& SCHLESWIG-HOLSTEINISCHERLANDTAG Drucksache141350 14. Wahlperiode 10.03.98 Sperrfrist bis Donnerstag, 12.03.1998, 10.00 Uhr Bericht der Landesregierung Verfassungsschutzbericht 1997 Federführend ist der Innenminister. Sperrfrist: Drucksache1{/13S0 Dennerstag, 12.03.1998, 10.00 ur Innenninisterium des Landes Schleswig-Holstein Verfassungsschutzbericht 1997 Inhaltsverzeichnis Seite Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein Organisation, Personal, Haushalt Rechtliche Grundlagen und Aufgaben "Nachrichtendienstliches Informationssystem" {NADIS) Kontrolle des Verfassungsschutzes II. Rechtsextremismus Überblick Schwerpunkte rechtsextremistischer Aktivitäten Gewalttaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund "Nationaler Widerstand" - Bindemittel des radikalen Flügels im rechtsextremen Lager Vernetzungsbemühungen dauern an 10 Offene Anknüpfung des Neo-Nationalsozialismus an das Dritte Reich l Nutzung neuer Medien 13 Sozlalund wirtschaftspolitische Themen bleiben Schwerpunkte des Rechtsextremismus 15 Rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse 16 Neo-Nationalsozialismus 16 3.1.1 Personenkreis um Andr& Schwelling/Thomas Wulff 17 3.1.2 Personenkreis um Andr& Goertz - bisher "Norddeutsche Bewegung" (NDB) - 22 3.1.3 "Freiheitlicher Volks Block" (FVB) 25 3.1.4 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 26 II Seite 3.2 Rechtsextremistische Parteien 28 3.2.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 28 3.2.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) 31 3.2.3 "Die Republikaner" (REP) 32 3.3 Andere rechtsextremistische Organisationen in Schleswig-Holstein 33 3.3.1 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVHA) 33 3.3.2 "Der Stahlhelm e. V." 34 3.3.3 "Gemeinschaft Ostund Sudetendeutscher Grundeigentümer und Geschädigter" (GOG) 35 Rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste 35 3.4.1 "ARNDT-Buchdienst/Europa-Buchhandlung"" 35 3.4.2 "Verlag für ganzheitliche Forschung" 36 3.4.3 "Buchdienst Nord/Asgard-Verlag/ Buchdienst Tim Schatowitz" 37 3.4.4 "Versandbuchhandlung Gisela Stiller" 37 3.5 Rechtsorientierte gewaltgeneigte Subkultur 37 3.5.1 Skinhead-Musik als Ideologie-Ersatz 39 3.5.2 Skinhead-Konzerte 41 3.5.3 Gewinnaussichten fördern den Handel mit rechtsextremistischer Musik 42 Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen in " Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgeblet 1993 bis 1997 45 III Seite III. Linksextremismus Wesen und Erscheinungsformen des Linksextremismus 46 Überblick 47 Linksextremistischer Terrorismus 48 3.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 48 3.1.1 Illegale der RAF 48 3.1.2 RAF-Inhaftierte 49 3.1.3 Freilassungsinitiativen 50 "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) 51 "Antiimperialistischer Widerstand" 52 "Rote Hilfe e. V." 54 Autonom-anarchistische Szene 56 Potential und Seibstverständnis 56 Organisierungsund Vernetzungsbestrebungen 58 Aktionsfelder 60 Antifaschismus 60deg Antirassismus 62 Anti-Atomkraft 63 Situation der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein 66 5.4.1 Potential und Strukturen 66 5.4.2 Entwicklung der Gewalttaten in Schleswig-Holstein 67 Dogmatischer Linksextremismus 68 Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Orgarisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1995 bis 1997 70 IV Seite Extremistische Bestrebungen von Ausländern Überblick 7i Situation der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PRK) 72 Ideologisch-politischer Standort 72 Anhängerpotential und öffentliche Aktivitäten im Bundesgebiet 73 Innerparteiliche Disziplinierungsmaßnahmen 75 Beschaffung von Finanzmitteln 75 Rekrutierung von Känpfern 76 Strafprozesse und Exekutivmaßnahmen 76 Gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb linksextremistischer türkischer Organisationen nahmen an Schärfe zu 77 Linksextremistische türkische und .kurdische Organisationen solldarisierten sich mit einem am 3. Februar in Kiel erschossenen Aleviten 79 Extremistische islamische Organisationen 80 Wesen des "Islamismus" 80 Extremistische islamische Organisationen in Deutschland 8l Entwicklung der Mitglieder-/Anhängerzahlen der extremistischen Ausländerorganisationen in Schieswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1995 bis 1997 84 I. Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein 1 Organisation, Personal, Haushalt Der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein ist als eine Abteilung des Innenministeriums organisiert. Einschließlich Verwaltungskräften sind in dieser Abteilung zur Zeit 68 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tätig. Für Zwecke des Verfassungsschutzes standen 1997 .1,025 Millionen DM an Haushaltsmitteln zur Verfügung. Die Personalkosten sind in diesem Ansatz nicht enthalten; sie werden bei den entsprechenden Personalkostehtiteln des Ministeriums ausgewiesen. 2 Rechtliche Grundlagen und Aufgaben Verfassungsschutz ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die Zusammenarbeit wird im "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz" vom 20. Dezember 1990 geregelt. Die Länder haben ihrerseits Verfassungsschutzgesetze erlassen. In Schleswig-Holstein ist dies das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein" vom 23. März 1991 (Gesetzund Verordnungsblatt für SchleswigHolstein Seite 203). Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, Informationen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder zu sammeln. Diese Informationen werden offen oder mit verdeckten, von den betroffenen verfassungsfeindlichen Bestrebungen nicht zu erkennenden Mitteln erhoben. Das wichtigste dieser "nachrichtendienstlichen Mittel" ist der Einsatz von V-Personen. Ohne Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde zu sein, liefern diese Personen Informationen aus verfassungsfeindlichen Gruppierungen oder Organisationen. Dabei halten sie diese Tätigkeit in ihrem persönlichen Umfeld geheim. - 2 - Die so gesammelten Informationen werden mit denen anderer Nachrichtendienste oder Behörden zusammengeführt. Hinzu kommen Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen. Die Ergebnisse dieser Auswertungsarbeit werden in Lagebildern der politischen Führung und in Jahresberichten auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Erkenntnisse werden weiterhin der Polizei zum Zwecke der Gefahrenabwehr oder den Strafverfolgungsbehörden zur Aufklärung von Straftaten zur Verfügung gestellt. Eine bloß mitwirkende Funktion hat die Verfassungsschutzbehörde beim vorbeugenden personellen und materiellen Geheimschutz. Der Verfassungsschutz unterstützt hierbei Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind und berät sie, wie Verschlußsachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden Können. Der Verfassungsschutz ist ausschließlich als Beobachtungsbehörde eingerichtet; er ist strikt von der polizeilichen Exekutive getrennt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Behörde . haben keinerlei polizeilich-exekutive Befugnisse. 3 "Nachrichtendienstiiches Informatlionssystem" (NADIS) Im Rahmen der Zusammenarbelt der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern und der gesetzlich normierten Unterrichtungspflichten unterhalten die Behörden ein elektronisches Aktenregister. Dieses "Nachrichtendienstliche Informationssystem" {NADIS) gibt Auskunft darüber, ob eine Organisation oder Person dem Verfassungsschutz bekannt ist und ggf. wo und unter welchem Aktenzeichen die dazu angelegte Akte geführt wird. Angaben zu den Erkenntnissen selbst enthält NADIS nicht. Diese müssen auf dem Verwaltungsweg bei der aktenführenden Verfassungsschutzbehörde abgefragt werden. 4 Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt neben der Rechtsund Fachaufsicht und entsprechenden innerbehördlichen Maßnahmen F umfangreichen und vielfältigen Kontrollen, die sicherstellen, daß die Aufgaben nur in dem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen wahrgenommen werden, Diese Kontrolle wird in erster Linie vom Parlament duscch die Parlamentarische Kontrollkommission, im Einzelfall durch eine Beauftragte oder einen Beauftragten für den Verfassungsschutz, aber auch von den Gerichten, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz, dem Landesrechnungshof und der Öfferitlichkeit wahrgenommen. II. Rechtsextremismus 1 Überblick Den rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen gelang es 1997, den zum Teil erheblichen Mitgliederverlust der vergangenen Jahre zu beenden und wieder einen leichten Zuwachs zu erzielen. Bundesweit sind derzeit etwa 48 000 Personen rechtsextremistischen Bestrebungen zuzurechnen, das sind rund 6 % mehr als im Jahre 1996 (rund 45 000). In Schleswig-Holstein stieg die Zahl der Anhänger von 1 510 auf 1 560. Vom Mitgliederbestand der Vorjahre ist das rechtsextreme Spektrum allerdings weit entfernt: 1993 waren bundesweit über 65 000 Anhänger gezählt worden, in Schleswig-Holstein fast 3 000. Der Zuwachs des Jahres 1997 ist zu einem großen Teil, in Schleswig-Holstein ausschließlich auf eine Zunahme der "gewaltberelten Rechtsextremisten" (überwiegend Angehörige der Skinhead-Szene) zurückzuführen (bundesweit von 6 400 auf 7 200, in Schleswig-Holstein von 250 auf 330). Die Befürchtung, daß das erkennbar größer werdende Interesse an nationallstischer und fremdenfeindlicher Musik Indikator für ein Anwachsen der rechtsorientierten Jugend-Subkultur ist, scheint sich damit zu bestätigen. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß diese Entwicklung sich fortsetzt. . Mindestens ebenso bedenklich ist eine weitere Veränderung im rechtsextremen Lager: ' - Der ursprünglich von aggressiv-kämpferisch gesinnten jungen Neo-Nationalsozialisten gebrauchte Begriff "Nationaler Widerstand", der einen aus Artikel 20 Absatz 4 Grundgesetz abgeleilteten Rechtfertigungsgrund für rechte Militanz nahelegen sollte, ist mittlerweile von weiteren rechtsextremistischen Kreisen aufgenommen worden. Eine im gesamten Bundesgebiet verbreitete Flugschrift mit dem Titel "Aufruf an alle Deutschen zur Notwehr gegen die Überfremdung", die auch von vier Personen aus Schleswig-Holstein mitunterzeichnet ist, ruft zu Widerstandshandlungen jeglicher Art auf und erklärt diese -5zur grundgesetzlich gebotenen Pflicht. In größeren Teilen - _ des rechtsextremen Lagers ist die Sprache deutlich aggressiv-kämpfeerischer geworden. - Dies gilt auch und in besonderem Maße für die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD). Die NPD, die sich der Neonazi-Szene geöffnet hat und von dieser Szene gezielt genutzt wird, hat sich mittlerweile zur "revolutionären Partei des nationalen Widerstands" erklärt. In ihrem 1997 beschlossenen "Strategischen Konzept" will sie, ausgehend von dem Ausspruch, daß Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mittel sei, drei große Schlachten schlagen: die Schlacht um die Köpfe, die Schlacht um die Straße und die Schlacht um die Wähler. Die Partei wird zusehends von jüngeren radikalen Kräften dominiert; ihre Jugendorganisation, die "Jungen Nationaldemokraten" {JN), hat ihr Leitbild vom "politischen Soldaten" in die Parteistrategle hineintragen können. Ob sich diese Kräfte auch in Schleswig-Holstein auf Dauer durchsetzen können, 1äßt sich zur Zeit noch nicht absehen. Das Bemühen insbesondere von Personen aus dem Umfeld der verbotenen "Nationalen Liste" aus Hamburg, im schleswig-holsteinischen Landesverband der NPD Fuß zu fassen, ist aber offenkundig. Ihre Hoffnung, Motor einer breiten rechten außerparlamentarischen Opposition werden zu können, sahen die NPD und die JN mit der Demonstration am 1. März gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" in München als gestärkt an. 4 300 Teilnehmer aus dem gesamten rechtsextremen Lager waren dem Demonstrationsaufruf gefolgt. Die als Folgeveranstaltung beabsichtigte zentrale 1.-Mai-Demonstration in Leipzig wurde zwar verboten, aber mit immerhin rund 300 Teilnehmern fand eine Ersatzveransaltung hierfür in Hannoversch Münden (Niedersachsen) statt. während die Mitgliederzahlen des rechtsextremistischen Parteienspektrums in Schleswig-Holstein stagnieren oder leicht rückläufig sind, hat sich das Anhängerpotential der Neonazi-Szene erhöht. Deutlicher als in der Vergangenheit wurde beobachtet, - 6 - daß die Szene mit rechtsorientierten jugendlichen SubkulturGruppen (Skinheads) zusammenwächst. Ohne daß sich dies in konkreten "Mitgliedschaften" ablesen läßt, haben rechtsextremistische Veranstaltungen gezeigt, daß die Szene heute über ein Potential von bis zu 150 Personen aus Schleswig-Holstein verfügt. Dieses wird aktionsbezogen noch durch Personen aus anderen Bundesländern erhöht. Aktuelles Ziel der Szene ist es, stärker in der Öffentlichkeit wahrgenommen und als Sachwalter nationalistischen Protestes akzeptiert zu werden. Die Ansatzpunkte werden so gewählt, daß die öffentliche Aufmerksamkeit den Akteuren eine möglichst große Plattform bietet. Dies ist der Grund, weshalb in Lübeck ein von Neo-Nationalsozialisten massiv beeinflußtes Bündnis zur Kommunalwahl antritt. Aufgrund dieser Entwicklung zeigt der rechte Rand zur Zelt eine deutliche Polarisierung: ein eher rechtspopulistischer Flügel aus "Republikanern" und "Deutsche Volksunion" konkurriert mit einem radikal völkisch-nationalistischen Flügel aus NPD und neo-nationalsozialistischen Gruppen um den Zuspruch eines von der NPD ausdrücklich bei bis zu 15 % angesetzten Wähleranteils. Folge der sich in Teilen des rechtsextremistischen Lagers ausweitenden militanten Grundhaltung dürfte es sein, daß die rechsextremistisch motivierten Gewalttaten nach Rückgängen in den vergangenen Jahren bundesweit um rund 20 % gestiegen sind. Dieser Trend hat Schleswig-Holstein bisher noch nicht erreicht; hier sank die Zahl von 36 auf 24 Gewalttaten. Überschattet wird diese Statistik von der Ermordung eines schleswig-holsteinischen Polizeibeamten durch einen Berliner Neconazi und vom Brandanschlag auf die Vicelin-Kirche in Lübeck. 2 Schwerpunkte rechtsextremistischer Aktivitäten 2.1 Gewalttaten mit rechtsextremistisch motivierten Hintergrund 1997 stieg - nach kontinulierlichem Rückgang seit 1993 (damals 785) - bundesweit nicht nur die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten um 20 %. Auch die rechtsextremistisch orientierte Gewalt-Szene nahm um 11 % von 6 400 auf 7 200 zu (in SchleswigHolstein von 250 auf 330). Im Gegensatz zum Bundestrend hatte die Gewalttäten-Statistik in Schleswig-Holstein eine rückläufige Tendenz (Rückgang von 36 auf 24). Die Ermordung eines schleswig-holsteinischen Polizeibeamten am 23. Februar durch den 'Berliner Rechtsextremisten Kay Diesner ließ aber in erschütternder Weise erkennen, welche Haßexplosionen aus der Szene heraus möglich sind. Bevor Diesner bei einer Fahrzeugkontrolle einen Polizeibeamten erschoß und einen weiteren schwer verletzte, hatte er in Berlin einen Mordanschlag auf einen der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) nahestehenden Buchhändler verübt. Er begründete seine Taten mit seinem Haß auf die PDS und mit einer "Notwehrsituation gegenüber dem Staat". Am 1. Dezember wurde Diesner vom Landgericht Lübeck zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, Die Tat wurde zwar auch vom rechtsextremistischen Lager weitgehend verurteilt. Einzelne Stimmen aus der neonazistischen Szene schwankten aber zwischen Verständnis und Befürwortung. So hieß es in der Publikation "Hamburger Sturm" (Nr. 14/April 1997): Man dürfe die Taten Diesners nicht relativieren, jedoch müsse nach den Ursachen und somit nach den mittelbar Schuldigen gesucht werden. Zu erinnern sel an die Verfolgungsund Verbotswelle gegen nationale Oppositiönelle. Diesner sei eher das unfreiwillige Werkzeug in einem durch den Staat seit langem geplanten Szenario der Eskalation. Die bereitliegende Waffe und die Unfähigkeit, die Situation der nationalen Opposition zu begreifen, dürften ihn zu der Tat getrieben haben. Die "Sauerländer Aktionsfront" hob in ihrer Publikation "Freie Stimme" hervor, Diesners Aktion habe zwar momentan mehr geschadet als genutzt. Man dürfe ihm jedoch in seiner derzeitigen Situation als "Kriegsgefangener des Systems" die Solidarität nicht verweigern, da er seine persönliche Freiheit und das Leben des Polizisten einzig deshalb hergegeben habe, weil er sich aus "Sorge um unser Volk" zum Kampf gegen dessen Feinde entschlossen habe. Am 25. Mai wurde die Vicelin-Kirche in Lübeck durch einen Brandanschlag schwer beschädigt. Sie war zum Zielobjekt rechtsextremistisch motivierter Aggression geworden, weil ein vermeintlich dort amtierender Pastor einer algerischen "Familie das sogenannte Kirchenasyl gewährte. Verschiedene weitere Brandanschläge in Lübeck konnten bisher nicht rechtsextremistischen Tätern zugeordnet werden. 2.2 "Nationaler Widerstand" - Bindemittel des radikalen Flügels im rechtsextremen Lager Zu den Urhebern dieses Begriffs gehören führende NeoNationalsozialisten, die nach dem Verbot ihrer Organisationen damit versuchten, die Szene über eine griffige Formel politisch zu einen. Die "Natlionaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), die sich unter ihrem neuen Bundesvorsitzenden Udo Voigt (Bayern) deutlich der neo-nationalsozlalistischen Strategie öffnete, griff den Begriff auf und erklärte sich in Ihrem Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 6/1997) zur "revolutionären Partei des nationalen Widerstandes". Es gibt Ähnlichkeiten zu der 1970 von der NPD gegründeten "Aktion Widerstand", die schon seinerzeit versuchte, unterschiedliche rechtsextremistische Zielvorstellungen zu bündeln. Am 16. März wurde in Nortorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) der "Erste Landeskongreß des Nationalen Widerstandes" durchgeführt, der vom Landesvorsitzenden des "Bundes für Gesamtdeutschland" (BED), einer kleinen, in Schleswig-Holstein von Neo-Nationalsozialisten unterwanderten Wählerbewegung mit Ursprung im süddeutschen Raum, organisiert worden war. Der ehemalige Vorsitzende der verbotenen "Nationalen Liste", Thomas Wulff, Hamburg, forderte dabei die etwa 150 Teilnehmer, viele von ihnen Skinheads, dazu auf, "die Politik auf die Straße zu tragen und an Aktionen teilzunehmen". Bei dieser Veranstaltung wurde erstmals die derzeitige Dominanz der Wulff-Anhänger Innerhalb der NeonaziSzene in Schleswig-Holstein deutiich. Es zeigte sich aber auch, . daß die Annäherung von Neonazi-Szene und NPD Gestalt annahn: auf dem Podium saß neben dem BED-Landesvorsitzenden sowie dem Funktionär der NPD und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Ingo Stawitz, Uetersen (Kreis Pinneberg), auch der Landesvorsitzende der schleswig-holsteinischen NPD, Uwe Schäfer, Plön. Hier wurde bereits umgesetzt, was der Bundesvorsitzende der NPD, Udo Voigt, alsbald im Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 6/97) als Ziel vorgab: "Die zu uns strömende nationalistische Jugend wird ... den notwendigen revolutionären Geist in unserer Bewegung beleben. Der nationale Widerstand in Deutschland muß endlich ohne Ansehen von Personen zur Wirkung kommen..." Sowohl die neo-nationalsozialistische Szene als auch die rechtsextremen Jugend-Subkulturen sollen künftig also ihre Heimat in der NPD finden. Was unter "nationalem Widerstand" verstanden werden soll, formulierte die "Deutsche Stimme" (Nr. 5/97) wie folgt: "... und wir müssen es, weil Artikel 20 Grundgesetz une gebietet, gegen jene, die es unternehmen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen, Widerstand zu leisten. Dabei verstehen wir Nationaldemokraten unter Widerstand stets immer nur gewaltfreien, geistigen Widerstand, was freilich nicht ausschließt - ganz im Gegenteil -, daß wir die Wut des Volkes auf die Straße tragen..." Daß der Begriff des Widerstandes durchaus eine weitergehende Dimension hat, daraus macht ein führender Neo-Nationalsozialist und Mitglied der "Jungen Nationaldemokraten"" mit einer Äußerung in der Publikation "Einheit und Kampf" (Mai 1997) kein Hehl: "Das Grundgesetz fordert im Artikel 20 sogar jeden Bürger zum Widerstand gegen alle diejenigen auf, die die demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Ein Staat, der politische Organisationen, Meinungen, Bücher, Versammlungen, Abzeichen, Grußformen, Lieder usw. verbietet und Menschen dafür einsperrt, ist nicht demokratisch, sondern diktatorisch. Wir haben also grundsätzlich das Recht, gegen die Einschränkung unserer Grundrechte vorzugehen bzw. diese Grundrechte überhaupt wahrzunehmen. Wie die Richter, Staatsanwälte und Medien dies dann bezeichnen und verfolgen, ist für uns nur insofern interessant, als es unsere Aktionsund Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt." - 10 - Was den "Nationalen Widerstand" ausmachen soll, ist also in erster Linie von strategischen Überlegungen bestimmt und schließt offensichtlich Gewalt nicht aus, sondern behält diese Option unausgesprochen im Blick. Mittlerweile haben Neo-Nationalsozialisten auch in das Internet eine "homepage" mit dem Titel "Nationaler Widerstand" eingestellt (siehe dazu unter Nr. II 3.1.1). 2.3 Vernetzungsbemühungen dauern an Aus dem Umfeld der nicht mehr als Partei, sondern nur noch als Verein überlebenden "Deutschen Liga für Volk und Helmat" ({DLVH) kommt ein anderer Versuch, den Gedanken der organisationsübergreifenden Sammlungsbewegung zu verwirklichen. Ein am 2. November in Kösching (Bayern) durchgeführter "KongreB des gemeinsamen Neubeginns demokratischer Sozialpatrioten", der von der DLVH und den "Nation Europa Freunden e. V." veranstaltet wurde, hatte immerhin 700 Teilnehmer. Die DLVH 'hat sich stets als Überwinderin der Rivalitäten des "nationalen Lagers" gesehen. Diese Bemühungen. hatten bisher wenig Erfolg. Deutlich wird allerdings, daß die DLVR den neuen radikalen Kurs der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) zumindest auf Bundesebene nicht mitträgt. In Schleswig-Holstein hingegen hatten sich in den letzten Jahren DLVH und NPD angenähert und sich als offenes Bündnis verstanden. Der neue Kurs der NPD wird hier von DLVH-Mitgliedern ausdrücklich unterstützt. Das von der NPD mitgetragene "Bündnis Rechts für Deutschland" setzt diesen gemeinsam begonnenen Weg fort, allerdings mit abnehmendem Erfolg. Während eine Veranstaltung in Nortorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) am 2. März noch rund 100 Teilnehmer hatte, waren am 20. September in Ottendorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) nur noch 60 Teilnehmer anwesend. Als Versuch, den Gedanken des für alle "nationalen Kräfte" offenen Bündnisses politisch zu beleben, kann auch das von der NPD mitgetragene "Bündnis Rechts für Lübeck" (siehe dazu unter Nr. II 3.1.1} betrachtet werden. Es wird allerdings wesentlich - 11 - von neo-nationalsozialistischen Aktivisten geprägt und läßt erkennen, wie weit deren Einfluß in Schleswig-Holstein in die NPD hineinreicht. Innerhalb der neonazistischen Szene selbst werden als Folge der Organisationsverbote weiterhin Einzelaktivitäten und "Kameradschaften" bevorzugt, um Verbotsund Überwachungsmaßnahmen zu unterlaufen und öffentlichkeitswirksam auftreten zu können. Der bisherige Träger dieser Bestrebungen in Schleswig-Holstein und Initiator der hierfür ins Leben gerufenen "Norddeutschen Bewegung", Andr& Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), ist zwar in der Szene gescheitert, aber konkurrierende Neonazis, die überwiegend in Hamburg, in geringer Zahl auch in Schleswig-Holstein als ehemalige Anhänger der verbotenen "Nationalen Liste" (Hamburg) bekannt geworden waren, dominieren nunmehr die Szene. Gerade das schleswig-holsteinische Umfeld dieses Personenkreises hat seine Aktivitäten erheblich gesteigert und mit seinem Einfluß auf die NPD auf eine breitere Grundlage gestellt. Trotz dieser Bemühungen ist es aber keiner der Parteien und politischen Bestrebungen in Schleswig-Holstein gelungen, ihre Basis entscheidend zu vergrößern. 2.4 Offene Anknüpfung des Neo-Nationalsozialismus an das "Dritte Reich" Der Neo-Nationalsozialismus sucht seine Traditionslinien und selne Leitbilder ausdrücklich in der Zeit des Nationalsozlalismus. Dazu gehört das Agitationsfeld des "Revisionismus" - der Versuch, durch die Leugnung der Judenvernichtung und der Schuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg die Ideologie des Nationalsozialismus zu rehabilitieren. Dazu gehört auch die Verehrung derjenigen, die für die unbeugsame Treue zur nationalsozialistischen Idee stehen. Die Gedenkveranstaltung am Grab des am 13. Februar 1397 verstorbenen schleswig-holsteinischen Alt-Nationalsozialisten Thies Christophersen am letzten Oktober-Wochenende führte rund 150 Anhänger zusammen. Vor ihnen "würdigte" der als Neo-Nationalsozialist bekannte Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger Christophersens revisionistisches Werk. 12Auch die alljährlichen "Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltungen" haben einen revisionistischen Ursprung, dienen aber gleichzeitig der Bildung eines für die Szene wichtigen Mythos. Der frühere Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß wurde während seiner Haftzeit und insbesondere nach seinem Tod am 17. August 1987 zu einer Symbolgestalt im deutschen Rechtsextremismus, insbesondere in der Neonazi-Szene. Im Vordergrund dieses Märtyrer-Kultes stehen die Funktion von Heß, der nach Hitler und Göring dritthöchster Würdenträger in der NSDAP war, und seine Treue zum Nationalsozialismus. Diesem Mythos dient vor allem aber seine Stilisierung zum "Friedensbotschafter" und "Märtyrer für den Frieden" nach seinem umstrittenen. Flug nach England im Mai 1941. An seinem Todestag versuchen Rechtsextremisten regelmäßig, mit spektakulären Auftritten auf sich aufmerksam zu machen sowie unverminderte Kampfbereitschaft und organisationsübergrei fende Zusammenarbeit zu demonstrieren. In Schleswig-Holstein kündigte das "Aktionskomitee Rudolf Heß" für den Zeitraum vom 9. bis 23. August entsprechende Aktionen an. Geplante Veranstaltungen am 9. August in Lübeck, Bad Schwartau und Neumünster wurden verboten. Am 16. August wurden bundesweit rund 500 Personen aus der rechtsextremistischen Szene während verschiedener Aufmärsche festgenommen. Der Schwerpunkt der neonazistischen Aktionen lag in Niedersachsen, wo mehrfach der Versuch unternommen wurde, eine Demonstration durchzuführen. Parallel zu dieser geplanten zentralen Kundgebung in Niedersachsen bemühten sich Neonazis auch an anderen Orten um Veranstaltungen zum Gedenken an Rudolf Heß. Auf Melgoland (Kreis Pinneberg) führten rund 30 Rechtsextreuisten aus Bremen und Niedersachsen eine Gedenkveranstaltung durch, die von der Polizei aufgelöst wurde. Weitere Aktionen in Lübeck (16. August), Bad Schwartau (17. August) und wiederum in Lübeck(23. August) wurden verboten. - 13 - Das "Aktionskomitee Rudolf Heß" zog zwar eine überwiegend positive Bilanz der Gedenkveranstaltungen; tatsächlich waren sie ein Mißerfolg aufgrund der konsequenten staatlichen Gegenmaßnahmen. Ein führendes Mitglied der Szene räumte dies in der Publikation "Deutsche Stimme" (Nr. 10/97) unumwunden ein: "Fir die nationalen Aktivisten bleibt die bittere Feststellung, daß der Staat diesmal mächtiger war und dafi es zu der erhofften, machtvollen Kundgebung nicht kam. Es bleibt weiter die bittere Feststellung, daß viele aktive Kamerad/inn/en weite Wege vergeblich gemacht haben und, schlimmer noch, deren Einsatzund Opferbereitschaft im Polizeigewahrsam endete. Was allerdings bei allen bleibt, ist der unbedingte Wille, mit Rudolf Heß, einem der größten Deutschen, verbunden zu bleiben und Solidarität zu üben. In Zukunft muß allerdings ein ganz anderer Weg eingeschlagen werden. Die Niederlage vom 16. August nachträglich zu einem Sieg umzufunktionieren,. ist ganz sicher der falsche Weg." 2.5 Nutzung neuer Medien Rechtsextreme Kreise begannen erst verhältnismäßig spät, sich für die Möglichkeiten der modernen Telekommunikationstechnik zu interessieren. 1993 nahm der Mailbox-Verbund "Thule-Netz" seinen Betrieb auf, 1995 gab es die erste Internet-Seite mit neonationalsozialistischen Inhalten. Heute ist nahezu das gesamte Spektrum des rechtsextremen Lagers im Internet vertreten. Im Gegensatz zum Internet erreichen Mailbox-Netze nur einen begrenzten, internen Nutzerkreis. Das ursprünglich mit Einrichtung des "Thule-Netzes" verfolgte Ziel, eine nationalistische "Gegenöffentlichkeit" herzustellen, konnte nicht erreicht werden. 50 versteht sich dieser Mailbox-Verbund bisher auch eher als eine sogenannte befreite Zone, in der "nonkonformistische und nationalistische Gruppen" sich dem "Druck des Systems" und der "gleichgeschalteten Presse" entziehen können. Anfang 1997 waren dem "Thule-Netz" neun Mailboxen angeschlossen, darunter "Asgard.BBS" in Bad Segeberg. Im Laufe des Jahres kam es zwischen den Betreibern zum Streit und zum Ausschluß dieser Box. Um sie entstand im Juni 1997 ein mit dem "Thule- - 14 - Netz" konkurrierender Verbund, das "Nordland-Netz". Zwei Boxen sind ihm bisher angeschlossen. " Insgesamt dürften beide Mailbox-Systeme nur einige hundert Nutzer haben. Das ."Thule-Netz" versucht, diese für die Betreiber unbefriedigende Situation dadurch zu ändern, daß es Verbindungen zum Internet herstellt. MIt der Entwicklung des "world wide Web" (WWW) entstand eine benutzerfreundiiche, kostengünstige Kommunikationsmöglichkeit, in der sich das "Thule-Netz" 1996 ausführlich darstellte, ohne aber bisher direkt erreichbar zu sein. Dies hat sich seit kurzen geändert. Mit der Einrichtung des "Thule-Gate" soll es möglich sein, Über das Internet mit dem "Thule-Netz" anonym und verschlüsselt zu kommunizieren. Die bisher kostenaufwendige und technisch umständliche Teilnahme am E-Mail-Austausch ist damit wesentlich vereinfacht. Die Nutzung dürfte zunehmen. Im wesentlichen dient das Internet aber der Seibstdarstellung und Informationsübermittlung "zum Kennenlernen": Mit geringem Aufwand können viele Menschen erreicht werden. Interessierte können zueinander finden. Eine Nutzung des Internet mit dem weitergehenden Ziel, über dieses Medium eine organisatorische und ideologische Vernetzung herbeizuführen, ist bisher nur in geringem Maße erkennbar. \ Einen besonderen Bezug zu Schleswig-Holstein hat die seit Juli 1997 über einen in den USA ansässigen Diensteanbieter ("provider") betriebene "homepage" "Nationaler Widerstand" (siehe dazu unter Nr. II 3.1.1), für die auch im Mailbox-Verbund "NordlandNetz" geworben wird. Derartige "homepages" (eigene Seiten im WWW) haben neben ihrer Funktion' als Propagandainstrument die Aufgabe, in dem unüberschaubaren Angebot des Internet die Aufmerksamkeit auch auf andere Bereiche zu lenken. So enthält die "homepage" des "Nationalen Widerstands" unter anderem einen "link" (Verknüpfung im Internet} zur "Stormfront"-"homepage" in den USA. Auch die Ansagetexte "Nationaler Info-Telefone" sind seit 1997 im Internet abrufbar. Die "Info-Telefone" sind einfache Anrufbe- 35 - antworter, dle von ihrem Betreiber regelmäßig neu besprochen werden und mittels Anrufs von Interessierten abgehört werden können. Sie dienen dazu, aktuelle Informationen aus der Szene zu übermitteln und allgemeine Nachrichten aus rechtsextremistischer Sicht zu kommentieren. Der Neo-Nationalsozialist Andr& Goertz betreibt die "Nationalen Info-Telefone" Schleswig-Holstein und Hamburg und veröffentlicht die Texte zusammen mit weiteren Informationen auf einer eigenen "homepage". Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß die neo-nationalsozialistische und die Skinhead-Szene zunehmend Sicherhelt im Umgang mit dem Medium Internet gewinnen. Die technischen Möglichkeiten werden stärker genutzt. Dazu gehört, daß Einzelpersonen oder Gruppen unter Verwendung von Pseudonymen und unter Beteiligung ausländischer "provider" Inhalte ins Internet einstellen, die in Deutschland strafbar sind. Die Möglichkeiten, dies zu verfolgen oder zu unterbinden, sind begrenzt. 2.6 Sozialund wirtschaftspolitische Themen bleiben Schwerpunkte des Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus war auch 1997 bemüht, aus der Strukturkrise der Industrlestaaten resultierende wirtschaftsund sozialpolitische Probleme, insbesondere die andauernde Massenarbeitslosigkeit, in seinem Sinne zu nutzen. Rechtsextremistische Zielvorstellungen werden zunehmend in anti-kapitalistische Rhetorik verpackt. Durch einen angeblichen "Sozialpatriotismus" werden rechtsextremistische Positionen dabei verschleiert. Die Bandbreite der derartig agitierenden Rechtsextremisten erstreckt sich auf das gesamte Lager. Die neonazistische Publikation "Hamburger Sturm" (Nr. 13/Februar 1997) enthält eine ganzseitige Anzeige der im Umfeld des Neonazis Thomas Wulff, Hamburg, angesiedelten "Nationalen und Sozialen Arbeitsgemeinschaft" (Henstedt-Ulzburg) unter der Überschrift "Sozialabbau ist Verrat an der Gemeinschaft". Die "Deutsche Stimme" (Nr. 4/1997) - Parteiorgan der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) - sieht den "nationalen Widerstand solidarisch an der Seite der deutschen Arbei- - 16 - ter". Ein NPD-Vorstandsmitglied prognostizierte in der Ausgabe 3 dieser Publikation, von der nationalen Arbeiterjugend werde einst die Rettung für das deutsche Volk kommen. Eindeutig sind die Ausführungen des Rechtsextremisten Franz Schönhuber (Bayern) zu diesem Thema: " "Es gilt dabei, den nationalen Gedanken auf eine gerechte soziale Grundlage zu stellen. Alles andere ist politischer Mumpitz. Ich kenne dle Einwände ewig Ängstlicher bei 'Republikanern' oder gar. bei den freien Bürgern: natlonal-sozlal? Wle schnell macht da. die Presse ein 'national-sozialistisch' daraus. Na und? Auch dieser Begriff kann doch nichts dafür, daß er von den Machthabern mißbraucht wurde." ("NATION & EUROPA", Heft 6/Juni 1997) In einer Mitteilung vom 17. Dezember führt die Betreiberin der "Nordland-Netz"-Mailbox "Asgard.BBS"" unter anderem aus: Das Ziel des "Nordliand-Netzes" sei es, "positive Veränderungen in unserem Land ... zu bewirken, basierend auf den Maximen des "Nationalen Widerstandes', also 'Gemeinnutz vor Eigennutz' und 'Brechung der Zinsknechtschaft' ...". 3 Rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse 3.1 Neo-Nationalsoziallsmus Die Situation des Neo-Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein ist nach 'wie vor durch die Auswirkungen der Organisationsverbote gekennzeichnet. Obwohl die Anhängerschaft im Kernbereich in Schleswig-Holstein nur aus rund 60 Personen besteht und damit nur einen verhältnismäßg geringen Teil des rechtsextremistischen Personenpotentials stellt, gelingt es ihr immer wieder, durch medienwirksame Auftritte auf sich aufmerksam zu machen. Dabei ist es erklärtes Ziel, Überhaupt wahrgenommen zu werden: Auch eine negative Berichterstattung wird als Erfoig gesehen. Neonazistische Aktivitäten in Schleswig-Holstein haben 1997 zugenommen. Die Kräfteverhältnisse haben sich zugunsten jener Gruppen verändert, die kaum bemüht sind, ihre Gegnerschaft zu - 17 - diesem Staat zu verschleiern. Das neonazistische Spektrum hat sich durch die Neugründung des "Freiheitlichen Volks Blocks" in Schleswig-Holstein erweitert. 3.1.1 Personenkreis um Andr& Schwelling/Thomas Wulff 1997 hat sich in Schleswig-Holstein ein für Außenstehende undurchschaubäres Organisationsgeflecht entwickelt, in dem Bezeichnungen auftauchen wie "Patriotische Jugend", "Perspektive", "Initiative gegen Drogenfreigabe", "Nationales und Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland", Landesverband SchleswigHolstein des "Bundes für Gesamtdeutschland" sowie wechselnde "Aktionskomitees". Diese Namen sind jedoch kaum von Bedeutung; es handelt sich nicht um programmatisch eigenständige, von unterschiedlichen Personenkreisen getragene Organisationsansätze. Vielmehr versucht hier eine sehr kleine Gruppierung, deren Kern von nur etwa fünf Personen aus dem schleswig-holsteinischen Umfeld der ehemaligen Anhänger der verbotenen "Nationalen Liste" (NL) hervorgegangen ist, ein größeres Potential vorzutäuschen und in ein lediglich in Ansätzen existierendes Bündnisprojekt weitere Aktivisten und Gruppen zu integrieren. Im Sinne der Vernetzungsstrategie handelt es sich um weitgehend austauschbare Hülsen, die nach taktischen Erwägungen politischen Aktivitäten jeweils übergestülpt werden und einen bewegungsartigen Zusammenschluß größeren Zuschnitts suggerieren sollen. Andererseits sollen damit zumindest zeitweise lose Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, Themenfelder - zu besetzen, Gesinnungsgenossen zu gewinnen und Aktivitäten zu bündeln. Dieser geringe Stellenwert verfestigter Organisationsstrukturen spiegelt sich auch in der zunehmenden Akzeptanz autonomer Vorstellungen wider, die sich der ehemalige NL-Vorsitzende Thomas Wulff, Hamburg, zu eigen gemacht hat. Unter seinem Einfluß ist für das politische Selbstverständnis des ehemaligen NL-Umfelds der Begriff des "Freien Nationalisten" kennzeichnend geworden. Ein Beitrag im "Hamburger Sturm" (Nr. 14/April 1997), einer von ehemaligen NL-Anhängern in Hamburg herausgegebenen Publikation, verdeutlicht diesen neuen Schlüsselbegriff: - 18 - , "Wir arbeiten als Freie Nationalisten in sog. 'autonomen' Kameradschaften und marschieren unter der schwarzen Fahne, dem Symbol des volkstreuen Befreiungskampfes! Parteien sind für uns ... lediglich ein organisatorisches Hilfsmittel zur Durchsetzung unserer politischen Ziele." Bei der zielstrebigen, in den letzten Monaten forcierten Umsetzung der Vernetzungsstrategie ist Thomas Wulff bereits so mas'siv in Erscheinung getreten, daß eine steuernde Beeinflussung der schleswig-holsteinischen Aktivfsten durch ihn anzunehmen ist. Es zeichnet sich ab, daß in Schieswig-Holstein modellhaft ein Potential aufgebaut wird, aus dem sich sukzessive eine überregional vernetzte "Bewegung" entwickeln soll. Wulff setzt dabei insbesondere auf seinen langjährigen Gefolgsmann Andre Schwelling (Henstedt-Ulzburg). Dieser hat es mit einer Handvoll Aktivisten in den letzten Monaten immer wieder erreicht, öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen, weitere Aktivisten einzubinden und auch überregionale Kontakte zu knüpfen. Die folgenden Vorgänge können dies exemplarisch belegen: - Demonstration am 15. März in Quickborn (Kreis Pinneberg), die von dem ehemaligen Landtagsabgeordneten der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Ingo Stawitz angemeldet wurde, nachdem die ursprünglich von der "Initiative gegen Drogenfreigabe" für Bad Segeberg geplante Demonstration verboten worden war. Zahlreiche Anhaltspunkte belegen, daß Stawitz in Absprache mit dem Wulff-Umfeld eine Ersatzveranstaltung zur Umgehung des Demonstrationsverbotes durchgeführt hat. Unter den rund 60 Teilnehmern befanden sich.auch Personen aus Nordrhein-Westfalen. Die dabei verteilten Flugblätter verweisen auf die "Initiative gegen Drogenfreigabe", unterstützt durch "Freie Nationalisten im Nationalen und " Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland" und dem "Aktionskomitee 'Highde Moser In der Pfeife rauchen!'". Als Redner traten Wulff und Stawitz auf. - Schon einen Tag später bot eine von seiner Anhängerschaft durchgeführte Veranstaltung Wulff erneut ein Forum, um sich auch in Schleswig-Holstein als Führungsperson in Szene zu setzen. Am 16. März fand in Nortorf (kreis Rendsburg-Eckern- - 19 - förde) der "1. Landeskongreß des Nationalen Widerstandes" statt, der vom Landesvorsitzenden des "Bundes für Gesamtdeutschland" (BGD) organisiert worden war. Der im November 1996 gegründete BGD-Landesverband Schleswig-Holstein ist eine Domäne der Wulff-Anhänger. Bei der Veranstaltung hatte Wulff - seinem Geltungsanspruch entsprechend - auf dem Podium Platz genommen, neben den Landesvorsitzenden des BGD und der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) sowie wiederum Ingo Stawitz. Vor den rund 150 Teilnehmern, darunter viele Skinheads, forderte Wulff dazu auf, "die Politik 'auf die Straße zu tragen und an Aktionen teilzunehmen". Die Veranstaltung wurde "nach den gemeinsamen Demonstrationen gegen die Drogenfreigabe" als Schritt in Richtung eines "Netzwerke Freier Nationalisten" verstanden, womit die brüuchlose Einordnung In die Aktivitäten der ehemaligen NL-Anhänger dokumentiert wird. Diese Aktivitäten fanden zunehmende Resonanz, wie die Teilnehmerzahl einer am 24. Mai in Bad Segeberg durchgeführten Demonstration zeigt. Unter der Parole "Gegen.den Euro, die EG-Mißwirtschaft und den Sozialabbau" gingen dort rund 180 Rechtsextremisten auf die Straße, darunter Wulff und Stawitz sowie Vertreter des bisher auf Süddeutschland beschränkten "Freiheitlichen Volks Blocks" (FVB), einer neonazistischen Kleinorganisation. Aus Sicht der Initiatoren, die sich in typischer Weise als "Freie Nationalisten im Natiönalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland" bezeichneten und als Unterstützer BGD, "Initiative gegen Drogenfreigabe", FVB und die "Jungen Nationaldemokraten" nannten, war dies ein Schritt zur "weiltere{n) Vernetzung und Zusammenarbeit aller relevanten Gruppierungen im norddeutschen Raum". - Aufsehen erregte ein in der Nacht zum 30. Mai in Lübeck verteiltes Flugblatt, das sich mit dem Brandanschlag auf die Vicelin-Kirche befaßt. und einen rechtsextremistischen Hinter-_ grund demertiert. Als Herausgeber wird - mit dem kennzeichnenden pseudo-ironischen Namensbezug - ein fiktives "Aktionskomitee für HARIGe Angelegenheiten" genannt, wobei zu den Unterstützern erneut die "Jungen Nationaldemokraten" gezählt - 20 - und dabei dem "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland" zugeordnet werden. Dies ist ein Anhaltspunkt dafür, daß die ehemaligen NL-Anhänger zunehmend auch die "Jungen Nationaldemokraten" zu vereinnahmen versuchen. Als presserechtlich verantwortlich zeichnete Thomas Wulff. - Mit der Internet-"homepage" "Nationaler Widerstand" vergröBerte das schleswig-holsteinische Wulff-Umfeld seine publizistische Reichweite. Damit wird der ais herkömmliche Zeitschrift in der Art eines Skinhead-Fanzines von Hamburger Aktivisten ersteilte "Hamburger Sturm" ergänzt. Unter anderem wird über die "homepage" unter dem Titel "Perspektive" eine seit Anfang 1996 bekannte, ursprüngiich lediglich 'flugblattartig aufgemachte Publikation verbreitet, Diese charakterisiert sich selbstwie folgt: "'Perspektive' erscheint ausschließlich im Internet. Alle Inhalte werden von volkstreuen Kameradinnen und Kameraden (hauptsächlich) aus Norddeutschland zusammengetragen. Die Inhalte sind primär für Sympathisanten der nationalen Szene geschrieben und erst sekundär für völlig unwissende (medienmanipulierte) Menschen. Hier erhaltet ihr u. a. Hintergrundinfos, die die Medien gerne verschweigen." Die Unterselten der "homepage" enthälten umfangreiche Informationen, Kommentare, Bilder sowie "links" unter anderem zu einer militanten Gruppierung in den USA. Die "Perspektive" wurde seit Herbst 1996 in umfangreicherer Aufmachung über das Internet verbreitet, zunächst über einen deutschen "provider". Die durch diesen etwa zur Jahresmitte vorgenommene Sperrung der "homepage" konnten die Betreiber umgehen, indem sie sle schon nach kurzer Zeit und inhaltiich erneut ausgeweitet über einen in den USA ansässigen "provider" in das Internet einstellten. 'Die "homepage" dokumentiert auch die verfestigte Zusammenarbeit mit der "Sauerländer Aktionsfront", die in Nordrhein-Westfalen aus Skinhead-Gruppen (zum Teil identisch mit ehemaligen Anhängern der verbotenen "Freiheltlichen Deutschen Arbeiterpartei") hervorgegangen ist. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß hier unter Anleitung von Thomas Wulff ein bundesweites Sprachrohr für die neonazistische Szene etabliert werden soll. - 21 - Einen aus ihrer Sicht besonders bemerkenswerten Erfolg erzielten Wulff und seine schleswig-holsteinischen Gesinnungsgenossen mit der Gründung der Wählergemeinschaft "Bündnis Rechts für Lübeck". Obwohl diese nach derzeitigem Erkenntäisstand nicht von Wulff und Schwelling monopolisiert ist, verdeutlicht eine Pressemitteilung anläßlich der Demonstration am 24. Mai in Bad Segeberg, daß die Gründung der Wählergemeinschaft offensichtlich auf eine diesem Kreis entstammende Initiative zurückgeht. wie es in jener Pressemitteilung heißt, soll bei der schleswigholsteinischen Kommunalwahl im März 1998 "mittels Bürgerinitiativen" die "volksverdummende Politik der etablierten Parteien" bekämpft werden. In der Folge entwickelten sich Kontakte zwischen dem Schwelling-Kreis und Personen, die in Lübeck als Aktivisten für die "Bündnis-Rechts-für-Lübeck"-Gründung funglerten. Eine von Wulff "Für das Bündnis Rechts für Lübeck" unterzeichnete Presseerklärung informiert über die Gründung der Wählergemeinschaft am 4. Oktober in Klein Giadebrügge (Kreis Segeberg) unter Beteiligung von rund 60 Personen "aus den verschiedensten nationalen Gruppierungen ... sowie viele(r) Freie(r) Nationalisten". Damit solle die "Aktionsund Bündnisfähigkeit" unter Beweis gestellt werden. Die Zusammensetzung des Vorstands, in dem seine Anhänger stark vertreten sind, dokumentiere - so Wulff - "den Willen der gesamten nationalen Basis in SchieswigHolstein, endlich mit einer umfassenden Einbeziehung aller relevanten Kräfte der Bevölkerung eine glaubwürdige Alternative bieten zu wollen ... Die Redner Ingo Stawitz (DLVH) und Thomas Wulff (Freier Nationalist) brachten in ihren Reden zum Ausdruck, daß nunmehr ein weiterer, folgerichtiger Schritt hin zu einer geschicossenen Rechtsfront gegen die etablierten Altparteien getan wurde." Die Erklärung schließt mit vielsagendem Unterton: "Wir werden noch viel Spaß miteinander haben...!". In seiner Rede vor den Teilnehmern wurde Wulff deutlicher: Er kündigte für einen "radikalen" Wahlkampf massive Unterstützung durch seine Hamburger Anhänger an. Wulff spielt in dem Flugblatt mehrfach darauf an, daß mit der Gründung der Wählergemeinschaft die von rechtsextremistischen - 22 - Parteien zumindest in offiziellen Verlautbarungen geäußerten Vorbehalte gegen eine offene Zusammenarbeit mit Neonazis jetzt in Lübeck besonders nachhaltig unterlaufen worden seien. Jedoch sind zumindest innerhalb der NPD, die im "Bündnis Rechts für Lübeck" in beträchtlichem Umfang vertreten ist, derartige. Vorbehalte nicht feststellbar. Ein im November bekanntgewordenes NPD-Flugblatt beklagt, daß "eine Zersplitterung der nationalen Kräfte ... bisher deren Erfolg" verhindert habe. Weiter heißt es! "In Lübeck haben sich zahlreiche Bürger zusammengeschlossen, die Mitglieder in verschiedenen nationalen Organisationen wie NPD, JN, DLVH, BGD oder der Initiative gegen Drogenfreigabe sind, ... in der Wählergemeinschaft 'Bündnis Rechts für Lübeck'... Wir von der NPD-Lübeck können dies nur begrüßen ...." Diese Reaktion verdeutlicht, daß Wulff mit seinen weit über das neo-nationalsozialistische Spektrum hinausreichenden bündnispolitischen Ambitionen auch innerhalb rechtsextremistischer Wahlparteien Anklang findet. 3.1.2 Personenkreis um Andr& Goertz - bisher "Norddeutsche Bewegung" (NDB) - Die NDB ist als inzwischen gescheiterter Versuch des Neo-Nationalsozlialisten Andr& Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), anzusehen, sein Konzept der "totalen Vernetzung" regional praktisch zu erproben und mit dem von ihm propagierten "progressiven Nationalismus" eine inhaltliche Erheuerung des Rechtsextremismus einzuleiten. Im Mittelpunkt stand dabei die Forderung, bei bestimmten Themen wie Fremdenfeindlichkelt, Antisemitismus und Revisionismus taktische Zurückhaltung zu üben, um sich ein moderneres Image und mehr Öffentlichkeitswirkung zu verschaffen. Mit seinen teilweise provozierend vorgetragenen Thesen verprellte Goertz weite Teile des neo-natlionalsozialistischen Spektrums. Ideologische, aber auch persönliche Querelen führten zu Seiner Ausgrenzung aus der Szene, die ihn als Führungsperson nicht mehr akzeptiert. - 23 - Die damit verbundene Erosion der NDB macht deutlich, daß dieser Zusammenschluß - anders als es die Vernetzungsstrategie theoretisch erfordert - in Wirklichkeit eher nach herkömmlichen Organisatiorsmustern auf Goertz ausgerichtet und von ihm dominiert war. Unter seinem direkten Einfluß steht nur noch ein kleiner Personenkreis aus dem Halstenbeker/Hamburger Raum, der sich weiterhin zu Kameradschaftsabenden trifft. Infolge dieses Schrumpfungsprozesses kann von einer "Norddeutschen Bewegung" nicht mehr gesprochen werden. Außerhalb der ihm verbliebenen Kameradschaft verfügt Goertz noch über einen gewissen Rückhalt bei Aktivisten in Mecklenburg-Vorpommern. Seine Aktivitäten hat Goertz aktuell mehr im publizistischen Bereich konzentriert und seine Präsenz im Internet ausgebaut. Dies gilt zum Beispiel für das weiterhin von ihm betriebene "Nationale Info-Telefon" (NIT). Neben einer unter dem Titel "Au Backe" unregelmäßig erscheinenden Schülerzeitung ist auch die im September 1997 erstmals herausgekommene Zeitschrift "Progress", deren Impressum auf ein Pseudonym verweist, Goertz zuzuordnen. In dieser neuen Publikation sind überwiegend ältere Strategiepapiere abgedruckt, mit denen er den im Untertitel "Analysen/Theorie/Strategie/Meinungen" zum Ausdruck kommenden hohen Anspruch nicht einlöst und lediglich an seine früheren Theorieorgane ("Standard" und zuletzt "Einheit und Kampf") anknüpft. " In jüngster Zeit haben sich Anhaltspunkte dafür ergeben, daß Goertz allmählich die von ihm entwickelte Idee des "progressiven Nationalismus" aufgibt und bewußt herkömmliche Verhaltensmuster aufleben läßt. Dafür spricht eine auffällige verbale Radikalisierung in mehreren NIT-Texten, bei denen er sich gängiger neonazistischer Diktion bedient. Dabei konzentriert er sich mit aggressiver Polemik insbesondere auf dasThema "Überfremdung", die er als angebliche zentrale Fehlentwicklung in unterschiedlichen Zusammenhängen herausstellt. So heißt es in dem NIT-Text vom 28. Oktober: - 24 - "... es spielt Überhaupt keine Rolle, ob der Türke auf der Straße einen deutschen Paß hat, und es macht keinen Unterschied, daß der schwarzafrikanische Dealer künftig die Staatsbürgerschaft besitzt. Sie sind und sie bleiben Ausländer, und sle gehören hier nicht her!" _ Besorgniserregend sind auch militante Anklänge, wie diese im NIT-Text vom 24. Oktober zu finden sind: "Solange dieser Staat ... freiwillig natlonale Menschen an der Waffe ausbildet, solite dies auch weidlich von ihnen genutzt werden." Bemerkenswert ist sein Bedürfnis, sich im NIT vom 14. Oktober von den (verbalen) Bekenntnissen rechter Parteien zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu distanzieren und ein offenes Bekenntnis zur Verfassungsfeindlichkeit abzulegen: "Nach diesen vielen Bekenntnissen erklären wir vom NIT folgendes: Das NIT lehnt die Bundesrepublik Deutschland als Staat ebenso ab, wie seine freiheitlich-demokratische Grundordnung. Die BRD ist und bleibt das häßlichste Deutschland, das es je gab, und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist für nationale Bürger ohnehin weitgehend außer Kraft, so daß ein Bekenntnis zu ihr vollkommen sinnlos ist." Ein weiteres Indiz für eine Neuorientierung ist darin zu sehen, daß Goertz als ehemaliger Funktionär der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) Öffentlich alte Verbindungen wieder aufleben läßt. Bei einer Saalveranstaltung, zu der er anläßlich des vierjährigen Bestehens des NIT eingeladen hatte, trat am 3. Oktober in Barlt (Kreis Dithmarschen) der ehemalige FAP-Vorsitzende Frledhelm Busse vor den über 60 Teilnehmern als Redner auf. Darüber berichtete das NIT bereits am Folgetag. Goertz vollzieht damit einen krassen Bruch in seinem Bestreben, alles zu unterlassen, was ihn wieder mit der verbotenen FAP in Verbindung bringen könnte. Sein Verhalten läßt die Interpretation zu, daß er seine ideologischen Erneuerungsversnche aufgibt und durch Anpassung seine Rehabilitierung in der neonazistischen Szene betreibt. - 25 - 3.1.3 "Freiheitlicher Volks Block" (FVB) Die Gründung des Landesverbandes Schleswig-Holstein des FVB am 18. Oktober 1997 erweitert zwar das neonazistische Potential im Lande, ist aber ein Beweis dafür, daß die Neonazi-Szene zerstritten bleibt. Diese Gründung kann als Beleg dafür gesehen werden, daß es Einzelaktivisten möglich ist, ideologisch nicht gefestigte rechtsorientierte Personen in feste Strukturen einzubinden. Der FVB hat seinen Ursprung in den Ländern Bayern und BadenWürttemberg. Führende FVB-Funktionäre gehörten vorher der 1993 in Baden-Württemberg verbotenen "Heimattreuen Vereinigung Deutschlands" an. In Schleswig-Holstein ist die Gruppe aus der sich selbst so bezeichnenden "Fissauer Kameradschaft" hervorgegangen, die nach dem äußeren Erscheinungsbild ihrer etwa 15 Anhänger der Skinhead-Szene zuzuordnen war. Die Gruppe unterhält Kontakte in andere Bundesländer. Die Neugründung wurde auch über das Internet verbreitet. Dort hieß es: "Der FVB, eine junge nationale Partei, befindet sich weiter auf dem Vormarsch... Leider gab es gleich zu Veranstaltungsbeginn Ärger mit dem Wirt der Gaststätte, der wohl nicht damit gerechnet hatte, daß uniformierte Leute aus dem nationalen Spektrum auftauchen würden..." Höhepunkt der Aktivitäten der "Fissauer Kameradschaft" war der Versuch, am 24. Mai in Plön eine gemeinsame Demonstration mit dem bisher in Schleswig-Holstein nicht vertretenen FVB unter dem Motto "Deutschland in Not" durchzuführen. Die Veranstaltung wurde verboten. Auf der Ersatzveranstaltung, die am selben Tag in Bad Segeberg zum Thema "Gegen den Euro, die EG-Mißwirtschaft und den Sozialabbau" stattfand, wurden unter den rund 180 Demonstranten etwa 50 Personen festgestellt, die der "Fissauer Kameradschaft" und dem FVB zugerechnet werden konnten, darunter auch süddeutsche "Spitzenfunktionäre". Bereits an der Demonstration am 1. März in München gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" nahmen Mit- - 26 - glieder der "Fissauer Kameradschaft" im "Schwarzen Biock" des FVB teil. Ein weiterer Öffentlicher Auftritt fand am 4. Oktober in Lübeck zum Thema "Sicherheit durch Recht und Ordnung" statt, für den ein angeblicher "Bürgerkreis für Lübeck" als Anmelder auftrat. Versammlungslelter war der Landesvorsitzende des FVB in Bayern. Die Demonstrationsteilnehmer fielen auch hier wieder durch einheitliche schwarze Bekleidung mit Springerstiefeln und Ärmelaufnähern auf. Diese Veranstaltung wurde wegen verschledener Verstöße (Uniformierung, Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Mitführen von Waffen) von der Polizei aufgelöst. 3.1.4 "Junge Nationaldemokraten" {(JN) Die JN üben weiterhin die Funktion eines Bindegliedes zwischen dem neonazistischen Spektrum und der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) aus. Im zweiten Halbjahr 1997 ist es aber durch unterschiedliche politische Bewertungen und persönliche Animositäten zu einer Abkühlung der Beziehungen der außerhalb Schleswig-Holsteins agierenden JN-Führung und schleswigholsteinischen Neo-Nationalsozialisten gekommen. Die JN sind die Jugendorganisation der NPD und nach $ 19 der NPD-Satzung "integraler Bestandteil" der Mutterpartei. Sie, werden, wie auf ihrem Bundeskongreß im Mal 1996 beschlossen, als Kaderorganisation geführt. Sie fühlen sich als "Speerspitze" der Partei. Wesentliches Fundament ihrer weltanschaulichen Ausrichtung ist der natlonal-revolutlonäre Befrelungskampf. In den Vordergrund ihrer Agitation stellen sie in jüngerer Zeit wirtschaftsund sozialpolitische Reizthemen. Den Verbindungen ins Ausland wird besondere Bedeutung beigemessen. so befanden sich unter den über 500 Teilnehmern des "4. Europäischen Kongreß der Jugend" am 18. Oktober in Furth im Wald (Bayern) Gäste "aus Frankreich, Griechenland, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, Spanien, Südafrika und den USA. Der JN-Bundesvorsitzende Holger Apfel verurteilte in geiner Grundsatzrede eine "multikulturelle Gesellschaft" und nannte das Großkapital als Hauptfeind Deutschlands. - 27 - Unter dem Titel "Der Kampf wird härter" rufen die JN in ihrem Infoblatt "Der Aktivist" (Nr. 1/97) zur Rettung des Volkes vor der multikulturellen Gesellschaft auf. Der nationale Widerstand unter Führung der JN habe deutlich gemacht, daß man sich gegen ein dem Untergang geweihtes System zu organisieren wisse. Als Schwerpunkt der politischen Arbeit wird die Festigung der Kader herausgestellt. Mit ihnen solle der aktive Kampf auf der Straße vorbereitet werden. Wenn der Staat die direkte Konfrontation haben wolle, könne er sie bekommen. Für die verschiedensten Lebensbereiche werden detaillierte Leitsätze formuliert, so unter anderen: "Tretet Schützenvereinen bei, besucht Kampfsportschulen, bildet euch in Selbstverteidigung aus! Nutzt die Möglichkeiten, die euch die Bundeswehr bietet. Sucht nationale Wohngemeinschaften, sie können dem einzelnen Kraft für seinen persönlichen Kampf bieten. Schafft Veranstaltungsräume! Seid Elite, seid stets Vorbild, versucht Kader zu sein." Am 1. März gelang es der JN zusammen mit der NPD, in München eine Demonstration mit rund 4 300 Demonstranten gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" durchzuführen. Nach eigener Einschätzung sei dies die größte nationale Demonstration in Deutschland seit 20 Jahren gewesen. Eine für den 1. Mai vorgesehene Großdemonstration in Leipzig wurde durch das sächsische Oberverwaltungsgericht verboten. Dennoch gelang es den JN, eine Ersatzveranstaltung in Rannoversch Münden (Niedersachsen) mit rund 300 Teilnehmern durchzuführen. An beiden Veranstaltungen nahmen auch Personen aus Schleswig-Bolstein teil. Die JN verfügen über rund 350 Mitglieder und sogenannte Anhänger, in Schleswig-Holstein sind es rund 15 Mitglieder und Sympathisanten. Dabei ist ähnlich wie auf Bundesebene eine fortschreitende Vernetzung mit Neonazikreisen festzustellen. Dokumentiert wird dies unter anderem durch die Teilnahme der JN-Anhängerschaft an Veranstaltungen von "Bündnis Rechts für Deutschland" und "Bündnis Rechts für Lübeck". Obwohl in Schleswig-Holstein noch immer kein eigener JN-Landesverband besteht, haben die Aktivitäten durch die Benennung eines neuen Landesbeauftrag- - 28 - ten zugenommen. Besonders in Lübeck wurden von den JN des öfteren Kundgebungen angemeldet, unter anderem am 31. Mai unter dem Motto "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". An der Demonstration am 24. Mai in Bad Segeberg "Gegen den Euro, die EG-Miöwirtschaft und den Sozialapbau" nahmen ebenfalis Mitglieder der IN teil. Auch der Bürgerschaftswahlkampf der NPD in Hamburg wurde von JN-Mitgliedern aus Schleswig-Holstein unterstützt. 3.2 Rechtsextremistische Parteien Die rechtsextremistischen Parteien konnten den mehrjährigen Mitgliederrückgang im Jahre 1997 beenden, Die"Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und die "Republikaner" (REP) konnten ihre Mitgliederbestände etwas erhöhen, während die Situation der "Deutschen. Volksunlon" {DVU} durch Stagnation gekennzeichnet ist. NPD und REP konnten die leichte Aufwärtstendenz allerdings nicht in einen Wahlerfolg umsetzen. Die drei Parteien haben eigenständige Profile entwickelt. Während die NPD sich unter dem Einfluß der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) dem neo-nationalsozialistischen Leitbild der "Bewegung" angenähert hat und einen völkischen Nationalismus vertritt, setzt die DVU weiterhin auf rechtspopulistische Themen. Die "Republikaner" bemühen sich unter dem Einfluß des Bundesvorstandes, ein verfassungskonformes Bild abzugeben, lassen aber immer wieder autoritäre," antipluralistische Tendenzen und eine geistige Nähe zu anderen inund ausländischen Parteien des rechtsextremen Lagers erkennen. 3.2.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Nach Jahren der Mitgliederverluste hat der Mitgliederbestand der NPD im Jahre 1997 insbesondere in den östlichen Ländern um rund 1 000 Personen zugenommen. Dabei handelt es sich vielfach um enttäuschte ehemalige Mitglieder anderer rechter Parteien. Insbesondere nach der medienwirksamen Demonstration am 1. März in München gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" hatte die NPD eine Führungsrolle im rechten Lager beansprucht. Dem stehen aber die Mißer- - 29 - folge bei den Wahlen in Hessen und Hamburg entgegen. Bei der Kommunalwahl. in Hessen am 2. März erhielt die NPD 0,6 % der Stimmen (1993: 0,7 %). Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 21. September betrug der Stimmenanteil der NPD sogar nur 0,1 (r)%. Diese Mißerfiolge führt der NPD-Partelvorsitzende Udo Voigt (Bayern) auf die Konkurrenz rechter Parteien bei Wahlen zurück. So heißt es im NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 10/97): "Die. 'rechte' Konkurrenz, die sich einem Bündnis mit der NPD verweigert, ist auch weiterhin unser politi1scher Gegner." zur Vorreiterrolle der NPD erklärte Voigt: "Als die authentische nationale Partei Deutschlands muß es uns aber gelingen, politische Heimat für alle nationalen Strömungen Deutschlands zu werden. Die zu uns strömende nationalistische Jugend wird dabei den notwendigen revolutionären Geist in unserer Bewegung beleben. Der nationale Widerstand in Deutschland muß endlich ohne Ansehen von Personen zur Wirkung kommen, und welcher Partei, wenn nicht der NPD, käme wohl sonst diese große Aufgabe zu? ... Sollte es uns gelingen, die Einsicht in den vielen Splitterund Kleinstgruppen zu erreichen, endlich die Zellteilung zu überwinden, um etwas verändern zu können, wenn wir zusammenstehen, werden wir beginnen, Macht und EinPSfluß zu gewinnen." ("Deutsche Stimme" Nr. 6/97) Die NPD entwickelt sich damit erkennbar in eine radikale Richtung und bezieht ausdrücklich die neo-nationalsozialistische und die Skinhead-Szene in ihre Strategie ein, insbesondere über "die Straße" zu größerem Einfluß zu gelangen. In diese Richtung geht ausdrücklich das strategische Konzept, das Voigt am 11./12. Oktober auf einem "Kleinen Parteitag" in Thüringen vorstellte. Danach habe die NPD drei große Schlachten zu schlagen: die Schlacht um die Köpfe, die Schlacht um die Straße und die Schlacht um die Wähler. Es gelte, ohne Berührungsängste intellektuelle Netzwerke aufzubauen, weit über die Parteigrenzen hinweg. Auch Umweltaktivisten, linke' Idealisten und Marxisten/Leninisten seien wertvolle Mitkämpfer, wenn sie den Sozialismus als Volksgemeinschaft begriffen. Auch bei der Massenmobilisierung dürfe es keine Tabus geben. Mobilisierbar seien nicht "vernünftige Bürger", sondern in erster Linie junge Menschen, - 30 - die um ihre berufliche Zukunft und ihr nationales Selbstwertgefühl betrogen würden, wie zum Beispiel. Skinheads. Voigt schreckt auch nicht vor Drohungen zurück. So heißt es in der "Deutschen Stimme" (Nr. 4/97) zum Prozeß anläßiich des Brandanschlags auf ein Wohnheim für Asylsuchende in Lübeck am 18. Januar 1996: "Hauptsache ist, man kann die Nationalen verdächtigen und in die Pfanne hauen, und dabei machen selbstverständlich die etablierten Politiker mit, allen voran die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein. - Etablierte aufgepaßt: Die deutschen Nationalen vergessen Euch nicht!". Die NPD will "revolutionäre Partei des nationalen Widerstandes" sein und beruft sich ausdrücklich auf das Widerstandsrecht des Artikel 20 Grundgesetz ("Deutsche Stimme" Nr. 5/97): "... weil Artikel 20 GG uns gebletet, gegen jene, die es unternehmen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, Widerstand zu leisten. Dabei verstehen wir Nationaldemokraten unter Widerstand stets immer nur gewaltfreien, geistigen Widerstand, was freilich nicht ausschließt - ganz im Gegenteil -, daß wir die Wut des Volkes auf die Straße tragen..." Auch in Schleswig-Holstein hat die NPD Ihre Bemühungen zur Förderung der Zusammenarbeit des rechten Lagers weiter fortgesetzt. Auf ihr Betreiben hin fanden zwei weitere Veranstaltungen des "Bündnis Rechts für Deutschland" statt, mit dem vor allem die Öffnung für Neo-Nationalsozialisten und nationalistisch orientierte junge-Menschen umgesetzt wird: am 2. März mit rund 100 Teilnehmern in Nortorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) und am 20. September mit rund 60 Teilnehmern in Ottendorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde). Organisation und Leitung' beider Versammlungen erfolgten durch NPD-Funktionäre. Der ehemalige Funktionär der "Deutschen Liga für Volk und Helmat" {DLVH) Ingo Stawitz, Uetersen (Kreis Pinneberg), führte mit seinem Übertritt zur NPD der Partel einige neue Mitglieder zu. Auch die Tolerierung der Mitarbeit, von Neonazis bei den "Jungen Nationaldemokraten" in Schleswig-Holstein brachte der - 31 - Partei weiteren Zulauf. Insgesamt blieb die Mitgliederzahl durch weitere Abgänge aber konstant (rund 120). An der Kommunalwahi 1998 will die NPD landesweit unter ihrem Namen und in Lübeck zusammen mit neo-nationalsozialistischen Aktivisten (siehe dazu unter Nr. II 3.1.1) unter der Bezeichnung "Bündnis Rechts für Lübeck" teilnehmen. 3.2.2 "Deutsche Volksunion" (DVU) Außer der im April in Klein Gladebrügge (Kreis Segeberg) in Anwesenheit des Vorsitzenden der DVU, Dr. Gerhard Frey, München, gemeinsam mit dem DVU-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern durchgeführten Landesversammlung gingen keine wesentlichen Aktivitäten vom DVU-Landesverband Schleswig-Holstein aus. Der in München ansässige bisherige Vorsitzende des DVU-Landesverbandes Schleswiy-Holstein, Heinrich Gerlach, wurde in seinem Amt bestätigt. Die in der DVU-Presse - "Deutsche Natlional-Zeitung" {(DNZ) und "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ) - angekündigten sogenannten DVU-Stammtische finden mit geringer Beteiligung regelmäBig für den DVU-Kreisverband Lübeck/Stormarn statt, in den anderen Kreisverbänden gelegentlich. Nachdem es der DVU bei der Landtagswahl 1996 in Schleswig-Holstein (4,3 %) nicht gelungen war, wieder in den Landtag einzuziehen, setzte sie im Bereich der norddeutschen Landesverbände mit großem finanziellen Aufwand - aber vergeblich - auf die Hamburger Bürgerschaftswahl. DVU-Spitzenkandidat war Gerlach. Für den Fall des Mißerfolges hatte die Dvü vorgebaut und "das herrschende Machtkartell, das sich auf eine vor keiner Fälschung und keiner Lüge zurückschreckenden Propaganda von Fernsehen, Rundfunk und Presse und deren vielfältigen Hilfstruppen in tonangebenden Organisationen stützt", bereits im voraus als Schuldigen ausgemacht (DWZ Nr. 36). Wie in den Vorjahren wurde die rechtsextremistische Grundhaltung der von Dr. Frey zentralistisch geführten DVU in erster Linie in den politischen Sprachrohren DNZ und DWZ deutlich. Dazu gehörten Themen wie "Antisemitismus", "Ausländerfeindlich- - 32 - keit", der historische "Revislionismus", der sich in der Relativierung des Holocaust und der deutschen Kriegsschuld äußert, und die Diffamierung demokratischer Institutionen. 3.2.3 "Die Republikaner" (REP) während der Bundesvorsitzende Dr. Rolf Schlierer (Baden-Württemberg) beim Aschermittwochstreffen am 12. Februar in Geisenhausen (Bayern) mit i 200 Teilnehmern die REP noch im Aufwind sah, hatte die Partei 1997 zwei Wahlniederlagen hinzunehnmen. Bei der Kommunalwahl in Hessen am 2. März verloren die "Republikaner" 1,7 Prozentpunkte und erreichten landesweit nur noch 6,6 % der Stimmen. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg am 21. September ging der Stimmenanteil gegenüber der Wahl 1993 sogar von 4,98 % auf 1,9 % zurück. Dennoch hat sich die Partei stabilisiert. Neben einer bundesweit wieder steigenden Mitgliederzahl wird dies auch durch die gefestigte Position des Bundesvorsitzemden deutlich, dessen innerparteiliche Gegner an Einfluß verloren haben. In Schleswig-Holstein konnten allerdings die erheblichen Mitgliederverluste der Vorjahre bisher nicht wleder wettgemacht werden, der Landesverband stagniert auf niedrigem Niveau. Nach wie vor wird in der Partei über die Zusammenarbeit mit änderen rechtsextremistischen Gruppierungen gestritten. während Schlierer an den Abgrenzungsbeschlüssen festhält, beklagte der zwischenzeitlich zurückgetretene Vorsitzende des Bundesschiedsgerichtes die "völlig verfehlte Extremismusabgrenzung". Bezüglich einer internationalen Zusammenarbeit sprach sich Schlierer jedoch für engere Kontakte zum "Front National" in Frankreich und dem belgischen rechtsextremistischen "Ylaams Blok" aus. Auf dem Bundesparteitag am 18. Oktober in Dietmannsried (Bayern) begrüßte er vor 400 Delegierten Vertreter beider Organisationen. Auch in der REP-Informationsschrift des Landesverbandes Schleswig-Holstein "aktuell" (3. Quartal 1997) wird Forderungen nach einer "vereinten Rechten" im Vorfeld der Bundestagswahl 1998 eine Absage erteilt: es sei wieder die Zeit der Großstrategen - 33 - und Berufsparteigründer angebrochen. Diesen Gründerzeit-Versuchen sei dabei gemeinsam, daß sie weder eine konstruktive Parlamentsarbeit beabsichtigen, noch sich zu diesem Staat bekennen wollen. Das gelte auch für alle "Bündnis-für-Deutschland"-Bestrebungen; dieses Modell einer "Gruppen-DelegiertenPartei" sei nicht nur rechtlich fragwürdig, sondern völlig inakzeptabel. Dennoch beteiligte sich entgegen den Bundesbeschlüssen der zwischenzeitlich zurückgetretene Kreisvorsitzende der REP in Lübeck wiederholt an Bündnisveranstaltungen anderer rechtsextremistischer, auch neonazistischer Grupplerungen. Dabei verfolgte er das Ziel, für die Kommunalwahl 1998 eine gemeinsame Liste aller "rechten Organisationen" aufzustellen. Die "Republikaner" hatten ursprünglich für die Kommunalwahl im März 1998 schon alle 27 Wahlkreise in Lübeck mit Kandidaten besetzt. Offenbar auf Druck des Bundesvorstands wurde von einer Wahlbeteiligung aber wieder abgesehen. Zur Bundestagswahl 1998 will der Landesverband dagegen in allen Wahlkreisen des Landes flächendeckend mit Direktkandidaten antreten. 3.3 Andere zrechtsextremistische Organisationen in Schleswig-Holstein 3.3.1 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Die DLVH bezeichnet sich als eine überparteiliche und unabhängige Gemeinschaft demokratischer Patrioten, deren Arbeit von dem ziel bestimmt werde, Deutschland als Land der Deutschen zu erhalten, seine Identität zu schützen und seine nationalen . Interessen nach innen und außen zu vertreten. Weiterhin bekennt sie sich zu einer Wirtschaftsund Sozialordnung der nationalen Präferenz: Arbeitsplätze, Wohnraum und soziale Versorgung müßten vorrangig den Einheimischen zur Verfügung gestellt werden. Eine Aufweichung des auf Abstammung begründeten Staatsbürgerschaftsrechtes wird abgelehnt. Nach der Umwandlung der DLVH von einer Partei in einen Verein im Oktober 1996 hat sie weiter an Bedeutung verloren. Während die Mitgliederzahl mit 700 Personen - 34 - auf Bundesebene stagniert, ist sie in Schleswig-Holstein auf 50 zurückgegangen. Am 12. Oktober führte die DLVH in Höchstadt (Baden-Württemberg) ihre erste Bundesmitgliederversammlung durch. Das Einführungsreferat vor nur 70 Tellnehgern, davon 38 Delegierte, hielt Ingo Stawitz, Uetersen (Kreis Pinneberg), Mitglied der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" und der DLVH. Unter dem Motto "Einigungsbestrebungen vor Ort" forderte er als Konsequenz des Ergebnisses der Hamburger Bürgerschaftswahlen den Zusammenschluß des nationalen Lagers für die Bundestagswahl 1998. Als Wahlkampfthemen empfahl er die "Währungsreform" (Einführung des Euro), Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Bei den Vorstandswahlen wurde Stawitz als einer der drei gleichberechtigten Bundessprecher wiedergewählt. Ein weiteres DLVH-Mitglied aus Schleswig-Hcolstein wurde in den 17-köpfigen Hauptausschuß gewählt. 3.3.2 "Der Stahlhelm e. V." 1997 intensivierte "Der Stahlhelm e. V." seine Aktivitäten. Er ist eine Kleinorganisation mit "bundesweit rund 120 Mitgliedern. Ihr Ziel ist die "Wiederhersteilung desDeutschen Reiches", ihr Beitrag dazu die Pflege eines soldatisch 'geprägten, opferbereiten Männlichkeitsbildes in regelmäßigen wehrsportlichen Geländeübungen. Für die Jugendarbeit im "Jungstahlhelm" gilt als Leitlinie: "wir sind Deutsche! ... Wir ... verleben nicht den Urlaub in Marlorca ..., sondern wir zeigen (unseren Kindern), wie schön unser Deutschland list und belehxen sie, daß. dieses Deutschland nicht an der Oder und Neiße aufhört." (Fehler im Original) ("Der Stahlhelm", Nummer 5/6, 1997) Die Publikationen des "Stahlhelm e. V." lassen erkennen, daß die agitatorische Linie der Vorgängerschrift "Der Frontsoldat" fortgeführt wird: Die deutsche Kriegsschuld wird geleugnet, das Dritte Reich wird verherrlicht. und die demokratische Ordnung abgelehnt: - 35 - ". nur der Zusammenschluß und das gemeinsame Streben aller patriotischen Gruppen (kann) die Wende bringen..." ("Der Stahlhelm", Nummer 7/8, 1997) 3.3.3 "Gemeinschaft Ostund Sudetendeutscher Grundeigentümer und Geschädigter"" (GOG) Der Vorsitzende der GOG und Herausgeber des periodisch erscheinenden "Anzeiger der Notverwaltung des Deutschen Ostens" und der sogenannten Zirkelbriefe wurde im Frühjahr 1997 wegen Volksverhetzung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe von 7 200 DM verurteilt. Gegenstand der Verhandlung war die Veröffentlichung der Buchrezension eines nicht namentlich benannten Autors, die das in Deutschland verbotene Buch "Verdammter Antisemitismus" von Harold C. Robinson vorstellte, in dem unter anderem die Judenverfolgung und -vernichtung verharmlost werden. 3.4 Rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste 3.4.1 "ARND'T-Buchdienst/Europa-Buchhandlung" Der in Martensrade (Kreis Plön) ansässige Buchvertrieb des Dietmar Munier bot auch 1997 die revisionistische Schrift "Dokumente polnischer Grausamkeiten"" an, eine Faksimile-Schrift des Auswärtigen Amtes von 1940, die dem NS-Regime zur Rechtfertigung des deutschen Überfalls auf Polen diente. Neben weiteren verlagseigenen rechtsextremistischen Erzeugnissen vertreibt der Buchdienst unter anderem die ausländerfeindliche, NS-verherrlii-chende und revisionistische Publikation "Der Tanz auf dem Vulkan" des rechtsextremistischen "Kulturkritikers" Gustav Sichelschmidt. Darin heißt es: " - 36 "Trotz aller penetrant ausgeübten Anpassungsrituale überschattet uns bis In alle Ewigkeit das Gespenst des sogenannten Holocaust. Die wirklich Mächtigen dieser Welt, die nicht nur das Geld in ihren Händen, sondern auch die Medien an ihren Fäden haben, unterlassen nichts, um das Image der Deutschen mit den unfairen Mitteln der Lilge zu schwärzen. Da deutsche Historiker zu feige sind, die Wahrheit auf den Tisch zu befördern, überlassen sie es generös ausländischen Kollegen, die ihr Gewissen zum Reden zwingt, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Jeder Versuch eines Revisionismus unserer böswillig entstellten Geschichte ist bereits ein einklagbarer Verstoß gegen die bestehenden Denkverbote, die das Gerede von unserer freiheitlichen Demokratie schnöde ad absurdum führen." Munier engagiert sich darüber hinaus welterhin bei der Ansiedlung von Rußlanddeutschen im nordöstlichen Ostpreußen über seine "Aktion "Deutsches Königsberg'" und den "Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Ostpreußen e. V.". Die russischen Behörden haben inzwischen gegen ihn ein Einreiseverbot verhängt. 3.4.2 "Verlag für ganzheitliche Forschung" Der von Roland Bohlinger geführte Verlag mit Sitz in Viöl (Kreis Nordfriesland) vertreibt unter anderem Faksimile-Drucke völkischer und antisemitischer Literatur, die in Deutschland zwischen 1918 und 1945 erschien, und revisionistische Veröffentlichungen. Bohlinger verkündete in einem im Frühjahr verfaßten Schreiben: " "Die Tätigkeit meiner Verlage dient kompromißlos ... der Erhaltung und Befreiung unseres Volkes, also... politischen Zwecken." Diese Intention setzte er 1997 mit der Gründung des "Hutten-Verlages" fort. In diesem Verlag erschien die rechtsextremistische Publikation "Unterdrückung und Verfolgung deutscher Patrioten - Gesinnungsdiktatur in Deutschland?", an der er maßgeblich mitgewirkt hat. Insgesamt hat sein Verlagsprogramm nur marginale Bedeutung. - 37 - 3.4.3 "Buchdienst Nord/Asgard-Verlag/Buchdienst Tim Schatowitz" Der "Buchdienst Nord", Burg (Kreis Dithmarschen), bietet keine Bücher aus eigener Produktion an, sondern verbreitet unter anderem Bücher und Videofilme "zur Zeitgeschichte", das heißt unkritische bis verklärende Darstellungen des "Dritten Reiches" und seiner Führungsschicht. Der Vertrieb verfolgt das Ziel, die NS-Diktatur zu beschönigen. Seit Herbst 1997 erscheinen keine Angebotslisten des Vertriebs mehr, jedoch firmiert seit diesem Zeitpunkt unter derselben Anschrift der "Asgard-Verlag" mit entsprechenden Angeboten. Aus rechtlichen Gründen durfte der Inhaber diese Bezeichnung nicht weiter führen und firmiert nunmehr unter "Buchdienst Tim Schatowitz". 3.4.& "Versandbuchhandlung Gisela Stiller" Diese Versandbuchhandlung in Stafstedt (Kreis Rendsburg-Eckernförde) bietet. insbesondere Publikationen des "Verlag Hohe Warte" an, die das rassistische und antisemitisch geprägte Gedankengut der "Ludendorffer" verbreiten. Geworben wurde hierfür auch 1997 in der Publikation "Mensch und Maß", die dem "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V." als Mitteilungsblatt dient. 3.5 Rechtsorientierte gewaltgeneigte Subkultur Im Jahre 1993 legte eine Forschungsgruppe der Universität Trier unter Leitung von Helmut Willems und Roland Eckert eine Studie zu fremdenfeindlicher Gewalt vor, die wesentlich auf der Auswertung von Polizeiund Berichtsakten beruhte. Die damals erkennbaren Täterstrukturen dürften auch heute noch .annähernd gültig sein: - Schätzungsweise 10 bis 15 % der Straftaten waren politisch motivierten, rechtsextremistisch eingebundenen Tätern zuzuschreiben. - Schätzungsweise 25 bis 30 % der Straftaten waren ausländerfeindlich eingestellten Tätern aus den Subkulturen der - 38 - Skinheads, Hooligans, der Faschos oder aus verschiedenen Freizeit-Cliquen anzulasten; feste rechtsextremistische politische Vorstellungen oder Ideologien waren nicht zu erkennen, es dominierten diffuse Gefühle der Benachteiligung "der Deutschen" gegenüber Ausländern. - Schätzungsweise 25 bis 30 % der Straftaten wurden von kriminellen Jugendlichen mit privaten sowie beruflichen Negativkarrieren begangen, bei denen ausländerfeindliche Einstellungen der Verarbeitung eigener MiBerfolgserfahrungen dienten. - Schätzungsweise 25 bis 30 % der Straftaten erfolgten aus dem Kreis von Mitläufern, bei denen gruppendynamische Aspekte im Vordergrund standen (Konformitätsdruck, Solldaritätszwang, Imponiergehabe). Dieser Überblick zeigt, wie differenziert die rechtsorientierte Gewalt-Szene zu sehen ist und wie schnell der Verfassungsschutz an die Grenze dessen kommt, was vom Gesetz als "politische Bestrebung" bezeichnet wird. Immer wieder wird in der Praxis deutlich, daß die politische Ideologisierung von Einzelpersonen ausgeht und von ihnen abhängt. Der größere Teil der rechtsorien'tierten gewaltbereiten Szene zelebriert einen diffusen Haß auf das System wie einen Kult; faszinieren tut das, was die Gesellschaft am stärksten ablehnt: Gewalt, Nationalsozialismus, Antisemitismus. Aus Kult, Protest, Provokation, Gefühlen der Benachteiligung und persönlichen Problemen entsteht eine innere Aufgeschlossenhelt für rechtsextreme Politikinhalte und - wenn ein Xristallisationskern vorhanden ist - der Übergang in das neo-nationalsczialistische Lager. Die Entwicklung der "Fissauer Kameradschaft" von einer unpolitischen Jugend-Clique zum Landesverband des "Freiheitlichen Volks Biocks" {siehe dazu unter Nr. II 3.1.3) ist ein aktuelles Beispiel für diese mögliche Entwicklungslinie. Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und das Neonazilager haben diese Zusammenhänge erkannt und versuchen gezielt, den rechtsorientierten Auflehnungskult zu fördern und ihn an sich zu binden. - 39 - Nicht nur in Schleswig-Holstein konnten 1997 vermehrt Beteilligungen von Personen rechtsorientierter Gewaltgruppen an rechtsextremistischen Veranstaltungen beobachtet werden, Die Zahl dieser "Gewaltbereiten", unter denen Skinheads die auffälligste Gruppe sind, hat sich gegenüber 1996 von 250 auf mindestens 330 erhöht. Knapp 90 % sind männlich. Der Anteil der Altersgruppe zwischen 16 und 18 Jahren liegt bei 5 %, zwischen 18 und 24 Jahren bei 58 % und zwischen 24 und 28 Jahren bei 37 %. Regionale Schwerpunkte waren 1997 das südliche Schleswig-Holstein (Hamburger Randgebiet), Kiel, der Raum Ostholstein und Lübeck. Feste Strukturen konnten kaum erkannt werden. Die Intensität der Aktivitäten hängt meist von Einzelpersonen ab, die aufwieglerisch tätig werden. Die zunehmende Bedeutung dieser Szene auch für der organisierten Rechtsextremismus wurde 1997 insbesondere bei der von der NPD veranstalteten Demonstration gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" am 1. März in München deutlich, an der viele Skinheads - auch aus Schleswig-Holstein - beteiligt waren. 3.5.1 Skinhead-Musik als Ideologie-Ersatz Die für Skinheads so wichtige Rock-Musik, in der Szene Oi-Musik genannt, war auch 1997 bestimmender Integrationsund Agressionsfaktor über die engere Skinhead-Szene hinaus. Rassistische, antisemitische und gewaltverherrlichende Musiktexte wurden zu Botschaft, Rebellion und Agitation zugleich. Kein Medium hat größeren Einfluß auf die gesamte Szene. Wenn die schleswigholsteinische Skinhead-Band "Kraftschlag" singt: "Es gibt nur ein Land, in dem wollen wir leben, und das Land heißt Deutschland, und wir sind ihm ergeben. Doch es gibt Feinde, die über dich lachen, wir werden die Feinde dem Boden gleich machen. wir treffen uns oft an dunklen Plätzen, und wo wir uns treffen, da fliegen die Fetzen. wir kämpfen für unser deutsches Vaterland und stecken die Asylantenstädte in Brand.", dann kommt es zur Interaktion zwischen Band und Publikum, und es ertönen Hetzparolien wie "Ausländer raus" und "Deutschland - 40 - den Deutschen", oder die jugendlichen Zuhörer skandieren "Heil Hitler". Man ist auf diesen Konzerten unter sich und hat gleiche Feindbilder im Kopf: Ausländer,. Juden, Linke und Andersartige. Bekannte Schlagermelodien haben die "Zillertaler Türkenjäger" auf ihrem Debütalbum "12 Doitsche Stimmungshits" mit rechtsextremistischen und volksverhetzenden Texten gemischt und so in der rechten Musik-Szene einen ungeahnten Erfolg erzielt. Das Lied "So ist er" ist eindeutig antisemitisch. Die Musikproduktion wurde daher durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften im Sommer 1997 indiziert, ebenso die Mitte des Jahres 1996 erschienene Musik-CD "Nur für Euch" der schleswig-holstein"ischen Skinhead-Band AdF ("Auf den Führer"). AdF hatten unter anderem aus der bekannten Schlagermelodie "Wenn ich König von Deutschland wär" die Titeilzeile "Wenn ich Führer von Deutschland wär" gereimt und in den Texten ihrer Musik-CD gegen Ausländer und Juden gehetzt. In der rechtsextremistischen Publikation "NATION & EUROPA (Heft 9/September 1997), die zwei der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" nahestehende Publizisten herausgeben, wird unter der Überschrift "Werbung durch Claudia Nolte: Skinhead-CDs finden reißenden Absatz" verharmlosend und entschuldigend Stellung zu der Musik-CD der "Zillertaler Türken}äger" genommen. Unter anderem heißt es hier: "Stellenweise erweckt die Band den Eindruck, als wolle sie sich selber und dazu die ganze Skinhead-Szene parodieren. Das Ziel, Aufsehen zu erregen, wurde dann auch prompt erreicht. Fernsehen, Radio und Presse formulierten unisono ihre volkspädagogische Empörung, die durchaus verständlich wäre, wenn man an schwarzrassistische Rapper und linksradikale Punks ähnliche Maßstäbe anlegen würde. Doch deren bluttriePSfendes Liedgut findet man auf keiner Indizierungsliste und in keinen staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten." - 41 - Die Neonazi-Szene weiß um den Nährboden, den die rechtsextremistischen Skinhead-Bands mit dieser Musik bereiten. So veröffentlichten Neonazis zum diesjährigen Todestag von Rudolf Heß die Musik-CD "Gegen das Vergessen" mit einschlägiger Skinhead-Musik. Auch andere Rechtsextremisten bekennen sich zur SkinheadMusik und befürworten sie als politisches Medium; sie wird als ein guter Weg bezeichnet, nationale Botschaften den Jugendl1chen zu vermitteln. In der Publikation "NATION & EUROPA (Heft 9/September 1997) werden gar die Texte der rechtsextremistischen Band "Brutale Haie" als "zeitnah, von eigenwilliger Poesie, mitunter auch etwas heftig" bezeichnet. 3.5.2 Skinhead-Konzerte 1997 fanden wieder mehr rechtsextremistische Skinhead-Konzerte statt als in den Vorjahren. Durchschnittlich 200 bis 600 Besucher nahmen daran teil. Es kam häufig zu Straftaten, oft in Form von Propagandadelikten wie Zeigen des Hitlergrußes, SiegHeil-Rufe, mit Hakenkreuzfahnen geschmückte Bühnen, Verkauf strafrechtlich relevanter Skinhead-Artikel und indizierter Musikträger. Der regionale Schwerpunkt lag in Niedersachsen und Sachsen. Daß Personen und Organisationen auch außerhalb der Skinhead-Szene an der Planung und Durchführung von Skinhead-Konzerten beteiligt sind, bestätigt den seit einiger Zeit zu beobachtenden Trend zur Vereinnahmung der Szene durch rechtsextreme Organisationen und Strukturen. Schleswig-holsteinische Skinhead-Musiker und -Gruppen beteiligten sich an den bundesweiten Konzerten. Die Skinhead-Band AdF ("Auf den Führer") trat zum Beispiel im Januar in Klein Bünzow (Mecklenburg-Vorpommern) vor rund 500 Zuhörern auf. Auch hier wurden Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet. Die Musikformationen des überregional bekannten SkinheadMusikers Kai Stüwe aus Reinfeld (Kreis Stormarn), "Holsteiner Jungs" und "Freikorps", waren allein im ersten Halbjahr 1997 viermal auf Konzertveranstaltungen vertreten. Ein Konzert wurde durch die Polizei aufgelöst, dabei wurden Schlagwerkzeuge, Flugblätter und rechtsextremistische CDs sichergestellt. - 42 - Für die Veranstaltungen wird meist durch Mundpropaganda geworben, die Vorbereitung erfolgt oft konspirativ. Dies beginnt bei der Anmietung der Veranstaltungsstätten. Gegentiber Gastwirten und Ordnungsbehörden wird die Veranstaltung beispielsweise als Privatfeier deklariert. Häufig werden mehrere Veranstaltungsorte gleichzeitig vorbereitet, um bei einem Verbot kurzfristig ausweichen zu können. An den Vor-Treffpunkten wie Autobahnraststätten oder Parkplätzen großer Einkaufszentren werden potentielle Teilnehmer über Mobiltelefone zum endgültigen Veranstaltungsort geleitet. Am 11. Oktober organisierten Skinheads aus dem Raum Niebüll ein Konzert in einer privaten Scheune Im Kreis Nordfriesland nach diesem Muster. Der Anmieter hatte dem Scheunenbesitzer gegenüber die Veranstaltung als persönliche Umzugsund Abschiedsparty bezeichnet; 150 Besucher, dem äußeren Erscheinungsbild nach überwiegend Skinheads, nahmen an dem Konzert teil. Neben den musikalischen Darbietungen werden die Konzerte von den Teilnehmern zunehmend als Kontaktund Handelsbörse genutzt, insbesondere werden rechtsextremistische CDs, Fanund Musikmagazine sowie andere szene-typische Artikel zum Verkauf angeboten. Zum Treffort für Skinheads und Neonazis aus Schleswig-Holstein und anderen norddeutschen Ländern hat sich im Laufe des Berichtsjahres in Neumünster das Szene-Lokal "Club 88" entwickelt. Die Zahlenkombination "88" (8. Buchstabe des Alphabets) ist im rechtsextremistischen. Sprachgebrauch als Abkürzung für "Heil Hitler" gebräuchiich. 3.5.3 Gewinnaussichten fördern den Handel mit rechtsextremistischer Musik Die Zahl der mit Aufnahme, Produktion, Herstellung, Versand und Vertrieb befaßten Aktivisten ist seit Jahren steigend. Viele von ihnen handeln gleichermaßen aus politischen wie aus finanziellen Gründen. Die Auflagen der Skin-CDs liegen zwischen mehreren hundert und 10 000 Stück. Hergestellt werden sie zu einem sehr geringen Preis im benachbarten Ausland, oft in Tschechien oder Polen; der Verkaufspreis einer CD in Deutschland beträgt - 43 - demgegenüber zwischen 25 DM und 100 DM. Wegen der Strafverfolgung in Deutschland haben ausländische Firmen die Produktion und den Vertrieb übernommen, oder deutsche Neonazis produzieren jenseits der Grenzen, wie etwa Marcel Schilf in Schweden und Dänemark. Mit seinem Vertrieb "NS 88/NS Records" versorgt Schilf von seinem Wohnsitz in Dänemark aus große Teile der rechtsextremistischen Szene mit seinen Produkten und nimmt dabei eine führende Stellung in Deutschland ein. Die Verkaufslisten des Vertriebs "NS 88/NS Records" bieten fast ausschließlich Musikproduktionen mit rechtsextremistischen Inhalten an, einige davon sind seit Jahren von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. In den Angebotslisten begrüßt Schilf seine Leser mit "Heil Hitler", verabschiedet sich mit "Sieg Heil".und druckt dabei massenhaft Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ab. Die von "NS Records" 1996 produzierte CD "NSDAP" der Skinhead-Band "Macht und Ehre", deren Cover mit Hakenkreuz und SS5S-Runen versehen ist, wurde in großer Zahl bei einer polizeilichen Durchsuchungsaktion des Szene-Ladens "NO MERCY RECORDS" in Kiel aufgefunden. Dadurch wurde bekannt, daß der Inhaber geschäftliche Beziehungen zu Schilf unterhält. Der Musiktonträger "Nur für Euch" der schleswig-holsteinischen Band AdF {"Auf den Führer") wurde durch den Kieler Geschäftsmann produziert und über eine Briefkastenfirma mit Postfach in Dänemark von ihm vertrieben. Schilf stellte dafür seine guten Verbindungen zur Verfügung und bot die AdF-CD dann auch in seinen Katalogen an. Einige Liedertexte der CD sind rechtsextremistisch; das Original-Cover ist mit einem Hakenkrreuz bedruckt. 1997 bundesweit zeitgleich durchgeführte Exekutivmaßnahmen und weitere regionale und überregionale polizeiliche Durchsuchungsund Beschlagnahmeaktionen bei zahlreichen Anbietern und Vertreibern von rechtsextremistischen Tonträgern, Devotionalien und anderen skinhead-typischen Utensilien in mehreren Bundesländern führten zur Beschlagnahme von mehr als 265 000 Tonträgern. Bei über 31 000 konnten rechtsextremistische und volksverhetzende Inhalte festgestellt werden. In Schleswig-Holstein waren unter anderem der genannte Kieler Szene-Laden und ein Großhändler aus - -44 - Pinneberg betroffen. Mindestens seit Herbst 1997 bietet auch der Tonträgerversand "Yincente Directori Publications" in Glinde (Kreis Stormarn) wieder Tonträger mit volksverhetzenden, den Nationalsozialismus verherrlichenden und' zum Rassenhaß aufstachelnden Texten und Aufrufen zur Gewalt gegen Politiker und politische Gegner an. _ 45 .- Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen In Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1993 bis 1997 '_1993 1994 1995 1996 1997 NPD/IN 190 170 150 120 140 DVU 1 800 1.000 990 850 800 DLVR 80 80 100 70 50 REP 500 250 140 140 140 Sonstige Rechtsextremisten 85 85 60 80 90 Gewaltbereite, insb. Skinheads 280 230 340 250 330 Gesamt Land 2 935 1 875 1 690 1 510 1 550 sersmemseememomsroeeonsemerosnemermeeneeeomeeseneeuemereemueeen Gesamt Bund 65 400 56 600 46 100 45 300 48 400 - 46 -- III. Linksextremismus i Wesen und Erscheinungsformen des Linksextremismus Linksextremisten lassen sich in zwei großeGruppen einteilen: Anarchisten iehnen den Staat mit seiner Lenkungsund Ausgleichsfunktion als "repressiv" strikt ab. Insbesondere militante Autonome bekämpfen ihn mit zum Teil erheblichen Gewaltaktionen. Demgegenüber sind kommunistische Gruppierungen der Auffassung, daB das - mit Linksextremisten der anarchistischen Linie gemeinsame --Ziel einer klassenlosen Gesellschaft nur über den Umweg autoritär-staatlicher Strukturen erreicht werden kann. während dieser Übergangsphase, der sogenannten Diktatur des Proletariats, soll - so jedenfalls die Vorstellung der militanten kommunistischen Gruppierungen - der Widerstand von Gegnern der Revolution gebrochen werden, notfalls nach dem Vorbild der russischen Oktoberrevolution von 1917 mit Terror und Verfolgung. Die in früheren Jahren vorgenommene Differenzierung zwischen Anhängern eines Kommunismus sowjetischer Prägung und solchen, die sich an andere "Lehren", insbesondere an die Mao Tse-tungs anlehnen, ist mit dem Ende des "real existierenden Sozlallsmus" im Jahr 1989 und der hierdurch bewirkten Sinnkrise dogmatischer linksextremistischer Organisationen insgesamt heute weitgehend bedeutungslos geworden. Eher läßt sich heute eine Unterscheidung treffen anhand der strategischen Ausrichtung: einer militant-revolutionären Linie steht eine gemäßigte, auf Mobilisierung der "Massen" setzende kommunistische Linke gegenüber - allerdings mit zahlreichen gegenseitigen Verflechtungen. Das Auftreten von Linksextremisten In der Öffentlichkeit ist zu einem erheblichen Teil durch den Kampf gegen Rechtsextremisten geprägt. Wer ihnen wegen ihrer "antifaschistischen" Haltung Sympathien entgegenbringt, sollte jedoch bedenken, daß "Antifaschismus"" nach linksextremistischen Verständnis sich nicht auf einen bloßen "Anti-Nazi-Kampf" beschränkt, sondern den demokratischen Verfassungsstaat als angeblich maßgebende Ursache "faschistischer Entwicklungen" in sein Feindbild mit einbezieht (siehe dazu unter Nr. III 5.3.1). Außerdem weisen Linksextremi- - AT - sten trotz ihres abweichenden Weltbildes eine Reihe von Gemeinsamkeiten mit der von ihnen so bekämpften extremen Rechten auf, weswegen keine Veranlassung besteht, sie durch Anerkennung unelgennütziger Motive oder gar durch Zusammenarbeit bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus oder in anderen gesellschaftspolitisch bedeutsamen Bereichen aufzuwerten. Beiden Varianten des politischen Extremismus gemeinsam ist der Absolutheitsanspruch, mit dem dogmatische Lehren verfochten werden, der Fanatismus des politischen Einsatzes, die Neigung zur Entwicklung von Verschwörungstheorien und die Entwicklung von Feindbildern, die nur noch eine Unterscheidüng in Gut und Böse bzw. Freund und Feind zulassen, jeglichen Kompromiß, wie er für das demokratische Gemeinwesen typisch ist, dagegen ausschließen (vgl. hierzu im einzelnen Backes/Jesse, Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Neuausgabe 1996, S. 251 fPSf.). Diese Parallelen werden insbesondere von Linksextremisten - allerdings zu Unrecht - immer wieder vehement bestritten. 2 Überblick Von den terroristischen Organisationen "Rote Armee Fraktion" (RAF) und "Antiimperialistische Zelle" gingen im Jahr 1997 keine Gefahren für die Innere Sicherheit aus. Neue politische Perspektiven des Unterstützerspektrums sind nicht erkennbar. Mangels Basisnähe verklärt sich das einstige Phänomen RAF in der Szene zunehmend zum Mythos. Allerdings gibt es nach wie vor klandestine, antlimperialistisch ausgerichtete Zirkel, die eine Wiederbelebung des bewaffneten Kampfes propagieren und dabei auch die Rechtfertigung des politischen Mordes diskutieren. Im Bereich der militant-autonomen Szene war der Kampf gegen Atomkraft, insbesondere gegen den Transport von Atommüll, auch 1997 bundesweit ein herausragendes Thema. Dabei ging es den linksextremen Kräften darum, den "zivilen Ungehorsam" des AntiAtom-Protestes als Hintergrund dafür zu nutzen, staatlichen Entscheidungen die eigenen Machtansprüche entgegenzustellen und militant durchzusetzen. Die 1995 eingetretene Entwicklung hat sich fortgesetzt und noch verstärkt. Der dritte Castor-Transport im Frühjahr 1997 nach Gorleben (Niedersachsen) führte zu 48 - erheblichen Ausschreitungen vor Ort unter Beteiligung auch von Autonomen aus Schleswig-Holstein. In diesem Zusammenhang waren bundesweit zahlreiche Anschläge insbesondere auf Einrichtungen der Deutschen Bahn AG zu verzeichnen. Schleswig-Holstein war dabei nur in geringem Umfang betroffen. Durch das Aktionswochenende am 20./21. September vor dem Atomkraftwerk Krümmel im Kreis Herzogtum Lauenburg war SchleswigHolstein erstmalig nach langer Zeit wieder ziel einer größeren Aktion im Rahmen der AntiAtom-Kampagne. Es wurden zahlreiche militante Aktivitäten, insbesondere Schlenenbeschädigungen durchgeführt. Insgesamt blieben sie aber im Ausmaß ebenso hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück wie die Zahl der Teilnehmer am Aktionswochenende. Neben dem "Castor-Protest" spielte der "Antifaschismus-Kanpf" in der autonomen Szene eine bedeutende Rolle. In diesem traditionellen Betätigungsfeld wurden bundesweit erhebliche Anstrengungen unternommen, Veranstaltungen von tatsächlichen oder mutmaßlichen Rechtsextremisten zu verhindern. Dabei konnten Gewalteskalationen häufig nur durch starke Polizeipräsenz verhindert werden. nn Dogmatische linksextremistische, das heißt insbesondere am Marxismus-Leninismus ausgerichtete Gruppierungen hatten auch 1997 nur vergleichsweise geringe politische Bedeutung. 3 Linksextremistischer Terrorismus 3.1 "Rote Armee Fraktion" {RAF) 3.1.1 Illegale der RAF Nach Veröffentlichung ihrer drei Erklärungen vom November und Dezember 1996, in denen die RAF auf die Auflösungsforderungen einzelner RAF-Inhaftierter und ihr eigenes Fortbestehen eingegangen war sowie zum "Aussteigerprogramm" des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Rolle eines "VS-Spitzels" öffentlich Stellung bezogen hatte, blieben im Jahr 1397 weltere Verlautba- - 49 - rungen aus. Ihre letzten Gewalttaten verübte die RAF am 1. April 1991 mit dem Mord an dem Treuhand-Chef Dr. Detlev Karsten Rohwedder und am 27. März 1993 mit dem Sprengstoffanschlag auf den Neubau der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt (Hessen). Fraglich ist, ob die RAF als terroristisch handelnde Gruppe noch existiert und somit von ihr künftig noch Gefahren ausgehen. Trotz einer möglicherweise noch gegebenen Handlungsbzw. Aktionsfähickeit erscheint ihr Wille zu neuen Aktionen zunehmend unwahrscheinlicher. Hierfür spricht nicht zuletzt ihr Schweigen zu herausragenden szene-relevanten Ereignissen und Diskussionsthemen, wie dem 20. Jahrestag der wegen der Entführung und Ermordung von Dr. Hanns Martin Schleyer sowie den Selbstmorden der RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim im Oktober 1977 als "Deutscher Herbst" bezeichneten Hochphase terroristischer Aktivitäten. " 3.1.2 RAF-Inhaftierte Auf die Frage, ob es die RAF überhaupt noch gebe, antwortete die in der Justizvollzugsanstait Frankfurt/Main einsitzende Birgit Hogefeld dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Oktober: "Natürlich gibt es die noch. Das sind ja konkrete Leute. Ich kann mir aus der Zeit vor 1993 nicht vorstellen, daß die RAF einfach sangund klanglos verschwindet. Das lange Schweigen interpretiere ich als intensiven Nachdenkprozeß über das 'Wie weiter'. ... Die haben eine politische Verantwortung, noch einmal etwas zu sagen. Ich denke, sie tun sich damit schwer, und das kann ich verstehen." Hogefeld ist das bislang zuletzt verhaftete Mitglied der RAF-Illegalen. In dem Interview bekräftigte sie zugleich ihre Forderung vom November 1996 an die RAF, ihre Auflösung zu erklären. Bereits im April veröffentlichte die "Süddeutsche Zeitung" ein Interview mit dem in der Justizvollzugsanstalt Bruchsal (Baden- - 50 - Württemberg) einsitzenden Christian Klar. Im Gegensatz zu Hogefeld vertrat Klar darin die Auffassung, die RAF sei inzwischen Geschichte. Er selbst denke nicht an die "Wiederbelebung einer Strategie des bewaffneten Kampfes", obwohl sich die Bedingungen, unter denen die RAF entstanden sei, nicht geändert hätten. Symptcmatisch für die Situation der Inhaftierten war eine in dem "Angehörigen-Info" vom Januar veröffentlichte Stellungnahme des in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt (Hessen) einsitzenden Rolf-Clemens Wagner zur Situation der Inhaftierten und zum Selbstverständnis der Linken. Die Inhaftierten seien nicht länger bereit, der Linken als Symbol für den Widerstand zu dienen. Im Knast oder dem bloßen Ausharren liege keinerlei Perspektive. Für ihn stehe die Freilassung der Gefangenen auf der Tagesordnung. Das sei sein unmittelbares Ziel, und dieses Interesse bestimme seine' praktischen Schritte. 3.1.3 FreilassungsinitiativenDie Forderung nach Freilassung inhaftierter ehemaliger RAF-Angehöriger blieb auch im Jahr 1997 ein zentrales Aktionsthema für die gesamte revolutionäre Linke. Hervorgehoben wurde der schlechte Gesundheitszustand der Gefangenen als "Ergebnis von Langzeitisolation und nicht durchgeführter medizinischer Behandlung". Dies sei eine Tatsache, die nicht mehr ignoriert werden könne, zahlreiche Gruppierungen des autonomen/antiimperialistischen Spektrums sowie türkische Extremistenorganisationen beteiligten sich mit dezentralen Demonstrationen, Kundgebungen und Informationsveranstaltungen an dem unter anderem von der "Roten Hilfe e, V." (siehe dazu unter Nr. III 4) initlierten zweiten bundesweiten "Aktionstag - Solidarität mit den politischen Gefangenen und gegen staatliche Unterdrückung" am 18. März. Ähnlich wie im Vorjahr fanden die Veranstaltungen trotz verschiedener bundesund landesweiter Vorbereltungsbzw. Koordinierungstreffen nicht die erhoffte Resonanz in der Szene. - 51 - Zum 20. Jahrestag des "Deutschen Herbstes" wurden von der linksextremistischen Szene Diskussionsund Vortragsveranstaltungen durchgeführt, um damit erneut die "Gefangenenfrage" zu thematisieren und Anstöße zur "Geschichtsaufarbeitung" zu geben. In Flugschriften wurde gefordert, dem Staat nicht das "Festklopfen" geschichtlicher Wahrheiten zu überlassen, sondern aus der Gesamtheit der Erfahrungen neue Widerstandsperspektiven und revolutionäre Konzepte zu erarbeiten. Auch hier gingen die entscheidenden Impulse von der "Roten Hilfe e. V." aus. In Diskussionen wurde häufig eine Selbsttötung der Inhaftierten Baader, Ensslin und Raspe bestritten und statt dessen deren Ermordung durch Staatsschutzbehörden behauptet. Wegen ihrer diesbezüglichen Äußerungen in einem "Spiegel"-Interview im April war gegen die ehemalige RAF-Terroristin Irmgard Möller im Oktober ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Verunglimpfung des Staates und Billigung von Straftaten eingeleitet, später jedoch wieder eingestellt worden. Irmgard Möller hatte die Selbstmord-Aktion als einzige Stammheim-Inhaftierte schwerverletzt überlebt. Sie wurde am l. Dezember 1994 nach 22 Jahren Haft aus der Justizvollzugsanstalt Lübeck entlassen. 3.2 "Antiimperlalistische Zelle" (AIZ) Seit dem 14. November haben sich zwei mutmaßliche Mitglieder der AIZ vor clem Oberlandesgericht in Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchten Mordes und anderer Straftaten zu verantworten. Nach einer Serie von Sprengstoffarschlägen seit 1992 waren beide am 25. Februar 1996 in Witzhave (Kreis Stormarn) festgenommen worden. Seitdem sind keine weiteren Straftaten oder Verlautbarungen der Terrorgruppe zu verzeichnen gewesen. Der Übertritt der Inhaftierten zum Islam, die Freundschaftsbekundungen des einen aus Schleswig-Holstein stammenden für einen mitinhaftierten Neonazi und Polizistenmörder scwie nicht vermittelbare Inhalte und Formen der AIZ-Politik führten in der linksextremistischen Szene zu heftiger Kritik und zur Entsagung jeglicher Solidarität bis hin zur völligen Isolation. Sowohl die Festnahme als auch der laufende Prozeß wurden von der Szene kaum beachtet. _ 52. - 3.3 "Antiimperialistischer Widerstand" Obwohl eine Renaissance des bewaffneten Kampfes in der Qualität der Terroraktionen der RBAF derzeit kaum vorstellbar ist, bleibt der bewaffnete Widerstand permanentes Thema in der Szene-Diskussion. Im Zuge von Theoriediskussionen über neue revolutionäre linke Politik entwickeln sich in der Szene Zusammenhänge, die Nährboden für künftige terroristische Bestrebungen sein könnten, weil hier gewaltbereite bzw. -bejahende Autonome und szene-rerfahrene Antiimperialisten dominieren, die zum Teil auch mit klandestinen Arbeitsstrukturen vertraut sind. Dieses Spektrum orientiert sich an den frühen ideologischen Leitlinien der RAF und propagiert die Fortsetzung des gewaltsamen revolutionären Widerstandes gegen die bestehende Gesellschaftsordnung und den Aufbau sozialer Gegenmacht von unten. Es wird unter dem Begriff "Antiimperialistischer Widerstand" zusamengefaßt. Abweichend von der RAF-Linie ist für seine Anhänger jedoch die Vermittelbarkeit von Gewalt ein notwendiges Erfordernis. Auch wenn (tödliche) Angriffe auf Menschen nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, wurden bisher nur militante objektbezogene Aktionen nach dem Muster der ehemaligen "Revolutionären Zellen", das heißt ohne besonders geordnete konspirative Strukturen, durchgeführt. Dadurch werden die Abgrenzungskonturen zu militanten autonomen Gruppierungen zunehmend undeutlicher. Die Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM" veröffentlichte in ihrer Ausgabe Nr. 428 vom 24. Juli einen fünfseitigen Beitrag mit dem Titel "MILITANT_ UND BEWAFFNET INS NÄCHSTE JAHRTAUSEND!... ODER VIELLEICHT. DOCH NICHT?". Darin propagleren die unbekannten Verfasser eine Wiederbelebung des militanten/bewaffneten Kampfes aus der Mitte der "unteren Gesellschaft" heraus, jedoch in einer "demokratisierten" Form, mit Resonanz an der Basis. Wörtlich heißt es in dem Beitrag: - 53 - "Inmserer Meinung nach ist es nicht sinnvoll eine Guerilla aufzubauen, sondern viele. Auch glauben wir, dass diese Teil sein müssen, eines noch zu schaffenden Projekts. Isoliert können sie keine Gefahr darstellen und erscheinen auch als zu kurz greifend, wie die Vergangenheit gezeigt hat. Ist eine revolutionäre Pclitik, wie wir sie anstreben, weit fortgeschritten können z. B. 'Volksbefragungen' ... initiiert werden, ob eine Zelle militant oder bewaffnet loslegen soll... Das meinten wir mit Demokratisierung des bewaffneten Kamps." (Unterstreichungen und Fehler im Original) Seit dem Frühjahr macht in Hamburg eine Gruppe auf sich aufmerksam, die sich "Roter Aufbruch" nennt. Sie strahlt von Hamburg aus in adäquate Personenzusammenhänge anderer Bundesländer hinein. Anläßlich des "20. Jahrestages der Stammheimer Morde" und zur "Geschichtsaufarbeitung und Entwicklung revolutionärer Gegengewalt" überlegte die Gruppe, "... aus den Kämpfen, die wir aktuell führen, einen positiven Rückblick auf die grundsätzliche Bestimmung der damaligen Kämpfe zu machen und damit zu verdeutlichen, daß wir in derselben Tradition kämpfen und daß die Ursachen und die Notwendigkeit für Widerstand, heute wie damals, die gleichen sind." Mit dem Gedanken eines Aufbruchs für eine geeinte Linke in Deutschland im Sinne des vor 150 Jahren veröffentlichten "Kommunistischen Manifestes" und im Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht beteiligte sich diese Gruppe an der von deutschen und ausländischen dogmatischen Extremistengrüppen als Auftakt zur Organisierung des Widerstandes gegen das herrschende System in der Bundesrepublik veranstalteten "Luxemburg-Liebknecht-Demonstration" am 11. Januar in Berlin. Die Frage des bewaffneten Kampfes als Mittel zur Erreichung politischer Ziele und das Verhältnis zu terroristischen Gewalttätern beschäftigt auch Teile des dogmatisch-linksextremistischen Spektrums. Symptomatisch hierfür ist ein Beitrag in der revolutionär-marxistisch orientierten Publikation "AK-Analyse und Kritik - Zeitung für linke Debatte und Praxis" (Nr. 406 vom 25. September). Unter dem Titel "Wir glauben immer noch nicht an Selbstmord" wird zum Thema Gewalt in der Konfrontation zwi- - 54 - schen dem Staat und der RAF mft Blick auf den "Deutschen Herbst 1977" festgestellt: _ nn nu "Den Terrorismus als Strategle lehnten wir unter den gegebenen Umständen als politisch unzweckmäßig, in vielen Fällen als schädlich, in manchem Einzelfall . als auch menschlich-moralisch nicht vertretbar ab. Nicht mehr und nicht weniger. Darliber hinaus galt für uns die schon 1971 getroffene, niemals revidierte Aussage, daß es sich um Genossinnen und Genossen 'auf unserer Seite der Barrikade' handle." Berührungsängste gegefhüber Terroristen scheint es nicht zu geben, In einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 21. Oktober wies ein ehemaliges Mitglied des Vorstandes der "Deutschen Kommunistischen Partei" darauf hin, daß nicht wenige (spätere) Terroristen "zumindest das Abc des revolutionären Umsturzes in orthodox-kommunistischen Schulungszirkeln vermittelt bekommen (haben}". Auch heute noch sind kommunistische Ideologien, die_auf den revolutionären Sturz der bürgerlichen Gesellschaft abzielen, geeignet, den Boden für terroristische Gewalttäter zu bereiten. 4 "Rote Hilfe e. V." Die "Rote Hilfe e. Y." präsentierte sich wiederum als eine von Linksextremisten getragene, bundesweit agierende Solldaritätsorganisation, die "politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum der BRD und anderen Ländern politisch und materiell unterstützt". Sie gliedert sich in Ortsund Reglonalgruppen mit einem Netz von Kontaktadressen und verfügt über einen gut funktionierenden computervernetzten Informationsund Kommunikations-Apparat mit engen Kontakten zu allen einschlägigen SzeneStrukturen. Gemessen an linken Szene-Verhältnissen ist die "Rote Hilfe e. V." organisatorisch ungewöhnlich straff strukturiert. _ Auch im Jahre 1997 war die "Rote Hilfe e. V." eine der aktivsten Szene-Grupplerungen mit einem großen Aktivitätsrahmen. Die nachfolgend aufgelisteten Themen belegen exemplarisch die Zielsetzung ihrer politischen Arbeit: - 55 - = Anti-Repressionsarbeit, - Abschaffung der Terrorismus-Gesetze und der Repressionsparagraphen 129 und 129 a Strafgesetzbuch, = Freilassungskampagnen für die noch inhaftierten RAF-Gefangenen, - Solidarität mit inhaftierten kurdischen und baskischen und anderen Terroristen weltweit, - Solidarität mit "Justizopfern der DDR-Annektion". Die Schwerpunkte ihrer Szene-Arbeit lagen in ihrer maßgeblichen Beteiligung an den Aktivitäten zum bundesweiten "Aktionstag - Solidarität mit den politischen Gefangenen und gegen staatliche Unterdrückung" am 18. März sowie in der Vorbereitung und Durchführung der Initiativen zum "20. Jahrestag des Deutschen Herbstes 1977". Anläßlich des "Datums 20 Jahre Stammheim" hat die "Rote Hilfe e. V." das 638 Seiten umfassende Buch "Stammheim - Die notwendige Korrektur der herrschenden Meinung" als einmalige Sonderausgabe neu aufgelegt'. Autor des Buches ist der niederländische Anwalt Pieter Bakker Schut, einer der damaligen Verteidiger der "Rote Armee Fraktion". Die Erstausgabe erschien 1986. Daneben gab die "Rote Hilfe e. V." zu dieser Thematik eine l6seitige "Massenzeitung" als Beilage (45 000 Exemplare) zur Tageszeitung "junge Welt" vom 17. Oktober heraus. Das Ziel ihrer Initiativen zum "Deutschen Herbst" sei es, "die Geschichte vom Widerstand in der BRD und der Repression des Staates, mit der er auf diesen Widerstand reagiert hat, nachzuzeichnen, um zu zeigen, was Repression tatsächlich ist, nämlich nicht der notwendige Schutz der Demokratie vor ihren Feinden, sondern die Unterdrückung oppositioneller Bewegungen, um gesellschaftliche Widersprüche, wenn sie nicht mit friedlichen Mitteln zu beseitigen sind, mit Hilfe von Gewalt zu lösen." Die "Rote-Hilfe-e.-V."-Ortsgruppe Kiel war an allen Aktivitäten der Organisation entscheidend beteiligt und ist nach wie vor eine der größten und aktivsten Ortsgruppen bundesweit. - 56 - 5 Autonom-anarchistische Szene 5.1 Potential und Selbstverständnis Bundesweit sind dem gewaltbereiten autonomen Spektrum mehr als 6 000 Personen zuzurechnen. In Schleswig-Holstein gehören dieser Szene unverändert rund 350 Personen an. Die Autonomen haben ihren Ursprung in der studentischen Protestbewegung der sechziger Jahre. Aus der ab 1968 zerfallenen "AuSerparlamentarischen Opposition" gingen neben reformistischen Impulsen, die eine Einflußnahme über demokratische Parteien suchten, auch solche Kräfte hervor, die der parlamentarischen Demokratie ablehnend gegenüberstanden. Hierzu gehörten neben einer Vielzahl kommunistischer Partelen und Organisationen unter anderem Moskauer, .maoistischer oder albanischer Ausrichtung auch Gruppierungen, die bestrebt waren, die antiautoritäre Tradition der Protestbewegung fortzusetzen. Sie lehnten den Marxismus-Leninismus als dogmatisch und bürokratisch ab und traten für Spontaneität, Autonomie und Selbstorganisation der "Unterdrückten" ein. Die aus der "Sponti"-Bewegung hervorgegangene autonome Szene ist nicht homogen. Ihre Mitglieder verfügen über kein einheitliches ideologisches Konzept, sondern vertreten unterschiedliche, an anarchistischen und auch kommunistischen Theorien angelehnte Ideen. Eine abgeschlossene theoretische Fundierung ist vielen Anhängern der autonomen Szene suspekt. Gemeinsam ist den Autonomen eine diffuse "antifaschistische" und "antikapitalistische" Grundhaltung, die sich gegen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung richtet. Exemplarisch für ihre ablehnende Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung heißt es in der, Ausgabe Nr. 1 (Mai 1997) der von der Kieler Gruppierung KAGON {"Kleine autonome Gruppe ohne Namen") herausgegebenen Zeitung "Kieler Nachschlag": - 57 - "Gemeinsam ist allen autonomen Bestrebungen ein revolutionärer Ansatz, mit dem Ziel einer hierarchieund somit herrschaftsfreien Gesellschaft, die sich dezentral organisiert. Es gilt, eine mitunter militante Dynamik zu entwickeln, die langfristig alle in soziaien Beziehungen bestehenden Herrschaftsverhältnisse durch freie und solidarische Verhältnisse ersetzt... Dieses Bewußtsein ist die Grundlage revolutionärer Politik und' bedeutet ... eine Absage an die repräsentative Demokratie und an sogenannte Volksvertreter..." Zur Verwirklichung ihrer politischen Ziele sind für die meisten Autonomen militante Aktionsformen selbstverständliche Mittel. Diese reichen von spontanen Farbsprühaktionen bis hin zu geplanten Brandanschlägen. Aktionen autonomer Gruppierungen steigern sich im Rahmen von Demonstrationen häufig zu spontaner Massenmilitanz, die in Straßenkrawalle und Angriffe auf Polizeikräfte münden kann. Bei diesen Veranstaltungen treten Autonome oftmals in einheitlicher Aufmachung auf - als "Schwarzer Block" und mit Sturmhauben ("Haßkappen") vermummt, Der Ablauf der Demonstrationen hängt vom "feeling" der "streetfighter"", dem Grad der "Betroffenheit" sowie dem Kräfteverhältnis in Vergleich zur Polizei ab. Demgegenüber sind klandestine militante Aktionen erheblich planvoller angelegt. Bei ihnen wird ein Anschlagsobjekt gezielt ausgewählt, der Anschlag zum Teil unter genauer Festlegung der Tatbeiträge der einzelnen Beteiligten konspirativ vorbereitet und durchgeführt sowie häufig in Taterklärungen gerechtfertigt. So verübten beispielsweise Autonome in der Nacht zum 3. Oktober in Berlin einen Brandanschlag auf einen Supermarkt; um die Arbeit von Polizei und Feuerwehr zu erschweren, wurden in der Nähe des Tatortes befindliche Telefonzellen zerstört, Barrikaden aus brennenden Autos errichtet und "Krähenfüße" ausgelegt. Derartige "Kommandoaktionen" weisen deutliche Parallelen zum linksextremistischen Terrorismus auf. Entsprechendes gilt auch für die zahireichen Anschläge auf Einrichtungen der Deutschen Bahn AG im Zusammenhang mit dem militanten "Castor-Protest". Die früher von Autonomen vorgenommene Abgrenzung zwischen "Gewalt gegen Personen" und "Gewalt gegen Sachen" wird zunehmend - 58 - brüchig; inzwischen tritt die schon immer in der Szene diskutierte Frage der Rechtfertigung und Vermittelbarkeit von Anschlägen noch stärker in den Vordergrund. So formulierte ein unter dem Pseudonym "Scatman" auftretender Verfasser "einige Überlegungen zum "politischen Mord'" in der linksextremistischen Untergrundschrift "radikal" (Nr. 153 vom November 1995): "Ich bin nicht grundsätzlich gegen das Töten von Menschen aus politischen Motiven. Der Alltag des Systens, so wie es ist, kostet täglich zigtausend Menschen das Leben, die für den Profit und die Machterhaltung der Herrschenden auf der Strecke bleiben... Wenn sie dazu dient, eine Gesellschaft herbeizuführen, in der ALLE die Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben haben, kann die Tötung von Einzeinen, die dieses Ziel zu verhindern suchen, ein legitimes Mittel sein. Nicht aus Rache oder einer Haltung, die das (r) Leben dieser FunktionärInnen des herrschenden Systems als minderwertig definiert, sondern aus 'Notwehr', im Interesse Aller." 5.2 Organisierungsund Vernetzungsbestrebungen Autonome sind von ihrem Selbstverständnis her grundsätzlich organisationsund hlerarchiefeindlich eingestellt. Typisch für die autonome Szene ist die Kleingruppe ohne verbindliche Struktur und Entscheidungswege. Demzufolge findet Zusammenwirken in größeren Dimensionen, insbesondere auf überregionaler Ebene, grundsätzlich nur in Form anlaßbezogener Aktionsbündnisse statt, die anschließend wieder zerfallen. (r) In den letzten Jahren hat es allerdings Kritik an der Unverbindlichkeit autonomer Politik gegeben mit der Folge einzelner regionaler Zusammenschlüsse. In diesem Zusammenhang ist die im Herbst 1996 gebildete Gruppierung "LEVANTI - Projekt Undogmatische Linke" zu nennen. Sie ist aus den militanten Autonomen zuzurechnenden Gruppierungen "AVANTI - Projekt Undogmatische Linke" aus Kiel und Lübeck sowie der linksextremistischen Gruppe "LEGO" ("Linke Einheit Gemeinsam Organisieren") aus Bremen hervorgegangen. "LEVANTI" stellt in seiner gleichnamigen Zeitschrift Nr. 3 vom Mai 1997 fest, daß verbindliche Strukturen für eine schlagkräftige Bewegung unabdingbar seien. "LEVANTI" -59 . versteht sich als revblutionäre Organisation, die die Schaffung einer herrschaftsfreien Gesellschaft anstrebt. Bei der Verfolgung dieses Zieles wird der Zusammenarbeit nicht nur mit anderen Autonomen-Gruppierungen, sondern auch mit Vertretern des demokratischen Spektrums besondere Bedeutung beigemessen. Während andere autonome Gruppen derartige Initiativen als "reformistisch" und damit "staatserhäaltend" ablehnen, betont "LEVANTI" in einer Broschüre (ohne Erscheinungsdatun): "Wir müssen Kontakte und Zusammenarbeit über die revolutionäre Linke hinaus entwickeln; denn um die Basis für revolutionäre Politik zu verbreitern, reicht es nicht aus, sich auf eine eng umgrenzte Szene zu beziehen," In diesem Lichte ist auch die Beteiligung von "LEVANTI" am "Lübecker Bündnis gegen Rassismus" zu sehen. Überregionale autonome Organisationsansätze finden sich in der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO)} und in den "Bundesweiten Antifa-Treffen" (BAT). Über diese Organisationsbemühungen hinausgehend fordern einzelne Autonome eine allumfassende Organisierung mit dem Ziel einer auf Räte aufgebauten Gesellschaft. Dies zeigt, daß auch kommunistische Ansichten inrerhalb der an sich undogmatischen autonomen Szene vertreten sird, und belegt die Verzahnung mit anderen linksextremistischen Strömungen. Unabhängig von der Frage der Schaffung verbindlicher Strukturen steht das Bemühen um Vernetzung im Sinne der überregionalen, zum Teil bundesweiten Verbreitung von Informationen. Dabei spielen bewährte Institutionen - wie Szene-Zeitschriften und autonome Info-Läden - weiterhin eine herausragende Rolle. Aber auch der Einsatz moderner elektronischer Telekommunikationsmittel, insbesondere von computergestützten Mailbox-Systemen und des globalen Netzwerkes Internet, ist unter Linksextremisten inzwischen weitverbreitet. Nicht wenige verfügen über eigene Seiten im "World Wide Web" ("homepages"). Interessant ist hierbei für sie unter anderem, daß aufgrund der Struktur des Inter- - 60 - net Informationen weitgehend "zensurfrei" verbreitet werden können. Viele Beiträge extremistischen Inhalts werden über ausländische Diensteanbleter ("provider") ins Internet eingespeist, so daß hiesige Strafverfolgungsbehörden auf diese ggf. keinen direkten Zugriff haben. Ein Beispiel für die auch in Schleswig-Holstein bestehenden Vernetzungsbemühungen im konventionellen Print-Bereich ist der im Sommer 1997 vollzogene Zusammenschluß zweier unter dem Einfluß militanter Autonomer stehender Zeitungen, nämlich der "Antifaschistischen Zeitung Kiel" und der "Antifaschistischen Zeitung für Lübeck und Umland", zur Zeitschrift "Enough is enough!". Mitherausgeberin dieser Zeitschrift ist das "Lübecker Bündnis gegen Rassismus". Auch hieran zeigt sich die personelle Verflechtung mit der Autonomen-Grupplierung "LEVANTI". 5.3 Aktionsfelder Autonome wählen Ihre Aktionsfelder häufig in Abhängigkeit von aktuellen politischen Themen und Ereignissen. Sie versuchen hierdurch, nach Möglichkeit auch Nichtextremisten in Aktionen einzubeziehen, um so die Basis ihres Wirkens zu verbreitern. Dieses Bestreben ist beim "Castor-Protest" besonders deutlich geworden: Weitere bestimmende Themen der autonomen Szene im Jahr 1997 waren "Antifaschismus" und "Antirassismus". Künftig dürfte den bislang. nur am Rande thematisierten Bereichen "Sozialabbau" und "Gentechnik" mehr Bedeutung zukommen. 5.3.1 Antifaschismus Der Kampf gegen tatsächlich oder vermeintlich. rechtsextremistische Personen, Institutionen und Entwicklungen gehört für militante Autonome wie für alle Linksextremisten zu den wesentlichen Aktionsberelchen. Ihr Selbstverständnis skizzieren autonome Antifaschisten in einem Beitrag der Ausgabe 1995 des "Antifaschistischen Kalenders": Danach beginne die Geschichte des autonomen Antifaschismus in den achtziger Jahren. Das Politikverständnis der großen - 61 - Mehrheit autonomer Antifaschisten sei in dieser Zeit durch die Parole "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft" geprägt gewesen: "Wesentliches Ziel war der direkte, militante Angriff auf faschistische Infrastrukturen und die direkte Beoder Verhinderung diverser Parteitage, Kameradschaftstreffen, Aufmärsche oder ähnlichem, also auch die Planung und Mobilisierung zu Großveranstaltungen. Der Konsens der Militanz war das vornehmliche Bindeglied der Leute, die sich selbst als Autonome bezeichneten." Entsprechende Aktionen haben bundesweit auch 1997 in beachtlichem Ausmaß stattgefunden. Im Rahmen von Gegenaktionen zu "Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltungen" im August kam es zu Verfolgungsjagden und Gewalttätigkeiten auf Autobahn-Raststätten. In Schleswig-Holstein war eine verstärkte "Recherche-Arbeit" der autonomen Antifa-Szene in bezug auf das rechtsextremistische Lager festzustellen. So wurden zum Beispiel vorher ausgespähte Treffpunkte vorn Rechtsextremisten aufgesucht, um geplante Veranstaltungen zu verhindern. In mehreren Fällen konnten Gewalteskalat.ionen nur durch starke Polizeilpräsenz verhindert werden. Um den "Anti-Nazi"-Kampf überregional zu koordinieren, veröffentlichten Autonome bundesweit Flugblätter und Broschüren, die Informationen über aktuelle politische Entwicklungen und deren Akteure enthalten. In diesen Publikationen werden unter anderem Namen von Politikern und anderen als "Faschos" bezeichneten Personen mit der Angabe des Wohnortes veröffentlicht. Als schleswig-holsteinisches Beispiel ist in diesem Zusammenhang ein Flugblatt. einer "Antifaschistischen Initiative Flensburg", in .der auch Linksextremisten mitwirken, zu nennen. Es zeigt steckbriefartig Fotos und Anschriften mutmaßlicher Rechtsextremisten. Der "antifaschistische Kampf" richtet sich nicht nur gegen sogenannte Stiefel-Nazis. Vielmehr wird der Staat als angeblicher Förderer faschistischer Entwicklungen in das bestehende Feindbild der militanten Autonomen einbezogen. Daß autonomer Antifaschismus letztlich auf eine Überwindung der freiheitli- - bZ - chen demokratischen Grundordnung abzielt, verdeutlicht folgende Passage aus der Zeitschrift "Wort und Tat - Antifa-Jugendinfo Weser/Ems" (Ausgabe März/April 1997): " im Gegensatz zu reformistischen Kräften wie den "Grünen' (halten) wir an einem revolutionären Antifaschismus (fest)... Für uns ist diese sogenannte '"'freiheitliche demokratische Grundordnung', wo man alle vier Jahre bei der Wahl nur zwischen schlecht und sauschlecht wählen kann, nicht mehr als ein Scheißwitz." Daß Antifaschismus-Arbeit nach linksextremistischem, insbesondere autonomem Verständnis nicht auf die Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgerichtet ist, belegt auch eine Passage in der von Autonomen beeinflußten Antifa-Zeilt- _ . schrift "Enough is enough!" (Ausgabe Nr. 2 - Okt./Dez. '37). Dort wird eine Person angegriffen, well sie "eingefleischter Antikommunist" sei. 5.3.2 Antirassismus Angehörige des autonomen Spektrums engagieren sich seit Jahren gegen vermeintlich rassistische Aspekte der deutschen Politik " und Wirtschaft. Hier ist seit der Änderung des Artikels 16 Grundgesetz im Mai 1993 insbesondere die Asylpolitik in das Zentrum der Agitation geraten; diese Polltik habe angeblich mit Hilfe "rassistischer Sondergesetze" eine "Abschiebemaschinerie" in Gang gesetzt, "Antirassistische" Agitation richtet sich daher häufig gegen Personen, die für die Gestaltung der Asylpolitik und deren Umsetzung Verantwortung tragen. Darüber hinaus werden Firmen angegriffen, denen unterstellt wird, an der "Abschlebemaschinerie" zu verdienen. " Ein Zielobjekt antirassistischer Agitation in Schleswig-Holstein war auch 1997 das Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Brand einer Unterkunft für Asylisuchende in der Lübecker Hafenstraße am 18. Januar 1996. In einer Nachbetrachtung des (noch nicht rechtskräftig) abgeschlossenen Prozesses vor dem Landgericht Lübeck wird in der Zeitschrift "Enough is enough!" (Ausgabe Nr. 1 - Juli/August '97) - Mitherausgeberin ist das Lübecker - 53 - "Bündnis gegen Rassismus" (siehe dazu unter Nr. III 5.2) - Politik und Justiz vorgeworfen, sie hätten "bewußt an der Täter-opfer-Umkehr und der Spurenverwischung zu den Faschisten mitgestrickt". Insbesondere einem namentlich genannten Staatsanwalt seien "alle Mittel recht (gewesen), um den Verdacht gegen Safwan zu schüren", und er hätte mit "erlogenen Haftgründen" und "bloßen Erfindungen" gearbeitet. Bei seinen "rassistischen Ermittlungen" hätte "unter anderem der Amtsrichter ... {dieser hatte seinerzeit Haftbefehl gegen den Betreffenden erlassen) als Komplize" fungiert. 5.3.3 Anti-Atomkraft Der Kampf gegen Atomkraft - insbesondere den Transport von Atommüll - war auch 1997 ein herausragendes Thema der autonomen Szene. Die 1995 eingetretene Entwicklung hat sich fortgesetzt und noch verstärkt. Der dritte Castor-Transport im Frühjahr 1997 nach Gorleben (Niedersachsen) führte zu erheblichen Ausschreitungen vor Ort unter Beteiligung auch von Autonomen aus Schleswig-Holstein. In diesem Zusammenhang waren bundesweit zahlreiche Anschläge insbesondere auf Einrichtungen der Deutschen Bahn AG zu verzeichnen. Schleswig-Holstein war dabei nur in geringem Umfang betroffen. Ziel der Autonomen ist es, den Preis von Atommüll-Transporten so in die Höhe zu treiben, daß sie politisch und wirtschaftlich undurchführbar werden. Es geht ihnen jedoch nicht nur um den Kampf gegen die Nutzung von Kernenergie. Die Anti-Atom-Aktionen werden vielmehr als Teil eines generellen revolutionären Kampfes betrachtet, an dessen Ende die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. In einer Erklärung von "A.U.T.O.N.O.M.E.G.R.U.P.P.E.N." in dem Rhein-Main-Info-Blatt des autonomen Spektrums, "Swing" (Nr. 79, Juli/August 1996), heißt es: "Für uns ist der Kampf gegen das Atomprogramm eine Unterstützung der Menschen im Wendland, auf daß die Atommafia kein 'sicheres Hinterland' mehr hat. Auf der anderen Seite ist es auch ein Kampf gegen das kapitallstische System und den Staat. In diesem Bereich sehen wir im Moment die einzige Chance, punktuell die Machtfrage zu stellen und zu gewinnen. Wenn der Staat und die Atommafia in Gorleben nicht durchkommen, ist dies ein klares Signal an alle die kämpfen." - Noch drastischer heißt es in einem Beitrag im antifaschistischen Jugendinfo "BRAST", Göttingen (März 1997), es gebe "viel zu demonstrieren und zu randalleren... Nicht nur Castor stoppen, auch System zerkloppen... Es reicht nicht, sich dem Castor entgegenzustellen, es müssen die profitgierigen VertreterInnen der Wirt(r) schaft, die an der Atomenergie gut verdienen und den Atommüll produzieren, angegriffen werden." 'Ähnliche Äußerungen finden sich auch in Veröffentlichungen der schleswig-holsteinischen Autonomen-Szene, zum Beispiel in der Zeitschrift "Levanti" (Nr.4/September 1997}: "Unser Widerstand gegen die Atomindustrie ist aber nur ein Teil unseres Kampfes gegen das herrschende System und für elne herrschaftsfreie Gesellschaft." Autonome hoffen, daß sich Mitglieder der bürgerlichen Protestbewegung - wie in Gorleben teilweise geschehen - auch an militanten Aktionen beteiligen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Gewaltaktionen mit dem scheinbar demokratischen Ansatz wie (r) folgt gerechtfertigt: "Nach dem letzten Castor spielt das Thema Militanz hier im Wendland wieder neu eine Rolle. Darin drückt sich auch eine Verähderung über die Jahre des Widerstands aus. Hieß es zuerst: 'Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht' und wurde später daraus: 'Wenn Ihr unser Leben nicht achtet, achten wir Eure Gesetze nicht', so heißt es jetzt vielerorts: 'Wenn aufgebrachte Bevölkerung auf der Straße so beiseite geschoben wird, wenn auf eine Ablehnung geschissen wird, die die demokratischen Spielregeln einhält, dann müssen deutlichere Maßnahmen ergriffen werden'". (aus: "INTERIM" Nr. 385 vom 9. August 1996, Beitrag einer Gruppe "Die Besser Wisser Innen") - 65 - Auf diese Weise soll die Hemmschwelle für den Einsatz gewalttätiger Mittel herabgesetzt werden. Unabhängig davon sind Autonome bemüht, den Anti-Atom-Protest insgesamt darauf festzulegen, alle Aktionsformen - sei es legal oder illegal - zu akzeptieren. In "Levanti" (Nr. 3/Mai 1997) heißt es dazu: "wir halten es für fatal, bestimmte Aktionsformen (seien es 'gewaltfreie' oder 'militante') zu Weltanschauungsfragen zu machen, anstatt die jeweiligen Aktionen danach zu bestimmen inwieweit sie geeignet sind, die Ziele einer Bewegung praktisch durchzusetzen und inwiewelt sie weitere Unterstützung und weiteren Widerstand mobilisieren. Sich von seiten des Atomstaats eine 'Gewaltfrage' aufzwingen zu lassen, kann nur Spaltung und Schwächung der Bewegung hervorbringen." Nach dem dritten Castor-Transport im März 1997 nach Gorleben zeichnete sich eine neue Entwicklung im "Anti-Atom-Kampf" ab: Weg von zentralen Veranstaltungen und hin zu dezentralen Aktionen gegen Transportwege, Energieversorgungs-Unternehmen sowie Hersteller und Betreiber von Atomanlagen. Diese Änderung basiert auf der Frühjahrskonferenz der bundesdeutschen Anti-AtomInitiativen (23. bis 25. Mai in Münster), auf der unter Betelligung militanter Linksextremisten beschlossen wurde, "das Atomprogramm in seinem gesamten Spektrum ins Visier (zu) nehmen". Als Aktionsschwerpunkte wurden das Kernkraftwerk Krümmel im Kreis Herzogtum Lauenburg und das Brennelemente-Zwischenlager Ahaus (Nordrhein-Westfalen) bestimmt. Zu den strategischen Überlegungen heißt es unter dem Titel "Nix mehr! Auf nach Krümmel! Auf nach Ahaus!" in "Levanti" (Nr. 4/September 1997): "Die vielfältigen Aktionen gegen die Castor-Transporte nach Gorleben haben die Verwundbarkeit der Atomindustrie am Punkt Atomtransporte mehr als deutlich gemacht. Ob nun in die Zwischenlager Gorleben und Ahaus oder von AKWs wie Krümmel oder Brokdorf, in die Wiederaufbereitungsanlagen (WAAs) Sellafield oder La Hague, die Atomtransporte stellen den empfindlichsten Teil des Atomprogrammes dar. Schließlich sind die Transportwege lang, und es gibt somit viele Eingriffsmöglichkeiten." - 66 - Durch das Aktionswochenende am 20./21. September vor dem Atomkraftwerk Krümmel war Schleswig-Holstein erstmalig nach langer Zeit wieder Ziel einer größeren Aktion im Rahmen der Anti-AtomKampagne. Die Organisation der Veranstaltung erfolgte maßgeblich durch das von militanten Autonomen beeinflußte "AntiCastor-Büro" in Hamburg. Bei der Vorbereitung des Aktionswochenendes war wiederum das Bestreben erkennbar, militante Protestformen insbesondere des autonomen Spektrums sowie bürgerlichen Protest zu einer "Aktionsfront" zusammenzuschweißen und nicht zwischen unterschiedlichen Aktionsformen zu differenzieren. Im Verlauf des Aktionswochenendes wurden zwar etliche militante Aktionen, insbesondere Schienenbeschädigungen durchgeführt. Insgesamt blieben sie im Ausmaß ebenso hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück wie die Teilnehmerzahl (statt 5 000 nur rund 1 000). Dieser Umstand belegt, daß es der autonomen Szene - anders als im Wendland - bisher nicht gelungen ist, bürgerliches Protestpotential in größerem Umfang für eine Veranstaltung mit erwartLetem gewalttätigem Verlauf zu mobilisieren. Diese Tendenz setzte sich sowohl bei demonstrativen Aktionen gegen das Brennelemente-Zwischenlager im Oktober in Ahaus als auch anläßlich einer Mobilisierung im Zusammenhang mit dem am 3. November durchgeführten Transport abgebrannter Brennelemente vom Kernkraftwerk Krümmel fort. Gleichwohl werden militante Linksextremisten auch künftig versuchen, Nichtextremisten für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, um so das Ziel der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verfolgen. 5.4 Situation der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein 5.4.1 Potential und Strukturen Der autonom-anarchistischen Szene gehören in Schleswig-Holstein unverändert insgesamt rund 350 Personen an, mit Schwerpunkten in Kiel, Neumünster und Lübeck. Autonome des Hamburger Randgebiets sind traditionell ganz überwiegend auf die Autonomen-Szene in Hamburg orientiert. Festzustellen ist, daß das autonone - 67 r- Spektrum landesweit - insbesondere im Bereich der Aktionsfelder "Antifaschismus" und "Anti-Atomkraft" - Zuwachs durch junge Menschen erhalten hat. Gleichwohl ist die Anhängerzahl aufgrund von Umzügen und Ausscheidens wegen privater Gründe insgesamt unverändert geblieben. Die szene-typischen Einrichtungen, wie zum Beispiel die sogenannten Info-Läden in Riel ("Beau Rivage") und in Flensburg ("Hafermarkt 6"), haben ihre Funktion als Anlaufstellen, Treffpunkte und Informationsbörse beibehalten. Der "Informationsdienst Schleswig-Holstein" in Neumünster hat auch weiterhin seinen Part als "Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet des Informationsaustausches und der -beschaffung"" unter Zuhilfenahme der szene-eigenen computergestützten Mailbox-Systeme mit teilweise bundesweiter Ausstrahlung beigetragen. Spektakuläres Aktionsfeld militanter Autonomer im Lande war der Bereich "Anti-Atomkraft"". Zu den einschlägigen Demonstrationstagen konnte eine lange nicht mehr beobachtete Mobilisierungsintensität mit militanter Tendenz festgestellt werden. Eine vergleichbare Entwicklung war im zweiten Halbjahr im Hinblick auf die "autonome Antifa-Arbeit" zu erkennen. In beiden Bereichen muß auch künftig mit gewalttätigen Ausschreitungen gerechnet werden. 5.4.2 Entwicklung der Gewalttaten in Schleswig-Holstein Für 1997 wurcen von der Verfassungsschutzbehörde 13 (Vorjahr: 27) linksextremistisch motivierte Gewalttaten erfaßt. Dabel handelte es sich ausschließlich um Sachbeschädigungen. 11 Delikte wurden vor dem Hintergrund der Castor-Transporte verübt, zwei im Rahmen des "Antifa-Kampfes". Auch wenn sich die Zahl der Gewalttaten gegenüber dem Vorjahr halbiert hat, bleibt die militante autonome Szene weiterhin ein besonderer Beobachtungsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörde. -68B - 6 Dogmatischer Linksextremismus Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten sind nunmehr acht Jahre nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaftsordnungen in Osteuropa bemüht, sozialistisches Gedankengut in die Öffentlichkeit zu transportieren. Als Aufhänger dient ihnen dabei vornehmlich das Thema "Sozialabbau". Die durch das Scheitern der Vorbilder in Osteuropa ausgelöste Legitimationskrise ist jedoch nach wle vor nicht überwunden. Die Zahl der Mitglieder. dogmatisch-linksextremistischer Organisationen beträgt bundesweit mehr als 25 000. In Schleswig-Holstein gehören ihnen rund 650 Personen an, wobei mit rund 270 Mitgliedern der größte Teil hiervon auf die "Bezirksorganisation Schleswig-Holstein" der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) entfällt. " deg Die DKP hat in einem Beitrag ihres Zentralorgans "Unsere Zeit" {Ausgabe vom 29. August 1997) ihre auf dem 14. Parteitag {Mai 1998) zur Verabschiedung vorgesehenen "Soziallsmusvorstellungen" veröffentlicht. Unter dem Titel "Sozlalismus - Die historische Alternative zum Kapitalismus" wird der Kapitalismus als ursächlich für Ausbeutung, Krieg und Umweltzerstörung bezeichnet. Um diesen angeblichen Sachzwängen kapitalistischer Konkurrenz und Profitmaximierung zu entgehen, sei unverändert ein revolutionärer Bruch mit dem Kapitalismus nötig. Ursache für das Scheitern der sozialistischen Gesellschaftsordnungen in den ehemaligen Ostblock-Staaten selen neben zu analysierenden Fehlentwicklungen im wesentlichen destabilisierende Aktivitäten der. westlichen Staaten gewesen, aufgrund derer opportunistische Einstellungen - womit der durch den ehemallgen sowjetischen Präsidenten Gorbatschow ausgelöste demokratische Umwälzungsprozeß gemeint sein dürfte :- die Oberhand gewonnen hätten. Für den als erforderlich erachteten neuen sozialistischen Anlauf wird betont, Sozialismus bedeüte politisch Demokratie. In dieser sollen zwar unter anderem individuelle Grundrechte sowie eine "wirksame Trennung von Parlament, Regierung und Justiz" gewährleistet sein. Daß die von der DKP angestrebte "sozialistische Demokratie" aber keineswegs mit wesentlichen Grundsätzen unserer freiheltlichen demokratischen Grundordnung in Einklang - 695 - steht, ergibt sich unter anderem daraus, daß das marxistische Gedankengebäude den Überbau für die scheinbar demokratischen Strukturen bildet. Die auf dieser Grundlage zu errichtende sozialistische Gesellschaftsordnung steht für die DKP nicht zur Disposition. Dies erklärt, daß die DKP auch nur für Rechte einer "auf dem Boden der sozialistischen Verfassung wirkenden Opposition" eintritt. Die in den "Sozialismusvorstellungen" der DKP zugestandenen Rechte dürften daher - wie in der ehemaligen DDR - nur von theoretischer Bedeutung sein. Die Situation der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) war auch 1997 von erheblichen internen Auseinandersetzungen geprägt. Das von der Parteiführung beanspruchte Monopol der alleinigen Bestimmung der Parteiziele.und der alleinig richtigen Auslegung der revolutionären Ideologie führte zu großen Änderungen im Kaderbereich. Die Folge war, daß die Arbeitsfähigkeit der Partei in weiten Bereichen nicht mehr gewährleistet war. Die MLPD, die bundesweit über rund 2 500, in Schleswig-Holstein lediglich über 20 Mitglieder verfügt, steht im linksextremistischen Lager weitgehend isollert da. Sie versucht jedoch, ihren Wirkungsgrad über von ihr beeinflußte Organisationen zu verbreitern, so zum Beispiel über den 1991 auf ihre Initiative hin gegründeten Frauenverband "Courage". In Schleswig-Holstein existiert eine "Courage"-Gruppe in Lübeck. Teile des dogmatisch-linksextremistischen Spektrums suchen nach | wie vor die Nähe zur "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS), um in deren Gravitationsfeld politischen Einfluß zu entfalten. Der rund 70 Personen umfassende schleswig-holsteinische Landesverband der-PDS besteht zu einem erheblichen Teil aus Angehörigen der aus dem ehemaligen Landesverband des "Bundes Westdeutscher Kommunisten" hervorgegangenen "Arbeitsgemeinschaft Kommunistische Politik von unten in und bei der PDS Schleswig-Holstein". Die PDS entfaltet in Schleswig-Holstein nach wie vor so gut wie keine öffentlichen Aktivitäten. 7 Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1995 bis 1997 Die Zahlen sind gerundet. Der Mitgliederbestand unterlag in den Jahren 1995 bis 1997 kaum meßbaren Schwankungen. 1995 1996 1997 Orthodoxe Kommunisten 550 550 550 Revolutionär-marxistische Gruppen - 100 ," 100 100 Militante Autonome _ -- BR 1 350 350 Gesamt Land - 1000 1 000 1 000 Gesamt Bund 35 000 35 200 34 100 - 11 - Iv. Extremistische Bestrebungen von Ausländern 1 Überblick Ende 1997 waren in Schleswig-Holstein 142 348 Ausländer registriert. Nur 1 680 von ihnen gehörten extremistischen bzw. extremistisch beeinfilußten Organisationen an. Sie bilden unter den in Schleswig-Holstein lebenden Ausländern weiterhin nur eine Minderheit. Der besonderen Beobachtung bedurften wiederum die Aktivitäten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und gewaltorientierter linksextremistischer türkischer Organisationen. Die PKK hält. am gemäßigten Kurs ihres Generalvorsitzenden Abdullah Öcalan gegenüber Deutschland fest. Im Jahr 1997 bot Öcalan Deutschland erstmals einen "bedingungslosen" Gewaltverzicht an. Dieser gelte selbst für den Fall, daß das. Verbot der PKK bestehen bleibe. Deren öffentliche Aktionen sind 1997 insgesamt friedlich verlaufen. Dagegen kommt es aber im Zusammenhang mit der Bestrafung von Partelabweichlern und Spendengeld-Erpressungen nach wie vor zu teilweise massiver Gewaltanwendung durch Partelaktivisten im Bundesgeblet. Das in der deutschen Öffentlichkeit nur selten wahrgenommene Verhalten der PKK gegen kurdische Landsleute widerspricht mehrfachen öffentlichen Erklärungen ihres Generalvorsitzenden Öcalan,, seine Anhänger hätten die Gesetze des Gastlandes zu respektieren. Anlaß zur besonderen Besorgnis im Bereich des Ausländerextremismus gaben 1997 die mit hoher Gewalt ausgetragenen Auseinandersetzungen innerhalb linksextremistischer und extremistischer islamischer türkischer Organisationen im Bundesgebiet. Den Hintergrund für diese organisationsinternen Konflikte bildeten weiterhin anhaltende Führungskämpfe. Dabei kam es zu mehreren Tötungsdelikten, versuchten Tötungen und schweren Körperverletzungen durch Schußwaffen und sonstige Gewalteinwirkungen. In Schleswig-Holstein sind derartige Vorfälle bisher nicht zu verzeichnen gewesen. - 172 - Allerdings hat es bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen einem alevitischen und einem rechtsgerichteten Türken. am 3. Februar in Kiel-Gaarden einen Toten gegeben. Der Vorfall zeigt, daß die Spannungen innerhalb der Bevölkerung der Türkei aufgrund politischer und religiöser Vorbehalte jederzeit auch auf die hier lebenden Türken übertragen werden können. Extrem-nationalistische Türken waren weiterhin um ein unauffälliges Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit bemüht. Sie haben seit Jahren strikte Anweisungen Ihrer Führungen, sich bei öffentlichem Auftreten zurlickzuhalten und nicht auf Provokationen linksgerichteter Türken und Anhänger der PEK zu reagleren. An diese Weisungen dürften sich unorganisierte Anhänger der "Grauen Wölfe" kaum halten. Sie bedürfen auch weiterhin der Beobachtung. Die jüngsten Attentate von Anhängern radikaler islamischer Organisationen auf Urlauber in Ägypten und die Massaker unter der zivilbevölkerung in Algerien sind selbst bei im Bundesgebiet tätigen extremistischen islamischen Organisationen auf Ablehnung gestoßen. Von den zum Terrorismus neigenden ausländischen Organisatlonen gehen derzeit keine Gefahren für die Innere Sicherheit Deutschlands aus. 2 Situation der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 2.1 Ideologisch-politischer Standort Bei der PKK handelt es sich nach wie vor um eine den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus verpflichtete, straff geführte Kaderpartei. Ihr programmatisches Endziel, die Errichtung eines kurdischen Nationalstaates sozlialistischer Prägung unter ihrer Führerschaft, scheint die PRK nicht aufgegeben zu haben, auch wenn sle zeitweise föderative Lösungen in der Kurdenfrage vorschlug. Mehrere Zeitungsmeldungen, wonach die PKR in letzter zeit einen stärkeren natlionalistischen Kurs eingeschlagen hätte, wies sie über die ihr nahestehende "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) zurück. In einer Erklärung der YEK-KOM vom 24. April heißt es unter anderem dazu, von - 73 - einer "völkisch-nationalen Orientierung" der PKK und ihres Generalvorsitzerden Öcalan könne keine Rede sein. Die PKK sei internationalistisch und werde heute allgemein nicht als kommunistische, sondern als sozialistische Partei verstanden; dies stehe nicht im Widerspruch zu einer nationalen Befreiungsbewegung. 2.2 Anhängerpotential und öffentliche Aktivitäten im Bundesgebiet Bundesweit verfügt die PKK über rund 11 000, landesweit über rund 700 Anhänger. Ihr mobilisierbares Anhängerund Sympathisantenpotentlial bei Großveranstaltungen von Kurden liegt noch wesentlich darüber. Neue Anhänger gewinnt die PKK in erster Linie durch eine intensive Betreuung kurdischer Asylsuchender. Die PKK hielt sich bei ihren öffentlichen Aktivitäten strikt an die mehrfachen Zusagen ihres Generalvorsitzenden Öcalan, keine gewaltsamen Aktionen in Deutschland mehr durchzuführen. Ihre öffentlichen Aktionen im Bundesgebiet verliefen 1997 - von kleineren Zwischenfällen abgesehen - gewaltfrei. In einem im August vom ZDF gesendeten Interview bot Öcalan Deutschland erstmals einen "bedingungslosen" Gewaltverzicht an. Auch müßten sich deutsche Touristen in der Türkei nicht vor kurdischen Anschlägen fürchten. Dies gelte selbst für den Fall, daß das Verbot der PKK in Deutschland bestehen bleibe. Das offenkundige Bemühen der PRK, sich als berechenbar und friedfertig zu erweisen, zielt darauf ab, ihr negatives Image in der deutschen Öffentlichkeit loszuwerden und die Aufhebung des im November 1993 gegen sie verhängten Betätigungsverbotes zu erreichen. Es bleibt abzuwarten, ob es sich bei der derzeitigen friedlichen Linie der PKK nicht lediglich um eine vorübergehende, an Erwartungen geknüpfte taktische Variante der PKK handelt. Die PKK erwies sich auch 1997 als aktivste der im Bundesgebiet tätigen extremistischen Ausländerorganisationen. Den Auftakt ihrer öffentlichen Aktivitäten bildeten traditionell bundesweite Demonstrationen in Form von Fackelzügen und Kundgebungen zum kurdischen Neujahrsfest "Newroz" im März, die im Gegensatz zu 1996 insgesamt friedlich verliefen. Bei einer Demonstration der -_ 74 - PER am 21. März in Kiel mit rund 400 Teilnehmern kam es lediglich zu einem Zwischenfall, als die Polizei versuchte, im Demonstrationszug mitgeführte PKK-Fahnen sicherzustellen. Auf die am 14. Mai begongenen erneuten militärischen Operationen der türkischen Armee gegen Stützpunkte der PRKK im Nordirak reagierten ihre Anhänger europaweit mit Protestaktlonen. Die ebenfalls gewaltfrei verlaufenen Demonstrationen fanden im Bundesgebiet teilweise vor offiziellen türkischen und amerikanischen Einrichtungen, wie Botschaften und Generalkonsulaten, statt. In Kiel demonstrierten am 23. Mai aus gleichem Anlaß rund 70 Personen. Unter ihnen befanden sich zahlreiche kurdi- ' sche Kinder. Der Einfluß der PKK unter den in Europa lebenden Kurden ist nach wie vor groß. Sie stellte bei europaweiten Großveranstaltungen von Kurden am 26. April in Düsseldorf bzw. am 6. September in Köln den weitaus größten Teil der. bis zu 70 000 Teilnehmer. Ihre Anhänger hielten sich nur bedingt an die den Veranstaltern auferlegten Auflagen der Ordnungsbehörden, keine verbotenen Fahnen und Symbole zu zeigen oder die Veranstaltungen nicht als Werbung für die PKK zu mißbrauchen. Über Lautsprecher wurden auf den Veranstaltungen jeweils Reden Öcalans eingespielt. Er unterstrich darin die Friedensbereitschaft seiner Partei und ihren Wunsch, mit der Bundesregierung in einen politischen Dialog eintreten zu wollen. Seine Landsleute in Europa rief er auf, sich bei Ihren Protestaktionen gegen den Krieg in Kurdistan an die Gesetze zu halten. Aus Anlaß des vierten Jahrestages des PRE-Verbotes (26. November 1993) initiierte die der PRK nahestehende "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." eine bundesweite Kampagne zur Aufhebung des Betätigungsverbotes in Deutschland. Sie wurde von deutschen Gruppen und Parteien aus dem demokratischen und linksextremistischen Spektrum aktiv unterstützt. Im Mittelpunkt der unter dem Motto "Dialog statt Verbot - Für die Aufhebung des 'P&KK-Verbotes' - Für eine politische Lösung (in Kurdistan)" stehenden Kampagne stand die Rundfahrt eines Informationsund Aktionsbusses durch Deutschland. Dieser hielt sich am 3. und - 175 - 4. November auch in Kiel auf. In mehreren Städten des Bundesgebietes wurden Veranstaltungen im Rahmen der Kampagne verboten bzw. genehmigte Kundgebungen wegen des Zelgens verbotener Symbole der PKK aufgelöst. Die Anti-Verbotskampagne fand insgesamt in der deutschen Öffentlichkeit nicht die erhoffte Resonanz. In der PKRK-nahen Presse sprachen die Organisatoren dennoch von einem "vollen Erfolg" der Aktion. 2.3 Innerparteiliche Disziplinierungsmaßnahmen Im Gegensatz zu ihrem durch Gewaltverzicht geprägten öffentlichen Erscheinungsbild in der Bundesrepublik geht die PKK gegen Abweichler von der offiziellen Parteilinie und Partelaussteiger weiterhin mit zum Teil rigorosen Bestrafungen vor. Zur Aufrechterhaltung der Parteidisziplin unterhält sie ein eigenes Gerichtsund Disziplinierungssystem. Den Betroffenen droht neben körperlichen Mißhandlungen auch der Kampfeinsatz in Kurdistan. Im Februar hatte ein in Europa versteckt lebendes Gründungsmitglied der PKX mit der Herausgabe eines in deutscher Sprache verfaßten Buches "PKK - Die Diktatur des Abdullah Öcalan" heftige Kritik am autoritären Führungsstil Öcalans und seinem Vorgehen gegen innerparteiliche Gegner geübt. 2.4 Beschaffung von Finanzmitteln Die PKK hat aufgrund Ihres immer aufwendiger werdenden Organisationsapparates und stetig steigender Kosten des seit 1984 von ihr geführten Guerillakampfes gegen den türkischen Staat einen hohen Finanzbedarf. Ihre wichtigsten Einnahmequellen sind die Erlöse aus ihren jährlichen Spendenkampagnen sowie Spenden, die zu besonderen Anlässen gesammelt werden. Die Höhe der von kurdischen Landsleuten in Deutschland zu entrichtenden Spenden richtet sich nach deren finanzieller Leistungsfähigkeit, die von örtlichen Komitees der PKK geschätzt wird. Weigern sich Personen, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, reagieren Spendeneintreiber der PRK wiederholt auch mit der Anwendung körperlicher Gewalt. Aus Angst vor Repressionen verzichten die Betroffenen zumeist auf Strafanzeigen. Offiziell lehnt die Parteifüh- - 16 - rung der PRK Gewaltanwendung bei der Eintreibung von Spenden ab. Durch die. hohen Zielvorgaben der Parteiführung und die Kritik an der Parteibasis, die ihr Planziei nicht erfüllt hat, fördert die PKK aber gewaltsames Vorgehen ihrer Spendeneintreiber. In Schileswig-Holstein ist 1997 nur eine Schutzgelderpressung für die PKK bekanntgeworden. Aufgrund der geringen Aussagebereitschaft der Betroffenen muß jedoch von einer erheblichen Dunkelziffer ausgegangen werden. Es konnte bisher nicht nachgewiesen werden, daß die PRK zur Finanzierung ihrer Organisation direkt am Drogenhandel beteiligt ist. Sie profitiert aber durch das Abschöpfen ihr bekannter kurdischer Drogenhändler indirekt vom Drogenmarkt. 2.5 Rekrutierung von Kämpfern Um ihre Verluste im Kampf mit türkischen Sicherheitskräften auszugleichen, ist die PKK seit Jahren verstärkt darauf angewiesen, jüngere Kurden aus Europa - hauptsächlich aus Deutschland - für den Kampfeinsatz in Kurdistan zu gewinnen. Sie schult diese Jugendlichen ideologisch in Ausbildungslagern in Europa und schleust sie anschließend zur weiteren Ausbildung in den Nahen Osten oder zum Kampf in kurdische Gebiete. Ihre Jugendorganisation "Union der Jugendlichen aus Kurdistan" forderte sie 1997 auf, ihrem militärischen Zweig, der "Volksbefrelungsarmee Kurdistans", Kämpfer in Stärke einer Brigade zuzuführen. (r) 2.6 Strafprozesse und Exekutivmaßnahmen Eine Relhe von Funktionären der PKKR wurde auch 1997 festgenommen, angeklagt und zum Teil zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, unter anderem wegen schwerer Brandstiftung, Sachbeschädigung, versuchter Anstiftung zum Mord sowie Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach & 129 a Strafgesetzbuch. Zur Beschleunigung der Strafprozesse gegen Führungskader der PKK vor Oberlandesgerichten war es 1997 erstmals in mehreren Gerichtsverfahren zu Absprachen zwischen der Bundesanwaltschaft, den Gerichten und der Verteidigung gekommen. Grundlage für diese Übereinkommen waren schriftliche Bekenntnisse der Angeklag- - 17 - ten zu ihrer Täterschaft und das Versprechen, der Anweisung des Generalvorsitzenden Öcalan zu folgen, künftig auf gewaltsame Aktionen zu verzichten. Im Gegenzug wurde von der Bundesanwaltschaft der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung failengelassen. Seit Anfang 1998 bewertet der Generalbundesanwalt die PKK auch nicht mehr als terroristische, sondern als kriminelle Vereinigung. Zur Unterbinrdung ihrer Tätigkeit in Deutschland hatte die PKK 1997 erneut zum Teil länderübergreifende Durchsuchungsmaßnahmen gegen ihr nahestehende Objekte hinzunehmen. Dabei wurden umfangreiches Propagandamaterial, Spendengelder und vereinzelt auch Schußwaffen sichergesteilt. Die Durchsuchungsmaßnahmen fanden auch in Wohnheimen für Asylsuchende statt, die die PKK als Versammlungsund Schulungsorte für dort untergebrachte kurdische Asylbewerber genutzt hatte. Anders als in den Vorjahren reagierte die PKK auf diese Exekutivmaßnahmen lediglich mit verbalen Protesten. " 3 Gewaltsame Auseinandersetzungen innerhalb linksextremistischer türkischer Organisationen nahmen an Schärfe zu Die seit Jahren zu beöbachtenden Richtungsund Flügelkämpfe innerhalb der von Spaltungen gekennzeichneten linksextremistischen türkischen Organisationen haben sich 1997 im Bundesgebiet noch verschärft. Sie wirkten sich lähmend auf deren öffentliche Aktivitäten aus. Die Anfang 1993 begonnenen gewaltsamen Auseinandersetzungen in der in zwei rivalisierende Flügel gespaltenen "Devrimci Sol" haben 1997 einen neuen Höhepunkt erreicht. Sowohl der in "Revolutionäre Volkspartei - Front" {DHKP-C) umbenannte "Karatas-Flügel" als auch der unter der Bezeichnung "Türkische Volksbefreiungspartei/-PSront - Revolutionäre Linke" (THKP/C) auftretende "Yagan-Flügel" nehmen für sich in Anspruch, mit der ursprünglichen "Devrimci Sol" identisch zu sein. Der andauernde Machtkampf in der Organisation führte zu folgenden wechselseitigen Reaktionen im Bundesgebiet: - 78 - Am 13. Juni griffen in Frankfurt/Main vier Türken einen Anhänger des "Karatas-Flügels" tätlich an und schossen ihm in die Beine. Unbekannte Täter überfleien am 12. Juli in einem türkischen Lokal in Hamburg zwel Anhänger des "Yagan-Flügels" und verletzten diese durch Schläge und Schüsse in die Beine erheblich. Am 9. August wurde in Hamburg ein Karatas-Anhänger beim Verkauf der dem Flügel zuzurechnenden Publikation "Kurtulus" (Befreiung) durch Schüsse in Bauch und Oberschenkel lebensgefährlich verletzt. Am 20. August wurde in Hamburg ein Anhänger des "KRaratas-Flügels" von zwei unbekannten Tätern mit Totschlägern angegriffen. Am 22. August wurde In Frankfurt/Main ein Anhänger des "Yagan-Flügels" von einem in Frankreich aktiven Funktionär des Karatas-Lagers durch einen Bauchschuß lebensgefährlich verletzt. Am 5. September schossen drei mutmaßliche Anhänger des "Karatas-Flügels" in Hamburg einen Yagan-Anhänger aus kurzer Entfernung gezielt in die Beine und in den Unterleib. Die Übergriffe unterstreichen die hohe Gewaltbereitschaft in beiden Lagern der "Devrimci Sol". Weitere schwere Gewalttaten bis hin zur Tötung politischer Gegner können nicht ausgeschlossen werden, zumal beide Seiten mit Schußwaffen ausgerüstet In Schleswig-Holstein gibt es Anhänger beider Flügel der "Devrimci Sol", vor allem in Lübeck und Kiel. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern sind hier bislang noch keine gewaltsam ausgetragenen Flügelkämpfe der Organisation festgestellt worden. Dies dürfte züm einen an der geringen Anhängerzahl der - 79 - "Devrimci Sol" in Schleswig-Holstein (rund 30), zum anderen an der Bedeutungslosigkeit des hier vertretenen "Yagan-Flügels" liegen. Die in den letzten Jahren in Schleswig-Holstein festgestellten Aktivitäten der "Devrimci Sol" sind ausnahmslos von der DHKP-C ausgegangen. Auch innerhalb der "Türkischen Kommunistischen Partei (Marxisten-Leninisten)" (TKP(ML)) sind die Flügelkämpfe offensichtlich noch nicht abgeschlossen. Im Rahmen einer bundesweiten Durchsuchungsaktion am 10. Juli wurden umfangreiche Unterlagen des Zentralkomitees der TKP{ML) mit den Namen von 17 Personen sichergestellt, die wegen Verrats und Kollaboration zum Tode verurteilt worden sind. In den Unterlagen sind weitere 18 Personen aufgeführt, gegen die schwerwiegende Beschuldigungen erhoben werden. Erneute Bestrafungsaktionen bis hin zu Liquidierungen innerhalb der TKP(ML) sind daher nicht auszuschließen. Die Partei ist seit 1994 aufgrund interner Streitigkeiten in zwei Flügel gespalten, die unter den Bezeichnungen "Ostanatolisches Gebietskomitee" und "Partizan-Flügel" auftreten. In SchleswigHolstein tritt die TKP{ML) mit Aktivitäten nur selten in Erscheinung. 4 Linksextremistische türkische und kurdische Organisationen solidarisierten sich mit einem am 3. Februar in Kiel erschossenen Aleviten Am 3. Februar kam es in Kiel-Gaarden zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen zwei Türken. Dabei wurde ein der alevitischen Glaubensrichtung angehörender Türke von einem rechtsgerichteten Landsmann erschossen. Sowohl der Schütze als auch der Getötete waren bisher nicht extremistisch in Erscheinung getreten. In Flugblättern linksextremistischer türkischer und kurdischer Organisationen wurde der Schütze als Anhänger der "Grauen Wölfe" und "einer der führenden Kader der MHP ('Partei der Nationalen Bewegung') in Kiel" bezeichnet. In den Flugblättern wurden auch Parallelen zu den Ereignissen am 3. September 1995 in Neumünster gezogen. Damals war bei Auseinandersetzungen zwischen Türken und Kurden ein Anhänger der "Ar- - 80 - beiterpartei Kurdistans" ({PKK) von einem rechtsgerichteten Türken erschossen worden. An einem Trauermarsch für den Getöteten am 8. Februar in Kiel nahmen 4 000 (Veranstalter: 7 000) Personen teil. Bei Vorkontrollen wurden verschiedene Schlagwerkzeuge sichergestellt. Unter den Teilnehmern befanden sich zahlreiche Anhänger der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei", der "Türkischen Kommunistischen Partei (Marxisten-Leninisten)", der "Devrimci Sol", der "Föderation der Demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V.", der PKK sowie Deutsche aus der Autonomen-Szene. Um unerkannt zu bleiben, hatten sich einige Fahnenträger der "Devrimci Sol" vermummt. Die Veranstaltung verlief ohne Zwischenfälle. (r) 5 Extremistische islamische Organisationen 5.1 Wesen des "Islamnismis" Insbesondere durch die schrecklichen Anschläge auf Touristen im September und November In Ägypten sowie die immer neuen Massaker unter der Zivilbevölkerung In Algerien sind radikal-islamische Gruppen 1997 wieder stärker in den Blickpunkt der Weltöffentlichkelt gerückt. Die von der ägyptischen "Gamaa Islamija"" bzw. vermutlich den algerischen "Bewaffneten Islamischen Gruppen" (GIA) verübten Gewalttaten sind selbst im Iran und bei gemäßigten islamischen "Organisationen auf Ablehnung gestoßen. Die (c) "Gamaa Islam1ja" und die GIA sind Anhänger einer radikalen Entwicklung des Islan, der auch als "Islamismus" bezeichnet wird. Der "Islamismus" unterscheidet sich grundlegend vom traditionellen Islam als Religion. "Islamisten" geht es darum, den Islam für politische Zwecke zu instrumentalisieren. Der Islam soll als Herrschaftsmittel eingesetzt werden und Machtansprüche begründen. Ziei der "Islamisten" ist die Errichtung eines islamischen Gottesstaates, der'allein auf islamischem Recht, dem Koran und der Scharia (Gesamtheit des isiamischen Rechts), basiert, Westliche Wertesysteme, wie Demokratie, Pluralismus und das Parteiensystem - zumindest das Mehrparteiensystem - werden von ihnen abgelehnt. Diese Haltung steht im Widerspruch zu den - 81 - Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hinzu kommt eine stark ausgeprägte anti-jüdische und anti-zionistische Haltung sowie fehlende Dialogbereitschaft. "Islamisten" bekämpfen die jeweilige Regierung und Gesellschaftsordnung in ihren Heimatländern, die sie als "unislamisch" betrachten. Darüber hinaus streben wenigstens einige islamistische Organisationen perspektivisch die Islamisierung der gesamten Welt an. Innerhalb der islamischen Welt bilden die "Islamisten" allerdings nur eine Minderheit. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachten weder den Islam als Religion noch insgesamt die im Bundesgebiet tätigen islamischen Organisationen. Ihrem gesetzlichen Auftrag unterliegen nur solche islamischen Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind oder die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (islamischer Extremismus). 5.2 Extremistische islamische Organisationen in Deutschland Im Bundesgebiet sind derzeit 17 extremistische islamische Organisationen tätig. Mit rund 32 000 Mitgliedern/Anhängern stellen sie das gröfite Mitgliederpotential unter den extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland. Es ist allerdings davon auszugehen, daß sich deren Mitglieder/Anhänger nicht alle mit den extremistischen Zielsetzungen ihrer Mitgliedsorganisationen identifizieren. Größte und bedeutendste der extremistischen islamischen Organisationen in Deutschland ist nach wie vor die 1995 aus der "Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) hervorgegangene "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) mit bundesweit 25 500 Mitgliedern. Ihr Ziel ist die Abschaffung der laizistischen Staatsordnung (Trennung von Staat und Kirche) in der Türkei und die Einführung eines auf dem Koran und der Scharia basierenden Regierungsund Gesellschaftssystens, das sie auch als "gerechte Ordnung" umschreibt. Diese Veränderungen werden nicht mit gewaltsamen Mitteln angestrebt, sondern durch - 82 --aktive politische und gesellschaftiiche Betätigung ihrer Mitglieder. Nicht unwesentiich trägt dazu auch dle finanzielle Unterstützung der - zwischenzeitlich verbotenen - islamischfundamentalistischen "Wohlfahrtspartel" in der Türkei bei, an der sie sich orientiert. Daß das von der ehemaligen AMGT verfolgte Ziel einer weltweiten Islamislerung nach der Umbenennung der Organisation aufgegeben worden ist, läßt sich nicht sagen. Entsprechenden Äußerungen von Funktionären der Vorgängerorganisation ist die IGMG bislang nicht überzeugend entgegengetreten. in den letzten Jahren ist die IGMG insgesamt um ein äußerlich unangreifbares Erscheinungsbild bemüht. So werden derzeit insbesondere die früher zu verzeichnen gewesenen offen antisemitischen Äußerungen sowie abfällige Bemerkungen über westliche Gesellschaftssysteme vermieden. (c): Die IGMG verfügt über eizen umfangreichen Immobilienbesitz, der nach eigenen Angaben einen Wert von 60 bis 80 Millionen DM darstellt. Die IGMG widmet sich bei Ihrer zlielgruppenorientlerten Arbeit insbesondere der Erziehungsund Bildungsarbeit unter Jugendlichen. Dazu bietet sie ein breites Spektrum von Freizeitaktivitäten an. Sie versucht dadurch, Jugendliche in ihrem Sinne zu beeinflussen und sie westlichen Einflüssen zu entziehen. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist der Ausbau ihrer Organisation und der Bau neuer Moscheen. In Schleswig-Holsteln gibt es Zweigstellen der IGMG und mit ihr kooperierende türkische vereine mit rund 400 Mitgliedern. Ihnen (r) sind Moscheen angeschlossen. Die Erzlehung türkischer Jugendlicher in dem von ihr vertretenen islamischen Sinne bildet auch in Schleswig-Holstein einen wesentlichen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Dies geschieht unter anderem durch Koranschulungen in ihren Einrichtungen. Öffentliche Aktivitäten der IGMG bzw. ihr nahestehender türkischer Vereine in Schleswig-Holstein sind dagegen selten. Als mit Abstand radikalste islamische Organisation im Bundesgebiet trat wiederum der rund 1 300 Mitglieder umfassende "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln" (ICCB) auf. Der ICCB propagiert den gewaltsamen Sturz des laizisti- - 83 - schen türkischen Staatsgefüges und die Errichtung eines islanischen Systems (Gottesstaat) in der Türkei. Er strebt darüber hinaus einen "Kalifenstaat"" als weltweiten Zusammenschluß aller Muslime an. Demokratische Staatsformen und das Parteilensystem westlicher Länder werden vom ICCB abgelehnt. Er propagiert "den Koran als Verfassung, die Scharia als Gesetz und den Islam als Staat" ("Ümmet-i Muhammed", Nr. 145 vom 2. Juli 1996). In seinen Schriften wird unverhohlen Haß gegen Juden geschürt und zum Kampf gegen "Ungläubige" aufgerufen. Die Regelung der Nachfolge des 1995 verstorbenen langjährigen Verbandsvorsitzenden Cemaleddin Kaplan führte zu Machtkämpfen und Mitgliederverlusten im ICCB. Höhepunkt der Auseinandersetzungen um die Vorherrschaft im ICCB war die Ermordung eines abtrünnigen Verbandsaktivisten am 8. Mai in Berlin. Es gibt Anhaltspunkte, daß die Tat von Mitgliedern des Verbandes veranlaßt oder verübt worden ist. Im Or'gan des ICCB "Ümmet-i Muhammed" (Nr. 14 vom 19. Juii) war indirekt seine Tötung angekündigt worden. Am 9. September wurden 15 Objekte des ICCB von der Polizei durchsucht, darunter auch drei Moscheen. In Schleswig-Holstein gibt es nur Einzelanhänger des ICCB. Von den zur Gewalt neigenden islamistischen Gruppen, wie der pro-iranischen "Hizb Allah" (Partei Gottes) und der "Islamischen Widerstandsbewegung" (HAMAS), die für folgenschwere gegen Israel gerichtete Anschläge verantwortlich sind und über Strukturen und Anhänger in Deutschland verfügen, gehen derzeit keine Gefahren für die Innere Sicherheit aus. Sie beschränkten sich bei ihren Aktivitäten auf demonstrative und propagandistische Aktionen. 420 - Bi - Entwicklung der Mitglieder-/Anhängerzahlen der extremistischen Ausländerorganisationen in Schleswig-Holsteln und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1995 bis 1997 " 1995 1996 1997 Türkische Organisationen - linksextremistische Gruppen 110 130 120 - islamisch-extremistische Gruppen 400 400 400 - extrem-nationalistische Gruppen 250 300 350 Kurdische Organisationen 600 650 700 Iranische Organisationen 40 40 40 Arabische Organisationen 100deg 90 70 Gesamt Land - 1 500 1 610 i 680 Gesamt Bund 55 100 57 300 58 200