im KRD hin. Offensichtlich stimmt die tatsächliche Struktur des KRD nicht mit den dort propagierten gemeinwohlorientierten Idealen überein. Ein Unterschied zwischen den theoretischen Zielen und der praktischen Umsetzung könnte bei einigen Personen zu Enttäuschung und einer Abkehr vom KRD geführt haben. Das KRD hat nach eigenen Angaben bundesweit etwa 6 000 Staatszugehörige und Staatsangehörige. In Schleswig-Holstein geht die Landesverfassungsschutzbehörde von einem Personenpotenzial im oberen zweistelligen Bereich aus. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ging im Berichtsjahr regelmäßig gegen das KRD vor. Trotzdem stellten überzeugte KRD-Angehörige weiterhin finanzielle Mittel in teils beträchtlichem Umfang zur Verfügung. 2.1.2 Ausblick Schleswig-Holstein hat für das KRD offensichtlich eine gewisse Anziehungskraft. Die Gruppierung dürfte weiterhin mit Beharrlichkeit und Beständigkeit versuchen, neue Strukturen aufzubauen und langfristig zu etablieren. Besonders die ländlichen Gebiete gelten aus Sicht des KRD als besonders geeignet für die Entwicklung sogenannter Gemeinwohldörfer; das sind autarke KRD-Ansiedlungen, die auf Selbstversorgung und gemeinschaftlicher Zusammenarbeit basieren. Dort sollen die vermeintlich gemeinwohlorientierten Ideale des KRD umgesetzt werden. Angesichts dieser Ziele ist zu erwarten, dass das KRD in naher Zukunft mit weiteren Initiativen und Aktivitäten in Schleswig-Holstein präsent sein wird, um sein Konzept voranzutreiben und auszubauen. Das KRD wurde am 13. Mai 2025 durch den Bundesinnenminister verboten. Das Bundesinnenministerium führte dazu aus, dass Zweck und Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwider laufe und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung richten. Vom Verbot umfasst sind auch die zahlreichen Teilorganisationen des Vereins. Das Vereinsverbot untersagt jede Fortführung der Vereinsaktivitäten durch die bisherigen Mitglieder und Unterstützungsaktivitäten Dritter zugunsten des verbotenen Vereins. Verstöße hiergegen sind Straftaten nach SS 20 Vereinsgesetz (bis zur Bestandskraft des Verbots) bzw. nach SS 85 Strafgesetzbuch (ab Bestandskraft des Verbots). Zudem führt der Generalbundesanwalt ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung im Zusammenhang mit dem Betrieb unerlaubter Bankund Versicherungsgeschäfte.bFür die Sicherheitsbehörden wird jetzt weiter zu beobachten sein, ob das KRD seine Bestrebungen dennoch zukünftig fortsetzt. Seite 94 V Reichsbürger und Selbstverwalter 2.2 "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) Logo des Indigenen Volks Germaniten Die Gruppierung "Indigenes Volk Germaniten" (IVG) wurde 2007 in Baden-Württemberg gegründet und unterhält bundesweit Ableger, die sogenannten Missionen. Sie beansprucht, das Volk der "Germaniten" zu repräsentieren. Dabei soll es sich um Nachfahren der ehemaligen Bewohner eines bestimmten Gebiets ("Germanitien") handeln, die bereits vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland dort lebten. Als vermeintliche Angehörige eines indigenen Volkes fordert das IVG Sonderrechte, die ihnen auf Grundlage verschiedener nationaler und internationaler Abkommen zum Schutz indigener Völker zustehen würden. Die Mitglieder der IVG betrachten sich nicht als an die Gesetze der Bundesrepublik Deutschland gebunden, da diese für sie als Teil des ursprünglichen Volkes keine Gültigkeit hätten. Im Jahr 2017 entschied das Bundesverwaltungsgericht abschließend, dass der Status der Gruppierung als indigenes Volk zu verneinen ist. 2.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten Im Berichtszeitraum fiel erneut eine Protagonistin aus Schleswig-Holstein auf. Auf von ihr bundesweit organisierten Veranstaltungen hielt sie Vorträge, um gezielt neue Interessenten und potenzielle Anhänger zu gewinnen. Weder die Teilnahme an den Vortragsveranstaltungen noch die Mitgliedschaft im IVG sind kostenlos. In Schleswig-Holstein konzentrierten sich die Aktivitäten der Gruppierung hauptsächlich auf den Versand von mehrseitigen Schreiben an zahlreiche Behörden. In diesen Briefen, die für diese Gruppierung typisch sind, protestierte das IVG in der Regel gegen ablehnende Verwaltungsoder Gerichtsentscheidungen, beklagte vermeintliche "rassistische Diskriminierung" oder forderte die Gewährung angeblich bestehender "Indigenen-Rechte". Einzelne "Missionen" des IVG gingen im Berichtszeitraum dazu über, ihre Räumlichkeiten als "Botschaften" oder "Botschaftsnebensitze" zu deklarieren. Dies geschah durch entsprechende Beschilderung und das Anbringen eines "Betretungsverbots" für "BRD-Bedienstete". In einigen Fällen wurden die Immobilien zusätzlich sichtbar abgegrenzt, um den Eindruck einer Exterritorialität zu erwecken. Diese Absicht sollte noch Seite 95 V Reichsbürger und Selbstverwalter dadurch verstärkt werden, dass sich die Protagonisten einer "Mission" als "Botschafter" bezeichneten und mit "Exzellenz" angesprochen werden wollten. Besondere Aufmerksamkeit erregte eine "Mission" der Germaniten auf Eiderstedt (Nordfriesland), die durch ihr Verhalten - einschließlich des hundertfachen Versands entsprechender Faxe an eine Vielzahl von Empfängern - unter anderem das Interesse der überregionalen Presse auf sich zog. 2.2.2 Ausblick Es ist zu erwarten, dass sich die Aktivitäten des IVG auch in der Zukunft auf hohem Niveau fortsetzen werden. Die Gruppierung wird voraussichtlich weiterhin verstärkt auf öffentliche Auftritte und Vortragstätigkeiten setzen, um neue Mitglieder zu werben und auf diesem Weg zusätzliche Einnahmen zu generieren. Die damit verbundenen finanziellen Mittel könnten dazu dienen, die organisatorische Struktur weiter auszubauen und die Aktivitäten intensiver und nachhaltiger zu gestalten. In diesem Zusammenhang ist auch mit vereinzelt öffentlichkeitswirksamen Aktionen zu rechnen, die darauf abzielen, Aufmerksamkeit zu erlangen und die eigene Agenda weiter zu verbreiten. 3 Unstrukturiertes Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter Die Mehrheit der Reichsbürger und Selbstverwalter konnte im Berichtsjahr keinem Personenzusammenschluss zugeordnet werden. Der relativ große Anteil dieses so genannten unstrukturierten Personenpotenzials war mit 57 Prozent - wie in den Vorjahren - weiterhin prägend für die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene in Schleswig-Holstein. 4 Personenpotenzial der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene 2022 2023 2024 Reichsbürger und Selbstverwalter 640 700 800 davon: in Personenzusammenschluss eingebunden 230 300 320 unstrukturiertes Reichsbürger und Selbstverwalter 410 400 480 Personenpotenzial davon: 13 20 20 rechtsextremistische Reichsbürger und Selbstverwalter gewaltorientierte Reichsbürger und Selbstverwalter 21 30 40 Das Personenpotenzial der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene ist im Vergleich zum Vorjahr um rund 14 Prozent auf 800 Personen (2023: 700) angewachsen. Seite 96 V Reichsbürger und Selbstverwalter Die Ursachen für den stetigen Anstieg in der Szene sind hauptsächlich in den diffusen Ängsten und Unsicherheiten im Zusammenhang mit den anhaltenden und weitreichenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krisen wie der Angriffskrieg auf die Ukraine, der Terrorangriff der Hamas und der darauffolgende Krieg im Nahen Osten, der Klimaund Energiekrise sowie der Inflation zu sehen. Reichsbürgerund Selbstverwaltergruppierungen bieten hier vermeintliche Auswege an. Solange Krisen und Kriege in ihrer Schärfe fortbestehen und überwiegend als persönlich existenzgefährdend betrachtet werden, wird die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene auf mittlere Sicht gesamtgesellschaftlich günstige Voraussetzungen vorfinden, um neue Mitglieder und Anhänger zu akquirieren. Zudem war das Meldeaufkommen von kommunalen Amtsträgern und Behörden nach wie vor hoch. Seite 97 Seite 98 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Seite 99 Seite 100 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Der Islamismus als extremistische Ideologie und insbesondere der islamistische Terrorismus bleiben eine anhaltende Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes. Denn sowohl islamistische Gruppierungen, die überwiegend auf politischer und gesellschaftlicher Ebene agieren, als auch jihadistische, gewaltorientierte und terroristische Organisationen verfolgen das gemeinsame Ziel, einen islamistischen Gottesstaat zu errichten, unter anderem auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Sie versuchen daher, den deutschen Rechtsstaat auf verschiedene Weise zu untergraben und die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch einen ausschließlich religiösen und islamistischen Rechtsund Wertekanon, die Scharia, zu ersetzen. Internationale Krisen wirken sich auch auf die Situation in Deutschland und Schleswig-Holstein aus. So hat der Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober 2023 den Nahost-Konflikt eskalieren lassen. Die Unruhen in der Region beeinflussen weiterhin die islamistische Szene in Deutschland, die diese Ereignisse sowohl im Internet als auch in der realen Welt emotional aufgreift und erwartungsgemäß mit Solidaritätsbekundungen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung in Gaza sowie mit antiisraelischen und antisemitischen Haltungen begleitet. Gleichzeitig bleibt die Bundesrepublik Deutschland ein unmittelbares Ziel terroristischer Organisationen wie des sogenannten Islamischen Staates (IS), al-Qaida (AQ) und weiterer ideologisch verbundener Gruppierungen. Auch die Sicherheitslage in Schleswig-Holstein ist untrennbar mit diesen globalen Krisen verknüpft. Darüber hinaus haben die jihadistischen Anschläge von Solingen und Mannheim gezeigt, dass terroristische Gruppen, insbesondere der sog. Islamische Staat, weiterhin in der Lage sind, durch ihre jihadistische Propaganda auch islamistische Akteure in Deutschland zu radikalisieren und zur Begehung von folgenschweren Anschlägen zu animieren. 1 Salafistische Bestrebungen/Salafismus Salafistische Bestrebungen/Salafismus Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: 700 (2023: 700) Anhängerschaft bundesweit: 11 000 (2023: 10 500) Der Salafismus als besonders dynamische islamistische Strömung ist ideologisch rückwärtsgerichtet und arbeitet auf die Islamisierung der Gesellschaft und langfristig auf die Etablierung eines islamischen Gottesstaates hin. Somit ist er mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gänzlich unvereinbar und seine Anhängerschaft steht unter dem Sammelbegriff "Salafistische Bestrebungen" unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Seite 101 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Durch die Sicherheitsbehörden wird innerhalb des Salafismus zwischen politischem Salafismus und dem salafistischen Jihadismus unterschieden. Ersterer ist dabei der Versuch, durch Missionierung (da'wa) eine gesellschaftliche Durchdringung der salafistischen Ideologie zu erreichen. Die Propaganda und Handlungen des Jihadismus sind hingegen vorwiegend durch den bewaffneten Kampf (Jihad) gegen vermeintliche Ungläubige geprägt. Die Übergänge vom politischen zum jihadistischen Salafismus sind jedoch oft fließend. Denn auch wenn ersterer in der Regel auf die aktive Anwendung von Gewalt verzichtet, zeigt er durch seine strikte Ausrichtung an Sunna (Prophetentradition) und Koran - der bei unreflektierter Lesart beispielsweise auch die Züchtigung von Ehefrauen erlaubt - sowie der Forderung nach der Scharia mit ihren oft gewaltbehafteten Strafelementen zumindest eine Toleranz gegenüber Gewalt als legitimem Instrument. 1.1 Entwicklungen und Aktivitäten Schwerpunkte salafistischer Aktivitäten in Schleswig-Holstein bildeten im Berichtsjahr erneut einschlägige Moscheevereine vor allem in den kreisfreien Städten Kiel, Lübeck, Neumünster und Flensburg sowie in Rendsburg. Im Hamburger Randbereich orientierten sich die Anhängerinnen und Anhänger salafistischer Bestrebungen vorwiegend in die Hansestadt Hamburg selbst. Bundesweit stiegen die Anhängerzahlen leicht auf insgesamt 11 000 Personen an. Dieser Trend zeigte sich nicht in Schleswig-Holstein, hier ist das salafistische Personenpotenzial mit 700 gleichbleibend wie im Vorjahr. Es kann festgestellt werden, dass der größte Teil dieser Personen ideologisch gefestigte Salafistinnen und Salafisten und bereits seit Jahren in eine salafistische Vereinsstruktur eingebettet sind. Darüber hinaus lässt sich zunehmend beobachten, dass die Ideologie alteingesessener Personen in Moscheevereinen gezielt an die nächste Generation weitergegeben wird. Dabei wird die Szene insgesamt jünger, wobei dabei das Internet auch eine entscheidende Rolle spielt. Die salafistische Szene in Schleswig-Holstein erweist sich als anpassungsfähig. Etablierte salafistische Einrichtungen treten mit Unterrichten und Seminaren gezielt an Interessierte heran, oft mit einem Profil, das nach außen kaum noch als salafistisch erkennbar ist. Diese Agenda wird durch das Internet unterstützt, wo salafistisches Gedankengut über zeitgemäße Formate wie Podcasts, Videostreams und Onlineseminare propagiert wird. Seite 102 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Salafistisches Personenpotenzial in Deutschland und Schleswig-Holstein 800 14000 700 12000 Schleswig-Holstein 600 10000 500 Deutschland 8000 400 6000 300 4000 200 100 2000 0 0 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 2024 Schleswig-Holstein 230 300 370 500 600 650 750 750 750 700 700 Deutschland 7000 8350 9700 10800 11300 12150 12150 11900 11000 10500 11000 1.2 Missionierungsarbeit (da'wa) Die Missionierungsarbeit (Da'wa) bleibt im Salafismus ein zentrales Mittel, um neue Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen. Am 12. Juni des Berichtsjahres wurde die Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e.V. (DMG) in Braunschweig vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport verboten und aufgelöst. Sie gehörte seit Jahren zu den salafistischen Zentren Deutschlands. Zur DMG gehörten salafistische Szenegrößen wie Pierre Vogel, Abul Baraa sowie weitere bundesweit populäre Akteure. Die DMG bot überregionalen salafistischen Predigern eine Plattform und verfügte über ein umfangreiches und differenziertes Onlineangebot. Dadurch hatte sie eine enorme Reichweite, vor allem bei jungen Menschen. Durch das DMG Verbot kam es auch zu einem Verbot der vom Verein initiierten Street Da'wa Kampagne "Was danach?". Bei dieser Kampagne handelte es sich um ein bundesweites salafistisches Missionierungsprojekt, welches zum Ziel hatte, jeden Menschen in Deutschland zum Islam "einzuladen". Das Projekt richtete sich primär an Nicht-Musliminnen und Nicht-Muslime. Im Berichtsjahr konnten in Schleswig-Holstein keine Aktivitäten der klassischen StreetDa'wa, wie etwa Informationsstände an öffentlichen Orten, festgestellt werden. Stattdessen konzentrierte sich die Missionierungsarbeit der salafistischen Szene in Schleswig-Holstein weiterhin auf private Räume und etablierte Vereinsstrukturen. Seite 103 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Ein weiterer zentraler Aspekt der Da'wa-Aktivitäten ist die Einladung salafistischer Reiseprediger, die die Missionierungsarbeit durch Veranstaltungen wie Islamseminare intensivieren. Diese Prediger sind ausschließlich männlich und genießen als national oder international bekannte islamistische Gelehrte oder Prediger eine hohe Reputation innerhalb der salafistischen Szene. Dadurch üben sie eine starke Anziehungskraft auf Mitglieder der lokalen Szene aus, mit dem Ziel, neue Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen und bestehende Mitglieder stärker an die Vereinsstrukturen zu binden. Im Berichtsjahr konnten in Schleswig-Holstein jedoch keine Aktivitäten prominenter Reiseprediger aus anderen Bundesländern oder dem Ausland festgestellt werden. Dennoch war die salafistische Szene in Schleswig-Holstein gut vernetzt, sowohl untereinander als auch im norddeutschen Raum. Diese Vernetzung wird insbesondere bei Spendensammlungen genutzt, etwa zur Finanzierung von Moscheeprojekten innerhalb der norddeutschen salafistischen Gemeinschaft. Die Rolle weiblicher Mitglieder in der salafistischen Szene Auch im Berichtsjahr fanden in einem Großteil der salafistisch beeinflussten Moscheevereine in Schleswig-Holstein Frauenund Kinderunterrichte statt. Dabei war in einigen dieser Moscheevereine eine generelle Zunahme der Aktivitäten weiblicher Mitglieder zu beobachten. Dies zeigte sich unter anderem in der Gründung von Frauengruppen, die sowohl online als auch in der realen Welt Unterrichte und Treffen organisierten. Diese Aktivitäten waren speziell auf die Bedürfnisse von Frauen ausgerichtet und fanden in der Regel in geschlossenen Gruppen statt, in denen die Frauen unter sich blieben. In einigen einschlägigen Moscheevereinen wurden geschlechtergetrennte Jugendgruppen für weibliche und männliche Jugendliche sowie junge Erwachsene etabliert, die ein speziell auf sie zugeschnittenes Programm bieten. Dieses reicht von gemeinsamen Veranstaltungen und Islamseminaren über Freizeitaktivitäten bis hin zur gezielten Ansprache und Konversion junger Nicht-Musliminnen und Nicht-Muslime. Besonders junge Frauen wurden verstärkt über soziale Medien mit der salafistischen Ideologie adressiert. Die Jugendgruppen agierten sowohl online in sozialen Netzwerken als auch durch reale Veranstaltungen. Im Berichtsjahr konnte zudem eine intensivere Vernetzung zwischen Jugendgruppen verschiedener Moscheevereine festgestellt werden. Salafistische Influencerinnen und Influencer als Ausdruck jugendlicher Szenekultur Die Verbreitung der salafistischen Ideologie verlagert sich zunehmend, professionell und visuell ansprechend aufgearbeitet, in die sozialen Medien. Salafistische Influencerinnen und Influencer nehmen mittlerweile einen großen Stellenwert für junge Menschen ein. Neben den meist männlich dominierten salafistischen Szenegrößen, die sich oft als "Islamgelehrte" inszenieren, hat sich hier eine weitere Gruppe salafistischer Seite 104 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Akteure etabliert, die selbst überwiegend im jugendnahen Alter sind, oftmals kaum fundiertes theologisches Wissen aufweisen und in jugendgerechter Sprache alltägliche Themen mit dem Thema Islam verbinden, hierbei jedoch ein salafistisches Weltbild verbreiten. Einigen salafistischen Akteuren ist es gelungen, sich in relativ kurzer Zeit zu einflussreichen Social-Media-Persönlichkeiten zu entwickeln. Die Inhalte sind auf gängigen Social-Media-Plattformen leicht zugänglich und stehen somit einem großen Publikum zur Verfügung. Allzu viele der vorwiegend männlichen Influencer richten ihr Islambild an der salafistischen Weltanschauung des Frühislam aus, der jedwede Reform ablehnt und ein intolerantes Weltbild gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen verfolgt. Während salafistische Prediger bereits seit vielen Jahren YouTube nutzen, um ihre islamistischen Inhalte zu verbreiten, haben sie ihr Repertoire mittlerweile um zahlreiche Social-Media-Plattformen wie TikTok und Instagram erweitert. Durch diese Multi-Plattform-Strategie sind salafistische Prediger jederzeit und über einen breiten Zugang mit ihren Botschaften verfügbar. Im aktuellen Berichtsjahr wurde erstmals eine überregionale, nicht aus Schleswig-Holstein stammende weibliche salafistische Influencerin mit großer Reichweite festgestellt. Sie erreichte innerhalb kürzester Zeit eine hohe Zahl an Followern und richtet sich mit ihren Beiträgen insbesondere an Konvertitinnen. Ein besonders florierendes Phänomen innerhalb der salafistischen Szene im aktuellen Berichtsjahr waren Umra-Reisen, auch bekannt als der "kleine Hadsch" (Pilgerfahrt). Diese wurden von zahlreichen Predigern über Social Media beworben und organisiert. Bundesweit fand im Berichtsjahr eine hohe Anzahl solcher Reisen statt. Die Teilnahme birgt die Gefahr, dass nicht-extremistische Musliminnen und Muslime während dieser Reisen durch gezielte Indoktrinierung für die salafistische Ideologie vereinnahmt und potenziell radikalisiert werden. Auch in kleinerem Rahmen und mit weniger Followern waren in Schleswig-Holstein einige junge Akteurinnen und Akteure aktiv, die durch Social-Media-Aktivitäten andere junge Menschen beeinflussen und dabei salafistisch geprägte Ansichten verbreiten. Unter den Nutzerinnen und Nutzern dieser Angebote befinden sich zudem zahlreiche Personen, die bereits eine salafistische Weltanschauung verinnerlicht haben. Viele Moscheevereine, welche meist durch eine ältere Generation betrieben werden, standen sog. Influencerinnen und Influencern in den sozialen Netzwerken weiterhin scheinbar neutral bis ablehnend gegenüber. Sie nutzten kaum die Möglichkeit, eigene Inhalte in den sozialen Medien zu veröffentlichen, um dort für ihren eigenen Verein und ihre salafistische Ideologie zu werben. Seite 105 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Obwohl Influencerinnen und Influencer unterschiedliche Ideologien und Agenden verfolgen, haben sie eines gemeinsam: Sowohl salafistische als auch insbesondere "Hizb-ut-Tahrir" (HuT)-nahe Gruppierungen erreichen in den sozialen Netzwerken Hunderttausende junge Musliminnen und Muslime. Während salafistische Inhalte im Netz überwiegend unpolitische Themen behandeln, konzentrieren sich HuT-nahe Gruppierungen auf politische Propaganda, oft verbunden mit der Forderung nach einer Einrichtung eines Kalifats. Gemeinsam ist allen Akteurinnen und Akteuren, dass sie eine Spaltung zwischen Musliminnen und Muslimen und der "Mehrheitsgesellschaft" anstreben und damit einen Nährboden für zukünftige Radikalisierungsprozesse schaffen. Auswirkungen des aktuellen Nahostkonfliktes in der Realwelt als auch in den sozialen Medien Auch in der salafistischen Szene in Schleswig-Holstein wurde der Nahostkonflikt insgesamt nur zurückhaltend thematisiert, vermutlich aus Sorge vor möglichen staatlichen Maßnahmen gegen Einzelpersonen oder Vereine. Direkte Aufrufe zur Teilnahme an Demonstrationen oder öffentliche Sympathiebekundungen mit der Terrororganisation HAMAS konnten nicht festgestellt werden. In den meisten salafistischen Anlaufstellen blieb der Konflikt ein öffentlich kaum diskutiertes Thema. Auch salafistische Influencerinnen und Influencer äußerten sich in Bezug auf die Geschehnisse äußerst zurückhaltend und vermieden überwiegend politische Statements. Diese Haltung entspricht der zu beobachtenden klassischen Ausrichtung des Salafismus. Häufig wurde dabei Israel in Holocaustvergleichen mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt, wobei Israel im Sinne einer Täter-Opfer-Umkehr als Täter dargestellt wurde. Queerfeindliche Tendenzen in der salafistischen Szene Im Berichtsjahr kam es innerhalb der salafistischen Szene Schleswig-Holsteins vereinzelt zu queerfeindlichen Äußerungen. Diese orientierten sich an salafistischen Narrativen, in denen Homosexualität und queere Lebensformen von Predigern als Sünde dargestellt und verunglimpft wurden. In Jugendund Frauengruppen einschlägiger Moscheevereine wird strikt an der Binarität der Geschlechter festgehalten. Jede Abweichung von diesem traditionellen Verständnis wird mindestens abgelehnt oder herabgewürdigt. Zudem gab es wiederholt scharfe Kritik an queeren Lebensweisen sowie an der öffentlichen Berichterstattung über LGBTQ+-Themen. 1.3 Ausblick Auch in der salafistischen Szene in Schleswig-Holstein ist der bundesweite Trend erkennbar, dass sich insbesondere die Da'wa-Arbeit im Schwerpunkt in die sozialen Medien mit verschiedenen salafistischen Influencerinnen und Influencern verlagert. Der nieSeite 106 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus derschwellige Zugang zu salafistischen Online-Angeboten in den sozialen Medien sorgt dabei weiterhin für einen leichten Einstieg in der Szene und kann die Radikalisierung von einzelnen Personen beschleunigen. Diese Angebote richten sich vielfach an Minderjährige und junge Erwachsene, die besonders von den dortigen adressatengerechten Inhalten angesprochen werden. Die etablierten salafistischen Moscheevereine versuchen, mit unterschiedlichen Formaten diesem Trend entgegenzusteuern. Da die salafistischen Influencerinnen und Influencer vorwiegend junge Menschen ansprechen, bemühen sich die Moscheevereine vielfach darum, ihre eigene Jugendarbeit auszuweiten. Dies erfolgt mit der Zielsetzung, diese jungen Menschen an die Moscheen zu binden und nicht an populäre, aber aus Sicht vieler etablierter Imame mäßig religiös gebildete Influencerinnen und Influencer zu verlieren. Auch wenn im Berichtsjahr keine Veranstaltungen mit bundesweit bekannten Gastpredigern in Schleswig-Holstein stattfanden, blieben dabei dennoch sog. Islamseminare in den Moscheevereinen für unterschiedliche Zielgruppen und mit unterschiedlichen Reichweiten ein wichtiges Instrument, um dem Trend von Online-Angeboten entgegenzuwirken. Neben den jugendspezifischen Formaten und dem Ausbau von Jugendaktivitäten wird weiterhin auch die Frauenarbeit einen größeren Stellenwert in den Moscheevereinen behalten. So entstanden insgesamt Angebote für salafistische Familienverbände, bei denen ein geschlossenes salafistisches Weltbild für die gesamte Familie entwickelt wurde. Es bleibt abzuwarten, wie sich diese realweltlichen Angebote langfristig auf die salafistische Szene auswirken werden. Es ist anzunehmen, dass dies und auch die festgestellte Vernetzung von verschiedenen Moscheevereinen und deren Jugendgruppen vermehrt zu Radikalisierungen auch junger Menschen führen können. 2 Terroristische Organisationen Terroristische Organisationen lassen sich in einzelne Gruppierungen unterteilen, die verschiedene Ausrichtungen und Ziele verfolgen. Einige Gruppierungen verfolgen überwiegend eine regionale Agenda und haben die Errichtung eines islamischen Staates innerhalb ihrer Aktionsgebiete zum Ziel, andere verfolgen dagegen eine global ausgerichtete Agenda mit dem Ziel eines weltumspannenden Kalifats. Eine besondere Bedrohung für die Sicherheitslage in Europa, Deutschland und Schleswig-Holstein sind deshalb diese global agierenden Organisationen, die über zahlreiche lokale Ableger verfügen und in ihrer Handlungsfähigkeit keine territorialen Grenzen kennen. Hierzu zählen insbesondere die transnational ausgerichteten jihadistischen Seite 107 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Terrororganisationen "Islamischer Staat (IS)" sowie "al-Qaida (AQ)" inklusive ihrer Regionalableger. Gefährdungslage durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland Europa und Deutschland standen auch im Berichtsjahr unverändert im Zielspektrum jihadistischer Organisationen und islamistisch motivierter Einzeltäter. Der islamistische Terrorismus stellt damit weiterhin eine erhebliche Bedrohung für die Sicherheit in Europa und in Deutschland dar. Die Terrororganisationen "Islamischer Staat (IS)" und "al-Qaida (AQ)" schienen in den vergangenen Jahren strukturell kaum in der Lage, komplexe Anschlagsszenarien in Westeuropa durchführen zu können. Der Anschlag am 22. März 2024 während einer Musikveranstaltung in einem Vorort von Moskau, bei dem mehr als 130 Personen getötet wurden, und den der IS in mehreren Bekennernachrichten im Onlinedienst Telegram für sich reklamierte, hat jedoch gezeigt, dass der IS auch außerhalb seines Kernaktionsbereichs im Nahen Osten zu koordinierten und folgenschweren Ereignissen grundsätzlich in der Lage ist. Die Gefahr solcher Anschläge ist daher auch für Europa und Deutschland nicht auszuschließen. Die virtuellen Propagandaaktivitäten der jeweiligen Terrororganisationen sind dabei besonders geeignet, regional aktive Jihadistinnen und Jihadisten zu Anschlägen zu verleiten. So erklärte der IS am 04. Juli 2024 in seinem Online-Magazin "al-Naba" Einzeltäteranschläge zu einem zentralen Teil seiner globalen Jihad-Strategie und ruft Anhängerinnen und Anhänger des IS in aller Welt auf, es den bisherigen "einsamen Wölfen" - wie etwa den Angreifern von Moskau - gleichzutun. Nach wie vor stellen dabei sogenannte "weiche" Ziele wie Weihnachtsmärkte, Konzerte oder Sportevents, die kaum oder nur schwer zu schützen sind, für Jihadistinnen und Jihadisten besonders symbolische Ziele für terroristische Anschläge dar. So hat der regionale IS-Ableger "Islamischer Staat Provinz Khorasan - (ISPK)" am 07. Mai 2024 in der 35. Ausgabe seines englischsprachigen Propagandamagazins "Voice of Khorasan" auf einschlägigen Kanälen ein Drohbild veröffentlicht, auf dem zu Terroranschlägen gegen Fußballstadien in Deutschland aufgerufen wurde. Im Berichtsjahr stellten damit auch die sportlichen Großveranstaltungen - wie die olympischen Sommerspiele in Frankreich vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 und die Fußball-Europameisterschaft in Deutschland vom 14. Juni bis zum 14. Juli 2024 eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden in Europa und Deutschland dar. Die IS-Propaganda kann potenzielle IS-Anhängerinnenund -Anhänger in ihren Bestrebungen zudem bestärken, auch ohne direkte Organisationsanbindung Anschläge zu Seite 108 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus planen und zu verüben - insbesondere da der IS in seinen Veröffentlichungen deutlich macht, dass es keiner organisatorischen Anbindung an den IS bedürfe, um Anschläge in seinem Namen zu verüben. Die Anschläge der letzten Jahre unterschieden sich von den komplexeren Anschlägen der Vergangenheit, wie z.B. der IS-Terroranschlag am 13. November 2015 in Paris mit 130 getöteten Menschen, die einen hohen logistischen und planerischen Aufwand erforderten, durch eine einfachere und leichter umzusetzende Vorgehensweise. Häufig wurden dabei leicht zu beschaffende Tatwaffen wie beispielsweise Messer benutzt. Dieser Trend setzte sich auch im aktuellen Berichtsjahr fort - wie u. a. der jihadistisch-motivierte Anschlag am 23. August 2024 in Solingen verdeutlicht. Auch die Reaktionen der islamistischen Szene auf die Terroranschläge der HAMAS am 7. Oktober 2023 gegen Israel haben weiterhin große Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland. Unterschiedliche extremistische Akteurinnen und Akteure nehmen diese immer noch zum Anlass, zu weiteren terroristischen Aktionen in eigener Sache aufzurufen. So wird im jihadistischen Spektrum auch von Seiten AQ und des IS im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt zu Anschlägen aufgerufen. So soll der Attentäter von Solingen einem Bekennerschreiben des IS zufolge beispielsweise geäußert haben, er habe den Anschlag als "Rache für die Muslime in Palästina und überall" durchgeführt. In Deutschland hat sich die anhaltend hohe Gefährdungslage im Berichtsjahr in Form von jihadistisch motivierten Anschlägen durch mutmaßliche Anhängerinnen bzw. Anhänger oder Sympathisantinnen bzw. Sympathisanten islamistisch-terroristischer Gruppierungen manifestiert: * Am 31. Mai 2024 ereignete sich bei einer Kundgebung eines bayerischen mutmaßlichen Rechtsextremisten und Anti-Islam-Aktivisten in Mannheim ein tödlicher Messerangriff. Ein 25-jähriger Afghane attackierte dabei auch Polizeibeamtinnen und -beamte sowie weitere Personen. Ein Polizeibeamter kam dabei ums Leben. Fünf weitere Personen wurden verletzt. Der mutmaßliche Täter steht im Verdacht eine islamistische Einstellung zu haben. Gegen ihn wurde ein Strafverfahren wegen Mordes eröffnet. * Am 23. August 2024 griff ein 26-jähriger Syrer mit einem Messer Besucherinnen und Besucher auf einem Stadtfest in Solingen an. Dabei wurden drei Personen getötet und acht zum Teil schwer verletzt. Der IS reklamierte den Anschlag in der Folge für sich und veröffentlichte über seine Medienstelle mehrere Bekennerschreiben und -videos. Der Täter soll in einem der Videos den Treueeid auf den IS abgelegt haben. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Mordes in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland eingeleitet. Seite 109 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus * Am 05. September 2024 kam es in München in der Nähe des NS-Dokumentationszentrums und des israelischen Generalkonsulats zu einem Schusswechsel zwischen der Polizei und einem mutmaßlich islamistisch motivierten Attentäter. Der Attentäter kam bei dem Schusswechsel ums Leben. * Am 06. September 2024 konnte in Linz ein jihadistisch motivierter Angriff mit einer Machete auf eine Polizeiinspektion verhindert werden. Daneben konnten im Berichtsjahr mehrere Anschlagsvorhaben im Vorwege vereitelt werden. Zu diesen gehörten u.a. folgende Tatvorbereitungen: * Im Oktober 2024 soll ein 15-Jähriger in Wuppertal jihadistisch motivierte Anschläge unter anderem auf Jüdinnen und Juden geplant haben. Der mutmaßliche Attentäter kam in Untersuchungshaft. Darüber hinaus wurden im Berichtsjahr in Europa mehrere mutmaßlich islamistisch motivierte Anschläge bzw. Anschlagsversuche bekannt: * Anfang März griff ein 15-Jähriger im schweizerischen Zürich einen Menschen jüdischen Glaubens mit einem Messer an und verletzte ihn schwer. Der Jugendliche soll sich im Vorwege der Tat in einem Video zum IS bekannt haben. * Kurz vor dem Start der Olympischen Spiele wurde in Paris ein Soldat während einer Patrouille mit einem Messer angegriffen. Der Angreifer soll zum Zeitpunkt der Tat "Gott ist groß" auf Französisch gerufen haben. Ob es sich hierbei um eine islamistisch motivierte Tat handelte oder ob eine psychische Erkrankung des Täters handlungsleitend war, ist bislang nicht abschließend geklärt. * Im August 2024 wurden drei Konzerte einer US-amerikanischen Sängerin in Wien vorsorglich wegen mutmaßlichen Anschlagsdrohungen eines IS-Netzwerks abgesagt. In Wien wird gegen zwei Tatverdächtige wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und krimineller Organisation ermittelt. Den Verdächtigen wird u. a. eine Nähe zur Terrororganisation IS vorgeworfen. * In der niederländischen Hafenstadt Rotterdam hat am 19. September 2024 ein 22-jähriger Mann mutmaßlich unter "Allahu Akbar"-Rufen zwei Personen mit einem Messer schwer verletzt. Eines der Opfer starb infolge der schweren Verletzungen. Die niederländischen Ermittlungsbehörden gehen von einem islamistischen Terrorangriff aus. Bei diesen Anschlagsgeschehen zeigte sich zum einen, dass die Tatverdächtigen meist nicht direkt in konkrete Strukturen von Terrororganisationen eingebunden waren. Zum anderen wurde eine zunehmende Gefahr durch jugendliche Täter deutlich. * So konnten darüber hinaus an Ostern 2024 vier 15und 16-jährige mutmaßliche Islamisten festgenommen werden, die Anschläge in Deutschland geplant haben sollen. Seite 110 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus * Im Juni 2024 wurde ein 15-Jähriger verurteilt, der aus islamistischen Beweggründen einen LKW-Angriff auf einen Weihnachtsmarkt in Leverkusen geplant haben soll. * Auch bei den in Wien festgenommenen Tatverdächtigen handelt es sich im einen 19-jährigen sowie um einem 17-jährigen Islamisten. Wie in den vergangenen Jahren wird die Sicherheitslage im Bereich des islamistischen Terrorismus in Deutschland und in Schleswig-Holstein weiterhin grundsätzlich durch folgende vier gefährdungsrelevante Faktoren bestimmt: * Getarnt einreisende Jihadistinnen und Jihadisten * sogenannte "Homegrown terrorists" * Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus Jihadgebieten und * die Gefahr durch entlassene islamistische Strafgefangene. Aktuell gehen die deutschen Sicherheitsbehörden von insgesamt rund 1 700 Personen bundesweit aus, die dem islamistisch-terroristischen Spektrum in Deutschland angehören. Auch diese Zahl zeigt, vor welchen Herausforderungen die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder weiterhin stehen. Staatliche Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung Im Berichtsjahr wurden in Deutschland Strafund Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus geführt, von denen einige zurzeit noch nicht abgeschlossen sind. Die Verfahren mit Bezug zum islamistischen Terrorismus betreffen dabei überwiegend Taten im Zusammenhang mit dem Islamischen Staat, den Taliban sowie islamistischen Vereinigungen in Syrien. In den meisten Fällen handelt es sich hierbei um Verfahren mit dem Tatvorwurf der Mitgliedschaft oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland (SSSS 129a, 129b StGB) oder der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (SSSS 89a, 89b StGB). Zudem werden Fälle mit dem Verdacht auf Terrorismusfinanzierung (SS 89c StGB) strafrechtlich verfolgt. So wurde u. a. gegen einen deutschen Staatsangehörigen aus Schleswig-Holstein im April 2024 ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung von islamistischen und jihadistischen Propagandamitteln terroristischer Organisationen, Billigung von Straftaten, Volksverhetzung und öffentlicher Aufforderung zu Straftaten eingeleitet, infolge dessen er sich seit dem 17. Mai 2024 in Untersuchungshaft befand. Am 29. November 2024 wurde er vom Landgericht Flensburg wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gem. SS 89 a StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seite 111 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Am 30. Juli 2024 wurde der Prozess gegen die sieben am 06. Juli 2023 in Nordrhein-Westfalen festgenommenen mutmaßlichen islamistischen Terroristen eröffnet. Ihnen wird vorgeworfen, eine inländische terroristische Vereinigung gebildet und Anschläge geplant zu haben. Sechs der Beschuldigten sollen zudem die Terrororganisation IS durch Spendensammlungen unterstützt haben. Gegen drei Jugendliche aus Nordrhein-Westfalen wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf im Oktober 2024 darüber hinaus Anklage wegen der Vorbereitung eines islamistischen Terroranschlags erhoben. Gegen einen weiteren in Schleswig-Holstein wohnhaften, mutmaßlichen IS-Unterstützer wird seit dem Frühjahr 2024 ein Ermittlungsverfahren geführt, in dessen Verlauf der 17-Jährige als dringend tatverdächtig angesehen wurde, mit einer weiteren Person aus dem Ausland einen Anschlag mittels LKW - nach dem Vorbild des Terroranschlags in Nizza am 14. Juli 2016 - verüben zu wollen. Konkrete Anschlagsplanungen oder -ziele gab es mutmaßlich nicht. Der 17-Jährige wurde am 06. November 2024 wegen Verabredung zum Mord in Untersuchungshaft genommen. Zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht am 07. Februar 2024 eine deutsche Staatsangehörige wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland (IS). Der Senat sah es als erwiesen an, dass sich die Frau ab März 2014 bis September 2017 mitgliedschaftlich in der ausländischen terroristischen Vereinigung beteiligt hat, in dem sie ihren Ehemann bei seiner Tätigkeit als IS-Kämpfer unterstützte, den Haushalt führte und die gemeinsamen Kinder im Sinne der IS-Ideologie erzog. Der Terrorverdacht gegen den Kölner Dom und den Wiener Stephansdom zum Jahreswechsel 2023/2024 hingegen konnte nicht bestätigt werden. Die Verdächtigen standen im Verdacht, im Namen des ISPK Anschläge gegen den Kölner Dom und den Wiener Stephansdom vorbereitet zu haben. Die Verfahren wurden nach zehn Monaten intensiver Ermittlungen wegen fehlender Beweise eingestellt. In der Zeit vom 01. Januar bis 02. September 2024 hat der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) 71 Ermittlungsverfahren mit Bezug zum islamistischen Terrorismus eingeleitet. Seite 112 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 2.1 Der Islamische Staat (IS) Islamischer Staat (IS; arabisch: al-Dawla al-Islamiyya) - Flagge des IS Gründung: Ausrufung des Kalifats am 29. Juni 2014 Aktueller Anführer: Abu Hussein al-Husseini al-Qurashi Aktionsgebiet: weltweit Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: Einzelmitglieder (2024: Einzelmitglieder) Der IS entwickelte sich ab 2011 während des syrischen Bürgerkrieges aus dem irakischen Regionalableger der Terrororganisation al-Qaida, der sich schließlich zu einer eigenständigen terroristischen Gruppierung formierte ("Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIS)"). 2014 wurde durch den damaligen ISIS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi ein Kalifat unter der Bezeichnung "Islamischer Staat (IS)" ausgerufen, dem es anschließend gelang, in Syrien und Irak ein Herrschaftsgebiet mit pseudo-staatlichen Strukturen unter jihadistischer Ideologie zu errichten. Durch eine professionelle Propaganda-Maschinerie erreichte er tausende Anhängerinnen und Anhänger weltweit. Aufgrund von Anti-IS-Operationen lokaler und internationaler Allianzen konnte der IS bis Ende 2017 zu weiten Teilen aus seinem Kerngebiet in Syrien und dem Irak verdrängt werden. Mit dem endgültigen Gebietsverlust des IS ging eine Restrukturierung der Organisation einher, bei der viele Aktivitäten in den Untergrund sowie in die virtuelle Welt verlegt wurden. Aus einer dezentralen Zellenstruktur heraus beweist der IS seither in asymmetrischer Kriegsführung kontinuierlich seine Schlagkraft - im Nahen Osten und weltweit. Es gelang der jihadistischen Organisation in den letzten Jahren kontinuierlich, ihre Propagandaprodukte über das Internet zu verbreiten, darunter die Kampf-Botschaften des IS-Anführers, durch die der Einheitsgedanke des "Kalifats" weiter aufrechterhalten werden soll. Seite 113 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 2.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten Vor zehn Jahren wurde der sogenannte Islamische Staat ausgerufen. Zwar wurde die Miliz im Irak und in Syrien militärisch besiegt, doch bleibt die Frage, wo sie heute aktiv ist und wie groß ihre Schlagkraft noch ist. Gleichzeitig war der IS in den vergangenen Jahren durch wiederholte Führungswechsel geprägt, die häufig auf den Tod seiner Anführer zurückzuführen waren. Die Gefahr durch den IS ist nach wie vor nicht gebannt. In mehreren Regionen, wie den Philippinen, Westafrika, der Sahara-Zone und Afghanistan, übt der IS weiterhin beträchtliche territoriale Kontrolle aus. In Deutschland versucht der IS, einschließlich seines afghanischen Ablegers "IS-Provinz Khorasan", seit Jahren größere Anschläge zu planen und setzt dabei gezielt auf Propaganda, um Anhängerinnen und Anhänger zu rekrutieren. Verhaftungen im Berichtsjahr verdeutlichen dabei die anhaltenden Bemühungen der Terrororganisation. In dem Leitartikel des IS-nahen Wochenmagazins "al-Naba" vom 04. Juli 2024 verdeutlicht der IS erneut die Bedeutung potenzieller Einzeltäteranschläge für die Terrororganisation, so dass Anschläge durch von IS-Propaganda inspirierte Einzeltäter und Kleingruppen ein mögliches Szenario für Deutschland und Europa darstellen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der oben genannte afghanische Ableger: die Terrororganisation "Islamischer Staat Provinz Khorasan - (ISPK)". Der ISPK hat seine Medienund Propagandaarbeit zentralisiert und professionalisiert. Indem es dem ISPK nach dem Vorbild des IS-Kalifats gelungen ist, das Online-Magazin "Voice of Khorasan" in verschiedenen Sprachen zu veröffentlichen, produziert der ISPK immer neue Audiound Videobotschaften und andere Beiträge. Hierbei gab es im Berichtszeitraum mehrere Veröffentlichungen mit Bezug auf Deutschland. So glorifizierte der ISPK den Terrorangriff von Solingen mit drei Toten und acht Verletzten in der September-Ausgabe von "Voice of Khorasan" unter dem Titel "Attack on Germany. For the revenge of the Muslims". Die Nachricht ist mit einem blutverschmierten Messer unterlegt und enthält den Aufruf zu weiteren Anschlägen - vor allem auch LGBT-Events standen dabei im Fokus. In einer weiteren Ausgabe vom 19. November 2024, die Fotos von ausgewählten Anschläge des IS beinhaltet, nahm das Online-Magazin explizit auch Bezug auf den Anschlag vom Berliner Breitscheidplatz im Jahr 2016. Der ISPK nutzt für seine Operationen zudem terroristische Netzwerke außerhalb Afghanistans. In der Vergangenheit wurden mehrfach Verbindungen zu Terrorgruppen in Europa und den ISPK-Netzwerken in Afghanistan vermutet. Aktuell scheint der ISPK der einzige IS-Ableger zu sein, der grundsätzlich fähig wäre, im Westen einen größeren und koordinierten Anschlag zu verüben. Seite 114 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 2.1.2 Ausblick Nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden blieb der IS auch im aktuellen Berichtszeitraum an verschiedenen Kriegsund Krisenschauplätzen weltweit aktiv und handlungsfähig. In Ländern wie Syrien, Irak, Afghanistan und Pakistan verübte die Terrororganisation regelmäßig Anschläge, die oft zahlreiche Opfer forderten. Trotz anhaltender staatlicher und militärischer Verfolgung gelang es dem IS weiterhin, eigene Untergrundstrukturen, einschließlich sogenannter "Schläferzellen", zu etablieren und zu festigen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation in Syrien entwickelt. Obwohl die Terrororganisation "Islamischer Staat" dort weitgehend geschlagen ist, besteht in einigen Regionen weiterhin eine gewisse Gefahr durch die Gruppe. Ein weiteres Problem ist der Umgang mit den Tausenden inhaftierten Anhängerinnen und Anhänger der Terrororganisation "Islamischer Staat", die eine erhebliche sicherheitspolitische Herausforderung darstellen. Diese Personen werden in Syrien von kurdischen Milizen bewacht. Unter den Inhaftierten befinden sich auch Personen mit Bezug zu Deutschland, darunter eine sehr geringe einstellige Zahl von Personen aus Schleswig-Holstein. 2.2 Das al-Qaida-Netzwerk al-Qaida (arabisch für "die Basis") - Flagge von al-Qaida Gründung: ca. 1988 u. a. durch Osama bin Laden Aktueller Anführer: mutmaßlich Saif al-Adel Aktionsgebiet: weltweit Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: Einzelmitglieder (2023: Einzelmitglieder) Al-Qaida entstand Ende der 1980er Jahre während des Krieges Afghanistans gegen sowjetische Besatzertruppen aus einer Vision Osama bin Ladens hinsichtlich eines internationalen Jihads und der Vereinigung jihadistischer Gruppierungen in einer Organisation heraus. Durch ein enges Netzwerk von regionalen Ablegern und kleineren Zellen wurSeite 115 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus den seit Gründung al-Qaidas weltweit immer wieder tödliche Attentate vor allem auch gegen zivile Ziele begangen, darunter die verheerenden Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. Seit der Entstehung des IS befindet sich al-Qaida zudem in einem stetigen Konkurrenzkampf um die Vormachtstellung als führende Organisation des globalen Jihad. Auch die lokalen Ableger al-Qaidas sowie des IS stehen sich in verschiedenen Regionen vor allem Afrikas und Asiens sowie in al-Qaidas Ausbildungsund Rückzugsorten im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet militärisch gegenüber und kämpfen um Einfluss und Territorien. 2.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten In den letzten Jahren musste al-Qaida durch die Tötungen von mehreren wichtigen Führungskadern - auch von mehreren Regionalablegern - herbe personelle Rückschläge kompensieren. So meldete der Ableger der Terrororganisation im Jemen am 10. März 2024 den Tod des Anführers Chalid Al-Batarfi, der vier Jahre an der Spitze des al-Qaida-Ablegers stand. Neuer Anführer soll Saad bin Atif al-Awlaki sein. Auch im aktuellen Berichtszeitraum verbreitete al-Qaida Online-Botschaften in alle Welt. Die überregionalen Veröffentlichungen der Organisation richteten sich meist allgemein an die internationale Unterstützerszene und riefen in der Regel zu Einzeltäteranschlägen gegen "den fernen Feind" im Westen auf. Im Laufe der Monate April und Mai 2024 wurden auf verschiedenen al-Qaida-nahen Kanälen Ausgaben des Online-Magazins "Und sporne die Gläubigen an" veröffentlicht, die sich u.a. an potentiell allein handelnde Attentäter richteten und das Thema Jihad als entsprechende Pflicht eines jeden Muslims betonten. Im Rahmen einer Sonderausgabe wurde an das Vermächtnis von Osama Bin Laden erinnert. Zentrales Thema der Verlautbarungen war nach wie vor dem Krieg in Gaza. So rief die Generalführung von al-Qaida in einer offiziellen Erklärung über die Medienstelle AS-SAHAB am 24. Mai 2024 anlässlich des Gaza-Krieges zu Anschlägen auf Jüdinnen und Juden in westlichen Ländern auf und lobte antiisraelische Proteste an westlichen Universitäten. Aber auch wenn al-Qaida versuchte, durch mehrsprachige Veröffentlichungen und moderne Formen der Kommunikation ein jüngeres Publikum anzusprechen, gelang dies in seiner Propaganda weiterhin kaum. So stieß ein am 26. September 2024 veröffentlichtes Video der As Sahab Media Foundation - das Medienorgan der al-Qaida-Führung - kaum auf Resonanz. Das Video weist einen starken historischen Fokus auf und widmet sich überwiegend dem bewaffneten Kampf der Mujaheddin in Afghanistan vor der Machtübernahme der Taliban. Weitaus mehr Resonanz scheint die Propaganda des IS in sozialen Medien erzielt zu haben, insbesondere da seine Propaganda deutlich erfolgreicher auf ein junges Zielpublikum zugeschnitten war. Seite 116 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 2.2.2 Ausblick Sowohl al-Qaida und als auch der IS reagierten im Zusammenhang mit dem aktuellen Nahost-Konflikt mit Anschlagsdrohungen gegen den Westen. Diese ausdrückliche Bezugnahme kann als motivierendes Element die Gefahr einer Anschlagsumsetzung durch mögliche Einzeltäterinnen und Einzeltäter auch in Deutschland deutlich erhöhen. Am 27. November 2024 startete in der syrischen Region Idlib die dort dominierende terroristische Organisation Hayat Tahrir al-Scham (HTS) gemeinsam mit verbündeten Gruppierungen - hierunter mutmaßlich auch al-Qaida-nahe Gruppierungen - unerwartet eine groß angelegte militärische Offensive gegen das Regime in Nordwestsyrien unter dem Namen "Detterence of Aggression". In Folge dessen wurde am 8. Dezember 2024 das Regime von Baschar al-Assad gestürzt. Dies war die größte HTS-Offensive seit dem Jahr 2020. Bei HTS handelt es sich um die Nachfolgeorganisation der islamistischen Terrororganisation Jabhat al-Nusra (JaN), die 2011 im Zuge des syrischen Bürgerkriegs mit dem Ziel gegründet wurde, das Assad-Regime zu stürzen und ein islamistisches Staatswesen zu errichten. Im Jahr 2017 kam es zum Bruch mit al-Qaida, worauf sich JaN unter dem neuen Bündnisnamen HTS mit weiteren islamistischen Gruppierungen zusammenschloss. Seit der formellen Abspaltung wird HTS von Ahmad al-Sharaa angeführt und hat begonnen, sich auch strategisch von al-Qaida zu distanzieren. Im Gegensatz zu al-Qaida fokussiert sich HTS vorrangig auf innerstaatliche Ziele in Syrien. Nach dem Sturz des Assad-Regimes kontrolliert die von al-Sharaa geführte Übergangsregierung weite Teile des Landes und hat bereits erste Schritte zur politischen und administrativen Neuordnung eingeleitet. Wie sich die Lage in Syrien entwickeln wird und ob dies Auswirkungen auf al-Qaida haben wird, bleibt abzuwarten. So erklärte al-Qaida nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ihre Solidarität mit den Musliminnen und Muslimen in Palästina und rief zu Anschlägen auf israelische und jüdische Ziele weltweit auf. Gleichwohl scheint al-Qaida aber derzeit nicht mehr imstande zu sein, großangelegte Attentate in westlichen Staaten zu verüben. Ein Grund für die Schwäche ist die große Abhängigkeit der al-Qaida-Führung von Iran, dem Aufenthaltsort des derzeitigen Anführers der Organisation Saif al-Adel. Ob al-Adel die Organisation wiederbeleben kann, hängt wesentlich davon ab, ob er neuen Einfluss auf den al-Qaida-Ableger in Syrien gewinnen und dieser erneut erstarken kann. Andernfalls könnte sich die schon lange währende Schwächung des al-Qaida Netzwerks fortsetzen. Seite 117 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 2.3 HAMAS HAMAS (kurz für: Harakat al-Muqawama al-Islamiyya - "Islamische Widerstandsbewegung") - Logo der HAMAS Gründung: 1987 Aktueller Anführer: vermutlich Chalid Maschal (Interimsführung) Aktionsgebiet: Palästinensische Gebiete, Israel Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: 10 (2023: 10) Die "Islamische Widerstandsbewegung" entstand 1987 nach der sogenannten "Ersten Intifada" (Aufstand der Palästinenser gegen Israel) aus einem Zusammenschluss palästinensischer Anhängerinnen und Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB) unter der Führung Ahmad Yasins. Neben der säkular ausgerichteten PLO (Palestine Liberation Organization) sowie der Fatah-Partei unter Yasser Arafat etablierte sich die HAMAS als religiöse und radikalere Initiative mit dem Ziel der Errichtung eines islamistischen Staates auf dem gesamten von der HAMAS als "Palästina" festgelegten Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, einschließlich israelischem Staatsgebiet. Voraussetzung hierfür ist aus Sicht der Organisation die vorherige Vernichtung des Staates Israel, welchen die HAMAS als unrechtmäßige Besatzungsmacht "historischen islamischen Erbes" sieht. Als Ausdruck eines extremen Antisemitismus bekämpft die HAMAS das gesamte jüdische Volk, das für sie als Unterdrücker des palästinensischen Volkes gilt. In der Gründungscharta der HAMAS ist der Jihad als Pflicht und der Märtyrertod als ehrbarstes Ziel für alle Muslime verankert. Außerdem heißt es in einem Strategiepapier aus dem Jahr 2017: "Der Widerstand gegen die Besatzung mit allen Mitteln und Wegen ist ein legitimes Recht, das durch göttliche Gesetze und internationale Normen und Gesetze garantiert wird. Im Kern davon liegt der bewaffnete Widerstand." Die HAMAS lehnt den israelisch-palästinensischen Friedensprozess ab und beging in der Vergangenheit eine Vielzahl an Selbstmordattentaten und anderen terroristischen Aktionen. Seite 118 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Die HAMAS setzt sich aus mehreren Unterorganisationen zusammen, die sich politisch, sozial und bildungspolitisch in der Region engagieren und dabei stets versuchen, ihre islamistische Agenda und strikten religiösen Vorschriften in der Gesellschaft durchzusetzen. Der militärische Flügel verfügt zudem über mehrere Exekutiv-Einheiten, die ausschließlich terroristische Mittel anwenden, z. B. die sogenannten "Izz-al-Din-al-QassamBrigaden", welche seit dem Jahr 2001 auf der EU-Terrorliste aufgeführt werden. Seit 2003 steht die HAMAS auf der EU-Terrorliste. In Deutschland wurde die HAMAS 2003 als ausländische Terrororganisation eingestuft. Im Jahr 2023 erfolgte dann das Betätigungsverbot der Organisation sowie zugehöriger Vereine und Teilorganisationen. Außerdem wurde auch die säkulare Organisation "Samidoun" verboten, welche sich selbst als "Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene" bezeichnet. 2.3.1 Entwicklungen und Aktivitäten Am 31. Juli des Berichtsjahres wurde Ismail Haniyah, Leiter des Politikbüros der HAMAS, in Teheran durch eine Explosion in einem der iranischen Regierung als Gästehaus dienenden Gebäude getötet. Daraufhin wurde Yahya Sinwar zum Nachfolger ernannt. Dieser galt als Drahtzieher des Terrorangriffs der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023. Einige Monate später, am 16. Oktober 2024, wurde Sinwar im Gazastreifen durch israelische Streitkräfte ebenfalls getötet. Seitdem führt vermutlich Chalid Maschal als Interimsführung die Organisation. Am 7. Oktober 2024 jährte sich der Terrorangriff der HAMAS auf Israel zum ersten Mal. Die hiesigen Proteste rund um dieses Datum stellten jedoch keinen herausragenden Höhepunkt dar, sondern reihten sich in das seit einem Jahr anhaltende propalästinensische Demonstrationsgeschehen ein. Die Kundgebungen und Demonstrationen zum Jahrestag wurden überwiegend von Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen des auslandsbezogenen Extremismus und des Linksextremismus geprägt, wenngleich auch Personen aus dem islamistischen Spektrum daran beteiligt waren. Pro-palästinensische Aktivitäten Kundgebungen, Demonstrationen und Spendenaktionen als Reaktion auf den Krieg im Nahen Osten hielten weiterhin an. Teile der islamistischen Szene waren daran ebenfalls beteiligt. Im Verlauf des Berichtsjahres konnten neue Vernetzungen zwischen dogmatischen Linksextremisten, säkularen extremistischen Palästinensergruppen und türkischen Linksextremisten beobachtet werden. Diese Kooperation zeigte sich vor allem in der gemeinsamen Organisation und Mobilisierung für Veranstaltungen der jeweils anderen Gruppe. Auch in Schleswig-Holstein ist diese Entwicklung erkennbar. Seite 119 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Friedliches Demonstrationsgeschehen in Schleswig-Holstein Das Demonstrationsgeschehen in Schleswig-Holstein verlief weitgehend friedlich. Dennoch kam es an verschiedenen Orten vereinzelt zu antisemitischen Vorfällen. Bundesweit wird seit dem Betätigungsverbot der HAMAS vermehrt gegen mutmaßliche Mitglieder und nahestehende Organisationen vorgegangen. In Schleswig-Holstein gibt es keine festen HAMAS-Strukturen. Es liegen lediglich Erkenntnisse über Einzelpersonen vor, die mit der Organisation in Verbindung stehen könnten. Der HAMAS dienten Deutschland und weitere europäische Staaten bisher vorrangig als Rückzugsraum. Dennoch wurde die Organisation in Deutschland als Ganzes seit 2003 als terroristisch eingestuft und letztendlich im November 2023 verboten. Bisher versuchte die Gruppierung hierzulande, vor allem in der palästinensischen Szene neue Anhängerinnen und Anhänger anzuwerben sowie ihre Ideologie zu verbreiten und Gelder über Spendenvereine zu sammeln. Die HAMAS und ihre Anhängerinnen und Anhänger verfolgen dabei Bestrebungen, welche sich gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten und die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Ein gängiges Mittel der HAMAS ist der Versuch, Aufmerksamkeit und Solidarität der Bürgerinnen und Bürger für ihre Sache zum Beispiel bei Kundgebungen und Demonstrationen zu erwecken. Eskalationen im Nahostkonflikt wirkten sich in der Vergangenheit dabei auf die Häufigkeit sowie den Verlauf von entsprechendem Demonstrationsgeschehen aus. HAMAS-nahe Akteurinnen und Akteure versuchen, vor allem im digitalen Medienbereich, aber auch bei realweltlichen Ereignissen mit stark emotionalisierenden Inhalten, Interessierte zu beeinflussen. Dabei nutzt die HAMAS Soziale Netzwerke um Propaganda und Desinformation zu verbreiten, die dann wiederum von Userinnen und Usern geteilt werden. 2.3.2 Ausblick Die weitere Entwicklung der HAMAS-Sympathisantenszene hängt maßgeblich vom Verlauf des Nahostkonflikts ab, insbesondere im Hinblick auf das propalästinensische Demonstrationsgeschehen. Sollte der Konflikt andauern, ist zu erwarten, dass diese Gruppierungen sowie Anhängerinnen und Anhänger aus allen islamistischen Strömungen in naher Zukunft wachsende Unterstützung und Zulauf erfahren werden. Dies könnte eine erhöhte Gefährdungslage für israelische und jüdische Einrichtungen und Personen in Deutschland mit sich bringen. Seite 120 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 2.4 Hizb Allah Hizb Allah (arabisch für "die Partei Gottes") - Logo der Hizb Allah Gründung: 1982 Aktueller Anführer: Naim Kassim (Generalsekretär seit dem 29.10.2024) Aktionsgebiet: Libanon Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: 20 (2023: 20) Die Hizb Allah entstand im Jahr 1982 auf Initiative des Iran als eine schiitisch-islamistische Organisation. Die Gründung erfolgte als Zusammenschluss verschiedener schiitisch-extremistischer Milizen nach dem Einmarsch israelischer Truppen im Libanon. Nachdem es ihr 1990 gelungen war, Israel mit terroristischen Guerilla-Taktiken, unter anderem mit Selbstmord-Attentaten, wieder aus dem besetzten Südlibanon zu verdrängen, entwickelte sich die Hizb Allah zunehmend zu einer institutionell und funktional vielschichtigen, sozial und politisch agierenden Bewegung, die jedoch weiterhin starke ideologische und strukturelle Bindungen zum Iran aufweist. Die Hizb Allah agiert nach wie vor aus dem Südlibanon heraus und propagiert den bewaffneten, auch mit terroristischen Mitteln geführten Kampf im "legitimen Widerstand" gegen Israel. Israel gilt für die Organisation als unrechtmäßiger Besatzer palästinensischen Bodens, wodurch dem Land das Existenzrecht abgesprochen werden soll. Ein damit einhergehender extremer Antisemitismus gehört seit jeher zu ihren Wesensmerkmalen. Die Hizb Allah im Libanon ist u. a. eine politische Partei, unterhält aber auch verschiedene karitative und sozial engagierte Gruppierungen sowie paramilitärische Einheiten, die weiter terroristisch aktiv sind. Im Libanon wurde der Hizb Allah 2008 durch das libanesische Kabinett offiziell "das Recht zum Widerstand gegen Israel" zugestanden. So kann die Miliz ungehindert ihre Anlagen sowie materiellen und personellen Kapazitäten im Südlibanon aufrüsten. Weiterhin betreibt die Hizb Allah den Fernsehsender "Al-Manar" mit Sitz in Beirut. Dieser wurde ebenfalls 2008 durch das Bundesministerium des Inneren als verfassungsfeindliche Organisation verboten. Seite 121 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus In vielen Ländern ist die gesamte Organisation als Terrororganisation eingestuft und seit April 2020 besteht auch in Deutschland ein Betätigungsverbot gegen Vereine der Hizb Allah. Im Zuge des Nahostkonfliktes seit dem 07. Oktober 2023 trat die Hizb Allah in einen bewaffneten Konflikt mit Israel ein. Viele Anführer der Organisation wurden dabei getötet. Darunter auch der vorherige Generalsekretär Hassan Nasrallah, der seit dem Jahr 1992 im Amt war. 2.4.1 Entwicklungen und Aktivitäten Der Verlauf des seit dem 07. Oktober 2023 andauernden Nahostkonflikts hat die Hizb Allah zu einem aktiven Eingreifen als Kriegspartei gegen Israel bewegt. Die Hizb Allah im Libanon bleibt zunächst bis auf weiteres ein bewaffneter Machtfaktor in der Region, welcher weiterhin mit Stand der Berichtserstellung über militärische Schlagkraft verfügt. So wurden während der militärischen Auseinandersetzung tausende Raketen auf Israel von der Hizb Allah abgeschossen. Am 17./18. September 2024 reagierte Israel mit einer mutmaßlichen Geheimdienstoperation als Gegenschlag und ließ tausende Funkmeldeempfänger (sogenannte Pager) und weitere elektronische Geräte, die von der Hizb Allah genutzt wurden, explodieren. Bei diesem Angriff gab es über 3 000 Verletzte und mindestens 37 Tote. Zudem wurden seit dem 27. September 2024 durch Luftangriffe der langjährige Generalsekretär Hassan Nasrallah und weitere Personen der Führungsebene der Organisation getötet. Ab dem 01. Oktober 2024 wurden - zusätzlich zu den dauerhaften Luftund Raketenangriffen - Bodentruppen in den Libanon entsendet. Ab dem 27. November 2024 wurde eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hizb Allah vereinbart, die in Teilen jedoch nicht eingehalten wurde. In Reaktion auf die Eskalation im Nahostkonflikt kam es in der schiitisch-extremistischen Szene innerhalb von Deutschland zu Solidaritätsbekundungen, die sich in den sozialen Medien als auch auf Kundgebungen und Demonstrationen feststellen ließen. Insgesamt blieben die Reaktionen im Laufe des Jahres 2024 jedoch zurückhaltend. Dies gilt zumindest für die Anhängerinnen und Anhänger in Schleswig-Holstein. Mutmaßlich versuchen die Akteurinnen und Akteure hier keine Aufmerksamkeit bei Behörden zu erregen und agieren deshalb zurückhaltend auf den Konflikt. Deutschland dient der Hizb Allah insbesondere als Rückzugsraum. Die der Hizb Allah nahestehenden Moscheegemeinden und Vereine nutzen ihre Strukturen vorwiegend für den sozialen, kulturellen und ideologischen Zusammenhalt. Zudem werden Spenden gesammelt. In der Vergangenheit konnten vereinzelt Spendensammelvereine (vorgeblich für Witwen und Waisen) verboten werden, bei denen nachgewiesen werden konnte, dass die Hizb Allah im Ausland unterstützt und möglicherweise Gelder an den militärisch-terroristischen Komplex der Organisation transferiert wurden. Seite 122 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus In Schleswig-Holstein konnten bisher keine eigenständigen Vereinsstrukturen der Hizb Allah festgestellt werden. Jedoch sind Einzelpersonen mit einschlägigen Kontakten oder Sympathien gegenüber der Organisation bekannt. 2.4.2 Ausblick Seit dem Betätigungsverbot zur Hizb Allah vom 30. April 2020 wurde der Terrororganisation jedwede Aktivität innerhalb Deutschlands deutlich erschwert. Weiterhin gibt es jedoch in Deutschland und Schleswig-Holstein eine Sympathisantenszene, die durchaus mobilisierbar ist und für die der Nahostkonflikt einen Anlass bieten kann, aktiv zu werden. Sollte der Konflikt weiter eskalieren, könnte das zu einer stärkeren Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern führen. Insbesondere, wenn es um die Existenz der Organisation geht, könnte sich diese dazu gedrängt fühlen, symbolträchtige Aktionen bis hin zu Anschlägen im Inund Ausland durchzuführen, um ihren Führungsanspruch zu erhalten und sich weiterhin als islamistische Organisation herausragend zu positionieren. Deutschland - als Partner des Staates Israel - könnte ein mögliches Angriffsziel für Anschläge sein. Der Nahostkonflikt entfaltet durch alle islamistischen Strömungen ein hohes Emotionalisierungsund Mobilisierungspotenzial. Dies gefährdet insbesondere jüdische und israelische Einrichtungen als mögliche Angriffsziele. 3 Legalistische und sonstige islamistische Organisationen Neben gewaltorientierten und insbesondere terroristisch-jihadistischen Organisationen zählen auch islamistische Gruppierungen, die offiziell gewalttätige Aktivitäten in der Bundesrepublik ablehnen, zu den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes. Dabei ist ihr Verhältnis zur Gewalt sehr unterschiedlich. Einige Organisationen greifen in ihren Ursprungsländern gezielt zu Gewalt, verzichten jedoch in Deutschland und Schleswig-Holstein aus taktischen Gründen darauf. Andere Gruppierungen sehen Gewalt zumindest als legitimes Mittel oder befürworten Terrorakte anderer islamistischer Organisationen, auch wenn sie selbst nicht aktiv gewalttätig sind. Zudem gibt es islamistische Kräfte, die zwar verfassungsfeindliche Ziele verfolgen, jedoch grundsätzlich auf Gewalt verzichten. Diese sogenannten legalistischen Gruppierungen agieren innerhalb des rechtlichen Rahmens und versuchen, ihre extremistischen Ziele mit legalen Mitteln durchzusetzen. Die wichtigsten Organisationen, die in Schleswig-Holstein keine eigenen Strukturen unterhalten, aber Hinweise auf Einzelmitglieder, Sympathisantinnen und Sympathisanten oder Verbindungen zu angeschlossenen Vereinen aufweisen, werden im Folgenden näher erläutert. Neben diesen ausführlich beschriebenen Organisationen existieren weitere islamistische Gruppierungen, die zwar über Einzelmitglieder in Schleswig-Holstein verfügen, jedoch keine etablierten Vereinsstrukturen vorweisen. Seite 123 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Im türkischen Islamismus sind insbesondere die extremistische Türkische Hizbullah (TH) und die Milli Görüs Bewegung hervorzuheben. Im schiitischen Extremismus hat die Hizb Allah Einzelmitglieder in Schleswig-Holstein. Darüber hinaus sind vereinzelt Mitglieder irakisch-schiitischer Milizen in Deutschland und Schleswig-Holstein aktiv. Innerhalb der Muslimbruderschaft (MB) existiert außerdem ein tunesischer Ableger namens An-Nahda, der ebenfalls Einzelmitglieder in Schleswig-Holstein aufweist. 3.1 Die Muslimbruderschaft/Muslimbrüder (MB) Al-Ikhwan al-Muslimun (arabisch für "Muslimbrüder") - Logo der Muslimbruderschaft Gründung: 1928 Aktueller Anführer: Mohammed Badie (in Haft) Aktionsgebiet: weltweit Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: 10 (2023: 14) Die Muslimbruderschaft (MB) wurde im Jahr 1928 von Hasan al-Banna in Ägypten gegründet und richtete sich mit religiösen Argumenten kritisch gegen die damalige ägyptische Politik, welche stark durch die britische Kolonialmacht geprägt war. Die Bewegung leistete viel karitative Arbeit, weshalb sie ein hohes Ansehen in der Bevölkerung ihres Heimatlandes genoss und rasch eine große Anhängerschaft gewann. Heute ist die MB die älteste und eine der einflussreichsten sunnitisch-islamistischen Bewegungen der Gegenwart und politisch in vielen Staaten vertreten. Sie verfügt über ein internationales Unterstützernetzwerk mit Zweigorganisationen in etwa 70 Ländern. Aufgrund ihrer Herkunft und des karitativen Wirkens stehen große Teile der ägyptischen Bevölkerung der MB positiv gegenüber - auch solche, die nicht extremistisch eingestellt sind. Die legalistisch-islamistische Organisation strebt langfristig eine Staatsund Gesellschaftsform auf Grundlage der Scharia an und versucht dafür, z. B. durch Vereinsaktivitäten sowie soziales und gesellschaftspolitisches Engagement, ihre islamistische Agenda unter anderem in der deutschen Gesellschaft zu verfestigen. Sie verfolgt also eine legalistische Strategie. Dies beinhaltet weiterhin einen verdeckten Ausbau von Strukturen sowie die Leugnung von MB-Bezügen innerhalb der einzelnen Zweige ihres Netzwerkes. Außerdem Seite 124 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus lehnt die Organisation die Trennung von Religion und Staat ab und vertritt generell eine antidemokratische und antisemitistische Grundhaltung sowie ein äußerst ambivalentes Gewaltverhältnis, das sich zum Beispiel in ihrem palästinensischen Zweig, der HAMAS äußert. 3.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) gilt als die bedeutendste Organisation von Anhängern und Anhängerinnen der Muslimbruderschaft in Deutschland. Ihr Ziel besteht darin, sich als anerkannte Stimme und Ansprechpartnerin für islamische Themen zu positionieren. Dabei wird bewusst darauf verzichtet, sich offen zur Muslimbruderschaft zu bekennen. Die MB agiert in Deutschland nicht offen, trotzdem wird sie durch die DMG repräsentiert. Sie strebt in Deutschland durch politisches Engagement die Verwirklichung ihrer von der MB-Ideologie geprägten Ziele an. Dafür werden scheinbar soziale und karitative Projekte verwendet. Sie versucht bei politischen und zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteure als Ansprechpartnerin eines angeblich gemäßigten und liberalen Islams in Erscheinung zu treten. Dabei bemühen sich die Anhängerinnen und Anhänger der DMG ihre MB-Verbindung in der Öffentlichkeit zu verschleiern. Im Berichtsjahr kam es deutschlandweit zu Aktivitäten, die der MB zugerechnet werden können. Im Bundesgebiet wurden unter anderem Koranwettbewerbe, Familiencamps und Mitgliederversammlungen veranstaltet und abgehalten. In Schleswig-Holstein wurden solche Veranstaltungen nicht festgestellt. Gleichwohl gibt es in Schleswig-Holstein nach wie vor Personen, die der Ideologie der Muslimbruderschaft folgen. Eine organisierte Vereinsstruktur der MB in Schleswig -Holstein gibt es jedoch nicht. 3.1.2 Ausblick Die Anhängerinnen und Anhänger der Muslimbruderschaft bemühen sich, sich im Vergleich zu gewaltbereiten Islamistinnen und Islamisten als gemäßigte Musliminnen und Muslime zu präsentieren. Durch ihre globalen und regionalen Strukturen ist die Muslimbruderschaft in der Lage, ihre Ideologie auf verschiedenen Ebenen zu verbreiten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit sie weiterhin versuchen wird, gesellschaftlichen Einfluss auszuüben. Seite 125 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 3.2 Die Furkan-Gemeinschaft Furkan-Gemeinschaft (türkisch: Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi) - Logo der deutschen Furkan-Gemeinschaft Gründung: 1994 Aktueller Anführer: Alparslan Kuytul Aktionsgebiet: Türkei, regionale Ableger u. a. in Deutschland Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: 25 (2023: 35) Gründer und geistiges Oberhaupt der mittlerweile in Deutschland wieder unter dem Namen Furkan Bewegung auftretenden Organisation ist Alparslan Kuytul. Neben der Mutterorganisation in der Türkei verfügt sie über weitere Ableger in ganz Europa. Der deutsche Zweig der Furkan Bewegung lehnt sich ideologisch an die in der südtürkischen Stadt Adana ansässige Mutterorganisation "Furkan Stiftung für Bildung und Fürsorge" ("Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi") an. Ihm gehören hierzulande mehrere Bildungszentren und eine überwiegend recht junge Anhängerschaft an. Die Furkan Bewegung strebt die Rückkehr einer "islamischen Zivilisation" an, die alle Musliminnen und Muslime in sich vereinigt und in der die Sunna (überlieferte Handlungsweisen des Propheten) und der Koran einzig wegweisend sind. Westliche Werte und die Staatsform der Demokratie werden daher strikt abgelehnt. Mit dem Selbstverständnis einer "Vorreiter-Generation" fokussiert sich die Furkan Bewegung auf eine intensive Missionierungsarbeit (da'wa) und starke Bildungsarbeit für alle Altersgruppen und soziokulturellen Hintergründe. Neben den verschiedenen von der Organisation betriebenen Kulturund Bildungszentren in Deutschland bildeten sich zunehmend auch einzelne Ortsgruppen heraus. Außer den Mitgliedern dieser Bezirksvereine sind zudem Einzelmitglieder feststellbar, die Bezüge zur Furkan Bewegung aufweisen. Seite 126 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 3.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten Im Jahr 2024 verfügte die Furkan-Bewegung über regionale Ableger in verschiedenen deutschen Städten, wobei Hamburg eine besonders herausragende Rolle einnahm. Darüber hinaus bestanden offizielle regionale Ableger der Organisation in Städten wie Dortmund, Berlin, Frankfurt am Main und München. Auch in Lübeck verfügte die Furkan-Bewegung über einen aktiven regionalen Ableger. Diese Gruppen entfalteten mindestens auf Ebene von Bezirksgruppen Aktivitäten und waren zudem in den sozialen Netzwerken vertreten. Die Furkan-Bewegung wirbt trotz der starken Fokussierung auf ihre in der Türkei lebende Leitfigur Alparslan Kuytul nicht ausschließlich um türkische Mitglieder. Stattdessen richtet sie ihre Missionierungsarbeit auf Menschen aller Nationalitäten aus, die durch die gemeinsame Ideologie verbunden sind. Im Zentrum dieser Ideologie steht Kuytuls Vision einer Staatsordnung auf Grundlage der Scharia und eines weltumspannenden Kalifats, das demokratisch legitimierte Nationalstaaten ersetzen soll. Demokratische Wahlen und andere Merkmale moderner Demokratien werden dabei teilweise abgelehnt. Dieser nichtdemokratische Ansatz scheint insbesondere bei jungen Anhängerinnen und Anhängern Anklang zu finden, die sich zunehmend von der Bewegung angesprochen fühlen und sich ihr anschließen. Im Jahr 2024 konnte beobachtet werden, dass die Furkan-Bewegung ihre Social-Media-Aktivitäten deutlich weiter professionalisiert und ausgebaut hat. Neben selbst produzierten deutschsprachigen Podcasts war die Organisation insbesondere auf Plattformen wie Instagram, YouTube, TikTok und anderen bei jungen Menschen beliebten sozialen Netzwerken aktiv, um ihre Missionierungsarbeit voranzutreiben. Über diese Kanäle bewirbt sie mittlerweile ein vielfältiges, zielgruppenspezifisches Bildungsund Unterrichtsangebot für Männer, Frauen, Studierende, Jugendliche, Konvertitinnen und Konvertiten sowie Kinder nahezu aller Altersgruppen. Größere Veranstaltungen fanden dabei überwiegend in Hamburg oder anderen deutschen Städten statt. Seite 127 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Abbildung Kinderunterrichte (5-8 Jahre) sowie weitere Unterrichte der Furkan Bewegung in Hamburg und Lübeck ("für Brüder") Der anhaltende Israel-Palästina-Konflikt veranlasste die Furkan-Bewegung, zahlreiche Beiträge zu diesem Themenkomplex in sozialen Netzwerken zu veröffentlichen sowie mehrere Demonstrationen und Kundgebungen zu organisieren. Dabei präsentierte sich die Furkan-Bewegung als Sprachrohr für Palästina und Musliminnen und Muslime weltweit. Charakteristisch für islamistische Bewegungen, einschließlich der Furkan-Bewegung, war bei diesen Veranstaltungen die Verbreitung antiisraelischer Narrative. Im Berichtsjahr wurden verstärkt Aktivitäten der Ortsgruppe in Lübeck beobachtet. Auch im Hamburger Randgebiet konnte die Bewegung vermehrt Anhängerinnen und Anhänger gewinnen und ihre Aktivitäten wieder deutlich ausweiten. Seite 128 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Seit mindestens Oktober 2024 verwendetes Logo Furkan Bewegung Lübeck Die Furkan-Bewegung nutzt soziale Netzwerke intensiv, um in Schleswig-Holstein ihre Aktivitäten zu bewerben. Besonders bei den Aktivitäten von Frauen ist von einer höheren Dunkelziffer auszugehen, da diese gezielt angesprochen werden, weshalb zukünftig mit einer Steigerung des Personenpotenzials gerechnet werden muss. Abbildung: "Unterrichte für Schwestern", darunter Norderstedt Seite 129 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 3.2.2 Ausblick Durch die zahlreichen mutmaßlich neuen regionalen Ableger ist wahrscheinlich zukünftig von einem Zuwachs an Anhängerinnen und Anhängern auszugehen. Die Furkan-Bewegung scheint für viele junge Menschen ein attraktives Angebot zu bieten, das Gemeinschaftserlebnisse mit Vortragsveranstaltungen zum Islam und Unterrichten kombiniert. Ergänzt wird dieses Angebot durch Sportaktivitäten und musikalische Beiträge, wie etwa auch den Furkan-Männerchor. Derzeit konzentrieren sich die Aktivitäten der Bewegung vor allem auf den Großraum Hamburg, den Hamburger Rand und auch Lübeck. Viele der Aktivitäten in Schleswig-Holstein orientieren sich stark an der Zentrale in Hamburg und den dortigen Akteurinnen und Akteure. Ob dies perspektivisch so bleiben wird, bleibt abzuwarten. 3.3 Die Hizb ut-Tahrir (HuT) und ihr nahestehende Gruppierungen Hizb ut-Tahrir (HuT - arabisch für "Partei der Befreiung") -Logo der Hizb ut-Tahrir Gründung: 1953 Aktueller Anführer: Ata Abu al-Rashta Aktionsgebiet: weltweit Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: 10 (2023: 10) Die Hizb ut-Tahrir (HuT) ist eine islamistische Organisation mit palästinensischen Wurzeln und wurde im Jahr 1953 von Taqiaddin al-Nabhani in Jerusalem gegründet. Sie bildet eine länderübergreifende islamistische Organisation, die aus der ältesten islamistischen Gruppierung (gegründet 1928 von Hassan al-Banna in Ägypten), der Muslimbruderschaft, hervorging. Die ideologische Grundlage basiert auf "der Lebensordnung des Islam", in der ausschließlich der Islam theokratisch alle sozialen, politischen und wirtschaftlichen Aspekte des Lebens zu regeln hat. Somit generiert die Organisation für sich einen absoluten Wahrheitsanspruch. Seite 130 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Die HuT strebt langfristig die "Befreiung" (arabisch: tahrir) aller (in ihrer Wahrnehmung) unterdrückten Musliminnen und Muslime und deren Vereinigung in einem weltweiten panislamischen Kalifat an, das alle islamisch geprägten Regionen umfassen und später in Richtung der Territorien der "Ungläubigen" hin erweitert werden soll. So soll der vorgeblich herrschende "Kolonialismus" und "Zionismus" bekämpft werden - durch Missionierung und notfalls auch durch bewaffneten Kampf (Jihad). Als Rechtsform jenes Kalifats wird die Scharia angestrebt. Jede andere Rechtsoder Staatsform wird durch die HuT als "blasphemisch" abgelehnt. Um ihr Ziel zu erreichen, legitimiert die Organisation Gewalt als Mittel der "Selbstverteidigung" als ein Recht aller Musliminnen und Muslime. Aufgrund dieser Gewaltaffinität ist die HuT in vielen Staaten weltweit verboten, so auch seit dem Jahr 2003 in Deutschland. In Deutschland lassen sich keine festen Strukturen der HuT feststellen. Es gibt jedoch Gruppierungen mit einer offensichtlichen ideologischen Nähe zur HuT, die vor allem über soziale Medien sehr aktiv Missionierungsarbeit betreiben. Dafür werden zunehmend Akademikerinnen und Akademiker in Schlüsselpositionen eingesetzt. Die Gruppierungen sind unter anderem "Generation Islam" (GI), "Realität Islam" (RI) und "Muslim Interaktiv" (MI). Beiträge dieser Gruppierungen greifen aktuelle politische oder gesellschaftliche Themen auf und unterstützen das HuT-Narrativ der "Unterdrückung" von Musliminnen und Muslimen in Deutschland. Anhängerinnen und Anhängern wird suggeriert, allein durch Abgrenzung zur westlichen Gesellschaft und durch ein Leben nach den Vorgaben der Scharia sei die "wahre islamische Identität" zu wahren. 3.3.1 Entwicklungen und Aktivitäten Die Hizb ut-Tahrir (HuT) ist eine Splittergruppe des Islamismus, deren Sympathisantinnen und Sympathisanten in Deutschland mittlerweile auch offen in Erscheinung treten. Gleichzeitig agieren sie teilweise im Verborgenen, indem sie über persönliche Kontakte und freundschaftliche Verhältnisse in konspirativen Kleinstgruppentreffen, sogenannten "Halaqat" (arabisch für "Studienzirkel"), Vertrauen aufbauen. Durch diese Methode werden mittelbis langfristig Sympathisantinnen und Sympathisanten gewonnen, an die Gruppe gebunden und in die Lehren des Gründers al-Nabhani eingeführt. Eine zentrale Rolle spielen dabei das Internet und die sozialen Medien, die weit über öffentliche Kanäle und reale Aktionen hinaus für die Verbreitung der Ideologie genutzt werden. Trotz eines seit 2003 bestehenden Betätigungsverbots in Deutschland konnte die Hizb ut-Tahrir in den 2010er Jahren durch Tarnorganisationen wieder an Einfluss gewinnen. In den sozialen Medien sind insbesondere die HuT-nahen islamistischen Gruppierungen aktiv, darunter Generation Islam (GI), Realität Islam (RI) sowie die vor allem in Hamburg Seite 131 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus agierende Gruppe Muslim Interaktiv (MI). Sie alle propagieren den Absolutheitsanspruch ihrer eigenen islamistischen Ideologie. Der anhaltende Krieg zwischen der HAMAS und Israel veranlasste auch Anhängerinnen und Anhänger der Hizb ut-Tahrir, ihre Solidarität mit den Palästinenserinnen und Palästinensern auszudrücken. Bei einer Kundgebung der Gruppe "Muslim Interaktiv" in Hamburg forderten Teilnehmer mit Slogans wie "Deutschland = Wertediktatur" oder "Kalifat ist die Lösung" offen die Errichtung eines Kalifats in Deutschland. Mehr als 1 000 Personen protestierten dabei gegen eine vermeintlich islamfeindliche Politik. Auf der Kundgebung in Hamburg nahmen auch Personen aus Schleswig-Holstein teil. Vortragseinladung von HuT-Sympathisanten aus Kiel und Einladung für ein Freizeitangebot von HuT-Sympathisanten aus Lübeck Im Berichtszeitraum war in Schleswig-Holstein festzustellen, dass eine Gruppe von Anhängerinnen und Anhängern der Hizb ut-Tahrir ihre Aktivitäten sowohl im Internet als auch in der realen Welt verstärkte. Insbesondere in Kiel und Lübeck wurden in sozialen Netzwerken vermehrt Aktivitäten von Personen beobachtet, die auf den ersten Blick zwar keine direkte Verbindung zur Hizb ut-Tahrir erkennen lassen. Seite 132 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Jedoch wiesen der Austausch und die Vernetzung mit Mitgliedern der HuT-Szene aus Hamburg eine ideologische Nähe zur Gruppierung auf. Diese wurde insbesondere durch die Verbreitung zentraler Narrative der Hizb ut-Tahrir deutlich, die auf eine klare ideologische Ausrichtung hindeuten. 3.3.2 Ausblick Die Aktivitäten der Hizb ut-Tahrir in Schleswig-Holstein zeigen, dass die Gruppe weiterhin bestrebt ist, ihre Präsenz sowohl online als auch in der Realwelt auszubauen. Die verstärkten Aktivitäten in sozialen Netzwerken, insbesondere in Kiel und Lübeck, könnten auf eine gezielte Strategie hindeuten, die darauf abzielt, neue Anhängerinnen und Anhänger zu gewinnen und bestehende Strukturen zu festigen. Der Austausch und die Vernetzung mit Mitgliedern aus Hamburg lassen eine zunehmende regionale Kooperation vermuten, die möglicherweise dazu genutzt wird, ideologische Narrative der Hizb ut-Tahrir weiter zu verbreiten. Angesichts dieser Entwicklungen ist davon auszugehen, dass die Gruppe ihre Bemühungen fortsetzen wird, ihre ideologischen Ziele durch indirekte Einflussnahme und gezielte Vernetzungsstrategien in Schleswig-Holstein voranzutreiben. 3.4 Schiitischer Extremismus/Einfluss des Islamischen Zentrums Hamburg e.V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus Schiitischer Extremismus - Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) - Imam Ali Moschee an der Hamburger Außenalster Gründung: 1960 Aktueller Leiter: Mohammed Hadi Mofatteh (bis zum Verbotsverfahren) Aktionsgebiet: Deutschland, Europa Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: Einzelmitglieder (2023: Einzelmitglieder) Seite 133 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) war bis zu seinem Verbot am 24. Juli 2024 die bedeutendste vom Iran beeinflusste Einrichtung in Europa. Dessen (ehemaliger) Leiter wurde als direkter Vertreter des Revolutionsführers Khamenei in Europa von Teheran aus ernannt. Das IZH war bis dato ein bedeutender Propagandaapparat des iranischen Regime, sowie eine wichtige Schnittstelle zwischen dem iranischen Regime und Deutschland. Wie alle proiranischen Einrichtungen orientiert sich das IZH am Gedankengut der iranischen Revolution von 1979 mit dem Ziel der Expansion und Islamisierung der gesamten Welt. Das Beobachtungsobjekt umfasst sowohl die sogenannten regierungsoder regimetreuen Iranerinnen und Iraner als auch andere schiitisch-extremistische Gruppierungen. Ihre Anhängerschaft in Deutschland hat zum Ziel, auf hier lebende Schiitinnen und Schiiten Einfluss zu nehmen. Ziel des schiitischen Extremismus im Allgemeinen ist die Errichtung eines islamischen Gottesstaates - zumeist nach dem Vorbild Irans. Aufgrund der Historie und der politischen Situation in den schiitisch geprägten Heimatländern dieser Organisationen lässt sich außerdem eine ausgeprägte antiisraelische und antisemitische Grundhaltung feststellen. Diese zeigt sich in der Vergangenheit unter anderem in der Teilnahme an jährlich wiederkehrenden antiisraelischen al-Quds-Demonstrationen in Berlin. 3.4.1 Entwicklungen und Aktivitäten Der aktuell fortdauernde Nahostkonflikt hat Auswirkungen auf die schiitische Szene in Deutschland, die sich unter anderem in Aktivitäten in sozialen Netzwerken als auch realweltlich in Teilnahmen an Demonstrationen und Kundgebungen mit Themenbezug Nahost zeigt. In Schleswig-Holstein verhielt sich die schiitisch extremistische Szene jedoch ausgesprochen zurückhaltend. Dies galt für die schiitischen Vereine in Schleswig-Holstein ebenso wie für das IZH in Hamburg, welches sich mit offiziellen Stellungnahmen zurückhaltend äußerte. Bereits im November 2023 kam es zu großangelegten Durchsuchungsmaßnahmen von 54 Objekten in insgesamt sieben Bundesländern im Zuge eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens gegen das IZH durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI). Dem IZH wurde vorgeworfen, gegen die Völkerverständigung und verfassungsmäßige Ordnung tätig zu sein und hierbei die libanesische Hizb Allah zu unterstützen. Alle durchsuchten Objekte standen mutmaßlich mit dem IZH in Verbindung. So wurde auch bei der "Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands" (IGS), zu der das IZH gehört, durchsucht. Schleswig-Holstein war nicht von den Exekutivmaßnahmen betroffen. Am 24. Juli 2024 wurde das IZH und sämtliche mit dem IZH in Verbindung stehenden Teilorganisationen durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat verboten. Seite 134 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Durch die Auswertung von Beweismitteln aus den vorangehenden Durchsuchungsmaßnahmen hat sich der Verdacht gegen den Verein und seinen Teilorganisationen erhärtet, eine extremistische Organisation zu sein und islamistische und verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. Die "blaue Moschee" in Hamburg und das gesamte Vereinsvermögen wurden beschlagnahmt. Das Gebäude befindet sich derzeit unter der Verwaltung des BMI. Die IGS wurde - im Gegensatz zu dem IZH und seinen Teilorganisationen - nicht verboten. Das Verbotsverfahren hat bundesweit unter Schiitinnen und Schiiten und anderen muslimischen Gruppen Reaktionen und Kritik ausgelöst, die zu Demonstrationen und Protestveranstaltungen in mehreren Städten führten. In Schleswig-Holstein hingegen blieb die Szene vergleichsweise ruhig. 3.4.2 Ausblick Der vom Iran beeinflusste schiitische Extremismus in Deutschland ist durch das Verbotsverfahren erheblich geschwächt worden und das IZH kann seinen Betrieb nicht mehr fortführen. Damit fehlt dem iranischen Regime ein wichtiger Einflussfaktor innerhalb Europas und Deutschlands und somit die Möglichkeit für Ideologieexport und Rekrutierung von Anhängerinnen und Anhängern. Es gibt derzeit für die schiitisch-extremistische Szene kein vergleichbares Objekt, das dieselbe Strahlkraft und Anziehung entfalten könnte. Dies erschwert auch die Emotionalisierung und Mobilisierung schiitischer Extremistinnen und Extremisten mit Themenbezug zum Nahostkonflikt. Das Verbotsverfahren hat insgesamt zudem erhebliche Auswirkungen auf die Tätigkeiten der schiitischen Vereine und Einzelmitglieder in Schleswig-Holstein. Es fehlt eine geeignete Anlaufstelle, die für überregionale Veranstaltungen und Kontakte zur Verfügung steht. Für Schleswig-Holstein bleibt abzuwarten, inwieweit Einzelpersonen im schiitischen Extremismus ihre Kontakte zum Personenspektrum des verbotenen Islamischen Zentrums Hamburg weiterhin pflegen werden. Seite 135 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 3.5 Tablighi Jama'at (TJ) Tablighi Jama'at (TJ - Urdu für "Missionierungsgesellschaft") - Beliebtes Symbol der Tablighi Jama'at, ein reisender Missionar Gründung: 1926 Aktueller Anführer: Nazar-ur-Rehman Aktionsgebiet: weltweit Anhängerschaft in Schleswig-Holstein: 20 (2023: 20) Die TJ ist eine transnationale Missionierungsbewegung mit weltweit mehreren Millionen Anhängerinnen und Anhänger, die im Jahr 1926 in Britisch-Indien gegründet worden ist. Weltweit ist diese Organisation in über 160 Ländern aktiv. Als globale Frömmigkeitsbewegung hat die TJ den Anspruch, alle Musliminnen und Muslime weltweit zu einer strengen Religionsausübung zurückzuführen und letztendlich islamistische Gesellschaftssysteme zu etablieren. Dabei steht für die TJ die religiöse Praxis über allen intellektuellen Diskursen und ihr Ziel ist langfristig eine weltweite Islamisierung der Gesellschaft, die sie durch Missionierung gewaltlos erreichen will. Wie andere islamistische Organisationen orientiert sich die TJ dabei eng am Islamverständnis der islamischen Frühzeit. Die Scharia soll als Grundlage der Gesellschaft fungieren, säkulare sowie demokratische Prinzipien werden abgelehnt. Ihre Anhängerinnen und Anhänger grenzen sich gegenüber Andersdenkenden oder Nichtmusliminnen und Nichtmuslimen ab. Diese Denkweise begünstigt die Entstehung von Parallelgesellschaften und birgt Radikalisierungspotenzial. Charakteristisch für die Anhängerinnen und Anhänger der TJ ist eine missionierende Reisetätigkeit, bei der sie Moscheen weltweit aufsuchen. In Deutschland ist die Bewegung seit den 1960er Jahren aktiv. Seite 136 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus 3.5.1 Entwicklungen und Aktivitäten Die Tablighi Jamaat (TJ) ist sowohl international als auch national in hierarchisch strukturierten Netzwerken organisiert, die vor allem durch informelle Kontakte zwischen Anhängerinnen und Anhängern verbunden sind. Die regionalen Netzwerke agieren dabei weitgehend unabhängig. Im Berichtsjahr konnte eine TJ-Gruppe ihre im Jahr 2023 gegründete Moschee im Hamburger Randgebiet erfolgreich etablieren. Das Objekt zeigt dabei auch Überschneidungen mit der salafistischen Szene in Schleswig-Holstein auf. 3.5.2 Ausblick Die Etablierung einer TJ-Anlaufstelle in Schleswig-Holstein lässt einen weiteren Anstieg des Personenpotenzials erwarten. Infolgedessen könnte zukünftig eine Zunahme überregionaler sowie möglicherweise internationaler TJ-Kontakte nach Schleswig-Holstein erfolgen. Aufgrund des konservativen Auftretens der TJ-Mitglieder ist es zudem nicht auszuschließen, dass die Bewegung auch für salafistisch geprägte Personen attraktiv wirken könnte. Die ideologische Nähe zwischen Anhängerinnen und Anhängern der TJ und dem Salafismus ist dabei klar erkennbar. 4 Personenpotenzial im Islamismus/islamistischem Terrorismus In Schleswig-Holstein ist das Personenpotenzial im Phänomenbereich Islamismus innerhalb eines Jahres leicht von 825 auf 820 Anhängerinnen und Anhänger zurückgegangen. Dabei blieb das Personenpotenzial des Salafismus, das den größten Anteil ausmacht, unverändert bei 700 Personen. Bundesweit ist die Zahl leicht auf 11 000 salafistische Anhängerinnen und Anhängern gestiegen. Der Salafismus bleibt somit die bedeutendste und dynamischste islamistische Strömung in Deutschland. Bei den sonstigen islamistischen Organisationen in Schleswig-Holstein blieb das Personenpotenzial im Berichtszeitraum nahezu unverändert. Deshalb ist festzustellen, dass sich die im letzten Bericht angeführte Gefahr, dass es durch den anhaltenden Nahostkonflikt zu einer Zunahme der islamistischen Anhängerinnen und Anhängern im Lande kommen kann, bisher nicht realisiert hat. Dennoch zeigt sich schon jetzt ein Trend, der vor allem durch die Aktivitäten in den sozialen Netzwerken gekennzeichnet ist, dabei gezielt junge Menschen und zunehmend Frauen adressatengerecht anspricht und zukünftig zu einem weiteren Anwachsen des islamistischen Personenpotentials in Schleswig-Holstein führen kann. Abzuwarten bleibt hierbei auch, ob es den etablierten islamistischen Moscheevereinen im Lande gelingen wird, hier einen Gegenpol zu diesen Aktivitäten in den sozialen Netzwerken zu schaffen Seite 137 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus und selbst geeignete und attraktive Angebote in den Moscheen für diese Zielgruppen zu etablieren. Islamistisches Personenpotenzial nach Organisationen 2021 2022 2023 2024 Salafismus 750 750 700 700 (inkl. jihadistischem Personenpotenzial) Sonstiger Islamismus AMAL 5 EM EM EM Furkan-Gemeinschaft 32 33 35 25 HAMAS 5 5 10 10 Hizb Allah 25 20 20 20 Hizb-i Islami Afghanistan (HIA) EM 7 10 10 Hizb ut-Tahrir (HuT) 5 7 10 10 Irakisch-Schiitische Milizen EM EM EM EM IZH und sonstiger schiitischer Extremismus 5 EM EM EM Milli Görüs-Bewegung (MGB) EM EM EM EM Muslimbruderschaft (MB) 12 14 10 10 an-Nahda EM EM EM EM Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ) EM EM EM EM Tablighi Jama'at (TJ) 15 16 20 20 Türkische Hizbullah (TH) 12 11 10 15 Sonstiger Islamismus insgesamt 116 118 125 120 Gesamtes Personenpotenzial Islamismus 866 868 825 820 Seite 138 VI Islamismus und islamistischer Terrorismus Seite 139 Seite 140 VII Linksextremistische Bestrebungen Seite 141 Seite 142 VII Linksextremistische Bestrebungen 1 Organisationen und Gruppierungen 1.1 Dogmatischer Linksextremismus Dogmatische Linkextremistinnen und Linksextremisten richten ihr politisches Handeln an revolutionär marxistischen oder anarchistischen Lehren mit dem Ziel aus, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu überwinden. In Schleswig-Holstein sind aus diesem Spektrum hauptsächlich die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) aktiv. Im Berichtsjahr traten Personen des dogmatischen Spektrums überwiegend im Themenfeld Antimilitarismus in Erscheinung. Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine mit den damit einhergehenden Rüstungszusagen der Bundesrepublik Deutschland für die Ukraine und der durch den terroristischen Angriff der HAMAS auf Israel ausgelöste aktuelle Nahostkonflikt waren die beherrschenden Themen. Dabei wurde wiederholt deutlich, dass das linksextremistische dogmatische Spektrum sowohl auf Grund seiner russlandfreundlichen als auch gegen die Politik Israels gerichteten Positionen innerhalb der linksextremistischen Szene weitgehend isoliert ist. 1.1.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Logo der Deutschen Kommunistischen Partei Die DKP wurde im Jahr 1968 gegründet und bildet bis heute den größten Personenzusammenschluss im dogmatischen Linksextremismus. Sie baut auf den Strukturen und der Ideologie der im Jahr 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) auf und bekennt sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin als Leitlinie ihres politischen Handelns. Das zentrale Ziel der Partei ist der "revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen"20 zur Errichtung einer sozialistischen bis hin zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft, 20 Internetseite DKP, abgerufen am 20.11.2024. Seite 143 VII Linksextremistische Bestrebungen in der die "Macht des arbeitenden Volkes verwirklicht wird"21. Die DKP strebt langfristig einen Systemwechsel an und richtet sich folglich gegen die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung, die auf den Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung basiert. Antikapitalismus Der Kampf gegen den Kapitalismus ist das zentrale Element linksextremistischer Ideologien und kann u. a. auf Ideen von Karl Marx zurückgeführt werden. Dessen Theorie zufolge werden mit der Abschaffung der bestehenden Produktionsund Eigentumsverhältnisse als logische Folge auch die bisherigen Herrschaftsverhältnisse überwunden. Linksextremistinnen und Linksextremisten üben spektrenübergreifend nicht nur Kritik am Kapitalismus mit seinen Strukturen und Eigentumsverhältnissen, indem sie soziale Ungerechtigkeiten und Armut anprangern. Vielmehr sehen sie den Kapitalismus als Wurzel allen Übels und machen den Staat als solches für Faschismus, Repression und Krieg verantwortlich. Das Grundziel des Antikapitalismus ist demnach die Überwindung der kapitalistischen Staatsund Gesellschaftsordnung. In Schleswig-Holstein sind die DKP-Kreisverbände Kiel, Lübeck/Südost-Holstein, Pinneberg, Schleswig/Flensburg und Itzehoe/Nordfriesland aktiv. Sie befassen sich hauptsächlich mit aktuellen gesellschafts-, sozialund friedenspolitischen Fragestellungen und werden in den Themenfeldern Antimilitarismus, Antikapitalismus und Antifaschismus tätig. Die DKP nimmt im Internet regelmäßig Stellung zu aktuellen regionalen und überregionalen Ereignissen und ruft zur Teilnahme an Versammlungen auf. Vereinzelt tritt die DKP mit eigenen Kundgebungen oder Informationsständen öffentlich in Erscheinung. Hierbei kam es in den letzten beiden Jahren auf Grund der aktuellen Konflikte in der Ukraine und in Nahost zu einem leichten Anstieg auf niedrigem Niveau. Überwiegend schließt sich die DKP aber weiterhin Bündnissen an, wie z. B. im Rahmen ihrer Beteiligung am antimilitaristischen "Rheinmetall Entwaffnen"-Camp deutlich wurde, das vom 3. bis 8. September in Kiel stattfand. Die DKP nimmt unregelmäßig an Wahlen teil. Dabei konnte sie bislang keine nennenswerten Ergebnisse erzielen, so auch bei der Europawahl am 9. Juni. In Schleswig-Holstein erhielt die Partei lediglich 442 Stimmen und lag somit bei 0,0 Prozent der Stimmenanteile. Seit den terroristischen Angriffen der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 ist der aktuelle Nahost-Konflikt das Schwerpunktthema der DKP. Dabei positionierte sie sich insbesondere gegen die Politik Israels, der sie imperialistische Aggression vorwirft. Die palästinensische Seite wird überwiegend als Opfer dargestellt. 21 Internetseite DKP, abgerufen am 20.11.2024. Seite 144 VII Linksextremistische Bestrebungen Die DKP Flensburg erklärte dazu auf ihrer Internetseite zur Versammlung der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) am 29. Oktober in Flensburg: "Wir Kommunisten sind solidarisch mit Palästina, den Opfern der völkerrechtswidrigen Besatzung und der terroristischen Kriegsführung."22 Ausblick DKP Die DKP richtet sich mit ihren Positionen und Zielvorstellungen eindeutig gegen die Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ihre öffentlich wahrnehmbare Präsenz ist in Schleswig-Holstein im Berichtsjahr leicht angestiegen, befindet sich jedoch weiterhin auf einem niedrigen Niveau. Die Partei kämpft seit Jahren gegen eine Überalterung ihrer Mitglieder, die notwendige personelle Verstärkung ist eine existenzielle Frage geworden. Daraus wird wahrscheinlich auch zukünftig eine geringe Aktionsund Mobilisierungsfähigkeit resultieren. Eine zunehmende Einflussnahme ist langfristig weder in das undogmatische linksextremistische Spektrum noch in die Mitte der bürgerlichen Gesellschaft zu erwarten. Zudem steht die DKP mit ihrem inhaltlichen Dogmatismus und den russlandfreundlichen und propalästinensischen Positionen weitgehend isoliert da. Ein signifikanter Bedeutungsgewinn der DKP ist somit in den kommenden Jahren nahezu auszuschließen. 1.1.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Logo der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend Die SDAJ ist eine formal eigenständige Jugendbzw. Nachwuchsorganisation der DKP und strebt analog zur Mutterpartei die revolutionäre Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft an. Sie habe sich bundesweit zusammengeschlossen, um dieses Ziel mit einer "antikapitalistischen und revolutionären Organisation"23 zu erreichen. Die Beobachtung der SDAJ durch den Verfassungsschutz resultiert aus der Unvereinbarkeit ihrer Ziele mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die SDAJ bemüht sich regelmäßig um Mitarbeit in Bündnissen des extremistischen, aber auch des nichtextremistischen Spektrums, um ihren Einfluss zu erhöhen. In Schleswig-Holstein existieren verschiedene Ortsgruppen u. a. in Kiel und Flensburg. 22 Internetseite SDAJ Flensburg, abgerufen am 25.11.2024. 23 Internetseite SDAJ, abgerufen am 20.11.2024. Seite 145 VII Linksextremistische Bestrebungen Im Zuge des aktuellen Nahostkonflikts stellte sich die SDAJ weiterhin auf die Seite des palästinensischen Volkes und verurteilte das Vorgehen Israels. Israel wird beschuldigt für den Ausbruch des Konfliktes verantwortlich zu sein. Dem Staat Israel wird das Recht auf Selbstverteidigung abgesprochen und der militärische Einsatz im Gazastreifen als Genozid bezeichnet. Am 5. April initiierten propalästinensische Aktivistinnen und Aktivisten eine Störaktion während eines Vortrages der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses des Bundestages zum Thema Sicherheit in Europa an der Christian-Albrechts-Universität (CAU) zu Kiel. Sie störten die Veranstaltung mit "Free Palestine" und "Shame you"-Rufen. Die SDAJ Kiel beteiligte sich an dieser Aktion und forderte "Kein Raum den Kriegstreibern. Free Palestine"24 sowie einen konsequenten Antimilitarismus. Der Politikerin wird vorgeworfen, "Beihilfe zum Genozid in Palästina"25 zu leisten, während die Rüstungsindustrie davon profitiere. Im Berichtsjahr beteiligte sich die SDAJ in Schleswig-Holstein an weiteren propalästinensischen Versammlungen. Vom 17. - 20. Mai fand in Kiel das sogenannte Nord-Pfingstcamp der SDAJ statt. Dort trafen sich lokale SDAJ-Gruppen aus Schleswig-Holstein und den norddeutschen Bundesländern, die dem Nordverband der SDAJ angehören. Die SDAJ führt bundesweit alle zwei Jahre regionale Pfingstcamps durch, bei denen u.a. politische Vorträge und Workshops zu den Themen Antifaschismus und Antimilitarismus durchgeführt werden. Diese dienen der SDAJ dem vertieften Austausch und der Vernetzung regionaler Gruppen und Einzelpersonen. Des Weiteren beteiligte sich die SDAJ am antimilitaristischen "Rheinmetall Entwaffnen"-Camp, das vom 03. - 08. September in Kiel stattfand. Dabei waren neben der DKP und SDAJ vor allem auch dogmatische Gruppen aus dem Bundesgebiet, wie z.B. der Kommunistische Aufbau und die Kommunistische Jugend beteiligt. Ausblick SDAJ Die SDAJ wird auch weiterhin das Ziel verfolgen, zur Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele spektrenübergreifend mit diversen Bündnispartnerinnen und Bündnispartnern zusammenzuarbeiten. Sie ist deutlich aktionsbezogener und in der Öffentlichkeit stärker wahrnehmbar als die DKP. Dennoch wird sie auch zukünftig keine führende Rolle in der linksextremistischen Szene einnehmen noch ihren Einfluss auf die Mitte der Gesellschaft erhöhen können, nicht zuletzt auf Grund ihrer offen gegen den Staat Israel gerichteten Positionen. 24 Instagram SDAJ Kiel, abgerufen am 04.11.2024. 25 Instagram SDAJ Kiel, abgerufen am 04.11.2024. Seite 146 VII Linksextremistische Bestrebungen 1.2 Undogmatischer Linksextremismus Das undogmatische linksextremistische Spektrum weist eine ausgeprägte Heterogenität aus. Sie wird insbesondere in den zahlreichen Aktionsformen, dem Grad der Organisation sowie verschiedenen ideologischen Ausprägungen deutlich. Das undogmatische Spektrum reicht von rein aktionistisch ausgerichteten bis überwiegend theorielastig dominierten Gruppen und Personen. In Schleswig-Holstein sind aus diesem Spektrum Autonome und Postautonome aktiv. Der undogmatische Linksextremismus zeichnet sich im Wesentlichen durch seine wandlungsfähige Ideologie aus. Er wird insbesondere durch die Lehren des Anarchismus, Kommunismus und die Ideen des Marxismus geprägt. Im Gegensatz zum dogmatischen Linksextremismus werden sie jedoch nicht als starre Glaubenssätze angesehen, sondern bewusst hinterfragt. Eine Anpassung an die aktuelle politische Situation und die jeweils bestehende Lebenswirklichkeit ist ausdrücklich möglich und gewollt, allerdings ohne in Beliebigkeit zu verfallen. Die undogmatische Szene betätigte sich im Berichtsjahr erneut auf einem gemäßigten Niveau, wobei ein deutlicher Unterschied in der öffentlichen Wahrnehmbarkeit zwischen Autonomen und Postautonomen bestand. Es verfestigt sich der Eindruck des Vorjahres, dass sich Postautonome themenübergreifend kaum betätigen und eine gewisse Lethargie auch im Berichtsjahr fortbestand. Wie schon in den beiden Vorjahren fiel es der linksextremistischen Szene schwer, sich zu den außenpolitisch beherrschenden Themen, dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und dem durch die Terroranschläge der Hamas auf Israel wieder aufgeflammten Nahostkonflikt, zu positionieren. Bedingungslos alten vermeintlichen ideologischen Gewissheiten zu folgen, sich pro-russisch und pro-palästinensisch zu verhalten, konnte angesichts der offensichtlichen Gräueltaten der russischen Armee und der HAMAS keine Lösung sein. Ebenso wenig entspricht es linksextremistischer Denkweise, sich auf die Seite der Ukraine und Israels als Nationalstaaten zu stellen. In dieser vielschichtigen Gemengelage, in der die unterschiedlichen Grundsätze auf eine widersprüchliche konkrete Situation trafen, fiel ihnen eine eindeutige Positionierung schwer. Somit waren öffentlichkeitswirksame Reaktionen eher schwach ausgeprägt. Im permanenten Kernthema, dem Antifaschismus, vereinigte sich wiederum die gesamte undogmatische linksextremistische Szene, wenngleich die Autonomen hier weitaus präsenter waren als die Postautonomen. Für Linksextremistinnen und Linksextremisten war der Hauptgegner im Berichtsjahr die Alternative für Deutschland (AfD). Sie mobilisierten zu Gegenveranstaltungen bei nahezu allen relevanten Versammlungen und Auftritten der AfD. Seite 147 VII Linksextremistische Bestrebungen Ausblick Auch im Jahr 2025 wird der linksextremistische Kampf gegen die AfD bestimmend für die Szene bleiben. Mit der Bundestagswahl im Februar und der Bürgerschaftswahl im benachbarten Hamburg Anfang März waren bereits früh im Jahr Anlässe gesetzt, die die undogmatische Szene aufnahm, um sich intensiv gegen den Wahlkampf der AfD zu stellen. Im weiteren Jahresverlauf wird neben dem alltäglichen Protest gegen die AfD und den Rechtsruck im gesamten Bundesgebiet die Diskussion um ein Für und Wider eines AfD-Verbotsverfahrens Anlass für eine weitere Betätigung sein. 1.2.1 Autonome Die autonome Szene kann in ihrer Vielfalt nicht in einem Satz allumfassend definiert werden, sondern lässt sich durch die Attribute gewaltorientiert, organisations-feindlich, bündnisfeindlich und hierarchiefeindlich beschreiben. Sie stellt die große Mehrheit im Spektrum des undogmatischen Linksextremismus und beruft sich im Gegensatz zu dogmatischen Linksextremistinnen und Linksextremisten auf keine einheitliche Ideologie. Je nach Individualität und persönlicher Lebenssituation wird aus Fragmenten anarchistischer und kommunistischer Ideen ein eigenes spezifisches Weltbild gebildet. Logo der Antifa Die autonome Weltanschauung ist durch eine grundsätzliche Ablehnung von festen Organisationsund Bündnisformen sowie hierarchischen Strukturen geprägt. Autonome treffen sich in losen, wenig verbindlichen Zusammenschlüssen, die zumeist sehr unbeständig sind. Das hat zur Folge, dass sich Gruppierungen schnell gründen und auflösen und sich je nach Interessenschwerpunkt neue Gruppen bilden. Dadurch entsteht eine hohe Fluktuation in der personellen Zusammensetzung. Zudem lehnen klassische Autonome Bündnisse mit szenefremden, insbesondere nichtextremistischen Gruppen und Organisationen grundsätzlich ab. Nichtextremistinnen und Nichtextremisten würden lediglich Reformen im System anstreben, während Autonome gerade das System überwinden wollen. Gesellschaftliche und rechtliche Normen stellen für Autonome keinen verbindlichen Rahmen dar. Zur Erreichung ihrer Ziele setzen sie uneingeschränkt die ihrer Meinung Seite 148 VII Linksextremistische Bestrebungen nach erforderlichen Mittel ein, was auch den Einsatz von Gewalt rechtfertigt. Die Gewaltorientierung gehört zum Selbstverständnis der autonomen Szene. Ihre Intensität ist immer wieder Gegenstand von internen Debatten. Auch wenn einzelne Autonome die Ausübung von Gewalt für sich selbst ablehnen, findet keine grundsätzliche Distanzierung von gewalttätigen Aktionen statt. Autonome streben auf Grundlage dieser Merkmale die Verwirklichung eines selbstbestimmten herrschaftsfreien Lebens in Freiräumen ohne staatlichen Einfluss an. Sie verorten ihre eigene Subkultur außerhalb der Gesellschaft, deren Normen und Verpflichtungen sie sich grundsätzlich verweigern. Dadurch empfinden sie das durch die Polizei ausgeübte Gewaltmonopol des Staates als Repression, gegen die nach Ansicht der Szene Gegengewalt zulässig und geboten ist. Daraus folgt, dass die autonome Szene die bestehende Verfassungsordnung kategorisch ablehnt. Ihr politisches Handeln ist somit nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Autonome Szenen finden sich typischerweise in größeren Städten. In Schleswig-Holstein liegen die Schwerpunkte unverändert in Kiel und Lübeck. In beiden Städten existieren selbstverwaltete Zentren und Szenetreffpunkte, wie in Kiel die Alte Meierei sowie in Lübeck die Alternative e.V., kurz Walli genannt. Des Weiteren spielen insbesondere Wohngemeinschaften eine wichtige Rolle bei der Bildung subkultureller Strukturen linksextremistischer Autonomer. Seit mehreren Jahren fällt bei einer bundesweiten Betrachtung des linksextremistischen autonomen Spektrums auf, dass es äußerst unterschiedliche Entwicklungen der einzelnen Szenen gibt. Während es in einigen Großstädten zunehmend aktive Gruppen gab, die zum Teil mit geplanter roher Gewaltausübung gegen Personen auffällig wurden, blieb das Betätigungsniveau in anderen Regionen, so auch in Schleswig-Holstein, weiter auf einem eher gemäßigten Niveau. Einer der Gründe liegt darin, dass die Szene entgegen eigener Ansprüche überwiegend anlassbezogen-reaktiv und wenig eigeninitiativ agiert. Das Personenpotenzial nahm jedoch nicht ab. Die Angehörigen der autonomen Szene Schleswig-Holsteins sind weiterhin vorhanden und bei entsprechendem Anlass schnell und zuverlässig mobilisierbar, wie im Berichtsjahr mehrmals im Rahmen von Protesten gegen die AfD deutlich wurde. Insgesamt war die autonome Szene in Schleswig-Holstein nicht in der Lage, eigene Initiativen zu planen und konsequent durchzuführen. Eine öffentliche Wahrnehmbarkeit ist fast ausschließlich im Bereich der Aktivitäten gegen die AfD im Rahmen von deren Veranstaltungen gegeben. Mögliche eigene Themen brachten sie nicht voran. Ein Grund für dieses Unvermögen liegt in der Zersplitterung der Szene. Zu viele Einzelthemen und zu viele Erwartungshaltungen an Verhaltensweisen und Lebensstile führen zur Entfremdung von Gruppen der Szene untereinander. Seite 149 VII Linksextremistische Bestrebungen Ausblick Wie bereits für das gesamte undogmatische Spektrum prognostiziert, ist damit zu rechnen, dass es im Folgejahr von Autonomen überwiegend Aktivitäten im Bereich Antifaschismus, insbesondere als Reaktion auf Veranstaltungen der AfD geben wird. Ein weiteres Schwerpunktthema mit dem Potenzial die autonome Szene nachhaltig zu mobilisieren, ist derzeit nicht erkennbar. 1.2.2 Postautonome Logo der Interventionistischen Linken Viele ursprünglich aus dem autonomen Spektrum stammende Linksextremistinnen und Linksextremisten sahen in den 1990er Jahren die Notwendigkeit, die Unverbindlichkeit der autonomen Szene zu überwinden und eine kontinuierliche Arbeitsweise mit allgemeinpolitischer Ausrichtung aufzubauen, um nachhaltige Ergebnisse zu erreichen. Die Anhängerinnen und Anhänger dieser Ausprägung der linksextremistisch-undogmatischen Szene werden als sogenannte Postautonome bezeichnet. Ihre Arbeitsweise lässt sich als organisiert, bündnisorientiert und auf Grundlage eines ideologischen Fundaments kontinuierlich arbeitend beschreiben. Als bedeutendste Gruppierung aus diesem Spektrum entwickelte sich die Interventionistische Linke (IL). Der Zusammenschluss zu einer großen und auf Dauer angelegten Organisation, die weiterhin aus lokal geprägten Gruppierungen besteht, soll die öffentliche Wahrnehmbarkeit im Vergleich zu einer Kleingruppe deutlich erhöhen. Zu diesem Zweck forciert die IL auch ausdrücklich Bündnisse mit Personen und Organisationen des bürgerlichen Spektrums. Um diese Bündnisfähigkeit ins demokratische Spektrum grundsätzlich zu erhalten, verzichtet die IL trotz grundsätzlich bestehender Gewaltorientierung aus taktischer Überlegung heraus meistens auf die Ausübung von Gewalt. Die IL entwickelte sich aus einem zunächst losen Netzwerk von überwiegend links-extremistischen Gruppen und Einzelpersonen. Auf der Internetseite der bundesweiten Organisation werden aktuell 24 Ortsgruppen26 benannt. Vor einigen Jahren waren es noch über 30 Ortsgruppen, so dass ein deutlicher Rückgang festzustellen ist. In 26 Internetseite Interventionistische Linke, abgerufen am 04.12.2024. Seite 150 VII Linksextremistische Bestrebungen Schleswig-Holstein existieren zwei Ortsgruppen in Kiel und Lübeck sowie eine kleine, eher unbedeutende in Norderstedt. Am 19. Juni veröffentlichte die IL ihr zweites Grundsatzpapier unter dem Namen "Gegenmacht aufbauen, Gelegenheiten ergreifen - IL im Umbruch" als eine Fortschreibung, Aktualisierung und Ergänzung des ersten Grundsatzpapiers vom 11. Oktober 2014. Der wenig einprägsame Name verrät auf den zweiten Blick einiges über die Strategie der IL. In einem langfristig angelegten, kontinuierlich verfolgten Prozess sollen soziale Bewegungen gestärkt und dadurch vernetzte Strukturen aufgebaut werden. Diese Gegenmacht soll in krisenhaften Situationen, "in denen die Macht auf der Straße liegt"27 zu revolutionären Umwälzungen führen. Kernelemente der Ideologie bleiben auch in diesem zweiten Grundsatzpapier die hergebrachten Schlagworte der Klassenkämpfer: "Sie wollen Kapitalismus ohne Demokratie - Wir wollen Demokratie ohne Kapitalismus"28 .Die IL strebt einen revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus an, also die Abschaffung des Privateigentums. "Der Nationalstaat und seine Institutionen stehen dieser umfassenden Demokratisierung entgegen. ... Deshalb muss dieser Nationalstaat abgeschafft werden - ebenso wie die Europäische Union"29, schreibt die IL klar und deutlich. Damit wird deutlich, dass der Demokratiebegriff der Extremistinnen und Extremisten nicht den Ansprüchen des Grundgesetzes entspricht. Mit welchen konkreten Mitteln die Ziele erreicht werden sollen, ist einerseits noch nicht abschließend beschrieben, andererseits jedoch wird das staatliche Gewaltmonopol ausdrücklich bestritten und die Aussage "mit allen notwendigen Mitteln" vorgegeben30. Das gesamte Papier hinterlässt einen unstimmigen Eindruck und erreicht nicht das Niveau des Grundsatzpapiers von 2014 und schon gar nicht das der früheren Grundsatzpapiere von "Avanti"31. Die Unbestimmtheit und schlechte Lesbarkeit des Papiers werden nicht dazu führen können, innerhalb und außerhalb der Organisation für neue Impulse zu sorgen. Ausblick Das zweite Grundsatzpapier scheint nicht das Potenzial zu haben, die in den letzten Jahren abnehmende Bedeutung der IL stoppen zu können. Vielmehr scheint der Trend nach offenbar mehreren Austritten oder Auflösungen von Ortsgruppen weiterhin nach 27 Internetseite Interventionistische Linke, Zwischenstandspapier #2, abgerufen am 04.12.2024. 28 Ebd. 29 Ebd. 30 Ebd. 31 In Schleswig-Holstein wurde schon 1989 die Organisation Avanti - Projekt undogmatische Linke, zunächst mit Ortsgruppen in Kiel und Lübeck, gegründet, die die spätere Ausrichtung der IL verfolgte. Nach Ausbreitung im norddeutschen Raum ging Avanti in der IL auf, um Doppelstrukturen zu vermeiden und Kräfte zu bündeln. Seite 151 VII Linksextremistische Bestrebungen unten zu zeigen. Auch thematisch deutet sich für die Folgejahre keine Trendwende an. Die größte Wertschätzung innerhalb der Szene und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit erreichte die IL in der Vergangenheit mit der federführenden Organisation von Großveranstaltungen, insbesondere gegen verschiedene Gipfeltreffen wie z.B. G8oder EU-Gipfel. Auch diese Rolle nimmt die IL nur noch sehr eingeschränkt wahr. 1.3 Rote Hilfe e. V. (RH) Logo der Roten Hilfe e. V. Die RH ist gemäß ihrer Satzung eine "strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation"32, die als bundesweit organisierter Verein auch in Schleswig-Holstein Ortsgruppen in Kiel und Lübeck unterhält. Das maßgebliche Ziel der RH ist es, Personen beizustehen, die aufgrund ihrer linksgerichteten "politischen Betätigung verfolgt werden"33. Dabei liegt ihr Arbeitsschwerpunkt sowohl auf der politischen als auch auf der finanziellen Unterstützung von Beschuldigten, Angeklagten und Straftäterinnen und Straftätern aus dem gesamten linksextremistischen Spektrum. Damit bietet sie einen bedeutenden Rückhalt in der linksextremistischen Szene im Kampf gegen die vermeintliche staatliche Repression. Die RH stellt die Bundesrepublik Deutschland als willkürlich handelnden Staat dar, von dem eine politische Verfolgung ausgeht. Sie stellt das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Gerichte in Frage und erkennt die rechtsstaatliche Ordnung nicht an. Damit einher geht eine fundamentale Kritik an staatlich empfundener Repression, die im linksextremistischen Aktionsfeld Antirepression aufgeht. Antirepression Linksextremistinnen und Linksextremisten lehnen den vermeintlich repressiven Staat und seine Institutionen strikt ab und werten staatliches Handeln nahezu ausnahmslos als Repression. Die Legitimation des Staates für entsprechende Regelungen wird nicht anerkannt. Insbesondere Polizistinnen und Polizisten, die im Rahmen von begangenen 32 Internetseite Rote Hilfe, abgerufen am 18.11.2024. 33 Internetseite Rote Hilfe, abgerufen am 18.11.2024. Seite 152 VII Linksextremistische Bestrebungen Straftaten oder in einem Demonstrationsgeschehen einschreiten, werden als direkte Vertreterinnen und Vertreter dieses "repressiven Staates" und somit als legitimes Ziel bei Auseinandersetzungen angesehen. Dabei sehen insbesondere die autonomen Linksextremistinnen und Linksextremisten die eigene ausgeübte Gewalt als Abwehr der durch Polizistinnen und Polizisten und das System ausgeübten strukturellen Gewalt. Auch in dieser Haltung kommt die Ablehnung des Staates in seiner Gesamtheit und demzufolge auch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ausdruck. Die RH verfolgt mit ihrer Tätigkeit keine eigene Ideologie, sondern leistet Unterstützungsarbeit für die gesamte linksextremistische Szene. Daneben versucht die RH durch eine ausgeprägte Öffentlichkeitsarbeit in die Meinungsbildung einzugreifen und den demokratischen Rechtsstaat als ihrer Ansicht nach repressiv darzustellen und somit zu delegitimieren. Dafür unterhält die RH unter anderem einen Literaturvertrieb mit Sitz in Kiel, über den sie vierteljährlich die "Rote Hilfe Zeitung" herausgibt. Die Aktivitäten der RH werden durch Spenden, Mitgliedsbeiträge sowie weitere Einnahmen, die etwa durch Solidaritätsveranstaltungen generiert werden, finanziert.34 Im Berichtsjahr unterstützte die RH in Schleswig-Holstein entsprechend ihrer Ziele betroffene Einzelpersonen und Gruppen im Rahmen der Rechtshilfe sowie bei der Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Den Aktivistinnen und Aktivsten wird dadurch ein Gefühl von Sicherheit vermittelt, das sie dazu bewegen kann, weiter im Sinne der eigenen Ideologie aktiv zu werden Die RH setzte ferner ihre alle linksextremistischen Spektren übergreifende Kampagnenarbeit unter dem Aspekt der Antirepression fort. Die RH feierte im Berichtsjahr ihr 100jähriges Bestehen. Entsprechend war das Veranstaltungsgeschehen in Schleswig-Holstein wie im Bundesgebiet geprägt von derartigen Themenveranstaltungen, wie etwa eine Filmvorführung mit dem Titel "Solidarität verbindet - 100 Jahre Rote Hilfe" am 19. Oktober in Kiel.35 Wie schon in den Vorjahren richteten sich die Aktivitäten der RH in Schleswig-Holstein darüber hinaus gegen die Polizei und Gefangeneneinrichtungen als aus linksextremistischer Sicht Repräsentanten des repressiven Staates. Deutlich wurde hierbei erneut die enge Zusammenarbeit mit der linksextremistischen Gruppierung "Turboklima-kampfgruppe Kiel" (TKKG). So mobilisierten beide Gruppierungen für eine gemeinsame Informationsveranstaltung zum "Tag der politischen Gefangenen" am 18. März. Neben der Forderung, politische Aktivistinnen und Aktivisten aus der Haft zu entlassen, wurde auch der Fokus darauf gelegt, Gefängnisse und insbesondere die Abschiebehafteinrichtung in Glückstadt zu schließen.36 Bereits am 15. März bewarben die RH und die TKKG eine Demonstration in Kiel zum "Internationalen Tag gegen Polizeigewalt". Neben dem Vorwurf an die Polizei, sich 34 Internetseite Rote Hilfe, abgerufen am 18.11.2024. 35 Internetseite Rote Hilfe, abgerufen am 19.11.2024. 36 Internetseite Rote Hilfe Kiel, abgerufen am 19.11.2024. Seite 153 VII Linksextremistische Bestrebungen gewalttätig und rassistisch zu verhalten, wurde die Forderung propagiert, diese gleich ganz abzuschaffen.37 Ausblick Die pauschal vorgetragene Fundamentalkritik sowohl am Justizsystem als auch an der Polizei ist geeignet, das Vertrauen der Bevölkerung in diese Institutionen zu untergraben. Auf diese Weise wird das verfassungsrechtliche Gewaltmonopol des Staates infrage gestellt. Der RH geht es neben der Unterstützung von Aktivistinnen und Aktivisten zusammenfassend darum, den Rechtsstaat zu boykottieren und ihn mit seinen Institutionen letztlich abzuschaffen. Es ist davon auszugehen, dass die RH zukünftig sowohl durch ihre vereinende Arbeit im Bereich der Antirepression als auch durch ihre herausgehobene Bedeutung im Bereich der Aktivistenbetreuung eine relevante Rolle im linksextremistischen Spektrum spielen wird. 2 Linksextremistische Schwerpunkte 2.1 Antifaschismus und Antirassismus Die Aktionsfelder Antifaschismus und Antirassismus blieben auch im Berichtsjahr der Schwerpunkt linksextremistischer Agitation. Vor allem undogmatisch verortete Szeneangehörige sehen beide Themen als prägend für ihr Selbstverständnis an. Antifaschismus Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist eines der wichtigsten linksextremistischen politischen Ziele. Im Unterschied zum bürgerlich geprägten Antifaschismusverständnis sind die Feindbilder der Linksextremistinnen und Linksextremisten hierbei jedoch nicht nur rechtsextremistische Strukturen, sondern gerade auch der bestehende Staat selbst. Linksextremistinnen und Linksextremisten bewerten den Rechtsextremismus als ein systemimmanentes Merkmal der deutschen Gesellschaftsordnung. Dabei unterstellen sie dem politischen System, den Rechtsextremismus durch aus ihrer Sicht rassistische und faschistische Gesetzgebung bewusst zu fördern. Insbesondere die undogmatischen Linksextremistinnen und Linksextremisten sehen den Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung im antifaschistischen Kampf und erkennen das staatliche Gewaltmonopol nicht an. Sie suchen allerdings auch bewusst die Nähe zum bürgerlichen Spektrum, um über das Zugpferd Antifaschismus linke Politikinhalte in die Gesellschaft zu tragen. Der revoluti37 Internetseite Rote Hilfe Kiel sowie Internetseite TKKG, abgerufen am 19.11.2024. Seite 154 VII Linksextremistische Bestrebungen onäre Antifaschismus richtet sich primär gegen das als rein kapitalistisch empfundene System in Deutschland selbst. Er verfolgt das Ziel, die gesellschaftlichen Strukturen zu zerschlagen, die linksextremistischer Auffassung nach zwangsläufig Faschismus und Rassismus hervorbringen. Diese grundsätzliche Ablehnung des bestehenden Staatsgefüges bedeutet gleichzeitig auch eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Zwischen dem linksextremistischen Verständnis von Antifaschismus und Antirassismus gibt es eine große Schnittmenge, so dass eine klare Trennung nicht möglich ist. Antirassismus Das Themenfeld Antirassismus ist zunehmend mit dem Antifaschismus verknüpft und kann im Rahmen von linksextremistischen Aktivitäten kaum mehr isoliert dargestellt werden. Das linksextremistische Verständnis von Rassismus stützt sich auf die Überzeugung, dass der Staat in seiner Gesamtheit faschistisch und rassistisch sei. Dies zeigt sich in den Augen von Linksextremistinnen und Linksextremisten unter anderem in der Asylgesetzgebung wie auch in ausländerrechtlichen Regelungen. Als Ursache für den Rassismus wird die von Klassengegensätzen, Ausbeutung und Unterdrückung geprägte kapitalistische Gesellschaft gesehen. Das als rassistisch angesehene System könne nur durch eine neue, solidarische Gesellschaftsordnung nach kommunistischem Vorbild überwunden werden. Damit wird die freiheitliche demokratische Grundordnung abgelehnt. 2.1.1 Entwicklungen und Aktivitäten Die Bekämpfung der von der linksextremistischen Szene als rechtsextrem deklarierte AfD stand weiterhin spektrenübergeifend im Fokus der Szene. Die Partei war im gesamten Berichtsjahr das Hauptziel linksextremistischer Proteste. Zu Beginn des Jahres waren die Proteste motiviert durch die Enthüllungen der Medien zu einem "Geheimtreffen" der AfD und anderer Teilnehmender im November 2023 in Potsdam, das unter anderem die Rückführung von nicht assimilierten Ausländerinnen und Ausländern aus Deutschland zum Thema hatte. Hierzu fanden am 16. und 22. Februar in Kiel unter dem Motto "Antifa in die Offensive" Demonstrationen mit teilweise mehreren Hundert Teilnehmenden aus Szenekreisen und dem bürgerlichen Spektrum statt.38 Auch in Lübeck mobilisierten linksextremistische Gruppen für eine Teilnahme an den bürgerlichen Protesten als Reaktion auf die Veröffentlichung des klandestinen Treffens in Potsdam. Im Verlauf des Berichtsjahres protestierte insbesondere das autonome Spektrum beständig gegen Veranstaltungen und Infostände der AfD. Nach der Europawahl im Juni 38 Internetseite Antifa Kiel, abgerufen am 25.11.2024. Seite 155 VII Linksextremistische Bestrebungen flachte das Aktionsniveau nicht ab, sondern verstärkte sich noch nach den Wahlergebnissen der AfD bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen. Dabei schreckten Linksextremistinnen und Linksextremisten auch nicht vor der Begehung von Strafund Gewaltdelikten wie Sachbeschädigungen, Beleidigungen, Brandstiftungen und Körperverletzungen zurück. Am 17. Februar kam es beispielhaft an einem AfD-Infostand in der Innenstadt von Bad Oldesloe zu einer Körperverletzung in der Auseinandersetzung mit den Standbetreibern. Gleichermaßen bedrohlich wirken Outings der linksextremistischen Szene. So wurde Anfang Juni ein Mitglied der Jugendorganisation der AfD, die Junge Alternative (JA), in seiner Nachbarschaft in Bad Oldesloe mittels Flugblättern und Plakaten geoutet. Ein weiteres JA-Mitglied wurde bereits im März online geoutet und als Teilnehmer des "Tag der Ehre" in Budapest benannt, was darin mündete, dass der PKW der geouteten Person im Berichtsjahr angezündet wurde und komplett ausbrannte. Outing Bei Outing-Aktionen werden private Daten von politischen Gegnerinnen und Gegnern gesammelt und anschließend gezielt veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgt entweder im digitalen Raum über soziale Plattformen und bekannte Webseiten oder in analoger Form durch Aufkleber im öffentlichen Raum oder das Verteilen von Flyern im Umfeld der geouteten Personen. Durch diese Outing-Aktionen wird auf der einen Seite versucht, Druck über das soziale Umfeld wie Nachbarschaft oder Arbeitsumgebung auf die betreffenden Personen aufzubauen. Auf der anderen Seite dienen die Veröffentlichungen auch dazu, andere Linksextremistinnen und Linksextremisten zu animieren, gegen diese Personen aktiv zu werden. Am 27. April veranstaltete die JA in Schleswig (Kreis Schleswig-Flensburg) den "Ball der Patrioten", der zunächst in Nordhastedt (Kreis Dithmarschen) geplant war. Im Vorfeld der geplanten Veranstaltung riefen linksextremistische Gruppierungen der autonomen Szene wie die Autonome Antifa-Koordination Kiel (AAKK) und die Antifa Pinneberg intensiv zu Protesten dagegen auf.39 Daraufhin wurde der "Ball der Patrioten" kurzfristig nach Schleswig verlegt. Autonome protestierten sowohl in Schleswig, als auch in Nordhastedt mit jeweils ca. 50 Szeneangehörigen. In Schleswig kam es dabei zu verbalen Auseinandersetzungen zwischen Besucherinnen und Besuchern der Veranstaltung und den Angehörigen der autonomen Szene sowie einer Körperverletzung und Hausfriedensbruch. Weitere Auseinandersetzungen konnten durch Polizeikräfte verhindert werden. Dieses intensive Mobilisierungsund Aktionsgeschehen zeigt, dass die linke Szene ihre Proteste sehr flexibel umsetzen kann. Die Antifa Kiel und die Antifa Neumünster unterstützten Proteste zum "Tag des Vorfelds" der AfD am 20. Juli in Neumünster. Diese Veranstaltung sollte der Vernetzung der Par39 X-Seite Antifa Kiel, abgerufen am 25.11.2024. Seite 156 VII Linksextremistische Bestrebungen tei mit Personen und Organisationen aus dem vorpolitischen Raum dienen, die sich im Vorfeld der eigentlichen Partei AfD betätigen, ohne dass sie der parteipolitischen oder parlamentarischen Ebene angehören (s. hierzu auch III 5.1). Während der Antifa-Proteste kam es zu Ausschreitungen mit der Polizei, als Demonstrationsteilnehmende versuchten, Polizeiabsperrungen zu überwinden. Bei der Vortragsveranstaltung der AfD-Politikerin Doris Sayn-Wittgenstein am 18. Oktober in Mühbrook (Kreis Rendsburg-Eckernförde) wandte sich die Antifa Neumünster direkt an den Betreiber des Veranstaltungslokals mit der Forderung, die AfD auszuladen, ansonsten werde mit "organisiertem Protest" gedroht.40 Diese Einflussnahme ist geeignet, ein Bedrohungsgefühl bei Betroffenen zu erzeugen, das dazu bewegen kann, auf die Forderungen der Antifa einzugehen. Am 19. Oktober trat ein ehemaliges Mitglied des Landesverbandes der AfD in Schleswig-Holstein auf einer Vortrags-Veranstaltung in Nordhastedt (Kreis Dithmarschen) auf. Die linksextremistische Szene bewarb eine Gegenversammlung mit dem Tenor: "Es gibt kein ruhiges Hinterland!". Ziel war es, die AfD-Veranstaltung zu stören und den "rechten" Treffpunkt dichtzumachen.41 Ca. 100 Angehörige der autonomen Szene nahmen daran teil. Auseinandersetzungen erfolgten auf der verbalen Ebene. Gegen den AfD-Landesparteitag am 2. und 3. November fanden Kundgebungen und Demonstrationen statt, an denen auch Linksextremistinnen und Linksextremisten, insbesondere des autonomen Spektrums, aus allen Landesteilen sowie Hamburg beteiligt waren. Zunächst gab es eine nur kurz andauernde Blockade der Zufahrt zum Veranstaltungsort. Aus einem von Linksextremistinnen und Linksextremisten dominierten Aufzug von ca. 350 Personen heraus versuchten mehrfach kleinere Gruppen, die Polizeiabsperrungen zu umgehen oder zu durchbrechen, um an den Veranstaltungsort der AfD heranzukommen. Gegen 30 Personen wurden Strafanzeigen wegen Landfriedensbruch bzw. tätlichen Angriffs auf Polizeikräfte gefertigt. Über diese zumeist regionalen Proteste hinaus entfaltete die linksextremistische Szene in Schleswig-Holstein jedoch bei entsprechenden Anlässen auch überregionale Aktivitäten. So fand eine breite Mobilisierung unter anderem von linksextremistischen Gruppen wie La Rage42 und der Basis Antifa Lübeck für Proteste gegen den 15. Bundesparteitag der AfD vom 28. bis 30. Juni in Essen statt. Die Mobilisierung erfolgte überwiegend im virtuellen Raum, allerdings auch in Form von realweltlichen Informationsveranstaltungen. Für die gemeinsame Anreise wurde ein Reisebus organisiert. Im Kieler Raum war für das Bewerben von entsprechenden Protesten insbesondere die IL Kiel aktiv.43 40 Internetseite Antifa Neumünster, abgerufen am 25.11.2024. 41 X-Seite Antifa Kiel, abgerufen am 02.12.2024. 42 La Rage ist eine linksextremistische Jugendgruppe aus dem Raum Lübeck, die ihren Fokus auf das Themenfeld Antifaschismus legt. 43 Instagram-Seite der IL Kiel, abgerufen am 25.11.2024. Seite 157 VII Linksextremistische Bestrebungen Im Berichtsjahr veranstaltete die Antifa Kiel vom 10.-12. Mai ihr jährlich stattfindendes "Antifa Wochenende". Das angestrebte Ziel der Veranstaltungsreihe war es, den "Rechtsruck in Europa" anzuprangern und sich diesem "organisiert und kämpferisch" entgegenzustellen. Dafür warb die Antifa Kiel mit ideologischen Vorträgen und praxisorientierten Aktionstrainings.44 Damit wurde erneut deutlich, dass die Szene den Kampf gegen Rechtsextremismus als Hauptmotivation ihres Handelns versteht und sie bemüht ist, ihre Aktionen weiter zu professionalisieren. 2.1.2 Ausblick Zusammenfassend bestätigt sich im Berichtsjahr erneut, dass die Aktionsfelder Antifaschismus und Antirassismus die Kernelemente linksextremistischer Ideologie und daraus folgender Betätigung sind. Beide Themenfelder sind wesentlich für das Selbstverständnis von Linksextremistinnen und Linksextremisten und werden mutmaßlich auch in Zukunft schwerpunktmäßig den Grund für linksextremistisches Handeln liefern. Dabei wird die linksextremistische Szene weiterhin über das gesellschaftlich anerkannte Vorgehen gegen Rechtsextremismus den Anschluss an die gesellschaftlich-demokratische Mitte mit dem Ziel suchen, die eigene extremistische Ideologie verbreiten zu können. Im Berichtsjahr konnte jedoch wiederholt entgegen dieser linksextremistischen Zielsetzung weder eine erfolgreiche Beeinflussung des bürgerlichen Spektrums noch ein größerer Zugewinn von Personen für die eigene politische Arbeit festgestellt werden. Bisher liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die linksextremistische Szene zukünftig in der Lage sein wird, eine über das bisherige Maß an Zusammenwirken mit dem bürgerlichen Spektrum im Rahmen von gemeinsamen Mobilisierungen und Teilnahmen an Protesten eine wirkungsvolle Zusammenarbeit und darüber lenkende Beeinflussung erreichen zu können. Dessen ungeachtet hat insbesondere die autonome Szene grundsätzlich das Potenzial, über die Basisthemenfelder Antifaschismus und Antirassismus zumindest kurzfristig neue Anhängerinnen und Anhänger gewinnen zu können. 2.2 Beteiligung im Rahmen der Klimabewegung Der Themenkomplex Klimawandel verlor im Berichtsjahr erstmals seit Jahren in der öffentlichen Diskussion an Stellenwert. Stattdessen dominierte eine Vielzahl weiterer innenund außenpolitischer Krisen wie die deutsche Regierungskrise, der aktuelle Nahostkonflikt und der anhaltende Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine den öffentlichen Diskurs. Wie in den Vorjahren entfaltet der große Teil der Klimabewegung in Schleswig-Holstein weiterhin keine verfassungsschutzrechtliche Relevanz. Der Einsatz für einen verbesserten Klimaschutz stand überwiegend in Einklang mit dem Kernbereich des Grundgesetzes. 44 Internetseite Antifa Kiel, abgerufen am 22.11.2024 Seite 158 VII Linksextremistische Bestrebungen 2.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten In Schleswig-Holstein war die LNG-Anlandung in Brunsbüttel der Kristallisationspunkt für Proteste. An diesen Protesten beteiligte sich die linksextremistisch beeinflusste Organisation "Ende Gelände"45. Bei einer Blockade der Hafenzufahrt im März mit ca. 30 Personen und einer Besetzung der Baustelle des LNG-Terminals im September mit ca. 40 Personen wurde der sofortige Ausstieg aus allen fossilen Energien gefordert. Eine Verknüpfung mit extremistischen Forderungen wurde bei diesen beiden Aktionen nicht festgestellt. Es blieb bei der Erfüllung von kleineren ordnungsund strafrechtlichen Tatbeständen. Die "TurboKlimaKampfGruppe Kiel" (TKKG) war im Berichtsjahr zwar auch in den linksextremistischen Aktionsfeldern Antifaschismus/Antirassismus und Antirepression, aber gleichermaßen auch in ihrem namensgebenden, ursprünglichen Bereich von Klimaund Umweltprotesten aktiv. Genau wie in den Bereichen Antifaschismus/Antirassismus und Antirepression sucht die TKKG auch bei Klimaprotesten den Kontakt zu anderen linksextremistischen Gruppierungen. Dieses Bestreben wurde erneut im Rahmen des Klimastreiks am 1. März in Kiel bei dem zusammen mit der Antifa Kiel beworbenen "Antikapitalistischen Block" unter dem Motto "Klimakampf ist Klassenkampf" deutlich.46 Die Vernetzung der TKKG mit anderen Gruppierungen des linksextremistischen Spektrums zeigt, dass die Gruppe deren Aktivitäten bzw. Gedankengut unterstützt. Die TKKG wirbt mit ihren ideologischen Zielen und Aktionen auch im Rahmen von öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen. Während der diesjährig durchgeführten "Veranstaltungsreihe im Herbst" wurde nicht nur ein Workshop für "kreative Aktionsformen" angeboten, sondern auch ein Kennenlernabend für den offenen Austausch mit der Frage "Warum aktiv werden?".47 Im Unterschied zu anderen Klimaschutzgruppen belässt es die TKKG nicht dabei, für Umweltund Klimathemen zu protestieren. Sie hält es im Sinne des Klimaschutzes weiterhin für notwendig, das "bürgerlich-kapitalistische System" zu überwinden. In diesem Zusammenhang wird dazu aufgerufen, Gesetze zu brechen, wo diese den eigenen Zielen im Weg stehen.48 45 Bekannt ist eine starke Mitarbeit der IL bei "Ende Gelände", in Schleswig-Holstein lagen im Berichtsjahr keine Erkenntnisse vor, dass die hier vorhandenen Ortsgruppen eine nennenswerte Rolle im Zusammenhang mit der Klimabewegung und speziell mit "Ende Gelände" spielten. 46 Instagram-Seite TKKG, abgerufen am 19.11.2024. 47 Instagram-Seite TKKG, abgerufen am: 19.11.2024. 48 Internetseite TKKG, abgerufen am: 19.11.2024. Seite 159 VII Linksextremistische Bestrebungen 2.2.2 Ausblick In den nächsten Jahren dürfte das Thema menschengemachter Klimawandel zunehmend zwischen zwei Polen stehen. Auf der einen Seite wird das Handlungserfordernis mit zunehmenden Klimaveränderungen dringender. Auf der anderen Seite ist absehbar, dass die weltweiten Krisen mit erheblichen ökonomischen Auswirkungen die Aufmerksamkeit in Politik und Gesellschaft stark auf sich ziehen werden. Daher ist zukünftig mit weniger, aber intensiveren Protesten auch der linksextremistischen Szene in diesem Themenzusammenhang zu rechnen. Es ist aber auch weiterhin nicht zu erwarten, dass das linksextremistische Spektrum einen bestimmenden Einfluss auf die Klimabewegung einnehmen kann. Es ist damit zu rechnen, dass sich die TKKG als mittlerweile etablierter Akteur in der linksextremistischen Szene auch weiterhin in ihrem ursprünglichen Kernbereich der Klimabewegung betätigen und Protestaktionen aktiv gestalten wird. 2.3 Antimilitarismus - "Rheinmetall Entwaffnen"-Camp in Kiel Das linksextremistisch beeinflusste, antimilitaristische Bündnis "Rheinmetall Entwaffnen" (RME) organisierte vom 3. bis 8. September Aktionstage einschließlich eines Protestcamps im Werftpark im Kieler Stadtteil Gaarden. Der Standort Kiel stellte für die Organisatoren von RME einen symbolträchtigen Ort dar. Kiel beherbergt diverse Rüstungsund Zuliefererbetriebe sowie mehrere Bundeswehrstandorte. Seit Jahren thematisieren antimilitaristische Gruppen im Rahmen "antimilitaristischer Stadtrundfahrten" und entsprechender Publikationen im Internet Orte in Kiel, die historisch oder aktuell besondere Bedeutung im Rüstungskontext aufweisen. Antimilitarismus Antimilitarismus ist klassisches Aktionsfeld der linksextremistischen Szene. Aus linksextremistischer Sicht dient die Bundeswehr als staatliches Instrument ausschließlich der Durchsetzung imperialistischer Politik mit dem Ziel, den von Linksextremistinnen und Linksextremisten verhassten Kapitalismus auszuweiten und zu stabilisieren. Statt dem bloßen Eintreten für Frieden und dem Abschaffen des Militärs geht es linksextremistischen Personen und Gruppierungen dementsprechend vielmehr um die Beseitigung der zugrundeliegenden parlamentarischen Demokratie inklusive der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Bundesweite Mobilisierungen für das Kieler Camp fanden bereits frühzeitig im Jahr sowohl virtuell als auch in Form von realweltlichen Infoveranstaltungen über ein breites linksextremistisches Spektrum statt. In Schleswig-Holstein fand insbesondere in Kiel und Seite 160 VII Linksextremistische Bestrebungen Lübeck eine von linksextremistischer Seite intensive Mobilisierung statt. In Lübeck wurde zudem im Vorfeld ein Aktionstraining angeboten. Das Ziel von RME war es einerseits die antimilitaristische Szene weiter zu vernetzen und über antimilitaristische Themen zu informieren sowie andererseits über ein möglichst großes Protestgeschehen die Haltung gegen Waffenexporte, Aufrüstung und Krieg in die öffentliche Wahrnehmung zu bringen. Hierzu organisierten die Ausrichter des Camps zahlreiche Veranstaltungen und Workshops. Darüber hinaus wurden nicht nur mehrere Demonstrationen, sondern auch "direkte Aktionen" geplant, die sich gegen Rüstungsunternehmen und Bundeswehrliegenschaften in Kiel und Umgebung richteten. Dabei kam es mehrfach zu gewalttätigen Konfrontationen mit der Polizei. Am Camp nahmen bis zu 350 Personen teil. Zudem wurde das Veranstaltungsgelände auch von interessierten Personen aus Kiel und dem Umland besucht. An der Abschlussdemonstration am 7. September nahmen bis zu 1 000 Personen teil. Auffällig war die starke Einbindung extremistischer Organisationen in das Protestgeschehen. Besonders deutlich war die Beteiligung linksextremistischer Gruppierungen. In diesem Spektrum waren vor allem dogmatische Linksextremistinnen und Linksextremisten vertreten, u.a. die DKP, die SDAJ sowie der Kommunistische Aufbau und die Kommunistische Jugend. Im Rahmen der Aktionswoche protestierten neben linksextremistischen Gruppierungen zudem auch PKK-nahe Kräfte, türkische Linksextremistinnen und Linksextremisten und pro-palästinensisch eingestellte Personen Das RME-Protestcamp stellte die hierzulande bislang größte antimilitaristische Protestaktion dar. Das Bündnis verband gezielt tagesaktuelle Nachrichten mit den eigenen antimilitaristischen Überzeugungen und konnte so teils mehrere hundert Personen zu Protesten mobilisieren, die bisweilen unfriedlich verliefen. 3 Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein 2020-2024 2020 2021 2022 2023 2024 Marxisten-Leninisten und sonstige 405 410 410 430 430 revolutionäre Marxisten (dogmatischer Linksextremismus) Autonome, Postautonome und 325 325 325 315 315 sonstige undogmatische Linksextremisten Gesamt Land 730 735 735 745 745 Davon gewaltorientiert 340 340 340 340 340 Seite 161 Seite 162 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Seite 163 Seite 164 VIII Extremismus mit Auslandsbezug 1 Organisationen 1.1 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Mitgliederstärkstes und aktivstes Beobachtungsobjekt im Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug in Schleswig-Holstein ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mit ihren Teilund Nebenorganisationen. Logo der PKK Die Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistane - PKK) wurde 1978 gegründet. Ursprünglich kämpfte sie für einen eigenen Kurdenstaat in den traditionellen kurdischen Siedlungsgebieten, die innerhalb der Staatsgebiete der Türkei, Syriens, des Irak und des Iran liegen. Inzwischen setzt sich die PKK für eine unter dem Begriff "Demokratischer Konföderalismus" propagierte Selbstverwaltung der Kurdinnen und Kurden unter Vorherrschaft der PKK ein. In den traditionellen kurdischen Siedlungsgebieten unterhält die PKK eine mehrere tausend Personen starke Guerillatruppe, die sogenannten Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gel - HPG) und eine terroristisch agierende Splittergruppe, die Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen Azadiya Kurdistan - TAK). Die syrische Zweigorganisation der PKK, die Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekitiya Demokrat - PYD) unterhält ebenfalls eine kämpfende Truppe, die Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel - YPG). Die HPG liefern sich seit 1984 mit Unterbrechungen militärische Gefechte mit den türkischen Streitkräften, HPG und TAK verüben in der Türkei Anschläge auf Staatsbedienstete und Zivilisten. Zuletzt bekannte sich eine Sondereinheit der PKK-Guerilla HPG zu einem Terroranschlag auf ein staatliches Flugzeugbauund Rüstungsunternehmen am 23. Oktober des Berichtsjahres in Ankara/TR, bei dem mehrere Zivilpersonen getötet bzw. verletzt wurden. Seite 165 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Die Europaführung der PKK tritt unter der Organisationsbezeichnung Demokratischer Gesellschaftskongress der Kurd*innen in Europa (Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li Ewropa - KCDK-E) auf. Der PKK-Gründer, Abdullah Öcalan, verbüßt in der Türkei seit 1999 eine lebenslange Haftstrafe. Trotzdem bleibt er die wichtigste Identifikationsfigur der Partei und steht im Zentrum eines ausgeprägten Personenkults. In der Türkei hat sich die PKK seit 2016 mit anderen linksextremistischen Parteien - unter anderem der Marxistischen Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) - zu einem Bündnis namens Vereinte Revolutionäre Bewegung der Völker (Halklarin Birlesik Devrim Hareketi (HBDH)) zusammengeschlossen. Die "Stadtguerilla" der HBDH verübt in der Türkei regelmäßig Anschläge, zum Teil auch mit Todesopfern. 1.1.1 Aktuelle Entwicklungen Mit Verbotsverfügung nach dem Vereinsgesetz vom 22. November 1993 untersagte das Bundesministerium des Innern (BMI) die Betätigung der PKK sowie ihrer Teilund Nebenorganisationen in Deutschland. Seit 2002 steht die PKK auf der EU-Liste der terroristischen Organisationen. Am 11. Mai 2022 beantragten deutsche Anwälte im Namen der PKK-Führung beim BMI förmlich die Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots. Gegen die Ablehnung dieses Antrages ist eine Klage anhängig. Deutsche Strafgerichte haben in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass die PKK eine ausländische terroristische Vereinigung darstellt und sich in ihrem bewaffneten Kampf nicht auf völkerrechtliche Rechtfertigungsgründe berufen kann. Ermittlungen werden gegen Funktionäre der PKK wegen der Bildung terroristischer Vereinigungen (SSSS 129 a, b StGB) geführt. Ungeachtet des vereinsrechtlichen Betätigungsverbots und der Strafverfolgung hat es die PKK immer wieder verstanden, in Deutschland ihre Tätigkeit heimlich und in Form von Ersatzund Tarnorganisationen fortzusetzen. Deutschland hat für die PKK insbesondere eine Bedeutung als Rückzugsraum und Spendengeldquelle. In Deutschland verfügt die PKK über einen konspirativ und illegal operierenden, hierarchisch strukturierten Funktionärsapparat. Nach einem parteiinternen System ist die gesamte Fläche der Bundesrepublik aufgeteilt in Gebiete, denen in der Regel jeweils ein Kader als Gebietsverantwortlicher zugeteilt wird. Der größte Teil Schleswig-Holsteins bildet zusammen mit Mecklenburg-Vorpommern das Gebiet Kiel. Der südliche Landesteil Schleswig-Holsteins rund um Pinneberg und Elmshorn wird dem PKK-Gebiet Hamburg zugerechnet. Zu den typischen Aufgaben der Gebietsverantwortlichen zählen zum Beispiel die Organisation des Verkaufs von Publikationen und Eintrittskarten für Propagandaveranstaltungen, die Spendensammlung und die Mobilisierung von Teilnehmerinnen und Teilnehmern für parteibezogene Veranstaltungen. Um die Verfolgung durch Seite 166 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Sicherheitsbehörden zu erschweren, wechseln diese Kader meist jährlich das Zuständigkeitsgebiet. Insgesamt werden in Deutschland rund 15 000 Personen - davon 700 in SchleswigHolstein - zum festen Anhängerstamm der PKK gezählt. Dieser ist in Deutschland nahezu flächendeckend in Vereinen organisiert. Als Dachorganisationen über die lokalen Vereine fungieren der bundesweite Dachverband Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland (KON-MED) und fünf regionale Föderationen. Die PKK-Basisvereine in Norddeutschland werden durch die Föderation Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland e. V. (Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyan le Bakure Alman - FED-DEM)49 betreut. In Schleswig-Holstein existieren zwei Vereine, die als örtliche Anlaufstellen für die Anhängerschaft und die Kader der PKK wirken: der Verein Kurdisches Gemeindezentrum Schleswig-Holstein e. V.50, der durch Namensänderung aus dem Verein Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Kiel e. V. (Demokratik Kürt Toplum Merkezi Kiel - DKTM Kiel) hervorgegangen ist (im Folgenden weiterhin als DKTM Kiel bezeichnet), sowie das Demokratische Kurdische Gemeinde Zentrum Neumünster e. V. (DKTM Neumünster)51. Das DKTM Kiel organisiert alljährlich Veranstaltungen wie Demonstrationen, Informationsstände, Feiern zu Jahresund Gedenktagen, die überwiegend Teil bundesoder europaweiter Kampagnen der PKK sind. Über die Veranstaltungen des DKTM Kiel wird regelmäßig in der PKK-nahen Tageszeitung Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik - YÖP) und auf den Internetseiten der Firat Nachrichtenagentur (Ajansa Nuceyan a Firate - ANF) berichtet. Das DKTM Neumünster entfaltete, wie bereits in den Vorjahren, so auch im Berichtsjahr keine öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten und scheint nur noch formal auf dem Papier zu bestehen. Eingebettet in den Verein DKTM Kiel existiert ein sogenannter Volksrat aus Aktivistinnen und Aktivisten, welche die Kader bei ihren Aufgaben unterstützen. Die syrische Schwesterorganisation der PKK, die PYD, hat in Deutschland eine eigene Struktur. In Schleswig-Holstein hat die PYD allerdings nach wie vor keine eigene Vereinsstruktur, ihre Vertreterinnen und Vertreter arbeiten angegliedert an den PKK-Basisverein in Kiel, dem DKTM. Die PKK-Jugendorganisation Patriotisch revolutionäre Jugendbewegung (Tevgera Ciwanen Welatparez u Soresger -TCS) beteiligte sich im Berichtsjahr in Kiel an einem zwei49 VR 24091 beim Amtsgericht Hamburg. 50 VR 6464 KI beim Amtsgericht Kiel, Namensänderung eingetragen am 16.11.2018. 51 VR 6262 KI beim Amtsgericht Kiel. Seite 167 VIII Extremismus mit Auslandsbezug tägigen so genannten "Langen Marsch", d. h. an einem Demonstrationsmarsch durch das gesamte Kieler Stadtgebiet. Das Organisationsgeflecht der PKK bietet für zahlreiche Bevölkerungsgruppen spezifische Teilorganisationen an. Einen großen Schwerpunkt bilden dabei Frauenorganisationen, die auch in Schleswig-Holstein auftreten: Fahnen der PKK-Frauenorganisation Kurdische Frauenbewegung in Europa (Tevgera Jinen Kurd a Ewrupaye -TJK-E) wurden in Demonstrationszügen im Kontext des Rheinmetall Entwaffnen-Camps im September in Kiel gezeigt. Vom 21. bis 25. August des Berichtsjahres veranstaltete die frauenspezifische Jugendorganisation der PKK, die Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (Jinen Ciwan en Tekoser - TekoJin), ein Sommercamp in Schleswig-Holstein. Enge Kontakte zum DKTM Kiel unterhält der Frauenverein Jiyana Jin - FrauenLeben in Kiel e. V.52 1.1.2 Ausblick Da die PKK auf die Situation der kurdischen Bevölkerung vorrangig in der Türkei und Nordsyrien, aber auch im Irak und Iran fokussiert ist, wird sie voraussichtlich auf internationale Konflikte nur reagieren, soweit diese Konflikte ihre eigenen Interessen tangieren. Die Strategie der PKK wird also weiterhin maßgeblich von den politischen Entwicklungen im Nahen Osten abhängen. Die dortigen Ereignisse wirken sich in aller Regel auf das Protestgeschehen und somit auf die Sicherheitslage in Deutschland aus. Insbesondere die Entwicklung in Syrien nach der Machtübernahme der islamistischen Miliz HTS wird von der PKK-Anhängerschaft aufmerksam verfolgt. Die kurdisch dominierten Siedlungsgebiete in Nordund Ostsyrien waren im syrischen Bürgerkrieg 2015 von kurdischen Milizen mit internationaler Unterstützung gegen den so genannten Islamischen Staat (IS) verteidigt worden. In der Folge etablierte sich dort eine quasi-staatliche, von PKK-nahen Akteuren beeinflusste Autonomieverwaltung. Dieses organisationsintern als "Rojava" bekannte Gebiet hat für die PKK eine hohe strategische und symbolische Bedeutung; außerdem wird es in der internationalistischen linksextremistischen Szene als politische Modellregion und Sehnsuchtsort verklärt. Aus den Erfahrungen mit dem Vormarsch des IS in den Jahren 2014/2015 lässt sich prognostizieren, dass ein weiteres Vorrücken islamistischer Milizen in Kurdengebiete in Syrien deutliche Auswirkungen auf die PKK-Anhängerschaft und solidarische linke Kreise, z. B. Defend Kurdistan, in Deutschland hätte: das Versammlungsgeschehen würde deutlich intensiviert und möglicherweise radikalisiert, die Rekrutierungsbemühungen der PKK innerhalb der kurdisch-stämmigen und der internationalistischen Jugend würden verstärkt werden, und mit den zu erwartenden Fluchtbewegungen der syrischen Bevölkerung würde die PKK-Anhängerschaft in Europa auch personellen Zuwachs erhalten. 52 VR 6561 KI des Amtsgerichts Kiel. Seite 168 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Sofern der PKK-Gründer Abdullah Öcalan von der türkischen Regierung als Ansprechpartner für eine friedliche, politische Lösung der "kurdischen Frage" akzeptiert und womöglich sogar aus der Haft entlassen werden sollte, könnte diese Entwicklung interne Richtungsstreitigkeiten innerhalb der Partei auslösen. Die militärische Führung der PKK beharrte bisher stets auf einem Fortbestand der bewaffneten Guerillatruppen als Machtbasis der Partei, während die Parteibasis zuweilen eine gewisse Kriegsmüdigkeit erkennen ließ. Sollte der inzwischen 75jährige Öcalan hingegen in türkischer Haft versterben, rechnen die Sicherheitsbehörden mit einer flächendeckenden Protestwelle und Gewalttaten insbesondere gegen türkische Einrichtungen in ganz Europa. Falls die oberste Parteiführung und die Guerillatruppen durch türkische Militäroperationen in existenzielle Bedrängnis geraten, könnte als mögliche Reaktion eine Radikalisierung von Teilen der PKK-Anhängerschaft drohen. Wie bisher wird sich die hiesige Anhängerschaft auch künftig an allen Protestkampagnen, Spendensammlungen und sonstigen Aktivitäten der Zentralorganisation beteiligen. 1.2 Türkischer Linksextremismus, insbesondere Marxistische Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Logo der MLKP In Deutschland sind diverse türkische linksextremistische Gruppierungen aktiv. Die meisten dieser Gruppen nutzen Deutschland als Rückzugsraum, um ihre Mutterorganisationen logistisch und finanziell zu unterstützen. Um diese Vorgehensweise nicht zu gefährden, agieren sie hierzulande weitgehend friedlich und unauffällig. Eine dieser Organisationen ist die Marxistische Leninistische Kommunistische Partei (MLKP). Gegründet wurde die MLKP im Jahr 1994 in der Türkei. Ziel der Organisation ist ein revolutionärer Gesellschaftsumbruch in der Türkei und die Gründung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Sie beruft sich dabei auf die Lehren von Marx und Engels, ergänzt durch ideologische Leitlinien von Lenin und Stalin. Die Organisation bekennt Seite 169 VIII Extremismus mit Auslandsbezug sich bis heute zum bewaffneten Kampf in der Türkei und ist Teil des revolutionären Bündnisses HBDH (siehe Ziff. 1.1). 1.2.1 Entwicklungen und Aktivitäten Die MLKP entsandte unter anderem Freiwillige nach Nordsyrien, wo diese unter dem Oberkommando der YPG kämpften. Im Kampf Gefallene werden von der Organisation, auch in Deutschland, als Märtyrerinnen und Märtyrer gefeiert. Deutschlandweit verhält sich die MLKP weitestgehend konspirativ und gewaltfrei. In Schleswig-Holstein zeigt die MLKP immer wieder eine gewisse Verbundenheit zur PKK und zum deutschen Linksextremismus. Dies wird unter anderem an der gemeinsamen Teilnahme bei Demonstrationen und Veranstaltungen deutlich. Logo von Young Struggle Als Jugendverband der MLKP im europäischen Raum tritt seit 2010 die Organisation Young Struggle (YS) auf. Young Struggle verfolgt das Ziel, eine internationalistische revolutionäre Jugendorganisation aufzubauen. Während die Mutterorganisation MLKP zum überwiegenden Teil aus türkischstämmigen Mitgliedern besteht, spricht Young Struggle ein wesentlich breiteres Personenspektrum an. In Teilen wirkt Young Struggle daher als Bindeglied zu Linksextremisten und Linksextremistinnen verschiedenster Herkunft. Auf ihrer Homepage schreibt Young Struggle unter anderem über sich selbst: "In unserem Kampf gegen das System ist die Konfrontation mit den Herrschenden und dem Kapital unausweichlich."53 Als eine weitere Vorfeldorganisation ist der Bund Sozialistischer Frauen (SKB) für die MLKP aktiv. Dieser wurde im Jahr 2010 gegründet und hat das Ziel, Frauen für die aktive Parteiarbeit im Sinne der marxistisch-leninistischen Ausrichtung der MLKP zu gewinnen. Der SKB setzt dabei allerdings auch immer wieder eigene Themen, welche sich spezifisch an weibliche Personen richten. 53 https://young-struggle.org/wer-wir-sind-young-struggle/ zuletzt abgerufen am 23.11.2023 Seite 170 VIII Extremismus mit Auslandsbezug 1.2.2 Ausblick Im Berichtsjahr spielten hauptsächlich die bekannten Kernthemen (d. h. Proteste gegen die türkische Regierungspolitik und türkische Militäreinsätze, Eintreten für eine kommunistische Gesellschaftsordnung und die Verehrung der eigenen Märtyrer) für die MLKP und ihre Außenwirkung eine Rolle, wobei auch insbesondere für die Jugendorganisation Young Struggle der Konflikt zwischen Israel und Palästina ein wichtiges Betätigungsfeld war. Young Struggle konnte im Berichtsjahr eine feste Struktur in Schleswig-Holstein etablieren. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Strukturen weiter ausbauen lassen. 1.3 Türkischer Rechtsextremismus/Ülkücü-Bewegung türkisch rechtsextremistische Symbolik Die Ülkücü-Bewegung - im Wortsinn: Idealistenbewegung - ist nicht homogen, sie umfasst die organisationsgebundenen und nicht-organisationsgebundenen Anhängerinnen und Anhänger des türkischen Rechtsextremismus. Ihre Anhängerschaft bezieht sich auf eine Ideologie, welche auf Nationalismus und Rassismus basiert. Die verschiedenen Ausprägungen dieser Ideologie haben sich über die Jahre und innerhalb der verschiedenen Organisationen in unterschiedlicher Weise entwickelt. Der übersteigerte Nationalismus wird deutlich durch eine ständige Forderung nach einer Vereinigung aller Turkvölker innerhalb eines muslimischen Großtürkischen Reiches Turan. Oft geht diese Forderung einher mit einer Herabwürdigung anderer religiöser und ethnischer Gruppen, insbesondere Kurden, Armenier und Juden. Die Ülkücü-Bewegung ist von einem ständigen Freund-Feind-Bild getrieben, in welchem für jedes negative Ereignis die "inneren" sowie "äußeren Feinde" der Türkei verantwortlich gemacht werden. Das bekannteste und am häufigsten genutzte Symbol der Ülkücü-Bewegung ist der graue Wolf (Bozkurt). Dieser wird in jeglicher Form, zum Beispiel auf Jacken oder T-Shirts, zur Schau gestellt und dient als Erkennungszeichen innerhalb der Szene. Seite 171 VIII Extremismus mit Auslandsbezug so genannter "Wolfsgruß" Im Berichtjahr entzündete sich eine öffentliche Debatte an dem so genannten "Wolfsgruß", den ein türkischer Nationalspieler während des Achtelfinalspiels seiner Mannschaft gegen Österreich im Rahmen der Fußball-Europameisterschaft der Herren in Deutschland zeigte. Der "Wolfsgruß" nimmt Bezug auf die Ursprungslegende des türkischen Volkes. Er wurde in den 1990er Jahren von Alparslan Türkes, dem Gründer der türkisch-rechtsextremistischen Partei MHP, in politischem Kontext verbreitet54. Der Wolfsgruß wird häufig von türkisch-rechtsextremistischen Personen als Erkennungszeichen verwendet, wird aber offenbar innerhalb von Teilen der türkischen Gesellschaft auch als unpolitisches Symbol des Nationalstolzes aufgefasst. In Österreich ist, im Gegensatz zu Deutschland, das Zeigen des Wolfsgrußes verboten55. 1.3.1 Aktuelle Entwicklungen In Schleswig-Holstein wird die Anhängerschaft des türkischen Rechtsextremismus auf 400 Personen geschätzt. Der größte Ülkücü-Dachverband in Deutschland ist die Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu - ADÜTDF), die 1978 in Frankfurt am Main gegründet wurde. Es handelt sich hierbei um eine Auslandsvertretung der türkischen extrem-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi - MHP). Die Vereine in Deutschland und deren Dachverbände kennzeichnet ein streng hierarchischer Aufbau. So ist die Umsetzung von Anweisungen aus der Türkei bis in die Vereine gewährleistet. Um ihre Ideologie weiter verbreiten zu können, sind die Vereine bemüht, breite Teile des sozialen Lebens ihrer Mitglieder abzudecken, beispielsweise durch regelmäßige, auch öffentliche Veranstaltungen in den Bereichen Kultur, Religion oder Sport. Die Vereine, welche häufig eigene Räumlichkeiten unterhalten, finanzieren sich durch Geldspenden und Mitgliedsbeiträge. Regionale Schwerpunkte des organisierten türkischen Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein sind die Städte Kiel, Neumünster und Lübeck. Ein großer Teil der Ülkücü-Anhängerschaft ist unorganisiert und tritt öffent54 Angeblich habe Alparslan Türkes die Bedeutung des Wolfsgrußes wie folgt erläutert: Der kleine Finger symbolisiere die Türken, der Zeigefinger den Islam, der entstehende Ring stehe für die Welt und der Punkt, an dem die restlichen Finger aufeinander treffen, sei der türkisch-islamische Stempel, den die Türken der Welt aufdrücken würden. 55 Das Verbot ist normiert in SS 2 des Symbole-Gesetzes der Republik Österreich Seite 172 VIII Extremismus mit Auslandsbezug lich selten in Erscheinung. Hier findet oft ein Austausch über soziale Netzwerke statt, was häufig zu einer sehr durchmischten politischen und religiösen Weltsicht führt. 1.3.2 Ausblick Die in Verbänden organisierten türkischen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten werden weiterhin bestrebt sein, der deutschen Öffentlichkeit keine Anlässe für eine erneute Verbotsdiskussion56 zu bieten, und sich in ihrer Außendarstellung unauffällig und gemäßigt präsentieren. Dies zeigte sich im Berichtsjahr insbesondere in der starken Zurückhaltung im Themenfeld Nahostkonflikt. Durch die Verbreitung rassistischen und antisemitischen Gedankenguts innerhalb ihrer Community erzeugen sie jedoch weiterhin Vorbehalte gegen andere Bevölkerungsgruppen in Deutschland und behindern die Integration türkisch-stämmiger Menschen in die deutsche Gesellschaft. Sollten sich im politischen Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei Differenzen ergeben, so könnte sich die Anhängerschaft des türkischen Rechtsextremismus dazu instrumentalisieren lassen, türkische Interessen in Deutschland vehement zu vertreten. 1.4 Säkularer palästinensischer Extremismus Der säkulare palästinensische Extremismus umfasst ein breites Spektrum an aktiven Organisationen und Parteien. Als extremistisch werden in diesem Kontext Bestrebungen betrachtet, die unter anderem das Existenzrecht des Staates Israel nicht anerkennen und in völkerverständigungswidriger Weise gegen Israel oder generell antisemitisch agitieren. Hierzu gehören unter anderem die international tätige, von der Europäischen Union als Terrororganisation gelistete Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) und andere Organisationen wie "Samidoun - Palästinensisches Gefangenensolidaritätsnetzwerk", das vom Bundesministerium des Innern am 2. November 2023 mit einem Betätigungsverbot in Deutschland belegt wurde. In Schleswig-Holstein wurden bislang keine eigenen Strukturen säkularer palästinensischer extremistischer Organisationen festgestellt 1.4.1 Aktuelle Entwicklungen Der Überfall der islamistischen palästinensischen Terrororganisation HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 und der daraus resultierende eskalierte Nahostkonflikt führten im Berichtsjahr auch in Schleswig-Holstein zu zahlreichen Reaktionen. Insbesondere in den größeren Städten Kiel, Lübeck, Flensburg und Neumünster thematisierten zahlreiche Versammlungen das Kriegsgeschehen im Nahen Osten. Sowohl von der Anzahl der Ein56 Laut einem Bundestagsbeschluss vom 18. November 2020 wurde die Bundesregierung aufgefordert, Organisationsverbote gegen die Vereine der Ülkücü-Bewegung zu prüfen. Bislang sind keine entsprechenden Organisationsverbote ergangen. Seite 173 VIII Extremismus mit Auslandsbezug zelveranstaltungen als auch von den Zahlen der Teilnehmenden überwogen im Jahresverlauf zunehmend pro-palästinensische Kundgebungen gegenüber pro-israelischen Versammlungen. In den pro-palästinensischen Protestkundgebungen in Schleswig-Holstein im Zusammenhang mit dem aktuellen Nahostkonflikt war kein Einfluss von PFLP-nahen oder anderen säkularen pro-palästinensischen extremistischen Akteuren mit Auslandsbezug zu beobachten. Hier dominierten nicht-extremistische und islamistische Einzelpersonen und Organisationen sowie Akteure des deutschen und türkischen linksextremistischen Spektrums das Versammlungsgeschehen. Bemerkenswert ist, dass im Zuge der Abschlussdemonstration des überregional frequentierten Rheinmetall entwaffnen-Camps in Kiel am 7. September als Symbol der linksextremistischen Palästina-Solidarität ein großes Banner mit einem ikonischen Bild der ehemaligen PFLP-Terroristin Leila Khaled gezeigt wurde, die 1969 als Flugzeugentführerin weltweit bekannt geworden war. 1.4.2 Ausblick Da in Schleswig-Holstein keine eigenen Strukturen der PFLP oder anderer säkularer pro-palästinensischer extremistischer Organisationen existieren, werden diese hier voraussichtlich in absehbarer Zeit auch weiterhin öffentlich nicht in Erscheinung treten. Die Intensität des Demonstrationsgeschehens wird sich auch in Zukunft an den Ereignissen in den palästinensischen Gebieten ausrichten, wobei im Verlauf des Berichtsjahres schon festzustellen war, dass die Zahl an Demonstrationen immer weiter abnahm. 2 Entwicklungen und Aktivitäten im Berichtsjahr Sowohl die PKK-Anhängerschaft als auch die türkischen Linksund Rechtsextremistinnen und -extremisten in Deutschland beziehen ihre Themen im Wesentlichen aus der türkischen Innenund Außenpolitik. Da alle diese Beobachtungsobjekte durch europaweite, hierarchische Strukturen beeinflusst werden, muss die Situation in Schleswig-Holstein im internationalen Kontext betrachtet werden. Letzteres gilt auch für die PFLP. 2.1 Aktivitäten der PKK Die PKK-Anhängerschaft in Schleswig-Holstein beteiligte sich an den jährlichen Großveranstaltungen der PKK-nahen Organisationen in Deutschland: Die alljährliche Großdemonstration zum Jahrestag der Festnahme Öcalans wurde im Berichtsjahr am 17. Februar in Köln abgehalten. Die zentrale Newrozfeier57 in Frankfurt am Main/Hessen am 57 Das kurdische Neujahrsfest Newroz wird von der PKK umgedeutet als Symbol des kurdischen Befreiungskampfes. Es wird von den PKK-nahen Organisationen in Deutschland traditionell mit einer zentralen Großveranstaltung gefeiSeite 174 VIII Extremismus mit Auslandsbezug 23. März mit ca. 35 000 Teilnehmenden und das 32. Internationale Kurdische Kulturfestival am 21. September ebenda mit etwa 20 000 Teilnehmenden zeigten, dass die Mobilisierungsfähigkeit der PKK-Anhängerschaft in Deutschland und dem benachbarten Ausland nicht gesunken ist, und dass nach wie vor lange Busanreisen in Kauf genommen werden. Im Zuge von bundesweiten Protestwellen hielten PKK-Anhängerinnen und -Anhänger in Kiel und Lübeck im gesamten Berichtsjahr zahlreiche Kundgebungen ab, z. B. im Rahmen der PKK-Kampagne "Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage" sowie in Gedenken an die iranische Protestbewegung unter dem Motto"Jin Jiyan Azadi" ("Frau, Leben, Freiheit"), die sich 2022 an dem Tod einer jungen Kurdin im Gewahrsam der iranischen Sittenpolizei entzündet hatte. Auf lokaler Ebene feierte die PKK-Anhängerschaft auch den Geburtstag Öcalans am 4. April und den Jahrestag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der PKK am 15. August im DKTM Kiel58 sowie den Jahrestag der Parteigründung am 1. Dezember in einem Kieler Veranstaltungssaal59. Erneut veranstaltete die PKK-Anhängerschaft im Februar des Berichtsjahres einen zweitägigen "Langen Marsch" durch Kiel; zeitgleich hielten auch die PKK-nahen Jugendorganisationen TCS und TekoJin in vielen anderen Städten Europas "Lange Märsche" mit der Forderung nach Freiheit für Abdullah Öcalan ab. Das Versammlungsgeschehen der PKK-Anhängerschaft in Schleswig-Holstein verlief im Berichtsjahr im Wesentlichen auflagenkonform und friedlich. Lediglich bei einer Versammlung mit Beteiligung von kurdischstämmigen PKK-Sympathisierenden am 27. Juli in Kiel kam es nach verbalen Provokationen durch türkischstämmige Passantinnen und Passanten zu einer Konfrontation, bei der die Polizei die Beteiligten trennen musste. 2.1.1 Finanzierung PKK-naher Organisationen Die PKK finanziert sich durch monatliche Spenden ihrer Anhängerschaft, durch den Verkauf von Publikationen und von Eintrittskarten für Veranstaltungen, in erster Linie aber durch eine jährliche Spendenkampagne. Dabei schätzt die Organisation die jeweilige finanzielle Leistungsfähigkeit und legt im Voraus die Spendensumme für jede kurdisch-stämmige Familie fest. Das Einsammeln der Spenden - in Deutschland jährlich Gesamtsummen im unteren zweistelligen Millionenbereich - verläuft konspirativ, weil sowohl das Einsammeln als auch das Geben von Geldspenden an die PKK verboten und strafbewehrt sind. Gegenüber den potenziellen Spenderinnen und Spendern geben die ert, bei der sich folkloristische Elemente mit politischer Propaganda vermischen. 58 ANF vom 19.08.2024 , https://anfdeutsch.com/aktuelles/15-august-feiern-in-vielen-europaischen-stadten-43294, zuletzt abgerufen am 24.10.2024 59 ANF vom 01.12.2024, https:// firatnews.com/avrupa/46-yil-kutlamalari-seferberlik-ruhuyla-rojava-ya-sahip-cikalim-205827, zuletzt abgerufen am 03.12.2024 Seite 175 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Spendensammelnden häufig an, das Geld sei für die Ausrüstung und den Lebensunterhalt der Guerillatruppen in den Kampfgebieten im Nahen Osten bestimmt. Es wird allerdings auch für die Aufrechterhaltung der PKK-Strukturen in Europa und für die PKK-nahen Medien verwendet. 2.1.2 Reaktionen auf Ereignisse in der Türkei Mit der im Oktober 2023 begonnenen Kampagne "Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage" versuchte die PKK-Anhängerschaft, durch zahlreiche Aktionen in Europa mittelbar Einfluss auf die türkische Regierung zu nehmen. So beteiligten sich vier PKK-Anhängerinnen und -Anhänger aus Lübeck, die sich als Mitglieder des DKTM Kiel zu erkennen gaben, vom 15. bis 19. April in Straßburg/Frankreich an einer Mahnwache im Rahmen dieser Kampagne60. Die Wahlergebnisse pro-kurdischer Kandidatinnen und Kandidaten bei den türkischen Kommunalwahlen am 31. März wurden von kurdisch-stämmigen Personen aus Lübeck mit einem Autokorso gefeiert. Als die türkische Regierung dann in einigen kurdisch dominierten Kommunen die Wahlsieger zunächst nicht anerkannte, protestierte in Kiel die Anhängerschaft der PKK gemeinsam mit der MLKP-Jugendorganisation Young Struggle und bezeichnete dies als "Erdogans Putsch gegen den kurdischen Willen" in der Türkei. Am 23. Oktober des Berichtsjahres setzte in der türkischen Kurdenpolitik eine sehr dynamische Entwicklung ein, die sich aber in Europa zumindest kurzfristig nicht auf das Verhalten der extremistischen Organisationen auswirkte: Überraschend thematisierte der Vorsitzende der rechten Koalitionspartei MHP die Möglichkeit, dass der zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte PKK-Gründer Abdullah Öcalan freikommen könnte, um eine politische Lösung des Kurdenkonflikts zu vermitteln. Eine Bedingung dafür sei aber, dass die PKK ihre Waffen niederlege. Am selben Tag gestatteten die türkischen Behörden nach mehr als drei Jahren kompletter Kontaktsperre erstmals wieder einem Familienangehörigen, Öcalan im Gefängnis zu besuchen. Diesen Kontakt zu Öcalan hatte die PKK-Anhängerschaft seit Jahren eingefordert. In den PKK-nahen Medien berichtete der Besucher, Abdullah Öcalan sei bei guter Gesundheit und verhandlungsbereit für eine politische Lösung der "Kurdenfrage". Ebenfalls am 23. Oktober drangen zwei Attentäter in Ankara/Türkei in ein staatliches Rüstungsunternehmen ein und töteten bzw. verletzten zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die türkische Regierung ordnete den Anschlag der PKK zu und ließ als Vergeltung Luftangriffe auf die kurdisch dominierten Gebiete in Nordsyrien und im Nordirak fliegen, u. a. auch auf die Rückzugsgebiete der PKK-Führung. Am 25. Oktober 60 Yeni Özgür Politika vom 08.04.2024, https://www.ozgurpolitika.com/haberi-3-bin-kisiyle-cpt-onune-187977, zuletzt abgerufen am 03.12.2024 Seite 176 VIII Extremismus mit Auslandsbezug bekannte sich laut Bericht der PKK-nahen Nachrichtenagentur ANF eine Sondereinheit der PKK-Guerilla HPG zu dem Anschlag: "Die Aktion sei von einem autonomen Team der HPG-Sondereinheit "Tabura Nemiran" durchgeführt worden und als "Warnung gegen die genozidale Praxis und Massaker in Kurdistan sowie die Isolationspolitik der türkischen Staatsmacht" zu werten, hieß es am Freitag in einer vom zentralen Hauptquartier der HPG herausgegebenen Mitteilung. Sie sei von langer Hand geplant gewesen und stünde nicht im Zusammenhang mit der aktuellen politischen Debatte um einen möglichen Dialogprozess zwischen dem PKK-Begründer Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung."61 Die PKK-Europaführung KCDK-E und der Dachverband KON-MED riefen zu flächendeckenden Protesten gegen die Bombardierung kurdischer Gebiete mit zivilen Opfern auf. Die PKK-Anhängerschaft in Kiel und das Defend-Kurdistan-Bündnis (s. unten unter 2.1.3) folgten diesem Aufruf mit einer Versammlung am 26. Oktober. Ende Oktober bestätigte der türkische Staatspräsident Erdogan das Angebot, Abdullah Öcalan zu begnadigen, falls sich die PKK von der Gewalt abwende. Gleichzeitig wurden einige türkische Kommunen, denen gewählte kurdisch-stämmige Bürgermeisterinnen und Bürgermeister vorstanden, unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt. Gegen diese Zwangsverwaltung formierten sich auch in Deutschland Proteste, bei denen sich die PKK-Anhängerschaft mit nicht-extremistischen türkischen Oppositionsgruppen verbündete. Der hochrangige PKK-Führungsfunktionär Murat Karayilan bezweifelte in mehreren Presseerklärungen die Ernsthaftigkeit der Regierungsangebote und beharrte auf dem Fortbestand der bewaffneten Miliz: "Solange die Identitätsrechte des kurdischen Volkes nicht anerkannt werden, ist es nicht möglich, die Guerilla aus dem Spiel zu nehmen. Die Guerilla ist die Willenskraft des kurdischen Volkes. Sie ist die strategische Kraft des Freiheitskampfes. Die Guerilla ist die einzige Garantie gegen die Angriffe auf unser Volk in allen Teilen Kurdistans."62 Eine lang geplante Großdemonstration in Köln am 16. November, die den Abschluss der PKK-Kampagne "Freiheit für Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage" bilden sollte, wurde von weniger als 10 000 Personen besucht. In dem Demonstrationszug wurde auch ein Transparent gezeigt, das die Attentäter vom 23. Oktober glorifizierte. Die PKK-Anhängerschaft aus Schleswig-Holstein reiste mit mehreren Reisebussen zu der Versammlung an. 61 ANF vom 25.10.2024, https://anfdeutsch.com/kurdistan/hpg-bekennen-sich-zu-angriff-in-ankara-44031, zuletzt abgerufen am 25.10.2024 62 ANFdeutsch vom 30.11.2024, https://anfdeutsch.com/hintergrund/karayilan-die-guerilla-hat-eine-mission-44437, zuletzt abgerufen am 03.12.2024 Seite 177 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Am 27. Dezember durfte erstmals seit rund 10 Jahren eine Delegation der pro-kurdischen DEM-Partei Öcalan im Gefängnis zu einem mehrstündigen Gespräch besuchen. In der Folge führten die Delegationsmitglieder weitere Gespräche mit wichtigen Akteuren der türkischen Politik. Die DEM-Partei äußerte die vorsichtige Hoffnung auf "eine neue Ära" für die demokratische Lösung der Kurdenfrage. Die PKK-Anhängerschaft in Europa, auch in Schleswig-Holstein, zeigte jedoch keine augenfällige Reaktion. In den PKK-nahen Medien wurden unverändert der Stellenwert und die militärischen Erfolge der Guerilla glorifiziert. 2.1.3 Wirken der PKK in die deutsche Öffentlichkeit, Rekrutierung Vom 3. bis 8. September des Berichtsjahres veranstaltete das linksextremistisch beeinflusste Bündnis Rheinmetall Entwaffnen (im Folgenden: RME) ein "antimilitaristisches" Protestcamp auf dem Gelände des Volksparks Gaarden (im Volksmund: Werftpark) in Kiel. Nach den Planungen von RME sollten sich Demonstrationen und direkte Aktionen gegen Bundeswehrstandorte sowie Rüstungsproduzenten und deren Zulieferunternehmen in Kiel und Umgebung richten. In einem Communique63 bekannte sich RME zur PKK: "Inmitten des Leids, des Todes und der Zerstörung, die die negative Maschine des globalen Kapitalismus produziert, zeigt uns die PKK, dass es ein Prinzip des Lebens, der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe gibt, das bedingungslos ist. Es basiert nicht auf Parametern von Ethnizität und Herkunft und seine Logik liegt nicht darin begründet, Macht zu erhalten oder Einfluss auszubauen, sondern darin, menschlich zu sein und zu bleiben, auch wenn die Welt über uns einstürzt. [...] Nieder mit dem deutschen Imperialismus! Es lebe Kurdistan!" Bereits weit im Voraus warben PKK-nahe Medien für eine Beteiligung an dem Camp, weil Rüstungsgüter aus Deutschland auch in die Türkei exportiert und von den türkischen Streitkräften gegen Kurdinnen und Kurden eingesetzt würden. In den Demonstrationszügen, die am 6. und am 7. September von dem RME-Camp ausgingen, vermischten sich Parolen der "Kurdistansolidarität" mit Solidaritätsbekundungen für den palästinensischen Kampf gegen Israel. Kurdischstämmige PKK-Anhängerinnen und -Anhänger beteiligten sich an den Versammlungen ebenso wie autochthone deutsche "Internationalistinnen" und "Internationalisten" und pro-palästinensische Akteure. In den Aufzügen wurden Symbole aus dem Organisationsgeflecht der PKK, z. B. Fahnen der TJK-E und der YPG, neben Fahnen und Transparenten der MLKP-Jugendorganisationen 63 https://rheinmetallentwaffnen.noblogs.org/post/2024/08/14/communique-von-rheinmetall-entwaffnen-stoppt-den-krieg-in-rojava/ vom 14.08.2024, zuletzt abgerufen am 25.102024 Seite 178 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Young Struggle und zahlreicher unterschiedlicher linksextremistischer Organisationen wie DKP, SDAJ, Kommunistischer Aufbau, Antifa, IL und palästinensischen Fahnen gezeigt. Das RME-Camp bot der PKK-Anhängerschaft die Möglichkeit, sich mit den zahlreichen unterschiedlichen Akteuren des linken Spektrums intensiv zu vernetzen. Die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF berichtete täglich ausführlich über Aktivitäten und Ziele des RME-Camps. zusammengesetztes PKK-Symbol, getragen von Teilnehmenden der Abschlussdemonstration des RME-Camps am 07.09.2024 in Kiel64 Am 27. Oktober richteten deutsche und kurdische Angehörige eines so genannten Defend-Kurdistan-Bündnisses erneut gemeinsam eine Gedenkveranstaltung für einen jungen deutschen Kieler aus, der als Guerillakämpfer der HPG am 16. Oktober 2019 bei einem türkischen Luftangriff in Syrien getötet wurde. Für diese Veranstaltung warb u. a. das Bündnis Rheinmetall Entwaffnen in den sozialen Netzwerken. Bei "Defend Kurdistan" handelt es sich nach eigener Darstellung um ein "internationalistisches Netzwerk in Solidarität mit Freiheitskämpfen in Kurdistan"65: "Das Solidaritätsnetzwerk Defend Kurdistan Entstand Nach Einer Erfolgreichen Friedensdelegationsreise Nach Südkurdistan Unter Dem Namen Defend Kurdistan Im Jahr 2021. Im Jahr 2022 Haben Wir Beschlossen, Defend Kurdistan Zu Einem Netzwerk Der Kurdistan-Solidaritätsbewegung Zu Entwickeln, Die In Deutschland Eine Jahrzehntelange Tradition Hat. Das Netzwerk Bezieht Seine Stärke Aus Einer Basis Von Lokalen Solidaritätskomitees, Bündnissen Und Plattformen." [Schreibweise im Original] 64 Quelle: https://kurdistansolikiel.noblogs.org; zuletzt abgerufen am 25.10.2024 65 https://defend-kurdistan.com/ueber-uns/ zuletzt abgerufen am 16.01.2025 Seite 179 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Im Internet bekennt sich "Defend Kurdistan" zur Ideologie des PKK-Gründers Abdullah Öcalan, mobilisiert für PKK-nahe Demonstrationen und stellt den Kampf der PKK-Guerillatruppen ausführlich positiv dar. Bei ihrer Rekrutierung für die Guerillatruppen zielt die PKK inzwischen vermehrt auf junge Menschen ohne ethnischen kurdischen Hintergrund ab. Die PKK-Jugendzeitschrift Sterka Ciwan (deutsch: "Stern der Jugend") veröffentlichte im April des Berichtsjahres einen Aufruf an deutschsprachige junge Frauen, sich der PKK-Guerilla anzuschließen oder mit militanten Aktionen ("Verbrennt ihre Autos") "überall, wo es Faschismus und Faschisten gibt", tätig zu werden: "Jede Aktion ist wichtig, allerdings ist die wichtigste Aktion der Beitritt in die Reihen der Freiheitsguerilla."66 2.2 Aktivitäten der Ülkücü-Bewegung Für die in Vereinen organisierte Ülkücü-Szene ist ein aktives Vereinsleben von zentraler Bedeutung. Gemeinsame und öffentliche Aktivitäten dienen dazu, die Mitglieder auch weiterhin an den Verein zu binden und attraktiv für potenzielle neue Mitglieder zu wirken. Öffentliche Veranstaltungen sind für die Vereine unter anderem notwendig, um Spendengelder zu generieren. Ein für den in Kiel ansässigen Verein jährlich stattfindendes Ereignis ist beispielsweise der "Türkische Tag", welcher auch im Berichtsjahr wieder im Kieler Werftpark ausgerichtet wurde. Hierbei handelt es sich um ein großes, allgemein wahrnehmbares Fest mit kulturellen und politischen Darbietungen. Aufgrund der öffentlichen Wahrnehmbarkeit nehmen immer wieder Personen teil, welche nicht zur klassischen Ülkücü-Klientel gehören. Als Gäste waren Vertreter von anderen Ülkücü-Vereinen sowie die Türkische Generalkonsulin aus Hamburg vor Ort. Solche Veranstaltungen sind eine Möglichkeit, die eigene Ideologie in einer harmlos wirkenden Form einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine weitere zum Teil öffentliche Veranstaltung wurde vom örtlichen Verein in Lübeck in Form eines Konzertes organisiert, an welchem mehrere Hundert Personen teilnahmen. Der in Neumünster beheimatete Ortsverein der seit 2022 kein Vereinslokal hat, konnte auch im Berichtsjahr keine neuen Räume zur eigenen Nutzung generieren. Da die in Kiel, Lübeck und Neumünster bestehenden Vereine allesamt dem Dachverband ADÜTDF angehören, bleibt der Neumünsteraner Verein auch ohne eigene Räumlichkeiten in die bundesweiten Strukturen eingebunden. 66 Sterka Ciwan, Ausgabe April 2024, S. 15 f., "Dem Faschismus keine Chance geben!". Bei der YJA-STAR handelt es sich um die Fraueneinheit der PKK-Guerilla. Seite 180 VIII Extremismus mit Auslandsbezug 2.3 Aktivitäten der MLKP Im Berichtsjahr entfalteten die MLKP-Anhängerinnen und -Anhänger ihre üblichen Aktivitäten, wie einerseits die Teilnahme an Demonstrationen mit Themen, welche durchaus eine gesellschaftliche Akzeptanz erfahren, sowie andererseits die Organisation von internen Veranstaltungen. So organisierte die MLKP auch im Berichtsjahr mehrere interne Veranstaltungen, bei denen unter anderem der gefallenen Kämpferinnen und Kämpfer der Partei gedacht wurde oder für die Freilassung von in der Türkei inhaftierten Aktivisten geworben wurde. Für alle Teilund Nebenorganisationen der MLKP ist die Märtyrerverehrung elementarer Bestandteil der Ideologie. Hierbei zeigt sich immer wieder, dass der bewaffnete Kampf für die Mitglieder einen erheblichen Stellenwert hat. Die im Vorjahr erstmalig öffentliche wahrnehmbare Jugendgruppe Young Struggle zeigte im Berichtsjahr insbesondere Interesse an dem Rheinmetall Entwaffnen-Camp in Kiel (siehe auch Ziffer 2.1.3). So wurde im Voraus und im Verlauf des Camps intensiv für eine Teilnahme daran geworben. Auch im Zuge der organisierten Demonstrationen war Young Struggle durch Fahnen und Transparente präsent. Der Frauenverband SKB organisierte im Berichtsjahr eine interne Veranstaltung zum Internationalen Frauentag am 8. März, um insbesondere auf die Situation von Frauen in der Türkei aufmerksam zu machen. Bei einer Betrachtung der Aktionen der MLKP sowie ihrer Vorfeldund Nebenorganisationen zeigt sich, dass bestimmte Themen, welche unverfänglich erscheinen, öffentlich präsent gemacht werden und andere Themen eher in internen Veranstaltungen thematisiert werden. So richteten sich beispielsweise Veranstaltungen für LGBTIQ-Rechte oder das Gedenken an die Opfer eines Terroranschlags aus dem Jahr 2015 in Suruc/Türkei an die breite Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite organisierte die MLKP rein interne Veranstaltungen zur Feier des 30jährigen bewaffneten Kampfes der MLKP in der Türkei oder zur Unterstützung von inhaftierten MLKP-Mitgliedern. Die MLKP sowie ihre Jugendorganisation Young Struggle entfalten ihre Aktivitäten in Schleswig-Holstein konstant und mit einem regionalen Schwerpunkt auf dem Großraum Kiel. 2.4 Reaktionen aus dem säkularen auslandsbezogenen Extremismus auf internationale Konflikte Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine reagierte die PKK kaum und vermied eine einseitige Parteinahme. Auch aus der türkisch-rechtsextremistischen Szene in Schleswig-Holstein waren im Berichtszeitraum in diesem Kontext keine nennenswerten Reaktionen zu beobachten. Abgesehen von der Beteiligung an eindeutig pro-palästinensisch ausgerichteten Aufzügen im Rahmen des RME-Camps bezog die PKK-Anhängerschaft in Schleswig-Holstein in ihren Versammlungen im Berichtsjahr keine Stellung zum Nahostkonflikt. Seite 181 VIII Extremismus mit Auslandsbezug Ende November des Berichtsjahres nahmen überraschend islamistische Milizen der islamistischen Organisation Hai'at Tahrir Ash-Sham (Komitee zur Befreiung der Levante - HTS) die syrische Großstadt Aleppo ein und rückten damit nah an kurdisch dominierte Siedlungsgebiete heran. Die PKK machte den türkischen Staat für das Erstarken dieser islamistischen Milizen verantwortlich und äußerte die Befürchtung, dass die HTS mit Unterstützung der Türkei auch die kurdisch dominierten Siedlungsgebiete in Nordund Ostsyrien ("Rojava") erobern könnte. Die Europaführung der PKK rief ihre Anhängerschaft zu einer Protestwelle auf67. In Kiel, wie in anderen deutschen Großstädten, demonstrierte daraufhin die lokale PKK-Anhängerschaft mehrfach gegen eine mögliche türkische oder islamistische Besatzung Rojavas. Am 8. Dezember eroberte die HTS die syrische Hauptstadt Damaskus, stürzte das Assad-Regime und übernahm die Regierungsverantwortung in Syrien. Der Regimewechsel beeinflusste auch die Nahostpolitik von Russland und den USA, die jeweils seit der Zeit des syrischen Bürgerkrieges noch militärische Präsenz in Syrien unterhielten. Vor dem Hintergrund dieser grundlegend veränderten internationalen Rahmenbedingungen meldeten die PKK und ihre syrische Zweigorganisation PYD den Anspruch an, an der politischen Neuordnung Syriens mitzuwirken: "Sie [die HTS] haben mitgeteilt, dass sie die Kurden nicht angreifen würden. Bisher haben sie dieses Versprechen auch gehalten. Auf der anderen Seite greifen uns die von der Türkei kontrollierten Gruppen ständig an. Laut den jüngsten Erklärungen der HTS sollen alle bewaffneten Kräfte in Syrien zusammengeschlossen werden. Wir lehnen das nicht völlig ab. Wir wollen auch nicht, dass Syrien zerfällt. [...] Wir können uns mit [dem HTS-Anführer] Dscholani einigen, wenn die Türkei ihre Finger von Syrien nimmt und ihre Spaltungsversuche einstellt."68 Für die Sicherheitslage in Deutschland bleibt es auf jeden Fall relevant, dass jegliche Bedrohung der Gebietsoder Machtverhältnisse in Rojava geeignet ist, intensive Protestwellen seitens der PKK-Anhängerschaft und solidarischer linker Kreise, z. B. von Defend Kurdistan, in Europa auszulösen. 67 ANFdeutsch, 01.12.2024, https://anfdeutsch.com/aktuelles/kcdke-e-im-geist-von-kobane-rojava-verteidigen-44460; zuletzt abgerufen am 03.12.2024 68 ANFdeutsch, 25.12.2024, https://anfdeutsch.com/rojava-syrien/-44783; wörtliches Zitat des PYD-Vertreters Salih Muslim aus dem ANF-Artikel "Salih Muslim: 'Wir sind Teil Syriens und wollen Teil der Lösung sein" Seite 182 VIII Extremismus mit Auslandsbezug 3 Mitgliederentwicklung Mitgliederentwicklung im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug in Schleswig-Holstein 2020-2024 2020 2021 2022 2023 2024 Linksextremistische Personen kurdischer 700 700 700 700 700 Volkszugehörigkeit Linksextremistische Personen türkischer 15 15 15 15 15 Volkszugehörigkeit Rechtsextremistische Personen türkischer 400 400 400 400 400 Volkszugehörigkeit Gesamt 1 115 1 115 1 115 1 115 1 115 Seite 183 Seite 184 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Seite 185 Seite 186 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr 1 Überblick Ausländische Nachrichtendienste betreiben mit hohem organisatorischem und finanziellem Aufwand Spionage und Sabotage in Deutschland, denn das politisch gut vernetzte, wissenschaftsund wirtschaftsstarke Deutschland ist ein wichtiges Aufklärungsziel. Die Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein geht aufgrund ihres gesetzlichen Auftrages gemäß SS 5 Abs. 1 Nr. 2 LVerfSchG jedem Spionageverdacht nach, unabhängig, von welchem Staat er ausgeht. Alle sachund personenbezogenen Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes werden gesammelt und ausgewertet. Hierbei arbeitet der schleswig-holsteinische Verfassungsschutz in länderübergreifenden Fällen mit dem Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz, sowie der Wirtschaft zusammen. Regelmäßiger Austausch und Vernetzung gewährleisten eine koordinierte und professionelle Aufgabenerfüllung. Die schleswig-holsteinische Spionageabwehr ist in folgende Fachbereiche gegliedert und stellt dadurch eine zielgerichtete Bearbeitung ihrer umfangreichen Aufgaben sicher: * Spionageabwehr * Proliferationsbekämpfung * Wirtschaftsschutz * Cyberabwehr. Die Intervention ausländischer Staaten in Deutschland zur Beeinflussung und illegitimen Durchsetzung ihrer Interessen unterhalb der Schwelle einer offenen militärischen Auseinandersetzung wird als hybride Kriegsführung bezeichnet oder insgesamt auch unter dem Begriff der hybriden Bedrohung zusammengefasst. Dabei kommen unterschiedlichste Taktiken zum Einsatz, wie zum Beispiel Desinformationskampagnen und Cyberangriffe. Auch eine Verunsicherung der Öffentlichkeit z.B. durch Drohnenüberflüge über kritischen Infrastrukturen kann Teil einer gezielten hybriden Bedrohung sein. Die Beobachtung und das Berichten über entsprechende Aktivitäten ist Teil der gemeinsamen Bearbeitung dieses komplexen Themengebietes durch deutsche Sicherheitsbehörden. Insbesondere im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat dieses Arbeitsfeld besondere Bedeutung gewonnen (siehe 2.). Die Spionageabwehr Schleswig-Holsteins bearbeitet außerdem das Thema der Proliferationsbekämpfung. Ziel ist die Aufklärung und Verhinderung von Versuchen sogenannter Risikoländer, Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) und deren Trägersysteme zu Seite 187 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr beschaffen. Produkten, welche sowohl zivil, als auch militärisch nutzbar sind, kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu (sog. Dual-Use Güter), da diese vermeintlich einfacher zu beschaffen sind. Aber auch wissenschaftlicher Fortschritt auf anderen Gebieten ist ein begehrtes Aufklärungsziel. Staaten wie der Iran, Nordkorea, Pakistan, Syrien, Russland und China bemühen sich nach wie vor, entsprechende Produkte, Technologien und wissenschaftliches Know-how zu erlangen. Um Angriffspunkten wie dem Know-how-Transfer mittels Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern oder der Umgehung von Exportkontrollen entgegenzuwirken, tragen die Verfassungsschutzbehörden mit einem Paket an unterschiedlichen Maßnahmen dazu bei, derartige Beschaffungsaktivitäten aufzuklären und zu verhindern (siehe 3.). Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der Spionageabwehr in Schleswig-Holstein ist der Wirtschaftsschutz. Eine der Hauptaufgaben in diesem Tätigkeitsfeld ist es, hiesige Unternehmen vor geheimen, illegalen Informationsabflüssen, Manipulationen und Sabotage durch Extremisten oder ausländische Dienste zu bewahren. Präventiv informiert und sensibilisiert der Fachbereich Wirtschaftsschutz die Unternehmen über die zahlreichen Angriffsmöglichkeiten und Methoden der Angreifer. Zur Erstellung von entsprechenden Hinweisen und Handlungsempfehlungen werden aktuelle Entwicklungen und neue Tendenzen fortlaufend beobachtet und ausgewertet. Das Präventionsangebot umfasst die Organisation und Durchführung öffentlicher Veranstaltungen zum Thema Wirtschaftsschutz, Gastbeiträge auf Sicherheitskonferenzen bis hin zu Einzelgesprächen mit den Unternehmen. Der Fachbereich Wirtschaftsschutz ist durch regelmäßigen Austausch und Informationsangebote an die Wirtschaft ein gut vernetzter Ansprechpartner (siehe 4.). Cyberspionage und -sabotage stellen eine besondere Herausforderung im Arbeitsfeld der Spionageabwehr dar. Entsprechende Aktivitäten gehören zum Standardwerkzeug zahlreicher Nachrichtendienste. Auch im Berichtsjahr war wieder eine Zunahme der Bedrohungen im Cyberraum zu beobachten. Dazu trugen auch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine bei. Die Überprüfung von Hinweisen zu möglichen elektronischen Angriffen und insbesondere die Sensibilisierung von gefährdeten Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen in Schleswig-Holstein sind wichtige Aufgaben der Cyberabwehr (siehe 5.). Insgesamt unterstützt der Schleswig-Holsteinische Verfassungsschutz in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder die schleswig-holsteinischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Behörden und Verbände präventiv durch Aufklärung und Information und leistet so einen Beitrag zum Schutz der heimischen Wirtschaft und der inneren Sicherheit. Der fortlaufende Kontakt und Austausch mit Ansprechpartnern aus Behörden, Wirtschaft, Forschung und Militär gewährleistet Seite 188 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr eine effektive und bedarfsorientierte Aufgabenerfüllung und ist ein stetiges Anliegen der schleswig-holsteinischen Spionageabwehr (siehe 6.). 2 Spionageabwehr Aufgabe der Spionageabwehr ist es, Aktivitäten ausländischer Geheimdienste auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zu identifizieren, deren Methoden zu verstehen und geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Ein wichtiger Baustein, gegen die Bundesrepublik gerichtete ausländische nachrichtendienstliche Operationen zu verhindern, ist, Verschlusssachen, sensible Einrichtungen und Informationen gegen Spionage und Sabotage, aber auch gegen andere nachrichtendienstliche Bedrohungen zu schützen. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit erheblichen und komplexen Bedrohungen durch aggressiv operierende ausländische Geheimdienste - darunter Russland, die Volksrepublik China, der Iran und Nordkorea - konfrontiert. Darüber hinaus beteiligen sich auch andere ausländische staatliche und nichtstaatliche Akteure aktiv daran, der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Bevölkerung und ihren Institutionen zu schaden. Aufgrund der geopolitischen Entwicklungen ist die Spionageabwehr ein dynamisches und sich ständig wandelndes Feld. Gesellschaftliche und technologische Veränderungen erfordern es, sich methodisch anzupassen, um den fortentwickelten Spionageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste entgegentreten zu können. Auch die hergebrachten Spionagemethoden dienen ausländischen Nachrichtendiensten als nützliche und hilfreiche Informationsquellen. Dazu zählen der Einsatz von Agenten als menschliche Quellen, das Einschleusen von Spionen in sensible und schützenswerte Organisationen oder der Einsatz von technischen Maßnahmen wie Cyberangriffen. Die neuen globalen Bedrohungen, z. B. hybride Kriegsführung, haben deutlich gemacht, wie wichtig eine starke Vernetzung zwischen dem militärischen Bereich, den Strafverfolgungsbehörden, den Nachrichtendiensten und der Polizei ist. Hybride Kriegsführung Ist eine breite, komplexe und anpassungsfähige Kombination konventioneller und nicht-konventioneller Mittel sowie offener und verdeckter militärischer, paramilitärischer und ziviler Maßnahmen. Potentielle Spionageziele können bereits präventive Maßnahmen ergreifen, um potenzielle Bedrohungen und Angriffe ausländischer Nachrichtendienste frühzeitig zu erkennen und zu verhindern, bevor sie Schaden anrichten können. Diese zentralen Aspekte der proaktiven Spionageabwehr können sein: Seite 189 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Risikobewertung: Im ersten Schritt ist eine gründliche Analyse der Bedrohungen und möglicher Schwachstellen erforderlich. Organisationen sollten regelmäßig ihre Sicherheitslage bewerten und potenzielle Angreifer sowie deren Methoden identifizieren. Schulung und Sensibilisierung: Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Sicherheitsfragen, um verdächtige Aktivitäten zu erkennen und zu melden. Ein starkes Sicherheitsbewusstsein innerhalb der Organisation kann dazu beitragen, InsiderBedrohungen und unabsichtliche Leaks zu minimieren. Technologische Maßnahmen: Der Einsatz moderner Technologien, wie z.B. IDS-Systeme (Intrusion Detection Systeme), Firewalls und Verschlüsselung, kann helfen, unbefugten Zugriff auf sensible Informationen zu erschweren und zu verhindern. Überwachung und Analyse: Kontinuierliche Überwachung von Netzwerken und Kommunikationskanälen ermöglicht es, Anomalien frühzeitig zu erkennen. Die Analyse von Daten kann helfen, Muster zu identifizieren, die auf mögliche Spionageaktivitäten hindeuten. Zusammenarbeit und Informationsaustausch: Der Austausch von Informationen über Bedrohungen und Sicherheitspraktiken mit anderen Organisationen und Behörden kann die Effektivität der Spionageabwehr erhöhen. Notfallpläne Die Entwicklung, Erprobung und regelmäßige Evaluierung von Notfallplänen ist entscheidend, um im Falle eines Sicherheitsvorfalls schnell und effektiv reagieren zu können. Für den Verfassungsschutzverbund spielt die nationale, aber auch die internationale Zusammenarbeit eine wesentliche Rolle, da viele Bedrohungen grenzüberschreitend sind. Der frühzeitige Austausch von Informationen und Best Practices im Verbund und mit befreundeten ausländischen Partnerdiensten hilft, potenzielle Risiken frühzeitig zu erkennen und gemeinsame sowie hilfreiche Gegenmaßnahmen zu initiieren. Seite 190 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr 2.1 Drohnenüberflüge über dem Truppenübungsplatz Putlos (Kreis Ostholstein) In den letzten Jahren ist die technologische Entwicklung von Drohnen insbesondere in Bereichen wie Miniaturisierung, Sensorik, Einsatz von Künstlicher Intelligenz und Batterietechnologie stark vorangeschritten. Drohnen sind leistungsfähiger, vielseitiger einsetzbar und kostengünstiger geworden. Auch ausländische Nachrichtendienste nutzen zunehmend Drohnen für Spionageund Sabotagezwecke. Drohnen bieten eine kostengünstige und effektive Möglichkeit, Informationen zu sammeln, Überwachungen durchzuführen und sogar gezielte Angriffe auszuführen, ohne dass menschliche Agenten direkt involviert sind. So können schwer zugängliche Gebiete überwacht und sensible Informationen erfasst werden. Die Entwicklung und der Einsatz solcher Technologien bergen daher große Gefahren für die Sicherheit von schützenswerten Einrichtungen auch auf schleswig-holsteinischem Territorium. Mit den zahlreichen Vorteilen geht auch eine Vielzahl an Risiken einher: Drohnen können unbemerkt in sensiblen Luftraum gelangen, z. B. über kritischen Infrastrukturen wie Wasserund Energieversorgern, Kommunikationsnetzen, aber auch Verkehrssystemen, die für das Funktionieren der Infrastruktur unerlässlich sind. Für die Spionageabwehr ist dies zunehmend ein relevantes Thema, insbesondere im Kontext von möglichen Spionageund Sabotageaktivitäten. Der seit Februar 2022 andauernde Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stellt auch Deutschland immer wieder vor neue Aufgaben und Herausforderungen. Als Zeichen der Solidarität und der Unterstützung liefert Deutschland nicht nur Waffen in die Ukraine, sondern bildet hierzulande auch deren Soldatinnen und Soldaten an westlichen Waffensystemen aus. Seit Ausbruch des Krieges werden auf dem Truppenübungsplatz im schleswig-holsteinischen Putlos zahlreiche Angehörige der ukrainischen Armee ausund fortgebildet. Seit Bekanntwerden wurden am Standort in Putlos eine Reihe von Drohnenüberflügen unbekannter Herkunft registriert. Es steht zu vermuten, dass russische Nachrichtendienste diese Technik für Ausspähungsaktivitäten auf dem Truppenübungsplatz genutzt haben. Darüber hinaus könnten die Drohnenüberflüge dazu gedient haben, die Mobilfunkdaten der Ukrainerinnen und Ukrainer auszuspähen. Ähnlich gelagerte Sachverhalte wurden außerdem auf Truppenübungsplätzen in anderen Bundesländern (Rheinland-Pfalz und Bayern) festgestellt. Auch dort hielten sich Angehörige der ukrainischen Armee zu Ausbildungsmaßnahmen auf. Seite 191 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr 2.2 Drohnenüberflüge über dem ChemCoast Park in Brunsbüttel (Kreis Dithmarschen) Im August des Berichtsjahres wurden vermehrt Drohnenüberflüge unbekannter Herkunft über dem Industrieareal ChemCoast Park Brunsbüttel festgestellt. Die Drohnen flogen mit hoher Geschwindigkeit und in großer Höhe über die Anlagen kritischer Infrastruktur, darunter ein Kernkraftwerk und ein LNG-Terminal. Bei den Überflügen konnten frei im Handel erhältliche Drohnen aber auch sogenannte Starrflügler identifiziert werden. Ob diese Drohnenüberflüge Russland zuzuschreiben sind, ist derzeit ungeklärt. Denkbare Absichten könnten sein, wichtige Informationen über Deutschlands Fähigkeit zur Drohnenabwehr oder zu möglicherweise vorhandenen Schwachstellen zu erlangen. Der Einsatz von Drohnen kann auch Verunsicherung und Besorgnis innerhalb der Bevölkerung hervorrufen, dass unsere kritischen Infrastrukturen nicht ausreichend geschützt sein könnten. Die Staatsanwaltschaft Flensburg hat deshalb Ermittlungen wegen des Verdachts der Agententätigkeit zu Spionageund Sabotagezwecken eingeleitet. Diese Vorkommnisse führen zu verstärkten Sicherheitsmaßnahmen an Flughäfen, Hafenanlagen sowie an weiteren lebenswichtigen Einrichtungen. Regierungen und Unternehmen erarbeiten entsprechende Sicherheitslösungen, die von der Entwicklung von Abwehrsystemen bis hin zu gesetzlichen Regelungen reichen. 3 Proliferationsbekämpfung Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, so genannte ABC - Waffen (atomare, biologische, chemische Waffen) bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows sowie von entsprechenden Waffenträgersystemen. Die Proliferationsbekämpfung umfasst Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es hierbei, Aktivitäten, die mit der Proliferation in Verbindung stehen könnten, zu überprüfen. Solche Aktivitäten können Beschaffungsbemühungen fremder Staaten für entsprechende sensitive Güter sein. Aber auch die Finanzierung solcher Beschaffungsgeschäfte ist ein wesentlicher Bestandteil der Proliferationsaktivitäten. Proliferateure nutzen häufig Schwachstellen (Rechtslücken, komplexe Unternehmensstrukturen, falsche Dokumentationen, Einsatz von Kryptowährungen) aus, um Gelder zu beschaffen und zu verschieben und finanzielle Seite 192 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Transaktionen durchzuführen. Geeignete präventive Maßnahmen von Finanzbehörden, u. a. die stärkere Überwachung von Finanzströmen, Datenanalyse und Risikobewertung erschweren es den Proliferateuren, Gelder zu beschaffen und zu verschieben, wodurch die Kapazität der Proliferationsnetzwerke verringert wird. Gerade finanzielle Informationen liefern eine Vorwarnung vor Versuchen, sensible Güter und Materialien illegal zu transferieren. Auf der Grundlage von Meldungen verdächtiger Transaktionen durch Finanzinstitute können Transporte entdeckt und unterbunden werden. Jede Warenbewegung ist an eine Finanztransaktion gekoppelt. Entsprechende Finanzermittlungen können somit die Geldströme verfolgen, um hinter die Erklärungen zu schauen, Proliferationsnetzwerke zu analysieren und Vermittler zu identifizieren. Diese gewonnenen Informationen helfen den Verfassungsschutzbehörden bei der Aufdeckung und Enttarnung von entsprechenden Beschaffungsnetzwerken. Auch Unternehmen aus Schleswig-Holstein dürften im Fokus von Proliferationsnetzwerken stehen, insbesondere aufgrund ihrer technologischen Expertise und der Verfügbarkeit von Dual-Use Gütern (Produkte, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke verwendet werden können). Schleswig-Holstein ist bekannt für seine fortschrittlichen Technologien in Bereichen wie Maschinenbau, erneuerbarer Energien, Maritimer Wirtschaft und der Rüstungsindustrie. Diese Technologien können potenziell für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen oder deren Trägersystemen genutzt werden. Um sich vor diesen Risiken zu schützen, sollten deutsche Unternehmen proaktive Maßnahmen ergreifen, einschließlich der Implementierung robuster Compliance-Programme, Schulungen zur Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sorgfältiger Überprüfung von Geschäftspartnern und Lieferketten. Oftmals werden die wahren proliferationsrelevanten Absichten ihrer Geschäftspartner verschleiert, so dass die Gefahr besteht, sich strafbar zu machen, wenn Lieferverträge abgeschlossen werden. Der Fachbereich der Spionageabwehr des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes unterstützt die heimischen Industrieunternehmen dabei, das notwendige Problembewusstsein zu schärfen und mögliche Risiken zu minimieren. 3.1 Gastwissenschaftler Die Zusammenarbeit mit Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern aus sensitiven Staaten wie Iran, Syrien, Pakistan, Nordkorea und China kann für Forschungseinrichtungen und wissenschaftliche Institutionen verschiedene Risiken mit sich bringen. Diese Risiken sind insbesondere relevant, wenn es um Forschung in Bereichen geht, die potenziell für militärische Anwendungen oder die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen genutzt werden können. Dabei können die nachfolgend aufgeführten Aspekte für Forschungseinrichtungen und wissenschaftliche Institutionen gefahrenträchtig sein: Seite 193 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Know-how-Transfer/Spionagegefahr: Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler könnten versuchen, vertrauliche Informationen oder schützenswerte Technologien zu stehlen, die für ihre Herkunftsländer von strategischem Interesse sind. Dies könnte insbesondere die Bereiche Technologie, Verteidigung und Biowissenschaften betreffen. Missbrauch von Forschungsergebnissen Ergebnisse aus Forschungsprojekten könnten in Produkten oder Entwicklungen verwendet werden, die z.B. gegen internationale Abkommen zur Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen verstoßen. Sicherheitsrisiken: Die Anwesenheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Ländern mit fragwürdigen Menschenrechtspraktiken oder militärischen Expansionsambitionen kann Sicherheitsbedenken aufwerfen, sowohl für die Institution als auch für andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Rechtliche und regulatorische Herausforderungen: In der Zusammenarbeit mit Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftlern aus sensitiven Ländern (Nordkorea, Iran, Syrien, Pakistan und China) sind rechtliche Regularien zu beachten, insbesondere im Hinblick auf Exportkontrollen und nationale Sicherheitsvorschriften. Rufschädigung: Sollte eine Forschungseinrichtung oder eine wissenschaftliche Institution in einen Skandal verwickelt werden, der mit der Zusammenarbeit mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus sensiblen Staaten zusammenhängt, könnte dies das Ansehen der Institution erheblich schädigen und zu einem Verlust des Vertrauens bei Partnern und Förderern führen. Um diese Risiken zu minimieren, sollten Forschungseinrichtungen oder wissenschaftliche Institutionen strenge Auswahlkriterien für Gastwissenschaftlerinnen oder Gastwissenschaftler festlegen, umfassende Hintergrundprüfungen durchführen, sowie klare Richtlinien für den Umgang mit sensiblen Technologien und Informationen implementieren. Zudem ist es wichtig, Schulungen zur Sensibilisierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anzubieten und ein Bewusstsein für damit einhergehende Gefahren zu schaffen. Seite 194 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr 3.2 Grundlagenforschung Auch die wissenschaftliche Grundlagenforschung, die oft in Bereichen wie Physik, Chemie, Biologie und Ingenieurwissenschaften durchgeführt wird, kann ein Ziel für Spionageaktivitäten sein, denn gerade Grundlagenforschung kann zu Entdeckungen führen, die für Unternehmen oder Staaten von strategischem Interesse sind. Viele Ergebnisse aus der Grundlagenforschung können sowohl für zivile als auch für militärische Anwendungen genutzt werden. Dies macht sie besonders attraktiv für Akteure, die an militärischen Technologien interessiert sind. Die globale Anwendbarkeit wissenschaftlicher Forschungsergebnisse führt oft zu Kooperationen zwischen Institutionen aus verschiedenen Ländern. Dies kann das Risiko erhöhen, dass sensible Informationen in Länder gelangen, die möglicherweise nicht die gleichen ethischen Standards oder Sicherheitsvorkehrungen haben. Gastwissenschaftlerinnen und Gastwissenschaftler oder Forscherinnen und Forscher aus sensitiven Staaten mit weniger strengen Exportkontrollen könnten versuchen, Zugang zu sensiblen Daten oder Technologien zu erhalten, um diese für eigene Zwecke zu nutzen. Dies kann auch durch Cyberangriffe geschehen, bei denen versucht wird, vertrauliche Daten zu stehlen. Diese Angriffe können sowohl von staatlichen Akteuren als auch kriminellen Organisationen ausgehen. In vielen Fällen sind Forscherinnen und Forscher möglicherweise nicht ausreichend über die Risiken informiert oder geschult, was dazu führen kann, dass sie unbewusst sensible Informationen preisgeben oder unsichere Praktiken anwenden. Um das Risiko von Spionage im Bereich der Grundlagenforschung zu minimieren, sollten Forschungseinrichtungen und wissenschaftliche Institutionen daher die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz und anderen Sicherheitsbehörden intensivieren, um sich über mögliche Schwachstellen und das Erfordernis, diese zu beseitigen, klar zu werden. Der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein hat im Berichtsjahr mit 22 durchgeführten Sensibilisierungsmaßnahmen bei Forschungseinrichtungen und wissenschaftlichen Institutionen zu einer Erhöhung des entsprechenden Problembewusstseins beigetragen. 4 Wirtschaftsschutz und Wirtschaftsspionage Neben guten Hafenanbindungen sowie der räumlichen Nähe zu Hamburg und den skandinavischen Ländern bilden die Landwirtschaft, die maritime Wirtschaft, die erneuerbaren Energien sowie die Forschungsund Entwicklungslandschaft in Schleswig-Holstein eine ideale Grundlage für einen interessanten Wirtschaftsstandort. In der Vergangenheit hat sich deshalb im nördlichsten deutschen Bundesland eine zunehmend repräsentative Hochtechnologielandschaft entwickelt, die im internationalen Ausland großes Ansehen genießt, aber auch Begehrlichkeiten weckt, wenn es um das Abschöpfen von Know-how geht. Seite 195 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Der präventive Wirtschaftsschutz des Verfassungsschutzes ist ein wichtiger Ansprechpartner für die Wirtschaftsunternehmen in Schleswig-Holstein, da besonders der Mittelstand in einer globalisierten Welt zunehmend internationalen Risiken ausgesetzt ist. Die Kernaufgabe des Verfassungsschutzes im Bereich des Wirtschaftsschutzes besteht darin, die wirtschaftlichen Interessen und die Sicherheit von Unternehmen und Institutionen vor Bedrohungen zu schützen, die aus extremistischen, terroristischen oder nachrichtendienstlichen Aktivitäten resultieren können. Einige spezifische Aspekte dieser Aufgabe sind: 1. Frühzeitige Identifikation von Bedrohungen: Der Verfassungsschutz beobachtet und analysiert potenzielle Bedrohungen für die Wirtschaft, einschließlich Spionage, Sabotage und andere kriminelle Aktivitäten, die von extremistischen Gruppen oder ausländischen Staaten ausgehen können. 2. Informationsbeschaffung und -analyse: Der Verfassungsschutz sammelt Informationen über Aktivitäten, die die wirtschaftliche Sicherheit gefährden könnten und wertet diese aus, um Unternehmen und die Öffentlichkeit über Risiken zu informieren. 3. Beratung und Unterstützung: Der Verfassungsschutz bietet Unternehmen und Institutionen Beratung und Unterstützung an, um sie über Sicherheitsmaßnahmen und Strategien zur Risikominderung aufzuklären. Dies kann Schulungen, Workshops, Fachvorträge und Informationsmaterialien umfassen. 4. Zusammenarbeit mit anderen Behörden: Der Verfassungsschutz arbeitet eng mit anderen nationalen und internationalen Sicherheitsbehörden, Wirtschaftsverbänden und Unternehmen zusammen, um Informationen auszutauschen und gemeinsame Strategien zur Bekämpfung von Bedrohungen zu entwickeln. 5. Prävention von Wirtschaftsspionage: Eine zentrale Aufgabe ist die Prävention von Wirtschaftsspionage, bei der vertrauliche Informationen und Technologien von Unternehmen gestohlen werden. Der Verfassungsschutz hilft, geeignete Schutzmaßnahmen zu entwickeln. 6. Monitoring von extremistischen Aktivitäten: Der Verfassungsschutz überwacht extremistische Gruppen und deren Aktivitäten, die potenziell die wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit gefährden könnten und ergreift Maßnahmen, um diesen Bedrohungen zu begegnen. 7. Sensibilisierung der Wirtschaft: Der Verfassungsschutz fördert das Bewusstsein für Sicherheitsrisiken in der Wirtschaft und ermutigt Unternehmen proaktive Maßnahmen zu ergreifen, um sich vor Bedrohungen zu schützen. Seite 196 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Durch diese Maßnahmen trägt der Verfassungsschutz dazu bei, die wirtschaftliche Sicherheit Deutschlands / Schleswig-Holsteins zu gewährleisten und die Integrität von Unternehmen und Institutionen zu schützen. Ausländische Nachrichtendienste nutzen Wirtschaftsspionage hingegen zur illegalen Beschaffung von vertraulichen Informationen eines Unternehmens durch Dritte, oft mit dem Ziel, Wettbewerbsvorteile für deren heimische Unternehmen zu erlangen. Dies kann durch verschiedene Methoden geschehen, wie z.B. durch den Einsatz von technischen Maßnahmen wie zielgerichteten Cyberangriffen, das Abhören von Telekommunikationsund Informationskanälen oder auch das Ausspähen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein weiteres Mittel fremder Nachrichtendienste, an Informationen zu kommen, ist nach wie vor, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Unternehmen zu einer möglichen Zusammenarbeit anzuwerben (Innentäter). 4.1 Überregionale Wirtschaftsschutzkonferenz in Bremen durchgeführt Ein weiteres Instrument in der Bekämpfung von Wirtschaftsspionage durch ausländische Nachrichtendienste ist der Zusammenschluss und die Abhaltung von gemeinsamen Wirtschaftsschutzkonferenzen. Zusammen mit den Verfassungsschutzbehörden Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und dem Gastgeber in Bremen, dem Wirtschaftsschutzreferat des BfV, sowie dem Sicherheitsverband Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland e.V., fand am 16. April in Bremen eine Wirtschaftsschutzkonferenz statt. Die anwesenden 90 Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden vor Ort über die aktuellen Herausforderungen des Wirtschaftsschutzes informiert. Aufgrund des positiven Anklangs wird das Veranstaltungsformat auch im Jahr 2025 angeboten werden. 4.2 Rheinmetall Entwaffnen-Camp in Kiel Unter dem Motto "Kiel entwaffnen - Rüstungsindustrie versenken" haben Antimilitaristinnen und Antimilitaristen aus verschiedenen Ländern in der Zeit vom 03. bis 08. September ein Protestcamp in Kiel-Gaarden ausgerichtet, mit dem Ziel, auf die Problematik der Rüstungsproduktion und deren Auswirkung auf globale bewaffnete Konflikte aufmerksam zu machen. Dabei sollte gezielt gegen die in der Landeshauptstadt Kiel ansässigen Militärund Rüstungsunternehmen vorgegangen werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Protestcamps forderten eine Abrüstung und eine friedliche Konfliktlösung. Beim letzten Protestcamp 2022 in Kassel kam es zu größeren Ausschreitungen von Aktivistinnen und Aktivisten des Bündnisses "Rheinmetall entwaffnen". Aufgrund dieser Erfahrungen ging der Wirtschaftsschutz des Verfassungsschutzes in Schleswig-Holstein im Vorfeld des Protestcamps proaktiv auf die betroffenen UnternehSeite 197 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr men zu und sensibilisierte die Firmenverantwortlichen entsprechend. Ziel war es, auf die mit dem Protestcamp einhergehenden Gefahren hinzuweisen, sowie mögliche und effektive Schutzmaßnahmen aufzuzeigen. Dieses Ziel wurde erreicht: letztlich führte das Zusammenspiel von Hinweisen des Verfassungsschutzes, eigenverantwortlichen Sicherungsmaßnahmen der Firmen und konsequenter Polizeiarbeit dazu, dass allen Unternehmen und deren Personal gravierende Schäden erspart blieben. 5 Cyberabwehr Im Rahmen der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder erhielt der Fachbereich Cyberabwehr des Verfassungsschutzes in Schleswig-Holstein auch im Berichtsjahr wieder Hinweise auf Verdachtsfälle von Wirtschaftsspionage und -sabotage durch elektronische Angriffe (Cyberangriffe) auf Unternehmen, Behörden und Bildungseinrichtungen aus Schleswig-Holstein. Diese Hinweise wurden geprüft und die Betroffenen im Rahmen des gesetzlichen Auftrages informiert bzw. sensibilisiert. Cyberangriffe Als Cyberangriffe werden gezielt durchgeführte Maßnahmen mit und gegen Infrastrukturen der Informationstechnologie (IT) bezeichnet. Cyberangriffe werden sowohl von Cyberkriminellen, als auch durch fremde Nachrichtendienste oder in deren Auftrag ausgeführt. Lt. der Bitkom-Studie "Wirtschaftsschutz 2024"69 haben sich im Berichtsjahr die prozentualen Anteile ausländischer nachrichtendienstlicher Angriffe am Gesamtaufkommen in Deutschland im Vergleich zu den letzten zwei Vorjahren mehr als verdoppelt bzw. sogar fast verdreifacht. Verschiedene staatlich gesteuerte Hackerund APT-Gruppierungen führen diese Angriffe durch und nutzen die erbeuteten Daten für ihre Zwecke, wie z. B. für Spionage, Sabotage, Manipulation, Desinformationskampagnen und Devisenbeschaffung. Solche Angriffe fallen in den Zuständigkeitsbereich der Cyberabwehr des Verfassungsschutzes. APT (Advanced Persistent Threat) APT (Advanced Persistent Threat, übersetzt: fortgeschrittene andauernde Bedrohung) bezeichnet nach der Definition des BSI gut ausgebildete, typischerweise staatlich gesteuerte Angreifer, die zum Zweck der Spionage oder Sabotage über einen längeren Zeitraum hinweg sehr gezielt ein Netz oder System angreifen, sich unter Umständen darin bewegen und/oder ausbreiten und so Informationen sammeln oder Manipulationen vornehmen. 69 https://www.bitkom.org/Bitkom/Publikationen/Studie-Wirtschaftsschutz Seite 198 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Der Verfassungsschutz Schleswig-Holsteins führte im Berichtsjahr zahlreiche Sensibilisierungsgespräche und Vortragsveranstaltungen durch, um auf die Gefahren von Cyberangriffen durch staatlich gesteuerte Akteure hinzuweisen und für die Methoden der Angreifer zu sensibilisieren. 5.1 Aktivitäten ausländischer Dienste: DDoS-Angriffe Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine finden in Deutschland vermehrt Cyberangriffe auf staatliche Stellen und Wirtschaftsunternehmen statt. Im Berichtsjahr erregten besonders sogenannte DDoS-Angriffe immer wieder die öffentliche Aufmerksamkeit. Überlastungsangriffe (DDoS - Distributed Denial of Service) Bei Überlastungsangriffen (DDoS - Distributed Denial of Service) wird ein Server gezielt mit so vielen Anfragen geflutet, dass das angegriffene System die Aufgaben nicht mehr bewältigen kann und im schlimmsten Fall einen Systemabsturz erleidet. Bei einem DDoS-Angriff kommen anstelle von einzelnen Systemen eine Vielzahl von unterschiedlichen Systemen in einem großflächig koordinierten Angriff zum Einsatz. Durch eine hohe Anzahl der gleichzeitig angreifenden Rechner, sind die Angriffe besonders wirksam. In der Folge sind die angegriffenen Server mit ihren Internetseiten oder -diensten nicht mehr erreichbar. Die Auswirkungen der Angriffe sind allerdings nur von begrenzter Dauer und sie hinterlassen in der Regel keine bleibenden Schäden an den angegriffenen IT-Infrastrukturen. In diesem Zusammenhang hatten im Dezember des Berichtsjahres Angreiferinnen und Angreifer mit russischem Hintergrund offenbar durch eigene Meldungen auf Social-Media ihre vermeintlichen Erfolge deutlich übertrieben und überzogen dargestellt. So waren lt. öffentlicher Berichterstattung beispielsweise bei zwei vermeintlich erfolgreich angegriffenen Bundesbehörden (Die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Bundesnetzagentur) noch nicht einmal Auswirkungen des Angriffs bemerkt worden. Im Gegensatz zum vorherigen Jahr entfalteten DDoS-Angriffe im Berichtsjahr in Schleswig-Holstein keine relevante Wirkung. 5.2 Aktivitäten ausländischer Dienste: Phishing In den letzten Jahren konnte stetig eine Zunahme von Phishing-Angriffen beobachtet werden und dieser Trend hält lt. dem Bericht des BSI zur "Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2024"70 weiter an. Dies ist aus Sicht der Angreiferinnen und Angreifer durchaus verständlich, denn der Aufwand ist gering und die Anwendungsbreite hoch. 70 https://www.bsi.bund.de/DE/Service-Navi/Publikationen/Lagebericht/lagebericht_node.html Seite 199 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Auch in Schleswig-Holstein ist von einer zahlreichen Nutzung dieser Angriffsmethode durch fremde Nachrichtendienste auszugehen. Die am weitesten verbreitete Methode ist dabei das E-Mail-Phishing. Die Angreiferinnen und Angreifer fälschen dafür den Absender der E-Mail, um ihr Legitimität zu verleihen. Häufig werden dafür E-Mailadressen von bekannten IT-Dienstleistern und Serviceanbietern verwendet. Die gefälschten E-Mails werden immer professioneller. Sie enthalten eine persönliche Anrede und sehen den echten E-Mails der seriösen Anbieter täuschend ähnlich. Phishing Unter Phishing versteht man den Diebstahl persönlicher, vertraulicher Daten, durch gefälschte E-Mails, Textnachrichten, Telefonanrufe oder Websites. Dabei orientieren sich die Angreiferinnen und Angreifer oft an aktuellen Ereignissen oder Themen, die Verunsicherung bei den Empfängerinnen und Empfängern auslösen sollen. Beim E-Mail-Phishing wird oft ein Vorwand wie Datenschutzanfragen, Sicherheitsüberprüfungen, Serviceänderungen, Datenaktualisierung oder Kontoeinschränkungen genutzt, der die Empfängerin oder den Empfänger dazu verleiten soll, auf den, in der E-Mail enthaltenen, maliziösen Anhang oder Link zu klicken. In diesem Anhang befindet sich Schadsoftware, welche durch den Klick zur Ausführung kommt. Beim Klick auf einen maliziösen Link werden die Empfängerinnen und Empfänger beispielsweise auf präparierte Webseiten geleitet, um dort vertrauliche Daten wie Logins und Passwörter zum angeblichen Zweck der Aktualisierung ihrer Kundendaten einzugeben. Auf diese Weise verschafft sich die Angreiferin oder der Angreifer dann Zugriff auf die persönlichen Daten der Empfängerin oder des Empfängers. In den E-Mails wird häufig damit gedroht, dass ansonsten eine Sperrung des Kundenkontos innerhalb eines kurzen Zeitraums erfolgen werde. So soll bei den Empfängern ein Handlungsdruck erzeugt werden, damit diese ohne vorherige Überprüfung auf den entsprechenden Anhang oder Link klicken. Phishing ist aktuell die häufigste Methode für Cyberangriffe. Lt. dem BSI Lagebericht71 wurde eine Zunahme von Phishing-Angriffen unter missbräuchlicher Nutzung von Markennamen bekannter Streamingdienste beobachtet. Inhaltlich wurden dabei unerlaubtes Accountsharing, Änderung von Preisen, Nutzungsund Zahlungsbedingungen thematisiert. Aufgrund der allgegenwärtigen Präsenz dieser Themen in Medien und Gesellschaft war die Arglosigkeit der Opfer hoch und die Angriffskampagnen entsprechend erfolgreich. Unter anderem ist der Zuwachs erfolgreicher Phishing-Angriffe im Berichtszeitraum lt. dem BSI auch darauf zurückzuführen. 71 https://www.bsi.bund.de/DE/Service-Navi/Publikationen/Lagebericht/lagebericht_node.html Seite 200 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr Folgen eines erfolgreichen Phishing-Angriffs können sein, dass die erbeuteten Zugangsdaten für weitere Angriffe, z.B. den Versand weiterer Phishing-Mails vom E-Mailkonto des Opfers aus, verwendet werden. E-Mails müssen demnach nicht zwangsläufig vertrauenswürdig sein, wenn man glaubt, den Absender oder die Absenderin der E-Mail zu kennen, weil es sich um die E-Mailadresse einer Freundin, eines Freundes oder einer Kollegin, eines Kollegen handelt. Darüber hinaus kann das erbeutete E-Mail-Konto zur Erlangung des Zugriffs auf weitere Internetdienste und -services des Opfers genutzt werden (z.B. Zahlungsdienste, digitale Marktplätze oder soziale Medien). Dies ist insbesondere dann möglich, wenn dort die gehackte E-Mailadresse als Rücksetzadresse für das Passwort hinterlegt ist. Im Fokus stehen überwiegend politische Mandatsträgerinnen und Mandatsträger, Unternehmensmitarbeiterinnen und -mitarbeiter, sowie Kundinnen und Kunden von Banken, Bezahlsystemen und Online-Händlern. Ferner werden erbeutete sensible Daten der Opfer mitunter für weitere Aktivitäten, wie den Datenhandel im Darknet missbraucht. Diese Entwicklungen zeigen, dass Bürgerinnen und Bürger, Behörden und Unternehmen gut beraten sind, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um erfolgreiche Angriffe auf ihre Daten und Systeme zu vermeiden oder aber im Ernstfall vorbereitet zu sein, um nicht ausgeliefert und kopflos, sondern planvoll und besonnen zu handeln. Dafür empfiehlt sich beispielsweise ein geeignetes Risikomanagement sowie eine Notfallplanung. Risikomanagement und Notfallplan Risikomanagement zielt darauf ab, Risiken zu identifizieren, zu bewerten, zu bearbeiten und zu überwachen. Dafür muss zunächst analysiert werden, in welchen Bereichen akute Risiken bestehen und wo jeweils die wichtigen und sensiblen Bereiche liegen. Oftmals ist es beispielsweise das bestehende Know-how, welches den Wert eines Unternehmens ausmacht und daher besonders schützenswert ist. Nachdem die wichtigsten Güter identifiziert sind, können Maßnahmen ergriffen werden, um diese Teile besonders zu schützen oder abzusichern. Solche Maßnahmen können sehr vielfältig sein und müssen regelmäßig dahingehend überprüft werden, ob sie noch effektiv sind oder an einen veränderten Schutzbedarf angepasst werden müssen. Beispiele können die Einrichtung technischer Analyseverfahren, die Festlegung von Meldewegen oder eine sehr restriktive Handhabung bei der Vergabe von Berechtigungen und Zugängen in der Unternehmens-IT sein. Im Rahmen eines Notfallplans sollte außerdem vorher möglichst genau festgelegt werden, welche Maßnahmen im Falle eines Cyberangriffs zu treffen sind, um ein planvolles Handeln im Ernstfall sicherzustellen. Seite 201 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr 5.3 IT-Worker aus Nordkorea Im Oktober des Berichtsjahres warnte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit dem "Sicherheitshinweis für die Wirtschaft 02/2024" vor dem Einsatz getarnter IT-Fachkräfte aus Nordkorea, die ihre Dienste durch Telearbeit weltweit anbieten. Als Teil offensiver Cyberoperationen der nordkoreanischen Nachrichtendienste ist deren Hauptziel die Devisenbeschaffung für das eigene Regime. Hintergrund des Hinweises ist die weltweite Feststellung eines erhöhten Aufkommens von nordkoreanischen IT-Fachkräften in der Wirtschaft, welche ihre Beschäftigung durch gefälschte Identitäten erlangt haben. So werden bei der Bewerbung gefälschte oder gestohlene Daten und Dokumente (Adressen, Pässe, Zeugnisse), sowie gestohlene oder durch KI-Programme oder Bildbearbeitungssoftware manipulierte Bilder verwendet. Ihr nordkoreanischer Standort wird gegenüber den Auftraggebern durch die Nutzung von virtuellen privaten Netzwerken (VPN) oder Proxy Accounts professionell verschleiert. Flankierend werden Fake-Profile auf gängigen Social-Media-Plattformen und Messenger-Diensten zur Steigerung der Glaubwürdigkeit gepflegt. Die Gefahren beim Einsatz solcher IT-Fachkräfte liegen in deren tiefgehendem Einblick in Firmen Know-how und der Möglichkeit zur Manipulation und Sabotage. So wurde bereits mit der Veröffentlichung von unternehmensinternem Quelltext gedroht oder direkt nach Erhalt der Arbeitsmittel Schadsoftware im Unternehmensnetzwerk platziert. Unabhängig von der Eigengefährdung sollten sich Unternehmen darüber im Klaren sein, dass sie mit der Beschäftigung nordkoreanischer IT-Fachkräfte direkt das Regime bei der Devisenbeschaffung unterstützen und damit mittelbar zur Finanzierung des nordkoreanischen Nuklearund Raketenprogramms beitragen. In diesem Zusammenhang können Reputationsverluste bei Bekanntwerden auftreten oder sogar juristische Konsequenzen aufgrund von Sanktionsverletzungen drohen. In Schleswig-Holstein konnten im Berichtszeitraum keine entsprechenden Vorkommnisse festgestellt werden. Der Hinweis des Bundesamtes für Verfassungsschutz enthält Handlungsempfehlungen für Personalund IT-Sicherheitsverantwortliche und ist auf der Internetseite (https://www.verfassungsschutz.de) unter der Rubrik "Service > Publikationen" zu finden. 5.4 Abgrenzung Cyberspionage zur Internetkriminalität Cyberangriffe werden sowohl von Kriminellen, zur Begehung von Straftaten, als auch von Nachrichtendiensten durchgeführt. Nachrichtendienste nutzen gezielte Cyberangriffe zur Cyberspionage, -sabotage und illegalen Devisenbeschaffung. Unabhängig vom Akteur, sind die notwendigen technischen Gegenmaßnahmen meist identisch. Eine genaue Täterzuordnung ist für Betroffene oft schwierig, aber auch nachrangig, da zur Beseitigung des Schadens, unabhängig von den Verursachern, meist sehr ähnliche MaßSeite 202 IX Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr nahmen getroffen werden müssen. Ohnehin steht für das Opfer nach einem Angriff die schnelle Wiederherstellung der geschäftlichen Handlungsfähigkeit an erster Stelle. Die Cyberabwehr des Verfassungsschutzes bearbeitet Cyberangriffe fremder Nachrichtendienste im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags zur Spionageabwehr und wird beim Vorliegen konkreter Hinweise auf eine nachrichtendienstliche Beteiligung aktiv. Für Cyberangriffe im Bereich der Internetkriminalität (Cybercrime) ist die Polizei zuständig. Das Landeskriminalamt des Landes Schleswig-Holstein betreibt dafür die Zentrale Ansprechstelle Cybercrime (ZAC). Diese steht als Ansprechpartner für betroffene Behörden und Unternehmen zur Verfügung. 6 Verfassungsschutz als Ansprechpartner Die Fachbereiche Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr der Verfassungsschutzbehörde in Schleswig-Holstein fungieren als verlässliche Partner im Rahmen des nationalen Wirtschaftsschutzes. Neben individuellen Sensibilisierungsmaßnahmen für einzelne Unternehmen und Unternehmensverbände werden kostenfreie Vortragsveranstaltungen im Rahmen von Sensibilisierungskampagnen für Interessierte angeboten. Die Fachbereiche bieten darüber hinaus auch bei zahlreichen Veranstaltungen zu Sicherheitsthemen Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme. Zur umfassenden Erfüllung des gesetzlichen Auftrages sind die Fachbereiche Spionageabwehr, Proliferation, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr auch auf Hinweise von Einzelpersonen und Wirtschaftsunternehmen angewiesen. Um zur Erkenntnisgewinnung, Aufklärung und Täterzuordnung bei z. B. Cyber-Angriffen die notwendigen technischen Analysen durchführen zu können, ist es erforderlich, eine Vielzahl von konkreten Vorfällen auszuwerten. Leider scheuen sich insbesondere betroffene Wirtschaftsunternehmen immer noch davor, Cyber-Angriffe bei den Sicherheitsbehörden zu melden, weil die Furcht vor einem öffentlichen Bekanntwerden groß ist. Der damit möglicherweise verbundene Imageund Reputationsverlust birgt für die Unternehmen auch die Gefahr von zusätzlichem wirtschaftlichen Schaden. Entgegen dieser Befürchtungen unterliegt ein vertrauliches Gespräch mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aller Fachbereiche höchster Diskretion. Die Hinweise und Fragen der Wirtschaft, der Wissenschaft oder anderer betroffener Stellen werden durch den Verfassungsschutz stets vertraulich behandelt und nicht ohne Zustimmung weitergegeben. Die Fachbereiche Spionageabwehr, Proliferationsbekämpfung, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr stehen Einzelpersonen, Unternehmen und auch Behörden als vertrauliche Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Weitere Informationen zum Verfassungsschutz und speziell zu den Arbeitsfeldern der einzelnen Fachbereiche erhalten Sie unter: www.schleswig-holstein.de/verfassungsschutz oder über die Telefonnummer: 0431/988-3500. Seite 203 Seite 204 X Hintergrund Seite 205 Seite 206 X Hintergrund 1 Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein 1.1 Der Verfassungsschutz als Früherkennungsund Frühwarnsystem Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland - das Grundgesetz (GG) - gibt den Rahmen unseres demokratischen Rechtsstaates vor. Um die in ihr verankerten Werte wirksam verteidigen zu können, muss sich unsere Demokratie wehrhaft gegenüber Personen oder Organisationen zeigen, die bestrebt sind, wesentliche Verfassungsgrundsätze zu beseitigen. Den Verfassungsschutzbehörden der Länder und des Bundes kommt hierbei eine besondere Bedeutung und zentrale Aufgabe zu. Sie sollen Bedrohungen durch politischen Extremismus, Terrorismus sowie durch Spionageaktivitäten bereits im Vorfeld polizeilicher Zuständigkeiten erkennen, bewerten und die politisch Verantwortlichen, die Polizei, andere staatliche Stellen und die Öffentlichkeit darüber unterrichten. Hierdurch sollen diese Stellen in die Lage versetzt werden, rechtzeitig mögliche Gefahren für unser demokratisches System zu erkennen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen. Der Verfassungsschutz wird daher auch als Früherkennungsund Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie bezeichnet. Dem Verfassungsschutz selbst stehen dabei keine polizeilichen Befugnisse zu. Er kann z. B. weder Durchsuchungen oder Festnahmen veranlassen, noch selbst durchführen. Im Rahmen der jeweils geltenden Rechtsvorschriften besteht jedoch die Möglichkeit und gegebenenfalls die Verpflichtung, einzelne Erkenntnisse an Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften zu übermitteln. 1.2 Gesetzlicher Auftrag und Aufgaben Die Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörden sind gesetzlich geregelt. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG) gibt den gesetzlichen Rahmen für die Zusammenarbeit von Bund und Ländern vor und ist außerdem Rechtsgrundlage für das Tätigwerden des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Darüber hinaus haben alle Länder eigene Verfassungsschutzbehörden und entsprechende Gesetze. Für Schleswig-Holstein ist dies das Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein (LVerfSchG). Die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein ist in SS 1 LVerf-SchG geregelt. Danach obliegt es ihr, die Landesregierung und andere zuständige Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie für den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu unterrichten. Seite 207 X Hintergrund Freiheitliche demokratische Grundordnung Vereinfacht ausgedrückt beschreibt der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die vom Grundgesetz vorgegebene demokratische Ordnung sowie die verfassungsmäßigen Prinzipien, die unveränderbar sind. Konkret benannt sind in SS 6 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 LVerfSchG unter anderem die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung sowie die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Unabhängigkeit der Gerichte. Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sammelt die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Informationen über - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, - Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und - Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, und wertet diese aus. Begriff der Bestrebung Nach SS 6 Abs. 1 LVerfSchG sind Bestrebungen politisch motivierte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen oder Betätigungen einer Gruppierung oder Organisation, die sich unter anderem gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Zielund zweckgerichtet meint hierbei, dass eine gewisse Ernsthaftigkeit, Dauerhaftigkeit und Zielstrebigkeit im Hinblick auf die Beseitigung eines wesentlichen Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vorliegen muss. Es muss also unter anderem erkennbar sein, dass das Ziel oder der Zweck einer Organisation beispielsweise die Abschaffung unseres demokratischen Systems, der Aufbau eines Gottesoder Führerstaates oder eine Anarchie ist. Der Begriff der Bestrebung kann auch das Verhalten von Einzelpersonen einschließen, allerdings nur dann, wenn dieses Verhalten auf die Seite 208 X Hintergrund Anwendung von Gewalt gerichtet oder wenn es dazu geeignet ist, die in SS 5 LVerfSchG genannten Schutzgüter schwerwiegend zu gefährden. Zudem hat der Landesgesetzgeber in SS 6 Abs. 4 LVerfSchG die sogenannte Aggressionsklausel aufgenommen. Diese besagt, dass eine Bestrebung nach der Maßgabe dieses Gesetzes eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Verfassungsordnung voraussetzt. Die Bestrebung muss planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Mitwirkungsaufgaben Weiterhin obliegen der Verfassungsschutzbehörde Mitwirkungsaufgaben, die in SS 5 Abs. 2 LVerfSchG festgelegt sind. Hierbei handelt es sich um die Überprüfung von Personen, - denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, - die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind. - Des Weiteren obliegt der Verfassungsschutzbehörde die Mitwirkung bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen. (Weitere Mitwirkungsaufgaben siehe 1.7 und 1.8 des Kapitels.) Die Verfassungsschutzbehörde ist nach den im LVerfSchG festgeschriebenen Aufgaben und den sich daraus ergebenden Befugnissen ein Nachrichtendienst. Sie versteht sich als Sicherheitsbehörde, die relevante Informationen sammelt, auswertet und diese den zuständigen Stellen zur Verfügung stellt. Vorfeldaufklärung Die Verfassungsschutzbehörde darf bereits im Vorfeld tätig werden, um die Gefahren der in SS 5 Abs. 1 LVerfSchG genannten Bestrebungen so rechtzeitig aufzuklären, dass durch die Weitergabe der dabei gewonnenen Informationen, beispielsweise an die Politik, geeignete Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren ergriffen werden können. Entsprechend darf der Verfassungsschutz gemäß SS 7 Abs. 1 LVer-fSchG bereits tätig werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer solchen Bestrebung oder Tätigkeit - etwa gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung - vorliegen. Im Gegensatz zur Polizei ist das Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Straftat für das Tätigwerden der Verfassungsschutzbehörde nicht erforderlich. Seite 209 X Hintergrund Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Jede Maßnahme der Verfassungsschutzbehörde unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (SS 7 Abs. 2 LVerfSchG). So hat die Verfassungsschutzbehörde von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenige zu treffen, die nicht nur den Einzelnen, sondern auch die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme ist zudem nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. Dies ist nötig, weil durch die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde in wesentliche Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingegriffen wird. Durch die Regelungen in SS 7 Abs. 2 LVerfSchG wird sichergestellt, dass jede ergriffene Maßnahme der Verfassungsschutzbehörde im Einzelfall nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck - bspw. der rechtmäßigen Informationsgewinnung und Weitergabe zur Aufgabenerfüllung - steht. Befugnisse zur Informationsbeschaffung: Die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz darf - so sieht es SS 8 Abs. 1 LVerfSchG vor - zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen erheben und verarbeiten. Hierfür stehen grundsätzlich zwei verschiedene Möglichkeiten der Informationserhebung zur Verfügung: die offene Informationsbeschaffung und die verdeckte Informationserhebung mithilfe sogenannter nachrichtendienstlicher Mittel. Der überwiegende Teil der vom Verfassungsschutz verarbeiteten Informationen wird offen erhoben. Informationen lassen sich vielfältig gewinnen, beispielsweise im Rahmen von Recherchen im Internet, über Printmedien und die Auswertung von Tonund Bildträgern (beispielsweise CDs und DVDs). Auch andere Behörden werden zu dort vorliegenden Informationen angefragt. Die verdeckte Informationsbeschaffung ist demgegenüber besonders geregelt. SS 8 Abs. 2 LVerfSchG legt fest, welche nachrichtendienstlichen Mittel der Verfassungsschutzbehörde zur Verfügung stehen und unter welchen Voraussetzungen sie eingesetzt werden dürfen. Zu den wesentlichen nachrichtendienstlichen Mitteln, die der Verfassungsschutz einsetzen kann, gehören demnach: - der Einsatz von verdeckten Ermittlern, Vertrauensund Gewährspersonen, - die Observation und damit verbunden die verdeckte Anfertigung von Bildund Videoaufnahmen, - das verdeckte Aufklären des Internets, - die Verwendung von Legenden (fingierten biografischen oder gewerblichen Angaben) sowie die Erstellung und Verwendung von Tarnpapieren und -kennzeichen, Seite 210 X Hintergrund - die Beobachtung des Funkverkehrs und - die Postund Fernmeldeüberwachung nach dem Artikel 10-Gesetz. Alle durch nachrichtendienstliche Mittel gewonnenen Informationen sind eng an den Zweck der Erhebung gebunden und müssen bei Wegfall des Zwecks unverzüglich gelöscht werden. Zudem gilt für alle diese Maßnahmen das oben bereits beschriebene Verhältnismäßigkeitsprinzip. Darüber hinaus ist der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gemäß SS 8 Abs. 4 LVerfSchG unzulässig, wenn sich herausstellt, dass ausschließlich solche Informationen erhoben werden, die die Intimund Privatsphäre - im Gesetz als Kernbereich privater Lebensgestaltung bezeichnet - einer Person betreffen. Die Maßnahme muss dann entweder ausgesetzt oder beendet werden. 1.3 Organisation des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutzverbund der Bundesrepublik Deutschland umfasst insgesamt 17 Behörden: 16 Landesbehörden und das Bundesamt für Verfassungsschutz als Zentralstelle. Die Landesbehörden sind entweder als eigenständige nachgeordnete Landesämter organisiert oder Teil des jeweiligen Innenministeriums. Die Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein ist eine Abteilung des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport mit Sitz in der Landeshauptstadt Kiel. Sie ist in 8 Referate untergliedert, die unter anderem für die Informationsbeschaffung, die Auswertung nach Phänomenbereichen, den Geheimschutz, die Observation und die sogenannten Massendatenverfahren sowie für Grundsatzfragen, Datenschutz, IT und Öffentlichkeitsarbeit der Abteilung zuständig sind. Insgesamt sind derzeit etwa 140 Mitarbeiter für die Verfassungsschutzabteilung tätig. Für Sachmittel und Investitionen standen im Berichtsjahr rund 1 328 000Euro zur Verfügung. 1.4 Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Verfassungsschutzbehörde Schleswig-Holstein hat sich zum Ziel gesetzt, so viel Transparenz wie möglich zu gewährleisten und die Geheimhaltung auf das notwendige Maß zu beschränken. Zudem unterliegt sie einer mehrschichtigen, rechtsstaatlichen Kontrolle. Seite 211 X Hintergrund Allgemeine Dienstund Fachaufsicht Ein Teil dieser Kontrolle ist die allgemeine Dienstund Fachaufsicht im Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport. Dabei erstreckt sich die Dienstaufsicht gemäß SS 15 Abs. 1 Landesverwaltungsgesetz (LVerwG) auf die innere Ordnung, die allgemeine Geschäftsführung und die Personalangelegenheiten der Behörde, während die Fachaufsicht gemäß SS 15 Abs. 2 LVerwG die rechtmäßige und zweckmäßige Wahrnehmung der Verwaltungsangelegenheiten der Behörde umfasst. Parlamentarische Kontrolle Ein weiterer und wesentlicher Teil der Kontrolle des Verfassungsschutzes obliegt dem Schleswig-Holsteinischen Landtag. Sie umfasst zum einen die allgemeine parlamentarische Kontrolle durch alle Mitglieder des Landtages, die diese zum Beispiel durch Kleine und Große Anfragen ausüben. Zum anderen erfolgt die parlamentarische Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) und die G10-Kommission. Die Aufgaben und die Zusammensetzung des PKG sind in SS 26 LVerfSchG festgelegt. Es besteht aus Abgeordneten des Landtages, die zu Beginn jeder Wahlperiode jeweils durch die Mehrheit der Mitglieder des Landtages gewählt werden. Diesen berichtet die Innenministerin oder der Innenminister als Teil der Landesregierung sowohl über die allgemeinen Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, als auch über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Die Aufgaben und die Zusammensetzung der G 10-Kommission regelt SS 26a LVerf-SchG in Verbindung mit SS 15 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (G 10). Für die Dauer der Wahlperiode bestimmt der Landtag eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden mit der Befähigung zum Richteramt und zwei beisitzende Mitglieder. Die G 10-Kommission prüft die Zulässigkeit und die Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen nach dem G 10, also Maßnahmen der Überwachung des Brief-, Postund Telekommunikationsverkehrs, und ist bei weiteren gesetzlich geregelten Maßnahmen von vergleichbarer Eingriffstiefe zu beteiligen. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Tätigkeit des Verfassungsschutzes nicht nur in ihrer Gesamtheit, sondern auch im Einzelfall vom Parlament überprüft wird. Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten und den Landesrechnungshof Neben den parlamentarischen Gremien obliegt die Kontrolle des Verfassungsschutzes noch zwei weiteren Stellen. Das Unabhängige Landeszentrum für Datenschutz kontrolliert auf eigene Initiative die Datenverarbeitung in schleswig-holsteinischen Behörden. Seite 212 X Hintergrund Stellt es dabei Verstöße gegen das Datenschutzrecht fest, werden diese beanstandet und ggf. die Beseitigung der Mängel gefordert. Die Zusammenarbeit mit dem Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz wird durch die behördliche Datenschutzbeauftragte oder den behördlichen Datenschutzbeauftragten der Verfassungsschutzbehörde des Landes Schleswig-Holstein unterstützt. Die oder der behördliche Datenschutzbeauftragte hat zudem umfassende eigene Kontrollrechte und eine Beratungsfunktion, die zur Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen beitragen. Zum anderen erfolgt eine Aufsicht durch den Landesrechnungshof. Dieser hat nach Artikel 64 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein die Aufgabe, die gesamte Haushaltsund Wirtschaftsführung des Landes zu überwachen. Hierzu gehört auch die Verfassungsschutzbehörde als Teil des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport. Kontrolle durch Gerichte und die Öffentlichkeit Daneben unterliegt die Verfassungsschutzbehörde als Teil der Landesverwaltung der gerichtlichen Kontrolle sowie der Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Letztere erfolgt dabei u. a. durch die Medien, die in ihrer Berichterstattung auch den Verfassungsschutz thematisieren. Weiterhin haben Bürgerinnen und Bürger nach SS 25 LVerfSchG die Möglichkeit, Auskunft über die zu ihrer Person in Dateien des Verfassungsschutzes gespeicherten Informationen zu erhalten. Im Berichtszeitraum sind auf dieser Grundlage insgesamt 116 Auskunftsersuchen an den Verfassungsschutz Schleswig-Holstein gestellt worden (2023: 77; 2022: 107). Die Fälle, in denen der Verfassungsschutzbehörde Erkenntnisse vorliegen, sind dabei besonders arbeitsintensiv. 1.5 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz Die Aufgaben und Befugnisse einer Verfassungsschutzbehörde unterscheiden sich von der einer Polizeibehörde. SS 2 Abs. 2 LVerfSchG legt fest, dass der Verfassungsschutz keiner polizeilichen Dienststelle angegliedert werden darf. Zudem ist in SS 9 LVerfSchG vorgeschrieben, dass der Verfassungsschutzbehörde keine polizeilichen Befugnisse zustehen. Außerdem darf die Verfassungsschutzbehörde die Polizei auch nicht um Maßnahmen bitten, zu denen sie selbst nicht befugt ist. Der Verfassungsschutz ist - im Gegensatz zu den Strafverfolgungsbehörden, insbesondere der Polizei - nicht dem Legalitätsprinzip unterworfen, nach dem Polizei und Justiz Straftaten verfolgen müssen, wenn sie von ihnen Kenntnis erlangen. Für den Verfassungsschutz gelten vielmehr das Opportunitätsprinzip und die damit verbundenen Mitteilungspflichten. Seite 213 X Hintergrund Diese organisatorische und funktionelle Abgrenzung von Polizei und Verfassungsschutz wird als Trennungsgebot bezeichnet. Es ist ein Resultat aus den Erfahrungen mit der Arbeitsweise von Geheimdiensten in Diktaturen, z. B. im Dritten Reich. Um den Missbrauch von verdeckt erhobenen Informationen zu verhindern, sind Polizeibehörden seither nicht mit den gleichen gesetzlichen Befugnissen eines Nachrichtendienstes und umgekehrt die Verfassungsschutzbehörden nicht mit exekutiven, polizeilichen Befugnissen ausgestattet. Außerdem dürfen nachrichtendienstlich gewonnene Informationen nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen des SS 19 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 LVerfSchG an die Polizei weitergegeben werden (sogenanntes informationelles Trennungsprinzip). Unter Beachtung dieser geltenden Rechtsgrundlagen arbeiten die Verfassungsschutzbehörde und die Polizei eng zusammen. Die Zusammenarbeit beschränkt sich dabei nicht nur auf Schleswig-Holstein, sondern erfolgt bundesweit in verschiedenen Gremien, wie dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus sowie dem gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) zur Bekämpfung des Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie der Spionage. GTAZ und GETZ sind dabei keine eigenen Behörden, sondern stellen Informationsund Kommunikationsplattformen für die beteiligten Sicherheitsbehörden dar. So sollen phänomenbezogene Bedrohungsund Gefährdungslagen erkannt und alle beteiligten Behörden in die Lage versetzt werden, entsprechend darauf zu reagieren. 1.6 Informationsaustausch mit anderen öffentlichen Stellen Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt neben der Unterrichtung der Landesregierung auch die Unterrichtung anderer zuständiger Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Voraussetzungen für die Übermittlung von Informationen an andere Stellen sind in SS 19 LVerfSchG geregelt. Ganz grundsätzlich dürfen Erkenntnisse, die nicht personenbezogen sind, dann an andere Behörden oder Stellen übermittelt werden, wenn diese für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können (SS 19 Abs. 1 LVerfSchG). Hierbei könnte es sich beispielsweise um Erkenntnisse zu relevanten Vereinen und Organisationen handeln. Bei der Übermittlung personenbezogener Informationen an andere öffentliche oder sonstige Stellen gelten besondere Regelungen. SS 19 Abs. 2 Nr. 5 LVerfSchG sieht vor, dass diese Informationen nur dann übermittelt werden dürfen, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unverzichtbar ist. Zusätzlich entscheidet über die Übermittlung die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung. Seite 214 X Hintergrund 1.7 Geheimund Sabotageschutz, Zuverlässigkeitsüberprüfungen Im Bereich Geheimund Sabotageschutz obliegen der Verfassungsschutzbehörde gesetzliche Mitwirkungsaufgaben. Sie führt Sicherheitsüberprüfungen im Auftrag von Landesbehörden durch, ist angefragte Stelle in Zuverlässigkeitsüberprüfungsverfahren und unterstützt auch durch Beratung und Normensetzung den Schutz staatlicher Verschlusssachen. Verschlusssachen sind Angelegenheiten aller Art, die eines besonderen Schutzes gegen Kenntnisnahme durch Unbefugte bedürfen. Daher ist die Verbreitung der Verschlusssachen nur auf einen eng begrenzten Personenkreis beschränkt, bei dem jeweils gewährleistet sein muss, dass keine Anhaltspunkte bestehen, die Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen. Hierzu werden im Rahmen des personellen Geheimschutzes Sicherheitsüberprüfungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern durchgeführt, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen eingesetzt sind. Weiterhin wird der Schutz von Verschlusssachen durch Maßnahmen des materiellen Geheimschutzes realisiert. Ziel ist die Absicherung von Arbeitsbereichen, in denen Verschlusssachen bearbeitet werden. Es werden bauliche, organisatorische, elektronische und informationstechnische Geheimschutzmaßnahmen für VS-Arbeitsbereiche, VS-IT-Räume/-Bereiche, VS-Aktensicherungsräume, VS-Sicherheitsbereiche und abhörgeschützte bzw. abhörsichere Räume festgelegt. Hierfür ist die Verfassungsschutzbehörde beratend hinzuzuziehen. Auf Veranlassung der Verfassungsschutzbehörde kann ergänzend das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) im Rahmen von Beratung, Schulung und technischer Prüfung mitwirken. 1.7.1 Sicherheitsüberprüfungen Sicherheitsüberprüfungen sind Verfahren zur Überprüfung von Personen, die von den jeweils zuständigen Stellen mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Art und Umfang der Überprüfungen regelt hierbei das Landessicherheitsüberprüfungsgesetz. Im Berichtszeitraum betrug die Zahl der neu durchgeführten Sicherheitsüberprüfungen für Landesbehörden 278 (2023: 212); dies entspricht einer prozentualen Steigerung von 31 Prozent. Der Gesamtbestand an sicherheitsüberprüften Personen innerhalb der Landesverwaltung und bei geheimschutzbetreuten Unternehmen stieg bis zum Jahresende auf 2 319 (2023: 2.143) an. Der vergleichsweise deutliche zahlenmäßige Anstieg der Sicherheitsüberprüfungen wird auf die gegenwärtige Bedrohungslage ausgehend vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zurückgeführt. Es ist zu erwarten, dass dieser Trend sich auch im Jahr 2025 fortsetzt. Hier wird insbesondere im kommunalen Bereich die Zahl der Sicherheitsüberprüfungen im Hinblick auf die zivile Verteidigung und die zivile Alarmplanung deutlich ansteigen. Bereits zum Jahresanfang 2025 zeichnete sich eine signifikante Steigerung der Zahl der Sicherheitsüberprüfungen ab. Seite 215 X Hintergrund Sicherheitsüberprüfungen 2020 bis 2024 2500 2319 2078 2143 2057 1955 2000 1500 1000 500 231 212 278 132 156 0 2020 2021 2022 2023 2024 Sicherheitsüberprüfte Personen insgesamt neu durchgeführte Sicherheitsüberprüfungen Sicherheitsüberprüfungen im personellen Sabotageschutz Im Lichte der hybriden Kriegsführung Russlands gegen NATO-Staaten und ihre Verbündeten gewinnt auch der personelle Sabotageschutz wieder zunehmend an Bedeutung. Ziel des personellen Sabotageschutzes ist, das Risiko von Sabotageakten an lebenswichtigen Einrichtungen durch potenzielle Innentäterinnen und Innentätern zu minimieren. Das Instrument der Sicherheitsüberprüfung soll verhindern, dass Personen, von denen eine Gefährdung ausgeht, in sensiblen Bereichen beschäftigt werden. Die Überprüfung erfolgt jedoch nur bei Personen, die innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen an sicherheitsempfindlichen Stellen beschäftigt werden sollen und die tatsächlich auf die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen Einfluss nehmen können. Einrichtungen sind erst dann lebenswichtig, wenn deren Beeinträchtigung aufgrund der ihnen anhaftenden Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden können oder sie für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Dazu gehören z. B. Kommunikationsstrukturen von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten. Seite 216 X Hintergrund 1.7.2 Zuverlässigkeitsüberprüfungen Am Beispiel der Zuverlässigkeitsüberprüfungen zeigt sich einmal mehr deutlich, dass ein moderner und leistungsstarker Verfassungsschutz eine wichtige Funktion innerhalb der deutschen Sicherheitsarchitektur wahrnimmt. Aktuelle Erkenntnisse, analytische Kompetenz und gut gepflegte Datenbanken sind hierfür eine zwingende Voraussetzung. Wie bei der Sicherheitsüberprüfung erfolgen auch die Überprüfungsverfahren aufgrund spezieller gesetzlicher Grundlagen. Zuverlässigkeitsüberprüfungen werden nach Maßgabe des Atomgesetzes, Luftoder Hafensicherheitsgesetzes, Sprengstoff-, Waffenund Jagdgesetzes sowie der Gewerbeordnung für das Bewachergewerbe durchgeführt. Die zuständigen (i. d. R. kommunalen) Fachbehörden entscheiden im Rahmen ihrer eigenen Zuständigkeiten über die Erteilung, Versagung oder Entziehung entsprechender Erlaubnisse. Die normierten Mitwirkungspflichten der Verfassungsschutzbehörde verfolgen den Zweck, Sabotageakte abzuwehren und den Einsatz von extremistischen Personen in besonders sensiblen Bereichen zu verhindern oder diesen eine waffenrechtliche Erlaubnis zu entziehen. Ebenso gilt es zu verhindern, dass solche Personen in besonders sensiblen Bereichen eingesetzt werden. und diesen Zugang zu Waffen und/oder Sprengstoffen zu erschweren. Kernkraftwerke und der Luftverkehr wurden nicht erst nach den Terroranschlägen des 11. September 2001 als besonders sabotagegefährdete Bereiche betrachtet. Vor diesem Hintergrund wird das dort beschäftigte Personal seit jeher sogenannten Zuverlässigkeitsüberprüfungen unterzogen. Hiermit soll das Gefährdungsrisiko im Zusammenhang mit kritischen Infrastrukturen vermindert werden. Die Durchführung der Verfahren erfolgen jedoch nur teilweise automatisiert und sind daher z. T. sehr zeitaufwändig. Seit dem Jahr 2020 werden alle Inhaberinnen und Inhaber waffenoder jagdrechtlicher Erlaubnisse auf Veranlassung der Waffenund Jagdbehörden sowohl bei Antragstellung als auch turnusmäßig unter Beteiligung des Verfassungsschutzes auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüft. Die Anfragen der kommunalen Jagdund Waffenbehörden können vom Verfassungsschutz nur teilautomatisiert bearbeitet werden. Zum Jagdund Waffenrecht lagen dem Verfassungsschutz im Berichtszeitraum insgesamt 19 638 Anfragen der kommunalen Behörden vor (2023: 23 952). Seite 217 X Hintergrund Zu den weiteren Zuverlässigkeitsüberprüfungsverfahren: - Zum sogenannten Bewacherregister nach SS 34a Gewerbeordnung, worin eine Regelabfrage von Bewachungspersonal vorgesehen ist, lagen dem Verfassungsschutz im Berichtszeitraum insgesamt 3 099 Anfragen vor (2023: 2 617). - Zum Luftsicherheitsrecht lagen dem Verfassungsschutz im Berichtszeitraum insgesamt 1 334 Anfragen (2023: 1 278) der Luftsicherheitsbehörde vor. - Zum Atomgesetz lagen dem Verfassungsschutz im Berichtszeitraum insgesamt 569 Anfragen (2023: 1 798) vor. - Zum Sprengstoffgesetz lagen dem Verfassungsschutz im Berichtszeitraum insgesamt 262 Anfragen (2023: 226) der kommunalen Waffenbehörden sowie der Staatlichen Unfallkasse Nord vor. Zum Hafensicherheitsgesetz lagen dem Verfassungsschutz im Berichtszeitraum insgesamt 39 Anfragen (2023: 90) des Landespolizeiamtes vor. 1.8 Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde bei Aufenthaltsund Einbürgerungsverfahren Das Aufenthaltsgesetz regelt die Einreise, den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Aufenthaltsbeendigung von Ausländern aus dem nichteuropäischen Ausland. Es dient damit der Steuerung und Begrenzung des Zuzugs von Ausländerinnen und Ausländern in die Bundesrepublik. Das Gesetz umfasst auch sicherheitsrelevante Vorschriften. Dazu gehören die Mitwirkungsaufgaben der Verfassungsschutzbehörde bei der Erteilung von Aufenthaltstiteln (z. B. Visum, Aufenthaltsoder Niederlassungserlaubnis). Aus diesem Grund übermitteln die Ausländerbehörden in einem automatisierten technischen Beteiligungsverfahren die Daten von Personen, die einen Aufenthaltstitel beantragen, an die Sicherheitsbehörden. Durch dieses Mitwirkungsverfahren kann festgestellt werden, ob Versagungsgründe - beispielsweise seitens der Verfassungsschutzbehörde - gegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels oder sonstige Sicherheitsbedenken vorliegen. Die gleichen Sicherheitsanforderungen werden an Einbürgerungsbewerberinnen und -bewerber gestellt. So fragen die Einbürgerungsbehörden bei den Verfassungsschutzbehörden an, ob zu der Einbürgerungsbewerberin bzw. dem -bewerber Erkenntnisse vorliegen, die zur Versagung der Einbürgerung führen könnten. Da die Einbürgerung politische Partizipation, rechtliche Gleichstellung und weitere Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe ermöglicht und die Eingebürgerten gleichberechtigte Bürgerinnen oder Bürger werden, dient die Beteiligung des Verfassungsschutzes mit der Möglichkeit des Ausschlusses von Extremistinnen und Extremisten dem Schutz der freiheitlichen Seite 218 X Hintergrund demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und des Landes Schleswig-Holstein. Im Rahmen des Aufenthaltsbzw. Einbürgerungsrechts lagen dem Verfassungsschutz im Berichtszeitraum insgesamt 51 523 Anfragen der kommunalen Behörden vor (2023: 54 643). Hierbei handelte es sich um 41 358 Anfragen im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht und 10 165 Anfragen im Zusammenhang mit dem Einbürgerungsrecht. In Schleswig-Holstein besteht seit 2007 eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe, an der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachaufsicht der Staatsangehörigkeits-, Zuwanderungsund Ausländerbehörden, der Polizei, des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge und der Verfassungsschutzbehörde teilnehmen. Ziel der Arbeitsgruppe ist, diejenigen Einzelfälle einer eingehenden Prüfung zu unterziehen, die besondere Sicherheitsrelevanz haben. Durch diese enge behördenübergreifende Zusammenarbeit soll - entsprechend der gesetzlichen Vorgaben - die Einleitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen geprüft und gegebenenfalls initiiert werden. Im Berichtszeitraum konnte festgestellt werden, dass sich der Schwerpunkt der Fälle mit sicherheitsrelevanten Erkenntnissen im Wesentlichen aus Personen zusammensetzt, die dem islamistischen Spektrum zuzurechnen waren. 1.9 Kontakt Sie möchten Kontakt zur Verfassungsschutzbehörde aufnehmen, haben Anregungen, Fragen oder Kritik oder wollen sich über Bewerbungsmöglichkeiten informieren? Sie erreichen die Verfassungsschutzbehörde unter: Telefon: 0431 - 988 3500 Email: VerfassungsschutzSchleswig-Holstein@im.landsh.de . 2 Merkmale verfassungsfeindlicher Bestrebungen 2.1 Phänomenübergreifende Merkmale verfassungsfeindlicher Bestrebungen 2.1.1 Antisemitismus Antisemitismus findet sich in nahezu allen Phänomenbereichen verfassungsfeindlicher Bestrebungen als ideologisches Element. Insbesondere werden antisemitische Stereotype im Rechtsextremismus und Islamismus aufgegriffen. Antisemitismus ist die Ablehnung von Jüdinnen und Juden, die sich bis hin zum Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Seite 219 X Hintergrund Wort und Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein. Antisemitismus umfasst alle Aspekte judenfeindlicher Ideologie. Er lässt sich seit mehr als 2 000 Jahren in unterschiedlicher Ausprägung geschichtlich nachweisen und findet sich neben dem Rechtsextremismus auch in anderen extremistischen Phänomenbereichen. Antisemitismus prägt viele Argumentationsmuster der Szene beziehungsweise schwingt mal offen, mal in subtiler Form stets mit. Er ist und bleibt wesentlicher Bestandteil rechtsextremistischer Bestrebungen. Im Rahmen eines sogenannten sekundären Antisemitismus, dessen Grundelemente die Leugnung des Holocausts und die Negierung des Existenzrecht des Staates Israel darstellen, sind vor allem der Nahostkonflikt und das Ziel der in muslimischen Augen nötigen "Befreiung Palästinas" aus den Händen des "Okkupators" Israel bei allen islamistischen Strömungen ein wichtiges Thema. Die Geschichte des Konflikts wird dabei propagandistisch verklärt und als Beweis für eine Doppelmoral des Westens bzw. eine angebliche jüdischchristliche Unterdrückung des Islams angeführt. Islamistinnen und Islamisten vertreten daher immer auch eine antisemitische Grundauffassung, deren Ausprägung jedoch variieren kann. Auch in Teilen des Linksextremismus und Extremismus mit Auslandsbezug steigerten sich infolge des eskalierenden Nahost-Konfliktes pro-palästinensische Solidaritätsbekundungen hin zu antisemitischen Äußerungen. Insbesondere die dogmatischen linksextremistischen Organisationen DKP und SDAJ sowie die türkisch-linksextremistischen Organisationen MLKP und Young Struggle kritisierten die Politik Israels in einer antisemitischen Wortwahl und sprachen Israel das Recht auf Selbstverteidigung ab. 2.1.2 Queerfeindlichkeit Queerfeindlichkeit ist ein ideologisches Element vor allem im Rechtsextremismus und im Islamismus, findet sich jedoch auch in anderen Extremismusbereichen. Dabei bezeichnet Queerfeindlichkeit eine soziale Aversion, Diskriminierung, Herabwürdigung oder Aggressivität gegen queere oder als solche wahrgenommenen Personen und deren Identität und Lebensweisen. Queere Personen weichen in ihren sexuellen Orientierungen von der Heterosexualität ab und zeigen nichtbinäre oder mit dem Geburtsgeschlecht nicht übereinstimmenden Geschlechtsidentitäten. Queerfeindlichkeit stellt einen Unterfall von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit dar und umfasst beispielsweise Homophobie, Biphobie und Transphobie. Seite 220 X Hintergrund Die Ablehnung queerer Lebensweisen ist nicht neu in der Agitation von Extremisten, entsprechende Aussagen finden seit vielen Jahren Verbreitung in den Szenen. Dabei werden unterschiedliche Argumente bemüht, um queere Menschen zu verurteilen. Ähnliche Argumentationsmuster werden über die Grenzen einzelner extremistischer Felder hinweg genutzt. Die Ablehnung von Diversität im Hinblick auf sexuelle Orientierungen sowie Partnerschaftsund Familienmodelle ist keine genuin rechtsextremistische Position. Dennoch bildet die rechtsextremistische Weltanschauung die Basis für ein völkisches Familienverständnis, nach dem Heterosexualität und die damit verbundene traditionelle Kernfamilie als alternativlos und biologisch "natürlich" angesehen wird. Rechtsextremisten drücken ihre Ablehnung moderner Geschlechterverständnisse und Familienmodelle aus, indem sie das Thema ideologisch besetzen und mit ihrem von Rassismus und Nationalismus geprägten Weltbild verknüpfen. Oftmals wird in diesem Zusammenhang ein angeblicher "Volkstod" heraufbeschworen, welcher nur durch eine traditionelle ethnisch deutsche Familie abzuwenden sei. Die Ablehnung von sexueller und geschlechtlicher Vielfalt moderner demokratischer Gesellschaften, insbesondere der Homosexualität und Transidentität, ist ein festes Element islamistischer Ideologien. In diesem Feindbild repräsentiert sich für Islamisten vor allem die von ihnen abgelehnte bzw. zu bekämpfende liberale, säkulare Gesellschaft. Daher finden queerfeindliche Narrative entsprechende Verbreitung innerhalb der islamischen Szene. Menschen aus der LGBTQ+-Szene sowie deren Symbole und Orte waren in den letzten Jahren wiederholt Ziel islamistischer Anschläge. Im Bereich der Ülkücü-Bewegung (türkischer Rechtsextremismus) ist grundsätzlich keine direkte ideologische Befassung mit den Themen Homooder Transsexualität und queere Identität bekannt. Da die Ülkücü-Ideologie allerdings sehr stark auf eine Reinheit und Überhöhung der türkischen Rasse (Turkvölker) zielt und dabei Werte wie Stärke und Männlichkeit hervorhebt, muss angenommen werden, dass innerhalb der Szene mindestens eine latente Queerfeindlichkeit vorherrscht. Dies lässt sich unter anderem daran festmachen, dass innerhalb der organisierten Ülkücü-Szene bspw. im Zuge von Veranstaltungen oft eine klare Trennung nach Geschlechtern vorgenommen wird, was dafür spricht, dass in dem Weltbild der Ülkücü-Bewegung keine Abweichung von traditionellen männlichen und weiblichen Rollenbildern möglich ist. In der Ideologie der PKK wurde ursprünglich jegliche Ausübung von Sexualität durch Guerillakämpferinnen und -kämpfer sowie Kaderangehörige als Verrat am Kriegertum betrachtet und wurde in den 1990er Jahren durch die parteiinterne Todesstrafe geahndet.72 Vermutlich ging es der PKK nicht darum, Sexualität in heteronormative Bahnen zu lenken, sondern grundsätzlich um den Vorrang des Kollektivs vor den individuellen 72 Siehe z. B. in der Presse so genannter "Bunkermord" in Bremen, BGH-Urteil vom 20.02.2002, 5 StR 538/01 Seite 221 X Hintergrund Interessen, um bedingungslosen Gehorsam und das Abschneiden aller persönlichen Bindungen des Individuums, damit effektiv und ausschließlich für die Partei gekämpft wird. Explizite Äußerungen zum Thema Homound Transsexualität oder queere Identität in ideologischen Papieren der PKK und aktuelle queerfeindliche Straftaten durch PKK-Anhängerinnen und -Anhänger sind hier nicht bekannt. 2.2 Phänomenbezogene Merkmale des Rechtsextremismus Unter dem Begriff Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen wesentliche Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten und die Abschaffung des demokratischen Staates zugunsten einer autoritär geführten "Volksgemeinschaft" verfolgen. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten versuchen dieses Ziel auch unter Anwendung von Gewalt umzusetzen. Ablehnung des Demokratieund Rechtsstaatsprinzips Nach rechtsextremistischem autoritären Staatsverständnis soll der Staat intuitiv nach dem vermeintlich übereinstimmenden Willen des Volkes handeln. Das führt dazu, dass der Einzelne zugunsten der sogenannten Volksgemeinschaft zurückstehen und sich unterordnen muss, da Staat und Volk eine Einheit bilden. Führerprinzip Die Vorstellung einer "Volksgemeinschaft" hebelt eine pluralistische Gesellschaft aus und ebnet dem Führerprinzip den Weg, wenn ein angeblicher Volkswille als Ideal vorgegeben wird und nicht im Diskurs gesellschaftlicher Gruppen demokratisch, pluralistisch gefunden wird. Das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Ausübung einer parlamentarischen Opposition würden damit hinfällig. Wer zur Volksgemeinschaft gehört, ergäbe sich allein aus der biologisch-ethnischen Abstammung. Biologisch-ethnische Abstammung als zentrales Ideologieelement Diese Haltung ist ein zentrales Element rechtsextremistischer Ideologie, aus der gleichzeitig eine Legitimation hergeleitet wird, die biologisch-ethnische Abstammung über die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte zu stellen, und geht einher mit einer gleichzeitigen Abwertung anderer Ethnien. Seite 222 X Hintergrund Ideologie der Ungleichwertigkeit Die eigene biologisch-ethnische Abstammung und das eigene Volk werden elitär überhöht, Angehörige anderer Ethnien oder auch Religionen werden abgewertet und ausgegrenzt. Geschichtsrevisionismus Neben einer antidemokratischen Grundhaltung, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gehören Geschichtsrevisionismus, also die ideologisch motivierte Umdeutung historischer Fakten, sowie Antisemitismus zur rechtsextremistischen Weltanschauung. 2.3 Phänomenbezogene Merkmale des Islamismus und islamistischem Terrorismus Im Gegensatz zum Islam als Religion ist der Islamismus eine religiös begründete extremistische Ideologie und seine zahlreichen Strömungen sind grundsätzlich (in verschiedener Ausprägung) verfassungsfeindlich. Durch ihre extremistische Islamauslegung richten sich alle Islamistinnen und Islamisten klar gegen die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie Volkssouveränität, Trennung von Staat und Religion, freie Meinungsäußerung und allgemeine Gleichberechtigung. Absolutheitsanspruch Aus dem Universalitätsanspruch des Islams leiten Islamistinnen und Islamisten das übergeordnete Ziel einer Islamisierung der ganzen Welt ab. Zugrunde liegt dabei die tiefe Überzeugung, die einzige und überlegene Wahrheit zu kennen und verpflichtet zu sein, diese in Wort und Tat allen Menschen näherzubringen. Überdies betrachtet der Islamismus den Islam als ein absolutes und umfassendes Ordnungssystem, das alle Bereiche des Lebens - private wie öffentliche - durchdringt und regelt. Ziel eines islamischen Gottesstaates auf Grundlage der Scharia Islamistische Strömungen streben in letzter Konsequenz danach, den demokratischen Rechtsstaat durch einen Gottesstaat auf Basis der Scharia zu ersetzen - einer Sammlung islamischer Rechtsvorschriften, die unter anderem körperliche Strafen wie das Abtrennen von Gliedmaßen (Hadd-Strafen) enthält. Während jihadistisch motivierte Personen dies vorwiegend durch den bewaffneten Kampf erreichen wollen, agieren sogenannte legalistische Gruppierungen eher auf gesellschaftspolitischer Ebene und versuchen, ihrem Ziel durch eine ideologische Durchdringung der Gesellschaft mittels religiöser Missionierung (da'wa), sozialem Engagement und politischer Einflussnahme auf längerfristige Sicht näherzukommen. Seite 223 X Hintergrund Tauhid/Tawhid (Glaube an die Einheit Gottes) Das Tauhid-Konzept beschreibt die Lehre von der absoluten "Einheit und Einzigartigkeit Gottes". Daraus leiten islamistische Strömungen ab, dass Gott (Allah) der einzig legitime Souverän ist und die von ihm erschaffene und im Koran beschriebene Weltordnung als einzig "wahre" und absolute Ordnung über allen menschengemachten Gesetzen steht bzw. diese ersetzt. Ein bildlicher Ausdruck dieses Prinzips ist der nach oben weisende ausgestreckte Zeigefinger ("Tauhid-Finger"). Ausgrenzung und Takfir (Exkommunizierung) Viele islamistische Strömungen vertreten einen religiösen Exklusivitätsanspruch und grenzen andere Glaubensrichtungen strikt aus - mitunter sogar andere islamistische Strömungen, die von ihrer eigenen Ideologie abweichen. Das im Salafismus propagierte Konzept der "Loyalität und Lossagung" (al-wala' wa-l-bara') fordert u. a. dazu auf, den Umgang mit Nicht-Musliminnen und -Muslimen zu meiden und kann bei einer radikalisierten Einstellung auch zum takfir führen, d. h. dem systematischen Absprechen des Muslim-Seins. Der exklusive Absolutheitsanspruch im Islamismus kreiert darüber hinaus ein duales Weltbild, aus dem im jihadistischen Spektrum abgeleitet wird, dass alle Nicht-Musliminnen und -Muslime generell als Feinde zu bekämpfen seien. Jihad Der arabische Begriff "Jihad" bedeutet im originären Wortsinn etwa "Anstrengung, Mühe" und soll Musliminnen und Muslime zu verstärkter Religionsausübung motivieren ("großer Jihad"). Das Konzept des "kleinen Jihad" (religionsrechtlich die Beschreibung von Möglichkeiten islamischer Gemeinschaften, sich im Angriffsfall gegen Feinde zu verteidigen) wird hingegen von jihadistisch motivierten Personen missinterpretiert. Sie leiten daraus eine universelle Legitimation ab, alle "Ungläubigen" und Andersgläubigen aktiv zu bekämpfen, da der Islam sowohl durch den "ungläubigen" Westen als auch durch nach ihrer Auffassung korrumpierte Regierungen islamischer Staaten einem ständigen Angriff ausgesetzt sei. Manche Islamistinnen und Islamisten deuten den militanten "kleinen Jihad" sogar als die individuelle Pflicht einer bzw. eines jeden muslimischen Gläubigen und bezeichnen ihn als die "sechste Säule" des islamischen Glaubens. Rückwärtsgewandtheit/Ideal der "frommen Altvorderen" Ein wesentliches, vorwiegend im Salafismus vorliegendes Merkmal ist die Glorifizierung der Frühzeit des Islams und die Orientierung an dieser aus salafistischer Sicht "reinen" und unverfälschten religiösen Ur-Gemeinschaft, indem wortgetreu die originäre heilige Schrift (Koran) und die Traditionen des Propheten Muhammad (sunna) befolgt werden. Die Bezeichnung der salafistischen Strömung leitet sich daher vom arabischen Terminus "as-Salaf as-Salih" ab - in etwa "die frommen Altvorderen". Seite 224 X Hintergrund Antisemitismus und Israelfeindlichkeit Im Rahmen eines sogenannten sekundären Antisemitismus, dessen Grundelemente die Leugnung des Holocausts und die Negierung des Existenzrecht des Staates Israel darstellen, sind vor allem der Nahostkonflikt und das Ziel der in muslimischen Augen nötigen "Befreiung Palästinas" aus den Händen des "Okkupators" Israel bei allen islamistischen Strömungen ein wichtiges Thema. Die Geschichte des Konflikts wird dabei propagandistisch verklärt und als Beweis für eine Doppelmoral des Westens bzw. eine angebliche jüdisch-christliche Unterdrückung des Islams angeführt. Islamistinnen und Islamisten vertreten daher immer auch eine antisemitische Grundauffassung, deren Ausprägung jedoch variieren kann. 2.4 Phänomenbezogene Merkmale des Linksextremismus Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für alle Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, die auf einer Verabsolutierung der Werte von Freiheit und sozialer Gleichheit beruhen, wie sie sich insbesondere in den Ideologien des Kommunismus und Anarchismus wiederfinden. Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Linksextremistische Organisationen, Gruppierungen und Parteien stellen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Ihre unterschiedlichen Strömungen und Ideologien haben das gemeinsame Ziel, die bestehende, durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung revolutionär zu überwinden. An ihre Stelle soll eine sozialistische, kommunistische oder anarchistisch-herrschaftsfreie Gesellschaftsform treten. Linksextremisten erkennen die parlamentarische Demokratie als bestehende Staatsform nicht an. Vielmehr wird diese Staatsform als Ausformung des ihrer Ansicht nach kapitalistischen Systems angesehen. Ziel ist daher deren Abschaffung. Unterschiede bestehen, je nach ideologischer Ausrichtung in den Wegen, die zu diesem Ziel führen sollen. Alle Versuche, eine entsprechend angestrebte Gesellschaftsform in die Realität umzusetzen und zu etablieren, führten zu keinem dauerhaften Erfolg. Linksextremistische Ideologie Der linksextremistischen Ideologie liegen Theorien von Leitfiguren zugrunde, die je nach Strömung in unterschiedlichem Ausmaß und zum Teil auch voneinander abweichenden Interpretationen einfließen. Im Linksextremismus lassen sich grob zwei Strömungen unterscheiden. Die undogmatischen, meist in losen Zusammenhängen und sich nur an Ideologiefragmenten bedienenden Linksextremisten stellen den Großteil des gewaltorientierten Personenpotenzials. Die Grundsätze der dieses Spektrum beeinflussenden Lehren, insbesondere des Seite 225 X Hintergrund Anarchismus und Kommunismus sowie die Erkenntnisse des Marxismus, werden nicht als verbindliche Glaubenssätze verstanden. Vielmehr kann kontinuierlich eine Anpassung an die aktuelle politische Situation und die heute bestehende Lebenswirklichkeit erfolgen. Die dogmatisch ausgerichteten Linksextremisten in Parteien und parteiähnlichen Strukturen orientieren sich dagegen an starren Glaubenssätzen innerhalb ihrer Ideologie. Insbesondere den dogmatischen Personenzusammenschlüssen dient das Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Ableitung zum revolutionären Handeln. Damit folgen sie der vermeintlich wissenschaftlichen Lehre von Karl Marx (18181883) und Friedrich Engels (1820-1895), nach der der Kommunismus die endgültige und vollkommene aller Wirtschaftsund Gesellschaftsformen ist. Konkrete Hinweise und Vorgaben für die Ausgestaltung der neuen Gesellschaftsbzw. Wirtschaftsordnung gaben sie nicht. Infolgedessen entwickelten verschiedene kommunistische Politiker und Philosophen Theorien und Strategien, wie der Umsturz und die Neugestaltung der Gesellschaft gelingen könnten. Wladimir Iljitsch Uljanow - besser bekannt als Lenin (1870-1924) - begründete die These, nach der der Sozialismus als eine eigenständige Entwicklungsphase zwischen Kapitalismus und Kommunismus besteht. Lenin passte den Marxismus an die Bedingungen im Russland des beginnenden 20. Jahrhunderts an und entwickelte ihn so weiter. Von entscheidender Bedeutung sind im Leninismus die Strategie und Taktik der Revolution. Eine kleine Gruppe von Berufsrevolutionären habe als zentrale Führung das Proletariat zu leiten und durch Agitation und Propaganda zum sozialistischen Klassenbewusstsein sowie zur bewussten revolutionären Aktion zu führen. In der praktischen Umsetzung zeigte sich die Diskrepanz zwischen dem wissenschaftlichen Bewusstsein der Berufsrevolutionäre und dem Alltagsbewusstsein der Bevölkerung. Die Masse der Werktätigen wurde dadurch grundlegend von politischen Entscheidungen ausgeschlossen. In Schleswig-Holstein werden die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und ihre Umfeldorganisationen dieser grundlegenden Ideologie zugeordnet. Josef W. Stalin (1879-1953) propagierte nach Lenins Tod den "Aufbau des Sozialismus in einem Land". Er reduzierte die marxistische Theorie auf ein Dogmensystem, das hauptsächlich der Rechtfertigung der Herrschaftsverhältnisse im Sinne der Kommunistischen Partei diente. Dieses System führte zur Beseitigung aller bürgerlichen Freiheiten und Rechtsgarantien und damit zu einem umfassenden Terror gegen weite Bevölkerungskreise. Heute wird die stalinistische Politik von linksextremistischen Gruppierungen überwiegend kritisch gesehen und abgelehnt. Seite 226 X Hintergrund Die von Leo Trotzki (1879-1940) vertretenen Ansichten stellten keine tatsächliche Abspaltung vom Kommunismus sowjetischer Prägung dar. Die Lehre Trotzkis betonte die sozialistische Weltrevolution und kritisierte das autoritäre Parteimodell in der Sowjetunion als "bürokratisch entartet". Die trotzkistische Lehre setzt dabei auf eine direkte Demokratie durch die Errichtung der "Diktatur des Proletariats" in Gestalt der Rätedemokratie und das Beharren auf den proletarischen Internationalismus. Insgesamt spielte Trotzki für die politische Entwicklung in der Sowjetunion eine beträchtliche Rolle, er befürwortete offen die Anwendung von Gewalt als legitimes revolutionäres Mittel, auch gegen die eigenen Kampfgenossen. In Schleswig-Holstein existieren die trotzkistischen Gruppen Sozialistische Alternative (SAV) und Marx 21. Der Maoismus verband seit dem Sieg Mao Tsetungs (1893-1976) in China 1949 die grundlegenden Gedanken des Marxismus-Leninismus mit traditionell chinesischen Elementen. Im Gegensatz zu Lenin vertrat Mao die Strategie der "Umzingelung der Städte durch das Land". Mao schrieb den Bauern die tragende Rolle der Revolution und Hauptstütze des Kommunismus in China zu. Diese Ideen Mao Tsetungs werden heute nicht mehr als die alleinige Schöpfung Maos angesehen. Sie werden als "die Kristallisation der kollektiven Weisheit der Kommunistischen Partei Chinas" bezeichnet, um ihren Inhalt nach den politischen Erfordernissen jeweils neu bestimmen zu können. Die größte Gruppierung dieser ideologischen Ausrichtung ist die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland (MLPD), die auch Anhänger in Schleswig-Holstein hat. Dem Anarchismus liegt eine philosophisch-politische Lehre zugrunde, die darauf zielt, die Gesellschaft vom Staat zu befreien. Jegliche politische Macht soll vernichtet werden. Dabei differenzieren Anarchistinnen und Anarchisten nicht zwischen demokratisch und diktatorisch organisierten Staaten. Der Staat an sich gilt als das Problem. Die Verweigerung von Hierarchie und Unterordnung führt zu einem prinzipiellen Misstrauen gegenüber jeder Organisationsform. Anarchistinnen und Anarchisten bilden deshalb zumeist lediglich lose strukturierte Gruppierungen. An die Stelle des Staates soll künftig eine freie Vereinigung von Einzelpersonen und Gruppen ohne Zwangsorganisationen treten, ohne geschriebene Gesetze, Polizei, Militär, Gerichte oder Gefängnisse. In einer solchen Gesellschaft sollen die Menschen aufgrund freiwilliger Verträge harmonisch miteinander leben. Die anarchistische Gesellschaft ist auf der Basis völliger Freiwilligkeit geordnet. In Schleswig-Holstein gehören dazu die Graswurzelbewegung und die Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU). Seite 227 X Hintergrund Besetzung von gesellschaftlich anerkannten Themenfeldern zur Zielerreichung Schwerpunkte linksextremistischer Agitation liegen grundsätzlich auf den Themenfeldern Antifaschismus und Antirassismus sowie Antikapitalismus und Antirepression. Entsprechende Begriffsbestimmungen nach linksextremistischem Verständnis befinden sich im Teil Linksextremismus dieses Berichts. Linksextremisten nutzen für ihre Themenfelder positiv besetzte Begriffe, die im zivilgesellschaftlichen Spektrum anerkannt sind und somit eine hohes Anschlusspotenzial an dieses Spektrum haben. Sie deuten diese positiv besetzten Begriffe auf ihre extremistische Zielsetzung und versuchen darüber, bürgerliches Personenpotenzial für ihre Zwecke zu gewinnen. 2.5 Phänomenbezogene Merkmale extremistischer Bestrebungen mit Auslandsbezug Die Aktivitäten der extremistischen Organisationen mit Auslandsbezug in Deutschland werden maßgeblich beeinflusst durch die aktuellen Ereignisse in den jeweiligen Herkunftsländern und durch die Vorgaben der dortigen zentralen Organisationseinheiten. Das Handeln in Deutschland ist vorrangig darauf ausgerichtet, die jeweiligen Hauptorganisationen in den Heimatländern zu unterstützen, sei es durch Geldspenden, Rekrutierung neuer Mitglieder, Vorhalten eines Rückzugsraumes für politisch verfolgte Organisationsmitglieder sowie durch Lobbyarbeit und Einflussnahme auf die öffentliche Meinung. Der Begriff Extremismus mit Auslandsbezug fasst unterschiedliche Bestrebungen zusammen, die ihren Ursprung jeweils in politischen, sozialen oder ethnischen Konflikten in Ländern außerhalb Deutschlands haben, und die nicht primär aus islamistischer Motivation handeln. Es geht dabei also nicht um ein einheitliches, tendenziell untereinander bündnisfähiges Spektrum, sondern um sehr unterschiedliche, teilweise gegenläufige Bestrebungen. Einige dieser Bestrebungen sind geprägt durch Ideologieelemente aus dem Linksextremismus und beziehen sich auf universelle kommunistische bzw. sozialistische Vordenkerinnen und Vordenker wie Marx und Lenin, so beispielsweise die türkisch-linksextremistische Marxistische Leninistische Kommunistische Partei (MLKP). Bei einigen extremistischen Gruppierungen mit Auslandsbezug aus dem linken Spektrum ist die ursprüngliche sozialistische oder kommunistische Ausrichtung inzwischen in den Hintergrund getreten und durch eigene Ideologieelemente und Forderungen modifiziert worden, so beispielsweise bei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Bei anderen extremistischen Bestrebungen mit Auslandsbezug finden sich Ideologieelemente des Rechtsextremismus in Form von Rassismus und einer nationalistischen Prägung, die der eigenen Volksgruppe einen deutlich höheren Wert beimisst als anderen Ethnien. Die Vordenkerinnen und Vordenker der jeweiligen Ideologie stammen in der Seite 228 X Hintergrund Regel aus der jeweiligen Volksgruppe, die sie ideologisch überhöhen, beispielsweise Nihal Atsiz für die Ülkücü-Bewegung. Der Begriff Ülkücü-Bewegung, umgangssprachlich auch oft als "Graue Wölfe" bezeichnet, wird hier synonym verwendet für türkischen Rechtsextremismus. Obwohl die Aktivitäten dieser extremistischen Organisationen sich nicht primär gegen die Bundesrepublik Deutschland richten, sind sie für die äußere und innere Sicherheit Deutschlands problematisch: Eine Unterstützung von Organisationen, die im Ausland gewalttätig und terroristisch agieren, von deutschem Boden aus gefährdet auswärtige Belange der Bundesrepublik und schadet der Völkerverständigung. Das gewaltsame Austragen von Konflikten verschiedener Migrantengruppen untereinander innerhalb der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt die innere Sicherheit, missachtet das staatliche Gewaltmonopol und gefährdet die verfassungsmäßigen Rechte der jeweiligen Opfer. In Schleswig-Holstein sind hinsichtlich des Extremismus mit Auslandsbezug vor allem die Wechselwirkungen der mitgliederstärksten Beobachtungsobjekte mit Bezug zur Türkei, nämlich der PKK und des türkischen Rechtsextremismus/Ülkücü-Bewegung relevant. Die PKK wird vom Verfassungsschutz in erster Linie beobachtet, weil sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Dies äußert sich dergestalt, dass sie im Ausland ihre politischen Ziele mit militärischer und terroristischer Gewalt verfolgt und diese Gewaltanwendung durch Spendensammlungen und Rekrutierungen in Deutschland fördert. Obwohl die PKK in Europa seit Jahren auf spektakuläre Gewaltaktionen verzichtet, um sich im politischen Raum als seriöse Interessenvertretung für kurdische Belange zu profilieren, gefährdet ihre Tätigkeit auch die innere Sicherheit Deutschlands: Durch einen flächendeckend vorhandenen Kaderapparat und eigene Medien kann die PKK kurzfristig Tausende von Anhängerinnen und Anhängern zu Protestwellen vorgegebener Intensität mobilisieren. Nach dem Verständnis der PKK umfasst das von ihr sogenannte friedliche Protestverhalten auch Straftaten wie zum Beispiel Hausund Landfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und gefährliche Eingriffe in den Verkehr. Gewalttätige Ausschreitungen - vor allem gegen rechtsextremistische türkische Personen - im Rahmen von Versammlungslagen werden von den PKK-nahen Organisationen in Deutschland ebenso billigend in Kauf genommen wie Sachbeschädigungen und Brandanschläge gegen türkische Objekte durch sogenannte Apoistische Jugendinitiativen. Der Begriff "apoistisch" nimmt Bezug auf den PKK-Gründer Abdullah Öcalan, der von seinen Anhängern verehrend "Apo" - Kurdisch für "Onkel" und abkürzend für "Abdullah" - genannt wird. "Apoistisch" bedeutet folglich "Öcalan-treu". Der Begriff "Apoistische Jugendinitiative" wird regelmäßig in Bekennungen zu Straftaten auf der Internetseite der PKK-Jugendorganisation verwendet. Seite 229 X Hintergrund Der türkische Linksextremismus umfasst ein breites Spektrum an verschiedenen Organisationen und Parteien. In Schleswig-Holstein ist vorwiegend die MLKP vertreten. Ihre Ideologie ist kommunistisch mit einer marxistisch-leninistischen Ausprägung. Für die meisten der türkisch linksextremistischen Organisationen gilt Deutschland als Rückzugsraum, weshalb dort grundsätzlich keine gewaltsamen Aktionen durchgeführt werden. Allerdings wird über die Mitglieder von Deutschland aus finanzielle und logistische Unterstützung für gewaltsame Aktionen in der Türkei geleistet. Dadurch gefährden sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Die Ülkücü-Bewegung zeichnet sich durch einen übersteigerten Nationalismus aus, welcher insbesondere in der Forderung nach einer Vereinigung aller Turkvölker in einem gemeinsamen Staat zum Ausdruck kommt. Die Anhänger der Ülkücü-Bewegung sehen im Türkentum eine Überlegenheit gegenüber anderen Völkern und Nationen. Damit geht eine rassistische Grundhaltung einher. Die Ülkücü-Bewegung richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker. Für die Bewegung sind vor allem Themen, welche ihren Ursprung in der Türkei haben, von Interesse. Hierzu spielen insbesondere außenpolitische sowie wirtschaftliche und historische Themen eine Rolle. Der säkulare palästinensische Extremismus in Form der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) ist durch eine marxistisch-leninistische Ideologie geprägt. Deutschland ist für die PFLP kein Operationsgebiet mehr für terroristische Aktionen, sondern wird lediglich als Raum für propagandistische Zwecke und Spendenwerbung genutzt, um die Organisation im Ausland zu unterstützen. Dadurch gefährdet sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. 2.6 Phänomenbezogene Merkmale der Reichsbürger und Selbstverwalter Reichsbürgerinnen und Reichsbürger und Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter stellen eine eigene Form des politischen Extremismus dar. Sie weisen nur in Teilen Bezüge zum Rechtsextremismus auf. Reichsbürgerinnen und Reichsbürger und Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter erkennen aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen die Bundesrepublik Deutschland und damit auch die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht an. Reichsbürgerinnen und Reichsbürger stützen ihre Argumentation auf das "Deutsche Reich", das nach ihrer Auffassung fortbesteht. Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter hingegen stellen nicht unbedingt auf das "Deutsche Reich" ab, verwenden aber ähnliche Argumentationsmuster. Teilweise beanspruchen sie eigene "Hoheitsgebiete", die sie "selbst verwalten". Seite 230 X Hintergrund Ablehnung des Demokratieund Rechtsstaatsprinzips Für Reichsbürgerinnen und Reichsbürger sowie Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter gibt es den Staat Bundesrepublik Deutschland nicht. Seine Rechtsordnung, insbesondere das Grundgesetz seien unverbindlich. Demokratie, Parlamentarismus, das Mehrparteiensystem und das Gewaltmonopol des Staates werden abgelehnt. Aus ihrer Ideologie leiten sie ein umfassendes Widerstandsrecht gegen staatliche Maßnahmen ab. Diese nach außen auch aggressiv-kämpferisch getragene Grundhaltung macht die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene zu einem Feind der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In Verbindung mit der auffällig hohen Affinität zu Waffen geht von der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene ein latent hohes Gefahrenpotenzial aus. In zahlreichen teilweise verbal-aggressiv formulierten Schreiben mit pseudojuristischen Argumenten an Behörden bestreiten sie die Existenz der Bundesrepublik. Stattdessen verwenden sie Bezeichnungen wie "BRiD"73 oder "BRD-GmbH"74 Mit solchen und ähnlichen Abkürzungen will die Szene unterstreichen, dass sie die Bundesrepublik Deutschland nicht für einen souveränen Staat hält und erklärt, staatliche Behörden und Kommunen seien privatrechtliche Firmen oder Unternehmen. Als vermeintliche Belege dieser Behauptungen wird auf entsprechende Auszüge aus öffentlichen Firmenregistern hingewiesen, in denen auch Behörden eingetragen sind. Mit derartigen Schreiben versuchen Reichsbürgerinnen und Reichsbürger und Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter, sich rechtlichen Pflichten gegenüber dem Staat zu entziehen, um hauptsächlich Steuern, Gebühren und Abgaben nicht zu zahlen. Darüber hinaus werden teilweise Behörden und gezielt deren Beschäftigte unter Druck gesetzt und eingeschüchtert, indem ihnen mit Schadenersatzforderungen, Bußgeldern oder Zwangsmaßnahmen gedroht wird, falls sie nicht machen, was in den einschlägigen Schreiben der Szene steht. Nicht selten berufen sich Reichsbürger und Selbstverwalter dabei auf eine eigene Rechtsprechung und Gerichtsbarkeit, die bei Nichtbefolgung ihrer Anliegen tätig werde. Den Behörden werden zudem Fristen für eine Reaktion gesetzt. Lassen die Behörden die Frist verstreichen, wird dies als Zustimmung gewertet. Vermeintlich legitimiert aufgrund ihrer Ideologie nimmt die Szene ein Widerstandsund Notwehrrecht für sich in Anspruch. Behördliche (Vollstreckungs-) maßnahmen sind demzufolge rechtswidrige Angriffe, denen man auch mit Gewalt begegnen darf. 73 Abkürzung für "Bundesrepublik in Deutschland" 74 Abkürzung für "Bundesrepublik Deutschland-GmbH" Seite 231 X Hintergrund Bürger sind nur "Personal" Anfänglich beriefen sich Reichsbürgerinnen und Reichsbürger und Selbstverwalterinnen und Selbstverwalter darauf, dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat sei und dessen Bürgerinnen und Bürger nur "Personal" einer unter Besatzung der Alliierten stehenden GmbH seien. Die "Betriebszugehörigkeit" zu dieser privatrechtlichen Firma würde mit dem Personalausweis dokumentiert. Gäbe man den Personalausweis bei den Behörden ab, so steige man aus der Bundesrepublik aus. Das Innenministerium Schleswig-Holstein reagierte darauf bereits im Jahr 2017 mit der Einführung einer sogenannten Aufbewahrungsgebühr. Mit Einführung der Gebühr ging die Anzahl der zur Verwahrung abgegebenen Personalausweise drastisch zurück. Dennoch ist die Differenzierung zwischen dem "Menschen" auf der einen Seite und der durch Ausstellung einer Geburtsurkunde oder eines Personalausweises künstlich geschaffenen "juristischen Person" auf der anderen Seite weiterhin ein gängiges Argument der Szene. Regelmäßig wird geschlussfolgert, der "Mensch" sei nicht für Forderungen an die "juristische Person" zuständig. 2.7 Phänomenbezogene Merkmale der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates Verunglimpfung demokratischer Prozesse Delegitimiererinnen und Delegitimierer machen den demokratischen Rechtsstaat, dessen Entscheidungen und seine Repräsentantinnen und Repräsentanten verächtlich. Die Szene verunglimpft demokratische Prozesse und setzt unter anderem in diffamierender Weise den parlamentarisch-demokratischen Rechtsstaat mit der NS-Diktatur gleich. Staatliche Maßnahmen werden als illegitim gesehen. Die Delegitimiererszene leitet daraus ein Widerstandsrecht ab, das die Androhung von Gewalt und Sabotageaktionen miteinschließt. Verbale Agitation, Drohungen und realweltliche Aktionen zielen auf eine Delegitimierung des Staates ab. Sie richten sich aktiv-kämpferisch gegen das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip und gefährden die Sicherheit des Staates. Seite 232 X Hintergrund Keine einheitliche Ideologie und kein Gegenentwurf zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung Delegitimiererinnen und Delegitimierer verfügen über keine einheitliche neue oder hergebrachte Ideologie. Sie greifen auf einzelne Elemente unterschiedlicher Ideologien zurück und verfolgen keinen klar definierten politisch-gesellschaftlichen Gegenentwurf zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dies unterscheidet sie im Kern von den bislang bekannten verfassungsfeindlichen Bestrebungen wie dem Rechtsextremismus, dem Linksextremismus, dem Salafismus, der Reichsbürgerbewegung oder dem Extremismus mit Auslandsbezug. Rekurs auf Verschwörungstheorien Die Szene nutzt nahezu durchgängig Versatzstücke verschiedenster Verschwörungserzählungen. Oftmals weisen diese Theorien antisemitische Narrative und Ressentiments auf. Delegitimiererinnen und Delegitimierer eint eine deutlich ausgeprägte Elitenfeindlichkeit und ein absolutes "Freund-Feind-Denken". Der Rückgriff auf Verschwörungstheorien entfaltet dabei eine erhebliche katalysatorische Wirkung. Einige Anhängerinnen und Anhänger halten zum Beispiel die Corona-pandemie für ein Konstrukt, eine internationale Verschwörung pädophiler Eliten, um eine weltweite Diktatur zu errichten. Fake News Zur vermeintlichen Nachvollziehbarkeit ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebung verbreiten Delegitimiererinnen und Delegitimierer in erheblichem Umfang falsche Nachrichten. Für die sogenannten Fake News nutzen sie in der Regel den Messengerdienst Telegram. Diese Aufforderungen und Aussagen belegen, dass das Gewaltmonopol des Staates, das parlamentarische System und rechtsstaatliche Verfahren verächtlich gemacht und abgelehnt werden. Die kontinuierliche Agitation der Delegitimiererinnen und Delegitimierer, die darüber hinaus auch Verstöße gegen den Gedanken der Völkerverständigung aufweist, zielt auf eine breite Akzeptanz in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft und damit im Ergebnis auf eine Destabilisierung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Seite 233 Seite 234 XI Liste der im Bericht genannten extremistischen Organisationen 1 Rechtsextremistische Organisationen - Aryan Circle (AC) - Bollstein Kiel - Der III. Weg - Die Heimat (HEIMAT) - Die Rechte - Identitäre Bewegung (IB) - Junge Nationalisten (JN) - Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) - Nordfeuer - Völkisch-nationalistischer Personenzusammenschluss (ehemals "Flügel") in der AfD - Wählergemeinschaft Heimat Neumünster (WHN) 2 Reichsbürger und Selbstverwalter - Indigenes Volk Germaniten (IVG) - Internationale Organisation Völkerrecht (IOV) - Königreich Deutschland (KRD) - Wahlkommission der Königlich Preußischen Provinz Schleswig-Holstein (WKSH) Seite 235 XI Liste der im Bericht genannten extremistischen Organisationen 3 Islamistische und islamistisch-terroristische Organisationen - al-Qaida/Kern-al-Qaida (AQ) - AMAL - an-Nahda - DMG-B Deutschsprachige muslimische Gemeinschaft Braunschweig e. V. - DMG Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. - ECFR European Council for Fatwa and Research x - Furkan-Gemeinschaft (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi) - Generation Islam (GI) - HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiyya; "Islamische Widerstandsbewegung") - "Qassam-Brigaden" - HIA Hizb-i Islami Afghanistan (Islamische Partei Afghanistan) - Hizb Allah/Hisbollah - Hizb ut-Tahrir (HuT; Partei der Befreiung) - HTS Hai'at Tahrir ash-Sham (Komitee zur Befreiung der Levante) - IGS Islamische Gemeinschaft der Schiitischen Gemeinden Deutschlands e. V. - Islamischer Staat (IS; vormals "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" - ISIS) - Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) - Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) - Muslimbruderschaft/Muslimbrüder (MB; al-Ikhwan al-Muslimun) - Palestine Liberation Organization (PLO; Palästinensische Befreiungsorganisation) Seite 236 XI Liste der im Bericht genannten extremistischen Organisationen - Palästinensischer Islamischer Jihad (PIJ) - Realität Islam (RI) - Samidoun (Solidaritätsnetzwerk für palästinensische Gefangene) - Tablighi Jama'at (TJ; Missionierungsgesellschaft) - Türkische Hizbullah 4 Linksextremistische Organisationen - Antifa Kiel - Antifa Neumünster - Antifa Pinneberg - Autonome Antifa-Koordination Kiel (AAKK) - Basis Antifa Lübeck - Deutsche Kommunistische Partei (DKP) - Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) - Graswurzelbewegung - Interventionistische Linke (IL) - La Rage - Marx21 - Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) - Rote Hilfe e.V. (RH) - Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) - Sozialistische Alternative (SAV) - TurboKlimaKampfGruppe (TKKG) Seite 237 XI Liste der im Bericht genannten extremistischen Organisationen 5 Extremistische Organisationen mit Auslandsbezug (nicht islamistisch) - Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistane, PKK) - Bewegung der jungen kämpferischen Frauen (Jinen Ciwan en Tekoser - Teko-Jin) - Bund Sozialistischer Frauen (Sosyalist Kadinlar Birligi, SKB) - Demokratischer Gesellschaftskongress der Kurd*innen in Europa (Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li Ewropa, KCDK-E) - Demokratische Kurdische Gemeinde Zentrum Neumünster e. V. (DKTM Neumünster) - Einheit der freien Frau (Yekitiya Jinen Azad - YJA-STAR) - Föderation Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland e. V. (Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyan le Bakure Alman, FED-DEM) - Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF) - Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen Azadiya Kurdistan, TAK) - Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (Koma Civaken Kurdistan, KCK) - Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland (KON-MED) - Kurdisches Gemeindezentrum Schleswig-Holstein e. V. (DKTM Kiel) - Kurdische Frauenbewegung in Europa (Tevgera Jinen Kurd a Ewrupaye - TJK-E) - Marxistische Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) - Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekitiya Demokrat, PYD) - Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi, MHP) - Patriotisch revolutionäre Jugendbewegung (Tevgera Ciwanen Welatparez u Soresger, TCS) Seite 238 XI Liste der im Bericht genannten extremistischen Organisationen - Vereinte Revolutionäre Bewegung der Völker (Halklarin Birlesik Devrim Hareketi, HBDH) - Volksfront für die Befreiung Palästinas (Popular Front for the Liberation of Palestine, PFLP) - Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gel, HPG) - Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel, YPG) - Young Struggle (YS) Seite 239