Der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein JAHRESBERICHT DER VERFAS SUNGS SCHUTZABTEILUNG 1992 Rechtsextremismus Linksextremismus Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern I. Rechtsextremismus Seite 1 1 Überblick 2 Gewaltorientierter Rechtsextremismus - 3 fließende Übergänge zwischen dem Neonazismus, der Skinhead-Bewegung und sonstigen rechtsorientierten gewaltbereiten Jugendlichen 2.1 Stagnation des organisierten Neonazismus 3 2.2 Die Skinhead-Szene in Schleswig-Holstein 6 t 2.2.1 Entwicklung 6 2.2.2 "Kraftschlag" - Durch Skin-Musik 7 zum Szene-Treff 2.2.3 Gefährliches Gewaltpotential 8 2.2.4 luxe Brandanschläge von Mölln 9 3 Rechtsextremistische Jugendorganisationen ver10 lieren weiter an Anziehungskraft 4 Die Parteienlandschaft der alten Rechten 11 4.1 "Deutsche Volksunion" (DVU) 12 4.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" 19 (NPD) 4.3 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" 21 (Deutsche Liga) 4.4 "Die Republikaner" 22 5 1992 - ein Jahr rechtsextremistischer Gewalt 23 II. Linksextremismus Seite 1 Überblick 27 2 Situation der "Rote Armee Fraktion" (RAF) 29 2.1 Kommando-Ebene 29 2.2 Inhaftierte der RAF/Freilassungsdiskussion 31 3 RAF-Anschlag vom 27. März 1993 auf die JVA 33 Weiterstadt 4 RAF-Umfeld 34 4.1 Überregional 34 4.2 Schleswig-Holstein 35 5 Autonom-anarchistische Gruppen 37 5.1 Selbstverständnis und Aktionsinhalte 37 5.2 Antifaschistische Militanz 38 5.3 Aktivitäten in Schleswig-Holstein 43 5.4 "Antifa-Publikationen" 47 6 Dogmatischer Linksextremismus 50 6.1 Einzelne Organisationen 50 6.2 Bestrebungen für gemeinsame linksextremistische 53 Kandidaturen bei kommenden Wahlen III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Seite Bestrebungen von Ausländern / 1 Überblick 55 2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 55 3 Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen 57 nationalistischen und linksorientierten Türken sowie Kurden in Schleswig-Holstein 4 Reaktionen von Türken auf die Brandan57 schlage in Mölln I. Rechtsextremismus 1 Überblick Durch die Möllner Brandanschläge vom 23.11.1992 wurde das Vorhandensein einer rechtsextremistischen Bedrohung auch in den alten Bundesländern weltweit offenkundig. Diese Anschläge waren der Höhepunkt einer Kette ausländerfeindlicher und anderer rechtsextremer Gewalttaten, die im Sommer 1991 nach den Krawallen im sächsischen Hoyerswerda ihren Anfang nahmen und im Sommer 1992 in Rostock kulminierten. Signale einer Renaissance des Rechtsextremismus waren aber schon in den 80er Jahren erkennbar. Bereits 1987 war es der "Deutschen Volksunion" (DVU) gelungen - fast 20 Jahre nach dem Niedergang der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) -, ein Mandat in einem Landesparlament (Bremen) zu erringen. Kurze Zeit später erzielten auch die um die gleiche Klientel werbenden "Republikaner" Wahlerfolge. Seit Beginn der 80er Jahre hatte die NPD unter den Jungwählerinnen und Jungwählern mehrfach vorgeführt, daß die Überschreitung der 5 %-Klausel bei diesen kein Problem war. Kurzzeitig überlagerte die Vereinigungseuphorie in der Bundesrepublik die Anziehungskraft rechtsextremistischer Weltbilder. Nachdem aber die hieraus resultierenden Probleme offenkundig geworden waren, wurde der Trend nach "rechtsaußen" dafür um so stärker erkennbar. In Schleswig-Holstein war im Jahre 1992 die Situation von Ereignissen geprägt, die bezeichnend für das rechtsextremistische Gesamtbild sind. Sowohl der auf politische Veränderungen abzielende Rechtsextremismus als - 2 - auch der sich fast nur, durch Gewalttaten artikulierende "Spontan-Rechtsextremismus" haben in Schleswig-Holstein ihre Spuren hinterlassen. Nach der Statistik des Verfassungsschutzes wurden hier 1992 mindestens 147 Gewalttaten mit erwiesener oder - im Hinblick auf ihre Opfer - zu vermutender rechtsextremistischer Motivation verübt. Darunter waren 29 Brandanschläge und 23 Körperverletzungen. Die 3 Todesopfer des Möllner Brandanschlages stellen den traurigen Höhepunkt fremdenfeindlich motivierter Gewalt dar. Diese Gewalttaten wurden bei weitem nicht nur von überzeugten Rechtsextremisten oder aus dem eindeutig politisch motivierten Bereich der Skinheads verübt. Zu einem erheblichen Teil (60 bis 70 %) kommen als Täter Jugendliche in Frage, die nicht aus einer klassischen extremistischen Motivation heraus handelten, sondern aus einer fremdenfeindlichen Grundstimmung. Durch die hochgradige Gewaltakzeptanz in diesen Täterkreisen und die von überzeugten Rechtsextremisten übernommenen Feindbilder besteht aber die Gefahr eines Hinübergleitens in verfestigte rechtsextremische Strukturen. Neonazis und rechtsorientierte Gewalttäter - die ganz überwiegend dem männlichen Geschlecht angehörten - hatten bisher einen unmittelbaren Einfluß lediglich auf die innere Sicherheit. Einflüsse auf die freiheitliche demokratische Grundordnung gingen von ihnen nur mittelbar aus. Der Versuch, die nationalsozialistische Ideologie wiederzubeleben, findet kaum Resonanz in der Bevölkerung. Politischen Einfluß werden Neonationalsozialisten auch in absehbarer Zeit nicht erlangen. Wahlerfolge rechtsextremistischer Parteien, die nicht ausdrücklich an den Nationalsozialismus anknüpfen, wie z. B. der DVU am 05.04.1992 bei der schleswig-holstei- - 3- nischen Landtagswahl, stellen ^demgegenüber eine direkte Einflußmöglichkeit auf das politische System dar. Da die politische Artikulationsfähigkeit der DVU sich im wesentlichen auf eine simplifizierende Ausländerhetze, eine nationalistische Großdeutschland-Aktion sowie eine systematische Herabsetzung des Systems der parlamentarischen Demokratie und ihrer Repräsentanten beschränkt, war eine konstruktive Mitarbeit im Schleswig-Holsteinischen Landtag von vornherein nicht zu erwarten. Ihre Parlamentsarbeit ist statt dessen durch eine Unzahl provozierender Anträge (z. B. "Ehrung für DÖNITZ") gekennzeichnet. Der letzte Höchststand an Mitgliedern rechtsextremistischer Organisationen war mit bundesweit rd. 37.000 im Jahre 19 6 8 zu verzeichnen. Nach Jahren abnehmender Tendenz wuchs der rechte Rand seit Beginn der 80er Jahre wieder kontinuierlich an und hat heute die Zahl von rd. 43.000 erreicht - allerdings in einem vereinigten Deutschland. Dieses Wachstum signalisiert vor allem tiefgehende Unsicherheiten und soziale Probleme, die sich in radikalem Protest und der Suche nach Halt gebenden, einfachen Gewißheiten entladen. Der Rechtsextremismus wird daher auf absehbare Zeit besonderer Aufmerksamkeit bedürfen. 2 Gewaltorientierter Rechtsextremismus - fließende Übergänge zwischen dem Neonazismus, der Skinhead-Bewegung und sonstigen rechtsorientierten gewaltbereiten Jugendlichen 2.1 Stagnation des organisierten Neonazismus Organisationen der Anhängerschaft des 1991 verstorbenen Neonazis Michael KÜHNEN, die dieser zuletzt unter dem Oberbegriff "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" * - 4 - (GdNF) zusammengefaßt hatte, sind in. Schleswig-Holstein nicht mehr vertreten. Auch Versuche Her von ehemaligen KÜHNEN-Anhängern in Hamburg getragenen "Nationalen Liste" (NL), im südlichen Schleswig-Holstein organisatorisch Fuß zu fassen, sind offenbar gescheitert. Ihre Aktivitäten werden aber weiterhin auch auf Schleswig-Holstein ausstrahlen. Der führende Kopf dieser Gruppierung, der Hamburger Neonazi Christian WORCH, hat sich bei den militanten Rechtsextremisten Ansehen u. a. durch seine Fähigkeiten als Koordinator erworben, zuletzt bei der HEß-Gedenkkundgebung in RudolfStadt/Thüringen im August 1992. Im Gegensatz zu anderen Neonazis vermeidet er konzeptionslosen Aktionismus. Seine Strategie einer "Anti-Antifa-Kampagne" zielt in Anlehnung an Vorgehensweisen der Linksextremisten darauf ab, Adressen und Treffpunkte von "Linken" auszukundschaften, zu publizieren und diese somit "angreifbar" zu machen. Daneben strebt er als breitere Aktionsbasis die Schaffung einer Einheitsfront mit anderen Neonazi-Gruppen an. Nicht zuletzt dadurch beträgt die Zahl der Angriffe auf Linksextremisten auch 1992 wieder 89 (wie im Vorjahr). Der Kampf von "Antifa gegen Anti-Antifa" und umgekehrt dürfte in den nächsten Jahren eher noch zunehmen. (1992 verzeichnet die Bundesstatistik 320 Gewaltakte der extremen Linken gegenüber der extremen Rechten, fast 200 mehr als im Vorjahr.) " Die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP; bundesweit etwa 150 Mitglieder) ist in Schleswig-Holstein mit ihrer Bundesgeschäftsstelle in Halstenbek/Kreis Pinneberg im unmittelbaren Hamburger Randgebiet vertreten. Deren Leiter, der Skinhead Glenn GÖRTZ, hat eine Gruppe von etwa 10 Skinheads um sich gesammelt, die sich als FAP-Anhänger zu erkennen geben. Verstärkung erhalten sie durch weitere 'j0 bis 20 FAP-Sympathisanten. Im Herbst 1992 fanden sich im Umfeld der FAP-Bundesge- - 5- Schäftsstelle,^ insbesondere auf dem Bahnhofsvorplatz der S-Bahnstation Krupunder, regelmäßig größere Gruppen von offensichtlich mit der FAP sympathisierenden Skinheads zusammen. Sie wurden Ziel antifaschistischer Demonstrationen und Aktionen. Die Teilnehmer an einem am 02.12.1992 verübten Überfall auf die Bundesgeschäftsstelle, bei dem mehrere vor dem Haus wartende Personen zum Teil schwer verletzt wurden, stammten allerdings überwiegend aus Kreisen türkischer junger Männer Hamburgs . -, Die Bewertung des Neonazismus in Schleswig-Holstein lediglich auf Mitgliederzahlen zu stützen, wäre aber realitätsfremd. Die Schwäche des organisierten Neonazismus in Schleswig-Holstein dürfte vor allem auf das Fehlen fähiger Führungspersonen zurückzuführen sein. Bundesweit ist seit 1990 bei den Veranstaltungen des organisierten Neonazismus eine sprunghafte Erhöhung der Teilnehmerzahlen festzustellen, die dem Anstieg der Mitgliederzahlen weit vorauseilt. So erschienen zu den anläßlich des Todestages von Rudolf HEß jeweils im August stattfindenden Gedenkveranstaltungen 1988 ca. 150 Neonazis, 1989: 200, 1990: 1.300, 1991: 1.500 und 1992 bereits über 2.000 Neonazis. Inwieweit die Organisationsverbote gegenüber der "Nationalistischen Front", der "Deutschen Alternative" und der "Nationalen Offensive" im November/Dezember 1992 diese Entwicklung zu stoppen vermögen, ist nicht absehbar. Aufgrund fehlender Präsenz dieser Gruppen in Schleswig-Holstein hatten die Verbote hier keine direkten Auswirkungen. - 6 - 2.2 Die Skinhead-Szene in Schleswig-Holstein * 2.2.1 Entwicklung Während der organisierte Neonazismus, bezogen auf die alten Bundesländer, stagniert, ist seit Jahren ein Anstieg der militanten Skinhead-Szene festzustellen. Ende der 80er Jahre waren in Schleswig-Holstein'noch weniger als 100 Skinheads bekannt, von denen ca. 10 % der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden konnten. Inzwischen hat sich ihre Zahl landesweit auf mehrere 100 erhöht. Bei ca. 220 von ihnen konnten bislang rechtsextremistische, insbesondere fremdenfeindliche Verhaltensmuster - allerdings in sehr unterschiedlicher Intensität - festgestellt werden. Beschränkten sich die Schwerpunkte ihrer Aktionen vor einigen Jahren noch auf wenige Orte, hat sich die Skinhead-Subkultur mittlerweile über das ganze Land verbreitet. Regionale Schwerpunkte sind Kiel (58 Skins mit rechtsextremistischen Verhaltensmustern, davon 14 mit DVU-/NPD-Bezügen), Lübeck (36, davon 7 mit DVU-/NPD-Bezügen) und das weitere Hamburger Umland (67, davon 34 mit neonazistischer Ausrichtung). In Kiel und Lübeck hatten sich Anhaltspunkte für eine DVU-Orientierung der Szene im Vorfeld der Landtagswahlen ergeben. Inzwischen zeigt sich, daß auch die DVU Skins nicht auf Dauer zu binden vermag. Aufgrund der massiven rassistischen Komponenten der Skinhead-Subkultur finden neonaEistische Organisationen naturgemäß größeren Zuspruch. Auch der rassistische Ku-Klux-Klan mit seinen geheimnisumwitterten Riten stößt auf großes Interesse, ohne daß er sich hier schon organisatorisch verfestigen konnte. Ansätze waren aber z. B. in Elmshorn bereits erkennbar. - 7- Träger dieser gewalttätigen, antiliberalen und intoleranten Skinhead-"Kultur" sind die Skinhead-Magazine, die "Fanzines", die sich durch die Verherrlichung von Gewalt und Nazi-Organisationen, durch Antisemitismus und die Verwendung von NS-Symbolen auszeichnen. Das wichtigste Medium für den inneren Zusammenhalt der Skin-Szene und für deren "Ideologie" ist die "Oi-Musik" (von engl, joy = Freude). Auf CD, Kassetten und in Live-Konzerten wird Hitler verehrt ("Hängt dem Adolf Hitler den Nobelpreis um"), Haß auf Ausländer ("Hast du in deinem Keller 'ne große Folterbank, dann schnapp dir einen Türken und mach ihn wieder schlank.") und Linke propagiert sowie zunehmend auch Gewalt gegen Behinderte ("Da kommt der Paul mit seinem Rollstuhl an, ich stech ihm die Reifen platt ... Jetzt tret ich zu, jetzt ist er satt."). Bundesweit sind der rechtsextremen MusikSzene mehr als 50 bekannte und Hunderte unbekannter Skinhead-Bands zuzurechnen. In welchem Umfang die Skinhead-Szene tatsächlich aus einer rechtsextremistischen Motivation heraus handelt und inwieweit sie miteinander vernetzt ist, läßt sich nach wie vor nicht mit Bestimmtheit sagen. * 2.2.2 "Kraftschlag" - Durch Skin-Musik zum Szene-Treff Mit der Schließung der Szene-Gaststätte "Zum Kelten" in Itzehoe etwa Mitte 1992 fanden die Auseinandersetzungen zwischen Skinheads und "Linken", die in den zwei Monaten zuvor an den Wochenenden hohe Polizeipräsenz erfordert hatten, ein Ende. Itzehoe war nicht durch die Aktivitäten der kleinen örtlichen Skinhead-Szene in die Schlagzeilen geraten, sondern durch die Anziehungskraft der regelmäßigen Auftritte der Skin-Band "Kraftschlag". In der Nacht zum 08.03.1992 wurde die Gaststätte von Tätern überfallen, die von der Polizei der örtlichen - 8 - "Punk-Szene" zugerechnet wurden. Dabei erlitten der Gastwirt und sein Sohn erhebliche Verletzungen. Eine Eskalation setzte ein, als im Gegenzug Skinheads bereits 2 Wochen später ein anderes Lokal überfielen. Dies war der Ausgangspunkt der bis Mitte Mai anhaltenden Konfrontation, zu der auch Gruppen ausländischer Jugendlicher beitrugen. Die Band "Kraftschlag" hat auch bei vielen Skinhead-Konzerten außerhalb Schleswig-Holsteins gespielt. Sie hat kürzlich die CD "Trotz Verbot nicht tot" veröffentlicht. Die extrem gewaltorientierten Texte lassen deutliehe Sympathien für den Nationalsozialismus und den Ku-Klux-Klan erkennen und rufen dazu auf, Deutschland von "Scheiß-Punks", "Ausländerpack", "Volksverrätern" und "Ausländerhuren" gewaltsam zu "säubern". Dazu sollen Skins "mit Jacken voller Waffen und Stiefeln mit Stahl" durch die Straßen ziehen. Die Staatsanwaltschaft Itzehoe hat ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung und Aufruf zum Rassenhaß eingeleitet. 2.2.3 Gefährliches Gewaltpotential Die nicht allein auf politische Feindbilder wie "Zecken" ("Linke") und "Kanaken" (Ausländer) zielende Gewaltbereitschaft der Skinheads - auch untereinander - ist sehr hoch. Szene-Angehörige treten jedoch häufiger durch "gewöhnliche" Kriminalität als durch politisch motivierte Taten in Erscheinung. Vielfach werden Eigentumsdelikte begangen, aber auch Sachbeschädigungen und vor allem Körperverletzungen, bei denen Anhaltspunkte für einen politischen Tathintergrund nicht erkennbar sind. Skintypische Gewaltaktionen werden meist spontan begangen. Obwohl Gewaltakte gegenüber Ausländern und "Linken" häufig zwischen Skinheads erörtert werden, kommt es nur selten zu konkreten Tatvorbereitungen. Die - 9 ~ Aggressivität wird durch Alkoholexzesse, aufputschende Skin-Musik und Gruppendynamik gesteigert. Die Militanz entlädt sich insbesondere immer wieder in Schlägereien mit den gefürchteten und verhaßten türkischen Jugendgangs. In dieser Frontstellung scheinen sich derzeit die Kräfte der Kieler und Lübecker Skins zu erschöpfen. In der Auseinandersetzung zwischen "Linken" und Skins sowie anderen Neonazis besteht die Gefahr eines gefährlichen Aufschaukeins. Dazu trägt auch die immer offener propagierte und praktizierte Brutalität militanter/autonomer Antifaschisten bei, so daß bei Angriffen und Racheakten Ursache und Wirkung kaum noch auseinandergehalten werden können. 2.2.4 Die Brandanschläge von Mölln Auch die beiden Möllner Brandanschläge vom 23.11.1992, bei denen 3 Türkinnen ums Leben kamen, spiegeln die Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit der Skinhead-Szene wider. Trotz der kurzfristigen Mitgliedschaft des Haupt- I beschuldigten in der NPD kann 'von einer rechtsextremistischen Steuerung der Möllner Skinhead-Szene nicht gesprochen werden. Die Brandanschläge sind nach dem hiesigen Erkenntnisstand spontane Aktionen zweier Einzeltäter. Tatmotive dürften auch hier Fremdenhaß, Rachegedanken gegenüber türkischen Jugendlichen nach vorausgegangenen Schlägereien sowie plakatives nationalsozialistisches Gedankengut sein. Beide Angeklagten gehören zum Kreis der Möllner Skinhead-Szene. Sie gelten dort als Außenseiter und Einzelgänger. Kontakte zu Skinheads im Kreis Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern hatten bereits zu einer Teilnahme an einem Brandanschlag auf die Ausländerunterkunft in Pritzier am 05.09.1992 geführt. Die Skinhead-Szene in Mölln und Umgebung besteht aus 2 bis 3 Cliquen mit insgesamt ca. 40 Personen und einem - 10 - "harten Kern" von etwa 5 bis 8 Perfonen. Auch diese Cliquen haben keine festen Organisationsstrukturen. Sie unterhalten Kontakte zu Gleichgesinnten in Hamburg, Lüneburg, Lübeck und Schwerin. Die Angehörigen der Szene, darunter etwa 10 Mädchen, sind im Alter zwischen 16 und 30 Jahren und kommen in der Mehrzahl aus zerrütteten Familienverhältnissen. Einfluß auf die Entwicklung der Möllner Szene hatte zu Beginn der 80er Jahre ein Fußballfanklub, in dem rechtsextremistisches Gedankengut vertreten wurde. Die nicht gefestigten Strukturen der Szene und die Spontanität der Tatvorbereitung sind beispielhaft für die Gesamtsituation der schleswigholsteinischen Skinhead-Szene. 3 Rechtsextremistische Jugendorganisationen verlieren weiter an Anziehungskraft Während die Skinhead-Szene kräftig expandiert, befinden sich die traditionellen rechtsextremistischen Jugendorganisationen nicht nur in Schleswig-Holstein auf stetiger Talfahrt. In Schleswig-Holstein gilt dies neben der "Wiking-Jugend" (WJ), deren Mitgliederzahl hier seit Jahren bei etwa 25 Personen liegt, ebenso für die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), die Jugendorganisation der NPD. Die in der Tradition der Hitler-Jugend stehende WikingJugend verzeichnete in den neuen Bundesländern einen deutlichen Mitgliederzuwachs, der die Mitgliederverluste in den alten Bundesländern in etwa ausgleichen konnte. Wesentliche politische Aktivitäten gingen in den vergangenen Jahren von der Wiking-Jugend in SchleswigHolstein nicht aus. Sogenannte Heimnachmittage haben einen eher familiären Charakter und werden von der Bevölkerung weitgehend unbemerkt durchgeführt. Nicht zuletzt durch antifaschistischen Druck in die Isolation - Il - gedrängt, führt die Wiking-Jugend ein sektiererisches Dasein. Ihr folkloristisches, mit rechtsextremistischer Ideologie und soldatischer Disziplin durchsetztes Gehabe wirkt auf potentielle Interessenten eher abstoßend. Zu den wenigen hervorzuhebenden Aktivitäten der WikingJugend in Schleswig-Holstein gehörten im Jahre 1992 ein bundesweites Fallschirmspringertreffen in Lübeck (Mai) und ein Segeltörn auf der Ostsee (Juni). Der Landesverband der "Jungen Nationaldemokraten" (JN), der Jugendorganisation der NPD, wurde aufgelöst, weil es der Organisation nicht gelang, längerfristig Mitglieder zu binden. Eine Landesbeauftragte versucht vergeblich einen Neuanfang. 4 Die Parteienlandschaft der alten Rechten Der Anstieg der Mitgliederzahlen in den vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremistischen Organisationen (1992 wurden bundesweit 82 Organisationen und 42.700. Rechtsextremisten gezählt) ist in erster Linie auf den Mitgliederzuwachs der "Deutschen Volksunion" (DVU) zurückzuführen. Da aber die Programmatik der DVU sich nicht wesentlich von der anderer rechtsextremistischer Parteien unterscheidet und speziell die DVU nur eine geringe Bindungswirkung auf ihre Anhängerinnen und Anhänger ausübt, sind Wanderungsbewegungen innerhalb dieses Parteienspektrums jederzeit möglich. Die Erfolge der DVU sind ausschließlich auf deren bessere propagandistische Möglichkeiten zurückzuführen. Die zunehmende Politikverdrossenheit, der Unmut über die Asylpolitik in weiten Bevölkerungskreisen und der Anstieg sozialer Bedrohungsängste stellten den idealen Nährboden für die Wahlerfolge der DVU und der "Republi- - 12 - kaner" im Jahr 1992 dar. Als weiterer Agitationsschwerpunkt mit "Stammtischrückhalt" scheint sich auch die "Europaverdrossenheit" zu entwickeln. Die rechtsextremistischen Parteien "Deutsche Volksunion", "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" und "Deutsche Liga für Volk und Heimat" versuchten im vergangenen Jahr vor allem den Eindruck zu erwecken, fremdländische Zuwanderer seien ausnahmslos Asylbetrüger und Kriminelle, die (nur) Gewaltverbrechen ins Land brächten. Aufgrund ihrer unstrittig verfassungsfeindlichen Zielsetzungen unterliegen diese Parteien seit Jahren der Beobachtung aller Verfassunsschutzbehörden. "Deutsche Volksunion" (DVU) Die bereits 1971 zunächst als "überparteiliches" Sammelbecken der "verfassungstreuen Rechten" von Dr. Gerhard FREY (München) gegründete DVU wurde aufgrund der Unterstützung der zur FRF.Yschen Verlagsgruppe gehörenden Wochenzeitungen sehr schnell zur mitgliederstärksten rechtsextremistischen Organisation in der Bundesrepublik. Im Bund hat sie etwa 25.000 und in Schleswig-Holstein etwa 2.000 Mitglieder. Die bei allen rechtsextremistischen Organisationen gängigen Verhaltensmuster, nämlich die Verharmlosung des Nationalsozialismus, die Relativierung der Kriegsschuld und ein latenter Rassismus, waren von vornherein der bestimmende Agitationsschwerpunkt. Die streng zentralistisch .geführte DVU bedient sich bei ihrer Agitation in erster Linie der in einer Auflage von über 100.000 erscheinenden Wochenzeitungen "Deutsche Nationalzeitung" (DNZ) und "Deutsche Wochenzeitung" (DWZ). Hauptthemen sind das Schüren von Überfrem- - 13 - dungsängsten und von Kriminalitätsfurcht sowie die Agitation gegen die europäische Einigung. Nachdem die DVU bei der Bremer Bürgerschaftswahl am 29.09.1991, begünstigt durch die Asyldiskussion, mit 6,2 % ein sensationelles Ergebnis erzielt hatte, kündigte Dr. FREY die Teilnahme an der schleswig-holsteinischen Landtagswahl im Jahre 1992 an. Aufgrund der unzureichenden Organisationsstrukturen der Partei forderte Dr. FREY in seinen Wochenzeitungen auf, "bei der Finanzierung der gewaltigen Werbemaßnahmen der DVU" zu helfen, "damit sich der Triumph von Bremen in Schleswig-Holstein wiederholt". Des weiteren wurden die Leserinnen und Leser aufgerufen, sich als Kandidatinnen bzw. Kandidaten für die Landtagswahl zur Verfügung zu stellen oder die Partei durch aktive Wahlhilfe oder Spenden zu unterstützen. Auf der von nur ca. 90 Personen besuchten Landesversammlung am 09.11.1991 in Hohn/Kreis Rendsburg-Eckernförde wurden die 45 Direktkandidatinnen und -kandidaten sowie die 30 Listenkandidatinnen und -kandidaten für die Landtagswahl "gewählt". Schon aufgrund der handlungsunfähigen Parteibasis wurde im Wahlkampf der DVU auf öffentliche Kundgebungen weitgehend verzichtet. Es sind lediglich etwa 10 kleine Informationsund Wahlkreisveranstaltungen bekanntgeworden. Den spektakulärsten Teil des Wahlkampfes stellten die Postwurfsendungen an alle Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein dar. Durch eine geschickte Fotoauswahl, die geeignet war, Fremdenfurcht zu erzeugen, sollte suggeriert werden, alle fremd aussehenden Menschen seien kriminelle Ausländer und Scheinasylanten. Die Wahlkampfdemagogen der DVU schreckten in einer Extraausgabe der DWZ auch nicht davor zurück, das Foto eines bekannten amerikanischen - 14 - Schwerverbrechers aus den 30er Jahren in Beziehung zum Asylproblem zu setzen. Die Schlagzeilen und Zwischenüberschriften aus den Postwurfsendungen zur Landtagswahl beinhalteten das gesamte Agitationsrepertoir der DVU. Sie lauteten u. a.: "Scheinasylanten die Wahnsinnskosten" "Mord!" "Noch mehr Scheinasylanten" "Noch mehr Fremde" "Noch mehr Zigeuner" "Sind unsere Politiker verrückt geworden?" "- Ausländer rein! - sagt CDU-Geißler" "Umweltschützer schlagen Alarm. Polen ist größter Dreckmacher der Ostsee" "Klaut uns Kohl die Mark?" "Jedes Jahr gehen mindestens 12 Milliarden Mark der Steuerzahler für Scheinasylanten drauf" "Großbetrug mit Steuergeldern! Schluß damit!" "Wie sich Politiker bereichern" "Hinaus mit den Scheinasylanten!" Bei der Landtagswahl erzielte die DVU mit 93.295 Stimmen (= 6,3 %.) ein in dieser Höhe nicht erwartetes Ergebnis und zog mit 6 Abgeordneten in den Schleswig-Holsteinischen Landtag ein. Mit 9,6 % der 18bis 24jährigen Wahlberechtigten bestätigte sich die seit Beginn der 80er Jahre zu beobachtende Tendenz, daß die Überschreitung der 5 %-Klausel bei den Jungwählerinnen und JungWählern für rechtsextremistische Parteien unproblematisch ist. Dieser Entwicklung entspricht auch, daß 68,4 % dieser Jungwähler-Gruppe dem männlichen Geschlecht angehören. - 15 - Das Verhältnis der schleswig-holsteinischen DVU-Landtagsfraktion zu Dr. FREY war schon im Berichtszeitraum offensichtlich nicht ganz ungetrübt. Nachdem bereits frühzeitig der ehemalige NPD-Funktionär Heinrich GERLACH von Dr. FREY zur "Unterstützung" der Fraktion eingesetzt worden war, wurde dies auch durch eine auf Drängen FREYS auf dem Landesparteitag am 22.11.1992 in München beschlossene Satzungsänderung deutlich, wonach DVU-Fraktionsvorsitzende und sonstige Funktionsträgerinnen bzw. -träger in einem Lande nicht zugleich LandesVorsitzende sein dürfen. Der Inhaber dieser Amter, der DVU-Fraktionsvorsitzende Ingo STAWITZ, mußte sein anderes Amt somit zunächst an einen kommissarischen Landesvorsitzenden abgeben. Daneben wurde am 24.11.1992 das Mitglied der Bremer Bürgerschaft, Hans WEIDENBACH, zum "Landesbeauftragten für den Landesverband Schleswig-Holstein der DVU" berufen. Die Landtagsdebatten werden von den DVU-Abgeordneten dazu genutzt, in der Bevölkerung bestehende "Überfremdungsängste" durch entsprechende Aussagen weiter zu schüren. Während einer Beratung zur Situation Wohnungsloser in Schleswig-Holstein und zur Obdachlosenhilfe äußerte die DVU-Abgeordnete Karin VOSS: "... So (Anm.: "schlecht") würde man die Scheinasylanten nie behandeln. Für die werden Container aufgestellt und schmucke Holzhaussiedlungen in Landschaftsschutzgebieten, z. B. in HamburgVolksdorf und Wedel/Holstein, gebaut, ebenfalls Kasernen wohnlich hergerichtet, selbst gemeindeeigene Wohnungen zwangsgeräumt." Zu dem von der DVU-Fraktion eingebrachten Antrag zum Thema "Roma und Sinti" äußerte die Abgeordnete Karin VOSS am 17.12.1992: - 16 - "Die Kohlund Engholm-Regierungen verweigern rechtsstaatliche Maßnahmen gegen Asylbetrug. Folglich mag uns Herr Engholm jetzt in einem Regierungsbericht erläutern, wie er das Problem der Roma und Sinti lösen will. Der Standpunkt der DVU ist klar: Abschiebung aller Scheinasylanten." Die ausländerfeindliche Stimmungsmache nimmt auch breiten Raum in der DWZ und der DNZ ein. Die entsprechenden Überschriften lauten: "Deutschland - Sozialamt der Welt? - So wird bei uns abkassiert" "Asylbetrug ufert aus - Die üblen Tricks der Gauner" "Bald 'multikultureller Bundestag'?" (DNZ vom 10.07.1992) "Mafia kassiert bei jeder Pizza mit - Und nach der Grenzöffnung wird es noch schlimmer!" "Deutsche Kinder müssen sterben... doch Scheinasylanten machen Kasse" "Sie plündern uns aus! - Was den Deutschen verschwiegen wird" "Durch Asylbetrug zum Häuslebauer - Immer verrücktere Zustände!" t (DNZ vom 04.09.1992) "Zigeunergefahr - Was Deutschland droht" "Asyl: Es stinkt zum Himmel, wie Deutschland des Wahnsinns fette Beute wird" (DNZ vom 18.09.1992) , Die Absicht der DVU, Stimmungen gegen alles "Nichtdeutsche" zu erzeugen, wird auch durch die Berichterstattung zu den Themen "Juden" und "Israel" deutlich. Beispiele sind Überschriften wie: - 17 - "Kommen Millionen Juden? - Was uns Bonn zumutet" (DNZ vom 11.09.1992) "Jüdische Quittung für Kohl" (DNZ vom 03.04.1992) Die Sympathie für totalitäre Problemlösungen wird auch anhand einer Äußerung des DVU-Fraktionsvorsitzenden Ingo STAWITZ deutlich, der anläßlich einer gemeinsamen Beratung einer Regierungserklärung - Bericht über die Verfolgung rechtsextremistischer Gewalttäter in SchleswigHolstein - erklärte: "Wir sind einfach der Meinung, daß für Kinderschänder und für feige, hinterhältige Mörder schon darüber diskutiert werden sollte, nicht aufgrund von Indizien, sondern aufgrund von klaren Beweisen, daß die Todesstrafe zur Anwendung kommen soll." Auch die bei allen rechtsextremistischen Organisationen typische Abquallfizierung des bestehenden Parteiensystems findet sich in den Redebeiträgen der DVU. Bezogen auf die zahlreichen, nach den Morden von Mölln initiierten Lichterketten, äußerte der DVU-Fraktionsvorsitzende : "Die DVU-Fraktion ... begrüßt Lichterketten, und zwar Lichterketten ... gegen jede Form von Haß und Gewalt. Wir selektieren nicht die Aktionen, sondern wir prangern jeden Mörder an. Extremisten befinden sich zu genüge auch in den Altparteien. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch. ... - 18 - Italienischer Faschismus und russischer Bolschewismus waren Produkte der Sozialdemokratie." Die DVU will den Bürgerinnen und Bürgern eine straff geordnete antipluralistische deutsche Volksgemeinschaft als Alternative zum bestehenden System bieten. Ingo STAWITZ erklärte hierzu ebenfalls am 17.12.1992 im Kieler Landtag, die Folgen der sogenannten pluralistischen Gesellschaft seien Bindungslosigkeit und Entwurzelung. Unter Hinweis auf die Barschel-Affäre sagte er: "Was hier an Korruptheit, an krimineller Energie offenbart wird, ist sichtbares Zeichen eines Zerfalls jener westlichen Wertegemeinschaft, die von den Altparteien als das einzig Seligmachende angepriesen wird." Hieraus wird deutlich, daß die DVU nicht eine Veränderung im System, sondern eine Veränderung des Systems anstrebt. In dieser Pluralismusfeindlichkeit, in der sich alle Rechtsextremisten einig sind, liegt ein Stück Gemeinsamkeit mit dem Nationalsozialismus. Im wesentlichen entspricht die Art und Weise der simplifizierenden DVU-Propaganda Grundmustern, die bereits Hitlers "Mein Kampf" zu entnehmen sind: "Das geistige Niveau auf den beschränktesten der Hörer" einzustellen und "möglichst ausschließlich auf das Fühlen der Masse Rücksicht zu nehmen", und "keinesfalls in dem Versuch, der Wahrheit zu dienen, auch nur einen Schimmer des Rechts auf der Seite des Gegners zuzugeben, sondern grundsätzlich einseitig und subjektiv ausschließlich die eigene Meinung zu verkünden und diese möglichst in wenigen Schlagworten ewig zu wiederholen". Nach der Einschätzung eines Kieler Historikers, über die in einer schleswigholsteinischen Tageszeitung berichtet wurde, erinnern die Methoden der DVU an die parlamentarische Vorgehens- - 19 - weise der NSDAP in den frühen 30er Jahren. Mit einer bisher nicht dagewesenen Antragsflut versucht die DVUFraktion, den Landtag lahmzulegen und als "Quasselbude" zu diffamieren. Der Inhalt der Initiativen ist beinahe immer gleich: "Deutschland den Deutschen, Asylbewerber raus". Als gezielte rechtsextremistische Agitation ist auch eine Kranzniederlegung der DVU in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme am 16.09.1992 zu werten. Die DWZ vom 25.09.1992 nutzte den Vorgang, um in gewohnter Weise zur Relativierung dertfaziverbrechenbeizutragen, indem zwar nicht ausdrücklich nationalsozialistisches Unrecht bestritten, aber in weitaus größerem Umfang auf "juristisch wie zeitgeschichtlich unbewältigte Holocaust-Verbrechen der Siegermächte" hingewiesen wurde. Der Artikel endet mit einer Aufforderung zur Abgabe sachdienlicher Hinweise zum "Nachkriegslager Neuengamme", in dem von 1945 bis 1948 "Abertausende Deutsche von der britischen Siegermacht" gefangengehalten wurden. Einer der bekanntesten Revisionisten und Leugner des Holocaust in den Konzentrationslagern, der britische Historiker David IRVING, ist seit vielen Jahren ständiger Gast und Redner auf den DVU-Treffen in Passau. FREY verlieh ihm 1982 den "Europäischen Freiheitspreis der Nationalzeitung" und 1985 den "Hans-Ulrich-Rudel-Preis" der DVU. " l 4.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Nicht nur bezogen auf die Mitgliederzahl, sondern auch auf die tatsächliche politische Bedeutung, hat die DVU die NPD inzwischen bei weitem überrundet. Die NPD war zwischen 1967 und 1971 mit 4 Abgeordneten im SchleswigHolsteinischen Landtag vertreten. Heute hat sie in Schleswig-Holstein nicht einmal mehr 200 Mitglieder. Der weitaus größte Teil hat das Rentenalter erreicht. - 20 - Bis auf wenige Ausnahmen - wie z. B. den Kreisverband Lauenburg, der vor allem in Mecklenburg-Vorpommern Werbung betreibt - gingen von den Kreisverbänden keinerlei Aktivitäten aus; sie verwalten sich nur noch selbst. Im September 1992 wurde aus den Kreisverbänden Steinburg, Dithmarschen und Pinneberg der NPD-Bezirksverband "Holstein-West" gegründet. Derartige organisatorische Maßnahmen hatte der Bundesvorstand für den Fall vorgeschlagen, daß die Mitgliederzahlen der einzelnen Kreisverbände auf ein nicht mehr arbeitsfähiges Maß absinken sollten. Aktivitäten hat aber auch dieser Bezirks verband bisher nicht entfaltet. Die NPD bekennt sich wie andere rechtsextremistische Parteien zwar vordergründig zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie stellt in ihrer Agitation jedoch immer wieder die wesentlichen Verfassungsprinzipien in Frage, indem sie unter Ablehnung der pluralistischen Gesellschaftsordnung einen völkischen Kollektivismus propagiert. Auch in der Agitation der NPD haben die Themen "Ausländer" und "Asylanten" absoluten Vorrang. Wegen der Kontakte eines der mutmaßlichen Möllner Attentäter zur NPD war die Partei in Schleswig-Holstein in die Schlagzeilen geraten. Zwar betönte sie ihre Distanzierung von ausländerfeindlichen Ausschreitungen; dennoch waren auch Funktionäre und Mitglieder der Partei selbst an Übergriffen beteiligt. So erging am 03.09.1992 gegen den Vorsitzenden des NPD-KreisVerbandes Hagenow (Mecklenburg-Vorpommern) ein Haftbefehl wegen Mordversuchs. Er ist dringend verdächtigt, an einem Angriff auf das Asylbewerberheim in Bahlen/Boizenburg am 31.07.1992 beteiligt gewesen zu sein. Der Verdächtige unterhält enge Verbindungen zu dem Vorsitzenden des Kreisverbandes Lauenburg, Heino FÖRSTER, der am 28.01.1993 ebenfalls verhaftet wurde. - 21 - Die finanzielle Situation der Partei hatte sich um die Jahreswende 1992/1993 dramatisch verschlechtert. Wegen fälliger Erstattungen von Wahlkampfkosten-Vorauszahlungen drohte dem Bundesvorstand die Pfändung aller Konten. 4.3 "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (Deutsche Liga) Im Oktober 1991 wurde die "Deutsche Allianz - Vereinigte Rechte" gegründet und bald darauf in "Deutsche Liga für Volk und Heimat" umbenannt. Auf dem Gründungskongreß wurden der frühere Generalsekretär der "Republikaner", der ehemalige stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende sowie der frühere Berliner Schatzmeister der "Republikaner" zu gleichberechtigten Bundesvorsitzenden gewählt. Die Deutsche Liga bemüht sich weitgehend erfolglos um enge Zusammenarbeit mit den anderen Parteien des rechten Lagers. Ihr Ziel, die Sammlungsbewegung aller nationalen Kräfte zu sein, hat sie erwartungsgemäß deutlich verfehlt. In erster Linie hat die Partei zu einer weiteren Zersplitterung der Rechten geführt. Durch die spektakulären Wahlerfolge von DVU und "Republikanern" geriet sie gänzlich ins Abseits. Der erhoffte Übertritt von NPD-Mitgliedern in die Deutsche Liga blieb ebenfalls aus. Allerdings verfügt, sie in Bremen durch den Übertritt des DVU-Abgeordneten Hans ALTERMANN über einen Parlamentssitz. In Schleswig-Holstein ist die Partei trotz der Existenz eines Landesverbandes faktisch bedeutungslos. Ein langfristiger Fortbestand dieser neuen Partei erscheint nur möglich, wenn andere rechtsextremistische Parteien einen Mitgliederschwund zugunsten der Deutschen Liga erleiden. Hierfür spricht nichts. - 22 - 4.4 "Die Republikaner" Die höchste Anziehungskraft im Lager der rechtsextremistischen und rechtsradikalen Parteien haben bundesweit derzeit die "Republikaner". Dieser Tatbestand wurde bei der hessischen Kommunalwahl deutlich unter Beweis gestellt: Überall dort, wo die Partei kandidierte, wurde sie auch in die Kommunalparlamente gewählt. Eine abschließende Klärung der Frage, ob die "Republikaner" entgegen ihrer verbalen Distanzierung vom Extremismus tatsächlich eine rechtsextremistische Bestrebung im Sinne der Verfassungsschutzgesetze oder lediglich eine rechtsradikale Partei mit populistischen Vorstellungen darstellen, zeichnet sich noch nicht ab. Die "Republikaner "-Landesverbände Hamburg und Nordrhein-Westfalen werden von den dortigen Verfassungsschutzbehörden seit Jahren beobachtet. Dort haben sich tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeihdliche Bestrebungen ergeben, die jedoch nicht in der Programmatik, sondern vielmehr auf örtlicher Ebene in Kontakten zu Vertretern anderer rechtsextremistischer Gruppierungen sowie in Publikationen feststellbar sind. Vor diesem Hintergrund hat der ; Bundesminister des Innern im Dezember 1992 entschieden, die "Republikaner" bundesweit durch den Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Nach dem vorausgegangenen Beschluß der Leiter der Verfassungsschutzbehörden bezweckt die Beobachtung, durch gezielte Informationsbeschaffung verfassungsfeindliche Bestrebungen bei den "Republikanern" zu verifizieren oder auszuschließen. Dabei soll über den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel von den Landesverfassungsschutzbehörden nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entschieden werden. - 23 - Entsprechend wird auch in Schleswig-Holstein verfahren. Die schleswig-holsteinische Verfassungsschutzbehörde sammelt derzeit alle öffentlich zugänglichen Informationen über den Landesverband, der etwa 500 Mitglieder hat. Gegen die Beobachtung der "Republikaner" mit nachrichtendienstlichen Mitteln gehen die Bundespartei sowie einige Landesverbände auf gerichtlichem Wege vor. Beim Bundesverfassungsgericht wurde eine Organklage gegen den Bundesminister des Innern eingereicht (Antrag auf Feststellung eines Verstoßes gegen Artikel 21 Grundgesetz). Bei den Verwaltungsgerichten der Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg sind Verfahren gegen den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel anhängig. In keinem dieser Verfahren ist bisher eine abschließende Entscheidung ergangen. 5 1992 - ein Jahr rechtsextremistischer Gewalt Bundesweit wurden im Berichtsjahr 2.285 Gewalttaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation vom Verfassungsschutz gezählt (1991: 1.483; 1990: 270). Gegenüber 1991 bedeutet dies eine Steigerung um 35 %. 2.033 dieser.Taten richteten sich gegen Ausländer, 16 Menschen - darunter 7 Ausländerinnen und Ausländer - wurden bei diesen Gewalttaten getötet (3 in Schleswig-Holstein). 35 % der Gewalttaten ereigneten sich in Ostund 65 % in Westdeutschland. Rechtsextremistisch motivierte Gewalt ist also keine Besonderheit der neuen Länder. Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein nehmen, bezogen auf die Einwohnerzahlen, hier Spitzenstellungen ein. - 24 - In Schleswig-Holstein wurden 147 entsprechende Taten gezählt. Darunter waren 29 Brandanschläge, 23 Körperverletzungen, 69 Sachbeschädigungen und 26 sonstige Aktionen (anonyme Anrufe, Bedrohungen usw.). Opfer der Anschläge waren Asylbewerberinnen bzw. Asylbewerber und andere Ausländerinnen und Ausländer, politische Gegner, aber auch Obdachlose. Die Entwicklung der Straftaten beweist in Schleswig-Holstein eindeutig den Nachahmungseffekt der Ereignisse von Rostock. In der ersten Jahreshälfte gab es lediglich 33 Anschläge gegenüber 114 im zweiten Halbjahr. Nach den Anschlägen von Mölln am 23.11.1992 nahm die Zahl der Anschläge zum Jahresende wieder ab. Herausragende Gewalttaten waren 1992 u. a.: 11.01. Witzhave 2 Personen schlugen auf einen Asylbewerber ein 05.02. Harrislee Brandanschlag auf ein indisch-pakistanisches Restaurant 13.03. St. Michaelisdonn Brandanschlag auf eine Barackenunterkunft für Asylbewerber 10.06. . Lübeck 2 türkische Staatsangehörige wurden von 3 Personen durch Faustschläge verletzt k und mit einem Messer bedroht - 25 - 23.07. Uetersen 1 zairischer Asylbewerber wurde von 3 Personen grundlos zusammengeschlagen 01.08. Trittau 1 jungen Frau wurden von unbekannten Skins Hakenkreuze in den Unterarm geritzt 05.09. Neustadt Brandanschlag auf ein von ausländischen Familien bewohntes Mehrfamilienhaus 23.10. Gülzow 3 Jugendliche gaben mehrere Schüsse auf ein Asylbewerberheim ab 23.11. Mölln Bei einem Brandan 4 schlag auf zwei von Türkinnen und Türken bewohnte Mehrfamilienhäuser wurden 1 Frau ' und 2 Kinder getötet 27.12. Reinbek Unbekannte besprühten 1 Asylbewerber mit Tränengas und zertrümmerten mit einer Eisenstange das Inventar des Wohncontainers r * Verläßliche Aussagen zu den Gewalttätern fallen nach wie vor schwer, da diese überwiegend unerkannt bleiben. - 26 - Von den 51 von der Polizei ermittelten Personen hatten 14 ein Alter bis 17 Jahre, 29 waren 18 bis 20 Jahre alt und 8 waren 21 Jahre und älter. Immerhin 9 Personen waren weiblich. * * - 27 - II. Linksextremismus 1 Überblick " Die Entwicklung des Linksextremismus im Lande war 1992 gekennzeichnet durch - eine zunehmende politische Bedeutungslosigkeit sowie einen Mitgliederrückgang bei sowohl orthodox-kommunistischen Organisationen als auch Gruppierungen der sogenannten Neuen Linken; - erhöhte Gewaltbereitschaft Autonomer Gruppen gegenüber staatlichen Organen und vor allem politischen Gegnern, insbesondere im Zusammenhang mit rechtsextremistisch motivierten, fremdenfeindlichen Ausschreitungen und der Asylproblematik; - von Teilen des linken Spektrums geführte Diskussionen über den von der "Rote Armee Fraktion" (RAF) verkündeten Gewaltverzicht und angekündigten politischen Neubeginn. Als besonders herausragendes Ereignis sind die im Laufe des Jahres 1992 von der RAF herausgegebenen Erklärungen zu werten, in denen sie ihren bisherigen bewaffneten Kampf als gescheitert ansieht und von sich aus eine Rücknahme ihrer "Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat" ankündigt. Wesentlich abhängig gemacht wird dieses Zurücknehmen von der vom Staat gelenkten Entwicklung in der sogenannten Gefangenenfrage der RAF-Inhaftierten. Mit dieser Erklärung gibt die RAF gleichzeitig ihren bisherigen elitären Anspruch auf und weist auf eine gemeinsam mit Teilen der extremisti- - 28 - sehen Linken angestrebte Neubestimmung revolutionärer Politik hin. Die Reaktionen sowohl der Inhaftierten als auch des ganz überwiegenden Teils der extremistischen Linken waren durchweg zustimmend, wenngleich auch unterschiedlich in der Akzentuierung. Entsprechende Beiträge fanden sich auch in hiesigen autonomen Publikationen wieder. Im Rahmen der von Autonomen belegten Aktionsfelder "Antifaschismus" und "Flüchtlingsunterstützung" war bei den von vornehmlich militanten Autonomen ausgehenden gewalttätigen Aktionen eine guantitative und qualitative Steigerung zu verzeichnen. Dies gilt ganz besonders im Zusammenhang mit den im Jahresverlauf zugenommenen fremdenfeindlichen Ausschreitungen. Gewalt, deklariert als "antifaschistische Selbsthilfe" gegenüber staatlichen Organen und insbesondere politischen Gegnern, wurde auch im Lande als notwendiges sowie legitimes Mittel gerechtfertigt und stark vermehrt gezielt eingesetzt. Bedingt durch den Zerfall des realen Kommunismus in Europa und seine Folgen setzte sich der Niedergang orthodox-kommunistischer Organisationen einschließlich Gruppierungen der sogenannten Neu'en Linken 1992 auch in Schleswig-Holstein fort. Einhergehend mit dieser Entwicklung wurden frühere Berührungsängste einzelner Gruppierungen dieses Spektrums abgebaut und vereinzelt gemeinsame politische Standpunkte gesucht. Erste übereinstimmende Ansätze unter Beteiligung der auch als Bündnispartner betrachteten PDS ergaben sich in Diskussionen um ein "antikapitalistisches Wahlbündnis" zur Kommunalwahl 1994 in Schleswig-Holstein. - 29 - 2 Situation der "Rote Armee Fraktion" (RAF) 2.1 Kommando-Ebene Der Mordanschlag auf den Treuhandchef Dr. ROHWEDDER am 01.04.1991 war die bisher letzte terroristische Gewalttat der RAF. Im Jahr 1992 veröffentlichte die RAF-Kommandoebene mehrere Erklärungen, in denen sie ihr bisheriges Guerilla-Konzept aufgibt. Die Erklärung vom 10.04.1992 enthält die wohl bedeutendste Entscheidung der RAF seit ihrem Bestehen. Selbstkritisch betrachtet sie die Geschichte ihres bewaffneten Kampfes als gescheitert und kündigt an, "von sich aus die Eskalation zurückzunehmen und Angriffe auf führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat vorerst einzustellen". Dieser Schritt sei erforderlich, um "Raum zu machen" für den "jetzt notwendigen Diskussionsprozeß" und für den "Aufbau einer Gegenmacht von unten". Vor dem Hintergrund der "völlig veränderten Situation im weltweiten Kräfteverhältnis, der Auflösung des sozialistischen Staatensystems und des Scheiterns der Kämpfe der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, müßten auch hier Anfänge einer ganz neuen Politik gefunden und umgesetzt werden". Die Guerilla könne in diesem Prozeß nicht im Mittelpunkt stehen. "Wesentlicher Bestandteil" der angestrebten Entwicklung sei der "Kampf für die Freiheit der politischen Gefangenen". Abschließend droht die RAF mit einer Erneuerung der Eskalation, wenn die staatliche Seite gegen den "Prozeß von Diskussionen und Aufbau" mit einer "Walze aus Repression und Vernichtung" vorgehen sollte. - 30 - In der nächsten Erklärung vom 29.06.1992 verdeutlicht die RAF ihr Eingeständnis, mit ihrer bisherigen Politik gescheitert zu sein. Zugleich rückt sie weiter von einer möglichen Eskalation ab, indem sie feststellt, "der jetzt notwendige gesellschaftliche Umwälzungsprozeß kann nicht mit bewaffneten Aktionen vorangebracht werden" . Ihren eigenen Rachevorbehalt aus der Erklärung vom 10.04.1992 relativiert sie dadurch, daß sie die Entscheidung darüber, was zu machen sei, falls "der Staat diesen Prozeß niedermache", zu einer Frage für das gesamte Widerstandsspektrum erklärt. Die Freiheit ihrer gefangenen "Genossinnen" fordert sie jetzt im Rahmen einer "politischen Lösung" in einem "absehbaren Zeitraum". Am 28.08.1992 veröffentlichte die Zeitschrift "konkret" als Sonderdruck eine vom "August 1992" datierte dritte Erklärung der RAF. Auf der Linie der vorangegangenen Erklärungen setzt sich die RAF in einem historischen Rückblick mit ihrer eigenen Vergangenheit auseinander und stellt ausführlich ihre derzeitigen Überlegungen und Zielvorstellungen dar. Dabei gesteht sie konzeptionelle Fehler ein, die letztlich zur Isolation im linken Widerstandsspektrum geführt hätten. Die RAF mache jetzt den "Schnitt für einen tiefgreifenden Diskussionsprozeß" und strebe zusammen mit anderen Teilen der extremistischen Linken eine Neuorientierung für den "Aufbau einer Gegenmacht von unten" an. In diesem Papier äußert sich die RAF konkret über ihre personelle Struktur. Sie sei "die ganzen 22 Jahre über immer eine relativ kleine Gruppe gewesen". Die z.Z. aktive Guerilla setze sich aus Personen zusammen, die zuvor in NATO-, Anti-AKW-, Startbahn-West-Bewegungen sowie in der Hausbesetzer-Szene, der Friedensbewegung und - 31 - der Unterstützer-Szene zum Hungerstreik 1981 aktiv gewesen und erst nach den Festnahmeaktionen 1984 zur RAF gestoßen seien. Zur Frage der Wiederaufnahme des "bewaffneten Kampfes" wird warnend festgestellt: "es muß der regierung, den wirtschaftseliten und den Staatsschützern aller fraktionen unmißverständlich klargemacht werden, daß die konseguenzen für diesen Staat, wenn er am ausmerzverhältnis festhält, bei. weitem das übersteigen werden, womit er konfrontiert gewesen wäre, wenn wir am 10.04. nicht diesen schritt in unserer geschichte gemacht hätten". Deutlich erklärt die RAF ihre Absicht, weiterhin als Guerilla bestehen und interventionsfähig bleiben zu wollen. 2.2 Inhaftierte der RAF/Freilassungsdiskussion In einer besonderen Erklärung vom 15.04.1992 nahm die in Lübeck einsitzende Irmgard MÖLLER stellvertretend für "alle Gefangenen aus RAF und Widerstand" zum RAF-Papier vom 10.04.1992 Stellung. Sie bewertete "die Entscheidung der Genossen draußen als richtig, weil sie dem entspricht , worauf auch die Gefangenen für den politischen Prozeß aus,sind". Im Anschluß hieran wurden 1992 auch zahlreiche Stellungnahmen von anderen Inhaftierten publiziert. Die kleinen Gruppen in Lübeck und Celle hatten sogar Gelegenheit, in Fernsehsendungen aus den Haftanstalten heraus ihre Positionen zum RAF-Papier, zur Haftsituation schlechthin und zur Frage einer vorzeitigen Entlassung bestimmter Inhaftierter darzustellen. - 32 - Eine bereits seit 1991 laufende Zusammenlegungskampagne trat Anfang des Jahres als "Freilassungsdiskussion" in ein neues Stadium, nachdem von staatlicher Seite öffentlich über Versöhnung und über Möglichkeiten der Strafaussetzung auf Bewährung für einige Inhaftierte diskutiert wurde ( "KINKEL-Initiative" ) .' Sie wurde regional und bundesweit von Demonstrationen und Aktionstagen, Presseerklärungen der Anwaltschaft der Inhaftierten, "Angehörigentreffen" sowie von Plakatund Flugblattaktionen begleitet-. Später konzentrierte sich die Freilassungsdiskussion vornehmlich auf den Fall "Bernd ROESSNER" und auf den Ausgang der anstehenden Anhörungsverfahren zu den übrigen Inhaftierten des gemeinsamen terroristischen Anschlages im April 1975 auf die Deutsche Botschaft in Stockholm (Karl-Heinz DELLWO, Lutz TAUFER, Hanna KRABBE). Im Fall ROESSNER hat die Bundesministerin der Justiz inzwischen mit Wirkung vom 17.11.1992 eine Unterbrechung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe für 18 Monate im Gnadenwege entschieden. Während des Strafausstandes hat sich ROESSNER einer Therapie und Rehabilitation zu unterziehen. Ende Oktober veröffentlichte der in der JVA Celle einsitzende Karl-Heinz DELLWO eine Stellungnahme zum Stand der "KINKEL-Initiative" und zu den anstehenden Anhörungsverfahren zur Strafaussetzung nach SSSS 57, 57a StGB. Darin bezeichnete er die Entscheidung der RAF-Kommandoebene vom April, den bewaffneten Kampf "auszusetzen", als "überfällig" und bekräftigte diesen Gewaltverzicht mit der eindeutigen Feststellung, daß keiner der Gefangenen nach seiner Freilassung zum bewaffneten Kampf zurückkehren werde. Ebenso deutlich erklärte er, daß die Gefangenen jedoch auch nicht bereit seien, "sich mit diesen Gesellschaftsverhältnissen zu versöh- - 33 - nen". Der Kampf^gegen die "kapitalistischen Verhältnisse" und für deren "fundamentale Umwälzung" werde auf anderer Ebene weitergeführt. 3 RAF-Anschlag vom 27. März 1993 auf die JVA WeiterStadt Mit dem am 27.03.1993 verübten Sprengstoffanschlag auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt/Hessen hat die RAF spektakulär und für die gesamte linksextremistische Szene nachvollziehbar ihre vorhandene Aktionsfähigkeit und Aktionswilligkeit dokumentiert sowie gleichzeitig ihre von weiten Teilen des militanten linksextremistischen Spektrums erwartete revolutionäre "Führungsrolle" angemeldet. Folgerichtig wurde der Anschlag in der gesamten linksextremistischen Szene positiv, teilweise euphorisch aufgenommen . In den ausführlichen Taterklärungen zum Anschlag bekräftigt die RAF, daß sie zwar weiterhin an der im Frühjahr 1992 verkündeten Zäsur in ihrer Geschichte festhalte, für sie gleichzeitig aber auch die Entwicklung neuer Vorstellungen einer revolutionären Politik und des Aufbaus einer "sozialen gegenmacht von unten" Priorität habe. Dem Staat wird vorgeworfen, er habe trotz Rücknahme der Eskalation durch die RAF die Verfolgung fortschrittlicher Menschen und politischer Gegner des Systems verschärft, so durch Kriminalisierung antifaschistischer Aktivitäten, durch rassistische Ausländerund Asylgesetze, durch Sozialabbau und steigende Wohnungsnot sowie den Aufbau Deutschlands als Militärmacht. Ebenso habe sich der Staat in der Gefangenenfrage erneut für die Eskalation entschieden. - 34 - Mit dem Anschlag vom 27.03.1993 hat die RAF einmal mehr verdeutlicht, daß sie auch zukünftig nicht bereit sein wird, auf Gewaltanschläge zu verzichten. Bestimmend hierfür wird die von der RAF getroffene Bewertung der staatlichen Haltung zu den von ihr aufgezeigten sozialen Problemfeldern sowie der Gefangenenfrage sein. 4 RAF-Umfeld 4.1 Überregional Das RAF-Umfeld zeigte sich nach wie vor in einem völlig desolaten Zustand, ohne Orientierung und ohne richtungsweisende Konzeptionen. Die im Laufe des Jahres 1992 veröffentlichten RAF-Erklärungen wurden nur zögernd und sehr unterschiedlich, in der Machart jedoch positiv bewertet. Zustimmung fanden die "Zurücknahme des bewaffneten Kampfes" und insbesondere die angestrebte "Neubestimmung revolutionärer Politik" durch den "Aufbau einer Gegenmacht von unten". Ein wachsender Dissens zeichnete sich in der Bestimmung der dazu notwendigen Entwicklungsprozesse ab. Die Diskussion konzentrierte sich größtenteils auf den Verlauf der "KINKEL-Initiative". Gradmesser war dabei die Entwicklung der "Freilassungskampagne". In einschlägigen Szene-Schriften wurde deutlich zum Ausdruck gebracht, daß Anfang des Jahres 1992 alles hoffnungsvoll begonnen hätte, während die Initiative jetzt zum Stillstand gekommen bzw. als weitgehend gescheitert zu betrachten sei. Niemand spreche mehr von einer "politischen Lösung für alle Gefangenen". Deshalb sei es im "Fall ROESSNER" auch nur zu einer "offenen Entscheidung" gekommen. - 35 - 4.2 Schleswig-Holstein Klar abzugrenzende organisatorische und personelle Strukturen eines RAF-Umfeldes sind in Schleswig-Holstein nicht erkennbar. Einzelpersonen und kleine Zirkel, die sich ideologisch und konzeptionell den Zielen der RAF zuwenden, gehen in anlaßorientierten örtlichen Prozeßund Zusammenlegungsgruppen oder im Spektrum der militanten Autonomen im Lande auf. Dieses Potential befaßte sich nur sekundär mit der Thematik "RAF und Freilassungsinitiative". Im Vordergrund standen die unter dem Begriff "Antifaschismusarbeit" zusammengefaßten Themen "Asylund Ausländerproblematik" sowie "Rassismus und Fremdenfeindlichkeit". Veranstaltungen in Kiel und Lübeck anläßlich des "Internationalen Tages der politischen Gefangenen" (17.04.1992) verliefen friedlich. In der Juni-Ausgabe der In Schleswig-Holstein herausgegebenen und Ende des Jahres vorübergehend eingestellten Autonomen-Schrift "Land unter" wurde zur neuen politischen Linie der RAF und zur Zurücknahme des bewaffneten Kampfes Stellung genommen. In einem unter Pseudonym verfaßten Artikel wurde zwar dem Widerstand nicht abgeschworen, jedoch eindeutig dazu aufgerufen, z.Z. auf terroristische Gewalttaten zu verzichten. Wörtlich heißt es: t "Kaum eine Entscheidung innerhalb der radikalen Linken in den letzten Jahren war meiner Meinung nach so sinnvoll und richtig wie die der RAF, den bewaffneten Liquidierungskurs einzustellen (vielleicht darf das jetzt auch mal gesagt werden). - 36 - Auch wenn nicht eindeutig ist, ob es sich um eine grundsätzliche Entscheidung handelt oder ob es eine Entscheidung taktischer Natur ist". Der "Widerstand" sei im Moment ziemlich schwach, wie die RAF ja aus eigener Erfahrung wisse. Weiter heißt es wörtlich: "Trotzdem: Laßt die Knarren erstmal in Depots liegen, denn mehr als die berühmte klammheimliche Freude kommt bei den Aktionen, die ihr in letzter Zeit gemacht habt, sowieso nicht rüber!" Die Entlassung von Gabriele ROLLNIK im September aus der JVA Lübeck nach Verbüßung einer 15jährigen Freiheitsstrafe fand in der hiesigen Szene kaum Beachtung. Während einer von der "Roten Hilfe Kiel" initiierten öffentlichen Veranstaltung im Oktober in Kiel wurde die "Situation der politischen Gefangenen" diskutiert. In einem Veranstaltungshinweis im "Angehörigen-Info" wird hierzu erwähnt: "Wir wollen mit möglichst vielen Menschen und Gruppen aus Schleswig-Holstein überlegen, welche Aktivitäten von uns aus möglich sind, um eine politische Lösung für die Gefangenen zu unterstützen. Uns schwebt dabei u.a. - neben einer Veranstaltungsreihe - eine einmalige Zeitung vor, die wir gemeinsam, herausgeben könnten (ähnlich des Blattes, das 1989 zum Hungerstreik der politischen Gefangenen erschien) , indem über Haftbedingungen, Sondergesetze, Einzelfälle und die Geschichte der RAFProzesse und das Zustandekommen der Urteile aufgeklärt wird". Anmerkung : Die "Rote Hilfe" sieht ihre Aktionsschwerpunkte in der "Gefangenenbetreuung" und in der "Prozeßhilfe für politisch Verfolgte". - 37 - 5 Autonom-anarchistische Gruppen 5.1 Selbstverständnis und Aktionsinhalte Autonome verfügen über kein einheitliches, als verbindlich anerkanntes Weltbild, sondern folgen in ihrem oftmals von spontanem Aktionismus geprägtem Handeln verschwommenen anarchistischen und anarcho-kommunistischen Vorstellungen. Aus ihrem Selbstverständnis heraus lehnen sie formelle Organisationen mit festen hierarchischen Strukturen grundsätzlich ab. Sie schließen sich vielmehr in losen, regionalen Kleingruppen zusammen. Zu überregionalen "Großveranstaltungen" sind sie jedoch kurzfristig mobilisierbar, wie die am 29.08.1992 in Rostock erfolgte bundesweite antirassistische Großdemonstration erneut gezeigt hat. Insbesondere über das zunehmend von ihnen belegte Aktionsfeld "Antifaschismus" sehen Autonome einen breiten Mobilisierungsansatz für ihre "Politik" sowie die Möglichkeit, ihre Strukturen zu festigen und ihren subversiven Zielen näherzukommen. Schwerpunkte ihrer den Kampf gegen Imperialismus, Patriarchat und Kapitalismus umfassenden "Antifa"-Arbeit sind derzeit vornehmlich die Themen "Rassismus/Asylproblematik/Flüchtlingskampf" und damit verbunden der Kampf gegen Nazi-Strukturen und deren "Hintermänner". In ihrem Haß auf Staat und Gesellschaft sehen Autonome die Anwendung von Gewalt als durchaus legitimes Mittel an: - 38 - "Gewalt geht vom Staat aus, der ein einziger Gewaltapparat ist. Egal, ob es direkte Gewalt ist durch Bullen oder Militär ..., Gewalt durch die Ämter, durch die Schule, durch den Arbeitsplatz, den Chef, durch die Familie ..., du brauchst Gewalt, um dich dagegen zu wehren, um etwas ändern zu können. Gewalt ist das einzige Mittel, mit dem du etwas erreichen kannst." (Interview mit einem Berliner Autonomen, in "Junge Welt" vom 07.01.1992) Die Zahl der militanten Autonomen im gesamten Bundesgebiet dürfte bei etwa 4.000 Personen liegen. 5.2 Antifaschistische Militanz Nach den vermehrten Ausschreitungen gegen Asylsuchende und andere Ausländerinnen und Ausländer sowie den Erfolgen rechtsextremer Parteien bei Wahlen hat das Aktionsfeld "Antifaschismus" bei den Autonomen einen herausgehobenen Stellenwert erlangt. Neben einer Zunahme von Sprengstoffund Brandanschlägen sowie Sachbeschädigungen gegen Einrichtungen der nach Auffassung der Autonomen für diese Entwicklung verantwortlichen staatlichen Stellen und Einrichtungen der politischen Parteien sind verstärkt auch tätliche Angriffe gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten zu verzeichnen. Die Zahl dieser als "antifaschistische Selbsthilfe" verbrämten Gewaltaktionen hat sich 1992 gegenüber dem Vorjahr bundesweit mehr als verdoppelt. Nach einer vorläufigen Statistik des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) wurden 1992 insgesamt 367 militante Aktionen von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten erfaßt (Vergleichszeitraum des Vorjahres: 132), darunter ein Tötungsdelikt, 111 Fälle mit - zum Teil schweren - Körperverletzungen - 39 - sowie 52 Brandund Sprengstoffanschlage. Bei "antifaschistischen" Gewaltaktionen wurden - soweit bekannt - etwa 140 Polizeibeamtinnen und -beamte verletzt. Etwa 90 % der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund sind den Autonomen zuzurechnen. Nicht nur die Häufigkeit "antifaschistischer" Angriffe, vielmehr auch deren Brutalität - vorbereitet durch scharfmacherische Aufrufe - ist in der zweiten Jahreshälfte 1992 gewachsen, wobei die Hemmschwelle vor gezielten lebensbedrohlichen Angriffen rapide gesunken ist. Diese Entwicklung ist auch ein Ergebnis der zunehmend in den Publikationen der Autonomen zu beobachtenden Veröffentlichungen mit Hinweisen auf die Notwendigkeit und Wirksamkeit eines "antifaschistischen Selbstschutzes". So halten die unbekannten Verfasserinnen und Verfasser der Februar-Ausgabe der bundesweit verbreiteten Untergrundschrift "radikal" ein "militärisches Vorgehen gegen die Nazistrukturen für notwendig". Wirksame Mittel hierfür seien "kontinuierlich arbeitende Kleingruppen, die mit Mitteln der Propaganda und des militanten Angriffs die Strukturen der Nazis direkt angehen'/. In die gleiche Richtung zielen Artikel in dem überregional verbreiteten, auch in Schleswig-Holstein vertriebenen Berliner Autonomen-Blatt "INTERIM". Vorläufiger Höhepunkt der Aktionen im Rahmen des "antifaschistischen Selbstschutzes" war die Ermordung des Funktionärs der rechtsextremistischen "Deutschen Liga für Volk und Heimat", Gerhard KAINDL, am 04.04.1992 in Berlin durch unbekannte Personen. Der Name sowie die Privatund Firmenadresse des Getöteten waren zuvor in "INTERIM" veröffentlicht worden. Auf die Tat eingehend, - 40 - veröffentlichte "INTERIM" (Nr. 189 vom 16.04.1992) einige "Gedanken zum Tod eines Faschisten". Wörtlich heißt es: "Zum ersten Mal ist nun ein Nazi durch eine selbstbestimmte antifaschistische Aktion um's Leben gekommen, ein Risiko, das jeder militante Angriff auf faschistische Personen in sich birgt. Nach wie vor finden wir es richtig und unverzichtbar, Faschisten anzugreifen, wo es nur geht. Unserem Verständnis nach sind aktive Angriffe auf Nazis als Personen sowie auf ihre Strukturen Bestandteil eines militanten Antifaschismus. WIR LASSEN UNS HINSICHTLICH UNSERER MITTEL UND AKTIONSFORMEN DES ANTIFASCHISTISCHEN WIDERSTANDS NICHT SPALTEN!!!!!!!! Unter antifaschistischem Selbstschutz verstehen wir nicht, erst dann an Gegenwehr zu denken, wenn wir selbst direkt von einem Angriff bedroht oder betroffen sind, sondern wir wollen den Faschisten immer aktiv etwas entgegensetzen, wenn es uns möglich ist. Wir wollen ihre Strukturen und ihre Logistik (zer-)stören, ihre Treffpunkte angreifen, sie nicht in Ruhe ihre Organisierung aufbauen lassen, ihren gesellschaftlichen Einfluß zurückdrängen. Antifaschistischer Selbstschutz ist, wenn wir sie daran hindern, ihre Projekte aufzubauen und durchzuziehen, wenn wir sie nirgends in Ruhe lassen. Daß in einer direkten Konfrohtation die Möglichkeit der Tötung eines Faschisten liegt, finden wir ein tragbares Risiko". Die im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" erhobene und immer wieder - auch in Schleswig-Holstein - propagierte Parole: "Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft!" wurde ergänzt durch Aufrufe wie: "Trefft die Faschisten, wenn ihr sie schlagt!" oder noch brutaler: "Schlagt die Glatzen bis sie platzen!" Neben den Angriffen auf Neonazis waren zunehmend Einrichtungen der "Deutschen Volksunion" (DVU) und der "Republikaner" sowie Privateigentum von Repräsentanten dieser Parteien Ziele von Brandanschlägen und anderen Sachbeschädigungen. So deponierten Unbekannte im August - 41 - 1992 an einem Büro der DVU in, Bremerhaven einen Sprengkörper, der jedoch rechtzeitig entschärft werden konnte. Der Tat bezichtigte sich ein "Autonomes Antifa-Kommando" mit dem Hinweis, die DVU sei "mitverantwortlich an den Übergriffen auf Menschen anderer Nationalitäten und deren Häuser (siehe Hoyerswerda oder jetzt Rostock)". Eine Zunahme der gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Sachbeschädigungen und Körperverletzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten ist auch in Schleswig-Holstein zu verzeichnen. Bei im zweiten Halbjahr 1992 durchgeführten Demonstrationen und Gegenaktionen in Mölln und Itzehoe sowie in Rendsburg kam es jeweils zu entsprechenden Konfrontationen mit Körperverletzungen. Im Rahmen ihrer besonders gegen die DVU im Landtag gerichteten "Antifaschismus-Arbeit" hielten es Autonome für notwendig, I "... zu diskutieren, ob es besonders wichtig ist, die DVU und ihre Funktionärinnen in SH anzugreifen. In Bremen gibt es ja Beispiele, wo es durch antifaschistische Intervention gelang, DVU-Mandatsträgerlnnen zum Rücktritt zu 'bewegen'." ("Land unter" Nr. 7 vom Juni 1992) So wurde 'ein Anfang November von einer Kieler Schule zu einer Podiumsdiskussion eingeladener DVU-Vertreter durch anwesende Autonome nachhaltig daran gehindert, das Schulgelände zu betreten. Darüber hinaus gab es im August einen von einer "Revolutionären Frisqhzelle" durchgeführten "Angriff auf den faschistischen Treffpunkt 'Tannenhof' in Lentföhrden, bei dem es zu Sachbeschädigungen kam" ("Land unter" Nr. 8 vom Oktober 1992). - 42 - Mit eskalierenden tätlichen Auseinandersetzungen ist insbesondere nach den von Rechtsextremisten in Mölln verübten Brandanschlägen auch zukünftig zu rechnen. Ziele entsprechend zu erwartender Gewalttätigkeiten könnten nicht nur erkannte oder vermeintliche "Faschisten (strukturen ) " sein, sondern vielmehr auch Repräsentanten und Einrichtungen der politischen Parteien und Staatsorgane. Sie sind auch nach Auffassung hiesiger Autonomer maßgeblich für die wachsende Ausländerfeindlichkeit und deren Auswüchse in der Bevölkerung verantwortlich, damit selbst faschistisch und also Ziel der "Antifa"-Arbeit. Im August an den "Landesgeschäftsstellen der CDU und SPD in Kiel (vorgenommene) 'Entglasungsaktionen1" ("Land unter" Nr. 8) belegen diese Einschätzung. Richtungsweisend für die Zukunft heißt es in einem von der "Antifa Rendsburg" veröffentlichten "Diskussionspapier": " "Der weitaus gefährlichere Feind, nämlich diejenigen, die hinter den Handlangern der Faschisten stehen, werden 'fast völlig' außer acht gelassen. Nicht nur der offene rassistische Terror ist zu bekämpfen, sondern auch und gerade die reaktionäre rechte Entwicklung beim Rest der hiesigen Parteienlandschaft und Gesellschaft - damit sind auch die SPD und die GRÜNEN gemeint." ("Land unter" Nr. 8) Auch die gesteigerte Intensität dieses "Kampfes" sowie die Begründung hierfür werden in dem gleichen Artikel beschrieben: "Daß 'wir' härter geworden sind, hat sicher seine Begründung in den tagtäglichen Auseinandersetzungen mit dem erstarkenden Faschismus und Rassismus. Es ist klar, daß uns ein großer Teil des praktischen militanten Kampfes von außen aufgedrückt wird." - 43 - Die bundesweit eskalierenden und von den autonomen Gruppierungen teilweise nicht mehr "kontrollierbaren" Gewalttätigkeiten führten zum Jahresende vereinzelt zu selbstkritischen Betrachtungen einzelner Szene-Angehöriger. So erklärte ein Berliner Autonomer: ft "Es kann nicht angehen, daß mit der erforderlichen Militanz im antifaschistischen Kampf Verhaltensweisen gerechtfertigt werden, die in unseren Zusammenhängen nichts zu suchen haben und dem Ziel (?) unserer Politik völlig widersprechen. ... Nötigenfalls (müßten) auch Leute *rausgedrückt werden', die z. B. nicht darauf verzichten können, sich bei diesen Aktionen Alk(ohol) reinzuschütten." (Berliner Szene-Schrift "INTERIM" Nr. 217 vom 26.11.1992) Im gleichen Sinne äußerten sich auch die Verfasserinnen und Verfasser des Rendsburger "Diskussionspapiers": "Der antifaschistische Kampf darf sich nicht zum Selbstzweck entwickeln, sondern muß politisch nachvollziehbar und vermittelbar sein." ("Land unter" Nr. 8) 5.3 Aktivitäten in Schleswig-Holstein Den autonom-anarchistischen Gruppen im Lande können gegenwärtig etwa 230 Personen, davon ca. 70 als gewaltbereit erkannt, zugerechnet werden. Regionale Schwerpunkte ihrer Aktivitäten sind vornehmlich Kiel, Lübeck, Rendsburg und Neumünster sowie das Hamburger Randgebiet. Neben anlaßbezogenen regionalen Aktivitäten nahmen hiesige Autonome 1992 mehrfach an bundesweiten "Großaktionen" teil. Besonders zu nennen sind hierbei die Proteste gegen den Münchener Weltwirtschaftsgipfel vom 06. - 44 - bis 08.07.1992 sowie die aktive Vorbereitung und Beteiligung an einer bundesweiten Mobilisierungskampagne unter dem Motto "Wunsiedel '92 - Wie verhindern wir den Fascho-Aufmarsch?" anläßlich des 5. Todestages von Rudolf HEß am 17.08.1992. Im Rahmen ihrer Aktivitäten und "Maßnahmen zur Landtagswähl 1992" sahen es die Autonomen als vordringlichstes Ziel an, "die Kandidatur sowie den Wahlkampf der DVU und Republikaner zu verhindern und jeglicher Propaganda und Zusammenrottung der Faschisten entschlossen entgegenzutreten, d. h. sie nicht zulassen!" ("Land unter" Nr. 5 vom Dezember 1991). Durch einschlägige Publikationen forderten Autonome wiederholt landesweit, die Veranstaltungen und Infostände der "herrschenden Parteien" aufzusuchen. In geeigneten Aktionen sollte hier insbesondere eine Thematisierung der "inhumanen Asylpolitik der Landesregierung" mit dem Erfordernnis "des persönlich 'Zur-Rede-Stellens' von verantwortlichen Ministern" vorgenommen werden. Erfolglose Versuche dieser Art begannen am 25.01.1992 in Neumünster auf einer SPD-Wahlveranstaltung durch etwa 30 dem autonomen Spektrum zuzurechnende Personen und setzten sich resonanzlos auf weiteren Wahlveranstaltungen in der Folgezeit fort. Ebenso erfolglos versuchten Autonome am 01.04.1992 in Lübeck eine mit Bundeskanzler -KOHL durchgeführte CDU-Veranstaltung, zu der die gesamte autonome Szene des Landes mobilisiert hatte, zu stören. i In ersten Reaktionen nach der Wahl erklärte die Anhängerschaft antifaschistischer Gruppierungen, das Wahlergebnis der DVU sei für sie "niederschmetternd". Man müsse diskutieren, ob das Engagement gegen die "Faschisten" ausreichend gewesen sei. - 45 - Innerhalb der autonomen Gruppen des Landes war man einhellig der Auffassung, zukünftig mehr öffentlichkeitswirksame, auf breiter politischer Basis stehende, landesweite Aktionen durchzuführen. Für den Wahlabend hatten Autonome zu einer Kundgebung vor dem Landeshaus aufgerufen. Dort, wie auch in der Kieler Innenstadt, kam es zu von Autonomen ausgelösten gewalttätigen Ausschreitungen. Im Rahmen ihres Aktionsschwerpunktes "Flüchtlingskampf" setzten vorwiegend aus Schleswig-Holstein stammende Autonome in den ersten Monaten des Jahres 1992 ihre "Unterstützertätigkeit" der sich seinerzeit in der Norderstedter Schalom-Kirche aufhaltenden Asylsuchenden fort. Durch starke Beeinflussung des autonomen Unterstützerkreises traten am 08.02.1992 mehrere Norderstedter Asylsuchende in einen öffentlichkeitswirksam inszenierten, bis zum 17.02.1992 andauernden Hungerstreik, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Begleitet wurde dieser Hungerstreik durch von Autonomen ausgelöste, landesweite Protestaktionen, zu denen auch Besetzungen und Sachbeschädigungen der SPD-Parteibüros in Kiel, Neumünster und Rendsburg gehörten. Nachdem die letzten Asylsuchenden die Kirche in Norderstedt am 18.02.1992 verlassen hatten, richtete der autonome Unterstützerkreis dort erhebliche Verwüstungen an. Er rechtfertigte dies als "verdiente Quittung von uns Autonomen für die ständigen Erniedrigungen, Demütigungen und Schikanen der Kirche" und als "Ausdruck unserer Wut, die 'raus mußte, um die Zeit in der Kirche erträglicher zu machen" ("Land unter" Nr. 6 v'om März 1992). Im Zusammenhang mit den in der zweiten Jahreshälfte 1992 zugenommenen ausländerfeindlichen Ausschreitungen solidarisierten sich hiesige Autonome wiederholt mit den in Oelixdorf aufhältlichen Asylsuchenden. Besonders - 46 - deutlich wurde dies im Zusammenhang mit den Rostocker Ereignissen am 28.08.1992 in Oelixdorf "demonstriert". Zur Situation dort erklärte ein Autonomer "nach einem Besuch in Oelixdorf": "Sowohl die Bullen als auch die Angestellten, die am Tor stehen, gehen mit den Flüchtlingen auf so ekelhafte, menschenverachtende Art um, daß es mir fast die Sprache verschlug. Diese Unmenschlichkeit ... ist so widerlich und schokkierend, daß die einzigen Gedanken dazu noch Phantasien waren, wie mensch dem Leben und Treiben dieser rassistischen Schweine ein Ende setzen kann." ("Antifaschistische Zeitung" Nr. 16 vom September/Oktober 1992) Im Zusammenhang mit ihrem Aktionsschwerpunkt "Antirassismus/Flüchtlingskampf" stellen Autonome immer wieder auch die Verantwortlichkeit der politischen Parteien und ihrer Repräsentanten für die gewachsene Ausländerfeindlichkeit und deren Auswüchse heraus: "Vorreiter dieser Kampagne war vor allem die CDU/CSU mit dem berüchtigten RÜHE-Papier. ... Die SPD (ist) selbst in die "Hetzkampagne eingestiegen." ("Antifaschistische Zeitung" Nr. 16) Für die "rassistische Politik der Landesregierung" wird neben dem Ministerpräsidenten -" ... ENGHOLM mit Kehrt- l wende in der Frage des SS 16" ("Land unter" Nr. 8 vom Oktober 1992) - vor allem der Sozialminister als "Scharfmacher" ("Antifaschistische Zeitung" Nr. 17 vom Dezember 1992 sowie autonome "Dokumentation 18 Wochen Flüchtlingskampf" vom Januar 1992) verantwortlich gemacht, der mit seinem angeordneten "sog. Zählappell erste rassistische Schwerpunkte gesetzt hat". ("AVANTI" Nr. 5 vom Juli 1992) - 47 - Der von den Autpnomen propagierte "Kampf dem Faschismus im Lande" nach dem Motto "Ziel muß weiterhin sein, die Politik, die Propaganda und die Faschos selbst anzugreifen" ("Land unter" Nr. 6) vollzog sich - abgesehen vom tätlichen Angriff Autonomer gegen einen DVU-Abgeordneten am 09.11.1992 in Kiel - bisher im wesentlichen nur publizistisch in den Szene-Schriften und -Veröffentlichungen. 5.4 "Antifa-Publikationen" Zur überregionalen Kommunikation innerhalb der Autonomenszene sowie ihrer Mobilisierung tragen neben vor allem örtlichen Infoläden und Plena der Autonomen vorwiegend - zum Teil konspirativ verbreitete - Szeneblätter bei. Über sie tauschen militante Linksextremisten auch konspirative und subversive Erfahrungen ihrer Aktionen aus. Insgesamt erscheinen bundesweit etwa 30 Blätter dieser Art. Zu den mit "Ausstrahlung" auf Schleswig-Holstein bedeutsamen, länderübergreifenden Publikationen zählen die Berliner Autonomen-Wochenschrift "INTERIM" sowie die Untergrundschrift "radikal", die unter"wechselnden ausländischen Kontaktadressen unregelmäßig verbreitet wird. Über ihre Bedeutung als "szeneeigene Kulturplattform" hinaus vertreiben diese größtenteils periodisch erscheinenden Blätter allgemeine, vorwiegend autonom bezogene Szeneinformationen. Darüber hinaus werden auch konkrete Bauund Handlungsanleitungen für Sabotageakte (so "radikal" Nr. 145 vom Febr. 1992) sowie Aufrufe zu militanten Aktionen und anschlagsrelevante Ziele wie beispiels- - 48 - i weise Adressen, Namen, Firmen ("radikal" Nr. 145) veröffentlicht. Für die hiesige Autonomenszene sind neben den genannten Publikationen und regionalen, anlaßorientierten Flugblättern die in Schleswig-Holstein herausgegebenen und zum Teil in ganz Norddeutschland verbreiteten Autonomenblätter "Land unter", "Antifaschistische Zeitung Kiel" (ATZE) und "AVANTI" von überregionaler, szenerelevanter Bedeutung. Das Herausgeberkollektiv der erstmals im Dezember 1990 erschienenen, dann durch Direktversand bzw. über autonome Infoläden in ganz Norddeutschland verbreiteten, im Dezember 1992 aber vorübergehend eingestellten Szeneschrift "Land unter" bezeichneten ihr Blatt als "radikale und autonome Zeitung", deren "Struktur verdeckt blei- I ben muß" (Ausgabe 1 vom Dezember 1990). Zum Selbstverständnis und den Zielen dieses Blattes heißt es weiter: "Wir wollen also versuchen, den gesamten Stand der Scene darzustellen ... es soll mit 'Land unter' ein Forum geben, in dem einem großen Teil der linken Szene die Infos authentisch zugänglich gemacht werden, um sehen zu können, was sich entwickelt, was für Perspektiven und Ansätze es gibt". Als landesweites "Informationsorgan der autonomen antifaschistischen Szene" verstehen auch jene die "Antifaschistische Zeitung Kiel" herausgebendenden "Antifaschistinnen und Antifaschisten aus verschiedenen Spektren" ihre periodisch erscheinende Schrift. Nach eigenem Selbstverständnis wollen sie "versuchen, die Diskussion innerhalb der gesamten antifaschistischen Bewegung darzustellen und weiter zu entwickeln und über Diskussionen und Entwicklungen innerhalb der faschistischen Bewegung und Parteien sowie der 'Braunzone' zwi- - 49 - sehen Faschisten und bürgerlichen Parteien zu informieren". (ATZE Nr. 16 vom September/Oktober 1992). Diesen Zielvorstellungen folgend veröffentlichten diese Blätter neben szenerelevanten Diskussionspapieren auch Selbstbezichtigungserklärungen zu im hiesigen Bereich erfolgten "Antifa-Aktionen", wie beispielsweise den Anschlägen auf SPDund CDU-Parteibüros in Neumünster und Kiel ("Land unter" Nr. 6 und 8) sowie theoretische Handlungsanleitungen für aktive "Antifapolitik". Einen Schwerpunkt in den jüngsten Veröffentlichungen bildet der Bereich "autonomer Antifaschismuskampf" einschließlich der hiermit verbundenen Notwendigkeit, "antifaschistische Selbsthilfe" zu organisieren. In diesem Sinne wird bundesweit von militanten Autonomen gefordert, "als ersten Schritt Bilder und Adressen von Faschisten in Szeneschriften zu veröffentlichen, damit diese erkennbar, beobachtbar und angreifbar" würden. Hierzu heißt es in der Szeneschrift ^'radikal" (Nr. 145 vom Februar 1992): "Durch die verdeckte Herstellung und Verbreitung der radikal haben wir den Vorteil, offensiv zu militanten Aktionen aufzurufen und 'anschlagsrelevante Ziele' (Adressen, Namen, Firmen etc.) veröffentlichen.zu können. Wir finden das prinzipiell wichtig und gut und haben dieses Mal z. B. aus einer Reihe von Zeitungen Namen und Infos von/über 'Rechte' zusammengestellt, die für Aktionen benutzt werden können." Auch die Herausgeberkollektive der< hiesigen Autonomenblätter kommen dieser Aufforderung nach. So veröffentlichte die ATZE in ihrer August-Ausgabe die Namen und Adressen aller DVU-Kandidatinnen und -Kandidaten zur Landtagswahl und druckte in weiteren Ausgaben mehrere - 50 - Namen mit Fotos von "Neofaschisten" sowie deren "Verbindungen und Aktivitäten" ab. In verschiedenen Ausgaben von "Land unter" (insbesondere Nr. 6 vom März 1992) sind ebenfalls Namensund Adressenlisten von "Faschisten" abgedruckt, teilweise verbunden mit der unverhohlenen Aufforderung zum "Pengpuffkawum" und dem Wunsch, "viel Erfolg, Spaß und gutes Wegkommen!!!" (Ausgabe Nr. 6). Auch der "Erfolg" derartiger Aktionen mit Sachbeschädigungen von Parteibüros sowie Privateigentum politischer Gegner wird, wie der am 25.08.1992 erfolgte Anschlag auf die Gaststätte "Tannenhof" in Lentföhrden zeigt, mit entsprechender Selbstbezichtigung und Erklärung publiziert ("Land unter" Nr. 8 vom Oktober 1992). Solche Schriften werden auch zukünftig für die hiesige Autonomenszene neben ihrer Stellung als "Diskussionsplattform" einen überregional verbindenden Informationsund Selbstdarstellungscharakter haben. 6 Dogmatischer Linksextremismus 6.1 Einzelne Organisationen Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verfügte eigenen Angaben zufolge Ende 1992 bundesweit noch über etwa .7.000 Mitglieder. Im DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) vom 08.05.1992 bekannte der DKP-Sprecher Rolf PRIEMER, seine Partei sei kleiner geworden und habe an Einfluß verloren. Gegenwärtig befinde sie' sich in einer "Phase der Reorganisation" und versuche, ihre Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen. In "vielen Städten" habe sich dieser Prozeß positiv entwickelt. - 51 - Schwierig gestaltete sich offenbar auch die weitere Entwicklung des Zentralorgans UZ. Im ersten Halbjahr 1992 hatte die Zeitung über 1.000 abonnierende Leserinnen und Leser verloren, die nur zur Hälfte durch Neuabonnements ausgeglichen werden konnten. Die Auflage betrug Ende 1992 rund 14.000 Exemplare. Der Mitgliederbestand der DKP-Bezirksorganisation Schleswig-Holstein ist seit 1989 von fast 900 auf etwa 300 Personen im Jahre 1992 zurückgegangen. Dieser Verlust zwang die Partei auch zu organisatorischen Konsequenzen innerhalb des Landes: Die Anzahl der Ortsgruppen und Kreisverbände wurde reduziert, die DKP-Landesgeschäftsstelle in Kiel wurde aufgegeben. Der Jugendorganisation der DKP, der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend" (SDAJ), gehörten 1988 im Lande etwa 400 Personen an; hiervon sind 1992 nur noch einzelne Mitglieder übriggeblieben. Anläßlich der am 17.11.1992 durchgeführten 12. Bezirkskonferenz der DKP Schleswig-Holstein stellte das Mitglied des Sprecherrates des DKP-Bundesvorstandes Heinz STEHR, Elmshorn, in seinem Hauptreferat fest, die DKP habe sich innerparteilich zwar stabilisiert, die seit drei Jahren andauernde Krise sei jedoch noch nicht endgültig überwunden. Aus der tiefen "Wirtschaftsund Schuldenkrise" in Deutschland, so STEHR, erwachse der sich verstärkende Faschismus. Dies wiederum ergebe gute Möglichkeiten für eine erfolgreiche Parteiarbeit, insbesondere in den Bereichen "Antifaschismus" und "neue Armut". Um gemeinsam politisch etwas bewirken zu können, sollten sich alle "Linken" vereinen, wobei auch die PDS hier nicht als Gegnerin, sondern als -starke Partnerin anzusehen sei. Die maoistisch geprägte "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD), in der ca. 1.500 Personen organisiert sind, davon eine unbedeutende Zahl in Schles- - 52 - wig-Holstein, sieht als Hauptaufgabe weiterhin den Parteiaufbau in den neuen Bundesländern. Dem internen MLPD-Organ "Lernen und Kämpfen" (Nr. 8, August 1992) zufolge wirbt sie insbesondere durch systematische Hausbesuche für die Partei. Dazu werden Mitglieder in ostdeutsche "Patenstädte" von MLPD-Ortsgruppen "abkommandiert". Die finanzielle Basis für diese Aktivitäten scheint gesichert: Das MLPD-Zentralorgan "Rote Fahne" vom 22.08.1992 verkündete, die Partei habe eine seit Anfang des Jahres durchgeführte Spendensammlung mit einem Ergebnis von fast 1,5 Mio. DM abgeschlossen. Die "Gesellschaft für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung, Verlagsgesellschaft Politische Berichte mbH" (GNN) - ein Wirtschaftsunternehmen des "Bundes Westdeutscher Kommunisten" (BWK) - mit Sitz in Köln verlegt und druckt mittels moderner Technik zahlreiche linksextremistische Publikationen, darunter auch seit 1989 von Köln aus das sogenannte "Angehörigen-Info". Es handelt sich dabei um eine.vierzehntägig erscheinende Schrift, hervorgegangen aus dem "Hungerstreik-Info" zur Unterstützung der 1989 hungerstreikenden RAF-Inhaftierten . Das "Angehörigen-Info" veröffentlicht u. a. Briefe und Erklärungen RAF-Inhaftierter sowie des Unterstützerkreises und setzt sich vor allem für eine Verbesserung der Haftbedingungen sowie für die "Zusammenlegung" ein. Zum Nutzerkreis des Verlages gehören laut eigenen Angaben "Leute aus dem BWK, der Volksfront, der WN-BdA, Angehörige der Politischen Gefangenen in der BRD, Organisationen, die dem kurdischen Befreiungskampf verbunden sind, Leute aus der PDS, der DKP, Anarchisten, Autonome, Rätekommunisten, VSP, gewerkschaftliche, linke kommunalpolitische und antifaschistische Bündnisse, Freidenker, Grüne, Gewerkschaftsgruppen, Schülerund Studentenvertretungen, Solidaritätsgruppen mit der Dritten Welt." - 53 - In der Vergangenheit ist der GNN-Verlag Köln auf Weisung der Bundesanwaltschaft wiederholt durchsucht worden; mehrere Verfahren nach den SSSS 90 a und 129 a StGB wurden eingeleitet. Als Zentrum und Sitz der GNN fungiert die GNN Köln. Landesgesellschaften existieren in Berlin, Schleswig-Holstein/Hamburg sowie in anderen Städten. Seit einiger Zeit ist der BWK bestrebt, die GNN weiter zu regionalisieren. In diesem Zusammenhang dürfte auch die Einrichtung von Außenstellen in Kiel und Elmshorn zu sehen sein, die durch den "GNN-Verlag Schleswig-Holstein" (mit Sitz in Hamburg) erfolgte. 1992 rief der Verlag zu Spenden auf, da seit Jahren Verluste von rd. 200.000 DM pro Jahr entstanden seien, die 1993 entsprechend ausgeglichen werden müßten. 6.2 Bestrebungen für gemeinsame linksextremistische Kandidaturen bei kommenden Wahlen Zwischen Spitzenfunktionären des Zusammenschlusses "Bund Westdeutscher Kommunisten"/"Vereinigte Sozialistische Partei" (Fusion nur in Schleswig-Holstein vollzogen) , der DKP und Angehörigen der von ihnen als Bündnispartner betrachteten PDS fanden 1992 in loser Abfolge wiederholt Gespräche statt. Inhaltlich befaßten sie sich mit den 1994 anstehenden Wahlen, mit der "Antifaschismusarbeit" sowie der Planung von gemeinsamen Schulungen. So wurde vorgeschlagen, zu den nächsten Kommunalwahlen in Schleswig-Holstein ein "Antikapitalistisches Bündnis" zu bilden. Zu diesem Zweck soll zunächst ein gemeinsames Thesenpapier erarbeitet und später dann versucht werden, auch andere linke Gruppierungen für dieses Wahlbündnis zu gewinnen. Noch vor einigen Jahren hätten tiefe ideologische Gräben einer derartigen Zusammenarbeit zwischen Gruppierungen der "neuen Linken" entgegengestanden; undenkbar wä- - 54 - ren Bündnisse zwischen Organisationen der "neuen Linken" und orthodoxen Kommunisten gewesen. Eingedenk der gemeinsamen Schwäche sind Berührungsängste dieser Art heute nicht mehr zu verzeichnen. - 55 - III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 1 Überblick Von den ca. 6 Mio. in der Bundesrepublik lebenden Ausländern sind nur etwa 39.000 Angehörige von Organisationen, die von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet werden. Diese Zahlen verdeutlichen, daß der weitaus überwiegende Teil der Ausländer im Bundesgebiet keinen extremistischen Bestrebungen nachgeht. Das gleiche gilt für die ca. 110.000 in Schleswig-Holstein wohnhaften Ausländer. In der Bundesrepublik tätige ausländische Organisationen reagierten 1992 wiederholt mit gewalttätigen Protestaktionen auf Vorkommnisse in ihren Heimatregionen. Die zum Teil bundesweit koordinierten gewaltsamen Übergriffe von Angehörigen der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), der 1983 vom Bundesinnenminister verbotenen "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") sowie der "Iranischen Moslemischen Studentenvereinigung Bundesrepublik Deutschland e. V." auf türkische bzw. iranische Einrichtungen im Bundesgebiet führten zur Beeinträchtigung auswärtiger Belange der Bundesrepublik. I In Schleswig-Holstein s'ind mit Ausnahme von Sachbeschädigungen an einigen türkischen Reisebüros in Kiel und Lübeck Anfang des Jahres 1992 solche Vorkommnisse nicht zu verzeichnen gewesen. i 2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern in der Bundesrepublik sind 1992 hauptsächlich von der marxistisch-leninistischen PKK ausgegangen. Sie verfügt im - 56 - Bundesgebiet über eine gut ausgebaute Organisationsstruktur mit über 3.800 Mitgliedern und einem großen Sympathisantenkreis (Schleswig-Holstein: ca. 200 Angehörige ). Die Gewaltbereitschaft der Anhängerschaft in der Bundesrepublik hat gegenüber dem Vorjahr an Intensität zugenommen. Anfang 1992 erklärte die PKK Deutschland wegen seiner Waffenlieferungen an die Türkei zum "Kriegsfeind Nr. 2" nach der Türkei. Ohne Absprache mit anderen kurdischen Organisationen und ungeachtet von Verbotsmaßnahmen deutscher Behörden führte die PKK im November und Dezember 1992 in der Bundesrepublik und in 10 anderen westeuropäischen Ländern unter den dort lebenden ca. 700.000 Kurden Wahlen für ein kurdisches Nationalparlament in Europa durch. Mit den Wahlen will sie den Kurden "den Weg zu einer Vertretung Kurdistans auf internationaler Ebene öffnen". Die Wahlen fanden Ende 1992 in zwei Phasen statt. Zunächst wurden europaweit 153 Delegierte gewählt, die dann aus ihrer Mitte 15 Abgeordnete in das kurdische Nationalparlament entsandten. An der Wahl der Delegierten sollen sich nach Angaben von Sprechern der PKK ca. 50 % der in Westeuropa lebenden stimmberechtigten 150.000 Kurden beteiligt haben. In Schleswig-Holstein hatten Kurden die Möglichkeit, in mehreren Städten Delegierte zu wählen. 4 der gewählten J.53 Delegierten haben einen Wohnsitz in Schleswig-Holstein. Nach den Vorstellungen des Generalsekretärs der PKK, Abdullah ÖZALAN, soll dem kurdischen Nationalparlament in der Phase des Unabhängigkeitskampfes der Kurden zunächst die Bedeutung eines "Revolutionsparlamentes" zukommen. Die erste Aufgabe des Parlamentes - so ÖZALAN - werde darin bestehen, Stellung zum Befreiungskampf seiner Partei zu beziehen. r - 57 - 3 Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen nationalistischen und linksorientierten Türken sowie Kurden in Schleswig-Holstein Erstmals seit 1981 ist es in Schleswig-Holstein während der Demonstrationen gegen Ausländerfeindlichkeit am 28.11.1992 in Mölln und Kiel wieder zu größeren tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen rivalisierender türkischer Gruppen sowie Kurden gekommen. In Mölln schlugen mehrere hundert linksextremistische Türken und Kurden auf der einen sowie nationalistische Türken auf der anderen Seite mit Knüppeln, Baseballschlägern, Holzlatten und Fahnenstangen aufeinander ein und beschossen sich mit Gaspistolen und Feuerwerkskörpern. Es gab eine Reihe von Verletzten, die z. T. in Krankenhäuser eingeliefert werden mußten. In Kiel kam es während der Abschlußkundgebung auf dem Rathausplatz ebenfalls zu Schlägereien zwischen national eingestellten Türken und Kurden. Dabei wurde ein Kurde von einem Türken durch Messerstiche verletzt. Zu den Ausschreitungen auf beiden Demonstrationen haben nicht unwesentlich das geschlossene Auftreten nationalistischer Türken in Blöcken und das demonstrative Schwenken zahlreicher mitgeführter türkischer Nationalfahnen beigetragen. Diese Auseinandersetzungen müssen auch vor dem Hintergrund des seit Jahren schwelenden und gewaltsam ausgetragenen Konfliktes zwischen Türken und Kurden in der Südost-Türkei gesehen werden. 4 Reaktionen von Türken auf die Brandanschläge in Mölln Auf den Anstieg ausländerfeindlicher Ausschreitungen im Jahre 1992 in der Bundesrepublik - insbesondere auf die Brandanschläge in Mölln - reagierten zumeist jugendliche Türken im November und Dezember 1992 in verschiede- - 58 - nen Städten des Bundesgebietes mit einer Welle von Gewalt gegen tatsächliche oder vermeintliche Neonazis. In einigen Fällen genügte Türken bereits das äußere Erscheinungsbild jugendlicher Deutscher - wie beispielsweise auffallend kurze Haare -, sie als vermeintliche Rechtsextremisten anzugreifen. Bevorzugte Ziele für Überfälle von Türken waren Trefforte und Wohnungen von Skinheads und sonstigen rechtsorientierten deutschen Jugendlichen. Bei der Festnahme von beteiligten Türken wurden von der Polizei zahlreiche Schlagund Stichwaffen, Schreckschußrevolver und Molotow-Cocktails sichergestellt. Im Zusammenhang mit den Ausschreitungen gegen Ausländer rief die linksextremistische türkische Gruppierung "Devrimci Ici" ("Revolutionäre Arbeiter") zwar alle "antifaschistischen, revolutionären und demokratischen Kräfte" in der Bundesrepublik auf, "den neofaschistischen Terror mit angemessenen Mitteln zurückzuschlagen", dennoch liegen bislang keine Anhaltspunkte dafür vor, daß es sich bei den Übergriffen von Türken auf Deutsche um gesteuerte Aktionen von extremistischen türkischen Gruppen im Bundesgebiet handelt. Am 02.12.1992 griffen ca. 30 bis 50 zum Teil vermummte, mit Baseballschlägern und sonstigen Schlagwerkzeugen be- ' waffnete Personen - überwiegend Türken - In Halstenbek 4 in einem Pkw wartende Angehörige der neonazistischen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) massiv an. Hierbei wurden die Insassen zum Teil erheblich verletzt und das Fahrzeug total demoliert. Einer der verletzten FAP-Angehörigen erhielt einen Messerstich in den Rücken. Anschließend versuchten die Angreifenden erfolglos, die in der Nähe liegende Wohnung des Bundesgeschaftsführers - 59 - der FAP zu stürmen. Mehrere festgenommene Türken räumten eine Tatbeteiligung ein. Als Motiv gaben sie an, rechtsextremistischen Personen und Gruppierungen gewaltsam entgegentreten zu wollen.