SCHLESWIG-HOLSTEINISCHER LANDTAG Drucksache 13/1921 13. Wahlperiode \ . 21.04.94 P au. 85 le Bericht des Innenministers Tätigkeit des Verfassungsschutzes im Jahre 1993 Die Landtagsdrucksachen sind fortlaufend und einzeln bem Verlag Schmidt & Klaung, Ringstraße 19, 24114 Kel, Fernruf 04 31/6 20 95, zu beziehen. Der Innenminister Drucksache TBILG24 des Landes Schleswig-Holstein JAHRESBERICHT DER VERFASSUNGSSCHUTZABTEILUNG 1993 - Allgemeines über den Verfassungsschutz - Rechtsextremismus - Linksextremismus - Extremistische Bestrebungen von Ausländern - Anhang Inhaltsverzeichnis Seite I. Allgemeines über den Verfassungsschutz 1 Verfassungsschutz als Instrument der streitbaren Demokratie 1 2 Organisation, Personal, Haushalt 2 3 Aufgabe, Befugnisse und Arbeitsweisen des Verfassungsschutzes 3 II. Rechtsextremismus 1 Überblick 9 2 Aktuelle Entwicklungstendenzen im Rechtsextremismus im einzelnen 11 2.1 "Anti-Antifa" 11 2.2 Nationale Aktionstage 14 2.3 Informationelle Vernetzung 15 2.4 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten 17 3 Perspektiven des Neonazismus 19 4 Rechtsextrem orientierte Gewaltszene 22 5 Rechtsextremistische Parteien 25 5.1 "Deutsche Volksunion" (DVU) 26 5.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 28 5.3 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) 239 5.4 "Die Republikaner" (REP) - 31 6 "Arbeitskreis für deutsche Politik" (AfdP) 32 II Seite Rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste 33 "Versandbuchhandlung Gisela Stiller" 34 LÜHE-Verlag 34 "Verlag für ganzheitliche Forschung und 34 Kultur" Buchhändler Dietmar Munier 35 Mitgliederentwicklung in Schleswig-Holstein 36 III. Linksextremismus Überblick 37 Situation der "Rote Armee Fraktion" (RAF) und ihres Umfeldes 40 Kommandoebene/Illegale 41 Inhaftierte der RAF/Freilassungsdiskussion 43 . nnnw Umfeld der RAF in Schleswig-Holstein Zusammenfassung/Bewertung Autonom-anarchistische Gruppen 44 46 47 Abgrenzung, Selbstverständnis und Zielvorstellungen 47 3.2 Autonome Strukturen 48 3.3 Gewaltbereitschaft und Militanz 50 3.3.1 Veröffentlichung persönlicher Daten von Rechtsextremisten 54 3.3.2 Autonomer Antifaschismus 54 3.4 Aktionsschwerpunkte 56 3.4.1 Gewaltaktionen 56 3.4.2 Aktivitäten in Schleswig-Holstein 57 III Seite 3.5 Kommunikation und Vernetzung 58 3.5.1 Schriften 59 3.5.2 Mailboxen 60 3.6 Neue Entwicklungen in Schleswig-Holstein 61 Perspektiven 62 Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten 63 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und ihr Umfeld 63 Revolutionär-marxistische Gruppen 64 Zahlenübersicht 1993 66 IV. Extremistische Bestrebungen von Ausländern Überblick 67 Aktivitäten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und ihr Verbot in der Bundesrepublik 68 Organisationsinterne Konflikte innerhalb linksextremistischer türkischer Gruppierungen in der Bundesrepublik 71 Fälle von Spendengelderpressungen durch mutmaßliche Anhänger linksextremistischer türkischer und kurdischer Organisationen 72 Mitglieder-/Anhängerzahlen von extremistischen Ausländerorganisationen in SchleswigHolstein und im Bundesgebiet 1993 74 Anhang Allgemeines über den Verfassungsschutz Verfassungsschutz als Instrument der streitbaren Demokratie Die Bundesrepublik Deutschland ist ein sozialer und demokratischer Rechtsstaat, der den Bürgerinnen und Bürgern durch die Verfassung ein Höchstmaß an Freiheit garantiert. Dafür ist es unverzichtbar, solchen Kräften entgegenzuwirken, die die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes untergraben und letztlich beseitigen wollen, um eine andere, nicht von der Verfassung getragene Ordnung zu errichten. Das Grundgesetz schreibt daher nicht nur die Prinzipien des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates fest, es trifft auch Vorkehrungen zu ihrem Schutz. Unsere Verfassung bekennt sich zur streitbaren Demokratie. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist zwar grundsätzlich auch gegenüber ihren Gegnern tolerant; die Freiheitsrechte - wie beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Demonstrationsrecht - stehen auch solchen Personen, Vereinen und Parteien zu, die den demokratischen Staat beseitigen und durch ein totalitäres System ersetzen wollen. Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist derartigen Bestrebungen aber nicht tatenlos ausgeliefert. Die Gegenmaßnahmen sind im Grundgesetz in abgestufter und vielfältiger Form angelegt. So ist z. B. nach den Artikeln 21 und 9 des Grundgesetzes das Verbot verfassungswidriger Parteien und Vereine, nach Artikel 18 die Aberkennung von Grundrechten möglich. Neben diesen Regelungen sieht die Verfassung zu ihrem Schutz ausdrücklich die Einrichtung von Verfassungsschutzbehörden vor (Artikel 73 Nr. 10 und Artikel 87 Abs. 1). Deren Aufgabe ist in Artikel 73 Nr. 10 b des Grundgesetzes definiert als "Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes oder eines Landes". Verfassungsschutz ist eine gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern. Die Zusammenarbeit wird im "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz" vom 20. Dezember 1990 geregelt. Die Länder haben ihrerseits Verfassungsschutzgesetze erlassen. In Schleswig-Holstein ist dies das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein" vom 23. März 1991 (GVOBl. Schl.-H. S. 203). Der Wortlaut des Gesetzes ist im Anhang zu diesem Bericht abgedruckt. Organisation, Personal, Haushalt Der Verfassungsschutz in Schleswig-Holstein ist als eine Abteilung des Innenministeriums organisiert, die sich in folgende Referate gliedert: - Allgemeine Verwaltung, Rechtsund Grundsatzfragen, Datenschutz, - Auswertung Rechtsextremismus, Öffentlichkeitsarbeit, - Auswertung Linksextremismus/-terrorismus, Ausländerextremismus/-terrorismus und Spionage abwehr, - Geheimund Sabotageschutz, - Nachrichtenbeschaffung. In der Verfassungsschutzabteilung sind z. Zt. 81 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einschließlich Schreibund Verwaltungskräften tätig. Vor den weltpolitischen Ereignissen in Osteuropa und der Wiedervereinigung Deutschlands waren es noch 124 Kräfte (Stand 1988). Die Haushaltsmittel für Zwecke des Verfassungsschutzes wurden von ehemals 1,798 Mio DM (1988) auf 1,145 Mio DM in 1994 gesenkt. Die Personalkosten sind in diesem Ansatz nicht enthalten; sie werden bei den Personalkostentiteln des Ministeriums ausgewiesen. Aufgabe, Befugnisse und Arbeitsweisen des Verfassungsschutzes Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, die Landesregierung und andere zuständige Stellen über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder der Länder zu unterrichten. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes beginnt dabei keinesfalls etwa im Bereich der bloßen Mutmaßung. Das Verfassungsschutzgesetz fordert das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für derartige Gefahren. Um die Aufgabe zu erfüllen, sammelt die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Informationen über Bestrebungen, die gegen diese Grundordnung oder den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, und wertet diese aus. Erst dadurch wird die Regierung in die Lage versetzt, notfalls die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen, aber auch von einzelnen Personen, die auf die Beseitigung oder Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrundsätze abzielen. Hinzu kommen muß eine aktiv kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden Verfassungsordnung. Zu den wesentlichen Verfassungsgrundsätzen gehören - das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; - die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehen"den Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; - das Recht auf die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; - die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; - die Unabhängigkeit der Gerichte; - der Ausschluß jeder Gewaltund willkürherrschaft; - die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Bestrebungen, die sich in dem dargestellten Sinne gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, werden als "extremistisch" oder "verfassungsfeindlich" bezeichnet. Dieser im Verfassungsschutzgesetz festgelegten Aufgabe liegt die Rechtsprechung des Bunderverfassungsgerichts zugrunde, In der Öffentlichkeit bestehen vielfach unklare Vorstellungen über die Art und Weise, wie die Verfassungsschutzbehörde ihre Informationen sammelt und was damit geschieht. Transparenz hat hier das neue Landesverfassungsschutzgesetz vom 23. März 1991 geschaffen. Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde sind danach nur zulässig, wenn sie zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind und nicht zu unverhältnismäßigen Eingriffen in die Rechte betroffener Personen führen. In erster Linie wertet die Verfassungsschutzbehörde jedermann zugängliche Informationen aus (Flugblätter, Programme, Broschüren und sonstiges "offenes" Material extremistischer Organisationen). Unter Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel werden Informationen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beschafft, um eine objektive und zuverlässige Einschätzung der tatsächlichen - oft geheimgehaltenen - Planungen verfassungsfeindlicher Organisationen zu ermöglichen. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln gehören insbesondere der Einsatz geheimer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die heimliche Beobachtung (Observation), Bildund Tonaufzeichnungen sowie Maßnahmen, mit denen verdeckt werden soll, daß die Verfassungsschutzbehörde bestimmte Beobachtungen vornimmt, wie z. B. der Gebrauch von Tarnkennzeichen oder Ausweisen mit Arbeitsnamen. Die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs wird wegen der besonders strengen Zulässigkeitsvoraussetzungen nach dem Gesetz zu Artikel 10 des Grundgesetzes nur äußerst selten praktiziert; im wesentlichen dürfen solche Maßnahmen nur dann durchgeführt werden, wenn ein hinreichender Verdacht auf Hochoder Landesverrat oder Betätigung in einer terroristi- schen Vereinigung besteht und andere - weniger gravierende - Aufklärungsmaßnahmen nicht geeignet erscheinen. Strenge Maßstäbe gelten auch für die Speicherung personenbezogener Informationen in Dateien durch die Verfassungsschutzbehörde. In jedem Fall ist die Erforderlichkeit der Speicherung für die Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde zu prüfen. Das neue Gesetz und interne Vorschriften regeln detailliert auch die Dauer der Speicherung. So ist vorgesehen, daß eine erstmalige Speicherung nur für zwei Jahre andauern darf und danach zu überprüfen ist, daß Personalien von Jugendlichen zwischen 16 bis 18 Jahren nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen, von Jugendlichen unter 16 Jahren überhaupt nicht eingespeichert werden dürfen. Die Speicherung von Informationen aus der engeren Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person ist unzulässig. Die Verfassungsschutzbehörde will auf diese Weise sicherstellen, daß nur wirklich relevante Informationen über Personen in Dateien aufgenommen werden. Im Rahmen der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern und der gesetzlich normierten Unterrichtungspflichten unterhalten die Behörden ein elektronisches Aktenregister. Dieses "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS) gibt Auskunft darüber, ob eine Organisation oder Person dem Verfassungsschutz bekannt ist und ggf. wo und unter welchem Aktenzeichen die dazu angelegte Akte geführt wird. Angaben zu den Erkenntnissen selbst enthält NADIS nicht. Diese müssen auf dem normalen Verwaltungsweg bei der aktenführenden Verfassungsschutzbehörde abgefragt werden. Ällein aus dem Vorhandensein eines Aktenzeichens im NADIS kann nicht geschlossen werden, daß die betreffen- de Organisation oder Person "observiert" wird oder "belastet" ist. In den Akten der Verfassungsschutzbehörden, deren Aktenzeichen im NADIS gespeichert sind, werden auch sehr viele Informationen gespeichert, die nichts mit einer "Observation"" oder "Belastung" zu tun haben. Beispielsweise werden auch Personen oder Institutionen, die durch Terroristen gefährdet sind, sowie Zielpersonen fremder Nachrichtendienste erfaßt. Auch die Aktenzeichen aller Sicherheitsüberprüfungen, die ganz überwiegend mit dem Ergebnis "kein Sicherheitsrisiko" enden, sind im NADIS gespeichert, schon um den überprüften Personen bei Umzug, Stellenwechsel usw. den mit einer neuen Überprüfung verbundenen Aufwand zu ersparen. Um eine unbefugte Nutzung oder sonstige Mißbräuche des NADIS zu verhindern, sind sowohl das System selbst als auch der Zugriff zu den Daten technisch besonders gesichert. Alle Datenverarbeitungsschritte werden, vor allem aus Gründen datenschutzrechtlicher Kontrolle, automatisch protokolliert. Die Zahl der Personen, die der schleswig-holsteinische Verfassungsschutz in NADIS gespeichert hat, hat sich seit 1988 von 12.679 auf 7.325 im Jahre 1993 verringert. In diesen Zahlen enthalten sind 6.501 Sicherheitsüberprüfungen in 1988 und 5.826 in 1993. Das bedeutet, daß als Träger extremistischer Bestrebungen 1988 6.178 Personen registriert waren und 1993 nur noch 1.499. Der Rückgang beruht insbesondere darauf, daß die Datenbestände mehrfach bereinigt worden sind. . Die Verfassungsschutzbehörde ist strikt von der polizeilichen Exekutive getrennt. Sie hat keinerlei polizei- lich-exekutive Befugnisse und darf die Polizei auch im Wege der Amtshilfe nicht einschalten. Wie alle Verwaltungsbehörden unterliegt auch die Verfassungsschutzbehörde der parlamentarischen Kontrolle. Die Tatsache, daß eine Verfassungsschutzbehörde aus Geheimhaltungsgründen nicht alle geforderten Auskünfte öffentlich abgeben kann, hat dazu geführt, daß beim Bund und in den Ländern besondere parlamentarische Kontrollausschüsse eingerichtet worden sind, die nur aus wenigen Abgeordneten bestehen und denen die Verfassungsschutzbehörden uneingeschränkt Auskünfte auf Anforderung oder von sich aus erteilen. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist die Verfassungsschutzbehörde zur regelmäBigen Berichterstattung verpflichtet. Mit der Herausgabe dieses Jahresberichtes kommt die Landesregierung auch ihrer Verpflichtung nach, die Öffentlichkeit über das Ergebnis der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde zu unterrichten. Hinsichtlich der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Informationen unterliegt die Verfassungsschutzbehörde außerdem der ständigen Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten. Einen Beitrag zu größerer Transparenz des Verfassungsschutzes erbringt auch die Auskunftsregelung des Landesverfassungsschutzgesetzes. Grundsätzlich hat jede Bürgerin und jeder Bürger einen Anspruch auf Auskunft, welche Daten zur Person gespeichert sind. Nur unter bestimmten Voraussetzungen hat das Auskunftsinteresse hinter die Geheimhaltungsinteressen des Verfassungsschutzes zurückzutreten. II. Rechtsextremismus Überblick Die Situation des Rechtsextremismus ist gegenwärtig wie folgt zu beschreiben: Es gibt - einen etablierten Mitgliederstand rechtsextremer Parteien und Organisationen; - eine anhaltende, vor allem gegen Fremde gerichtete Gewaltbereitschaft von Teilen der NeonaziSzene sowie vor allem von Angehörigen rechtsextrem orientierter Jugend-Subkulturen und Jugend- - cliquen; - eine zunehmende Überwindung der organisatorischen Zersplitterung, auch als Folge der verstärkten Nutzung von Informationsund Kommunikationstechnologie, unter anderem sichtbar in der organisationsüberschreitenden Mobilisierung zu "nationalen Aktionstagen". Es hat sich in der Bundesrepublik Deutschland ein rechtsextremes Spektrum etabliert, dessen Spannbreite von national-populistischen über nationalistische, national-revolutionäre bis hin zu neo-nationalsozialistischen Parteien, Gruppen und Zusammenhängen reicht. Die "modernste" Ausprägung findet der Rechtsextremismus in einem antipluralistischen Konservatismus, der Liberalität und Individualrechte als Grundpfeiler unserer Verfassungsordnung in Frage stellt. Das Unbehagen an negativen Erscheinungen der gesellschaftlichen Entwicklung in den Industriestaaten versucht er zu einer gegenmodernen Bewegung zu bündeln im Sinne einer "ganzheitlichen" Betrachtung, einer "neuen Identität" von Staat und Bürgern. Eine größere Resonanz hat dieser Versuch der Intellektualisierung des antiparlamentarischen rechtsextremen Spektrums bisher jedoch nicht gefunden, Die derzeit auffälligen Tendenzen im Rechtsextremismus werden weniger durch das traditionelle rechtsextremistische Spektrum als vielmehr durch nicht organisationsfixierte junge Neonazis mit revolutionärem Anspruch getragen. Zweierlei bestimmt ihr Verhalten in gegenläufiger Weise: - Die Erwartung, daß insbesondere in den neuen Ländern eine zunehmende Unzufriedenheit mit dem parlamentarischen System Räume öffnet für die Entfaltung national-revolutionärer bzw. neo-nationalsozialistischer Kräfte, beflügelt ihre Aktivitäten. Die Medienöffentlichkeit wird ganz bewußt gesucht, um sich als ernstzunehmende politische Kraft in der Wahrnehmung der Bürger festzusetzen. Umgekehrt bewirken die Ablehnung durch den weit überwiegenden Teil der Öffentlichkeit und die konsequente Durchsetzung des Gefahrenabwehrrechts und des Strafrechts, daß die Neo-Nationalsozialisten sich in der Defensive sehen. Hieraus folgt eine Doppelstrategie: Ausnutzung der Möglichkeiten des Rechtsstaates und legalistisches Verhalten für die Öffentlichkeit sowie konspiratives Verhalten bei der Umsetzung ihrer politischen Zielvorstellungen. Dabei gewinnen der Einsatz moderner Kommunikationstechnologie und der Versuch, sich logistischer Unterstützung durch Gleichgesinnte im Ausland zu vergewissern, an Bedeutung. Ältere Neonazis geben geistige und materielle Hilfestellung. "" 1AlTrotz der nach wie vor zu verzeichnenden Zersplitterung des rechtsextremen Lagers - entgegen allen bisherigen Einigungsversuchen - besteht in der nationalistisch begründeten Gegnerschaft zur pluralistischen Gesellschaftsordnung das geistige Band zwischen den gegenwärtig 65.400 vom Verfassungsschutz gezählten Rechtsextremisten in Deutschland (Schleswig-Holstein: 2.900). Gemeinsam verfechten sie die "Ideologie der Ungleichheit". Sie stellen eine homogen gedachte Volksgemeinschaft, bei der allein sie bestimmen, wer dieser anzugehören hat, über die Menschenwürde und das Prinzip menschlicher Fundamentalfreiheit und -gleichheit. Würde, Freiheit und Gleichheit stehen damit zur Disposition. Aktuelle Entwicklungstendenzen im Rechtsextremismus im einzelnen ""Anti-Antifa" Bei den derzeitig erkennbaren Vernetzungstendenzen im organisierten neonazistischen Bereich (bundesweit 1.500 Mitglieder; Schleswig-Holstein: 25) spielt der Gedanke der "Anti-Antifa" eine entscheidende Rolle. Angesichts der Ermordung zweier Rechtsextremisten und aufgrund der gewalttätigen Angriffe von Linksextremisten (1993: 337 Gewalttaten) wurde 1992 auf Initiative des derzeit den Neonazismus besonders dominierenden Hamburgers Christian Worch ein Konzept für den Kampf mit dem linksextremen Gegner entwickelt. Im August 1992 veröffentlichte die von Worch gegründete Zeitung der "Nationalen Liste" (NL), "Index", unter diesem Begriff erstmals Adressen von Personen gegnerischer "linker" Organisationen und deren Treffpunkten. - 12 - Ziele der "Anti-Antifa" sind - die "Feindaufklärung" durch Erfassen aller erhältlichen Informationen über die politischen Gegner und deren interne Verbreitung als Grundlage für die Schaffung "gleicher Kampfbedingungen" und damit für die Möglichkeit, "mit gleichen Methoden zurückschlagen" zu können; - die Schaffung einer neonazistischen Einheitsfront revolutionärer Kader durch Einrichtung regionaler, organisationsübergreifender Aktionsgemeinschaften und deren Vernetzung. Die "Feindaufklärung"" dient dazu, politische Gegner, in erster Linie gewalttätige Autonome, zu identifizieren, um die Verfolgung von Straftaten zu ermöglichen. Durch eine Art "Outing" der politischen Gegner sollen diese gleichzeitig, ohne daß direkt zur Gewalt gegen sie aufgerufen wird, in Angst versetzt werden. Die Rechtsextremisten erhoffen sich hierdurch auch eine Art Präventivwirkung gegenüber linksextremistischen Angriffen. Der direkte Angriff auf linksextreme Gegner steht hingegen (noch) nicht im Vordergrund. vor allem aber versuchen die neonazistischen Gruppen, den Begriff "Anti-Antifa" zur organisationsübergreifenden Klammer im eigenen Bereich, darüber hinaus im Bereich des Rechtsextremismus überhaupt zu machen. Die unter dieser Klammer angestrebten Aktionsgemeinschaften sollen Unvereinbarkeitsbeschlüsse sich scheindemokratisch gebender anderer rechtsextremistischer Organisationen unterlaufen, eine "Gemeinschaft der Tat" herstellen. Christian Worchs Initiative hat inzwischen zur Gründung verschiedener "Anti-Antifa"-Gruppen in mehreren Bundesländern geführt. In Schleswig-Holstein sind zwar noch keine entsprechenden Strukturen ausgemacht worden, jedoch gibt es an mehreren Orten Ansätze hierfür. Ende des Jahres 1993 erschien eine umfangreiche "AntiAntifa"-Broschüre mit dem Namen "Der Einblick". Der Untertitel lautet "Die nationalistische Widerstandszeitschrift gegen zunehmenden Rotfrontu. Anarchoterror". Der "Einblick" ist in besonderem Maße aggressiv, weil er nicht nur Informationen über Antifaschisten enthält, sondern auch fordert, daß "diese Veröffentlichungen entsprechende Konsequenzen für unsere Gegner haben müssen". Wörtlich heißt es: "Wir werden es hier tunlichst vermeiden, zu Gewalt im Sinne von Körperverletzungen, Tötungen usw. gegenüber unseren Gegnern aufzurufen. Jeder von uns muß selbst wissen, wie er mit den ihm hier zugänglich gemachten Daten umgeht. Wir hoffen nur, IHR GEHT DAMIT UM!!!" Die Herausgeber des "Einblick" benutzen als Tarnadresse das Postfach des 2. Vorsitzenden der "Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung" (DNSB). Es ist auffällig, daß die Broschüre über den ursprünglichen "Anti-Antifa"-Ansatz hinausgeht. Mit dem Aufruf zur Militanz gegen die "Republik der 68er" und zur Militanz gegen staatliche Institutionen kann sie als Versuch gedeutet werden, das Potential für terroristische Aktivitäten in Richtung auf einen revolutionären Umsturz hin auszuloten und anzustacheln. In erster Linie jedoch beabsichtigen die Verfasser offensichtlich eine Art psychologischer Kampfführung: Unsicherheit und Furcht sollen erzeugt werden durch eine flächendekkende Einschüchterung als beabsichtigte Folge des Medienechos. Von den in der Schrift veröffentlichten - 14 - rund 250 vermeintlichen antifaschistischen Personengruppen und Organisationen aus dem gesamten Bundesgebiet ist Schleswig-Holstein in sieben Fällen betroffen (je zwei Personen aus Sörup und Lübeck und drei Objekte in Lübeck und Kiel). In rechtsextremistischen Kreisen hat die Reaktion der Öffentlichkeit auf den "Einblick" der "Anti-Antifa'"-Idee weitere Popularität gebracht. Rechtsextremistische Zuträger versorgen die Vorkämpfer der Szene nunmehr verstärkt mit Materialien über politische Gegner. Nationale Aktionstage Die mit Beginn der 80er Jahre erstarkende neonazistische Bewegung wurde wesentlich durch Michael Kühnen geprägt. Dennoch war er nicht in der Lage, das Trennende zwischen den einzelnen Gruppierungen zu überwinden, obwohl nie tiefgreifende ideologische Differenzen bestanden haben. Erst seit seinem Tod im Jahre 1991 und vor allem nach den Verboten mehrerer neonazistischer Gruppen traten die Rivalitäten mehr und mehr in den Hintergrund. Auf überregionaler Ebene gibt es zunehmend Kontakte zwischen den bestimmenden Personen der deutschen Neonazi-Szene. Bei den Vorbereitungen und der Durchführung der alljährlichen "Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung" wurde diese Entwicklung besonders deutlich. Seit 1988 findet diese Veranstaltung alljährlich statt und stößt seitdem auf ein wachsendes Interesse auch außerhalb des organisierten neonazistischen Spektrums. Besonders im Jahre 1993 wurde erkennbar, daß die Neonazis es gemeinsam auf eine Herausforderung von Staat und Öffentlichkeit anlegen und sich dazu bewußt des Medieninteresses bedienen. Die Veranstaltung war im Jahre 1991 in Wunsiedel (Bayern) verboten worden. 1992 wurde sie im thüringischen Rudolstadt durchgeführt. Trotz des verstärkten Druckes des Staates und der Öffentlichkeit gelang es den Initiatoren 1993, durch das Zusammenwirken verschiedener rechtsextremistischer Gruppen sowie den Einsatz moderner Kommunikationsmittel am 14.08.1993 in Fulda mit 500 Neonazis einen pressewirksamen Aufzug durchzuführen. Eine ähnliche Bedeutung hat die Durchführung von "Heldengedenkfeiern" am Volkstrauertag gewonnen. 1990 trafen sich in Halbe (Brandenburg) erstmals 300 Rechtsextremisten zu einer Gedenkfeier. 1991 hatte sich die Teilnehmerzahl bereits mehr als verdoppelt. Nachdem deutlich wurde, daß auch diese Veranstaltung eine bundesweite Bedeutung erlangen würde, kam es erstmals 1992 zu einem Verbot. Auch die für den 14.11.1993 angemeldete Veranstaltung wurde - wie eine Ausweichveranstaltung - verboten. Trotz der ergangenen Verbotsverfügungen versuchten etwa 500 Teilnehmer, an den Veranstaltungsort zu gelangen. Intern war allerdings - ähnlich wie bei der "Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung" - ein Ausweichort bestimmt worden. Diese Taktik ging jedoch nicht auf. Aufgrund organisatorischer Mängel der Veranstalter und massiven Einsatzes der Sicherheitsbehörden gelang es nur etwa 100 Personen, an den endgültigen Veranstaltungsort in der Nähe von Hameln in Niedersachsen zu gelangen. Die Polizei löste die Versammlung dort bereits kurz nach Beginn auf. 2.3 Informationelle Vernetzung Der Neonazismus sieht seinen Handlungsspielraum durch das entschlossene Handeln des Rechtsstaates, insbesondere durch das Verbot mehrerer Organisationen, erheblich eingeschränkt. Dies ist nicht ohne Auswirkung auf Selbstverständnis, Verhalten und Organisationsgrad geblieben. Die neo-nationalsozialistische revolutionäre Bewegung versteht sich zunehmend als Widerstandsbewegung. Sie radikalisiert sich, wie die Schrift "Der - 16 - Einblick" erkennen läßt. Zusammenschlüsse nach dem Vorbild der linksextremen "Revolutionären Zellen" sind denkbar. Außerdem versucht die Szene, sich trotz der Zerschlagung ihrer bisherigen Strukturen enger zusammenzuschließen. Dazu bedarf es vor allem eines funktionierenden Kommunikationsnetzes, das den notwendigen Informationsaustausch ermöglicht. Moderne Kommunikationstechniken schaffen hierfür die Voraussetzungen. Eine wichtige Rolle nehmen dabei die "Nationalen Info-Telefone" ein. Exemplarisch für die angestrebte Entwicklung ist eine Durchsage des Info-Telefons der FAP Hamburg vom 15.12.1993: "Aufgrund der massiven Verfolgung von nationalen Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland durch Medien, Behörden, Linksextremisten und etablierte Parteien ist es unumgänglich, ein breites Bündnis aller nationalen Kräfte zu schaffen und alle Hindernisse der Vergangenheit zu begraben oder zu überwinden. Nur durch die Vernetzung und die echte Solidarität zwischen allen nationalen Bürgern Deutschlands wird es uns möglich sein, in dieser schweren Zeit das Licht der Freiheit weiter zu tragen für das kommende, neue, freie und stolze Deutschland." Über die "Nationalen Info-Telefone" verbreiten die meist dem Neonazismus zuzurechnenden Betreiber Informationen über staatliche Repressionsmaßnahmen oder Veranstaltungsankündigungen. Die Abfragenden haben darüber hinaus Gelegenheit, den Betreibern auf den Anrufbeantwortern ihrerseits Informationen zu übermitteln. Aufgrund der hohen Abhörsicherheit haben sich auch die D-Netz-Telefone zu einem wesentlichen Hilfsmittel bei der Vorbereitung von Veranstaltungen entwickelt. Ihre intensive Nutzung war eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführung der "Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung". Zunehmende Bedeutung erringen die sogenannten Mailboxen, eine Art elektronische Post. Die Mailboxen bieten Themenbereiche wie "Anti-Antifa" und "europäischer Nationalismus", ferner Parteipropaganda und durch Paßwörter abgesicherte interne Informationen. Darüber hinaus können die Teilnehmer auch eigene Beiträge erstellen und verbreiten. Gegenüber den Info-Telefonen bieten sie den Vorteil des Austausches geschriebener Informationen bei hohem Sicherheitsstandard. Die ständig steigende Zahl der Mailboxen ist im "Thule-Netzwerk" zusammengefaßt, einem System "elektronischer Briefkästen", das dem organisationsund länderübergreifenden Nachrichtenaustausch des rechtsextremen Lagers dient. Mailboxen können für die Entwicklung des Rechtsextremismus in den nächsten Jahren von erheblicher Bedeutung sein. Sie erlauben theoretisch eine schwer zu durchdringende "elektronische" Organisation. Inwieweit diese sich aber in der Praxis wird erreichen lassen, ist zur Zeit fraglich. Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten Auch 1993 wurde das von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommene Erscheinungsbild des Rechtsextremismus im wesentlichen durch die zahlreichen Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation bestimmt. Hierzu rechnen die Verfassungsschutzbehörden Tötungsdelikte, Sprengstoffanschläge, Brandanschläge, Landfriedensbruch, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen mit erheblicher Gewaltanwendung. Bundesweit wurden im vergangenen Jahr 2.232 Gewalttaten bekannt. Gegenüber dem Jahr 1992, in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz 2.639 Gewalttaten zählte, ist deren Zahl um 16 % zurückgegangen. Während die Gewalttaten 1992 17 Todesopfer forderten, waren es 1993 sieben. - 18 - Der Anteil der Brandund Sprengstoffanschläge ging von 27 % auf 15 % zurück. In Schleswig-Holstein wurden 1993 89 entsprechende Gewalttaten registriert. Hierbei handelt es sich um 18 Brandanschläge, 42 Körperverletzungen und 29 Sachbeschädigungen. 1992 gab es in Schleswig-Holstein 121 entsprechende Anschläge. Der Rückgang der Gewalttaten in Schleswig-Holstein um 27 % entspricht damit in etwa dem Bundestrend. Die Tatschwerpunkte waren 1993 - wie im Vorjahr - die Städte Lübeck und Kiel, das Hamburger Randgebiet und verstärkt der Großraum Rendsburg. Im nordwestlichen Landesteil (Dithmarschen, SchleswigFlensburg, Nordfriesland) mit zehn Gewalttaten sowie in den Kreisen Plön und Ostholstein mit je zwei Gewalttaten war die Tathäufigkeit wiederum deutlich geringer als in den südlichen Landesteilen. Der Rückgang der Gewalttaten ist kein Anlaß zur Entwarnung. Angesichts der zahlreichen repressiven und präventiven Maßnahmen des Staates sowie einer sensibilisierten Öffentlichkeit, der sich potentielle Täter gegenübersehen, kann von einem Gefährdungsrückgang nicht gesprochen werden. Eine allgemein gültige Aussage über die Tatverantwortlichen ist nicht möglich. Ein hoher Prozentsatz dieser Taten konnte - wie auch in den vergangenen Jahren - nicht aufgeklärt werden. Angehörige rechtsextremistischer Gruppen sind nach wie vor strafrechtlich nur in geringem Umfang als Tatverantwortliche ermittelt worden. Die Verbreitung rechtsextremistischer Feindbilder ist aber in beträchtlichem Umfang als mitursächlich für die Begehung dieser Gewalttaten anzusehen: die Taten sind ganz überwiegend gegen Fremde gerichtet gewesen. Perspektiven des Neonazismus Der Neonazismus knüpft an nationalsozialistische Grundideen an, wie sie vor allem im Parteiprogramm der NSDAP von 1920 zum Ausdruck kamen. Er erhebt den Anspruch, einen "nationalen Sozialismus" schaffen zu wollen, einen "klassenübergreifenden Volksgemeinschaft-Egalitarismus" mit antikapitalistischer Tendenz. Er versteht sich als "revolutionär", als Machtstrukturen und Wertordnungen umstürzend. Wenn auch insbesondere individuelle Gewaltakte vordergründig abgelehnt werden, fühlt er sich gleichzeitig jedoch zur Gewalt legitimiert im Sinne eines autoritären Sendungsbewußtseins, das vom Führerprinzip und rassistischen Auslesetheorien getragen wird. Im Gegensatz zu anderen sich verfassungskonform gebenden rechtsextremistischen Gruppierungen läßt der Neonazismus an seiner Absicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen, keine Zweifel aufkommen. Seit 1989 hat sich die Zahl der Mitglieder neonazistischer Organisationen, von einer Abweichung im Jahre 1991 abgesehen, kaum nach oben verändert. Bundesweit liegt sie 1993 nahezu unverändert bei 1.500 Personen. Es hieße jedoch, den Neonazismus zu unterschätzen, wollte man ihn allein an diesen Zahlen messen. Er übt vielmehr eine gefährliche Faszination auf etliche Jugendliche aus, die in seinen pseudo-religiösen Elementen und seinem Kameradschaftskult ihr Selbstwertgefühl stabilisieren zu können meinen und Objekte für ihre Aggressionen angeboten bekommen. Situation und Perspektiven des organisierten Neonazismus werden gegenwärtig durch die Auswirkungen der seit Ende 1992 zahlreich ausgesprochenen Verbote bestimmt. Auf der Grundlage des Vereinsgesetzes wurden folgende Organisationen verboten: - 20 - "Nationalistische Front" (NF), "Deutsche Alternative" (DA), "Nationale Offensive" (NO), "Deutscher Kameradschaftsbund Wilhelmshaven" (DKB), "Nationaler Block" (NB), "Heimattreue Vereinigung Deutschland" (HVD), "Freundeskreis Freiheit für Deutschland" (FFD). Darüber hinaus liegen dem Bundesverfassungsgericht Verbotsanträge gegen die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) und die "Nationale Liste" (NL) auf der Grundlage der für Parteienverbote maßgeblichen Vorschriften vor. Direkte Auswirkungen auf Schleswig-Holstein hat nur der Verbotsantrag gegen die FAP und in gewissem Umfang auch der gegen die satzungsgemäß auf Hamburg beschränkte NL. Obwohl das für neonazistische Ideen empfängliche Potential in Schleswig-Holstein nicht geringer als in anderen Ländern sein dürfte, ist es den verschiedenen Gruppierungen seit Jahren nicht gelungen, hier handlungsfähige Organisationsstrukturen zu bilden. Der organisierte Neonazismus in Schleswig-Holstein beschränkte sich daher auch im Jahre 1993 im wesentlichen auf das Hamburger Randgebiet. In Halstenbek im Kreis Pinneberg befindet sich die Bundesgeschäftsstelle der FAP in der Wohnung des Bundesgeschäftsführers Glenn Goertz. Der schleswig-holsteinische Landesverband der FAP ist weitgehend identisch mit dem FAP-Kreisverband Pinneberg. Die öffentlich in Schleswig-Holstein wahrzunehmenden Aktivitäten der FAP waren vor allem Sympathisanten-Treffen vor dem S-Bahnhof Krupunder, Diese Treffen lassen Verknüpfungen zwischen der Skinhead-Szene und dem organisierten Neonazismus sichtbar werden. Auch der FAP-Bundesgeschäftsführer war ursprünglich der Skinhead-Szene zuzurechnen. - z - In Schleswig-Holstein gehören der FAP nur etwa zehn Personen an. Verstärkt wird sie durch einen doppelt so hohen Sympathisantenkreis, der der Skinhead-Szene zuzurechnen ist. Bundesweit hat die FAP derzeit 430 Mitglieder. Vorwiegend aus propagandistischen Gründen bereitet die FAP sich auf die Teilnahme an der Europawahl 1994 vor. Das Erscheinungsbild der FAP weist eine deutliche Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus auf. In Äußerungen führender Funktionäre wird, dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten entsprechend, eine "Machtübernahme" angekündigt. Politisch Andersdenkende werden als "Feinde" der FAP bezeichnet, die nach der "Machtübernahme" in "Arbeitslager" verbracht werden sollen oder mit dem "Tod durch Erschießen" zu rechnen hätten. Darüber hinaus betreibt die FAP ausländerfeindliche und antisemitische Hetze. Die Bundesregierung hat am 16.09.1993 einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt. Der Bundesrat hat einen gleichgerichteten Antrag in seiner Sitzung am 24.09.1993 mit den Stimmen Schleswig-Holsteins beschlossen. Die führenden Funktionäre der FAP versuchen, ihre Parteimitglieder zur Zurückhaltung zu bewegen, um die Prozeßchancen zu erhöhen. Der Parteivorsitzende Busse teilt hierzu in einem Rundschreiben vom 15.10.1993 seinen Parteimitglie dern u. a. mit: "Trotz des Verbotsantrages geht unsere aktive politische Arbeit unvermindert weiter wie bisher... Ich erwarte von allen Parteigenossinnen und Parteigenossen unserer FAP äußerste Kameradschaft, Zusammenhalt, Disziplin und Entschlossenheit, um unseren Rechtskampf vor dem Bundesverfassungsgericht durchzustehen." - 22 - Um staatlichen Gegenmaßnahmen zu begegnen, sollen im neonazistischen Lager autonome neonazistische Gruppen zunehmend an die Stelle der herkömmlichen neonazistischen Organisationen treten, Rechtsextrem orientierte Gewaltszene Schon wegen der geringen Mitgliederzahlen neonazistischer Organisationen in Schleswig-Holstein wird deutlich, daß die rechtsextremistisch orientierten Gewalttaten und vermehrt wahrzunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Militanten von rechts und links nicht allein vom organisierten Rechtsextremismus getragen werden. Träger dieser Bewegung sind vielmehr sich als "national" verstehende Jugendliche und junge Erwachsene, die in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht bereit sind, sich in eine politische Organisation einbinden zu lassen. Dennoch gibt es zunehmend Erkenntnisse über Einflußnahme von rechtsextremistischen Organisationen aller Schattierungen auf diesen Personenkreis, der meist zu Unrecht pauschal der Skinhead-Szene zugeschlagen wird. Einerseits ist nicht jeder Skinhead als rechtsextremistisch orientiert anzusehen, andererseits hat die Jugend-Subkultur weitaus mehr Erscheinungsformen hervorgebracht, die sich zumindest durch Ansätze rechtsextremistischer Orientierung auszeichnen. Auch wenn dieser Personenkreis in der Mehrzahl noch nicht eine geschlossene politische Motivation aufweist und damit als Ganzes nicht das Merkmal einer (verfassungsschutzrelevanten) verfassungsfeindlichen Bestrebung erfüllt, stellt dessen Gewaltbereitschaft derzeit in Schleswig-Holstein eine besondere Form der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar. Bislang sind in Schleswig-Holstein aus diesem Umfeld etwa 280 Personen mit rechtsextremistischen Verhaltensmustern unterschiedlicher Gewichtigkeit - 23 - und Intensität bekannt geworden. Die Annahme einer Zahl von 500 Personen, die in Schleswig-Holstein diesem Kreis insgesamt zugerechnet werden können, erscheint aufgrund der nur punktuellen Erkenntnisgewinnung des Verfassungsschutzes realistisch. Der Anteil der optisch als Skinhead zu erkennenden Personen ist kontinuierlich zurückgegangen. Von "Glatzen" kann heute kaum noch die Rede sein. Gründe dafür sind zum einen in der Furcht vor Übergriffen linksextremer sowie ausländischer Gruppen und zum anderen in sozialen Zwängen (Probleme im Arbeitsund Wohnbereich) zu sehen. Dennoch dominiert die rechtsorientierte Skinhead-Subkultur unverändert mit ihrem besonderen Lebensgefühl in den aggressiven, mehr oder weniger rechtsextrem ausgerichteten Teilen der Jugendund Jungerwachsenen-Szene. Die Entwicklung der Szene befindet sich in beständigem Fluß. Regionale Schwerpunkte der Militanz lassen sich immer nur aktuell ausmachen. Die Aktivitäten hängen meist von den Initiativen weniger Rädelsführer ab. Sobald sich diese Personen - etwa aus beruflichen oder persönlichen Gründen - abwenden, können oftmals deutliche Rückgänge rechtsextremistischer oder allgemeinkrimineller Aktionen der Mitläufer registriert werden. Umgekehrt werden entsprechende Aktionen aber auch durch die plötzliche Initiative geeigneter Einzelpersonen ausgelöst. Im Gegensatz zum organisierten Neonazismus gibt es in diesem Bereich keine festen überregionalen Strukturen. Kontakte untereinander werden häufig bei Skinhead-Konzerten geknüpft, zu denen manchmal mehrere hundert Personen anreisen. Auch die sogenannten Skinhead-Fanzines tragen zur Kommunikation bei. Anstelle einer geschlossenen Ideologie übernehmen rechtsextrem orien- - 24 - tierte Skinheads Fragmente nationalsozialistischen Gedankenguts, insbesondere rassistische Vorstellungen von der Überlegenheit der "arischen Rasse". Hinzu kommt eine Verehrung alles "Nordischen" (Keltenkreuz) und eine Begeisterung für alle Symbole und Rituale, die vor diesem geistigen Hintergrund den Kampf gegen nicht-weiBe Fremde verherrlichen. Diese Fragmente fließen vor allem in die Skinhead-Musik ein, die den wesentlichen "Kulturträger" der Szene darstellt. Zwangsläufig ist die Skin-Musik von verfassungsfeindlichen und strafrechtsrelevanten Aussagen durchsetzt. Am 03.02.1993 wurden daher in neun Bundesländern wegen Verdachts der Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß Wohnungen und Geschäftsräume von Skin-Musikern und -Musikproduzenten durchsucht. Dabei wurden neben Musikträgern auch Munition und Sprengstoff sichergestellt. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe leitete ein Ermittlungsverfahren gegen die schleswig-holsteinische Skinhead-Band "Kraftschlag" ein. Die vier Band-Mitglieder wurden am 12.05.1993 vom Amtsgericht Itzehoe wegen Aufstachelung zum Rassenhaß, Volksverhetzung und Gewaltdarstellung zu Geldund Freiheitsstrafen auf Bewährung verurteilt. Am 15.07.1993 wurde gegen die mutmaßlichen Herausgeber und Vertreiber rechtsextremistischer Skinhead-Fanzines in sechs Ländern vorgegangen. In Schleswig-Holstein war hiervon der Herausgeber des erstmalig im April 1993 erschienenen Kieler Skinhead-Fanzines "Schlagstock" betroffen. Zu den Kultobjekten der Skinhead-Szene gehören auch die Symbole und Rituale des rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK). Nach bislang vorliegenden Erkenntnissen beschränken sich die KKK-Bezüge aber in erster Linie auf das Imitieren von Äußerlichkeiten. Weit verbreitet sind - 25 - auch die Propaganda-Materialien der neonazistischen NSDAP/AO; die Hakenkreuzaufkleber und NS-Devotionalien, die in den USA in großer Zahl straffrei durch den Initiator der NSDAP/AO, Gary Rex Lauck, produziert werden, gelangen auf unterschiedlichen Wegen an interessierte Personen, die Verteilerfunktionen hierfür wahrnehmen. Die Schwerpunkte dieser rechtsextremistisch orientierten Subkultur haben sich in Schleswig-Holstein aus den Ballungszentren heraus auf das flache Land verlagert. Besonders hervorzuheben war hier der Raum Rendsburg. Die Übergänge zwischen der rechtsorientierten JugendSzene und dem organisierten Rechtsextremismus sind hier fließend. Rechtsextremistische Parteien Die Wahl zur hamburgischen Bürgerschaft im Jahr 1993 hat gezeigt, daß das von rechtsextremen und rechtsradikalen Parteien anzusprechende Neigungsund Protestwählerpotential nach wie vor hoch ist und in dem Bereich liegt, der Ende der 60er Jahre von rechtsextremen Parteien mobilisiert werden konnte. Von den Wahlen des Jahres 1994 versprechen sich diese Parteien eine Fortsetzung dieses Trends. Sie bemühen sich zwar, das Wählerpotential möglichst auf eine Partei zu vereinigen, jedoch dürften letztlich das Konkurrenzdenken und das ausgeprägte Selbstdarstellungsinteresse der Parteiführer eine Einheitsfront verhindern. Im Hinblick auf die Wahlkampfkostenerstattungen ist für diese Parteien speziell die Europawahl von Bedeutung, bei der die Neigung der Wählerinnen und Wähler zur Protestwahl erfahrungsgemäß höher als bei anderen Wahlen ist. = 26 - "Deutsche Volksunion" (DVU) Die rechtsextremistische Agitation der DVU erfolgt weiterhin fast ausschließlich in den Presseorganen "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) und "Deutsche WochenZeitung" des DVU-Vorsitzenden Dr. Frey (München). Den breitesten Raum nahm hierbei auch im Jahr 1993 die ausländerfeindliche Stimmungsmache ein. Bezeichnend hierfür sind Überschriften wie: "Der große Asylbetrug - Milliarden für Scheinasylanten"" (DNZ vom 21.05.1993) oder "Asylbetrug oder Asylrecht? Die Entdeutschung unseres Vaterlandes" {DNZ vom 28.05.1993). Ein weiteres Thema ist der Kampf gegen die europäische Vereinigung. In der DNZ vom 14.05.1993 heißt es z. B.: "Der Maastricht-Mostrich - Kohls fixe Idee und die Folgen". Ein weiteres Schwerpunktthema der DVU ist der Kampf gegen die Oder-Neiße-Grenze. Dies wurde besonders nach dem Wahlerfolg des russischen Nationalisten Schirinowskij deutlich. Dieser ist mit Frey befreundet und nahm an Großveranstaltungen der DVU im August 1992 im thüringischen Mühlhausen und im Oktober 1993 in Passau teil. Frey war Gastredner auf einem Parteitag von Schirinowskijs "Liberaldemokratischer Partei Rußlands" im April 1993 in Moskau. Die DVU konnte im Jahr 1993 ihre Erfolgsserie bei Wahlen nicht fortsetzen. Sie geriet - soweit sie in konkurrenz mit den "Republikanern" stand - ins Hintertreffen. So erzielte sie bei den Kommunalwahlen in Hessen, wo sie nur in Frankfurt kandidierte, lediglich 2,7 % der Stimmen. Auch bei den Hamburger Bürgerschaftswahlen verfehlte sie ihr Wahlziel, den Einzug in die Bürgerschaft, mit lediglich 2,8 % der Stimmen deutlich. Da Frey mit seinem autoritären und herabsetzenden Führungsstil die Mitwirkungsansprüche der Mitglieder auch 1993 mißachtet hat, konnte das Auseinanderfallen der .- 27 - DVU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag nicht überraschen. Einer breiten Öffentlichkeit wurde dies durch einen Artikel vom 09.04.1993 in den Frey'schen Wochenzeitungen deutlich, dessen Überschrift lautete: "Gegen Korruption und Bereicherung". Hier machte Frey bekannt, daß der DVU-Bundesvorstand gegen den Vorsitzenden der schleswig-holsteinischen DVU-Landtagsfraktion, Ingo Stawitz, ein Parteiausschlußverfahren eingeleitet hatte. Stawitz wurde vorgehalten, er habe die DW in das Licht von Neonazismus und Rassenhaß gebracht. Daneben wurde ihm persönliche Bereicherung auf Kosten des Staates vorgeworfen. Letztlich wollte Frey damit Abspaltungstendenzen von Fraktionsmitgliedern zuvorkommen. Im Laufe der sich anschließenden Auseinandersetzungen traten fünf Abgeordnete der sechsköpfigen Fraktion aus der DVU aus. Renate Köhler ist nunmehr die einzige DVU-Abgeordnete im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Nachdem die Abgeordneten Stawitz, Voß und Schachtschneider sich sofort der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" {DLVH) anschlossen, erreichte diese Partei durch den Eintritt des Abgeordneten Friese im Oktober 1993 den Fraktionsstatus. Gegenwärtig verfügt die DVU in Schleswig-Holstein noch über ca. 1.800 Mitglieder. 1993 wurden zwei Landesparteitage durchgeführt, auf denen jeweils der das besondere Vertrauen Freys genießende Hans-Otto Weidenbach aus Bremen zum Parteivorsitzenden gewählt wurde. Weidenbach ist DVU-Abgeordneter in Bremen. Sein Stellvertreter ist der zum engen Mitarbeiterkreis von Frey in München gehörende Heinrich Gerlach. Versuche der schleswig-holsteinischen DW, auf die Skinhead-Szene Einfluß zu nehmen, haben sich 1993 nicht fortgesetzt. Ursache dafür dürfte vor allem sein, daß die hierfür verantwortlichen Funktionäre die Partei inzwischen verlassen haben. - 28. - Die unberechenbare Aggressivität der Szene paßt im übrigen nicht in Freys politisches Kalkül. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Die NPD stagniert weiterhin auf niedrigem Niveau. Gegenüber den "Republikanern" und der DVU ist sie derzeit chancenlos. 1993 beteiligte sie sich nur an den Kommunalwahlen in Hessen. Insbesondere das Wahlergebnis in Frankfurt machte der Partei schwer zu schaffen. Sie erhielt dort nur 0,9 % und verlor ihre sieben Sitze im "Römer". Landesweit konnte sie allerdings die Zahl ihrer Mandate von 29 auf 43 erhöhen. Schon aus finanziellen Gründen wird die NPD sich an der Europawahl 1994 beteiligen, da die Voraussetzungen für eine Zulassung (Unterschriften, geeignete Kandidaten) relativ leicht zu erfüllen sind und bei der zu erwartenden geringen Wahlbeteiligung der für eine Wahlkampfkostenerstattung erforderliche Stimmenanteil von 0,5 % . durchaus erreichbar erscheint. Die Agitationsschwerpunkte hierbei werden sich nicht von denen der DVU unterscheiden. So behauptet das NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" Nr. 3/93: "Die derzeitigen Bonner Anti-Deutschen betreiben ihren verhängnisvollen Kurs nach Maastricht unbeirrt weiter." In einem weiteren Artikel heißt es: "Mit Sehnsucht wird der neue Euro-Zloty, Garant einer stabilen Währung, erwartet." In der gleichen Ausgabe fordert die NPD eine "eigene Sozialversicherung" für Ausländer, da diese hohe Mehrkosten verursachten. Diese Sozialkassen könnten dann von den Ausländern selbst "verwaltet" oder "ruiniert" werden. Der Redaktionsgemeinschaft dieser NPD-Zeitung gehörte auch der Vorsitzende des DVU-Landesverbandes Schleswig-Holstein, Hans-Otto Weidenbach, bis Mitte 1993 an. - 29 - Der NPD-Landesverband Schleswig-Holstein hat noch etwa 180 Mitglieder. Nur wenige von ihnen entwickeln politische Aktivitäten. Die NPD geriet 1993 in die Schlagzeilen, als der stellvertretende Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein und "NPD-Aufbaubeauftragte von Mecklenburg-Vorpommern", Heinrich Förster, wegen versuchten Mordes und versuchter Brandstiftung von der Staatsanwaltschaft Schwerin angeklagt wurde. Förster soll im Juli 1992 gemeinsam mit dem damaligen NPD-Vorsitzenden des Kreises Hagenow, Rüdiger Klasen, 30 Jugendliche zu einem Überfall auf ein Asylbewerberheim in Bahlen bei Boizenburg (Mecklenburg-Vorpommern) angestiftet haben. Während Klasen bereits wegen versuchten Mordes zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt wurde, steht das Urteil gegen Förster noch aus. Trotz der Anschuldigungen gegen Förster hält die Partei zu ihm. Er wurde am 22.05.1993 auf dem Landesparteitag zum Stelivertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Vorsitzender ist weiterhin Uwe Schäfer. Auf einigen Veranstaltungen des Landesverbandes waren auch Personen anwesend, die dem Umfeld der Skinhead-Szene zuzurechnen sind. "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) Der von ehemaligen NPD-Funktionären und früheren rechts extremistischen "Republikaner"-Funktionären gegründete. DLVH ist, obwohl sie durch den Übertritt von Abgeordneten nunmehr in zwei Landesparlamenten vertreten ist (Bremen und Schleswig-Holstein), der Durchbruch im rechten Lager auch 1993 nicht gelungen. Bundesweit hat die DLVH knapp 900 Mitglieder. Ihre politischen Ziele unterscheiden sich nicht von denen. der anderen rechtse> tremistischen Parteien. -.30 - Seit dem 27.10.1993 bilden vier ehemalige Mitglieder der DVU eine Fraktion der DLVH im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Zu ihr gehören die Abgeordneten Benvenuto Paul Friese, Ingo Schachtschneider, Ingo Stawitz und Karin Voß. Vorsitzender ist der frühere DVU-Fraktionsvorsitzende Stawitz. In ihrem Informationsblatt "Die Nordlichter" stellt die Partei ihre Arbeit wie folgt dar: "Die Abgeordneten der DLVH-Fraktion verstehen sich als die Vertreter aller national denkenden wähler, ob Mitglied bei den 'REPS', bei der DVU, bei NPD oder in zahlreichen überparteilichen Zusammenschlüssen. Die DLVH-Fraktion ist darüber hinaus die Protestpartei in SchleswigHolstein!" Infolge des Übertritts der DVU-Abgeordneten zur DLVH hat sich die Mitgliederzahl der Partei im Lande von 30 auf etwa 80 erhöht. Auf dem 2. Landesparteitag im September 1993 wurden Michael Gräf (Ex-"Republikaner"), Hans-Jürgen Sabrautzky (Ex-NPD) und Ingo Stawitz (ExDVU) zu gleichberechtigten Landesvorsitzenden gewählt. Zugleich wurde die Institution eines Jugendbeauftragten geschaffen, der als Bindeglied und Vermittler zwischen Jung und Alt fungieren soll. Über ihn unterhält die Partei auch Kontakte zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene im Raum Rendsburg. Nicht nur das Verhalten im Raum Rendsburg belegt, daß die Berührungsängste der Partei gegenüber der militant geprägten Szene weitaus geringer sind als bei den anderen rechtsextremistischen Parteien. Rechtsgerichtete Jugendliche werden massiv umworben. Bisher bestehen Kreisverbandsgemeinschaften in den Kreisen Pinneberg, Segeberg, Dithmarschen, Steinburg und Rendsburg-Eckernförde/Neumünster. Beabsichtigt ist -die Gründung weiterer Kreisverbände für den Bereich Lübeck und den Kreis Schleswig-Fiensburg. - 31 - "Die Republikaner" (REP) Bei den "Republikanern" gibt es in einigen Ländern tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Landesverbände. Nicht erst seit der im Dezember 1992 getroffenen Entscheidung, die REP bundesweit durch die Verfassungsschutzbehörden zur Erhärtung oder zum Ausschluß des Verdachts der Verfassungsfeindlichkeit beobachten zu lassen, ist insbesondere der Parteivorsitzende Schönhuber darum bemüht, bei der Gratwanderung zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus keinen Fehltritt zu begehen. Der schleswig-holsteinische Landesverband ist bisher nicht in besonderer Weise auffällig geworden. Gleichwohl sind die REP auch in Schleswig-Holstein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. In insgesamt sieben Ländern haben die REP bei den Verwaltungsgerichten Anträge auf Erlaß einstweiliger Anordnungen und Klagen gegen den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel eingereicht. Damit sind sie bisher lediglich in Niedersachsen erfolgreich gewesen, wo kürzlich auch im Hauptsache-Verfahren erstinstanzlich im Sinne der REP entschieden worden ist. Nach den bisher ergangenen verwaltungsgerichtlichen Beschlüssen im einstweiligen Verfahren können sich die REP weiterer Erfolge nicht sicher sein. Insoweit zeichnet sich die Tendenz der Gerichte ab, die Zulässigkeit nachrichtendienstlicher Mittel bei der Beobachtung der REP zu bejahen. - 32 - "Arbeitskreis für deutsche Politik" (AfdP) Der AfdP ist in den zwei Jahren seines Bestehens immer deutlicher zu einem Kristallisationspunkt in der rechtsextremistischen Szene Schleswig-Holsteins geworden. Der in der Rechtsform des eingetragenen Vereins in Lübeck ansässige AfdP wird von dem BGS-Beamten Thomas Schröder gelenkt. Der AfdP war erstmalig 1991 durch eine Veranstaltung bekannt geworden, bei der "Möglichkeiten der Zusammenarbeit patriotischer Parteien und Organisationen" ausgelotet werden sollten. Seither ist der Verein insbesondere darum bemüht, im Rahmen enger Kontakte die Arbeit der früheren DVUund jetzigen DLVH-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag zu fördern. Ein sichtbares Zeichen für die engen Beziehungen ist die Präsenz und Mitwirkung von Fraktionsangehörigen bei AfdP-Veranstaltungen, so zuletzt bei der "Herbsttagung" im Oktober 1993. Zu derartigen Veranstaltungen finden sich bis zu 40 Teilnehmer aus unterschiedlichen rechtsextremistischen Organisationen zusammen, darunter auch bemerkenswert viele jüngere Personen. Inhaltliche und personelle Verflechtungen mit dem Neonazismus sind (noch) wenig ausgeprägt. Immerhin trat bei der "Herbsttagung" nicht nur eine Vertreterin des neonazistischen Kreisen nahestehenden "Deutschen Rechtsbüros" auf, sondern auch der Verfasser der in der rechtsextremistischen Publizistik weitverbreiteten "Strategischen Skizze zum 94er Feldzug", Dr. Reinhold Oberlercher (Hamburg). Kern seiner neonazistischen Überlegungen ist eine auf Zuspitzung der innenpolitischen Situation abzielende demagogische Kampagne, die Gewaltakte einkalkuliert: "Das Szenarium der Machtergreifung, wie es in den lokalen Volksaufständen von Hoyerswerda und Rostock erstmals erschien, wird sich in jedem Heißen Herbst mit größerer Wucht wiederholen und viele unauffällige Nachahmer in Form unbewaffneter und gewaltfreier Bürgerrebellionen und bürgermeisterlicher Gehorsamsverweigerungen finden. Durch unund bewaffnete Gemeindeund Gau-Aufstände, durch lokale und regionale Notstandsbewältigung in Eigenmacht wird sich die Erneuerung von Volk und Staat der Deutschen vollziehen. Es geht nur von unten her. Werwölfe werden so manchen Fremdling, der sich zum Freier überhebt, und so manchen Systemling, der dem Deutschenhaß und dem Antigermanismus frönt, beiroden." Kennzeichnend für die Funktion des AfdP als Sammelbekken und Diskussionsforum der Rechtsextremisten ist, daß auch, eine solche Bürgerkriegsrhetorik dort dargeboten werden kann, ohne daß militante Positionen dieser Art herkömmliche Politikansätze, die auf Wahlerfolge setzen, verdrängen. Besonders engagiert werden - z. T. auch durch Mitarbeit maßgeblicher AfdP-Aktivisten - Parteigründungen unter dem Vorzeichen einer nationalen Sammlungsbewegung begleitet. Rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste Die in Schleswig-Holstein ansässigen rechtsextremistischen Verlage und Vertriebsdienste sind überwiegend dem Gedankengut des "Bundes für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V." (BPSG) verpflichtet und in einem Fall dem unmittelbaren Umfeld dieser Vereinigung zuzurechnen. Der rechtsextremistische BfG tritt in Schleswig-Holstein seit 1993 wieder aus der Bedeutungslosigkeit heraus. In Schönhagen bei Westensee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) betreibt diese Weltanschauungsgemeinschaft ein sogenanntes Ferienheim, in dem insbesondere Vortragsund Schulungsveranstaltungen stattfinden. Diese ziehen - über den kleinen und durchweg überalterten Kreis der schleswig-holsteinischen BfG-Mitglieder hinaus - auch Angehörige anderer rechtsextremistischer Organisationen in nicht unbeträchtlicher Zahl an. Es gibt Anzeichen dafür, daß das durch Fremdenrfeindlichkeit, Antisemitismus, Antiparlamentarismus und Weltver- = 3A - schwörungstheorien geprägte BfG-Gedankengut, das auf den esoterisch-pseudowissenschaftlichen Schriften der Mathilde Ludendorff beruht, insbesondere in Teilen der rechtsextremistischen Publizistik aufgegriffen wird. Eine unmittelbare Anbindung an den BfG ist bei der "Versandbuchhandlung Gisela Stiller" in Stafstedt (Kreis Rendsburg-Eckernförde) erkennbar, die Mitte 1993 hier bekannt geworden ist. In mehreren Anzeigen in der Zeitschrift des BfG wird darauf hingewiesen, daß die "Versandbuchhandlung Gisela Stiller" den Vertrieb der BfG-Schriften übernommen habe. 7.2 Im engeren Umfeld des BfG ist der LÜHE-Verlag (Mohrkirch/Kreis Schleswig-Flensburg) anzusiedeln, der von einem wegen seiner extremistischen Betätigung aus dem öffentlichen Dienst entfernten früheren Lehrer betrieben wird. Der Kleinverlag wirbt neuerdings in einigen rechtsextremistischen Zeitschriften /"Die Bauernschaft", "NATION") intensiv für seine Publikationen, die insbesondere deutliche Bezüge zu den antisemitischen und antidemokratischen Verschwörungstheorien des BfG aufweisen. Der seit langem bekannte "Verlag für ganzheitliche Forschung und Kultur" (Bondelum/Kreis Nordfriesland) wird von Roland Bohlinger geführt, der sich ebenfalls als BfG-Anhänger zu erkennen gibt. Seit etwa Mitte 1992 hat Bohlinger sein Betätigungsfeld um die Herausgabe der Zeitschrift "NATION" erweitert. Dabei ist es ihm gelungen, der Publikation mit den von ihm als Verleger und Autor langjährig besetzten Themenfeldern (Leugnung des Holocaust, Kampf gegen die Freimaurerei) den Stempel aufzudrücken. - 35 - In seinem Verlag hat Bohlinger mehrere Nachdrucke von erstmals während der NS-Zeit erschienenen antisemitischen Agitationsschriften veröffentlicht. Eine eigenständige Rolle spielt der Kieler Verleger und Buchhändler Dietmar Munier, der über mehrere miteinander verflochtene Firmen ("Lesen und Schenken Verlagsauslieferung und Versandgesellschaft mbH", "ARNDT-Verlag", "ARNDT-Buchdienst/Europa-Buchhandlung"", "Buchhandlung am Dreiecksplatz") auch rechtsextremistische Literatur sowie Videofilme und Tonträger mit unkritischem NS-Bezug herstellt und vertreibt. Im Angebot finden sich in beträchtlichem Umfang Schriften von Rechtsextremisten wie Otto Ernst Remer, Gerhard Frey, David Irving, Udo Walendy und Leon Degrelle sowie von ehemaligen NS-Funktionsträgern. Derartige Publikationen werden in Prospekten mit apologetischer Tendenz vorgestellt: "Dr. Goebbels (...) hochsensibel, kultiviert, kreativ und - wiewohl ein Meister der Propaganda - von der Wahrheit und Richtigkeit seines Tuns zutiefst überzeugt", oder an änderer Stelle: "der verheerende Verrat des sogenannten 'Widerstands', der dem deutschen Frontsoldaten schändlich in den Rücken fiel". Muniers besonderes Engagement gilt derzeit der Ansiedlung von Rußlanddeutschen im nordöstlichen Ostpreußen. Einen Aktivitätsschwerpunkt scheint hierbei seine "Aktion 'Deutsches Königsberg'" zu bilden, die nach Muniers Darstellung als größte private Hilfsorganisation für Ostpreußen Sachund Geldspenden erfolgreich sammelt, um rußlanddeutschen Umsiedlern in dieser Region eine Existenzgründung insbesondere in der Landwirtschaft und die Pflege der deutschen Kultur zu ermöglichen. In diesem Umfeld sind unter Beteiligung Muniers auch der "Schulverein zur Förderung der Rußlanddeutschen in - 36 - Ostpreußen" sowie die "Gesellschaft zur Siedlungsförderung in Trakehnen mbH" gegründet worden. Insoweit sind auch Verflechtungen mit dem rechtsextremistischen Lübecker "Arbeitskreis für deutsche Politik" feststellbar. Munier wie auch andere Rechtsextremisten, die unabhängig von ihm in Ostpreußen und anderen ehemaligen deutschen Ostgebieten die deutschen Minderheiten fördern wollen, verfolgen dabei offenkundig das Ziel, mit der Wiederansiedlung Deutschstämmiger Gebietsansprüche zu untermauern. In seinem "Rundschreiben 2/92" der "Aktion "Deutsches Königsberg'" stellt Munier klar, daß Ostpreußen seit "mehr als 700 Jahren deutsche Erde, heilige Erde" 'sei, "jeder Meter davon getränkt mit deutschem Blut, erkämpft und verteidigt gegen (...) immer wieder anbrandende Feinde, zuletzt im mörderischen Ringen gegen die Rote Armee", In seinem "Rundschreiben 1/92" läßt Munier deutlich werden, wie ihn ein rechtsextremistisches Feindbild bei seiner Spendenaktion leitet: "Sie (Anmerkung: der polnische Staat) wollen überall Polen ansiedeln, der polnische Imperialismus ist schon wieder auf dem Vormarsch. (...) Prüfen jetzt bitte auch Sie mit großem Ernst, was Sie wirklich entbehren können, ob wir uns etwa von den gierigen Polen beschämen lassen sollen." 8 Mitgliederentwicklung in Schleswig-Holstein Jahr NPD/JN DVU DLVH REP NeoSonstige RechtsGesamt Gesamt nazis extr. Land Bund Skins 1991 235 730 40 - 45 50 100 1.200 40.600 1992 200 2.150 30 - 45 55 220 2.700 42.700 1993 190 1.800 80 500 35 50 280 2.935 65.400 = 37 - III. Linksextremismus Überblick Im gesamten Linksextremismus haben das Scheitern des "real existierenden Sozialismus" sowie die daraus in Deutschland entstandenen veränderten Verhältnisse eine bis in das Jahr 1993 andauernde Identitätskrise hervorgerufen. Als Ausfluß dieser Entwicklung hat ein fast alle linksextremistischen Parteien und Gruppierungen erfassender Umorganisationsund Umwälzungsprozeß eingesetzt bzw. sich verstärkt weiterentwickelt. Dieser Prozeß ist noch nicht abgeschlossen. Im Jahre 1993 kam es überraschend zum voraussichtlich endgültigen Bruch zwischen dem "Häftlingskollektiv" der "Hardliner"-Gefangenen mit der Kommandoebene der "Rote Armee Fraktion" (RAF). Dies führte auch im Umfeld der RAF zu vielschichtigen Fraktionierungen mit den Bruchlinien "Modernisierer" und "Traditionalisten". Das Meinungsspektrum reichte Ende des Jahres von fundamentaler Kritik an der Zäsur der RAF im Jahre 1992 und der Kritik der Gruppen untereinander über verhaltene Zustimmung zur neuen RAF-Linie bis hin zu der Bereitschaft und dem Wunsch, das Auseinanderbrechen des gesamten Gefüges zu verhindern, das "Desaster bei der Neubestimmung revolutionärer Politik zu überwinden" und zu neuen Wegen zu finden. Die Selbstverständnis-Diskussion dauert an. Die "Gefangenenfrage" ist nach wie vor ein wichtiger Aspekt. [ Besorgniserregend ist eine sich abzeichnende radikalisierende Entwicklung im "Hardliner-Lager" des RAF-Umfeldes. Im Laufe des Jahres 1993 nahmen Zahl und Militanzbereitschaft terroristischer Gruppierungen aus dem antiimperialistisch geprägten Widerstandsspektrum deutlich zu. Eine "antiimperialistische Widerstandszelle", -,38 - die sich nach der Angehörigen eines palästinensischen Terror-Kommandos, Nadia Shehadah (getötet bei der Erstürmung einer Lufthansa-Maschine in Mogadishu/Somalia durch eine BGS-Einheit im Jahre 1977), benennt, bekannte sich in einer im Dezember 1993 veröffentlichten Erklärung zu verschiedenen Gewaltanschlägen, u. a. zu einer Brandstiftung im Rechtshaus der Universität Hamburg im November 1992 und zu einem Schußwaffenanschlag auf das Gebäude des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall im November 1993 in Köln. Die Gruppe erklärt sich ausdrücklich solidarisch mit den "Hardlinern" unter den Inhaftierten und distanziert sich deutlich von der RAF-Linie seit deren Deeskalationserklärung vom April 1992. Die Mittel in ihrem "antiimperialistischen Kampf" seien vielgestaltig; Schußwaffen gehörten dazu. Die Gruppe habe die letzten zwölf Monate als "antiimperialistische Widerstandszelle" für sich als Phase des Übergangs bestimmt. In Zukunft werde sie "militante/bewaffnete Aktionen" durchführen bzw. zu deren Durchführung beitragen. Auch militante Autonome und Gruppierungen der sogenannten Neuen Linken suchen - unter Zurückstellung bisheriger eigener Positionen sowie Überwindung von alten Berührungsängsten - nach einer organisatorisch neuen und inhaltlich aktualisierten Neubestimmung des eigenen politischen Standortes. Stellvertretend für verschiedene Ansätze in diesem Sinne heißt es in 1993 veröffentlichten "Thesen für eine Neukonstituierung der Linken", die ausdrücklich auch die (militanten) Autonomen einschließt: "Die Linke muß sich von ihren elitären Traditionen befreien. Sie muß wieder Organisationsformen schaffen... (Das) bedeutet außerdem, die Auseinandersetzung mit Menschen außerhalb unse- - 39 - rer politischen Strömung, Gruppe oder Organisation gerade zu suchen ... als Kommunikation, in der keine Seite Wahrheitsansprüche erheben kann" ("INTERIM" Nr. 227 vom 22.02.1993). In diesem Zusammenhang haben die bereits seit fast zwei Jahren diskutierten Vorschläge einer autonomen Organisierung, verbunden mit der Forderung, die eigene Ghettomentalität zu durchbrechen und sich Interessierten auBerhalb der Szene zu öffnen, deutlich an Aktualität und Priorität gewonnen. Wenngleich es bisher noch nicht zu einer bundesweiten Einigung gekommen ist, bleibt der bereits im Juli 1992 in Wuppertal erfolgte überregionale Zusammenschluß von mittlerweile mehr als zehn vorwiegend militanten autonomen Gruppierungen zur "Antifaschistischen Aktion/Bundesorganisation" (AA/BO) ein bedeutsamer Schritt in Richtung einer Neustrukturierung der gesamten linksextremistischen Szene. Das Selbstverständnis dieser mittlerweile unter dem neuen Namen bundesweit aktiven Organisation wird in einer eigenen, im September 1993 herausgegebenen Schrift wie folgt definiert: "Wir verstehen die bundesweite Organisierung als eine längerfristige Entwicklung, die eine breite, durchsetzungsfähige antifaschistische Bewegung zum Ziel hat. Eine Bewegung, die eine Gegenperspektive zum bestehenden System entwikkelnd, mit ihren eigenen Waffen gegen die herrschenden Gesellschaftsstrukturen kämpft" (Schrift "Einsatz" von September 1993). Wesentlich für die Gründung und Entwicklung der "Antifaschistischen Aktion" war die Erkenntnis "einer Situation der eigenen Schwäche und relativen gesellschaftlichen Isolation der radikalen Linken in der BRD". Diese Einschätzung deckt sich mit der von der RAF erhobenen Forderung an die linksextremistische Szene ("radikale Linke"), eine soziale "Gegenmacht von unten" aufzubau- - 40 - en. Eine Strategie in diesem Sinne betreibt auch die sich zunehmend durch fundierte theoretische Arbeit öffentlich darstellende Berliner Gruppierung "Für eine linke Strömung" (F.e.1.S.). Ihre Zielvorstellungen umfassen einen weiten Zusammenschluß von Gruppierungen der "radikalen Linken" unter Einbindung von außerhalb dieses Spektrums stehenden interessierten Personen sowie die Entwicklung einer gesamtgesellschaftlichen Analyse und Strategie in diesem Sinne. "Antifaschismus" wird ausdrücklich als nur ein Praxisfeld dieser Politik angesehen. Als Aktionsfelder mit zunehmend höherem Stellenwert werden sozialpolitische Probleme wie Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot, Sozialabbau und städtebauliche Umstrukturierung einschließlich deren Folgen thematisiert. Diese Kristallisationspunkte stellen Verknüpfungen zu den bereits genannten, sich ebenfalls im Umbruch befindlichen Strukturen und Aktivitäten im terroristischen Bereich dar. Bezeichnend hierfür war der am 17.11.1993 gegen das Haus des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Köln verübte Schußwaffenanschlag der terroristischen Gruppierung "Nadia Shehadah" sowie ihre sich auf die genannten Aktionsfelder beziehende Taterklärung. Situation der "Rote Armee Fraktion" (RAF) und ihres Umfeldes Am Anfang des Jahres 1993 verfestigte sich bei der RAF und ihrem Umfeld die Überzeugung, daß die sogenannte Kinkel-Initiative (Versuch, durch Entschärfung der "Gefangenenfrage" ständige Solidarisierungseffekte abzubauen und der Kommandoebene Rechtfertigungsgründe für weitere Terrorakte zu nehmen) als gescheitert zu betrachten sei. Dies führte sowohl in der Kommandoebene als auch bei den Inhaftierten der RAF sowie den Angehörigen-, Unterstützerund Sympathisantenkreisen zu gespal- - 41 - tenen Reaktionen, an deren vorläufigem Ende ein sich durch die gesamte "revolutionäre Linke" ziehender Richtungsstreit steht. Fraktionen innerhalb der Inhaftierten und die Kommandoebene selbst sprechen offen von einem irreparablen Bruch im RAF-Gefüge. Kommandoebene/Illegale Der Bombenanschlag im März 1993 auf den Gefängnis-Neubau der Justizvollzugsanstalt (JVA) Weiterstadt war die bisher letzte Gewalttat der RAF. Die RAF bekräftigte damit die in ihren grundlegenden Erklärungen von 1992 formulierte Absicht, sich nicht aus der Verantwortung ziehen und die Möglichkeit der Intervention offenhalten zu wollen, wenn sich z. B. in der "Gefangenenfrage" nichts bewege oder wenn ihr zur Lösung gesellschaftlicher Konflikte eine Intervention notwendig und sinnvoll erscheine. Die Ereignisse im Juni 1993 in Bad Kleinen, "Erschießung" von Wolfgang Grams und Festnahme von Birgit Hogefeld, bestärkten die Kommandoebene in ihrer Einschätzung, daß der Staat sich nicht bewegen wolle. Die RAF erklärte, die "kaltblütige Ermordung" von Wolfgang Grams habe sie tief getroffen; sie habe im vergangenen Jahr ernsthaft einen politischen Neuanfang gewollt und deshalb die "Eskalation in der Auseinandersetzung mit diesem Staat" von ihrer Seite aus zurückgenommen und ihre Angriffe gegen Repräsentanten von Staat und Gesellschaft eingestellt; der Staat habe diesen Schritt jedoch als Zeichen von Schwäche bewertet; statt politischer Entscheidung in substantiellen Fragen seien nur Maßnahmen der Apparate von Justiz, Polizei und Militär veranlaßt worden. Ohne sich konkret auf ihr weiteres Vorgehen festzulegen, appellierte die Kommandoebene an ihre Anhänger, nicht zur Tagesordnung überzugehen. - 42 - Im Zuge der Diskussion der von der RAF propagierten Zielsetzung, zusammen mit der "revolutionären Linken" eine sogenannte Gegenmacht von unten aufzubauen und dabei auch die "Gefangenenfrage" einer Lösung näherzubringen, kam es zwischen dem Teil der Inhaftierten, der die "alte" RAF-Linie aus der Zeit von vor 1992 vertritt (sogenannte Hardliner), und den übrigen Inhaftierten sowie der Kommandoebene zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis. Der Bruch wurde offenbar, als "Hardiiner"-Inhaftierte öffentlich verbreiteten, die in Celle einsitzenden RAFAngehörigen (die dem moderateren Flügel der RAF-Inhaftierten zuzurechnen sind) hätten mit Billigung der "Illegalen" nach Weiterstadt und Bad Kleinen versucht, die Konfrontation mit dem Staat zu beenden. Die "Hardliner" äußerten sich zu dem "Deal", der hinter ihrem Rücken abgewickelt werden sollte, in einer bisher nicht gekannten Schärfe. Sie warfen den Celler Inhaftierten und der Kommandoebene vor, die gemeinsame Sache verraten und einen Bruch herbeigeführt zu haben. Die Kommandoebene reagierte darauf ihrerseits in einer mehrseitigen Erklärung. Mit Nachdruck und ebenfalls in ungewohnter Schärfe wehrte sie sich gegen Behauptungen, gemeinsam mit den Inhaftierten, die ihrer Linie nahestünden, Geheimverhandlungen mit dem Staat betrieben zu haben. Dennoch betonte sie, daß die Gespräche der "Celler Gefangenen" in der Sache nicht im Widerspruch zu ihren eigenen Vorstellungen gestanden hätten. Es sei der RAF in ihren Überlegungen nie darum gegangen, "den bewaffneten Kampf für die Freiheit der politischen Gefangenen zu verdealen". Alle Behauptungen, die das Gegenteil suggerierten, "seien Dreck, unwahr". Für die "Illegalen" sei die Schmerzgrenze nun überschritten. Sie fühlten sich gezwungen, "zu der Geschichte zwischen ihnen und einigen Gefangenen zu den fortlaufenden Ver- - 43 - drehungen und Versuchen, die Entsolidarisierung gegen die RAF zu erreichen, öffentlich Stellung zu nehmen". Die seit den Ereignissen von Bad Kleinen inhaftierte Birgit Hogefeld forderte in einem Anfang Dezember 1993 veröffentlichten Brief dazu auf, die gegenwärtige "Schlammschlacht" innerhalb des RAF-Gefüges zu beenden und für die Bewertung aktueller Fragen zu einer sachlichen Diskussion zurückzukehren. Der Bruch bzw. die sich zuspitzende Fraktionierung innerhalb der Inhaftierten über den Richtungsstreit ist auch die Folge einer fehlenden Perspektive für die Inhaftierten, die noch lange Haftstrafen (z. T. mehrmals lebenslänglich) zu verbüßen und somit keine Aussicht auf Entlassung haben. Für andere Inhaftierte dagegen ist eine Entlassung in absehbarer Zeit möglich. Inhaftierte der RAF/Freilassungsdiskussion Die "Lösung der Gefangenenfrage" ist trotz des Richtungsstreits Teil des "revolutionären Kampfes" geblieben und bildet zur Zeit noch das einigende Band aller Sympathisantenund Unterstützergruppen. So war dieses Thema im Laufe des Jahres Anlaß für zahlreiche Initiativen, Kampagnen, Arbeitskonferenzen und Aktionen. Im Vordergrund standen Forderungen nach Freilassung der "haftunfähigen Gefangenen", die Zusammenlegung der Inhaftierten in Kleingruppen nach ihrer Wahl bis zu ihrer Entlassung sowie die Einstellung aller von der Bundesanwaltschaft eingeleiteten Strafverfahren. Problematisch dürfte es gegenwärtig für die Unterstützer sein, vor dem Hintergrund der Spaltung ein solidarisches Verhältnis zu allen "politischen Gefangenen" zu entwickeln. - 44 -, 2.3 Umfeld der RAF in Schleswig-Holstein Das terroristische Umfeld im Lande ist nur schwer vergleichbar mit Unterstützerund Sympathisantenverbindungen in den Großstädten anderer Bundesländer. Es rekrutiert sich aus internen Zirkeln und Diskussionsrunden, in denen extremistisch-terroristische Ideologien thematisiert und anschließend durch aktive Mitarbeit in örtlichen und landesweiten - vorwiegend "antifaschistischen/-rassistischen" oder "antiimperialistischen" - Bündnissen, Aktionsund Solidaritätsgruppen in diese Zusammenhänge transmittiert werden. Einzelpersonen unterhalten enge Kontakte zu Umfeldpersonen und -gruppierungen in anderen Bundesländern. Vermutlich als Reaktion auf den RAF-Anschlag von Weiterstadt im März 1993 brachten unbekannte Täter an der Fußgängerbrücke über die A 7 bei Neumünster ein Transparent mit der Aufschrift "RAF - Wir werden siegen" an. Im Zeitraum von April bis Juni 1993 kam es vornehmlich im südlichen Landesteil zu einer Reihe von Farbsprühaktionen und kleineren Sachbeschädigungen als Sympathiebekundungen für die RAF oder auch als Resonanzaktionen nach dem Weiterstadt-Anschlag. Am 30.10.1993 gingen bei Zeitungsredaktionen in Norderstedt gleichlautende Selbstbezichtigungen einer "autonomen Zelle Sadri Berisha" ein. Die Gruppe nennt sich nach einem Kosovo-Albaner, der im Juli 1992 in einem Bauarbeiter-Wohnheim in Kemnat-Ostfildern (bei Stuttgart) erschlagen wurde. Die unbekannten Verfasser bekannten sich darin zu einer telefonischen Bombenandrohung und der Ablage einer Bombenattrappe vor dem Gebäude der Deutschen Bank am Vortage. Die Täter hätten damit versucht, "für mehrere Stunden das blutige Kapitalgeschäft der Deutschen Bank in Norderstedt ... zu stören bzw. zum Stillstand zu bewegen". Diese Aktion habe - 45 - sich in erster Linie gegen das "bestehende herrschende System gerichtet, in dem auch die Deutsche Bank mit ihren faschistisch kontinental laufenden Geschäften, wie z. B. der Finanzierung des Apartheid-Regimes in Südafrika oder der Ausbeutung mit Treuhand & Co. in der Ex-DDR verankert" sei. Daneben forderte die Gruppe die sofortige Freilassung der in der JVA Lübeck einsitzenden ehemaligen RAFTerroristin Irmgard Möller und aller anderen "Gefangenen aus der RAF und dem Widerstand", der "Antifa" und der "Action Directe" in Frankreich. Das Papier endet mit Grüßen an das RAF-Kommando "Katharina Hammerschmidt" (verantwortlich für den Weiterstadt-Anschlag) und die "antiimperialistische Widerstandszelle Nadia Shehadah". Ein von dieser Gruppe über die Medien veröffentlichtes Positionspapier vom Mai 1992 wurde unter Pseudonym u. a. in Bad Schwartau aufgegeben. Unterstützerund Sympathisantengruppen aus dem terroristischen Umfeld in Hamburg und Schleswig-Holstein waren maßgeblich an der Mobilisierung und Durchführung einer Solidaritätsdemonstration für Irmgard Möller am 09.10.1993 in Lübeck beteiligt. In Aufrufen wurde derer sofortige bedingungslose Freilassung gefordert. Frau Möller sei die am längsten einsitzende "Gefangene aus der RAF". Sie stehe zugleich "für fast die gesamte Geschichte der RAF und für die Geschichte des Kampfes der politischen Gefangenen". An der Veranstaltung nahmen ca. 500 Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet teil. Vorausgegangen waren verschiedene Aktionen, wie ein Autokorso von Hamburg über Kiel (Demonstration vor dem Justizministerium) - 46 - nach Lübeck am 20.07.1993, Unterschriften-Aufrufe in Deutschland, in den USA, Kanada, Holland und verschiedenen Staaten Lateinamerikas sowie eine Grußaktion von Sympathisanten in der "tageszeitung", in der täglich Grüße an Frau Möller abgedruckt worden waren. Aus einer Gruppe von Demonstranten heraus wurden auf dem Weg von der Innenstadt zu einer Abschlußkundgebung vor der JVA an verschiedenen Objekten Sachbeschädigungen begangen. Am 11.11.1993 wurde in den späten Abendstunden vor der JVA Lübeck eine Spontandemonstration durchgeführt. Unter den Teilnehmern befanden sich Mitglieder aus örtlichen autonomen Sympathisantengruppen im Lande und aus Hamburg. Die Demonstranten forderten die sofortige Rücknahme der "verschärften Haftbedingungen" für die drei dort einsitzenden ehemaligen Terroristinnen. Nach einem von der Anstaltsleitung genehmigten Gespräch einiger Demonstranten mit der Inhaftierten Frau Möller löste sich die Demonstration friedlich auf. Anlaß für die Aktion waren Hinweise auf Schutzmaßnahmen der Anstaltsleitung für die Inhaftierten wegen des Verdachts eines "kollektiven Selbstmordes". 2.4 Zusammenfassung/Bewertung Die Zukunft der RAF und die künftige Gestaltung ihres Umfeldes hängen wesentlich von dem Ausgang des andauernden Orientierungsund Neufindungsprozesses ab, der alle Schattierungen der sogenannten revolutionären Linken erfaßt hat. Sie wird auch von der Frage bestimmt, wie sich die gewaltgeneigten Gruppierungen aus dem antiimperialistischen Lager künftig verhalten und welche Bedeutung sie als mögliche weitere terroristische Gruppe neben der RAF haben werden. Fraglich ist, ob auch künftig noch von einem "Gefangenenkollektiv", von einer "Gefangenenfrage" bzw. von einer "Lösung der Gefangenenfrage" '47 - gesprochen werden kann. Gerade dieses zentrale Thema einte bisher das gesamte Spektrum. Festzustellen ist gegenwärtig innerhalb der beiden Hauptlinien "Traditionalisten" ("Hardliner") und "Modernisierer" eine Vielzahl von Strömungen, deren Positionsbestimmung und Neuorientierung nicht abgeschlossen ist. Unter diesen Gesichtspunkten müssen mögliche Gefährdungsmomente betrachtet werden. Bezeichnend für diese Situation wird in der letzten RAF-Erklärung vom November 1993 im Zusammenhang mit dem Richtungsstreit zur Frage einer möglichen Auflösung der RAF bemerkt: "... Wir werden solange die Verantwortung, die wir als RAF haben, tragen, bis das Neue herausgefunden ist. Ob das dann weiter RAF heißt oder die Transformation der RAF innerhalb einer Neuformierung der 'Revolutionären Linken', ist uns heute völlig egal." Mit der Gruppe "Nadia Shehadah" ist bereits eine zweite zum Terror entschlossene Gruppe neben die Kommandoebene getreten, die im Gegensatz zur Kommandoebene die alte RAF-Linie im Sinne der "Hardliner" aus der Zeit von vor 1992 fortzusetzen entschlossen ist. Autonom-anarchistische Gruppen Abgrenzung, Selbstverständnis und Zielvorstellungen Als Teil der heutigen gesellschaftlichen Alternativbewegungen treten u. a. sogenannte Autonome in Erscheinung. Je nach Art der Umsetzung ihrer Zielvorstellungen ist zwischen nicht-militanten und militanten Autonomen zu unterscheiden. Während die nicht-militanten Autonomen durch gewaltfreie Proteste gegenüber Staat und Gesellschaft versuchen, ihre "Nischenkultur" zu leben, gehen die Forderungen der militanten Autonomen weit darüber - 48 - hinaus. Ihrem Selbstverständnis zufolge lehnen militante Autonome Staat und Gesellschaft nicht nur ab, sondern erklären sich zu aktiven Gegnern. Diese systembekämpfende Haltung ist vielfach geprägt durch spontanen Aktionismus. Die Anwendung von Gewalt wird als legitimes Mittel angesehen. Militante Autonome verfügen über kein einheitliches, als verbindlich akzeptiertes Weltbild: "Es gibt kein autonomes Manifest; autonome politische Vorstellungen werden manifest an bestimmten Orten, in bestimmten Aktionen" ("Kritiken, Reflektionen ... zur Lage der Autonomen", Berlin, 1992). Militante Autonome sind nicht nur eine subkulturelle Randgruppe, sondern von anarchistischer Grundhaltung und damit der linksextremistischen Szene zuzurechnen. Sie sind der gewaltbereite, den parlamentarischen Verfassungsstaat ablehnende Teil dieses Spektrums. Die Abgrenzung zu demokratischen, wenn auch radikalen Positionen ist nicht immer offensichtlich, da in der Gesellschaft kritisch gesehene Positionen oftmals eine in der Grundtendenz gleichgerichtete Reaktion demokratischer Kräfte bewirken. 3.2 Autonome Strukturen Eine bundesweit homogene Szene der militanten Autonomen gibt es nicht. Bei den vielfach regionalen Zusammenschlüssen militanter autonomer Gruppen handelt es sich oft um lockere Verbindungen. Ihre Anhänger stehen häufig nur in losem Kontakt zueinander. Nicht selten bilden besetzte Häuser, Wohngemeinschaften, Buchläden und Jugendzentren den kommunikativen Rahmen. - 49 - Verbindende überregionale Strukturen existieren bei den militanten Autonomen nur im Ansatz, so zum Beispiel in Form institutionalisierter überregionaler Treffen und beim Einsatz moderner elektronischer Kommunikationsmittel. Das Aktionsfeld militanter Autonomer liegt in erster Linie auf regionaler und lokaler Ebene. Gleichwohl gelingt es der militanten Szene immer wieder, ihre Anhänger aus aktuellem Anlaß auch bundesweit zu mobilisieren. Beispiele hierfür waren 1993 die zum Teil gewalttätig verlaufenen regionalen Demonstrationen als Reaktion auf den Brandanschlag eines von Ausländern bewohnten Hauses in Solingen. An der zentralen Protestkundgebung in Solingen beteiligten sich etwa 1.800 gewaltbereite Autonome. Für die bundesweite "Wunsiedel"-Gegendemonstration gegen Aktivitäten von Rechtsextremisten aus Anlaß des Todestages von Rudolf Heß im August 1993 konnten die militanten Autonomen insgesamt etwa 800 Anhänger mobilisieren. Die Zahl der militanten Autonomen hat sich in den letzten fünf Jahren bundesweit mehr als verdoppelt. Sie lag Ende 1993 in Deutschland bei über 5.000 Personen. Darüber hinaus gibt es seit Jahren eine zahlenmäßig nur schwer erfaßbare Sympathisanten-Szene, die sich jeweils anlaßbezogen mobilisieren läßt. In Schleswig-Kolstein werden den autonom-anarchistischen Gruppen etwa 350 Personen, davon ca. 100 als gewaltbereit erkannt, zugerechnet. Sie sind regional in verschiedenen autonomen Gruppierungen und Initiativen aktiv, Regionale Schwerpunkte derartiger Aktivitäten im Lande sind Kiel, Neumünster, Rendsburg sowie das Hamburger Umland. Militante Autonome dieser Region sind viel- - 50 - fach auf die entsprechende Szene in Hamburg orientiert und werden von dort aus in Schleswig-Holstein aktiv. Einzelne örtliche Gruppen militanter Autonomer bezeichnen sich selbst als "Antifa-Gruppe", wobei dies im Sinne von "autonomer Antifa" zu verstehen ist. Die örtlich aktiven militanten Autonomen sind in mehr oder weniger losen Zusammenschlüssen "organisiert". Neben einem jeweils relativ kleinen Kern von Aktivisten beteiligen sich an der "autonomen Arbeit" sporadisch und unverbindlich weitere interessierte protestbereite Jugendliche. Den Zusammenkünften dienen neben örtlichen autonomen Info-Läden sogenannte regionale Zentren. Innerhalb der örtlichen Gegebenheiten betätigen sich einzelne militante Autonome vielfach auch in verschiedenen nicht-extremistischen Bündnissen. Nicht selten sind sie dort dominierend und versuchen, eigene Positionen mit Nachdruck einzubringen und umzusetzen. Bündnisse dieser Art, oftmals ebenfalls als "Antifa" oder zunehmend als "Antirassismus-Bündnisse" bezeichnet, werden von den militanten Autonomen vielfach als Sprachrohr und möglicher Mobilisierungsansatz für ihre Zwecke angesehen und entsprechend genutzt. Der Kommunikation und Koordinierung von Aktionen im Lande dienen die von hiesigen Autonomen regelmäßig abgehaltenen "Antifa-Plena". Auf Treffen dieser Art sowie weiteren anlaßbezogenen Zusammenkünften werden landesübergreifende Aktionen abgesprochen. 3.3 Gewaltbereitschaft und Militanz Nach Auffassung der militanten Autonomen verhindern der Staat und sein "Repressionsapparat" die Verwirklichung ihrer politischen Ziele. Daraus leiten militante Autono- - 51 - me für sich das Recht ab, den Staat allumfassend zu bekämpfen und ihn schließlich zu "zerschlagen". Erforderliche Aktionen sowie Art und Umfang bleiben jedem selbst - "entsprechend den eigenen Fähigkeiten" - überlassen. Als notwendiges Wesensmerkmal hierbei wird ausdrücklich auch die als Militanz bezeichnete Gewalt herausgestellt. Rechtfertigend hierzu heißt es in 1993 erfolgten Veröffentlichungen der Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM": "wir haben Anschläge immer als kleinen ergänzenden aber notwendigen und entschiedenen Teil unserer politischen Praxis verstanden. Die Aktionen bezwecken Entlarvung, Aufklärung der Öffentlichkeit über den Charakter des Imperialismus, Rassismus usw. bis hin zur Bedrohung einzelner Funktionsträger und ihrer Bestrafung. Wir verwenden für Gewalt, die von unserer Seite ausgeht, den Begriff 'Militanz'. Wir tun dies deshalb, weil das Wort 'Gewalt' als Begriff für Zerstörung steht, ohne auszudrücken, gegen was oder gegen wen sie sich richtet und welche Form sie hat. Unsere Gewalt ... ist radikaler Ausdruck des Bemühens, sich dem System zu verweigern, Herr-schaftsfreie Strukturen zu entwikkeln, so ... gegen das System zu agitieren, es zu sabotieren und anzugreifen." Einen besonderen Stellenwert in den gewalttätigen Aktionen der militanten Autonomen nimmt die als "antifaschistische Selbsthilfe" bezeichnete Gewalt ein. Unter "antifaschistischer Selbsthilfe" sind dem Selbstverständnis der militanten Autonomen zufolge gewalttätige Aktionen gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten sowie entsprechende Maßnahmen gegen verantwortliche staatliche Stellen und Einrichtungen einschließlich politischer Parteien zu verstehen. Im Rahmen dieser Aktionen ist es den militanten Autonomen wichtig, "Rechtsextremisten und ihre 'bürgerlichen Helfer' zu entlarven und ihre Aktivitäten zu unterbinden". - 562 - Militante Autonome betonen in vielfältiger Weise ihre Entschlossenheit zu Selbstjustiz und "antifaschistischer Militanz". Es sei illusorisch zu glauben, im Kampf gegen Faschisten könne man ohne physische Gewalt auskommen. Offensichtlicher Ausdruck struktureller Gewalt sei die Gewalt des Staates. Staat, Kapital und Faschisten seien Verbündete. Wer frei und selbstbestimmt leben wolle, könne deshalb den Kampf gegen Faschismus und Rassismus nicht an den Staat delegieren. Dies würde den Staat und seine Gewalt nur stärken. Repräsentativ für die Auffassung der militanten Autonomen zum Thema Militanz veröffentlichte das auch in Schleswig-Holstein bekannte autonome Rhein-Main-Info "SWING" 1993 in seiner Mai-Ausgabe eine Aufforderung zur "antifaschistischen Selbsthilfe", wörtlich: "Der Tod eines Faschisten muß nicht unser gezieltes Kalkül sein, dies widerspricht unserer politischen Moral, Es gibt allerdings Mittel und Wege, die ein Todesrisiko gering halten, aber mehr verursachen als nur ein paar blaue Flecken. Die Faschisten müssen wieder Angst bekommen, ihre Gesinnung offen zu präsentieren. Sie müssen sich fürchten, ihre Aufnäher zu tragen und fürchten, eine Glatze zu haben... Macht sie unschädlich und zerstört ihre Treffpunkte. Schließt euch in eurer Wut zusammen. Fünf Menschen machen eine fette Glatze fertig!" Die Zahl der 1993 beim Bundesamt für Verfassungsschutz bundesweit erfaßten Gewalttaten mit linksextremistischterroristischem Hintergrund ist gegenüber dem Vorjahr wiederum gestiegen. Erfaßt wurden insgesamt 1.085 (1992 = 980) Gewalttaten. 337 militante Aktionen, d. h. rund 31 %, richteten sich gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten (1992 = 390). Eine erhebliche Zunahme der Gewalt, vor allem bei sogenannten Spontanaktionen, ist 1993 auch in Schleswig-Holstein zu verzeichnen gewesen. Im Lande beteiligten sich Linksextremisten maßgeblich an 52 (1992 = 31) Demonstrationen - 53 - bzw. Aktionen mit entsprechendem politischen Bezug, 22 (1992 = 8) davon verliefen gewalttätig. Darüber hinaus wurden hier 37 vermutlich oder tatsächlich linksextremistisch motivierte Gewalttaten erfaßt, bei denen es zu Sachbeschädigungen und Körperverletzungen kan. Hierzu gehört auch die im Juni 1993 an Haus und Eigentum eines Landtagsabgeordneten der "Deutschen Volksunion" verübte Sachbeschädigung, zu der sich eine "autonome Zelle Sadri Berisha" verantwortlich bekannte. In einem hierzu in der Hamburger Autonomen-Schrift "OHM" veröffentlichten Bekennerschreiben heißt es: "leider ist uns das nazischwein nicht selbst in die arme gelaufen, aber was nicht ist, kann ja noch werden. wir werden jetzt eine große kampagne gegen führende nazikader starten, die ihnen sicherlich stark schaden wird... antifaschistischer widerstand heißt angriff!!!" Der zu verzeichnende Anstieg der Gewalt ist auch ein Ergebnis von in den Publikationen der militanten Autonomen zunehmend zu beobachtenden Veröffentlichungen mit Hinweisen auf die Notwendigkeit und Wirksamkeit eines | "antifaschistischen Selbstschutzes". Gewalttaten, vor allem die zunehmenden Angriffe verbunden mit teilweise schweren Körperverletzungen gegenüber Personen, werden weiter anhalten, denn dem Selbstverständnis der militanten Autonomen zufolge ist "die Entwicklung der militanten antifaschistischen Selbsthilfe eine grundsätzliche autonome Struktur. Diese aufzugeben hieße, die so wichtigen eigenen Ansätze aufzugeben" (aus "Organisationspapier" der militanten "Autonomen Antifa (M)", Göttingen). Die weitere Entwicklung wird wesentlich auch vom allgemeinen Umgang mit Ausländern in Deutschland abhängen. - 54 - Bei andauernden ausländerfeindlichen Ausschreitungen sowie einer erstarkenden, selbst aktionistisch auftretenden "Anti-Antifa" wächst die Gefahr eines gegenseitigen "Aufschaukelns" zwischen Rechts-. und Linksextremisten, verbunden mit einer quantitativen und qualitativen Steigerung der so von beiden Seiten ausgehenden Gewalt. Veröffentlichung persönlicher Daten von Rechtsext.remisten Angehörige militanter autonomer Gruppen veröffentlichen bereits seit über zwei Jahren in vor allem überregionalen Szene-Publikationen wiederholt steckbriefähnliche Informationen über Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten. Ziel dieses im Rahmen der sogenannten antifaschistischen Selbsthilfe entwickelten Verfahrens ist es, aus der Anonymität heraus den politischen Gegner öffentlich zu verunsichern und - nicht offen ausgesprochen - für "gewünschte" Gewaltaktionen angreifbar zu machen. Dieses bis heute auch in Schleswig-Holstein andauernde Verfahren ist seit geraumer Zeit Anlaß und Vorbild für die neuerlich von Neonazis entwickelte und betriebene "Anti-Antifa". Eine nunmehr in diesem Sinne scheinbar systematisch betriebene, gegenseitige "Aufklärung" beider extremistischer Lager steigert die Gefahr der bereits zu beobachtenden gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen militanten Autonomen und Neonazis. 3.3.2 Autonomer Antifaschismus Ein erheblicher Teil der Gewalttaten militanter Autonomer ist dem Aktionsfeld "autonomer Antifaschismus" zuzurechnen. Dieser versteht sich "nicht nur als reine 'Anti-Nazi-Bewegung'", sondern umfaßt aus Sicht der militanten Autonomen wesentlich mehr. Kennzeichnend für die gesamte militante autonome Szene heißt es hierzu in ei- - 55 - ner von Frankfurter militanten Autonomen herausgegebenen Broschüre: "Antifaschistischer Kampf bedeutet für uns immer auch den Kampf gegen kapitalistische und scheindemokratische Strukturen. Wir lassen uns nicht auf die Auseinandersetzung mit Nazis reduzieren. Der Widerstand hier und heute heißt auch die Konfrontation mit der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie als Mitverursacherin von Rassismus und Sexismus, als Mitträgerin kapitalistischer Ausbeutungsinteressen und sozialer Ungerechtigkeiten zu suchen" ("An die Weltöffentlichkeit", Antifa-Gruppe G, Frankfurt, Frühjahr 1993). " Um in diesem Sinne wirkungsvoll "antifaschistisch" tätig werden zu können, ist es nach Auffassung der militanten Autonomen erforderlich, sich regional bis bundesweit über die militante autonome Szene hinaus durch entsprechende Bündnisse zu verstärken. Zur Notwendigkeit und dem Ziel derartiger militanter Antifa-Bündnisse wird erklärt: "Für uns Linke sind Bündnisse aber eigentlich nur sinnvoll, wenn wir darin eine gewisse Stärke haben bzw. entwickeln können. Wichtig ist es, eigene Vorstellungen einzubringen und diese auch durchsetzen zu können. Es muß eine Vielfalt an Aktivitäten geben... Das heißt nicht, daß wir uns im Bündnis nur darauf beschränken, Mahnwachen, Schweigemärsche ... durchzuführen, sondern durch das Bündnis eine Rückendeckung haben, wenn wir auf die Straße gehen und dort z. B. ganz praktisch gegen Faschisten vorgehen" ("Tips und Trix für Antifas", hrsg. von den militanten autonomen "Edelweiß-Piraten", Berlin, Frühjahr 1993). Eine an diesen Vorstellungen ausgerichtete "Bündnispolitik" betreiben auch militante Autonome in Schleswig-Holstein. Durch ihre aktive Mitarbeit in örtlichen "Antifaund Antirassismus-Gruppen" eröffnen sie Verbindungslinien in das nicht-extremistische Umfeld. - 56 - Aktionsschwerpunkte Bundesweit aktuelle Schwerpunktthemen militanter autonomer Aktionen waren 1993 wiederum die Bereiche "Antiimperialismus"", "Antifaschismus" einschließlich der gewalttätigen sogenannten antifaschistischen Selbsthilfe und "Antirassismus" sowie der vielfach regionale Kampf gegen örtliche städtebauliche "Umstrukturierungen". Als bundesweit herausragende Ereignisse 1993 sind besonders zu nennen: - Einbringung von Militanz in Proteste zu dem von linksextremistischen Kreisen als "Tag X" bezeichneten Tag der Debatte über die Änderung des Artikels 16 Grundgesetz im Deutschen Bundestag am 26.05.1993, bundesweit durchgeführte militante Aktionen im Anschluß an den Brandanschlag von Solingen am 29.05.1993 sowie Aktionen im Rahmen der sogenannten Anti-LagerKampagne gegen "Verantwortliche und Betreiber von Abschiebelagern". 3.4.1 Gewaltaktionen Zum "Tag X" mobilisierten vor allem militante Autonome aus Nordrhein-Westfalen und dem Rhein-Main-Gebiet überregional für eine Bundestags-Blockade. An den Vorbereitungen waren Autonome aus Schleswig-Holstein beteiligt. Im Vorfeld der Protestaktionen kam es bundesweit wiederholt zu Sachbeschädigungen an Behördeneinrichtungen, Privatbesitz von Politikern sowie Parteibüros. Durch ein anonymes Schreiben wurde allen Politikern, die für eine Asylrechtsänderung votieren würden, "Konsequenzen" - 57 - angedroht. Wiederholte telefonische Drohanrufe erhielt auch ein in Schleswig-Holstein wohnender Bundestagsabgeorcneter über seinen hiesigen Privatanschluß. An der teilweise gewalttätig verlaufenen Protestaktion am 26.05.1993 in Bonn beteiligten sich insgesamt 8.000 Personen, davon etwa 1.500 gewaltbereite Autonome, darunter militante Autonome aus Schleswig-Holstein. Diesen Gruppierungen zuzurechnende Personen beteiligten sich ebenfalls an einigen Protestaktionen im Lande. Sie verliefen bis auf eine Sachbeschädigung am CDU-Parteibüro in Mölln friedlich. Der Mordanschlag am 29.05.1993 in Solingen verschärfte nachhaltig die nach der Asylrechtsänderung ohnehin angespannte Stimmung innerhalb der gesamten militanten Autonomen-Szene. Angestauter Haß entlud sich in einer bundesweiten Welle von gewalttätigen Protesten. In Schleswig-Holstein beteiligten sich militante Autonome unmittelbar nach Bekanntwerden der Morde von Solingen an mehreren Spontanprotesten. Örtliche militante Autonome, insbesondere in Flensburg, begingen wahllose Sachbeschädigungen. In Lübeck kam es zu Anschlägen auf Parteibüros von CDU und SPD sowie gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und insbesondere türkischen Jugendlichen, unterstützt durch örtliche militante Autonome, 3.4.2 Aktivitäten in Schleswig-Holstein Inhaltliche Schwerpunkte der Aktivitäten schleswigholsteinischer militanter Autonomer waren Aktionen im Rahmen des "autonomen Antifaschismus". Mit Hinweisen auf zu erwartende massive Störungen gegenüber den Vermietern von Veranstaltungslokalen gelang es militanten Autonomen wiederholt, geplante Veranstaltungen von Rechtsextremisten zu verhindern. - 58 - Nach unverhohlenen Drohungen gegenüber den Veranstaltern einer im Februar 1993 vorgesehenen Podiumsdiskussion unter Beteiligung von Egon Bahr und Heinrich Lummer durch militante Autonome in Kiel wurde die Diskussion abgesagt. Nach Auffassung der militanten Autonomen seien "Nadelstreifen-Faschisten und Schreibtischtäter" wie Lummer nicht dialogfähig, sie seien vielmehr "zu bekämpfen". Übernommen von hiesigen militanten Autonomen wurde die bundesweite, mit teilweise gewalttätigen Aktionen betriebene Kampagne "Stoppt Nazi-Zeitungen!" Mit sogenannten Aufklärungsaktionen in Rendsburg, Neumünster und Lübeck forderten militante Autonome Kiosk-Besitzer auf, den Verkauf derartiger Zeitungen und Literatur einzustellen. In einigen Fällen drohten sie Sanktionen an. Der im März 1993 erfolgte Abriß des in einem Sanierungsviertel gelegenen Kieler Autonomen-Treffs "MERHABA" führte zu wiederholten, teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen mit der Polizei. In diesem Zusammenhang wurden Brandanschläge auf Baufahrzeuge einer an der Sanierung beteiligten Baufirma verübt; es entstand ein Sachschaden von ca. 800.000 DM. Darüber hinaus gab es eine kurzzeitige Hausbesetzung, die mit einer sich anschließenden gewaltsamen Räumung durch die Polizei endete, 3.5 Kommunikation und Vernetzung Dem Informationsaustausch der linksextremen autonomen Szene sowie der Verbreitung und Koordination ihrer Aktionen dienen vielfältige überregionale und länderübergreifende Treffen sowie Szene-Schriften und zunehmend die elektronische Vernetzung. - 59 - Schriften Bundesweit erscheinen - teilweise konspirativ verbreitet - gegenwärtig etwa 30 Schriften mehr oder weniger regelmäßig. Zu den mit "Ausstrahlung" auf Schleswig-Holstein bedeutsamen länderübergreifenden Publikationen zählen die Berliner Autonomen-Schrift "INTERIM" (wöchentlich) sowie die Untergrund-Schrift "radikal". Letztere wird unter wechselnden ausländischen Kontaktadressen unregelmäßig verbreitet. Für die hiesige militante Autonomen-Szene sind neben den genannten Publikationen und regionalen anlaßorientierten Flugblättern die in Schleswig-Holstein herausgegebenen Schriften "Antifaschistische Zeitung Kiel" (ATZE) und "AVANTI" von Bedeutung. Die die "Antifaschistische Zeitung Kiel" herausgebenden "Antifaschistinnen und Antifaschisten aus verschiedenen Spektren" verstehen ihre periodisch erscheinende Schrift als landesweites "Informationsorgan der autonomen antifaschistischen Szene" in Schleswig-Holstein, "AVANTI" veröffentlicht u. a. "Beiträge zu Protest und Widerstand". Die im Laufe des Jahres in weiten Teilen der linksextremistischen Szene zu beobachtenden Umbrüche und Selbstverständnisdebatten zeigten auch Wirkung auf die autonomen Printmedien. Sämtliche regelmäßig erscheinenden autonomen Infoblätter mit überregionaler Bedeutung befinden sich in einem krisenhaften Prozeß. So sind bei der Schrift "radikal" seit über einem Jahr Konflikte in der Redaktion zu beobachten. Seit Herbst 1992 haben fünf "autonome" Stadtund Regionalzeitungen ihr Erscheinen eingestellt, darunter "LAND UNTER" aus Schleswig-Holstein im Frühjahr 1993. - 60 - Mailboxen Neben ihren Printmedien haben autonome Gruppen in den letzten Jahren zunehmend die Möglichkeiten der elektronischen Kommunikation und hier insbesondere das sogenannte Mailbox-Verfahren genutzt. Hervorzuheben ist hierbei die von militanten Autonomen aufgebaute und "seit dem 16. Januar 1993 als Informationsdienst" (öffentliche Eigendarstellung der Betreiber) arbeitende Mailbox "SpinnenNetz" Mainz/Wiesbaden. Ziel der seit 1993 als "Verein zur Förderung politischer Kultur durch Kommunikation e. V.", Wiesbaden, tätigen Betreiber ist es, eine bundesweite Zusammenarbeit mit "Info-Läden, Antifas, freien Radios und Zeitungsprojekten" anzustreben, um Nachrichten schnell und aktuell in verschiedene Regionen zu verbreiten, damit hier die Möglichkeiten überregional abgestimmter, zeitnaher und flächendeckender Reaktion geschaffen werden. "SpinnenNetz" dient in Deutschland gleichzeitig als Schnittstelle des international arbeitenden "European Counter Network" (ECN). Nach eigenen Aussagen versteht ECN sich als ein "internationales politisch anti-institutionelles Netz, welches keine Nachrichten mehr macht und Kontrolle ausübt, sondern das darstellt, was die Zusammenhänge in und aus ihm machen". Über eigene sowie andere, nicht szenegebundene MailboxSysteme werden heute zunehmend umfangreiche Informationen innerhalb der gesamten linksextremistischen Szene sowie mit Bündnisgruppen des nicht-extremistischen Umfeldes ausgetauscht. Darüber hinaus sind Mailboxen wichtiges Medium zur Mobilisierung von überregionalen und bundesweiten Veranstaltungen geworden. Es ist anzunehmen, daß die militanten Autonomen in Schleswig-Holstein sich ebenfalls dieses Mediums bedienen. Auch in diesem Bereich haben Neonazis eine "Anleihe" beim linksextremi- - 61 - stischen Spektrum gemacht und eine eigene elektronische Vernetzung entsprechend aufgebaut. Neue Entwicklungen in Schleswig-Holstein Der sich innerhalb der linksextremistischen Szene bundesweit vollziehende Umorganisationsund Umwälzungsprozeß hin zu einer künftig auch nicht-szenegebundene Alternativgruppierungen umfassenden, neu zu bildenden "radikalen Linken" ist ebenfalls in Schleswig-Holstein zu beobachten. Nach vorübergehender krisenhafter Situation der Szene im Lande zeichnen sich neue Strukturen ab. Hierzu gehört auch die Einbindung hiesiger linksextremistischer Kreise, wie u. a. der militanten autonomen Gruppierung "AVANTI", Kiel/Lübeck, in die bundesweit andauernden Einigungsbemühungen. Auch in Kiel bemühen sich militante Autonome und Gruppierungen der sogenannten Neuen Linken nachhaltig um eine gemeinsame Organisation mit einer inhaltlich abgestimmten Politik: "wir wollen eine gemeinsame Organisation, die so angelegt ist, daß sich alle radikalen Linken in Kiel darin organisieren können..." (Diskussionspapier für eine linksradikale Organisation in Kiel, August 1993). Eine in diesem Sinne entsprechend ausgerichtete "radikal-linke Politik" definieren Kieler militante Autonome folgendermaßen: "Eine radikal-linke Politik muß ... in gesellschaftliche und politische Prozesse eingreifen mit dem Ziel, letztendlich die herrschende Ordnung in Frage zu stellen und einen revolutionären Prozeß möglich zu machen. Eine Aufgabe von uns müßte sein, den herrschenden Konsens überall da zu durchbrechen, wo sich Ansatzmöglich"keiten bieten" (Diskussionspapier der Autonomen Info-Gruppe Kiel, Juni 1993). - 62 - Wesentlich für die weitere Entwicklung in Schleswig-Holstein hin zu einer verbindenden "radikalen Linken" wird besonders die Bereitschaft der militanten Autonomen sein, sich den neuen Organisationsstrukturen und inhaltlich veränderten Vorstellungen nicht zu verschließen. Maßgeblichen Einfluß hierauf werden auch ein organisatorisch erstarkender Rechtsextremismus sowie möglicherweise zunehmende "Sozialkonflikte" haben. Perspektiven Innerhalb der gesamten linksextremistischen Szene wird sich der gegenwärtig andauernde Umwälzungsund Erneuerungsprozeß weiter fortsetzen. Diese Entwicklung wird insbesondere gekennzeichnet sein von den Bemühungen für eine letztlich in ihrem Ausmaß noch nicht klar erkennbare Organisierung der bestehenden Szene unter Einbeziehung von sympathisierenden und einzubindenden Kräften außerhalb des linksextremistischen Spektrums sowie von einem sich hier entwickelnden "sozialen Protestpotential". Sie wird darüber hinaus geprägt sein von dem Stellenwert, den eine derart neue, sich selbst als "Gegenperspektive zum bestehenden System" begreifende Kraft ("Linke als emanzipatorische Bewegung insgesamt") der Frage der Gewalt beimißt. Führend in diesem Entwicklungsprozeß sind die zwar im wesentlichen aus dem militanten autonomen Bereich entstandenen, in ihrer personellen Zusammensetzung sowie ihrer organisatorischen und inhaltlichen Perspektive jedoch weit über diese engen Strukturen hinausgehenden und -zielenden neuen Kräfte wie u. a. die bundesweit bedeutsame Berliner Gruppierung "Für eine linke Strömung". In ihrer Analyse der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Verhältnisse greifen diese Gruppierungen vor al- - 63 - lem basisnah vermittelbare soziale Themen wie Arbeitsplatzverlust und -gefährdung, Wohnungsnot und Obdachlosigkeit, Ausländerfeindlichkeit und Rassismus auf und werten die gegenwärtig sozial angespannte Lage eines Teils der Bevölkerung als vom Staat gewollten "gegenwärtigen Bestandteil des gesellschaftlichen Normalzustandes". Sofern es insbesondere auch im Wahljahr 1994 nicht gelingt, diese für viele Menschen erfahrbaren sozialen Konflikte zu entschärfen und erkennbare Perspektiven vor allem für Jugendliche zu entwickeln und zu vermitteln, wird es zu einer Verfestigung der bisherigen Entwicklungsansätze kommen. Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten : "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und ihr Umfeld Die DKP hat die Talsohle ihrer organisatorischen und mitgliedermäßigen Entwicklung noch nicht erreicht. Nach der letzten Mitgliedsbuch-Umtauschaktion kann sich die DKP in Schleswig-Holstein auf kaum mehr als 250 Mitglieder stützen; die Zahl der Mitglieder in den alten Ländern tendiert gegen 6.000 bis 6.500, und in den neuen Ländern sind nur ca. 100 Personen in der DKP organisiert. Anläßlich des 12. Parteitages im Januar 1993 in Mannheim beschlossen die Delegierten ein neues Statut und "Thesen zur programmatischen Orientierung der DKP". In den Thesen wird "eine neue Gesellschaftsordnung" gefordert: "der Sozialismus, der sich zum Kommunismus weiterentwickelt". Die DKP bekennt sich damit unbeirrt zum Marxismus-Leninismus und versteht sich weiterhin als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse. - 64 - Die Jugendorganisation der DKP, die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), hat sich zwar im Jahr 1993 aus ihrem nach dem Umbruch im Osten erreichten Tiefststand etwas erholen können, bleibt jedoch mit bundesweit insgesamt jetzt mehr als 300 Mitgliedern nach wie vor zu schwach, um der DKP den nötigen Nachwuchs zu liefern. In Schleswig-Holstein ist diese Organisation kaum mehr von Bedeutung. In ihrer Zeitschrift "position" {Nr. 10/92) ruft die SDAJ erstmals zu militanten Kampfformen auf. "Antifaschistische Hilfe" könne sich nicht auf Nachtwachen vor Asylbewerberheimen und alternativen Jugendtreffs beschränken, sondern müsse auch konkret geleistet werden. Dabei sei die Aufforderung "keine Gewalt" wenig sinnvoll. Gegen Neonazis keine Gegenwehr zu leisten bedeute, vor der Gewalt der "FaschistInnen" zu kapitulieren. Der Beitrag endet mit der Parole "Freiheit für alle politischen Gefangenen". 4.2 Revolutiönär-marxistische Gruppen Von den ehemals zahlreichen K-Gruppen sind nur noch die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Vereinigte Sozialistische Partei" (VSP) sowie der "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) mit seiner Bündnisorganisation "Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg" (Volksfront) mit nennenswerten Aktivitäten im linksextremistischen Spektrum tätig. Als einzige Organisation konnte die MLPD ihre Mitgliederzahl auf Bundesebene in den vergangenen Jahren kontinuierlich steigern; sie verfügt jetzt über ca. 2.000 Mitglieder, davon in Schleswig-Holstein allerdings nur etwa 20. - 65 - Mit nach wie vor etwa 300 Mitgliedern tritt der BWK vornehmlich publizistisch in Erscheinung. In Bündnissen und Aktionseinheiten versucht er, seine politischen Ziele zu realisieren. Über das BWK-Wirtschaftsunternehmen "Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung" (GNN) mit Niederlassungen im gesamten Bundesgebiet stellt die Organisation "antifaschistischen und antiimperialistischen" Gruppen umfangreiche Serviceleistungen zur Verfügung, die mit dem "Angehörigen-Info" auch vom terroristischen Umfeld und mit dem "Kurdi-. stan-Rundbrief" von militanten Anhängern der "Arbeiterpartei Kurdistans" genutzt werden. Die GNN-SchleswigHolstein/Hamburg unterhält in Kiel und Elmshorn Außenstellen. Trotzkistische Gruppen verzeichneten in den letzten Jahren insgesamt einen leichten Aufwärtstrend. Auf Bundesebene existieren elf Organisationen mit ca. 1.300 Mitgliedern. Ausweitungen auf Schleswig-Holstein entwikkelt die "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG). Sie konnte die Zahl ihrer Mitglieder 1993 bundesweit von 150 auf 250 erhöhen. Im Land sind in der SAG einzelne Personen organisiert. Zentrum ihrer Aktivitäten ist Kiel; hier ist die Gruppe bestrebt, über die Antifa-Arbeit Einfluß besonders unter Jugendlichen zu gewinnen. - 66 - 5 Zahlenübersicht 1993 Mitgliederzahlen linksextremistischer Organisationen und Gruppierungen - ohne Bereinigung von Mehrfachmitgliedschaften - Organisation/ Land Bund Gruppierungen "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 600 15.200 Revolutionär-marxistische Gruppen 100 7.400 Militante Autonome 350 ) ) Sonstige 300 ) 6.700 insgesamt 1.350 29.300 Anmerkung: Die Zahlenangaben des Bundes umfassen auch Organisationen und Gruppierungen, die in Schleswig-Nolstein nicht existieren. - 67 - IV. Extremistische Bestrebungen von Ausländern Überblick In der Bundesrepublik leben gegenwärtig über 6,8 Millionen Ausländer. Davon gehörten 1993 knapp 40.000 extremistischen oder extremistisch beeinflußten Ausländerorganisationen an. Der Anteil ausländischer Extremisten an den Ende 1993 in Schleswig-Holstein registrierten 131.520 Ausländern betrug etwa 1.200. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß die Mitgliedschaften in extremistisch beeinflußten Ausländervereinen in Schleswig-Holstein häufig der Kontaktpflege unter Landsleuten und der heimatlichen Verbundenheit dienen, ohne daß sich die Mitglieder nachhaltig mit den extremistischen Zielen der Vereine identifizieren. Einen Zulauf an Anhängern hatte in Schleswig-Holstein hauptsächlich die inzwischen verbotene "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zu verzeichnen. Größere Probleme mit extremistischen Ausländerorganisationen hat es auch 1993 in Schleswig-Holstein im Gegensatz zu anderen Bundesländern nicht gegeben. Die meisten von ihnen verhielten sich eher unauffällig. Die seit Jahren zu beobachtende rückläufige Zahl extremistischer Ausländerorganisationen in der Bundesrepublik und der damit verbundene Mitgliederrückgang haben bisher allerdings nicht zu einer Abnahme der Sicherheitsgefährdung in diesem Bereich geführt. Die Aktivitäten gewaltorientierter ausländischer Extremistengruppen im Bundesgebiet beeinträchtigen nach wie vor die innere Sicherheit und auswärtige Belange der Bundesrepublik. Sie sind häufig Reaktionen auf die politischen Verhältnisse und Vorkommnisse in den Heimatländern. Die gewaltsamen Übergriffe von Anhängern der PKK auf türkische Einrichtungen im Bundesgebiet am 24.06.1993 - 68 - und 04.11.1993, die in Wiesbaden ein Todesopfer forderten, führten zum Verbot der PKK und ihrer Teilorganisationen am 26.11.1993 durch den Bundesinnenminister. 1993 wurden vermehrt auch interne Auseinandersetzungen von extremistischen Ausländerorganisationen mit gewaltsamen Mitteln auf dem Boden der Bundesrepublik ausgetragen. Dabei kam es zu mehreren Tötungsdelikten. Die Anzahl der politisch motivierten Gewalttaten von extremistischen Ausländern im Bundesgebiet wie Tötungsdelikte, Brandund Sprengstoffanschläge, Körperverletzungen sowie Sachbeschädigungen mit erheblicher Gewaltanwendung ist gegenüber dem Vorjahr gestiegen: sie belief sich 1993 auf 195 (1992: 141). Ein großer Teil dieser Gewaltakte wurde von Anhängern der PKK und zu Gewalt neigenden linksextremistischen türkischen Organisationen verübt. In Schleswig-Holstein hat es nennenswerte Vorkommnisse dieser Art nicht gegeben. Aktivitäten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PRK) und ihr Verbot in der Bundesrepublik. . Im Mittelpunkt der Beobachtung extremistischer Ausländerorganisationen standen weiterhin die marxistischleninistische PKK und ihre Teilorganisationen. Die PKK stellt sich nach wie vor als eine straff organisierte Kaderpartei mit hierarchischen Strukturen dar. Daran hat auch das am 26.11.1993 vom Bundesinnenminister ausgesprochene Verbot nichts Wesentliches geändert. Dennoch kann davon ausgegangen werden, daß eine Schwächung der Organisation und ihrer Infrastruktur eingetreten ist. Ihren 1984 begonnenen bewaffneten Kampf für einen unabhängigen kurdischen Nationalstaat unter ihrer autoritären Führung verfolgte die PKK auch 1993 konsequent weiter. Zunehmend wurde auch Westeuropa, insbesondere - 69 - die Bundesrepublik, in den Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat einbezogen. Die PKK hatte 1993 einen Zulauf an Anhängern in der Bundesrepublik zu verzeichnen: von 3.850 1992 auf ca. 6.000. Ihr Sympathisantenumfeld ist noch weitaus höher einzuschätzen. Von den 450.000 in der Bundesrepublik lebenden Kurden gelten 40.000 als Sympathisanten der PKK. Hierfür spricht die hohe Beteiligung an den von ihr organisierten Großkundgebungen und bundesweiten Demonstrationen in Bonn und Frankfurt im Jahr 1993. Die PKK vermochte zu diesen Veranstaltungen bis zu 70.000 Kurden aus dem Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland zu mobilisieren. Mit einer bisher nicht gezeigten Gewaltbereitschaft und in offensichtlich europaweit koordinierten Aktionen gingen Anhänger der PKK und sonstige militante Kurden am 24.06.1993 und am 04.11.1993 gegen türkische Einrichtungen, wie konsularische Vertretungen, Banken, Reisebüros und Büros von Fluggesellschaften in zahlreichen Städten des Bundesgebietes und in anderen westeuropäischen Staaten vor. Es kam dabei zu erheblichen Sachschäden an diesen Einrichtungen. Spektakulärster Zwischenfall bei den gewaltsamen Aktionen am 24.06.1993 war der Überfall auf das türkische Generalkonsulat in München mit Geiselnahmen. Das Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte gegen die kurdische Bevölkerung in der Stadt Lice am 22.10.1993 löste am 04.11.1993 erneut gewaltsame Protestaktionen von Anhängern der PKK in der Bundesrepublik aus. Nahezu zeitgleich wurden in 31 Städten des Bundesgebietes über 50 türkische Einrichtungen überwiegend mit Brandsätzen angegriffen, erstmals auch von Türken betriebene Gaststätten, Geschäfte und Vereinslokale. Der folgenschwerste Anschlag ereignete sich in Wiesbaden. Bei einem - 70 - Brandanschlag auf eine türkische Gaststätte wurden eine Person getötet und acht weitere verletzt. In der Öffentlichkeit und bei den im Bundestag vertretenen Parteien stießen die schweren Ausschreitungen von Anhängern der PKK auf einhellige Kritik. Sie waren ausschlaggebend für das Verbot der PKK und ihrer Teilorganisationen in der Bundesrepublik durch den Bundesinnenminister. Neben der PKK wurde auch ihre Propagandaorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK), ihre Basisorganisation "FEYKA-Kurdistan" einschließlich ihrer 29 örtlichen Mitgliedsvereine, ein der PKK nahestehender Verlag, eine Nachrichtenagentur sowie das in Köln ansässige "Kurdistan-Komitee e. V." verboten. Vom Verbot betroffen wurde in Schleswig-Holstein der von der PKK beeinflußte und der "FEYKA-Kurdistan" zuzurechnende "Kurdische Kulturverein in Rendsburg und Umgebung e. V.". Im Zuge bundesweiter Durchsuchungen wurden am 26.11.1993 auch die Räume des Vereins sowie die Wohnungen einiger Aktivisten der PKK in SchleswigHolstein durchsucht. Die Durchsuchungen verliefen - wie auch bundesweit - ohne größere Zwischenfälle. Auf das Verbot folgten bundesweite Demonstrationen und offensichtlich gesteuerte Besetzungen der von der Polizei geschlossenen Räumlichkeiten der kurdischen Vereine. Von einzelnen Auseinandersetzungen mit der Polizei abgesehen, verliefen die Protestaktionen insgesamt weitgehend friedlich. Die Aktivitäten ihrer ca. 400 Anhänger in Schleswig-Holstein (1992: 200) waren auch im Jahr 1993 hauptsächlich darauf gerichtet, den nationalen kurdischen Befreiungskampf der PKK in vielfältiger Weise solidarisch zu - 71 - unterstützen. Dazu gehörten vor allem die Mobilisierung kurdischer Teilnehmer aus Schleswig-Holstein für überregionale Parteiveranstaltungen, Durchführung verschiedener Solidaritätsaktionen, Spendensammlungen sowie die Verbreitung von Propagandamaterial. Stützpunkte der PKK in Schleswig-Holstein befinden sich vor allem in Rendsburg, Kiel, Neumünster, Lübeck und Pinneberg. Im Gegensatz zum übrigen Bundesgebiet hat es in Schleswig-Holstein auch 1993 keine gewaltsamen Aktionen von Anhängern der PKK gegeben. Sie beteiligten sich aber an unfriedlich verlaufenen Protestaktionen der PKK in Hamburg. Auf das Verbot der PKK und ihrer Teilorganisationen reagierten Anhänger der PK&KK in Schleswig-Holstein nur mit verhaltenen Protesten. Organisationsinterne Konflikte innerhalb linksextremistischer türkischer Gruppierungen in der Bundesrepublik 1993 wurde die Bundesrepublik vermehrt zum Austragungsort für interne Konflikte linksextremistischer türkischer Gruppen. Sorgen bereiteten dabei vor allem die anhaltenden gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb der 1983 vom Bundesinnenminister verbotenen linksextremistischen türkischen Organisation "Devrimci Sol". Sie forderten 1993 in der Bundesrepublik ein Todesopfer und mehrere Schwerverletzte. Anhänger der in zwei verfeindete Flügel gespaltenen Organisation sind seit Frühjahr 1993 auch im Bundesgebiet dazu übergegangen, die jeweilige Gegenseite nicht mehr durch Überzeugungen, sondern durch Einschüchterungen und Bestrafungsaktionen zum Einlenken zu bewegen. . Höhepunkt des zunehmend mit Schlaggegenständen und Schußwaffen ausgetragenen Konflikts war eine Schießerei unter Anhängern der "Devrimci Sol" am 01.05.1993 in Berlin. Dabei wurde ein Anhänger der Organisation töd- - 72 - lich verletzt. Unter den vorläufig festgenommenen Personen befanden sich auch zwei Aktivisten der Organisation aus Lübeck; die "Devrimci Sol" hat ca. 40 Anhänger in Schleswig-Holstein. Die Gegensätze innerhalb der "Devrimci Sol" scheinen unüberbrückbar. Wechselseitig ausgesprochene Todesurteile gegen Funktionäre des jeweils anderen Flügels lassen eine weitere Eskalation der Gewalt befürchten. An der Zielsetzung der in der Türkei terroristisch operierenden "Devrimci Sol" hat sich durch den internen Richtungsstreit allerdings nichts geändert. Ziel beider Flügel der Organisation ist nach wie vor die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems in der Türkei, die sie durch einen bewaffneten Volkskrieg verwirklichen wollen. Die innere Zerrissenheit der "Devrimci Sol" hat die Aktivitäten ihrer ca. 650 Anhänger in der Bundesrepublik 1993 fast völlig zum Erliegen gebracht. Auch die linksextremistische "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/M-L) bediente sich 1993 zur Regelung organisationsinterner Angelegenheiten in der Bundesrepublik gewaltsamer Mittel. Am 13.12.1993 "lÄiquidierte" die TKP/M-L in Dülmen in Nordrhein-Westfalen einen als "Verräter" eingestuften Parteiangehörigen durch mehrere Kopfschüsse. Der Getötete war vor geraumer Zeit von einem Parteigericht der TKP/M-L in der Türkei zum Tode verurteilt worden. Die TKP/M-L erklärte dazu, sie hätte auch ein weiteres Mal bewiesen, daß sich kein "Volksfeind" aus ihren Händen retten könne. Fälle von Spendengelderpressungen durch mutmaßliche Anhänger linksextremistischer türkischer und kurdischer Organisationen Zur Finanzierung ihres revolutionären Kampfes in der Türkei waren 1993 sowohl die "Arbeiterpartei Kurdi- - 73 - stans" (PKK) als auch linksextremistische türkische Organisationen wie die "Devrimci Sol" und die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/M-L) in hohem Maße auf Spenden aus der Bundesrepublik und anderen westeuropäischen Staaten angewiesen. Die jährlich von ihren Anhängern in diesen Ländern durchgeführten Spendenkampagnen bilden in der Regel die Haupteinnahmequellen dieser Organisationen. Wie in den vergangenen Jahren kam es dabei auch 1993 wieder zu Spendengelderpressungen, überwiegend durch mutmaßliche Anhänger der PKK. zahlreiche Polizeimeldungen belegen, daß die Spendeneintreiber dieser Organisationen nicht nur massiven Druck auf zahlungsunwillige Landsleute ausüben, sondern immer häufiger mit erheblicher Gewalt gegen sie vorgehen. Türkischen Geschäftsinhabern werden dabei nicht selten Geldbeträge von 10.000 DM abverlangt. In Schleswig-Holstein hatten 1993 in Flensburg und Lübeck wohnende Türken, darunter ein Geschäftsmann, in Anzeigen angegeben, unter Androhung von Gewalt zur Zahlung von Geldbeträgen für die PKK erpreßt worden zu sein. Aus Angst vor Repressalien kommen solche Spendengelderpressungen in den meisten Fällen aber nicht zur Anzeige. Gegen mutmaßliche Angehörige der PKK sind im Bundesgebiet eine Reihe von Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Verdachts der räuberischen Erpressung anhängig. Vorwürfe der Spendengelderpressung hat die PKK wiederholt von sich gewiesen und als bewußt geführte Hetzkampagne zur Diffamierung ihrer Partei bezeichnet. Sie erklärte dazu, die ca. 400.000 in der Bundesrepublik lebenden Kurden unterstützten ihren legitimen nationalen Freiheitskampf auf "vollkommen freiwilliger Basis". - 174 - 5 Mitglieder-/Anhängerzahlen von extremistischen Ausländerorganisationen in Schleswig-Holstein und im Bundesgebiet 1993 _ B u _ nd Land Türkische Organisationen - linksextremistische Gruppen 100 4.050 - islamisch-extremistische Gruppen 400 18.950 - extrem-nationalistische Gruppen 100 3.500 Kurdische Organisationen 400 6.900 Iranische Organisationen 50 1.300 Arabische Organisationen 140 1.750 Sonstige --2.500 insgesamt 1.190 38.950 "Vs Anhang Ze, 203 IE RT v 3232 A Gesetzund Verordnungsblatt für Schleswig-Holstein Herausgeber: Der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein 1991 Ausgegebenin Kiel am 11. April Nr. 7 Tag INHALT Seite 23.3.91 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein {Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG -) ........-....--2222220ssnesasenerereenn 203 GS Schtl.-H. I, GI.Nr. 12-2 856/1991 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein (Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG -) Vom 23.-März 1991 GS Schi.-H. II, GI.Nr. 12-2 Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: & 9 Funktionelle Trennung von Polizei und 2 N Verfassungsschutzbehörde Inhaltsübersicht 810 Registereinsicht durch die Aut Mean . Verfassungsschutzbehörde ufgaben und Befugnisse . der Verfassungsschutzbehörde Datanverarbeitung &38 2 Oe stien Verlassungsschutzes & 11 Speic herungpersonenbezogener Iheenstete Informationen in Dateien $ 4 Zusammenarbeit 8 12 Speicherung personenbezogener & 5 Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde 13 InformationenberMinderjährige und Rahmensfür die Tätigkeit Begrifisbesimngmungen S& 76 Voraussetzu :S 14 Änderun" Löschun5und fi Sperrun R 9 der Vertassungsschutzbehörde personenen niormationen $ 8 Befugnisse der Vertassungsschutzbehörde $15 Dateianordnungen &16 Gemeinsame Dateien "204 Gesetzund Verordnungsblat} fur Schieswig-Holstein 1991 Nr 7 Abschnitt Il 83 Informationsübermittlung Bedienstete & 17 Informationsübermittlung zwischen den Mit Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dürten Verfassungsschutzbehörden nur Personen betraut werden, die nach ihrer Persön818 Intormationsübermittlung an Bundesnachrichlichkeit und nach ihrem Verhalten die Gewähr dafür tendienst und Militärschen Abschirmdienst bieten, daß sie jederzeit für die Sicherung und 8 19 Übermittlung von Informationen durch de Erhaltung derfreiheitlichen demokratischen GrundVerfassungsschutzbehörde an andere Stellen ordnung eintreten. Die Leitung der Abteilung für &20 Übermittlung von Informationen an Verfassungsschutz soll nur einer Person übertragen ausländische Nachrichtendienste werden, die die Befähigung zum Richteramt nach 821 Unterrichtung der Öffentlichkeit dem Deutschen Rchtergesetz besitzt. & 22 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die 84 Verfassungsschutzbehörde Zusammenarbeit & 23 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, 824 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die ZuAbschnitt IV sammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Auskunftserteilung Unterstützung und Information sowie in der Unterhal825 Auskunftsenteilung tung gemeinsamer Einrichtungen. Abschnitt V (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im 826 Parlamentarische Kontrollkommission Einvernehmen, der Bund nach Maßcabe bundes827 Beauftragte oder Beauftragter für den rechtlicher Vorschriften nur im Benehmen mit der Verfassungsschutz schleswig-holsteinischen Verfassungsschutzbehör828 Nachrichtendienstliche Mittel gegen de tätig werden. Landtagsabgeordnete 85 > Abschnitt VI Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde Schlußvorschriften (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben ($ 1) sammelt und 829 Änderung des Landesdatenschutzgesetzes wertet die Verfassungsschutzbehörde sachund nm 30 Inkrafttreten personenbezogene Informationen (Daten, AuskünfAbschnitt | te, Nachrichten und Unterlagen) aus über Aufgaben und Befugnisse 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demoder Verfassungsschutzbehörde kratische Grundordnung, den Bestand oder die 81 Sicherheitdes Bundes oder eines Landesgerichtet Aufgabe des Verfassungsschutzes sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtstührung von Mitgliedem der VerfassungsorAufgabe des Verfassungsschutzes ist es, die Landesgane des Bundes oder eines Landes zum Ziele regierung und andere zuständige Stellen über Gefahhaben, renfür die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Länder zu unterrichten. Dadurch soll diesen Stellen Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetinsbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die zesfür eine fremde Macht, erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefah3. Bestrebungen im Geitungsbereich des Grundgeren zu ergreifen. setzes, die durch Anwendung von Gewalt oder 82 darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen ausOrganisation wärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit Verfassungsschutzbehörde ist die Innenministerin 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im oder der Innenminister. Sie oder er unterhält für diese öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Aufgaben eine besondere Abteilung. Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse an(2) Der Verfassungsschutz darf einer polizeilichen vertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen Dienststelte nicht angegliedert werden. oderihn sich verschaffen können, Nr. 7 Tag der Ausgabe. Kel, den 11. Aprl 1991 205 2. be der Überprüfung von Personen, de an von fremder Herrschaft aufzuheben oder ein zu sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes sind oder werdensollen, oder eines Landes solche, die darauf gerichtet 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum sind, den Bund, die Länder oder deren EinrichtunSchutz von im öffentlichen Interesse geheimhalgenin ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeintungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder trachtigen. Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch (4) Eine nach Maßgabe dieses Gesetzes beachtliUnbefugte. che Bestrebung setzt eine aktiv kämpferische, Die Verfassungsschutzbehörde dart an einer Überaggressive Haltung gegenüber der bestehenden prüfung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 nur mitwirken, wenn Verfassungsordnung voraus. die zu überprüfende Person zugestimmt hat. Für (5) Auswärtige Belange im Sinne des 85 Abs. 1 Nr. 3 Personen, die mit der zu überprüfenden Person werden nur gefährdet, wenn innerhalb des Geltungsverheiratet oder verlobt sind oder mit ihr in Lebensbereichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder gemeinschaft zusammenleben, gilt dies entspredurch Handlungen vorbereitet wird und diese sich chend, wenn sie in die Überprüfung einbezogen gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen werden. anderer Staaten richten. 86 87 Begriffsbestimmungen Voraussetzung und Rahmenfür die Tätigkeit (1) Bestrebungen im Sinne des $5 Abs. 1Nr. 1 und3 der Vertassungsschutzbehörde sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete {1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, Verhaltensweisen oder Betätigungen in der Regel darf die Verfassungsschutzbehörde beider Wahrneheiner Organisation oder einer unorganisierten Grupmungihrer Aufgaben nach $5 Abs. 1 nurtätig werden, pierung gegen die in $ 5 Abs. 1 bezeichneten wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht Schutzgüter. der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die vorliegen. gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfasgerichtet sind, sind soiche, die auf die Beseitigung sungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen oder Außerkraftsetzung wesentlicher VerfassungsMaßnahmen ergreiten; dies gilt insbesonderefür die grundsätze abzielen. Hierzu gehören Erhebung und Verarbeitung personenbezogener In1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen formationen. Von mehreren möglichen und geeigneund Abstimmungen und durch besondere Organe ten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, der Rechtsprechung auszuüben unddie Volksverund die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten tretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleibeeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem cher und geheimer Wahl zu wählen, Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfaszulässig, bis ihr Zweck erreichtist oder sich zeigt, daß sungsmäßige Ordnung und die Bindung der er nicht erreicht werden kann. vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, (3) Soweit in diesem Gesetz besondere Eingriftsbefugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen 3. das Recht auf die Bildung und Ausübung einer oder darauf gerichtete Vorbereitungshandiungen parlamentarschen Opposition, voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperli4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantchen Zwanges gegen Personen oder Sachen. wortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, -.88 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde 6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft (1) Die Vertassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung und ihrer Aufgaben Informationen erheben und verarbei7. de im Grundgesetz konkretisierten Menschenten. rechte. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Methoden (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind und Gegenstände einschließlich technischer Mittel 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes zur heimlichen Informationsbeschaffung (nachrichoder eines Landes solche, die darauf gerichtet tendienstliche Mittel) anwenden. Dazu gehören inssind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes besondere der Einsatz geheimer Mitarbeiterinnen 206 Gesetzund Verordnungsblatt für Schleswig-Holsten 1991 Nr? und Mitarbeiter, die heimliche Beobachtung (Obserschlossen werden kann. Einer Mitteilung bedarf es vation) sowie Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpanicht, wenn diese Voraussetzung auch nach fünf piere und Tarnkennzeichen. Die nachrichtendienstliJahren nochnicht eingetreten ist. Nachder Mitteilung chen Mittel sind in einer Dienstvorschrift abschliesteht der betroffenen Person der Rechtsweg offen. Bend zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die 89 Anordnung für solche Informationsbeschaffung reFunktionelle Trennung geit. von Polizei und Verfassungsschutzbehörde (3) Mit dem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsdürfen keine strafbaren Handlungen begangen werschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht den. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ist nur im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu zulässig, wenn denen sie selbst nicht befugtist. 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen 810 nchtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Registereinsicht den Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten durch die Vertassungsschutzbehörde nach $ 5 Abs. 1 bestehen, " (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten -- von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstligewonnen werden können, chen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestre- - von Bestrebungen, die durch Anwendung von bungen oder Tätigkeiten nach $ 5 Abs. 1 erforderGewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden lungen gegen die freiheitliche demokratische können oder Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiterinnen und des Bundesoder eines Landesgerichtet sind, oder Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Nachrichtenzugänge des Verfassungsschutzes Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandgegensicherheitsgefährdende oder geheimdienstlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik liche Tätigkeiten erforderlich ist. Deutschland gefährden, Die Verfassungsschutzbehörde darf die so gewonnevon öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. Melnen Informationen nur für die in Satz 2 genannten deregister, Personalausweisregister, Paßregister, FühZwecke verwenden. Unterlagen, die für diese Zwekrerscheinkartei, Waffenscheinkartei, einsehen. ke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu {2) Eine solche Einsichtnahmeist nur zulässig, wenn vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen, die zur Erfüllung der 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit erscheint, insbesondere durch eine Übermittiung unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in der Daten 'durch die registerführende Stelle der diesem Fall sind sie zu sperren und entsprechend zu Zweck der Maßnahme gefährdet würde, und kennzeichnen. 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige (4) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würBeschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeden, und heimnisses gleichkornmt, bedarf der Zustimmungder 3. eine besondere gesetzliche GeheimhaltungsvorInnenministerin oder des Innenministers selbst, im schrift oder ein Berufsgeheimnis der EinsichtnahFalle der Verhinderung derjenigen der Vertreterin me nicht entgegensteht. oder des Vertreters. Die durch einen solchen Eingriff (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe trifft die Innenministerin oder der Innenminister des $ 7 Abs. 3 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundselbst, im Falle der Verhinderung die Vertreterin oder gesetz verwendet werden. der Vertreter. i (5) Im Falle des Absatzes 4 sind der betroffenen (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse Person nachrichtendienstliche Maßnahmen nach dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung verwendet werden. Gespeichene Informationen sind des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie kann. Läßt sich in diesem Zeitpunkt noch nicht für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeNachweis zu -führen, aus dem ihr Zweck, die in Nr. 7 Tag der Ausgabe: Kei, den 11, Apri 1991 207 Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der 813 Betroffenen, deren Daten für eine weitere VerwenSpeicherungsdauer dungerforderlich sind, hervorgehen. Diese AufzeichDie Verfassungsschutzbehörde hat die Speichenungen sind gesondert aufzubewahren, durch techrungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung nische und organisatorische Maßnahmenzu sichern erforderliche Maß zu beschränken. Spätestens nach und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der fünf Jahren sind in Dateien gespeicherte InformatioErstellung folgt, zu vernichten. nen auf ihre Ertorderlichkeit zu überprüfen. Sofern die Informationen Bestrebungen nach $ 5 Abs. 1 Nr. 1 oder3 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre nach Abschnitt Il der zuletzt gespeicherten relevanten Information zu Datenverarbeitung löschen. 811 _ 814 Speicherung personenbezogener Anderung, Löschung und Sperrung Informationen in Dateien personenbezogener Informationen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung (1) Personenbezogene Informationen in Dateien ihrer Aufgaben personenbezogeneInformationen in sind Dateien speichern, wenn 1. zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu 1. tatsächliche Anhaltspunktefür den Verdacht besteergänzen, wenn sie unvollständig sind und dahen, daß die betroffene Person an Bestrebungen durch schutzwürdige Interessen der betroffenen oder Tätigkeiten nach 8 5 Abs. 1 teilnimmt und dies Person beeinträchtigt sein können; für die Beobachtung der Bestrebung erforderlich ist, 2. zulöschen, wennihre Speicherung unzulässig war oderihre Kenntnis für die Aufgabenerfültung nicht 2. dies für die Erforschung und Bewertung von mehr erlorderlich ist und schutzwürdige Interessen gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlider betroffenen Person nicht beeinträchtigt werchen Tätigkeiten nach $ 5 Abs. 1 erforderlichist, den; 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichten3. zu sperren, wenn die Löschung unterbieibt, weil dienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Grund zu der Annahme besteht, daß durch die Tätigkeiten nach $ 5 Abs. 1 erforderlich ist oder Löschung schutzwürdige Interessen der betroffe4. sie auf Antrag der zuständigen Stelle nach $ 5 nen Person beeinträchtigt würden; gesperrte Abs. 2 tätig wird. Informationen dürfen nur mit Einwilligung der betroffenen Person verwendet werden. Die nach Satz 1 gespeicherten Informationen dürfen nur für die dort genannten Zwecke, die nach Satz 1 (2) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. Nr. 4 gespeicherten Informationen außerdem für Unterlagen sind zu vernichten, wennsie zur Erfüllung Zwecke der Spionageabwehr verwendet werden. der Aufgaben nach $ 5 nicht oder nicht mehr erforderlich sind, es sei denn, daß ihre Aufbewahrung (2) In Dateien gespeicherte personenbezogene Inzur Wahrung schutzwürdiger Interessen derbetroffeformatonen müssen durch Aktenrückhalt belegbar nen Person oder zu wissenschaftlichen Zwecken sein. notwendig ist; die Vernichtung unterbleibt, wenn die (3) In Dateien ist die Speicherung von Informationen Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung der aus der engeren Persönlichkeitssphäre derbetroffeAufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit nen Person unzulässig. unvertretbarem Aufwand getrennt werden können. 812 (3) Werden Daten protokolliert, so dürfen diese nur Speicherung personenbezogener Informationen für Zwecke der Datenschutzkontrolie oder bei Verüber Minderjährige dacht des Datenmißbrauchs verwendet werden. Personenbezogene Informationen über Minderjähri- . 815 ge dürfen in Dateien nur gespeichert werden, wenn Dateianordnungen 1. diese zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Intormationen beziehen, das 16. Lebensjahr vollendet Für jede automatisierte Datei sind in einer Dateihaben und anordnung durch die Innenministerin oder den Innenminister im Benehmen mit der oder dem 2. der Verdacht einer geheimdienstlichen Tätigkeit Landesbeauftragten für den Datenschutz festzuie(8 5 Abs. 1 Nr. 2) oder einer Bestrebung besteht, gen: die durch Anwendung von Gewalt oder darauf ' gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird 1. Bezeichnung derDatei, ($ 5 Abs. 1 Nr. 1 oder 3). 2. Zweck der Datei, 208 Gesetzund Verordnungsblatt fur Schleswig-Holstein 1991 Nr 7 o Inhalt,Umfang, Voraussetzungen der Speichewenn es zum Schutz vor Bestrebungen und rung, Übermittlung und Nutzung, Tatgkeiten nach $ 5 Abs. 1 erforderlich st, Eingabe der Daten, 2. an Staatsanwaltschaften oder Polizei, sofern tatZugangsberechtigung, sächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß enon" jemand eine in $ 100 a Strafprozeßordnung geÜberprüfungstristen und Speicherungsdauer, nannte Straftat begeht oder begangen hat, Protokollierung, w . an andere staatliche Behörden und an die der Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem. Aufsicht des Landes unterstellten Gebietskörper816 schaften, wenn des zum Schutz vor Bestrebungen Gemeinsame Dateien oder Tätigkeiten nach $ 5 Abs. 1 erforderlich ist, Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverar4. an Stellen, die mit dem Überprüfungsverfahren beitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsnach $ 5 Abs. 2 befaßt sind, schutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. 5. an andere öffentliche oder sonstige Stellen, wenn es zum Schutz vor Bestrebungen gegen die Abschnitt Ill freiheitliche demokratische Grundordnung, den Informationsübermittlung Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder 817 enes Landes unverzichtbar ist. Informationsübermittiung Die Verfassungsschutzbehörde soll die übermitteite zwischen den Verfassungsschutzbehörden Information bewerten. In den Fällen der Nummer 5 Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bunentscheidet de Leiterin oder der Leiter der Verfasdesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungssungsschutzabteilung. schutzbehörden der Länder über alle Angelegenhei(3) In den Fällen des Absatzes 2 Nr. 1 und 2 können ten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der empfangenden Stellen erforderlich ist. staatsanwaltschaftlichen Sachieitungsbefugnis, die g18 Polizei die Übermittlung personenbezogenerInforintormationsübermittlung mationen im Einzelfall verlangen. Das Ersuchen ist an Bundesnachrichtendienst zu begründen und aktenkundig zu machen. und Militärischen Abschirmdienst {4) Die empfangende Stelle von Informationen nach Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bunden Absätzen 2 und 3 darf de übermittelten desnachrichtendienst und dem Militärischen Abpersonenbezogenen Informationen nur zu dem schirmdienst die ihr bekanntgewordenen InformatioZweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihr nen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür besteübermittelt wurden. Auf diese Einschränkungen ist hen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der die empfangende Stelle hinzuweisen. Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist. 820 . Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf ErsuÜbermittlung von Informationen chen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und an ausländische Nachrichtendienste berechtigt, wennsich die tatsächlichen Anhaltspunkte aus den Angaben der ersuchenden Behörde Die Übermittlung von Informationen an Dienststellen ergeben. der Stationierungsstreitkräfte richtet sich nach Artikei 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen 819 zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages Übermittlung von Informationen durch die über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der Verfassungsschutzbehörde an andereStellen in der Bundesrepublik Deutschland statonierten aus(1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben "ländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBi. Il gewonnenen Erkenntnisse der Verlassungsschutz1961 $. 1183, 1218). Im übrigen gi; für die Überbehörde, die ncht personenbezogen sind, können an mittlung personenbezogener Informationen an ausandere Behörden und Stellen, insbesondere an die ländische Nachrichtendienste & 19 Abs. 2 Satz 1 Nr.5 Polizei und die Staatsanwaltschaften, übermittelt und Satz 2 und 3 sowie Abs. 4 entsprechend. werden, wenn se für die Aufgabenerfüllung der 821 empfangenden Stellen erforderlich sein können. Unterrichtung der Öffentlichkeit (2) Personenbezogene Informationen darf die Ver(1) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag tassungsschutzbehörde übermitteln mindestens einmal anien über Bestrebungen und 1. an die Polizei, sofern tatsächliche Anhaltspunkte Tatigkeiten nach $ 5 Abs. i dafür bestehen, daß jemand eine in $ 100 a (2) Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit einStrafprozeßordnung genannte Straftat plant, oder schließlich der Medien über Erkenntnisse der Verfas- - Nr. 7 Tag der Ausgabe' Kei, den 11. Aprl 1991 209 sungsschutzbehörde ist de Übermittlung von persocherheitsgefährdende Tätigkeiten oder gewalttätige nenbezogenen Informationen nur zulässig, wenn es Bestrebungen bestehen. Auf die nach Satz 3 zu einer sachgemäßen Information ertorderlich ist übermittelten Informationen findet der Absatz 3, auf und schutzwürdige Interessen der betroffenen Perdie dazugehörenden Unterlagen findet der Absatz 4 son nicht entgegenstehen. des $ 7 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechende Anwendung. Die nach Satz 4 übermit822 telten Informationen dürfen nur zur Erforschung Dokumentation und Grundlage geheimdienstlicher oder scherheitsgefährdender Täder Informationsübermittiung tigkeiten oder gewalttätiger Bestrebungen genutzt durch die Verfassungsschutzbehörde werden. Die Übermittlung von personenbezogenen Informa(4) Vorschriften zur Informationsübermittlung an de tionen ist aktenkundig zu machen. In der entspreVertassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen chenden Datei ist die Informationsübermittlung zu bleiben unberührt. vermerken. Vor der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt zu würdigen und der Informationsüber(5) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermitmittlung zugrunde zu legen. Erkennbar unvollständiteiten Informationen nach ihrem Eingang unverzügge Informationen sind vor der Übermittlung im lich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfüllung ihrer Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung in & 5 genannten Aufgabenerforderlich sind. Ergibt zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen. die Prüfung, daß sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernich- . 823 Übermittlung von Informationen tung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforan die Verfassungsschutzbehörde derlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem {1} Die Verfassungsschutzbehörde kann von den Aufwandgetrennt werden können; in diesem Fallsind Behörden des Landes und densonstigen der Aufsicht die Informationen gesperrt und entsprechend zu des Landes unterstehenden juristischen Personen kennzeichnen. des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Informationen verlangen, die diesen Stellen im (6) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht Rahmen ihrer Aufgaben vorliegen und die zur besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Vertassungsschutzbehörde und Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes die übermitteinde Stelle die Informationsübermittlung erforderlich sind. aktenkungig zu machen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchennicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den . 824 Zweck der Maßnahmegefährden würde. Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermittein (1) Die Übermittlung von Informationen unterbleibt, von sch aus der Verfassungsschutzbehörde alle wenn ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegenden 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, Informationen über Bestrebungen, die durch Anwendaß die Informationen zu löschen oder für die dung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereiempfangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, tungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften 2. die überwiegenden Sicherheitsinteressen dies und, vorbehattlich der staatsanwaltschaftlichen Sacherfordern, leitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber 3. erkennbar ist, daß unter Berücksichtigung der Art hinaus auch andere ihnen im Rahmen ihrer AufgaderInformationen und ihrer Erhebung die schutzbenerfüllung bekanntgewordene Informationen über würdigen Interessen der betroffenen Person das Bestrebungen im Sinne des $ 5 Abs. 1. Die Allgemeininteresse an der Übermittlung überwieÜbermittlung personenbezogener Informationen, die gen, aufgrund einer Maßnahme nach $ 100 a der 4. gesetzliche Vorschriften für die übermittelnde Strafprozeßordnung bekanntgeworden sind, ist nur Stelle entgegenstehen oder zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand eine der in $ 2 des Gesetzes 5. es sich um personenbezogene Informationen aus zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten der engeren Persönlichkeitssphäre oder über plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung Minderjährige unter 16 Jahren handelt, es sei personenbezogener Informationen, die aufgrund andenn, die empfangende Stelle der Information " derer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bebenötigt diese zum Schutz vor Gewalt oder vor kanntgewordensind, ist nur zulässig, wenn tatsächVorbereitungshandiungen zur Gewalt oder vor liche Anhaltspunkte für geheimdienstliche oder sigeheimdienstlichen Tätigkeiten. 216 Gesetzund Verordnungsblatt für Schieswig-Holstein 1991 Nr. 7 (2) Erweistsich eine Information nach ihrer Übermittaus der Parlamentarischen Kontrollkommission auslung als unrchtig oder unvoliständig, so hat die scheidet. übermittelnde Stelle ihre Information unverzüglich (5) Die Landesregierung hat die Parlamentarische gegenüber der empfangendenStelle zu berichtigen Kontrollkommission umfassend über die allgemeine oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über unvollständige Übermittlung schutzwürdige InteresVorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichsen der betroffenen Person beeinträchtigt sein ten; sie berichtet auch über den Erlaß und die können. Die Berichtigung oder Ergänzung ist aktenEinhaltung von Verwaltungsvorschriften. kundig zu machen und in der entsprechenden Datei zu vermerken. (6) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Abschnitt IV Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die Auskunftserteilung ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen 825 Kontrollkommission bekanntgeworden sind. Diesgilt Auskuntftserteilung auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt auf Antrag Parlamentarischen Kontrollkommission. einer natürlichen Person Auskunft über Daten, die sie (7) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im zu dieser Person gespeichert hat. Gewahrsam der Verfassungsschutzbehörde und (2) Die Vertassungsschutzbehörde darf den Antrag könnennur dort von den Mitgliedern der Kommission ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der eingesehen werden. Geheimhaltung ihrer Erkenntnisse sowie ihrer nach(8) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt richtendienstlichen Arbeitsmethoden und Mittel gemindestens einmal im Vierteljahr zusammen. Sie gibt genüber dem Interesse der antragstellenden Person sich eine Geschäftsordnung. an der Auskunftserteilung überwiegt. (8) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die (3) Eine Auskunftsverweigerung brauchtdie VerfasUnterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkomsungsschutzbehörde nicht zu begründen, soweit mission verlangen. hierdurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Ablehnungsgründe sind akten827 Beauftragte oder Beauftragter kundig zu machen. für den Verfassungsschutz (4) Die antragstellende Personist darauf hinzuweiDie Parlamentarische Kontrollkommission kann im sen, daß sie sich nach Maßgabe des LandesdatenEinzeltall eine Beauftragte oder einen Beauftragten schutzgesetzes an die Landesbeauftragte oder den für den Verfassungsschutz bestellen; die beauftragte Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden Person muß die Befähigung zum Richteramt nach kann. dem Deutschen Richtergesetz besitzen. Die beaufAbschnitt V tragte Person hat die Aufgabe, die Rechtmäßigkeit Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde zu & 26 überprüfen, Ihr ist Einsicht in Akten und Dateien zu Parlamentarische Kontrollkommission gewähren. Sie hat der Parlamentarischen Kontrolikommission über das Ergebnis der Prüfung zu (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes berichten. Die beauftragte Personist zur Geheimhaldes Landes unterliegt die Landesregierung der tung verpflichtet. Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrolikommission. 828 Nachrichtendienstliche Mittel (2) Der Landtag bestimmt zu Beginn jeder Wahlpegegen Landtagsabgeordnete riode die Zahl der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrolikommission, ihre Zusammensetzung und Setzt die Verfassungsschutzbehörde nachrichtenArbeitsweise und wählt die Mitglieder der Kommisdienstliche Mittel gegen eine Abgeordnete oder einen son aus seiner Mitte. Abgeordneten des Schieswig-Holsteinischen Landtagesein, hat sie die Präsidentin oder den Präsiden(3) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der ten des Schleswig-Holsteinischen Landtages umgeMitglieder des Landtages auf sich vereint. hend hiervon zu unterrichten. Dies gilt auch, wenn (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag aus, so sich der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegen verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarieine im Schleswig-Holsteinischen Landtag vertretene schen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist politische Partei oder eine Untergliederung dieser unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Partei richtet. Im Falle des Satzes 1 sind der gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen betroffenen Person nachrichtendienstliche Maßnah- r Nr 7 TagderAusgabe.Kel, den11 April1991 AS]Ag. aA 211 ! men nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine 2. Nach Absatz 3 wird folgender Absatz 4 eingefügt: Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausge"(4) Für Auskünfte durch die Verfassungsschutzschlossen werden kann. Läßt sich in diesem Zetbehördegelten die Vorschriften des Gesetzes über punkt noch nicht abschließend beurteilen, ob dese den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-HolVoraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehstein vom 23. März 1991 (GVOBI. Schl.-H. S. 203)." men, sobald eine Gefährdung des Zwecks der 3. Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5. Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren noch nicht eingetreten st. 8 30 Nach derMitteilung steht der betroffenen Person der Inkrafttreten Rechtswegoffen. Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des $ 8 Abs. 2 Abschnitt VI Satz 3 am Tage nach der Verkündung in Kraft. Schlußvorschriften Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Schleswig-Holstein in der Fassung A 829 der Bekanntmachung vom 14. Juni 1979 (GVOBI. Änderung des Landesdatenschutzgesetzes Schl.-H. S. 400)*) außer Kraft. $ 8 Abs. 2 Satz 3 tritt & 14 des Landesdatenschutzgesetzes vom 1. Juni am 1. Juni 1991 in Kraft. 1978 (GVOBI. Schl.-H. S. 156), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 1988 (GVOBI. Schl.-H. S. 214)") wird wie folgt geändert: ) 68 Schl.-H. Il, GI.Nr. 12-1 1. Absatz 2 Nr. 1 Buchst. a wird gestrichen. *) G$ Schl.-H. Il, GL.Nr. 204-1 Kiel, den 23. März 1991 Der Ministerpräsident Der Innenminister Björn Engholm Dr. Hans Peter Bull