Schleswig-Holsteinischer Landtag Drucksache 14/143 14. Wahlperiode 06.08.96 Bericht der Landesregierung Verfassungsschutzbericht 1995 Federführend ist der Innenminister. n j 1. Innenministerium des Landes Schleswig-Holstein .Verfassungsschutzbericht 1995 Inhaltsverzeichnis Seite I. Rechtsextremismus 1 Überblick 2 ziele und Erscheinungsformen des Rechtsextremismus . 3 Umstrukturierung des Rechtsextremismus stagniert 3.1 Neonazistische Strategien nach den Organisationsverboten 3.2 Rechtsextremistische Parteien verlierer weiter an Mitgliedern 4 Risiken für eine Eskalation . rechtsextremistischer Gewalt 5 Hohes Gewaltpotentlial innerhalb der rechtsextrem orientierten Skinhead-Szene 11 Auslandsverbindungen von Rechtsextremisten 14 7 Aktivitäten rechtsextremistischer Organisationen und unstrukturierter Personenzusammenschlüse 15 7.1 Die "Norddeutsche Bewegung" (NDB) als Nachfolgerin des Landesverbandes der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartai" (FAP) 15 7.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 17 7.3 - "Junge Nationaldemokraten" (JN) 18 T1.% "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) 19 74.3 "Deutsche Volksunion" (DVU) 21 7.6 "Die Republikaner" (REP} 22 7.7 Sonstige: rechtsextremistische Vereinigungen sr 24 8 Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1991 bis 1995 25 II Seite Linksextremismus 26 Überblick 27 Linksextremistischer Terrorismus "Antiimperialistische Zelle" (BIZ) 27 "Rote Armee Fraktion" (RAF) 31 Unterstützerund Sympathisantenspektrum 33 des Terrorismus Szene-Potential in Schleswig-Holstein 33 34 "Rote-Hilfe"-Aktivitäten 35 Autonom-anarchistische Szene Organisierung und Strukturen der Szene 37 38 Aktionsfelder 38 "radikal"-Verfahren al Antifaschismus 42 Anti-Atomkraft e Situation der autonom-anarchistischen Szen 43 in Schleswig-Holstein 43 Potential und Strukturen Entwicklung der Gewalttaten in 44 Schieswig-Holstein 45 . Dogmatischer Linksextremismus 45 Allgemeine Entwicklung 45 Einzelne Organisationen Mitgliederentwicklung der linksex tremistischen Organisationen und Gruppierung en in Schleswig-Holstein und Gesamt entw icklung 48 . im Bundesgebiet 1993 bis 1995 III Seite III. Extremistische Bestrebungen von Ausländern Überblick 49 Die "Arbeiterpärtei Kurdistans" (PRK) setzt ihre Tätigkeit trotz Verbot in der Bundesrepublik fort 50 Extrem-nationalistische türkische Organisationen verzeichnen einen Zulauf an Anhängern in Schleswig-Holstein 54 Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und nationalistiachen Türken setzten sich fort 55 "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V."" (AMGT) gliedert sich neu 56 Entwicklung der Mitglieder-/Anhängerzahlen der extremistischen Ausländerorganisationen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1993 bis 1995 58 I. Rechtsextremismus 1 Überblick Ende 1995 gab es im Bundesgebiet rund 46 000 Mitglieder in rechtsextremistischen Vereinigungen. Damit hat sich die Zahl gegenüber 1994 um über 10 000 verringert; in Schleswig-Holstein von 1 875 auf rund 1 700. Die Gewalttaten mit rechtsextremistischer Motivation gingen auf Bundesebene um rund 30 % zurück (von 1 489 auf 1 047), in Schleswig-Holstein um etwa 50 % (von 61 auf 30). Diese Momentaufnahme des Rechtsextremismus zeigt zwar, daß die Verbote, Strafverfolgungsmaßnahmen und gesellschaftiichen Reaktionen erfolgreich waren; sie macht aber auch die weiterhin vorhandene Gewaltbereitschaft deutlich. Rechtsextremistisch motivierte Gewalt stelit keine Gefährdung der Verfassungsordnung, aber unverändert eine Herausforderung für die Innere Sicherheit dar. Die Neonazi-Szene hat sich auf dezentrale Einzelaktionen zurückgezogen, ist gewaltgeneigter geworden, aber auch unübersichtlicher. Die Führer der rechtsextremistischen Parteien sind weitgehend zerstritten, zum Teil im Gefängnis oder wurden abgesetzt. An der Basis ist zunehmend der Wunsch nach parteiübergreifender Zusammenarbeit erkennbar. Machtpolitische Ansprüche der Parteispitzen stehen dem noch entgegen. " 2 Ziele und Erscheinungsformen des Rechtsextremismus Verbindende Elemente des Rechtsextremismus sind Üübersteigerter Nationalismus und völkischer Kollektivismus, die oft in einer diffusen Rassenideologie verwurzelt sind. Die pluralistische Gesellschaft wird abgelehnt, der Parlamentarismus verächtlich ge- macht und als unfähig hingestellt, dem nationa@listisch verstandenen Gemeinwohl zu dienen. In einer rechtsextremistisch geprägten Jugendkultur, die bewußt gesellschaftliche Tabus verletzen und die militante Ablehnung der bestehenden Verhältnisse ausdrücken will, spielen Versatzstücke der nationalsozialistischen Ideologie und Symbole des Nationalsozialismus unverändert eine Rolle. In Kreisen "nationaler Revolutionäre" und erst recht in rechtsextremen Parteien gilt die Anlehnung an nationalsozialistisches Gedankengut hingegen zunehmend als hinderlich auf dem Weg zu größerem politischen Einfluß. Sofern von ihnen überhaupt historische Bezüge hergestellt werden, sind eher antiliberale nationallstische Strömungen der Jahrhundertwende und der Weimarer Republik geistige Bezugspunkte, ist das Leitbild die widerspruchsfreie "organische" Volksgemeinschaft. Die öffentlichen Äußerungen betonen "nationale" Anliegen wie "Erhaltung der nationalen Identität" und "Schutz deutscher Interessen". Diese Forderungen müssen im Zusammenhang mit Verlautbarungen rechtsextremistischer Funktionäre gesehen werden. Erst dadurch wird der unüberbrückbare Gegensatz zwischen der durch Liberalismus und Pluralismus gekennzeichneten freiheitlichen Staatsform und dem antiliberalen Absolutheitsanspruch der rechtsextremistischen Bestrebungen deutlich. Der auf neonazistische Organisationen ausgeübte staatliche Druckhatte zur Folge, daß eine Art Widerstandsbewußtsein sich zu einem verbindenden Element der unterschiedlichen Strömungen entwickelte. Bei dem Versuch, eine "rechte Einheitsfront" zu erreichen, hat das Selbstverständnis als Fundamentalopposition gegenüber dem freiheitlichen Rechtsstaat inzwischen die vor allem 1994 bedeutsame "Anti-Antifa-Kampagne" abgelöst. Die totale Gegnerschaft gegenüber dem Staat wird von manchen National-Revolutionären sogar als Möglichkeit gesehen, sich nit Linksextremisten zu verbünden. So äußerte der ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" in Nordrhein-westfalen in einem Interview: "Ich hätte mich gefreut, wenn es eine inoffizielle Regel gegeben hätte, die Linken lassen uns In Ruhe, wir lassen die Linken in Ruhe. Die sollen gegen den Staat agieren, und wir agieren auch gegen den Staat." In der in den neuen Bundesländern herausgegebenen Zeitschrift "Angriff" (Ausgabe Nr. 7) rufen die Verfasser "Alle" zur täglichen Aktion gegen staatliche Repressalien und zur Sabotage am Staatsgehorsam auf: "Bildet kleine geheime Gruppen. Greift die: feindlichen Strukturen an. Aber: Keine Angriffe gegen Ausländer oder verwirrte Linke! Neue Freunde braucht das Land! Angriffspunkt von gemeinsamen Aktionen sollten die vier Mächte im Staat sein. Die Executive, die Legislative, die Justizia (!) und die Meinungsmonopoie," v Auch der Betreiber des "Nationalen Info-Telefons Schleswig-Holstein" (NIT), Andr& Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), sah einen Ansatzpunkt für die Zusammenarbeit mit Linksextremisten. Ein gegen ihn eingeleitetes Strafverfahren wegen der Verwendung des Wortes "Auschwitz-Mythos" in einer Ansage des Info-Telefons kommentierte er dahingehend: Es gehe nicht um den Holocaust, sondern um Einschränkungen der Grundrechte, die "schon bald" auch Linksextremisten treffen könnten. Weiter heißt es unter Hinweis auf die Berufungsverhandlung: "Es gilt alao, gemeinsam den Anfängen zu wehren. Wir wünschen uns die Anwesenheit aller progressiven Kräfte von Links bis nach Rechts." (NIT-Ansage vom 25. August 1995) Immer wieder wird versucht, das: in Artikel 20 Absatz 4 des Grundgesetzes manifestierte Widerstandsrecht wegen des angeblichen Verrats deutscherInteressen zur Handlungsgrundlage zu machen. Das "Nationale Info-Telefon Berlin" faßt in einer Ansage . vom 29. Dezember 1995 die jüngsten Entwickiungen aus der Sicht - der national-revolutionären bzw. neonazistischen Szene anschaulich zusammen: "Mit dem Jahr '95 geht ein besonderes Kampfjahr für die nationale Szene zu Ende. Auch weiterhin wurden die Grundrechte nationaler Bürger weiter eingeschränkt. Da die Gewährleistung der Grundrechte grundlegend für die Demokratie ist, wurde hiermit die Demokratie bedroht. Im Namen der Freiheit wurde eine geistige Unfreiheit geschaffen. Die wirklichen Demokraten im Sinne germanischer Volksherrschaft sind heute die nationalen Kräfte. Die ständigen Verbote nationaler Versammlungen haben es aber endlich ermöglicht, die verschiedenen nationalen Strömungen zu bündeln und zu einem geschlossenen Vorgehen zu motivieren. Darüber hinaus haben die staatlichen Maßnahmen die notwendige geistige Radikalisierung der nationalen ' Szene Bewirkt. Auch die letzten Zweifler in der Szene haben nunmehr geistig mit dem noch herrschenden System restlos abgeschlossen. Das Jahr '96 wird die nationale Szene weiter voranbringen. Die Gewißheit, die Wahrheit und die Biologie weltanschaulich hinter sich zu wissen, möge der nationalen Arbeit einen großen Schub geben. Die geringe Zeit bis zum Machtwechsel muß jetzt zum Aufbau einer künftigen Führungselite genutzt werden." 3 Umstrukturierung des Rechtsextremismus stagniert 3.1 Neonazistische Strategien nach den Organisationsverbcoten Die im Februar 1995 erlassenen Verbote gegen die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) und die "Nationale Liste" hatten im Gegensatz zu den anderen acht seit 1992 ausgesprochenen Verboten unmittelbare Auswirkung auf die schleswig-holsteinische Szene. Diese hatte ihre entscheidenden Impulse In den vyergangenen Jahren überwiegend von Neonazi-Funktionären aus Hamburg oder dem schieswig-holsteinischen Umland erhalten. Hervorzuheben ist hier neben dem zur engsten Gefolgschaft des verstorbenen Neonazi-Führers Michael Kühnen gehörenden Christian Worch, Hamburg, vor allem der führende Funktionär der verbotenen FAP, Andr& Goertz. Dieser hat seit. 1994 maßgeblich an der Erarbeitung neuer neonazistischer Konzepte für die Zeit nach den Verboten mitgewirkt und die daraufhin in weiten Teilen des Bundesge- * bietes einsetzende Entwicklung entscheidend mitgeprägt. Die Handlungsfähigkeit der Szene war aber trotz der Bemühungen um eine organisationsübergreifende Zusammenarbeit ("Vernetzung") im Jahre 1995 stark eingeschränkt. Anläßlich der rechtsextremistischen Aktionstage waren die Protagonisten der Szene, überwiegend ehemalige Angehörige der verbotenen neonazistischen Organisationen, nicht in der Lage, Aktionen mit größerer Beteiligung durchzuführen, Sie konnten nur mit konspirativ arbeitenden klei-. nen Gruppen unangemeldete Aktionen durchführen, um "Flagge zu zeigen" und sich gegenüber dem politischen Umfeld zu profilieren. -. u. Der Hauptakteur der in Schleswig-Holstein spürbaren Sammlungsund Vernetzungsbestrebungen, Andr& Goertz, versuchte 1995, seilnen Anhängern eine neue theoretische Handlungsgrundlage zu geben und eine optische Distanz zum Nationalsozialismus herzustellen. Dabei bedient er sich des selbstgewählten Terminus "Progressiver Nationalismus". In verschiedenen Publikationen definiert er dessen Inhalt. Danach beabsichtigt er, eine Systemalternative zu schaffen, womit die Beseitigung der als "herrschendes System" diffamierten freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemeint ist. Mit dem Verzicht auf ideologischen Ballast will er eine breite Bündnisfähigkeit erreichen. Bestimmte Themenfelder sollen aus taktischen Erwägungen nur noch zurückhaltend angesprochen werden, um in der Öffentlichkeit nicht mehr Angriffsflächen als notwendig zu bieten. Konkret werden Antisemitismus und Revisionismus - dieser verbindet sich. für die Öffentlichkeit insbesondere mit dem Stichwort "Auschwitz-Lüge" - genannt. Diese für viele Rechtsextremisten zentralen Punkte ihres Selbstverständnisses lassen nachGoertz' Auffassung die Rechte im "Sektierertum" verharren. Bemerkenswert ist, daß der "progressive Nationalismus" im Kampf gegen das "System" nicht . nur ein Bündnis der eigenen politischen Strömungen anstrebt, sondern "auch die punktuelle Zusammenarbeit mit politischen Gegnern oder Ausländern". Eine Zusammenarbeit mit Linksextremisten sei zum Beispiel bei der Ausforschung der Sicherheitsbehörden denkbar. " Goertz versucht, durch taktisch motivierte Zurückhaltung, sprachliche und organisatorische Verschleierung sowie durch die Verdammung der NS-Nöstalgie neue Ansätze für den Rechtsextremismus zu finden. Innerhalb der Neonazi-Szene ist diese Taktik nur bedingt von Erfolg gekrönt. Beispielhaft für die neue Taktik ist die Reaktion von Andr& Goertz auf eine von deutschen und ausländischen Neonazis am 19. August 1995 in Roskilde (Dänemark) veranstaltete "Rudolf-Heß-Demonstration"", bei der unter anderem Hakenkreuze und das Symbol der verbotenen FAP gezeigt worden waren. Eine Ansage im "Nationalen Info-Telefon" machte die Demonstrationsteilnehmer als "Nostalgiker" lächerlich, die mit Hakenkreuz-Fahnen und Hitler-Gruß durch die Straßen zögen und nur "primitiv" für Heß demonstriert hätten. Auf dieser Linie liegt auch das Titelbild der von Goertz mitgestalteten rechtsextremistischen Publikation "Einheit und Kampf", auf der ein Foto der Demonstration mit der Schlagzeile "Faschingsumzug in Dänemark" überschrieben ist. Diese Kritik hat den Graben zwischen den Aktivisten der von Andr& Goertz geführten "Norddeutschen Bewegung" und den für die Demonstration in Roskilde verantwortlichen Hamburger Neonazis vertieft. 3.2 Rechtsextremistische Parteien verlieren weiter an Mitgliedern Der Mitgliederschwund bei den rechtsextremistischen Parteien setzte sich bundesweit auch 1995 fort. Hiervon waren die "Deutsche Volksunion" {DvU) und die "Republikaner" (REP) besonders betroffen. Sie mußten Mitgliederverluste von' rund 25 % hinnehmen und verfügen danach noch über rund 15 000 {DVU) bzw. 16 000 {REP) Mitglieder. Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) hat nur noch knapp 4 000 Mitglieder, ein Rückgang von über 10 % gegenüber 1994. Die "Deutsche Liga für Volk und 4 $ Heimat" (DLVH) konnte ihren Mitgliederbestand von etwa 900 Personen halten. Nachdem es diesen Parteien im sogenannten Superwahljahr 1994 nicht gelungen war, ein größeres Wählerpotential anzusprechen, konnten sie auch 1995 keine größere Resonanz erzielen. Programmatisch unterscheiden sich die rechtsextremistischen Parteien nur unwesentlich voneinander. Ihre Hauptthemen sind nach wie vor - in natlonalistischer Überzeichnung - "Überfremdung" und die angeblich negativen Folgen der europäischen Einigung. Der geringe Zuspruch der Wähler wird vom rechtsextremen Lager der eigenen Zerstrittenheit zugeschrieben, deren Überwindung zum wiederholten Mal als Allheilmittel propagiert wird. Eine herausragende Rolle bei den 1995 vermehrt zu beobachtenden Einigungsbestrebungen kommt den Zeitschriften "NATION & EUROPA" und "EUROPA VORN" zu. Beide Schriften lassen erkennen, daß sie der DLVH nahestehen. Auch der ehemalige Vorsitzende der "Republikaner", Franz Schönhuber, engagiert sich seit Ende 1995 verstärkt beim Aufbau eines rechten Bündnisses. Die Bildung sogenannter Runder Tische wird als Rezept zur Überwindung der Zerstrittenheit gesehen. Außerhalb Schleswig-Holsteins hat es 1995 unter Beteiligung von Lokalfunktionären einige dieser Veranstaltungen gegeben, die jeweils mit beschwörenden Appellen zur Vereinigung der Rechten endeten. Beispielhaft sind die sogenannte Pulheimer Erklärung und der "Pfälzer Aufruf". Auffällig ist, daß die früher üblichen heftigen Attacken gegen Konkurrenten aus dem eigenen Läger 'vermieden wurden, um einen Schulterschluß zu erleichtern. Größere Erfolge der Einigungsbemühungen sind bisher nicht zu erkennen. Bemerkenswert ist jedoch, daß an der Mitgliederbasis die Parteizugehörigkeit immer weniger als trennend empfunden, vielmehr die Ablehnung des parlamentarischen Systems als verbindende Klammer gesehen wird.. " ' Dies zeigt sich auch in Schleswig-Holstein. Unter den rund 1 300 Mitgliedern der rechtsextremistischen Parteien besteht an der Basis ebenfalls der Wunsch nach Einigkeit. NPD und DLVH unterstützen sich bereits seit langem. Auch an der Basis der "Republikaner" gibt es Strömungen, die eine gemeinsame politische Plattform befürworten und Abgrenzungsbeschlüsse der Parteiführung ignorieren. 4 Risiken für eine Eskalation rechtsextremistischer Gewalt Der Rückgang der aus rechtsextremistischer Motivation verübten Gewalttaten hat sich auch 1995 fortgesetzt: auf Bundesebene gegenüber dem Vorjahr um rund 30 % von 1 489 auf 1 047. Davon hatten 400 Taten (1994: 860) einen fremdenfeindlichen Hintergrund (-.53 %). - In Schleswig-Holstein gingen die Gewalttaten von 61 im Jahre 1994 auf 30 im Jahre 1995 zurück. Hervorzuheben ist hier aber der am 13. Juni 1995 von vermutlich österreichischen Rechtsextremisten verübte Briefbombenanschlag gegen Lübecks Steilvertretenden Bürgermeister, bei dem der Geschäftsführer der SPDFraktion in der Lübecker Bürgerschaft verletzt wurde, als er den Brief öffnete. Durch die Brutalität dieses Verbrechens wird erschreckend an- - schaulich verdeutlicht, daß auch zurückgehende Anschlagszahlen kein Grund zur Entwarnung gegenüber rechtsextremistischer Gewalt sind. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund zahlreicher Verlautbarungen von Rechtsextremisten, die eine erhebliche Aggressivität erkennen lassen: - :Anfang des Jahres 1995 wurde eine umfangreiche Broschüre (fast 90 Seiten) mit dem Titel "Deutsches Manifest" anonym über das gesamte Bundesgebiet verbreitet. Im Kern geht es um eine Kampfansage an das "Weltjudentum", den "gemeinsamen Feind aller Völker". Mehrfach wird in der Broschüre dazu auf- gerufen, "nach 50jährigem Waffenstillstand" am 9. Mai 1995 einen "Volkskrieg" zu beginnen: "Nehmt von diesem Tage an den bewaffneten Kampf auf. Bedient euch jeder Art Waffe ... Die Tötung von Feinden und Verrätern im Kriege ist eine heilige, patriotische Pflichterfüllung. Seid großmütig und gewährt denen Gnade, die sich ergeben und Deutschland verlassen." An anderer Stelle heißt es: "Nun müssen Asylantenheime, Aufnahmelager, Ausländerämter, Moscheen, Synagogen etc. brennen ... Die Tötung Nichtdeutscher ist nicht unser eigentliches ziel, wir nehmen sie jedoch billigend in Kauf." : Der Betreiber der rechtsextremistischen Mailbox "Rattenfänger BBS" (ehemals "Werwolf BBS"), Andr& Völkel (Niedersachsen), veröffentlichte anläßlich eines Neonaziprozesses in Stuttgart gegen Aktivisten der verbotenen "Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten" im Frühjahr 1995 einen unverhüllten Aufruf zur Gewalt: "Wann, frag ich mich, gibt ein politisch 'Verurteilter' ENDLICH mal seinem 'Richter' im Gerichtssaal DAS, was er verdient??? Sicher, er müßte sich selbst opfern, aber auf andere Art und Weise kann man hier keine Veränderungen mehr durchsetzen. Es ist absolut . sinnlos. Man könnte sich durchaus mal ein Beispiel an einigen Moslems nehmen, die wesentlich weniger zimperlich sind als wir." In der Juli/August-Ausgabe 1995 des "NS-Kampfruf", dem Sprachrohr der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation", wird auf der letzten Seite der Generalbundesanwalt als "Drahtzieher des Terrors" bezeichnet, und weiter heißt es: - 10 - "Kay Nehm, GBA = Verantwortlich für die jetzige Terrorwelle gegen die Untergrundkämpfer im Reichsgebiet. Eines Tages werden diese Politbonzen ihrer absolut notwendigen Beseitigung zugeführt werden! FÜR DAS SYSTEM KEINEN MILLIMETER BODEN, SONDERN NEUN MM." - Der Umfang des aufgefundenen Materials (unter anderem dret Handfeuerwaffen, fast 200 kg Sprengstoff, Zündmittel, Handgranaten, Minen und größere Mengen Munition) bei der Enttarnung von zehn mit Waffen und Sprengstoff gefüllten Älteren Erddepots in Niedersachsen und Hessen im August 1995 durch den ehemaligen Leiter des "Völkischen Bundes", Peter Naumann (Hessen), hat das fortwährende Risiko des Entstehens von Rechtsterrorismus sehr deutlich gemacht. Naumanns. Motive sind unklar. Möglicherweise ging es ihm um Strafmilderung in einem bevorstehenden Verfahren. In einer öffentlichen Erklärung bezeichnete er die Aufdeckung als Beitrag zur Deeskalation, als Absage an den Weg der Gewalt. An den Reaktionen des neonazistischen Umfeldes wurde deutlich, wie weit dieser Weg zumindest gedanklich schon beschritten Ist. Auch im "Nationalen Info-Telefon schleswig-Holstein" (NIT) wurden aggressive Töne wie selten zuvor angeschlagen, in einer Ansage zu den Demonstrationsverboten und sonstigen polizeilichen Maßnahmen anläßlich der "Rudolf-Heß-Woche" Außerte der Sprecher des NIT, Andr& Goertz, am 14. August 1995: "Damit ist die Grenze des Erträglichen endgültig überschritten. Wir sagen: Es reicht! ... Durch die permanenten Eingriffe in die Grundrechte nationaler Menschen ... baut sich bei den Betroffenen ein Haß auf, der sich zwangsläufig entladen wird. Die Stimmung unter den Betroffenen ist extrem aufgehelzt ... ES liegt jetzt an den Veräntwortlichen dieses Staates, ob sie eine friedliche Lösung der Problematik wünschen oder eine Eskalation betreiben wollen. " Der Nachsatz "Wir wollen eine friedliche Lösung" kann' den drohenden Unterton der Ansage nicht mildern. Mit ähnlichem Tenor wurden rechtsextremistische Terrorakte kommentiert. Die NIT-Ansage nach dem Briefbombenanschlag am 13. Juni 1995 in Lübeck läßt Genugtuung erkennen und hält ausdrücklich die Option einer Zuspitzung offen: " "Nach dem zweiten Briefbombenanschlag zittern die Systempolitiker vor einer Radikalisierung der bundesdeutschen Nationalisten ... Je mehr Terror ausgeübt und das System gefährdet wird, desto eher sind die staatlichen Organe zum Einlenken bereit. Eine gefährliche Haltung. Denn bislang haben im nationalen Spektrum die Anhänger eines legalen politischen Kurses die Oberhand. Ihre gesetzestreue Politik wird jedoch vom Staat pausenlos mit Parteiund Versammlungsverboten, wüsten Razzien und politischer Justiz belegt. wenn man sich aber in der BRD nur mit Gewalt seine Grundrechte erkämpfen kann, dürfte das für den Staat fatale Folgen haben." 5 Hohes Gewaltpotential innerhalb der rechtsextrem orientierten Skinhead-Szene Skinheads sind nur selten Mitglieder rechtsextremer Organisationen; aber es gibt immer wieder Hinweise auf Beziehungsgeflechte zwischen ihnen und rechtsextremen Aktivisten. Die besondere Brisanz besteht darin, daß die an sich unpolitischen Skinheads von Rechtsextremisten oftmals nachträglich eine politische Legitimation für ihre Gewaltbereitschaft gegenüber "feindlichen" Gruppen erhalten. Denn durch die fehlende Akzeptanz in der breiten Öffentlichkeit befindet sich die Skinhead-$zene in der Isolation und ist auf der Suche nach geeigneten Identifikationsfiguren. Insofern verwundert es nicht, daß auch publizistische Einflußnahmen durch organisierte Rechtsextremisten einen immer höheren Stellenwert - und damit eine "geistige Brandstifter"Funktion - erlangt haben. Bei Hausdurchsuchungen wurde zum Beispiel - zum Teil in großem Umfang - Propagandamaterial verschiedener rechtsextremistischer Gruppierungen gefunden - von der "Deutschen Volksunion" über die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" bis zur "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation". - 12 - Da die Skinhead-Musik stets ein Indikator für die Stimmung in der Szene war, deutet die Entwicklung im Jahr 1995 auf einen Wiederanstieg der Aktivitäten hin: es gab 35 Konzerte, 1994 nur 20. Diese wurden, um Veranstaltungsverbote zu vermeiden, häufig konspirativ Organisiert. Die Teilnehmerzahl lag zumeist zwischen 150 und 500 Personen, in wenigen Fällen sogar bei 1 000. Bei 14 Konzerten würden rechtsextremistische Straftaten, wie das Zeigen des "Hitler-Grußes" und "Sieg-Heil-Rufe", bekannt. Die Dunkeiziffer dürfte erfahrungsgemäß weitaus höher liegen. Einer der Hauptinitiatoren war der ehemalige Landesvorsitzende der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" in Niedersachsen. Die Konzerte dienen den Skinheads als Gesprächsbörse, fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl und stärken das Selbstbewußtsein. Nicht selten wird das Unterlaufen staatlicher Verbote thematisiert. Die harten Rhythmen und die gewaltorientierten Texte, deren Inhalte häufig rassistisch begründeter, menschenverachtender Haß gegen Fremde und Verherrlichung nationalsozialistischen Gedankengutes sind, putschen die Skinheads auf und rükken ihr Selbstbildnis vom harten Kämpfer für das deutsche Volk . und die weiße Rasse in den Vordergrund. In Verbindung mit Alkohol kommt es dann immer wieder zu Gewalttaten gegen Ausländer oder vermeintliche "Linke". Zahlreiche Skinhead-Konzerte, bei denen deutsche Skinhead-Bands auftraten oder an denen deutsche Skinheads teilnahmen, fanden 1995 wieder im Ausland statt. Mehrere Konzerte in Schweden wurden von einigen Hundert deutschen Skinheads besucht. Von den 1 000 Teilnehmern eines am 24. Juni 1995 in Göteborg durchgeführten Konzerts, bei dem auch die in Schleswig-Holstein gegründete Skinhead-Band "Kraftschlag" auftrat, kamen rund 300 aus Deutschland. Hauptfeinde, gegen die sich die Haßgesänge der Skinhead-Band "Kraftschlag" richten, sind "Linke", "nicht-weiße Ausländer", Y Juden und vor allem die Punks wegen ihrer antirassistischen und antimilitärischen Einstellung. So heißt es in einem "Kraftschlag"-Lied: "Ja, wir sind deutsche Nationalisten, wir sind weiß und hassen Marxisten. Es fliegen die Stiefel. genauso wie die Fäuste, keiner'kann sie bändigen, die deutsche Kraftschlag-Meute. Ihr Linken in Deutschland, hier werdet ihr nicht alt. Kraftschlag, Kraftschlag ist Kraft durch Gewalt." Bemerkenswert sind die andauernden Versuche organisierter Rechtsextremisten, durch den Einstieg in das Skinhead-Musikgeschäft die Szene immer wieder neu zu beleben und zu instrumentalisieren. Die Publikation "Einheit und Kampf" der "Jungen Nationaldemokraten" hatte bereits 1993 darauf hingewiesen, daß . die Skinhead-Bands zur "Einstiegsdroge in die nationalistische Jugend-Szene" geworden seien und daß nationalistische Skinheads das, "Kulturmonopol der Etablierten" geknackt hätten. Bezeichnend sind Äußerungen des Funktionärs der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" Manfred Rouhs (Köln), Herausgeber der Zeitschrift "EUROPA VORN" sowie Produzent und Vertreiber von Skinhead-Musik, "Musik mit populären Rhythmen und kulturbejahenden Texten" ghettoisiere den Nationalismus nicht, sondern helfe, "seine Basis zu verbreitern". Sie könne dazu beitragen, "Menschenmassen wenigstens oberflächlich im patriotischen Sinne zu politisieren" ("EUROPA VORN spezial", 1993 Nr. 6). " In Schleswig-Holstein sind der rechtsextrem orientierten Skinhead-Szene derzeit rund 340 Personen zuzurechnen. Dabei bilden der Großraum Rendsburg und das südliche Schleswig-Holstein die regionalen Schwerpunkte. So wurde am 5. August 1995 in Büdelsdorf (Kreis Rendsburg-Eckernförde) ein Skinhead-Treffen durchgeführt, an dem rund 170 Personen teilnahmen. Die Vorbereitung der Veranstaltung offenbarte die Verbindungen von Skinheads und Neonazis. - 14 - = 6deg Auslandsverbindungen von Rechtsextremisten Neo-Nationalsozialisten, aber auch Funktionäre rechtsextremer Parteien unterhalten umfangreiche Kontakte ins Ausland. Von besonderer Bedeutung als Propagandalieferant ist die in den USA ansässige "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei - Auslandsund Aufbauorganisation" {NSDAP-AO) des Gary Lauck. Er wurde am 20. März 1995 in Kopenhagen (Dänemark) festgenommen und im September 1995 an die Bundesrepublik ausgeliefert. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat inzwischen Anklage erhoben wegen des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und anderer Delikte. Fast gleichzeitig mit der Festnahme wurde am 23. März 1995 eine langfristig vorbereitete Exekutivmaßnahme gegen Besteller und Verteiler des NSDAP-AO-Propagandamaterlials durchgeführt, unter anderem gegen acht Personen in Schleswig-Holstein. . Die Arbeit der NSDAP-AO wurde auch nach Laucks Verhaftung fortgesetzt. Im "NS-Kampfruf", Nr. 106 vom Mai/Juni 1995, heißt es "Der Kampf geht weiter ... Deutschland soll rings herum von sicheren Staaten aus eingekreist und ständig . mit Propagandamaterial versorgt werden. Wir werden den Bonner Vasallen des Zionismus keine Ruhe lassen ... Ja für ... den politischen Endkampf zum Sturz der Bonner Vasallen und zur Errichtung eines nationalsozialistischen Europas." Die für Schleswig-Holstein relevanten Aktivitäten in der deutsch-dänischen Grenzregion gingen im Berichtszeitraum zurück. Das hängt nicht nur mit der vorübergehenden Übersiedlung des Revisionisten Thies Christophersen in die Schweiz zusammen, sondern vor allem mit der im November 1995 erfolgten Verurteilung des ehemaligen Vorsitzenden der verbotenen "Nationalistischen Front", Meinolf Schönborn (Nordrhein-Westfalen), und dessen in Flensburg ansässig gewesenen Ges:häftsführers zu Freiheitsstrafen wegen Fortsetzung einer verbotenen Vereinigung. Die grenzüberschreitenden Verlagsgeschäfte Schönborns sind da- durch und durch den Wegzug des Geschäftsführers nach Sachsen-Anhalt vorerst zum Erliegen gekommen. 7 Aktivitäten rechtsextremistischer Organisationen und unstrukturierter Personenzusammenschlüsse 7.1 Die "Norddeutsche Bewegung" (NDB) als Nachfolgerin des Landesverbandes der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) Die FAP wurde am 24. Februar 1995 durch das Bundesinnenministerium verboten. In richtiger Einschätzung des drohenden Verbots hatte Andrs Goertz, Halstenbek (Kreis Pinneberg), die von ihm dominierten .FAP-Gliederungen Schleswig-Holstein und Hamburg bereits Ende 1994 aufgelöst und somit die Voraussetzung für eine kontinuierliche politische Weiterarbeit in Form der NDB geschaffen. Daß der Begriff NDB öffentlich kaum verwendet wird, ist ausschließlich auf taktische Beweggründe zurückzuführen. Eine auf Organisationsstrukturen hinweisende Bezeichnung stünde im Widerspruch zu der Absicht, eine "Bewegung" als strukturioses Zusammenwirken gleichgesinnter Personen verbotsfest zu machen. Dennoch führte die Staatsanwaltschaft Flensburg Anfang Dezember 1995 wegen des Verdachts der Fortführung der verbotenen FAP eine Wohnungsdurchsuchung bei Andrä Goertz durch. " Die NDB hat sich zwar 1995 nur zögerlich fortentwickelt; dennoch ist festzustellen, daß die früher unbedeutende, weitgehend führungsund orientierungsiose Neonazi-Szene Schleswig-HolSteins stärker zusammenfindet und ihr Potential etwas vergrdßert hat. Zur Zeit dürfte es bei rund 70 Personen liegen. Wenngleich der Schwerpunkt der NDB im geistigen Zusammenhalt liegt, ist es für die Erhaltung des eher aktionistischen neonazistischen Anhängerstamms unabdingbar, daß die NDB sich geie- - 16 - gentlich in der Öffentlichkeit engagiert. Seit Jahren dient dazu die "Rudolf-Heß-Woche". Dementsprechend hat Goertz sich in der Vorbereitungsphase der "Heß-Aktionswoche" 1995 engagiert, unter anderem mit Ansagen über das "Nationale Info-Telefon Schleswig-Hoistein" sowie mit der Herstellung und dem Vertrieb anlaßbezogener Plakate. Während er 1994 in Schleswig-Holstein eine kaum beachtete Spontandemonstration angeführt hatte, wurde bei der letzten Aktionswoche eine Veranstaltung am späten Abend des 18. August 1995 in Hamburg bereits nach wenigen Minuten von der Polizei aufgelöst. Wenig öffentliche Aufmerksamkeit konnte Goertz auf sich lenken, als er mit Bezug auf die Gedenkfeiern aus Anlaß des 50. Jahrestages des Kriegsendes unter dem Motto "50 Jahre seit Kriegsende - Gemeinsam Demokratie und Freiheit schützen!" am 6. Mal 1995 in Halstenbek (Kreis Pinneberg) mit 60 Personen eine Demonstration durchführte. Die publizistischen Aktivitäten der NDB reichen dagegen über ihren Anhängerkreis hinaus. Mit "Nationalen Info-Telefonen" und Schriften erreicht die NDB inzwischen einen größeren Interessentenkreis. Goertz hat sich damit bundesweite Einflußmöglichkeiten auf den Neonazismus verschafft. Er übte wie 1994 über die von ihm inhaltlich gestalteten "Nationalen Info-Telefone"" Schleswig-Holstein und Hamburg Einfluß auf andere "Info-Telefone" im Bundesgebiet aus. Im Februar 1995 erschien erstmalig die "Neue Standarte", die mit dem Namen sowie insbesondere mit der Ausgabenund Jahrgangszählung in der Kontinuität des früheren Publikationsorgans "Standarte" der verbotenen FAP steht. Die Juni-Ausgabe 1995 erschien mit dem erneut leicht veränderten Titel "Der Standard", versehen mit der programmatischen Unterzeile "Deutschlands einzige Zeitung des progressiven Nationalismus", führt aber wiederum die Ausgabenund Jahrgangsangaben der FAP-"Standarte" fort. Die angegebene Auflagenhöhe beträgt 800 Exemplare. ' = Im Oktober 1995 konnte Goertz seinen publizistischen Einfluß durch Mitarbeit an der Zeitschrift "Einheit und Kampf" (Euk) " der "Jungen Nationaldemokraten" beträchtlich ausweiten. Die Publikation wird bundesweit in einer Auflage von 3 500 Exemplaren vertrieben; sie erscheint alle zwei Monate. Die EuK-Ausgabe Oktober/Dezember 1995 nennt Andr& Goertz als Redaktionsmitglied und den der NDB zuzurechnenden NIZ-Verlag als Herausgeber. Hinter dem Kürzel NIZ verbirgt sich ein "Nationales Informationszentrum", das offensichtlich die Konturen der NDB für die Öffentlichkeit verschleiern soll. " 7.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Der seit Jahren auf kontinuierlicher Talfahrt befindlichen NPD drohte nach der zeitweiligen Absetzung des Parteivorsitzenden Günter Deckert (Baden-Württemberg) die Spaltung. Der im Juni 1995 wiedergewählte Parteivorsitzende war am 30. September 1995 -vom Präsidium abgesetzt worden. Ihm wurden schwere Verstöße insbesondere gegen die Finanzordnung vorgeworfen. Obwohl das NPDLandesschiedsgericht Baden-Württemberg die Amtsenthebung Deckerts auf dessen Beschwerde hin aufhob, erklärte der Bundesvorstand erst im Januar 1996 das Verfahren für erledigt. Auf einem Sonderparteitag im März 1996 wurde als neuer Parteivörsitzender Udo Voigt (Bayern) gewählt, Deckert, der zur Zeit eine Haftstrafe wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß verbüßt, zu seinem Stellvertreter. Seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Deckert im Juni 1991 erlebte die NPD einen nachhaltigen Abwärtstrend. Die Mitgliederzahl ist von damals rund 6 100 auf heute rund 4 000 mit . weiter fallender Tendenz geschrumpft. Unter Deckerts Führung driftete die NPD zunehmend ins neonazistische Lager ab, was ihre Attraktivität allenfalls für Neonazis aus verbotenen Organisationen, unter anderem für ehemalige FAP-Mitglieder, erhöhte. 8 In Schleswig-Holstein hatte die NPD 1995 noch etwa 140 Mitglie'der. Auch aufgrund dieser personellen Schwäche nahm sie - wie auch schon 1992 - nicht an der Landtagswahl am 24. März 1996 teil. Trotz Verbots der Bundesführung unterstützte der NPD-Landesverband die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) bei der Unterschriftensammlung für die Landtagswahl. Damit wurde eine bereits im Jahre 1994 begonnene Zusammenarbeit fortgesetzt. In den Medien machte die Partei lediglich durch negative Schlagzeilen auf sich aufmerksam; so durch die inzwischen rechtskräftige Verurteilung des stellvertretenden Landesvorsitzenden wegen versuchten Mordes und versuchter Brandstiftung zu vier Jahren Freiheitsstrafe sowie durch ein Flugblatt mit volksverhetzendem Inhalt. In diesem Zusammenhang wurde im Dezember 1995 eine Hausdurchsuchung bei dem Lübecker NPD-Kreisvorsitzenden durchgeführt und belastendes Material beschlagnahmt. 7.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die JN, die Jugendorganisation der NPD, versuchte sich - wie schon 1994 - durch eine erweiterte Bündnispolitik zu konsolidieren. Durch Neuzugänge, teilweise aus zwischenzeitlich verbotenen rechtsextremistischen Organisationen (unter anderem FAP), beträgt der Mitgliederbestand bundesweit rund 150 Personen. Auf einem Bundeskongreß im September 1935 in Sachsen-Anhalt wurde von den 80 Teilnehmern ein jugendpolitisches Papier angenommen, in dem die Erziehung der Jugend "im Geist unserer nationalistischen Weltanschauung zu revolutionär denkenden Menschen" als erstrebenswertes Ziel dargestellt und die "Zwangsintegration von Ausländern" verurteilt wird. Auf dem von den JN organisierten "2. Europäischen Kongreß der Jugend" im Dezember 1995 in Bayern wurde dem europäischen Nationalismus das Wort gersdet: als Alternative zu den Systemen der Liberalkapitalisten soll eine europäische nationalistische EinheitsPSfront geschaffen werden, die die nationalen Identitäten der einzelnen Völker stützen soll. Teilnehmer an dem Kongreß waren unter anderem Delegationen aus den Niederlanden, England und Kroatien. In Schleswig-Holstein sind die JN weiterhin nicht als eigener Landesverband existent. Die rund fünf bis zehn Einzelmitglieder nehmen sporadisch an JN-Veranstaltungen in Hamburg teil. Außerdem gibt es Verknüpfungen mit der NDB und vereinzelt Kontakte zur DLVH. 7.4 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Die DLVH versuchte auch im Jahre 1995, die "Einigung der deutschen Rechten" voranzutreiben. Zu diesem Zweck initiierte sie bundesweit sogenannte Runde Tische im rechtsextremistischen Lager. Teilnehmer an diesen Zusammenkünften waren sowohl 'Mitglieder der NPD und der "Republikaner" als auch Neonazis. Grundlage für die Zusammenarbeit ist die sogenannte Pulheimer Erklärung, in der es unter anderem heißt: "Die gravierenden Mißstände in Deutschland und das Unvermögen der Altparteien, diese zu beseitigen, machen eine starke und zukunftsorientierte Rechtspartei dringend erforderlich. Jahrelanger Schlingerkurs und unndtige Querelen in den eigenen Reihen haben uns von Millionen Wählern entfremdet und auch die Leidensfähigkeit der Treuesten überfordert. Wir brauchen jetzt ein kraftvalles Signal der Versöhnung und Bündelung aller seriösen Kräfte von rechts." Ähnliche Erklärungen wurden in Bergisch-Gladbach, Ludwigshafen, Ingolstadt und Eisenach verabschiedet. Trotz intensiver Bemühungen konnte sich die DLVH mit ihren derzeit bundesweit rund 900 Mitgliedern aber nicht als Sammlungsbewegung der Rechten etablieren. Sie strebt eine völkisch-nationalistisch geprägte politische Ordnung an. Selten artikuliert sie sich so offen wie in ihrem Informationsblatt "Die Nordlichter" vom August 1993, in dem dazu aufgerufen wird, daß alle aufrechten Deutschen sich zu einer Bewegung zusammenschließen sollen, "welche die derzeiti- - 20 - gen Machthaber von ihren Sesseln fegt und endlich wieder deutsche Politik macht". Auch antisemitische, die Menschenwürde mißächtende Tendenzen werden wieder erkennbar, wie ein Schreiben des DLVH-Abgeordneten des Schleswig-Holsteinischen Landtages, Ingo Stawitz, vom 13. April 1995 an die Jüdische Gemeinde in Hamburg belegt. Darin heißt es unter anderem: "... Wir halten es nicht für angebracht, erhebliche finanzielle Mittel ... einer so gut wie nicht vorhandenen "Jüdischen Gemeinschaft' zur Verfügung zu stellen. Dieses schon deshalb, weil es immer mehr arbeitslose und obdachlose Deutsche gibt ... Denn würden wir einer noch latenten jüdischen Gemeinde Mittel bereitstellen, bestünde die Gefahr, daß als nächstes ... 2igeuner-Sippen ähnliche Ansprüche anmelden ..." In Schleswig-Holstein verfügt die DLVH über rund 100 Mitglieder. Sie wird von dem DLVH-Landtagsabgeordneten Ingo Stawitz, Uetersen (Kreis Pinneberg), geführt. Stawitz, als einer der drei gleichberechtigten Bundesvorsitzenden im Oktober 1995 wiedergewählt, unterhält enge Kontakte zur Neonazi-Szene. Nachden zunächst Verbindungen - zum ehemaligen FAP-Funktionär Andr& Goertz bekannt geworden waren, liegen neuerdings Informationen über eine Zusammenarbeit mit Mitgliedern der gleichfalls verbotenen "Nationalen Liste" vor. Stawitz sicherte sich auch die Unterstützung der NPD für die schleswig-holsteinische Landtagswahl im März 1996. Nach dem (Rück-)Übertritt eines DLVH-Landtagsabgeordneten im Juli 1995 zur "Deutschen Volksunion" verlor die DLVH ihren Fraktionsstatus und damit erhebliche Zuschüsse, Bel der Landtagswahl am 24. März 1996 erhlelt sie lediglich 0,2 % der Wählerstimmen. Der daraufhin einsetzende Mitgliederverlust stellt die Existenz der Partei mittelfristig in Frage, 7.5 "Deutsche Volksunion" (DVU) Die DVU spielte auch 1995 bundesweit keine bedeutende Rolle. Das erklärte Ziel - Wiedereinzug in die Bremer Bürgerschaft - wurde verfehlt. Jedoch gelang ihr zum dritten Mal in Folge mit 5,7 % der Einzug in die Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung. Nach diesem Teilerfolg beschloß der DVU-Bundesvorstand die Teilnahme an der Landtagswahl 1996 in Schleswig-Holstein. 1992 war die DVU mit 6,3 % als drittstärkste Partei in den Schleswig-Holsteinischen Landtag eingezogen, verlor aber 1993 durch den Übertritt von vier Abgeordneten zur DLVH ihren Fraktionsstatus, Auf dem im August 1995 durchgeführten Parteitag des DVU-Landesverbandes Schleswig-Holstein wurde nach dem Bremer Hans Weidenbach der bisherige stellvertretende Landesvorsitzende, der Münchener Heinrich Gerlach, zum neuen Vorsitzenden gewählt. Im Herbst 1995 begann die DVU dann mit der Neugründung von Kreisverbänden. Im Januar 1996 hatte sie die Aufstellung der Kandidaten zur Landtagswahl für alle 45 schleswig-holsteinischen Wahlkreise abgeschlossen. Bei der Landtagswahl am 24. März 1996 erreichte sie lediglich 4,3 %. Die rechtsextremistische Grundhaltung der DVU wurde auch 1995 am Inhalt der vom Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey, München, herausgegebenen publizistischen Sprachrohre "Deutsche Wochenzeitung" (DWZ) und "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) deutlich, und zwar an Klagen über die "extrem einseitige Vergangenheltsbewältigung", die den Deutschen "Kollektivverantwortung" für NSUntaten einblieuen solle, und an Schlagzeilen wie "Vergasungen: Wer hat sie erfunden?" (DWZ Nr. 29/95). Wenn Frey anläßlich der jährlichen Großveranstaltung in Passau bestreitet, daß die DVU eine ausländerfeindliche Partei sei, widersprechen dem eindeutig Zeitungsartikel wie "Kommt der Türkenkrieg zu uns?" (DWZ Nr. 14/95), "Asyl-Paradies Deutschland - müssen wir jeden aufnehmen?" (DWZ Nr. 28/95) oder "Jede Minute = 22 - ein Dutzend Straftaten! - wie Kriminalität und Ausländerpolitik zusammenhängen" (DWZ Nr. 30/95). Dabei geht es nicht um die sachliche Abhandlung schwieriger politischer Themen, sondern um die populistische Ansprache nationalistischer Ressentiments - unter Mißachtung der Verfassungsgrundsätze, die die Achtung der Menschenwürde und die Respektierung der grundsätzlichen Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz gebieten. - Dem größten Teil "multikultureller Islamund Ausländerfreunde" geht es nach Meinung der DWZ nicht um Verständigung oder Freundschaft; für sie seien orientalische Zuwanderer nur ein Instrument, das verhaßte deutsche Volk zu zerbrechen und an seiner Statt sine multikultureile Gesellschaft zu errichten, in der "vaterlandslose Gesellen" gedeihen sollen (DWZ Nr. 43/95). Die Mitgliederzahlen der DVU waren 1995 weiter rlickläufig. Bundesweit wurden Ende 1995 noch rund 15 000 Mitglieder (Vorjahr: 20 000) gezählt, in Schleswig-Holstein rund 900 (1994: 1 000, 1992: 2 150). | 7.6 "Die Republikaner" (REP) Die Wahlniederlagen der REP haben sich im Jahre 1995 fortgesetzt. Bei der Wahl zun Berliner Abgeordnetenhaus erhielten sie 2,7 % der Stimmen, bei den Landtagswahlen in Hessen und Nordrhein-Westfalen 2,0 % bzw. 0,8 % und bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft nur 0,3 %. In Schleswig-Holstein traten sie - auch im Hinblick auf ihre nur noch rund 140 Mitglieder - erst gar nicht zur Landtagswahl im März 1996 an. Lediglich in Baden-Württemberg erreichten sie bei der Landtagswahl am 24. März 1996 9,1 3 (1992: 10,9 %). Durch Querelen zwischen dem ehemaligenParteivorsitzenden Franz Schönhuber (Austritt aus der Partei im November 1995) und dem jetzigen Vorsitzenden, Dr. Rolf Schlierer (Baden-Württemberg), und der dadurch drohenden Spaltung der Partei wurde die Partei- arbeit wesentlich beeinträchtigt. Der Mitgliederbestand ging von rund 20 000 auf rund 16 000 zurück. Durch mehrere Abgrenzungsbeschlüsse, zuletzt vom 18. Juni 1995, lehnt die Partei offiziell eine Zusammenarbelt mit anderen rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen ab. Das hindert die Basis nicht an der Teilnahme an überparteilichen Gesprächsrunden. Die verfassungsfeindlichen Ziele der Partei ergeben sich nach dem jüngsten Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. Dezember 1995 (Az.: 25 A 2431/94) aus der Gefährdung des Gebots der Achtung der Menschenwürde, des Verbots der Diskriminierung wegen der Rasse, der Sprache, der Abstammung oder des Glaubens sowie der Infragestellung des Demokratieprinzips. Eine von vielen in dem genannten Urteil zitierten Äußerungen aus Landesverbänden, von denen sich die Gesamtpartei nicht distanziert hat, lautet: "Die Kindergarten-Laus (Mehmet-Anoplura) hält die Plätze besetzt. Woher diese Laus kommt? Dumme Frage. Sie sucht Asyl! Woran erkennt man Kindergarten-Läuse?! Sie haben eine Vorliebe für Knoblauch." In Angriffen gegen die Daseinsberechtigung aller anderen existierenden Parteien durch die Bezeichnung als "Lizenzoder Monopolparteien" oder den Vorwurf, die "vitalen Interessen des deutschen Volkes zu verraten", sel ein Angriff auf das Mehrparteiensystem des grundgesetzlichen Demokratieprinzips zu sehen. Der schleswig-holsteinische Landesverband führt seit Jahren nur ein Schattendasein. Insbesondere die Entscheidung des Bundesvorstandes, an der Landtagswahl 1996 in Schleswig-Holstein nicht teilzunehmen, hat zu einer weitgehenden Lethargie im Landesverband und zum Rücktritt des stellvertretenden Landesvorsitzenden geführt. Am Landesparteitag in Uetersen im Januar 1995 nahmen lediglich rund 70 Personen teil. - 24 - Es Eine gewisse Aufwertung erfuhr der REP-Landesverband, als die stellvertretende Landesvorsitzende 1994 in den Bundesvorstand und im August 1995 zur Vorsitzenden des neu gegründeten "Republikanischen Bundes der Frauen" gewählt wurde. Aktivitäten dieses Frauenbundes konnten in Schleswig-Holstein bisher nicht festgestellt werden. 7.7 Sonstige rechtsextremistische Vereinigungen Neben den genannten Organisationen und Personenzusammenschlüssen gibt es in Schleswig-Holstein Einzelmitglieder in einigen anderen der zur Zeit in der Bundesrepublik bekannten etwa 90 rechtsextremistischen Gruppen. Darüber hinaus gibt es Kleingruppen, die rechtsextremistisches Gedankengut bei internen Zusammenkünften oder in von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommenen Publikationen pflegen. Beispiel.haft sei hier die "Gemeinschaft Ostund Sudetendeutscher Grundeigentümer und Geschädigter" genannt, die in regelmäßigen Publikationen wie dem "Zirkelbrief" nationalistische, rassistische und revisionistische Thesen vertritt. " Zwischen den Gruppen besteht oftmals ein enges Beziehungsgeflecht, das aus den grundsätzlichen Übereinstimmungen in der rechtsextremistischen Weltanschauung resultiert. Derartige Verknüpfungen sind zum Beispiel bekannt zwischen dem "Arbeitskreis für deutsche Politik", dem "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff}" sowie einigen Kleinverlagen. ' Mitgliederentwicklung der rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1991 bis 1995 1991 1992 1993 1994 1995 NPD/JIN 235 200 190 170 150 . Dvu 730 2150 1 800 1 000 900 DLVH 40 -30 so 80 100 REP - . - 500 250 140 Sonstige 'Rechtsextr. 95 100 85 85 'co Gewaltbereite, . . > insb. Skinheads 100 220 280 290 340 Gesamt Land 1 200 2 700 2 935 1 875 1 690 ZECICEmRuUSEEEISEUEEmEEEEEIENEEESEIENSERSEE ELSE EREEEE nun: Gesamt Bund 40 600 42 700 65 400%) 56 600 46 100 .*) In dieser Zahl sind erstmalig 23 000 Mitglieder der Partei "Die Republikaner" enthalten. - 26 - II. Linksextremismus 1 Überblick Auch 1995 waren in der Bundesrepublik Deutschland terroristische Anschläge zu verzeichnen. Dabei erwies sich die "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) mit insgesamt vier Sprengstoffanschlägen auf Wohnund Geschäftsgebäude erneut als derzeit gefährlichste Terrorgruppe. Trotz anhaltender Kritik aus dem linksextremistischen Lager, die sich insbesondere gegen die Ungenauigkeit der politischen Positionen und die mangeinde Akzeptanz und Kontrollierbarkeit ihrer Aktionen richtet, hält die AIZ unbeirrt an ihrem Konzept "potentiell tödliche aktionen" fest. Der letzte Sprengstoffanschlag im Jahre 1995 richtete sich am 23. Dezember gegen das Firmengebäude des Heitkamp-Konzerns in Düsseldorf. Für 1996 hat die AIZ weitere Anschläge angekündigt. Zwei mutmaßliche AIZ-Mitglieder wurden am 25. Februar 1996 in Witzhave (Kreis Stormarn) verhaftet. Dagegen verzichtete die "Rote Arnee Fraktion" weiterhin auf Terroranschläge und auf die Veröffentlichung von Positionspapieren zu aktuellen politischen Themen. Aktionsfelder der militanten autonomen Szene waren 1995 unter anderem der sogenannte Antifaschismuskampf, gerichtet gegen den "alltäglichen Faschismus des kapitalistischen Systems", sowie der "Castor-Widerstand". Daneben spielten auch weiterhin Bemühungen um eine straffere Organisierung eine Rolle. " Schwerpunktthema innerhalb des linksextremistischen Spektrums insgesamt ist seit der zweiten Hälfte des Jahres 1995 das laufende Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts, das sich außer gegen die terroristischen Vereinigungen AIZ und "K.0.M.I.T.E.E." auch gegen mutmaßliche Redakteure der Unter- # 3 grundschrift "radikal" richtet. Nicht zuletzt wegen der Herkunft zweier inhaftierter mutmaßlicher "radikal"-Redakteure aus Schleswig-Holstein gingen von dem Sympathisantenspektrum im Lande für die bundesweite "Soli-Arbeit" von Beginn an die entscheidenden Impulse aus. Bundesweit wird nach wie vor versucht, mit gezielten Aktionen und öffentlicher Unterstützung bekannter Szene-Anwälte eine breite, über die Szene-Grenzen hinausreichende Solidaritätsfront zu mobilisieren und das Ermittlungsverfahren als "Organisationskonstrukt der Bundesanwaltschaft zur Kriminalisierung der Zeitungsarbeit" und allgemein als Angriff auf die Pressefreiheit darzustellen. Bemerkenswert ist weiter, daß die "Soli-Bewegung" eine Distanzierung von der AIZ trotz der überwiegend als notwendig erachteten inhaltlichen Auseinandersetzung mit deren Positionen und Aktionen ablehnt. Gebotene Kritik, so heißt es, dürfe nicht zu einer Entsolidarisierung innerhalb der linksextremistischen Szene führen. .Dogmatische linksextremistische, das heißt insbesondere am Marxismus-Leninismus Ausgerichtete Grüppierungen hatten auch 1995 nur vergleichsweise geringe politische Bedeutung. Ihre Aktivitäten wurden im wesentlichen durch Bündnisbemühungen um die "Partei des Demokratischen Sozialismus" geprägt. 2 Linksextremistischer Terrorismus 2.1 "Antiimperialistische Zelle" {AIZ) Die AIZ verwirklichte auch 1995 ihre mehrfach wiederholten Ankündigungen und Drohungen, "dort militant/bewaffnet anzugreifen, wo die brd-eliten wohnen und arbeiten" und dabei eine "potentiell tödliche bedrohung" bewußt ins Kalkül zu ziehen. Ihre bisherige Serie von Gewalttaten setzte sie 1995 mit folgenden Aktionen fort: \ " - 28 - - 22. Januar 1995 in Wolfsburg: Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus des Vorsitzenden der Deutsch-Marokkanischen Gesellschaft und ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Dr. Volkmar Köhler; - 23. April 1995 in Erkrath bei Düsseldorf: Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus des CDU-Bundestagsabge ordneten und Mitgliedes des -Bundestagsinnenausschusses Dr. Joseph-Theodor Blank; - 17. September 1995 in Siegen: Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus des CDU-Bundestagsabgeordneten und verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Paul Breuer; - 23. Dezember 1995 in Düsseldorf: Sprengstoffanschlag auf das Firmengebäude des Heitkamp-Konzerns, in dem unter anderem das peruanische Honorarkonsulat untergebracht ist; der Firmeninhaber, Dr. Engelbert Heitkamp, ist zugleich peruanischer Honorarkonsul. | Das Aktionsgebiet der AIZ beschränkte sich bisher auf die Bundesiänder Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Während ihre Verlautbarungen zuvor schwerpunktmäßig innenpolitische Themen zum Gegenstand hatten, wandte sich die AIZ im Jahr 1995 vornehmlich internationalen Konflikten zu. Dabei zeigt sich ein starker Bezug zu revolutionär-Islanischen Gruppierungen, die - so die AIZ - zur Zeit im internationalen antiimperialistischen Kampf führend seien. Zu den Gruppierungen, die weltweit militant Widerstand gegen den Imperialismus leisteten, zählt sie auch die "Arbeiterpartei Kurdistans" und die "Peruanische Kommunistische Partei". Die Besonderheit des Anschlages auf das Heitkamp-Hochhaus liegt darin, daß die AIZ über die Zielperson Heitkamp einen Bogen von . der Politik zur Wirtschaft geschlagen hat. Bemerkenswert ist auch, daß die AIZ die Verantwortung für die Mißstände in Politik und Wirtschaft nicht mehr nur den "brd-eliten", sondern der "brd-geselischaft" schlechthin zuweist. " Bereits seit April 1994, veröffentlichten nahezu alle maßgeblichen Szene-Gruppen und -publikationen in Deutschland - teilweise mehrmals - zahlreiche Kritikpapiere mit größtenteils ablehnenden Positionen. Parallel zu den unbeirrt durchgeführten AIZ-Gewalttaten und den tatbegleitenden Erklärungen nahm auch die Szene-Kritik an Schärfe und Volumen zu. Kernpunkte der Kritik bildeten das Festhalten am Konzept "potentiell tödliche aktionen" und die fortgesetzte positive Bezugnahme auf revolutionär-islamische Gruppierungen sowie auf den angeblich grundlegend antiimperialistisch ausgerichteten Kampf der "islamischen schwestern und brüder". In zum Teil sehr polemischer Form wurde der AIZ vorgeworfen, sie erfülle die Kriterien revolutionärer Politik in keinem Punkt. Sie verfahre nach dem Motto "egal wie, egal mit welchen zielen, hauptsache es bewegt sich was und ist objektiv antiimperialistisch". Mit den "islamischen schwestern und brüdern" gebe es aber außer dem politischen Gegner keine Gemeinsamkeiten. Zudem sei die Unkontrollierbarkeit ihrer Aktionen und die Ungenauigkeit des Konzepts der potentiell tödlichen Bedrohung abzulehnen. Sei der Tod einer Person gewollt, so müsse genau bestimmt werden, wann dies nötig sein solle. Eine so laxe Haltung, wie sie die AIZ einnehme, schade der Linken und ihrem Kampf um Befreiung. Ungeachtet aller Kritik und aller Distanzierungsbemühungen besteht eine verhaltene Bereitschaft, mit der AIZ in eine Diskussion einzusteigen. Tragend ist dabei der Gedanke, berechtigte Kritik müsse eine solidarische sein und dürfe nicht zu einen vom Staat gewollten Auseinanderdividieren führen. Der Tatablauf sowie der Inhalt der Selbstbezichtigung zum bisher letzten Anschlag am 23. Dezember 1995 belegen deutlich, daß - 30 - 'die AIZ von der massiven Szene-Kritik völlig unbeeindruckt geblieben ist. Im Gegenteil, sie kritisiert ihrerseits pauschal -alle Gegenpositionen. Offenbar erhält für sie der revolutionäre Kampf seine Rechtfertigung aus sich selbst. Der "außerparlamentarischen linken" in der Bundesrepublik wirft sie erneut Passivität vor. Viele hätten sich aus der Szene zurückgezogen. Reststrukturen seien nur noch von marginaler Bedeutung. Von einer "außerparlamentarischen linken" könne kaum gesprochen werden. Die fortwährende Bezugnahme auf revolutionär-islamische Gruppie- " rungen sowie ihr Festhalten am Konzept "potentiell tödliche ' aktionen" sprechen für die Annahme, daß die AIZ ihre isolierte Außenseiterund Avantgarderolle unbeirrt fortführen will, daß sie auch künftig in Deutschland weder Verbündete suchen noch finden wird. Dabei begibt sie sich selbst zunehmend in eine Märtyrerrolle nach islamischen Vorbildern, Mit der neuen Adresse an die "mehrheit der brd-gesellschaft" erreicht die von der AIZ ausgehende Bedrohung eine neue Dimension. Eine Eingrenzung künftiger Aktionsziele ist damit noch schwieriger geworden. Für das Jahr 1996 kündigte die AIZ in ihrer letzten Erklärung weitere Aktionen an: "wir werden die erklärungen zu aktionen, die wir nächstes jahr, inschallah, durchführen werden, so unterzeichnen wie diese erklärung: aktion khaled kelkal - antiimperialistische zeile." Die Bezugnahme auf den in einem Feuergefecht mit französischen Sicherheitskräften getöten algerischen Terroristen Khaled Kelkal, dem mehrere 1995 in Frankreich verübte Bombenanschläge zugerechnet werden, die zahlreiche Tote und Verletzte forderten, läßt für künftige Anschläge eine steigende Gefährdung für Leib und Leben als nicht ausgeschlossen erscheinen. Nach der Verhaftung zweier mutmaßlicher AIZ-Mitglieder am 25. Februar 1996 sind bisher weitere Anschläge ausgeblieben. 2.2 "Rote Armee Fraktion" (RAF) Die RAF ist bei ihrem vorläufigen Verzicht auf tödliche Aktionen geblieben, den sie mit ihrer Deeskalationserklärung vom April 1992 der Öffentlichkeit übermittelt hatte. Auch im Jahr 1995 blieben sowohl terroristische Aktionen als auch positionsbestimmende oder intervenierende Erklärungen zu Gewalttaten anderer terroristischer Gruppierungen oder zur allgemeinen Szene'Diskussion aus. Durch die lange inaktive Phase dürfte ein Vakuum ohne politische Nähe zur Basis entstanden Sein. Vor diesem Hintergrund dürften erneute Anschläge gegen Personen oder Sachen kaum vermittelbar sein. Trotzdem muß die RAF als noch existent betrachtet werden. Einige RAF-Terroristen befinden sich nach wie vor in Freiheit. Es ist anzunehmen, daß sie weiterhin über Waffen und Anschlagsgerät verfügen, wovon sie Gebrauch machen könnten, sei es auch nur, um sich in einer für sie bedrohlichen Situation zu wehren oder um sich im Falle einer Entdeckung der Festnahme zu entziehen. Die Entlassung von insgesamt sechs ehemaligen RAF-Terroristen 1995 führte zu einer Entspannung in der "Gefangenenarbeit" der Unterstützer-Szene und zur Stagnation der Freilassungsinitiativen. Eine bereits im Mai 1994 begonnene Aktionskette "Freiheit für aile politischen Gefangenen" mit dem Ziel, "jeden zweiten Freitag im Monat in die Städte zu gehen, wo Verantwortliche für die Haftbedingungen unserer Angehörigen sitzen, um dort zu pro- . testieren und Widerstand zu organisieren", endete nach insgesamt. 13 Veranstaltungen mit der bisher letzten Aktion im April 1995 in Mainz. " deg Ein wesentlicher Grund für das schwindende Interesse der Szene ist das Verhalten der Gefangenen untereinander nach dem Bruch im RAF-Gefüge seit April 1992, der auch die Gefangenen in Ablehner und Befürworter der neuen Linie der RAF-Illegalen spaltete. - 32 - Ein Gefangenenkollektiv mit richtungsweisender Ausstrahlung in die Szene existiert seitdem nicht mehr. Nach der bereits erwähnten Entlassung mehrerer Langzeitinhaftierter befinden sich fast ausschließlich solche Personen in Haft, die noch sehr lange Haftstrafen zu verbüßen haben und die nicht zuletzt wegen fehlender Freilassungsperspektiven eine Hardliner-Position in der alten RAF-Linie beziehen. Mit Datum vom 10. Juli 1995 wurde die Erklärung der letzten von ursprünglich vier in Lübeck inhaftierten ehemaligen RAF-Terroristinnen, Hanna Krabbe, veröffentlicht, in der sie ihre eigene und die Haftsituation anderer RAF-Inhaftierter beschrieb: ".".. um uns eine reale perspektive auf freiheit zu erkämpfen, brauchen wir zuerst einmal voraussetzungen, uns politisch auszutauschen und zu äußern, untereinander und mit draußen auch gegen den letzten versuch, uns quasi geschichtlich zu erledigen, indem unsere entscheidung zum bruch mit der politik der illegalen in alle richtungen interpretiert wird ..." In der gleichen Erklärung machte die Verfasserin deutlich, das sie nicht bereit sei, sich über ihre bereits 1992 erfolgte Absage an die Fortsetzung des bewaffneten Kampfes im Falle ihrer Freilassung hinausgehend von früheren Aktionen der RAF zu distanzieren. Sie betont: "... wir können unsere gemeinsame kampfgeschichte nicht der justiz übergeben. entweder sie lassen uns raus und akzeptieren unsere politische haltung und verantwortung oder nicht. ich bin jedenfalls nicht bereit, eine aktion, in der es uns um die befreiung aller kämpfenden politischen gefangenen und um die kontinuität bewaffneter systemoppositioneller politik ging, vor dem richter in legitim und illegitim auseinanderdividieren zu lassen ..." 2.3 Unterstützerund Sympathisantenspektrum des Terrorismus Ä Ehemals bestehende Strukturen im Unterstützerund Sympathisantenspektrum der RAF sind im Zuge der Richtungsdiskussionen nach der Zäsur im RAF-Gefüge weiter auseinandergefallen. Die Geschichte der RAF und ihres bewaffneten Kampfes ist inzwischen kein Hauptthema der Szene-Diskussion mehr, obwohl in den einschlägigen Szene-Buchläden und über Szene-Publikationen vielfältige Literatur zur Thematik angeboten wird. Über allem steht jedoch weniger eine Identifizierung mit den politischen Zielen der alten oder neuen RAF als die uneingeschränkte Solidarität mit den Gefangenen nach dem Motto "Freiheit für alle Gefangenen aus RAF und Widerstand". Von einigen Hardliner-Gruppierungen wird allerdings militanter "widerstand" nach wie vor als integraler Teil des Protestes gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse angesehen, wobei revolutionäre Gewalt nicht nur für legitim, sondern auch für unverzichtbar gehalten wird. Eine derartige Entwicklung zeigt sich besonders bei Gruppierungen mit antiimperialistischer Ausrichtung. In der Ende 1995 vom "Autonomen Aktionskomitee Darmstadt" herausgegebenen Publikation "Sabotage", Nr. 8, heißt as: "(Wir) finden ... es grundsätzlich richtig, daß die Guerilla Teil ist in der Organisierung und den Diskussionen und Perspektiven fundamentaloppositioneller Politik hier in der BRD! Denn eine Linke, die bewaffnete/militante Kämpfe als Mittel der Politik allgemein ablehnt, hat aufgehört, revolutionär zu sein!" 2.4 Szene-Potential in Schleswig-Holstein Das Unterstützerund Sympathisantenspektrum im Lande entwickelte sich parallel zur Bundesrichtung. Auch die Kritik an der AIZ liegt in der aufgezeigten Linie.. Solidarität mit ihr sei trotz distanzierter Betrachtung der Anschläge und der Zielauswahl allein wegen Verunsicherung der Staatsmacht angezeigt. - 34 - = Die Entlassungen der in Lübeck inhaftierten ehemaligen RAF-Terroristinnen Irmgard Möller am 1. Dezember 1994 und Christine Kuby am 21. Februar 1995 haben sich - soweit es um die "Lösung der Gefangenenfrage" geht - auch im Lande entspannend ausgewirkt. Auch in Schleswig-Holstein wurde versucht, die Szene auf der Basis gezielter Theoriediskussionen über Gewalt und andere linksextremistische politische Grundpositionen zu festigen und weiteres Potential aus anderen Zusammenhängen zu integrieren. Wesentliche Impulse gingen dabei von anleitenden Szene-Angehörigen mit starker Gruppendominanz aus, von denen zwischenzeitlich einige aus persönlichen oder politischen Gründen in andere Bundesländer verzogen sind. 3 "Rote-Hilfe"-Aktivitäten : Die "Rote Hilfe e. V." versteht sich als Rechtsund Hafthilfeorganisation in der Tradition einer gleichnamigen kommunistisch gesteuerten Gruppierung der Weimarer Zeit. Heute arbeitet sie als "Solidaritätsorganisation für die gesamte Linke", vor al.em für "politisch Verfolgte" und "politische Gefangene" in Deutschland, Die Organisation artikuliert sich öffentlich unter anderem über ihr vierteljährlich herausgegebenes Organ "Die Rote Hilfe" und durch aktive Szene-Arbeit bzw. enge Kommunikation mit allen einschlägigen linksextremistischen Gruppierungen. Der Literaturvertrieb erfolgt über ihren Bundesvorstand mit Sitz in Kiel. In der Quartalsausgabe 3/95 werden die günstige personelle Entwicklung der Organisation und eine "Super-Bilanz" für das Jahr 1994 aufgezeigt. Die Mitgliederzahl sei von 877 (Ende 1993) über 1 233 (Ende 1994) auf 1 478 im Juli 1995 gestiegen. Die Einnahmen hätten erstmals 100 000 DM überschritten; davon stammten 85 000 DM aus Mitgliedsbeiträgen. Zur Unter- stützung politisch Verfolgter hat die Organisation 68 000 DM aufgewendet. In ihren Schriften wird vornehmlich über inhaftierte deutsche und ausländische Terroristen, über laufende Strafprozesse gegen terroristische Gewalttäter und allgemein über linksextremistische deutsche und ausländische Gruppierungen berichtet. Dabei werden auch Berichte aus anderen extremistischen Publikationen übernommen und für linksextremistische Literatur geworben. Der relativ hohe Berichtsanteil der Ortsgruppe Kiel in der Schrift "Die Rote Hilfe" unterstreicht die Aktivität der Gruppe, die auch sehr stark in die Presseund Szene-Arbeit zum "radikal"-Verfahren (siehe dazu unter Nr. II 4.2.1) eingebunden ist. In der Ausgabe 4/95 bezeichnet sie das Ernittlungsverfahren gegen mutmaßliche Redakteure der Untergrundschrift als ein neues Organisationskonstrukt, mit dem sich die Bundesanwaltschaft offenbar ein Mittel zur Kriminalisierung von Zeitungsarbeit schaffen wolle. " Eine bereits bekannte Broschüre mit dem Titel "Was tun, wenn es brennt?!" mit Rechtshilfetips für "aktiv am Klassenkampf teilnehmende, gegen Ausbeutung und Unterdrückung kämpfende HausbesetzerInnen, AKW-GegnerInnen, AntifaschistInnen und KommunistInnen" wurde in der ersten Hälfte des Jahres 1995 in aktualisierter Form ins Türkische übersetzt. " 4 Autonom-anarchistische Szene Mit bundesweit rund 6 000 Mitgliedern stellen gewaltbereite autonome Gruppierungen nach wie vor ein erhebliches Gefährdungspotential für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. In Schleswig-Holstein sind der militanten autonomen Szene rund 350 Personen zuzurechnen. - 36 - " t Sogenannte Autonome treten als Teil subkultureller Alternativbewegungen in Erscheinung. Einigendes Element aller sich dieser Richtung zurechnenden Gruppierungen, deren Ursprünge auf die studentische Protestbewegung der sechziger Jahre zurückgehen, ist die Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens in herrschaftsfreien Räumen ("Nischen") der jeweiligen Gesellschaft. Entsprechend diesem Selbstverständnis werden Herrschaft und Zwänge jedweder politischer oder gesellschaftlicher Art abgelehnt. ' Je nach Art der Umsetzung ihrer Zielvorstellungen ist zwischen nicht-militanten und militanten Autonomen zu unterscheiden. Während erstere versuchen, durch gewaltfreie Proteste gegenüber Staat und Gesellschaft ihre "Nischenkultur" zu leben, lehnen militante Autonome Staat und Gesellschaft nicht nur ab, sondern erklären sich zu aktiven Gegnern. Ein beispielhafter Beleg für dieses Selbstverständnis findet sich in den "Thesen zur autonomen Bewegung", die im Anhang des "Lesebuches zum Autonomie-Kongreß 1395" veröffentlicht worden sind: "... Je mehr Freiräume wir gewinnen können, desto besser l1st unsere Ausgangsbasis, um den Staat und das System zu stürzen. Freiräume bedeuten ein punktuelles Außerkraftsetzen des Staates ..." Diese "systembekämpfende" Haltung ist vor allem geprägt durch spontanen Aktionismus. Dabei wird die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel angesehen. In einem in der Berliner AutonomenSchrift "INTERIM", Nr. 342 vom 17. August 1995, von unbekannten Autoren veröffentlichten Beitrag wird betont: Dr 7 "(Wir) begreifen ... militante, illegale Aktionen als einen integralen Teil des Protestes und Widerstandes gegen Herrschaftsverhältnisse ... wir werden uns nicht an den vom Staat vorgeschriebenen legalen Rahmen von Protest und Widerstand halten. Denn damit wären wir auch kontrollier-, berechenund beherrschbar ... Also - eine Absage an Gewalt wird es von uns nicht geben - nicht heute und auch nicht in Zukunftiitt!!i" (Hervorhebungen im Original) Militante Autonome sind daher nicht nur eine subkulturelle Randgruppe, sondern wegen ihrer politisch-extremistischen Grundhaitung der verfassungsfeindlichen Szene zuzurechnen. 4.1 Organisierung und Strukturen der Szene Eine homogene autonome Szene existiert nach wie vor nicht. In der Vergangenheit hat es zwar wiederholt Bemühungen um eine. stärkere Organisierung bestehender Zusammenhänge gegeben. Derar'tige Bestrebungen waren jedoch wegen der hierarchiefeindlichen Einstellung des autonomen Spektrums und der damit verbundenen Ablehnung verbindlicher Entscheidungsinstanzen nur in begrenztem Maße erfolgreich. Auch der mit langer Vorlaufphase geplante und über Ostern 1995 in Berlin durchgeführte bundesweite "Autonomie-Kongreß" hat keine neuen Impulse für die Organisationsdebatte bringen können. Mit über 2 000 Teilnehmern hat er zwar gezeigt, daß noch immer 'eine beachtliche linksextremistische autonome 'Szene existiert. Es ist ihm jedoch nicht gelungen, gemeinsame politische Strategien verbindlich zu bestimmen. Dies belegen die "Thesen zur autonomen Bewegung", in denen die Grundposition militanter Autonomer zur Organisationsfrage wie folgt beschrieben wird: - 38 - "... Wir lehnen eine parteiförmige Organisationsstruktur aus vielerlei Gründen ab: In allen linksradikalen Parteien gab es das Funktionärsunwesen, das Delegieren von Interessen von unten nach oben, die mangelhafte Förderung des Selbstbewußtseins und der Selbstbestimmung der Massen etc. Jede kommunistische oder anarchistische Partei kennt das Problem der Macht bis zum Überdruß. In unseren Strukturen hingegen gibt es keine gewählten Delegierten oder Funktionäre ..." Organisationsform ist nach wie vor die - häufig wechselnde - Kleingruppe. Zu bestimmten Ereignissen, Themen und Projekten werden allerdings Aktionsbündnisse gebildet. Üblich sind je nach Bedeutung bundesweite, regionale oder örtliche Vorbereitungstreffen. An deren Ende stehen aber in der Regel keine förmlichen Beschlüsse, sondern lediglich informelle Absprachen. Zur Agitation und Mobilisierung, darüber hinaus für Warnhinweisa wegen befürchteter staatlicher Maßnahmen und zur Verbreitung von Rechercheergebnissen zu rechtsextremistischen und vermeintlich rechtsextremistischen Organisationen nutzen Autonome - neben den vielfältigen Szene-Publikationen - in zunehmendem Maße auch neue elektronische Kommunikationstechniken. Hierzu zählen außer Mobiltelefonen und Telefaxgeräten insbesondere computergestützte, zum Teil mit hierarchischen Zugangsbeschränkungen und Verschlüsselungsprogrammen versehene Mailboxsysteme. So hat der von Angehörigen der autonomen antiimperialistischen Szene betriebene bundesweite Mailboxverbund "SpinnenNetz" mittlerweile drei Mailboxen in Bonn, Berlin und Frankfurt/M. mit zusammen über 100 ständigen Nutzern - davon mehreren aus Schleswig-Holstein - eingerichtet. u 4.2 Aktionstelder 4.2.1 "radikal"-Verfahren Ein strukturübergreifendes Schwerpunktthema mit bundesweiter Resonanz wurde durch das Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlichen Hersteller und Verbreiter der Untergrundschrift "radikal" wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Unterstützung terroristischer Vereinigungen gemäß S$ 129, 129 a Strafgesetzbuch ausgelöst. Am 13. Juni 1995 wurden auf Anordnung der Bundesanwaltschaft in Schleswig-Holstein, Hamburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, |Niedersachsen, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zahlreiche Objekte verdächtiger Personen durchsucht. Einzelne Maßnahmen richteten sich gleichzeitig gegen mutmaßliche Angehörige der terroristischen Gruppierungen AIZ und "K.O.M.I.T.E.E." Im Zusammenhang mit dem "radikal"-Verfahren wurden insgesamt vier Personen verhaftet, zwei von ihnen stammen aus Lübeck bzw. Rendsburg. Die Verhaftungen lösten in der linksextremistischen Szene eine Protestund Solidaritätswelle aus. Unmittelbar nach Beginn der Exekutivmaßnahmen wurden auf szene-Üüblichen Wegen Warnhinweise verbreitet und bekannte Szene-Anwälte eingeschaltet. In Spontanveranstaltungen wurden Betroffenenberichte "politisch bewertet" und weitere Vorgehensweisen abgestimmt. Später wurden regionale, landesund Iundeeweich Treffen veranstaltet, auf denen Arbeitskreise, "Soliund Besucherkomitees" gebildet und "Antirepressionsbüros" eingerichtet rden. Es schlossen sich zahireiche Solidaritätsvaranstaltungen wie "Knastkundgebun:gen und -demonstrationen" vor den Haftanstalten und auch an anderen Orten sowie Aktionstage bzw. -wochen an. Zur Mobilisierung und aktuellen Informationsübermittlung wurden vermehrt szene-eigene bzw. von der Szene nitbenutzte Mailboxen in Anspruch genommen, wobei der "Informationsdienst Schleswig-Holstein" als bundesweites Informatlonszentrum fungierte. In Lübeck fanden neben einer Aktionswoche acht und in Neumün-' ster vier Veranstaltungen vor den Haftanstalten statt. Hinzu kamen zahlreiche weitere Solidaritätsaktionen, die auch in. anderen Städten im Lande veranstaltet wurden. Den Höhepunkt bildete eine Demonstration am 16. Dezember 1995 in Hamburg. Unter dem Motto "radikal ins nächste jahrtausend" - 0 - war zur Teilnahme an einer "kraftvollen, möglichst großen demonstration" aufgerufen worden, "um druck auf den haftprüfungstermin auszuüben". Obwohl alle Verdächtigen des "radikal"-Verfahrens bereits vorher aus der Haft entlassen worden waren, beteiligten sich rund 4 700 Personen an''der Demonstration. Vor der Entlassung hatten die Initiatoren Demonstrationsaufrufe mit Forderungen wie "Einstellung des Verfahrens", "Weg mit den SS 129, 129 a", "Weg mit der Beugehaft", "Weg mit dem PKKund Dev-Sol-Verbot" herausgegeben. Sie wurden erweitert um die Feststellung: '"Die unmittelbare Freude und Erleichterung, die Vier aus dem Knast raus und wleder unter uns zu haben heißt nicht, daß wir uns jetzt zurückiehnen können! Jetzt erst recht, bundesweite Demo am 16.12. gegen die politischen Verfahren vom 13.06." Der hohe Mobilisierungsgrad zeigt die große Aktionsbereitschaft innerhalb der linken Szene bei Reizthemen, obwohl der "heftige Schlag die ohnehin zersplitterte Linke in einer Phase der Schwäche" getroffen hat. deg An den verschiedenen Veranstaltungen beteiligten sich keineswegs nur (deutsche und ausländische) linksextremistische Gruppen. Von diesen gingen jedoch die Initiativen und die entscheidenden Impulse aus, Ihr Ziel war es unter anderem, in einer bundesweiten "PR-Kampagne" gezielte Informationen in die Öffentlichkeit zu tragen, um breite positive Resonanz bis hinein in das "bürgerliche Lager" zu erreichen. Deshalb wurde die Durchsuchungsund Festnahmeaktion in der Öffentlichkeit als ein allgemeiner Angriff auf die Meinungsund Pressefreiheit deklariert. Nicht zuletzt wegen der Herkunft zweier mutmaßlicher "radiKal"-Redakteure aus Schleswig-Holstein gingen bzw. gehen von dem Sympathisantenspektrum im Lande für die gesamte Solidaritätsarbeit in Deutschland die entscheidenden Initiativen aus. Das geschieht in sehr enger Kooperation und personeller Ver- flechtung mit der Hamburger Solidaritäts-Szene und schließt die gesamte szene-interne Pressearbeit ein. Die Festnahmen vom 13. Juni 1995 haben die verdeckten Strukturen der "radikal" offenbar nicht entscheidend geschwächt. Seit Mitte November 1995 wird eine neue Ausgabe der "radikal" verbreitet (zwei Hefte mit insgesamt 100 Seiten), die während der Inhaftierung der mutmaßlichen Redakteure erstellt worden sein dürfte. Bemerkenswert ist hierzu, daß die neue Ausgabe mehrfach deutlich norddeutsche Bezüge (Hamburg/Schleswig-Holstein) erkennen läßt. Dies zeigt sich insbesondere darin, daß für detaillierte Einzelfallschilderungen fast ausschließlich die Fälle der Inhaftierten aus Schleswig-Holstein zitiert und daß im Text typische Formulierungen aus dem norddeutschen Sprachgebrauch gewählt wurden. . 4.2.2 Antifaschiamus Ein weiteres zentrales Aktionsfeld der militanten autonomen Szene ist nach wie vor der "Antifaschismuskampf". Anders als in den Vorjahren sind jedoch 1995 - trotz der auch in der Szene thematisierten Gedenkfeiern aus Aniaß des 50. Jahrestages des Kriegsendes - spektakuläre und massenhafte Demonstrationen ausgeblieben. Der Antifaschismus-Begriff der autonomen Szene versteht sich nicht als reine "Anti-Nazi-Bewegung"", sondern umfaßt auch die Auseinandersetzung mit dem bestehenden gesellschaftlichen System, das als "imperialistisch" bezeichnet wird. Kennzeichnend für das Selbstverständnis autonomer Antifaschisten heißt es in einem Textbeitrag des vom Münsteraner "Unrast-Verlag"" herausgegebenen "Antifaschistischen Kalenders 1995": "Die Parole 'Kampf dem Faschismus heißt Kampf dem imperialistischen System' steht für ein radikales, d. h. an die gesellschaftlichen Wurzeln gehendes Verständnis von Antifaschismus." - 42 - 4.2.3 Anti-Atomkraft Der militante Protest gegen Atomkraft ist 1995 var der autonomen Szene, insbesondere im Hinblick auf Castor-Transporte, in auffällig gewalttätiger Form wieder aufgenommen worden. Im Laufe des Jahres entstanden bundesweit mit Schwerpunkt in Niedersachsen - Schleswig-Holstein war nur in relativ geringem Ausmaß betroffen - Sachschäden in Millionenhöhe. Der Bahnverkehr wurde empfindlich gestört. Die Täter blockierten Bahnstrecken mit Steinen, brennenden Strohballen oder Betonringen; Bahnschwellen wurden durchgesägt, Gleiskörper unterhöhlt, Signalkabel durchtrennt oder Oberleitungen mit Wurfankern zerstört. In SzeneSchriften erschienen detaillierte Anleitungen zum Bau von Wurfankern. In zahlreichen Anrufen drohten Unbekannte mit Bombenexplosionen. . In der Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM", Nr. 329 vom 27. April 1995, wurden die militanten Aktionen gegen CastorTransporte als Erfolg gewertet. Die Anti-AKW-Bewegung sei immer eine im besten Sinne breite, populistische Volksbewegung gewesen, in der sowohl "Schrebergärtner, Latzhosenbauern, Teile der modernen technischen Intelligenz und auch städtische Autonome" ihren Platz beansprucht hätten. Die Vielzahl der Aktionen sei Grund zu großer Freude und zum Teil heller Begeisterung gawesen. Sie wären darüber hinaus für die Zukunft äußerst ermutigend und hätten gezeigt, daß ein effektiver Widerstand gegen die herrschende Klasse nicht nur notwendig, sondern an vielen Orten und Stellen in der Republik möglich sei, ohne daß damit ein politischer Zusammenhang verlöorengehen müsse. Daß mit den gewalttätigen Protesten militanter Autonomer nicht nur die "Atom-Mafia", sondern in erster Linie die Verfassungsordnung gemeint ist, verdeutlicht ein Aufruf der "Autonomen Zelle Erich Mühsam, München", in "INTERIM", Nr. 353 vom 23. November 1995, unter der Überschrift "Den Atomstaat zerschlagen!". Dort heißt es unter anderem: "... Nicht falsche Atomprogramme sind der Fehler in diesem System, sondern das System ist der Fehler!" 4.3 Situation der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein 4.3.1 Potential und Strukturen Der autonom-anarchistischen Szene in Schleswig-Holstein sind rund 350 Personen zuzurechnen, deren Bindung an die Szene allerdings von sehr unterschiedlicher Intensität ist. Sie sind in verschiedenen autonomen Gruppierungen und Initiativen aktiv. Regionale Schwerpunkte im Lande sind Kiel, Neumünster, Lübeck sowie Rendsburg. Autonome des Hamburger Randgebletes sind ganz überwiegend auf die Autonomen-Szene in Hamburg orientiert. Die örtlich aktiven militanten Autonomen betätigen sich in mehr oder weniger losen Zusammenhängen. Neben einem jeweils relativ kleinen Kern von Aktivisten beteiligen sich an der "AutonomenArbeit" sporadisch und unverbindlich protestbereite Jugendliche. Einen besonderen Stellenwert in der Struktur der autonomen Szene nehmen insbesondere die autonomen "Infoläden" ein. Sie dienen als Anlaufstellen und Treffpunkte für Szene-Angehörige, als Informationsbörse und zur Verbreitung von Szene-Publikationen. Derzeit sind autonome "Infoläden" in Flensburg, Husum, Rendsburg und Kiel vorhanden. Von diesen verzeichnet gegenwärtig der "Infoladen Beau Rivage" in Kiel die größte Resonanz aus der örtlichen autonomen Szene. Der "Infoladen OMEGA" in Neumünster wurde 1995 geschlossen. ' Eine Besonderheit stellt der von Autonomen betriebene "Informationsdienst Schleswig-Holstein" (ID SH) dar. Das seit 1994 in Neumünster bestehende Projekt versteht sich als ein "Dienstlei- " stungsunternehmen auf dem Gebiet des Informationsaustausches - 44 - - und der Beschaffung" unter Zuhilfenahme der szene-eigenen computergestützten Mailboxsysteme. Seine thematischen Schwerpunkte lagen 1995 allgemein in den Bereichen "Antifa" und "Internationalismus" (Kurdistan) und im besonderen in den Bereichen "Repression" und "Kriminalisierung". Hier engagierte sich das Projekt insbesondere in der Kampagne um die Freilassung der zwei aus Schleswig-Holstein stammenden mutmaßlichen Angehörigen des Redaktionskollektivs der Untergrundschrift "radikal". 4.3.2 Entwicklung der Gewalttaten In Schleswig-Holsteln Für 1995 wurden von der Verfassungsschutzbehörde 24 (Vorjahr: 13) linksextremistisch motivierte Gewalttaten erfaßt. Dabei handelt es sich im einzelnen um zwei Brandanschläge, eine Körperverletzung, 20 Sachbeschädigungen sowie einen vorgetäuschten Sprengstoffanschlag. .Die auffällige Steigerung der Anzahl der Gewalttaten in Schleswig-Holstein gegenüber dem Vorjahr ist insbesondere durch folgende Ereignisse zu erklären: - die polizeiliche Räumung des "Hüttendorfes Anatopia" im Zusammenhang mit dem Bau einer Mercedes-Teststrecke bei Papenburg (Niedersachsen), die Anlaß auch für Protestaktionen in Schleswig-Holstein war, - die Castor-Transporte sowie - die polizeilichen Durchsuchungen im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren gegen "radikal". 5 Dogmatischer Linksextrenismus 5.1 Allgemeine Entwicklung Dogmatische, das heißt im wesentlichen am Marxismus-Leninismus ausgerichtete linksextremistische Parteien und Gruppierungen haben nach wie vor nur geringe Bedeutung - auch in Schleswig-Holstein. . Während sich die ehemals moskauorientierte "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) nach erheblichen Mitgliedsverlusten seit dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" auf einem gegenüber den achtziger Jahren deutlich geringeren Niveau stabilisiert hat, weist das revolutionär-marxistische Spektrum, insbesondere der "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) und die inzwischen in "Vereinigung für sozialistische Politik" (VSP) umbe- ' hannte "Vereinigte Sozialistische Partei" (VSP), gewisse Auflösungserscheinungen auf. Eine Ausnahme bildet die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands", die als einzige linksextremistische Partei in den vergangenen Jahren leichte Zuwachsraten verzeichnen konnte (bundesweit rund 2 000 Mitglieder). In Schleswig-Holstein ist sie jedoch ohne Bedeutung. Mangels eigenständiger politischer Perspektiven suchen Parteien des linksextremistischen Spektrums zunehmend die Zusammenarbeit mit der "Partei des Demokratischen Sozialismus". 5.2 Einzelne Organisationen Im Bundesgebiet sind derzeit noch rund 6 000 Mitglieder in der DEP organisiert (1989: rund 22 000). In der Bezirksorganisation Schleswig-Holstein sind noch 275 Mitglieder verblieben (1989: rund 900). Mehr als Zweidrittei der Mitglieder sind jedoch älter als 60 Jahre. Da eine leistungsfähige Jugendorganisation als potentielle "Kaderreserve" fehit, ist für die Zukunft eine weitere Schrumpfung der Partei zu prognöstizieren. - 46 - Ideologisch hält die DKP trotz der seit Ende der achtziger Jahre grundlegend veränderten politischen Verhältnisse an ihrem bisherigen Kurs fest. So erklärten die DKP-Funktionäre Heinz Stehr und Manfred Sohn in der Schrift "25 Jahre DKP - eine Geschichte ohne Ende" euphorisch: * / "Wir treten an mit der festen Entschlossenheit, einen neuen Versuch zur Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft durch den Sozialismus zu wagen und dies besser zu machen, als zwischen 1917 und 1989." Die Mitgliedsverluste haben dazu geführt, daß auch in Schleswig-Holstein viele Kreisorganisationen, Orts-, Stadtteilund Betriebsgruppen der DKP aufgelöst wurden. Auch das Erscheinen von DKP-Ortsund Stadtteilzeitungen ist weitgehend eingestellt worden. Der BWK/VSP-Landesverband schrumpfte in den vergangenen Jahren personell bis zur Bedeutungslosigkeit. Mit rund 30 Mitgliedern trat er vornehmlich publizistisch in Erscheinung. Eine eigenständige politische Rolle wird offensichtlich nicht mehr angestrebt. Der Landesverband versteht sich seit Anfang 1995 nur noch als "Arbeitsgemeinschaft bei/in der PDS". In fast allen Bundesländern hat sich eine ähnliche Entwicklung vollzogen. Allem Anschein nach wird in dieser Vorgehensweise eine Möglichkeit gesehen, größeren politischen Einfluß zu erlangen und im Umfeld der PDS eigene Strukturen zu rekonstruieren. Die 1990 in "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) umbenannte "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands" versteht sich selbst als linke Strömungspartei, in der rn slim Ina . $ ",.. sowohl Menschen einen Platz (haben), die der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen wollen und die gegebenen Verhältnisse fundamental ab- . lehnen, als auch jene, die ihren Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden." (Programm der PDS, Berlin 1993, S. 23 PS.) Bundesweit verfügt die PDS über rund 123 000 Mitglieder, die jedoch zum überwiegenden Teil in den neuen Bundesländern organi- . siert sind. In den westlichen Bundesländern wird das Bild der Partei unter anderem von einer intensiven Zusammenarbeit mit großen Teilen des linksextremistischen Spektrums geprägt. Während vom Bund und den Bundesländern Bayern und Hessen die PDS als verfassungsfeindlich eingestuft wird, ist sie in Schleswig-Holstein wie in anderen Bundesländern nach wie vor Prüffall. Die weitere Entwicklung des mit lediglich 50 bis 60 Mitgliedern politisch bis'her bedeutungslosen Landesverbandes bleibt abzuwarten. - 48 - Mitgliederentwicklung der linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwicklung im Bundesgebiet 1993 bis 1995 - ohne Bereinigung von Mehrfachmitgliedschaften - 1993 1994 1995 Orthodoxe Kommunisten 600 600 550 Revolutionär-marxistische Gruppen 100 100 100 Militante Autonome . 350 350 350 Gesamt Land 1.050 1 050 1000 ZUSZEEZEZZEUZSECEEZNAEZLISZCENZEZERNUERBERHSIHERTICHCHESBETUNREREE Gesamt Bund29 300 28 900 29 600 & 2) III. Extremistische Bestrebungen von Ausländern 1 Überblick Von den 1995 in Schleswig-Holstein wohnhaften 136 791 Ausländern gehörten lediglich rund 1 500 extremistischen bzw. extremistisch beeinflußten Ausländerorganisationen an. Zu berücksichtigen ist dabei, daß die Mitgliedschaften in diesen Organisationen häufig der Kontaktpflege unter Landsleuten dienen, ohne daß sich ihre Mitglieder nachhaltig mit deren extremistischen Zielen' identifizieren. Einen Anstieg der Mitgliederzahien hatten 1995 extrem-nationalistisch orientierte türkische Ausländerorganisationen in Schleswig-Holstein zu verzeichnen. Gefährdungen für die Innere Sicherheit sowohl auf Bundesals auf Landesebene gingen in erster Linie wiederum von der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und von zur Gewalt neigenden extremistischen türkischen Organisationen aus. Die übrigen in Schleswig-Holstein vertretenen extremistischen Ausländerorganisationen traten nur gelegentlich mit öffentlichen Aktivitäten in Erscheinung. . Die seit 1992 in Schleswig-Holstein zu beobachtenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und jüngeren nationalistisch orientierten Türken erreichten mit der Erschießung eines Anhängers der PRK am 3. September 1995 in Neumünster einen tragischen Höhepunkt. Zu dieser Entwicklung trug eine insbesondere unter jüngeren nationalistisch gesinnten Türken in Schleswig-Holstein festzustellende Radikalisierung bei. Die PKK nutzte die Ereignisse in Neumünster zu einer Propagandaoffensive gegen die als "Graue Wölfe" bezeichneten nationalistischen Türken und zu einem bundesweiten Trauermarsch von Kurden am 9. September 1995 in Neumünster mit rund 7 500 Teilnehmern. Der Trauermarsch verlief ohne größere Zwischenfälle, - 50 - In Schleswig-Holstein wurden 1995 neun Brandanschläge und sonstige Sachbeschädigungen vorwiegend gegen türkische Reisebüros und Vereinseinrichtungen nationalistisch gesinnter Türken verübt. Personen wurden dabei nicht verletzt. Es entstand zum Teil hoher Sachschaden. In mehreren Fällen gab es Hinweise auf die Täterschaft der PKK und linksextremistischer türkischer Organisationen. Die Anschläge sind Ausdruck des weiterhin anhaltenden türkisch-kurdischen Konfliktes in der Türkei und der entschiedenen Gegnerschaft zwischen verfeindeten linksund rechtsextremistischen türkischen Gruppen. 2 Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) setzt ihre Tätigkeit trotz Verbot in der Bundesrepublik fort Mit bundesweit knapp 9 000 Anhängern stellt die 1993 im Bundesgebiet verbotene PKK nach wie vor das mit Abstand größte Gefährdungspotential für die Innere Sicherheit unter den extrenistischen "Ausländerorganisationen dar. In Schleswig-Holstein umfaßt ihr Anhängerund Sympathisantenfeld wie auch im Jahr 1994 rund 600 Personen. Die PRK ist entsprechend der marxistisch-leninistischen Parteidoktrin streng hierarchisch unter absoluter Führung ihres Generalsekretärs Abdullah Öcalan aufgebaut. Verstöße gegen die von den einzelnen Parteimitgliedern zu beachtende strenge Parteidisziplin werden mit zum Teil drakonischen Strafen geahndet. Die PKK erhebt unverändert einen Alleinvertretungsanspruch für die Belange des kurdischen Volkes. Von ihr gesteuerte Organisationen treten als Interessenvertreter der in der Bundesrepublik lebenden Kurden auf. Diesem Zweck diente auch die am 12. April 1995 unter ihrer Mitwirkung erfolgte Konstituierung eines kurdischen Exilparlamentes in ben Haag (Niederlande). Es versteht sich als parlamentarische Vertretung für alle Kurden. Zu den Zielen des kurdischen Exilparlamentes gehört unter anderem auch . die Unterstützung des "nationalen kurdischen Befreiungskamp- fes", der allein von der PKK geführt wird. In dem aus 65 Abgeordneten bestehenden Parlament ist die PKK über ihr nahestehende Organisationen einflußreich vertreten. Auch 1995 setzte die PKK ihre in der Bundesrepublik verfolgte 'Doppelstrategie fort, einerseits als Ansprechpartner für Kurdenfragen akzeptiert zu werden, andererseits durch militante Aktivitäten Aktionsund Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Dabei wechselten Phasen militanter Aktionen und friedlicher politischer Bemühungen einander ab. Erkennbar war das Bemühen der PRKK, mit Gewalttaten möglichst nicht in Verbindung gebracht zu werden, bei eher friedlichen Aufzügen aber demonstrativ durch Fahnen und Enibleme trotz Verbotes Präsenz zu zeigen. Besonders gewaltgeneigt zeigten sich 1995 jugendliche Anhänger der PKK. Von ihnen dürften die meisten Gewaltaktionen der PKK 1995 im Bundesgebiet ausgegangen sein. Innerhalb ihrer Jugendorganisation "Union der Jugendlichen aus Kurdistan": (YCK) hat sich eine militante Gruppierung herausgebildet, die sich als "Die Falken" bezeichnet. Sie soll den kurdischen Befreiungskampf "mit starken Aktionen" in Europa unterstützen. Eine sol'che Gruppierung unter der Bezeichnung "YCK - Kurdische Falken aus Kiel" trat erstmals mit einer von 300 Teilnehmern besuchten Veranstaltung am 24. Juni 1995 in Kiel in Erscheinung. Im Frühjahr wurden im Zusammenhang mit einer von der PKK gesteuerten "Kampagne gegen den Tourismus in die Türkei" im Bundesgebiet zahlreiche Brandanschläge auf türkische Reisebüros verübt. In Schleswig-Holstein waren davon zwei Reisebüros in Kiel betroffen, als Täter eines der Anschläge wurden zwei PKK-Angehörige ermittelt. Das Landgericht Kiel verurteilte sie am 18. August 1995 zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Eines dieser Reisebüros war am 16. März 1995 erneut das Ziel von Sachbeschädigungen. Am 9. Juni 1995 waren bundasweit Polizeieinrichtungen von Anschlägen betroffen. In Kiel-Mettenhof kam es zu einem versuchten Brandanschlag auf ein Polizeifahrzeug. - 52 - Wie bei früheren Anschlagsserien im Bundesgebiet bestritt die PKK, etwas mit den Brandanschlägen zu tun zu haben. Sie rechtfertigte diese Übergriffe als "normale Reaktion" auf die "Massaker in Kurdistan". Oftmals annähernd zeitgleiche und ähnliche Tatausführungen lassen jedoch in zahlreichen Fällen auf eine Urheberschaft der PRK schließen. In einige Anschläge, insbesondere gegen Moscheen und Begegnungsstätten, waren auch militante Anhänger von linksextremistischen türkischen Organisationen wie demin "Revolutionäre Volksbef. eiungsfront" (DHKP-C) umbenannten Karatas-Flügel der "Devrimci Sol" und die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" verwickelt. Diesen Organisationen sind insbesondere Anschläge im Zusammenhang mit den Aleviten-Unruhen im März 1995 sowie der Gefangenenrevolte in Izmir (Türkei) im September 1995 zuzurechnen. Auch eine neuerliche, wiederum im Zusammenhang mit Unruhen in türkischen Gefängnissen stehende Anschlagswelle im Januar 1996, von der auch ein türkisches Geschäft in Kiel betroffen war, dürfte der DHKP-C zuzuschreiben sein. Mit einer unter dem Motto "Für eine politische Lösung in Kurdistan" stehenden Großdemonstration am 17. Juni 1995 in Bonn, an der rund 70 000 Kurden aus dem Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland teilnahmen, stellte die PKK ihre Aktionsfähigkeit erneut unter Beweis. 1995 erfolgten bundesweit Exekutivmaßnahmen gegen die PKK. Die Verhaftung und Inhaftierung zahlreicher ihrer Funktionäre haben zumindest zeitweise zu personellen Engpässen bei der Besetzung wichtiger Führungsfunktionen geführt. Die Festnahmen richteten sich vor allen gegen solche Funktionäre, die innerhalb des illsagalen Parteiapparates für die } ordnung, Planung und Ausführur J von militanten Aktionen verantwortlich sein sollen. Ihnen wird von der Bundesanwaltschaft eine Reihe von Straftaten vorgewor-' fen, wie schwere und versuchte Brandstiftung, Sachbeschädigung, Verdacht der Schutzgelderpressung, Mitgliedschaft in einer ter- roristischen Vereinigung innerhalb der Führungsebene der PEK nach $ 129 a Strafgesetzbuch sowie versuchter Mord bei der Disziplinierung von Partelabweichlern. Am 29. Mai 1995 wurde in Kiel ein mutmaßlicher Regionalverantwortlicher der PKK festgenommen. Gegen ihn lag ein Haftbefehl wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Beteiligung an Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen im Bundesgebiet vor. Von den Exekutivmaßnahmen deutscher Behörden gegen die PKK waren 1995 neben örtlichen kurdischen Vereinen auch mehrere ihrer zentralen Einrichtungen und überregionalen Organisationen betroffen, wie das "Kurdistan Informationsbüro" und der "Agri-Verlag" in Köln, die in Bochum ansässige "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) sowie die "Informationsstelle Kurdistans" in Bonn. Dadurch mußte die PKK zumindest zeitweilig Rückschläge in ihrer Infrastruktur hinnehmen. Die Durchsuchung und teilweise Schließung dieser Objekte löste bei ihren Anhängern mehrfach gewaltsam verlaufene Protestaktionen aus. Mit bundesweiten Hungerstreikaktionen und befristeter Schließung ihrer örtlichen Mitgiiedervereine wandte sich die YEK-KOM im Juli 1995 gegen die zunehmenden Exekutivmaßnahmen deutscher Behörden gegen die PKK. Bei der Auflösung von Hungerstreikaktionen der PKK im selben Monat in Berlin und Frankfurt/M. kam es zu massiven Widerstandshandlungen kurdischer Teilnehmer gegen die Polizei. " Auch 1995 solidarisierten sich Personen und Gruppen aus dem deutschen linksextremistischen Spektrum mit der PKK. Sie unterstützten die PKK bei der Anmeldung von Veranstaltungen und setzten sich für die Aufhebung des PKK-Verbotes in der Bundescepu- . blik ein. Eine Unterstützung der politischen Vorstellungen der "PKK ließ auch die "Antiimperialistische Zelle". in ihren Erklärungen erkennen. Diese Terrororganisation ist ausdrücklich bemüht, die PKK in den von ihr verfolgten "internationalen antiim- - 54 - . perialistischen Kampf" einzubinden. Eine von PKK-nahen Organisationen und deutschen Initiativen aus der "Kurdistan-Solidarität" am 18. November 1995 in Köln geplante bundesweite Demonstration "Für eine politische Lösung in Kurdistan - Nein zum PKK-Verbot" wurde behördlich verboten. Verschiedene linksextrenistische Gruppierungen unterhalten auch in Schleswig-Holstein Beziehungen zur PEKK. Ende 1995 deutete der Generalsekretär der. PKK Öcalan einen Gewaltverzicht seiner Anhänger in der Bundesrepublik an und räumte damit indirekt die Verantwortung für vorangegangene Gewalt'aktionen ein. Zwar hat Öcalan danach durch unverhüllte öffentliche Drohung mit Terroranschlägen wieder Zweifel daran geweckt, daß es ihm mit Gewaltverzicht in Deutschland auf Dauer ernst ist. Im ersten Halbjahr 1996 hat er jedoch nach. blutigen Ausschreitungen seiner Anhänger und nach PKK-kritischer Berichter.'stattung in den deutschen Medien die Linie der Gewaltfreiheilt bis auf weiteres bekräftigt. 3 Extren-nationalistische türkische Organisationen verzeichnen einen Zulauf an Anhängern in Schleswig-Hoistein Nach jahrelanger Stagnation sind bei extrem-nationalistisch orientierten Türken in Schleswig-Holstein wieder Aktivitäten fest- . zustellen. Bei ihnen handelt es sich um Anhänger der in der Türkei tätigen extrem-nationalistischen "Partei der Nationalen Bewegung" (MHP) und ihres Auslandsablegers, der "Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V." (ADÜTDF). Von politischen Gegnern werden Anhänger der MHP und der ADÜTDF auch als "Graue Wölfe" bezeichnet. Zwar existiert eine derartige Organisation in der Bundesrepublik nicht. Als "Graue Wölfe" werden jedoch vor allem gewaltgeneigte jüngere national gesinnte Türken angesehen, die aus ihrer Gesinnung für die MHP auch öffentlich durch das Zeigen der Abbildung des "Grauen Wolfes" zum Beispiel auf Kleidungsstücken und durch den "Wolfsgruß" keinen Hehl machen. Nochburgen nationalistischer Türken in Schieswig-Holstein sind Kiel, Lübeck und Neumünster. Den in Schleswig-Holstein tätigen türkischen Vereinigungen mit nationalistischer Ausrichtung sind rund 250 Mitglieder zuzurechnen. Die Gründung türkischer Vereine im Jahr 1994 mit der Bezeichnung "Türkische Familienunion" hat in einigen Städten Schleswig-Holsteins wesentlich zur Stärkung des Lagers nationalistisch orientierter Türken beigetragen, Deren Vereinseinrichtungen sind zum Anziehungspunkt und TrePSfort für jüngere national gesinnte Türken geworden. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß es sich bei den "Türkischen Familienunionen" um Stützpunkte der MHP oder der ADÜTDF handelt. Darauf deuten auch in deren Vereinsheimen festgestellte Fahnen und Symbole wie der "Graue Wolf" hin. 4 Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der . "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und nationalistischen Türken setzten sich fort Die seit 1992 in Schleswig-Holstein zu beobachtenden gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und nationalistischen Türken haben sich 1995 verschärft. Hieran waren hauptsächlich jüngere Türken und Kurden beteiligt. Mitte August 1995 kam es in Rendsburg mehrfach zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und natlionalistisch orientierten Türken, an denen sich auf beiden Seiten auch Personen aus anderen Orten beteiligten. Die Polizei konnte eine Eskalation der Auseinandersetzungen am 25. August 1995 vor dem PKK-nahen "Kurdischen Zentrum in Rendsburg und Umgebung e. V." durch starke Präsenz und Entwaffnung von rund 30 mit Baseballschlägern, Messern und Gaspistolen ausgerüsteten Türken verhindern. - 56 - Die Auseinandersetzungen setzten sich am 3. September 1995 in Neumünster fort und fanden ihren tragischen Abschluß in de' Erschließung eines PKK-Anhängers durch einen Türken. Weitere der - PKK zuzurechnende Kurden wurden durch Schüsse verletzt. An einem von der PKK mit großem propagandistischen Aufwand organisierten bundesweiten Trauermarsch am 9. September 1995 in Neumünster beteiligten sich rund 7 000 Personen, darunter eine gröBere Anzahl von Angehörigen verschiedener linksextremistischer türkischer Organisationen. Die Trauerveranstaltung verlief friedlich. Dazu trug wesentlich das Deeskalationskonzept der Polizei bei. Die 1995 in Schleswig-Holstein verübten insgesamt neun Brandanschläge und sonstigen Sachbeschädigungen - vorwiegend gegen türkische Reisebüros und Trefforte von rechtsgerichteten Türken - sind nur zum Teil auf die türkisch-kurdischen Auseinandersetzungen zurückzuführen. Bei einigen Anschlägen gab es Hinweise auf die Täterschaft von linksextremistischen türkischen Organisationen. Mehrfach betroffen von den Anschlägen waren Vereinsgebäude der "Türkischen Familienunion". 5 "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V." (AMGT) gliedert sich neu " Die rund 26 000 Mitglieder umfassende islamisch-extremistische AMGT hat sich im Mai 1995 in zwei eigenständige juristische Personen neu gegliedert, in die "Islamische Gemeinschaft-Milli Görüs" (IGMG) und in die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V." (EMUG). Der IGMG fällt dabei die Aufgabe zu, sich mit religiösen, sozialen und kulturellen Belangen zu befassen, während die EMUG ausschließlich den beträchtlichen Immobilienbesitz der ehemaligen AMGT verwalten soll. Beide Organisationen sind in ihren Führungsgrenien personell miteinander verflochten. Die Umorganisation der AMGT ist offen- = sichtlich erfolgt, um ihre Nennung in den Verfassungsschutzberichten des Bundes und der Länder zu verhindern und um befürchtete behördliche Zugriffe auf ihre Organisation und insbesondere auf ihr beträchtliches Vermögen zu erschweren. In einem rechtskräftigen Beschluß vom 27. April 1995 hat das Verwaltungsgericht Hamburg die Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden bestätigt, wonach bei der AMGT Anhaltspunkte dafür bestehen, sie als extremistisch zu bewerten. Das Gericht hatte vor allem in ihren Reden und Schriften antisemitische ÄuBerungen festgestellt und darin einen Verstoß gegen den : Gedanken der Völkerverständigung gesehen. Außerdem ist die AMGT für die Einführung einer auf dem Koran basierenden Staatsordnung und für eine weltweite Islamisierung eingetreten. Ein politisch verstandener absoluter religiöser Geltungsanspruch ist jedoch mit den Grundprinzipien der frei'heitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. In Schleswig-Holstein verfügt die IGMG in Kiel, Rendsburg, Neumünster und Lübeck über Zweigstellen und mit ihr kooperierende Vereine, denen rund 400 Mitglieder angehören. Den Vereinen sind Moscheen angeschlossen. Im November 1995 eröffnete die IGMG in Lübeck unter der Bezeichnung "Islamisches Zentrum" eine neue Gebetsund Begegnungsstätte vorwiegend für türkische Muslime. Mit politischen Aktivitäten hielten sich die AMGT ünd ihre Nachfolgeorganisation, die IGMG, in Schleswig-Holstein zurück. - 58 - Pa 0 6 Entwicklung der ":tglieder-/Anhärserzahlen der extremistischen Ausländerorganisationen in Schleswig-Holstein und Gesamtentwickiung im Bundesgebiet 1993 bis 1995 1993 1994 1995 Türkische Organisationen - linksextremistische Gruppen 100 90 . 110 - islamisch-extremistische Gruppen 400 400 400 - extrem-nationalistische Gruppen 100 100 250 Kurdische Organisationen nr 400. 600 - 600 Iranische Organisationen 50 50 40 Arabische Organisationen 140 100 100 Gesamt Land 1 190 1.340 So0_ Gesamt Bund 38 950 47 050 55 100