[5iS Li Schleswig-Holsteinischer Landtag Drucksache 14/637 1 14.Wahlperiode 08.04.97 Bericht der Landesregierung Verfassungsschutzbericht 1996 Federführend ist der Innenminister. Inhaltsverzeichnis Seite I. Allgemeines über den Verfassungsschutz 1 Rechtliche Grundlagen und Aufgaben 1 2 Organisation, Personal, Haushalt 3 II. Rechtsextremismus 1 Allgemeine Merkmale des Rechtsextremismus 4 2 Überblick 5 '3 Schwerpunkte rechtsextremistischer Agitation 6 3.1 Rechtsextremisten als angebliche Wahrer von Freiheitsrechten 8 3.2 Sozialund wirtschaftspolitische Themen sollen aus der politischen Isolierung führen 9 4 Neonazismus 13 4.1 Die "Norddeutsche Bewegung" (NDB) 14 4.1.1 "Einheit und Kampf" (EuK) nur zeitweilig Organ des "Progressiven Nationalismus" 14 4.1.2 Aktionen anläßlich des Todestages von Rudolf Heß brachten Goertz und die NDB ins politische Abseits im rechten Lager 16 4.2 Aktivitäten im Umfeld der verbotenen "Nationalen Liste" (NL) 17 4.3 ."Junge Nationaldemokraten" (JN) als Bindeglied zwischen dem Neonazi-Spektrum und der '"Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und deren Umfeld 18 5 Rechtsextremistische Parteien . 21 5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 21 5.2 "Deutsche Liga für Volk und. Heimat" (DLVH) 24 5.3 "Die Republikaner" (REP) 26 5.4 "Deutsche Volksunion" (DVU) 28 II Seite Nicht organisationsgebundene gewaltorientierte Rechtsextremisten, insbesondere Skinheads 29 Aktivitäten in Schleswig-Holstein 30 Skinhead-Musik als "Einstiegsdroge"" für rechtsextremistische Ideologie 32 Rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste 35 "Nord-Versand" 36 "Leserland Nord" 36 "Buchdienst Nord" 37 "Verlag für ganzheitliche Forschung" 37 "Versandbuchhandlung Gisela Stiller" 37 "ARNDT-Buchdienst/Europa-Buchhandlung" 37 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 38 "Arbeitskreis für deutsche Politik" (AfdP) 39 Ds "Der Stahlhelm e. V." 39 "Gemeinschaft Ostund Sudetendeutscher Grundeigentümer und Geschädigter" (GOG) 39 Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1992 bis 1996 41 III Seite III. Linksextremismus Überblick 42 Linksextremistischer Terrorismus 43 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 43 Selbstgestellung von Christoph Seidler 43 Neue Verlautbarungen der Illegalen der RAF 43 2.1.3 Inhaftierte der RAF 47 2.1.4 RAF-Umfeld 49 2.2 Antiimperialistischer Widerstand 49 2.2.1 "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) 49 2.2.2 Übriges antiimperialistisches Spektrum 50 "Rote Hilfe e. V." 52 Autonom-anarchistische Szene 53 4.1 Organisierung und Vernetzung der Szene 54 4.2 Besondere Aktionsfelder 57 4.2.1 Anti-Atomkraft 57 4.2.2 Antifaschismus 59 4.2.3 Entwicklung im "radikal"-Verfahren 60 4.2.4 Beeinflussung des Lübecker Brandprozesses durch linksextremistische Gruppierungen 61 Situation der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein 62 4.3.1 Potential und Strukturen 62 4.3.2 Entwicklung der Gewalttaten in Schleswig-Holstein 63 Dogmatischer Linksextremismus 63 Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen In Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1994 bis 1996 65 IV Seite IV. Extremistische Bestrebungen von Ausländern Überblick 66 Aktivitäten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 67 Protestund Gewaltaktlonen linksextremistischer Türken 71 Entwicklung der Mitglieder-/Anhängerzahlen der extremistischen Ausländerorganisationen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1994 bis 1996 73 I. Allgemeines über den Verfassungsschutz l Rechtliche Grundlagen und Aufgaben Verfassungsschutz ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die Zusammenarbeit wird im "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz" vom 20. Dezember 1990 geregelt. Die Länder haben ihrerseits Verfassungsschutzgesetze erlassen. In Schleswig-Holstein ist dies das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein" vom 23. März 1991 (Gesetzund Verordnungsblatt für SchleswigHolstein Seite 203). deg Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, die Landesregierung und andere zuständige Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des. Bundes oder der Länder zu unterrichten. Zur Erfüllung dieser Aufgabe ist die Verfassungsschutzbehörde befugt, sachund personenbezogene Informationen zu sammeln und auszuwerten über - Bestrebungen, die gegen diese Grundordnung oder den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, - Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht. Unter Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organisationen, unorganisierten Gruppen, aber auch von einzelnen Personen zu verstehen, die sich gegen Grundprinzipien der Verfassungsordnung richten. Hinzu kommen muß eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber diesem Grundbestand von Werten und Rechten unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung. Derartige Bestrebungen werden als "extremistisch" oder "verfassungsfeindlich" bezeichnet. Eine wertneutrale oder kritische Haltung dem Staat gegenüber kann niemals Gegenstand der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde sein. Ihre Informationen gewinnt die Verfassungsschutzbehörde zum weit überwiegenden Teil aus sogenannten offenen Quellen. Sie sind für jedermann zugänglich: Zeitungen, Flugblätter, Programme, Broschüren, Werbematerialien. Auch durch den Besuch öffentlicher Veranstaltungen oder durch die Auswertung von Rundfunkund Fernsehsendungen und Veröffentlichungen in Mailboxen oder im "Internet" können solche Informationen gewonnen werden. Allerdings würde allein durch die Sammlung offen zugänglicher . Informationen oftmals nur ein unvollständiges Bild entstehen. Um getarnte oder geheimgehaltene Aktivitäten näher ergründen und beobachten zu können, ist der Verfassungsschutzbehörde der Einsatz sogenannter nachrichtendienstlicher Mittel erlaubt. Hierzu gehören z. B. der Einsatz von V-Leuten (Vertrauensoder Verbindungsleute in extremistischen Parteien oder Organisationen), die heimliche Beobachtung (Observation) und das Anfertigen von Bildund Tonaufzeichnungen. Unter ganz engen, gesetzlich normierten Voraussetzungen kann auch die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs erfolgen. Eine bloß mitwirkende Funktion hat die Verfassungsschutzbehörde beim vorbeugenden persone..en und materiellen Geheimschutz. Der Verfassungsschutz unterstützt hierbei Behörden und außerbehördliche Stellen bei der Überprüfung von Geheimnisträgern und Personen, die in sicherheit +-"indiichen Bereichen tätig sind und berät sie, wie Verschlus,sachen durch technische oder organisatorische Sicherheitsmaßnahmen geschützt werden können. Der Verfassungsschutz ist in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich als Beobachtungsbehörde eingerichtet; er ist strikt von der polizeilichen Exekutive getrennt. Die Mitarbeite- rinnen und Mitarbeiter der Behörde haben keinerlei polizeilichexekutive Befugnisse. Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt neben der Rechtsund Fachaufsicht und entsprechenden innerbehördlichen Maßnahmen umfangreichen und vielfältigen Kontrollen, die sicherstellen, daß die Aufgaben nur in dem gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen wahrgenommen werden. Diese Kontrolle wird in erster Linie vom Parlament durch die Parlamentarische Kontrollkommission, im Einzelfall durch eine Beauftragte oder einen Beauftragten für den Verfassungsschutz, aber auch von den Gerichten, dem Landesbeauftragten für den Datenschutz, dem Landesrechnungshof und der Öffentlichkeit wahrgenommen. 2 Organisation, Personal, Haushalt Der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein ist als eine Abteilung des Innenministeriums organisiert, die sich in folgende Referate gliedert: - Verwaltung, Rechtsund Grundsatzfragen, Datenschutz - Auswertung Rechtsextremismus, Öffentlichkeitsarbeit - Auswertung Linksextremismus einschließlich Ausländerextremismus, Spionageabwehr - Geheimund Sabotageschutz - Nachrichtenbeschaffung In der Verfassungsschutzabteilung sind zur Zeit 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließlich Schreibund Verwaltungskräften tätig. Für Zwecke des Verfassungsschutzes standen 1996 1,1 Millionen DM an Haushaltsmitteln zur Verfügung. Die Personalkosten sind in diesem Ansatz nicht enthalten; sie werden bei den entsprechenden Personalkostentiteln des Ministeriums ausgewiesen. II. Rechtsextremismus 1 Allgemeine Merkmale des Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus verneint aus einer rassistischen und anti-liberalen Grundhaltung heraus die fundamentale Gleichheit aller Menschen. Die offene Staatsbürgergesellschaft ist ihm fremd. Die bestimmenden Merkmale des Rechtsextremismus sind übersteigerter Nationalismus, der meist mit rassistischen Vorstellungen einhergeht, und hiermit im Zusammenhang die Überbewertung der kollektiven Interessen einer autoritär zu führenden Volksgemeinschaft, deren Zugehörigkeit nach insbesondere rassistischen Kriterien bestimmt wird. Über 50 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes spielt auch der Revisionismus weiterhin eine gewichtige Rolle: Rechtsextremisten versuchen immer wieder, die vermeintlich positiven Leistungen des Dritten Reiches herauszustellen und die NS-Verbrechen als "Siegerpropaganda" zu leugnen. In Ermangelung einer gemeinsamen Ideologie bietet der Rechtsextremismus ein vielfältiges Erscheinungsbild. Im Endeffekt stehen alle rechtsextremistischen Erscheinungsformen in einem unüberbrückbaren Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die auf Gleichheit und Freiheit beruht. während die Intensität der nicht verfassungskonformen Zielsetzungen bei den verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen stark varilert, ist die ständige Diffamierung des bestehenden demokratischen Staatssystems ein verbindendes Element. Sowohl Neonazis als auch Rechtsextremisten aus dem Parteienspektrum thematisieren verstärkt sozlalund wirtschaftspolitische Fragen. Sie verknüpfen soziale Fragen mit rechtsextremistischen Ideologieelementen und versuchen, soziale Problemfelder im Sinne ihrer fremdenfeindlichen Argumentation zu nutzen. Damit erhoffen sie sich, in der Bevölkerung und in der allgemeinen politischen Auseinandersetzung akzeptiert zu werden. Die Formel lautet: das bestehende System ist für alle Probleme verantwortlich; die Lösung läuft in der Regel auf die Forderung "Ausländer raus" hinaus. Dieser nationallstische Populismus ist in der aktuellen wirtschaftlichen und sozialen Umbruchsituation eine Strategie, die durchaus in der Lage sein könnte, rechtsextremistischen Parteien und Organisationen einen stärkeren öffentlichen Zuspruch zu bringen. " 2 Überblick Durch das Ausbleiben spektakulärer Anschläge und den weiteren Rückgang rechtsextremistischer Gewalttaten wurde dem Rechtsextremismus 1996 eine geringere publizistische Aufmerksamkeit zuteil. Auch durch die Abwahl der rechtsextremistischen Parteien aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag steht der Rechtsextremismus hier nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses. Aber die Mitgliederzahlen und die zunehmende Militanz von Kleingruppen zeigen, daß die Entwicklungen im Rechtsextremismus weiterhin sorgfältig beobachtet werden müssen, um die Gesellschaft auf dieses anti-pluralistische Phänomen aufmerksam zu machen und dem Staat die Möglichkeit zu geben, rechtzeitig Abwehrkonzepte zu entwickeln. ' Die Gesamtzahl von rund 45 000 Mitgliedern auf Bundesebene in rechtsextremistischen Vereinigungen hat sich gegenüber 1995 kaum verändert. In Schleswig-Holstein gibt eg einen Rückgang bei den rechtsextremistischen Parteien und den Skinheads um rund 200 auf 1 500. Dagegen zeichnet sich eine leichte Zunahme bei den nicht-organislerten Rechtsextremisten ab. Parallel zu den zurückgehenden rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten hat sich auch die Gesamtzahl der erkannten rechtsextremistisch orientierten gewaltbereiten, überwiegend der Skinhead-Szene zuzurechnenden Jugendlichen und Heranwachsenden, verringert. Bedenklich ist jedoch die große Resonanz, die nationalistische, rassistische, antisemitische und gewaltverherrlichende Musikproduktionen nach wie vor finden - trotz einer Reihe von Exekutivmaßnahmen gegen Produzenten und Händler. Im Neonazismus kam es zu Kräfteverschiebungen. Während die sogenannten progressiven Nationalisten in diesem Umfeld an Einfluß verloren, bauten die am herkömmlichen Neo-Nationalsozialismus orientierten Aktivisten ihre Stellung aus. Das Parteienspektrum erscheint gespalten: während "Republikaner" und "Deutsche Volksunion" sich vordergründig moderat geben, sind bei der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" zunehmend aggressivere Töne wahrzunehmen. 3 Schwerpunkte rechtsextremistischer Agitation Im Vordergrund der Bemühungen um mehr politischen Einfluß stand der Versuch der rechtsextremistischen Parteien, Bündnisse zu bilden. Diese scheiterten bislang weitgehend an machtpolitischer Taktiererei und persönlichen Animositäten. Auch durch den Wahlerfolg der "Republikaner" bei der baden-württembergischen Landtagswahl im März 1996 haben sich die Aussichten für umfassende Bündnisse der rechtsextremistischen Parteien weiter verschlechtert. Eine Einbeziehung der "Republikaner" und der "Deutschen Volksunion" in von der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" propagierte Bündnisse ist nicht zu erwarten. Obwohl die Neonazis sich nach den Aktionen anläßlich des Todestages von Rudolf Heß, insbeso tere nach dem Marsch in Worms, im Aufwind sehen, zeigen die ger.nge Beteiligung und mehrere Konkurrenzveranstaltungen, daß von dem behaupteten "Marsch der nationalen Einheit" keine Rede sein kann. Bei einigen Rechtsextremisten setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, daß mit den alten Politikfeldern und den bisherigen Organisationsund Aktionsformen eine "Systembeseitigung" nicht möglich ist. So stellt beispielsweise die rechtsextremistische Publikation "EUROPA VORN" in ihrer Ausgabe Nr. 112 vom Januar 1997 fest: u "Die wahlpolitischen Aussichten sind schlecht. Die Hauptaufgaben einer sozialpatriotischen Erneuerung liegen heute woanders, abseits von parteiund tagespolitischem Geplänkel: nämlich im Aufbau einer Kulturund Geistesbewegung. Es geht um den Erhalt Europas als Vielfalt von Kulturnationen, es geht um die Verteidigung der Lebenswelten einfacher Menschen vor dem alles erdrückenden Zugriff seitens der 'unsichtbaren Hand', es geht um den Aufbau einer breiten und weitgefächerten Kulturbewegung zur Verteidigung menschlicher Werte und eines unverzichtbaren Maßes an Lebensqualität. Dies erfordert neue Allianzen, neue Denkansätze, das Hinterfragen eingefahrener Überzeugungen und ein Maß an Offenheit und Toleranz, das nicht immer jedem leicht fällt." Auch das "Nationale Info-Telefon Schleswig-Holstein" propagiert in seiner Ansage vom 31. Dezember 1996 neue Wege: "Das kommende Jahr bietet genügend Ansätze für eine wirkungsvolle Politik der nationalen Opposition. Zunächst sollte sich aber jeder bewußt sein, daß Nationalismus 'Volksliebe' bedeutet. Nicht unsere eigenen Interessen, sondern die unseres Volkes stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Die dringendsten Probleme sind dabei die soziale Krise, die ausufernde Kriminalität, die zunehmende Mißachtung von Grundund Menschenrechten sowie die beabsichtigte Erzwingung des Euro... Insbesondere die rechten Parteien haben sich leider als unfähig erwiesen, diese Aufklärung durchzuführen. Richtungsweisend sind dagegen die Erfolge der Bürgerinitiativen z. B. gegen die Rechtschreibreform, die einmal mehr zeigen, daß vor allem hierarchieund bürokratiefreie Gruppen flexibel und handlungsfähig sind." Die verschiedenen "Natlonalen Info-Telefone" fügen sich in diese veränderte rechtsextremistische Strategie nahtlos ein. Durch einfache technische Mittel - Telefonanschluß und Anrufbeantworter - gelingt es, auch Personen anzusprechen, die noch nicht in die rechtsextremistische Szene eingebunden sind. Eine ähnlich niedrige Schwelle für den Zugang zur rechten Szene eröffnen auch neue Medien wie z. B. das "Internet". Dessen Vorteil liegt darin, Berührungsängste zwischen unterschiedlichen Strömungen zu überwinden, weil direkter Kontakt nicht erforderlich ist. Sie treiben eine Art geistige Vernetzung voran, indem sie den Informationsaustausch begünstigen und auf unsichtbarer Ebene ei- ne inhaltliche Verbindung zwischen verschiedenen Gruppierungen schaffen. 3.1 Rechtsextremisten als angebliche Wahrer von Freiheitsrechten . Bereits 1995 zeichneten sich vereinzelt Schritte zum Aufbau einer "Anti-Repressions-Kampagne" ab. Die Agitation gegen angebliche staatliche Repression und die Vorenthaltung der Meinungsfreiheit wurde seitdem intensiviert. So hatten die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), die Jugendorganisation der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), den "Heß-Aktionsmonat'" mit dem Motto "Versammlungsfreiheit statt Verbote" in diesen Zusammenhang gestellt. Die NPD behauptete in einer Pressemitteilüng vom 18. August 1996, anläßlich des Todestages von Heß am 17. August seien die Menschenrechte und die nationale Würde in Deutschland wieder mit Füßen getreten worden. In Worms seien über 200 nationale Jugendliche festgenommen und in Polizeigewahrsam verbracht worden, weil sie von ihrem Grundrecht Gebrauch gemacht hätten, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für die Festnahmen habe es keinerlei rechtliche Grundlage gegeben. Es habe zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise die geringste Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestanden, es sei denn durch das völlig unbegründete rechtswidrige Eingreifen der Polizei. Die Demonstranten hätten aber eiserne Disziplin und staatsbürgerliches Verantwortungsbewußtsein bewiesen, indem sie keinen Widerstand gegen ihre zum Teil entwürdigende Festnahme geleistet hätten. Die Rechtsabteilung der Partei stelle fest, daß angesichts solcher Zustände von einem wirklichen Rechtsstaat nicht die Rede sein könne. Vor allem aber könne aus dem aufgezeigten Verhalten geschlossen werden, daß die Beseitigung von Grundrechten für bestimmte politische Gruppierungen, namentlich für die nationale Opposition, beabsichtigt sei. Wer aber die Beseitigung von Grundrechten plane, plane auch die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Deutschland. Dagegen hätten alle Deutschen nach Artikel 20 Grundgesetz das Recht auf Widerstand. Ähnlich argumentiert der Neonazi Christian Worch, Hamburg, in den "Nachrichten der HNG" (HNG = "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V.") vom Februar 1996: "Denn wenn es konsequent und kontinuierlich so weitergeht, wird sich eines Tages die Frage stellen, ob die Voraussetzungen des Artikel 20 Abs. 4 Grundgesetz erreicht sind." Eine am 17. Mai 1996 in einer großen überregionalen Tageszeitung geschaltete Anzeige mit dem Titel "Appell der 100 - die Meinungsfreiheit ist in Gefahr!" kann als Beleg dafür gesehen werden, daß die rechtsextremistische Argumentation auch außerhalb rechtsextremistischer Kreise Gehör finden könnte. Initiiert wurde diese Aktion von einer rechtsextremistischen Organisation, auf die im Text der Anzeige nicht hingewiesen wird. Vor diesem Hintergrund sind .auch Solidarisierungen des "Nationalen Info-Telefons Schleswig-Holstein" (NIT) mit "Scientology" zu sehen. Laut NIT-Ansage vom 2. Juli 1996 erinnere der Umgang mit "Scientology" stark.an die mittelalterliche Hexenverfolgung. Es wird ein Zusammenhang mit dem staatlichen Vorgehen gegen Rechtsextremisten angedeutet und behauptet, es scheine in der deutschen Tradition zu liegen, unbequeme Meinungen und Gruppen zu diskriminleren und zu verbleten. Eine konkrete Gefährdung der Inneren Sicherheit kann daraus entstehen, daß der "Kampf gegen staatliche Repression" weiterhin mit dem Widerstandsrecht verknüpft und so als Legitimationsgrundlage zur Gewaltanwendung gegen den Staat verstanden wird. 3.2 Sozialund wirtschaftspolitische Themen sollen aus der politischen Isolierung führen Aufgrund ihrer rückwärtsgewandten Themen verfügen Rechtsextremisten innerhalb der Bevölkerung nur über eine geringe Akzeptanz. Sie versuchen daher verstärkt, diese durch das Aufgreifen tagespolitischer Themen zu erhöhen. Insbesondere die Thematisierung sozialund wirtschaftspolitischer Fragen soll aus der politi- - 10 - schen Isolation herausführen. Diese Neuorientierung beinhaltet zwar nicht den völligen Verzicht auf bekannte Argumentationen, aber eine neue Gewichtung. Das "Nationale Info-Telefon Rheinland" bringt in seiner Ansage vom 5. April 1996 diese Strategie auf den Punkt: "Die große Bedrängnis, in der sich das kapitalistische System befindet, muß jetzt von uns ausgenutzt werden, uns als echte politische Alternative in die Wahrnehmung des Volkes zu bringen." Gelegentlich werden soziale Probleme dabei mit rechtsextremistischen Ideologiefragmenten angereichert. So läßt ein Beitrag in der der "Deutschen Volksunion" zuzurechnenden "Deutschen National-Zeitung" (Nr. 46/96) einen latenten Antisemitismus erkennen: "Deutlich erweitert wurde jüngst der Kreis jüdischer Leistungsempfänger im Rahmen der deutschen Rentenversicherung. Zusatzabkommen ... gewähren nun auch Juden Rentenzahlungen... Angesichts des Milliardenlochs in den deutschen Rentenkassen ... stellt sich die Frage, wie derartige erhebliche Zusatzleistungen aus Mitteln der deutschen Solidarkassen zu finanzieren sind." Die Argumentation der JN anläßlich einer Demonstration am 1. Mai 1996 in Berlin macht ebenfalls den ausländerfeindlichen und rechtsextremistischen Hintergrund deutlich, wenn dort skandiert wurde: "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche". Bei der NPD wurden verstärkt anti-kapitallstische mit rechtsextremistischen Thesen verquickt. So heißt es in ihrem Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 9/96) unter der Überschrift "Großkapital vernichtet weitere Arbeitsplätze": "Für eine gerechte Arbeitsmarktpolitik - NPD kämpft für das Recht auf Arbeit und gegen die kapitalistische Ausbeutungspolitik." - 11 - Weiter heißt es: "Ausländer und Asylanten strömen auch weiterhin in unser Land und wollen Sozialleistungen oder irgendwann Arbeit! Deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bleiben auf der Strecke. Dies darf so nicht weitergehen! wir brauchen eine nationale Wirtschaftsordnung, in der die Unternehmen dem Volke verpflichtet sind." In derselben Ausgabe wird an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß die NPD die Sorgen und Nöte der arbeitenden und auch der arbeitslosen Deutschen sehr ernst nehme. Sie wolle ganz bewußt die "soziale Frage" in den Mittelpunkt ihrer Politik stellen. Unter dem Motto "Gegen System und Kapital - unser Kampf ist national!" habe man im Mai d. J. eine sozialpolitische Kampagne der NPD und der JN gestartet. Da sich das Thema "Sozialund Wirtschaftspolitik" auch in modernisierte Rechtsextremismus-Vorstellungen einbeziehen läßt, die in Norddeutschland unter der Bezeichnung "Progressiver Nationalismus" von dem Neonazi Andr& Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), propagiert werden, wird es ständig in Ansagen des von ihm betriebenen NIT Schleswig-Holstein verwendet. Rechtsextremistische Polltikinhalte werden weitaus subtiler als bei der NPD vermittelt. Ein Beispiel bietet die NIT-Ansage vom 12. April 1996, in der der Niedergang des "herrschenden Systems" durch zahlreiche Beispiele belegt werden soll. In dieser Aufzählung wird - scheinbar nachrangig - auch die "Problematik der Überfremdung" angesprochen: "Jährlich steigen die Zahlen der Ausländer immer weiter, inzwischen auf offiziell 7,2 Millionen. In Wirklichkeit leben durch die illegalen Besatzungstruppen, Asylbewerber, de-facto-Flüchtlinge bereits über 8 Miliionen Ausländer in Deutschland. Die Problematik der EU hat dazu geführt, daß Deutsche ihre Arbeit verlieren, weil Billigarbeiter aus der EU oder aus den Ostbiockländern beschäftigt werden. Ihr Arbeitsmarkt ist schon kaputt: Jetzt kommen sie hierher und gefährden unsere Arbeitsplätze." Dieses Szenario wird dann abschließend wie folgt kommentiert: "Nur diese wenigen Beispiele zeigen, daß die Lage absolut hoffnungslos ist. Für die Bundesrepublik Deutschland gibt es keine Chance auf Überleben. Folglich bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder das Sy'stem bricht zusammen und das deutsche Volk schafft sich ein neues System, was wir uns wünschen. Die Herrschenden vertreten aber die Nachkriegsordnung, also ein Deutschland der alliierten Siegermächte unter ständiger Einbindung in den kapitalistischen Westen. Damit dies auch zukünftig der Fall ist, wollen die Herrschenden die Bundesrepublik an die Europäische Union abgeben und sie sozusagen als Konkursmasse von ihr verwalten lassen. Das ist der wahre Grund, warum unsere Politiker allesamt dieses Maastricht-Europa wollen." Die NIT-Ansage vom 23. April 1996 weist auf Einbeziehung in die oben genannte sozialpolitische Kampagne der NPD und der JN hin, in der für deren "1.-Mai-Demonstration" mit anti-kapitalistischer Zielrichtung wie folgt mobilisiert wird: "Wirklich linke Kräfte sollten sich deshalb der nationalen Kundgebung anschließen und mit uns gegen das System demonstrieren." Auf dieser Linie llegt auch die NIT-Ansage vom 17. Mai 1996: "Die wirtschaftliche und soziale Situation in der Bun-., desrepublik spitzt sich weiter zu.., Zur Zeit gibt es viele Hinweise darauf, daß es zu einer wirklichen sozialen Krise mit harter: Machtkämpfen zwischen Regierung, Arbeitgebern und Gewerkschaften kommen könnte. Auch ein Generalstreik wird nicht mehr ausgeschlossen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, sollte die nationale Bewegung die Gunst der Stunde nutzen und massiv ihre politischen Forderungen nach einer Systemalternative einbringen. Der Bevölkerung muß aufgezeigt werden, daß keine der systemtragenden Organisationen den bevorstehenden Exitus des BRD-Systems aufhalten kann. Die vor kurzem durchgeführte Aktionswoche gegen System und Kapital war dazu ein erster richtiger Schritt." (Anmerkung: Der letzte Satz bezieht sich _uf die Kampagne der JN zum 1. Mal.) Auch die organisationsunabhängige rechtsextremistische Publizistik widmet der "sozialen Frage" zunehmende Aufmerksamkeit. In der Publikation "EUROPA VORN" vom 1. Juni 1996 bezeichnet ein - 13 - bekannter "Vordenker" die soziale Frage als das Thema von morgen, sie müsse Tag für Tag neu gestellt werden. In der Publikation "Staatsbriefe" (Nr. 4/96) heißt es in einem Artikel, der sich unter anderem mit den Folgen eines Werftenzusammenbruchs in Norddeutschland befaßt, als deren Verursacher der Verfasser "EU, Maastricht und Multi-Kulti" sieht: "Die sozialen Fragen sind damit freilich nicht ausgestanden. Sie werden verstärkt wiederkommen wie eine anbrandende Sturmflut. Schon erklärte ein Gewerkschaftsführer, man könne nicht Supereuropäer sein und gleichzeitig in Deutschland eine soziale Wüste hinterlassen. Das wäre mit ihm nicht zu machen. Die Zeichen stehen auf Sturm." Die Hoffnung des Herausgebers der "Staatsbriefe" auf eine für nationalistische Bestrebungen förderliche Wirkung der zunehmenden sozialen Probleme läßt auch ein Artikel in der Ausgabe 12/96 erkennen. Dort wird die Verantwortung für die Staatsverschuldung und die daraus resultierenden Folgen den ehemaligen _ Besatzungsmächten und dem derzeitigen politischen System angelastet: "Die Massenarbeitslosigkeit ist nicht mehr zu bändigen, die Dämpfung ihrer Folgen nicht mehr zu bezahlen. Die Steuerschraube wird schon bei den Rentnern, Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern angezogen. Den Rest, die stillen privaten Geldreserven, soll der Euro 'verschlingen... Bonn scheint so wenig zu spüren wie vor ihm Pankow, daß sich zwischen den Herrschenden und den Beherrschten eine unüberbrückbare Kluft auftut... Überfällige Regime, die nicht abtreten, werden nicht mehr durch Revolution gestürzt, sondern durch Massendemonstrationen schachmatt gesetzt... Wir haben es erlebt in den großen Städten der DDR, in Prag und in Bukarest. In diesen Tagen bahnt sich ähnliches an in Belgrad. Kippt Bonn auf solche Weise noch vor dem Umzug nach Berlin?" 4 Neonazismus Die Situation des Neonazismus war auch im Jahre 1996 durch die Folgen der Organisationsverbote und anderer staatlicher Exekutivmaßnahmen gekennzeichnet. Neonazistische Organisationen, die mehr oder weniger offen an die Inhalte des Dritten Reiches an- - 14 - knüpfen, spielen in Schleswig-Holstein kaum noch eine Rolle. Wie in den Vorjahren kann sich die Betrachtung weitgehend auf Gruppen beschränken, die von ehemaligen Spitzenfunktionären der 1995 verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) und der "Nationalen Liste" (NL) gelenkt werden. 4.1 Die "Norddeutsche Bewegung" (NDB) Die von dem ehemaligen FAP-Funktionär Andr& Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), initiierte NDB hat sich im Berichtsjahr deutlich rückläufig entwickelt. Als Vorreiter bei den Vernetzungsbestrebungen in Theorie und Praxis ist es Goertz nicht gelungen, dauerhaft auf überregionale Entwicklungen Einfluß auszuüben, das gilt auch für Schleswig-Holstein und Hamburg. Neben den in seiner Person begründeten Angriffsflächen für politische Konkurrenten fanden seine inhaltlichen Vorstellungen nicht den von ihm gewünschten Anklang. Mit seinen Positionspapieren, die unter dem Oberbegriff "Progressiver Nationalismus" politische Schwächen des nationalen Lagers und seiner Akteure schonungslos benannten und Ansätze für einen modernisierten, von "ideologischem Ballast befreiten Rechtsextremismus" aufzeigten, verprellte er große Teile des neonazistischen Spektrums. Goertz' Probleme sind im wesentlichen auf sein gespanntes Verhältnis zu den "Jungen Nationaldemokraten" {JN), die ihm ein publizistisches Forum boten, zurückzuführen. Dafür waren zwei Faktoren maßgeblich: die Auseinandersetzungen um die inhaltliche Gestaltung der JN-Publikation "Einheit und Kampf" sowie der Verlauf der diesjährigen "Aktionen" anläßlich des Todestages von Rudolf Heß. 4.1.1 "Einheit und Kampf" (EuK) nur zeitweilig Organ des "Progressiven Nationalismus" . Seit Oktober 1995 hatte Goertz einen maßgeblichen Einfluß auf EuK gewonnen, eine bundesweit in relativ hoher Auflage (nach eigenen Angaben 4 500 Exemplare) verbreitete Zeitschrift. Die 1996 erschienenen zwei Ausgaben (Nr. 15/Februar und Nr. 16/Juni) verdeutlichten, daß die JN-Publikation sich zu - 15 - Goertz' Sprachrohr entwickelt hatte. Die Februar-Ausgabe setzte sich von den JN bereits im Editorial ab: EuK sei "kein Parteiblättchen oder Hauspostille ..., sondern das einzige unabhängige Nachrichtenmagazin im gesamten nationalen Widerstand". Die Juni-Ausgabe ließ die JN noch mehr in den Hintergrund treten. Im Editorial hieß es nun: Euk sei "Teil" des "Nationalen Informationszentrums". (Anmerkung: Das angebliche "Nationale Informationszentrum" dient Goertz dazu, die von ihm dominierten Publikationen zu bündeln, ohne daß organisatorische Strukturen entstanden sind. Insofern ist das Informationszentrum eine Variante der im rechtsextremistischen Spektrum weitverbreiteten Taktik, durch fingierte Organisationsbezeichnungen die tatsächlichen Hintergründe zu verschleiern oder ein größeres Potential vorzutäuschen.) In dieser Ausgabe werden wiederum verschiedene Aspekte des "Progressiven Nationalismus" dargestellt. So wird z. B. die Bündelung aller Kräfte im Kampf gegen die als "System" verunglimpfte freiheitliche demokratische Grundordnung propagiert. Gleichzeitig wird aus taktischen Gründen den herkömmlichen rechtsextremistischen Feindbildern eine Absage erteilt: "Ist der Feind unserer nationalen Bewegung aber tatsächlich der Linksextremismus? Nein! Unsere Gegner sind nicht die Linken, Ausländer oder Juden - unser Gegner ist das System! Der progressive Nationalismus vertritt die These, daß das System zur Ablenkung unserer Kräfte bewußt Nebenkriegsschauplätze geschaffen hat. Diese sind die Parteien, die Linken, Ausländer, Juden und die Geschichtsfälschung. Seit fast fünfzig Jahren toben sich die Rechten nun in diesen Bereichen aus, ohne daß sie dabei ernsthaft dem System gefährlich werden." Eine Reaktion der Bundesführung der JN findet sich in einem Beitrag der JN-Publikation "Der Aktivist" (Nr. 2/96, August 1996). Hierin äußert der JN-Bundesvorsitzende massive Kritik an Euk. Er stellt fest, daß Themen wie der "Progressive Nationalismus" fast die ganze Zeitschrift dominiert hätten. Dieser sei ein Denkmodell und nicht die Grundlage der JN-Programmatik. Derjenige, der sich nicht "unter die vom JN-Bundesvorstand vorgegebene einheitliche Grundlinie unterordnen" wolle, müsse "sein Dasein - 16 - in unserer Organisation überdenken". Nach dieser "Zurechtweisung" sind weitere Ausgaben von EuK 1996 nicht erschienen. 4.1.2 Aktionen anläßlich des Todestages von Rudolf Heß brachten Goertz und die NDB ins politische Abseits im rechten Lager Der Verlauf der "Heß-Aktionen" 1996 verdeutlicht, daß Goertz nicht allein mit seinen inhaltlichen Positionen, sondern zunehmend auch als Person Kritik aus dem rechtsextremistischen Spektrum auf sich gezogen hat. Nachdem er über die von ihm betriebenen "Nationalen Info-TelePSfone" (NIT) Schieswig-Holstein und Hamburg frühzeitig die Mobilisierung für die "Heß-Kampagne" eingeleitet hatte, wurde er im weiteren Verlauf der Vorbereitungen und der Durchführung der Aktionen ausgegrenzt. So verbreiteten mit ihm verfeindete ehemalige Anhänger der verbotenen neonazistischen Hamburger "Nationalen Liste" (NL) ein steckbriefartig aufgemachtes Flugblatt unter dem Titel "Funktionär ohne Maske - welches üble Spiel betreibt Andr& Goertz?". Darin wird er als "Türken-Goertz" beschimpft (er ist mit einer Türkin verheiratet) und ein Redeund Auftrittsverbot in "nationalen Kreisen" für ihn gefordert. Bezeichnenderweise nahm er daraufhin nicht an der von einem sogenannten Aktionskomitee getragenen zentralen Demonstration am 17. August 1996 in Worms teil, bei der seine Opponenten, der JN-Bundesvorsitzende und der ehemalige NLVorsitzende, als Redner auftraten. (Anmerkung: Beide wurden inzwischen wegen dieser nicht angemeldeten Demonstration zu Freiheitsstrafen verurteilt.) Goertz versuchte stattdessen - allerdings erfolglos - eine eigene Aktion. Die als Musterbeispiel für den Vernetzungsgedanken initilerte NDB ist derzeit praktisch zu einem herkömmlichen regionalen Kameradenkreis auf der Grundlage persönlicher Beziehungen geschrumpft. Eine von Goertz als Anmelder am 15. Oktober 1996 .n Halstenbek unter dem Motto "Gegen Gewalt! Schafft Platz für die Jugend!" durchgeführte Demonstration, an der rund 40 Personen aus der Skinheadund Hooligan-Szene teilgenommen haben, dürfte auch kein neues Rekrutierungsfeld für die NDB eröffnen. Dem steht nicht nur der politisch-ideologische Anspruch von Goertz - 17 - entgegen, sondern auch die Erkenntnis des Verfassungsschutzes, daß diese Szene dumpfem Nationalsoziallsmus weitaus näher steht als dem sogenannten Progressiven Nationalismus. Die Demonstration zeigt aber, daß Goertz sich, wenn auch zunächst nur im örtlichen Rahmen, weiterhin als Zentralfigur öffentliche Geltung zu schaffen versucht. Im übrigen ist die im Zusammenhang mit der Demonstration erwähnte "Nationale Jugend Halstenbek" als verfestigter Personenzusammenschluß nicht existent. 4.2 Aktivitäten im Umfeld der verbotenen "Nationalen Liste" (NL) 'Die neonazistische Hamburger NL, die zeitgleich mit der FAP Anfang 1995 verboten wurde, hatte in geringem Umfang auch Anhänger im südlichen Schleswig-Holstein. Dieser unstrukturierte, nach Hamburg orientierte und auf die dortige NL-Führung fixierte Personenkreis war innerhalb der rechtsextremistischen Szene Schleswig-Holsteins kaum wahrnehmbar. Seit 1995 gibt es aber zunehmend Anzeichen, daß dieser immer noch kleine Personenkreis seine Aktivitäten erheblich steigert. Dies ist insbesondere im publizistischen Bereich deutlich, wo z. B. Verbindungen zu der von ehemaligen Anhängern der NL herausgegebenen Skin-Zeit- . schrift "Bramfelder Sturm" bestehen. Die Schrift, die im Herbst 1996 in "Hamburger Sturm" umbenannt worden ist und angeblich in einer Auflage von 650 Exemplaren verbreitet wird, bringt eine Mixtur von skinhead-spezifischen und politischen Beiträgen. Dabei weisen letztere häufig einen Bezug zur verbotenen NL auf. Der "Bramfelder/Hamburger Sturm" beteiligt sich maßgeblich an der gegen Andr& Goertz gerichteten Schmähkampagne. Diese Aktivitäten sind dem Umfeld der ehemaligen NL-Anhänger zuzuordnen. Darüber hinaus sind die schleswig-holsteinischen Akteure verstärkt um eigenständige, den Hamburger NL-Bezug überdeckende Organisationsansätze bemüht. Darauf deuten die seit einiger Zeit verwendete Gruppenbezeichnung "Patriotische Jugend" sowie neuerdings eine gezielte Unterwanderungsaktion im rechten Parteienspektrum und das erstmalige Auftreten als angebliche "Bürgerinitiative" hin. Diese Organisationsansätze dürften aber nur teilweise konsequent weiterverfolgt werden, weil nach den auch von - 18 - einem ehemals führenden NL-Funktionär formulierten Konzepten organisationsbedingte Angriffspunkte - z. B. strafbare Fortführung einer verbotenen Vereinigung - zu vermeiden oder wenigstens durch wechselnde Strukturen zu verschleiern sind, um so die Weiterführung der politischen Arbeit zu ermöglichen. 4.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) als Bindeglied zwischen dem Neonazi-Spektrum und der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und deren Umfeld Seit den vor allem in den Jahren 1992 bis 1995 erfolgten zahlreichen Verboten neonazistischer Organisationen haben sich die JN zum Auffangbecken für deren Protagonisten entwickelt. Hierdurch hat sich ihr Mitgliederbestand bundesweit auf rund 190 Personen erhöht. Die zahlenmäßig immer noch bedeutungslosen JN nehmen inzwischen aber eine Schlüsselrolle im Neonazismus ein. Mehrere Demonstrationen auf Bundesebene - unter anderem die De-: monstration am 1. Mai 1996 in Berlin - wurden maßgeblich von ihnen organisiert. Durch die Berufung ehemaliger Mitglieder verbotener Organisationen in den Bundesvorstand sowie Verlautbarungen in JN-Publikationen wird deutlich, daß eine Radikalisierung der Organisation gewollt ist. Obgleich sie aufgrund der Eigenmächtigkeiten der zugewanderten Neonazis und anderer personeller Querelen noch nicht die Meinungsführerschaft erreicht hat, muß sie als derzeit. aktivster Zusammenschluß jüngerer Rechtsextremisten im neonazistischen, national-revolutionären Lager bewertet werden. Die JN verstehen sich ausdrücklich als Kaderorganisation, ihr Leitbild ist der "politische Soldat", so der Bundesvorsitzende Holger Apfel (Niedersachsen) in einem Interview in "Einheit und Kampf" (Nr. 15/Februar 1996): "Für mich kann es keine Alternative zum organisierten Nationalismus geben, solange sich auch nur das kleinste Schlupfloch hierfür bietet... Nur der organisierte Wille bedeutet Macht. und die Vernetzung autonomer Strukturen halte ich für noch nicht so gefestigt, als daß sie dauerhaft und kontinulerlich funktionieren könnte." - 19 - Auf der JN-Bundeskonferenz am 25./26. Mai 1996 in Leipzig wurden erstmals ehemalige Mitglieder verbotener neonazistischer Organisationen in den Bundesvorstand gewählt. Der Bundesvorsitzende hatte sich in "Einheit und Kampf" (Nr. 15/Februar 1996) bereits gegen "sinnlose Abgrenzungen" und einseitige "Verteufelungen" innerhalb der Rechten geäußert. Gruppenegoismen müßten überwunden werden. Willkürliche Verbote hätten den "Nationalen Widerstand" zusammenrücken lassen. Aufgrund von Aktionsbündnissen hätten die JN durch provokative Protestaktionen in der jüngsten Zeit eine hohe Aktionsfähigkeit erreicht. " Das ungewöhnlich aggressive Bekenntnis zur Abschaffung der verfassungsmäßigen Ordnung wird unter anderem in der JN-Publikation "Der Aktivist" (Nr. 2/96) unter der Überschrift "Vorwärts zur deutschen Revolution" deutlich. Dabei werden die freie Marktwirtschaft und der politische Liberalismus als Grundübel des Kapitalismus mit seinem Grundsatz der Profitmaximlerung verteufelt. Man könne das System nicht reformieren, sondern müsse es beseitigen und durch etwas Neues ersetzen. Wörtlich heißt es: "In Verbindung mit der zunehmenden Verschärfung der sozialen Frage wird die Revolution wahrscheinlich, und die Chance für eine revolutionäre Kampfpartei wird zunehmen." "Eben nur durch den offensiv geführten Kampf für Arbeitnehmerinteressen und gegen die kapitalistischen Monopole kann es der nationalistischen Bewegung dann auch letztendlich gelingen die wachsende Zahl der Unzufriedenen zu überzeugen und auf die Seite der Sache des Volkes zu ziehen." Nach Meinung der JN ist eine angestrebte revolutionäre Umwälzung der Machtverhältnisse nur mit einheitlich organisiert handelnden Kräften erreichbar. Folgerichtig bekennt sich der Bundesvorstand (gemäß Beschluß der JN-Bundeskonferenz vom 25./26. Mai 1996) zum Kaderprinzip als dem geeignetsten Organisationsprinzip in der jetzigen Phase des politischen Kampfes. Die Kader sollen in vier Stufen herangebildet werden: vom Mitgliedsanwärter über das Mitglied und den Kaderanwärter zum Kader. - 20 - Auch bei den JN wird anhand einer "Erklärung zu den Verletzungen rechtsstaatlicher Grundsätze in der Bundesrepublik Deutschland" vom 26. Mai 1996 deutlich, daß das Widerstandsrecht des Artikels 20 Grundgesetz als Legitimationsgrundlage für Angriffe gegen den Staat gesehen wird: "wir JN sind der Meinung, daß ein Staat, der Willkürakte duldet oder gar befiehlt, jede rechtsstaatliche Legitimation verliert und deshalb als Unrechtsstaat bezeichnet werden kann." In Schleswig-Holstein verfügen die JN lediglich über ein Mitgliederund Interessentenpotential von etwa zehn Personen mit Schwerpunkten im Raum Dithmarschen und' in Flensburg. Seit Anfang 1996 gibt es einen "JN-Infobrief Schleswig-Holstein", der in geringer Auflagenhöhe über bundesweite JN-Aktivitäten informiert. Der "Infobrief" Nr. 3 berichtet z. B. über Vorkommnisse beim Castor-Transport Anfang Mai 1996 und kommentiert: Diese Proteste zeigten wieder einmal, daß die deutsche Rechte endlich aus ihrem Käfig ausbrechen müsse. Die klassischen rechten Themen reichten nicht mehr aus, volksund heimatverbundene Gruppen müßten sich auch an Themenbereichen orientieren, die "dem Volk auf den Nägeln brennen". Dies sei neben der verheerenden Lage der deutschen Wirtschaft eben auch die immer stärker werdende Verschmutzung unserer Umwelt. Man müsse sich den Aktionen der Umweltschützer wo möglich und nötig anschließen oder aber endlich selber aktiv werden. Hierzu sei es nötig, "jede Art des von der öffentlichen Meinung diktierten "Rechts/Links'-Denkens endlich aufzugeben". Im "InfobriePSf" Nr. 4 wird die JN-Sonnenwendfeler am 21. Juni 1996 als großer Erfolg herausgestellt. Gemeinsam mit Vertretern anderer "nationaler Jugendgruppen" habe man im Kreis von 70 Nationalisten das kulturelle Erbe dar Ahnen nicht vergessen. Den JN in Schleswig-Holstein ist es aber immer noch nicht gelungen, einen eigenen Landesverband zu gründen. Dieses Ziel dürfte auch in weite Ferne gerückt sein, nachdem auf der Bundesvorstandssitzung Mitte Januar 1997 in Berlin der Landesbeauftragte seines Amtes enthoben und der Landesverband Hamburg aufgelöst - 21 - wurde. Damit hat der JN-Bundesvorstand die interne Opposition gegen die sich immer stärker entwickelnde Zusammenarbeit mit traditionell ausgerichteten Neo-Nationalsozialisten ausgeschaltet. 5 Rechtsextremistische Parteien Die rechtsextremistische Parteilenlandschaft hat sich 1996 verändert. Den einzigen Wahlerfolg konnten die "Republikaner" (REP) bei der baden-württembergischen Landtagswahl im März 1996 erringen. Sie versuchen seltdem verstärkt, sich zumindest nach außen von den anderen Parteien abzugrenzen. Auch die "Deutsche Volksunion" (DVU) steht den Bündnisbemühungen der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) derzeit ablehnend gegenüber. Nicht nur die Aufgabe des Parteienstatus durch die DLVH hat sich etwas stabilisierend auf die NPD ausgewirkt. 5.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Die NPD hat sich im Berichtszeitraum nicht mehr bemüht, ihre verfassungsfeindliche Zielsetzung zu verschleiern. Deutliche Hinweise hierfür finden sich in einem auf dem außerordentlichen Bundesparteitag am 7./8. Dezember 1996 in Ohrel bei Bremervörde (Niedersachsen) verabschiedeten Parteiprogramm. Es enthält im Gegensatz zum alten Programm aus dem Jahre 1987 deutliche Hinweise für eine verfassungsfeindliche Zielsetzung. Besonders wird der völkisch-kollektivistische Ansatz erkennbar, wenn es etwa heißt, die "Volksherrschaft" setze die "Volksgemeinschaft" voraus. Das Programm spricht sich gegen Fremdherrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung aus und lehnt die in der "kapitalistischen Wirtschaftsordnung" systematisch betriebene Internationalisierung der Volkswirtschaften entschieden ab. Unter dem neuen Parteivorsitzenden Udo Voigt (Bayern) praktiziert die Partei eine Abkehr vom revisionistischen Kurs Günter Deckerts zugunsten einer weitgehenden Öffnung gegenüber dem gesamten rechten Spektrum. Der Bundesparteitag am 23./24. März 1996 in Bad Dürkheim (Rheinland-Pfalz) hatte sich für eine "ge- - 22 - meinsame Wahlplattform der nationalen Rechten unter Einbeziehung von DVU, REP, DLVH etc." ausgesprochen. Unter dem Motto "Bündnis Deutschland" sollen berelts bestehende Kontakte ausgebaut werden, um schon zur nächsten Bundestagswahl eine einheitliche "patriotische" Liste aufstellen zu können. In ihrem Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 8/96) veröffentlichte die Partei einen "Appell an alle aufrechten Deutschen in rechten Gruppierungen". Darin heißt es, daß die NPD unter der neuen Führung sich im Aufbau befinde und eine immer stärkere, von keiner son'stigen Partei erreichte Anziehungskraft auf nationale junge Deutsche ausübe: "wir stehen vielmehr in der natlonalen und internationalen demokratischen Opposition gegen das nach dem Marxismus ebenso überholte kapitalistische Zinsprivilegiensystem, das jeder wirklichen Gleichheit/Gleichberechtigung und Brüderlichkeit der Menschen und Völker entgegensteht. Wir appellieren daher an alle aufrecht natlonal, sozial und demokratisch gesinnten Deutschen, in der Stunde der Gefahr auch die Stunde der deutschen Einheit zu erkennen und in der erneuerten NPD die politische Heimat zu sehen!" Weitere Belege für die deutlich verfassungsfeindliche Ausrichtung sind der Anfang 1996 erschienenen Broschüre mit dem Titel "Die Geschichte einer deutschen Partei - 30 Jahre NPD - Reden - Fakten - Daten" zu entnehmen. Bereits in der Einleitung heißt es: "Später nach der Gründung und besonders im Bundestagswahljahr 1969 nahm der Terror gegen die damals 5 Jahre alte Partei Formen an, die jeder Beschreibung spotteten... Aber auch danach riß der Terror nicht ab... Kein Mittel war dumm a verwerflich genug, wenn es geeignet war, die NP. aus den Parlamenten herauszuhalten. Dieser Terror, der bis in die jüngste Zeit anhält und sich auch im skandalösen Deckert-Urteil festmachen läßt, hat die Partei nicht umgebracht, sondern einen harten Kern schaffen lassen, der einmal, wenn die Zeit dafür reif ist, ein Kristallis: .ionspunkt für Deutschlands Erneuerung sein wird." Bezeichnend ist auch folgende Äußerung: "Ob die Hitlersche Politik erfolgreich für Deutschland und Europa geworden wäre, entzieht sich unserem Blick." Die Nachkriegszeit habe die "Umerziehung" mit sich gebracht, die NPD habe jedoch "Treue zum Reich" - 23 - an die Stelle von "Kollaboration" gesetzt. Mittlerweile seien die Deutschen zu "lieben Schafen" geworden, "die sich von der Bubis-Connection gerne scheren lassen". Die multikulturelle Gesellschaft solle den "Plan der Morgenthaus vollenden". Es sei ein "überfremdetes deutsches Volk" im Entstehen, die künftigen Deutschen würden "Halbasiaten" sein. Ein Beleg für die Aggressivität der Partei ist das, erste ."Führungsrundschreiben" des neuen Parteivorsitzenden: "von nun an muß es in der ganzen politischen Arbeit nur noch die NPD geben, die mit ganzer Kraft darum kämpft, den Etablierten die heuchlerische Maske vom Gesicht zu reißen, mit einer neuen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung das alte System hinwegzufegen und wieder ernsthaft die politische Machtund Führungsfrage stellt." Außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums hat sich die Akzeptanz der NPD indes nicht erhöht. In der Öffentlichkeit machte die Partei nur durch die Verurteilung ihres ehemaligen Vorsitzenden Günter Deckert (Baden-Württemberg) von sich reden. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte ihn am 27. März 1996 wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten mit Bewährung. Am 21. Juni 1996 verhängte das Amtsgericht Weinheim gegen ihn eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten ohne Bewährung wegen Beihilfe zur Volksverhetzung, Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener und Beleidigung. Trotz seines Gefängnisaufenthaltes wurde Deckert auf dem Bundesparteitag zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Der überheblichen Selbsteinschätzung innerhalb der Partei steht allerdings ein weiterer Mitgliederrückgang auf nur noch 3 500 Personen auf Bundesebene gegenüber. Die Wahlergebnisse des Jahres 1996 waren für die Partei dementsprechend ähnlich niederschmetternd wie in den Vorjahren. Bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 24. März 1996 erzielte die Partei 0,4 % und bei der Kommunalwahl in Niedersachsen am 15. September 1996 0,01 %. zur schleswig-holsteinischen Landtagswahl am 24. März 1996 war sie gar nicht erst angetreten, sondern unterstützte die DLVH - ebenfalls erfolglos. - 24 - Auch in Schleswig-Holstein gab es einen weiteren drastischen Mitgliederrückgang auf nur noch rund 110. Die ungünstige Altersstruktur wird auch in der Zukunft diesen Trend bestärken. Insofern erscheint es konsequent, daß auf dem letzten Landesparteitag im April 1996 eine Zusammenarbeit auf Landesebene mit anderen rechten Parteien gefordert wurde. Diese Bündnisbestrebungen haben ihren Niederschlag in der Gründung des "Bündnis Rechts für Deutschland" gefunden. Auf der ersten Veranstaltung dieses überwiegend von NPD und DLVH getragenen Bündnisses am 22. September 1996 in Hartenholm (Kreis Segeberg) wurde die zukünftige Zusammenarbeit bel Wahlen und Großveranstaltungen erörtert. Unter den rund 150 Teilnehmern befanden sich auch Mitglieder der DVU, der "Republikaner" und anderer rechter Gruppen. Eine zweite Veranstaltung fand am 10. November 1996 in Nortorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) vor rund 130 Zuhörern statt. Dabei hielt bezeichnenderweise der in Hessen lebende ehemalige Rechtsterrorist Manfred Roeder das Hauptreferat zum Thema "Asylpolitik". Es gibt unübersehbare weitere Hinweise dafür, daß auch auf Landesebene die NPD verstärkt zur Zusammenarbeit mit Neonazis bereit ist, insbesondere über ihre Jugendorganisation, die "Jungen Nationaldemokraten". Im übrigen hat der Teilnehmerkreis der beiden Veranstaltungen belegt, daß an der Basis der rechtsextremistischen Parteien keinerlei Berührungsängste untereinander bestehen. 5.2 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Die DLVH, die 1991 in Baden-Württemberg aus der Vereinigung "Deutsche Allianz/Vereinigte Rechte", einem Sammelbecken ehemaliger NPD-Funktionäre und enttäuschter Mitglieder der DVU und der "Republikaner", entstanden war, hat sich auf ihrem Bundesparteitag am 19. Oktober 1996 in Pfofeld (Bayern) als politische Partei aufgelöst und die Rechtsform eines Vereins angenommen. Organisationsbezeichnung und Struktur sowie der derzeitige Bundesvorstand wurden laut Vereinssatzung beibehalten. Mit der Umwandlung in einen Verein soll den DLVH-Mitgliedern ermöglicht werden, sich anderen rechtsextremistischen Parteien anzuschließen. Entsprechend ihrem Selbstverständnis als "Sammlungspartei - 25 - der nationalen Rechten" besteht das ziel, die "Einheit der Rechten" zu erreichen. In erster Linie dürften aber finanzielle Gründe für die Auflösung ursächlich gewesen sein. Der ehemalige Bundesvorsitzende der "Republikaner", Franz Schönhuber, begrüßte am 20. Oktober 1996 auf einem Kongreß im Anschluß an den Parteitag die Umwandlung der DLVH als richtigen Schritt zu einer Einigung der Rechten über alle Organisationsgrenzen hinweg. Schönhuber spielt bereits seit 1995 eine herausgehobene Rolle in den von der DLVH getragenen Vereinigungsbemühungen. Er publiziert regelmäßig in der von Harald Neubauer, einem der Bundesvorsitzenden der DLVH, mitherausgegebenen Publikation "NATION & EUROPA". Die DLVH zählt bundesweit nur noch rund 700 Mitglieder. Durch sogenannte Förderkreise Bündnis Deutschland/Runder Tisch sollen Mitglieder der rechten Parteien zur Mitarbeit gewonnen werden. Die "Förderkreise" sind auf' Landesebene angesiedelt und bestehen bisher in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. In Schleswig-Holstein waren die Aktivitäten der DLVH bereits nach der deutlichen Wahlniederlage im März 1996 stark rückläufig. Auch wegen der Inaktivität des Vorstandes und der undurchsichtigen Rolle des Landessprechers Ingo Stawitz, Vetersen (Kreis Pinneberg), ging die Mitgliederzahl hier um rund ein Drittel auf etwa 70 Personen zurück. Stawitz ist inzwischen der NPD beigetreten. Bereits nach dem Ausscheiden der DLVH aus dem Schleswig-Holsteinischen Landtag, in dem sie nur durch eine Abspaltung von der DVU-Fraktion vertreten war, wurde eine weitere Annäherung an die NPD deutlich. Auf der gemeinsamen Veranstaltung am 22. September 1996 in Hartenholm unter dem Motto "Bündnis Rechts für Deutschland" wurde diese Absicht offenkundig. Das "Bündnis" entspricht den von der DLVH seit 1995 bundesweit initiierten "Runden Tischen", die allen "nationalen Bürgern" offenstehen. - 26 - Die Aufgabe des Parteienstatus der DLVH ist auch für den Neonazismus in Schleswig-Holstein und Hamburg bedeutsam. Vor allem Stawitz hatte hier mit unterschiedlichen Gruppierungen zusammengearbeitet. Die Mitgliedschaft in der DLVH wurde von den Neonazis als Möglichkeit einer legalen Aktionsplattform angesehen. Mit dem Verlust des Parteienstatus ist die DLVH für diesen Kreis uninteressant geworden. 5.3 "Die Republikaner" (REP) Die REP erreichten bei der baden-württembergischen Landtagswahl am 24. März 1996 trotz leichter Verluste gegenüber 1992 9,1 % der Stimmen. Bei der ebenfalls am 24. März 1996 durchgeführten Landtagswahl in Rheinland-Pfalz erzielten sie 3,5 % (gegenüber 2 % bei der vorangegangenen Landtagswahl). Zur schleswig-holsteinischen Landtagswahl 1996 traten sie nicht an. Durch den Erfolg in Baden-Württemberg gelang es dem Parteivorsitzenden Dr. Rolf Schlierer (Baden-Württemberg), weiter an dem Abgrenzungsbeschluß gegenüber anderen rechten Parteien und Grup" pierungen festzuhalten. Gegen alle Parteimitglieder, die öffentlich für die Einigungsbewegung und die "Pulheimer Erklärung" vom September 1995 eingetreten waren, wurden Konsequenzen wie Ausschlußverfahren angedroht oder eingeleitet. Zweifellos hat sich der Erfolg der "Republikaner" kontraproduktiv auf die sogenannten Runden Tische ausgewirkt. Gestärkt durch den Erfolg, wurde Schlierer auf dem Bundesparteitag vom 4. bis 6. Oktober 1996 in Hannover in seinem Amt bestätigt. Auch seine Stellvertreter gelten als Anhänger seines Kurses. In den öffentlichen Verlautbarungen der Partei haben Aussagen mit offensichtlich extremistischer Zielsetzung abgenommen. Einzelne Erklärungen zeigen jedoch nach wie vor starke nationalistische Tendenzen, so zZ. B.: - 27 - "Millionen von soliden deutschen Bürgern haben es schlichtweg satt, für Drückeberger und Faulenzer aus aller Herren Länder zu arbeiten." ("Der Republikaner", 3/96) Gelegentlich werden antisemitische Tendenzen sichtbar: "Als deutsche Patrioten behalten wir uns das Recht vor, auch jüdischen Verleumdungen und jüdischen Bevormundungen entgegenzutreten. Schluß mit der jüdischen Indoktrination deutschen Schuldbewußtseins zwecks finanzieller Ausbeutung." (Landesverband Thüringen, Grundsätze 1/96) Auch die Diffamierung demokratischer Institutionen wird fortgesetzt: "Die Siegermächte haben noch heute Interessen, die mittels der von ihnen gegründeten und lizensierten Parteien umgesetzt werden sollen. Änderung ist erst zu erwarten, wenn die Altparteien entmachtet und deren Büttel entfernt sind." ("Der Republikaner", 5/96) Die Partei verfügt über rund 15 000 Mitglieder. Durch den "Republikanischen Bund der Frauen" (RBF), die "Republikanische Mittelstandsvereinigung" und den "Republikanischen Bund der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst" versucht die Partei, weitere Sympathisanten für ihre Politik zu gewinnen. In Schleswig-Holstein ist der etwa 140 Mitglieder zählende Landesverband in der Öffentlichkeit weiterhin kaum wahrnehmbar. Durch den Verzicht auf eine Teilnahme an der schleswigholsteinischen Landtagswahl 1996 trat eine weitgehende Stagnation und Resignation unter den Mitgliedern ein. Diesem Trend sollte die "Erste Küstenkonferenz" der Landesverbände MecklenburgVorpommern, Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Bremen am 21. September 1996 in Buchholz/Dibbersen (Niedersachsen) entgegenwirken. Unter dem Vorsitz der Bundesschriftführerin und stellvertretenden Landesvorsitzenden, Ingeborg Akkermann aus Kiel, wurde unter dem Motto "Für einen starken Norden" eine verstärkte länderübergreifende Zusammenarbeit vereinbart. Frau Akkermann ist außerdem Vorsitzende des RBF. - 28 5.4 "Deutsche Volksunion" (DVU} Die DVU scheiterte bei der schleswig-holsteinischen Landtagswahl im März 1996 mit dem Versuch, erneut in den Landtag einzuziehen. Sie erhielt 4,3 % (64 335 Stimmen) gegenüber 6,3 % (93 295 Stimmen) im Jahre 1992. Damit wurde deutlich, daß der wahlerfolg von 1992 weniger Ausdruck strategisch angelegter politischer Arbeit als vielmehr gesellschaftlicher und politischer Stimmungslagen war. Der auch 1996 wieder aufwendig mit umfangreichen Plakataktionen und Postwurfsendungen geführte Wahlkampf bediente sich des hinlänglich bekannten rechtsextremistischen Vokabulars: "Chaotenterror", "Scheinasylanten", "Steuerlüge", "Arbeitsplatzvernichtung", "kriminelle Ausländer", "keine Eurowährung", "korrupte Politiker". In der rechtsextremistischen politischen Landschaft SchleswigHolsteins spielt der Landesverband nur eine Nebenrolle. Er wird weiterhin von dem Münchener Verleger Dr. Gerhard Frey zen-' tralistisch geführt. Die rechtsextremistische Grundhaltung der Partei wird in erster Linie in den Äußerungen ihrer publizistischen Sprachrohre "Deutsche Wochen-Zeitung" und "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) deutlich. Berichte über Asylsuchende oder Bürgerkriegsflüchtlinge werden meist rassistisch unterlegt: ",.. zahlreiche Bosnien-Flüchtlinge begnügen sich nicht damit, auf deutsche Kosten ein angenehmes Leben zu führen. Sie begehen kriminelle Handiungen und ergaunern sich auch noch Sozialhilfe in vielfacher Millionenhöhe... In bundesdeutschen Presseorganen wurden ... (sie) durchweg als 'Bosnier' bezeichnet und dabei verschwiegen, daß es sich um Zigeuner handelt." (DNZ Nr. 37/96) wie die meisten anderen rechtsextremistischen Gruppierungen versucht die DVU, das bestehende System zu diffamieren: - 29 - "Während hierzulande immer mehr soziale Kürzungen drohen, während der Begriff '"Sparpaket' alle Chancen hat, zum Unwort des Jahres gekürt zu werden, während Wohnungsund Obdachlosigkeit immer weiter um sich greifen, während mehr und mehr Deutsche unter die Armutsgrenze gedrückt werden, während Rentner verraten und verkauft werden, haben sich die Bonner Abgeordneten ein Polit-Schlaraffenland geschaffen und genehnmigen sich einen warmen Geldregen, dessen Strahl sie nach Belieben verstärken." (DNZ Nr. 24/96) Gegenwärtig befindet sich die DVU in einer von ihrem Vorsitzenden gewollten Isolation im rechten Lager. An Einigungsbemühungen der Rechten ist die DVU allerdings mit Einzelmitgliedern beteiligt, auch in Schleswig-Holstein. " 6 Nicht organisationsgebundene gewaltorientierte Rechtsextremisten, insbesondere Skinheads Die Übergänge aus dem Bereich des revolutionären neonazistischen, eindeutig politisch motivierten Lagers in die nur schwer abzugrenzende Szene der rechtsorientierten, überwiegend gewaltgeneigten Jugendlichen und jungen Erwachsenen, vor allem der Skinhead-Szene, sind fließend. Aber auch die Skinhead-Subkultur selbst ist nicht geschlossen als rechtsextremistisch einzustufen. Sie ist insgesamt geprägt durch eine Mischung aus übersteigerter Männlichkeit, Haß und Gewaltbereitschaft. In einem großen Teil dieser seit Ende der siebziger Jahre in der Bundesrepublik existenten Szene hat sich jedoch ein rechtsextremistisches Weltbild verfestigt, das sich durch übersteigertes Natlonalbewußtsein und gefühlsmäßigen Rassismus auszeichnet. In der Öffentlichkeit fallen Skinheads durch das provokative Verwenden nationalsozialistischer Symbole und gnadenlose, zumeist aus Gruppen verübte Gewalttaten gegen ihre "Feinde" auf. Die Gewalttätigkeiten richten sich vor allem gegen Ausländer, in erster Linie Farbige und Asylsuchende, sowie gegen "politische Gegner". Die Szene ist diffus und laufenden Veränderungen unterworfen. Aktivitäten einzelner können zu großer Breitenwirkung führen. Auch allgemein-kriminelles Verhalten vermengt sich mit politischen Ansprüchen. Der stark ausgeprägte Ausländerhaß der Skin- - 30 - heads bietet rechtsextremistischen Gruppen Anknüpfungspunkte, Skinheads für ihre Ziele zu instrumentalisieren und sie in Propagandaaktionen und tätliche Auseinandersetzungen einzubinden. 6.1 Aktivitäten in Schleswig-Holstein Der schleswig-holsteinischen Szene aus Skinheads und anderen aus rechtsextremistischer Motivation handelnden Gewaltgeneigten sind mindestens 250 Personen zuzurechnen. Sie betätigen sich meist nur in regionalen oder lokalen, strukturarmen Personenzusammenschlüssen. Regionale Schwerpunkte sind derzeit das südliche Schleswig-Holstein (Hamburger Randgebiet und Kreis Segeberg), der Großraum Rendsburg sowie Kiel. Die Altersstruktur hat sich gegenüber den Vorjahren kaum verändert: der Anteil der Jugendlichen unter 18 Jahren liegt bei 5 %, derjenige der Altersklasse zwischen 18 und 24 Jahren bel 60 % und der Skinheads über 24 Jahren bei 35 $%. Auch 1996 kam es in Schleswig-Holstein wiederholt zu rechtsextremistisch motivierten Straftaten, unter anderem zu einem Übergriff auf eine Unterkunft für Asylsuchende, zu Auseinandersetzungen militanter Skinheads mit der Polizei und politisch Andersdenkenden, zu mehreren fremdenfeindlichen Vorfällen und zu Skinhead-Treffen, auf denen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gezeigt und verbotene Musik mit rechtsextremistischen Texten gespielt wurden. Der Haß auf Andersdenkende und Andersaussehende baut sich oft langsam in einer Gruppe auf. Gruppenzwang und Gruppendynamik spielen eine große Rolle; "Stärke zeigen, sich einen Namen machen, Haß haben" und über die Macht verfügen, daß einer unten liegt, sind typische Motivationen. Die politische Einflußnahme rechtsextremistischer Organisationen hat meistens schon vor den gewalttätigen Ausbrüchen stattgefunden, in der Regel in Form rechtsextremistischer Publikationen, Poster, Klebezettel (sogenannte Spuckis) und anderer Propagandamaterialien. Ein Poster der NSDAP ("Nationalsozlalistische Deutsche Arbeiterpartei") mit den Worten "Volksgenossen! Braucht Ihr Rat und Hilfe, so wendet Euch an die NSDAP" symbolisiert für die gewalttätigen Skinheads "die Macht, die ich melne, Stärke, Festigkeit und Sicherheit". Mit der Zeit kann sich - 31 -" so in den Gruppen eine dauerhafte rechtsextremistische Orientierung entwickeln mit eigenständigen politischen Ansprüchen und Betätigungen. In Bad Segeberg hat sich ein "Freundeskreis nationaler Aktivisten - Gau Nordmark" (FnA) gebildet. In einem Flugblatt dieser Gruppe heißt es: "Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit der Zusammenführung ALLER nationalen Kräfte, u. a. mit der Betreuung unserer inhaftierten Kameraden, welche derzeit in '"Staatsgewahrsam' verbringen müssen." " Demgemäß gibt es Hinweise auf Kontakte zu neonazistischen "Gefangenen"-Hilfsorganisationen. Der Initiator der Gruppe zeigt seinen politischen Anspruch, wenn "junge Nationalisten zwischen 14 und 21 Jahren" aufgefordert werden, für die "revolutionäre Bewegung ... in der 'Segeberger Jugendkameradschaft' (SJK)", der angeblichen Jugendorganisation des FnA, mitzuarbeiten. In einer anderen Schrift heißt es: "Die SJIK versteht sich als weltanschaulich-geschlossene Jugendbewegung neuen Typs mit revolutionärer Ausrichtung und strenger innerorganisatorischer Disziplin, deren Aktivisten hohe Einsatzund Opferbereitschaft abverlangt wird." Anhänger der Gruppe provozierten wiederholt Auseinandersetzungen mit anderen Jugendlichen und der Polizei. Im Großraum Rendsburg existiert ebenfalls eine von rechtsextremistisch orientierten Jugendlichen beeinflußte Gruppe. Deren Akteure waren für eine "Skinhead-Party" im August 1996 vexrantwortlich, an der fast 100 Personen aus verschiedenen Bundesländern teilnahmen. Im Verlauf der Veranstaltung wurden nationalsozialistische Parolen gerufen und ein Kreuz verbrannt - in Anlehnung an das Ritual des rassistischen "Ku-Klux-Klan", Im unmittelbaren Hamburger Randgebiet agiert eine neonazistische Kleinstgruppe unter der Bezeichnung "Patriotische Jugend" (PJ), die sich aus ehemaligen Anhängern der verbotenen Hamburger "Nationalen Liste" (NL) und der Skinhead-Szene zuzurechnen- - 32 - den Personen aus Schleswig-Holstein und Hamburg zusammensetzt. Die Gruppe hat Bezüge zu der Szene-Publikation "Bramfelder Sturm", die seit Ende 1996 als "Hamburger Sturm" herausgegeben wird. Sie enthält unter anderem Interviews mit führenden Neona21s und Skinhead-Bands, Konzertberichte und -termine. Auch über den "Heß-Aktionsmonat" wurde umfassend berichtet. Die PJ vertreibt über eine Postfach-Adresse in Henstedt-Ulzburg Propagandamaterial, z. B. Aufkleber mit den Aufdrucken "Deutsche Jugend im Freiheitskampf", "Multikulti ist Völkermord" und "Rudolf 'Heß, Freiheltskämpfer, Friedensbote, Märtyrer", Mitglieder dieser Gruppe waren an einem Überfall rechtsextremistischer Skinheads am Plauer See in Mecklenburg-Vorpommern im Sommer 1996 beteiligt, über den in den Medien berichtet wurde. Die Gefährlichkeit dieser militanten Kleingruppen darf nicht unterschätzt werden. In Halstenbek (Kreis Pinneberg) haben sich Skinheads, Hooligans, rechtsradikale Jugendliche und Neonazis (unter anderem ehemalige Anhänger der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei'" ) aus Schleswig-Holstein und Hamburg zusammengefunden. Am Bahnhofsvorplatz der S-Bahn-Station Halstenbek/Krupunder erregte die Gruppe seit Frühjahr 1996 öffentliche Aufmerksamkeit duxch Entbieten des "Hitler-Grußes" und fremdenfeindliche Straftaten, als deren Folge es im Oktober 1996 zu ei-. ner Racheaktion einer Gruppe zumeist ausländischer Jugendlicher mit Baseball-Schlägern und anderen Waffen kam. Dabei wurde der ehemalige Bundes-Schatzmeister der verbotenen FAP, der sich unter den Jugendlichen befand, schwer verletzt. Dieser Auseinandersetzung folgte eine von dem Halstenbeker Neonazi Andr& Goertz veranstaltete Demonstration, die die Opferrolle der von ihm so bezeichneten "Nationalen Jugend Krupunder" herausstellte. 6.2 Skinhead-Musik als "Einstiegsdroge" für rechtsextremistische Ideologie Die Skinhead-Musik, in der Szene "Oi-Musik" genannt, bestimmt weitgehend das Selbstverständnis und den Zusammenhalt in der Skinhead-Szene. Entsprechend groß sind Ansehen und Einfluß der Skinhead-Musikgruppen in dieser Subkultur. Ihre Lieder, in de- - 33 - nen häufig unverhüllt Rassismus und Nationalismus propagiert werden, erreichen die gesamte Skinhead-Szene und sind wegbereltend für deren politische Einstimmung. Die fast 70 Skinhead-Konzerte im Jahr 1996, an denen zwischen 90 und 700, in Einzelfällen auch über 1 000 Besucher, teilnahmen, fanden überwiegend in den neuen Ländern und im Ausland statt. Sie dienen den Skinheads als überregionale Kontaktbörse und als Mittel zur Festigung ihres Weltbildes. Im Verlauf der 'Konzerte kam es immer wieder zu Straftaten. So wurden neben NS-Devotionalien und indizierter Skinhead-Musik auch neonazistisches Propagandamaterial sowie Waffen verschiedenster Art angeboten. Die Ausweitung der Produktion und des Vertriebs von Tonträgern mit rechtsextremistischen Texten hat erheblich zugenommen. An dem aufgrund des Direktvertriebs besonders lukrativen Geschäft sind Rechtsextremisten und Personen beteiligt, die überwiegend wirtschaftliche Interessen haben. Bei Hausdurchsuchungen und Fahrzeugkontrollen konnte 1996 umfangreiches rechtsextremistisches Material sichergestellt werden: neben Bekleidungsgegenständen mit neonazistischen Motiven (Hakenkreuz, Reichsadler) insbesondere CDs mit rechtsextremistischen Liedertexten, zum Teil Schwarzpressungen. Systematisch wird die deutsche Skinhead-Szene mit zumeist im Ausland produzierter Skinhead-Musik überschwemmt. Die Angebotslisten, die deutschen Skinheads und Neonazis - oft unaufgefordert - zugesandt werden, enthalten zum Teil aggressive Aussagen wie: "Heil Euch Kameraden, mit diesem neuen Katalog beginnt unsere bereits angekündigte musikalische Großoffensive gegen den Bonner Judenstaat. Wir sind sicher, daß bei der diesmaligen CD-Auswahl für jeden von Euch etwas dabei ist... Wir sind das Radikahl-Label schlechthin für den Staatsfeind von heute. Wenn wir jetzt also Bands auffordern, uns ihre Demos zu senden, so sprechen wir nur die Hardliner unter Euch an." - 34 - Rassistisches, antisemitisches und gewaltverherrlichendes Gedankengut wird so in große Teile der Jugend-Szene getragen mit der Gefahr, dort verinnerlicht zu werden. während eines Konzertes im September 1996 in Nordrhein-Westfalen kam es z. B. im Publikum, aufgeputscht durch die aggressive Musik, zu zahlreichen neonazistischen Bekundungen wie "Sieg Heil" und "Heil Hitler". Der Sänger der schleswig-holsteinischen Gruppe "Kraftschlag" trat bei diesem Konzert mit Musikern der Skinhead-Gruppe "Entwarnung" auf und sang: "Wetzt die Schlachtermesser auf dem Bürgersteig, laßt die Messer flutschen in den Judenleib. Refrain: Blut muß fließen knüppelhageldick, und wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik!" Die seit Jahren einschlägig bekannte Gruppe "Kraftschlag" existiert in veränderter Besetzung weiter. Sie nahm anläßlich eines Konzertes im "Club Valhalla" in Helsingborg (Schweden) die CD "Live in Valhalla" auf. Die CD erschien kurz darauf bei "NS-Records"/"NS 88" in Dänemark. (Anmerkung: Die Zahlenkombination "88" ist im rechtsextremistischen Sprachgebrauch als Abkürzung für "Heil Hitler" - 8. Buchstabe des Alphabets - gebräuchlich.) Betreiber dieser Unternehmen ist ein bekannter Neonazi aus Berlin. Daß die Musiker nicht mehr um "gemäßigte" Texte bemüht sind, seitdem die Produktionen im Ausland herausgegeben werden, zeigt folgender Textauszug dieser CD: "Die deutsche Jugend im Zeichen der Gewalt, ohne zu rennen und stets die Faust geballt. Die Jacken voller Waffen und die Stiefel mit Stahl, so ziehen wir durch die Straßen, und die Köpfe sind kahl. Refrain: Skinhead, Skinhead heifit die Devise, für die Vernichtung der Ausländerkrise. Viele Volksverräter mußten schon sterben, doch sie werden das Land immer weiter verderben. Unsere Gesichter sind voller Haß, doch die Gewalt, die macht uns Spaß." - 35 - Die Texte einer weiteren schleswig-holsteinischen Gruppe mit dem Namen AdF ("Auf den Führer") sind nicht weniger menschenverachtend und rufen zum Kampf gegen Juden, Linke und Ausländer auf: "Ich würd' Kanaken jagen, tagein, tagaus, ich käm' viel rum, ich würd' nach Auschwitz reisen und den Juden die Wahrheit beweisen. Refrain: Das alles und noch viel mehr, würd' ich machen, wenn ich Führer von Deutschland wär'. Die Synagogen würden wieder täglich brennen, die Roten müßten um ihr Leben rennen, ich wär' cooler als der Schmidt und rechter als der Strauß, unsere Parole lautet: Ausländer raus! Das deutsche Volk würde wieder auferstehen und das Judensystem zugrunde geh'n. 'Vorher würd' ich gerne wissen, ob sie Spaß versteh'n, sie müßten vorher' 48 Stunden lang duschen geh'n." deg Diese sehr besorgniserregende Entwicklung macht deutlich, daß die Skinhead-Szene und ihr Umfeid nicht nur für die Sicherheitsbehörden, sondern vor allem auch für den Verfassungsschutz weiterhin ein besonderer Beobachtungsschwerpunkt sein werden. 7 Rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste Bei der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes spielen die organisationsunabhängigen Verlage und Vertriebsdienste eine wichtige Rolle. Die rechtsextremistische Publizistik bildet unter anderem die Grundlage für organisationsübergreifende bündnispolltische Bemühungen. Franz Schönhuber schreibt hierzu z. B. in der rechtsextremistischen Publikation "NATION & EUROPA" (Heft 1/96): "Die Gesprächskreise müssen ausgeweitet, die Vernetzung seriöser rechter Publikationen vorangetrieben werden. Wir bewegen uns derzeit auf diesem Gebiet im Samisdat-Bereich, sind Dissidenten gegen die Allmacht der die Politik bestimmenden Medien." - 36 - Aufgrund ihrer Breitenwirkung sind die Publikationen "NATION & EUROPA" sowie "EUROPA VORN" von herausragender Bedeutung. Eine Werbebroschüre von "EUROPA VORN" legt deren Ziele offen: "Es genügt nicht, philosophische Erkenntnisse in Hinterzimmern und kleinen Diskussionszirkeln zu verbreiten. Wir müssen uns zum politischen Kampf mit den Internationalisten stellen, sonst wird es Deutschland in wenigen Jahrzehnten richt mehr geben... Heute sind wir Sand im Getriebe der Herrschenden. Morgen werden wir stark genug seln, um unser Volk in eine bessere Zukunft zu führen. Wir wollen nichts für uns, aber alles für Deutschland!" In Schleswig-Holstein sind die nachfolgenden Verlage und Vertriebsdienste von Bedeutung: 7.1 "Nord-Versand" Zu diesem Versand heißt es in einer Ansage des "Nationalen Infotelefons Schleswig-Holstein" (NIT) vom 14. Januar 1997: "Ein neuer Musikversand für nationale Rockund Oi-Musik hat sich in Norddeutschland gegründet. Die Betreiber haben sich zum Ziel gesetzt, mit günstigen Preisen neue Musikfreunde zu erschließen." Als Anschrift ist ein Postfach in Halstenbek (Kreis Pinneberg) angegeben. Dieses Postfach wurde früher von der Bundesgeschäftsstelle der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" in Halstenbek verwendet, die von Glenn Goertz geleitet wurde, dem Bruder des NIT-Betreibers Andr& Goertz. Wirtschaftliche Interessen sind zu vermuten. 7.2 "Leserland Nord" Dabei handelt es sich um einen Vertriebsdienst für rechtsextremistische Literatur, unter anderem aus dem Bereich des "Verlags für ganzheitliche Forschung", Der Vertriebsdienst, auf den die "Internet"-Homepage des dem Umfeld 'sr "Norddeutschen Bewegung" {NDB) zuzurechnenden "Nationalen Iniormationszentrums" hinweist, ist wie der "Nord-Versand" im Spektrum der NDB anzusiedeln. - 37 - 7.3 "Buchdienst Nord" Dieser gegen Ende 1996 bekanntgewordene Vertrieb, der nach eigenen Angaben "das Programm gegen den Zeitgeist" anbietet, gehört in das Umfeld der "Jungen Nationaldemokraten" (JN). Das Postfach dieses in Burg (Kreis Dithmarschen) ansässigen Vertriebes ist identisch mit dem in der Publikation "JN-Infobrief Schleswig-Holstein" vom Oktober/November 1996 angegebenen Postfach der JN. 7.4 "Verlag für ganzheitliche Forschung" Beim Angebot des von Roland Bohlinger geführten Verlages in viöl (Kreis Nordfriesland) fallen vor allem Bücher mit antisemitischen und revisionistischen Inhalten sowie mit Weltverschwörungstheorien auf. Außerdem werden Nachdrucke von erstmals während der NS-Zeit erschienenen Agitationsschriften herausgegeben. 1996 führte Bohlinger den seit 1994 erscheinenden "Informationsund Dokumentationsdienst" fort, eine Sammlung überwiegend extremistischer Schriften und Zitate in Registerform (Karteikarten, Disketten). 7.5 "Versandbuchhandlung Gisela Stiller" Diese Versandbuchhandlung in Stafstedt (Kreis Rendsburg-Eckernförde) bietet insbesondere Publikationen des "Verlags Hohe Warte" an, die das rassistische und antisemitisch geprägte Gedankengut der "Ludendorffer" verbreiten. Geworben wird hierfür in der Publikation "Mensch und Maß" des "Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff)". 7.6 "ARNDT-Buchdienst/Europa-Buchhandlung" Dieser Buchvertrieb in Martensrade (Kreis Plön) ist mit den Unternehmen "Lesen und Schenken Verlagsauslieferung und Versandgesellschaft mbH" sowie dem "ARNDT-Verlag" verflochten. Verlagsinhaber ist Dietmar Munier. Der Verlag veröffentlichte 1996 unter anderem eine Faksimile-Schrift des Auswärtigen Amtes von 1940 mit dem Titel "Dokumente polnischer Grausamkeiten"". Diese Publi- - 38 - kation diente dem NS-Regime zur Rechtfertigung des deutschen Überfalls auf Polen. Der Veröffentlichung der Schrift aus dem Jahre 1940 ist ein aktuelles "Vorwort des Verlages" vorangestellt, in dem der Versuch der Aufrechnung der Schuld des NS-Regimes mit Kriegsund Vertreibungsverbrechen anderer Staaten unternommen und England die Kriegsschuld zugewiesen wird. Offener Revisionismus findet sich am Ende des Vorwortes: "Trotz all dieser Tatsachen gibt es in der Bundesrepublik Deutschland einen zynischen Konsens bei den Medien und den führenden Politikern, nach dem Polen in der Beziehungsgeschichte zwischen Deutschland und Polen die Opferrolle und Deutschland die Täterrolle zukommt... Angesichts solcher offizieller und halboffizieller Geschichtsfälschungen hat sich der 'ARNDT-Verlag' zu einer Neuausgabe der hier vorliegenden Dokumentation entschlossen." Muniers besonderes Engagement gilt auch weiterhin der Ansiedlung von Rußlanddeutschen im nordöstlichen Ostpreußen. Einen Schwerpunkt bilden hierbei seine "Aktion 'Deutsches Königsberg''" und der "Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Ostpreußen e. V.". Die Intention der "Aktion 'Deutsches Königsberg'" läßt sich aus folgendem Zitat im Rundschreiben Nr. 2/96 ersehen: "Hat man jemals die freundliche, aber bestimmte Forderung auf Herausgabe besetzter deutscher Provinzen im Osten aus dem Munde von Bonner Politikern vernommen? Mitnichten, der gleiche Kinkel, der uns hier wieder einmal einen Seiner tolpatschigen - stets deutschen Interessen schadenden - Auftritte vorführt, sucht wegen Nebensächlichkeiten mit Moskau Streit, während er in der Hauptsache nicht etwa nur den Schwanz einkneift, sondern sogar die Verteidigung deutscher Positionen - etwa in Oberschlesien oder in Nord-Ostpreußen - hinterhältig sabotiert." 8 Sonstige rechtsextremistische Organisationen Neben den bisher genannten Organisationen gibt es in SchleswigHolstein Einzelmitglieder in Gruppen, die hier keine eigenen Strukturen unterhalten, und einige Kleingruppen, die ihren Sitz im Lande haben. Ihre Bedeutung als Organisation ist zwar ge- - 39 - ring, aber im Hinblick auf das Beziehungsgeflecht des gesamten Rechtsextremismus nicht unbeachtlich. 8.1 "Arbeitskreis für deutsche Politik" (AfdP) Der AfdP versucht, seine Stagnationsphase, die durch die Aufnahme in den schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzbericht 1993 ausgelöst worden war, zu überwinden. Dies geht offensichtlich auch auf einen Wechsel im Amt des Vorsitzenden zurück. Bei einer AfdP-Vortragsveranstaltung im Oktober 1996 trat erneut der "Nationalrevolutionär" Dr. Reinhold Oberlercher, Hamburg, als Referent auf. 8.2 "Der Stahlhelm e. V." 1996 gab es Hinweise auf Aktivitäten dieser wenige Mitglieder umfassenden Kleinstgruppe auch in Schleswig-Holstein. Nach eigener Darstellung ist der "Stahlhelm" ein kämpferisch eintretender Bund von Soldaten und soldatisch Denkenden und Handelnden. Ziel ist hierbei die Wiederherstellung des Deutschen Reiches ("Der Stahlhelm", Ausgabe 11/12, 1996). Der in den "Gau Schleswig-Holstein" und den "Gau Hamburg" gegliederte Landesverband mit Sitz in Jork (Niedersachsen) führt regelmäßig sogenannte Appelle in einem vereinseigenen Heim durch. 8.3 "Gemeinschaft Ostund Sudetendeutscher Grundeigentümer und Geschädigter" (GOG) Die Publikationen der GOG (Groß Wittensee/Kreis Rendsburg-Ekkernförde) lassen einen latenten Antisemitismus erkennen. So heißt es im "Anzeiger der Notverwaltung des Deutschen Ostens" {Nr. 5/96): - #40 - "Das Diktat einer internationalistischen, seit Jahrhunderten im geheimen raffiniert organisierten Clique besonderen Sendungsbewußtseins, hält die meisten Regierungen der Welt in ihrem erbarmungslosen Würgegriff... Wer sich nicht an die von der Oberregierung vorgegebene Linie der 'political correctness' hält, wird im Zusammenspiel der Angepaßten im Vereine mit den Medien, die im Besitze 'Jener' sind, unmöglich gemacht und im leichtesten Falle nur ausgebootet." Im "GOG-Zirkelbrief" (Nr. 130/1996) heißt es: "Ein Regierungswechsel ist immer dann zu erwarten, wenn eine andere 'Mannschaft''' verspricht, noch fügsamer den Willen der Spieler im Hintergrunde auszuführen. Die demokratische Konkurrenz wirbt weniger um die Gunst des Volkes, als um die Gunst der geheimen Oberen, die den Ausführenden unter dem fünfzackigen Sterne die Anweisung erteilen, selber aber den sechszackigen führen, vor dem sich Bundespräsident und Bundeskanzler besonders tief zu verbeugen pflegen." (Anmerkung: Der verschlüsselte Sprachgebrauch wird von Rechtsextremisten für Juden verwendet.) - 41 - Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1992 bis 1996 1992 1993 1994 1995 1996 NPD/JIN 200 . 190 170 150 120 Dvu 2 150 1 800 1 000 900 850 DLVH 30 80 80 100 70 REP - 500 250 140 140 Sonstige Rechtsextremisten 100 85 85 60 80 Gewaltbereite, insb. Skinheads 220 280 290 340 250 Gesamt Land 2 700 2 935 1 875 1 690 1 510 Gesamt Bund 42 700 65 400% 56 600 46 100 45 300 * In dieser Zahl sind erstmalig 23 000 Mitglieder der Partei "Die Republikaner" enthalten. - 42 - III. Linksextremismus 1 Überblick Die "Rote Armee Fraktion" (RAF) hat sich nach fast dreijähriger Inaktivität zum Jahresende 1996 mit insgesamt drei Verlautbarungen erstmals wieder zu Wort gemeldet. Die Erklärungen, die als authentisch angesehen werden müssen, sind Ausdruck der politischen Orlentierungslosigkeit der Verfasser. Sie deuten außerdem auf eine durch die Selbstgestellung des bis dahin als mutmaßlicher Herrhausen-Attentäter steckbrieflich gesuchten Christoph Seidler bewirkte Verunsicherung hin. Im Falle weiterer Erfolge des vom Bundesamt für Verfassungsschutz betriebenen "Aussteigerprogramms" für Terroristen, die sich aus dem Gefüge der RAF lösen wollen, wird offenbar die Aufdeckung illegaler Strukturen mit Folgen für die eigene Sicherheit befürchtet. Konkrete Gefährdungsaspekte lassen sich aus den Erklärungen nicht ableiten. Sie lassen jedoch den Schluß darauf zu, daß die RAF als handlungsfähige Einheit fortbesteht. Auflösungsforderungen ihrer ehemaligen Mitglieder Helmut Pohl und Birgit Hogefeld ist die RAF bislang nicht gefolgt. Nach der Verhaftung zweier mutmaßlicher Mitglieder der "Antiimperialistischen Zelle" am 25. Februar 1996 in Witzhave (Kreis Stormarn) sind angekündigte weitere "potentiell tödliche Aktionen" dieser Terrorgruppe, die ':95 vier Sprengstoffanschläge auf Wohnund Geschäftshäuser verübt hatte, ausgeblieben. Im Bereich der militant-autonomen Szene war 1996 bundesweit der Castor-Transport von abgebrannten Brennelementen nach Gorleben (Niedersachsen) herausragendes Thema. Im Zusammenhang mit dem Anfang Mai 1996 durchgeführten Transport hat es zahlreiche Gewaltaktionen mit Schäden in Millionenhöhe gegeben. Auch danach ist es zu teilweise schwerwiegenden Anschlägen vorwiegend gegen Einrichtungen der Deutschen Bahn gekommen, wobei im Oktober 1996 auch wieder Schleswig-Holstein (in der Nähe von Neumünster) betroffen war. Gewalttätige Linksextremisten sehen im "Castor-Widerstand"" erneut eine Möglichkeit, aktuelle gesellschaftliche Konflikte für eigene politische Zwecke zu nutzen. - 43 - Wenn es gelinge, Teile des "Atomprogramms" zu verhindern, sei ein Schritt zur "Zerschlagung des Systems" getan. Dogmatische linksextremistische, das heißt insbesondere am Marxismus-Leninismus ausgerichtete Gruppierungen hatten auch 1996 nur vergleichsweise geringe politische Bedeutung. 2 Linksextremistischer Terrorismus 2.1 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 2.1.1 Selbstgestellung von Christoph Seidler Nach vorheriger Ankündigung in einem Interview mit dem "Spiegel" stellte sich Christoph Seidler am 22. November 1996 in Begleitung seines Rechtsanwalts freiwillig der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe. Seidler wurde bisher der Mitgliedschaft in der RAF seit September 1984 und der Beteiligung an der Ermordung des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, und seines Fahrers am 30. November 1989 in Bad Homburg beschuldigt. Beides wird von Seidler bestritten. Nach eigenen Angaben will er Ende 1994 abgetaucht sein und in der Illegalität gelebt haben. Zur Tatzeit des Herrhausen-Anschlags will er sich nachweislich im Libanon aufgehalten haben. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hob einen im Jahre 1992 erlassenen Haftbefehl am selben Tage mangels dringenden Tatverdachts auf. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Generalbundesanwalts wurde vom zuständigen Strafsenat des Bundesgerichtshofs zurückgewiesen. 2.1.2 Neue Verlautbarungen der Illegalen der RAF Am 4. Dezember 1996 ging bei verschiedenen Nachrichtenagenturen und Zeitungsredaktionen eine auf den 29. November 1996 datierte fünfseitige Erklärung der RAF ein. Es war die erste Verlautbarung seit dem umfangreichen Positionspapier vom 6. März 1994, - 44 - mit dem die RAF seinerzeit in die öffentliche Szene-Diskussion über die Neubestimmung revolutionärer Politik eingegriffen und den Aufbau einer "sozialen Gegenmacht von unten" propagiert hatte. Die Verfasser gingen ausführlich und sehr kritisch auf das "Aussteigerprogramm" des Bundesamtes für Verfassungsschutz und auf den am 22. November 1996 aus der Illegalität zurückgekehrten Christoph Seidler ein. Sie betonten, daß Seidler nie der RAF angehört habe. Auch mit seiner Rückkehr oder mit irgendwelchen Aussteigerprogrammen habe die RAF nichts zu tun. Aussteigerprogramme und Kronzeugenregelungen zielten "auf die prinzipielle Denunziation linker militanter Politik" hin. Sie seien Staatsschutzkonstrukte, mit denen Illegale oder Gefangene dazu gebracht werden sollten, nicht nur ihre GenossInnen, sondern auch ihre eigene Geschichte zu verraten. Für viele sei zwar nicht nur eine Epoche zu Ende, sondern manch eine/r finde sich auch ganz persönlich nicht mehr wieder im radikalen Kampf gegen das System und/oder in illegalen Strukturen der Linken. Es sollte aber niemand vergessen, daß mit der eigenen Entscheidung andere nicht zum Objekt gemacht werden dürften. Dazu wurde gefordert: "Es bleibt für alle Zeiten dabei - Zerfallsprozesse hin oder her: keine Aussagen über bestehende illegale (oder legale) Strukturen. Keine Aussagen über geheime Exil-Orte und Strukturen!" Zum Kenntnisstand des "Staatsschutzes" wurde festgestellt: "Sie wissen nicht viel über uns. Sie haben noch nie wirklich durchgeblickt, wie unsere Strukturen aussehen oder wer in der RAF organisiert ist. Selbst die Tatsache, daß der VS-Spitzel Steinmetz sich mit welchen von uns treffen konnte, hat sie nicht dazu befähigt, uns zu zerschlagen." Ein anderes Schwerpunktthema war die "harte Vorgehensweise des Staates trotz der Schwäche der Linken". Jede Aktion der RAF wer de abgeurteilt, auch wenn die Beweise Phantasieprodukte der staatlichen Selte seien. Deswegen sollten GenossInnen auf Ewigkeit in den Knast. Das System brauche nicht die RAF, sondern ' - 45 - den Polizeistaat, als Umgehensweise mit den Widersprüchen, die das System selbst provoziere. Das sei deren gesellschaftliche Vision, egal ob Gruppen wie die RAF existierten oder nicht. Die zunehmende staatliche Repression sei inzwischen Begleitwerkzeug zum sozialen Kahlschlag und richte sich gegen immer größere Teile der Gesellschaft; am härtesten betroffen von dieser Entwicklung seien "ImmigrantInnen" und "Nicht-Weiße". Bundesinnenminister Kanther wurde in diesem Zusammenhang als "einer der größten Schreibtischmörder Europas in der Gegenwart" bezeichnet. Ebenfalls auf den 29. November 1996 datiert ist eine etwa halbseitige zweite Erklärung' der RAF, die in der Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM" am 12. Dezember 1996 veröffentlicht wurde. Darin setzten sich die Verfasser mit der Rolle des "VS-Spitzels Steinmetz" auseinander. Sie zeigten sich darüber besorgt, daß in der Linken der Eindruck entstanden sein könnte, der Verfassungsschutz hätte über seinen V-Mann Steinmetz Einfluß auf die politischen Entscheidungen der RAF nehmen können. Dazu, so wurde erklärt, sei Steinmetz nicht genug geschult gewesen; er habe nie etwas entwickelt, nichts eingebracht. Eine dritte Erklärung vom 9. Dezember 1996 wurde der in Berlin erscheinenden Tageszeitung "junge Welt" als Leserbrief übermittelt. Darin rechtfertigte sich die RAF für ihr "Nichts-Sagen" zu den Auflösungsforderungen der Inhaftierten Helmut Pohl und Birgit Hogefeld (siehe dazu unter Nr. II. 2.1.3). Für die RAF habe sich nichts an der Notwendigkeit verändert, die eigene Geschichte und die der gesamten Linken heute zu reflektieren. Es liege ihr völlig fern, Beiträge von GenossInnen dazu zu ignorieren. Zur eigenen Situation wurde resünlert: "Für uns ist es trotzdem eine problematische Situation, in der für einen großen Tell der GenossInnen die RAF und illegale Organisierung schon Geschichte sind, während wir uns nicht in Luft auflösen können und werden... "Einfach weitermachen' ist unsere Sache ganz sicher nicht. Das RAF-Konzept ist überholt. Das ist objektiv so. Dabei bleibt es also auch. Alles andere würde völlig an der politischen Situation - und unserer speziellen erst recht - vorbeigehen. Es kann auch keine modifizierte Neuauflage des Alten geben." - 46 - Für die Entwicklung neuer revolutionärer Konzepte sei aus der Sicht der RAF nach wie vor ein gemeinsamer Diskussionsprozeß mit der Linken der richtige Weg. Sie müsse jedoch einräumen, daß sich dieser Weg als sehr langwieriges Projekt herausgestellt habe, mit dessen Verlauf sie bisher weder glücklich noch zufrieden sei. Als Konsequenz betonte sie: "Deshalb werden wir es demnächst doch unabhängig davon und doch wieder nur als RAF machen." Alle drei Papiere werden als authentische RAF-Verlautbarungen angesehen. Sie stehen thematisch in Kontinuität. Im Vergleich mit früheren Erklärungen sind auffällige Besonderheiten in der Schriftform und in einer intellektuell weniger anspruchsvollen, aber szene-verständlichen Diktion festzustellen. Adressat ist eindeutig die gesamte revolutionäre Linke. Besonders die erste Erklärung muß als ein Dokument der eigenen politischen Orientierungslosigkeit gewertet werden. Sie deutet darüber hinaus auf eine durch die Selbstgestellung Seidlers bewirkte Verunsicherung hin. Auch wenn mehrfach betont wird, Seidler habe der RAF niemals angehört, so befürchten die Verfasser offenbar, daß durch weitere Erfolge des vom Bundesamt für Verfassungsschutz betriebenen "Aussteigerprogramms" illegale Strukturen mit Folgen für die eigene Sicherheit aufgedeckt werden könnten. Auch mit ihren jüngsten Erklärungen ist es der RAF nicht gelungen, ihre eigene und die Geschichte der Linken aufzuarbeiten und zu analysieren. Die auch für die Szene wichtige Frage, wie es weitergehen könnte, bleibt weiterhin unbeantwortet. Dennoch liegt der RAF offenbar daran, sich auch künftig als handlungsfähig und -willig darzustellen, ohne dabei zu alten Konzepten zurückkehren zu wollen. Sie läßt jedoch völlig offen, ob sie sich lediglich als Ideologieinstrument zur Konzeptionierung neuer Strategien einbringen will, oder ob sie xünftige Entwicklungen mit terroristischen Gewaltaktionen etwa in der Qualität ihres Anschlages auf den Gefängnisneubax. in Weiterstadt (Hessen) im März 1993 zu begleiten beabsichtigt. - 47 - Konkrete Gefährdungsaspekte lassen sich aus den Erklärunger nicht ableiten. 2.1.3 Inhaftierte der RAF Am 10. Mai 1996 wurde Hanna Krabbe, die letzte von ursprünglich vier in Lübeck inhaftierten ehemaligen RAF-Terroristinnen, nach 21 Jahren Haft entlassen. Mit ihr wurde zugleich die letzte Tatbeteiligte an dem RAF-Überfall im April 1975 auf die deutsche Botschaft in Stockholm auf freien Fuß gesetzt. Zu ihrer BegrüBung hatten sich rund 60 Sympathisanten vor der Haftanstalt eingefunden, darunter zwei ehemalige Mitinsassinnen, die bereits ' im Dezember 1994 und im Februar 1995 entlassen worden waren. In der Juni-Ausgabe 1996 des politischen Magazins "konkret" wurde ein Interview mit dem in der Justizvollzugsanstalt Schwalmstadt (Hessen) einsitzenden ehemaligen RAF-Terroristen Helmut Pohl vom Februar 1996 veröffentlicht. Darin äußerte sich Pohl zur Situation der RAF und zur "Gefangenenfrage". Zentrales Thema des Interviews war seine Forderung nach Freilassung der RAFInhaftierten. "Es kann für uns nur darum gehen, wieder auf die Tagesordnung zu setzen, daß wir raus müssen. Nach wie vor ist das eine politische und keine juristische Frage. " Des weiteren bezog Pohl kritisch Stellung zur bisherigen Politik der RAF. Anstelle von politischen Strukturen hätten sich zunehmend Ideologie und Aktionismus durchgesetzt. Das sei ein Grundfehler der RAF und auch vieler anderer linker Gruppen gewesen. Bei den Anschlägen seit Mitte der achtziger Jahre habe es sich nur noch um eine "Aneinanderreihung von Erschießungen" gehandelt, die politisch keinerlei Beziehung zur Realität mehr gehabt hätten. Auch nach der Einstellung bewaffneter Aktionen gegen Menschen im Jahre 1992 sei eine politische Auseinandersetzung, wie es künftig weitergehen könne, nicht zustandegekommen. Deshalb, so Pohl, sei es "nötig, daß die Illegalen ihre Auflösung als RAF erklären. Das wollen auch andere Gefangene ausdrücklich... Und dann muß man sehen, was sich entwickelt." - 48 - Das Interview ist in wesentlichen Punkten als Versuch Pohls zu werten, seine harte Grundposition (Hardliner-Image) abzulegen und sich als Geläuterter zu präsentieren, der den bewaffneten Kampf als Mittel revolutionärer Politik nunmehr ablehne und im Falle einer Entlassung nicht mehr in terroristische Szene-Strukturen zurückkehren würde. Am 5. November 1996 verurteilte der 5. Strafsenat am Oberlandesgericht Frankfurt/Main die RAF-Terroristin Birgit Hogefeid zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen mehrfachen Mordes und anderer Delikte. Bis auf den Vorwurf einer Mitschuld an dem Tod eines BGS-Beamten folgte das Gericht in den wesentlichen Punkten den Strafanträgen der Bundesanwaltschaft und erkannte auf besonders schwere Schuld. Frau Hogefeld war am 27. Juni 1993 während einer Polizeiaktion in Bad Kleinen (Mecklenburg-Vorpommern) festgenommen worden. Mit geringem Interesse wurde der Prozeß von verschiedenen Prozeßgruppen und -initiativen nur mit Informationsveranstaltungen und Prozeßbesuchen begleitet. Die größere Resonanz lag eindeutig im publizistischen Bereich. Das Schlußwort Hogefelds war nur eine von zahlreichen Erklärungen seit ihrer Verhaftung. Darin beschrieb sie selbstkritisch ihre Mitgliedschaft in der RAF. Mit einer großen inneren Distanz empfinde sie heute die Erschießung eines gerade mal 20 Jahre alten US-Soldaten im August 1985 als grauenhaft und zutiefst unmenschlich. In ihrem Leben hätte es jedoch Zeiten gegeben, in denen sie solche Aktionen für gerechtfertigt gehalten habe. Heute finde sie, daß vieles in der Geschichte der RAF als Irrweg anzusehen gewesen sei. Der Kampf, wie ihn die RAF Anfang der siebziger Jahre begonnen habe, gehöre einer vergangenen Epoche an. Deshalb, so wandte sie sich an die Illegalen der RAF, "finde ich die Aufforderung von Helmut Pohl an die Illegalen, ihre Auflösung als RAF zu erklären, richtig - dieser Schritt ist lange überfällig". - 49 - 2.1.4 RAF-Umfeld Das seit der Abspaltung der Befürworter der alten RAF-Linie (Hardliner) stark dezimierte Unterstützerund Sympathisantenspektrum hat die jüngsten RAF-Erklärungen lediglich zur Kenntnis genommen. Einzelne Inhalte, wie z. B. die Absage an das "Aussteigerprogramm", dürften Zustimmung erfahren haben. Nennenswerte Reaktionen wurden bisher nicht bekannt. Die Solidarität mit den Gefangenen ist nach wie vor ein wichtiges Aktionsfeld des verbliebenen RAF-Umfeldes. Wesentliche Impulse gehen von der "Initiative Libertad" (Frankfurt/Main) aus. Diese Gruppe versteht sich als "Teil einer weltweiten Befreiungsbewegung, deren Ziel es ist, gegen staatliche Unterdrückung zu arbeiten und Solidarität mit den von der Klassenjustiz verfolgten Gefangenen und von Repression bedrohten Menschen zu organisleren". Am 18. März 1996 veranstaltete die "Initiative Libertad" einen bundesweiten "Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit", an dem sich zahlreiche Gruppen in 14 Städten (unter anderem in Lübeck) friedlich beteiligten. 2.2 Antiimperialistischer Widerstand 2.2.1 "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) Am 25. Februar 1996 wurden zwei mutmaßliche Mitglieder der AIZ in Witzhave (Kreis Stormarn) wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gemäß $ 129 a Strafgesetzbuch und verschiedener anderer Straftaten festgenommen. Beide sitzen seitdem in Haftanstalten in Köln und Lübeck in Untersuchungshaft. Ein Tatvefrdächtiger stammt aus Rellingen (Kreis Pinneberg), der andere aus Mönchengladbach (NordrheinWestfalen). Die AIZ war seit 1992 mit einer Serie von Sprengstoffanschlägen mit steigendem Gefährdungspotential in Erscheinung getreten. Seit der Inhaftierung der mutmaßlichen AIZ-Mitglieder sind ange- - 50 - kündigte weitere "potentiell tödliche Aktionen" der AIZ ausgeblieben. Die Aktionen der AIZ sowie ihre Erklärungen, insbesondere die Bezugnahme auf revolutionär-islamische Widerstandsgruppen, stleRen im linksextremistischen Spektrum auch 1996 überwiegend auf Ablehnung. Als sich die mutmaßlichen AIZ-Mitglieder in einer im Mai 1996 veröffentlichten Erklärung als "muslimisch-politische Gefangene" bezeichneten, kam es in der Szene zu einer teilweise heftig geführten Kontroverse darüber, ob sie in die "Soli-Arbeit" einzubeziehen seien. Teile des Szene-Spektrums sehen die Inhaftierten trotz aller Bedenken gegen die Politik und Praxis der AIZ als "Opfer staatlicher Repression und Bestandteil der Linken, deren Kampf sich gegen die weltweite Unterdrückung richtet". Auf dieser Meinungsebene bewegt sich auch die Szene im Lande, wobei der Diskussionsprozeß noch nicht abgeschlossen ist. 2.2.2 Übriges antiimperiallstisches Spektrum Der antiimperialistische Widerstand in Deutschland stellt sich als ein inhomogenes Geflecht linksextremistischer Zusammenhänge, Gruppen und Einzelpersonen ohne klar umrissene ideologische Grundstrukturen dar. Wesentlichen Zuspruch erhält dieses Spektrum. aus dem Lager der Ablehner der neuen RAF-Politik seit der Spaltung im RAF-Gefüge als Folge der Deeskalationserklärung der RAF vom April 1992. Strukturübergreifend ist das gemeinsame Bestreben, auf der Basis der alten RAF-Konzeptionen neue Formen und Inhalte revolutionärer Politik zu entwickeln. "Guerilla und bewaffneter Kampf" sollen darin unverzichtbare Bestandteile bleiben. Militante Politik wird danach lediglich als Vorform einer "durchdachteren und organisierteren politisch-militärischen Strategie" angesehen. Zur Begründung führten unbekannte Verfasser in der Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM" (Nr. 388 vom 13. September 1996) folgendes aus: - 51 - "Der Begriff militärisch löst sicherlich Bedenken aus; ein vorund umsichtiger Umgang damit ist auch dringend geboten. Dennoch werden wir, wenn wir eine revolutionäre Umwälzung als Vision nicht aufgeben wollen, nicht umhinkommen, uns mit Umsetzungsmöglichkeiten militanter bewaffneter und auch (para)militärischer Politik zu konfrontieren." Das Interventionsniveau, so hieß es in dem Beitrag weiter, könne sich für militante Zusammenhänge zwischen Dokumentenfälschungen, gezieltem Gebrauch von modernen Kommunikationsmitteln, kleineren Sabotageakten wie Sprühen und Kleben und dem Einsatz von Brandund Sprengsätzen bewegen. Der Schußwaffengebrauch und die Tötung von relevanten Entscheidungsträgern sei jedoch gesondert zu behandeln und setze einen intensiveren Umgang mit der gesamten Materie voraus. In Schleswig-Holstein sind derartige Strukturen bisher nicht erkennbar. Noch deutlich unterhalb der terroristischen Ebene agieren militante Zusammenhänge im Großraum Hamburg/SchleswigHolstein mit starker Ausrichtung nach Hamburg. Ihnen sind zahlreiche Sachbeschädigungen wie Scheibeneinwürfe, Farbschmierereien bis hin zu Brandanschlägen vornehmlich gegen Wohnund Geschäftsgebäude von in der Öffentlichkeit stehenden Personen und Firmen zuzurechnen. Aktionsthemen waren "Antirassismus" und "Antifaschismus" mit den Schwerpunktbereichen Ausländerund Asylproblematik sowie Sozialabbau. Damit verbunden waren Forderungen wie "Weg mit dem $ 129 a", "Freiheit für politische Gefangene" sowie "Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf". Auffällige Parallelen zeigten sich in Sachbeschädigungen an den Wohnhäusern des Vizepräsidenten des Landesarbeitsamtes Nord am 15. April 1996 in Norderstedt und eines Journalisten am 17. Mai 1996 in Lütjensee (Kreis Stormarn) sowie an dem Dienstwagen des Hamburger Innensenators am 4. November 1996. Derartige Aktionen sind ein deutliches Indiz für eine zunehmende Annäherung militant-antifaschistischer Autonomen-Gruppierungen an den antiimperialistischen Widerstand. - 52 - 3 "Rote Hilfe e. V." Der Bundesvorstand der "Roten Hilfe e. V." zog in seinem Rechenschaftsbericht für den Zeitraum 1994 bis 1996 anläßlich der Bundesdeleglertenversammlung im Juli 1996 in Göttingen eine positive Bilanz seiner Arbeit. Die "Rote Hilfe e. V." sei in den letzten Jahren in größerem Umfang und mit erheblich größerer Außenwirkung aufgetreten und bekannter geworden. Nicht zuletzt darauf sei der enorme Mitglliederzuwachs {derzeit rund 2 000 Mitglieder gegenüber rund 950 im Dezember 1993) zurückzuführen. Die Einnahmen aus Mitgliederbeiträgen seien von 85 000 DM (1994) auf 106 000 DM (1995) gestiegen. Die Zeitung "Die Rote Hilfe" erscheine derzeit mit einer Auflage von mehr als 3 000 Exemplaren. Annähernd verdoppelt hätten sich insbesondere die Aufwendungen im Bereich "Antiimperialismus", vor allem für die Unterstützung von Kurden infolge des Verbots der "Arbeiterpartei Kurdistans". Zur Zeit verfüge die "Rote Hilfe e. V." über 18 Ortsbzw. Regionalgruppen sowie über 15 Kontaktadressen. Zum Jahresbeginn 1997 warb die "Rote Hilfe e. V." in der ersten Ausgabe des politischen Magazins "konkret" mit einer ganzseitigen Anzeige für neue Mitglieder. Darin beschrieb sie sich als eine überparteiliche, bundesweite Schutzorganisation der gesamten Linken, ohne sich dabei von extremistischen Bestrebungen zu distanzieren. Sie schließt damit bewußt das linksextremistische und -terroristische Spektrum in ihre Solidaritätsund Unterstützungsarbeit ein. Dies stellte sie auch im Jahr 1996 mit zahlreichen bundesweiten Initiativen, Kampagnen und Publikationen nachhaltig unter Beweis. Zu nennen sind: - Solidaritätsaktionen für in der Bundesrepublik inhaftierte ausländische Linksextremisten, - eine Kundgebung zum 3. Jahrestag der polizeilichen Maßnahmen gegen Mitglieder der "Rote Armee Fraktion" (RAF) in Bad Kleinen unter dem Motto "Die Wahrheit hat zehn Minuten Verspätung", - 53 -- - ein Beitrag zum Thema "40 Jahre KPD-Verbot - Meilenstein des Staatsterrorismus", - die maßgebliche Beteiligung an dem bundesweiten "Aktionstag für die Freiheit der politischen Gefangenen weltweit" am 18. März 1996, - Prozeßbesuche im Verfahren gegen die RAF-Angehörige Birgit Hogefeld vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/Main, - die Herausgabe einer Jublläumsbroschüre mit dem Titel "Vorwärts und nicht vergessen - 70/20 Jahre Rote Hilfe", - die verstärkte "Antirepressionsarbeit aufgrund der gestiegenen Kriminallsierung und Verfolgung von KurdInnen nach dem PKK-Verbot". Die Kieler Ortsgruppe ist weiterhin eine mitgliederstarke und sehr aktive Ortsgruppe innerhalb der "Roten Hilfe e. V.". Von ihr gehen unvermindert Kampagnen, Initiativen und Flugblattaktionen zu bundesweiten Szene-Aktionen aus. Eines ihrer Mitglieder war rund zwei Jahre lang presserechtlich verantwortlich für die Herausgabe der Schrift "Die Rote Hilfe". Wie in den vergangenen Jahren bietet die Organisation über ihren Literaturvertrieb in Kiel in dieser Schrift regelmäßig linksextremistische Literatur als "Lesestoff für Rote HelferInnen" an. 4 Autonom-anarchistische Szene Mit einem bundesweit leicht angestiegenen Bestand von rund 7 000 Personen stellen gewaltbereite autonome Gruppierungen auch weiterhin ein erhebliches Gefährdungspotential für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. In Schleswig-Holstein sind der militant-autonomen Szene unverändert rund 350 Personen zuzurechnen. - 54 - Bei der Auswahl ihrer Betätigungsfelder verfolgt die militantautonome Szene die Strategie, sich in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einzumischen, das heißt ihren anti-parlamentarischen und anti-staatlichen Widerstand mit gesellschaftlichen Konfliktthemen zu verknüpfen. Anliegen verschiedenster Bevölkerungsgruppen werden auf diese Art und Weise für eigene politische Zwecke instrumentalisiert. Hauptaktionsfelder des militant-autonomen Spektrums waren 1996 die Themen "Anti-Atomkraft", "Antifaschismus" sowie die Asylund Flüchtlingsproblematik. Deutlich ist in jüngster Zeit zu erkennen, daß auch das Thema "Sozialabbau" ("Sozialraub") und die Rolle Deutschlands in der Europäischen Union ("Großmachtstreben") für militante Autonome Anlaß zu gewalttätigen Aktivitäten sind. Die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele stellt für militante autonome Gruppen ein unverzichtbares Mittel im Rahmen ihres Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. So erklärte die "Autonome Antifa (M)" aus Göttingen, gewaltfrei sei ein ideologischer Begriff, der im absoluten Gegensatz zu autonomer "Politik" stehe: "wir haben uns immer zu Militanz als politischem Mittel bekannt... Dazu stehen wir." ("junge Welt" vom 4. Juli 1995) Noch deutlicher wird die gewaltbejahende Haltung autonomer Gruppen in einem in der Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM" {Nr. 342 vom 17. August 1995) veröffentlichten Beitrag unbekannter Autoren: "wir werden uns nicht an den vom Staat vorgeschriebenen Rahmen von Protest und Widerstand halten... Eine Absage an Gewalt wird es von uns nicht geben - nicht heute und auch nicht in Zukunft!i!!" (Hervorhebungen im Original) 4.1 Organisierung und Vernetzung der Szene Organisierungsbestrebungen einzelner Gruppierungen im Bereich der autonomen Szene hatten wiederum bundesweit nur sehr geringe Auswirkungen. Somit ist es in diesem Spektrum auch weiterhin - 55 -- bei hierarchiefeindlichen und auf Aktionismus angelegten Strukturen geblieben. Eine interessante Entwicklung hat es allerdings auf regionaler Ebene mit einem starken Bezug zu Schleswig-Holstein gegeben: Die Bemühungen der den linksextremistischen militanten Autonomen zuzurechnenden Gruppierungen "Avanti - Projekt Undogmatische Linke" aus Kiel und Lübeck, eine stärkere Organisierung der bestehenden autonomen Zusammenhänge zu erreichen, hatten im Herbst 1996 einen Erfolg zu verzeichnen. Nach einer langen Phase enger Zusammenarbeit haben sich die "Avanti"-Gruppierungen, die nach eigenen Angaben die "Überwindung des Kapitalismus ... zur Schaffung einer sozialistischen Demokratie" anstreben, mit der linksextremistischen Gruppe LEGO ("Linke Einheit Gemeinsam Organisieren") aus Bremen zu einer neuen Organisation mit dem Namen "Levanti - Projekt Undogmatische Linke" zusammengeschlossen. Diese versteht sich als organisierter Tell der radikalen Linken und "tritt für eine sozial gerechte, von Sexismus und Rassismus freie Gesellschaft" ein. Dafür sei es notwendig, patriarchale Herrschaftsstrukturen und die kapitalistische Produktionsweise abzuschaffen. Inhalt ihrer Politik ist deshalb nach eigenen Angaben "der Kampf gegen all' diese Formen der Ausbeutung und Unterdrückung sowie der Aufbau einer organislerten Gegenmacht von unten". Um dies zu realisieren, will "Levanti" an "den konkreten gesellschaftlichen Konflikten" ansetzen, "um konkrete Verbesserungen zu erzielen und gleichzeitig deutlich zu machen, daß es keine wirkliche Lösung in diesem System geben kann". Auch 1996 war die Nutzung elektronischer Kommunikationstechniken, insbesondere von computergestützten Maillboxsystemen und des globalen Netzwerkes "Internet", für Linksextremisten von großer Bedeutung. Mittlerweile ist der Einsatz von Computertechnik ("Instrument der HERRschenden") für viele Bereiche des Linksextremismus zur Selbstverständlichkeit geworden. Der Umgang mit Computern werde zunehmend alltäglicher, dem könnten sich auch die "Linksradikalen" nicht entziehen, heißt es in einem Beitrag der in Berlin erscheinenden Autonomen-Schrift - 56 - "INTERIM" (Nr. 361 vom 1. Februar 1996). Neben szene-eigenen Maillboxen nutzen Linksextremisten auch fremde, zum Teil kommerziell oder auch nicht-kommerziell betriebene Mallboxsysteme. Unter den szene-eigenen Mailboxen nimmt der seit 1991 von Angehörigen der linksextremistischen autonomen/antiimperialistischen Szene betriebene Mailboxverbund "SpinnenNetz" nach wie vor eine exponierte Stellung ein, obwohl seine Bedeutung im Berichtsjahr zurückgegangen ist. Ziel dieses derzeit aus drei Mailboxen in Berlin, Bonn und Frankfurt/Main mit über 100 ständigen Nutzern bestehenden Mailboxverbunds ist es, Gruppierunger der "radikalen Linken" den Zugang zu "unzensierten" Informationen und Texten kontinuierlich, schnell und finanziell tragbar zu verschaffen und zur Kommunikation und Koordinierung beizutragen. "SpinnenNetz" sieht sich hierbei nicht nur als technischorganisatorische, sondern vor allem als "politische Struktur", die unter anderem auch die Diskussionen um eine Organisierung revolutionärer Gruppen ermöglicht und sich daran beteiligt. Neben diesem Mailboxverbund-System und den weiteren von Linksextremisten mitbenutzten Mailboxen nimmt die Bedeutung des weltweiten "Internet" stetig zu. Es ermöglicht kostengünstig den globalen Datenaustausch und den Zugriff auf verschiedenste Datenbestände. Diverse linksext:.emistische Personen, Gruppen oder Publikationen verfügen über eigene Seiten im "World Wide Web" (multimedialer Bereich des "Internet"), die sogenannten Homepages. Interessant ist hierbei für sie unter anderem, daß aufgrund der Struktur des "Internet" Informationen weitgehend "zensurfrei" verbreitet werden können. Viele Beiträge extremistischen Inhalts werden über ausländische Datenanbieter (Server) ins "Internet" eingespeist, so daß hiesige Strafverfolgungsbehörden auf diese ggf. keinen direkten Zugriff haben. So wurde z. B. die "elektronische Ausgabe" der linksextremistischen Untergrundschrift "radikal" zunächst über einen "Internet"-Anbleter in den Niederlanden und später, um ggf. "Zensurbemühungen der HERRschenden" zu entgehen, auf mittlerweile über 50 Servern weltweit angeboten. - 57 - 4.2 Besondere Aktionsfelder 4.2.1 Anti-Atomkraft Der Kampf gegen Atomkraft, insbesondere im Hinblick auf CastorTransporte, ist 1996 zu einem zentralen Thema der militanten Autonomen-Szene geworden. Hervorzuheben sind die bundesweiten Aktionen gegen Einrichtungen der Deutschen Bahn im Mai und Oktober, bei denen - wie auch schon 1995 - Sachschäden in Millionenhöhe entstanden. Erstmalig wurde in diesem Zusammenhang - von den Tätern unbeabsichtigt - eine Person (Lokführer) verletzt. Der Schwerpunkt lag wie 1995 in Niedersachsen; Schleswig-Holstein war nur durch wenige Anschläge mit vergleichsweise geringen Sachschäden betroffen. Der "Anti-AKW(Atomkraftwerke)-Widerstand" belegt einmal mehr, daß die Autonomen-Szene gewalttätige Aktionen als einen integralen Bestandteil ihrer politischen Betätigung ansieht. In der Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM" (Nr. 386 vom 23. August 1996) betonten unbekannte Verfasser, daß die Militanzfrage beim Castor-Widerstand eine wichtige - vielleicht auch entscheidende - Rolle spiele. Es dürfe dabei nicht alles dem Zufall überlassen werden, vielmehr müsse eine militante Richtung vorgegeben werden. Diese Zielrichtung verfolgt auch die im Frühjahr 1996 erschienene Publikation "55 MILLIONEN plus X - Wir stellen uns quer!". Die Broschüre, die angeblich in einer Auflage von 10 000 Exemplaren gedruckt wurde, enthält neben Aufrufen zu Protestaktionen gegen Castor-Transporte insbesondere auch Verhaltensregeln bei Festnahmen und Anleitungen zu Sabotageaktionen, unter anderem eine detaillierte Bauanleitung für Sprengsätze und Wurfanker sowie Hinweise für die Herstellung von Steckschlüsseln zum Lösen von Bahnschwellenschrauben. In einem redaktionellen Vorwort "GUTER RAT VON EXPERTEN" heißt es, in Gorleben seien neben den bürgerlichen Formen des Protestes auch militante Aktionen auf breite Akzeptanz gestoßen. Die klammheimliche Freude vieler Menschen über Sabotageakte gegen Verkehrswege der Atommafia und gegen am Bau der Atomanlagen beteiligte Firmen sei offenkundig. Ab einem gewissen Zeitpunkt sei selbst die örtliche Bürgerinitiative nicht mehr ausschließlich auf legale - 58 - Aktionen fixiert. Die Broschüre solle Handlungsmöglichkeiten aufzeigen, den eigenen Unmut und Protest gegen die Projekte des Atomstaates in konkrete Aktionen umzuwandeln. Der Text sei kein Kompendium revolutionärer Praxis, er solle lediglich als Einstieg dienen und der zum Teil enormen Unbekümmertheit bei Planung und Durchführung von Aktionen etwas entgegensetzen. Im Visier des gewalttätigen Anti-Atom-Protestes Autonomer befinden sich nicht nur die Castor-Transporte. Perspektivisch wird von der Szene das Ziel verfolgt, die gesamte Struktur des "Atomprogramms" zum Angriffspunkt zu machen und dezentral in die Städte und Regionen zu tragen. Als denkbares Beispiel wird in der Erstausgabe (Nr. O/August 1996) der Szene-Schrift "Der WURFANKER" angeführt: "Wie wäre es z. B. mit einer 'Zerschlagen wir Sliemens'-Kampagne statt einem Siemens-Boykott? Natürlich mit dementsprechenden netten militanten Aktionen... Generell sind die Firmen ausfindig zu machen, die HandlangerInnen des Atomkapitals, etc. Ideen und Phantasie haben wir genug." Daß militante Autonome mit gewalttätigen Aktionen, die die Kosten des "Atomprogramms" in die Höhe treiben sollen, nicht nur ihren Protest gegen die Atomkraft richten wollen, belegt folgende Passage aus der Broschüre "55 MILLIONEN plus X - Wir stellen uns quer!": "Der Kampf gegen die Atommafila, wie er sich neuerlich gegen den Castor artikuliert, ist von uns nicht isoliert von den anderen Kämpfen in diesem Staat zu begreifen. Vielmehr sehen wir ihn als Teil des Kampfes gegen das kapitalistische System mit all' seinen Auswüchsen, gleichzeitig ist es ein Kampf für eine herrschaftsfreie Gesellschaft." Die grundsätzlich systemopponente Einstellung der Autonomen-Szene wird auch deutlich in einem in "INTERIM" (Nr. 386 vom 23. August 1996) veröffentlichten Beitrag: - 59 - "wir scheißen auf diesen Staat sowieso, auf seinen Parlamentarismus - weil wir nicht in Staaten leben wollen und für ein selbstbestimmtes HERRschaftsfreies Leben kämpfen (wir nennen das Kommunismus oder Anarchie)." Daher müsse der Anti-AKW-Widerstand unter dem Gesichtspunkt eines "generellen" revolutionären Kampfes betrachtet werden. Das erfordere den Aufbau einer globalen revolutionären Bewegung; die Verhältnisse wirkten International und sie seien nur international umzuwälzen. 4.2.2 Antifaschismus Der "Antifaschismus-Kampf" ist auch 1996 bundesweit ein herausragendes Aktionsfeld der militanten Autonomen-Szene geblieben. Eine beachtliche Anzahl von Straftaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten sowie ihnen zuzurechnende Einrichtungen und Veranstaltungen sind ein Beleg dafür. Gewalttaten in diesem Zusammenhang werden unter dem Motto "Kampf dem Faschismus heißt Kampf dem imperialistischen System" begangen. In Schleswig-Holstein kam es anläßlich der Landtagswahl am 24. März 1996 zu Körperverletzungen und Beschädigungen von Privatbesitz rechtsextremistisch einzuordnender Personen. Landeswelt wurden eine Vielzahl von Wahlplakaten der "Deutschen Volksunion" und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" zerstört. Im Herbst 1996 wurde in der linksextremistischen Szene die erSte Ausgabe einer "Antifaschistischen Sonderzeitung" mit dem Titel "Tuu Matsch Nazis" verbreitet. Schwerpunktmäßig wurden darin Geschichte, Ideologie, Strukturen sowie Kader der "Jungen Nationaldemokraten" (JN}, der Jugendorganisation der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands", dargestellt. Diese hätte sich immer mehr als Führungsorganisation im militanten neofaschistischen Lager herauskristallisiert und sei für den alltäglichen rechten Terror verantwortlich. Die Zeitung veröffentlichte Namen und Fotos von zehn JN-Funktionären und forderte: "Weg mit den 'Jungen Nationaldemokraten'! ... Organisiert die antifaschistische Selbsthilfe!". - 60 - Eine Sachbeschädigung am Wohngebäude eines in Flensburg wohnhaften JN-Mitglieds dürfte auf diese Kampagne zurückzuführen sein. 4.2.3 Entwicklung im "radikal"-Verfahren Das vom Generalbundesanwalt eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Redakteure der linksextremistischen Untergrundschrift "radikal" - zwei von ihnen stammen aus SchleswigHolstein - wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung beschäftigte auch 1996 Teile des linksextremistischen Spektrums. Sogenannte Soli-Gruppen bemühten sich, das Öffentliche Interesse an dem Verfahren, insbesondere außerhalb der linksextremistischen Zusammenhänge, zu steigern und dieses weg von der "Kriminalisierung" der "radikal" hin zu einem vermeintlichen Angriff auf das Grundrecht der Meinungsund Pressefreiheit zu lenken. Allerdings hat das Interesse in der Szene mit abnehmender Aktualität der Verhaftung von vier der mutmaßlichen Redakteure der Untergrundschrift am 13. Juni 1995 zum Teil erheblich nachgelassen. Durch deren Haftentlassung im Dezember 1995 ging außerdem ein verbindender Identifikationspunkt innerhalb der Unterstützer-Szene verloren. Gewisse Aufmerksamkeit erregte das Verfahren noch einmal am 13. Juni 1996 und 26. Novenber 1996, als sich zunächst vier und dann auch noch der letzte der noch flüchtigen und mit Haftbefehl gesuchten Angehörigen des Redaktionskollektivs den Behörden stellten. Sie wurden nach kurzer Zeit unter Auflagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Einen großen Anteil an der öffent!' eitsarbeit der "Soli-Bewegung" hat die bundesweit ve: rieben" . !hrift "radikale Zeiten - Zeitung gegen die Verfahren wegen radikal, K.O.M.I.T.E.E., AIZ und RAF", die aus Anlaß der Ereignisse vom 13. Juni 1995 gegründet wurde. Als Redaktionsanschrift wird die Anschrift des bekannten linksextremistisch-autonomen "Informationsdienst Schleswig-Holstein" in Neumünster verwendet. " - 61 - 4.2.4 Beeinflussung des Lübecker Brandprozesses durch linksextremistische Grupplerungen Die am 16. September 1996 vor dem Landgericht Lübeck eröffnete Hauptverhandlung und die hierzu vorausgegangenen Ermittlungen gegen einen libanesischen Staatsbürger wegen des Verdachts der Brandstiftung in einer Unterkunft für Asylsuchende in der Lübecker Hafenstraße am 18. Januar 1996 haben bundesweit im gesamten linksextremistischen Spektrum große Aufmerksamkeit gefunden. Hauptkritikpunkte der Linksextremisten an dem Strafverfahren sind unter anderem die angeblich "rassistischen Ermittlungen" wegen der unterstellten Vernachlässigung von Ermittlungsansätzen, die zu Tätern aus vermeintlich rechtsradikalen Kreisen weisen. Neben linksextremistischen Grupplerungen aus Hamburg trat hier das "Lübecker Bündnis gegen Rassismus" in Erscheinung, in dem neben Personen aus dem bürgerlichen Spektrum auch Linksextremisten, insbesondere militante Autonome unter anderem aus der Gruppierung "Levanti - Projekt undogmatische Linke" (ehemals "Avanti - Projekt undogmatische Linke"), führend mitarbeiten. In den Redebeiträgen anläßlich diverser vom Bündnis organislerter bzw. mitinitiierter Demonstrationen, in Beiträgen der "Antifaschistischen Zeitung für Lübeck und Umland" sowie des "PROZESSINFO" des Bündnisses wird immer wieder der Vorwurf wiederholt, die Ermittlungsbehörden hätten einseitig und damit "rassistisch" gegen den Angeklagten ermittelt und bewußt die "Wahrheit" aufgrund einer inoffiziellen "staatlichen Verschwörung" vertuscht. Dies gipfelte unter anderem darin, daß der in dem Fall ermittelnde Staatsanwalt mit diesen Vorwürfen in Zusammenhang gebracht wurde, indem er "steckbriefartig" auf Plakaten des Bündnisses abgebildet wurde. Daß diese Art der Diffamierung staatlicher Ermittlungsbehörden nicht in erster Linie eine persönliche Herabwürdigung der für die Untersuchungsbehörde tätigen Mitarbeiter darstellen soll, sondern vielmehr gegen den Staat als solchen gerichtet ist, verdeutlicht das folgende Zitat eines führenden Mitglieds des Bündnisses aus einer öffentlichen Rede anläßlich einer Demonstration am 20. Januar 1996 in Lübeck: - 62 - "Es gibt kein Patentrezept im Kampf gegen den Rassismus, niemand kann eine schnelle Lösung nennen. Doch sicher ist, daß wir den Kampf - und ich meine den Kampf - aufnehmen müssen: gegen die Stiefelnazis, gegen ihre ideologischen Hintermänner und gegen einen Staat, der selbst in weiten Teilen rassistisch ist." (Hervorhebungen nicht im Original; abgedruckt in der Extra-Ausgabe der "Antifaschistischen Zeitung für Lübeck und Umland" zum Brand am 18. Januar 1996.) Um "die Tätigkeit der Ermittlungsbehörden in Lübeck zu beobachten" und "selbst dem Herausfinden der Wahrheit zu helfen", konstitulerte sich am 22. April 1996 auf Initiative führender Funktionäre des revolutionär-marxistischen "Arbeiterbundes für den Wiederaufbau der KPD" (AB) eine aus neun Personen verschiedener Nationalitäten bestehende "Internationale Unabhängige Kommission" (IUK). Auf eine andere Zielrichtung deutet allerdings ein "internes Zirkular" des AB (Nr. 491 vom 22. August 1996) hin. Darin heißt es: "Die Bildung der IUK wäre auch dann richtig und notwendig gewesen, wenn sich herausstellen sollte, daß der Angeklagte ... schuldig ist, denn nicht um seine Schuld oder Unschuld geht es bei der Aufgabenstellung der IUK, sondern um Einmischung in die inneren Angelegenheiten Großdeutschlands und um Ansätze einer Kontrolle der europäischen Völker." 4.3 Situation der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein 4.3.1 Potential und Strukturen Die autonom-anarchistische Szene in Schleswig-Holstein - mit unverändert insgesamt rund 350 Personen - hat ihre Schwerpunkte in Kiel, Neumünster und Lübeck. In Rendsburg sind Auflösungserscheinungen festzustellen. Autr me des Hamburger Randgebiets sind nach wie vor ganz überw! "end auf die Autonomen-Szene in Hamburg orientiert. Die Szene-Einrichtungen und deren Funktionen weisen gegenüber dem Vorjahr keine nennenswerten Änderungen auf. So haben z. B. die sogenannten Infoläden in Kiel ("Beau Rivage"), Flensburg - 63 - ("Hafermarkt 6") und Rendsburg ("THEPRAX") ihre Funktionen als Anlaufstellen, Treffpunkte und Informationsbörse beibehalten. Auch der "Informationsdienst Schleswig-Holstein" in Neumünster hat wiederum seinen Teil als "Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet des Informationsaustausches und der -beschaffung" unter Zuhilfenahme der szene-eigenen computergestützten Mailboxsysteme beigetragen. Hervorzuhebende Aktionsfelder der militanten Autonomen im Lande waren neben dem Traditionsthema "Antifaschismus" der Bereich "Anti-Atomkraft" sowie die Solidaritätsarbeit für die vom "radikal"-Verfahren betroffenen Personen. 4.3.2 Entwicklung der Gewalttaten in Schleswig-Holstein Für 1996 wurden von der Verfassungsschutzbehörde 27 (Vorjahr: 24) linksextremistisch motivierte Gewalttaten erfaßt. Dabei handelt es sich im einzelnen um - einen Brandund einen vorgetäuschten Sprengstoffanschlag, - zwei Körperverletzungen sowie - 23 Sachbeschädigungen. Die ganz überwiegende Mehrzahl der Delikte wurde im Rahmen des "Antifa-Kampfes" und vor dem Hintergrund der Castor-Transporte gegen Einrichtungen der Deutschen Bahn verübt. Diese Entwicklung macht es erforderlich, daß die militante autonome Szene weiterhin ein besonderer Beobachtungsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörde bleibt. 5 Dogmatischer Linksextremismus Bundesweit hat sich das Lager der Marxisten-Leninisten und sonstiger revolutionärer Marxisten mit über 25 000 Mitgliedern nach mehreren Jahren tiefer ideologischer Verunsicherung, struktureller Probleme und vor allem personeller Rückgänge zwischenzeitlich wieder auf niedrigerem Niveau konsolidiert. Dadurch bedingt ist wieder eine verstärkte Agitationsund Propagandaar- - 64 - beit festzustellen. Zum herausragenden Thema hat sich dabei die Kürzung von Sozialleistungen entwickelt. Bemerkenswert ist auch, daß sich einige marxistisch-leninistische Gruppierungen nicht mehr so strikt abschotten wie in der Vergangenheit. So ist es z. B. zu Aktionseinheiten sogar mit militanten Autonomen gekommen, wobei diesen insbesondere Unterstützung in logistischer Hinsicht gewährt wurde. Nicht selten sind auch Demonstrationen des gewalttätigen linksextremistischen Spektrums durch Marxisten-Leninisten angemeldet worden. In Schleswig-Holstein geht von den rund 650 dogmatischen Linksextremisten eine ganz geringe politische Wirkung aus. Kennzeichnend dafür ist das Abschneiden der in diesem Bereich mitgliederstärksten Partei, der "Deutschen Kommunistischen Partei" mit landesweit rund 270 Mitgliedern, bei der Landtagswahl im März 1996. Als einzige kandidlerende linksextremistische Organisation trat sie lediglich in sieben Wahlkreisen an und erhielt insgesamt 437 (= 0,0 %) Stimmen. Es war ihr nicht gelungen, eine Landesliste aufzustellen. Versuche im Vorfeld, eine gemeinsame wWahlliste mit der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) zu präsentieren, scheiterten daran, daß die PDS nicht kandidierte. Die Mitglieder des "Bundes Westdeutscher Kommunisten" und der "Vereinigung für Sozialistische Politik" betätigen sich im Lande seit Februar 1996 als "AG Kommunistische Politik von unten in und bei der PDS SH". Die PDS selbst wird in Schleswig-Holstein weiterhin als Prüffall geführt, da eine abschließende Bewertung dieser aus verschiedenen politischen Strömungen bestehenden Partei nach wie vor nicht möglich ist. - 65 - Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Grupplerungen in Schleswig-Holstein und Gesantentwicklung im Bundesgebiet 1994 bis 1996 1994 1995 1996 Orthodoxe Kommunisten 600 550 550 Revolutionär-marxistische Gruppen 100 100 100 Militante Autonome 350 350 350. Gesamt Land 1 050 1 000 1 000 Gesamt Bund 33 700 35 000 35 200 - 66 - IV. Extremistische Bestrebungen von Ausländern 1 Überblick Ende 1996 gehörten rund 1 600 der in Schleswig-Holstein wohnhaften Ausländer extremistischen bzw. extremistisch beeinflußten Ausländerorganisationen an. Die seit 1993 zu verzeichnende Zunahme der Mitgliederund Anhängerzahlen setzte sich damit auch 1996 PSort. Trotz dieser Tendenz ist hervorzuheben, daß der Anteil ausländischer Extremisten am gesamten Bevölkerungsanteil des Landes weiterhin im Bereich von 1 % liegt. Dies verdeutlicht, daß - bis auf eine kleine Minderheit - die hier lebenden Ausländer die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung respektieren. Auch 1996 gingen Gefahren für die Innere Sicherheit sowohl auf Bundesals auch auf Landesebene vorwiegend von revolutionärmarxistischen türkischen Organisationen sowie von der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) aus. Ihnen sind nahezu alle im Berichtsjahr in der Bundesrepublik verübten Gewalttaten mit ausländerextremistischem Hintergrund zuzuschreiben. Demgegenüber traten die übrigen in Schleswig-Holstein vertretenen extremistischen Ausländerorganisationen nur gelegentlich mit öffentlichen Aktivitäten in Erscheinung. Die PKK setzte 1996 ihre bereits in den Vorjahren in der Bundesrepublik praktizierte Doppelstrategie fort, einerseits als Dialogpartner für die Kurden im Lande zu sprechen, andererseits durch militante Aktivitäten und Drohungen Aktionsund Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Die besorgniserregenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und n'tior .istisch orientierten Türken in Schleswig-Holstein, die ar . "september 1995 mit der Erschießung eines Kurden in Neumünster einen tragischen Höhepunkt fanden, haben sich 1996 nicht fortgesetzt. Nach wie vor stehen sich die Anhänger beider Konfliktparteien aber unversöhnlich gegenüber. - 67 - Im Januar und Juli 1996 löste die Situation in türkischen Haftanstalten eine Welle zum Teil militanter Solidaritätsaktionen türkischer Linksextremisten in der Bundesrepublik aus. Zwei von zahlreichen Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen richteten sich in Kiel gegen ein türkisches Geschäft und ein türkisches Reisebüro. 2 Aktivitäten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ist seit Jahren ein Schwerpunkt im Rahmen der Beobachtung extremistischer Bestrebungen von Ausländern. Sie verfügt bundesweit über rund 10 000 An- ; hänger; in Schleswig-Holstein umfaßt ihr Anhängerund Sympathisantenfeld rund 650 Personen. Die PKK ist eine den Grundsätzen des Marxismus-Leninismus verpflichtete, straff organisierte Kaderpartel. Auch nach dem Niedergang der sozialistischen Staaten in Osteuropa wird das Ziel der Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft von ihr unverändert weiterverfolgt. Diese Zielsetzung beschränkt sich nach der Programmatik der PKK nicht nur auf die von ihr beanspruchten Kurdengebiete. Vielmehr wird die Verwirklichung der "natfonalen Befreiung" Kurdistans ideologisch in einen überregionalen Rahmen eingebettet. Nach den Beschlüssen des 5. Parteikongresses {8. bis 27. Januar 1995) will die PRK "Schritte zur Schaffung einer revolutionären sozialistischen Internationalen unternehmen und deren Vorhut machen". Die PKK geriert sich als einzig legitimer Interessenwalter der "kurdischen Sache" und versucht den Anschein zu erwecken, sie werde mehrheitlich von den hier und in der Türkei lebenden Kurden unterstützt bzw. getragen. In diesem Bestreben wird sie von Organisationen bzw. Angehörigen des deutschen linksextremistischen Spektrums unterstützt, die nicht nur propagandistische Hilfe leisten, sondern teilweise auch als Anmelder von Veranstaltungen auftreten, um einen PRK-Bezug zu verschleiern. Das 1993 gegen sie erlassene Betätigungsverbot versucht die PKK auch durch die Gründung von neuen Organisationen, die nach au- - 693 - ßen hin keinen offensichtlichen Bezug zu ihr erkennen lassen, zu unterlaufen. Beispielsweise fungiert nach dem 1993 verfügten Verbot der PKK-Nebenorganisation "Föderation der patrlotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus der Bundesrepublik Deutschland e. V." die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) als Dachverband PKK-naher örtlicher Vereine. Die YEK-KOM verfügt auch in Schleswig-Holstein über einen offiziellen Mitgliedsverein. Zur Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die PKK in der Bundesrepublik Deutschland eine Doppelstrategie. Einerseits ist sie bemüht, durch moderate Äußerungen und Verhandlungsangebote als Ansprechpartner für Kurdenfragen akzeptiert zu werden. Andererseits demonstriert sie durch militante Aktionen oder Drohgebärden Kampfbereitschaft. Diese bereits seit Jahren praktizierte Strategie wurde auch 1996 fortgesetzt. Nachdem der Generalsekretär der PKK, Abdullah Öcalan, noch im Dezember 1995 nach mehreren der PKK zuzurechnenden Anschlagsserien einen Gewaltverzicht seiner Anhänger in der Bundesrepublik Deutschland angedeutet hatte, folgten bereits Ende Januar 1996 unverhüllte Drohungen gegen die Bundesrepublik und deutsche Staatsbürger. In einem Interview mit dem PKK-nahen kurdischen Fernsehsender "MED-TV" erklärte Öcalan z. B.: "wir haben den Waffenstillstand nicht nur für die Türkei verkündet, sondern auch für Deutschland. Wird in Kürze unsere Initiative nicht positiv beantwortet, dann werden die Kampfhandlungen wieder aufgenommen, ... wird es in Europa eine Massenerhebung geben, in der ersten Linie in Deutschland. Es werden dabei Hunderte von Menschen sterben. Dafür werde ich keine Verantwortung tragen. Die kommenden Tage werden gefährlich. Ich sage dies besonders bewußt... Wenn morgen 50 deutsche Touristenleichen in Deutschland ankommen, dürfen die Verantwortlichen nicht überrascht sein. Auch wenn in Deutschland unkontrollierte Ausschreitungen stattfinden sollten, sollten sie sich ebenfalls nicht wundern." Derartige Äußerungen Öcalans dürften für den gewalttätigen Verlauf der am 9. März 1996 in Bonn unter maßgeblicher Beteiligung der PKK-Frauenorganisation "Freier Frauenverband Kurdistans" - 59 - durchgeführten Demonstration zum Internationalen Frauentag ebenso ursächlich gewesen Sein wie für die Ereignisse im Zusammenhang mit einer von der PKK trotz eines rechtskräftigen Versammlungsverbots am 16. März 1996 in Dortmund durchgeführten Kundgebung zum Thema "Politische Lösung für Kurdistan". Im Vorfeld der letztgenannten Veranstaltung kam es zu blutigen Ausschreitungen, bei denen Sicherheitskräfte, die die Demonstranten an der Anreise hindern wollten, von zum Teil mit Knüppeln bewaffneten PKK-Anhängern attackiert wurden. Zwei Polizisten erlitten bei einem Angriff auf ihren Streifenwagen schwere Kopfverletzungen und mußten in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Wegen befürchteter weiterer schwerer Ausschreitungen wurden die meisten der anläßlich des kurdischen Neujahrsfestes "Newroz" (21. März) geplanten Veranstaltungen im Bundesgebiet verboten. In zahlreichen Städten mißachteten Anhänger der PKK allerdings die Demonstrationsverbote. In Hamburg, Köln und Gießen wurden Polizisten mit Steinen beworfen und mit Fackeln attackiert. Die wenigen Demonstrationen, bei denen die PKK nicht nachweislich bestimmenden Einfluß hatte und die deshalb nicht verboten worden waren, verliefen dagegen ausnahmslos friedlich, so auch die "Newroz"-Kundgebung am 21. März 1996 in Kiel, an der sich rund 450 Personen, darunter Deutsche und 20 bis 30 Angehörige der linksextremistischen türkischen Gruppierung "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" beteiligten. Offensichtlich unter dem Eindruck PKK-kritischer Berichterstat'tung in deutschen Medien waren bereits ab Ende März 1996 moderatere Äußerungen Öcalans zu verzeichnen. In Interviews am 5. Mai 1996 im ZDF und am 20. Mai 1996 in der "Welt" räumte der Generalsekretär der PKK Fehler seiner Organisation ein und erklärte unter anderen: "Ich will einen politischen Dialog mit der Bundesrepublik Deutschland und eine politische Lösung. In der Bundesrepublik Deutschland wird es keine Gewaltaktionen von seiten der PKK mehr geben. Die PKK wird einen friedlichen Weg verfolgen." - TO - Auch in weiteren, in deutschen Medien und über den kurdischen Fernsehsender "MED-TV" verbreiteten Erklärungen versicherte Öcalan, seine Anhänger würden sich künftig an deutsche Gesetze halten. Die PKK hat seitdem in Deutschland weitestgehend auf den Einsatz von Gewalt zur Verwirklichung ihrer Ziele verzichtet. Eine am 15. Juni 1996 in Hamburg unter maßgeblicher Beteiligung der PKK durchgeführte Demonstration mit rund 40 000 Teilnehmern, darunter auch zahlreiche Kurden aus Schleswig-Holstein, verlief friedlich. Lediglich im Vorfeld der Veranstaltung war es am deutsch-dänischen Grenzübergang Ellund kurzzeitig zu Ausschreitungen gekommen, als die dänische Polizei versuchte, rund 200 Anhängern der PKK ohne Visum die Einreise in die Bundesrepublik zu verwehren. Gewaltfrei verlief auch die am 7. September 1996 in Neumünster durchgeführte Kundgebung aus Anlaß des ersten Todestages eines im Vorjahr bei einer Auseinandersetzung mit nationalistisch gesinnten Türken erschossenen PKK-Anhängers. Das vereinzelte Auftauchen junger Türken, die provokativ den Gruß der "Grauen Wölfe" zeigten, führte bei den Demonstranten nicht zu Gegenreaktionen, Trotz der seit Frühjahr 1996 anhaltenden Phase der Gewaltlosigkeit der PKK besteht allerdings kein Anlaß zur Entwarnung. In einer am 3. September 1996 vom kurdischen Fernsehsender "MED-TV" ausgestrahlten Stellungnahme zu vorangegangenen Selbstmordanschlägen in der Türkei hatte Öcalan erklärt, es handele sich um Aktionen von PKK-Kämpferinnen, die aufgrund ihres eigenen Entschlusses gehandelt hätten und nicht auf seine Weisung. Gleichwohl hätten die Aktionen symbolischen Charakter, die Entschlossenheit der Attentäterinnen zeige, welche Wege geöffnet werden könnten. Das türkische Regime müsse aus den Aktionen Lehren ziehen. Auch Staaten wie die USA und Deutschland müßten die Aktionen unbedingt verstehen. Wenn er die Anweisung zu solchen Aktionen erteilen würde, hätte dies weitreichende Folgen. Er scheue sich zwar noch vor dieser Art von Kriegsführung; falls - 171 - notwendig, werde man jedoch die eigene Vorgehensweise gewalttätiger gestalten. Bereits seit Juli 1996 hatte die Führung der PKK die Bundesrepublik wiederholt vor nicht näher bezeichneten Folgen weiterer Exekutivmaßnahmen gegen Parteistrukturen bzw. der Aufrechterhaltung des PKK-Verbots gewarnt. Es bleibt daher abzuwarten, ob Öcalan auch am Gewaltverzicht festhält, wenn sich seine Hoffnungen auf Betätigungsmöglichkeiten seiner Organisation in Deutschland weiterhin nicht erfüllen. . 3 Protestund Gewaltaktionen linksextremistischer Türken von linksextremistischen türkischen Organisationen gehen wegen ihrer hohen Gewaltbereitschaft nach wie vor erhebliche Gefahren für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus. Anhänger insbesondere des in "Revolutionäre VolksbefrelungsPSront" (DHKP-C) umbenannten Karatas-Flügels der in der Bundesrepublik Deutschland verbotenen "Devrimci Sol", der "MarxistischLeninistischen Kommunistischen Partei" sowie der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" nahmen Unruhen und Hungerstreiks in türkischen Haftanstaiten im Januar und Juli 1996 zum Anlaß für bundesweite, zum Teil militante Solidaritätsaktionen. Betroffen war, wie bei ähnlichen Protestund Anschlagswellen im Vorjahr, auch Schleswig-Holstein. Zwei von zahlreichen Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen in Deutschland richteten sich in Klel-Gaarden am 7. Januar gegen ein türkisches Geschäft und am 22. Juli gegen ein türkisches Reisebüro und verursachten erhebliche Sachschäden. In beiden Fällen wurden am Tatort Beweismittel aufgefunden, die auf eine Urheberschaft der DHKP-C hindeuten, Am späten Vormittag des 24. Juli 1996 verschafften sich rund ein Dutzend mutmaßlicher Mitglieder der DHKP-C Einlaß in das Landeshaus in Kiel und besetzten den Balkon oberhalb des Eingangsbereiches, um auf die Situation ihrer in der Türkei inhaftierten Gesinnungsgenossen aufmerksam zu machen. Für den Fall eines Einschreitens der Polizei drohten einzelne Demonstranten, sich vom Balkon zu stürzen. - 72 - Es ist zu befürchten, daß die Haftsituation in türkischen Gefängnissen auch künftig Anlaß zu Ausschreitungen türkischer Linksextremisten in Deutschland geben wird. - 73 - Entwicklung der Mitglieder-/Anhängerzahlen der extremistischen Ausländerorganisationen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1994 bis 1996 1994 1995 1996 Türkische Organisationen , - linksextremistische Gruppen 90 110 130 - islamisch-extremistische Gruppen 400 400 400 - extrem-nationalistische Gruppen 100 250 300 Kurdische Organisationen 600 600 650 Iranische Organisationen 50 40 40 Arabische Organisationen 100 100 90 Gesamt Land 1340 1500 1610 Gesamt Bund " 47 050 55 100 57 300