li Ss SCHLESWIG-HOLSTEINISCHERLANDTAG Drucksache 1 4121 29 } 14. Wahlperiode 27.04.99 Bericht der Landesregierung Verfassungsschutzbericht 1998 Federführend ist der Innenminister. Drucksache44/2427 Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein Verfassungsschutzbericht 1998 Inhaltsverzeichnis 1. Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein 1 Rechtliche Grundlagen, Aufgaben, Kontrolle 2 Organisation, Personal, Haushalt N. Rechtsextremismus 1 Überblick 11 Rechtsextremistische Parteien 12 Völkisch orientierte revölutionäre Gruppen 1.3 Die Bedeutung der "Neuen Rechten" 2 Schwerpunkte 2.1 "Bündnis Rechts für Lübeck": ein neo-nationalsozialistisches Bündnismodell 2.2 Entwicklungder Strafund Gewalttaten 2.3 Nutzung moderner Kommunikationsmittel 24 Linke Themen von rechts 3 Organisationen und unstrukturierte Zusammenschlüsse 3.1 Neo-Nationalsozialismus 3.1.1 "Freie Nationalisten" 3.1.2 "Freiheitlicher Volks Block" (FVB) 3.2 Rechtsextremistisch orientierte gewaltgeneigte Subkultur-Gruppen 15 33 Rechtsextremistische Musik und staatliche Gegenmaßnahmen 15 3.4 Parteien . 16 3.4.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (IN) 16 342 "Deutsche Volksunion" (DVU) 17 3.43 "Die Republikaner" 18 3.5 Sonstige 19 3.5.1 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) 19 _ 3.5.2 Personenkreis um Andr@ Goertz 19 3.5.3 "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V.* 20 4 Rechtsextremistisches Schrifttum und Verlagswesen 20 5 "Neue Rechte' 20 6 Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungenin Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1994 bis 1998 22 IH. Linksextremismus 1 Überblick 2 Linksextremistischer Terrorismus 2.1 21.1 2.1.2 22 2.3 "Rote Armee Fraktion" (RAF) DliegalederRAF Reaktionen auf die RAF-Auflösungserklärung "Antimperialistische Zelle" (AZ) "Antiimperialistischer Widerstand" (AIW) ERERR 24 3 "Rote Hilfe e. V." 26 4 Autonom-anarchistische Szene 26 41 Potential und Selbstverständnis 26 42 Aktionsformen und Strategien 27 4.2.1 Gewalt als Mittel zur Verfolgung politischer Ziele 27 4.2.2 Aufgreifen gesellschaftlich relevanter Themen 28 4.3 Organisation und Vernetzung ' 29 4.4 Aktionsfeider 4.4.1 "Anti-Faschismus" 4.42 "Anti-Rassismus"* 4.4.3 "Anti-Militerismus" 4.4.4 "Anti-Atomkraft" 4.5 Situation der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein 45.1 Potential und Strukturen 4.5.2 Gewalttaten in Schleswig-Holstein Mitgliederentwicklung der Inksextremistischen Organisationen und Gruppierungenin Schleswig-Holsteia und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1996 bis 1998 & IW. Extremistische Bestrebungen von Ausländern 1 Überblick 37 2 Situation der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 38 2.1 deologisch-politischer Standort 38 22 Strukturen und beeinflußte Organisationen 38 2.3 Anhängerpotential in Deutschland, öffentliche Aktivitäten \ 38 2.4 Spendengelderpressungen für die PKK 39, 25 Rekrutierung des militärischen und politischen Nachwuchses 39 2.6 Strafund Exekutivmaßnahmen gegen die PKK 2.7 Situation nach dem Verlust ihrer Unterstützung durch Syrien 3 Linksextremistische türkische Organisationen 4 4 Islamischer Extremismus 42 41 Wesen des Islamismus 42 4.2 Extremistische islamische Organisationen in Deutschland . 42 5 Eutwicklung der Mitglieder-/Anhängerzahlen der extremistischen Ausländeforganisationen in SchleswigHolstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1996 bis 1998 I. Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein 1 Rechtliche Grundlagen, Aufgaben, Kontrolle Verfassungsschutz ist, so Artikel 73 des Grundgesetzes, gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Das "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz* vom 20.Dezember 1990 beschreibt den gemeinsamen Handlungsrahmen, den die Länder für ihre Verfassungsschutzgesetze übemommen haben. In Schleswig-Holstein ist dies das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande, Schleswig-Holstein'' vom 23. März 1991. Daneben hat der Verfassungsschutz die in verschiedenen anderen Gesetzen (u. a. Personalausweisgesetz, Paßgesetz, Datenschutzgesetz) normierten Rechtsvorschriften zu beachten. Enge Grenzen setzt z. B. das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses für Eingriffe in diese Grundrechte. Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, die Landesregierung und andere zuständige Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder zu unterrichten. Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist er befugt, sachund personenbezogene Informationen zu sammeln und auszuwerten über " Bestrebungen, die gegen diese Grundordnung oder den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, e Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, (r) sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht. Unter Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organisationen, unorganisierten Gruppen, aber auch von einzelnen Personen zu verstehen,die sich gegen Grundprinzipien der Verfassungsordnung richten. Hinzu kommen muß eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber diesem Grundbestand von Werten und Rechten unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung. Derartige Bestrebungen werdenals "extremistisch" oder "verfassungsfeindlich" bezeichnet. Eine nur wertneutrale oder kritische Haltung dem Staat gegentiber kann niemals Gegenstand der Beobachtung durch den Verfassungsschutzsein. Zur Informationsgewinnung ist der Verfassungsschutzbehörde der Einsatz sogenannter nachrichtendienstlicher Mittel erlaubt. Hierzu gehören z. B. der Einsatz von V-Leuten (Vertrauensoder Verbindungsleute), die heimliche Beobachtung (Observation) und das Anfertigen von Bildund Tonaufzeichnungen. Mit den Informationen können die zuständigen Stellen des Bundes und der Länder im Einzelfall Maßnahmentreffen und die Gefahrenschwelle bestimmen, jenseits derer Verbotsmaßnahmen zum Schutze der Verfassungsordnung erforderlich sind. Die Erkennfnisse können die Grundlage sein für Verbote von Vereinen, Verbotsanträge gegen Parteien, Verbote von Versammlungen, Verhinderung finanzieller oder sonstiger Förderung, Verweigerung erforderlicher Erlaubnisse (z. B. für Sammlungen, Informationsstände). Eine mitwirkende Funktion hat die Verfassungsschutzbehörde im Bereich des Geheimschutzes. Sie unterstützt Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind und gibt Empfehlungen, wie vertraulich zu behandelnde Unterlagen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden können. Der Verfassungsschutz ist ausschließlich zur Erhebung und Verarbeitung von Informationen befugt; er ist strikt von der polizeilichen Exekutive getrennt. Seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keinerlei polizeilich-exekutive Befugnisse. Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt Kontrollen, die sicherstellen, daß die Aufgaben nur in dem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen wahrgenommen werden. Diese Kontrolle wird in erster Linie vom Parlament durch die Parlamentarische Kontrollkommission, im Einzelfall durch eine Beauftragte oder einen Beauftragten für den Verfassungsschutz, aber auch von den Gerichten, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz, dem Landesrechnungshof und der Öffentlichkeit wahrgenommen. ' 2 Organisation, Personal, Haushalt Der Verfassungsschutz in Schleswig-Hoistein ist als eine Abteilung des Innenministeriums organisiert, die sich in folgende Referate gliedert: " Verwaltung, Rechtsund Grundsatzfragen, Datenschutz, Gebeimund Sabotageschutz, " Nachrichtenbeschaffung, " Auswertung Rechtsextremismus, Öffentlichkeitsarbeit, (r) Auswertung Lirksextremismus und Ausländerextremismus, Spionageabwehr. In der Verfassungsschutzabteilung sind zur Zeit 69 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließlich Schreibund Verwaltungskräften tätig: Für Sachmittel und Investitionen des Verfassungsschutzes standen 1998 1,045 Millionen DM an Haushaltsmitteln zur Verfügung. Die Personalkosten werden bei den entsprechenden Personalkostentiteln des Ministeriums ausgewiesen. N. Rechtsextremismus 1 Überblick Die Ergebnisse der rechtsextremistischen Parteien bei der Bundestagswahl am 27. September haben gezeigt, daß der Rechtsextremismus weit davon entfemtist, seine politischen Ziele auf parlamentarischem Wege durchzusetzen. Das Wahlergebnis läßt jedoch keinen Rückschluß auf das von ihm zu mobilisierende Potential innerhalb der Bevölkerung zu. Daß dieses durchaus vorhandenist, wurde anläßlich der Landtagswahl am 26. April in Sachsen-Anhalt deutlich, bei der die "Deutsche Volksunion" 12,9 % der abgegebenen Stimmenerhielt. Auch bei der schleswig-holsteinischen Kommunalwahl am 22. Mäz erzielte eine rechtsextremistische Gruppierung ein bemerkenswertes Ergebnis: 3,6 % der Wählerinnen und Wähler in Lübeck votierten für den Einzug des "Bündnis Rechts für Lübeck" in die Bürgerschaft, obwohl aufgrund des Wahlkampfes unzweifelhaft zu erkennen war, daß es sich hier um) bekennende Rechtsextremisten handelte, an deren verfassungsfeindlicher Zielsetzung kein Zweifel bestehen konnte. Die Beteiligung verschiedener rechtsextremistischer Gruppierungen an den Wahlen zeigt aber auch, daß der Rechtsextremismus von organisatorischer und ideologischer Homogenität noch immer weit entfernt' ist. Es werden aber zwei Hauptströmungen erkennbar, die derzeit bestimmend sind: eine aktionistische mit dem Charakter einer am Nationalsozialismus orientierten "Bewegung", die ihr Endziel nicht verschleiert, und eine populistische, die von Parteien getragen wird, die eine verfassungsfeindliche Zielsetzung bestreiten. 1.1 Rechtsextremistische Parteien Der Erfolg der "Deutschen Volksunion" (DVU) in Sachsen-Anhalt und.die Etablierung der "Republikaner" in der baden-württembergischen Parteienlandschaft lassen erkennen, daß nationalistische und rechtsextremistische Politikinhalte derzeit am ehesten über rechtspopulistische Strategien vermittelbar sind. Ihr gedanklicher Mittelpunkt ist ein angeblich einheitlicher "Volkswille", der im Streit der sogenannten Alt-Parteien untergehe und dem deshalb in einer Mobilisierung des "Volkes" gegen die etablierten Parteien Geltung verschafft werden müsse. Der Rechtspopulismus will Ressentiments gegen "die da oben" aktivieren und betont den "gesunden Menschenverstand" der "einfachen Leute". Gleichzeitig ist ihm jedoch das pluralistische Leitbild des parlamentarischen Verfassungsstaates suspekt, das den Streit um den richtigen politischen Weg als positiven Wert begreift. An die Stelle einer demokratischen Willensbildung auf der Grundlage der tragenden Verfassungswerte setzen die Rechtspopulisten als absoluten Wert ein nationalistisch verstandenes Gemeinwohl, das von angeblich zur politischen Führung Berufenen im Einklang mit dem "deutschen Volkswillen" verwirklicht wird. Dieser gebiete es, zentrale Bereiche des Staatsapparates dem Einfluß und der Kontrolle des Parlamentes zu entziehen. Auch diese rechtsextremistische Strömung gerät somit durch ihr nach innen autoritäres, nach außen nationalistisches Staatsverständnis in Widerspruch zu grundlegenden Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates: zum Prinzip der Gewaltenteilung, zum Prinzip der parlamentarischen Verantwortlichkeit der Regierung, zum Prinzip des politischen Minderheitenschutzes (Oppositionsprinzip), zur Geltung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, kurz: zum Grundanliegen der Begrenzung und Kontrolle politischer Macht. Die DVU hat mit ihrem radikalen Widerspruch gegen Parteien und Politiker den vergleichsweise größten Erfolg der Organisationen am rechten Rand. Allerdings gelingt es ihr bisher nicht, Wähler auf Dauer an sich zu binden. Die autoritär im Stile eines Politunternehmens geführte Partei kann nur von Fall zu Fall den zur Zeit hauptsächlich mit dem Thema "Zuwanderung" verknüpften Wählerprotest sammeln. Die "Republikaner" bieten kein einheitliches Bild. Eindeutig rechtsextremistischen Strömungen und Bündnisbemühungen innerhalb der Partei stehen national-konservative Kräfte gegenüber, die die Partei innerhalb des Verfassungsrahmens der parlamentarischen Demokratie positionieren wollen. Der gesetzliche Beobachtungsauftrag des schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzes zielt deshalb allein auf die Klärung der Frage ab, welchen Einfluß rechtsextremistische Bestrebungen innerhalb der Partei haben. 1.2 Völkisch orientierte revolutionäre Gruppen Im aktionistischen, mehr oder weniger offen am Vorbild des Nationalsozialismus orientierten Bereich des Rechtsextremismus hat die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) seit Mitte des Jahrzehnts eine Führungsrolle übernommen. Sie manifestiert ihren Führungsanspruch beispielsweise in ihrem Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 8/1998), indem sie der Forderung nach Einheit der Rechten eine Absage erteilt, da sie in diesem Fall die Bildung einer bürgerlichen, überwiegend systemkonformen Partei befürchtet, die zum "Überleben des Volkes" ungeeignetsei. Favorisirt wird hingegen eine "ale Volksschichten ansprechende Fundamentalopposition" mit dem Bekenntnis zum völkischen Nafionalismus und dem Ziel, die geltende Verfassungsordnung des "Systems" zu beseitigen. Mit ihrem Aktionismus bat die NPD eine weit über ihre Parteigrenzen reichende Anziehungskraft vor allem auf Neo-Nationalsozialisten und rechte Jugend-Subkulturen gewonnen, besonders in den neuen Ländern, Durch von ihr organisierte Aufmärsche ist es der Partei gelungen, unterschiedliche rechtsextremistische Strömungen zusammienzuführen und das Selbstwertgefühl der Rechtsextremisten zu stärken. Auch in Schieswig-Holstein haben jüngere neo-nationalsozialistische Kräfte in der NPD Fuß fassen können. Neben der NPD gibt es strukturlose neo-nationalsozialistische Bündnisse wie etwa die von Hamburger Aktivisten dominierten "Freien Nationalisten". Sogenannte Kameradschaften, die den größten Teil des nicht organisierten Potentials stellen und die als Kleingruppen mit wenigen Mitgliedern überwiegend im Randgebiet zu Hamburg, aber auch in ländlich strukturierten Kreisen anzutreffen sind, sind die Nahtstelle zwischen Subkultur und' organisierter politischer Bestrebung. Die geplanten und tatsächlich durchgeführten gemeinsamen Veranstaltuogen mit der NPD belegen den wechselseitigen Unterstützungsbedarf, So bemühten sich im August die, "Freien Nationalisten" ohne Unterstützung durch den Organisationsapparat der NPD vergeblich, "Rudolf-HeßGedenkaktionen" durchzuführen. Andererseits zeigte sich bei verschiedenen Großveranstaltungen der NPD, daß das von ihr propagierte Ziel, "die Macht über die Straße" zu erlangen, nicht ohne die Marschbereitschaft neo-nationalsozialistischer "Kameradschaften" erreichbar erscheint. Ideologisch bestehen kaum Differenzen zwischen dem traditionellen neonationalsozialistischen Spektrum und der NPD. Die antikapitalistische Stoßrichtung,die ganz offen einen nationalen Sozialismus anstrebt, ist unverkennbar. Das Erscheinungsbild auf der Straße wird in erster Linie durch die als Verstärkung zur Verfügung stehenden Angehörigen der rechten Jugend-Subkultur bestimmt, deren Verhalten durch Lust an Provokation und Gewalt gekennzeichnet ist. Ihre Gruppen sammeln sich locker um nationalistische und rassistische Überzeugungen, um Germanenund Führerkult und um Aktivisten, die über ihre Nähe zu neo-nationalsozialistischen "Kameradschaften" die Brücke zu politischen Gruppierungen schlagen. 1.3 Die Bedeutung der "Neuen Rechten" Erstmals haben sich in Schleswig-Holstein Hinweise auf vereinzelte Veranstaltungen der sogenannten Neuen Rechten ergeben. Die "Neue Rechte", die in Deutschland bisher kaum Bedeutung erlangte, versteht sich als vorpolitische Strömung, die antiparlamentarische, antiliberale und antiegalitäre Positionen zu modernisieren und geistig zu verankern sucht, um damit rechtsextremistischen Herrschaftsansprüchen neue Durchsetzungskraft zu verleihen. Sie stellt der "mechanischen Gleichmacherei" der : liberalen Demokratie ein "organisches" Staatsund Weltverständnis entgegen. Sie formuliert die Utopie des Rechtsextrermismus, nämlich die Schaffung einer einheitlichen, alle Parteiund Klassengegensätze überwindenden, homogenen Volksgemeinschaft, in der jeder freiwillig den ihm zukommenden Platz in einer "organisch gestalteten' Gesellschaft einnimmt und in der nach nicht näher bestimmter "organischer politischer Willensbildung" sich die zur Führung berufene politische Elite herauskristallisieren soll. Anders als in Frankreich, wo sich diese Utopie einer (in der Weimarer Republik entstandenen) "Konservativen Revolution" mit der "Nouvelle Droite" einen festen Platz im rechten geistigen Spektrum sichern konnte, ist sie in Deutschland bisher nahezu bedeutungslos geblieben. Dies dürfte auf die historische Erfahrung zurückzuführen sein, daß dieses Denkenletztlich dem Nationalsozialismus den Weg mitbereitet hatte. 2 Schwerpunkte 2.1 "Bündnis Rechts für Lübeck": ein neo-nationalsozialistisches Bündnismodell Mit der Wählergemeinschaft "Bündnis Rechts für Lübeck" (BRL) hatte sich in Schleswig-Holstein im Vorfeld der Kommunalwahlen 1998 ein Aktionsschwerpunkt norddeutscher Neo-Nationalsozialisten entwickelt. Initiiert und gesteuert wurden diese Aktivitäten von dem Hamburger Thomas Wulff und seinen Anhängern. Der vorübergehende Aktivitätsschub hat das neo-nationalsozialistische Personenpotential Schleswig-Holsteins, das im Kern rund 60 Personen umfaßt, aber nicht meßbar vergrößert. Allerdings haben sich die Gewichte verlagert: Die Szene wird dominiert von den sich selbst als "Freie Nationalisten" bezeichnenden Neo-Nationalsozialisten, die dem Wulff-Umfeld zuzurechnen sind. In den Jahren 1996 und 1997 hatten schleswig-holsteinische Wulff-Anhänger,. für die Andr& Schwelling, Henstedt-Ulzburg '(Kreis Segeberg), als regionale Führungsperson fungiert, gesteigerte Aktivitäten in Schleswig-Holstein entfaltet. Dabei erhielten sie Unterstützung von Aktivisten aus Hamburg. Diese Entwicklung fand - wie im Vorjahresbericht dargestelit - einen vorläufigen Abschluß mit der Wählergemeinschaft BRL. - Das BRL war von Wulff als modellhaftes Bündnisprojekt zwischen den "Freien Nationalisten" und der "Nationaldemokratischen Partei. Deutschlands" (NPD) initiiert worden. Eine von ihm unterzeichnete Presseerklärung zur Gründung des BRL am 4. Oktober 1997 hob ausdrücklich den Bündnischarakter der Wählergemeinschaft hervor, ähnlich wie ein im November 1997 in Lübeck bekanntgewordenes NPD-Flugblatt. Das Bündnis entsprach durchaus praktischen Erfordernissen: Ohne die örtlichen NPDStrukturen hätten die "Freien Nationalisten" nicht die formalen Voraussetzungen der Wahlteilnahme erfüllen können; andererseits erlangte der BRL-Wahlkampf nur durch die Mitwirkung und überörtliche Mobilisierungsfähigkeit der "Freien Nationalisten" besondere öffentliche Aufmerksamkeit. An der Gründung des BRL war der frühere Landtagsabgeordnete der "Deutschen Volksunion" und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" und heutige NPDLandesvorsitzende Ingo Stawitz, Uetersen (Kreis Pinneberg), der schon vorher Kontakt zu Neo-Nationalsozialisten unterhalten hatte, maßgeblich beteiligt. Als Vorsitzender fungierte der damalige NPD-Aktivist Dieter Kern aus Lübeck, der ebenfalls schon im Vorfeld mit dem Wulff-Umfeld Verbindung aufgenommen hatte. Die BRLWahlkandidaten waren überwiegend bereits als NPD-Mitglieder in Erscheinung getreten. Wulff begnügte sich formal mit der Position eines Beisitzers, hatte aber einige seiner Anhänger im Vorstand untergebracht. Die Kooperation von Neo-Nationalsozialisten und NPD spiegelte sich auch in der Öffentlichkeitsarbeit des BRL wider. Ein im Januar in Betrieb genommenes "InfoTelefon" berichtete schon in seiner ersten Ansage sowohl über die Wahlvorbereitungen der Wählergemeinschaft als auch über NPD-Parteiinterna. Wenig später wurde das BRL als sogenanntes Regionalprojekt in die dem Wulff-Umfeld zuzurechnende InternetHomepage "Nationaler Widerstand" einbezogen. Öffentliche Aufmerksamkeit erregen zwei Demonstrationen des BRL, die von Ausschreitungen linksextremistischer Gegendemonstranten begleitet waren. Für beide Demonstrationen wurde überregional mobilisiert: Neben den. Publikationen des WulffUmfeldes ("Zentralorgan" und Internet-Homepage "Nationaler Widerstand") und dem BRL-"Info-Telefon" riefen andere Internetund Mailbox-Einstellungen sowie "Nationale Info-Telefone" vorrangig die neo-nationalsozialistische Szene zur Teilnahme auf. Die Demonstrationen waren folglich neo-nationalsozialistisch dominiert, was in der Zusammensetzung der Teilnehmer sowie in der Veranstaltungsleitung sichtbar wurde. Anstelle des nominellen Versammlungsleiters, des BRL-Vorsitzenden Kem, schoben sich Wulff und sein langjähriger führender Mitstreiter Christian Worch, beide Hamburg, in den Vordergrund und xissen die Veranstaltungsleitung faktisch an sich. Während sich zur Demonstration am 31.Januar nur 150 Rechtsextremisten versammelten, wurde die zweite BRL-Demonstration am 14. März mit über 300 Teilnehmern durchgeführt. Sie skandierten unter anderem die Parole "Bündnis für Lübeck - Signal' für Deutschland". Als Redner traten neben Christian Worch "weitere Freie Nationalisten" und der damalige NPD-Landesvorsitzende auf. Mit einern Wahlergebnis von 3,6 % (3 540 Stimmen) verfehlte das BRL den Einzug in die Bürgerschaft. Nur in vier von insgesamt 27 Wahlkreisen gelang der Sprung über die 5-%-Hürde mit Spitzenwerten von 5,3 und 5,4% (Moisling, Kücknitz). Daraufhin zog sich das Wulff-Umfeld aus dem BRL zurück; wenige Wochen später wurde die Wählergemeinschaft aufgelöst. In ihrer Gesamfbilanz zeigten sich die an BRL beteiligten Aktivisten durchaus zufrieden. Dabei standen neben dem erzielten "achtbaren Ergebnis" die Medienpräsenz und angeblich erfahrene öffentliche Zustimmung im Vordergrund. Der Bündnischarakter des BRL wurde immer wieder als "wegweisend" herausgestellt. Das BRL war mehr war als nur eine lokale Wählervereinigung. Innerhalb Wulffs Konzeption der "Freien Nationalisten" handelte es sich vielmehr um ein Element eines überregionalen rechtsextremistischen Netzwerkes, das eine - nur vorübergehende - Aktionsbasis in Lübeck sicherstellte. Die Ambitionen des Wulff-Umfeldesrichteten sich generell nicht ausschließlich auf die Kommunalwahl. Demgegenüber waren die ortsansässigen, der NPD zuzurechnenden Personen die lokalen Vorzeigefiguren, die benötigt wurden, um die Fassade einer Wählergemeinschaft aufrechtzuerhalten und damit. den Neo-Nationalsozialisten Freiräume für Aktionen zu verschaffen. Seit dem Rückzug des Wulff-Umfeldes versucht der ehemalige BRL-Vorsitzende seine auf Schaffung von Bündnissen gerichteten Bestrebungen mit Hilfe des im Mai gegründeten "Bündnis Rechts Schleswig-Holstein" fortzusetzen. Bei seinen in der Szene skeptisch beobachteten und bislang erfolglosen Aktivitäten bedient auch er sich des Internet und betreibt sogar ein eigenes "Info-Telefon". 2.2 Entwicklung der Strafund Gewalttaten Die Zahl der Straftaten mit zu vermutender rechtsextremistischer Motivation (Gewalttaten, Sachbeschädigung, Nötigung, Bedrohung, Volksverhetzung, Verbreitung von Propagandamitteln und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) ging 1998 auf Bundesebene von 11 719 im Vorjahr um 5,7 % auf 11.049 zurück. Die Mehrzahl der Taten machten Delikte wie Schmierereien und Sprühen von ' Hakenkreuzen oder SS-Runen sowie verbale Propagandadelikte aus. In Schleswig-Holstein nahm die Zahl der Straftaten um 18 % von 431 im Vorjahr auf 498 zu. Dabei bildet Lübeck einen eindeutigen Schwerpunkt, insbesondere durch die wiederholten Hakenkreuzschmierereien im Zusammenhang mit dem von einer Lübecker Kirchengemeinde gewährten "Kirchenasy!"für eine algerische Familie. Die in der Gesamtzahl der Straftaten enthaltenen Gewalttaten (Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Sprengstoffund Brandanschläge sowie Landfriedensbruch) nahmen bundesweit um 10,4 % von 790 auf 708 Taten ab. Dazu zählen auch 16 antisemnitisch motivierte Gewalttaten (Vorjahr: 11). Die herausragendste war am Jahresende in Berlin die Schändung des Grabes des 1992 gestorbenen Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, durch einen Sprengstoffanschlag. Dies war keine spontane Tat: sie galt einer Symbolfigur des deutschen Judentums und damit diesem. Antisemitismus ist ein wesentliches Element rechtsextremistischer Rasseund Verschwörungstheorien und im Spektrum der Straftaten ständig vertreten. 31 antisemitisch motivierte Straftaten in Schleswig-Holstein (1995: 51, 1996: 29, 1997: 37) belegen dies emeut. Auch rechtsextremistische Gewalttaten nahmen in Schleswig-Holstein von 24 auf 36 zu. Dabei handelte es sich überwiegend um Körperverletzungen. Fast 30% dieser Gewalttaten - darunter auch ein Brandanschlag auf einen Sendemast des NDR - entfielen auf Lübeck. 2.3 Nutzung moderner Kommunikationsmittel Angesichts der alle gesellschaftlichen Bereiche berührenden Entwicklung der Informationstechnik haben sich auch die' Methoden der Rechtsextremisten zur Verbreitung ihrer Propaganda und zur Förderung der Zusammenarbeit verändert. Technisch am einfachsten sind dabei die sogenannten Info-Telefone. Aufgrund ihrer unkomplizierten jederzeitigen Verfügbarkeit dürften sie die quantitativ höchste Bedeutung in der rechten Szene haben. Dies gilt sowohl für die Mobilisierung zu Veranstaltungen als auch für die Verbreitung allgemeiner Informationen. So werden tagespolitische Ereignisse aus rechtsextremistischer Sicht kommentiert und Hinweise über von Rechtsextremisten geplante Veraustaltungen verbreitet. In Schleswig-Holstein sind derzeit das "Bündnis Rechts Schleswig-Holstein" in Lübeck sowie das "Nationale Info-Telefon Schleswig-Hoistein" des Andr@ Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), vertreten. Von größerer Bedeutung ist inzwischen das Internet. Das hat sich insbesondere 1998 gezeigt: So erhöhte sich in Deutschland gegenüber dem Vorjahr die Zahl rechtsextremistischer Homepages von 80 auf rund 200, weltweit auf rund 480. Der Rechtsextremismus will seine relative politische Bedeutungslosigkeit dadurch überwinden, daß er über das Internet eine Massenbasis erreicht. Gelegentlich wurde das Internet auch zur Mobilisierung der Szene eingesetzt, beispielsweise im August zu einer überregionalen Demonstration in Aumühle (Kreis Herzogtum Lauenburg) anläßlich des 100. Todestages von Bismarck. Der Schwerpunkt liegt aber eindeutig in der Vermittlung rechtsextremistischer Themen, die von der Leugnung des Holocaust und Verschwörungstbeorien eingerahmt sind. Durch die Erfolge des Internet ist die Bedeutung.der rechtsextremistischen MailboxNetze weiter zurückgegangen, die ohnehin nur ein begrenztes Nutzerpotential ansprechen konnten. So ist in den seit März 1997 konkurrierenden Mailbox-Verbunden"Thule-Netz" und "Nordland-Netz" 1998 der Beirieb zeitweise jeweils nur von einer Mailbox aufrechterhalten worden. Beiden Netzen kommt aber immer noch für konspirative Mobilisierungen eine regionale Bedeutung zu. Das von einer im Kreis Segeberg ansässigen Mailbox-Betreiberin propagierte Ziel des "Nordland-Netzes", die "organisationsübergreifend Vernetzung - autonomer Kameradschaften, Parteien, Gruppen, Einzeipersouen ..." zu erreichen, ist durch die globale Einsatzmöglichkeit des Internet bei vergleichbar einfacherer Bedienbarkeit gegenüber dem Medium Mailbox als nicht realistisch, weil nicht mehr zeitgemäß zu betrachten. Die Betreiber beider Mailbox-Netze haben diesen Trend erkanst und Mailbox-Inhalte auf eigenen Homepages ins Internet eingestellt. 9 - Ünter Beteiligung schleswig-holsteinischer Rechtsextremisten sind weitere umfangreiche Internet-Einstellungen insbesondere in zwei Bereichen erfolgt: auf der Homepage "Nationaler Widerstand" der "Freien Nationalisten" um den Hamburger NeoNationalsozialisten Thomas Wulff sowie auf der Homepage "Nachrichten - Informationen - Theorie" des Halstenbekers Andre Goertz. Die Homepage "Nationaler Widerstand" hat sich aus der 1996 von einem schleswigholsteinischen Wulff-Anhänger erstmals herausgegebenen Kleinpublikation "Perspektive" entwickelt. Die nur noch im Internet erscheinende "Perspektive" zählt neben der Internet-Version der gleichfalls vom Wulff-Umfeld herausgegebenen Schrift "Zentralorgan" zum Kernbereich der in sogenannte Projekte untergliederten Homepage. Als Internet"Projekt des Nationalen Widerstands" wurde insbesondere auch das "Bündnis Rechts für Lübeck" noch weit über den Zeitpunkt seiner Auflösung hinaus geführt. Auf diesem Weg konnten die in der Wählergemeinschaft engagierten WulffAnhänger Pressemitteilungen und Flugblätter verbreiten und insbesondere für die Demonstrationen am 31. Januar und 14. März mobilisieren. Als weitere "Projekte" bietet die Homepage auch Links zu anderen rechtsextremistischen Einstellungen, z.B. überregional zum "Nationalen Widerstand Baden-Württemberg" oder zu einer "RudolfHeß-Seite". . Die Bezeichnung der Homepage als "Nationaler Widerstand" nimmt einen Begriff auf, der ähnlich wie das Konzept der "Freien Nationalisten" eine Klammer insbesondere für den radikalen Flügel des rechtsextremistischen Lagers darstellen sol. Die Homepage umschreibt dies als "kleinsten gemeinsamen Nenner der effektiven nationalen Kräfte". Im übrigen soll sie "allen Zeitschriften, Organisationen, Personen und Gruppierungen" des "Nationalen Widerstands" "eine Plattform zur Selbstdarstellung" bieten. Bereits die ansatzweise Realisierung dieser Grundsätze führte zu umfangreichen und vielschichtigen Einstellungen. Soweit es sich nicht um Aktivitätsschwerpunkte und Prestigeobjekte wie das "Bündnis Rechts für Lübeck" handelt, sind die im Internet verbreiteten Informationen jedoch überwiegend wenig zeitnah. Dies spiegelt die intellektuellen Defizite im rechtsextremistischen Lager wider: Zwar werden die Möglichkeiten des Internet intensiv erprobt und die Nutzung z.B. neuerdings durch akustische Einstellungen erweitert, doch feblt es an qualifizierten Aktivisten, die die umfangreichen Informationen kontinuierlich aktualisieren sowie neue Beiträge verfassen und einstellen können. Über einen auf der Homepage "Nationaler Widerstand" bestehenden Link ist trotz des fortbestehenden Zerwürfnisses auch die von Goertz eingestellte Homepage "Nachrichten - Informationen - Theorie" erreichbar. Der Umfang dieser Homepage übersteigt bei weitem die tatsächliche Bedeutung ihres Betreibers. Goertz frönt seiner Eitelkeit mit Beiträgen, die ihn in den Mittelpunkt rücken, so z.B. in einer ausführlichen Selbstdarstellung oder einem Internet-Tagebuch. Wegen seiner Isolation in der rechtsextremistischen Szene hat er seine politischen Aktivitäten auf das Internet konzentriert. Bei seinen Einstellungen handelt es sich insbesondere um die Texte seiner "Nationalen Info-Telefone", die auch als Sprachdatei abgerufen werden können, sowie die gleichfalls als akustische Einstellungen verfügbaren sogenannten Radio-Programme. Goertz nutzt damit die multimedialen Möglichkeiten des Internet. Seit Januar bringt er wechselnde, etwa einstündige Programme unter der Bezeichnung "Nord-Rock-Radio", jetzt "Radio-Nord", die musikorientiert "nationale Liedermacher" und Skinhead-Bands in. den Vordergrund stellen und so der Absatzförderung des von ihm betriebenen "NordVersands" dienen. Seit August bietet er zudem mit höherem politischen Anspruch ein 10 "NIT-Radio" an, das wortdomiuiert ist und politische Vorgänge in Kurzmeldungen, Kommentaren, Interviews und Gesprächen aus rechtsextremistischer Sicht kommentiert. Zu einem bevorzugten Gesprächspartner scheint sich dabei ein rechtsextremistischer Theoretiker aus Hamburg zu entwickeln, der wegen seiner linksextremistischen Vergangenheit als "Nationalmarxist" bekannt ist und mit seiner nationalrevolutionären Strategie Einfluß auf Goertz gewinnt. 2.4 Linke Themen von rechts Die Aussage "Sozialismus ist machbar" würde kaum Aufmerksamkeit erregen, wenn. sie aus linksextremistischer Quelle käme; als Schlagzeile im Parteiorgan der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), "Deutsche Stimme", bekommtsie aber ein anderes Gewicht und ist ein Zeichen dafür, daß die Inhalte rechtsextremistischer Politik sich infolge einer veränderten Weltordnung in Bewegung befinden. Vor allem in der Programmatik der NPD wird deutlich, daß Teile des Rechtsextremismus sich verstärkt Vorstellungen von einem "nationalen Sozialismus" zuwenden und damit an ein Themenfeld anknüpfen, das im politischen Denken der Weimarer Republik eine gewisse Rolle spielte und zu einem Entwicklungsstrang des Nationalsozialismus wurde. Nicht Klassenkampf, sondern die Aufhebung der gesellschaftlichen Gegensätze in der "nationalen Volksgemeinschaft" soll danach der Grundstein für eine sozialistische Staatsordaung sein. Nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur der Volksgemeinschaft ist das Ziel. Daß insbesondere die NPD sich des Themas "Sozialismus" bedient, ist aufgrund der Zielgruppe der Partei erklärlich, die sie vor allem in den neuen Ländern sieht. Die ideologische Grundlage hat die NPD bereits in ihrem aktuellen Parteiprogramm deutlich gemacht, wo es heißt: "Aus sozialer Gerechtigkeit wächst die nationale Volksgemeinschaft", : Die so verstandene sozialistische Komponente der NPD trat besonders deutlich bei der Gründung des Arbeitskreises "Sozialisten in der NPD" hervor, über die in der AugustAusgabe der "Sachsenstimme'" berichtet wurde. Insbesondere ist hier die. Konkurrenzsitvation zur "Partei des Demokratischen Sozialismus' (PDS) erkennbar, wenn es heißt: " "Wir sehen auch die PDS von ihrer Führung her nicht mehr als eine Partei an, die nach sozialer und historischer Gerechtigkeit strebt. Mebr und mehr verrät sie die Interessen ihrer Wähler im Osten und verachtet deren Lebensleistung in der DDR." Die NPD wird demgegenliber als neue Option gepriesen. Der Beitrag schließt mit den Parolen: "Kampf dem US-Imperialismus! Für einen sozialistischen Volksstaat!". . " Die Vereinnabmung des. Anti-Kapitalismus findet allmählich .auch Eingang in rechtsextremistische Publikationen. Den Anstoß hierfür hatte der Publizist Dr. Dr. Thor von Waldstein gegeben, der in seinen "Thesen zum Kapitalismus im Kongreßprotokoll 1998" der rechtsextremistischen "Gesellschaft für freie Publizistik" die politisch strategische Vereinnahmung des Anti-Kapitalismus forderte. Die Kapitalismuskritik in Deutschland sei heute intellektuell verwaist. Für die politische Rechte werde es die Greichenfrage sein, ob es ihr gelinge, die. Position des Anti-Kapitalismus aus den Traditionsbeständen der beamteten Apo-Opas herauszubrechen, um sie mit nationalen Inhalten aufzuladen. Entweder es kämen endlich die "linken Leute von rechts" oder es 11 kämen keine Leute von rechts. Diese Thesen wurden inzwischen in der führenden rechtsextremistischen Publikation "NATION & EUROPA, Deutsche Monatshefte" (Nr. 10/98), in der Zeitschrift "Staatsbriefe" (Nr. 5/98) sowie in "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (Nr. 3/98) abgedruckt. In "Staatsbriefe" Nr. 11/98 wurde diese rechtsextremistische Strategiedebatte zur bündnispolitischen und ideologischen Öffnung nach "links" fortgesetzt. Der Herausgeber dieses Theorieund Strategieorgans sieht den Ausweg aus dem Ghetto nur im gemeinsamen Kampf mit der "Linken" für das bedrohte Volk. Ein anderer Autor, der die Parteirechte für tot erklärt, sieht nur in einem Linksschwenk die Rettung: es müsse eine neue Operationsbasis für nationalen Befreiungskampf und volksnabenSozialismus gefunden werden. 3 Organisationen und unstrukturierte Zusammenschlüsse 3.1 Neo-Nationalsozialismus Diejenigen rechtsextremistischen Kräfte, die sich offen zum Nationalsozialismus bekennen und die sich als außerparlamentarische revolutionäre Bewegung verstehen, haben die Zahl ihrer Anhänger nicht erhöhen können, auch aufgrund der ab 1992 gegenüber allen bedeutenden neo-nationalsozialistischen Organisationen ausgesprochenen vereinsrechtlichen Verbote - insgesamt 15-. Bundesweit liegt die Anhängerzahl im Schnitt der letzten Jahre zwischen 2000 und 3000 (in SchleswigHolstein bei rund 60). Die neo-nationalsozialistische Szene ist kaum strukturiert. Etwa die Hälfte Aktivisten (1998: ca. 1 200) ist in sogenannten Kameradschaften organisiert. Deren Spektrum reicht . von Zusammenschlüssen, bei denen die Gemeinschaftspflege im Vordergrund steht, bis zu straff geführten Gruppen, die, wie die "Freien Nationalisten'", bundesweit agieren und auch publizistisch tätig sind. Die politische Bandbreite der Gruppenmitglieder umfaßt ideologisch gefestigte Kadermitglieder wie auch orientierungslose Jugendliche mit lediglich rudimentärem rechtsextremistischem Hintergrund. Die steuernden Funktionen gehen seit Jahren bundesweit von einem sich kaum verändernden Personenkreis aus. In Norddeutschland sind das vor allem die in Hamburg lebenden Christian Worch und Thomas Wulff. Die kameradschaftsübergreifende Zusammenarbeit ("Vernetzung") dieser seit Jahren immer wieder propagierten "Organisationen ohne Organisation" klappt nur leidlich. Die Angehörigen der kleineren "Kameradschaften", von denen es Ende 1998 drei fest auszumachende in Schleswig-Holstein gab, werden zumeist nur durch Aufrufe der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) zu Veranstaltungsteilnahmen bewegt. Infolge der Verbotsmaßnahmen' haben sich Kräfteverschiebungen zugunsten der NPD ergeben. Sie stellt heute faktisch den legalen Arm der "Bewegung" dar. Von dieser Zweckgemeinschaft profitieren einstweilen beide Seiten. Nur mit ihrem angestammten Personenpotential wäre die NPD nicht in der Lage gewesen,die öffentlichkeitswirksamen Aufmärsche gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" zu inszenieren. Wenngleich kurzfristig noch nicht die Gefahr einer Übernahme der Partei durch die .neo-nationalsozialistischen Kader besteht, dürften deren Absichtserklärungen zur Übernahme der NPD dem Parteivorstand dennoch Kopfzerbrechen bereiten. Beispielhaft für die Strategie der Neo-Nationalsozialisten ist 12 eine. von der schletwig-holsteinischn Mailbox "Asgard.BBS" verbreitete Stellungnahme, in der es heißt: "Durch das Vordringen der in unserem Sinne richtigen Leute in den Bundesvorstand der NPD kann eigentlich schon davon gesprochen werden, daß die. *Unterwanderung' und "Übernahme" einer nationalen Partei gelungen ist ... Jetzt ist die Bahn frei, daß die NPD zum Sammeibecken aller nationalen und sozialen Kräfte wird ... Wenn diese Linie jetzt von allen, auch den Freien Nationalisten mit unterstützt wird, hat die NPD sehr gute Chancen, zum parlamentarischen Teil der politischen Einflußnahme zu werden." . 3.1.1 "Freie Nationallsten" Der Begriff "Freie Nationalisten" und damit korrespondierend "freie Strukturen" bezeichnet eine Variante neo-nationalsozialistischer Vernetzungsstraiegien, die von dem Hamburger Thomas Wulff entwickelt wurde. Die Umsetzung dieses Konzeptes ist im Berichtszeitraum weiter vorangetrieben worden und: hat Schleswig-Holstein vorübergehend zu einem Schwerpunkt neo-nationalsozialistischer Aktivitäten gemacht, die mit der Auflösung des "Bündnis Rechts: für Lübeck' (siehe dazu unter Nr. II 2.1) schlagartig zurückgingen. Das Konzept der "Freien Nationalisten" ist weit mehr als.eine Eigenbezeichnung und geht auch über Organisätionsansätze im Sinne einer Vernetzung hinaus. Für die norddeutsche neo-nationalsozialistische Szene sind die "Freien Nationalisten" bereits zu einem 'kennzeichnenden Schlüsselbegriff geworden, für den mittlerweile sogar eine authentische inhaltliche Umschreibung vorliegt. In der im Januar vom Wulff-Umfeld herausgegebenen Erstausgabe der Publikation "Zentralorgan" findet sich ein in Interviewform gehaltener ausführlicher Beitrag zum Thema "Freie Nationalisten". Dem redaktionellen Vorspann zufolge richten sich die Fragen an einen "reichsweit bekannten, langjährigen Mitkämpfer", was neben anderen Anhaltspunkten die Vermutung begründet, daß Wulff selbst der Gesprächspartner ist. Das Interview ergibt einen eindeutigen Befund. Es geht darum, die Zersplitterung des rechtsextremistischen Lagers zu überwinden, ohne den ideoloischen Bezugspunkt der Neo-Nationalsozialisten aufzugeben: "Ich glaube, daß die meisten Freien Nationalisten aufgrund einer nationalsozialistischen Gesinnung und der daraus . resultierenden revolutionären Grundhaltung wesentlich eber bereit sind, persönliche und politische Differenzen zugunsten eines gemeinsamen Vorgehens, zumindest zeitweise, in den Hintergrund zu stellen ..." In der Absage an feste Organisationsstrukturen werden offen Bezüge zu linksextremistischen Autonomen hergestellt. Auffällig ist die starke Akzentuierung einer qualitativen Veränderung der neo-nationalsozialistischen Szene infolge des Übergangs zu - "freien Strukturen": "Ich persönlich sehe in den Strukturen Freier Nationalisten eine notwendige Ergänzung zu den bestehenden nationalen Gruppierungen. Zum einen, um die Radikalität innerhalb der Szene zu steigern, und zum anderen, um den Druck auf Spalter und Provokateure erhöhen zu können." 13 Die hier schon durchschimmernde Militanz wird bekräftigt im Zusammenhang mit dem Zeichen der "Freien Nationalisten", der schwarzen Fahne, die kaum verklausuliert als Hakenkreuzersatz beschrieben wird: "Die schwarze Fahne ist das Symbol der Not in unserem Reich... Sie steht für den Kampf, den wir führen ... Sie ist kein neues Symbol einer Bewegung, sondern ein Zeichen unserer erbarmungsiosen Kampfbereitschaft. Unser gemeinsames heiliges Symbol, für das wir kämpfen, wird erst wieder auf unseren Fahnen prangen, wenn wir dieses System vernichtet haben." Damit sind die Eckpunkte des 'Konzeptes "Freier Nationalisten" beschrieben. Dabei scheinen einzelne Zielvorstellungen unvereinbar zu sein. Gleichwohl ist es Wulff gelungen, " das neo-nationalsozialistiscee Spektrum als Bündnispartner anderer rechtsextremistischer Gruppierungen hoffähig zu machen und dabei neue Themenfelder zu besetzen, . gleichzeitig die Orientierng der Neo-Nationalsozialisten am historischen Nationalsozialismus zu bekräftigen, " die Neo-Nationalsozialisten auf eine "Kampfgemeinschaft einzuschwören und ihnen Aktionsräume zu eröffnen und ' " seine Rolle als bundesweit bedeutsame Führungsperson auszubauen. Die bündnispolitischen Ambitionen der "Freien Nationalisten" richten sich primär auf die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), die trotz mancher Spannungen immer wieder Bereitschaft zur Zusammenarbeit gezeigt hat und sich dabei zunehmend radikalisiert. Auch in Schleswig-Holstein haben sich die Wulff-Anhänger um Kooperation mit der NPD bemüht. Auffälligstes Beispiel war das "Bündnis Rechts für Lübeck". Die daran beteiligten Neo-Nationalsozialisten, deren räumlicher Schwerpunkt im Hamburger Randbereich (insbesondere Henstedt-Ulzburg) liegt, setzten dort ihre Aktivitäten unter dem Dach der NPDfort. Die "Freien Nationalisten" treten in Schleswig-Holstein derzeit weniger in Erscheinung. Sie haben ihren Aktionsradius im Jahr 1998 deutlich erweitert, binden sich jedoch nicht mehr über längere Zeit intensiv an bestimmte Projekte. Im Vordergrund standen vermehrt demonstrative Auftritte im Sinne eines "Kampfes auf der Straße", woran stets auch schleswig-holsteinische Aktivisten beteiligt waren. Es fällt auf, daß bei diesen Aktionen die Themen ebenso von Fall zu Fall wechselten wie die Vorgehensweise. In Schleswig-Holstein kam es nur noch im August zu einem weiteren Aufmarsch, nachdem "Freie Nationalisten" den 100. Todestag Bismarcks zum Anlaß einer "Bismarck-Kampagne" genommen hatten. Dabei ging es den Neo-Nationalsozialisten darum, den als "nationalen Sozialisten' bezeichneten früheren Reichskanzler als antiparlamentarischen, illiberlen und antisemiischn sowie zugleich sozialrevolutionären Kronzeugen für sich zu vereinnahmen. Das "Zentralorgan" (Nr. 4) berichtete über die Kampagne unter der Überschrift "Reichskanzler Bismarck - einer von uns!". Mehrere aus diesem Anlaß für Anfang Juli in Süddeutschland angemeldete Demonstrationen waren von den zuständigen Behörden verboten worden. Für den 8. August meldete eine Hamburger JN-Aktivisin eine angebliche NPD- 14 Wablkampfveraustaltung in Aumühle (Kreis Herzogtum Lauenburg) an. Im unmittelbaren Vorfeld der Demonstration bestätigte sich, daß tatsächlich "Freie Nationalisten" für die Veranstaltung im Rahmen der "Bismarck-Kampagne" mobilisierten, zu der 130 Teilnehmer erschienen. Die Ereignisse des zurückliegenden Jahres zeigen, daß das immer deutlichere Konturen gewinnende Konzept der "Freien Nationalisten" eine einigende Klammer innerhalb der zersplitterten neo-nationalsozialistischen Szene darstellt und aktionsbezogen auch die Einbindung anderer aktivistischer Kräfte z. B. aus "Kameradschaften" und der SkinheadSzene erleichtert. Überdies hat das Konzept den Neo-Nationalsozialisten zu mehr Akzeptanz im rechtsextremistischen Lager, insbesondere jedoch in der NPD, verholfen. Dies ermöglicht es den "Freien Nationalisten", ihren Aktivismus und ihre Radikalität über das eigene Spektrum hinaus vor. allem in die NPD hineinzutragen und die Radikalisierung dieser Partei zu verstärken. 3.1.2 "Freiheltlicher Volks Block" (FVB) Der FVB stellt innerhalb neo-nationalsozialistischer Gruppierungen nicht nur wegen seines rechtlichen Status als Verein eine Besonderheit dar. Durch seinen elitären Anspruch setzt er sich bewußt von der Strategie der Hamburger Christian Worch und Thomas Wulff ab. Dies wurde insbesondere in einer Stellungnahme zu der von diesen gesteuerten Demonstration des "Bündnis Rechts für Lübeck" am 14. März in Lübeck deutlich: "_.. wurde wieder einmal deutlich, daß der selbsternannte nationale Widerstand von Wulff und Worch in Schleswig-Holstein weder fähig ist, eine Organisationsstruktur aufzuweisen, die gezielt einsetzbar ist, noch in der Lage war, mit unvorherschbaren Ereignissen fertig zu werden ... Überhaupt ist die Zeit reif darliber nachzudenken, ob das gewünschte Ziel in der Öffentlichkeit durch Demonstrationen erreicht wird oder ob es vielmehr ein Instrument der 'SELBSTAUFGEILUNG' ist, welche die Sehnsüichte des gemeinsamen Marschierens befriedigt." Das äußere Erscheinungsbild der Organisation in der Öffentlichkeit wirkt durch die einheitliche schwarze uniformähnliche Kleidung aggressiv. Durch das gelegentliche Mitführen sogenannter Kampfhunde wird dieser Eindruck verstärkt. Im Berichtsjahr wurden in Schleswig-Holstein zwei Einsätze des FVB als Schutztruppe für politische Veranstaltungen bekannt: Am 22.Januar wurde der Saalschutz für eine Vortragsveranstaltung einer studentischen Vereinigung im Audimax der Kieler Universität gestellt. Die Zeitschrift des FVB, der "FVB Spiegel", schreibt hierzu: "Die nationale Kraft hielt somit durch die Unterstützung der FVB-Ordnerriege ... Einzug in die Universität. Durch den herausragenden Auftritt der FVB-Ordner wurde ein Meilenstein gesetzt, der gleichzeitig Auftakt für weitere nationale Veranstaltungen sein wird." | Am 16. Mai schützten FVB-Ordner in Eutin Aktivisten der "Republikaner" beim Verteilen von Handzetteln. Die rund zehn Mitglieder des schleswig-holsteinischen Landesverbandes stammen überwiegend aus den Kreisen Ostholstein und Steinburg. Gesteuert, wird der Landesverband durch süddeutsche Aktivisten, In Süddeutschland befindet sich auch die 15 Keimzelle des FVB, der 1994 in Bayern gegründet wurde. Führende Funktionäre gehörten vorher der 1993 verbotenen neo-nationalsozialistischen "Heimattreuen Vereinigung Deutschlands" an. Seitdem der Bundesvorsitzende und zwei führende Aktivisten des schleswig-holsteinischen Landesverbandes wegen einer brutalen Körperverletzung zu hoben Haftstrafen verurteilt wurden, sind die Aktivitäten deutlich zurückgegangen. 3.2 Rechtsextremistisch orientierte gewaltgeneigte Subkultur-Gruppen Mit 250 vom Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein gezählten Angehörigen (Vorjahr: 330) stellt die Gruppe der rechtsextremistisch orientierten Gewaltgeneigten den größten Teil der Rechtsextremisten außerhalb der rechtsextremistischen Parteien dar. Die Masse der meist männlichen Szene-Angehörigen handelt nicht in erster Linie aus einer originär politischen Motivation, sondern aus einer allgemeinen Protesthaltung gegen die Gesellschaft und aus Lust am Tabubruch. Ihr aggressiver Nationalismus, der durch nationalsozialistische und antidemokratische Provokation verstärkt wird, bringt sie aber nur allzu leicht unter den Einfluß neo-nationalsozialistischer Gruppen. Der auffälligste Teil dieser Subkultur ist die auch durch äußere Erscheinungsmerkmale bewußt furchteinflößende Skinhead-Szene. Deren Schwerpunkte liegen in Schleswig-Holstein derzeit in den südlichen Landesteilen, überwiegend im Randgebiet zu Hamburg, aber auch in einigen Gebieten des Kreises Ostholstein, in Neumünster und im ländlich strukturierten Raum zwischen Rendsburg, Schleswig und Eckernförde. 1998 konnten Versuche einer dauerhaften politischen Instrumentalisierung dieser Szene im Hamburger Randgebiet beobachtet werden. Die Aktivitäten beschränkten sich aber meist auf eine gemeinschaftliche Teilnahme an Veranstaltungen, die überwiegend von der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" oder den "Freien Nationalisten" initiiert wurden. 3.3 Rechtsextremistische Musik und staatliche Gegenmaßnahmen Die Anzahl rechtsextremistischer Musikproduktionen und der veranstalteten einschlägigen Konzerte ist seit Jahren ein Indikator für den Zustand der Skinhead-Szene. Die Zahl der Konzerte ist gegenüber 1997 wiederum angestiegen: Rund 110 SkinheadKonzerte und 30 sonstige Musikveranstaltungen mit rechtsextremistischen Bands und Sängern fanden 1998 in Deutschland statt. Die Zahl der Konzerte, bei denen Straftaten begangen wurden - zumeist rechtsextremistische Propagandadelikte -, liegt bei 40 %. Fast die Hälfte der Konzerte wurde von Angehörigen der besonders aus politischen Gründen in der rechtsextremistischen Musik-Szene engagierten "Blood-&-Honour"-Bewegung sowie Anhängern der "Jungen Nationaldemokraten" organisiert. Neben der Musik bieten die Konzerte für die überwiegend jungen Zuhörer eine wichtige Kommunikationsplattform, auf der Kontakte geknüpft und szenetypische Utensilien gekauft und getauscht werden. Regelmäßig besteht die Möglichkeit, sich mit Informationsund Propagandamaterial sowie einschlägigen Tonträgern zu versorgen. Bei den Musikproduktionen des Jahres 1998 ist insbesondere die CD mit dem Titel "Gute Zeiten - Schlechte Zeiten" der Gruppe "Bonzenjäger" hervorzuheben. In Anlehnung an 16 die in der Szene 1997 außergewöhnlich populäre CD der "Zillertaler Türkenjäger" werden rechtsextremistische Texte zu bekannten Schlagermelodien gesungen. Während bei den "Türkenjägern" ausländerfeindliche Texte den Schwerpunkt bildeten, steht bei den "Bonzenjägern" die Aufwiegelung gegen den Staat im Vordergrund. Durch die Gestaltung des Covers der CD, auf dem drei Patronenhfilsen abgebildet sind, wird dies auch optisch untermauert. Hinter den "Bonzenjägern" verbergen sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden zwei rechtsextremistische Liedermacher aus Mecklenburg-Vorpommern. Der schleswigholsteinische Tonträger-Versand "Vincente Directori Publications" aus Glinde (Kreis Stormam) bot in seiner Verkaufsliste unter anderem diese CD an. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen den Firmeninhaber führte am 3. November zu einer bundesweiten Exekutivmaßnahme gegen rund 70 Anbieter und Vertreiber rechtsextremistischer Tonträger. Ende 1998 waren in Schleswig-Holstein weitere zwölf Ermittlungsund Strafverfahren gegen Vertreiber rechtsextremistischer Tonträger. und Szene-Utensilien anhängig. Szenebeeindruckend war, daß der Sänger der schleswig-holsteinischen Skinhead-Band "Rraftschlag", der bei einem Konzert in Nordrhein-Westfalen im Herbst 1996 das Lied "Blut muß fließen" vorgetragen hatte, hierfür vom Landgericht Wuppertal am 28. April zu einer Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt wurde. Trotzdem unterhält er weiterhin Kontakte zu dem wohl bedeutendsten Vertreiber rechtsextremistischer Tonträger und Videos, dem Veririeb "NS 88/NS-Records" des deutschen Neo-Nationalsozialisten Marcel Schilf mit Wohnsitz in Dänemark. Rechtsextremistische Musik wird von Angehörigen der Skinhead-Szene, aber auch von unpolitischen, nur am Gewinn interessierten Kaufleuten sowie von Rechtsextremisten außerhalb der Skinhead-Szezie verbreitet. Für letztere beispielhaft in Schleswig-Holstein ist der "Nord-Versand" des Andr& Goertz (siehe dazu unter Nr. I 3.5.2). Seine Angebotslisten versprechen "... das große Oi!-Musikvergnügen im Norden!". Anläßlich einer am 20. August bei ihm durchgeführten Durchsuchung wurden über 1000 Tonträger, darunter indizierte und strafrechtlich relevante, von der Polizei beschlagnahmt. 3.4 Parteien _ 3.4.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die NPD hat in ihrem Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 8/1998) erkennen lassen, daß sie die Alleinvertretung des rechtsextremistischen Lagers beansprucht. Sie hält die "Einheit der Rechten" für eine große Illusion, genauso utopisch wie die angebliche "Gleichheit aller Menschen". Zum Überleben benötige unser Volk keine nur in Nuancen kritische, sonst aber systermnkonforme Partei auf dem "rechten" Flügel, sondern eine nicht korrumpierbare nationale, alle Volksschichten ansprechende Fundamentalopposition. Sollte es jemals zur "Einheit der Rechten" kommen, so nur in der Form, daß die weltanschaulich radikalste deutsche Kraft die übrigen "Rechtsparteien"'im politischen Wettstreit zerschlage und deren Anhänger absorbiere. 17 Ihre besondere Rolle hatte die Partei 1998 erstmals am 7. Februar bei der Durchführung ihres Bundeswahlkongresses unter dem vielsagenden Titel "Organisierter Wille bedeutet Macht" in der Nibelungenhalle in Passau unter Beweis gestellt. Ein Blick auf die etwa 4 000 Teilnehmer der Veranstaltung zeigt aber auch, daß der Preis der NPD hierfür die faktische Aufgabe aller Abgrenzungen gegenüber den Neo-Nationalsozialisten bedeutete. Weitere herausragende Veranstaltungen der Partei - immer mit starker und zum Teil überwiegender neo-nationalsozialistischer Beteiligung - waren eine Großdemonstration am 1. Mai in Leipzig vor dem Völkerschlachtdenkmal mit über 4 000 Teilnehmern, eine Wahlveranstaltung am 19. September in Rostock mit 3 000 Anhängern sowie zahlreiche Demonstrationen gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944", Die tatsächliche politische Bedeutung der NPD hältsich indes in Grenzen. Nicht nur das Ergebnis der Bundestagswahl mit lediglich 0,3% der Stimmen, sondern auch die Landtagswahlen in Bayern mit 0,2 % und Mecklenburg-Vorpommern mit 1,1% haben gezeigt, daß die NPD von parlamentarischer Präsenz weit entfernt ist. Der Parteivorsitzende Udo Voigt (Bayern) verfolgt allerdings eine Langzeitstrategie. Im Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 11/1998) fordert er: Die NPD müsse geradeaus schauen und dürfe dabei das Ziel nicht aus den Augen verlieren, über die Parlamente zur politischen Macht zu gelangen. Dennoch werde der "Kampf um die Straße" der ständige Begleiter unserer Erneuerungsbewegung bleiben und erst dann enden, wenn die NPD die politische Macht errungen habe. Dabei setze die Partei vor allem auf die Jugend: Der deutsche Jugendliche müsse wissen, daß er für die NPD ein unverzichtbarer Bestandteil in der zu schaffenden Volksgemeinschaft sei. Eine wirkliche Wende sei nur dann möglich, wenn die NPD auf den "Trümmern des liberal-kapitalistischen Systerns der BRD" eine nationale politische Ordnungsform errichten könne. Zum Jahresende hatte die NPD auf Bundesebene eine Mitgliederzahl von rund 6 000 erreicht. Auch in Schleswig-Holstein erhöhte sich der Mitgliederbestand auf rund 160. Die Neuzugänge stammen zum großen Teil aus der Neonaziund Skinhead-Szene. Sie bedeuten für die Partei einen Generationswechsel. Die vorhersehbaren Konflikte zwischen den älteren Parteimitgliedern und den neo-nationalsozialistisch orientierten Neuzugängen traten in Schleswig-Holstein erstmals auf durch den Widerstand jüngerer Mitglieder gegen die Wahl des neuen Landesvorsitzenden Ingo Stawitz, Uetersen (Kreis Pinnberg), auf dem Landesparteitag am 8. November. Die IN, die Jugendorganisation der NPD, hat in den vergangenen Jahren eine besondere Rolie bei der inhaltlichen Zusammenführung der Mutterpartei mit den Angehörigen der neo-nationalsozialistischen Gruppierungen übernommen. Führende NeoNationalsozialisten gehören dem Bundesvorstand der JN an. In Schieswig-Holstein sind ihr rund 20 Personen zuzurechnen; einen schleswig-holsteinischen Landesverband gibt es aber nach wie vor nicht. Führende Aktivisten gelten szeneintern als Sympathisanten der "Freien Nationalisten". Dies wurde vor allem bei der engen Zusammenarbeit im : "Bündnis Rechts für Lübeck" deutlich (siehe dazu unter Nr. II 2.1). 3.4.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) Die größte rechtsextremistische Organisation verbuchte bei der Landtagswahl im April in Sachsen-Anhalt ein überraschendes Ergebnis: mit 12,9 % der Stimmen konnte sie mit 16 Abgeordneten als erste rechtsextremistische Partei in ein ostdeutsches Landesparlament 18 einziehen. Trotz der als Uksachen für den Wahlerfolg vermuteten wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Probleme gelang ihr das aber nicht im September in Mecklenburg-Vorpommern. Das Stimmenergebnis von 2,9 % "bestätigte die Prognose einer im Frühjahr veröffentlichten Studie, die das DVU-Wählerpotential als "sehr schwankend" ausgewiesen hatte: es lasse sich ebenso schnell mobilisieren wie schwer stabilisieren. In Bayern war die DVU zwei Wochen vorher vorsichtshalber erst gar nicht zur Landtagswahl angetreten. Wie seinerzeit in Schleswig-Holstein löst sich die DVUFraktion in Sachsen-Anhalt bereits wieder auf. Beflügelt durch den Erfolg in_ Sachsen-Anhalt hatte die DVU sich aber an der Bundestagswahl im September beteiligt. Die populistischen Parolen wie "Deutsches Geld für deutsche Aufgaben", "Deutsche Arbeitsplätze zuerst für deutsche Arbeitnehmer" oder "Es darf keine Benachteiligung Deutscher gegenliber Fremden im eigenen Land geben" konnten nur 1,2% der Wähler auf Bundesebene (1,3% in Schleswig-Holstein) zur Stimmabgabe für die DVU bewegen. Darüber hinaus entwickelte die DVU in Schleswig-Holstein nur geringe Aktivitäten. Erwähnenswert ist allenfalls der am-7. Juni gemeinsam mit dem DVU-Landesverband Hamburg in Anwesenheit des Müuchener Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey in Süderau (Kreis Steinburg) durchgeführte Landesparteitag, auf dem die Landesliste zur Bundestagswahl aufgestellt wurde. Den. Listenplatz 1 erhielt der Gljährige Hamburger Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Klaus Soyka. Einige Mitglieder trafen sich auch zu sogenannten DVU-Stammtischen, die regelmäßig, aber meist mit geringer Beteiligung vom DVU-Kreisverband Lübeck/Stormarn durchgeführt wurden. 3.4.3 "Die Republikaner" Nach den ausnahmslos rückläufigen Wahlergebnissen für die "Republikaner" im Jahr 1998 war erwartet worden, daß der wegen seiner Abgrenzung gegenüber anderen rechtsextremistischen Gruppierungen nicht unumstrittene Parteivorsitzende Dr. Rolf Schlierer von seinem innerpartellichen Konkurrenten und Stellvertreter Christian Käs (beide Baden-Württemberg), der sich stets für eine Öffnung der Partei eingesetzt hatte, verdrängt würde. Wider Erwarten zog aber Käs auf dem am 21/22. November in Hinterskirchen (Bayern) durchgeführten Bundesparteitag seine Kandidatur um den Parteivorsitz zurück Ursächlich hierfür dürfte gewesen sein, daß Schlierer den zur Öffnung neigenden Kräften in der Partei insoweit entgegenkam, als er für zukünftige Wahlen Listenverbindungen anklindigte und für die folgenden Landtagswahlen im Jahr 1999 Wahlabsprachen mit der "Deutschen Volksunion" (DVU). Schlierer und der Bundesvorsitzende der DVU Frey hatten sich noch vor dem Parteitag auf eine Beendigung ihres Gegeneinanders geeinigt: in Hessen sollten allein die "Republikaner" antreten, in Bremen nur die DVU. - . Die "Republikaner" bestreiten eine verfassungsfeindliche Zielsetzung. Allerdings gibt es zwischen den verfassungsbejabenden Bekundungen und dem tatsächlichen Verhalten _ immer wieder Widersprüche: (r) Angehörige des schleswig-holsteinischen Landesverbandes betrieben z.B. in Zusammenarbeit mit Nep-Nationalsozialisten Informationsstände zur Bundestagswahl in Itzehoe, Bad Oldesloe und Eutin. Ein Vorfali am 16. Mai in Eutin zeigte in besonders krasser Form die Zusammenarbeit zwischen einzelnen "Republikaner"- 19 Funktionären und Neo-Nationalsozialisten. Hier hatten sie sich mit zehn Anhängern des Landesverbandes des "Freiheitlichen Volks Blocks" verstärkt, deren aggressiver Eindruck noch durch das Mitführen sogenannter Kampfhunde untermauert wurde (siehe dazu unter Nr. 13.1.2). (r) Die "Republikanische Jugend" führte am 6. Juni in Kassel eine Veranstaltung gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944" durch. Der Verlauf der Veranstaltung, in der die "Republikaner" in der Minderzahl waren, zeigte den Willen zur Zusammenarbeit mit bekennenden Rechtsextremisten. Neben Aktiven der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" waren zahlreiche NeoNationalsozialisten vor Ort, die die Veranstaltung auch optisch dominierten. Dem bundesweit bekannten Neo-Nationalsozialisten Thomas Wulff wurde sogar das Wort zu eirier Rede erteilt, in der er dann zur "gemeinsamen Volksfront gegen links" aufrief. . + Das "Info-Telefon des "Bündnis Rechts'" berichtete in seiner Ansage vom 12. Oktober über eine "Volksfront gegen linke Gewalt": "Am 7.10.98 haben sich in Lübeck auf einer strukturübergreifenden Versammlung Vertreter der nationalen Parteien DVU, REP, NPD sowie DLVH, "Bündnis Rechts' und freie Kameradschaften getroffen und riefen gemeinsam zu einer "Volksfront gegen linke Gewalt' auf ... Abgrenzungsbeschlüsse wurden von allen Teilnehmern abgelehnt." Diese Beispiele zeigen, daß es in der Partei weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungengibt. 3.5 Sonstige 3.5.1 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Die im Oktober 1991 von ehemaligen Mitgliedern der "Republikaner", der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und dör "Deutschen Volksunion" gegründete DLVH ist fast völlig bedeutungslos geworden: Zur Bundesmitgliederversammlung am 25. Oktober in Hessen erschienen nicht einmal nehr 40 Teilnehmer. Ihre Einigungsbestrebungen durch das Organisieren sogenannter Runder Tische kamen im Jahr 1998 völlig zum Erliegen. Auch in Schleswig-Holstein waren keine Aktivitäten erkennbar. Lediglich der neue NPD-Landesvorsitzende Ingo Stawitz, einer von drei gleichberechtigten Bundessprechern der DLVH,arbeitete in führender Position in dem "Bündnis Rechts Schleswig-Holstein" mit, das laut Satzung parteiübergreifende Basisarbeit der nationalen Kräfte unterstützt und an Kommunalwahlen teilnehmen will. 3.5.2 Personenkreis um Andre Goertz Andr& Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), ist aus seiner Rolle als einstige Führungsperson des neo-nationalsozialistischen Lagers weitgehend in die 20 Bedenutungslosigkeit abgesunken. An seinen "Kameradschaftsabenden" nimmt nur noch ein sehr kleiner Personenkreis aus dem Halstenbeker und Hamburger Raum teil. Darüber hinaus pflegt er Kontakte zu Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern. Erwähnenswert ist er lediglich wegen. seiner publizistischen Aktivitäten, die sich im Berichtszeitraum auf die unverändert betriebenen "Nationalen Info-Telefone" in Schleswig-Holstein und Hamburg sowie nuumehr auch in Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen und auf umfangreiche Internet-Einstellungen beschränkten. Ferner vertreibt er über seinen "Nord-Versand" rechtsextremistische Tonträger (siehe dazu unter Nr. 1 3.3). 3.5.3 "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V." Die Organisation erregte 1998 öffentliches Aufsehen, weil ein ihr zuzurechnender Verein in Schierensee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) einen ehemaligen Landgasthof erworben hatte, um hier ein sogenanntes Ferienheim zu errichten, das für Vortragsveranstaltungen und als Ferieneinrichtung für Kinder und Jugendliche genutzt werden sollte. Über diese Vorgänge und die Aberkennung der Gemeinnützigkeit dieses Vereins wurde umfangreich in der Presse berichtet. Der "Bund für Gotterkenninis" stellt der demokratischen Verfassung eine in den Werken der Schriftstellerin Mathilde Ludendorff dargelegte, ' durch Rassismus und Antisemitismus gekennzeichnete pseudoreligiöse "völkische" Weltanschauung entgegen. Öffentliche Aktivitäten des Vereins konnten im zweiten Halbjahr 1998 nicht mehr beobachtet werden. Die Ursache liegt möglicherweise im Tod eines der Vereinsvorsitzenden. " 4 Rechtsextremistisches Schrifttum und Verlagswesen Zeitschriften und Bücher, neuerdings auch Einstellungen ins Internet, spielen eine wichtige Rolle als Vermittler rechtsextremistischer Weltanschauung und als Wahrer des geistigen Zusammenhalts der unterschiedlichen rechtsextremistischen Strömungen. In der Regel haben sie wenig Einfluß außerhalb dieses Bereiches. Eine Ausnahme bilden die zahlreichen subkulturellen "Fanzines", die im Gleichklang mit rechtsextremistisch orientierter Popmusik politische Inhalte in die Jugend-Szene hineinzutragen und diese damit für das rechtsextreme Lager zu gewinnen suchen. Zeitschriften wie "NATION & EUROPA", "Junge Freiheit" und "SIGNAL" bieten rechtsextremistischen Theoretikern eine Plattform zur Darstellung ihrer Denkanstöße mit dem Ziel, auf lange Sicht das Meinungsbild von Politik und Gesellschaft zu beeinflussen. Allerdings ist die rechte Publizistik derzeit weit davon entfernt, die öffentliche Diskussion mit ihren Themen zu bestimmen oder gar durch "kulturelle Hegemonie" die Verwirklichung rechtsextremistischer Machtansprüiche vorbereiten zu können. Das gilt im Berichtsjahr auch für die Aktivitäten der schieswig-holsteinischen Verlage wie den "ARNDT-Buchdienst/Europa-Buchhandlung", den "Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur" und den "Verlag Tim Schatowitz". 5 "Neue Rechte" Der Begriff "Neue Rechte" wird nicht nur in den Medien mit wechselnden Bedeutungsinhalten verwendet. Damit sollen Versuche einer Intellektualisierung des Rechtsextremismuss oder neue Ansätze außerhalb des herkömmlichen rechtsextremistischen Organisationsspektrums gekennzeichnet werden. 21 Klare Konturen innerhalb der aktuellen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus erhält die "Neue Rechte" dann, wenn sie als eine weitgehend organisationsunabhängige, primär publizistisch wirkende Denkschule definiert wird, die sich an der sogenannten Konservativen Revolution aus der Zeit der Weimarer Republik orientiert. In der "Konservativen Revolution" bündelte sich der intellektuelle Widerstand gegen die demokratische und liberale Verfassungsordnung der Weimarer Republik in einem Gegenentwurf, der auf einem mythologisch überhöhten starken Staat und einer von der Begeisterung des Volkes getragenen ("cäsaristischen'') Diktatur beruhte. Die "Konservative Revolution" verfolgte keine Strategie der unmittelbaren politischen Machtergreifung, sondern richtete sich darauf, mehr im vorpolitischen Raum z.B. auf einer kulturphilosophischen Ebene die geistigen Grundlagen der Verfassungsordnung zu unterminieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand das Gedankengut der "Konservativen Revolution" zuerst in Frankreich wieder Resonanz, wo sich Ende der sechziger Jahre eine "Nouvelle Droite" formierte, deren führender Kopf bis heute Alain de Benoist ist. Die "Nouvelle Droite" entwickelte darüber hinaus eine dezidiert kulturelle, sogenannte metapolitische Strategie, die unter Bemfung auf Antonio Gramsci auf eine Meinungsführerschaft von rechts abzielt. Die angestrebte "kulturelle Hegemonie" ist demnach Voraussetzung für den politischen Machterwerb. Auf dem Umweg über die französische "Nouvelle Droite" sind die Ideen der "Konservativen Revolution" wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Besonders die Wochenschrift "Junge Freiheit", zu deren Stammautoren Benoist zählt, hat sich darum bemüht, die "Konservative Revolution" mit biografischen Beiträgen über ihre Protagonisten, mit häufigen Rekursen und inhaltlichen Anleihen einem breiteren Publikum nahezubringen. Die darin liegenden rechtsextremistischen Bezüge werden nicht problematisiert, sondern eher relativiert durch die zurückhaltende Diktion und den Themenmix mit Beiträgen zweifelsfrei demokratischer Autoren. Es gibt Anzeichen dafür, daß die "metapolitische' Strategie der "Neuen Rechten" im rechtsextremistischen Spektrum vermehrtes Interesse findet. In diesem Zusammenhang ist die Revitalisierung des jahrelang inaktiven "Thule-Seminars" (Kassel) durch dessen Gründer Pierre Krebs zu sehen. Das sehr stark von Benoist und der französischen "Nouvelle Droite" beeinflußte "Thule-Seminar" versteht sich als "geistig-geschichtliche und metapolitische Ideenschmiede für eine künftige europäische Neuordnung auf der Grundlage der gewachsenen Kulturen aller europäischen Stämme und Völker". Aufgrund seiner elitären Konzeption geriet das "Thule-Seminar" im rechtsextremistischen Lager in die Isolation, die Krebs seit 1996 unter anderem durch eine rege Vortragstätigkeit aufzubrechen sucht, so auch in Schleswig-Holstein. Krebstrat hier am 16. März 1997 in Nortorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) beim neo-nationalsozialistisch dominierten "1. Landeskongreß des Nationalen Widerstands" als Referent auf. Diese Veranstaltung brachte ihn in näheren Kontakt mit schleswig-holsteinischen Rechtsextremisten aus dem neo-nationalsozialistischen Spektrum. Eine Zusammenarbeit hat sich insbesondere mit einem Studenten aus dem Kieler Raum ergeben, der als damaliger Vorsitzender des Landesverbandes Schleswig-Holstein des "Bundes für Gesamtdeutschland" an der Organisation des "Kongresses" maßgeblich beteiligt war. Im November 1997 ergaben sich erste Hinweise auf seine Bemühungen, innerhalb fester Strukturen mit dem "ThuleSeminar" zu kooperieren. Seinerzeit trat ein "Elemente - Studienund Leserkreis Nord" in Erscheinung, benannt nach der Zeitschrift "Elemente der Metapolitik zur europäischen Neugeburt", der sehr unregelmäßig erscheinenden Publikation des "Thule-Seminars". 22 Seit dem Frühjahr 1998 wirbt der "Leserkreis" mit Kleinanzeigen in der rechtsextremistischen Publikation "EUROPA VORN". " 6 Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen In Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im "Bundesgebiet 1994 bis 1998 1994 1995 - 1996 1997 1998 NPD/IN 170 __ 150 220 140 160 DVU 1.1000) ___, 900 850 '800 800 DLVH 80 100 79 50 50 "Republikaner" * 2501 __. 140 140 140 120 Andere Rechtsextremisten, 85 60 80 90 100 insb. Neo-Nationalsozialisten Bu uch Gewaltbereite, insb. Skinheads 290 340 250 330 270 Gesamt Land 1875 1690 1510 1550 1500 Gesamt Bund 56 600 46 100 45 300 48 400 53 600 * Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß jedes einzelne Mitglied der "Republikaner" rechtsextremistische Ziele verfolgt oder unterstützt. 23 ill. Linksextremismus 1 Überblick Die "Rote Armee Fraktion" (RAF) hat in einem am 20. April bei der Nachrichtenagentur Reuters eingegangenen Schreiben ihre Selbstauflösung erklärt. Durch diesen überfälligen Schritt hat sie ihrer politischen Orientierungslosigkeit, die insbesondere .in den letzten Verlautbarungen von Ende 1996 zum Ausdruck gekommenist, sowie dem zunehmenden Verlust von Rückhalt in der linksextremistischen Szene Rechnung getragen. Herausragendes Thema des gesamten linksextremistischen Spektrums war im Jahr 1998 der sogenannte Anti-Faschismus-Kampf. In diesem traditionellen linksextremistischen Betätigungsfeld wurden neben dem Bemühen, Rechtsextremisten steckbriefartig öffentlich und damit angreifbar zu machen ("Fahndungs-Anti-Faschismus"), bundesweit auch erhebliche Anstrengungen unternommen, deren, Öffentliches Auftreten zu verhindern. Hierbei zeigte sich emeut die hohe Gewaltbereitschaft der linksextremistischen autonomen Szene. Auch in Schleswig-Holstein waren im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen im März und der Bundestagswahl im September zahlreiche antifaschistisch motivierte Gewalttaten zu verzeichnen, bei denen eine Eskalation der Gewalt oftmals mur durch konsequente polizeiliche Maßnahmen verhindert werden konnte. Bedingt durch die Dominanz des Themas "Antifa", aber auch wegen Ausbleibens neuer Castor-Transporte, hat die Bedeutung des in den Vorjahren herausragenden autonomen Kampfthemas "Anti-Atom' nachgelassen. Im Rahmen des Aktionsfeldes "Anti-Militarismus" nutzten insbesondere gewaltbereite Autonome Protestkundgebungen verschiedener Gruppierungen sowohl des demokratischen als auch des Iinksextremistischen Spektrums gegen ein am 13. August in Kiel durchgeführtes öffentliches Gelöbnis als Basis für gewalttätige Ausschreitungen. 2 Linksextremistischer Terrorismus 2.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 2.1.1 Illegale der RAF Im April veröffentlichte die RAF eine auf März 1998 datierte achtseitige Erklärung, in der sie ihre Auflösung bekanntgab und in einem kritischen Rückblick ausführlich ihre eigene Geschichte reflektierte. Darin erklärte sie, das "Projekt RAF" sei erfolglos gewesen und die Stadtguerilla in Form der RAF nun Geschichte. Ein entscheidender strategischer Fehler sei es gewesen, nebender illegalen, bewaffneten keine politischsoziale Organisation aufgebaut zu haben: "In keiner Phase unserer Geschichte ist eine über den politischen Kampf hinausgehende politische Organisation verwirklicht worden. Das Konzept der RAF kannte letztlich nur den bewaffneten Kampf..." Dennoch spreche das Ende dieses Projektes nicht gegen die Notwendigkeit und Legitimation der Revolte. Ebenso wie die übrige Linke sei die RAF nicht mehr als eine Durchgangsstation auf dem Weg zur Befreiung gewesen. 24 Die Aufiösungserklärung bedeutet das formelle Ende der RAF. Sie ist ein überfälliger Schritt, mit dem die RAF ihrer politischen Orientierungsund Perspektivlosigkeit, die bereits in ihren Verlautbarungen von Ende 1996 zum Ausdruck gekommen war, und dem zunebmenden Verlust von Rückhalt in der Szene Rechnung getragen hat. . 2.1.2 Reaktionen auf die RAF-Auflösungserklärung Während die Auflösung der RAF in der Szene durchweg begrüßt wurde, traf die Begründung teilweise auf heftige Kritik, insbesondere auf den Vorwurf der Oberflächlichkeit der Geschichtsaufarbeitung. Fast alle kuitischen Reaktionen beschäftigen sich auch mit der Perspektive des bewaffneten Widerstandes. Dabei wird dafür plädiert, daß trotz oder gerade als Folge der Selbstauflösung der RAF der bewaffnete Kampf als Mittel zur Durchsetzung neuer Formen und Inhalte revolutionärer Politik ein zentrales Thema der Szene-Diskussion bleiben müsse. Im Vorwort ihrer Ausgabe vom 30. April bezeichnet die Redaktion des Berliner autonomen Szene-Blattes "INTERIM" den Kampf der RAF "als eine radikale Option politischen Handelns, die als Möglichkeit nicht verlorengehen darf". Noch deutlicher kommt die positive Einstellung von Teilen der Szene zum bewaffneten Kampf in der Göttinger Szene-Zeitschrift "BinSatz! - Zeitung für autonome Politik" (Ausgabe Nr. 31 vom Juli) zum Ausdruck, wo die Aufiösungserklärung der RAF wie folgt kommentiert wird: "Sie ist der Abschluß des Kapitels RAF in der Geschichte der revolutionären Linken deg der BRD, nicht aber der Abschluß des bewaffneten Kampfes für alle Zeit. Solange es gesellschaftliche Verhältnisse gibt, 'in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, verlassenes, ein verächtliches Wesen ist' - solange das Herz der Bestie schlägt und jeden Tag aufs neue kapitalistische Barbarei produziert, solange wird es auch den Kampf um Befreiung geben. Die Mittel dazu wird sich die radikale Linke nicht von ihren Gegnern diktieren lassen." Bemerkenswert ist - wie schon im Jahresbericht 1997 dargestellt -, daß sich nach wie vor auch Teile des dogmatischen linksextremistischen Spektrums mit der Thematik "bewaffneter Kampf" beschäftigten. Dies wurde wiederum in einem Beitrag der revolutionär-marxistisch orientierten Publikation "AK-Analyse und Kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis" vom Juni deutlich. Unter dem Titel "Wieder nur Sprechblasen - Die RAF bleibt eine Erklärung schuldig" wurde zu der Frage, ob der bewaffnete Kampf passPS sei, konstatiert: ' . "Auch wenn sich (fast) weltweit die ehemals bewaffneten Gruppen auf eine neue Etappe ihres Kampfes eingestellt und Waffenstillstandsabkommen oder Friedensverträge abgeschlossen haben, diskreditiert das nicht den bewaffneten Kampfals notwendiges Mittel auf dem Weg zur Befreiung." . 2.2 "Antiimperlalisiische Zelle" (AIZ) Seit der Festnahme zweier mutmaßlicher Mitglieder der AIZ im Februar 1996 sind erwartungsgemäß auch im Jahre 1998 keine weiteren Aktionen oder Verlautbarungen der Gruppe bekannt geworden. Im Zuge des seit November 1997 vor dem Oberlandesgericht in Düsseldorf laufenden Prozesses wegen versuchten Mordes und anderer Straftaten hat der aus Schleswig-Holstein stammende Angeklagte zwischenzeitlich ein Teilgeständnis abgelegt und seine Beteiligung an den Sprengstoffanschlägen der AIZ am 23. April 1995 auf das Wohnhaus des Bundestagsabgeordneten Prof. Dr. Joseph-Theodor Blank in 25 Erkrath bei Düsseldorf, am 17. September 1995 auf das Wohnhaus des CDU-Politikers. Paul Breuer in Siegen sowie am 23. Dezember 1995 auf das Peruanische Honorarkonsulat in Düsseldorf gestanden. 2.3 "Antiimperlalistischer Widerstand" (AIW) Der AIW ist eine Strömung des gewaltgeneigten linksextremistischen Spektrums, die sich nach der Deeskalationserklärung der "Rote Armee Fraktion" (RAF) vom April 1992 als Folge der Spaltung des RAF-Gefüges entwickelt hat. Prägende Merkmale des AIW sind das grundsätzliche Festhalten am bewaffneten Kampf sowie eine starke internationalistische Ausrichtung, welche den Widerstand in Europa, den "Metropolen des Imperialismus", als Teil eines weltweiten Befreiungskampfes begreift. Deutlich erkennbar sind auch Bezüge des AIW zum dogmatischen Linksextremismus, was durch den kommunistischen Vorlauf einzelner, dem AIW zuzurechnender Personen sowie das Aufgreifen marzistisch-leninistischer Ideologeme zum Ausdruck kommt.' Konsensfähige Aktionsfelder antiimperialistischer Solidarität haben sich zunehmend in "Kurdistan-Solidaritätsgruppen" und in dem "Initiativkreis Libertad!" herausgebildet. Der "Initiativkreis Libertad!" gründete sich nach eigener Darstellung im Jahre 1992 auf einem "Gegenkongreß" zum Weltwirtschaftsgipfei in München. Ihm gehören vornehmlich Aktivisten aus dem antiimperialistischen Widerstandsspektrum aus fast allen Bundesländern einschließlich Schleswig-Holstein an. Ziel dieser internationalistisch ausgerichteten Gefangeneninitiative ist es, einen weltweiten Diskussionsund Mobilisierungsprozeß "für die Freiheit aller politischen Gefangenen und gegen staatliche Unterdrückung und Verfolgung" einzuleiten. Die Solidaritätsarbeit für den Befreiungskampf der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKR) findet bei allen linksextremistischen Gruppen in Deutschland Resonanz. Angehörige extremistischer Zusammenhänge besetzen häufig Schlüsselpositionen in verschiedenen Solidaritätsgremien. In Kiel existiert eine von Autonomen getragene "Kurdistan-AG". Zur Entwicklung eigener Strategien und Perspektiven aus dem Befreiungskampf der PKK hielten sich aus dem AIW-Spektrum mehrere Personen in kurdischen Gebieten auf, um sich dort von der PKK im Guerillaeinsatz und im Umgang mit Waffen schulen zu lassen und die erlangten Fertigkeiten für ihre politische Arbeit in Deutschland nutzen zu können. Mehrere Personen aus Deutschland wurden bereits bei Kampfhandlungen gegen türkisches Militär getötet oder wegen Unterstützungshandlungen für die PKK festgenommen und von türkischen Gerichten zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt. Welche Bedeutung solchen aktiven Beteiligungen an sogenannten Befreiungskämpfen in anderen Ländern beigemessen wird, belegt ein in der linksextremistischen Zeitschrift "AMAZORA" (Nr. 10/1998) veröffentlichter Beitrag zum Thema "Bewafineter Kampf, oderalltäglicher Krampf": "Zum Entschluß, sich einer Befreiungsbewegung anzuschließen, gehört die große Bereitschaft, ... neue Methoden kennenzulernen, wie man Widerstand organisiert, wie man mit Widersprüchen umgeht und sie offen darlegt, wie man sich Theorien enwickelt und sie praktisch umsetzt ... Die aktive Teilnahme an Befreiungskämpfen muß als Phase des Lernens begriffen werden. Das Ziel sollte immer sein zurückzukehren, um das Erlernte weiterzugeben und mit GenossIonen in den Metropolen Europas den Kampf gemeinsam zu organisieren. Den Widerstand im 26 Rückzugsland des Imperialismus zu leisten ist nach wie vor die beste Solidarität und Unterstützung für die Befreiungskämpfe in anderen Teilen der Welt..." 3 "Rote Hilfe e. V." Die "Rote Hilfe e. V." versteht sich als eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation. Was für sie Solidarität bedeutet, hat sie z. B. bereits 1992 in der von dem "Zapata-Buchladenkollektiv Kiel" herausgegebenen "Bamalatta-Flugschrift 3deg" mit dem Titel "Totgesagte leben länger ..." näher erläutert. Unter der Überschrift "Solidarität ist eine Waffe" heißt es darin unter anderem: "Mit ihrer Solidaritätsarbeit will die Rote Hilfe dazu beitragen, daß der Kampf für soziale und politische Befreiung nicht in der Repression erstickt. Deshalb unterstützt sie nicht alle Opfer des kapitalistischen. Systems ..., sondern ... diejenigen, die den Kampf gegen das System aufgenommen haben. Sie will sie ermutigen und es ihnen ermöglichen, trotz der Repression,.die sie getroffen hat, weiterzukämpfen. Damit meinen wir auch diejenigen, die im Knast ihren politischen Kampf beginnen." Die "Rote Hilfe e. V." hat bundesweit rund 3 000 Mitglieder (gegenüber 2 000 im Jahr 1996). In Schleswig-Holstein verfügt sie über rund 250 Mitglieder, davon entfallen rund 180 allein auf die Ortsgruppe Kiel, der viertstärksten Ortsgruppe der Organisation. Im Juni gründete sich in Lübeck eine eigenständige Ortsgruppe,die sich schwerpunktmäßig mit der Thematik "staatliche Repression" befassen will Diese ist nur eine von zahlreichenin jüngster Zeit im Bundesgebiet erfolgten Neugründungen. Strukturell hat sich die "Rote Hilfe ec. V." von einer chemals orthodox-kommunistisch ausgerichteten zu einer zunehmend von Autonomen dominierten Organisation gewandelt. Querverbindungen zur Iinksextremistischen autonomen Szene werden von ihr nicht in Abrede gestellt. So erklärte der Bundesvorstand in einem Mitgliederrundbrief vom Mai im Zusammenhang mit einer gegen die dem militanten autonomen Spektrum zuzurechnende "Antifaschistische Aktion Passau" gerichteten Exekutivmaßnahme: "Ob die Passauer Antifa und die Passauer Ortsgruppe der Roten Hilfe Überschneidungen aufweisen, wollte der Staatsschutz ... feststellen. Allein schon dieses Erkenntnisinteresse ist hirurissig, denn selbstverständlich strebt die Rote Hilfe an, daß alle politisch aktiven Menschen auch in der Solidaritätsorganisation Rote Hilfe Mitglied sind ..." . 4 Autonom-anarchistische Szene 4.1 Potentlal und Selbstverständnis Die autonome Szene stellt nach wie vor den weitaus größten Teil der gewaltbereiten Linksextremisten. Mit bundesweit mehr als 6000 Personen ist ihr Potential in den vergangenen Jahren nahezu unverändert groß geblieben. Berücksichtigt man, daß SzeneAngehörige in der Regel nicht älter als 30 Jahre und altersund entwicklungsbedingte Abgänge damit vorgezeichnet sind, so belegt die quantitative Kontinuität, daß das autonome Spektrum seine Anziehungskraft für jüngere "Aussteiger" nicht verloren hat. 27 In Schleswig-Holstein gehören dieser Szene rund 360 Personen an, was eine geringfügige Steigerung gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Die autonome Szene ist kein homogenes Gebilde. Ihre Mitglieder verfügen über kein starres ideologisches Weltbild, sondern orientieren sich an diffusen anarchistischen und kommunistischen Ideologiefragmenten. Dabei sucht man bei ihnen positive Benennungen politischer Inhalte vergebens. Vielmehr beschränkt sich das Wirken der Autonomen auf eine stark individualistisch ausgerichtete Antiund Widerstandshaltung gegenüber jedweden staatlichen und gesellschaftlichen Zwängen. Typisch für die autonome Szene sind ein hohes Maß an Spontaneität, grundsätzliche Organisationsfeindlichkeit, die Ablehnung der Einbindung in den "kapitalistischen Verwertungsprozeß", das heißt Berufstätigkeit, sowie die Verweigerung des "Dialogs mit der Macht". Allerdings hat sich in den letzten Jahren gerade in diesen Punkten das Selbstverständnis in Teilen der Szene gewandelt. So sind einzelne Gruppierungen bemüht, das bisherige isolationistische, emotionale und unbeständige Subkultur-Dasein der Szene zugunsten einer kontinuierlicheren, zielgerichteteren Arbeit aufzubrechen. Dies kommt nicht nur dadurch zum Ausdruck, daß von Teilen der Szene mittlerweile Lohnarbeit als unabdingbarer Kompromiß im Rahmen des eigenen politischen Handelns angesehen wird. Auch anhaltende Organisierungsund Vernetzungsbestrebungen sowie vereinzelte Forderungen, gesellschaftlich relevante Kräfte für eigene Zwecke nutzbar zu machen, zeigen, daß herkömmliche Kriterien für die Typisierung der autonomen Szene nicht mehr durchgängig gelten. 4.2 Aktionsformen und Strategien 4.2.1 Gewalt als Mittel zur Verfolgung politischer Ziele Der Einsatz von Gewalt stellt für die autonome Szene nach wie vor ein unverzichtbares Element ihrer "revolutionären Politik" dar. Ideologisch gerechtfertigt wird die Gewaltanwendung mit einer angeblich von Staat und Gesellschaft ausgehenden "strukturellen Gewalt", aus der ein Recht auf Gegenwehr abgeleitet wird. Als 'militante Aktionsformen werden in einer im März unter dem Titel "Bewegung - Militanz :- Kampagne" erschienenen Sonderausgabe des auch in Schleswig-Holstein verbreiteten Berliner autonomen Szene-Blattes "INTERIM" aufgelistet: "Alltagsmilitanz: Reifenstecherei, Schlösserverkleberei, Sprüherei, Farbeierwerferei, Scheibenzerstörung, Stinkbombenund Buttersäureanschläge, Scheißund Blutkübelaktionen, Teerungen, Tortenangriffe etc. Mittelhefige Militanz: Autoabfackelei, umfangreichere Geschäftsund Betriebsverwüstungen, Zerstörung von Reichtümern wie Pelzen, Delikatessentheken etc. " Die großen Dinger: Sprengstoffund Brandanschläge." Beim Einsatz von Gewalt wird die Verletzung von Menschen bewußt in Kauf genommen, zum Teil sogar angestrebt. Insbesondere "Antifa-Aktionen" richten sich "ausdrücklich. gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen". Zynisch heißt es hierzu in einem Beitrag der "INTERIM" (Nr. 441 vom 8. Januar): 28 ".. Zwar sind wir der Meinung, daß politische Arbeit Spaß machen sollte, und damit meinen wir auch das Zusarumenhauen von Faschisten, aber bei unnötigen Grausamkeiten hört der Spaß auf ... es gibt eine sehr dezidierte Auseinandersetzung unter den Antifaschistinnen unterhalb der Ebene von Tötungen oder schweren Verstiimmelungen zu bleiben ..." (Fehler im Original) Neben der weiterhin verbreiteten sogenannten Straßenmilitanz, bei der eine größere Zahl Autonomer häufig vermummt die' Auseinandersetzung insbesondere auch mit Polizeikräften sucht, habe taktische Erwägungen dazu geführt, daß die Zahl der von Kleingruppen verlibten Taten zugenommen hat. In einem Beitrag der "INTERIM" (Nr. 450 vom 14. Mai) heißt es, "actions" seien "viel lustiger ohne die grünen männchen und frauchen, denn durch unauffällige viereroder fünfer-gruppen lassen sich banken und große läden schnell einwerfen. bis die bullen das mitkriegen, ist der ort des geschehens längst verlassen." Teilweise wird bei dieser Kleingruppentaktik großer Wert auf die sorgfältige Auswahl des Anschlagsobjektes, die dezidierte Abstimmung der Tatbeiträge der einzelnen Beteiligten sowie auf die konspirative Durchfihrung der Aktion gelegt. Von einem solchen Anschlag mit deutlichen Parallelen zum linksextremistischen Terrorismus war Schleswig-Hoistein in der Nacht zum 29. März betroffen, als Unbekannte in das Betriebsgelände der SPAR-Handels AG in Schenefeld (Kreis Pinneberg) eindrangen und mehrere Lkw in Brand setzten. Der entstandene Schaden belief sich schätzungsweise auf ca 1 Million DM. Fast zeitgleich wurde auf das Wohnhaus des SPARVorstandsvorsitzenden in Hamburg-Blankenese ein Farbauschlag verlibt. 4.2.2 Aufgreifen gesellschaftlich relevanter Themen Wie andere Linksextremisten sind auch Autonome bemübt, sich in gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen einzuschalten. Ihr Ziel ist aber nicht die Beseitigung konkreter Mißstände. Wie in der Sonderausgabe des autonomen Szene-Blattes "INTERIM" vom März ausführlich dargelegt wird, zielt die Intervention vielmehr darauf ab, durch maßgebliche Steuerung von Protestaktionen durch erfahrene Szene-Aktivisten eine Verschärfung der gesellschaftlichen Stimmung und damit eine einer Kompromißlösung nicht mehr zugängliche Polarisierung zu bewirken. Hierzu, so heißt es in der Publikation weiter, könne der gezielte Einsatz von militanten Mitteln beitragen: "... oftmals - und dies hat der letzte Castor-Trausport eindrucksvoll bestätigt - sind es erst die militanten Aktionsformen, die ein Thema überhaupt in die Schlagzeilen bringen ... Ist die 'Sache' aber erst einmal auf den verschiedensten Ebenen ins Rolien gebracht - und zwar durch ein komplexes Zusammenspiel aus Militanz, legalen Aktionsformen, staatlicher Repression sowie verschiedenartigen Pressereaktionen - dann ist ein gewisses Folgeinteresse garantiert." Solche Bestrebungen, demokratische Protestbewegungen flir eigene, auf Ausbebetung von Verfassungsgrundsätzen gerichteie Zwecke zu mißbrauchen, konnten in jüngster Vergangenheit insbesondere in den Themenbereichen "Anti-Faschismus" und "Anti- - Atomkraft" beobachtet werden. 29 4.3 Organisation und Vernetzung Autonome sind von ihrem Selbstverständnis her grundsätzlich organisationsund hierarchiefeindlich. Wiederholt hat es jedoch Forderungen gegeben nach einer stärkeren Organisierung der Szene, nach Schaffung verbindlicher Strukturen und strategisch ausgerichteter anstelle von bloß reaktiver Aktionsformen. Auf überregionaler Ebene bestehen bereits seit mehreren Jahren Organisationsansätze in Gestalt des "Bundesweiten Antifa-Treffens" und der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation". Auf Landesebene soll das 1997/1998 eingerichtete "Landesweite Antifa-Treffen" zu einer besseren Koordination der "Antifa-Arbeit" führen. Damit setzen sich die bereits im Vorjahr mit der Herausgabe der linksextremistischen Zeitschrift "Enough is enough!" auf diesem Gebiet zu verzeichnenden Vernetzungsbestrebungenfort. Im Gegensatz dazu steht die Ende 1998 erfolgte Spaltung der Gruppe "Levanti" in ihre Gründungsorganisationen. Nach inhaltlichen Differenzen führt der schleswigholsteinische Autonomen-Zusammenhang unter dem Namen "Avanti" seine Arbeit ohne die bisherige Ortsgruppe "LEGO" ("Linke Einheit Gemeinsam Organisieren") aus Bremen mit unveränderter Zielrichtungfort. Gruppen und Personen aus dem linksextremistischen Spektrum nutzen vermehrt moderne Telekommunikationsmittel wie Mailboxen und Internet. Die Zahl der Gruppierungen, die im Internet mit einer eigenen Homepage vertreten sind, hat zugenommen. Aus dem Bereich dieser Szene sind im Lande mit einer eigenen Internet-Adresse vertreten: " "Informationsdienst Schleswig-Holstein" aus Neumünster, "e "Antifaschistische Aktion Eckernförde", * das infolge personeller Verflechtungen mit der Autonomen-Gruppierung "Avanti" - ehemals "Levanti" - als linksextremistisch beeinflußt einzustufende "Lübecker Bündnis gegen Rassismus" sowie die Publikationen " "Basta!" aus Lübeck, "e "LandUhnter" aus Eckernförde, (r) "LinX" aus Kiel, "e "Enough is enough!" aus Kie/ Lübeck und " "Die Rote Hilfe" aus Kiel. Linksextremisten agieren bei der Nutzung des Internet vor allem im E-Mail-Bereich konspirativ unter Anwendung von Verschlüsselungstechniken und -programmen. Offen verbreitet werden dagegen z. B. Aufrufe zu Aktionen und Demonstrationen gegen die "HERRschenden Strukturen" sowie gegen Rechtsextremisten und deren Einrichtungen, eigene Broschüren und Schriften, Solidaritätsaufrufe und Termine. 30 Es zeichnet sich ab, daß mit zunehmender Vernetzung der Kommunikationsebenen durch Ausschöpfen der Möglichkeiten des Internet sowie von Mailboxen die Bedeutung der szenetypischen "Info-Läden" als Informationsbörse abnehmen wird. 4.4 Aktionsfelder Herausragendes Aktionsfeld nicht nur des autonomen, sondern des gesamten linksextremistischen Spektrums war 1998 der "Anti-Faschismus-Kampf". Als weitere bedeutsame Themen sind zu nennen: "Auti-Rassismaus" und "Anti-Militarismus". Der Komplex "Anti-Atom" ist Szene-Thema geblieben, wenn auch mit im Vergleich zu den Vorjahren deutlich geringerem Gewicht. Die Bereiche "Gentechnik" und "Anti-EXPO2000", vor deren Hintergrund in anderen Bundesländern zahlreiche Anschläge mit erheblichen Sachschäden festzustellen waren, spielen in der hiesigen Szene noch kaum eine Rolle. . . 4.4.1 "Anti-Faschismus" Der Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche rechtsextremistische Personen, Institutionen und Entwicklungen gehört für. militente Autonome wie für alle Linksextremisten seit jeher zu den wesentlichen Aktionsfeldern. Bedingt durch das verstärkte öffentliche Auftreten mechtsextremistischer Gruppierungen, insbesondere im Zusammenhang mit dürchgeführten Wahlen, und die im Vergleich zu den Vorjahren geringere Bedeutung des. Themas "Anti-Atom" war 1998 eine deutliche Zunahme gewalttätiger autifaschistischer Aktivitäten zu verzeichnen. "Anti-Faschismus" nach linksextremistischem Verständnis beschränkt sich nicht auf die Bekämpfung von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten, sondern bezieht den demokratischen Verfassungsstaat, dem die Verantwortlichkeit für angeblich faschistische Entwicklungen zugewiesen wird, in sein Feindbild ein. Verdeutlicht wird dies beispielsweise durch einen im September unter dem Titel "Anti-Faschismus ist der Kampf ums Ganze" von der "Antifaschistischen Aktion Berlin" veröffentlichten InternetBeitrag: . "Unser Konzept... ist 'Revolutionärer Anti-Faschismnus'. 'Revolutionär' bedeutet die Ausrichtung auf grundsätzliche, fundamentale Umwälzung der bestehenden Lebensverbältnisse. Mit eingeschlossen ist dabei die Weigerung, sich auf die Spielregeln des Bestehendeneinzulassen." Im Rahmen der "Anti-Faschismus"-Arbeit sind Autonome bemüht, Personen und Aktivitäten des rechtsextremistischen Lagers auszuspäben und Erkenntnisse über SzeneMedien zu verbreiten. Dabei wurden wiederhelt rechtswidrige Mittel eingesetzt. So wurden im Rahmen der "Recherche-Arbeit" Observationen durchgeführt, Briefe abgefangen und Aktentaschen entwendet. Ziel dieses "Fahndungs-Anti-Faschismus" ist es, als rechtsextremistisch erachtetd Personen öffentlich und damit für Gewaltaktionen angreifbar zu machen. Derartige Aktivitäten konnten auch in Schleswig-Holstein beobachtet werden: " Die Kampagne "aufdecken +auflösen" veröffentlichte inFlensburg ein Flugblatt, in dem Mitglieder der "Jungen Nationaldemokraten" mit Lichtbilden und Adressenangabe steckbriefartig beschrieben wurden. Zudem wurde eine Baustelle, auf der einer der Betroffenen beschäftigt war, mit folgenden Schriftzügen versehen: 3 "Hier arbeitet das Nazi-Schwein ... - Wir wissen wo du wohnst und arbeitest - wir kriegen dich - keine Macht den Nazis ..." (Fehler im Original) " Am 13. Juni fand in Bad Segeberg eine von der "Antifa Segeberg" organisierte antifaschistische Demonstration von rund 150 Personen unter dem Motto "Die braunen Drahtzieher öffentlich machen! Kein Fußbreit den Faschisten!" statt. Das Ziel der Veranstaltung war, mittels eines Flugblattes mit Lichtbild und Adresse eine Rechtsextremistin und Mailbox-Betreiberin sowie ihre Aktivitäten öffentlich zu machen. Einige Wochen später kam es zu einem Brandanschlag auf den Pkw der Betroffenen. Wesentlicher Bestandteil der autonomen "Antifa-Arbeit" ist es, die politische Betätigung tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten - ggf. auch mit Gewalt - zu verhindern. So ist in der von Autonomen-Gruppen herausgegebenen Zeitschrift "Levanti" (Nr. 4, September 1997) zu lesen: "Faschistische Parteien und Organisationen haben kein Recht auf eine legale . politische Existenz oder die Verbreitung ihrer faschistischen, menschenverachtenden Parolen! Dies deutlich zu machen ist eine wichtige Aufgabe antifaschistischer Selbsthilfe und Gegenwehr!" Die rechtsstaatlichen Regeln, die das Grundgesetz auch für den Umgang mit extremistischen Bestrebungen vorgibt, werden auf diese Weise unterlaufen. Was unter "antifaschistischer Selbsthilfe" zu verstehen ist, zeigt eine Äußerung im antifaschistischen Jugendinfo "BRAST", Göttingen (Nr. 14, April 1998): "Antifaschistische Selbsthilfe heißt neben öffentlichen und legalen Aktionsformen auch militant gegen Faschisten vorzugehen. Indem diese in der Innenstadt und an ihren Treffpunkten außerhalb angegriffen werden, soll ihnen erstens die Möglichkeit zur Agitation und Rekrutierung neuer Mitglieder genommen werden, zweitens geht es darum, sie einzuschüchtern, sie sollen es nicht mehr wagen, öffentlich aufzutreten." (Hervorbebungen im Original) Soweit Polizeikräfte sich bemühen, gewalttätige Ausschreitungen zu verbindern, werden sie häufig das Ziel von Angriffen. Dabei werden auch schwere Verletzungen von Polizisten in Kauf genommen, um das Auftreten von Rechtsextremisten nicht zuzulassen. Erhebliche Gegenreaktionen nicht nur des demokratischen Spektrums, sondern auch der linksextremistischen, insbesondere der autonomen Szene lösten zwei im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein am 22.März durchgeführte Wahlkampfveranstaltungen des rechtsextremistischen "Bündnis Rechts für Lübeck" (BRL) in der Hansestadt aus. Gegen die Veranstaltungen des BRL am 31. Januar und 14. März wurde in der linksextremistischen Szene unter maßgeblicher Beteiligung des linksextremistisch beeinflußten "Lübecker Bündnis gegen Rassismus" überregional mobilisiert. An Planungen zur Verhinderung der Veranstaltung am 14. März beteiligten sich autonome Gruppen aus verschiedenen Regionen Schleswig-Holsteins sowie aus 'Hamburg. Zum strategischen Vorgehen führte "Enough is enough!" (Nr.3 vom Jan./März) aus: 32 "Wir müssen auf zwei Ebenen aktiv werden. Die erste ist die Auseinandersetzung mit städtischen Institutionen, Parteien, Ämtern etc. über die notwendigen Maßnahmen gegen das 'Bündnis Rechts' .. Am wichtigsten sind natürlich unsere eigenen Aktivitäten. Denn darauf, daß Stadt und Polizei schon das Nötige veranlassen werden, können wir uns nicht verlassen. Wir werden Nazi-Plakate_ entfernen, Infostände, Veranstaltungen und Aufmärsche verbindern ..." Deutlicher auf den geplanten Einsatz von Gewalt abzielend wurde in einem Demonstrationsaufruf der ehemaligen "Levanti"-Gruppen Kiel und Lübeck sowie "Antifa-Gruppen aus Hamburg" zum 14. März gefordert: "Die Nazis von der Straße fegen." Als Folge derartiger Aufrufe kam es bei beiden Veranstaltungen zu gewalttätigen Ausschreitungen, deren Eskalation nur durch konsequente polizeiliche Maßnahmen verhindert werden konnte. 4.4.2 "Anti-Rassismus" Ein weiteres bedeutsames Aktionsfeld militanter Autonomer ist der "Anti-Rassismus", wobei Rassismus als systemimmanentes Merkmal einer pluralistischen Gesellschaftsordnung verstanden wird, weshalb sr. eine Durchsetzung dieser Vorstellungen (Anmerkung: einer antirassistischen Gesellschaft) notwendig mit der Infragestellung des gesamten Wirtschaftsund Gesellschaftssystems verbunden ist. Denn eine Gesellschaft, die auf Konkurrenz, Profit und patriarchalen Strukturen basiert, wird immer wieder Rassismus fördern." ("Levanti", Nr. 1'vom November 1996) Entsprechend diesem Verständnis stellt auch die "Anti-Rassismus-Arbeit" lediglich einen "Teilbereichskampf" dar, der letztlich auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielt. Das Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Brand in einer Unterkunft für Asylsuchende in der Lübecker Hafenstraße am 18. Januar 1996 war auch 1998 wieder Gegenstand antirassistischer Agitation. Anlaß gab die Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 24. Juli, den Freispruch des angeklagten libanesischen Staatsangehörigen durch das Landgericht Lübeck aufzuheben und eine erneute Verbandlung der Sache vor dem ' Landgericht Kiel anzuordnen. Das linksextremistisch beeinflußte "Lübecker Bündnis gegen Rassismus" (LBgR) reagierte auf den Spruch des Bundesgerichtshofes mit Enträstung: "Jetzt wird es noch schwieriger, die wirklichen Täter zu ermitteln." Mit dieser "Fehlentscheidung" setze sich der "skandalöse Umgang der deutschen Justiz mit dem wahrscheinlich folgenschwersten rassistischen Anschlag der Geschichte der Bundesrepublik fort", so das LBgR. gegenüber der "tageszeitung" (Ausgabe vom 25/26. Juli). Ferner sind Plakate als "Provokation des LBgR" aufgetaucht, auf denen die Staatsanwälte wit einer Augenklappe auf dem rechten Auge vor der Brandruine Hafenstraße abgebildet sind. Das Plakat ist mit folgendem Text verseben: "Nazi gestehtundkeinerglaubte!DasMotto derStaatsanwälte: RechtesAugezu und durch!" Auch in der August-Ausgabe der "Enough is enough!" wurde den ermitteinden Lübecker Staatsanwälten: vorgeworfen, sie hätten sich auf "Safwan Eid als Täter festgelegt. Jene 33 Variante, die politisch so viel bequemer war, als die Auseinandersetzung mit dem gewalttätigen Rassismus in Deutschland, der die Folge nicht auf Neonazis beschränkten staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus ist". Institutionen und Verfahren des Rechtsstaates werden auf diese Weise pauschal unter "Faschismus-Verdacht" gestellt, antifaschistische "Selbsthilfe" wird indirekt gerechtfertigt. 4.4.3 "Anti-Militarismus" Im Rahmen des Aktionsfeldes "Anti-Militarismus'" suchen Linksextremisten in ähnlicher Weise die Eskalation. Aktionen richten sich gegen die neue Rolle der Bundeswehr ("outof-area-Einsätze") sowie gegen Öffentliche Gelöbnisse; dies seien Beispiele für die "Neuformierung des deutschen Imperialismus". Dabei wird aus linksextremistischem Grundverständnis die völlig veränderte gesellschaftliche und politische Rolle der Bundeswehr bewußt ebenso negiert wie die Tatsache, daß angesichts der Einbindung von Truppenteilen in multinationale Verbände und des auf Krisenbeseitigung ausgerichteten Zwecks der Außeneinsätze von einer expansionistischen Zielrichtung keine Rede sein kann. Gerade die Bundeswehr gilt als Ausdruck des "Herrschaftssystems" der bürgerlichen liberalen Gesellschaft, das zu überwindenist. Anders als in anderen Bundesländern spielte das Thema "Anti-Militarismus" in der hiesigen linksextremistischen Szene bisher keine nennenswerte Rolle. Dies änderte sich jedoch 1998 anläßlich eines am 18. August in Kiel durchgeführten Rekrutengelöbnisses. Kundgebungen und Demonstrationszüge wurden von gewaltbereiten Personen, insbesondere Autonomen, als Basis genutzt, um von dort aus zum Einsatz von Gewalt und zum Angriff auf die Polizei aufzurufen. Tatsächlich kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, wobei die Sicherheitskräfte mit Feuerwerkskörpern, Steinen, Buttersäurebeuteln und anderen Gegenständen beworfen wurden. 4.4.4 "Anti-Atomkraft" Die Risiken der friedlichen Nutzung der Atomenergie bewegen viele Menschen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß extremistische Kräfte immer wieder versuchen, sich in den Protest einzuklinken und dem Staat die "Machtfrage" zu stellen. Dem Anspruch des demokratischen Verfassungsstaates, Konflikte friedlich nach den Verfassungsregeln auszutragen,stellt der Extremismus gezielt die militante Eskalation entgegen. "Anti-Atomkraft" war im Jahr 1997 zentrales Betätigungsfeld der linksextremistischautonomen Szene. Durch eine Vielzahl von Anschlägen und Gewaltakten wurde das Ziel verfolgt, den Preis von Atommüll-Transporten so in die Höhe zutreiben, daß sie politisch . und wirtschaftlich undurchführbar werden. Größere Aktionen in diesem Sinne gab es 1998 lediglich anläßlich eines Castor-Transportes im März ins BrennelementeZwischenlager Ahaus (Nordrhein-Westfalen). Mit Ausbleiben weiterer Castor-Transporte hat die Bedeutung dieses Themas für die Szene nachgelassen. Hierzu trug auch das zunehmende Engagement des linksextremistischen Potentials im Bereich "AntiFaschismus" bei. Allerdings ist das Aktionsfeld "Anti-Atomkraft" keineswegs entfallen. Dies zeigt sich an einer regen Teilnahme auch von Linksexiremisten an der Herbstkonferenz von Anti-Atom-Initiativen in Berlin (16. bis 18. Oktober). Dort legten Autonomeerneut ihre verfassungsfeindlichen Ziele offen: 34 "Als Autonome/Linksradikale verstehen wir uns nicht in erster Linie als AKWGegnerInnen. Wir kämpfen für weiterreichende Ziele ... und tragen diese Kämpfe in die AKW-Bewegung ... Die Kämpfe der Autonomen richten sich nicht gegen die jeweiligen Maschinen, z. B. AKW's, sonderngegen dasdahinterstehende System ... Ein System, das sich auf Gewalt_gründet, kann nicht allein durch Vernunft beendet werden, so schön das auch wäre. Von daher halten wir Gegengewalt weiterhin für notwendig und legitim." Darüber hinaus hat es auch nach dem einstweiligen Stopp für Atommiüll-Transporte bundesweit einzelne Anschläge vor diesem Hintergrund gegeben. Schleswig-Holstein war Mitte Oktober im Hamburger Randbereich durch eine Aktion betroffen, bei der unbekannte Täter an AKN-Haltestellen aufgestellte Fahrkartenautomaten unbrauchbar machten, indem sie Bauschaum in den Geldaufnahmeschlitz sowie in die Öffnung der Fahrkartenausgabe sprühten. Ein mit "kommando angela merkel" unterzeichnetes "Bekennerschreiben'" verwies darauf, daß die AKN auch ein Gleis beim Atomkraftwerk Krümmel betreibe. Anlaßbezogen, insbesondere bei Verbringung neuer Castoren in Zwischenlager, muß wieder mit starkera Anstieg der Militanz gerechnet werden. 4.5 Situation der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein 4.5.1 Potential und Strukturen Der autonom-anarchistischen Szene gekören in Schleswig-Holstein mit einer geringfügigen Steigerung gegenüber 1997 rund 360 Personen an. Die Schwerpunkte liegen wie bisher in Kiel, Neumünster und Lübeck sowie im Hamburger Randbereich. Die autonomen "Info-Läden", beispielsweise in Kiel ("Beau Rivage"), in Norderstedt ("Aurora") und in Flensburg ("SabatEUR"), haben ihre Rolle mit etwas geringerer Intensität als Anlaufstellen, Treffpunkte und Informationsbörse beibehalten. Der "Informationsdienst Schleswig-Holstein" in Neumünster hat - wie bereits seit Jahren - seinen Part als "Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet des Informationsaustausches und der -beschaffung" unter. Zuhilfenahme der szeneeigenen computergestützten Mailbox-Systeme mit teilweise bundesweiter Ausstrahlung beigetragen. 4.5.2 Gewalttaten in Schleswig-Holstein Die Anzahl der für Schleswig-Hoistein erfaßten linksextremistisch motivierten Gewalttaten hat 1998 mit 59 gegenüber 1997 (15) ganz erheblich zugenommen. Diese Steigerung von rund 300% ist vor allem auf eine erhebliche Zunahme von Sachbeschädigungen und anderen Straftaten im Aktionsfeld "Anti-Faschismus" im Rahmen der Kommunalund Bundestagswahl zurückzuführen. 35 5 Dogmatischer Linksextremismus Unter dem Begriff "Dogmatischer Linksextremismus" lassen sich linksextremistische Parteien und Gruppierungen zusammenfassen, die sich im wesentlichen am MarxismasLeninismus ausrichten. Sie verfügen über ein Weltbild, das den Anspruch wissenschaftlicher Logik erhebt und geschichtlichen, geselischaftlichen. und wirtschaftlichen Veränderungen bestimmte Gesetzmäßigkeiten unterlegt, die unausweichlich auf die Ablösung der "bürgerlich-kapitalistischen" Demokratie durch den Sozialismus als "höhere" Gesellschaftsform hinauslaufen. Die Zahl der Mitglieder dogmatisch-linksextremistischer Organisationen beträgt bundesweit mehr als 25 000. In Schleswig-Holstein gehören ihnen rund 610 Personen an. Diese im Vergleich zu den Vorjahren geringere Landeszahl ist insbesondere auf altersbedingte Mitgliederverluste zurückzuführen, die nicht durch Neueintritte kompensiert werden konnten. Soweit diese Organisationen bei Wahlen überhaupt antraten,ist der Wählerzuspruch äußerstgering. Stärkste Organisation des dogmatisch-linksextremistischen Spektrums im Landeist nach wie vor die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), deren "Bezirksorganisation Schleswig-Holstein" rund 250 Mitglieder angehören (1997: 270). Mit eigenen Aktionen ist der schleswig-holsteinische Landesverband der DKP 1998 so gut wie nicht in Erscheinung getreten. Er war vorrangig bemüht, sich Protestaktionen anderer Gruppierungen sowohl des demokratischen als auch des linksextremistischen Spektrums anzuschließen in der Hoffnung, so seinen eigenen Einfluß zu vergrößern. Ausdruck derartiger Bündnisbestrebungen der DKP sind Teilnahmen ihrer Mitglieder an den Demonstrationen gegen das rechtsextremistische "Bündnis Rechts für Lübeck" am 31. Januar und 14. März in Lübeck (siehe dazu unter Nr. II 4.4.1) sowie gegen das öffentliche Gelöbnis am 18. August in Kiel (siehe dazu unter Nr. IT 4.4.3). Zur Bundestagswahl im September hatte die DKP Schleswig-Holstein keine eigene Landesliste aufgestellt, sondern zur Abgabe der Zweitstimme für die "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) aufgerufen. Lediglich in einem Wahlkreis stellte sie einen Direktkandidaten auf, der jedoch lediglich 323 Stimmen erhielt, was einem prozentualen Anteil von 0,2 % der im Wahlkreis abgegebenen Stimmen entspricht. Zahlreiche Mitglieder der DKP sind in den Führungsgremien der linksextremistisch beeinflußten "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (VVN-BdA) vertreten. Zu den weiteren im Lande vorhandenen dogmatisch-linksextremistischen Organisationen gehören unter anderem die "Arbeitsgemeinschaft Kommunistische Politik von unten in und bei der PDS Schleswig-Holstein", die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" unter Einschluß des von ihr beeinflußten Frauenverbandes "Courage" sowie trotzkistische Gruppierungen wie die "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG) und die "Sozialistische Alternative VORAN". Letztere treten nicht offen auf, sondern versuchen, andere die "Arbeiterklasse" vertretende Organisationen zu unterwandern. Diesen "Entrismus"-Bestrebungen dient auch das von der SAG gesteuerte "LinksruckNetzwerk". Insgesamt haben die vorstehend genannten Gruppierungen in SchleswigHolstein jedoch einen geringen Stellenwert. Gelegentlich gibt es Verbindungen in die militante autonome Szene. 36 6 Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1996 bis 1998 1996 1997 1998 Marxisten-Leninisten und sonstige 650 650 610 revolutionäre Marxisten (dogmatischer Linksextremismus) Militante Autonome Bu 350 350 360 Gesamt Land 1000 1000 970 Gesamt Bund 35 200 34 100 34 700 37 IV. Extremistische Bestrebungen von Ausländern 1 Überblick 1998 gehörten in Schleswig-Holstein 1960 Ausländer extremistischen bzw. extremistisch beeinflußten Ausländerorganisationen an. Unter den Ende des Jahres im Lande lebenden 141773 Ausländern bilden sie weiterhin nur eine Minderheit. Zu berücksichtigen ist zudem, daß aus einer Mitgliedschaft in extremistisch beeinflußten Ausländervereinen nicht immer zwangsläufig auf eine .extremistische Haltung geschlossen werden kann. Die gegenüber dem Vorjahr leicht gestiegene Mitgliederzahl ist auf einen Zuwachs bei der seit 1993 in Deutschland verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) sowie bei extremistischen islamischen und extrem-nationalistischen türkischen Organisationen zurückzuführen. Als größtes Gefährdungspotential unter den extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland für die Innere Sicherheit muß weiterhin die PKK mit ihren jederzeit bundesweit zu mobilisierenden 11 000 Anhängern angesehen werden. Die weitaus höchsten Mitgliederzahlen (insgesamt rund 31 000) können unverändert islamistische Organisationen vorweisen, Bei den Gewalttaten von extremistischen Ausländern war 1998 bundesweit ein Rückgang zu verzeichnen. Der größte Teil der Straftaten - Erpressungen und Körperverletzungen - ereignete sich bei den Spendenkampagnentürkischer und kurdischer Organisationen. Der Rückgang der Gewalttaten ist wesentlich mit auf den Verfolgungsdruck und Exekutivmaßnahmen deutscher Behörden zurückzuführen. Am 13. August belegte der Bundesinnenminister die aus der linksextremistischen türkischen "Devrimci Sol" hervorgegangener Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" und "Türkische Volksbefreiungspartei/-front-Revolutionäre Linke" mit einem Betätigungsverbot. Ausschlaggebend für die Verbote war das von Gewalttätigkeit geprägte Gesamtbild beider Organisationen sowie die Rechtsunsicherheit bei der Strafverfolgung von Aktivitäten ihrer Anhänger im Bundesgebiet. Bei den Angehörigen beider Organisationen fiel der häufige Besitz von Schußwaffen auf, die auch eingesetzt wurden. Die.PKK hielt sich 1998 beiihren Aktivitäten im Bundesgebiet weitgehend an ihrenseit 1996 verfolgten gewaltfreien Kurs gegenüber Deutschland. Bis auf wenige Ausnahmen verliefen auch ihre europaweiten Protestaktionen im Zusammenhang mit dem Verlust ihrer Basis in Syrien und der Festnahme ihres Generalvorsitzenden Abdullah Öcalan am 12. Novemberin Italien friedlich. Nach der Entführung Öcalans aus Kenia in die Türkei am 15. Februar 1999 wurde aber deutlich, welches Gewaltpotential die PKK jederzeit gezielt freisetzen kann, wenn ihr dies angezeigt erscheint. Die extremistischen islamischen Organisationen verhielten sich unterschiedlich. Während sich die rund 27 000 Mitglieder starke "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." als dialogbereit und als Interessenvertreter der Muslime in Europa zu präsentieren versuchte, war bei dem als "Kalifatstaat'" auftretenden "Verband der islamischen Vereine und Gemeindene. V., Köln" eine zunehmende Radikalisierung - verbunden mit Drohungen gegen Deutschland - festzustellen. Von den auch als "Graue Wölfe" bezeichneten extrem-nationalistischen Türken gingen 1998 keine extremistischen Aktivitäten aus. Sie wurden von ihren Führungen weiterhin angehalten, sich zurückzuhalten und Konfrontationen mit politischen Gegnem zu meiden. 38 2 Situation der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PK) 2.1 Ideologlsch-politischer Standort Die Ideologie der PKK lehnt sich an die Lehren des Marxismus-Leninismus an, die jedoch wegen separatistischer Bestrebungen der Partei von mehr oder weniger starken nationalistischen Aussagen durchzogen sind. Ihre Zielsetzung, die Schaffung eines "freien und unabhängigen Kurdistans" unter ihrer Führerschaft, bleibt im einzelnen weiterhin unklar. Einerseits tritt sie mit Hilfe des von ihr dominierten "Kurdischen Exilparlamentes"für die nationale Einheit der Kurden ein, andererseits erklärte sie sich zur Lösung der Kurdenfrage mehrfach bereit, mit der Türkei über eine "weitgefaßte kurdische Autonomie innerhalb der bestehenden Grenzen" zu verhandeln, in der die "kurdische Identität" gewahrt sei. 2.2 Strukturen und beeinflußte Organisationen Bei der PKK handelt es sich nach wie vor um eine straff geführte Kaderorganisation. Die vom Zentralkomitee der Partei beschlossenen Anweisungen werden in Europa über ihre "Europäische Frontzentrale" und zahlreiche "Regionen" und "Gebiete" umgesetzt. In Europa tritt die PKK als Organisation nicht in Erscheinung, sondern wird durch ihre Frontorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) tätig, Der Darstellung und Verwirklichung ihrer politischen Zielsetzungen dient der PKK. das im April 1995 in Den Haag (Niederlande) gegründete und aus 63 "Abgeordneten" zusammengesetzte "Kurdische Exilparlament". Es unterstützte maßgeblich die Bemühungen der PKK um die Schaffung einer nationalen Einheit der Kurden. Auch nach seiner Neuzusammensetzung 1998 wird das "Kurdische Exilparlament" von PKK-nahen Gruppierungen dominiert. Bei ihrer Tätigkeit in Deutschland kann sich die ERNK auf eine Vielzahl ihrem Einfluß unterliegender Organisationen stützen, die weite Lebensbereiche der im Bundesgebiet lebenden Kunden (Arbeiter, Frauen, Jugendliche, Kinder, Studenten, Juristen, Geschäftsleute usw.) erfassen. Bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland stützt sich die PKK vor allem auf die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM). Sie nimmt die Aufgaben der 1993 vom Bundesinnenminister verbotenen "FEYRKA-Kurdistan" wahr. In ihrem Gründungsaufruf wies die YEK-KOM darauf hin, daß ihre Gründung auf das Verbot der "FEYKA-Kurdistau" erfolgt sei. Seit ihrer Gründung ist sie darum bemüht, die Politik der PKK der deutschen Öffentlichkeit durch vielfältige Aktionen zu vermitteln. Zu den Gründungsvereinen der YEK-KOM. gehört die in Kiel ansässige "Deutsch-Kurdische Gesellschaft e. V.", die Ausgangspunkt zahlreicher Aktivitäten der PKK in Schleswig-Holstein gewesen ist. 2.3 Anhängerpotentlal in Deutschland, öffentliche Aktivitäten Mit rund 11 500 (Schleswig-Holstein: 800) Anhängern stellt die PKK nach wie vor die für die Innere Sicherheit . bedeutendste extremistische Ausländerorganisation im Bundesgebiet dar. Das Potential, das sie zu besonderen Anlässen mobilisieren kann, liegt mit 50 000 weit darüber. Zulauf erhält sie vor allem durch kurdische Asylsuchende. Um 39 diese bemüht sich die PKK besonders intensiv, wobei den Gemeinschaftsunterkünften von Ausländern eine zentrale Rolle zukommt. In den Unterkünften werden kurdische Asylsuchende von Aktivisten der PKK betreut und für die Partei geworben. Deren geringes Einkommen hindert die PKXK nicht daran, ihnen Spendengelder abzuverlangen. Entsprechende Aktivitäten wurden auch in Aufnahmestellen für Asylsuchende in Schleswig-Holstein festgestellt. Die PKK hatte bereits Anfang des Jahres deutlich gemacht, trotz ihres Verbotes in Deutschland ihre "demokratischen Rechte" im Rahmen gesetzlicher Bestimmungen wahrnehmen zu wollen. Sie machte mit zahlreichen von ibr initiierten und organisierten Veranstaltungen, Protestund Hungerstreikaktionen auf Menschenrechtsverletzungen in der Türkei aufmerksam, insbesondere auf die Lage der Kurden. Sie wurden zumeist von der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) organisiert. Anläßlich des kurdischen Neujahrsfestes "Newroz" führten die YEK-KOM-Vereine bundesweit Demonstrationen in Form von Fackelzügen durch. Anmelder einer "Newroz"-Demonistration am 20. März in Kiel mit 300 Teilnehmern war erneut die unter Einfluß der PKK stehende "Deutsch-Kurdische Gesellschaft e, V.", Kiel. Die PKK zeigte sich weiterhin in der Lage, große Teile ihrer Anhängerschaft in Europa zu Großveranstaltungen zu mobilisieren und sie propagandistisch in Szene zu setzen. Beispieie hierfür waren die Großkundgebung unter dem Motto "Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit in Kurdistan" am 6.Juni in Dortmund und das "6. Internationale Kulturfestival von Kurdistan" am 12. September in Rotterdam (Niederlande) mit jeweils rund 50 000 Teilnehmern, darunter bis zu 800 Sympathisanten der PKK aus SchleswigHolstein. 2.4 Spendengelderpressungen für die PKK Die PKK ist zur Finanzierung ihres bewaffneten Kampfes und zur Unterhaltung ihres Parteiapparates im hohen Maße auf sogenannte Spenden ihrer Landsleute in Europa angewiesen. Das Eintreiben von Geldem im Rahmen ihrer jährlich stattfindenden Spendenkampagne, einer "Steuererhebung" nach Höhe des vermuteten Einkommens, verlief - trotz anderer Verlautbarungen der PKK - nicht immer ohne psychischen und physischen Druck. 1998 liefen gegen mutmaßliche Angehörige der PKK wiederum. Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Spendengeiderpressung. Auch in Schleswig-Holstein wurden bei der Polizei mehrere solcher Fälle bekannt. 2.5 Rekrutierung des militärischen und politischen Nachwuchses Zum Ausgleich der Verluste in'ihren Kämpfen mit der türkischen Armee sieht sich die PKK immer wieder gezwungen, der von ihr unterhaltenen "Volksbefreiungsarmee Kurdistaus" neue Kämpfer zuzuführen. Für die Rekrutierung ihrer Kader und des militärischen Nachwuchses spielen die in Europa lebenden Kurden eine große Rolle. Die für die Nachwuchsgewinnung vorgesehenen kurdischen Jugendlichen werden in der Regel in Jugend-Camps der PKK. geworben und in Schulungseinrichtungen in den Niederlanden und Belgien ausgebildet. Von dort erfolgt ihre Weiterleitung in Regionen des Nahen Ostens. In den vergangenen Jahren gab es mehrfach Hinweise, daß auch kurdische Jugendliche aus Schleswig-Holstein betroffen waren. Aus Angst vor Repressalien der PKK, aber auch aus Sympathie zu ihr verweigern die Eltern zumeist eine Zusammenarbeit mit der Polizei. Es gibt daher auch keine 40 verläßlichen Zahlen über Kindesentziehungen dürch die PRK_ In den vergangenen Jahren registrierte das Bundeskriminalamt 93 vermißte kurdische Jugendliche, von denen 40 nicht wieder aufgetaucht sind. 1998 wurden 22 weitere Fälle bekannt. Von einer erheblichen Dunkelziffer ist auszugehen. Aus Furcht vor Verfolgung durch die PKK verharmlosen Zurückgekehrte den Vorfall oder weigern sich, nähere Aussagen vor der Polizei zu machen. 2.6 Strafund Exekutivmaßnahmen gegen die PKK Auch 1998 kam es zu zahlreichen Festnahmen, Anklagen und Verurteilungen von hochrangigen Funktionären und Aktivisten der PKK. Im April wurde in Flensburg der Europa-Verantwortliche fir die Jugendorganisation der PKK, "Union der Jugendlichen aus Kurdistan", festgenommen. Die verurteilten PKK-Angehörigen erhielten mehrjährige Freiheitsstrafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, schwerer Brandstiftung, räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung, Sachbeschädigung und anderer Straftaten. Im Falle des Europa-Sprechers der PKK ließ die Bundesanwaltschaft den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung allerdings fallen. Bei Durchsuchungsmaßnahmen von Objekten der PKK im Bundesgebiet - unter anderem wegen des Verdachtes der Spendengelderpressung - konnten neben Spendengeldern, umfangreichem Propagandamaterial und Parteiunterlagen vereinzelt Schußwaffen sichergestellt werden. 2.7 Situation nach dem Verlust Ihrer Unterstützung durch Syrien Durch ein am 20. Oktober unterzeichnetes Abkommen zwischen der Türkei und Syrien mußte die PKK Rückschläge hinnehmen. Das Abkommen verpflichtet Syrien, seine logistische Unterstützung für die PKK zu unterbinden und deren Stützpunkte aufzulösen. Auf das Abkommen reagierte die PKK in Europa mit einer Vielzahl von Protestaktionen, bei denen es in Einzelfällen zu Ausschreitungen kam. An einer ohne Zwischenfälle verlaufenen Spontandemonstration am 14.November in Kiel beteiligten sich 350 Anhänger der PKK Auf die Festnahme Öcalans am 12.November in Italien reagierte die' PKK mit europaweiten Protestund Solidaritätsaktionen, die ausnahmslos friedlich verliefen, darunter eine unter dem Motto "Frieden, Freibeit und Demokratie" stehende Großdemonstration am 19. Dezember in Bonn mit 40 000 Teilnehmern. Parallel zu den Aktivitäten .der PKK kam es in Deutschland und. in anderen westeuropäischen Ländern zu Demonstrationen von national gesinnten Türken. Sie waren einem Aufruf des türkischen Ministerpräsidenten Yilmaz gefolgt, überall in Europa für eine Auslieferung Öcalans an die Türkei zu demonstrieren. Zu größeren Zusammenstößen zwischen Anhängern der PKK und nationalistischen Türken kam es dabei aber nicht. ne a 3 Linksextremistische türkische Organisationen Die zur Gewalt neigenden linksextremistischen türkischen Organisationen halten unverändert an ihrer Zielsetzung fest, den türkischen Staat auf revolutionärem Wege zu zerschlagen. Aufgrund von Flügelkämpfen und Exekutivmaßnahmen deutscher Behörden blieben sie in ihrer Handiungsfähigkeit jedoch weiter eingeschränkt. Ihre in den vergangenen Jahren zu verzeichnen gewesenen gewaltsamen Übergriffe auf türkische Einrichtungen im Bundesgebiet im Zusammenhang mit Ereignissen in der Türkei haben merklich nachgelassen. Die gewaltsam ausgetragenen Richtungskämpfe zwischen der aus der "Devrimei Sol" bervorgegangenen "Revolutionären Volksbefreiüngspartei-Front" (DHRP-C) und der "Türkischen Voiksbefreiungspartei/-front-Revolutionäre Linke" (THKP/-C-Devrimei Sol) setzten sich auch 1998 fort, wobei erneut Schußwaffen und Messer zum Einsatz kamen. Auf die bereits seit längerer Zeit gewaltsam ausgetragenen Flügelkämpfe zwischen beiden verfeindeten Organisationen reagierte die Bundesanwaltschaft mit Ermittlungsverfahren und Anklagen gegen Tatbeteiligte. Sie wirft ihnen Mord, versuchten Mord, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Verstöße gegen das Vereinsund Waffengesetz vor. Am 13. August belegte der Bundesinnenminister die DHKP-C und die THKP/-Cmit einem DBetätigungsverbot in Deutschland. Ausschlaggebend für die Verbote war, daß der Bundesgerichtshof in mehreren Entscheidungen Zweifel an der Einschätzung des Bundesinnenministers und anderer deutscher Behörden geäußert hatte, die DHKP-C und die THKP/-Cseien identisch mit der 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimeci Sol" und damit von deren Verbot bereits erfaßt. Gegen ihr Verbot erhob die DHKP-C im September Klage beim Bundesverwaltungsgericht. Mit ihren öffentlichen Aktionen reagierten die linksextremistischen türkischen Organisationen zumeist auf Vorkommnisse in der Türkei. Im Mai kam es zu europaweiten Protestaktionen der DHKP-C gegen die Behandlung von Aktivisten der Organisation in der Türkei. Im Rahmendieser Aktivitäten besetzten 21 aus verschiedenen Teilen Deutschlands angereiste Anhänger der DHKP-C am 22.Mai in einer öffentlichkeitswirksamen Aktion den Kieler Landtag. Sie verbarrikadierten sich in einem Konferenzsaal, erweckten vom dortigen Balkon den Eindruck des Anzündens eines Brandsatzes und verlangten, gehört zu werden. In mitgeführten Flugblättern rechtfertigten sie sich für ihr Vorgehen damit, daß sie die internationale Öffentlichkeit auf die "brutalen Menschenrechtsverletzungen in der Türkei" aufmerksam machen wollten. Bei der Festnahmeleisteten sie vereinzelt Widerstand. Um ihre Einflußmöglichkeiten in Deutschland zu erhöhen, versucht die DHKP-C, andere Organisationen zu unterwandern. Ende Februar unternahm sie den Versuch, die in Göttingen ansässige Menschenrechtsorganisation "prison watch international e. V." (pwi) auf ihrer Jahresmitgliederversammlung durch einen Masseneintritt von Anhängern zu majorisieren und deren Leitung zu übernehmen. Die pwi firmiert seitdern auch unter der Anschrift des "Informätionszentrums für freie Völker e. V.", das als Europazentrale der DHKP-C gilt. Im Bundesgebiet bildeten sich mehrere der DHIKP-C zuzurechnende regionale Gruppen der pwi, unter anderem in Kiel. Die Kieler Gruppearbeitete zeitweilig eng mit der Ortsgruppe der "Roten Hilfe e. V." (siehe dazu unter Nr. IN 3) zusammen, so auch bei einer Informationsveranstaltung am 24. Mai in Kiel. 42 4 Islamischer Extremismus 4.1 Wesen des Islamismus Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es nicht, den Islam als solchen zu beobachten. Auch diese Religion steht unter dem Schutz des Grundgesetzes und' darf in Deutschland ausgeübt werden. Der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden unterliegt jedoch der politisch ausgerichtete religiöse Fundamentalismus jeglicher Art, der den Menschenin seiner sozialen und politischen Gesamtheit in Anspruch nehmen will. Wesentliche Merkmale des islamischen Fundamentalismus sind "e die Auslegung des Islam als Offenbarung der alleinigen, für alle verbindlichen Wahrheit, auch im Sinne einer vorgegebenen politischen Ordnung, + die Propagierung der Einheit von Staat und Religion, " das Verständnis, die gesamte Rechtsordnung sei ein von Gott gegebenes, vom Menschen nicht abäuderbares System; hieraus folgt die Ablehnung des Pluralismus, des Mehrparteiensystems und der in westlichen Rechtsordnungen verbürgten Menschenrechte. Den Vertretern des Islamismus geht es darum, den Islam unter Ablehnung westlicher Vorstellungen von Demokratie als Hertschaftsinstrument einzusetzen und mit seiner Hilfe Machtansprüche zu begründen. Dies widerspricht wesentlichen Prinzipien der freibeitlichen demokratischen Grundordnung, wie freien Wahlen, dem Recht auf Opposition, der Umabhängigkeit der Gerichte, dem Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft sowie den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten. 4.2 Extremistische Isiamische Organisationen In Deutschland In Deutschland verfügen extremistische islamische Organisationen über rund 31 000 Mitglieder bzw. Anhänger. Damitstellen sie das größte Mitgliederpotential unter den im Bundesgebiettätigen extremistischen Ausländerorganisationen dar. Gegenüber den rund 3 Millionen in Deutschland lebenden Muslimen bilden sie aber nur eine Minderheit. Bedeutendste der extremistischen islamischen Organisationen in Deutschland ist die "islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) mit rund 27 000 Mitgliedern und weitverzweigten Strukturen. Sie strebt die Abschaffung der laizistischen Staatsordaung (Trennung von Staat und Religion) in der Türkei und die Einführung einer isiamischen Staatsund Gesellschaftsordnung an. Dieses Ziel verfolgt sie nicht auf gewaltsamem Wege, sondern durch politische und gesellschaftliche Betätigung. Politisch orientiert sich die IGMGan der in der Türkei tätigen "Tugendpartei" (FP}, einer Nachfolgepartei der im Januar 1998 dort verbotenen islamisch-fundamentalistischen "Wohlfahrtspartei". Repräsentanten der FP bot die IGMG auf zahlreichen ihrer Veranstaltungen im Bundesgebiet ein Forum zur Darstellung ihrer Politik. In Deutschland ist die IGMG bemüßt, durch gezielte Bildungsund Erziehungsarbeit islamistische Positionen unter gleichzeitiger Ablehnung westlicher Werte durchzusetzen. 43 Auf einer Veranstaltung ihrer Frauenorganisation am 9. Mai in Düsseldorf äußerte sich der IGMG-Vorsitzende Ali Yüksel negativ über westliche Gesellschaftssysteme: "Wir sind eine Gemeinschaft, die das Rechtvertritt. Unsere Gegnervertreten das Nutzlose. Die von ihnen vertretenen Systeme sind dem Untergang geweiht." ("Milli Gazete" vom 12. Mai) Die Erziehungsund Bildungsarbeit der IGMG, die in einer Vielzahl organisationseigener Schulungseinrichtungen erfolgt, ist darauf gerichtet, den in Deutschland lebenden Muslimen - vorwiegend Türken - eine "islamische Identität" zu verschaffen und diese in ihrem Sinne auszubauen. Wichtigste Zielgruppe sind dabei türkische Jugendliche. Diesen bietet sie ein breites Spektrum an Freizeitaktivitäten wie Ferienlager, Wissenswettbewerbe und Koranschulungen an. Vordergründig wird mit diesen Aktivitäten die soziale und kulturelle Betreuung verfolgt. Tatsächlich dient dieses Angebot dazu, die Jugendlichen an ihre Organisationen zu binden, sie in ihrem Sinne zu beeinflussen und sie dem Einfluß der westlichen pluralistischen Gesellschaft zu entziehen. Muslimische Kinder müßten - so der IGMG-Vorsitzende Ali Yüksel - vor "den Fallen der fremden Kultur und des unmoralischen Lebenswandels" geschützt werden. Die Überbetonung einer "islamischen Identität" unter Ablehnung von Werten der westlichen Kultur steht im Widerspruch zur angeblich auch von der IGMG angestrebten Integration türkischer Jugendlicher in die deutsche Gesellschaft. In den letzten Jahren ist die IGMG insgesamt um ein äußerlich unangreifbares Erscheinungsbild bemüht. So werden derzeit insbesondere die früher zu verzeichnen gewesenen offen antisemitischen Äußerungen vermieden. Sie unterstreicht im Gegenteil immer häufiger die Dialogbereitschaft gegenüber anderen Religionen und versucht, sich als Repräsentant des Islam in Deutschland anzubieten. Es gibt aber Anhaltspunkte dafür, daß die IGMG dem Islam auch in Europa einen mit wesentlichen Verfassungsgrundsätzen unvereinbaren universellen Geltungsanspruch verschaffen will. So betonte der IGMG-Vorsitzende Yüksel auf einer Veranstaltung seiner Organisation am 1. Juni in Forchheim (Bayern) zum 545. Jahrestag der Eroberung Istanbuls, daß die Geschehnisse von damals auch heute in Europa möglich seien: "Wir müssen auch für eine Eroberung des Islam in Europa kämpfen. Aber dies ist nicht mit Gewalt und Krieg möglich, sondern nur mit dem Kopf und durch sinnvolles Vorgehen." deg Darauf, daß mit der betreffenden Äußerungnicht nur ein grundgesetzlich gewährleistetes Werben für den Islam als Religion beabsichtigt ist, sondern weitergehende politischextremistische Zielsetzungen verfolgt werden, deutet ein aktuelles Arbeitspapier der IGMG hin. Darin werden "Strategien und Methoden' benannt, die bei Hausbesuchen von Frauengruppen der IGMG angewandt werden können. Als "unser größtes Ziel und unsere größte Aufgabe" werden darin das "An-die-Macht-Bringen und Vorherrschen des islamischen Rechts" bezeichnet. Die Hervorhebung des Zieles deutet darauf hin, daß offenbar unter den Mitglieder die politischen Ziele der Organisatioh nicht als selbstverständlich akzeptiert angesehen werden können. Die IGMG ist seit Jahren auch in Schleswig-Holstein tätig. Ihr werden rund 500 Mitglieder/Anhänger zugerechnet. Zweigstelen der IGMG und mit ihr kooperierende türkische Vereine gibt es in Kiel, Lübeck, Neumünster, Rendsburg und im Hamburger Umland. In den letzten Jahren hat sie in Lübeck und Neumünster neue zentrale Moscheen errichtet. A [2429 44 Als mit Abstand radikalste islamische Organisation in Deutschland mit rund 1200 Mitgliedern (in Schleswig-Holstein nur Einzelanhänger) erwies sich erneut der unter der Bezeichnung "Kalifatstaat" auftretende "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln" unter Führung seines selbstermannten "Kalifen' Metin Kaplan. Er strebt den gewaltsamen Sturz des türkischen Staatsgefüges an, das durch ein islamisches System - den "Kalifatstaat" - ersetzt werden soll. Demokratie, Parlament und das Mehrparteiensystem werden von ihm als unvereinbar mit islamischen Glaubensgrundsätzen abgelehnt. Der Koran und die Scharia sollen die alleinige Grundlage für Recht und Gesetz bilden. In einer im September im Internet unter der Überschrift "Haben Sie sich schon entschieden zwischen den beiden Systemen? Islam oder Demokratie?" verbreiteten Selbstdarstellung werden demokratische Staatsgefilge als "Götzen", Abgeordnete und Wähler als "Götzendiener" bezeichnet. 1998 verschärfte sich das Verhalten des "Kalifatstaates" noch wesentlich und gipfelte in Drohungen gegen Deutschland und andere Staaten. Die Drohungen gegen Deutschland standen im Zusammenhang mit polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen gegen Objekte der Organisation am 28. April im Bundesgebiet. Sie fanden im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwaltes gegen Kaplan und weitere Verbandsfunktionäre statt, unter anderem wegen des Verdachtes der Mitgliedschaft in einerterroristischen Vereinigung und der Ermordung eines sogenannten Gegenkalifen ar 8. Mai 1997 in Berlin. Später wurde das Verfahren erweitert wegen des Verdachtes der Vorbereitung von Terreranschlägen in der Türkei aus Anlaß des 75.Jahrestages der Gründung der Türkischen Republik. 5 Entwicklung der Mitglieder/Anhängerzahlen der extremistischen Ausländerorganisationen In Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1996 bis 1998 193936 1997 1998 Türkische Organisationen: - . - - linksextremistische Gruppen 130 . 120 - 120 - islamisch-extremistische Gruppen | 400 400 520 - extrem-nationalistische Gruppen 300 359 450 Kurdische Organisationen " - 650 700 800 Iranische Organisationen - 5 40 40 20 Arabische Organisationen u 90 70 50 Gesamt Land 1610 1 680 1 960 Gesamt Bund 57 300 58 200 59 100