Inhalt VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT ............................................................... 4 GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND FUNKTION ............................................................ 5 SCHWERPUNKTAUFGABEN............................................................................................ 6 ARBEITSWEISE ............................................................................................................... 11 ORGANISATION DER VERFASSUNGSSCHUTZBEHÖRDE ........................................... 11 KONTROLLE DER VERFASSUNGSSCHUTZBEHÖRDE ................................................ 11 ÖFFENTLICHKEITSARBEIT UND PRÄVENTION ............................................................13 EXTRA - EXTREMISMUS-AUSSTIEG .............................................................................15 AUSKUNFTSERTEILUNG ................................................................................................16 REDAKTIONELLE HINWEISE ..........................................................................................16 RECHTSEXTREMISMUS ....................................................................................................18 EINLEITUNG ....................................................................................................................19 RECHTSEXTREMISTISCHES PARTEIENSPEKTRUM....................................................23 "Alternative für Deutschland" (AfD) Landesverband Sachsen-Anhalt .............................23 "Die Heimat" - ehemals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Landesverband Sachsen-Anhalt....................................................................................33 "Der III. Weg" (III. Weg) .................................................................................................38 PARTEIUNGEBUNDENER, VORNEHMLICH NEONAZISTISCH .....................................43 GEPRÄGTER RECHTSEXTREMISMUS ..........................................................................43 WEITGEHEND UNSTRUKTURIERTES RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL ..................................................................................................52 "NEUE RECHTE" ..............................................................................................................67 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) .....................................................................67 "Verein für Staatspolitik e. V.", firmiert unter "Institut für Staatspolitik" (IfS) / Aufgelöstes und neustrukturiertes IfS ............................................................................71 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" ............................................................76 EINLEITUNG ....................................................................................................................77 REICHSBÜRGERSZENE .................................................................................................79 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES ....................84 BEOBACHTUNGSOBJEKT: DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES ............................85 LINKSEXTREMISMUS ........................................................................................................89 EINLEITUNG ....................................................................................................................90 GEWALTORIENTIERTE LINKSEXTREMISTEN ...............................................................92 "ROTE HILFE E. V." (RH) ............................................................................................... 113 LINKSEXTREMISTISCHES PARTEIENSPEKTRUM ...................................................... 116 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland" (MLPD) .............................................. 116 2 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) ................................................................... 119 ISLAMISMUS .....................................................................................................................121 EINLEITUNG ..................................................................................................................122 SALAFISMUS .................................................................................................................125 "GEMEINSCHAFT DER VERKÜNDIGUNG DER MISSION" ..........................................132 (URDU: "TABLIGHI JAMA'AT", TJ) .................................................................................132 MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) / "DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V." (DMG), EHEMALS "ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E. V." (IGD) / HAMAS ...........................................................................................................................134 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS ......................................................................136 EINLEITUNG ..................................................................................................................137 "Arbeiterpartei Kurdistans" (kurdisch: Partiya Karkeren Kurdistan, PKK).........................138 "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (türkisch: "Marksist Leninist Komünist Parti", MLKP) ..................................................................................................................144 SCIENTOLOGY ORGANISATION .....................................................................................148 SPIONAGEABWEHR ........................................................................................................152 EINLEITUNG ..................................................................................................................153 NACHRICHTENDIENSTE DER RUSSISCHEN FÖDERATION ......................................154 CHINESISCHE NACHRICHTENDIENSTE .....................................................................155 NACHRICHTENDIENSTE DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN .................................157 ANDERE NACHRICHTENDIENSTE ...............................................................................158 HYBRIDE BEDROHUNGEN ...........................................................................................158 SABOTAGE ....................................................................................................................162 CYBERABWEHR............................................................................................................164 WIRTSCHAFTSSCHUTZ................................................................................................166 PROLIFERATIONSABWEHR .........................................................................................168 GEHEIMSCHUTZ ...............................................................................................................170 ANHANG ...........................................................................................................................173 STATISTIK ......................................................................................................................174 BILDNACHWEIS ............................................................................................................175 3 VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND FUNKTION Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; sie soll den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder gewährleisten. Die Aufgaben des Verfassungsschutzes nimmt in unserem Bundesland das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt als Verfassungsschutzbehörde wahr. Der Verfassungsschutz informiert im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags die Landesregierung und andere Stellen. Diese sollen dadurch in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können. Ebenso unterrichtet er die Öffentlichkeit über seine Aufgabenfelder (SS 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt; nachfolgend VerfSchG-LSA). Sie bestehen in der Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129 und 129a des Strafgesetzbuches (StGB), 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG), 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des GG, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 5. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Unter Bestrebungen im verfassungsschutzrechtlichen Sinn sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in oder für einen Personenzusammenschluss zu verstehen, die sich gegen die zuvor unter den Ziffern 1., 4. und 5. genannten Schutzgüter richten. Ein Personenzusammenschluss besteht aus mehreren, gemeinsam handelnden Personen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, gelten nur als Bestrebung und werden vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des VerfSchG-LSA erheblich zu beschädigen (SS 5 Abs. 1 VerfSchG-LSA). 5 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt Voraussetzung für das Sammeln und Auswerten von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für vorstehend genannte Bestrebungen oder Tätigkeiten. Für das Handeln der Verfassungsschutzbehörde ist es nicht erforderlich, dass eine konkrete Gefahr besteht oder eine begangene Straftat vorliegt. Der Verfassungsschutz wird bereits im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten tätig. Insbesondere darin kommt auch die Frühwarnfunktion des Verfassungsschutzes zum Ausdruck. SCHWERPUNKTAUFGABEN Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Eine Schwerpunktaufgabe des Verfassungsschutzes besteht nach SS 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA im Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, mithin dem Schutz der nicht zur Disposition stehenden Grundprinzipien des Grundgesetzes (GG). In seinem Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - führt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus, dass der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG jene zentralen Grundprinzipien umfasst, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Dies sind: Freiheitliche demokratische Grundordnung Prinzip der Demokratieprinzip Rechtsstaatsprinzip Menschenwürde (Art. 20 Abs. 1 u. 2 GG) (Art. 20 Abs. 3 GG) (Art. 1 Abs. 1 GG) Sie umfasst "insbesondere Es umfasst das "Recht der Damit ist "die Bindung und die Wahrung personaler Bürger, in Freiheit und Begrenzung öffentlicher Individualität, Identität und Gleichheit durch Wahlen Gewalt zum Schutz indiIntegrität sowie die eleund Abstimmungen die sie vidueller Freiheit" gemeint, mentare Rechtsgleichbetreffende öffentliche Gedie das Gewaltmonopol heit") (BVerfGE 144, 20 walt personell und sachdes Staates voraussetzt [Rn. 539]) lich zu bestimmen", der (BVerfGE 144, 20 [Rn. "Möglichkeit gleichberech547]). tigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung" und der "Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk" (BVerfGE 144, 20 [Rn. 542f.]) Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. 6 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den an das Recht gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist. Dem entspricht die gesetzliche Aufzählung der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in SS 5 Abs. 2 VerfSchG-LSA, ergänzt um den Verweis auf die in der Landesverfassung konkretisierten Menschenrechte. Spionageabwehr Die Spionageabwehr ist nach SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde. Sie beschäftigt sich mit der Aufklärung, Abwehr und Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und Völkerverständigung Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Dazu gehören in erster Linie gewaltbereite extremistische Gruppen mit Auslandsbezug, die von unserem Staatsgebiet aus gewaltsame Aktionen planen und vorbereiten, um die politischen Verhältnisse im Ausland, vordringlich in ihrem Herkunftsland, gewaltsam zu verändern und dadurch die staatlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den betroffenen Staaten beeinträchtigen (SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG-LSA). Sofern sich Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker richten, unterliegen diese ebenfalls der Beobachtung durch den Verfassungsschutz (SS 4 Abs. 1 Nr. 5 VerfSchG-LSA). Davon erfasst sind Personenzusammenschlüsse, die darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. Mitwirkungsaufgaben Zu den weniger bekannten Aufgaben des Verfassungsschutzes zählt der Bereich der Mitwirkung: Die Verfassungsschutzbehörde gibt Erkenntnisse an andere Stellen weiter und unterstützt diese damit bei ihren Entscheidungen nach den jeweiligen Fachgesetzen. Dabei werden bereits vorliegende oder aus Anlass des Mitwirkungsersuchens gewonnene Erkenntnisse an die anfragende Behörde übermittelt. Die als Mitwirkungsaufgaben bezeichneten Überprüfungen durch die Verfassungsschutzbehörde sind damit ein integraler Bestandteil der Sicherheitsarchitektur und finden ihre rechtliche Grundlage in SS 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG) in Verbindung mit SS 4 Abs. 2 Nr. 1 VerfSchG-LSA sowie den entsprechenden Fachgesetzen. Zweck der Über- 7 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt prüfungen ist es festzustellen, ob aufgrund nachrichtendienstlicher Erkenntnisse sicherheitsrelevante Tatsachen vorliegen, die u. a. der Zuverlässigkeit einer Person, der Gewährung einer Erlaubnis, eines Aufenthaltstitels oder einer Einbürgerung entgegenstehen. Dabei ist die Verfassungsschutzbehörde im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften dazu verpflichtet, den ersuchenden Behörden Auskunft zu erteilen. Die Bewertung der übermittelten Ergebnisse obliegt jedoch allein der jeweils anfragenden Behörde. In einzelnen Bereichen, etwa in Anfragen nach dem Aufenthaltsgesetz, teilt die Verfassungsschutzbehörde dennoch ihre rechtliche Auffassung in einem Votum an die ersuchende Behörde mit. Mitwirkungsaufgaben finden sich in einer Vielzahl von Gesetzen etwa im: Mitwirkungsaufgaben finden sich in einer Vielzahl von Gesetzen, etwa im: - Waffengesetz (WaffG) - Aufenthaltsgesetz (AufenthG) - Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) - Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) - Sprengstoffgesetz (SprengG) - Atomgesetz (AtomG) sowie der - Gewerbeordnung (GewO) Zuverlässigkeitsüberprüfungen Den weitaus größten Teil der Mitwirkungsaufgaben machen die so genannten Zuverlässigkeitsüberprüfungen aus, bei denen die Verfassungsschutzbehörde im Rahmen eines Erlaubnisverfahrens auf Anfrage hin mitteilt, ob bei ihr Erkenntnisse vorliegen, die gegen eine nach dem Fachgesetz normierte Zuverlässigkeit des Antragstellers sprechen. Durch die im Jahr 2020 eingeführte Regelanfrage nach SS 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 WaffG erfolgt im Rahmen der Beantragung waffenrechtlicher Erlaubnisse eine verpflichtende Regelanfrage bei der zuständigen Verfassungsschutzbehörde. Das Ziel ist es dabei, Extremisten den legalen Zugriff auf erlaubnispflichtige Waffen und Munition zu erschweren. Aus diesem Grund wurde mit dem 3. Waffenrechtsänderungsgesetz (WaffRÄndG) auch das SprengG novelliert. Nach SS 8a Abs. 2 Nr. 3 SprengG besitzen danach Personen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel nicht, die als Einzelpersonen oder Mitglieder einer Vereinigung Bestrebungen gegen die verfassungsmäßige Ordnung verfolgen, verfolgt haben oder entsprechend unterstützend tätig geworden sind. Nach SS 34a GewO unterliegen auch Personen, die ein Bewachungsgewerbe betreiben oder in diesem tätig sind, einer Zuverlässigkeitsüberprüfung. Sowohl für den Gewerbetreibenden sowie für die mit der Leitung eines Betriebes oder einer Zweigniederlassung beauftragten Person als auch für Wachpersonal, das bei der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und zugangsgeschützten Großveranstaltungen eingesetzt werden soll, ist die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde gesetzlich vorgeschrieben. 8 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt Erteilung von Aufenthaltstiteln und Einbürgerungen Die Verfassungsschutzbehörde wirkt ferner bei der erstmaligen Erteilung oder der Verlängerung von Aufenthaltstiteln mit. Zu diesem Zweck übermittelt sie den Ausländerbehörden auf Anfrage Erkenntnisse, um festzustellen, ob Versagungsgründe vorliegen (SS 73 Abs. 2 AufenthG). Zudem hat die Verfassungsschutzbehörde ungefragt und unverzüglich mitzuteilen, wenn nachträglich Versagungsgründe nach SS 5 Abs. 4 AufenthG oder sonstige Sicherheitsbedenken bekannt werden. Hierbei geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Ausweisungsinteresse besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Zur Übermittlung von Ausschlussgründen im Sinne des SS 11 StAG übermitteln die Einbürgerungsbehörden nach SS 37 Abs. 2 StAG vor ihrer Entscheidung die personenbezogenen Daten aller Antragstellenden, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, an die Verfassungsschutzbehörde. Über etwaige Erkenntnisse hat die Verfassungsschutzbehörde die Einbürgerungsbehörde unverzüglich zu unterrichten. Anfrageaufkommen im Berichtsjahr Die Verfassungsschutzbehörde hat im Berichtsjahr 2024 an insgesamt 53.379 Verfahren mitgewirkt. Von diesen Verfahren entfielen 18.082 auf den Bereich des WaffG, 29.040 auf das AufenthG, 3.410 auf das StAG, 2.188 auf den Bereich der GewO, 270 auf das LuftSiG, 340 auf das SprengG und 49 Verfahren auf das AtomG. Prozentual stellt sich das Anfrageaufkommen wie folgt dar: Prozentualer Anteil am Anfrageaufkommen im Jahr 2024 GewO; 4,10% Sonstige (AtomG/LuftSiG/SprengG); 1,23% WaffG; 33,87% AufenthG; StAG; 6,39% 54,40% Entwicklung der Anzahl der Anfragen im Mitwirkungsbereich Die Zahl der Anfragen im Mitwirkungsbereich der Verfassungsschutzbehörde ist im Berichtsjahr leicht zurückgegangen. Im Verhältnis zum Vorjahr ist die Gesamtzahl an Anfragen um 2,58 % gesunken, was auf einen Rückgang bei den Anfragen nach dem AufenthG (- 4,66 %), dem WaffG (- 4,27 %) und dem AtomG/LuftSiG/SprengG (- 16,79 %) zurückzuführen ist. Ein unverminderter Zuwachs zeichnet sich hingegen für den Bereich des StAG (+ 38,62%) ab; auch die Zahl der Anfragen nach der GewO ist erneut angestiegen (+ 2,72%). 9 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt Entwicklung des Anfrageaufkommens 2023 und 2024 nach Verfahren: 35.000 30.000 25.000 20.000 2023 15.000 2024 10.000 5.000 0 AufenthG StAG WaffG GewO Sonstige Gesamtentwicklung der Anfragen an die Verfassungsschutzbehörde 2020 bis 2024: 0 10.000 20.000 30.000 40.000 50.000 60.000 2020 37.154 2021 44.440 2022 53.936 2023 54.728 2024 53.379 Nachberichtspflichten Da sicherheitsrelevante Risiken mitunter auch dauerhaft bestehen können, sieht die Mehrzahl der mitwirkungspflichtigen Gesetze eine Nachberichtspflicht vor, die die Verfassungsschutzbehörde dazu verpflichtet, neu gewonnene Erkenntnisse den zuständigen Behörden auch im Nachhinein mitzuteilen. So hat der Verfassungsschutz die zuständige Behörde unverzüglich zu informieren, soweit im Nachhinein für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsame Erkenntnisse bzw. für Anfragen nach dem AufenthG Versagungsgründe oder sonstige Sicherheitsbedenken anfallen. Dabei prüft die Verfassungsschutzbehörde im Einzelfall, ob relevante Erkenntnisse an die anfragenden Behörden mitzuteilen sind. Im Berichtsjahr wurden allein zum WaffG 1.160 und zum AufenthG 169 Nachberichte an die jeweiligen Behörden veranlasst. 10 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt ARBEITSWEISE Den größten Teil seiner Informationen gewinnt der Verfassungsschutz aus offenen Quellen (z. B. Zeitungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Rundfunkberichte, Interviews, Parteiprogramme und offene Internetinhalte). Da sich hieraus aber nicht immer ein vollständiges Bild ergibt - z. B. weil nicht alle Extremisten ihre verfassungsfeindlichen Ziele offen propagieren -, darf die Verfassungsschutzbehörde im Rahmen gesetzlich festgelegter Grenzen auch verdeckte nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung einsetzen. Hierzu zählen insbesondere der verdeckte Einsatz von Vertrauenspersonen und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen (SS 7 Abs. 3 VerfSchG-LSA). Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählt auch die Brief,Postund Telefonkontrolle. Der hiermit verbundene Eingriff in das Grundrecht nach Artikel 10 GG ist nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) zulässig. Allerdings dürfen solche nachrichtendienstlichen Mittel nur eingesetzt werden, wenn sie angemessen und erforderlich sind, d. h. wenn zuvor alle Möglichkeiten der offenen Informationsbeschaffung ausgeschöpft wurden. Sie stehen zudem unter dem Vorbehalt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Von mehreren geeigneten Maßnahmen zur Nachrichtengewinnung ist diejenige auszuwählen, die den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten in seinen Grundrechten beeinträchtigt. ORGANISATION DER VERFASSUNGSSCHUTZBEHÖRDE Ministerium für Inneres und Sport - Abteilung 4 Verfassungsschutz Abteilungsleiter Jochen Hollmann Referat 41 Referat 42 Referat 43 Referat 44 Grundsatz, Rechtsextremismus, Islamismus, Wirtschaftsschutz, Geheimschutz, Reichsbürgerszene, Auslandsbezogener G10, Observation, Querschnittsaufgaben VerfassungsschutzExtremismus, Ermittlungen, relevante Linksextremismus ExtremismusDelegitimierung des prävention Staates KONTROLLE DER VERFASSUNGSSCHUTZBEHÖRDE Eine Reihe von Kontrollmechanismen stellt sicher, dass der Verfassungsschutz sich an seinen gesetzlichen Auftrag und an die für seine Tätigkeit geltenden Rechtsvorschriften hält. 11 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt Auf parlamentarischer Ebene kontrolliert der Landtag die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde. Diese Aufgabe nimmt das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) wahr, dessen Zusammensetzung, Aufgaben und Befugnisse in SSSS 24 ff. VerfSchG-LSA geregelt sind. Jeder Eingriff des Verfassungsschutzes in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis nach Maßgabe von Artikel 10 GG muss bei der Innenministerin beantragt werden. Vor dem Vollzug der Maßnahme wird diese von einer G 10-Kommission, die vom PKGr bestellt wird, auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit hin geprüft. Sämtliche Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde - z. B. die Nennung von Personenzusammenschlüssen und Einzelpersonen in den Verfassungsschutzberichten - unterliegen der gerichtlichen Nachprüfung. Jede Bürgerin und jeder Bürger, die / der sich durch eine Maßnahme des Verfassungsschutzes in ihren / seinen Rechten verletzt sieht, kann dagegen gerichtlich vorgehen. *Parlamentarisches Kontrollgremium (PKGr): Das PKGr kontrolliert die Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Parlamentarische *G 10-Kommission: Sie prüft die Kontrolle Zulässigkeit von Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis nach Maßgabe von Artikel 10 GG. *Landesbeauftragte für den Datenschutz Sachsen-Anhalt Verwaltungs*Aufsichtsbeamter nach Artikel 10kontrolle Gesetz *Controlling *Jeder Personenzusammenschluss und Gerichtliche jeder Bürger, der sich von einer Kontrolle Maßnahme des Verfassungsschutzes in seinen Rechten verletzt sieht, kann dagegen klagen. Kontrolle durch die *Presseanfragen Öffentlichkeit *Anfragen von Bürgern, Anträge nach dem Informationszugangsgesetz (IZG) 12 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt ÖFFENTLICHKEITSARBEIT UND PRÄVENTION Aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger sind der effektivste Schutz der Demokratie gegen extremistische Bestrebungen und hybride Bedrohungen durch fremde Mächte. Mit seiner Öffentlichkeitsarbeit unterstützt der Verfassungsschutz daher die faktenbasierte Auseinandersetzung von Bürgern mit Akteuren, die die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen. Der Verfassungsschutz steht somit allen Menschen im Land als Informationsdienstleister zur Verfügung. So trägt der Verfassungsschutz dem Anspruch Rechnung, als Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie zu dienen. Der Verfassungsschutz ist gesetzlich dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit periodisch und aus gegebenem Anlass im Einzelfall über extremistische Bestrebungen zu unterrichten (SS 15 Abs. 2 VerfSchG-LSA). Um diesen Auftrag zu erfüllen, veröffentlicht die Verfassungsschutzbehörde neben ihrem jährlichen Verfassungsschutzbericht Informationsmaterial zu einzelnen Phänomenbereichen des Extremismus. Im Juni 2024 wurde die unter Federführung des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt erarbeitete, gemeinsam mit den Verfassungsschutzbehörden der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen herausgegebene Broschüre "Rechtsextremistisch genutzte Immobilien in Ostdeutschland" veröffentlicht.1 Neben einem Lagebild zur Situation in den ostdeutschen Bundesländern enthält die Broschüre Handlungsempfehlungen, die sich sowohl an Verantwortungsträger in den Kommunen als auch an private Immobilienbesitzer richten. Die Handreichung kann - wie auch alle anderen Informationsmaterialien des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt - über die auf Seite 15 genannten Kontaktdaten kostenlos bezogen oder auf der Internetseite der Verfassungsschutzbehörde heruntergeladen werden. Der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt wird von Pressevertretern regelmäßig zu verschiedenen Themen angefragt. Im Berichtsjahr hat die Verfassungsschutzbehörde 130 Presseanfragen beantwortet. Darüber hinaus bietet die Internetseite regelmäßig aktualisierte Überblicksdarstellungen zur Entwicklung innerhalb der einzelnen Phänomenbereiche des Extremismus.2 Im November 2024 wurde die Informationsreihe "Was macht der Verfassungsschutz?" begonnen, die über die Aufgaben und Arbeitsweise des Verfassungsschutzes aufklärt.3 In jedem Teil der Reihe wird ein Tätigkeitsfeld des Verfassungsschutzes mit einer 1 Vgl. hierzu die Pressemitteilung "Neue Broschüre zu rechtsextremistisch genutzten Immobilien in Ostdeutschland" des Ministeriums für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt vom 17. Juni 2024. URL: https://presse.sachsen-anhalt.de/ministerium-fur-inneres-und-sport/2024/06/17/neue-broschuere-zu-rechtsextremistisch-genutzten-immobilien-in-ostdeutschland 2 https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/themenfelder 3 https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/informationsreihe-was-macht-der-verfassungsschutz 13 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt Pressemitteilung und einem Beitrag auf der Homepage der Verfassungsschutzbehörde näher beleuchtet. Mit der Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes vom 21. Oktober 2020 hat der Gesetzgeber in SS 4a VerfSchG-LSA klargestellt, dass die Prävention zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde zählt. Die Verfassungsschutzbehörde klärt daher mit Vorträgen im Rahmen von Informationsund Schulungsveranstaltungen sowie mit Publikationen über aktuelle Erscheinungsformen und Strategien des politischen Extremismus in Sachsen-Anhalt auf. Darüber hinaus sensibilisiert der Verfassungsschutz staatliche Stellen (z. B. Gerichte, Staatsanwaltschaften und Kommunen) für neue Verhaltensund Vorgehensweisen extremistischer Akteure, um sie dabei zu unterstützen, diese frühzeitig zu erkennen und angemessen reagieren zu können. Im Rahmen seiner Präventionsarbeit hat der Verfassungsschutz im Berichtsjahr erneut mit zielgruppenorientierten Fachvorträgen über aktuelle extremistische Entwicklungen informiert. Diese Vorträge richteten sich vor allem an Multiplikatoren in allen Teilen der Landesverwaltung (insbesondere der Polizeiund Justizbehörden), in Bildungseinrichtungen und Kommunen, aber auch an zivilgesellschaftliche Engagierte (z. B. Vereine und Bürgerinitiativen) und Unternehmen. Im Rahmen seiner Beteiligung an Ausbildungsund Fortbildungsmaßnahmen des Landes und der Kommunen unterrichtete der Verfassungsschutz Bedienstete der öffentlichen Verwaltung unter anderem über relevante Akteure und Kennzeichen der verschiedenen Phänomenbereiche des politischen Extremismus sowie über geeignete Handlungsstrategien im Umgang mit Extremisten. Darüber hinaus informierten Referenten der Verfassungsschutzbehörde auch in öffentlichen Vorträgen über extremistische Bestrebungen, z. B. im Rahmen einer von der Stadt Blankenburg organisierten Informationsveranstaltung zum Thema "Rechtsextremistische Siedlungsbestrebungen" am 20. Februar 2024 in Blankenburg OT Börnecke und beim Landespräventionstag am 6. November 2024 in Magdeburg. Das Vortragsangebot des Verfassungsschutzes umfasst alle Phänomenbereiche des Extremismus (Rechtsextremismus, Reichsbürgerszene, Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates, Linksextremismus, Islamismus, Auslandsbezogener Extremismus). Im Bereich der Spionageabwehr sowie des Wirtschaftsund Wissenschaftsschutzes bietet die Verfassungsschutzbehörde Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen neben allgemeinen Informationen auch vertrauliche Beratung und Unterstützung zum Schutz vor Spionage und Cyberangriffen an. Am 17. Oktober 2024 veranstaltete die Verfassungsschutzbehörde eine Fachtagung mit dem Titel "Die wehrhafte Demokratie und ihre Feinde: Verfassungsschutz in unruhigen Zeiten". Inhaltlicher Schwerpunkt der Tagung war die Frage, mit welchen Herausforderungen das Konzept und die Praxis der wehrhaften Demokratie in Deutschland 75 Jahre nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes konfrontiert ist. An Fachtagung "Die wehrhafte Demokratie und ihre Feinde" der Veranstaltung, die im Konferenzsaal am 17. Oktober 2024 in Magdeburg des Landesbetriebs für Hochwasserschutz 14 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt und Wasserwirtschaft (LHW) stattfand, nahmen rund 110 Personen aus Sicherheitsbehörden, der Landesverwaltung und den Kommunen sowie aus Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft teil. Um im direkten Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern über ihre Arbeit zu informieren, ist die Verfassungsschutzbehörde auch bei öffentlichen Veranstaltungen präsent, die keinen spezifischen sicherheitsbehördlichen Fokus aufweisen. Beim 23. Sachsen-Anhalt-Tag, der vom 30. August bis 1. September 2024 in Stendal stattfand, sowie beim Landespräventionstag am 6. November 2024 in Magdeburg war der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt durchgehend mit einem eigenen Stand vertreten. Sie haben Interesse an den Informationsangeboten des Verfassungsschutzes? Dann wenden Sie sich bitte direkt an uns: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Nachtweide 82 39124 Magdeburg Telefon: +49(0)391/567-3900 E-Mail: verfassungsschutz@mi.sachsen-anhalt.de info.verfassungsschutz@mi.sachsen-anhalt.de oder besuchen Sie uns im Internet unter www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz Hier finden Sie weitere Informationen und unsere aktuellen Publikationen, die wir Ihnen auch am Ende dieses Berichts vorstellen. EXTRA - EXTREMISMUS-AUSSTIEG Das bei der Verfassungsschutzbehörde angesiedelte Ausstiegshilfeprogramm EXTRA (Extremismus-Ausstieg) unterstützt seit dem Jahr 2014 ausstiegswillige Menschen bei der Deradikalisierung und der Lösung aus extremistischen Lebensbezügen. Die persönliche Unterstützung und Begleitung von Rechtsextremisten während eines freiwilligen und selbstmotivierten Ausstiegs als Hilfe zur Selbsthilfe bildet den Schwerpunkt der Arbeit von EXTRA. Ziel ist die Abkehr von rechtsextremistischen Einstellungen und Handlungsmustern sowie das Lösen radikalisierungsbegünstigender (sozialer) Begleitprobleme. Als Angebot im Bereich der tertiären Prävention zielt die Arbeit von EXTRA darauf ab, im kooperativen Zusammenwirken mit Ausstiegswilligen nach erkannten Regelverletzungen durch geeignete präventive Maßnahmen weitere Regelverletzungen zu vermeiden, persönliche Folgeprobleme zu lösen und negative Auswirkungen einer Radikalisierung (für Aussteiger 15 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt ebenso wie für die Gesellschaft) zu verhindern. Damit nimmt EXTRA auch Aufgaben der Prävention zum Schutz vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen wahr. EXTRA ist eine gut etablierte und anerkannte Einrichtung in der Beratungslandschaft. Die Mitarbeiter von EXTRA sind wie folgt erreichbar: Kostenfreie Hotline: 0800 - 22 44 101 (24 Stunden erreichbar) E-Mail: extra@mi.sachsen-anhalt.de AUSKUNFTSERTEILUNG Jede Bürgerin und jeder Bürger kann unentgeltlich Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten beantragen. Die Verfassungsschutzbehörde ist nach SS 14 Abs. 1 VerfSchG-LSA grundsätzlich verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Geht ein Ersuchen ein, wird der Ersuchende zunächst gebeten, eine Kopie seines Personalausweises oder eines entsprechenden Personendokuments zur Identitätsfeststellung zu übersenden. Dies soll die angefragte Person davor schützen, dass möglicherweise andere Personen in ihrem Namen Auskunft verlangen und Daten möglicherweise an Unberechtigte übermittelt werden. Die Auskunft hat nach SS 14 Abs. 2 VerfSchG-LSA zu unterbleiben, wenn bestimmte, im Gesetz geregelte Ausschlussgründe vorliegen. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn durch die Auskunftserteilung eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde drohen würde. Im Jahr 2024 gab es 162 Auskunftsersuchen: Auskunft über die zur Person gespeicherten Daten 38 Negativauskunft, keine Daten gespeichert 112 Keine Bearbeitung mangels Identifizierung des Ersuchenden 12 Auskunftsersuchen insgesamt 162 REDAKTIONELLE HINWEISE Die Verfassungsschutzbehörde erfüllt mit diesem Bericht ihre gesetzlichen Unterrichtungspflichten, die in SS 15 Abs. 1 und 2 VerfSchG-LSA normiert sind. Bitte beachten Sie die folgenden redaktionellen Hinweise: Soweit der Verfassungsschutzbericht einzelne Gruppierungen namentlich nennt, handelt es sich - sofern nicht anders erwähnt - um Fälle, bei denen die vorliegenden Erkenntnisse in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele im Sinne des SS 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA verfolgt. Diese Gruppierungen gelten insofern als gesicherte extremistische Bestrebungen, die 16 Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt zielund zweckgerichtet gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorgehen (siehe Registeranhang). Allerdings erwähnt der Verfassungsschutzbericht nicht alle Gruppierungen, die von der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt beobachtet werden. Insbesondere werden die Gruppierungen nicht erwähnt, bei denen lediglich tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Informationen über solche Gruppierungen darf die Verfassungsschutzbehörde nach SS 7 Abs. 2 VerfSchG-LSA sammeln und auswerten. Über diese Gruppierungen darf sie jedoch nicht öffentlich berichten, da von der Unterrichtungspflicht des SS 15 Abs. 2 VerfSchG-LSA nur gesicherte extremistische Bestrebungen erfasst sind. Eine Nennung von sogenannten Verdachtsfällen erfolgt daher nicht. Die Nennung von Gruppierungen, die extremistisch beeinflusst sind, dient dem Verständnis des sachlichen Zusammenhangs. Der Berichtszeitraum umfasst den Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2024. Ereignisse vor oder nach diesem Zeitraum werden nur dargestellt, sofern sie für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs erforderlich sind. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Sachsen-Anhalts sind in den Bericht aufgenommen, sofern sie für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs erforderlich sind. Die in Anführungszeichen gefassten Textteile sind, so es sich um Zitate handelt, in der Originalschreibweise wiedergegeben. Die jeweiligen Mitgliederzahlen der Personenzusammenschlüsse sind zum Teil geschätzt und gerundet. Personenund Funktionsbezeichnungen in diesem Bericht gelten jeweils in weiblicher und männlicher Form. Die Verfassungsschutzberichte der letzten fünf Jahre können im Internet unter der Adresse: www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz heruntergeladen oder bei der Verfassungsschutzbehörde kostenlos angefordert werden. 17 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremismus EINLEITUNG Die Beobachtung des Rechtsextremismus als größte Bedrohung für die Demokratie hat sich neuen Herausforderungen zu stellen. Die Szene wird jünger und digitaler. Rechtsextremisten setzen verstärkt auf neue Strategien, um ihre Ideologie zu verbreiten und auszuleben. Zu diesen Strategien gehören: das konsequente Nutzen von Social Media und Internet-Plattformen, das Verschleiern der rechtsextremistischen Ideologie durch das Verwenden unverfänglicher Themen (z. B. das Propagieren einer Rückbesinnung auf "traditionelle Werte"), das gezielte Eingreifen in gesellschaftliche Debatten mit rechtsextremistischen Begriffen und Narrativen, um langfristig eine Diskursverschiebung zu erreichen und der Aufbau realweltlicher Räume, etwa mit der Nutzung von Objekten. Die hohe Dynamik im Rechtsextremismus spiegelte sich im Berichtsjahr in der Entwicklung des Personenpotenzials wider. Gegenüber dem Vorjahr hat die Zahl der Personen, die der rechtsextremistischen Szene zugerechnet werden, in allen drei von der Verfassungsschutzbehörde unterschiedenen Teilbereichen der Szene (Parteien, parteiungebundenes Spektrum, weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial) zugenommen. Insgesamt hat das rechtsextremistische Personenpotenzial im Jahr 2024 um 650 Personen zugenommen. Rechtsextremistisches Personenpotenzial* 2022 2023 2024 Parteien 190 2.345 2.750 "Alternative für Deutschland" (AfD)** - 2.210 2.580 "Die Heimat" (ehemals "Nationaldemokrati- < 100 70 70 sche Partei Deutschlands" (NPD)) "Der III. Weg" ca. 45 60 100 "Neue Stärke Partei" ca. 30 ca. 5 - Parteiungebundenes Personenpotenzial 255 250 290 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial 900 970 1.110 Summe 1.345 3.565 4.150 Personenpotenzial 1.270 3.350 4.000 (nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften) * Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet ** Hierzu werden auch die Mitglieder der der AfD zugehörigen Teilorganisation "Junge Alternative" (JA) gezählt. Das traditionelle rechtsextremistische Parteienspektrum wurde in Deutschland jahrzehntelang von der NPD geprägt. Seit den späten 2000er Jahren befindet sich die Partei in einem anhaltenden Niedergang. Auch die Umbenennung der NPD in "Die Heimat" im Jahr 2023 und die personelle Neuaufstellung des Parteivorstandes verlieh ihr nicht die von ihr erhoffte Schubkraft. Sie spielt nur noch eine marginale Rolle und hat kaum politische Erfolge vorzuweisen. Nur wenige Parteistrukturen der "Heimat" in Sachsen-Anhalt entwickeln Aktivitäten auf Kreisebene. Die neonazistisch ausgerichtete Kleinpartei "Der III. Weg" hingegen bemühte 19 Rechtsextremismus sich im Jahr 2024, ihre Strukturen zu konsolidieren und auf einem moderaten Niveau auszubauen. Beide Parteien setzen auf den Wiederaufbau ihrer Jugendorganisationen und versuchen dadurch neue Mitglieder zu gewinnen. Im Jahr 2024 haben die Aktivitäten der "Jungen Nationalisten" (JN), der Jugendorganisation der rechtsextremistischen Partei "Die Heimat", sichtbar zugenommen. Nach einer längeren Phase der Inaktivität und Stagnation hat sich ihr Personenpotenzial erhöht. In Sachsen-Anhalt lässt sich dieses im mittleren zweistelligen Zahlenbereich verorten. Der Ausbau der Jugendorganisation der Partei "Der III. Weg", der "Nationalrevolutionären Jugend" (NRJ), wurde in Sachsen-Anhalt im Berichtsjahr ebenfalls vorangetrieben. Die gezielt an Jugendliche und junge Erwachsene gerichteten Aktivitäten der NRJ haben zugenommen. Da die NRJ in Sachsen-Anhalt nicht selbständig agiert, sondern sich eher als "Dienstleister" ihrer Mutterpartei zu betätigen scheint, liegen valide Zahlen zu ihrem Personenpotenzial aktuell nicht vor. Der Partei "Der III. Weg" und ihrem Umfeld rechnet die Verfassungsschutzbehörde in Sachsen-Anhalt aktuell etwa 100 Personen zu. Während kleinere Parteien wie "Die Heimat" an Bedeutung verlieren, hat der Landesverband Sachsen-Anhalt der AfD das rechtsextremistische Parteienspektrum weitgehend monopolisiert. Trotz der offen rechtsextremistischen Ausrichtung der AfD in Sachsen-Anhalt wächst die Mitgliederzahl der Partei kontinuierlich; auch die Zustimmungswerte in der Bevölkerung steigen stetig an. Bei den Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 wurde die Partei stärkste Kraft. Für die AfD Sachsen-Anhalt traten zum Teil Kandidaten an, die aus anderen traditionell rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen (z. B. dem Verein "Weda Elysia e. V.", der Partei "Die Heimat" oder der seit 2009 verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" [HDJ]) bekannt sind. Die AfD Sachsen-Anhalt pflegt weiterhin enge Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen, insbesondere zu Akteuren der sogenannten "Neuen Rechten", z. B. zu dem aufgelösten und neustrukturierten "Institut für Staatspolitik" (IfS). Wie die AfD Sachsen-Anhalt tritt das IfS zunehmend offensiver auf, auch mit Blick auf die Rolle des IfS als ideologischer Ideengeber und Schulungsort für die "Neue Rechte", aber vor allem hinsichtlich der politischen Beratung der AfD. Dabei ist zu konstatieren, dass sich das IfS im Jahr 2024 weiter radikalisierte. Wurde früher noch eine Abgrenzung 20 Rechtsextremismus zu "traditionellen" Rechtsextremisten deutlich kommuniziert, sucht das IfS mittlerweile den Kontakt zu ihnen. Im Berichtszeitraum wurde dieser Trend anhand eines Interviews einer führenden Vertreterin des IfS mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Partei "Die Heimat" und der Unterstützung eines mutmaßlichen Rechtsterroristen durch das IfS sichtbar. Der parteiungebundene Rechtsextremismus ist mehrheitlich neonazistisch geprägt. Die fehlende strukturelle Stabilität dieses Szenespektrums hielt im Berichtszeitraum weiter an. Personenzusammenschlüsse, die in diesem Spektrum agieren, blieben stark fluktuierend; es kam regelmäßig zu Neuund Umbildungen, die oftmals nur von kurzer Dauer waren. Gerade jüngere Rechtsextremisten neigen dazu, sich nicht auf eine Gruppenzugehörigkeit festzulegen. Die Folge sind fließende Übergänge zwischen den einzelnen rechtsextremistischen Gruppen. Die eher lose und informelle Struktur dieser Gruppierungen erschwert eine exakte Benennung ihres Personenpotenzials. Der erneute Anstieg des Personenpotenzials im parteiungebundenen Spektrum im Jahr 2024 ist insbesondere auf die dynamische Entwicklung der rechtsextremistischen Szene im Harz zurückzuführen. Vor allem der Zuzug des Neonazis Alexander Deptolla sowie weiterer Rechtsextremisten aus Dortmund (Nordrhein-Westfalen) und die Aktivierung der regionalen Szene sind wichtige Faktoren für diese Entwicklung. Mit Alexander Deptolla gewann die neonazistische Szene in Sachsen-Anhalt wieder eine Führungsfigur, die in der Lage ist, die (über-)regionale Szene zu konsolidieren, zu vernetzen und junge Menschen an die Szene heranzuführen. Die Verfassungsschutzbehörde stellte im Berichtsjahr vermehrt fest, dass junge Menschen, häufig auch Minderjährige, in einigen Regionen Sachsen-Anhalts informelle, aktionsorientierte, internetaffine, rechtsextremistische Kleingruppen bildeten. Organisationsbezeichnungen wie "Jung & Stark" (JS), "Deutsche Jugend Voran" (DJV) oder "Deutsche Jugend Zuerst" (DJZ) spiegeln den Charakter der handelnden Akteure wider. Sie existieren in beinahe allen Bundesländern und vernetzen sich vornehmlich virtuell. Dieses Personenpotenzial ist bislang vor allem durch Teilnahmen an versammlungsrechtlichen Aktionen, die sich gegen Versammlungen und Veranstaltungen im Rahmen des Christopher Street Day (CSD) in Sachsen-Anhalt richteten, in Erscheinung getreten. Für ihre Agitation und Mobilisierung bedienen sie sich vornehmlich rechtsextremistischer Feindbilder wie die LGTBQ+-Bewegung oder politische Gegner. Seit dem Sommer 2024 sind diese Gruppierungen bundesweit mit Gewaltund Störaufrufen sowie Aktionen gegen CSD-Veranstaltungen, insbesondere in Ostdeutschland, aufgefallen. So organisierte ,,JS Sachsen-Anhalt" eine rechtsextremistische Gegendemonstration am 24. August 2024 in Magdeburg mit etwa 250 Teilnehmern. Mittlerweile prägen Gruppierungen wie JS, DJV und DJZ das unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial sowohl in Sachsen-Anhalt als auch bundesweit. Sie haben das Potenzial, junge Menschen in rechtsextremistische Netzwerke zu integrieren und langfristig eine gesellschaftliche Polarisierung zu fördern. Ihr Einfluss wird daher aus den folgenden Gründen aufmerksam beobachtet: 21 Rechtsextremismus Diese Gruppen versuchen, Jugendliche durch vermeintlich patriotische Narrative, kulturelle Identität und den Erhalt von Traditionen anzusprechen. Sie nutzen soziale Medien effektiv zur Verbreitung ihrer Ideologien und zur Rekrutierung. Organisationen wie JS oder DJZ sind nicht nur online aktiv, sondern auch in der realen Welt präsent. Sie organisieren Störaktionen gegen den politischen Gegner oder Minderheiten und beeinträchtigen so das friedliche Miteinander. Sie verbreiten Inhalte, die fremdenfeindlich und menschenverachtend sind, und fördern damit eine antidemokratische Haltung. Die zunehmende Vernetzung solcher Gruppen stellt eine Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Die Organisation von Musikveranstaltungen war auch im Jahr 2024 ein wichtiger Bestandteil rechtsextremistischer Szeneaktivitäten in Sachsen-Anhalt. Seit Jahren ist die Zahl der durchgeführten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen im Land konstant hoch. Konzerte spielen dabei eine nachgeordnete Rolle; der Schwerpunkt liegt auf der Durchführung von Liederabenden und sonstigen Musikveranstaltungen, in deren Rahmen Livemusik vorgetragen wird. Grundsätzlich ist seit Jahren in der rechtsextremistischen Musikszene ein Trend zu kleineren und konspirativen Veranstaltungen festzustellen; die Organisation von öffentlich beworbenen Musikveranstaltungen findet kaum noch statt. Ein wesentlicher Grund hierfür ist das Bemühen der Organisatoren, sich staatlichen Maßnahmen zu entziehen. Größere Konzerte werden mittlerweile hauptsächlich im Ausland veranstaltet, bei denen auch deutsche Bands, meistens öffentlich als "Special Acts" beworben, auftreten. Die Beobachtung gewaltbereiter und rechtsterroristischer Strukturen gehört zur Schwerpunktbearbeitung der Verfassungsschutzbehörde. Der Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) im Jahr 2019 hat bis heute Auswirkungen auf die Sicherheitslage, da rechtsextremistische Terrorakte mögliche Nachahmungstäter motivieren. Der Verfassungsschutzbehörde wurden auch im Jahr 2024 Personen bekannt, die mit der Androhung von antisemitisch motivierten Strafund Gewalttaten mit Bezug auf Synagogen und jüdische Einrichtungen in Erscheinung getreten sind und sich dabei auf den verurteilten Rechtsterroristen Stephan Balliet bezogen. Die Verfassungsschutzbehörde stellte im Berichtsjahr wiederholt Bezüge und Schnittmengen zwischen der rechtsextremistischen Szene und anderen subkulturell geprägten Szenen wie zu Rockergruppierungen oder zur Fußballfanund Hooliganszene fest. Diese Schnittmengen speisen sich aus kriminellen Aktivitäten und beziehen sich dabei auch auf rechtsextremistische Ideologieelemente. Die Schnittmenge bleibt ein Sicherheitsrisiko, insbesondere wegen der gegenseitigen Nutzung von personellen und materiellen Ressourcen. Zudem weist das zu betrachtende Personenpotenzial ein hohes Gewaltniveau auf. 22 Rechtsextremismus RECHTSEXTREMISTISCHES PARTEIENSPEKTRUM "Alternative für Deutschland" (AfD) Landesverband Sachsen-Anhalt Gründung 2013 Sitz Magdeburg Vorsitz Martin Reichardt (MdB) Mitglieder / 2023 2024 Anhänger etwa 2.210* etwa 2.580* Struktur / 14 Kreisverbände, mehrere Ortsgruppen Aufbau "Junge Alternative Landesverband Sachsen-Anhalt" (JA-LSA, Jugendorganisation) "Friedrich-Friesen-Stiftung e. V." (parteinahe Stiftung) "Verein konservativer Kommunalpolitiker Sachsen-Anhalt e. V." (VKK-LSA, kommunalpolitische Vereinigung) Veröffentlichungen Kostenlose Zeitschriften der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt ("Aufbruch"), der AfD-Fraktion im Stadtrat von Magdeburg ("Blauer Reiter"), des AfD-Stadtverbandes Bitterfeld-Wolfen ("Alternativer Stadtkurier") und des AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Wenzel Schmidt ("Blaue Zukunft"); zahlreiche Onlineangebote Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden und Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung * Hierzu zählen auch die Mitglieder "Jungen Alternative Sachsen-Anhalt", die oftmals auch AfDMitglieder sind. Kurzportrait / Ziele Der AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt (im Folgenden: AfD Sachsen-Anhalt) wurde, wie die Bundespartei, im Jahr 2013 gegründet und zog mit der Landtagswahl 2016 erstmals in den Landtag von Sachsen-Anhalt ein. Seit den Kommunalwahlen des Jahres 2019 ist die AfD in allen Kreistagen sowie in zahlreichen Stadtund Gemeinderäten Sachsen-Anhalts in Fraktionsstärke vertreten. Bei der Landtagswahl 2021 erhielt die Partei 20,8 Prozent der Zweitstimmen; sie behauptete damit ihre Stellung als stärkste Oppositionsfraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Als politische Partei strebt die AfD in Sachsen-Anhalt mit der Beteiligung an Wahlen und dem Einwirken auf den gesellschaftlichen Diskurs einen fundamentalen Bruch mit der bestehenden politischen Ordnung an. Die thematischen Schwerpunkte der AfD Sachsen-Anhalt liegen in der Migrations-, Familien-, Identitätsund Erinnerungspolitik. In der Außenpolitik wirbt die Partei für eine Annäherung Deutschlands an die Russische Föderation. Ideologisch ist die AfD Sachsen-Anhalt der "Neuen Rechten" zuzuordnen; ihre Funktionsund Mandatsträger unterhalten aber Verbindungen in das gesamte rechtsextremistische 23 Rechtsextremismus Spektrum, zu "Reichsbürgern" und zur Delegitimiererszene. Grund der Beobachtung Die AfD Sachsen-Anhalt mitsamt ihrer Teil-, Nebenund Unterorganisationen ist als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft, da sich ihre politische Agitation gegen essentielle Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. Die Programmatik der AfD Sachsen-Anhalt ist wesentlich von der rassistischen Ideologie des Ethnopluralismus durchdrungen. Dem Ethnopluralismus liegt ein völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff zugrunde. Zentral ist dabei das Idealbild einer Völkervielfalt, die sich in jeweils ethnisch weitestgehend homogenen Staaten niederschlägt. Diese Vorstellung läuft letztlich auf die Schaffung ethnisch reiner Gesellschaften und damit die Ausweisung aller "Volksfremden" hinaus. Führende Funktionsund Mandatsträger bedienen sich einer dämonisierenden Wortwahl in Bezug auf Migranten; insbesondere Geflüchtete aus islamisch geprägten Ländern werden pauschal als Kriminelle diffamiert. Eine solche Abwertung von Menschengruppen aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Identität verstößt gegen das Prinzip der Menschenwürde nach Artikel 1 Absatz 1 GG. Darüber hinaus ist die AfD Sachsen-Anhalt fortwährend bestrebt, das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland sowie seine Institutionen und deren Vertreter verächtlich zu machen, um das Vertrauen der Bevölkerung in diese fundamental zu erodieren. Insbesondere während der Corona-Pandemie haben Funktionsund Mandatsträger der AfD SachsenAnhalt die Bundesrepublik Deutschland immer wieder mit autokratischen oder gar totalitären Regimen gleichgesetzt. Mit solchen Aussagen richtet sich die AfD Sachsen-Anhalt gegen das Demokratieprinzip nach Artikel 20 Absatz 1 GG. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Russlandpolitik Wie schon im Vorjahr blieben das Verhältnis zur Russischen Föderation und die Kritik an der Russlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland auch im Jahr 2024 ein zentrales politisches Thema der AfD Sachsen-Anhalt. So trat der AfD-Kreisverband Saalekreis unter Führung von Hans-Thomas Tillschneider (MdL) zur Kommunalwahl 2024 mit der Forderung an, Städtepartnerschaften mit russischen Städten zu schließen. Damit solle "ein starkes Zeichen" gegen die Russlandpolitik der Bundesregierung gesetzt werden. Hans-Thomas Tillschneider und andere Abgeordnete der AfD-Landtagsfraktion in SachsenAnhalt bauten direkte Kontakte zu politischen Vertretern in der Russischen Föderation weiter aus. Nach einer öffentlich übertragenen Online-Konferenz zwischen Mitgliedern der AfDLandtagsfraktion und Vertretern des Regionalparlaments der russischen Oblast Kaliningrad reiste im Juli 2024 eine Gruppe mehrerer AfD-Politiker nach Kaliningrad, um unter anderem weitere Kontakte in die russische Politik zu knüpfen. Weil sie ein "Zeichen der deutsch-russischen Freundschaft" setzen wollten, posierten einige AfD-Politiker auf dem Platz des Sieges 24 Rechtsextremismus in Kaliningrad mit deutsch-russischen Flaggen, was auch von einem russischen Fernsehsender übertragen wurde. Bei öffentlichkeitswirksamen Auftritten wie diesen verbreiteten Vertreter der AfD, vor allem im Hinblick auf den anhaltenden Krieg Russlands gegen die Ukraine, regelmäßig russische Propagandanarrative. Mitte des Jahres gründete der AfD-Landtagsabgeordnete Frank Otto Lizureck mit weiteren AfD-Abgeordneten (unter anderem aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt, dem Deutschen Bundestag und dem Europäischen Parlament) die politische Initiative "Stoppt die Sanktionen!". Wenngleich bislang ausschließlich von AfD-Politikern getragen vermeidet die Initiative, die sich auch "Bewegung gegen Sanktionen" nennt, in ihrer Außendarstellung offensive Bezüge zur AfD und versucht sich betont als überparteilich darzustellen. Zuletzt rief die AfDFraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt zur Unterstützung von "Stoppt die Sanktionen!" auf. Die Initiative agitiert vor allem in den sozialen Medien und verbreitet das Narrativ, dass die internationalen Sanktionen an der Russischen Föderation wirkungslos abprallten, jedoch den Deutschen und der deutschen Wirtschaft durch Energieknappheit, Preissteigerungen und Handelsbeschränkungen massiv schadeten. Negative Meldungen zur Wirtschaftskrise und Inflation in Deutschland werden dabei unmittelbar mit den Sanktionen gegen die Russische Föderation assoziiert. Mit "Stoppt die Sanktionen!" dient die AfD Sachsen-Anhalt zum einen dem Interesse der russischen Staatsführung,4 in der deutschen Bevölkerung Zweifel an der Berechtigung und dem Nutzen der internationalen Sanktionspolitik zu schüren. Zum anderen zielt die AfD SachsenAnhalt mit ihrer Agitation auf die Diffamierung des gesamten politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland und seiner wesentlichen Vertreter. Die AfD Sachsen-Anhalt warf der Bundesregierung dementsprechend vor, mit ihrer Russlandund Sanktionspolitik der deutschen Bevölkerung existenziell schaden zu wollen. Die Argumentation der AfD ist darauf angelegt, bei ihren Anhängern das Vertrauen in die politischen Institutionen und Prozesse der Bundesrepublik Deutschland fundamental zu erodieren und den Eindruck eines unmittelbar bevorstehenden, ultimativen Niedergangs, der Unterdrückung und Ausweglosigkeit zu erzeugen. Für die exponiertesten Vertreter der Russlandpolitik in der AfD steht eine Glorifizierung des russischen Staates unter Präsident Putin und eine Zurückdrängung des US-amerikanischen Einflusses auf Deutschland im Kontext einer antiliberalen Agenda, die letztlich eine Umgestaltung des politischen Systems in Deutschland zum Ziel hat. Anlässlich der Wiederwahl Putins zum Präsidenten der Russischen Föderation hob beispielsweise der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider einmal mehr den politischen Vorbildcharakter, den Putin für ihn ausstrahlt, hervor. Er wäre froh, wenn die deutsche Regierung die deutschen Interessen so sehr wahren würde wie Putin die Interessen des russischen Volkes, erklärte Hans-Thomas Tillschneider. Fremdenfeindliche Agitation Die Migrationspolitik blieb weiterhin das Kernthema der AfD Sachsen-Anhalt. Neben einem nahezu kompletten Stopp der Zuwanderung von Asylbewerbern fordert die AfD in diesem 4 Siehe dazu auch das Kapitel "Spionageabwehr", S. 160 f. 25 Rechtsextremismus Zusammenhang die millionenfache Abschiebung von in Deutschland lebenden Ausländern. Insbesondere mit Blick auf Probleme bei der inneren Sicherheit, aber auch etwa bei der Schulund Sozialpolitik, werden Abschiebungen regelmäßig als geradezu universeller Lösungsansatz präsentiert. Der von der AfD Sachsen-Anhalt vertretenen Ideologie des Ethnopluralismus liegt die Überzeugung zugrunde, dass das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Ethnien in einem Staat zwangsläufig in Konflikte münden muss. Auf dieser ideologischen Grundlage fordert die AfD Sachsen-Anhalt die Ausgrenzung von Menschen aufgrund von Herkunft, Religion5 und rassistischen Kriterien. Damit richtet sich die AfD gegen die in Artikel 3 GG konkretisierte prinzipielle Gleichstellung aller Menschen. Konstitutive Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie die allgemeinen Menschenrechte oder der Minderheitenschutz, werden dadurch zur Disposition gestellt. Funktionsund Mandatsträger der AfD Sachsen-Anhalt lassen keinen Zweifel daran, dass eine Rückführung von Asylbewerbern ohne gültigen Aufenthaltsstatus aus ihrer Sicht nicht ausreichen würde, um den von ihnen angenommenen "Großen Austausch" der deutschen Bevölkerung zu verhindern. Ausländern, die sich nach derzeitiger Rechtslage legal in Deutschland aufhalten, soll der Aufenthalt in Deutschland deutlich unangenehmer gestaltet werden, um sie zu einer freiwilligen Ausreise zu bewegen und Deutschland als Zielland für Migration generell unattraktiver erscheinen zu lassen. Der Co-Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion, Ulrich Siegmund, erklärte, eine AfD-geführte Regierung werde Asylbewerbern nur noch Sachleistungen ausstellen und den staatlichen Kontrolldruck auf Menschen mit Migrationshintergrund massiv erhöhen. Ausländer, Muslime und andere als fremd wahrgenommene Menschen werden von Funktionsund Mandatsträgern der AfD Sachsen-Anhalt allein aufgrund der ihnen zugeschriebenen Gruppenzugehörigkeit zu einer existenziellen Gefahr stilisiert; ihnen wird pauschal ein abgewerteter sozialer Status zugeteilt. Eine solche Kategorisierung von Menschengruppen steht den in Artikel 1 GG verankerten Menschenrechten entgegen. Beispielhaft hierfür sind die folgenden Aussagen von AfD-Vertretern:6 Sebastian Koch (Mitglied der AfD-Kreistagsfraktion Altmarkkreis-Salzwedel) schrieb am 30. Juli 2024 auf Facebook in Bezug auf einen Pressebericht über ein Gewaltverbrechen in Wolmirstedt: "[...] [D]er Angreifer war wie so oft, kein Deutscher. Mir klingelt es jetzt schon wieder in den Ohren - traumatisiert, psychisch krank, hat Mensch mit Fisch verwechselt. Am Ende haben wir uns mittlerweile daran gewöhnt, da wir fast täglich Meldungen von Messermännern und Gruppenvergewaltigern lesen müssen und 5 So verbreitete der AfD-Kommunalpolitiker Michael Krebs (Mitglied der AfD-Kreistagsfraktion Salzlandkreis) am 8. April 2024 auf Instagram eine Grafik mit der Aussage: "Der Islam gehört zu Deutschland wie Scheisse auf's Brötchen", was die Ausgrenzung einer gesamten Religionsgemeinschaft und eine eklatante Missachtung der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit (Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG) bedeutet. 6 Die im Folgenden direkt zitierten Belegstellen werden jeweils im Originallaut wiedergegeben, ohne dass gesondert auf Fehler in Rechtschreibung und Grammatik hingewiesen wird. Nicht in Textform darstellbare Inhalte, wie Bilder oder Emoticons, werden durch Anmerkungen und Beschreibungen erläutert. 26 Rechtsextremismus niemand spricht es aus! Unbegrenzte und unkontrollierte Zuwanderung hat getötet, tötet und wird töten...Wir müssen endlich dafür Sorge tragen, dass wir unsere Menschen davor schützen, bevor es auch dich und deine Familie trifft". Unter Bezugnahme auf einen weiteren Pressebericht behauptete Sebastian Koch am 20. Juni 2024 in einem Beitrag auf Instagram, es werde ein "tägliche[r] Rassekrieg gegen unsere Kinder, unsere Jugend" geführt. Martin Reichardt (MdB) schrieb am 25. November 2024 auf der Plattform X (ehemals Twitter): "[...] Gruppenvergewaltigungen, Morde, sind in Deutschland 2024 alltäglich geworden. Keine Frau ist mehr sicher, zu keiner Zeit, an keinem Ort. Heute, am 'Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen', überschlagen sich Politiker, besonders von Grünen und SPD darin, Frauen vor Gewalt schützen zu wollen. Aber keiner benennt den Grund, warum die Gewalt gegen Frauen explosionsartig zugenommen hat. Wenn sie es täten, müssten sie ihre Mitschuld eingestehen, denn sie haben massenweise Männer in unser Land geholt, die dem frauenfeindlichen islamistischen Weltbild folgen. [...] Die AfD braucht keinen 'Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen', denn Abschiebungen, der Schutz unserer Grenzen und die Rückkehr zu Recht und Gesetz ist der beste Schutz von Frauen!" Auf einen Pressebericht zu einem Gewaltverbrechen in Wolmirstedt Bezug nehmend äußerte sich Martin Reichardt am 15. Juni 2024 auf der Plattform X folgendermaßen: "Bis in die Kleinstädte hinein reicht der Arm des Messerterrors! Der Täter hat laut Augenzeugen Migrationshintergrund! Diese neue furchtbare Tat zeigt, dass die gegen unsere Sicherheit gerichtete Politik des Establishments an jedem Ort und zu jeder Zeit jeden von uns bedroht!" Daniel Roi (MdL) schrieb am 26. November 2024 auf der Plattform X Folgendes: "Die CDU hat mit der Grenzöffnung 2015 und den darauffolgenden Jahren unser Land destabilisiert und dafür gesorgt, dass Messerangriffe und Gruppenvergewaltigungen zum schrecklichen Alltag gehören." Mit ihrer auf Dauer und ständige Wiederholung angelegten Verbreitung xenophober Agitation befeuert die AfD Sachsen-Anhalt, nicht zuletzt durch eine drastische Wortwahl und die dämonisierende Bildsprache, offensiv rechtsextremistische Denkund Handlungsweisen unter ihren Anhängern, die ihrer inneren Logik nach letztlich zu Menschenrechtsverletzungen bis hin zu gewalttätigen Ausschreitungen führen können. Diese Konsequenzen werden teils auch innerhalb der AfD Sachsen-Anhalt bewusst wahrgenommen und thematisiert, wie etwa von Hans-Thomas Tillschneider (MdL) auf einer parteiinternen Tagung der AfD-Landesfachausschüsse zum Thema "Integration, Assimilation, Remigration" am 4. Februar 2024 in Schnellroda. In seiner Rede warb Hans-Thomas Tillschneider für ein Umdenken der AfD in der Migrationspolitik. Denn die von der Partei geforderte Remigration werde in letzter Konsequenz entweder zu einem Bürgerkrieg oder zur "millionenhaften Deportation unter Verletzung von Menschenrechten" führen, attestierte Hans-Thomas Tillschneider. Anstatt Remigration zu fordern, solle die AfD "mit einem eigenen Integrationsansatz in die Offensive gehen". Die Partei müsse sich auf Menschen mit Migrationshintergrund zubewegen und nicht mehr zwischen deutschund fremdstämmig unterscheiden, sondern zwischen patriotisch und unpatriotisch. Während sich die AfD Sachsen-Anhalt über alle Ebenen hinweg geschlossen zur 27 Rechtsextremismus Forderung nach Remigration bekannte, wurde Hans-Thomas Tillschneiders Werben für eine Neuausrichtung der Partei zumindest öffentlich durch den Landesverband und seine Mitglieder in keiner Weise rezipiert. In Zusammenhang mit der Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 erklärte Hans-Thomas Tillschneider, dass Migranten tendenziell psychisch labil seien, weil sie den stabilisierenden Halt und die Orientierung ihrer Herkunftsgesellschaft verloren hätten. Zudem steige im Konfliktfall das Gewaltpotenzial überproportional, je fremder sich Migranten und die Bevölkerung des Aufnahmestaates ethnokulturell seien. Für den Magdeburger Attentäter seien die Besucher des Weihnachtsmarkts daher nur eine "austauschbare Menschenkulisse" gewesen. Hans-Thomas Tillschneider erhob die Forderung, Migration künftig insbesondere anhand kultureller Unterschiede zu regulieren. In diesem Zusammenhang zirkulieren innerhalb der Neuen Rechten unterschiedliche Ansätze, den Personenkreis der auszuweisenden Personen stärker, als dies nach derzeit geltender Rechtslage möglich wäre, auszuweiten. In Reaktion auf die Amokfahrt veranstaltete die AfD in Sachsen-Anhalt am 23. Dezember 2024 in Magdeburg eine Kundgebung mit anschließender Demonstration, an der etwa 3.500 Personen teilnahmen. Hierbei handelte es sich nach den Teilnehmerzahlen um die mit Abstand größte Veranstaltung der AfD Sachsen-Anhalt im Berichtszeitraum. Abgesehen von monatlichen Demonstrationen in Bitterfeld-Wolfen nahm die Bedeutung dieser Form der politischen Kommunikation erkennbar ab. Stattdessen richtete die AfD Sachsen-Anhalt eine Vielzahl an Bürgerdialogen in verschiedenen Orten im ganzen Bundesland aus. Verächtlichmachung des demokratischen Systems und gewaltverherrlichende Äußerungen Die AfD Sachsen-Anhalt veröffentlicht durchgehend und in erheblicher Anzahl Aussagen, die darauf ausgerichtet sind, das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland, seine Institutionen und deren Vertreter grundlegend verächtlich zu machen. Der Regierung oder anderen demokratischen Institutionen wird totalitäres, demokratieund menschenfeindliches Handeln vorgeworfen oder die Regierung wird mit historischen Diktaturen wie dem NS-Regime oder der DDR gleichgesetzt. Ein Beispiel hierfür ist eine Rede, die Hans-Thomas Tillschneider (MdL) am 29. Januar 2024 bei einer von ihm angemeldeten Kundgebung unter dem Motto "Für den Erhalt unserer Demokratie - Nie wieder ist jetzt!" in Querfurt (Saalekreis) gehalten hat. Vor dem Hintergrund von Demonstrationen, die zu Beginn des Jahres 2025 bundesweit in Reaktion auf eine Reportage des Recherchenetzwerks "CORRECTIV" über das sogenannte "Potsdamer Treffen" vom 25. November 20237 durchgeführt wurden, erklärte Hans-Thomas Tillschneider, dass von der Regierung geförderte Demonstrationen gegen eine Oppositionspartei einer Demokratie unwürdig seien: "Dass aber die Regierung die Massen aufruft, gegen die Opposition zu demonstrieren, das ist eine astreine Diktatur." Die Demonstrationen, so Hans-Thomas Tillschneider, erinnerten ihn an nordkoreanische Militärparaden. Damit setzte Hans-Thomas Tillschneider die Bundesregierung mit der autokratischen Führung Nordkoreas gleich. 7 Vgl. hierzu auch S. 69. 28 Rechtsextremismus Indem Funktionsund Mandatsträger der AfD Sachsen-Anhalt in ihren Äußerungen die demokratische Ordnung zu einer Diktatur und zu einer elementaren Bedrohung für Leib und Leben verzerren, bauen sie ein derart intensives Bedrohungsszenario auf, dass für ihre Zuhörer ein gewaltfreier politischer Diskurs angesichts der scheinbar drohenden Diktatur keine rationale Option mehr sein kann. Vereinzelt wird in diesem Zusammenhang auch unmittelbar zur Gewalt gegen den politischen Gegner aufgerufen oder es wird ein gewaltsamer Umsturz herbeigesehnt. So reagierte der AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Wald am 1. Juli 2024 auf eine Meldung, wonach ein AfD-Politiker in einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem politischen Gegner diesen gebissen habe, mit dem folgenden Wortbeitrag auf der Plattform X: "Richtig so ich hätte diesem Nichtsnutz das Stück Fleisch aus der Wade herausgebissen!" Der AfD-Kommunalpolitiker Donatus Schmidt (Mitglied der AfD-Stadtratsfraktion Halle) schrieb am 27. April 2024 auf Facebook: "Diese Regierung und seine Schärgen widern mich maximal an, diese verkappten Drecksfaschisten. Gegen Faschisten darf man in Deutschland ja maximal hetzen. Sehr gut. Also: Zur Hölle mit diesem Kroppzeug! Keinen Anstand, kein Rückgrat, keine Zivilisiertheit mehr. Niederstes, asoziales, würdeloses, geisteskrankes Gesindel, allesamt. Im früheren Frankreich hätte man längst schon die Guillotinen gefettet!!! Wo bleibt der Aufstand der wahren Antifaschisten und der Sturm der Paläste dieser faschistoiden Mafia-Gangs, mit Fackeln und Mistgabeln und jeder Menge Wut im Bauch?? Es wird Zeit!" Kommunalwahlen 2024 Die AfD gewann bei den Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt im Vergleich zum Jahr 2019 deutlich hinzu und wurde insgesamt stärkste Kraft. In neun der 14 Landkreise und kreisfreien Städte erlangte die AfD jeweils vor der CDU die meisten Stimmen. In Mansfeld-Südharz lag der Abstand zur nachfolgenden CDU bei zehn Prozentpunkten. Auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte erreichte die AfD mit 34 Prozent im Saalekreis das höchste und mit 21,2 Prozent in Halle (Saale) das niedrigste Ergebnis (wobei sie auch in Halle (Saale) unter allen Parteien die meisten Stimmen erzielte). Bei der Stadtratswahl in Ilsenburg (Landkreis Harz) erhielt die AfD mit 15,4 Prozent landesweit ihr niedrigstes Ergebnis. In der Gemeinde Schnaudertal (Burgenlandkreis) erreichte sie mit 45,2 Prozent der Stimmen den höchsten Wert. In Raguhn-Jeßnitz (Kreis Anhalt-Bitterfeld), wo die AfD seit September 2023 bereits einen hauptamtlichen Bürgermeister stellt, bildet die AfD fortan mit sieben von insgesamt 20 Stadträten die stärkste Fraktion. Wegen des starken Abschneidens der AfD wurden ihre Mandatsträger auf der Ebene der Kreistage häufig in das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden gewählt, in einzelnen Stadtund Ortschaftsräten auch zu Vorsitzenden. Da in den meisten Fällen eine rechnerische Mehrheit der übrigen Parteien gegen die AfD bestanden hätte, wurden die AfD-Vertreter häufig auch mit Stimmen aus anderen Parteien gewählt. Unter den AfD-Kandidaten für die Kommunalwahl befanden sich einige Personen, die der Verfassungsschutzbehörde bereits wegen ihrer Bezüge zu anderen rechtsextremistischen Organisationen bekannt waren. Von diesen Kandidaten wurde ein Großteil in die jeweiligen 29 Rechtsextremismus Ämter gewählt. Hierzu zählen z. B. die Führungsfigur der rechtsextremistischen Siedlungsbestrebung "Weda Elysia", Anja Maria Schulz, die in den Stadtrat von Blankenburg gewählt wurde, und der rechtsextremistische Streamer Carsten Jahn, der ehemals der (inzwischen in "Die Heimat" umbenannten) NPD angehörte und bei der Kommunalwahl 2024 für die AfD ein Stadtratsmandat in Oschersleben gewann. In den Stadtrat von Dessau-Roßlau zogen mit Rene Diedering, der zuvor in der NPD und der rechtsextremistischen Szene in Dessau-Roßlau aktiv war, Laurens Nothdurft (einem ehemaligen Führungsmitglied der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend [HDJ]) und Joachim Nothdurft, der ebenfalls in verschiedenen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen aktiv war, gleich drei Personen mit Bezügen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen ein. Laurens Nothdurft wurde zudem zum Vorsitzenden (Ortsbürgermeister) des Ortschaftsrats Roßlau gewählt. Der eigentlich in der gesamten AfD geltende Unvereinbarkeitsbeschluss8, welcher ursprünglich genau einen solchen Personenkreis von einem Engagement in der AfD ausschließen sollte, wird von der AfD Sachsen-Anhalt mit großer Flexibilität umgangen. So gab der Landesvorsitzende Martin Reichardt auf Pressenachfrage bekannt, dass die Unvereinbarkeitsliste auch in Sachsen-Anhalt gelte; allerdings könne der Landesvorstand "nach sorgsamer Prüfung" der Beitrittskandidaten Ausnahmen beschließen. Die AfD in Sachsen-Anhalt entschied sich somit bewusst für Personen aus anderen extremistischen Organisationen und laut Martin Reichardt seien derartige Entscheidungen im Landesverband unstrittig. Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Akteuren Die AfD Sachsen-Anhalt hat umfangreiche Verbindungen zu einer Vielzahl von rechtsextremistischen Organisationen, die ihrerseits tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen aufweisen und oftmals Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörden sind. So erklärte sich die AfD Sachsen-Anhalt im Sommer 2024 nahezu geschlossen mit dem rechtsextremistischen Compact-Magazin solidarisch. Infolgedessen trat Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer u. a. im August 2024 als Gastredner auf dem AfD-Landesparteitag in Magdeburg auf. Die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt schaltete regelmäßig Werbeoder Stellenanzeigen im Compact-Magazin. Inhaltlich verbindet die AfD SachsenAnhalt und das Compact-Magazin nicht zuletzt eine dezidiert prorussische Agenda. Neben einer grundsätzlich engen Bindung der AfD Sachsen-Anhalt an Akteure der "Neuen Rechten" - z. B. an das aufgelöste und umstrukturierte Institut für Staatspolitik (IfS), die Identitäre Bewegung (IB) und den Verein "Ein Prozent e. V." - bestehen weiterhin einzelne Verbindungen in das gesamte rechtsextremistische Spektrum. Beispielsweise nahmen Mitglieder der AfD-Stadtratsfraktionen Thale und Wernigerode an der rechtsextremistischen Veranstaltung "Ausbruch 60" in Budapest (Ungarn) teil. Diese bis 8 Gemäß SS 2 Abs. 4 der AfD-Bundessatzung können Personen, die Mitglied einer extremistischen Organisation sind, nicht Mitglied der Partei sein. 30 Rechtsextremismus zu 60 Kilometer lange Wanderung ist Bestandteil der von Rechtsextremisten jährlich am 12. Februar unter der Bezeichnung "Tag der Ehre"9 durchgeführten Gedenkveranstaltungen, die der Glorifizierung eines in der Endphase des Zweiten Weltkriegs von Soldaten der deutschen Wehrmacht und der verbündeten ungarischen Truppen unternommenen Versuchs des Ausbruchs aus einer Umzingelung durch die Rote Armee dienen. Etliche Teilnehmer sind zu diesem Anlass in historische Uniformen von Wehrmacht und Waffen-SS gekleidet und tragen entsprechende Insignien. Interner Konflikt Nachdem die AfD Sachsen-Anhalt in den vergangenen Jahren nach außen hin stets betont geschlossen aufgetreten ist, entwickelte sich im Verlauf des Jahres 2024 ein anhaltender interner Konflikt. Anlass war ein zu dem Landesparteitag am 17. August 2024 in Magdeburg aus Kreisen des AfD-Landesvorstandes eingebrachter Antrag, bei der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 ausschließlich mit einer Landesliste anzutreten und auf die Aufstellung von Direktkandidaten gänzlich zu verzichten. Weil die Aufstellung der Landesliste in der Regel maßgeblich von der Führungsebene der AfD Sachsen-Anhalt bestimmt wird, die Direktkandidaten aber von den in den jeweiligen Wahlkreisen wohnhaften Mitgliedern der AfD gewählt werden, versprach sich der Landesvorstand von einem kompletten Verzicht auf Direktkandidaturen mehr Einfluss und Steuerbarkeit in der Auswahl potenzieller Bundestagsabgeordneter. Einige Mitglieder des AfD-Landesverbandes sahen darin eine einseitige Machtverschiebung zugunsten der "Funktionärselite" und einen Angriff auf das basisdemokratische Gründungsideal der Partei. Letztlich scheiterten alle Versuche, den Verzicht auf Direktkandidaten durchzusetzen, an der Intervention des AfD-Bundesvorstandes. Der AfD-Landesvorstand reagierte auf seine parteiinternen Kritiker mit Ordnungsstrafen und Ausschlussverfahren, wodurch die einstmals ostentative Geschlossenheit des Landesverbandes sichtbar brüchig wurde. Der Konflikt innerhalb der AfD Sachsen-Anhalt ist allerdings nicht Ausdruck eines ideologischen Richtungskampfes. Die Führung der AfD Sachsen-Anhalt zielt offensichtlich auf eine Transformation ihrer Strukturen hin zu einer strikt hierarchischen und zentral vom Landesvorstand gelenkten Kaderpartei, die ihre Nomenklatura vor allem nach Loyalität auswählt. Dies steht im Kontext einer Tendenz, die innerhalb der Partei bundesweit zu beobachten war. Zuletzt beschloss die AfD auf ihrem Bundesparteitag am 11. und 12. Januar 2025 in Riesa (Sachsen), ihre bis dahin weitgehend autonom agierende Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) neu zu strukturieren und unter die Kontrolle der Parteigremien zu bringen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das Jahr 2024 war für die AfD Sachsen-Anhalt von beispiellosen Wahlerfolgen geprägt. Sowohl bei den Wahlen zum Europäischen Parlament als auch bei den Kommunalwahlen konnte die Partei ihre Ergebnisse im Vergleich zu den Wahlen im Jahr 2019 signifikant steigern. Während die AfD bei der Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt mehrere Hundert Mandate 9 Vgl. hierzu auch S. 44 u. 46. 31 Rechtsextremismus gewann, zog mit Arno Bausemer auch ein Mitglied der AfD Sachsen-Anhalt in das EU-Parlament ein. Die Zahl der Parteimitglieder nahm weiterhin zu und stieg von 2.210 im Vorjahr auf 2.580 Mitglieder bis Ende 2024 an. Angesichts ihrer hohen Zustimmungswerte gab die AfD Sachsen-Anhalt für die Landtagswahlen 2026 in Sachsen-Anhalt das Ziel aus, als stärkste Partei den Ministerpräsidenten stellen zu wollen. Parteiintern trug die AfD Sachsen-Anhalt im Jahr 2024 einen Konflikt um die organisatorische Ausrichtung des Landesverbandes aus, in dem es im Kern um die Frage ging, wie viel Einfluss dem Landesvorstand bei der Auswahl der Bundestagskandidaten zukommen sollte. Ideologische Inhalte waren in diesen Auseinandersetzungen nicht von Bedeutung. In ihrer ideologischen Ausrichtung bleibt die AfD Sachsen-Anhalt geeint; eine Abkehr von ihren extremistischen Positionen ist weiterhin nicht erwartbar. 32 Rechtsextremismus "Die Heimat" - ehemals "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Landesverband Sachsen-Anhalt Gründung Landesverband: 1990 (als Landesverband "Mitteldeutsche Nationaldemokraten") Bundesverband: 1964 (Umbenennung: Juni 2023) Sitz Landesverband: postalisch Berlin Bundesverband: Berlin Vorsitz Landesverband: Henry-Kurt Lippold Bundesverband: Frank Franz (Saarland, bis November 2024), Peter Schreiber (Sachsen, ab November 2024) Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 70 70 Bund 3.000 2.500 Struktur / Elf Kreisverbände Aufbau "Junge Nationalisten" (JN, Jugendorganisation) Veröffentlichungen "Deutsche Stimme" (DS) (frei verkäufliche Zeitschrift des Bundesverbandes, erschient mehrmals jährlich) Internetpräsenz: https://www.facebook.com/heimat.sachsen.anhalt/ Finanzierung Mitgliedsbeiträge und Spenden Kurzportrait / Ziele "Die Heimat" ist die älteste aktive Partei des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland. Sie will den demokratischen Verfassungsstaat beseitigen und durch eine institutionell rassistische Gesellschaftsordnung ersetzen, in der von ihr so verstandene ethnisch Nichtdeutsche von der politischen Willensbildung ausgeschlossen sind. Ihre Programmatik ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet und sie ist bestrebt, die Gesellschaft im Sinne ihrer rassistischen, nationalsozialistischen und antisemitischen Vorstellungen zu prägen. Grund der Beobachtung "Die Heimat" vertritt ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, dessen ideologisches Kernelement die Idee einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" ist. Davon ausgehend propagiert sie unverhohlen rassistische und fremdenfeindliche Positionen. Die "Vier Säulen-Strategie" der Partei, bestehend aus dem "Kampf um die Köpfe", dem "Kampf um die Straße", dem "Kampf um die Parlamente" und dem "Kampf um den organisierten Willen", verdeutlicht seit Jahren das Ziel, den demokratischen Verfassungsstaat systematisch und umfassend zu bekämpfen. 33 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundespartei Bundesweit war die Entwicklung der Partei im Jahr 2024 insbesondere von ihrem weiteren Abgleiten in die politische Bedeutungslosigkeit, internen Zerwürfnissen und dem Rückzug des bisherigen Bundesvorsitzenden Frank Franz aus der Parteiführung geprägt. Am 23. Januar 2024 schloss das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) "Die Heimat" für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung nach SS 18 des Gesetzes über die politischen Parteien (PartG) aus. Das Gericht stellte fest, dass die Partei "[...] die Schwelle vom bloßen Bekenntnis der Ablehnung zur Bekämpfung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung [überschreitet] und [...] auf deren Beseitigung ausgerichtet [ist]"10. Anders als für ein Parteienverbot sei es laut Gericht für den Finanzierungsausschluss unerheblich, ob für die Umsetzung der verfassungsfeindlichen Ziele überhaupt eine Aussicht auf Erfolg bestehe. Der Ausschluss von der staatlichen Parteienfinanzierung verschärfte die bereits bestehenden Probleme des Bundesverbandes weiter und dürfte dazu beigetragen haben, dass der damalige Parteivorsitzende Frank Franz im Herbst 2024 erklärte, nicht noch einmal für den Vorsitz der Partei zu kandidieren. Frank Franz war es gewesen, der im Jahr 2023 die Umbenennung der damaligen "NPD" in "Die Heimat" durchsetzen konnte und damit den Versuch unternahm, die Partei zu einer Vernetzungsbewegung innerhalb der rechtsextremistischen Szene "umzubauen". Der nunmehr auch gerichtlich beschiedene Bedeutungsverlust der Partei wurde durch das Ergebnis der Europawahl am 9. Juni 2024 eindrücklich illustriert. Die Partei selbst bezeichnete das Wahlergebnis als "eine[s] der schlechtesten Wahlergebnisse seit Bestehen unserer nationalen Bewegung", was zeigt, dass die Partei für potenzielle Wähler zu einer zunehmend irrelevanten Kraft geworden ist. Zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 trat "Die Heimat" gar nicht erst an. Unter diesen schwierigen Vorzeichen fand unter dem Motto "Alle[s] für die Heimat" am 22. und 23. November 2024 in Bernsdorf (Sachsen) der erste Bundesparteitag unter dem neuen Parteinamen statt. Inhaltlich dominiert wurde der Parteitag von der Wahl des neuen Bundesvorsitzenden. Als einziger Kandidat trat Peter Schreiber an, der mit 88 Prozent der Stimmen gewählt wurde. Ob es unter dem neuen Vorsitzenden zu einem Wiedererstarken der Partei kommen wird, ist fraglich. Die innerparteilichen Auseinandersetzungen um den im Jahr 2023 eingeleiteten Reformkurs haben sich im Berichtszeitraum fortgesetzt. Eine im Jahr 2023 gegründete Abspaltung der Partei mit dem "alten neuen" Namen "NPD" um Lennart Schwarzbach (Hamburg) konnte ihre eigenen Strukturen festigen und sich zwischenzeitlich durch Einreichen der Parteiunterlagen beim Bundeswahlleiter als eigenständige Partei etablieren. Landesverbände bestehen bis10 BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 23. Januar 2024 - 2 BvB 1/19 - Rn. 1 - 510, hier: 507. 34 Rechtsextremismus lang in Hamburg, Baden-Württemberg und im Saarland. In Sachsen-Anhalt ist eine Institutionalisierung der neugegründeten Partei bislang nicht zu beobachten. Landesverband Sachsen-Anhalt Die auf bundespolitischer Ebene vollzogene Spaltung ist in Sachsen-Anhalt noch nicht erkennbar. Dessen ungeachtet konnte die Partei ihre politische Marginalisierung auch in Sachsen-Anhalt nicht stoppen. Im Landesverband der "Heimat" organisieren sich rund 70 Mitglieder in hauptsächlich formal existierenden Kreisverbänden. Aktivitäten fanden im Berichtsjahr lediglich in Halle (Saale), Wittenberg und Mansfeld-Südharz sowie vereinzelt in Magdeburg und im Burgenlandkreis statt. Insbesondere die Kommunalwahlen am 9. Juni 2024 haben erneut gezeigt, dass die Partei in der Fläche weiter an Bedeutung verliert. Bei den ersten Wahlen unter ihrem neuen Namen verlor sie eines von bis dahin zwei Kreistagsmandaten in Sachsen-Anhalt und ist seither ausschließlich im Kreistag des Burgenlandkreises vertreten. Das Aktivitätsniveau des Landesverbandes und der einzelnen Kreisverbände ist unverändert niedrig. Öffentlichkeitswirksam trat die Partei nur punktuell in Erscheinung. Zwar nahmen vereinzelt Mitglieder an szenetypischen Versammlungen wie Gedenkmärschen und Kranzniederlegungen zum Andenken an die Opfer alliierter Bombardierungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg teil; allerdings konnte hierbei weder eine übergreifende Mobilisierung noch eine organisationsübergreifende Vernetzung der Parteimitlieder in der rechtsextremistischen Szene festgestellt werden. Die mobilisierungsstarken Proteste gegen Veranstaltungen zum Christopher Street Day im Sommer 2024 wurden sowohl in Magdeburg als auch in Halle (Saale) eher von den "Jungen Nationalisten" (JN) sowie von neugegründeten aktionsorientierten Gruppierungen dominiert. Diesen lokalen Mobilisierungsschwächen zum Trotz zeigte sich im Rahmen des rechtsextremistischen Versammlungsgeschehens am Tag nach der Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt vom 20. Dezember 2024 die organisatorische Rolle der Partei für die rechtsextremistische Szene in Deutschland. Maßgeblich verantwortlich für die Organisation einer fremdenfeindlichen Versammlung in der Magdeburger Innenstadt am 21. Dezember 2024 war der "Heimat"-Funktionär Alexander Deptolla,11 der trotz seines Umzuges nach Sachsen-Anhalt weiterhin in der Partei aktiv ist und insbesondere in Dortmund für diese in Erscheinung tritt. Auch die Redebeiträge bei der Versammlung am 21. Dezember 2024 kamen zum großen Teil von Funktionären der Partei, so vom Bundesvorsitzenden Peter Schreiber. Die große Zahl der bei der Versammlung mitgeführten Flaggen der JN deutet darauf hin, dass Mitglieder und Anhänger der "Heimat" unter den Versammlungsteilnehmern eine dominante Rolle einnahmen. Der Landesverband und seine Kreisverbände sind in den sozialen Netzwerken zwar mit eigenen Präsenzen vertreten; hier werden jedoch fast ausschließlich Artikel des Partei-Organs "Deutsche Stimme" sowie gelegentlich Beiträge der jeweils anderen Kreisverbände geteilt. 11 Zu der Rolle Alexander Deptollas in der rechtsextremistischen Szene Sachsen-Anhalts und zu der Kundgebung am 21. Dezember 2024 in Magdeburg vgl. auch den Abschnitt "Reorganisation der neonazistischen Szene im Harz unter Alexander Deptolla", S. 45 ff. 35 Rechtsextremismus Über die sozialen Netzwerke verbreitet der Landesverband in unregelmäßigen Abständen Einschätzungen aktueller politischer Entwicklungen, die fremdenfeindliche Äußerungen enthalten und das politische System der Bundesrepublik Deutschland verächtlich machen. Vereinzelt berichten der Landesverband und die Kreisverbände über interne Veranstaltungen wie Wahlen, Gedenkveranstaltungen oder Weihnachtsfeiern. Derart beworbene Veranstaltungen - selbst zum rechtsextremistischen "Heldengedenken", zu dem die Partei 2024 etwa zehn Personen mobilisieren konnte - finden ohne nennenswertes Echo in den sozialen Medien statt. Nicht einmal die JN beteiligte sich im Berichtsjahr an diesen Veranstaltungen und führte stattdessen eigene durch. "Junge Nationalisten" (JN) Nachdem die JN in Sachsen-Anhalt im Jahr 2023 in Ermangelung von Führungspersonen kaum mehr aktiv gewesen waren, gewannen sie insbesondere ab Mitte des Jahres 2024 an Stärke und entfalteten Aktivitäten im Land. Die zunehmende Anziehungskraft der JN zeigt sich darin, dass es gelingt, in Gebieten, die in den vergangenen Jahren eher durch lose, wenig stabile Personenzusammenschlüsse geprägt waren, in verhältnismäßig kurzer Zeit feste Strukturen aufzubauen. So gründete sich im Spätsommer 2024 mit der "Elbjugend" ein Ableger der JN in Magdeburg, der bereits Anfang des Jahres 2025 eigene Veranstaltungen organisierte (z. B. einen Liederabend mit einem rechtsextremistischen Liedermacher aus Sachsen). Mit öffentlichen Aktionen gelang es der JN, zahlreiche neue Mitglieder zu werben. So führten die JN am 6. April 2024 in Lutherstadt Eisleben (Mansfeld-Südharz) eine Banneraktion durch, bei der JN-Mitglieder auf dem Marktplatz ein Banner mit der Aufschrift "ISRAEL MORDET" entrollten und Pyrotechnik zündeten. Höhepunkt der JN-Aktivitäten in Sachsen-Anhalt waren die Demonstrationen gegen CSDVeranstaltungen im Sommer 2024. Die JN meldeten für den 14. September 2024 eine Versammlung gegen den an demselben Tag stattfindenden CSD in Halle (Saale) an, an der sich rund 100 Personen beteiligten. Bei der Versammlung handelte es sich um die größte Veranstaltung seit mehreren Jahren, die die JN selbständig in Sachsen-Anhalt durchführen konnten. Unter den Teilnehmern befanden sich zahlreiche JN-Mitglieder aus dem gesamten Bundesgebiet. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die einstige Führungsrolle der NPD innerhalb der rechtsextremistischen Szene kann die "Heimat" nicht mehr ausfüllen. Vielmehr ist die Partei mittlerweile nur noch ein marginaler Akteur unter anderen rechtsextremistischen Bestrebungen. Die Bundespartei befindet sich ebenso wie der Landesverband sowohl bei Wahlen als auch im Hinblick auf ihre interne Struktur seit mehreren Jahren in einem beständigen Niedergangsprozess. Ihre Mitgliederzahlen sinken; hinzu kommen finanzielle Probleme, die sich infolge des Ausschlusses der "Heimat" von der staatlichen Parteienfinanzierung verschärft haben. Zudem mündete ein seit 36 Rechtsextremismus Jahren schwelender Richtungsstreit, der im Zuge der Umbenennung in die "Heimat" öffentlich sichtbar wurde, in der Abspaltung von Parteistrukturen. Die daraus entstandene personelle Lücke konnte bislang kaum gefüllt werden. Ob der angestoßene Reformkurs hin zu einer "Vernetzungsbewegung" für rechtsextremistische Akteure trotz dieser strukturellen Probleme gelingen oder ob die ehemals größte rechtsextremistische Partei weiter in der Bedeutungslosigkeit versinken wird, bleibt abzuwarten. In Sachsen-Anhalt fanden im Berichtszeitraum kaum öffentlichkeitswirksame und anschlussfähige politische Aktivitäten des Landesverbandes und seiner Kreisverbände statt. Aufgrund des sich fortsetzenden Verlusts aktiver Mitglieder existieren die meisten Kreisverbände nur noch "auf dem Papier" bzw. in den sozialen Netzwerken. Eine Trendwende ist weiterhin nicht in Sicht. Die JN scheinen sich zunehmend von der Mutterpartei zu lösen und unabhängig von dieser zu agieren. Zunehmend gelingt es, mit aktionsorientierten Angeboten insbesondere bei jungen Menschen anschlussfähig zu werden. So sind derzeit steigende Mitgliederzahlen der JN zu beobachten. Wie sich die Organisation in Sachsen-Anhalt ausbreitet, bleibt abzuwarten. Ein Übergang von Personal zwischen der "Heimat" und ihrer Jugendorganisation ist bislang jedoch kaum zu beobachten. Dies dürfte die strukturellen Probleme der "Heimat" in SachsenAnhalt weiter verschärfen. 37 Rechtsextremismus "Der III. Weg" (III. Weg) Gründung 2013 Sitz Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Vorsitz Matthias Fischer (Brandenburg) Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 60 100 Bund etwa 800 etwa 950 Struktur / Bundesweite Gliederung in vier Landesverbände und 26 Aufbau Stützpunkte (in Sachsen-Anhalt existieren die Stützpunkte Anhalt, Magdeburg/Altmark und Burgenlandkreis)12 "Nationalrevolutionäre Jugend" (NRJ, Jugendorganisation) Veröffentlichungen http://www.der-dritte-weg.info (Homepage) Soziale Netzwerke (Telegram) Printmedium "Theorie und Aktion" (monatlich) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden und Einnahmen aus dem Materialvertrieb Kurzportrait / Ziele Die 2013 gegründete Partei "Der III. Weg" ist seit Jahren fest im rechtsextremistischen Spektrum verankert. Die Partei gliedert sich in vier Landesverbände und 26 Stützpunkte. Die Stützpunkte sind direkt dem Bundesvorstand der Partei unterstellt, da es keine Kreisverbände gibt. "Der III. Weg" versteht sich als eine völkische Weltanschauungspartei innerhalb der nationalen Bewegung. Mit ihrem Auftreten verfolgt die Partei einen ganzheitlichen Ansatz, der sich nicht nur auf parteipolitische Aktionen beschränkt. Grundlage der Parteiaktivitäten ist das sogenannte "Drei-Säulen-Konzept": politischer Kampf, kultureller Kampf und Kampf um die Gemeinschaft. Hierbei spielen thematische Arbeitsgruppen wie Ideologie, Sport, Umwelt und Jugendarbeit eine zentrale Rolle. Diese Arbeitsgruppen sollen alle Lebensbereiche der Parteimitglieder abdecken, eine Verbindung zu anderen Rechtsextremisten schaffen sowie die Werbung von Neumitgliedern forcieren. Für die Jugendarbeit wurde die "Nationalrevolutionäre Jugend" (NRJ) etabliert. Das Ziel der NRJ ist es, Jugendliche zu indoktrinieren und an die Partei zu binden. Darüber hinaus fungiert sie als eine Art Kaderschmiede für neue Parteifunktionäre (z. B. für künftige "Stützpunktleiter"). Sie dient somit auch der Nachwuchsförderung. 12 Die genannten Stützpunkte nutzen jeweils eigene Telegramkanäle. Daneben existiert noch der Telegram-Kanal "Der III. Weg Harz". 38 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung Führungspersonen der Partei sind seit Jahren fest im rechtsextremistischen Spektrum verankert und seit der Gründung der Partei bemüht, den Strukturaufbau weiter voranzutreiben. Das Parteiprogramm lehnt sich zum Teil an Vertreter des sogenannten "linken" Nationalsozialismus an und propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschenund Gesellschaftsbild. Es fordert die Erhaltung und Entwicklung der "biologischen Volkssubstanz" und die Schaffung eines "Deutschen Sozialismus". "Der III. Weg" agitiert insgesamt antisemitisch, ausländerfeindlich und revisionistisch. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Positionierung zum völkerrechtlichen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und zum Nahost-Konflikt Wie schon in den vorangegangenen Jahren betonte die Partei auch im Jahr 2024 weiterhin öffentlich ihre Solidarität mit der Ukraine. So nahmen beispielsweise an mehreren Veranstaltungen von "Der III. Weg" in Sachsen-Anhalt "Kameraden" aus der Ukraine teil. Dabei handelte es sich häufig um Mitglieder der ukrainischen Organisation "Sokil".13 Die radikal antiisraelische und antisemitische Ausrichtung der Partei kommt in ihrer Positionierung zu den militärischen Reaktionen Israels auf den Terrorangriff der HAMAS vom 7. Oktober 2023 zum Ausdruck. "Der III. Weg" sieht die Schuld für die Eskalation des Nahostkonflikts seit 2023 allein auf israelischer Seite. Am ersten Jahrestag des HAMAS-Angriffs veröffentlichte die Partei auf ihrer Internetseite einen Beitrag mit dem Titel "Terrorstaat Israel: Bodenoffensive im Libanon gestartet". Darin heißt es: "Erneut zeigt der Judenstaat also, wie viel er auf internationale Beschlüsse gibt. Die Partei 'Der III. Weg' setzt sich für das Ende aller Waffenlieferungen nach Israel ein. [...] Es wird kein Frieden im Nahen Osten einkehren, solange Israel weiterhin, unterstützt durch die Staaten des Westens, seine imperialistische und von einem alttestamentarischen Auserwähltenwahn besessene Gewaltpolitik gegen die autochtonen arabischen Nachbarvölker fortsetzen kann." Weiter bezeichnet die Partei in dem Beitrag die Bundesrepublik Deutschland "als "Besatzungskonstrukt der judäoplutokratischen Siegermächte", welche die "imperialistischen Aggressionen" des Staates Israel unterstützt. Zudem wird Israel in diesem Zusammenhang ebenfalls als ein "zionistisches Gebilde" benannt. Überregionale Aktivitäten Zu Beginn des Jahres 2024 unterstützte "Der III. Weg" medial sehr aktiv die angekündigten 13 "Sokil" ist die Jugendorganisation der Partei "Swoboda" in der Ukraine. Die Partei "Swoboda" wird als nationalistisch und neonazistisch eingeschätzt. Sie verwendet als Symbolik eine Wolfsangel. Die Jugendorganisation soll sogenannte paramilitärische Camps in der Ukraine durchführen, wo Jugendliche neben einer ideologischen Schulung auch eine Ausbildung für den Umgang mit Waffen erhalten. 39 Rechtsextremismus Proteste des Deutschen Bauernverbandes und seiner Landesverbände gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Dazu veröffentlichte die Partei auf ihren diversen Internetpräsenzen und in den sozialen Medien Beiträge und Termine der Protestveranstaltungen. Die Partei nutzte die Öffentlichkeitswirksamkeit dieser Proteste, um unter dem Deckmantel der von ihr proklamierten "Solidarität mit dem Bauernstand" ihre rechtsextremistischen Positionen zu verbreiten und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Am 1. Mai 2024 führte "Der III. Weg" in Sonneberg (Thüringen) eine Demonstration zum "Arbeiterkampftag" durch. An der Versammlung nahmen etwa 170 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet teil, darunter etwa zehn Personen aus dem Landkreis Burgenlandkreis und der Region Anhalt. Auf ihrer Homepage veröffentlichte die Partei am 9. November 2024 einen Text mit dem Titel "Gedenktag: 9. November - Schicksalstag der Deutschen", der u. a. auf den Mauerfall am 9. November 1989 Bezug nimmt. In dem Text wird betont, dass "[d]ie Partei 'Der III. Weg' [...] für einen souveränen deutschen Staat ein[tritt]" und "die friedliche Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen" anstrebt. An diesem Beitrag zeigt sich die gebietsrevisionistische Position der Partei, da "Der III. Weg" hier das Staatsgebiet des ehemaligen Deutschen Reiches als "Gesamtdeutschland" deklariert, was unter anderem Gebiete des heutigen Polen umfasst. Entwicklung und Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Nicht öffentliche Aktivitäten In Sachsen-Anhalt führten "Der III. Weg" und die NRJ eine Reihe von internen Veranstaltungen durch, die im Nachgang zum Teil auf der Internetseite der Partei dokumentiert wurden. Neben Stammtischen und Wanderungen zählten hierzu insbesondere gemeinsame Trainingseinheiten, die im Raum Magdeburg und Burg (Landkreis Jerichower Land) stattfanden. An diesen Aktivitäten beteiligten sich zum Teil Funktionäre, die sich in der Arbeitsgemeinschaft (AG) "Körper und Geist"14 engagieren, sowie Mitglieder der JN. Teilweise wurden solche internen Veranstaltungen mit Aktivitäten zum Zweck der Öffentlichkeitsarbeit verbunden. So trafen sich laut Angaben, die auf der Internetseite des "III. Weg" veröffentlicht wurden, Angehörige der NRJ am 15. November 2024 im Raum Sangerhausen zu einem gemeinsamen Kampfsporttraining; im Anschluss daran habe man zahlreiche Flugblätter mit dem Titel "Der III. Weg - Aktiv in deiner Region" in Briefkästen sowie an Passanten verteilt. Eine der wichtigsten internen Veranstaltungen der Partei stellt das jährliche "Heldengedenken" am Volkstrauertag dar. Am Wochenende um den 16. und 17. November 2024 führte der Stützpunkt Burgenlandkreis eine entsprechende "Gedenkfeier" auf dem Friedhof in Profen in der Gemeinde Elsteraue (Burgenlandkreis) durch; der Stützpunkt Magdeburg/Altmark veranstaltete eine "Heldengedenkfeier" in Magdeburg. Weitere Veranstaltungen zum "Heldengedenken" fanden laut Angaben auf dem Telegram-Kanal "Der III. Weg Harz" auf dem Friedhof in Sangerhausen und in Lutherstadt Eisleben (beide Landkreis Mansfeld-Südharz) statt. 14 Die AG soll nach Parteiangaben vor allem der "körperlichen Ertüchtigung" der Parteimitglieder dienen. Ihr Fokus liegt auf dem Kampfsportbereich. 40 Rechtsextremismus Ein Höhepunkt der Parteiarbeit in Sachsen-Anhalt war die Ausrichtung des "2. Sachsen-Anhalt-Tags". Dieser fand am 20. Juli 2024 auf dem Grundstück von Enrico Marx in Allstedt OT Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz)15 mit etwa 50 Personen statt. Unter den Teilnehmern waren sowohl Angehörige der Stützpunkte Burgenlandkreis und Magdeburg/Altmark als auch Parteimitglieder aus Berlin, Brandenburg und Thüringen. Zudem waren Vertreter der ukrainischen Organisationen "Sokil" und "Centuria"16 sowie der spanischen Organisation "Falange"17 anwesend. Am Nachmittag erfolgte die Gründung des Stützpunkts Anhalt. Der bei dem Treffen anwesende Bundesvorsitzende Matthias Fischer betonte, dass sich immer mehr "national-revolutionäre Aktivisten" in der Region Anhalt für "Der III. Weg" engagierten und aufgrund ihrer öffentlichkeitswirksamen Aktionen nunmehr die Stützpunktgründung vollzogen werde. Auf der Homepage von "Der III. Weg" wurde am 31. August 2024 ein Beitrag mit dem Titel "Europäischer Jugendtag der NRJ in Sachsen-Anhalt" veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass diese Veranstaltung am 17. August 2024 mit einer Teilnehmerzahl von etwa 30 Personen im Landkreis Jerichower Land durchgeführt worden sein soll. Zur Veranstaltung heißt es unter anderem: "Um sich Kennenzulernen und besser auszutauschen, wurde mit weiteren nationalistischen Gruppen aus dem europäischen Ausland ein Arbeitstreffen organisiert. Neben Vertretern vom Active Club Dietsland (Niederlande) nahmen auch Aktivisten der Organisation Centuria (Ukraine) teil. Mit einem straffen Programm bestehend aus sportlicher Betätigung, Wettkämpfen, Redebeiträgen und Organisationsveranstaltungen erwartete alle Teilnehmer ein interessanter Tag im Kreise europäischer Nationalisten." Darüber hinaus wurde auf der Internetseite von "Der III. Weg" berichtet, dass Angehörige der NRJ am 24. August 2024 einen "Jugendtag" in Anhalt durchgeführt haben. Neben einer Wanderung um einen See seien Übungen zur Selbstverteidigung trainiert worden. Öffentliche Aktivitäten Wie in den zwei vorangegangenen Jahren betrieben die Parteimitglieder der Stützpunkte Magdeburg/Altmark, Burgenlandkreis und Anhalt im Jahr 2024 weiterhin eine offensive Öffentlichkeitsarbeit, sowohl in den sozialen Medien als auch auf der Straße (z. B. Verteilen von Flugblättern). In der Stadt Zeitz (Burgenlandkreis) war "Der III. Weg" am 20. April 2024 und am 19. Oktober 2024 mit einem Informationsstand präsent. Wiederholt traten Mitglieder von "Der III. Weg" mit homophoben Aktivitäten gegen die 15 Zu den Aktivitäten von Enrico Marx vgl. auch den Abschnitt "Rechtsextremistische Szene im Landkreis Mansfeld-Südharz", S. 47. 16 "Centuria" ist eine ukrainische rechtsextremistische und militant auftretende Gruppierung, die 2018 gegründet wurde. Sie verwendet Symbolik aus dem antiken Rom. In Deutschland gibt es die "Centuria Magdeburg" mit dem Ziel öffentlich zu zeigen, dass ukrainische Jugend im Exil für ihre nationale Identität einsteht. 17 "Falange" ist eine neonazistische Partei in Spanien, die sehr gute Kontakte zu anderen neonazistischen Parteien in Europa hat. Sie ist Mitglied der "European National Front". 41 Rechtsextremismus LGBTQ+-Community in Erscheinung, so etwa beim CSD am 15. Juni 2024 in Köthen (Landkreis Anhalt Bitterfeld). Im Vorfeld der Veranstaltung wurden durch Polizeikontrollen im Stadtgebiet von Köthen Schmierereien mit homophoben Inhalten, darunter "Fck CSD", "God hate Fags", "Pedos Raus" und "III.", festgestellt. In den Mittagsstunden wurden von der Polizei 18 Personen auf dem Marktplatz festgestellt, darunter Anhänger der JN, der NRJ sowie der örtlichen rechtsextremistischen Szene. Gegen diese Personen wurden von der Polizei Platzverweise erlassen. In den Abendstunden während des Aufzuges wurden darüber hinaus 10 bis 15 Aufkleber von "Der III. Weg" festgestellt. Am 31. August 2024 fand der CSD in Zeitz (Burgenlandkreis) statt. Als Gegenprotest meldete der Leiter des Stützpunktes Burgenlandkreis am selben Tag auf dem Roßmarkt in Zeitz einen Informationsstand unter dem Motto "Gesunde Familien fördern und schützen" an, an dem sich bis zu 60 Personen, darunter Mitglieder der Partei aus der Region Anhalt, aus dem Burgenlandkreis und aus Magdeburg, beteiligten. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Partei "Der III. Weg" baute in den letzten Jahren kontinuierlich ihre Strukturen in Sachsen-Anhalt aus. Mittlerweile existieren seit der Gründung des Stützpunktes Anhalt am 20. Juli 2024 drei Stützpunkte (Anhalt, Burgenlandkreis und Magdeburg/Altmark). Das Personenpotenzial ist innerhalb des Berichtszeitraums von 60 auf 100 Personen gestiegen. Es bestehen gute Verbindungen zu den Stützpunkten von "Der III. Weg" in Brandenburg und Berlin. "Der III. Weg" ist in den sozialen Medien sehr aktiv. Auf insgesamt vier Telegram-Kanälen berichtete die Partei über ihre Aktivitäten in Sachsen-Anhalt. Dabei nahm die Berichterstattung über das Verteilen von Flugblättern im gesamten Bundesland einen besonders großen Stellenwert ein. Bei ihren Aktionen konzentrierte sich die Partei im Jahr 2024 eher auf kleinere, dezentrale Veranstaltungen im ländlichen Raum. Aktuell scheint die Partei einen besonderen Fokus auf die Rekrutierung von jungen Menschen zu legen. Der Ausbau der Jugendorganisation NRJ wurde in Sachsen-Anhalt vorangetrieben. Im Jahr 2024 nahmen die gezielt an Jugendliche und junge Erwachsene gerichteten Aktivitäten der NRJ weiter zu. Auch das Personenpotenzial der NRJ ist im Berichtszeitraum angestiegen. Die NRJ agiert in Sachsen-Anhalt nicht selbständig, sondern scheint sich eher als "Dienstleister" der Partei zu betätigen. Bei vielen Mitgliedern der Partei besteht eine hohe Kampfsportaffinität. So finden regelmäßig Kampfsportveranstaltungen der AG "Körper und Geist" statt, bei denen laut eigenen Angaben vornehmlich Verteidigungstechniken trainiert werden. Die Agitation gegen Migranten und die LGBTQ+-Community und das Thema "Familienschutz" wird die öffentliche Agenda der Partei auch in der näheren Zukunft bestimmen. Zudem wird "Der III. Weg" auch künftig versuchen, Themen wie "Jugend Voran", Umweltschutz sowie Heimatliebe zu besetzen und mit sogenannten "Streifengängen" von "Bürgerwachen" versuchen, Bürgernähe zu zeigen. 42 Rechtsextremismus PARTEIUNGEBUNDENER, VORNEHMLICH NEONAZISTISCH GEPRÄGTER RECHTSEXTREMISMUS Gründung Neonazistische Organisationen etablierten sich insbesondere in den 1970er Jahren und existieren in Sachsen-Anhalt seit der Wiedervereinigung. Verbreitung Bundesweit Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 250 290 Bund 8.500 8.50018 Struktur / Die rechtsextremistische Szene hat sich in den letzten Jahren Aufbau modernisiert und passt sich der gesellschaftlichen Entwicklung an. Die heterogene neonazistische Szene in Sachsen-Anhalt agiert weiterhin in aktionsorientierten, regionalen Gruppierungen, die teilweise durch unterschiedliche ideologische Strömungen des Rechtsextremismus charakterisiert sind. Gruppenbezeichnungen wie "Kameradschaften", "Aktionsbündnisse" oder "Bruderschaften" suggerieren eine Handlungsbereitschaft und deuten auch auf eine Gewaltorientierung hin. Im Berichtsjahr waren regionale Personenzusammenschlüsse in der Altmark, im Burgenlandkreis, im Raum Anhalt sowie in den Landkreisen Harz und Mansfeld-Südharz aktiv. Diese verfügen zwar kaum über feste Strukturen, sind aber gut miteinander vernetzt, so dass eine gemeinsame Mobilisierung, insbesondere zu einzelnen Veranstaltungen, möglich ist. Einzelpersonen mit überregionalen und organisationsübergreifenden Kontakten nehmen in diesen Gruppierungen eine Führungsrolle ein. Es bestehen Kontakte zu der rechtsextremistischen Partei "Der III. Weg" sowie zahlreiche personelle Überschneidungen zwischen der parteiungebundenen Szene und den JN.19 Neonazis bilden den größten Teil der parteiungebundenen rechtsextremistischen Szene. Das Personenpotenzial umfasst dabei sowohl Gruppierungen mit einem subkulturellen "Einschlag" als auch Gruppierungen, die für ideologische Varianten des Nationalsozialismus und die Übernahme neuer Verhaltensweisen aufgeschlossen sind, sowie Gruppierungen, die den historischen Nationalsozialismus verherrlichen. Oft werden die Zusammenschlüsse vorrangig von einzelnen Akteuren geeint und zur Zusammenarbeit untereinander gesteuert. 18 Die Angabe 8.500 umfasst das gesamte Potenzial parteiunabhängiger bzw. parteiungebundener Strukturen. 19 Vgl. hierzu die Abschnitte "Der III. Weg" und "Die Heimat" in dem Unterkapitel "Rechtsextremistisches Parteienspektrum", S. 33 ff. u. S. 38 ff. 43 Rechtsextremismus Veröffentlichungen Web-Angebote: diverse, teils wechselnde Auftritte in den sozialen Medien (vor allem Instagram, TikTok, X mit verstärkter Nutzung von geschlossenen Gruppenchats, aber auch TelegramKanäle zur Kommunikation mit der Öffentlichkeit) Publikation: Zeitschrift "N.S.Heute" Finanzierung Zumeist unterhalten parteiungebundene Personenzusammenschlüsse eine sogenannte "Gruppenkasse". Es werden mitunter auch Spendengelder gesammelt. Bei Veranstaltungen (z. B. Vorträgen, Rechtsschulungen oder Musikveranstaltungen) zahlen Teilnehmer in der Regel einen Unkostenbeitrag bzw. Eintritt. Einige Gruppierungen bewerben eigene Merchandise-Produkte in Form von Bekleidung und Aufklebern. Kurzportrait / Ziele Neonazis stehen in der ideologischen Tradition des historischen Nationalsozialismus. Sie treten bei geschichtsträchtigen Ereignissen, vornehmlich aus der Zeit des Dritten Reiches, oder bei der Glorifizierung einzelner prominenter Nationalsozialisten auch öffentlichkeitswirksam in Erscheinung (z. B. bei "Trauermärschen" zum Gedenken an die Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, bei dem sogenannten "Tag der Ehre" in Ungarn, bei Feiern anlässlich des Geburtstags von Adolf Hitler am 20. April, bei Veranstaltungen zum 1. und 8. Mai sowie bei "Sonnenwendfeiern" oder anderen Veranstaltungen zum Zweck der germanischen "Brauchtumspflege"). Der Neonazismus ist bemüht, sich den gesellschaftlichen Gegebenheiten, insbesondere im Hinblick auf aktuelle sozialoder gesellschaftspolitische Fragen, stetig anzupassen. Tagespolitische Themen werden in den sozialen Medien und auf der Straße aufgegriffen und zum Zweck der Propagierung des neonazistischen Weltbildes instrumentalisiert. Grund der Beobachtung Neonazistische Gruppierungen zeichnen sich durch eine vor allem von Rassismus und Antisemitismus geprägte Ideologie aus, welche sich am Nationalsozialismus orientiert und somit im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Teile der Bevölkerung werden als minderwertig angesehen; ihre verfassungsrechtlich verbrieften Grundrechte, wie die Menschenwürdegarantie und die Gleichheit vor dem Gesetz, werden ihnen in der Konsequenz abgesprochen. Die geschichtsrevisionistische Umdeutung oder Relativierung des Nationalsozialismus gehört zu den zentralen Ideologemen des deutschen Neonazismus. Aufgrund ihrer Vorstellung von einer antipluralistischen Gesellschaft und einem autoritären Staat, in dem politischen Gegnern als "Feinden" das Existenzrecht abgesprochen wird, ist Neonazis eine grundsätzliche Gewaltorientierung zuzuschreiben. Gewalt gegen "Fremde" und "Feinde" wird auf dieser Basis legitimiert. 44 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Reorganisation der neonazistischen Szene im Harz unter Alexander Deptolla Nachdem der bundesweit bekannte Rechtsextremist Alexander Deptolla, ein Mitbegründer des Kampfsportlabels "Kampf der Nibelungen", bereits im Jahr 2023 seinen Lebensmittelpunkt sowie seine Firma "Tremonia Druck" in den Landkreis Harz verlagert hatte20, ist er seit Frühjahr 2024 offiziell in Halberstadt (Landkreis Harz) gemeldet. Hier gelang es ihm und weiteren (insbesondere aus Dortmund stammenden) Rechtsextremisten im Berichtszeitraum, sich mit langjährigen Protagonisten der regionalen neonazistischen Szene zu vernetzen. Mittlerweile hat sich Alexander Deptolla zu einer relevanten Figur für die gesamte rechtsextremistische Szene Sachsen-Anhalts entwickelt. Alexander Deptolla und seinem Umfeld gelang es im Berichtszeitraum, zunehmend Einfluss auf die seit 2022 regelmäßig montags in Halberstadt stattfindenden Versammlungen unter dem Motto "Für die Zukunft unserer Kinder" zu nehmen. Zum Ende des Jahres 2024 wurden bei diesen Versammlungen regelmäßig Banner mit rechtsextremistischen Aussagen gezeigt, rechtsextremistische Parolen gerufen und Gastredner anderer Neonazis um Alexander Deptolla nutzten am 8. April 2024 eine regelmäßig stattfindende Versammlung in Halberstadt rechtsextremistischer Personenzusamfür eine "Gedenkaktion" anlässlich des Jahrestags der menschlüsse eingeladen. Am 8. April Bombardierung der Stadt am Ende des Zweiten Weltkriegs 2024, dem 79. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Halberstadt im Zweiten Weltkrieg, nutzten rund 30 zum Teil überregional angereiste Rechtsextremisten unter der Führung Alexander Deptollas die Versammlung für eine rechtsextremistische Gedenkveranstaltung. In weitgehend einheitlicher schwarzer Kleidung trug die Gruppe ein Transparent mit der Aufschrift "Wir gedenken der Toten von Halberstadt/ 08.04.1945" vor sich her. Eine Distanzierung von den rechtsextremistischen Versammlungsteilnehmern von Seiten der Anmelderin oder des Versammlungsleiters gab es nicht. Im Gegenteil, die "Gedenkaktion" wurde von der Versammlungsleitung explizit begrüßt. Seit Herbst 2024 wurde die rechtsextremistische Einflussnahme auf die Versammlung immer deutlicher sichtbar. So führten rechtsextremistische Teilnehmer, die nun regelmäßig in einem gemeinsamen "Block" an den Versammlungen teilnahmen, ein Transparent mit der Aufschrift "Staatlich geförderten Terror stoppen. AnRechtsextremistische Versammlungsteilnehmer mit JNTransparent im November 2024 in Halberstadt 20 Vgl. hierzu Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2023. Magdeburg 2024, S. 88. 45 Rechtsextremismus tifagruppen zerschlagen!" mit. Im November 2024 trat der bundesweit bekannte Rechtsextremist Michael Brück (Sachsen), der mittlerweile Pressesprecher der rechtsextremistischen Partei "Freie Sachsen"21 ist, als Redner auf. Vertreter der "Jungen Nationalisten" (JN)22 beteiligten sich mit einem Banner, auf dem auch das Logo der JN abgebildet war, an der Versammlung. Im gesamten Berichtszeitraum distanzierte sich die Versammlungsleitung weder von den gezeigten Bannern mit eindeutig rechtsextremistischen Aufschriften noch unterband sie die Reden von bundesweit bekannten Rechtsextremisten. Somit gelang es Alexander Deptolla und seinem Umfeld in einem Zeitraum von weniger als einem Jahr, die regelmäßig stattfindenden Protestveranstaltungen zunächst rechtsextremistisch zu beeinflussen und sie schließlich im Sinne ihrer rechtsextremistischen Ideologie zu prägen. Auch abseits des wöchentlichen Versammlungsgeschehens in Halberstadt führten Alexander Deptolla und sein Umfeld im Jahr 2024 nicht nur zahlreiche rechtsextremistische Szeneveranstaltungen (u. a. Rechtsschulungen, Liederabende und Kranzniederlegungen an für die rechtsextremistische Szene bedeutsamen Jahrestagen) innerhalb Sachsen-Anhalts durch, an denen sich mehrfach Szeneangehörige aus verschiedenen Bundesländern beteiligten. Angehörige der Gruppe nahmen auch an deutschlandund europaweiten rechtsextremistischen Szeneveranstaltungen wie dem "Lukov"-Marsch in Bulgarien und dem "Tag der Ehre" in Ungarn, an Vernetzungstreffen der JN in Niedersachsen sowie an Versammlungen der Partei "Die Heimat" in ihrer Heimatstadt Dortmund teil. Berichte und Bilder, die diese Veranstaltungen dokumentieren, werden gezielt in den sozialen Netzwerken unter dem Namen "Harz verteidigen" geteilt und dienen neben der Verbreitung der eigenen Ideologie auch der Gewinnung neuer, insbesondere junger und internetaffiner Anhänger. Bei zahlreichen in den vergangenen Jahren entstandenen Accounts mit Bezeichnungen wie " [...] verteidigen" oder "[...] Revolte" handelt es sich um eine bundesweit koordinierte Kampagne der rechtsextremistischen Szene, mit der wiedererkennbare und einheitliche Social-Media-Auftritte lokaler rechtsextremistischer Gruppierungen geschaffen werden sollen, die sich untereinander bestärken. Die Auftritte werden dabei jeweils an lokale Gegebenheiten angepasst. Gruppen mit entsprechenden Accounts existieren beispielsweise auch in den Ländern Schleswig-Holstein und Niedersachsen. Die Vernetzungskraft von Alexander Deptolla zeigte sich in einer maßgeblich von ihm organisierten und ausgerichteten versammlungsrechtlichen Aktion, die am 21. Dezember 2024 in Reaktion auf die Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt vom Vortag stattfand. Die Versammlung unter dem Motto "Gegen den Terror" wurde mit rund 2.100 Teilnehmern und zahlreichen Bannern, auf denen u. a. die rechtsextremistische Forderung nach "Remigration" zu lesen war, in der Magdeburger Innenstadt durchgeführt. Zwar waren unter den Teilnehmern auch Personen, die nicht aus dem rechtsextremistischen Spektrum stammten 21 Wie Alexander Deptolla war auch Michael Brück in der Dortmunder Neonazi-Szene aktiv gewesen, bevor er seinen Lebensmittelpunkt nach Ostdeutschland verlagerte. Zu der Partei "Freie Sachsen" und Brücks Rolle siehe Sächsisches Staatsministerium des Innern und Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen (Hrsg.): Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2023. Dresden 2024, S. 41 ff. 22 Zur JN siehe S. 36. 46 Rechtsextremismus und die Versammlung bereits kurz nach Beginn wieder verließen; doch war ein Kern von mehreren hundert Rechtsextremisten auf der Versammlung festzustellen, die nicht allein aus SachsenAnhalt stammten, sondern bundesweit angereist waren. Am Abend nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt Die Teilnehmer kamen zum am 20. Dezember 2024 versammelten sich hunderte Neonazis zu einer großen Teil aus dem Umfeld fremdenfeindlichen Kundgebung in der Magdeburger Innenstadt. der Partei "Die Heimat" und der JN, was auch anhand der im Rahmen der Kundgebung gezeigten Flaggen und Transparente erkennbar war. Mit dieser Kundgebung organisierte Alexander Deptolla innerhalb eines Tages eine der bundesweit größten rechtsextremistischen Versammlungen des Jahres 2024. Die Präsenz der Bundesvorsitzenden der rechtsextremistischen Parteien "Die Heimat" und "DIE RECHTE", Peter Schreiber (Sachsen) und Christian Worch (Mecklenburg-Vorpommern), sowie der bundesweit bekannten Rechtsextremisten Sascha Krolzig (Nordrhein-Westfahlen), Thorsten Heise, Sebastian Schmidtke und Christian Klar (alle Thüringen) bei der Versammlung illustriert Alexander Deptollas Bedeutung innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Rechtsextremistische Szene im Landkreis Mansfeld-Südharz Aktivitäten der Szene um Enrico Marx Als rechtsextremistischer Veranstaltungsort hat das Grundstück des Rechtsextremisten Enrico Marx in Allstedt OT Sotterhausen für die Szene an Attraktivität verloren. Die Zahl der Veranstaltungen in dem Objekt nahm im Berichtszeitraum deutlich ab. Trotzdem fanden dort weiterhin Musikund Sportveranstaltungen, Sonnenwendfeiern sowie Veranstaltungen der JN und der Partei "Der III. Weg" statt. Anders als in den Vorjahren wurden diese Veranstaltungen allerdings nicht vorab angekündigt, denn die Zunahme von staatlichen Maßnahmen und damit verbundene finanzielle Einbußen zwangen die Veranstalter zur Konspiration. Als Beispiele für Veranstaltungen, die in dem Objekt stattfanden, sind neben dem "2. SachsenAnhalt-Tag" von "Der III. Weg" am 20. Juli 2024 zwei Feiern am 4. Februar 2024 und am 9. März 2024 von Personen der lokalen rechtsextremistischen Szene und aus benachbarten Bundesländern mit einer Personenanzahl im niedrigen zweistelligen Bereich zu nennen. Aktivitäten zum Questenfest Das alljährlich zu Pfingsten in der Gemeinde Südharz OT Questenberg stattfindende Questenfest wird seit Jahren auch von Rechtsextremisten unterschiedlicher Strömungen - sowohl von Neonazis als auch von Personen der "Neuen Rechten" - aufgesucht. Die Queste23 wird von den rechtsextremistischen Besuchern mit der germanischen Mythologie in Verbindung gebracht und daher zum Anlass genommen, Brauchtumspflege öffentlich darzustellen. 23 Die Queste besteht aus einem etwa zehn Meter hohen Baumstamm, an dem ein Kranz aus Reisig befestigt ist. An den Enden des Kreuzes werden Reisigbündel (die Quasten) befestigt. Die Queste wird mit der germanischen Mythologie in Verbindung gebracht, denn sie ähnelt der Irminsul (Irmensäule). Die Ursprünge und der eigentliche Sinn des Questenfestes sind bis heute unklar. 47 Rechtsextremismus Das teilnehmende rechtsextremistische Personenpotenzial lag im Jahr 2024 im mittleren zweistelligen Bereich. Es wurden Rechtsextremisten aus Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen vor Ort festgestellt. Das Questenfest ist ein Anlaufpunkt für verschiedene kleinere rechtsextremistische Personengruppen und Einzelpersonen, die das Fest für sich begehen und sich vor Ort begegnen. So wurden beispielsweise am 18. Mai 2024 an der "Alten Schule Questenberg" mehrere Personen in völkischer Kleidung festgestellt. Unter ihnen befand sich Jens Lange (Mitglied der AfD), der Besitzer dieser Immobilie. In den Nachmittagsstunden des 19. Mai 2024 (Pfingstsonntag) hielt sich eine Gruppe von Angehörigen der JA Sachsen-Anhalt im Bereich der Burgruine Questenberg auf. Auf dem Telegram-Kanal "Junge Alternative Sachsen-Anhalt" wurde ein Gruppenfoto hierzu gepostet; demnach hatten etwa 15 Angehörige der JA den Aufstieg zur Queste absolviert. Ebenfalls am 19. Mai 2024 trat der völkische Liedermacher "Andi Hoffnung" (Sachsen) in der Gaststätte "Zur Queste" auf. Diese Musikveranstaltung besuchten in der Spitze bis zu 80 Personen, darunter mehrere Rechtsextremisten wie Marla Svenja Liebich (Sachsen) und Mitglieder der JA Sachsen-Anhalt. Am 20. Mai 2024 (Pfingstmontag) begann in den Mittagsstunden der Umzug mit den Traditionsfahnen zur Queste. Unter den Teilnehmenden war der bekannte Rechtsextremist Nikolai Nehrling (Niedersachen) mit Familienangehörigen. Rechtsextremistische Aktivitäten von Marla Svenja Liebich 24 Nachdem Marla Svenja Liebich im Juli 2023 vom Amtsgericht Halle (Saale) wegen Delikten wie Volksverhetzung, Beleidigung, Hausfriedensbruch und übler Nachrede zu einer Haftstrafe von anderthalb Jahren ohne Bewährung verurteilt worden war,25 nahmen ihre Aktivitäten im Berichtsjahr weiter ab. Bis März 2024 nahm sie weiter an ihren turnusmäßig angemeldeten Versammlungen in der Stadt Halle (Saale) teil. Danach wurden diese von einem langjährigen Mitstreiter geleitet. Inhaltlich waren die Versammlungen weiterhin von der Stimmungsmache gegen Migranten und scharfer Kritik an der Politik der Bundesregierung geprägt. Die Teilnehmerzahlen bei den Versammlungen lagen im niedrigen zweistelligen Bereich. Die von Marla Svenja Liebich in den vergangenen Jahren für samstags angemeldeten Versammlungen unter dem Motto "Die Revolution ist noch nicht zu Ende" fanden seit dem Sommer nicht mehr statt. Aktivitäten zum Jahrestag alliierter Luftangriffe auf Magdeburg im Zweiten Weltkrieg Wie bereits im Jahr zuvor kam es auch am 16. Januar 2024 nicht zu einer organisationsübergreifenden größeren Kundgebung der rechtsextremistischen Szene anlässlich des Jahrestags der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg. Stattdessen wurden vereinzelt kleinere dezentrale Aktionen wie Kranzniederlegungen oder Mahnwachen durchgeführt. In 24 Seit November 2024 ist Sven Liebich nach dem Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag Marla Svenja Liebich zu nennen. 25 Am 2. August 2024 bestätigte das Landgericht Halle die Entscheidung des Amtsgerichts, woraufhin Marla Svenja Liebich gegen die Entscheidung Revision einlegte. Die von Marla Svenja Liebich eingelegte Revision wurde vom Oberlandesgericht Naumburg am 14. Mai 2025 verworfen. Somit ist das Urteil des Amtsgericht Halle (Saale) rechtskräftig. 48 Rechtsextremismus den Abendstunden des 16. Januar 2024 fanden sich z. B. rund 30 Angehörige der lokalen rechtsextremistischen Szene zu einer unangemeldeten Gedenkaktion auf dem Magdeburger Domplatz ein, um dort Kerzen zu entzünden. An dieser Aktion beteiligten sich auch Alexander Deptolla und weitere Szeneangehörige aus dem Landkreis Harz. Völkische Siedlungsbestrebungen Im Rahmen der Beobachtung rechtsextremistischer Aktivitäten sind der Verfassungsschutzbehörde sogenannte völkische Siedlungsbestrebungen bekannt geworden. Völkische Siedlungsbestrebungen sind begrifflich bisher nicht abschließend definiert. Es gibt Gemeinschaften, die ihre Überzeugungen ohne Anspruch auf eine politisch-gesellschaftliche Umgestaltung ausleben; sie gelten nicht als verfassungsfeindliche Bestrebungen. Daneben können für den Verfassungsschutz relevante rechtsextremistische Siedlungsbestrebungen detektiert werden. Derartige Bestrebungen liegen vor, wenn Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum gezielt versuchen, Rückzugsräume zu schaffen, indem geografische Gebiete durch Zuzug und/oder ideologische/kulturelle Prägung vereinnahmt werden. Völkische Siedler pflegen eine naturorientierte, ökologische Lebensweise und lassen sich daher vorrangig in ländlich geprägten Gebieten nieder. Sie vertreten zumeist nationalistische, rassistische, antisemitische und/oder homophobe Ansichten. Einige rechtsextremistische Akteure der völkischen Siedlungsbestrebungen können der "Anastasia-Bewegung" zugerechnet werden, einer esoterisch-ökologischen, neu-religiösen Bewegung, die ursprünglich aus Russland stammt und seit einigen Jahren versucht, auch in Deutschland lokale Strukturen, sogenannte "Familienlandsitze", aufzubauen. Die "AnastasiaBewegung" ist ein sehr heterogenes internationales Netzwerk, das sich aus verschiedenen Einzelpersonen und Organisationen zusammensetzt. Die ideologische Grundlage der Bewegung bildet die zehnbändige "Anastasia"-Buchreihe von Wladimir Megre, die ein völkisches und antisemitisches Weltbild propagiert. So wird beispielsweise in der Romanreihe das Narrativ der jüdischen Weltverschwörung aufgegriffen, wenn dort behauptet wird: "Die meisten Veröffentlichungen zum Thema 'Juden', die mir in die Hände gefallen sind, haben auf mich einen recht primitiven Eindruck gemacht. Fast alle laufen auf die Feststellung der gleichen Tatsachen hinaus: 'Die Juden haben die Presse verschiedener Länder unter ihre Kontrolle gebracht'; 'das Fernsehen ist von Grund auf jüdisch'; 'der Geldfluss in der Welt wird zum größten Teil von Juden kontrolliert'. Das ist alles so, keine Frage, auch im heutigen Russland. Aber dies allein ist nicht mehr als eine Feststellung von Tatsachen."26 Ein Akteur der "Anastasia"-Siedlungsbestrebungen in Deutschland ist der Verein "Weda Elysia e. V." (Weda Elysia) mit Sitz in Blankenburg, Ortsteil Wienrode (Landkreis Harz). Der Verein, dem etwa 20 Personen angehören, strebt den Aufbau einer eigenen FamilienlandsitzSiedlung an und hat zu diesem Zweck die ehemalige Dorfschänke im Ortskern von Wienrode erworben, um diese zu renovieren und zu einem Kulturzentrum auszubauen. Im Mai 2023 wurde auf diesem Gelände eine "Kaffeeund Trachtenstube" eröffnet, die in selbstorganisierten Veranstaltungen mit eingebunden ist. In seiner Publikation "Weda Elysia - Fahrt ins Para26 Wladimir Megre: Anastasia. Band 8.1: Neue Zivilisation. Güllesheim 2005, S. 138. 49 Rechtsextremismus dies" macht der Verein unmissverständlich deutlich, dass er sich auf Wladimir Megres "Anastasia"-Buchreihe beruft. "Weda Elysia" strebt nach einem "autarken Leben" in der Siedlungsgemeinschaft, nach einer Rückkehr zu einem ursprünglichen, freien und individuellen Leben im Einklang mit der Natur. Die als "unfrei" empfundene Gesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland wird als negativer Gegenpol zu der Utopie einer unabhängigen FamilienlandsitzSiedlung wahrgenommen. Aus der Perspektive der Anhänger des Vereins steht die ausschließlich positive, sinnerfüllte Welt von "Weda Elysia" einer gänzlich von Leid und Krieg geprägten, von bösen Hintergrundmächten beherrschten Außenwelt gegenüber. Ein derart simplifizierendes Schwarz-Weiß-Denken ist ein typisches Merkmal extremistischer Argumentationsmuster. "Weda Elysia" strebt eine politisch-gesellschaftliche Veränderung der Gesellschaft an. Auf mehreren Ebenen, sowohl politisch als auch zivilgesellschaftlich, versucht der Verein, seinen Einfluss auf die lokale Gemeinschaft zu vergrößern, um den Ruf eines Kümmerers vor Ort zu erwerben. Der Verein pflegt Kontakte zu anderen Rechtsextremisten, z. B. zu Funktionsund Mandatsträgern der AfD Sachsen-Anhalt. Auch im Jahr 2024 setzte der Verein seine Bemühungen fort, aktiv am politischen und gesellschaftlichen Leben in Wienrode teilzuhaben, um seine Akzeptanz in der Bevölkerung vor Ort zu erhöhen. Bereits im November 2023 war es Anja Maria Schulz, einem führenden Mitglied von "Weda Elysia", bei einer Ergänzungswahl des Ortschaftsrates von Wienrode gelungen, ein Mandat zu erringen. Bei der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 konnte sie dieses Mandat verteidigen und darüber hinaus einen Sitz im Stadtrat Blankenburg für die AfD-Fraktion erlangen. Überdies gewann ein weiteres Mitglied von "Weda Elysia" bei der Kommunalwahl ein Mandat im Ortschaftsrat von Wienrode. Mit zahlreichen vermeintlich unpolitischen Veranstaltungen (z. B. einem Maitanz, einer Kräuterwanderung, einem Lindenfest, Liederabenden und einem Julmarkt), die vornehmlich im "Haus Lindenquell" und auf dem dazugehörigen Gelände stattfanden, trat "Weda Elysia" im Berichtszeitraum erneut öffentlich in Erscheinung. Darüber hinaus setzte der Verein sein Engagement gegen den Bau von Windkraftanlagen in der Harzregion fort. Mitglieder von "Weda Elysia" wirken in dem Verein "Schöne Harzer Heimat" mit, der seinen Widerstand gegen die Nutzung von Windenergie im Harz mit dem Naturund Artenschutz begründet. "Weda Elysia" ist erkennbar darum bemüht, eine führende Rolle als zivilgesellschaftlicher Akteur gegen Windenergie in der Harzregion zu übernehmen. Mit der Besetzung umweltpolitischer Themen versucht der Verein, seine rechtsextremistische Ideologie verschleiert zu transportieren und in der Gesellschaft zu verankern. 50 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die neonazistische Szene in Sachsen-Anhalt war in den vergangenen Jahren von informellen Personenzusammenschlüssen geprägt. Diese Gruppierungen treten kurzlebig und oft zunächst nur im virtuellen Raum in Erscheinung. Der Einsatz sozialer Medien spielt mittlerweile eine zentrale Rolle für die Rekrutierung neuer Szeneangehöriger. Insbesondere bei Instagram, TikTok und Telegram sind Chatgruppen aktiv, die für Aktionen und Demonstrationen mobilisieren und damit vor allem eine jugendliche Klientel ansprechen. Das Personenpotenzial der neonazistischen Szene ist im Jahr 2024 angestiegen. Grund hierfür ist vor allem der Zuzug bekannter Szeneangehöriger nach Sachsen-Anhalt, die die regionalen Szenen in Sachsen-Anhalt reaktivieren, mobilisieren und neue, meist junge Anhänger für die Szene rekrutieren. Ein weiterer Grund für den Anstieg des Personenpotenzials dürfte das Erstarken der JN und der NRJ sein, die als Jugendorganisationen der in SachsenAnhalt aktiven neonazistischen Parteien "Die Heimat" und "Der III. Weg" als eine Art Scharnier zum parteiungebundenen Spektrum der neonazistischen Szene fungieren. Beiden Organisationen gelang es, in den letzten Monaten vornehmlich sehr junge Akteure für ihre Aktivitäten zu gewinnen. Bei öffentlichen Veranstaltungen zeigen sich die engen Vernetzungen innerhalb der Szene. Unter dem Eindruck der Amokfahrt vom 20. Dezember 2024 in Magdeburg gelang es der neonazistischen Szene in Sachsen-Anhalt unter Führung Alexander Deptollas, eine zentrale Großveranstaltung mit deutschlandweiter und organisationsübergreifender Mobilisierung zu organisieren. Somit scheint es, als habe die Szene insbesondere dank der Präsenz derart organisationsstarker Einzelpersonen nach mehreren Jahren organisatorischer Schwäche wieder die Fähigkeit entwickelt, überregional für größere Versammlungen in Sachsen-Anhalt zu mobilisieren. Ob die in den Vorjahren gezeigte Mobilisierungsschwäche der Szene damit nachhaltig überwunden wird, lässt sich noch nicht beurteilen. 51 Rechtsextremismus WEITGEHEND UNSTRUKTURIERTES RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL (Gewaltbereiter Rechtsextremismus / Rechtsterrorismus) Gründung Im Zuge der Erosion der bis dahin klar abgrenzbaren Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in Gestalt von Neonazis, Parteienspektrum und Skinheads der 1990er Jahre bildete sich in den letzten Jahren eine als vielschichtig zu charakterisierende Szene heraus, die sich unterschiedlicher Aktionsund Organisationsformen bedient. Verbreitung Bundesweit Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 970 1.100 Bund 17.000 18.000 Struktur / Neben gewaltbereiten Einzelpersonen tritt das weitgehend unAufbau strukturierte Personenpotenzial in regional verankerten Personenzusammenschlüssen oder virtuellen Gruppen auf, teilweise mit überregionaler Vernetzung. Es sind dabei auch regionale Strukturformen festzustellen, die ursprünglich in der neonazistischen Szene vorherrschten oder denen der Rockerszene ähneln. Die in diesem Spektrum verorteten Rechtsextremisten treten mit dem Planen und Durchführen von Versammlungen, Konzerten, Liederabenden oder anderen Szeneveranstaltungen in Erscheinung. Dafür nutzen sie überwiegend soziale Netzwerke und Messengerdienste zum Zwecke der schnellen Mobilisierung. Veröffentlichungen Messengerdienste und soziale Netzwerke Kurzportrait / Ziele Das Personenpotenzial der weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Szene weist ein sehr heterogenes Erscheinungsbild auf und bedient diverse Aktionsfelder. Es zeichnet sich durch eine hohe Gewaltbereitschaft aus. Die Personenzusammenschlüsse dieses Spektrums der rechtsextremistischen Szene handeln mitunter wie temporär angelegte Projekte. Im Zuge der zu beobachtenden Verjüngung der Szene ist eine Zunahme der aktionsorientierten Motivation zu verzeichnen, da gerade bei jüngeren Szeneangehörigen Aktivitäten mit "Erlebnischarakter" im Vordergrund stehen. In diesem Zusammenhang gewinnt auch der Kampfsport als Betätigungsfeld der Szene zunehmend an Bedeutung. Grund der Beobachtung Das Weltbild der weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Szene wird unverändert von antidemokratischen, rassistischen, antisemitischen, fremdenfeindlichen sowie Gewalt 52 Rechtsextremismus gegen Ausländer und politisch Andersdenkende befürwortenden Ideologiebestandteilen geprägt. Dies wird in Aktionen, Strafund Gewalttaten, zahlreichen Liedtexten einschlägiger Musikgruppen oder auch Programmen und Manifesten offen zum Ausdruck gebracht. Gerade die Liedtexte fungieren als wichtiges Medium, um rechtsextremistische und zum Teil gewaltbefürwortende Inhalte zu verbreiten. Unverändert stehen auch vermehrt Kampfsportveranstaltungen im Vordergrund, bei denen vor allem jungen Menschen die Ideologieelemente der Szene nahegebracht und zum Teil auch Hemmschwellen in Bezug auf das Anwenden von Gewalt abgebaut werden sollen. All dies steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Daneben sind es gewaltbereite Einzelpersonen und klandestin organisierte Kleinstgruppen aus dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Spektrum, welche mit der Androhung, Planung oder Ausübung von schweren Gewalttaten in den Fokus der Sicherheitsbehörden geraten. In derartigen Fällen nimmt die Verfassungsschutzbehörde neben einer originär sachund strukturorientierten Auswertung von Informationen auch eine gezielt persönlichkeitsorientierte Auswertung vor, die Rückschlüsse auf mögliche Gefährdungsszenarien zulässt. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Rechtsterrorismus Stephan Balliet Der Rechtsterrorist Stephan Balliet verübte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale), bei dem er in unmittelbarer Nähe der Synagoge zwei Menschen ermordete. Am 21. Dezember 2020 verurteilte ihn das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung. Aufgrund einer am 12. Dezember 2022 verübten Geiselnahme und versuchten Flucht aus der Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg (Landkreis Jerichower Land) wurde Stephan Balliet am 27. Februar 2024 vom Landgericht (LG) Stendal zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Die Verfassungsschutzbehörde geht unverändert davon aus, dass rechtsextremistische Terrorakte in die gewaltbereite rechtsextremistische Szene wirken und Nachahmer entsprechend motivieren können. Auch im Jahr 2024 wurden der Verfassungsschutzbehörde Personen bekannt, die mit der Androhung von antisemitisch motivierten Strafund Gewalttaten mit Bezug auf Synagogen und jüdische Einrichtungen in Erscheinung getreten sind und sich dabei in Teilen auch auf verurteilte Rechtsterroristen wie Stephan Balliet bezogen haben. Der Fokus der Verfassungsschutzbehörde ist insbesondere auf Personen gerichtet, die etwa in den sozialen Netzwerken mit Sympathiebekundungen und Nachahmungsfantasien auffallen. Am 8. Oktober 2024 - dem Tag vor dem fünften Jahrestag des Anschlags auf die Synagoge in Halle (Saale) - stellten die Sicherheitsbehörden fest, dass bislang unbekannte Täter ein Hakenkreuz u. a. auf die Gedenktafel des ehemaligen "Kiez Döner", eines der Tatorte des Anschlags, geschmiert hatten. 53 Rechtsextremismus Ralf Wohlleben Der wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilte NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben ist seit dem 9. Januar 2023 unverändert in der JVA Burg inhaftiert. Am 2. November 2022 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) die Entscheidung des OLG München vom 1. September 2022 bestätigt, dass Ralf Wohlleben die nach Abzug der Zeiten in der Untersuchungshaft verbliebene Restfreiheitsstrafe noch verbüßen muss. In der rechtsextremistischen Szene genießt Ralf Wohlleben weiterhin einen Ruf als Märtyrer und "politischer Gefangener". Seit dem Beginn seiner Inhaftierung in der JVA Burg hat die Verfassungsschutzbehörde wiederkehrend Solidaritätsbekundungen und Solidaritätsveranstaltungen mit Spendenaktionen für Ralf Wohlleben innerhalb der rechtsextremistischen Szene registriert. Zudem erreichten Ralf Wohlleben während seiner Haftzeit mehrere Briefe und Postkarten von Rechtsextremisten. Gewaltbereite rechtsextremistische Jugendgruppen Aktuell beobachtet die Verfassungsschutzbehörde eine Verjüngung der weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Szene und eine Zunahme der aktionsorientierten Motivation der in diesem Spektrum agierenden Gruppen und Personen. Im Jahr 2024 sind sowohl in SachsenAnhalt als auch bundesweit Gruppierungen mit sehr jungen, aktionsorientierten und internetaffinen Personen in Erscheinung getreten, die sich insbesondere über die sozialen Medien vernetzten und so einen niedrigschwelligen Einstieg in die rechtsextremistische Szene fanden. "Jung & Stark" (JS), "Deutsche Jugend Voran" (DJV) und "Deutsche Jugend Zuerst" (DJZ) Einigen dieser Gruppierungen gelang es innerhalb kürzester Zeit, eine beachtliche Zahl von Mitgliedern zu erreichen und diese zur Teilnahme an Veranstaltungen sowie bisweilen zu Gewalttaten zu bewegen. Sie firmieren beispielsweise unter den Namen "Jung & Stark" (JS) oder "Deutsche Jugend voran" (DJV) und waren im Berichtszeitraum in nahezu allen Bundesländern präsent. Gruppen wie JS und DJV setzen sich vor allem aus jungen, häufig minderjährigen Menschen zusammen, die zuvor oftmals noch nicht in der rechtsextremistischen Szene in Erscheinung getreten waren. Für ihre Agitation und Mobilisierung bedienen sich diese Personenzusammenschlüsse vornehmlich klassischer rechtsextremistischer Feindbilder wie "die Antifa" oder die LGBTQ+-Bewegung. So betonten sie zu Beginn des "Pride Month"27 im Juni 2024 z. B. die "Widernatürlichkeit" alternativer Lebensmodelle und sexueller Orientierungen. Ihre eigene Peergroup stellten sie hingegen als "Speerspitze der deutschen Jugend" dar, die sich (durch aggressive Störaktionen) gegen die "Propagierung" dieser Lebensentwürfe wendet. In Sachsen-Anhalt ist bislang kein organisatorischer Anschluss dieser Gruppen an bestehende rechtsextremistische Organisationen wie die JN oder die Partei "Der III. Weg" erkennbar. Vielmehr scheinen sie sich als weitgehend eigenständiges Phänomen innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu etablieren. Mögliche Gründe hierfür sind die bislang fehlende Bereitschaft ih27 Während des "Pride Month" feiert die LGBTQ+ Community die eigene Identität und ihren Kampf gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten. Die Ursprünge des "Pride Month" liegen in den New Yorker "Stonewall riots", die am 18. Juni 1969 begonnen hatten. 54 Rechtsextremismus rer Mitglieder, sich in feste Strukturen und Hierarchien einzuordnen, sowie deren hohe Aggressivität und enormer Konsum von Alkohol im Rahmen versammlungsrechtlicher Aktionen. Gleichwohl fällt es diesen Gruppierungen häufig schwer, angekündigte Aktionen konsequent umzusetzen. In Sachsen-Anhalt ließen sich im Berichtszeitraum insbesondere zwei Betätigungsfelder dieser Personenzusammenschlüsse identifizieren: Zum einen die Agitation gegen die LGBTQ+-Bewegung, wo es dem lokalen Ableger "Jung & Stark Sachsen-Anhalt" (JS ST) am 24. August 2024 gelang, 250 Teilnehmer zu einer Gegendemonstration zum CSD in Magdeburg zu mobilisieren. Zum anderen ist die Konfrontation mit dem politischen Gegner relevant. So meldeten Gruppierungen aus dem JS-Umfeld insbesondere in der zweiten Hälfte des Jahres 2024 zunehmend Versammlungen an, die sich gegen "Linksextremismus" und "linke Gewalt" richteten. Mitglieder von JS sind im Jahr 2024 beispielsweise mit dem Mitführen sogenannter Schutzbewaffnung in Form von Schlagschutzhandschuhen oder Zahnschutz aufgefallen. In Chatgruppen veröffentlichten sie Gewaltaufrufe gegen den politischen Gegner, die von dem größten Teil der Gruppenmitglieder akzeptiert oder unterstützt wurden. Personen, die dem politisch linken Spektrum zugerechnet werden, traten die Gruppenmitglieder häufig provozierend und konfrontationssuchend gegenüber. Das hohe Gewaltpotenzial einiger dieser Jugendgruppen lässt sich am Beispiel des am 14. Dezember 2024 in Berlin erfolgten Angriffs mehrerer Jugendlicher aus Halle (Saale) auf die Betreuer eines SPD-Infostandes verdeutlichen. Die Tatverdächtigen waren der Verfassungsschutzbehörde zuvor nicht bekannt. Im Rahmen der retrograden Ermittlungen ließen sich jedoch virtuelle Bezugspunkte zu JS ST erkennen. Personen aus dem Kreis der Tatverdächtigen verorteten sich zudem selbst in der "Deutschen Jugend Zuerst Halle (Saale)", die von der Verfassungsschutzbehörde bis dahin als rein virtuelle Erscheinungsform bewertet wurde. Auch führten die Ermittlungen zu weiteren jugendlichen Personen aus dem Raum Halle (Saale), die nur wenige Monate zuvor in verschiedenen, zum Teil wiederkehrenden, personellen Zusammensetzungen an anderen politisch motivierten Strafund Gewalttaten beteiligt waren. Diese ereigneten sich vornehmlich auf Bahnhöfen und standen mutmaßlich im Zusammenhang mit Anreisen zu bzw. Abreisen von Versammlungen der rechtsextremistischen Szene. Es dürfte sich daher um Aktionen handeln, die weniger geplant waren, sondern sich vielmehr aus der Situation heraus und bedingt durch die geringe Hemmschwelle der Personen zur Gewalt entwickelt haben. "Pedo Hunting" Pädophile sind seit langem ein Feindbild von Rechtsextremisten; es lässt sich nahezu in allen rechtsextremistischen Strömungen finden. Vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Konsenses zum Thema Kindeswohl und der sozialen Marginalisierung von pädophil veranlagten Menschen versuchen Rechtsextremisten, mit der Vereinnahmung des Agitationsfeldes Pädophilie in die Mitte der Gesellschaft hineinzuwirken. Bereits in der Vergangenheit wurde das Thema von 55 Rechtsextremismus der rechtextremistischen Szene u. a. mit dem Slogan "Todesstrafe für Kinderschänder" aufgegriffen. Aktuell wird das Thema nun - wie im Fall der "Pedo Hunters" - von einer sich verjüngenden, aktionsund erlebnisorientierten rechtsextremistischen Szene aufgegriffen. Der Verfassungsschutz beobachtete im Berichtsjahr vermehrt Aktivitäten von in kleinen Gruppen agierenden Jugendlichen, die sich selbst als "Pedo Hunters" bezeichnen. Diese Gruppen gehen mit Outing-Aktionen oder Beleidigungen und Bedrohungen im virtuellen Raum gegen vermeintliche Pädophile vor und begehen dabei zum Teil auch Straftaten. So kam es am 14. September 2024 in Ilsenburg (Landkreis Harz) zu einer gefährlichen Körperverletzung. Hier soll eine Gruppe von zum Teil minderjährigen Personen zwei aus ihrer Sicht pädophile Männer gezielt auf ein abgelegenes Grundstück gelockt und dort zusammengeschlagen und die Tat zudem gefilmt und verbreitet haben. Die Tatverdächtigen waren der Verfassungsschutzbehörde zuvor nicht als Rechtsextremisten bekannt. Mögliche Beteiligung von Rechtsextremisten am Krieg in der Ukraine Der Verfassungsschutzbehörde sind seit Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 keine Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt bekannt geworden, die nachweislich zum Zwecke der aktiven Beteiligung an Kampfhandlungen in die Ukraine ausgereist sind. Gleichwohl sind der Verfassungsschutzbehörde Personen bekannt, die zumindest Verbindungen und Bezüge zu dem auf der Seite der Ukraine kämpfenden "Regiment Asow" und der "Misanthropic Division" aufweisen. Bei der "Misanthropic Division" handelt es sich um ein internationales neonazistisches Netzwerk, das bereits vor Ausbruch des Krieges Rechtsextremisten aus ganz Europa rekrutiert haben soll, um an bewaffneten Kampfhandlungen gegen die prorussischen Separatisten in der Ukraine teilzunehmen. Auch der Rechtsextremist Raik Nestler aus Weißenfels (Burgenlandkreis) ist der Verfassungsschutzbehörde mit langjährigen engen Verbindungen zur "Misanthropic Division" bekannt. Im Berichtszeitraum gab es Hinweise, dass Raik Nestler noch im Jahr 2024 Kontakte in die Ukraine unterhalten haben soll. Eine weitere Verbindung besteht offenkundig zwischen der rechtsextremistischen Partei "Der III. Weg"28 und dem in der Ukraine kämpfenden "Regiment Asow". So soll ein Mitglied der Partei aus Sachsen-Anhalt im Frühjahr 2024 zu der Teilnahme an einer Wanderung mit Sanitätsausbildung aufgerufen haben, mit dem Hinweis, dass die eigenommenen Teilnahmegebühren dem "Regiment Asow" zukommen sollen. Darüber hinaus lassen sich bei Veranstaltungen der Partei "Der III. Weg" auch Bezüge zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen aus der Ukraine oder solchen mit einem Bezug zur Ukraine erkennen. Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden Am 1. Juli 2024 veröffentlichte das Bundesamt für Verfassungsschutz den nunmehr dritten Lagebericht "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden", der auch die Bereiche der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sowie der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" erfasst.29 Die Datengrundlage des Lageberichts sind sämtliche Fälle, die im Zeitraum vom 28 Zu "Der III. Weg" siehe auch S. 38 ff. 29 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: Lagebericht Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Köln 2024. 56 Rechtsextremismus 1. Juli 2021 bis 31. Dezember 2022 bekannt geworden sind. Der Bericht weist für das gesamte Bundesgebiet 364 Personen aus, bei denen konkrete Anhaltspunkte für Verstöße gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen, die den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, Reichsbürgerszene und Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates zugerechnet werden konnten. Für Sachsen-Anhalt wurden vier Fälle erfasst. Rechtsextremisten und Waffen Gerade subkulturell geprägte und gewaltbereite Rechtsextremisten weisen häufig eine besondere Affinität zu Waffen auf. Waffen haben in der rechtsextremistischen Szene aus milieuspezifischen und insbesondere ideologischen Gründen eine große Bedeutung. Die für diese Szene typische Kombination einer menschenverachtenden Weltanschauung mit einer niedrigen Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt und einer Faszination für Waffen stellt ein Bedrohungspotenzial dar, wie die rechtsterroristischen Aktivitäten des NSU und die Taten von Halle (Saale), Kassel und Hanau (Hessen) sowie die Verurteilung von Mitgliedern der rechtsterroristischen "Gruppe S." gezeigt haben. Auch für den aktuellen Berichtszeitraum ist davon auszugehen, dass Rechtsextremisten an Schießtrainings im Inund Ausland teilgenommen haben. Gerade im osteuropäischen Ausland haben Rechtsextremisten die Möglichkeit, das Schießen mit vollautomatischen Kriegswaffen zu trainieren. Aber selbst in Deutschland stehen ihnen privat betriebene Schießstände offen, wo sie mit eigenen legal erworbenen Schusswaffen oder dort vorgehaltenen Leihwaffen schießen können. Einige Rechtsextremisten kennen auch persönlich legale Waffenbesitzer, die mit ihnen trainieren und hierfür die Schusswaffen auf dem Schießstand zur Verfügung stellen. Dass private Schießstandbetreiber oder Schützenvereine Rechtsextremisten gezielt unterstützen, hat die Verfassungsschutzbehörde bislang nicht festgestellt. Gerade um die Möglichkeiten des sportlichen Schießens wahrnehmen zu können, dürften es viele Rechtsextremisten bei solchen Veranstaltungen vermeiden, ihre ideologische Einstellung offen zu artikulieren. Daneben verzeichnet die Verfassungsschutzbehörde immer noch eine hohe Anzahl an Rechtsextremisten mit waffenrechtlichen Erlaubnissen, die sie zum Besitz von erlaubnispflichtigen und mithin "scharfen" Schusswaffen berechtigen. Soweit der Verfassungsschutzbehörde ausreichend mitteilbare Erkenntnisse zu diesen Personen vorliegen, werden die zuständigen Waffenbehörden auf der Grundlage von SS 18 Abs. 1 VerfSchG-LSA hierüber informiert. In einzelnen Fällen hat die zuständige Untere Waffenbehörde daraufhin bereits die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. Die Verfassungsschutzbehörde erlangt zudem regelmäßig Informationen über Rechtsextremisten, die illegal im Besitz von erlaubnispflichtigen Schusswaffen sind oder die aktiv versuchen, an solche Waffen zu gelangen. So durchsuchte die Polizei im Zusammenhang mit dem Verdacht auf illegalen Waffenbesitz am 6. April 2024 die Wohnung eines Mannes aus Halle (Saale), nachdem dieser Zeugenaussagen zufolge am Fenster seiner Wohnung mit einem "schwarzen Sturmgewehr" gestanden und fremdenfeindliche Parolen gerufen haben soll. Es handelte sich um eine Attrappe. Zugleich stellte die Polizei aber eine offenbar selbst hergestellte Sprengvorrichtung, ein Schriftstück mit menschenverachtender Gedankenwelt und NSDevotionalien fest. Der Verfassungsschutzbehörde war die Person zuvor nicht bekannt. 57 Rechtsextremismus In einem anderen Fall hat die Polizei am 30. Mai 2024 die Wohnung eines Jugendlichen aus Gardelegen (Altmarkkreis Salzwedel) durchsucht, da dieser zuvor in sozialen Netzwerken mit Äußerungen zu rechtsterroristischen Attentätern und einer gesteigerten Waffenaffinität aufgefallen war. Zudem soll er eine Person mit einer Armbrust bedroht haben. Im Rahmen der Durchsuchung konnten diverse Hinweise auf eine gefestigte rechtsextremistische Ideologie festgestellt werden. Zudem fand die Polizei in der Wohnung diverse erlaubnisfreie Schusswaffen. Der in demselben Haushalt lebende Vater des Jugendlichen war Inhaber einer waffenrechtlichen Erlaubnis und Besitzer einer erlaubnispflichtigen Pistole, die nebst Munition aufgrund des frei herumliegenden Schlüssels für den Waffenschrank auch von dem Jugendlichen hätte in Besitz genommen werden können. Waffe und Munition wurden nach einer Erkenntnismitteilung der Verfassungsschutzbehörde an die zuständige Waffenbehörde von dort eingezogen. Rechtsextremisten und Kampfsport Die Verfassungsschutzbehörde hat in den zurückliegenden Jahren ein gesteigertes Interesse am Kampfsport innerhalb der rechtsextremistischen Szene beobachten können. Gemeinsame Kampfsporttrainings und die kollektive Unterstützung von Kampfsportlern aus der rechtsextremistischen Szene bei nicht extremistischen Wettbewerben können als Ausdruck einer erlebnisorientierten Szenekultur betrachtet werden, die gerade auf Jugendliche und Heranwachsende anziehend wirkt. Die Entwicklung folgt dabei zum einen der Faszination der Szene für Kampf und Männlichkeit, aber auch der in Teilen der jüngeren rechtsextremistischen Szene populärer werdenden Hingabe zu einer gesunden Lebensweise und sportlichen Ertüchtigung, die mit der völkischen Idealvorstellung von einem "gesunden Volkskörper" begründet wird. Der Verfassungsschutzbehörde bekannte Rechtsextremisten führen wiederkehrend Kampfsporttrainings in kleineren Gruppen durch, die in der Regel konspirativ geplant und für die Öffentlichkeit nicht feststellbar sind. Gerade in solchen Trainings steht indes nicht der sportliche Charakter im Vordergrund, sondern eher die Vorbereitung auf einen möglichen Straßenkampf. Rechtsextremistisch geprägte oder von Rechtsextremisten gezielt unterwanderte Kampfsportschulen sind der Verfassungsschutzbehörde bislang nicht bekannt geworden. Ein relativ neues Phänomen der rechtsextremistischen Kampfsportszene in Deutschland ist die Herausbildung von sogenannten "Active Clubs" (AC). Diese allgemeine Bezeichnung steht für eine Art von eigentlich unpolitischen und unabhängigen lokalen Fitnessund Freizeitvereinen, die sich in der Regel auf sportliche Aktivitäten und Gemeinschaftserlebnisse konzentrieren. In Europa wurden seit etwa 2023 und in Deutschland seit Anfang 2024 vermehrt erste Versuche einer Etablierung des Phänomens rechtsextremistischer ACs festgestellt. Rechtsextremistische Gruppen missbrauchen das AC-Konzept, um mit sportlichen Aktivitäten (z. B. organisierte Kampfsporttrainings, Wanderungen und gemeinschaftliche Veranstaltungen) neue Mitglieder zu rekrutieren und ihre verfassungsfeindliche Ideologie zu verbreiten. Hierfür werden Einzelpersonen im Rahmen eines offenen Netzwerkansatzes dazu ermutigt, eigene lokale Gruppen zu gründen und selbständig zu betreiben. Der Verfassungsschutzbehörde wurden im Berichtszeitraum Hinweise in den sozialen Netzwerken zu einem mutmaßlichen "Active Club Südharz" und einem möglichen AC mit der Bezeichnung "Active Club District 901" im Raum Lutherstadt Wittenberg bekannt. Realweltliche Aktivitäten oder eine anderweitige Resonanz in der örtlichen rechtsextremistischen Kampfsportszene konnten bislang nicht festgestellt werden. 58 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Kampfsportveranstaltungen in Sachsen-Anhalt sind der Verfassungsschutzbehörde im Berichtszeitraum nicht bekannt geworden. Jedoch lassen sich vermehrte Teilnahmen von bekannten Rechtsextremisten als Kämpfer an unpolitischen Kampfsportveranstaltungen feststellen. In einem Fall zeigte sich ein Kämpfer nach seinem Kampf mit Bekleidungsstücken des rechtsextremistischen Kampfsportlabels "Kampf der Nibelungen", das von dem bekannten Neonazi Alexander Deptolla30 aus Halberstadt (Landkreis Harz) verantwortet wird. Im Berichtszeitraum wurde der Verfassungsschutzbehörde bekannt, dass ein der rechtsextremistischen Kampfsportszene zugerechneter Rechtsextremist als "Spezialist für interkulturelle Erziehung" in einer mit der Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Ausländern beauftragten sozialen Einrichtung beschäftigt ist. Die Verfassungsschutzbehörde hat die ihr zu dieser Person vorliegenden Erkenntnisse an das zuständige Jugendamt übermittelt, das daraufhin die Prüfung eines Tätigkeitsausschlusses eingeleitet hat. Ein Lichtbild zeigte den Rechtsextremisten im Kreis anderer hinlänglich bekannter und gewaltbereiter Rechtsextremisten nach einem von diesen offenbar durchgeführten Kampfsportoder Kraftsporttraining. Auch diese Personen sind auf dem Lichtbild anhand der Aufdrucke "The White Race" oder "Kampf der Nibelungen" auf ihrer Bekleidung zweifelsohne als Rechtsextremisten zu erkennen. Verbindungen zu anderen Subkulturen Rockerszene Die Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt stellte im Berichtszeitraum wiederholt Bezüge und Schnittmengen zwischen der rechtsextremistischen Szene und der Rockerszene fest, die sich u. a. in der Teilnahme von Rechtsextremisten an Veranstaltungen der Rockerszene und umgekehrt manifestierten. Hier sind insbesondere die Rockergruppierungen "MC Division 39 Magdeburg" und "Freeway Rider's MC Mittel/Elbe" hervorzuheben, die aufgrund der personellen Schnittmenge sowie der Anzahl und Art ihrer rechtsextremistischen Veranstaltungen als rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse eingestuft werden. Auch im Jahr 2024 stellte die Verfassungsschutzbehörde diverse rechtsextremistische Aktivitäten des "MC Division 39 Magdeburg" in deren Clubhaus in Magdeburg-Rothensee fest. Dasselbe gilt für den "Freeway Rider's MC Mittel/Elbe", der aus dem gleichnamigen Chapter der rechtsextremistischen Gruppierung "Brigade 8" hervorgegangen ist. Als relevantes Ereignis des "Freeway Rider's MC Mittel/Elbe" ist die Trauerfeier für den verstorbenen Präsidenten des Clubs, den langjährigen Rechtsextremisten Henry Behr31, am 18. Oktober 2024 in Gräfenhainichen (Landkreis Wittenberg) und in Bitterfeld-Wolfen (Landkreis AnhaltBitterfeld) hervorzuheben. Zu den bis zu 300 Teilnehmern der Veranstaltung zählten überwiegend Rechtsextremisten und Mitglieder von Rockerclubs aus Sachsen-Anhalt und anderen Bundesländern. Rechtsextremismus und Fußball Die Verfassungsschutzbehörde stellt regelmäßig personelle Schnittmengen zwischen der rechtsextremistischen Szene und der Hooliganszene fest, vor allem, wenn bekannte Rechtsextremisten erkennbar und aktiv in der Hooliganszene auftreten oder Mitglieder von Hooliganoder 30 Vgl. hierzu S. 45 ff. 31 Henry Behr (*1982) war der Verfassungsschutzbehörde seit Anfang der 2000er Jahre als Rechtsextremist bekannt. Er ist am 9. September 2024 verstorben. 59 Rechtsextremismus Fangruppierungen mit Straftaten der politisch motivierten Kriminalität -rechtsin Erscheinung treten. Zumeist steht jedoch nicht der politische Aktivismus im Vordergrund, sondern vielmehr der Hang zur Gewaltausübung oder die Provokation "gegnerischer" Fans. Ein Beispiel für die Schnittmenge der Fußballfanszene zum Rechtsextremismus ist eine politisch motivierte Gewalttat, die sich am 2. Februar 2024 auf dem Bahnhof in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) ereignete. Dort soll ein 28-jähriger Syrer, der als Mitarbeiter eines Sicherheitsunternehmens bei einem Fußballspiel des 1. FC Magdeburg eingesetzt war, aus einer Personengruppe mit Fußballfanbekleidung heraus zunächst fremdenfeindlich beleidigt, zu Boden geschlagen und sodann am Boden liegend weiter angegriffen worden sein. Die Täter konnten vor dem Eintreffen der Polizei vom Tatort flüchten. Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik dient neben ihrer identitätsstiftenden Funktion als Lockmittel, um Jugendliche oder junge Erwachsene an die rechtsextremistische Szene sowie deren Ideologie heranzuführen und zu binden. Diese Art Musik hat somit unverändert eine herausragende Bedeutung für die Bildung und den Bestand der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene. Inhaltlich vermitteln die Texte, offen oder unterschwellig, rechtsextremistische Feindbilder und Fragmente einer nationalistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen und antidemokratischen Ideologie, die auf rechtsextremistische Gruppierungen und deren Sympathisanten wie auch auf szenefremde Jugendliche wirken. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Sachsen-Anhalt In Sachsen-Anhalt wurden im Berichtsjahr insgesamt vier (2023: zehn) rechtsextremistische Konzerte und 17 (2023: 26) Liederabende organisiert, von denen zwei Liederabende verhindert werden konnten. Darüber hinaus wurden 18 (2023: 20) sonstige Musikveranstaltungen32 registriert, in deren Verlauf es zur Darbietung von Livemusik kam. Eine sonstige Veranstaltung konnte verhindert werden. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich dabei sowohl bei Konzerten als auch bei Liederabenden und sonstigen Veranstaltungen durchschnittlich im mittleren zweistelligen Bereich. Im bundesweiten Vergleich ist Sachsen-Anhalt besonders bei der Anzahl von rechtsextremistischen Liederabenden und sonstigen Musikveranstaltungen mit Darbietung von Live-Musik stets im oberen Drittel zu verorten. Die Zahl der Musikveranstaltungen ist in Sachsen-Anhalt seit Jahren konstant hoch. Wie in den Vorjahren war festzustellen, dass die Musikveranstaltungen größtenteils in Räumlichkeiten stattfanden, die sich in privatem Besitz befinden. Musikgruppen und Liedermacher In Sachsen-Anhalt sind insgesamt 21 rechtsextremistische Musikgruppen und sieben Liedermacher bekannt, von denen elf Gruppen und zwei Liedermacher im Jahr 2024 nicht aktiv in Erscheinung traten. Die aktiven Musikgruppen sowie die Liedermacher spielten im Berichtszeitraum nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern traten auch bundesweit auf. 32 Hierzu zählen u. a. Veranstaltungen, bei denen die Musikdarbietung eine untergeordnete Rolle spielte und nur zur musikalischen Umrahmung diente. 60 Rechtsextremismus Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang "Phil von FLAK" alias Philipp Neumann (Landkreis Stendal), der insgesamt bei 21 Veranstaltungen im Bundesgebiet auftrat. Damit gehört er bundesweit zu den aktivsten Liedermachern der gesamten rechtsextremistischen Musikszene. "Phil von FLAK" spielte eigenen Angaben zufolge beispielsweise im Zeitraum vom 1. bis zum 3. November 2024 jeden Abend in dem bundesweit bekannten rechtsextremistischen Szeneobjekt "Gasthaus Eiserner Löwe" in der Gemeinde Auengrund in Thüringen. Ein weiterer bundesweit auftretender Liedermacher aus Sachsen-Anhalt ist "Der Visionär" alias Björn Pessel (Landkreis Börde). Dieser hatte im Jahr 2024 neben Auftritten in SachsenAnhalt auch Auftritte in den Bundesländern Sachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Insgesamt wurden im Berichtszeitraum vier Alben von rechtsextremistischen Bands aus Sachsen-Anhalt veröffentlicht. Die Band "Elbroiber" aus Magdeburg veröffentlichte am 14. April 2024 das Album "Es ist an uns" mit zwölf neuen Liedern. Inhaltlicher Schwerpunkt des Albums sind die aktuelle Politik sowie die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Die Band "Stahlkappenglanz" (Landkreis Mansfeld-Südharz und Salzlandkreis) veröffentlichte am 30. April 2024 das Album "Radau aus Glatzen-Anhalt", welches insgesamt 13 neue Lieder enthält. "SkinFront", eine rechtsextremistische Band aus dem Raum Weißenfels (Burgenlandkreis), veröffentlichte im November 2024 ein neues Album mit dem Titel "Auge um Auge", das elf Lieder enthält. Die neue Band "Eisernes Gebet" aus dem Raum DessauRoßlau veröffentlichte am 20. September 2024 ihr Debütalbum "Für die Freiheit" mit insgesamt zehn Liedern bei dem rechtsextremistischen Versandhandel "Front Records" (Thüringen). Inhaltlich befasst sich das Album u. a. mit der Verehrung deutscher Soldaten beider Weltkriege und dem Thema Migration. Insbesondere in dem Lied "Migration" zeigt sich die rassistische Einstellung der Band. Darin heißt es: Das Album "Für die Freiheit" der Band "Eisernes Gebet" "Keine Mutter sicher, keine Oma, keine Ziege. Keine Kontrolle mehr, zu lang mussten sie sich verbiegen. Millionen hergeholt, über Grenzen und übers Meer. Biologisch gestörtes Volk, ein Zurück gibt es bald nicht mehr." Rechtsextremistische Vertriebsszene Innerhalb der rechtsextremistischen Szene gibt es immer wieder Bestrebungen, über diverse Vertriebsorganisationen einen Geldund Warentransfer zu etablieren. Die jeweiligen Vertriebe führen ein zielgruppenorientiertes Angebot, das unter anderem Tonträger und Merchandise-Produkte rechtsextremistischer Musikgruppen sowie Bekleidung mit szenebezoge61 Rechtsextremismus nen Aufdrucken (insbesondere einschlägige Ziffernund Buchstabencodes oder entsprechende Parolen) umfasst.33 Diese Angebote richten sich vor allem an die subkulturell geprägte Szene. Für die eher neonazistisch orientierte Zielgruppe finden sich dagegen vermehrt positive Bezüge zur Wehrmacht bzw. eine Verherrlichung und Romantisierung derselben oder es ist eine Zuordnung zu rechtsextremistischen Parteien oder Gruppierungen erkennbar. Darüber hinaus bietet z. B. der Onlineshop "Phalanx Europa" (Kohorte UG, Sachsen), der der "Identitären Bewegung" (IB)34 zugerechnet wird, ein zielgruppenorientiertes Angebot für Personen der sogenannten "Neuen Rechten" an. Hier sind die verschiedenen Motive subtiler und häufig pseudointellektuell; für Außenstehende sind sie nicht immer eindeutig als Produkte der rechtsextremistischen Szene erkennbar. Beispielsweise werden T-Shirts mit Aufdrucken von "Reconquista", "Still not loving Antifa!" oder "Islamists not welcome" zum Kauf angeboten. Der Vertrieb der angebotenen Produkte erfolgt hauptsächlich über Online-Plattformen, vereinzelt im stationären Handel. Die unkomplizierte Abwicklung des Warenvertriebs sowie die erheblich gesteigerte Reichweite sind entscheidend für den Erfolg dieser Vertriebsmodelle. Käufer profitieren in hohem Maße von der erhöhten Verfügbarkeit der Produkte und der Anonymität des Erwerbsprozesses, was die Hemmschwelle für den Kauf solcher Artikel senkt. In den vergangenen Jahren sind verschiedene Bekleidungslabels entstanden, die insbeT-Shirt aus dem Repertoire sondere die Anhänger der subkulturellen rechtsextremistides Labels "Isegrim-Fashion". schen Szene ansprechen sollen. Als Beispiel hierfür ist das im Burgenlandkreis ansässige Label "Isegrim-Fashion" zu nennen.35 Bekleidungslabels wie "Isegrim-Fashion" sind darauf ausgelegt, durch ein modernes und klientelnahes Erscheinungsbild sowohl eine Markenwiedererkennung (Brand Recognition) zu fördern als auch die Zugehörigkeit zur Szene zu verdeutlichen. Sie tragen somit zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls in der rechtsextremistischen Szene bei. Im Berichtszeitraum wurden neue rechtsextremistische Vertriebe in Sachsen-Anhalt bekannt. So zog beispielweise der Rechtsextremist Nils Budig von Thüringen in den Landkreis Mansfeld-Südharz. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Küsten Textil UG (haftungsbeschränkt), die eine Vielzahl von Onlinevertrieben, darunter "Johnny Zahngold", "Front Records", "Wewelsburg Records" sowie "Gjallarhorn Klangschmiede" und "Frontmusik" umfasst. 33 Einen Überblick über die gängigsten Codes, Symbole und Bekleidungsmarken finden Sie in der Broschüre "Kennzeichen des Rechtsextremismus" sowie in dem dazugehörigen Plakat. Beides kann bei der Verfassungsschutzbehörde kostenfrei bestellt oder auf der Internetseite der Verfassungsschutzbehörde heruntergeladen werden: https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/publikationen/publikationen-rechtsextremismus. 34 Zur IB vgl. den Abschnitt "Neue Rechte", S. 67 ff. 35 Vgl. Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2023. Magdeburg 2024, S. 118 ff. 62 Rechtsextremismus Ein weiterer rechtsextremistischer Vertrieb ist die im Burgenlandkreis ansässige Druckerei "Erichs Druckbude", die auch einen angeschlossenen Onlineversandhandel betreibt. Dieser Vertrieb verkauft u. a. Waren mit aufgedruckten Motiven, die der germanischen Mythologie zuzuordnen sind. Deren Symbolik wird von der rechtsextremistischen Szene nach wie vor als Erkennungszeichen genutzt. Neben einem Kissen mit dem "Wotansknoten"36 wird in dem Shop auch eine Im Onlineshop von "Erichs Druckbude" angebotenes Uhr angeboten, deren Abbild die während Kissen, auf dem ein "Wotansknoten" abgebildet ist. der NS-Zeit von der SS genutzte und deshalb in der neonazistischen Szene verehrte Wewelsburg in der Nähe von Paderborn (Nordrhein-Westfalen) zeigt. Im Sommer 2024 verstarb der Inhaber des rechtsextremistischen Vertriebs "Heimdall-Versand". Nach seinem Tod wurde der Vertrieb von dem Inhaber des rechtsextremistischen Musiklabels und Versandhandels "OPOS Records" mit Sitz in Brandenburg übernommen. Im Herbst 2024 wurde der Verfassungsschutzbehörde ein Vertrieb im Landkreis Harz bekannt, der an einem Stand in der Nähe des "Hexentanzplatzes" in Thale, in einem Objekt in Quedlinburg und im Onlinehandel Feuerkörbe für den Outdoorbereich vertreibt. Das Warensortiment enthält u. a. Feuerkörbe mit rechtsextremistischen Symbolen wie der "Schwarzen Sonne", der Aufschrift "Harz verteidigen" (einem Leitspruch der rechtsextremistischen Szene im Harz)37 oder dem Logo der mittlerweile inaktiven neonazistischen Gruppierung "Harzrevolte"38. Von einem Vertrieb im Landkreis Harz angebotener Feuerkorb, auf dem die "Schwarze Sonne" abgebildet ist. Rechtsextremistisch genutzte Immobilien Immobilien, die von rechtsextremistischen Akteuren genutzt werden, dienen der Szene als zentrale Rückzugsorte, Anlaufstellen und Sammelpunkte für eine Vielzahl von Aktivitäten. Dazu zählen unter anderem Schulungen, Vortragsabende, Parteiversammlungen, Konzerte sowie Sportund Kampfsportveranstaltungen. Diese Immobilien sind nicht nur für die interne Vernetzung und Stabilisierung der Szene von großer Bedeutung; sie erleichtern auch die Verankerung rechtsextremistischer Akteure in den jeweiligen Gemeinden oder Städten. Sie 36 Der "Wotansknoten" wird u. a. von neonazistischen Gruppen als Ersatzsymbol für das Hakenkreuz verwendet. 37 Der Leitspruch wird von der rechtsextremen Szene im Harz insbesondere für Vernetzungsbestrebungen genutzt. 38 Die "Harzrevolte" hat sich im Jahr 2023 aufgelöst. Vgl. hierzu Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2023. Magdeburg 2024, S. 87. 63 Rechtsextremismus ermöglichen es der Szene, ihre Präsenz und Ideologien sowohl regional als auch überregional auszubauen. Darüber hinaus haben Szeneimmobilien eine wichtige wirtschaftliche Funktion für den organisierten Rechtsextremismus. Insbesondere Gewerbeimmobilien, die für den Handel mit rechtsextremistischen Devotionalien oder die Produktion rechtsextremistischer Musik genutzt werden, tragen zur finanziellen Stabilität der Szene bei. Auch gastronomische Einrichtungen, die von oder für Rechtsextremisten betrieben werden, spielen eine entscheidende Rolle, da sie nicht nur Kapital generieren, sondern auch zur Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene beitragen.39 Ein Beispiel für ein bekanntes Szeneobjekt in Sachsen-Anhalt war das "Lokal 18" in Naumburg (Burgenlandkreis), das sich bis zum Jahr 2023 als fester Anlaufpunkt für Rechtsextremisten etabliert hatte. Aufgrund einer Gewerbeuntersagung gegen den Betreiber wurde der Schankbetrieb Ende 2023 eingestellt, was letztlich zur Schließung dieses Szenetreffpunkts führte. Im Jahr 2024 wurde das Lokal endgültig aufgegeben; die markante Lokalbeschilderung mit dem in schwarz-weiß-roter Farbe gehaltenen Emblem "Lokal 18" an den Glasflächen wurde entfernt. Ein weiteres Beispiel für ein bekanntes Szeneobjekt in Sachsen-Anhalt stellt die Gaststätte "Zum Schäfchen" in Steigra Ortsteil Schnellroda (Saalekreis) dar. Im Berichtszeitraum wurde das Objekt für überregionale Veranstaltungen (u. a. der AfD und des aufgelösten und neustrukturierten "Instituts für Staatspolitik" (IfS)) genutzt. Seit einigen Jahren entwickelt sich dieses Lokal zunehmend zu einem zentralen Veranstaltungsund Vernetzungsort für Rechtsextremisten des neurechten Spektrums mit medialem und politischem Einfluss. Wie in den Vorjahren war auch im aktuellen Berichtszeitraum ein Zuwachs an Szeneimmobilien in Sachsen-Anhalt zu verzeichnen. Im Vergleich zu den Entwicklungen in anderen ostdeutschen Flächenländern stellt die Situation in Sachsen-Anhalt jedoch keinen Sonderfall dar; vielmehr ist ein kontinuierlicher Anstieg im gesamten ostdeutschen Raum messbar. Die Gründe für diesen Anstieg sind vielfältig. In Ostdeutschland entwickelt sich die rechtsextremistische Szene aktuell sehr dynamisch. Neben der Bildung neuer rechtsextremistischer Personenzusammenschlüsse und dem ständigen Bestreben der Szene, neue Immobilien zu generieren, hat insbesondere der Umstand, dass die Verfassungsschutzbehörde im Jahr 2023 den AfD-Landesverband Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextremistische Bestrebung eingestuft hat, zu einem signifikanten Zuwachs der Szeneimmobilien in Sachsen-Anhalt geführt. 39 Vgl. hierzu auch Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt u. a. (Hrsg.): Rechtsextremistisch genutzte Immobilien in Ostdeutschland. Lagebild und Handlungsempfehlungen für Kommunen und Immobilienbesitzer. Magdeburg u. a. 2024, S. 7 f. (URL: https://mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Verfassungsschutz/Referat_44/Rechtsextremistisch_genutzte_Immobilien.pdf). 64 Rechtsextremismus Politisch motivierte Kriminalität -rechts(PMK -rechts-) Die vom Landeskriminalamt (LKA) Sachsen-Anhalt erfasste Zahl der Straftaten, die der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) -rechtszuzurechnen sind, dient den Sicherheitsbehörden als wichtiger Indikator für die Beurteilung der Gewaltbereitschaft des Rechtsextremismus. Im Jahr 2024 war mit insgesamt 2.920 (2023: 2.036) Straftaten im Bereich der PMK -rechtsein deutlicher Anstieg (+ 43,4 % gegenüber dem Vorjahr) zu verzeichnen. Die Deliktsgruppe der Propagandastraftaten macht mit 2.223 (2023: 1.318) wie in den Vorjahren den mit Abstand größten Teil der PMK -rechtsaus. Nachdem die Zahl der rechtsmotivierten Gewaltstraftaten in den Jahren 2022 (111) und 2023 (123) deutlich angestiegen war, ist sie im Jahr 2024 auf 106 Delikte zurückgegangen. Die an dem starken Anstieg der Gesamtzahl rechts motivierter Straftaten ablesbare Radikalisierungsdynamik hat somit nicht zu einer erhöhten Gewaltneigung der rechtsextremistischen Szene geführt. Antisemitisch motivierte Strafund Gewalttaten Die Terroranschläge der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 sowie der damit eskalierende Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern hatten im Jahr 2024 phänomenübergreifend Einfluss auf die Entwicklung der in Deutschland registrierten antisemitischen Straftaten. In Sachsen-Anhalt weist die statistische Erhebung des LKA im Bereich der PMK -rechtsfür das Berichtsjahr 97 antisemitische Straftaten aus. Damit hat die Zahl dieser Delikte das zweite Jahr in Folge abgenommen (2023: 109). Im Berichtsjahr 2024 wurde abermals eine Vielzahl von Sachbeschädigungen an jüdischen Einrichtungen und Gedenkstätten gemeldet. Dabei wurden in den meisten Fällen verbotene rechtsextremistische Symbole an den Tatorten hinterlassen und Gegenstände beschädigt oder entwendet. In Halberstadt (Landkreis Harz) hinterließen unbekannte Täter an den Gedenksteinen des Denkmals "Steine der Erinnerung und der Verpflichtung" mehrere Hakenkreuze sowie die Schriftzüge "Scheiß Juden" und "Hitler an die Macht". Auch Synagogen gehören zu den Orten, die immer wieder angegriffen werden. So beschädigten unbekannte Täter am 5. März sowie am 21. Juni 2024 die Fassade der ehemaligen Synagoge in der Lutherstadt Eisleben (Verein Eisleber Synagoge e. V.), indem sie mit schwarzer Sprühfarbe rechtsextremistische Symbole auftrugen. Im Oktober 2024 wurde die Entwendung mehrerer sogenannter "Stolpersteine" zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft in Zeitz (Burgenlandkreis) und Halle (Saale) gemeldet. Fremdenfeindlich motivierte Strafund Gewalttaten Die Zahl der fremdenfeindlich motivierten Straftaten blieb im Jahr 2024 mit insgesamt 699 Delikten auf dem Niveau des Vorjahres (2023: 701). Im Berichtszeitraum gaben mehrere öffentlichkeitswirksame Vorfälle und Straftaten unter Beteiligung von Personen mit Migrationshintergrund den Anstoß für eine Reihe fremdenfeindlich motivierter Propagandaund Gewaltstraftaten. Fremdenfeindlich motivierte Straftaten werden der Verfassungsschutzbehörde fast täglich bekannt. 65 Rechtsextremismus Straftaten gegen den politischen Gegner Die konfrontative, mitunter gewaltorientierte Haltung von Rechtsextremisten gegenüber Personen, die als politische Gegner identifiziert werden, entlädt sich in unterschiedlichen Formen: in Angriffen auf Mitglieder und Einrichtungen politischer Parteien, in der Zerstörung von Wahlplakaten, in verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Aktionen sowie in Form der Verbreitung von Drohmails oder Drohschreiben. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ist ein zentraler Bestandteil rechtsextremistischer Agitation und wird im Vorfeld von Wahlen besonders sichtbar. Im Rahmen der Europawahl am 9. Juni 2024 und der gleichzeitig in Sachsen-Anhalt stattfindenden Kommunalwahlen boten sich der rechtsextremistischen Szene zahlreiche Gelegenheiten, um offen oder im Verborgenen gegen den politischen Gegner zu agieren. Dabei standen die Parteien "Die Linke" und "Bündnis 90/Die Grünen" besonders im Fokus. So wurden am 17. Mai 2024 in Halle (Saale) drei Stadtratskandidaten von "Bündnis 90/ Die Grünen" im Rahmen des Straßenwahlkampfs von drei bislang unbekannten Tatverdächtigen bedroht und u. a. mit den Worten "Weg mit dem grünen Pack" und "Die grünen Viecher müsste man eigentlich alle verbrennen" beleidigt. Die abwertende Haltung sowie die Wortwahl im Kontext des Wahlkampfes lassen Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Einstellung und Tatmotivation erkennen. Am 20. Mai 2024 wurde in Magdeburg das Aufhängen von Wahlplakaten der Partei "DIE LINKE" von zwei unbekannten männlichen Personen gestört. Die Männer riefen den Geschädigten von der gegenüberliegenden Straßenseite die Worte "Man sollte euch und eure Plakate verbrennen!" zu. Anschließend verharrten die Beschuldigten kurzzeitig vor Ort und nahmen eine von den Geschädigten als bedrohlich wahrgenommene Position ein. In der Nacht zum 3. Juni 2024 brachten unbekannte Täter in der Lutherstadt Eisleben (Landkreis Mansfeld-Südharz) einen Aufkleber der rechtsextremen Partei "Der III. Weg" auf dem privaten Briefkasten eines Mitglieds des Landesvorstandes der Partei "DIE LINKE" an. Auf dem Aufkleber ist eine dunkel gekleidete, vermummte Person mit einer Schleuder zu sehen. Oberhalb des Motivs ist der Slogan "ANTIFA-BANDEN ZERSCHLAGEN" abgebildet. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Zahl der Straftaten im Bereich PMK -rechtshat im Vergleich zum Vorjahr deutlich zugenommen. Da viele der Tatverdächtigen der Verfassungsschutzbehörde zuvor nicht bekannt gewesen waren, schlägt sich dieser Zuwachs zum Teil auch in einem Anstieg des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials nieder. Die asylfeindliche und antisemitische Propaganda sowie die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner standen erneut im Zentrum der Agitation dieses Spektrums der rechtsextremistischen Szene. Die Verjüngung der rechtsextremistischen Szene hat dazu beigetragen, dass diese verstärkt soziale Medien und Messengerdienste zum Zweck der Planung von größeren Veranstaltungen oder Aktionen nutzt, teils im Rahmen von nur temporär bestehenden bzw. "projektbezogenen" Gruppen. Dies erschwert den Sicherheitsbehörden die Bewertung der Mobilisierungsund Gefährdungspotenziale erheblich. Auch künftig wird es die Hauptaufgabe der Sicherheitsbehörden sein, frühzeitig tatsächliche Gewaltabsichten und Gewaltankündigungen sowie Radikalisierungstendenzen im virtuellen Raum zu erkennen. 66 Rechtsextremismus "NEUE RECHTE"40 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Gründung Oktober 2012 (Am 11. Oktober 2012 wurde die Facebook-Seite "Identitäre Bewegung Deutschland" eingerichtet.) Verbreitung Bundesweit Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 15 10 Bund 500 450 Struktur / Der Verein IBD e. V. ist bundesweit aktiv. Er gliedert sich in ReAufbau gionalgruppen wie die IB Sachsen-Anhalt (IB ST) und lokale IBD-Gruppen (Ortsgruppen). Zudem betreibt er identitäre Projekte. Veröffentlichungen Homepage, soziale Netzwerke und Blogs; Materialversand "Phalanx" Finanzierung Spenden, Merchandising, Gründung und Führung von Unternehmen Kurzportrait / Ziele Die IBD geriert sich als Bewegung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die eigene Kultur beziehungsweise das eigene Volk vor den vermeintlichen Gefahren von Multikulturalismus, Masseneinwanderung und Identitätsbeziehungsweise Werteverlust bewahren will. Sie betrachtet sich eigenen Aussagen zufolge als deutscher Ableger der rechtsextremistischen Bewegung "Generation Identitaire" (GI)41 aus Frankreich. Die IBD ist in der realen und virtuellen Welt gleichermaßen vertreten. Mithilfe der intensiven Nutzung des Internets (soziale Netzwerke, Messenger-Dienste, Foren, Video-Plattformen) für die Dokumentation ihrer Aktionen versucht die IBD, eine breite Öffentlichkeit herzustellen, ohne dabei auf eine hohe Anzahl von Aktivisten angewiesen zu sein. Die Aktionen und Veranstaltungen der IBD waren in den letzten Jahren allerdings wenig geeignet, ein größeres Publikum anzusprechen oder eine größere mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Häufig waren die für die sozialen Medien produzierten Bilder wichtiger als das eigentliche Ereignis. So zeigten sich Mitglieder der IBD u. a. dabei, wie sie Dächer erklommen, Rauchpatronen zündeten und Banner entrollten. Wenngleich asylund migrationsfeindliche Agitation den Hauptfokus dieser Aktionen bildet, ist die IBD grundsätzlich bereit, ihre Aktionen inhaltlich an das aktuelle politische Geschehen anzupassen. Die Selbstdarstellung der IBD ist "popkultu40 Darunter wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen verstanden, in dem rechtskonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien antiliberale sowie antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen. 41 Wurde am 3. März 2021 per Dekret des französischen Innenministers aufgelöst. 67 Rechtsextremismus rell" geprägt, ihre Botschaften sind klar und einfach, ihre Wortwahl ist provokant und pseudointellektuell. Ihre Aktivisten geben sich jung und modern; demgemäß ist ihre verfassungsfeindliche Gesinnung nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Die IBD, als eine Vertreterin der "Neuen Rechten", steht für einen modernisierten Rechtsextremismus, der mit einem Themenkomplex aus Anti-Islam, Anti-Asyl und Anti-Establishment versucht, auf diese Weise Anschluss an gesellschaftliche Kreise zu erhalten. Begriffe wie Rasse und Volksgemeinschaft werden durch unverfängliche Begriffe wie Ethnie, Identität und Kultur ersetzt. Grund der Beobachtung Die IBD orientiert sich ideologisch an den Theorien der "Neuen Rechten" und vertritt programmatisch einen ethnopluralistischen42, antiliberalen und kollektivistischen Ansatz. Beim Ethnopluralismus handelt es sich um eine modernisierte Variante völkischer Ideologie. Das Konzept billigt ethnischen Gruppen in räumlicher Trennung vorgeblich ihre Eigenständigkeit zu, zielt aber tatsächlich anhand von Kollektivmerkmalen wie Kultur, Herkunft und Geschichte auf die Betonung ethnisch bzw. rassisch begründeter Gruppenunterschiede ab. Eine Zuwanderung von "Fremden", die nicht Teil dieser "ethnokulturellen Identität" sind, wird grundsätzlich abgelehnt. Die stattfindende Migration wird seitens der IBD mit der Verschwörungstheorie des "Bevölkerungsaustausches" erklärt: Kern dieser Verschwörungstheorie ist die Behauptung, dass mithilfe der Migrationsbewegungen nach Europa die "autochthone" Bevölkerung Europas bewusst durch Zuwanderer ersetzt werden soll. Dieser Entwicklung soll mit "Remigration" entgegengewirkt werden. In seiner sozialwissenschaftlichen Anwendung beschreibt der Begriff "Remigration" lediglich die (freiwillige) Rückwanderung von Menschen in ihr Heimatland, aus dem sie ursprünglich migriert sind. Die IBD hat sich diesen Begriff in den vergangenen Jahren angeeignet und versteht unter "Remigration" allerdings, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft Deutschland verlassen soll, durchaus auch unter Zwang. So stellt der von der IBD geprägte Ausdruck eine Missachtung der Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 GG dar. Die "Identitären" inszenieren sich als die wahren Verteidiger von Vielfalt und Freiheit gegen die angebliche Gleichmacherei vermeintlich linker Ideologen. In ihrer Kritik zeigt sich ein übersteigerter Nationalismus, der das Individuum weitgehend negiert und stattdessen kollektivistisch die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Die IBD propagiert die Auflösung der EU und die Bildung eines Europas der "identitären Nationalstaaten", die selbstbestimmt koexistieren. Hier besteht eine Verbindung zu der von der Partei "Die Heimat" erhobenen Forderung nach einem "Europa der Vaterländer". In der und für die IBD engagieren sich auch Personen, die einen Vorlauf im traditionellen Rechtsextremismus aufweisen. 42 Dass die IBD ethnopluralistische Positionen und damit "der Sache nach einen völkisch-abstammungsmäßigen Volksbegriff" vertritt, bestätigte im Oktober 2022 ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln (AZ 13 K 4222/18). 68 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Seit April 2024 ist der vormalige Leiter der IB Chemnitz, Vincenzo Richter, neuer Vereinsvorsitzender und somit auch neuer Bundesvorsitzender der IBD. Bisheriger Vorsitzender war Philip Thaler aus Sachsen-Anhalt. Mit der Neubesetzung des Bundesvorsitzes entwickelte sich das bereits im November 2023 in Chemnitz eröffnete "IBD-Zentrum" hin zu einem der wichtigsten Treffund Veranstaltungsorte der IBD in Deutschland. Die IBD führte im Jahr 2024 einzig die Kampagne "Remigration jetzt" durch. Der Begriff der "Remigration" wurde im Berichtsjahr öffentlich breit diskutiert, nachdem das Recherchenetzwerk "CORRECTIV" im Januar 2024 eine Reportage über ein am 25. November 2023 veranstaltetes Treffen in Potsdam veröffentlicht hatte. Der Österreicher Martin Sellner, das führende Gesicht der IB, hatte bei diesem Treffen u. a. in Anwesenheit von Funktionsund Mandatsträgern der AfD über seine Pläne zur "Remigration" referiert.43 Anlässlich des Reformationstages am 31. Oktober 2024 erklärte die IBD das Datum zum "Remigrationstag". So "schlugen" Vertreter der IBD an der Schlosskirche in Wittenberg symbolisch "95 Thesen für Remigration" an. Eine dieser Thesen lautete: "Die Remigration ist moralische Pflicht, die Massenauswanderung zerstört die Herkunftsländer, die Masseneinwanderung zerstört Europa." Mit zwei Aktionen reagierte die IBD auf den islamistischen Anschlag in Solingen (NordrheinWestfalen) vom 23. August 2024.44 Aktivisten der IBD verklebten in Solingen Plakate mit dem Aufdruck "Klingenstadt Solingen, Zentrum der Messermigration".45 In Dresden, vor einer Anwaltskanzlei, errichteten sie drei "Gräber" mit blutigen Kreuzen und stellten Poster mit der Aufschrift "Ihr Blut klebt auch an unseren Händen" auf. Aus Sicht der IBD trägt die Anwaltskanzlei eine Mitschuld, dass der Täter nicht abgeschoben wurde. Auch die Amokfahrt auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg am 20. Dezember 2024 wurde von der IB thematisiert. Rechtsextremistische Akteure sehen in dem Anschlag eine Bestätigung für ihre Annahme, dass Menschen mit Migrationshintergrund und Asylsuchende eine Gefahr für die Sicherheit in Deutschland darstellen. Die einzig logische Konsequenz sei deren großangelegte Abschiebung ("Remigration"). Mit Aktionen in Österreich, den Niederlanden, der Schweiz und in Dänemark versuchte die IB, die Amokfahrt für ihre ideologischen Zwecke zu instrumentalisieren. 43 Vgl. hierzu bereits Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2023. Magdeburg 2024, S. 133. 44 Bei dem Anschlag tötete ein Syrer drei Menschen. Der Täter sollte bereits in der Vergangenheit nach Bulgarien abgeschoben werden. 45 "Klingenstadt" ist seit dem 19. März 2012 der offizielle Namenszusatz Solingens. 69 Rechtsextremismus Demonstrationsgeschehen In Wien fand am 20. Juli 2024 eine Kundgebung der "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ) unter dem Motto "Kritik an der Wiener Migrationspolitik" statt, an der etwa 500 Personen teilnahmen. Unter den Teilnehmenden waren auch Angehörige der neurechten Szene Sachsen-Anhalts. Sonstiges Die der IBÖ zuzurechnende "Aktion 451"46 entstand im November 2023 in Wien. Nach eigenen Angaben ist die "Aktion 451" ein Zusammenschluss von Studenten mit dem Ziel, "alle dissidenten Studenten im deutschsprachigen Raum zu vernetzen und zu mobilisieren". Seit ihrer Gründung initiierte das Format zahlreiche Lesekreise in Österreich und Deutschland. In Sachsen-Anhalt fand ein erster Lesekreis der "Aktion 451" am 7. Oktober 2024 in Halle (Saale) statt. "Identitäre Bewegung Sachsen-Anhalt" (IB ST) Die IB ST war im Berichtszeitraum weiterhin inaktiv. In Schkopau (Saalekreis) wird eine Immobilie von IBD-Funktionären genutzt. Im Frühsommer 2024 postete das identitäre Netzwerk "Action Radar Europe" ein Foto, welches zeigt, dass dort ein Vernetzungstreffen mit IB-Gruppen aus anderen europäischen Ländern stattgefunden hat. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der IB-eigene öffentlichkeitswirksame Aktionismus hat im Berichtsjahr abgenommen. Um Akzeptanz in der neurechten Szene sicherzustellen, wird die IBD ihren Aktionismus als Mittel des politischen Kampfes bewusst weiterhin einsetzen und zu verstärken versuchen. Sie hofft, auf diese Weise breitere gesellschaftliche Räume anzusprechen, um so an Bedeutung zu gewinnen. Die IBD hat sich zu einem Wirtschaftsunternehmen entwickelt. Eine Vielzahl von Unternehmergesellschaften, für die Personen der ersten Generation der IBD tätig sind, hat sich in den vergangenen Jahren gegründet und fest etabliert. Die IBD wird ihre unternehmerischen Tätigkeiten fortsetzen und intensivieren. Ein Teil des Personenpotenzials der IBD ist inzwischen in anderen Personenzusammenschlüssen, wie etwa in der "Jungen Alternative" (JA) oder der AfD,47 gebunden. 46 Der Name wurde in Anlehnung an Ray Bradburys dystopischen Roman "Fahrenheit 451" gewählt. 47 Zur AfD und JA vgl. auch den Abschnitt "Rechtsextremistisches Parteienspektrum", S. 23 ff. 70 Rechtsextremismus "Verein für Staatspolitik e. V.", firmiert unter "Institut für Staatspolitik" (IfS) / Aufgelöstes und neustrukturiertes IfS Gründung 2000 Sitz / Verbreitung Steigra OT Schnellroda (Landkreis Saalekreis) Mitglieder / bundesweit ca. 10 (2023: etwa 15) Anhänger Struktur / Einzelpersonen Aufbau Vorstandsmitglieder/Geschäftsführer: "Menschenpark Veranstaltungs UG": Götz Kubitschek (Schnellroda) "Metapolitik Verlags UG": Erik Lehnert (Brandenburg) Veröffentlichungen Homepage, soziale Netzwerke, Podcasts, "Sezession im Netz" (SiN), Publikation "Sezession" Finanzierung Erlöse aus Veranstaltungen und dem Verkauf von Publikationen, Spenden Kurzportrait / Ziele Das IfS ist eine private, nichtuniversitäre Einrichtung und wurde nach eigenen Angaben im Jahr 2000 unter anderem von Götz Kubitschek gegründet. Innerhalb des Netzwerks der Neuen Rechten nimmt das IfS die Rolle eines "geistigen Gravitationszentrums"48 ein. Der "Verein für Staatspolitik e.V.", offizieller Träger des IfS, wurde von den Vorsitzenden Erik Lehnert und Götz Kubitschek am 17. April 2024 liquidiert. Die Auflösung wurde auf zwei Mitgliederversammlungen am 28. Februar 2024 und am 20. März 2024 beschlossen. Bereits am 28. Februar 2024 erfolgte die Gründung der "Menschenpark Veranstaltungs UG",49 deren alleiniger Geschäftsführer Götz Kubitschek ist. Am 29. Februar 2024 gründete Erik Lehnert die "Metapolitik Verlags UG", deren Geschäftsführer er ist. Beide neugegründeten Unternehmergesellschaften weisen personelle Übereinstimmungen mit dem ehemaligen IfS auf; auch ihre Adresse - Götz Kubitscheks Rittergut in Schnellroda - ist mit der des IfS identisch. Die vollzogene Neustrukturierung des "aufgelösten und neustrukturierten IfS" (weiterhin kurz IfS genannt) ist auch für die Öffentlichkeit sichtbar. So wird die bisherige Website des IfS (staatspolitik.de) nunmehr vom "Verlag Antaios" betrieben. Die Impressen der Zeitschrift "Sezession" sowie der SiN weisen die "Metapolitik Verlags UG" als neuen Herausgeber aus. Kernthema des IfS ist die "staatspolitische Ordnung", die es in folgende Arbeitsgebiete unterteilt: "Staat und Gesellschaft", "Politik und Identität", "Zuwanderung und Integration", "Erziehung und Bildung", "Krieg und Krise" sowie "Ökonomie und Ökologie". Diese werden sowohl 48 Backes, Uwe: Zum Weltbild der Neuen Rechten in Deutschland. In: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Analysen & Argumente Nr. 321. Sankt Augustin 2018. S. 8. 49 Der Begriff "Menschenpark" geht auf den im Jahr 1999 im Suhrkamp-Verlag erschienenen Essay "Regeln für den Menschenpark" des Philosophen Peter Sloterdijk zurück. 71 Rechtsextremismus in Veranstaltungen (wie Akademien, die nach der Umstrukturierung nun als "Studientage" bezeichnet werden) als auch in Publikationen aufgegriffen50. Unter den Veröffentlichungen des IfS ragt die Zeitschrift "Sezession" besonders hervor, da sie innerhalb der neurechten Szene sehr bekannt und wirkmächtig ist. Sie erscheint aktuell sechsmal im Jahr. Zu ihrem Autorenstamm zählen mehrere Personen, die dem Rechtsextremismus zuzurechnen sind. Das IfS will zugunsten einer Diskursverschiebung nach "rechts" eine vermeintlich linke Hegemonie in Gesellschaft und Politik aufbrechen. Der "Raum des Sagbaren" soll ausgedehnt werden. Das IfS strebt nach Deutungshoheit im vorpolitischen und nach Einfluss im parlamentarischen Raum. Stärker als viele andere rechtsextremistische Gruppierungen setzt das IfS auf die Schrift als Mittel zur Verbreitung der eigenen Ideologie. Grund der Beobachtung Die vom IfS herausgegebenen Schriften und die Äußerungen seiner führenden Vertreter zeichnen sich durch rassistische und biologistische Sichtweisen aus. Den Wesenskern der Ideologie des IfS stellt (wie auch im Falle der IBD) der Ethnopluralismus dar. In unmittelbarem Zusammenhang mit seiner ethnopluralistischen Agitation steht die Ausländerund Islamfeindlichkeit des IfS. Das IfS diskriminiert ausgewählte Personengruppen, wenn es diesen pauschal negative Eigenschaften zuschreibt und die persönliche Identität im Sinne des Art. 2 GG sowie die Gleichheitsrechte nach Art. 3 GG abspricht. Die pauschale Verächtlichmachung von ethnischen und kulturellen Minderheiten verstößt außerdem gegen das Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG. Die vom IfS propagierte Vorstellung von einem "deutschen Volk" jenseits des im Grundgesetz als der Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen definierten Staatsvolkes impliziert eine Herabsetzung von eingebürgerten Staatsangehörigen zu Deutschen "zweiter Klasse". Das IfS richtet sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. In seiner Rolle als "think tank" der "Neuen Rechten" unterhält das IfS eine Vielzahl von Kontakten und Beziehungen zu anderen neurechten Gruppen und Personen. Insbesondere besteht eine enge Bindung an den rechtsextremistischen Verlag "Antaios"51 und an Funktionsund Mandatsträger der Partei AfD. Das IfS ist somit bestrebt, Dritte mit seinem extremistischen Denken und Handeln zu beeinflussen. Dabei scheut es eine teils offensive, teils subversive Pflege und Verbreitung verschwörungsideologischer Argumentationsmuster nicht. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Jahr 2024 war das IfS weiterhin primär publizierend tätig. Die größte Aufmerksamkeit und Reichweite entfaltete es mit Beiträgen in der SiN. Hier veröffentlichte das IfS eine Mischung aus bereits in der Zeitschrift "Sezession" publizierten Artikeln, Nachbetrachtungen zu Veranstaltungen und Meinungsbeiträgen zum tagespolitischen Geschehen. 50 Beispielweise die "Wissenschaftliche Reihe" oder das "Staatspolitische Handbuch" des IfS. 51 Inhaber und Verlagsleiter ist Götz Kubitschek. 72 Rechtsextremismus Darüber hinaus führte das IfS regelmäßig Veranstaltungen durch, von denen insbesondere die "Akademie"-Tagungen ("Studientage") innerhalb der neurechten Szene großen Anklang fanden. Sie sind Personen unter 35 Jahren vorbehalten, was die Bedeutung des IfS als ideologisches Schulungsund Nachwuchszentrum der "Neuen Rechten" unterstreicht. Vom 16. bis 18. Februar 2024 richtete das IfS seine jährlich stattfindende "Winterakademie", diesmal zum Thema "Rußland", aus. Etwa 150 Personen fanden den Weg nach Schnellroda. Die größte Aufmerksamkeit erhielt die am letzten Tag der "Akademie" veranstaltete Podiumsdiskussion mit Björn Höcke (Vorsitzender der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag) und Christoph Berndt (Vorsitzender der AfD-Fraktion im Landtag von Brandenburg). Besprochen wurde hierbei nicht das Thema Russland, sondern unter anderem die Situation der jeweiligen AfD-Landesverbände vor den Landtagswahlen, ein am 13. Februar 2024 vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) vorgestelltes Maßnahmenpaket gegen Rechtsextremismus sowie eine vermeintliche Abhängigkeit des Verfassungsschutzes von der Politik. Vom 20. bis 22. September 2024 führte das IfS in Schnellroda "Studientage" zum Thema "Menschenpark" durch. IfS-erfahrene Referenten trugen zum Thema vor. An der Veranstaltung nahmen etwa 130 Personen teil. Neben den "Akademien" ("Studientagen") mit explizitem Schulungscharakter, die eher an einen exklusiveren Teil der "Neuen Rechten" adressiert sind, haben sich auch die einem größeren Teilnehmerkreis zugänglichen "Sommerfeste" als Vernetzungsund Kooperationsplattform über das neurechte Milieu hinaus etabliert. Im Berichtsjahr fand das "Sommerfest" des IfS am 13. und 14. Juli 2024 mit über 500 Teilnehmern in Schnellroda statt, darunter der bekannte Rechtsextremist Martin Sellner ("Identitäre Bewegung Österreich"). Der programmatische Höhepunkt des Sommerfests war eine Podiumsdiskussion mit den AfD-Landesvorsitzenden aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg, die die "Bedeutung der drei Ost-Wahlen, den Umgang mit dem Bündnis Sarah Wagenknecht, d[ie] Schwere der Repressionen sowie mögliche Koalitionen" thematisierte. Der Vorsitzende des AfD-Landesverbandes Thüringen, Björn Höcke, bezeichnete die Veranstaltung als den Wahlkampfauftakt für die AfD Thüringen. Kontakte nach Österreich Das IfS hat sein Engagement in Österreich im Berichtszeitraum weiter verstärkt. Götz Kubitschek hielt sich am 24. Januar 2024 im Castell Aurora in Steyregg (Österreich) und am 25. Januar 2024 in Wien in den Räumen der "Österreichischen Landsmannschaft" (ÖLM)52 auf. Götz Kubitschek sprach bei beiden Terminen über die Lage in Deutschland seit der Veröffentlichung der "CORRECTIV"-Reportage über das sogenannte "Potsdamer Treffen" vom 25. November 2023. Vom 12. bis 14. April 2024 führte das IfS gemeinsam mit dem "Freiheitlichen Akademikerverband Steiermark" (FAV Steiermark) eine "Frühjahrsakademie 2024" zum Thema "Europa vor 52 Die ÖLM ist ein österreichischer Vertriebenenverband und Nachfolgerin des 1938 aufgelösten "Deutschen Schulvereins", der mit Schulbauten die deutschen Volksgruppen dort förderte, wo sie in den Kronländern der ehemaligen österreichischen Reichshälfte in der Bevölkerungsminderheit waren. 73 Rechtsextremismus der Trendwende - Rechte zwischen Anspruch und Wirklichkeit" mit 75 Teilnehmern in Kärnten (Österreich) durch. Die "Akademien" in Österreich sind thematisch an die "Akademien" in Schnellroda angelehnt. Die Vortragenden gehören dem Referentenstamm des IfS an. Götz Kubitschek folgte am 12. September 2024 einer Einladung der "Aktion 451"53 zu einer Vortragsveranstaltung zum Thema "Menschenpark". Hier stellte er Peter Sloterdijks Buch "Regeln für den Menschenpark"54 vor. Am 13. September 2024 war Götz Kubitschek zu Gast bei der vierten "Patagonischen Nacht" in Wien. Mit der "Patagonischen Nacht" wird dem französischen Schriftsteller Jean Raspail, einem Vordenker der Neuen Rechten, gedacht, dessen Bücher im Verlag Antaios angeboten werden. Die "Runde der Chefredakteure", ein gemeinsames Projekt "alternativer" Medien aus Österreich, lud Götz Kubitschek am 17. Oktober 2024 zu einer Ausgabe anlässlich des einjährigen Jubiläums des Formats nach Wien ein. Götz Kubitschek war bereits im September 2023 Gast in der ersten Ausgabe der "Runde der Chefredakteure". Die Runde sprach unter anderem über die Wirkmächtigkeit von "alternativen Medien", die Folgen des islamistischen Anschlags in Solingen vom 23. August 2024 und über den Zuwachs für "heimattreue" Parteien in Österreich und Deutschland. Veröffentlichungen und weitere Ereignisse In einem Artikel in der SiN missbilligte Götz Kubitschek die staatlichen Maßnahmen rund um die rechtsterroristische Gruppe "Sächsische Separatisten" (Sachsen). Im Kontext des Artikels wurde im Nachgang das "Hafttagebuch" eines der Beschuldigten veröffentlicht. In einem Livestream mit dem damaligen Vorsitzenden der Partei "Die Heimat"55, Frank Franz (Saarland), distanzierte sich Götz Kubitscheks Ehefrau Ellen Schenke-Kubitschek56 von "altrechten" Strukturen und der zugehörigen Ideologie. Das IfS habe seit Bestehen ca. 5.000 junge Menschen geschult und Verschiedentliche davon abhalten können, in die altrechte Bewegung abzudriften. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Auf der ideologischen Ebene hat das IfS nach dessen formaler Auflösung und Neustrukturierung in Form der Unternehmergesellschaften "Menschenpark Veranstaltungs UG" und "Metapolitik Verlags UG" keine inhaltliche Neuausrichtung oder einen programmatischen Wechsel vollzogen. Die Veränderungen haben primär rechtlichen Charakter. 53 Der "Identitären Bewegung Österreich" zuzurechnen. Vgl. hierzu auch S. 70. 54 Vgl. hierzu Anm. 49 (S. 71). 55 Zu der Partei "Die Heimat" vgl. auch S. 33 ff. 56 Die Autorin veröffentlicht unter "Ellen Kositza", ihrem früheren Namen. 74 Rechtsextremismus Im Berichtszeitraum konnte Götz Kubitschek seine einflussreiche Position innerhalb der neurechten Szene weiter festigen. Ihm billigt die neurechte Szene, insbesondere die AfD, eine Art Beraterund Expertenrolle zu. Die offene Unterstützung eines mutmaßlichen Rechtsterroristen stellt eine neue Qualität mit Blick auf die Radikalisierung des IfS dar und untergräbt unmittelbar die Aussagen von Ellen Schenke-Kubitschek im Interview mit dem ehemaligen Vorsitzenden der Partei "Die Heimat", wonach das IfS sich von "altrechten" Strukturen und der zugehörigen Ideologie distanziert. 75 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" EINLEITUNG Das allgemeine Gefährdungspotenzial der Reichsbürgerszene blieb auch im Jahr 2024 unverändert hoch. Versinnbildlicht wurde dies durch den Auftakt der Prozesse gegen die 27 Hauptbeschuldigten der Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß vor dem OLG Stuttgart, dem OLG Frankfurt am Main und dem OLG München im Frühjahr und Sommer 2024. Den Angeklagten wird u. a. die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (SS 129a StGB) vorgeworfen.57 Im Berichtsjahr blieb das Personenpotenzial der Reichsbürgerszene in Sachsen-Anhalt mit 700 Personen (2023: 700) unverändert auf einem hohen Niveau. Von den insgesamt 700 "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind fast 30 Prozent in Gruppierungen (wie z. B. dem "Königreich Deutschland" [KRD], dem "Vaterländischen Hilfsdienst" [VHD] oder der "Gemeine Südharz") aktiv. Bei den übrigen Szeneangehörigen handelt es sich in der Regel um Einzelpersonen, die in der Kommunikation mit Ämtern und Behörden als sogenannte "Vielschreiber" auftreten. Mit einer Vielzahl von Schreiben, die reichsbürgertypische Argumentationsund Sprachmuster beinhalten, versuchen sie, behördliches Handeln in ihrem Sinne zu beeinflussen und Behördenmitarbeiter einzuschüchtern. Etwa acht Prozent der Reichsbürgerszene in Sachen-Anhalt werden als gewaltbereit eingestuft. Diese Kategorie umfasst gewalttätige Szeneangehörige sowie Personen, die durch gewaltbefürwortende Aussagen oder Drohungen aufgefallen sind. Neun Prozent aller "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Sachsen-Anhalt sind gleichzeitig der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen. Nach der Durchführung umfangreicher staatlicher Exekutivmaßnahmen im November 2023 und Oktober 2024 gegen das KRD entfaltete dieses im Berichtszeitraum in Sachsen-Anhalt keine Aktivitäten mehr. Anders als in den Vorjahren standen der Gruppe in Sachsen-Anhalt während des gesamten Berichtsjahres keine nutzbaren Immobilien zur Verfügung. Insgesamt 57 Mitglieder dieser Gruppierung hatten im Jahr 2022 geplant, den Deutschen Bundestag zu stürmen und in der Bundesrepublik Deutschland die Macht zu übernehmen. 77 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" musste das KRD im Jahr 2024 infolge der staatlichen Maßnahmen einen schwerwiegenden Bedeutungsverlust hinnehmen. Die Gruppe "Gemeine Südharz" mit etwa 25 Mitgliedern, vornehmlich aus dem Bereich des Landkreises Mansfeld-Südharz, hat sich im Jahr 2024 zur aktivsten "Reichsbürger"-Gruppierung in Sachsen-Anhalt entwickelt. Diese Gruppierung fällt vor allem mit reichsbürgertypischen Schreiben an verschiedene staatliche Institutionen auf, in denen sie z. B. behauptet, dass ausschließlich die "Gemeine Südharz" verwaltungsrechtlich befugt sei, "Maßnahmen" gegen ihre Mitglieder zu erlassen. 78 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" REICHSBÜRGERSZENE ("Reichsbürger" und "Selbstverwalter") Gründung Die seit Jahren agierende Reichsbürgerszene hat ihren Ursprung in der in den 1980er Jahren bestehenden "Kommissarischen Reichsregierung" (KRR) um Wolfgang Ebel (+, Berlin). Verbreitung Quantitative Schwerpunktregionen in Sachsen-Anhalt sind der Salzlandkreis und der Landkreis Mansfeld-Südharz Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 700 70058 Bund 25.000 26.00059 Struktur / Die Reichsbürgerszene ist sehr heterogen, zersplittert und Aufbau vielschichtig. Sie lässt sich in "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" unterscheiden. Als "Reichsbürger" bezeichnen sich Einzelpersonen und verschiedene Gruppierungen, die sich als Angehörige eines "Deutschen Reiches" wähnen. Bei den "Selbstverwaltern" handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Einzelpersonen, die im Gegensatz zu den "Reichsbürgern" nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind, sondern behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus der Bundesrepublik Deutschland ausscheiden oder dass diese gar nicht existent sei. Entsprechend seien sie nicht mehr deren Gesetzen unterworfen. Manche "Selbstverwalter" rufen sogar eigene "Staatsgebilde" aus. Neben den Einzelakteuren existieren eine Vielzahl an Kleinstund Kleingruppen sowie virtuelle Netzwerke und darüber hinaus auch überregional agierende Personenzusammenschlüsse. Veröffentlichungen Diverse, teils wechselnde Web-Angebote Soziale Medien wie Facebook, Homepages, Messenger-Dienste wie Telegram Kurzportrait / Ziele Kennzeichnend für die Reichsbürgerszene sind gemeinhin folgende Behauptungen: Die Bundesrepublik Deutschland sei kein echter Staat im völkerrechtlichen Sinn, sondern eine Firma mit staatsähnlichen Strukturen, eine "BRD-GmbH". Es handele sich um ein reines "Verwaltungsund Firmenkonstrukt". Die Bundesrepublik Deutschland sei nicht unabhängig. Die Bundesrepublik Deutschland sei juristisch nicht existent, also illegal. 58 Davon sind etwa 9 Prozent der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen; 8 Prozent sind gewaltorientiert. 59 Davon sind etwa 5 Prozent der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen; 10 Prozent sind gewaltorientiert. 79 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Hingegen bestehe das Deutsche Reich völkerrechtlich fort; oft wird auf die Grenzen von 1937 verwiesen. Allerdings sei das Reich immer noch besetzt. Um ihre Behauptung zu untermauern, dass Deutschland kein souveräner Staat sei, verweisen "Reichsbürger" meist auf die Militärpräsenz der USA, die eines bevorzugten Feindbilder der Szene darstellen. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" streben den Aufbau pseudostaatlicher Strukturen an und sind daher bemüht, eigene Verwaltungsstrukturen zu schaffen. Szeneakteure stellen zu diesem Zweck u. a. eigene Legitimationspapiere aus, geben sich selbst Regierungsämter o- der rufen pseudostaatliche Behörden ins Leben. Grund der Beobachtung "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" erkennen die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht an. Sie verstoßen damit gegen das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 des GG. Einige Szeneakteure (z. B. das KRD) propagieren darüber hinaus eine antidemokratische Ideologie und richten sich somit gegen das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1 und 2 GG. Zudem können sich Bestrebungen von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes und, soweit sie im Einzelfall mit gebietsrevisionistischen Forderungen verbunden sind, auch gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Zuweilen werden auch antisemitische Verschwörungsideologien bis hin zur Holocaust-Leugnung verbreitet. Überregionale Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die bundesweite Veranstaltungsreihe "Das Große Treffen der 25+1 Bundesstaaten" wurde im Jahr 2024 fortgesetzt. Sie dient der überregionalen Vernetzung der Reichsbürgerszene und fordert ideologisch die Rückkehr zum Kaiserreich und zu dessen Verfassung von 1871. Zum dritten "Großen Treffen der Bundesstaaten" versammelten sich am 6. April 2024 etwa 950 "Reichsbürger" in Gera (Thüringen), bei dem ein namhafter Rechtsextremist aus Thüringen eine Rede hielt. Auch Peter Fitzek, der selbsternannte König des KRD, wurde im Rahmen der Versammlung festgestellt. Am 31. August 2024 fand das vierte Treffen mit rund 500 Szeneangehörigen in München (Bayern) statt. Ein Organisator dieser Veranstaltungen ist der aus Sachsen-Anhalt stammende Reichsbürger Thiemo Althaus (Landkreis Börde), der auch als einer der Protagonisten der "Stillen Proteste"60 gilt. Die Versammlungsreihe stellt mittlerweile das größte sich wiederholende bundesweite Vernetzungstreffen der Reichsbürgerszene dar. 60 Siehe unten, S. 81 f. 80 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Aktive Gruppierungen der Reichsbürgerszene in Sachsen-Anhalt Gruppierungen nehmen in der Reichsbürgerszene einen bedeutenden Stellenwert ein, da sie sowohl virtuell als auch in der realen Welt zweckund zielgerichtet agieren. Die Reichsbürgerszene unterliegt permanenten strukturellen Veränderungen und ist anpassungsfähig. "Königreich Deutschland" (KRD)61 Nach den bundesweiten Maßnahmen verschiedener Behörden - u. a. der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Staatsanwaltschaft Dresden - gegen das KRD im November 2023 und Oktober 2024, bei denen dem KRD auch der Zugriff auf dessen ehemalige "Zentrale", das Objekt in Lutherstadt Wittenberg, entzogen wurde, waren keine Aktivitäten der Gruppierung im Berichtsjahr in Sachsen-Anhalt mehr feststellbar. Allerdings zog die Berufungsverhandlung gegen Peter Fitzek am Landgericht Dessau-Roßlau große Aufmerksamkeit auf sich. Peter Fitzek war zuvor im Juli 2023 vom Amtsgericht Wittenberg wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Beleidigung zu einer Haftstrafe von acht Monaten ohne Bewährung verurteilt worden und hatte anschließend Berufung eingelegt. Im Rahmen der Berufungsverhandlung sprach Peter Fitzek dem Gericht die Zuständigkeit ab und argumentierte reichsbürgertypisch. Die Verhandlung wurde durchgängig von seinen Anhängern im Zuschauerraum begleitet und protokolliert. Das Landgericht Dessau-Roßlau bestätigte das vorangegangene Urteil und Peter Fitzek legte im Anschluss unverzüglich Revision gegen diese Entscheidung ein.62 Insgesamt kann konstatiert werden, dass das KRD durch die verschiedenen restriktiven Maßnahmen der unterschiedlichen Behörden stark geschwächt ist. Lediglich ein Objekt in Halsbrücke (Sachsen) ist dem KRD zur Nutzung verblieben. Ein im November 2024 dort durchgeführter "Tag der offenen Tür" erzeugte bei potenziellen Anhängern kaum Interesse. Auch die im Jahr 2023 mit hoher Frequenz durchgeführten Wanderungen der Teilorganisation des KRD "Der Leuchtturm" ließen im Verlauf des Berichtsjahres deutlich nach. "Samtgemeinde Alte Marck" Die "Samtgemeinde Alte Marck" trat im Berichtsjahr gelegentlich in Erscheinung. Vereinzelt verschickten Anhänger der Gruppierung Schreiben an Behörden, in denen behauptet wurde, dass für sie ausschließlich die Gesetze des Deutschen Kaiserreiches gelten würden und die bundesdeutschen Behörden für sie daher nicht zuständig seien. Meist war den Schreiben ein "Heimathschein" der "Samtgemeinde" beigefügt, um diese Behauptung zu untermauern. "Stiller Protest" Im Jahr 2024 setzten sich die bereits seit dem Jahr 2020 stattfindenden regelmäßigen Versammlungen von "Reichsbürgern" in der Ortslage Gröningen, OT Heynburg (Landkreis Börde) an der B 81 zunächst fort. Die beteiligten "Reichsbürger" schwenkten bei diesen Ver61 Das BMI hat das KRD am 13. Mai 2025 verboten. 62 Im März 2025 verwarf das OLG Naumburg die Revision Peter Fitzeks gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittenberg vom Juli 2023, welches damit rechtskräftig ist. 81 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sammlungen vornehmlich Reichsflaggen am Straßenrand. Die Teilnehmerzahlen sanken allerdings im Laufe des ersten Halbjahres in einen einstelligen Bereich; seit August 2024 finden die Versammlungen in Heynburg daher nicht mehr statt. An der B 86 in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) hingegen wurden die wiederkehrenden Versammlungen von "Reichsbürgern" weitergeführt, auch wenn sie ebenfalls nur sehr geringe Teilnehmerzahlen aufwiesen. Ebenso wurden gleichgelagerte Versammlungen in anderen Bundesländern wie Brandenburg oder Niedersachsen personell unterstützt. "Gemeine Südharz" Im Landkreis Mansfeld-Südharz blieb die Gruppierung "Gemeine Südharz" sehr aktiv. Laut "Gründungsurkunde" wurde die "Gemeine Südharz" Ende 2022 von sieben Personen ins Leben gerufen. Inzwischen werden etwa 25 Reichsbürger der Gruppierung zugerechnet, die auch in anderen Landkreisen und außerhalb Sachsen-Anhalts wohnen. Typisch für diese Gruppierung ist das Versenden von Schreiben, in denen Behörden mitgeteilt wird, dass diese nicht zuständig seien, da ausschließlich die "Gemeine Südharz" verwaltungsrechtlich befugt sei, Maßnahmen gegenüber ihren Anhängern zu veranlassen. Herauszuheben ist ein Schreiben an den Thüringer Landesbeauftragten für Datenschutz und die Informationsfreiheit, der aufgefordert wurde, personenbezogene Daten von Angehörigen der "Gemeine Südharz" in allen Verwaltungsregistern zu löschen. "Vaterländischer Hilfsdienst" (VHD) Der VHD ist eine Unterorganisation der "Reichsbürger"-Organisation "Bismarcks Erben/ Ewiger Bund", deren Aufgabe es sein soll, "Verwaltungsstrukturen" wie "Meldeämter" aufzubauen, um nach der vom VHD angestrebten Reaktivierung der Rechtsordnung des Deutschen Kaiserreiches "arbeitsfähig" zu sein. Die Strategie zielt also nicht darauf, Auseinandersetzungen mit der staatlichen Verwaltung zu führen, wie dies für andere Gruppierungen der Szene charakteristisch ist, sondern auf den Aufbau der eigenen Handlungsfähigkeit. Die Gruppierung orientiert ihre regionale Gliederung an den historischen Armeekorpsbereichen, wie sie in der Zeit des Deutschen Kaiserreiches bestanden. Der VHD-Ableger in Sachsen-Anhalt agiert unter der Bezeichnung "IV. Armeekorpsbezirk". Die Gruppierung traf sich im Jahr 2024 mehrfach an verschiedenen Orten Sachsen-Anhalts, z. B. in Dessau-Roßlau OT Roßlau und Wernigerode. Bei den "Hilfsdiensttreffen" des "IV. Armeekorpsbezirks" sollen nach eigenen Angaben Interessenten beschult, Auszeichnungen verliehen und sogenannte "Eidesleistungen" vollzogen worden sein. Mit "Eidesleistungen" verpflichtet man sich, für die Interessen des VHD einzutreten. Zumeist ist damit die Übertragung von Funktionen innerhalb der Organisation verbunden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Reichsbürgerszene entfaltete im Berichtsjahr erneut vielfältige Aktivitäten sowohl in der Realwelt als auch im virtuellen Raum. In Sachsen-Anhalt stabilisierte sich die Anzahl der Anhänger dieses Phänomenbereichs auf einem hohen Niveau. 82 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Zudem kann weiter ein hohes Interesse an der Vernetzung innerhalb der Szene festgestellt werden. Hierzu bietet das Internet mit seinen Social-Media-Kanälen und Online-Foren, vor allem auf Telegram, eine bestmögliche Basis. Diese digitale Vernetzung wirkt sich aber auch in der realen Welt aus. Beispielhaft dafür sind die "Großen Treffen der Bundesstaaten" zu nennen, die von den Teilnehmenden zum persönlichen Kennenlernen und Austausch genutzt werden. Ein Schwerpunkt der Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde ist weiterhin die Beobachtung von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern", die über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügen und sich waffenaffin zeigen. Etwa vier Prozent des Personenpotenzials in Sachsen-Anhalt sind in Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten bei waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsprüfungen nach SS 5 WaffG hat der Verfassungsschutz die Unteren Waffenbehörden über seine (mitteilbaren) Erkenntnisse unterrichtet.63 Die Waffenbehörden prüfen eigenständig, ob das Versagen einer beantragten oder der Entzug einer bereits erteilten waffenrechtlichen Erlaubnis auf der Basis dieser Erkenntnisse rechtlich möglich ist. 63 Siehe dazu auch Kapitel 1, Abschnitt "Mitwirkungsaufgaben", S. 7 ff. 83 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates BEOBACHTUNGSOBJEKT: DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie führten im Frühjahr 2020 zu tiefgreifenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens. In der Folge entwickelte sich ein dynamisches Protestgeschehen in Gestalt regelmäßiger Versammlungen, die auf dem Höhepunkt der Proteste im Januar 2022 landesweit von über 18.000 Teilnehmern besucht wurden. Neben den von der Versammlungsund Meinungsfreiheit ausdrücklich gedeckten Unmutsbekundungen bildete sich dabei auch eine Form des Protests heraus, der auf eine verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates zielt. Verfassungsschutzrelevant ist die von einem Personenzusammenschluss betriebene Delegitimierung des Staates, wenn sie eine Reihe von Kriterien erfüllt. Hierzu zählt die ständige und pauschale verfassungsschutzrelevante Agitation gegen staatliche Institutionen und insbesondere demokratisch legitimierte Repräsentanten des Staates, ohne dass die Kritik konkretisiert und eine mit der Demokratie verträgliche Alternative aufgezeigt wird. Kennzeichnend für eine derartige Agitation sind u. a. systematische Beschimpfungen, Verdächtigungen, Verleumdungen und Verunglimpfungen, aber auch Gleichsetzungen der Bundesrepublik Deutschland mit Diktaturen. Ein weiteres Kriterium des Phänomenbereichs ist die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Form von Gewaltandrohungen gegen Vertreterinnen und Vertreter der parlamentarischen Demokratie oder auch Blockadeund Sabotageaktionen gegen staatliche Einrichtungen sowie lebenswichtige Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen. Die Szene legitimiert Gewaltund Widerstandshandlungen, indem sie sich auf ein falsch verstandenes Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG gegen aus ihrer Sicht illegitime staatliche Maßnahmen bezieht. Personenzusammenschlüsse, die dem Phänomenbereich der Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates zuzurechnen sind, verbreiten darüber hinaus Verschwörungserzählungen, die oft mit digital verbreiteter Misund Desinformation64 einhergehen. Kennzeichen ihrer Agitation sind eine ausgeprägte Elitenfeindlichkeit einerseits und ein kategorisches "Freund-Feind-Denken" andererseits. Die hierin zum Ausdruck kommende dualistische Sichtweise der Szene kann eine katalysatorische Wirkung in Bezug auf die Radikalisierung ihrer Anhängerschaft entfalten. Ein Großteil der Kommunikation und damit auch der Vernetzung und Radikalisierung erfolgt über soziale Medien und Messengerdienste. Insbesondere Telegram nahm im Berichtszeitraum eine zentrale Funktion für die Organisation, Mobilisierung und Information der Szene der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates ein. 64 Der Begriff "Desinformation" beschreibt das gezielte und wissentliche Verbreiten von falschen Informationen mit dem Ziel, die Adressaten in die Irre zu führen. Dies ist zu unterscheiden von falschen o- der irreführenden Informationen, die irrtümlich bzw. ohne Täuschungsabsicht entstehen und verbreitet werden (Misinformation). Desinformation wird von nicht-staatlichen Akteuren aus dem Inund Ausland sowie von ausländischen staatlichen Akteuren aus unterschiedlichen Motivationen heraus eingesetzt. In dem vorliegenden Kapitel bezieht sich der Begriff der Desund Misinformation auf das Agieren nicht-staatlicher Akteure im Inland. 85 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Im Berichtjahr lag das Personenpotenzial der Delegitimiererszene in Sachsen-Anhalt bei rund 90 Personen. Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Vergleich zu den Vorjahren trat die Szene infolge von Fragmentierungsprozessen weniger konturiert in Erscheinung. Ihre Aktivitäten entfalteten insgesamt eine geringere Resonanz. Das Personenpotenzial des Phänomenbereichs hat im Berichtszeitraum abgenommen. Ein Grund für diese Entwicklung ist die Abwanderung von Szeneakteuren, die in den Vorjahren noch der Delegitimiererszene zuzurechnen waren, zum Rechtsextremismus und zur Reichsbürgerszene. Diese Entwicklung wurde seit der zweiten Jahreshälfte 2024 insbesondere in Halberstadt (Landkreis Harz) sichtbar: Waren die dort wöchentlich stattfindenden "Montagsdemonstrationen" zuvor noch von Personen geprägt, die dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zugerechnet wurden, werden sie seit Herbst 2024 von der rechtsextremistischen Szene dominiert. Die Proteste der Delegitimiererszene wiesen im Berichtsjahr einen stark ritualisierten Charakter auf und wurden überwiegend von einer kleinen Personengruppe getragen, die es nicht vermochte, ein nicht-extremistisches Klientel zu mobilisieren. Dies zeigte etwa die Beteiligung von Akteuren der Delegitimiererszene an den Protestaktionen von Landwirten gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung im ersten Quartal 2024: Das Vorhaben der Szene, die Proteste ideologisch zu instrumentalisieren, scheiterte; sie konnte keinen bestimmenden Einfluss auf die Kundgebungen der Landwirte entfalten. Den konstant niedrigen Teilnehmendenzahlen bei Protesten versuchte die Delegitimiererszene mit Vernetzungsbestrebungen und der Vermischung von extremistischen Ideologemen zu begegnen. Insbesondere bei Telegram war eine länderund phänomenbereichsübergreifende Zusammenarbeit zu beobachten. Die Teilnehmenden der Proteste verbreiteten häufig pro-russische Narrative und unternahmen den Versuch, sich als neue Friedensbewegung zu inszenieren. Diese Bemühungen waren wenig erfolgreich. Das Hauptaktionsfeld der Delegitimiererszene im Berichtszeitraum bildete das Teilen von Inhalten in sozialen Netzwerken, insbesondere bei Telegram: Die dort verbreiteten Inhalte enthalten häufig pro-russische Narrative und weisen einen hohen Grad an Desund Misinformation auf; sie werden von einigen Akteuren der Delegitimiererszene äußerst aggressiv und mit gesteigerter Vehemenz geäußert. Aufgrund der rückläufigen Teilnehmendenzahlen und möglicherweise auch aufgrund der Selbstidentifikation der Delegitimiererszene als "Friedenbewegung" stellte sich das Protestgeschehen weitgehend störungsfrei und geordnet dar. Nur vereinzelt kam es zu versammlungstypischen Delikten. 86 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Aktive Gruppierungen "Bewegung Halle" Die "Bewegung Halle" ist nach wie vor dem Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates zuzuordnen, auch wenn die extremistische Intensität der geäußerten Inhalte im Vergleich zu anderen Gruppen der Szene geringer ist. Sie organisiert die Montagsproteste in Halle (Saale), die über den Berichtszeitraum hinweg eine konstant hohe zweistellige bis niedrige dreistellige Teilnehmendenzahl aufwiesen. Bei einer dieser Versammlungen, die die Gruppe am 18. März 2024 durchführte, bezeichnete eine Rednerin die Regierung als "Unrechtsregime" und die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie als "Corona-Terror". Einen Videozusammenschnitt, mit dem die "Bewegung Halle" eine ihrer Kundgebungen dokumentierte, unterlegte die Gruppierung mit einem Lied der rechtsextremistischen Band "Sleipnir". Im Zusammenhang mit der Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt vom 20. Dezember 2024 äußerte sich die Gruppe demokratiefeindlich und gegen das Rechtsstaatsprinzip gerichtet. So nahm eine Rednerin der Gruppe die Amokfahrt für die Forderung zum Anlass, dass "alle korrupten Figuren aus sämtlichen Regierungen" entfernt werden müssten: "Durch Wahlen werden wir diese Figuren nicht los. Und wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie längst verboten. [...] Was haben wir denn für eine Wahl? Wir haben die Wahl, in einem völlig korrumpierten System Figuren zu wählen, die alles im Sinn haben, aber nicht das Interesse der Deutschen vertreten. Sie machen genau das Gegenteil von dem, was sie eigentlich tun sollten. Und das machen sie mit Absicht. Das ist nicht Dummheit und Unvermögen - das ist auch reichlich vorhanden - sondern es ist zielgerichtete Sabotage an diesem Land." Zum einen macht die "Bewegung Halle" Politikerinnen und Politiker verächtlich, etikettiert diese pauschal als korrupt und gegen das Wohl des deutschen Volkes gerichtet. Andererseits wird deutlich, dass die Gruppe die parlamentarische Demokratie ablehnt, zu der Wahlen als konstituierendes Element zählen. "Bernburg steht auf e. V." ("Bernburg steht auf") Der Verein "Bernburg steht auf" verstößt in besonders ausgeprägter Weise, in Form von ständiger agitatorischer Verächtlichmachung des Staates und seiner Vertreter ohne Sachbezug, gegen das Demokratieprinzip. Beschimpfungen, Verdächtigungen, Verleumdungen, Unterstellungen und Verunglimpfungen treten häufig und mit Vehemenz auf. Zu Beginn des Jahres 2024 versuchte "Bernburg steht auf", auf die Protestaktionen der Landwirte Einfluss zu nehmen. Wie bereits im Vorjahr beteiligte sich der Verein zudem an einem Treffen von "Reichsbürgern". Hierbei handelte es sich um das "Große Treffen der 25+1 Bundesstaaten", das am 6. April 2024 in Gera (Thüringen) stattfand.65 65 Vgl. hierzu auch das Kapitel "Reichsbürger und Selbstverwalter", S. 80. 87 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Screenshot der mittlerweile abgeschalteten Homepage des Vereins "Bernburg steht auf": Die Gruppe dokumentierte hier ihre Teilnahme an der "Reichsbürger"-Kundgebung "Das Große Treffen der 25+1 Bundesstaaten" am 6. April 2024 Gera (Thüringen) Mutmaßlich in Reaktion auf die Veröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes SachsenAnhalt für das Jahr 2023, in dem "Bernburg steht auf" erstmals genannt wurde, ging die Homepage der Gruppe offline. Der öffentlich einsehbare Telegram-Kanal des Vereins wird seither nicht weiter mit Informationen bedient. Bewertungen, Tendenzen, Ausblick Die Relevanz des Beobachtungsobjekts "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" hat im Berichtszeitraum weiter abgenommen; der Rückgang des Mobilisierungspotenzials der Delegitimiererszene in Sachsen-Anhalt hat sich fortgesetzt. Die Teilnehmendenzahlen der von den relevanten Akteuren organisierten Versammlungen sind konstant niedrig; seit dem Auslaufen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stoßen diese Versammlungen kaum noch auf Resonanz im nichtextremistischen Teil der Bevölkerung. Neben dem Bedeutungsverlust der Corona-Thematik ist die hohe Anschlussfähigkeit der in der Szene verbreiteten Verschwörungsideologien für Narrative und Denkmuster, die für die Phänomenbereiche Rechtsextremismus und Reichsbürgerszene typisch sind, ein Grund für diese Entwicklung: Einige Einzelpersonen, die sich während der Corona-Pandemie radikalisiert und in Gruppierungen der Delegitimiererszene engagiert haben, propagieren mittlerweile rechtsextremistische oder "Reichsbürger"-Ideologeme und werden daher von der Verfassungsschutzbehörde den Phänomenbereichen Rechtsextremismus oder Reichsbürgerszene zugerechnet. Die schwindende Mobilisierungsfähigkeit geht indes nicht mit einer abnehmenden Radikalität der verbliebenen Anhänger des Phänomenbereichs einher. Im Gegenteil: Die extremistische Intensität der Äußerungen von Szeneangehörigen ist weiter hoch. Insbesondere die Wortbeiträge auf Telegram-Kanälen verstoßen gegen das Demokratieprinzip. Es ist daher erforderlich, die Aktivitäten der verfassungsschutzrelevanten Delegitimiererszene weiterhin zu beobachten. 88 LINKSEXTREMISMUS Linksextremismus EINLEITUNG Linksextremismus als heterogenes Phänomen stellt ein Sammelbecken für unterschiedliche Strömungen dar, die jeweils gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bei aller Vielschichtigkeit wissen sich Linksextremisten in der Verabsolutierung der menschlichen Fundamentalgleichheit einig, aus der sie radikale Konsequenzen ziehen. Das Ziel ist die totale Befreiung des Menschen aus allen gesellschaftlichen, politischen oder sozio-ökonomischen Zwängen und die Errichtung einer herrschaftsbzw. klassenlosen Ordnung. In dem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit haben sich mit der Zeit die unterschiedlichsten Strömungen innerhalb des Linksextremismus herausgebildet. Je nach Ansatz soll das Ziel einer Gesellschaftsformation der Freien und Gleichen auf dem Wege der Diktatur einer zentralistischen (Einheits-)Partei, einer dezentralen Selbstorganisation oder durch die Abschaffung jeglicher Staatsund Herrschaftsstrukturen erreicht werden. Diese Methoden widersprechen den Werten und Verfahrensregeln des demokratischen Verfassungsstaates, dessen Bestand Linksextremisten angreifen und auf revolutionärem Wege überwinden wollen. Alle linksextremistischen Strömungen lassen sich auf die ideengeschichtlichen Ideologiefamilien des Kommunismus auf der einen und des Anarchismus auf der anderen Seite zurückführen. Während beide Ideologiefamilien in der Vorstellung von einer befreiten Gesellschaft als utopisches Endziel übereinstimmen, unterscheiden sie sich doch in der Vorstellung davon, wie dies zu erreichen sei. So schließen anarchistische Ideologien aus ihrem übersteigerten Gleichheitspostulat auf einen absoluten Freiheitsgedanken im Sinne einer herrschaftslosen Gesellschaft. Damit lehnen Anarchisten jedwede staatliche Ordnung ab. Anarchisten verzichten darauf, einen systematischen Theorieentwurf für die kommende Utopie zu entwickeln, und beschränken sich stattdessen auf eine umfassende Anti-Haltung gegenüber der bestehenden Ordnung. Während der Anarchismus den Wert der individuellen Freiheit verabsolutiert, strebt der Kommunismus eine Ausweitung des Gleichheitspostulats auf sämtliche gesellschaftliche Lebensbereiche an. Zu diesem Zweck soll das bestehende politische System auf revolutionärem Wege zerschlagen und von einer "Diktatur des Proletariats" abgelöst werden. Demnach würde eine "proletarische Avantgarde" in einer Übergangsphase des Sozialismus den Staat zum Absterben bringen und an seiner Stelle schließlich eine klassenlose (Welt-)Gesellschaft etablieren. Die Auseinandersetzungen mit der Frage, wie die Revolution letztlich zu organisieren sei, begründen das ungebrochene Theoriebewusstsein kommunistischer Gruppierungen, die zur Beantwortung meist auf die geistigen Väter des Kommunismus wie Marx, Lenin, Trotzki, Stalin oder Mao zurückgreifen. Aus dieser sehr unterschiedlichen Gewichtung der Werte Freiheit und Gleichheit ergeben sich immer wieder fundamentale ideologische Konflikte zwischen kommunistischen Gruppierungen und linksextremistischen Akteuren, die eher in der Tradition des Anarchismus stehen. Eine Zusammenarbeit gibt es wiederum dort, wo soziale Problemlagen für die revolutionären Ziele eingespannt und im Sinne einer vorgeschobenen Gesellschaftskritik instrumentalisiert werden können. 90 Linksextremismus Linksextremistisches Personenpotenzial* 2022 2023 2024 Gewaltorientierte Linksextremisten 295 295 295 Nicht gewaltorientierte Linksextremisten 305 385 385 Gesamt 600 680 680 *Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet Das linksextremistische Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt bewegte sich im Jahr 2024 auf dem gleichen Niveau wie im Vorjahr. Insgesamt werden 680 Personen dem linksextremistischen Spektrum in Sachsen-Anhalt zugeordnet, wobei von personellen Schnittmengen zwischen Anhängern des gewaltorientierten Linksextremismus und den Mitgliedern des "Rote Hilfe e. V." auszugehen ist. 91 Linksextremismus GEWALTORIENTIERTE LINKSEXTREMISTEN Gründung Ende der 1970er Jahre als Ausläufer der Studentenbewegung, der Sponti-Szene und der Punk-Subkultur; seit Anfang der 1990er Jahre in allen Bundesländern Sitz / Schwerpunktregionen in Magdeburg und Halle (Saale) Verbreitung Bundesweite Verteilung mit lokalen Hochburgen, vorwiegend in Großstädten Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 295 295 Bund 11.200 11.200 Struktur / Gewaltorientierte Linksextremisten bilden keine strukturelle EinAufbau heit, sondern sind heterogen aufgestellt. Zum überwiegenden Teil prägen Autonome dieses Spektrum des Linksextremismus. Ihrem Selbstverständnis entsprechend sind Autonome hierarchiefeindlich; festgefügte Organisationen bzw. Strukturen lehnen sie ab. Weitere gewaltorientierte Akteure sind Antiimperialisten und Anarchisten. Während Antiimperialisten weitgehend feste Strukturen präferieren, bilden innerhalb des anarchistischen Spektrums lediglich organisationsgebundene Anarchisten feste Strukturen aus; hier vor allem die Anarchosyndikalisten. Sie organisieren sich in Form von Gewerkschaften, vertreten dabei jedoch anarchistische Prinzipien. Veröffentlichungen Szenebezogene Blogs und Netzwerke ("de.indymedia", "riseup", "noblogs", "blackblogs", "systemli") sowie Accounts in sozialen Medien Zeitschrift "Gefangenen Info" der Gruppierung "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" Finanzierung Spenden, Solidaritätskonzerte oder -partys für anlassbezogene Aktionen und Kampagnen, insbesondere für "Opfer staatlicher Repressionen", Einnahmen aus dem Barbetrieb in den linksextremistischen Szeneobjekten. Kurzportrait / Ziele Aus der Bandbreite kommunistischer und anarchistischer Ideologien begründet sich die Heterogenität der linksextremistischen Szene. Deren einzelne Strömungen lassen sich nicht nur nach den zugrunde gelegten Weltbildern und Zielen unterscheiden, sondern vor allem nach der Wahl der Mittel und der damit einhergehenden Strategie. Innerhalb der linksextremistischen Szene Sachsen-Anhalts lassen sich insgesamt drei Spektren unterscheiden: Autonome und Postautonome sowie Antiimperialisten und Anarchisten. (Post-)Autonome Autonome bilden den Schwerpunkt im gewaltorientierten Linksextremismus. Dies gilt sowohl für das Personenpotenzial als auch für das Verhältnis der Szene zur Gewalt. Autonome beziehen ihr Selbstverständnis nicht aus einem spezifischen Ideologiekonstrukt. Vielmehr ist 92 Linksextremismus die Szene von einer weitreichenden Theoriefeindlichkeit und Anti-Haltung geprägt, die nicht zuletzt auf einem diffusen Verständnis von Anarchismus und Kommunismus aufbaut. Autonome setzen die bedingungslose Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt ihres Handelns. Im Zuge dieser "Politik der ersten Person" bekämpfen sie alles, was ihrem persönlichen Freiheitsempfinden entgegensteht. Vor diesem Hintergrund lehnen Autonome Hierarchien und jede Form von Herrschaft konsequent ab. Was sie verbindet, ist eine Form des subjektiven und emotionalen Empfindens, das vor allem in der Affirmation von Gewalt zum Ausdruck kommt. Gewalt und Militanz sind dementsprechend nicht nur ein strategisches Mittel, sondern prägendes Element der Szene. Eine Demonstration ist für Autonome daher erst ein Erfolg, wenn es zu Ausschreitungen und Angriffen auf die Polizei und den politischen Gegner kommt. Den scheinbar spontan verübten Gewalttaten bei Demonstrationen gehen häufig konkrete Planungen voraus, so dass etwa im Verlauf der Aufmarschstrecke Steindepots angelegt oder Vermummungsgegenstände und Wurfgeschosse mitgeführt werden. Autonome schaffen es mittlerweile jedoch immer seltener, dieses kollektive Moment der Militanz auf die Straße zu tragen. Stattdessen fokussieren autonome Gruppen heute stärker auf klandestine Aktionen. Dafür schließen sich einzelne Akteure anlassbezogen zu Aktionsgruppen zusammen, um (Brand-)Anschläge gegen symbolträchtige Objekte wie Fahrzeuge, Gebäude oder sensible Infrastruktur zu planen und auszuführen. Es kommt zu teils erheblichen Sachschäden und immer häufiger werden dabei schwere und schwerste Verletzungen von Menschen in Kauf genommen. Die offene Gewaltbereitschaft und die fehlende inhaltliche Breite zeugen von einer zunehmenden Selbstbezogenheit der Autonomen. In Reaktion auf die ideologische Bedeutungslosigkeit, die fehlende Einflussnahme sowie Anschlussfähigkeit der Autonomen bildete sich die postautonome Bewegung heraus. Diese formieren sich vorwiegend in überregionalen Netzwerken, sind marxistisch geprägt und suggerieren nach außen einen ideologischen Minimalkonsens. Ihr Ziel ist ein revolutionärer Umsturz, also nicht nur die Abschaffung des Kapitalismus, sondern auch die Überwindung des demokratischen Verfassungsstaates als dessen vermeintlich inhärente Herrschaftsform. Mit einer breiten Bündnispolitik bringen sie linksextremistische Akteure unterschiedlicher ideologischer Prägung zusammen. Dazu instrumentalisieren Postautonome auf der einen Seite eine große Zahl gesellschaftlicher Protestbewegungen mit dem Ziel, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. Auf der anderen Seite arbeiten sie mit gewaltorientierten Autonomen zusammen. Auch wenn sie sich vordergründig nicht an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligen, so sehen sie in der Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. Mit dieser Positionierung nehmen Postautonome eine Scharnierfunktion ein. Antiimperialisten Anders als die Autonomen orientieren sich Antiimperialisten ideologisch an einem dogmatischen Kommunismus. Kleinster gemeinsamer Nenner sind hierbei die weltanschaulichen Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Für Antiimperialisten steht nicht die Freiheit des Individuums im Mittelpunkt, sondern das kollektive Moment des Klassenkampfes. Daher argumentieren Antiimperialisten in festgefahrenen Polarisierungskategorien: auf individueller Ebene in einem Dualismus von ausgebeuteten Arbeitern und ausbeutenden Kapitalisten, im weltpolitischen Rahmen zwischen unterdrückten Völkern und unterdrückenden Staaten. Ideologisch stehen die Antiimperialisten deshalb eher den kommunistischen Parteien nahe, während sie strategisch wie die Autonomen das Mittel der Gewalt und damit auch militante Aktionsformen zur Durchsetzung ihrer Ziele wählen. 93 Linksextremismus Anarchisten Anarchisten berufen sich nicht auf ein starres Ideologiegebäude; charakteristisch ist eine Vielzahl an Strömungen, die mehr oder weniger stringent nebeneinander existieren. Während alle Anarchisten mit der verabsolutierten Freiheit und Einsichtsfähigkeit des Individuums die prinzipielle Realisierbarkeit einer herrschaftslosen Ordnung begründen, unterscheiden sie sich hinsichtlich der Stellung des Individuums, der Frage der Gewalt und ihres Organisationsgrades. Zu differenzieren ist dabei zwischen einem individualistischen und einem kollektivistischen sowie zwischen einem pazifistischen und einem aufständischen Anarchismus. Bislang konnte jedoch einzig der gewerkschaftlich organisierte Anarchosyndikalismus eine für die linksextremistische Szene relevante Stringenz entwickeln. Grund der Beobachtung Da gewaltorientierte Linksextremisten die Prinzipien Freiheit und Gleichheit verabsolutieren, betrachten sie jede Form staatlicher Herrschaft als illegitim, so auch den demokratischen Rechtsstaat. Missstände in der Demokratie sollen nicht gelöst, sondern mitsamt der freiheitlichen Verfassungsordnung abgeschafft werden. Unabhängig von den divergierenden Zielen sehen alle Akteure und Gruppen dieser Szene Gewalt als ein legitimes Mittel an. Diese politisch bestimmten Verhaltensweisen - insbesondere das Ablehnen des staatlichen Gewaltmonopols bei gleichzeitigem Befürworten von Gewalt, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen - sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Aktive Gruppierungen Die gewaltorientierte linksextremistische Szene in Sachsen-Anhalt lässt sich sowohl ideologisch als auch strukturell in mehrere regionale Zentren einordnen. Diese liegen vor allem in den Städten Magdeburg und Halle (Saale). Im Berichtsjahr waren hauptsächlich folgende Gruppierungen aktiv: "Zusammen Kämpfen" (ZK) ZK ist eine antiimperialistische Gruppe aus Magdeburg, die sich seit 2008 als "Teil der weltweit kämpfenden revolutionären Linken" versteht. Im Sinne eines dogmatischen Verständnisses vom Kommunismus fußen die ideologischen Grundlagen von ZK vor allem auf den Schriften von Marx und Lenin. Dementsprechend sieht sich ZK als Teil eines Versuchs der "Selbstorganisation unserer Klasse zur Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung weltweit", wie es in der Selbstdarstellung heißt. ZK gehörte ursprünglich zu einem Netzwerk antiimperialistischer Gruppen, die sich in den Jahren 2010 und 2011 auch in Berlin und Stuttgart zusammenfanden, deren Strukturen sich jedoch einzig in Magdeburg erhalten konnten. Von sogenannten "Magdeburger Verhältnissen" ist szeneintern die Rede, wenn es um den Dogmatismus geht, mit dem ZK den Antiimperialismus gegen konkurrierende Strömungen im Linksextremismus durchzusetzen versucht. Dies zeigte sich einmal mehr in den Reaktionen von ZK auf den im Berichtsjahr fortdauernden Nahostkonflikt. Als eine der ersten dogmati94 Linksextremismus schen Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland hatte ZK unmittelbar nach dem Terrorangriff der HAMAS auf Israel vom 7. Oktober 2023 diesen als "legitimen Widerstand" deklariert und seither wiederholt die Kooperation mit israelfeindlichen und antisemitischen Akteuren gesucht. Bisher engagiert sich die Gruppe vornehmlich im linksextremistischen Szeneobjekt "F52" und versucht hier, eine Art "Nachbarschaftshilfe" zu etablieren. "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" (Netzwerk) Das Netzwerk versteht sich als Initiative von Gruppen und Einzelpersonen, welche die "Solidarität mit den politischen Gefangenen" im Inund Ausland stärken, sich zu diesem Zweck vernetzen und für die Freiheit "politischer Gefangener" kämpfen wollen. Als "politische Gefangene" begreift das Netzwerk vorwiegend verurteilte linksextremistische Straftäter, deren Taten eine politische Motivation zugrunde liegt und deren Betreuung im Fokus der Gruppierung steht. Dies gilt insbesondere für Gefangene in der Türkei mit Bezügen zu der dort aktiven linksextremistischen Organisation "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKPC). Das Netzwerk hat Ortsgruppen in Magdeburg, Hamburg und Berlin. Es ist seit 2009 Herausgeber der Publikation "Gefangenen Info", die ursprünglich als Organ der Solidaritätsarbeit für inhaftierte Mitglieder der linksterroristischen "Rote Armee Fraktion" (RAF) entstanden war. Auf der Grundlage eines antiimperialistischen Weltbildes, das sich aus einem orthodoxen Marxismus-Leninismus speist, lehnt das Netzwerk den demokratischen Rechtsstaat als "Instrument der Klassenherrschaft" ab. Das Justizwesen und insbesondere Justizvollzugsanstalten (in der Sprache des Netzwerks "Klassenjustiz" bzw. "Knäste") dienten laut dem Netzwerk der Verfolgung, Ausbeutung und Unterdrückung politischer Gegner. Die Magdeburger Ortsgruppe des Netzwerks ist weitgehend mit dem antiimperialistischen Spektrum der linksextremistischen Szene in der Landeshauptstadt verwoben. "Kiezkommune Stadtfeld" Die "Kiezkommune Stadtfeld" ist eine Arbeitsgemeinschaft (AG) der FAU in Magdeburg und organisiert für den Magdeburger Stadtteil "Stadtfeld" eine Nachbarschaftshilfe in Form von Beratungsterminen, Essensausgaben und Spielenachmittagen. Die "Kiezkommune" ist hierbei Teil einer anarchistischen Freiraumstrategie, mit der die "revolutionäre Bestrebung nach Selbstverwaltung" im urbanen Raum praktisch realisiert werden soll. Das Ziel der Kommune ist es demnach, eine niedrigschwellige Organisationsmöglichkeit zu bieten, um über den eigenen Bereich hinaus Menschen anzusprechen, ohne sogleich den anarchistischen Hintergrund zu offenbaren. Für die linksextremistische Szene in Magdeburg kann das Angebot der "Kiezkommune Stadtfeld" als unmittelbare Konkurrenz zur 95 Linksextremismus Nachbarschaftshilfe von ZK im Szeneobjekt "F52"66 gesehen werden. Der Versuch, eine von ZK und der Kiezkommune gemeinsam getragene Nachbarschaftsstrategie zu entwickeln, war 2020 gescheitert. "Frauenkampftag.SFO" (FKT) Die Gruppe FKT aus Magdeburg versteht sich als "Basisgruppe für Frauen zur klassenkämpferischen Organisation" und ist dem Spektrum der Antiimperialisten zuzuordnen. Bis Ende 2019 waren die Anhänger der Gruppe noch Teil eines szeneübergreifenden Bündnisses, ehe es hier zu internen Differenzen kam. Seither versucht FKT, eine "materialistisch"67 fundierte Variante des Feminismus zu etablieren: Im Unterschied zu liberalen oder queerfeministischen Ansätzen will die Gruppe eine dezidiert sozialistische Perspektive innerhalb des Feminismus aufzeigen. Zugleich betont FKT den "internationalistischen" Aspekt des materialistischen Feminismus, was sich im Berichtszeitraum in der Beteiligung der Gruppe an Solidaritätsaktionen mit den Palästinensern im fortdauernden Nahostkonflikt zeigte. "Roter Aufbau Burg" (RAB) Bei dem RAB handelt es sich um eine kommunistische Gruppe aus Burg (Jerichower Land), die jedoch überwiegend in der linksextremistischen Szene Magdeburgs organisiert ist und dort mit Aktionen in Erscheinung tritt. Bis zum Ende des Jahres 2017 agierte der RAB noch unter dem Namen "Antifaschistische Aktion Burg", war aber bereits zu dieser Zeit marxistisch geprägt. Nachdem sich die Gruppe an den Protesten des "Roten Aufbau Hamburg" gegen den G20-Gipfel beteiligt hatte, trat sie anschließend ebenfalls unter dem Label des "Roten Aufbau" auf. Im Sinne des marxistischen Klassenkampfes versucht der RAB, "linke revolutionäre Politik einer breiten Masse zugänglich zu machen", und initiiert dementsprechend niedrigschwellige Organisationsund Aktionsangebote wie etwa das "Offene antifaschistische Treffen Magdeburg und Umgebung" oder das "Antifa Fußball Turnier". Dabei ist eine organisatorische und ideologische Nähe zum Bündnis "Perspektive Kommunismus"68 zu erkennen. 66 Siehe hierzu auch S. 95. 67 Der von Karl Marx und Friedrich Engels geprägte historische Materialismus geht davon aus, dass politische und gesellschaftliche Prozesse maßgeblich von den Produktionsverhältnissen (d. h. von der Entwicklung der materiellen Produktivkräfte) bestimmt werden. 68 Die "Perspektive Kommunismus" ist eine Plattform antiimperialistischer Gruppen des gewaltorientierten Linksextremismus, mit der seit 2014 eine bundesweite Vernetzung innerhalb des dogmatischen Linksextremismus erreicht werden soll. Das erklärte Ziel ist die Stärkung einer kommunistischen Bewegung, die "auf ideologischer, kultureller und politischer Ebene eine reale Gegenmacht zur Macht von Staat und Kapital aufbaut". 96 Linksextremismus "Freie Arbeiter*innen-Union" (FAU) Die 1977 gegründete FAU versteht sich als eine anarchistisch organisierte Gewerkschaft, die im "weltweiten Kampf der Anarchosyndikalisten" in der "Internationalen ArbeiterInnen Assoziation" eingebunden ist. Ideologisch zielt der Anarchosyndikalismus auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über den Menschen. Regierungen, Parlamente oder Gesetze werden dementsprechend als Instrumente zur Unterdrückung der natürlichen Freiheit wahrgenommen. Die Aktivitäten der FAU sind vor allem gegen den Staat als Herrschaftsapparat gerichtet. Den Schwerpunkt dieser Aktivitäten bilden eine mittelbare Gewerkschaftsarbeit und die Bereitstellung von Hilfsangeboten für (potenzielle und bestehende) Mitglieder bei Arbeitslosigkeit oder Streiks einerseits sowie der Aufbau revolutionärer Gewerkschaftsund Betriebsgruppen andererseits. Entsprechend der Zielstellung, die bestehende staatliche Ordnung zu überwinden, kooperiert die FAU auch mit gewaltorientierten Linksextremisten. Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich die FAU deutlich von den etablierten Gewerkschaften. In Sachsen-Anhalt existieren Ortsgruppen in Magdeburg und Halle (Saale). "Offenes Antifaplenum" (OAP) Das OAP präsentiert sich als ein loser Zusammenschluss und Anlaufpunkt für alle "antifaschistisch interessierten Menschen" innerhalb der linksextremistischen Szene von Halle (Saale). Programmatischer Kern des OAP sind eine ideologiekritische Grundhaltung und die bedingungslose Solidarität mit dem Staat Israel, den die Gruppe als "Garant[en] jüdischer Selbstbestimmung in einer antisemitischen Welt, als Konsequenz aus den deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus" betrachtet. Charakteristisch für die ideologiekritische und proisraelische Ausrichtung des OAP ist, dass sich die antifaschistische Agenda der Gruppe nicht nur gegen den politischen Gegner auf der rechtsextremistischen Seite, sondern auch gegen Vertreter des "politischen Islam" sowie gegen antiimperialistisch beeinflusste Gruppen in der linksextremistischen Szene richtet. Der Treffpunkt des OAP ist das Szeneobjekt "Reil78", das der Nutzerverein "KubultubuRebell e. V." über die eigens gegründete "Reile Haus GmbH" der Stadt Halle (Saale) nach einem Mehrheitsbeschluss des Stadtrates vom 25. September 2024 abkaufte. Ein Großteil der Finanzierung des Kaufs der einstmals besetzten Villa für 300.000 Euro wurde vom "Mietshäuser Syndikat"69 bereitgestellt. Die Betreiber des "Reil78" warben im Anschluss an die Unterzeichnung des Kaufvertrags mit verschiedenen Aktionen für Direktkredite. "Solidaritätsnetzwerk Halle (Saale)" (Solinetz) Seit Januar 2024 agiert eine Ortsgruppe des "Solidaritätsnetzwerks" in Halle (Saale). Bei dem "Solidaritätsnetzwerk" handelt es sich um eine Vorfeldorganisation des "Kommunistischen Aufbaus" (KA). Der KA ist eine autoritäre Kaderorganisation innerhalb des dogmatischen Linksextremismus und verfolgt den "Kampf für die Befreiung der Arbeiterklasse", die durch den "Sturz des Kapitalismus in der sozialistischen Revolution" erreicht werden soll. 69 Das "Mietshäuser Syndikat" ist eine Graswurzelbewegung, die mit Mikrokrediten selbstorganisierte Hausprojekte unterstützt. 97 Linksextremismus Diese Prinzipien bezieht der KA aus der Ideologie des Marxismus-Leninismus. Als vorläufiges Ziel strebt der KA die Gründung einer neuen kommunistischen Partei an. Die Strategie des KA besteht neben der ideologischen Schulung ihrer Kader vor allem in der Etablierung einer kommunistischen "Massenpolitik". Dafür unterhält der KA eine Frauensowie eine Jugendorganisation: "Kommunistische Frauen" und "Kommunistische Jugend". Daneben versucht der KA, seinen Einfluss auf die "Massen" durch Vorfeldorganisationen zu erweitern. Als übergeordnetes Konstrukt dient hierbei die "Föderation klassenkämpferischer Organisationen" (FKO) mit den ihr untergeordneten Gruppen "Internationale Jugend", "Betriebskampf", "Frauenkollektiv", "Studierendenkollektiv" sowie dem besagten "Solidaritätsnetzwerk". Alle genannten Organisationen sind zu dem Zweck gegründet worden, ein "revolutionäres Bewusstsein" im Sinne des Marxismus-Leninismus in allen Teilbereichen der Gesellschaft zu entwickeln und zugleich geeignete Kader für eine zukünftige kommunistische Partei zu gewinnen. Die historischen Anleihen an die "Massenpolitik" innerhalb der DDR sind hierbei unverkennbar und direkte Folge der marxistisch-leninistischen Ideologie. Mit der Gründung einer Hallenser Ortsgruppe des "Solidaritätsnetzwerks" wollen Akteure aus dem Organisationsgeflecht des KA ihren Einfluss auf die Saale-Stadt ausdehnen, um dort dogmatische, antiimperialistische Positionen innerhalb der linksextremistischen Szene zu etablieren. "Antifaschistische Aktion Salzwedel" (AAS) Die AAS agiert seit 2009 in der Hansestadt Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel) als ein loser Zusammenschluss stetig wechselnder Einzelpersonen. In ihrem theorieund hierarchiefeindlichen Auftreten entspricht die AAS dem Selbstverständnis der Autonomen. Sich selbst bezeichnen die Protagonisten schlichtweg als "linksradikale Gruppe". Mit dem "Autonomen Zentrum Kim Hubert" des "Kultur & Courage e.V." verfügt die AAS über ein linksextremistisches Szeneobjekt, das sie als "autonomen Freiraum" nutzt und in dem sie Konzerte, Kneipenabende oder Vortragsveranstaltungen durchführt. Das "Kim Hubert" ist von zentraler Bedeutung für die gewaltorientierte linksextremistische Szene im Norden Sachsen-Anhalts und im angrenzenden Wendland in Niedersachsen. Aktionsschwerpunkte Wenngleich viele Aktionen der gewaltorientierten linksextremistischen Szene einen rituellen Charakter haben (z. B. die jährlichen "revolutionären" Demonstrationen zum 1. Mai), sind ihre Aktionsschwerpunkte immer auch Ausdruck aktueller politischer und gesellschaftlicher Problemlagen. So zog die Szene angesichts des fortdauernden Nahostkonflikts im Jahr 2024 weiterhin verstärkt den "Internationalismus" als Begründungszusammenhang für ihre Aktionen heran. Die Festnahme der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette am 26. Februar 98 Linksextremismus 2024 und die Auslieferung einer linksextremistischen Person am 28. Juni 2024 an die ungarischen Justizbehörden im Zusammenhang mit den gewalttätigen Angriffen auf mutmaßliche Rechtsextremisten am sogenannten "Tag der Ehre" in Budapest im Februar 2023 dienten als Anknüpfungspunkte für zahlreiche Solidaritätsaktionen im Aktionsfeld der "Antirepression". Die einzelnen Aktionsfelder können jedoch niemals isoliert voneinander betrachtet werden; vielmehr bedingen sie sich gegenseitig. So ist z. B. die antikapitalistische Motivation bei allen Aktionen der linksextremistischen Szene präsent, da der "Antikapitalismus" den ideologischen Kern des Linksextremismus bildet. Antikapitalismus Der Antikapitalismus ist das zentrale Aktionsfeld im Linksextremismus. Dabei bekämpfen sowohl Kommunisten als auch Anarchisten den Kapitalismus nicht allein als Wirtschaftsordnung, sondern stets auch als eine Herrschaftsform. Den Kampf gegen den Kapitalismus verstehen Linksextremisten daher als Kampf gegen die demokratische Staatsund Gesellschaftsordnung. Die jeweiligen Strategien und bevorzugten Handlungsfelder linksextremistischer Akteure variieren je nachdem, was genau eine Gruppe unter dem kapitalistischen System versteht und welche konkrete Utopie sie diesem entgegensetzt. Vor allem Gruppierungen aus dem antiimperialistischen und dogmatischen Spektrum bedienen sich marxistischer Ideologieelemente, mit denen sie alle gesellschaftlichen Konflikte als Auswuchs eines allumfassenden "Klassenkampfes" deuten. Die marxistische Grundlage schafft einen Konsens, auf dessen Basis verschiedene Gruppen aus dem dogmatischen Spektrum zueinanderfinden können. So riefen auch im Jahr 2024 unterschiedliche kommunistische und antiimperialistische Gruppen zur "revolutionären 1. Mai-Demonstration" auf. Unter dem Motto "Von Magdeburg nach Gaza, ArbeiterInnensolidarität heißt Klassenkampf!" stand die Veranstaltung ganz im Zeichen des Kriegs im Nahen Osten. Neben den Akteuren des 1.-Mai-Bündnisses70 nahmen erstmals auch Gruppen wie "Young Struggle Dessau",71 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) sowie trotzkistische Gruppierungen teil. Doch obgleich die Beteiligung mit 165 Personen etwas größer ausfiel als im Vorjahr (2023: 100), wurde einmal mehr die mangelnde Anschlussfähigkeit der extremistischen Positionen des antiimperialistischen Spektrums an zivilgesellschaftliche Diskurse deutlich. So hatte die Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) eine angeblich im Vorfeld geäußerte Zusage für ein gemeinsam getragenes Demonstrationsbündnis zum 1. Mai 2024 aufgrund der einseitigen propalästinensischen und israelfeindlichen Positionierung der antiimperialistischen Gruppen wieder zurückgezogen. Scharfe Kritik übte daraufhin die Gruppe 70 Hierzu zählen die Gruppen RAB, ZK, DKP, das Netzwerk und FKT. 71 Zu der Gruppierung "Young Struggle" vgl. das Kapitel "Auslandsbezogener Extremismus", S. 144 ff. 99 Linksextremismus FKT, die dem DGB mangelnde "Palästinasolidarität" vorwarf. Die Auseinandersetzung kulminierte schließlich darin, dass Anhänger der Gruppe "Palästina-Solidarität Magdeburg" - an der auch FKT beteiligt ist - am 1. Mai die Eröffnungsrede des "DGB-Festes" störten und Flugblätter verteilten, auf denen sie den DGB aufforderten, "sich endlich gegen die deutsche Unterstützung des Genozids in Gaza und das Schlachten in der Ukraine zu positionieren." Auch innerhalb der linksextremistischen Szene agierten die dogmatischen und antiimperialistischen Gruppen weitgehend isoliert. So organisierte die Magdeburger Ortsgruppe der "Freien Arbeiter*innen-Union", die dem undogmatischen und anarchistischen Szeneteil zuzurechnen ist, zum "Tag der Arbeit" erstmals eine eigenständige Demonstration und versammelte sich ab 9 Uhr in Magdeburg-Neustadt unter dem Motto "Klasse.Kampf.Kultur. Für die soziale Revolution!". Mit knapp 100 Teilnehmern zeigten sich die Organisatoren in einem Interview mit der linksextremistischen Tageszeitung "junge Welt" zufrieden. Die Gründe für die Beteiligung vieler neuer und junger Anhänger dürften in der Nachbarschaftsarbeit der "Freien Arbeiter*innen-Union" mit der "Kiezkommune Stadtfeld" im Szeneobjekt "Stadtteilladen Mitmischen" sowie in der Zusammenarbeit mit studentischen Hochschulgruppen liegen. Jenseits dieser grundsätzlichen Form der antikapitalistischen Agitation versuchen Linksextremisten regelmäßig, gesellschaftliche Problemlagen aufzugreifen, um diese als Auswuchs des "kapitalistischen Systems" zu präsentieren. So ist seit mehreren Jahren zu beobachten, wie Linksextremisten feministische Forderungen aufnehmen, um diese mit einer linksextremistischen Ideologie zu verbinden und damit für sich nutzbar zu machen. Von besonderer Bedeutung ist hierbei der 8. März als Internationaler Frauentag. War in Magdeburg seit 2021 eine Spaltung des Demonstrationsgeschehens zwischen einem "proletarischen" Feminismus und einem "Queerfeminismus" festzustellen72, so hatte das "proletarische" - d. h. antiimperialistische - Lager für das Berichtsjahr keine eigene Kundgebung angemeldet. Stattdessen beteiligte sich dieses Spektrum an der queerfeministischen Demonstration des "Achter März Bündnis Magdeburg"73, die am Willy-Brandt-Platz unter dem Motto "Gegen Krieg, Krise & Gewalt - Solidarität mit FLINTAs weltweit" stattfinden sollte. Dabei betonte das Bündnis im Vorfeld, dass Parteiund Nationalflaggen unerwünscht seien. Dies sorgte für Auseinandersetzungen innerhalb der linksextremistischen Szene, da die antiimperialistische Gruppe FKT diese Vorgaben als einseitige Parteinahme gegen Palästina wahrnahm. Sie rief stattdessen dazu auf, die Palästinafahne als Zeichen für die "Freiheit Palästinas als feministisches Anliegen" auf der Demonstration zu schwenken. Daraufhin war eine Separierung der einzelnen linksextremistischen Spektren zu beobachten: Während sich im vorderen Block des Demonstrationszuges vorwiegend Personen mit einem anarchistischen bzw. autonomen Selbstverständnis sammelten und hierbei Parolen wie "Zwingt die Macker in die Knie - Feminismus, Anarchie" oder "FLINTA*s, Lesben bildet Banden - Ziele sind genug vorhanden" riefen, sammelten sich im hinteren Teil des Aufzugs die Antiimperialisten. Mit einer Vielzahl von Palästinafahnen und Demonstrationsplakaten wie "Freiheit für Daniela"74, "POC woman have to fight both patriarchy and white feminism" oder "Frauen greift zur roten Fahne - dem Imperialismus keine Gnade" sollte der Frauentag gezielt mit Fragen des Antiimperialismus bzw. der daran anschließenden Palästinasolidarität verbunden werden. 72 Zu den ideologischen Hintergründen der Spaltung vgl. Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2022. Magdeburg 2023. 73 An dem Bündnis beteiligen sich auch Linksextremisten. 74 Siehe unten S. 106. 100 Linksextremismus Gleichwohl war hier insgesamt eine erste (Wieder-)Annäherung der verschiedenen feministischen Akteure innerhalb der linksextremistischen Szene Magdeburgs zu beobachten, die sich im Laufe des Berichtsjahres weiter verstetigte. Im Rahmen der Kampagne "Nicht eine weniger!" organisierte die Gruppierung FKT gemeinsam mit der Magdeburger Ortsgruppe von "ZORA"75 mehrere Veranstaltungen zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen am 25. November 2024. Die Kampagne begann mit einem "Frauen-Gefangenenschreibtag" im Szeneobjekt "Infoladen Stadtfeld" am 26. Oktober 2024, dem verschiedene Filmabende, Stammtische, Gedenkveranstaltungen und ein Selbstverteidigungskurs folgten. Die Kampagne fand ihren Abschluss mit einer Demonstration am 25. November 2024 durch die nördliche Magdeburger Innenstadt. Diese verlief mit etwa 150 Teilnehmern störungsfrei. Am 3. Oktober 2024 organisierten Magdeburger Linksextremisten des antiimperialistischen Spektrums eine Demonstration zum Thema "Heraus zum 3. Oktober: Für Sozialismus und Volksmacht" durch Magdeburg-Stadtfeld, an die sich eine Kundgebung auf dem Olvenstedter Platz anschloss. Ziel beider Veranstaltungen war es, an den sogenannten "Tag der Annexion der Deutschen Demokratischen Republik" zu erinnern und unter dem Motto "Häuserkampf ist Klassenkampf" die Gentrifizierung im Stadtviertel als Symptom des Kapitalismus zu problematisieren, wie die Gruppe RAB in ihrem Ankündigungsschreiben deutlich machte. Die darin enthaltenen szenetypischen Forderungen nach der Abschaffung des Privateigentums und der Vorbereitung der Revolution verdeutlichten einmal mehr die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie die Gewaltorientierung der beteiligten Akteure: "Der Kapitalismus ist nicht in der Lage gute Lebensbedingungen und eine flächendeckende Grundversorgung mit schönem und leistbarem Wohnraum zu gewährleisten. Das System steht einer am Gemeinwohl orientierten Gesellschaftsordnung im Wege. (...) Daher führt kein Weg an Organisierung und dem langfristigen Aufbau revolutionärer Gegenmacht vorbei. Wir müssen (...) Akteure von Gentrifizierung und staatlicher Repression zur Zielscheibe von Angriffen machen." Beide Veranstaltungen, an denen sich neben dem RAB u. a. auch die linksextremistischen Gruppen ZK, FKT und das "Solidaritätsnetzwerk Halle (Saale)" beteiligten, verliefen mit insgesamt 85 Teilnehmern störungsfrei. Auch die Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 führten linksextremistische Gruppierungen des antiimperialistischen Spektrums entsprechend ihres geschlossenen dogmatischen Weltbildes auf den Kapitalismus zurück. So negierte die 75 Zu der Organisation "ZORA" vgl. das Kapitel "Auslandsbezogener Extremismus", S. 144 ff. 101 Linksextremismus Gruppe ZK in einem Internetbeitrag vom 27. Dezember 2024 eine individuelle Letztverantwortung des Täters und sah stattdessen vermeintlich systemische Kräfte am Werk: "Fest steht, dass der Anschlag sich nicht gegen die herrschende Ordnung richtete, sondern ihr dient. Er richtet sich in Konsequenz gegen die Arbeiterklasse. Die Ausbeuterklasse kann und will den Terror nicht verhindern." Im Sinne einer marxistisch-leninistischen Ideologie wurde diese Behauptung zu der Verschwörungserzählung verdichtet, dass die Sicherheitsbehörden der Bundesrepublik Deutschland im Interesse der Regierung die Strafverfolgung des Täters bewusst vernachlässigt hätten. Dies sei Ausdruck einer "politische[n] Strategie, bei der gewalttätige Auseinandersetzungen eher gefördert als unterdrückt werden." Das dahinter liegende Ziel sei es, "ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit in der Bevölkerung zu erzeugen und die Menschen dazu zu bringen, Sicherheit in einer starken Regierung zu suchen." Dabei erfüllten laut ZK Anschläge wie der in Magdeburg eine systemerhaltende Funktion, in dem sie "ein gesellschaftliches 'Wir' im Sinne der Bürgerlichen (...) schaffen, das vom Klassenantagonismus absieht und die Aufmerksamkeit auf einen 'gemeinsamen' Feind (z. B. auf 'Sozialschmarotzer' oder 'Kulturfremde') lenkt." In diesem Sinne sei der "Terror" ein "Grundbestandteil der imperialistischen Gesellschaft und Herrschaft": "Entweder wird Terror von der herrschenden Klasse direkt als Herrschaftsmethode angewendet, von ihr gebilligt oder von ihr als Konsequenz hervorgebracht." ZK sieht die Bundesrepublik Deutschland diesbezüglich in einer historischen Kontinuität mit dem NSRegime, da "der Terror Mittel der Machtausübung in der Weimarer Republik, im NS und auch in der BRD" sei. Dagegen habe die DDR ihre Einwohner vor Terror beschützt; die Erklärung von ZK gipfelt daher in der Forderung nach der Machtergreifung der Arbeiterklasse: "In Magdeburg und dem gesamten Gebiet der DDR haben die Menschen 40 Jahre lange erfahren, was es heißt, in Sicherheit vor faschistischem Terror zu leben. Nur die Arbeiterklasse an der Macht kann konsequent und nachhaltig vor Gewalt und Terror schützen. Wer den Terror beenden will, muss etwas gegen den Kapitalismus tun, welcher den Terror erst hervorbringt. Die effektivste Terrorbekämpfung bleibt der Kampf für den Sozialismus." Das Zitat zeigt eindrücklich, dass Geschichtsrevisionismus ein wesentlicher Bestandteil der politischen Agitation des antiimperialistischen Spektrums ist. In szenetypischer Weise wird die autoritär regierte DDR hier als Idealbild einer gelungenen sozialistischen Herrschaftsform und als Gegenmodell zu einer vermeintlichen Terrorherrschaft in der Bundesrepublik Deutschland verklärt. 102 Linksextremismus Antifaschismus Neben der Kritik am Kapitalismus ist der "Kampf gegen den Faschismus" traditionell einer der wichtigsten Aktionsschwerpunkte im gewaltorientierten Linksextremismus. Dabei ist es für Linksextremisten zunächst unerheblich, ob es sich bei dem politischen Gegner tatsächlich um Rechtsextremisten handelt. Wer unter das Feindbild des "Faschisten" fällt, bestimmt die Szene eigenmächtig. Linksextremisten können dadurch stets neue Feindbilder generieren, um damit ebenso neue Angriffsziele für eine grundsätzliche Gewaltorientierung auszumachen. Die inhaltliche Unbestimmtheit des Feindbildes erlaubte es der linksextremistischen Szene in der Vergangenheit regelmäßig, die ideologischen und strategischen Differenzen zwischen Kommunisten und Anarchisten, Parteifunktionären und Autonomen unter der roten und schwarzen Fahne der "Antifaschistischen Aktion" einzuebnen. So kamen am 19. Januar 2024 die verschiedenen Spektren der linksextremistischen Szene in Magdeburg zu einer "antifaschistischen Vorabenddemonstration" anlässlich des Jahrestags der Zerstörung der Stadt durch alliierte Luftverbände im Zweiten Weltkrieg zusammen. Obwohl die Bedeutung des Jahrestags für die rechtsextremistische Szene seit Jahren schwindet und große Veranstaltungen ausbleiben, hindert dieser Umstand die linksextremistische Szene nicht daran, den "konsequenten Antifaschismus" alljährlich selbst dann auf die Straße zu tragen, wenn gar keine rechtsextremistischen Gedenkmärsche angemeldet sind. Vor diesem Hintergrund appellierte der RAB in seinem Aufruf daran, die innerlinken Gräben zu überwinden und eine "antifaschistische Einheitsfront" zu bilden. Tatsächlich beteiligten sich mit 220 Personen sowohl Gruppen aus dem anarchistischen als auch aus dem antiimperialistischen Spektrum der Szene an der Demonstration. Angesichts der neuerlichen Geschlossenheit der Szene im Aktionsfeld des "Antifaschismus" resümierte auch das undogmatische Spektrum: "Die Schlagrichtung war klar: Trotz einiger Differenzen innerhalb der Szene steht der gemeinsame Feind, der mit Wort und Tat bekämpft werden muss, rechts!" 103 Linksextremismus In der linksextremistischen Szene von Halle (Saale) hingegen konnte ein gemeinsam getragenes Feindbild die Spaltungstendenzen nicht verdecken. Seit Anfang 2024 sehen sich die proisraelischen Autonomen der Stadt mit dogmatischen Linksextremisten konfrontiert, die in der Auseinandersetzung mit dem Nahostkonflikt eine propalästinensische bzw. antizionistische Haltung vertreten und in der Folge auch mit propalästinensischen Gruppen des Auslandsbezogenen Extremismus kooperieren.76 Dabei zeigt sich die Auseinandersetzung zwischen den verfeindeten Lagern vor allem anhand der Ausdeutung des Antifaschismus. Während die proisraelischen Autonomen auch die Bekämpfung des Antisemitismus als Teil der "Antifaschistischen Aktion" verstehen, bleiben die propalästinensischen Gruppen in ihrem Verständnis von Faschismus dem marxistisch-leninistischen Ideologiegebäude der 1920er und 1930er Jahre verhaftet. Der Holocaust und die damit einhergehende Staatsgründung Israels werden hierbei ausgeblendet. Vor diesem Hintergrund verstehen die propalästinensischen Gruppen ihre antizionistische Haltung als Ausdruck eines "klassenbewussten Antifaschismus", der sich gegen jede Form von "Ausbeutung und Unterdrückung" richtet. Erstmalig sichtbar wurde das Konfliktpotenzial während der Vorabenddemonstration zum "Tag der Arbeit", die das "Solinetz" unter dem Motto "Milliardäre stürzen! Kriegstreiber entwaffnen! Sozialismus erkämpfen!" am 30. April 2024 in Halle (Saale) organisierte. Aufgrund der Dominanz proisraelischer Akteure innerhalb der linksextremistischen Szene von Halle (Saale) war das "Solinetz" auf Anreisen auswärtiger Gruppen angewiesen. Tatsächlich folgten dem Aufruf eine Vielzahl von Personen aus dem Organisationsgeflecht des "Kommunistischen Aufbaus" (KA) aus Leipzig (Sachsen) sowie mit "Young Struggle" und "Handala Leipzig" auch Gruppen des Auslandsbezogenen Extremismus. Noch vor Beginn der Versammlung erschien unangemeldet eine Gruppe schwarzgekleideter und vermummter Personen aus dem autonomen und ideologiekritischen Spektrum am Ausgangsort der Demonstration, um augenscheinlich gegen die propalästinensischen Teilnehmer vorzugehen. Auf den Transparenten waren Parolen wie "Antifa heißt Solidarität mit Israel" oder "Terrorfinanzierung stoppen - Defund UNRWA" zu lesen. Bereits zu diesem Zeitpunkt war das proisraelische Lager dem propalästinensischen zahlenmäßig unterlegen, so dass eine Blockade oder Störung der Vorabenddemonstration nicht umgesetzt werden konnte. Stattdessen wurden die Versammlungen der beiden Lager von der Polizei abgeschirmt; die proisraelische Gruppe wurde anschließend aus dem Versammlungsraum begleitet, ohne dass es zu weiteren Störungen kam. Die Versammlung des "Solinetzes" war hingegen auf 130 Personen angewachsen. Mit einer Vielzahl von Palästinafahnen wurde ein Aufzug durch die Hallenser Innenstadt durchgeführt; hierbei wurden auch israelfeindliche Parolen wie "From the River to the Sea - Palestine will be free!" skandiert. Dementsprechend werteten die Organisatoren des "Solinetzes" die Vorabenddemonstration als Erfolg: Zum einen habe man den Angriffen der "rechten Zionisten" standgehalten; zum anderen sei es erstmals möglich gewesen, eine klassenkämpferische Position in Halle (Saale) zu etablieren. Das proisraelische Lager dagegen sah sich im Nachgang bestätigt: "Zumindest in ihren antiisraelischen Vernichtungswünschen könnten sich die Antisemiten des "Solidaritätsnetzwerks" aber mit NPD, "Drittem Weg" und Co. die Hand reichen. In diesem Sinn: Gegen jeden Antisemitismus!" 76 Vgl. hierzu S. 136 ff. 104 Linksextremismus Seither nahm innerhalb der lokalen autonomen Szene die Furcht vor einer wachsenden Präsenz propalästinensischer Gruppen in Halle (Saale) und einer Kooperation dieser Akteure mit antiimperialistischen Gruppen in Magdeburg zu. Aufgrund der ideologischen Auseinandersetzungen um den Nahostkonflikt fand in den letzten Jahren innerhalb der linksextremistischen Szene in Sachsen-Anhalt keine Städte übergreifende Kooperation statt. Bei einem letzten Aufeinandertreffen der Szeneteile aus Magdeburg und Halle (Saale) während einer Demonstration in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) im Jahr 2018 war es zu Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern des OAP und der mittlerweile nicht mehr bestehenden antiimperialistischen Gruppe "Rote Arbeiterjugend Magdeburg" (RAJ) innerhalb eines gemeinsam besuchten Demonstrationszugs gekommen.77 Mit der Etablierung eines propalästinensischen Szenespektrums in Halle (Saale) in Form des "Solinetzes" fanden die Antiimperialisten aus Magdeburg nunmehr einen Bündnispartner, mit dem sie in einen Austausch treten und sich bei Demonstrationen in beiden Städten gegenseitig unterstützen können. Die Anhänger des autonomen und ideologiekritischen Spektrums in Halle (Saale) setzten im Berichtsjahr dagegen alles daran, die proisraelische Deutungshoheit zu behaupten. Dafür deklarierten sie die propalästinensischen Akteure im Allgemeinen und das "Solinetz" im Besonderen fortan als politische Gegner. Insofern wandten sie hier die gleiche Abwehrstrategie wie in der Auseinandersetzung mit genuinen Rechtsextremisten an. Im Sinne der "antifaschistischen Recherche" beobachteten Anhänger des OAP etwa propalästinensische Demonstrationen in Halle (Saale), um führende Akteure und weitere Vernetzungsbestrebungen zu dokumentieren. In der Folge wurden die beiden Objekte "Keimzelle"78 und "Karola/Konvoi"79 mit der Parole "Scheiß Antisemiten" besprüht und damit als Treffort des propalästinensischen Spektrums markiert. Ferner behaupteten die Anhänger des autonomen und ideologiekritischen Spektrums eine personelle und logistische Überschneidung zwischen den propalästinensischen Akteuren und der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Vor diesem Hintergrund kam es während der Jahresausstellung der Absolventen der Kunsthochschule am 13. Juli 2024 zu einer körperlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Anhängern der verfeindeten Szeneteile. In Reaktion darauf organisierten Teile des autonomen und ideologiekritischen Spektrums eine Kundgebung unter dem Motto "Antisemiten runter vom Campus", mit der sie gegen den "antisemitischen Übergriff" protestierten. Das propalästinensische Spektrum sprach hingegen von einer rassistischen Gewalttat. Auch Wochen nach dem Vorfall wurde das Gelände der Kunsthochschule wiederholt mit Parolen wie "Antisemiten silencen" und "the mossad gets you too" besprüht. Insgesamt sahen sich die Autonomen in Halle (Saale) einer Entwicklung innerhalb der linksextremistischen Szene ausgesetzt, die sie als "antisemitische Internationale" bzw. als "linke Querfront mit Islamisten" bezeichneten. In einem Aufruf für eine Demonstration des OAP am 12. Oktober 2024 hieß es dementsprechend: 77 Vgl. Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Verfassungsschutzbericht 2018. Magdeburg 2019, S. 117 f. 78 Das Objekt "Keimzelle" wird von propalästinensischen Gruppen sowie vor allem von Personen aus dem Kunstund Kulturmilieu genutzt. 79 Der Trägerverein des Objekts ("Jugendund Kulturverein Halle") wird überwiegend von Studierenden der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle betrieben. 105 Linksextremismus "Bei der 'Israelfrage' ist man sich von den Neonazis der Jungen Nationalisten und des Dritten Wegs über die Studentenschaft namhafter Hochschulen wie FU Berlin oder der hiesigen Burg Giebichenstein, bis hin zu autoritär-kommunistischen Sekten wie Young Struggle einig." Aus Sicht der Autonomen in Halle (Saale) sind demnach alle Brücken auf dem Weg zu einem minimalen Aktionskonsens innerhalb der linksextremistischen Szene eingerissen. Antirepression Der Kampf gegen eine vermeintliche Unterdrückung durch staatliche Institutionen ist eines der charakteristischen Aktionsfelder gewaltorientierter Linksextremisten und ihrer Unterstützerkreise. Die linksextremistische Szene sieht den Staat als ein "Repressionsinstrument" der Herrschenden zur Verhinderung eines revolutionären Prozesses. Rechtsstaatliche Maßnahmen, insbesondere der Justizund Polizeibehörden, seien daher "Repression" und dienten der Herrschaftssicherung, gegen die sich die Szene in regionalen und überregionalen "Solidaritätsnetzwerken" organisiert. Die wichtigste und größte Organisation innerhalb dieser Netzwerke ist der Verein "Rote Hilfe e. V." (RH). Dieser unterstützt im Rahmen der "Antirepression" linksextremistische Straftäter vollumfänglich, während entsprechende Gerichtsverfahren als "politische Verfahren" und inhaftierte Szeneangehörige als "politische Gefangene" deklariert werden. Vor diesem Hintergrund verbindet das Aktionsfeld der "Antirepression" die linksextremistische Szene selbst über ideologische und strategische Gräben hinweg. Im Berichtsjahr 2024 diente u. a. die Festnahme der ehemaligen RAF-Terroristin Daniela Klette als Anknüpfungspunkt für Solidaritätsaktionen im Aktionsfeld der "Antirepression". Daniela Klettes Festnahme am 26. Februar 2024 in Berlin-Kreuzberg stieß vor allem im antiimperialistischen Spektrum der linksextremistischen Szene Magdeburgs auf Resonanz. So organisierte die Magdeburger Ortsgruppe des "Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen" am 8. Juni 2024 einen Solidaritätsund Informationsabend für Daniela Klette im Magdeburger Szeneobjekt "Infoladen Stadtfeld", bei dem ein von Daniela Klette eigens für das "Netzwerk" geschriebener Text verlesen wurde. Das "Netzwerk" organisiert seit Jahren auf regionaler und überregionaler Ebene Aktionen und Veranstaltungen, mit denen es seine Solidarität mit der RAF und ihren ehemaligen Mitgliedern bekundet. Am 18. Juni und am 10. November 2024 reisten Magdeburger Linksextremisten nach Vechta (Niedersachsen), um an den Solidaritätskundgebungen für die dort inhaftierte Daniela Klette teilzunehmen. Im Mobilisierungsaufruf des "Netzwerks" wurden Daniela Klettes Haftbedingungen und die angebliche "Repression gegen Ariane von der Gruppe 'Solidarität mit Daniela'" kritisiert, da ihr vom Bundesgerichtshof ein Besuchsverbot erteilt worden sei. Schließlich fand am 14. Dezember 2024 im "Infoladen Stadtfeld" eine weitere Solidaritätsveranstaltung für Daniela Klette statt, die mit einem Gedenken an die RAFTerroristin Ulrike Meinhof verbunden wurde. Diese wäre am 7. Oktober 2024 90 Jahre alt geworden. Das der Veranstaltungsankündigung beigefügte Kurzporträt von Meinhof bringt die Verklärung und die uneingeschränkte Unterstützung der RAF innerhalb der antiimperialistischen Szene Magdeburgs zum Ausdruck: "Wichtig ist, Ulrike als 106 Linksextremismus kämpferische Linke zu begreifen, die keinen 'Selbstmord' begangen hat und die RAF nicht als 'Terrorgruppe' darzustellen." Darüber hinaus waren im Berichtsjahr in der linksextremistischen Szene Sachsen-Anhalts verschiedene Solidaritätsaktionen mit weiteren linksextremistischen Gewalttätern zu verzeichnen, die sich hauptsächlich an der Auslieferung einer sich selbst als non-binär identifizierenden linksextremistischen Person am 28. Juni 2024 nach Ungarn entzündeten. Die Person wird beschuldigt, sich im Februar 2023 an gewalttätigen Angriffen auf politische Gegner im Kontext der rechtsextremistischen Gedenkveranstaltung "Tag der Ehre" in Budapest beteiligt zu haben. Anlässlich der Auslieferung organisierte die Gruppe "ZORA Magdeburg" eine Kundgebung am 3. Juli 2024 unter dem Motto "Solidarität mit Maja! Gerechtigkeit für alle politischen Gefangenen" auf dem Wilhelmstedter Platz, an der sich u. a. die Gruppen FKT, "Anarchistische Bewegung Magdeburg", "ZORA Dessau" und "Young Struggle Berlin" mit Redebeiträgen beteiligten, welche die "Repressionen" der deutschen Sicherheitsbehörden beklagten und das Ende der Bundesrepublik forderten. So hieß es im Redebeitrag der antiimperialistischen Gruppe FKT: "Die BRD ist ein autoritärer Staat, dessen Existenz nicht erst seit 1989 auf dem Kampf gegen den Sozialismus beruht. Deshalb erklärt die BRD alle, die sich ernsthaft für den Aufbau einer besseren Welt einsetzen, zu Terroristen. [...] Wenn wir ein Ende der Repressionen fordern, dann fordern wir also ganz logisch das Ende der BRD. Wir fordern Freiheit für alle politischen und sozialen Gefangenen, für Maja, für Lina, für Daniela. [...] Ein Ende dem Imperialismus, nieder mit jedem kapitalistisch-organisierten Staat - alle Macht dem Proletariat!" Auch in Halle (Saale) organisierten verschiedene linksextremistische Akteure Solidaritätsaktionen mit Bezug zum sogenannten "Budapest-Komplex". Das Bündnis "Budapest Antifascist Solidarity Committee" (BASC) veranstaltete am 26. Mai 2024 im Szeneobjekt "Reil78" einen Vortrag, der unter dem Titel "Der Budapest-Komplex - Von Haft, Flucht und drohender Auslieferung nach Ungarn" die Geschehnisse der Überfallserie vom 9. bis 11. Februar 2023 in Budapest anlässlich des "Tags der Ehre" rekapitulierte. Das BASC hatte sich unmittelbar nach den ersten Verhaftungen der Beschuldigten mit dem Ziel gegründet, Solidaritätsstrukturen für die in den "Budapest-Komplex" involvierten und zum Teil untergetauchten Linksextremisten aufzubauen. Das OAP veranstaltete am 30. Juni 2024 in Halle (Saale) eine Solidaritätsdemonstration unter dem Motto "Keine Auslieferung von Antifaschist*innen". Während im Aktionsfeld der "Antirepression" für gewöhnlich verschiedene linksextremistische Gruppen und Akteure miteinander kooperieren, wurde dieser Aktionskonsens auf die Probe gestellt, als auch Anhänger der dogmatischen Gruppen "Solinetz" und SDAJ an der Demonstration teilnehmen wollten. Nachdem das OAP darauf verzichtet hatte, diese Gruppen von der Veranstaltung auszuschließen, gaben sich die Organisatoren jedoch im Nachgang selbstkritisch: "Die zunehmende Raumnahme autoritärer und antisemitischer Strukturen sehen wir als absolut unvereinbar mit jeglichem Streben nach einer emanzipatorischen Gesellschaft, frei von herabwürdigenden Konstrukten, wie völkischer Zugehörigkeiten oder der Beschränkungen auf Geschlecht, Sexualität oder Herkunft. [...] 107 Linksextremismus Wir hätten gerne ein Zeichen gegen die Teilnahme erwähnter Personen gesetzt, es fehlte uns jedoch [...] an ausreichender Entschlossenheit". Die Auseinandersetzung um die Deutungshoheit innerhalb der linksextremistischen Szene von Halle (Saale) war damit unübersehbar geworden. Internationalismus Der "Internationalismus" ist - neben dem "Antikapitalismus", dem "Antifaschismus" und der "Antirepression" - eines der zentralen Aktionsfelder für gewaltorientierte Linksextremisten unterschiedlicher Strömungen. Im linksextremistischen Kontext bezeichnet "Internationalismus" eine politische Agenda, die darauf abzielt, die Überwindung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse durch internationale Solidarisierung und Kooperation mit "allen revolutionären Kräften" herbeizuführen. Im Berichtsjahr wurden die Aktivitäten der linksextremistischen Szene Sachsen-Anhalts im Aktionsfeld "Internationalismus" weiterhin maßgeblich von den Reaktionen auf den Nahostkonflikt bestimmt, der mit dem Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 eskaliert war. Die Aktivitäten der propalästinensisch eingestellten, dogmatischen und antiimperialistischen Szeneteile in Magdeburg, Halle (Saale) und Dessau-Roßlau nahmen dabei abermals eine herausgehobene Stellung ein, wobei sich das Versammlungsgeschehen hauptsächlich in der Landeshauptstadt Magdeburg konzentrierte. Antiimperialistische Akteure aus Magdeburg organisierten am 17. Februar, am 15. und 17. Mai, am 27. September sowie am 16. November 2024 propalästinensische Kundgebungen. Neben extremistischen Gruppen wie ZK, RAB, FKT, DKP Magdeburg-Schönebeck, "Palästina-Solidarität Magdeburg" und "Handala Leipzig" sowie den "Young Struggle" - und "ZORA"-Ortsgruppen aus Magdeburg bzw. Dessau-Roßlau beteiligten sich auch zahlreiche nichtextremistische Personen an den Versammlungen. In den linksextremistischen Mobilisierungsaufrufen und Redebeiträgen dieser Kundgebungen wurden vor allem das militärische Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen und die Unterstützung Israels durch westliche Regierungen kritisiert. Zudem wurde eine angebliche systematische und rassistisch motivierte Unterdrückung von Palästinensern und von sogenannten "palästinasolidarischen" Meinungsäußerungen in Deutschland behauptet. Unter Rückgriff auf antizionistische und antikolonialistische Narrative wurde der Staat Israel wiederholt und pauschal als "Besatzungsmacht" und "Terrorregime" verunglimpft. Demgegenüber wurden die Palästinenser unterschiedslos als "unterdrücktes Volk" charakterisiert, das sich in einem "legitimen Widerstandskampf" gegen den "Imperialismus, Kolonialismus und Faschis108 Linksextremismus mus" des kapitalistischen Westens befinde. Die terroristischen Strategien und Methoden palästinensischer Gruppen wie HAMAS, PFLP80 und DFLP81, die sich auch gegen Zivilisten auf beiden Seiten des Konflikts richten, wurden stillschweigend toleriert oder in verklärenden Formulierungen wie der folgenden verteidigt: "Das palästinensische Volk hat das Recht auf Widerstand in all seinen Formen, sei es durch gewaltfreien Protest, Boykott oder bewaffneten Kampf." Neben der Organisation von Demonstrationen war im Aktionsschwerpunkt der "Palästinasolidarität" eine Verlagerung hin zu niedrigschwelligen, diskursiven Veranstaltungsformaten zu beobachten, die eine breitere Öffentlichkeit ansprechen und der Werbung neuer Anhänger dienen sollten. Insbesondere die Gruppe "Palästina-Solidarität Magdeburg", die dem antiimperialistischen Spektrum der linksextremistischen Szene zuzuordnen ist, organisierte im Berichtsjahr regelmäßig sogenannte "Palästina-Infostände" an verschiedenen Orten im Magdeburger Stadtgebiet, mit denen sie über den von ihr behaupteten "anhaltenden Völkermord in Gaza" informieren wollte. Dabei sammelten die Anhänger der Gruppe Spenden ein, verteilten "Infomaterial" der israelfeindlichen und in Teilen antisemitischen BDS-Bewegung82 sowie eine selbst erstellte Broschüre. In dieser Broschüre wird dem Staat Israel durchgängig die Legitimität abgesprochen, indem dieser als das Resultat des "kolonialen Projekts" der zionistischen Bewegung und einseitig als vermeintlicher Aggressor gegenüber der palästinensischen Bevölkerung und den angrenzenden Staaten charakterisiert wird. Auch den Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 verharmlost und rechtfertigt die Broschüre, indem sie auf Diskursmuster der Täter-Opfer-Umkehr zurückgreift und den Angriff als legitime militärische Aktion darstellt. Darüber hinaus betätigten sich im Berichtszeitraum auch Akteure des anarchistischen Spektrums im Aktionsschwerpunkt der "Palästinasolidarität"; dabei lieferten sie Anhaltspunkte für eine Unterstützung der BDS-Bewegung. So veranstaltete die anarchistisch orientierte "Kiezkommune Stadtfeld" eine Veranstaltungsreihe zum Thema "Widerstand verboten? PalästinaDiskurse in der deutschen Linken" mit prominenten Unterstützern der BDS-Kampagne. Militanzund Gewaltpotenzial Der gewaltorientierte Linksextremismus stellt sich nach den vom LKA Sachsen-Anhalt erhobenen Daten der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) -linkswie folgt dar: Die Zahl der links motivierten Straftaten ist im Berichtszeitraum von 358 Delikten im Jahr 2023 auf 280 Delikte im Jahr 2024 zurückgegangen. Ein gegenläufiger Trend war bei den Gewaltstraften zu beobachten: Die Zahl dieser Delikte hat sich im Berichtszeitraum verdoppelt. Waren 2023 noch 13 links motivierte Gewaltstraftaten verübt worden, lag die Zahl dieser Fälle im Jahr 2024 bei 26 Delikten. 80 "Popular Front for the Liberation of Palestine" (Volksfront zur Befreiung Palästinas). 81 "Democratic Front for the Liberation of Palestine" (Demokratische Front zur Befreiung Palästinas). 82 Die Abkürzung "BDS" steht für "Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen" (engl. "Boycott, Divestment and Sanctions"). Dabei handelt es sich um eine internationale Bewegung, die den Boykott und Rückzug von Investitionskapital sowie Sanktionen gegen den Staat Israel fordert. Sie wird seit 2019 vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als Verdachtsfall beobachtet. 109 Linksextremismus Vor allem in Halle (Saale) hielt die Serie von Brandanschlägen auf die von Linksextremisten ausgemachten politischen Gegner im Jahr 2024 unvermindert an. Dabei konnte abermals ein mittelbarer Zusammenhang zwischen "antifaschistischer Recherche" und linksextremistischen Gewalttaten beobachtet werden. So zündete etwa eine bisher unbekannte Person am 14. Januar 2024 den PKW eines Anhängers der "Bewegung Halle"83 an, nachdem jener wiederholt "geoutet"84 worden war. Neben der "Bewegung Halle" steht auch der rechtsextremistisch beeinflusste Kampfsport seit mehreren Jahren im Fokus gewaltorientierter Linksextremisten. So wurden am 26. März 2024 die Räumlichkeiten des kurz vor der geplanten Eröffnung stehenden Kampfsportstudios "Gladiator Fight Academy" angezündet. Auf der linksextremistischen Plattform Indymedia.org wurde der Brandanschlag mit den Worten "Ostergrüße an Gladiator Fight Academy" kommentiert. Das Hauptziel militant antifaschistischer Gewalttaten blieben im Berichtszeitraum jedoch weiterhin Anhänger des rechtsextremistischen AfD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt85. In den Morgenstunden des 15. April 2024 wurden zwei Firmenfahrzeuge eines Umzugsunternehmens in Hohenweisen (Saalekreis) in Brand gesetzt. Durch das sich ausbreitende Feuer wurden insgesamt sechs Firmenfahrzeuge und ein Privatfahrzeug beschädigt. Bei dem Inhaber des Unternehmens handelt es sich um einen AfD-Kreistagsabgeordneten, der bereits seit mehreren Jahren im Fokus gewaltorientierter Linksextremisten insbesondere aus Halle (Saale) steht. In der Nacht des 13. Mai 2024 wurde in Halle (Saale) das Privathaus eines AfD-Kommunalpolitikers angegriffen. Die unbekannten Täter warfen einen Brandsatz und einen Stein auf den Eingangsbereich des Einfamilienhauses. Noch während der polizeilichen Aufnahme des Vorfalls warfen die Täter auf der Rückseite des Hauses eine Scheibe mit einem weiteren Stein ein. Auf einem damit umwickelten Papier war die Drohung geschrieben: "Scheiß AfDFascho" sowie "einer von 19". Bei der Kommunalwahl am 9. Juni 2024 in Halle (Saale) kandidierten auf der AfD-Liste 19 Personen für den Stadtrat. Daneben sah sich die linksextremistische Szene mit der Gründung einer Reihe von subkulturell rechtsextremistisch geprägten Jugendgruppen konfrontiert.86 Diese fanden sich vor allem zu zentral organisierten Gegenprotesten anlässlich des "Christopher Street Day" zusammen, so auch am 24. August 2024 in Magdeburg. Vor diesem Hintergrund riefen gewaltorientierte Linksextremisten dazu auf, den "antifaschistischen Selbstschutz" zu organisieren, d. h. den politischen Gegner im Umfeld des CSD anzugreifen. So kam es im Verlauf des Demonstrationsgeschehens zu überfallartigen Angriffen an verschiedenen Orten im Magdeburger Stadtgebiet durch autonome Kleingruppen, in deren Folge einzelne Personen aus dem rechtsext83 Zu der Gruppe "Bewegung Halle" vgl. S. 87. 84 Das "Outen" politischer Gegner gehört seit langem zu den Vorgehensweisen der gewaltorientierten linksextremistischen Szene. Linksextremistische Akteure spähen persönliche Daten insbesondere von vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten aus, um diese dann zum Zwecke der Stigmatisierung im Internet zu veröffentlichen. 85 Zur AfD Sachsen-Anhalt vgl. S. 23 ff. 86 Vgl. hierzu S. 54 ff. 110 Linksextremismus remistischen Spektrum im Krankenhaus behandelt werden mussten. Ein Großteil der Mobilisierung im Vorfeld ging von der Initiative "North East Antifacists" aus - eine sozialrevolutionäre autonome Gruppe aus Berlin, zu der die linksextremistische Szene aus Magdeburg seit Jahren Kontakte pflegt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Strukturwandel innerhalb der gewaltorientierten linksextremistischen Szene SachsenAnhalts setzte sich auch 2024 fort. Dieser äußerte sich in einer Ausdifferenzierung sowohl der Akteure als auch der Aktionsfelder. Zum einen traten in den beiden Zentren des gewaltorientierten Linksextremismus im Land, Magdeburg und Halle (Saale), neue Gruppierungen und Bündnisse in Erscheinung. Zum anderen gewannen - neben den fortgesetzten Aktivitäten zur "Palästinasolidarität" - auch andere traditionelle Aktionsfelder des Linksextremismus wie "Antikapitalismus", "Antifaschismus" und "Antirepression" wieder vermehrt an Bedeutung. In Halle (Saale) deutet sich nach der Etablierung einer Ortsgruppe des "Solidaritätsnetzwerks" und den daraus resultierenden Verwerfungen innerhalb der linksextremistischen Szene eine Entwicklung an, die auch in anderen Bundesländern zu beobachten ist: die Marginalisierung der proisraelischen Szeneausrichtung. Vor allem unter jungen Szeneanhängern zeichnet sich eine Renaissance des dogmatischen Linksextremismus ab, der in seinem marxistisch-leninistischen Antiimperialismus seit jeher gegen Israel gerichtet ist. Zudem erhalten auch unter Anhängern des undogmatischen Spektrums (Autonome und Anarchisten) postkoloniale Denkansätze Zuspruch, die in Israel ein "Unterdrückungsregime" des "weißen Westens" sehen. Angesichts dieser Entwicklungen gelingt es den proisraelischen Autonomen immer seltener, ihre Vorstellung von einer "befreiten Gesellschaft" mit dem Engagement gegen Antisemitismus bzw. für Israel zu rechtfertigen. In der nahen Zukunft ist daher mit weiteren Auseinandersetzungen um die ideologische Deutungshoheit innerhalb der linksextremistischen Szene in Halle (Saale) zu rechnen. Demgegenüber waren im Berichtszeitraum in Magdeburg trotz weiterhin bestehender ideologischer Differenzen zwischen den anarchistisch und den antiimperialistisch orientierten Szeneteilen vermehrt Ansätze einer Zusammenarbeit erkennbar. Diese Kooperationsbemühungen ließen sich hauptsächlich in den Aktionsfeldern "Antifaschismus", "Antirepression" und "Internationalismus" mit dem Schwerpunkt "Kurdistansolidarität" beobachten und wurden vorwiegend von jüngeren Szeneanhängern und insbesondere von linksextremistischen Gruppierungen mit Auslandsbezug getragen. Ob sich diese Annäherung der verschiedenen Szeneteile in der Zukunft fortsetzen wird und so die Mobilisierungsschwäche der vergangenen Jahre dauerhaft überwunden werden kann, bleibt abzuwarten. Angesichts einer hochdynamischen Lage in der nationalen und internationalen Politik bieten sich auch im Verlauf des Jahres 2025 vielfache Anknüpfungspunkte für Aktivitäten der linksextremistischen Szene in Sachsen-Anhalt. So kann eine etwaige Verschärfung der Migrationspolitik der neuen Bundesregierung zu einem Mobilisierungsschub nicht nur im zivilgesellschaftlichen Spektrum, sondern auch bei linksextremistischen Gruppierungen führen. Ähnliches gilt für den Fall der Verabschiedung von Gesetzen und Maßnahmen zur Stärkung der 111 Linksextremismus Justizund Sicherheitsbehörden. Im Aktionsfeld der "Antirepression" könnten linksextremistische Akteure in Sachsen-Anhalt auch die Verfahren gegen die ehemalige RAF-Terroristin Daniela Klette sowie gegen die beschuldigten Linksextremisten im "Antifa-Ost-Verfahren" und im "Budapest-Komplex" verstärkt zum Anlass für Protestaktionen und Straftaten nehmen. Darüber hinaus wird das Mobilisierungspotenzial der lokalen linksextremistischen Szene in den Aktionsfeldern des "Internationalismus" und "Antimilitarismus" von den weiteren Entwicklungen im Nahostkonflikt, in Syrien und in der Ukraine beeinflusst. 112 Linksextremismus "ROTE HILFE E. V." (RH) Gründung 1975 In Sachsen-Anhalt seit 1996 mit der ersten RH-Ortsgruppe in Halle (Saale) existent Sitz / Sitz des Bundesverbandes: Göttingen (Niedersachsen) Verbreitung Bundesweite Verbreitung Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 350 350 Bund 13.700 14.400 Struktur / Bundesweit existieren rund 50 Ortsgruppen. Aufbau Die lokalen Gruppen wählen auf Mitgliederversammlungen ihre Abgesandten für die Bundesdelegiertenkonferenz; diese tritt mindestens alle zwei Jahre zusammen. Der Bundesvorstand wird für die Dauer von zwei Jahren gewählt und organisiert als oberstes Organ der RH deren bundesweite Arbeit. Er tagt mindestens zweimal jährlich, verwaltet die Finanzen des Vereins und gibt dessen Zeitung heraus. In Sachsen-Anhalt existieren Ortsgruppen in Halle (Saale), Magdeburg und Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel). Veröffentlichungen Web-Angebot: www.rote-hilfe.de Publikationen: "Die Rote Hilfe" (quartalsweise) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Vertrieb von Büchern, Broschüren, Informationsmaterial Kurzportrait / Ziele Die RH ist nach ihrem Selbstverständnis eine "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" zur Unterstützung von Personen, die nach ihrer Auffassung in der "Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden". Dabei vertritt die RH kein eigenständiges weltanschauliches Programm; sie ist jedoch ein bedeutender Bestandteil der linksextremistischen Szene und wirkt organisationsübergreifend. Die RH stellt die Sicherheitsund Justizbehörden als Teile eines umfassenden Repressionsapparates dar, mit dem der Staat ihm politisch missliebige Personen unterdrücke, kriminalisiere und letztlich wegsperre. Dadurch spricht sie der Bundesrepublik Deutschland die Eigenschaft als Rechtsstaat ab und sieht in ihr stattdessen ein Willkürregime. Die RH unterstützt Linksextremisten in Ermittlungsund Strafverfahren sowie im Strafvollzug. Erkennt die RH eine Person als "Unterstützungsfall" an, so beteiligt sie sich an Prozessund Anwaltskosten (sowie Strafund Bußgeldern) und vermittelt erforderlichenfalls anwaltliche Unterstützung. Zudem organisiert die RH Kampagnen, die auf die Diskreditierung von Sicherheitsund Justizbehörden zielen. Im Rahmen von Schulungen gibt die RH Szeneangehörigen 113 Linksextremismus Handlungsempfehlungen zur Minimierung des Risikos einer Strafverfolgung im Anschluss an begangene Straftaten. Grund der Beobachtung Da gewaltorientierte Linksextremisten die Prinzipien Freiheit und Gleichheit verabsolutieren, betrachten sie jede Form staatlicher Herrschaft als illegitim, so auch den demokratischen Rechtsstaat. Missstände in der Demokratie sollen nicht gelöst, sondern mitsamt der freiheitlichen Verfassungsordnung abgeschafft werden. Unabhängig von den divergierenden Zielen sehen alle Akteure und Gruppen dieser Szene Gewalt als ein legitimes Mittel an. Diese politisch bestimmten Verhaltensweisen - insbesondere das Ablehnen des staatlichen Gewaltmonopols bei gleichzeitigem Befürworten von Gewalt, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen - sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Neben der Bearbeitung individueller Unterstützungsfälle steht vor allem die allgemeine "Antirepressionsarbeit" im Fokus der RH. Im Berichtsjahr waren außerdem verschiedene Veranstaltungen der RH deren 100-jährigem Bestehen gewidmet. So veröffentlichte die RH im Jahr 2024 den Film "Solidarität verbindet - 100 Jahre Rote Hilfe" sowie eine dazugehörige Wanderausstellung. Sowohl der Film als auch die Wanderausstellung wurden von den jeweiligen RH-Ortsgruppen in Magdeburg, Halle (Saale) und Salzwedel gezeigt. In Salzwedel führte die AAS gemeinsam mit der Ortsgruppe der RH am 18. März 2024 eine Veranstaltung im Szeneobjekt "AZ Kim Hubert" unter dem Motto "Rechtshilfetipps - Was tun wenn's brennt?!" durch. In demselben Objekt organisierte die RH-Ortsgruppe am 16. August 2024 die Aufführung eines Theaterstücks, das unter dem Titel "Bei den Linken" das Verhältnis zwischen Migranten und der linksextremistischen Szene behandelte und dabei für eine grenzenlose Bewegungsfreiheit in Europa warb. Beide Veranstaltungen fanden im Rahmen des 100-jährigen Jubiläums der RH statt. In Reaktion auf die Auslieferung einer linksextremistischen Person nach Ungarn im Zusammenhang mit den gewalttätigen Angriffen auf mutmaßliche Rechtsextremisten am sogenannten "Tag der Ehre" in Budapest im Februar 2023 organisierte die Hallenser RH-Ortsgruppe am 20. Juli 2024 eine Solidaritätskundgebung zum Thema "Bring Back Maja". Dabei zeigte sich jedoch, dass der im Berichtsjahr in Halle (Saale) entflammte Szenekonflikt zwischen dogmatischen, propalästinensischen Gruppen auf der einen Seite und autonomen, proisraelisch geprägten Gruppierungen auf der anderen Seite auch die Aktivitäten der Szene im Aktionsfeld der "Antirepression" zunehmend überlagerte. Als sich Anhänger des "Solinetzes" und 114 Linksextremismus weitere propalästinensisch orientierte Akteure an der Versammlung der RH beteiligen wollten, wurde dies von den proisraelisch eingestellten Autonomen, die den Großteil der Teilnehmer stellten, vehement abgelehnt. Um eine körperliche Auseinandersetzung zwischen den Anhängern beider Lager zu verhindern, mussten diese zwischenzeitlich von Polizeikräften voneinander getrennt werden. Aufgrund der angespannten Lage sagten die Organisatoren den ursprünglich geplanten Aufzug durch die Innenstadt ab. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Strukturwandel in der linksextremistischen Szene war in den letzten Jahren auch in der Entwicklung der RH zu beobachten. So dürfte der massive Mitgliederzuwachs im Vorjahr auf den sich abzeichnenden Generationswechsel im gewaltorientierten Linksextremismus zurückzuführen sein. Dementsprechend bleibt die RH weiterhin einer der wichtigsten Stabilitätsfaktoren für die Szene. Mit ihrer gut vernetzten Struktur und der finanziellen Unterstützung potenzieller Strafund Gewalttäter trägt sie zu einer Konsolidierung der gesamten Szene bei. Dabei bietet die RH eine Organisationsorientierung für jene Linksextremisten, die gemeinschaftlich aktiv sein wollen, ohne jedoch in die formalen Strukturen einer Partei eingebunden zu sein. Entscheidend für den Erfolg der RH ist vor allem ihre ideologische Flexibilität, so dass ihre Unterstützung jedem potenziellen Gewalttäter gilt, solange dieser nur eine linksextremistische Zielsetzung verfolgt. Sie begründet damit einen ideologischen Rahmen, der die Legitimität des demokratischen Verfassungsstaates systematisch infrage stellt und dabei Gewalt als politisches Mittel befürwortet. Gleichwohl zeigen die jüngsten Entwicklungen in Halle (Saale), dass die RH an integrierender Kraft eingebüßt hat und selbst in ihrem traditionellen Aktionsfeld der "Antirepression" nur begrenzt in der Lage ist, die ideologischen Gräben zwischen den verschiedenen Szeneteilen zu überbrücken. 115 Linksextremismus LINKSEXTREMISTISCHES PARTEIENSPEKTRUM "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland" (MLPD) Gründung 1982 In Sachsen-Anhalt seit 1992 mit einzelnen Strukturen existent Sitz / Bund: Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Verbreitung Bundesweite Verbreitung Sachsen-Anhalt: angegliedert im Landesverband Elbe/Saale (Sachsen-Anhalt und Sachsen) Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 15 15 Bund 2.800 2.800 Struktur / Parteivorsitzende: Gabi Fechtner (Nordrhein-Westfalen) Aufbau Vorsitzender des Landesverbandes Elbe/Saale: Jörg Weidemann (Leipzig) Die Partei ist in vier Organisationsebenen gegliedert. Betriebsund Wohngebietsgruppen bilden die erste Ebene der Partei. Die zweite Organisationsebene stellen die Ortsgruppen dar. Danach folgt der Kreisverband. Als letzte Ebene folgen die derzeit acht Landesverbände. Der Jugendverband "REBELL" ist die Jugendorganisation der MLPD. Veröffentlichungen Web-Angebote: www.mlpd.de, www.rf-news.de Publikationen: "Rote Fahne" (RF) (zweiwöchentlich) "Lernen und Kämpfen" (LuK) (mehrmals jährlich) "Rebell" (zweimonatlich) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Angesichts ihres vergleichsweise geringen politischen Einflusses verfügt die MLPD über ein überdurchschnittlich hohes Parteivermögen. Kurzportrait / Ziele Die MLPD ist eine maoistisch-stalinistisch ausgerichtete Partei, die sich an den Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao orientiert. Ihrem Verständnis nach kann der Kapitalismus nicht reformiert werden; er muss daher revolutionär durch einen "echten" Sozialismus abgelöst werden. Über die Mitgliedschaft ihrer Angehörigen in Gewerkschaften versucht die MLPD Einfluss auf die Arbeiter als "Subjekt des Klassenkampfes" zu erlangen. Sie unterstützt häufig die Forderungen von Gewerkschaften bei Streiks, verbindet deren Ziele aber jeweils mit ihrer eigenen, fundamentalen Kapitalismuskritik und der Forderung nach einer kommunistischen Gesellschaft. 116 Linksextremismus Grund der Beobachtung Die MLPD versteht sich als Repräsentantin einer radikal linken und revolutionären Perspektive des "echten" Sozialismus. Bereits in der Präambel ihrer Parteistatuten formuliert sie ihr grundlegendes Ziel: "de[n] revolutionäre[n] Sturz der Diktatur des Monopolkapitals". Dafür strebt sie die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft als Übergang zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft an. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Sachsen-Anhalt ist die MLPD mit Kontaktadressen in Magdeburg, Halle (Saale), DessauRoßlau und Bitterfeld-Wolfen (Anhalt-Bitterfeld) vertreten. Ausgehend von diesen Ortsgruppen versucht die MLPD mit einer Vielzahl von Kundgebungen, ihre revolutionären Ideen auf die Straße zu tragen. So fanden auch im Berichtsjahr 2024 in Magdeburg und Halle (Saale) regelmäßig (Montags-)Kundgebungen statt, bei denen die Beteiligten mit einem sogenannten "offenen Mikrofon" aktuelle politische Themen diskutierten. Darüber hinaus meldete die Hallenser Ortsgruppe der MLPD für den 24. Februar 2024 eine Kundgebung mit dem Thema "Sofortige Beendigung des Ukraineund des Nahost-Krieges" in Halle (Saale) an. Redner am Mikrofon forderten laut "Rote Fahne News"87 im Wesentlichen, dass "die Arbeiter, einfachen Leute und alle demokratisch gesinnten Menschen in der Ukraine sowohl das Selenskij-Regime stürzen als auch gegen die russischen Invasoren kämpfen müssen, um den Krieg zu beenden." Eine der Reden mündete in gewaltbefürwortende Forderungen wie: "Waffen in die Hände der Arbeiter, ja! Aber Nein zu Waffenlieferungen an das Selenskij-Regime." Die MLPD-Ortsgruppen in Magdeburg und Halle (Saale) versuchten im Berichtszeitraum mit verschiedenen Kundgebungen, Wähler für die Europawahl am 9. Juni 2024 zu gewinnen. Mit insgesamt 13.551 Wählerstimmen blieb die Partei allerdings politisch marginalisiert. Auch bei den gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahlen konnte die MLPD weder in Magdeburg noch in Halle (Saale) ein Mandat im Stadtrat erringen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Aufgrund ihrer politischen und gesellschaftlichen Isolation ist davon auszugehen, dass die MLPD die von ihr seit Jahren vertretene ideologische Linie auch zukünftig beibehalten wird. Obwohl die Partei stetig auf der Suche nach neuen und vor allem jungen Mitgliedern ist, gelingt es ihr nicht, ihre weitgehende Isolation zu durchbrechen. Vielmehr werden MLPD-Vertreter aufgrund ihrer dogmatischen Positionen von Versammlungen und anderen Veranstaltungen häufig ausgeschlossen. Eine Außenwirkung können sie lediglich dort entfalten, wo andere Akteure der linksextremistischen Szene eine ähnlich dogmatische Ideologie auf ge87 https://www.rf-news.de/2024/kw08. 117 Linksextremismus meinsamen Aktionsfeldern verfolgen. Im Berichtsjahr kooperierten MLPD-Vertreter insbesondere mit Magdeburger Linksextremisten des antiimperialistischen Spektrums im Rahmen der "Palästinasolidarität". 118 Linksextremismus "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung 1968 In Sachsen-Anhalt seit 1997 mit einzelnen Parteigruppen existent Sitz / Sitz des Bundesverbandes: Essen (Nordrhein-Westfalen) Verbreitung bundesweite Verbreitung Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 15 15 Bund 2.765 2.765 Struktur / Parteivorsitzender: Patrick Köbele (Essen, Nordrhein-Westfalen) Aufbau Die Partei gliedert sich in Grund-, Kreis-, Bezirksund/oder Landesorganisationen sowie eine Bundesorganisation. In SachsenAnhalt existieren örtliche Strukturen vor allem in Halle (Saale) und Magdeburg. Innerhalb der Parteigesamtstruktur ist der Status einer Bezirksbzw. Kreisorganisation nicht erreicht. Daher verfügt die DKP in Sachsen-Anhalt lediglich über einen so genannten "Koordinierungsrat". Die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) ist die Jugendorganisation der DKP und mit mehreren Ortsgruppen in Sachsen-Anhalt aktiv. Veröffentlichungen Web-Angebot: www.dkp.de Publikationen: UZ - "Unsere Zeit" (wöchentlich) "Marxistische Blätter" (zweimonatlich) "POSITION" (Magazin der SDAJ, zweimonatlich) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Kurzportrait / Ziele Die DKP ist eine marxistisch-leninistische Kernorganisation. Die Partei versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Ihr Ziel ist die Errichtung einer sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaft durch einen revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen. Als Richtschnur ihres politischen Handelns bekennt sie sich zur Ideologie von Marx, Engels und Lenin. Grund der Beobachtung Die DKP strebt langfristig einen Systemwechsel in Richtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung an. In einem klassenkämpferisch-revolutionären Akt sollen die kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse, der Parlamentarismus und der politisch-gesellschaftliche Pluralismus überwunden werden. Gewaltanwendung wird dabei nicht ausgeschlossen. 119 Linksextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die DKP bemüht sich, durch Teilnahme an diversen Demonstrationen und Veranstaltungen sowie durch die Veröffentlichung von Stellungnahmen zu aktuellen politischen Themen in der Öffentlichkeit präsent zu sein. Aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl ist die DKP auf eine Zusammenarbeit mit weiteren linksextremistischen Kräften in Sachsen-Anhalt angewiesen. Die DKP-Gruppe Magdeburg/Schönebeck lud gemeinsam mit der SDAJ am 20. Juli 2024 zu einer Vortragsveranstaltung in das linksextremistische Szeneobjekt "Infoladen Stadtfeld" ein. Unter dem Titel "Frag eine Brigadistin" berichtete eine "Genossin aus Berlin" von den Erfahrungen ihrer Kuba-Reise mit der SDAJ im Sommer 2023. Am 19. Oktober 2024 führte die Hallenser Ortsgruppe des SDAJ zusammen mit dem "Solidaritätsnetzwerk Halle" eine Störaktion anlässlich der Beteiligung der Bundeswehr an der Jobmesse in Halle (Saale) durch. Mit einem Transparent "Kein Mensch, kein Cent der Bundeswehr!" demonstrierten die beiden kommunistischen Gruppen im Rahmen der Kampagne "Eure Kriege ohne uns" auch gegen eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht. Die DKP trat bei der Europawahl 2024 an und erzielte insgesamt 14.951 Stimmen, was einem Anteil von 0,0 % entspricht. In Sachsen-Anhalt erhielt sie 642 Stimmen (0,1 %). Die geringe Bedeutung der DKP hält damit unvermindert an. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Wie im Vorjahr entfaltete die DKP in Sachsen-Anhalt auch im aktuellen Berichtsjahr wieder vermehrt Aktivitäten. Diese waren einerseits auf ihre Verbindungen in das antiimperialistische Spektrum des gewaltorientierten Linksextremismus in Magdeburg und in Halle (Saale) zurückzuführen. Andererseits trat die DKP vor allem durch die verschiedenen Ortsgruppen ihrer Jugendorganisation SDAJ in Erscheinung. In Sachsen-Anhalt können die Strukturen der Partei somit als verlängerter Arm des antiimperialistischen Spektrums gesehen werden. Es bleibt jedoch weiterhin unwahrscheinlich, dass sich diese Entwicklung zukünftig auch in einer gemeinsamen Beteiligung an Wahlen niederschlagen wird, da gewaltorientierte Linksextremisten aus dem antiimperialistischen Spektrum die von der DKP verfolgte Strategie der Parlamentsorientierung zur Überwindung des demokratischen Systems ablehnen. 120 ISLAMISMUS Islamismus EINLEITUNG Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine spezifische Form des politischen Extremismus. Unter Berufung auf die Religion des Islam zielt der Islamismus auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Islamismus ist von der Überzeugung geprägt, dass Religion nicht nur eine persönliche, quasi private Angelegenheit ist, sondern auch das öffentliche gesellschaftliche Leben sowie die politische Ordnung eines Staates bestimmen oder zumindest in Teilen regeln soll. Diese von Gott gewollte und somit "wahre" (und zugleich absolute) Ordnung rangiere in ihrer Wertigkeit vor allen von Menschen gemachten Ordnungssystemen. Im Islamismus lassen sich verschiedene Strömungen feststellen. Diese unterscheiden sich teilweise hinsichtlich ihrer ideologischen Prämissen, ihrer geographischen Orientierung, ihrer Strategien und der Wahl ihrer Mittel. Sie können sich aber auch überschneiden, zum Beispiel in der Strömung des sogenannten Jihadsalafismus, die Ideologieelemente des Salafismus mit dem Jihadismus zu einer gewaltorientierten und kämpferischen Strömung vereint. Grundsätzlich sind im islamistischen Spektrum die folgenden ideologischen Strömungen zu unterscheiden: Die Anhänger islamistisch-terroristischer Gruppierungen wie der aus dem Gazastreifen heraus aktiven palästinensischen HAMAS88 oder der libanesischen "Hizb Allah"89, deren Ziel die Vernichtung des jüdischen Staates Israel ist, sind im Wesentlichen auf ihre Herkunftsregionen fokussiert und wenden schwerpunktmäßig dort terroristische Gewalt an. So genannte legalistische Strömungen versuchen, über politische und gesellschaftliche Einflussnahme eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchzusetzen. Salafisten orientieren sich ausschließlich an einem wortgetreuen Verständnis von Koran und Sunna90 nach ihrer Interpretation sowie am Vorbild der Gefährten Mohammeds, den so genannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arabisch: al-salaf as-salih). Sie vertreten dabei einen Exklusivitätsanspruch, beanspruchen die einzig "wahren" Muslime zu sein und lehnen die geschichtliche Entwicklung der Religion des Islam sowie ihre vielschichtige Ausübung und Interpretation seitens der Muslime ab. Zahlreiche wichtige Ziele von Islamismus/Salafismus stehen im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie in folgender Übersicht deutlich wird: 88 Das BMI hat mit Verfügung vom 2. November 2023 ein Betätigungsverbot in Deutschland u. a. für die Terrororganisation HAMAS ausgesprochen; die Teilorganisation "Samidoun Deutschland" wurde gleichzeitig verboten und aufgelöst. 89 Das BMI hat mit Verfügung vom 26. März 2020 die Vereinigung Hizb Allah mit einem Betätigungsverbot belegt. 90 Zur Nachahmung empfohlene Handlungsweisen und Aussagen des Propheten Mohammed. 122 Islamismus Gottesherrschaft Volkssouveränität Gottesherrschaft Volkssouveränität Sakrale Texte als Legislative auf der Basis Gesetzesgrundlage parlamentarischer Demokratie Sakrale Grundlage politiVerantwortlichkeit der Rescher Macht (Machtkongierung gegenüber demozentration, Unantastbarkeit kratisch verfassten Gesetder Religionsgelehrten, zen und der Verfassung Oppositionsverbot, Unab(Abwählbarkeit der Regieänderlichkeit göttlicher Gerung, Änderung von Gesetze) setzen) Totalitärer WahrheitsanMeinungsfreiheit, Werspruch tepluralismus, Mehrparteienprinzip, Recht auf Opposition Privilegierung einer beReligionsfreiheit, Gleichbestimmten islamischen Relirechtigung, Recht auf freie gionsausübung Persönlichkeitsentfaltung Im besonderen Fokus der Öffentlichkeit stehen islamistische Bestrebungen immer dann, wenn sie in Gestalt des terroristischen Islamismus bzw. Jihadismus zu Tage treten. So waren auch im Jahr 2024 islamistische Anschläge in Deutschland zu verzeichnen. Ereignisse dieser Art machen die im Prinzip seit Jahren bestehende Gefährdungslage deutlich. Bei der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung auf diesem Feld arbeiten die Sicherheitsund Justizbehörden im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgaben und Befugnisse eng zusammen. Im Berichtsjahr hat die Bearbeitung von Hinweisen auf (mutmaßliche) Jihadisten erneut dazu geführt, dass die Verfassungsschutzbehörde in einzelnen Fällen gemäß SS 19 VerfSchG-LSA Informationen an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt hat, damit letztere die entsprechenden strafrechtlichen Ermittlungen aufnehmen konnten. Wie schon den in vorangegangenen Berichtsjahren handelte es sich dabei hauptsächlich um Hinweise auf Personen mit Migrationshintergrund, bei denen eine Betätigung in jihadistischen Gruppen anzunehmen ist, die als Kriegsparteien im syrischen Bürgerkrieg aktiv waren. Bei der Beobachtung jihadistischer Bestrebungen liegt ein Augenmerk des Verfassungsschutzes auf der tatsächlichen oder möglichen Rückkehr von Personen, welche sich freiwillig in das Jihadgebiet begeben und dort terroristischen Gruppen angeschlossen hatten. Dies trifft insbesondere auf Personen zu, die aus ihren (europäischen) Heimatländern in das "Kalifatsgebiet" des IS gereist waren und sich dort dem IS angeschlossen hatten. Nach der weitgehenden militärischen Niederlage der IS-Jihadisten sind viele dieser Personen in Gefangenenlagern vor allem in Nordsyrien festgesetzt worden. Eine unkontrollierte Auflösung dieser Lager, die angesichts der aktuellen politischen Entwicklung in Syrien nicht unwahrscheinlich 123 Islamismus ist, könnte zu einer Rückkehr der derzeit dort Inhaftierten in ihre jeweiligen Heimatländer führen. In diesem Fall wäre zu klären, ob und inwieweit diese Personen weiterhin einer islamistischen Ideologie anhängen, ob von ihnen eine Gefährdung ausgeht und wie erforderlichenfalls darauf behördlich reagiert werden sollte. Im Gegensatz zu Jihadisten sind legalistische, nicht gewaltorientierte islamistische Gruppen bestrebt, durch Missionierung Anhänger für ihre Auslegung des Islam zu gewinnen. Im Zentrum ihrer Bemühungen stehen nicht Zwang und Gewalt, sondern Überzeugungsarbeit und Versuche der Einflussnahme. Mit karitativer und politischer Lobbyarbeit versuchen sie, die Gesellschaft im Sinne ihrer Ideologie zu beeinflussen. Es handelt sich mithin um einen langfristigen, gleichsam evolutionären Prozess, der in der Gesellschaft oftmals nicht angemessen wahrgenommen und in seinen möglichen Auswirkungen zumindest unterschätzt wird. Denn auch der legalistische Islamismus strebt die Errichtung einer islamischen Theokratie an, in der die Scharia die Grundlage der Rechtsordnung bildet und eine vermeintlich von Gott gewollte Ordnung über allen von Menschen gemachten Regeln steht. Mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind diese Bestrebungen daher nicht vereinbar. Das in den letzten Jahren zu verzeichnende Anwachsen des Bevölkerungsanteils mit muslimischer Religionszugehörigkeit bietet den Anhängern legalistischer Strömungen verstärkt die Gelegenheit, für ihre Überzeugungen zu werben. Der Gefahr, dass ihre Vorstellungen und Ideologien auf breitere Akzeptanz stoßen, ist entgegenzuwirken. Dies gilt umso mehr, als die Bereitschaft Einzelner, sich für einen jihadistischen Weg zu entscheiden, zumindest mittelbar über eine Befassung mit legalistischen Ideologieelementen gefördert werden kann. Relevant sind insoweit auch Predigten, die in Sachsen-Anhalt in Moscheen und Gebetsraumen gehalten wurden und werden. In einem kleineren Teil der Predigten konnten Elemente extremistischer Ideologien festgestellt werden. Antisemitismus ist ein wesentliches Element in der Ideologie des gesamten islamistischen Spektrums. Unter Antisemitismus versteht man die politisch, sozial, rassistisch oder religiös begründete Feindschaft gegenüber Juden. Dieser Antisemitismus äußert sich teils latent, teils offen und oft im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt in Form von Israelfeindlichkeit. Im Jahr 2024 kam es im Zusammenhang mit der israelischen Reaktion auf den Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 zu zahlreichen Äußerungen von Israelfeindlichkeit und Antisemitismus. Die häufigste Art der Äußerung war die Verbreitung von gewaltverherrlichendem und volksverhetzendem antiisraelischem Propagandamaterial. Im Mai 2024 wurde beispielsweise bekannt, dass ein in Halle (Saale) wohnhafter palästinensischstämmiger deutscher Rapper den Terrorangriff der HAMAS auf Israel bejubelt hat. In einem Lied begrüßte er die Gewalttaten dieser terroristisch-islamistischen Organisation. Das islamistische Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt liegt unverändert bei etwa 400 Personen. 124 Islamismus SALAFISMUS Gründung Ursprünge in Entwicklungen der islamischen Welt besonders im 18. und 19. Jahrhundert Verbreitung Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen und in Ballungszentren; in Sachsen-Anhalt landesweit, doch ohne gefestigte Strukturen Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land 105 105 Bund 10.500 10.500 Struktur / In Sachsen-Anhalt sind einzelne Aktivisten feststellbar Aufbau Veröffentlichungen Web-Angebote, soziale Netzwerke Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Beim "Salafismus" handelt es sich um eine besonders strikte und unduldsame Strömung innerhalb des islamistischen Spektrums. Der Begriff des "Salafismus" lehnt sich an das Selbstverständnis von Salafisten an, wonach Handlungen und Anschauungen des Propheten Muhammad und der drei nachfolgenden Generationen "rechtschaffener Altvorderer" bereits jetzt und heute als verbindlich zu gelten haben und nicht erst dann, wenn ein "islamischer Staat" errichtet worden ist. Die frühislamische Gemeinde (vom 7. bis 9. Jh. u.Z.) wird nicht nur als das "Goldene Zeitalter" des Islam idealisiert, sondern darüber hinaus als vorbildliche Richtschnur betrachtet, der detailgetreu und kompromisslos zu folgen ist. Dieser Rückwärtsgewandtheit der Salafisten hin zu einem vormodernen Lebenswandel liegt die Vorstellung zugrunde, dass das damalige "Goldene Zeitalter" in der heutigen modernen Gesellschaft wiederholt werden muss, so dass dem Islam wieder zur alten Stärke verholfen werden kann. Voraussetzung hierfür ist aus salafistischer Sicht die Umgestaltung von Staat und Gesellschaft nach dem Vorbild der frühislamischen Gemeinde. Grund der Beobachtung Das verfassungsschutzrelevante salafistische Spektrum wird in die Kategorien "jihadistischer Salafismus" und "politischer Salafismus" unterteilt. Beiden Strömungen gemein sind ideologische Grundlagen und die grundsätzliche Befürwortung von Gewalt. Die Übergänge zwischen den Strömungen sind fließend. Politische Salafisten vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt; sie wollen die Gesellschaft von innen heraus durch Missionierung islamkonform umgestalten. Jihadistische Salafisten fordern die unmittelbare Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer Ziele. Beiden Strömungen ist gemein, dass sie die islamische Religion als Ideologie verstehen, die es kompromisslos durchzusetzen gilt. Die von Gott vorgeschriebenen Regeln sollen über allem stehen. Die salafistische Ideologie steht damit im grundsätzlichen Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der freien Religionsausübung und der allgemeinen Gleichberechtigung. 125 Islamismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In mehreren Moscheen Sachsen-Anhalts traten im Berichtsjahr vereinzelt Prediger auf, die die salafistische Ideologie propagierten. In diesen Predigten wird häufig ein vermeintlicher Opferstatus der Muslime herausgestellt und behauptet, Muslime würden vom deutschen Staat aufgrund ihrer Religion pauschal diskriminiert. Die Bedienung eines solchen simplen Freund-Feind-Schemas kann eine gegen Nichtmuslime gerichtete Grundstimmung erzeugen. Diese kann wiederum dazu geeignet sein, individuelle Radikalisierungsverläufe in Gang zu setzen oder zu verstärken. Als besonders relevant haben sich darüber hinaus im Internet verbreitete Beiträge salafistischer Prediger erwiesen. Vor allem junge Profilinhaber, die dem Salafismus anhängen, konsumierten und verbreiteten vermehrt Inhalte insbesondere saudi-arabischer Prediger. In der Regel handelt es sich um Versatzstücke von Predigten, die häufig segregationsfördernd sind und ein geschlossenes, salafistisch-wahhabitisches Weltbild des Profilnutzers offenbaren. Besonders häufig vertreten sind die Kleriker Badr Bin Nader Al-Meshari, Khalid bin Muhammad bin Hamad Al-Rashed und Muhammad bin Ibrahim Al-Luhaidan. Einziger deutscher Vertreter ist oftmals der im Zusammenhang mit dem 2013 verbotenen salafistischen Netzwerk "DawaFFM" bekannt gewordene Abdellatif Rouali.91 Neben den genannten saudi-arabischen Klerikern waren im Berichtszeitraum auch vermehrt Inhalte des arabisch-amerikanischen Salafisten Ahmed Musa Jibril feststellbar. Ahmed Musa Jibril ist stets bemüht, dem Jihad einen moralischen, politischen und theologischen Unterbau zu verleihen. Die Predigten werden in englischer Sprache aufgezeichnet und durchaus reichweiDer salafistische Prediger Ahmed Musa Jibril in einer seiner Videobotschaften tenstark verbreitet. In ihnen bedient sich Ahmed Musa Jibril der wesentlichen ideologischen Bausteine des Salafismus : Opfernarrativ und Schwarz-Weiß-Denken ebenso wie der permanente Kampf gegen die "Ungläubigen" (arabisch: kuffar) - sofern erforderlich auch bis zum eigenen Tod -, einhergehend mit der Fokussierung auf das Versprechen der Fahrt ins Paradies, welches im Jenseits auf den "rechtgeleiteten" Muslim warte. Nachweislich wurde einer der Terroristen des Terroranschlags in London am 3. Juni 2017 mit acht Toten und 48 Verletzten durch die Rezeption von Ahmed Musa Jibrils Botschaften radikalisiert. Die zum Teil unterschwelligen, mitunter aber auch offen bis an die Strafbarkeitsgrenze eingestreuten jihadistischen Inhalte stehen den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie den Gedanken der Aufklärung diametral entgegen. Sie sind ein Beleg für den erheblichen Radikalisierungsgrad der beobachteten Profilinhaber. 91 Zu DawaFFM siehe z.B. Verfassungsschutzbericht Hessen, S. 183. 126 Islamismus Ein von Salafisten seit langem genutztes Mittel der Einflussnahme sind Kampagnen salafistischer Missionierung (arabisch: Da'wa). Im Berichtszeitraum traten Akteure aus mehreren Bundesländern, darunter auch Sachsen-Anhalt, mit einer neuen Kampagne in Erscheinung: einem Flyerprojekt mit dem Titel "Was danach?". Dieses Da'wa-Projekt verfolgt das Ziel, jeden Menschen in Deutschland zum Islam "einzuladen". Es richtet sich primär an Nicht-Muslime, um diese zum Islam zu führen. Zudem sollen Muslime in Deutschland, Österreich und der Schweiz in ihrem Glauben gestärkt werden und den Weg zum "wahren" Islam finden. Um den "wahren" Islam in möglichst viele deutsche Haushalte zu transportieren, sollten 20 Millionen Broschüren und Flyer verteilt werden; zudem wurden Beiträge auf der Website der Kampagne und in sozialen Medien publiziert. Schwerpunktmäßig sollen die Broschüren und Flyer in Briefkästen geworfen, in der Öffentlichkeit ausgelegt und an Schulen verteilt werden. Sie beinhalten allgemeine und für die Missionierungsarbeit übliche Themen, wie z. B. Antworten auf die Frage, ob der Koran von Gott komme, wie man die Wahrheit erkenne und warum man sich mit solchen Fragen beschäftigen sollte. Über einen Instagram-Account wurden Verteilaktionen im Bundesgebiet und Bestelloptionen veröffentlicht. Das bundesweit angelegte Da'wa-Projekt ist ohne Zweifel dem salafistischen Spektrum zuzuordnen. So konnten auf der Website Beiträge festgestellt werden, die die Todesstrafe als angemessene Form der Bestrafung propagieren. Zudem wurde ein Instagram-Beitrag mit einem jihadistischen Nashid gepostet, das den Märtyrertod glorifiziert und die Bekämpfung der Feinde des Islam mit Waffengewalt sowie das "Schlachten" von Verrätern thematisiert. Die vermittelten Inhalte des Da'wa-Projekts bedienen salafistische Themenkomplexe und weisen auch jihadistische Inhalte auf. Eine wesentliche Rolle in der Kampagne spielte die inzwischen mit einem Vereinsverbot belegte "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) in Braunschweig (Niedersachsen), die als Herausgeberin der Publikationen auftrat und im Impressum der Kampagnen-Website aufgeführt wurde. 127 Islamismus Islamistischer Terrorismus und jihadsalafistische Organisationen Das von den deutschen Sicherheitsbehörden identifizierte islamistisch-terroristische Personenpotenzial (itP) belief sich 2024 auf rund 1.660 Personen (2023: 1.700). In Sachsen-Anhalt lag dieses Personenpotenzial, wie schon im Jahr zuvor, im mittleren zweistelligen Bereich. Über das itP werden gewaltbereite Extremisten im Bereich Islamismus/islamistischer Terrorismus, also (Einzel-)Personen, zu denen Hinweise auf eine persönliche Gewaltbereitschaft vorliegen, unabhängig von ihrer Organisationszugehörigkeit erfasst. Hierunter befinden sich zahlreiche Jihadisten bzw. Mitglieder und Unterstützer von islamistisch-terroristischen Vereinigungen, die aus ihren jeweiligen Herkunftsländern (insbesondere Syrien) nach Deutschland geflohen sind. Jihadistische Terrororganisationen wie der "Islamische Staat" (IS), dessen Ableger "Islamischer Staat Provinz Khorasan" 92 (ISPK) oder "al-Qaida" zuzurechnende Organisationen sehen in ihrem Kampf für die Errichtung eines "Gottesstaates" mit terroristischer Gewalt ein Mittel gegen "Ungläubige" und gegen von ihnen als korrupt betrachtete Regime in der islamischen Welt. Ihre terroristische Agenda ist teilweise global und bedroht folglich die gesamte internationale Staatengemeinschaft. Logo des IS Der IS war auch 2024 die bekannteste der jihadsalafistischen Organisationen, die in der Vergangenheit auch Jugendliche aus Sachsen-Anhalt angezogen hatte. Neben den 2024 in Deutschland verübten Anschlägen, die die Terrororganisation zum Teil für sich reklamiert hat,93 war der IS auch bemüht, eine ständige Drohkulisse aufrecht zu erhalten. So veröffentlichte zum Beispiel eine IS-nahe Plattform am 29. März 2024 ein Bild, welches die Münchner Allianz-Arena am Tag eines Bundesliga-Fußballspiels als mögliches Anschlagsziel definierte. Ein bedeutsamer Teil der Radikalisierungsund Rekrutierungsprozesse im jihadsalafistischen Bereich erfolgt im digitalen Raum und zielt dabei grundsätzlich auf eher junge Personen ab. Neben jungen Heranwachsenden befinden sich zum Teil auch minderjährige Personen darunter. Bei diesem Personenkreis handelt es sich in der Regel um ein ideologisch noch nicht gefestigtes und somit relativ leicht zu beeinflussendes und emotionalisierbares Klientel. Durch geschickte strategische Anpassungen an die Mediennutzung junger Menschen kann jihadistische Propaganda in relativ kurzer Zeit zu sehr schnellen Radikalisierungsverläufen führen, einschließlich der Bereitschaft, islamistisch motivierte Gewalttaten im Sinne von SS 89a StGB zu begehen. Besonders häufig sind diese Online-Rekrutierungen dem IS zuzuordnen, aber auch andere salafistisch-jihadistische Gruppierungen (wie z. B. al-Qaida) kommen hierbei in Betracht. Nach einer ersten Anbahnung in den sozialen Medien nehmen Salafisten vorzugsweise über Messengerdienste bzw. in deren geschlossenen Chatgruppen Kontakt zu radikalisierten Personen auf. Neben islamistischer Propaganda werden hier u. a. auch Anleitungen für Anschläge geteilt sowie Kontakte zu Mitgliedern von terroristischen 92 Khorasan ist eine historische Region in Zentralasien im Gebiet der heutigen Staaten Afghanistan, Iran, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan. 93 So reklamierte der IS den Solinger Messeranschlag vom 23. August 2024 für sich. 128 Islamismus Gruppierungen und Operateuren hergestellt, die in die Strukturen jihadistisch-terroristischer Vereinigungen eingebunden sind. Über Recherchen in sozialen Medien wurde dem Verfassungsschutzverbund Anfang 2022 ein jihadistisches Instagram-Profil bekannt. Weitere umfangreiche Ermittlungen ergaben, dass es sich bei dem Nutzer dieses Profils um einen damals 15-jährigen Kosovo-Albaner aus Halle (Saale) handelte. Dieser radikalisierte sich in den Folgejahren weiter und gehörte zu einer Gruppe junger Jihadisten, die zeitweilig in der Telegram-Chatgruppe "Wilayah Almania"94 aktiv war. In dieser Chatgruppe wurden u. a. Propagandamaterial des IS, Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoffvorrichtungen, Anschlagsplanungen sowie grausame Hinrichtungsvideos verbreitet. Zwei weitere Mitglieder dieser Telegram-Gruppe wurden Anfang September 2022 verhaftet, da sie jeweils einen Anschlag planten. Hier sollte auf Empfehlung eines (sich mutmaßlich in Afghanistan aufhaltenden) IS-Mitglieds ein Angriff auf Polizeibeamte erfolgen. Das Hanseatische OLG hat mit Urteil vom 9. Oktober 2023 die beiden Personen zu einer Haftstrafe verurteilt. Aufgrund der anhaltenden Kontakte des in Halle (Saale) wohnenden Kosovo-Albaners zu den beiden Verurteilten und einer sich weiter abzeichnenden Radikalisierung erfolgte eine Erkenntnismitteilung des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt an die zuständige Ausländerbehörde, die im Berichtsjahr zu einer Ausweisung des Betroffenen führte. Seiner Ausreiseverpflichtung kam der Betroffene im Januar 2025 nach. Gegen zwei mutmaßliche IS-Anhänger aus Sachsen-Anhalt wurden wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß SSSS 129a, 129b StGB im Vorjahr eingeleitete Ermittlungsverfahren weitergeführt. Am 25. Juni 2024 hat die Bundesanwaltschaft aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12. Juni 2024 einen in Stendal amtlich gemeldeten, zumeist aber in Magdeburg sich aufhaltenden irakischen Staatsangehörigen in Gütersloh von Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) festnehmen lassen. Der Beschuldigte ist der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (SS 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB, SS 129b Abs. 1 Sätze 1 und 2 StGB) dringend verdächtig. In dem Haftbefehl wird ihm im Wesentlichen zur Last gelegt, sich zwischen 2014 und 2017 im Irak als Kämpfer für den IS betätigt zu haben. Er war verschiedenen Kampfeinheiten zugewiesen und wurde hierfür vom IS bezahlt.95 Die Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt vom 20. Dezember 2024 wurde im gesamten Spektrum islamistischer Gruppen intensiv diskutiert. Da bereits kurz nach dem Anschlag öffentlich bekannt geworden war, dass es sich bei dem Tatverdächtigen um einen Apostaten handelt, haben terroristische Organisationen wie z. B. der IS nicht, wie sonst üblich, versucht, die Urheberschaft für den Anschlag für sich zu beanspruchen. Nichtsdestotrotz wurde das Ereignis in diesen Gruppen grundsätzlich positiv bewertet. In Magdeburg kam es am Ort der Amokfahrt zu Freudenbekundungen einzelner mutmaßlicher Sympathisanten der 94 Übersetzt: Region/Gebiet Deutschland. 95 Am 2. Januar 2025 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des OLG Düsseldorf eine entsprechende Anklage gegen den Betroffenen. 129 Islamismus islamistischen Szene. In diesem Zusammenhang wurden gegen vier Syrer und eine aus Afghanistan stammende Person Ermittlungsverfahren wegen der Billigung von Straftaten gemäß SS 140 StGB eingeleitet. Die Verfahren wurden eingestellt. Islamisten innerhalb und außerhalb von Sachsen-Anhalt haben die hohe mediale Aufmerksamkeit für die Amokfahrt sowie dessen breite Rezeption in den sozialen Medien genutzt, indem sie die Tat für ihre eigenen ideologischen Zwecke instrumentalisierten. Das gezielte propagandistische Aufgreifen der Amokfahrt durch die islamistische Szene kann zur Folge haben, dass die grundsätzliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch irrational handelnde oder emotionalisierte Einzeltäter bzw. alleinhandelnde Täter und die damit verbundene Möglichkeit von nicht kalkulierbaren Handlungsweisen, insbesondere im Zusammenhang mit öffentlichen Veranstaltungen, auf hohem Niveau weiter aufrechterhalten wird. Im Berichtsjahr waren vergleichbare Vorgehensweisen insbesondere nach den islamistisch motivierten Anschlägen in Mannheim am 31. Mai 2024 und Solingen am 23. August 2024 festzustellen. So wurde beispielsweise der Anschlag in Mannheim in der achten Ausgabe 2024 des islamistischen Online-Magazins "Inspire GUIDE" auf mehreren Seiten als legitime Form des Widerstands gegen islamfeindliche Strömungen in Deutschland dargestellt. Das Magazin glorifizierte den mutmaßlichen Attentäter und rief zu ähnlichen Gewalttaten bzw. terroristischen Anschlägen auf. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Deutschland steht unverändert im Fokus unterschiedlicher terroristischer Organisationen, allen voran des sogenannten IS. Hierbei kommt ein breites Spektrum potenzieller Ziele in Betracht, wobei sogenannte "weiche" und symbolhafte Ziele im Vordergrund stehen. Jüdische Personen und Einrichtungen unterliegen einer besonderen Gefährdung. Somit ist die Gefährdungslage durch den IS in Deutschland und Europa auch 2025 abstrakt hoch. Das wahrscheinlichste Anschlagsszenario stellen weiterhin durch jihadistische Propaganda inspirierte Einzeltäter oder Kleingruppen dar. In den letzten Jahren war hauptsächlich der Einsatz von leicht zu beschaffenden und einzusetzenden Tatmitteln (vor allem Hiebund Stichwaffen) zu beobachten. Grundsätzlich ist aber die gesamte Bandbreite terroristischer Tatbegehungsweisen einzukalkulieren. Aus dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien im Dezember 2024 könnten sich auch für den IS neue Handlungsspielräume ergeben, was sich mittelbar auch auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken könnte. Eine herausragende Rolle für die Bedrohung durch den IS dürften insbesondere die überwiegend in den Kurdengebieten verorteten IS-Gefangenenlager mit potenziell zehntausenden IS-Anhängern spielen, von denen einige auch aus Deutschland kommen. Es besteht eine realistische Gefahr, dass bewaffnete Konflikte in Syrien zu unkontrollierten "Befreiungen" von Jihadisten aus den kurdischen Gefängnissen führen. Ein besonderes Sicherheitsrisiko für Deutschland und damit auch für Sachsen-Anhalt stellen in diesem Zusammenhang mögliche Rückkehrer aus kurdischer Haft dar, die während ihres jahrelangen Aufenthaltes in der Region weiter ideologisch indoktriniert und im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden oder Kampferfahrungen sammeln konnten. Zu 130 Islamismus dem entsprechenden Personenkreis zählt auch eine aus Sachsen-Anhalt stammende Person. Darüber hinaus ist eine weitere Zunahme der Propagandaund Rekrutierungsaktivitäten in den sozialen Medien sowie eine verstärkte Kommunikation über Messengerdienste bzw. in deren geschlossenen Chatgruppen zu erwarten, da der Salafismus auf nach Orientierung suchende Menschen eine hohe Anziehungskraft ausübt. Auf längere Sicht dürfte sich diese Entwicklung auch in Sachsen-Anhalt quantitativ manifestieren. Dieser Einschätzung liegt zum einen die Zunahme der aus muslimisch geprägten Kulturkreisen stammenden Einwohner von Sachsen-Anhalt zugrunde, von denen ein gewisser Prozentsatz eine Nähe zum Salafismus aufweist. Zum anderen ist die bereits seit Jahren zu beobachtende Anziehungskraft charismatischer salafistischer Prediger der Rekrutierung von salafistischem Nachwuchs förderlich. Dies betrifft auch nach Orientierung suchende Jugendliche sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund. 131 Islamismus "GEMEINSCHAFT DER VERKÜNDIGUNG DER MISSION" (URDU: "TABLIGHI JAMA'AT", TJ) Gründung 1926 in Britisch-Indien Verbreitung Drei religiöse Zentren in Pakistan, Indien und Bangladesch; in Deutschland keine offizielle Niederlassung Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land mittlere zweistellige Zahl mittlere zweistellige Zahl Bund 550 550 Struktur / In Deutschland koordinieren zentrale Akteure über informelle KonAufbau takte in einem hierarchisch aufgebauten Netzwerk die Arbeit der TJ Veröffentlichungen - Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Die TJ ist eine transnationale Massenbewegung mit etwa 12 Millionen Anhängern weltweit. Sie orientiert sich eng an dem Islamverständnis der islamischen Frühzeit. Im Jahr 2017 kam es auf der Führungsebene der TJ zu einem offenen Streit um die Einführung von Reformen. Die darauf einsetzenden Spaltungstendenzen zwischen Gegnern und Befürwortern führte zu schweren Konflikten innerhalb der internationalen TJ-Zentren. Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ in Deutschland liegt weiterhin auf der Gewinnung neuer Anhänger sowie der Missionierung und ideologischen Schulung der Mitglieder. Grund der Beobachtung Die TJ propagiert eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, eine rigorose Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen und eine Ausgrenzung von Frauen von der politischen und gesellschaftlichen Teilhabe. Die Ablehnung der weltlichen Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen begünstigen die Bildung von Parallelgesellschaften und fördern individuelle Radikalisierungsprozesse. Das Erreichen eines auf den in der Scharia enthaltenen Rechtsvorschriften basierenden Lebens ist das erklärte Ziel der TJ. Damit gehen von der TJ Bestrebungen aus, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. 132 Islamismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Ausgangspunkt der Aktivitäten der TJ in Sachsen-Anhalt sind verschiedene Moscheen im Bundesland. Im Berichtsjahr sprachen Anhänger der TJ im Rahmen der Kontaktaufnahme erneut Einladungen zu Gebeten, Moscheebesuchen oder anderen Veranstaltungen aus. Zielgruppen waren einerseits Muslime mit vermeintlich unzureichender Beachtung der Glaubensriten und anderseits Nichtmuslime. Die Anhänger der TJ aus Sachsen-Anhalt sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Sie beteiligen sich an Missionierungsreisen im Inund Ausland. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Berichtsjahr blieb die Anhängerzahl der TJ in Sachsen-Anhalt weitestgehend unverändert. Die TJ ist aber weiterhin bestrebt, mit der Ausweitung ihrer Missionierungstätigkeit neue Anhänger zu werben. 133 Islamismus MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) / "DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V." (DMG), EHEMALS "ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E. V." (IGD) / HAMAS Gründung MB: 1928 in Ägypten DMG (IGD): 1958 HAMAS: 1987 Verbreitung Hauptsitz der DMG in Köln (Nordrhein-Westfalen) In Sachsen-Anhalt landesweit Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land niedrige zweistellige Zahl niedrige zweistellige Zahl Bund 1.450 1.450 Struktur / Die im Jahr 2018 in DMG umbenannte IGD gehörte zu den GrünAufbau dungsmitgliedern der "Föderation islamischer Organisationen in Europa" (FIOE), die als Sammelbecken für Organisationen der MB in Europa gilt Veröffentlichungen Web-Angebote, soziale Netzwerke Finanzierung Spenden Kurzportrait Die MB gilt als älteste und einflussreichste organisierte sunnitische islamistische Bewegung. Zahlreiche islamistische Organisationen, zum Beispiel die DMG in Deutschland und die terroristische palästinensische HAMAS, sind aus der MB hervorgegangen. Programmatischer Kernpunkt der MB ist die Einheit von Religion und Staat. Ihr Ziel ist die schrittweise Durchsetzung islamischer Rechtsvorschriften (Scharia). Gewaltanwendung wird dabei nicht ausgeschlossen, doch nicht vorrangig angestrebt. In mehreren islamischen Ländern ist die MB verboten worden. Die MB lehnt demokratische Staatssysteme ab, agiert aber pragmatisch. Ihre meist gebildeten und eloquenten Vertreter engagieren sich häufig gesellschaftlich, um Einfluss zu gewinnen. Vertreter der MB stellen nach außen hin demokratische Prinzipien nicht in Frage und erwecken häufig den Anschein, eine vergleichsweise "moderate" Islamauslegung zu vertreten. Die DMG ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der MB in Deutschland. Ihr Ziel ist es, sich als anerkannter Ansprechpartner zum Thema Islam zu etablieren. Zu diesem Zweck werden offene Bekenntnisse zur MB möglichst vermieden. Als Reaktion auf den Ausbruch der ersten "Intifada" ("Aufstand") der Palästinenser im Dezember 1987 schlossen sich die palästinensischen Anhänger der ursprünglich ägyptischen MB zur HAMAS zusammen. In ihrer Charta von 1988 bekennt sich die Organisation zu dem Ziel, auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" einen islamischen Staat zu errichten - auch durch Führung eines bewaffneten Kampfes. Unter "Palästina" versteht die HAMAS dabei das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, welches somit auch das Territorium des Staates Israel umfasst. 134 Islamismus Grund der Beobachtung Aus Sicht der MB sollten die von Gott vorgeschriebenen Regeln über allem stehen. Die Ideologie der MB steht damit im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der Religionsausübung sowie der allgemeinen Gleichberechtigung. Bezüglich der HAMAS ist festzustellen, dass sie bereits vor dem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023 für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelisches Territorium verantwortlich war. Ihre Aktivitäten richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und sind geeignet, sowohl deutsche Interessen im Ausland als auch israelische und jüdische Interessen im Inland zu gefährden. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Vereinzelt traten in Moscheen Prediger auf, die ideologische Standpunkte der MB propagierten. Die Erwähnung einschlägiger Aktivitäten im Land in den Verfassungsschutzberichten des Landes Sachsen-Anhalt seit 2017 führte offensichtlich zur Zurückhaltung bei den öffentlichen Äußerungen von Anhängern der MB. Ein dominierender Einfluss von MB-Anhängern auf den Vorstand eines Moscheevereins war bis 2020 wahrnehmbar. Bewertung, Tendenzen, Ausblick In Sachsen-Anhalt gibt es nach wie vor Personen, die der Ideologie der MB folgen. Die in Sachsen-Anhalt aktiven MB-Anhänger sind größtenteils Persönlichkeiten, die führende Funktionen in ihren jeweiligen Gemeinden innehaben. Ihr Ziel ist letztlich die Abschaffung der Demokratie und die Gründung eines auf religiösen Regeln basierenden Gottesstaates. Sie sind bestrebt, das Gedankengut der MB weiter zu verbreiten, und bemüht, sich dabei als gemäßigte Muslime darzustellen. Es besteht unverändert die Gefahr, dass die Selbstinszenierung der MB-Anhänger als vertrauenswürdige zivilgesellschaftliche Akteure bei Verantwortungsträgern in Kommunen, Land, Kirchen und Zivilgesellschaft verfängt und zu Fehleinschätzungen führen kann. Mitarbeiter von Behörden, Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen sind daher gehalten, kritisch darauf zu achten, wem sie eine Plattform als Gesprächspartner bieten. Als besonders problematisch erweist sich dabei die Tatsache, dass die MB gezielt akademisch ausgebildete Personen akquiriert, die über einen entsprechenden Intellekt und oftmals auch über überdurchschnittliche rhetorische Fähigkeiten verfügen. Diese Fähigkeiten und die Tatsache, dass die MB in Deutschland gewaltlos agiert, lässt MB-Anhänger in den Augen von Politikern, der öffentlichen Verwaltung und von anderen gesellschaftlichen Akteuren (wie z. B. Kirchen) oftmals als seriöse, vertrauenswürdige Gesprächspartner erscheinen, insbesondere dann, wenn die Bezüge der agierenden Personen zur MB nicht bekannt sind. 135 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Auslandsbezogener Extremismus EINLEITUNG Auslandsbezogener Extremismus ist ein Sammelbegriff für sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von ausländischen Organisationen und von ihren von Deutschland aus agierenden Strukturen, die nicht religiös motiviert sind. Im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus finden sich Ideologieelemente sowohl aus dem Rechtsund Linksextremismus als auch aus dem Separatismus. Die Aktivitäten extremistischer Organisationen mit Auslandsbezug in Deutschland werden stark von der Situation in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Ihr Ziel ist zumeist die radikale Veränderung der politischen Verhältnisse in diesen Ländern, was in vielen Fällen auch mittels Gewalt erreicht werden soll. Deutschland gilt den meisten Organisationen im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus als Rückzugsraum. Der Verfassungsschutz beobachtet diese Organisationen, wenn sie durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG-LSA) oder ihre Aktivitäten gegen das Prinzip der Völkerverständigung gerichtet sind (SS 4 Abs. 1 Nr. 5 VerfSchG-LSA). In Sachsen-Anhalt tritt vorrangig die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mit nennenswerten Strukturen in Erscheinung. Die Aktivitäten ihrer Anhänger beschränken sich im Allgemeinen auf das Sammeln von Spendengeldern sowie die Organisation und Durchführung von anlassbezogenen Kundgebungen, Demonstrationen und anderen Aktionen. Regelmäßig nehmen PKK-Anhänger aus Sachsen-Anhalt an alljährlichen zentralen Großveranstaltungen wie dem "Newroz-Fest" oder dem "Internationalen Kurdistanfestival" teil. Diese Ereignisse werden von der PKK zur Propagierung ihrer politischen Forderungen (Anerkennung der kurdischen Identität und Autonomie, Aufhebung des PKK-Verbots) genutzt. Daneben waren im Jahr 2024 in Sachsen-Anhalt mit den Gruppierungen "Young Struggle" (YS) und "ZORA" in Dessau-Roßlau sowie einer eigenständigen "ZORA"-Ortsgruppe in Magdeburg die Jugendund Umfeldorganisationen der türkischen "Marxistischen Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) aktiv. Diese sind aufgrund ihrer dogmatischen Ausrichtung eng mit den antiimperialistischen Gruppen der linksextremistischen Szene Sachsen-Anhalts verbunden. So beteiligten sich YSund ZORA-Anhänger im Berichtsjahr wiederholt an Demonstrationen in den linksextremistischen Aktionsfeldern "Antifaschismus" und "Internationalismus" mit den Schwerpunkten "Palästina"und "Kurdistansolidarität" in Magdeburg, Halle (Saale) und Dessau-Roßlau; zum Teil organisierten sie diese Versammlungen sogar. Trotz fehlender MLKP-Strukturen in Sachsen-Anhalt und einer überschaubaren Anhängerschaft der Ortsgruppen von YS bzw. "ZORA" in Dessau-Roßlau und Magdeburg haben sich diese im Berichtsjahr ideologisch und organisatorisch weiter gefestigt und konnten durch strategische Kooperationen mit anderen dogmatischen Gruppen das Versammlungsgeschehen in beiden Städten prägen. 137 Auslandsbezogener Extremismus "Arbeiterpartei Kurdistans" (kurdisch: Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) Weitere ehemalige "Volkskongress Kurdistans" (kurdisch: Kongra Gele Kurdistan, und bestehende KONGRA GEL) Bezeichnungen "Freiheitsund Demokratiekongress" (kurdisch: Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane, KADEK) "Gemeinschaften der Kommunen Kurdistans" (kurdisch: Koma Komalen Kurdistane, KKK) "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (kurdisch: Koma Civaken Kurdistan, KCK) Gründung 27. November 1978 in der Türkei Verbreitung Sitz der Parteiführung in den Kandil-Bergen/Nord-Irak; Verbreitung in Kurdistan (Teile der Türkei, Syriens, Iraks und Irans) sowie Europa, dort vertreten durch den "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (kurdisch: Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen li Ewropa, (KCDK-E)). Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land etwa 250 etwa 250 Bund etwa 15.000 etwa 15.000 Struktur / Das höchste Entscheidungsorgan der PKK sind die "Vereinigten Aufbau Gemeinschaften Kurdistans" (kurdisch: Koma Civaken Kurdistan, KCK) mit ihrem Präsidenten Abdullah Öcalan sowie den Co-Vorsitzenden Bese Hozat und Cemil Bayik. Deren Weisungen werden von regelmäßig wechselnden Führungskadern an die Basis weitergegeben. Die PKK unterteilt das Bundesgebiet in neun Regionen (Eyalet), die wiederum in 30 verschiedene Gebiete (Bölge) aufgeteilt sind. Sachsen-Anhalt findet sich hierbei im Gebiet Sachsen bzw. in der übergeordneten Region Berlin wieder. Zur Umsetzung ihrer Vorgaben bedient sich die PKK-Führung in Europa und Deutschland der örtlichen kurdischen Kulturvereine. Diese Vereine sind zu einem großen Teil in der Dachorganisation "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e. V." (kurdisch: Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya, KON-MED) organisiert. Diesem Dachverband sind wiederum fünf regional zuständige Föderationen untergeordnet. PKK-nahe Vereine auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts werden von der "Freien Kurdistan Föderation Ostdeutschland" (kurdisch: Federasoyna Kurdistaniyen Azad li Rojhilate Almayna, FED-KURD) vertreten, so auch der Verein "Mesopotamien Kulturhaus e.V." in Halle (Saale). Die kurdischen 138 Auslandsbezogener Extremismus Vereine dienen den PKK-Anhängern als Anlaufstelle und Treffpunkt. Überdies versucht die PKK mit Hilfe von Massenorganisationen, in denen sich PKK-Anhänger entsprechend ihrer Berufsund Interessengruppen zusammenfinden, Kurden weiter an die Partei zu binden. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Jugendorganisation "Komalen Ciwan"/"Ciwanen Azad" bzw. deren europäische Jugenddachorganisation "Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS), die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (kurdisch: Tevgera Jinen Kurd li-Ewropaye, TJK-E) und die Studentenorganisation "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (kurdisch: Yekitiya Xwendekaren Kurdistan, YXK). Die Mitglieder beziehungsweise Anhänger dieser Organisationen bilden ein großes Mobilisierungspotenzial für die zahlreichen Veranstaltungen der PKK. Zudem rekrutiert die PKK insbesondere in den Jugendorganisationen ihren Nachwuchs für den bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten. Veröffentlichungen PKK-Nachrichtenagentur "Ajansa Nuceyan a Firate" (ANF), Publikationen: "Yeni Özgür Politika" (YÖP) "Serxwerbun" (Unabhängigkeit) u. a. Finanzierung Spenden (jährlich ca. 16 Mio. Euro), Einnahmen aus dem Verkauf von kurdischen Publikationen und Eintrittskarten für diverse Großveranstaltungen, Mitgliedsbeiträge von der PKK nahestehenden Vereinen. Kurzporträt / Ziele Abdullah Öcalan gründete gemeinsam mit weiteren Protagonisten im Jahr 1978 die marxistisch ausgerichtete PKK, deren ursprüngliches Ziel die Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staates auf den Gebieten Südostanatolien, Nord-Irak sowie in Teilen des westlichen Iran und des nördlichen Syrien bestand. In dem Selbstverständnis, alleiniger Interessenvertreter der kurdischstämmigen Bevölkerung zu sein, rief Abdullah Öcalan 1984 zur Durchsetzung dieses Ziels zum bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. Hierfür unterhält die PKK seither die "Guerillaverbände der Volksverteidigungskräfte" (HPG). Es kam zu zahlreichen terroristischen Anschlägen innerhalb und außerhalb der Türkei, auch gegen türkische Einrichtungen in Deutschland. Die PKK sowie ihre Nachfolgeorganisationen unterliegen seit 1993 in Deutschland einem Betätigungsverbot. Seit 2002 ist die PKK darüber hinaus von der Europäischen Union (EU) als terroristische Organisation gelistet, wobei der Beschluss zur Listung im Jahr 2019 neu gefasst bzw. begründet wurde. Eine im April 2022 von der PKK eingereichte Klage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Aufführung auf der EU-Terrorliste wurde am 14. Dezember 2022 vom EuGH abgewiesen. Mit der Verhaftung Abdullah Öcalans im Jahr 1999 rückte die PKK zwar von ihren separatistischen Zielen ab; sie bemüht sich seither um eine autonome Selbstverwaltung der Kurden innerhalb der bestehenden Ländergrenzen. Dennoch versucht sie weiterhin ihre Ziele auch 139 Auslandsbezogener Extremismus mit Hilfe von schweren Gewalttaten, einschließlich der Tötung von Menschen, zu erreichen. So verübten zuletzt am 23. Oktober 2024 zwei PKK-Anhänger auf dem Gelände eines türkischen Konzerns für Luftfahrttechnik in Ankara einen Selbstmordanschlag, bei dem fünf Menschen ums Leben kamen und 22 verletzt wurden. Während die PKK auf dem Gebiet der Türkei nach wie vor terroristische Anschläge durchführt, bemüht sie sich in Europa um ein gewaltfreies Auftreten. Europa und insbesondere Deutschland stellen für die PKK eine unverzichtbare rückwärtige Basis dar, aus der die Organisation den Großteil ihrer personellen und finanziellen Ressourcen schöpft. Zur Propagierung ihrer Ideologie nutzt die PKK auch ihre jährlich wiederkehrenden zentralen Großveranstaltungen, für die sie in der Vergangenheit teils tausende Anhänger mobilisieren konnte. Das insgesamt in der Bundesrepublik Deutschland vorhandene Mobilisierungspotenzial kann dabei deutlich über die genannte Anhängerzahl hinausgehen. Grund der Beobachtung Trotz ihres Kurswechsels Mitte der neunziger Jahre zu einem weitgehend friedlichen Verhalten in Deutschland stellt die PKK, insbesondere wegen ihrer fortwährenden Bereitschaft, zu gewaltorientierten Aktionen zurückzukehren, nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Darüber hinaus setzt die PKK ihre Ziele besonders in den kurdischen Siedlungsgebieten weiterhin mit Waffengewalt durch. Mit diesem Verhalten gefährdet sie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG-LSA. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Wiederkehrendes Veranstaltungsgeschehen Am 11. Januar 2024 fand in Paris die alljährliche Gedenkdemonstration anlässlich des Jahrestags des Attentats auf die PKK-Aktivistinnen Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez statt.96 Diese Veranstaltung bildet jedes Jahr den Auftakt der etablierten PKK-Großveranstaltungen. Die Teilnehmerzahl dürfte sich entgegen den Aussagen der Veranstalter (30.000) tatsächlich im mittleren vierstelligen Bereich bewegt haben. Zu der Demonstration waren zahlreiche Busse aus Deutschland angereist. Neben der Veranstaltung in Paris kam es auch 96 Die drei Frauen wurden am 9. Januar 2013 in Paris erschossen. Leyla Saylemez stammte aus Halle (Saale) und war zuletzt als Funktionärin in der PKK-Jugend bekannt. 140 Auslandsbezogener Extremismus in deutschen Städten zu Gedenkveranstaltungen (u. a. in Berlin, Frankfurt am Main, Dresden). In Halle (Saale) wurde in diesem Kontext am 9. Januar 2024 eine Kundgebung unter dem Motto "Jahrestag der Ermordung von Sakine Cansiz, Fidan Dogan und Leyla Saylemez" durchgeführt, an der etwa 45 Personen teilnahmen. Der Teilnehmerkreis bestand neben PKK-Anhängern zu einem großen Teil aus Anhängern der linksextremistischen Szene. Am 17. Februar 2024 wurde in Köln (Nordrhein-Westfalen) die ebenfalls jährlich stattfindende Demonstration anlässlich des Jahrestags der Festnahme Abdullah Öcalans am 15. Februar 1994 durchgeführt. An der Veranstaltung nahmen etwa 14.500 Personen teil. Eine Anreise mit eigens organisierten Bussen war auch aus Sachsen-Anhalt vorgesehen. Eine solche gemeinsame Anreise war auch für das am 23. März 2024 in Frankfurt am Main (Hessen) organisierte "Newroz"-Fest angekündigt. An der Veranstaltung unter dem Motto "Newroz bedeutet Freiheit, deine Freiheit bedeutet unsere Freiheit" nahmen insgesamt etwa 35.000 Personen teil. Bereits am 17. März 2024 veranstaltete die kurdische Gemeinde in Halle (Saale) eine "Newroz"-Feier mit etwa 470 Teilnehmenden. Für eine Teilnahme am "Internationalen Kurdistanfestival" am 21. September 2024 in Frankfurt am Main konnten 20.000 Personen mobilisiert werden. Geplante Busabfahrtszeiten für Teilnehmer aus Sachsen-Anhalt konnten den PKK-nahen kurdischen Medien entnommen werden. Der KCDK-E organisierte am 16. November 2024 in Köln eine Großdemonstration unter dem Motto "Free Öcalan". Von zunächst 15.000 erwarteten Teilnehmern nahmen letztlich etwa 7.500 Personen teil. Unter diesen befanden sich auch Angehörige der linksextremistischen Szene Sachsen-Anhalts. Kurdistansolidarität Der Sturz Bashar Al Assads97 in Syrien durch die Hai'at Tahrir asch-Scham (HTS)98 wirkte sich auch auf die kurdischen Selbstverwaltungsgebiete ("Rojava") in Nordsyrien und - mit Blick auf die hier lebende, große syrische Diaspora - ebenso auf die Sicherheitslage in Deutschland aus. Bislang ist nicht absehbar, inwieweit eine neue syrische Regierung die Interessen der Kurden in Syrien berücksichtigen wird. Aufgrund dieser unklaren Situation für die syrisch-kurdischen Siedlungsgebiete führte die PKK im Dezember 2024 zahlreiche Kundgebungen im Bundesgebiet durch, um auch hier auf die unsichere Situation in Syrien aufmerksam zu machen. Dabei traten in Sachsen-Anhalt insbesondere linksextremistische Gruppen mit versammlungsrechtlichen Aktionen in Erscheinung, darunter mit einer Demonstration am 14. Dezember 2024 anlässlich des bundesweiten Aktionstags der Initiative "RiseUpForRojava". Im Zusammenhang mit diesem Aktionstag wurden auch das türkische Generalkonsulat in Frankfurt am Main und am 16. Dezember 2024 das Brandenburger Tor besetzt. Unter dem Schlagwort der "Kurdistansolidarität" waren bereits am 22. Februar 2024 etwa 30 Personen u. a. aus Sachsen-Anhalt in das "AGORA-Gebäude" des Europarats in Straßburg 97 Präsident in Syrien von 2000 bis Dezember 2024. 98 Ehemaliges Bündnis von Milizen in Syrien; Nachfolger der als islamistische Terrororganisation eingestuften "Jabhat al-Nusra". 141 Auslandsbezogener Extremismus (Frankreich) eingedrungen und hatten an dessen Fassade Banderolen mit dem Bildnis Abdullah Öcalans entrollt. Bei der Räumung des Gebäudes durch die Polizei kam es zu Widerstandshandlungen. Strafverfahren gegen PKK-Funktionäre Die Mitgliedschaft in der PKK ist gemäß SSSS 129a, b StGB strafbar, weshalb insbesondere PKK-Führungsfunktionäre in Deutschland regelmäßig angeklagt und verurteilt werden. Unter anderen verurteilte am 22. März 2024 das OLG Frankfurt am Main einen PKK-Gebietsleiter wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Er soll seit 2019 als hauptamtlicher Kader der PKK tätig gewesen sein und in dieser Zeit unter anderem das PKK-Gebiet Sachsen geleitet haben, zu dem auch der Bereich Sachsen-Anhalt gehört. Am 21. November 2024 wurden in Sachsen-Anhalt zwei PKK-Führungspersonen aufgrund eines Haftbefehls des OLG Naumburg wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in bzw. Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß SSSS 129 a, b StGB festgenommen. Darüber hinaus wurden Durchsuchungen an mehreren Objekten durchgeführt. Bewertung/Tendenzen/Ausblick Mit Blick auf die deutschlandweit bedeutsamen Großveranstaltungen konnte die PKK erneut zahlreiche Anhänger mobilisieren. Auch fanden bei politischen oder militärischen Ereignissen in den kurdischen Siedlungsgebieten bundesweit zahlreiche anlassbezogene Demonstrationen und Kundgebungen statt. Im Gegensatz dazu zeigten sich die PKK-Anhänger in Sachsen-Anhalt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen weiterhin zurückhaltend. Versammlungen mit Bezügen zur PKK wurden, wie bereits in der jüngeren Vergangenheit, zumeist von Anhängern der linksextremistischen Szene initiiert. Gleichwohl werden nach wie vor auch hier Spendengelder und Mitgliedsbeiträge von der PKK eingesammelt und PKK-Presseartikel verkauft. Ebenso verdeutlicht die Festnahme zweier PKK-Führungspersonen im Berichtsjahr, dass die Organisation offenbar unvermindert Aktivitäten in Sachsen-Anhalt entfaltet. Auch für eine Teilnahme an bundesweit zentralen PKK-Veranstaltungen lassen sich Anhänger aus Sachsen-Anhalt motivieren. Die PKK wird sich weiterhin mit einem weitgehend gewaltfreien Auftreten in Deutschland darum bemühen, die öffentliche Meinung über ihre Organisation in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch wird sie auf politischer Ebene weiter daran arbeiten, ihre Einstufung als terroristische Vereinigung zu revidieren. Der Anschlag der PKK im Oktober 2024 in der Türkei macht allerdings erneut ihr unverändert vorhandenes Gewaltpotenzial deutlich. Wenngleich die PKK-Führung in Deutschland weiterhin zum Gewaltverzicht aufruft, wurden die Attentäter von vielen PKK-Anhängern als Helden gefeiert, die angeblich aus Selbstverteidigungsgründen handeln mussten. In Anbetracht der anhaltenden Kämpfe im Nordirak wird die PKK ihre Rekrutierungsbemühungen voraussichtlich fortsetzen. Vor allem junge Anhänger der in Sachsen-Anhalt im Bereich der "Kurdistansolidarität" aktiven Gruppen gehören zur Zielgruppe der Rekrutierer. 142 Auslandsbezogener Extremismus Sollte sich die Entwicklung in den selbstverwalteten kurdischen Gebieten in Nordsyrien gegen die Interessen der PKK richten, wird auch dort der Bedarf an neuen Kämpfern weiter auf einem hohen Niveau bleiben. Im Berichtszeitraum entfalteten die Anhänger der PKK in Sachsen-Anhalt im Hinblick auf Veranstaltungen und Versammlungen nur geringe Aktivitäten. Dennoch können bedeutende politische Entwicklungen in den kurdischen Siedlungsgebieten aufgrund einer hohen Emotionalisierung jederzeit eine große Anzahl von Anhängern und Unterstützern für öffentlichkeitswirksame Aktionen mobilisieren. Ende Februar 2025 hat Abdullah Öcalan aus der Haft heraus dazu aufgerufen, die PKK aufzulösen und den bewaffneten Kampf zu beenden. Mit einer im Mai 2025 im Nordirak eigens dafür einberufenen Konferenz kamen die Delegierten dieser Forderung nach und fassten den Beschluss, die PKK aufzulösen und die Kämpfe einzustellen. Dieser Schritt schürte Hoffnungen auf eine Lösung des Kurdenkonflikts. Ob allerdings alle Anhänger der PKK der Entscheidung folgen werden, bleibt fraglich, da ähnliche Friedensgespräche bereits 2015 gescheitert waren. 143 Auslandsbezogener Extremismus "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (türkisch: "Marksist Leninist Komünist Parti", MLKP) Gründung 1994 in der Türkei Verbreitung Türkei, Kurdistan (Teile der Türkei, Syriens, Iraks und Irans) sowie Europa Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land - niedrige zweistellige Zahl Bund etwa 600 etwa 600 Struktur / Die MLKP agiert sowohl in der Türkei als auch in Deutschland Aufbau konspirativ und ist nach eigenen Angaben in der Basis in Zellen organisiert. Geleitet wird sie von einer Funktionärsgruppe. In der Türkei verfügt die MLKP mit den "Bewaffneten Einheiten der Armen und Unterdrückten" (FESK) über einen bewaffneten Arm, der dort wiederholt Anschläge verübt hat. Zu den Umfeldorganisationen der MLKP in Deutschland zählen die "Konföderation der unterdrückten Migranten in Europa" (AvEG-Kon) und die "Föderation der Arbeitsmigrant/innen in Deutschland e. V." (AGIF). Außerdem sind in Deutschland die MLKP-Jugendorganisation "Young Struggle" und die Umfeldorganisation für junge Frauen "ZORA" mit mehreren Ortsgruppen aktiv. In Sachsen-Anhalt existieren eine "Young Struggle"und eine "ZORA"-Ortsgruppe in Dessau-Roßlau, die 2023 aus der linksextremistischen Gruppierung "Offensive Jugend Dessau" (OJD) hervorgegangen sind. Außerdem ist in Magdeburg eine eigenständige "ZORA"-Ortsgruppe aktiv. Alle drei Gruppen sind eng mit dogmatischen Gruppen der linksextremistischen Szene SachsenAnhalts verbunden. Veröffentlichungen "Atilim" (Zeitung, wöchentlich) "Partinin Sesi (Parteizeitung, zweimonatlich) Finanzierung Spenden, Einnahmen aus dem Verkauf von Publikationen und Eintrittskarten für Veranstaltungen Kurzporträt / Ziele Die MLKP strebt in der Türkei die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung und die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems (Diktatur des Proletariats) an. Dabei beruft sich die MLKP auf die Lehren von Marx und Engels, ergänzt durch ideologische Leitlinien von Lenin und Stalin, und versteht sich als politische Vorhut des Proletariats der türkischen und kurdischen Nation sowie der nationalen Minderheiten. Zum Erreichen ihrer Ziele bedient sich die MLKP in der Türkei auch terroristischer Mittel. Sie ist daher in der Türkei als Terrororganisation verboten und operiert im Verborgenen. Die MLKP unterstützt die 144 Auslandsbezogener Extremismus PKK und hat gemeinsam mit dieser für den Kampf gegen den IS99 mobilisiert. In Deutschland agiert die MLKP in der Regel mittels ihrer Umfeldorganisationen. Anstelle ihrer in der Türkei operierenden "Kommunistischen Jugendorganisation" (KGÖ) ist für die MLKP in Deutschland die Jugendgruppe "Young Struggle" (YS) aktiv. Die Organisation wurde 2010 in Stuttgart (Baden-Württemberg) gegründet und fungiert als Dachverband für alle MLKP-Jugendorganisationen in Europa. YS ist beständig bemüht, Mitglieder für sich und die MLKP zu gewinnen und sucht zu diesem Zweck die Zusammenarbeit mit linksextremistischen Gruppen aus dem dogmatischen und antiimperialistischen Spektrum. YS steht der Gruppe "ZORA" nahe, die sich als antikapitalistische Frauenorganisation im Kampf gegen das Patriarchat und die Klassengesellschaft versteht. Anders als in anderen linksextremistischen Organisationen mit Türkei-Bezug sind in den Gruppierungen YS und ZORA nicht nur Personen mit türkischem oder kurdischem Hintergrund, sondern auch Jugendliche ohne Migrationshintergrund organisiert. Dies trifft auch auf die YSund ZORA-Gruppen in Sachsen-Anhalt zu. Grund der Beobachtung Wenngleich die MLKP in Deutschland bislang gewaltfrei agiert, werden ihre terroristischen Aktivitäten in der Türkei durch ihre Aktivitäten hierzulande unterstützt. Mit ihrem Verhalten gefährdet die MLKP daher die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG-LSA. Darüber hinaus bestehen Anhaltspunkte dafür, dass die Aktivitäten der Jugendund Umfeldorganisationen der MLKP, insbesondere von YS und ZORA, Bestrebungen darstellen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 4 Abs. 1 Nr. 1 VerfSchG-LSA gerichtet sind. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Nachdem die antiimperialistische Gruppierung OJD im Jahr 2023 in den Dessau-Roßlauer Ortsgruppen von YS und ZORA aufgegangen war, prägten deren Anhänger im Berichtsjahr 2024 weiterhin das linksextremistische Versammlungsgeschehen in Dessau-Roßlau. Dabei schlug sich der Auslandsbezug zur türkischen MLKP, der ihrer organisatorischen Neuausrichtung zugrunde lag, auch in den Aktivitäten dieser Gruppierungen nieder. So führte die YS-Ortsgruppe in Dessau-Roßlau am 3. Januar 2024 eine Gedenkveranstaltung für zwei MLKP-Kämpfer durch, die ein Jahr zuvor bei einem türkischen Luftangriff im kurdischen Autonomiegebiet "Rojava" ums Leben gekommen waren. Zudem forderte "YS Dessau" anlässlich des "Internationalen Tags der politischen Gefangenen" am 18. März 2024 "Freiheit für die Genoss:innen der SGDF". Hierbei handelt es um die "Föderation sozialistischer Jugend99 Zum IS vgl. auch das Kapitel "Islamismus", S. 128 ff. 145 Auslandsbezogener Extremismus verbände in der Türkei" ("Sosyalist Genclik Dernekleri Federasyonu"), die am Aufbau der administrativen Selbstverwaltung in "Rojava" mitgewirkt hat und enge Verbindungen zur MLKP unterhält. Am 8. Juni 2024 nahmen Anhänger der Ortsgruppen von YS und ZORA in Dessau-Roßlau außerdem am "Ivana-Hoffmann-Festival" in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) teil, einer alljährlichen "Märtyrer-Gedenkveranstaltung" von MLKP und YS. Ivana Hoffmann war Anhängerin beider Organisationen und wurde 2015 im Alter von 19 Jahren als erste Deutsche im bewaffneten Kampf gegen den IS in Syrien getötet. Für YS und die MLKP in Deutschland hat Ivana Hoffmann eine enorme symbolische und identitätsstiftende Bedeutung; sie wird mit regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungen anlässlich ihres Geburtsund Todestages als "unsterbliche Märtyrerin" gefeiert. Das "Ivana-Hoffmann-Festival" 2024 stand unter dem Motto "Jin, Jiyan, Azadi! - Frauen kämpfen international!"100 und verlief mit mehreren hundert Teilnehmern störungsfrei. Darüber hinaus beteiligten sich die Dessauer Ortsgruppen von YS und ZORA im Berichtszeitraum an verschiedenen Aktionen und Veranstaltungen, die ihre ideologische Verortung im dogmatischen, antiimperialistischen Linksextremismus belegen. So organisierte "YS Dessau" für den 27. April 2024 eine Demonstration zum "Tag der Arbeit" unter dem Motto "Gegen ihre Regierungen! Die Zukunft gehört uns". Mit rund 100 Personen blieb die Zahl der Teilnehmer im Rahmen der vorangegangenen Jahre. Aus Magdeburg beteiligten sich die Anhänger der linksextremistischen Gruppen "Roter Aufbau Burg" und "Offenes Antifaschistisches Treffen Magdeburg und Umgebung"; aus Leipzig reisten die Ortsgruppen von YS sowie des "Kommunistischen Aufbaus" an. Insgesamt verlief die Demonstration störungsfrei. Auch an den linksextremistischen Demonstrationen, die von anderen dogmatischen Gruppen in Halle (Saale) und Magdeburg anlässlich des "Tags der Arbeit" organisiert wurden, beteiligten sich YS-Anhänger aus Dessau. So mobilisierte "YS Dessau" für die Vorabenddemonstration des "Solidaritätsnetzwerks" (Solinetz) in Halle (Saale), die am 30. April 2024 unter dem Motto "Milliardäre stürzen! Kriegstreiber entwaffnen! Sozialismus erkämpfen!" stattfand, und reiste mit mehreren Anhängern zur "revolutionären 1. Mai-Demonstration", die von verschiedenen kommunistischen und antiimperialistischen Gruppen in Magdeburg organisiert wurde.101 100 "Jin Jiyan Azadi" bedeutet sinngemäß übersetzt: "Frauen, Leben, Freiheit". Die Parole entstand während der Proteste in Iran im Herbst 2022 nach dem Tod der kurdischstämmigen Iranerin Jina Mahsa Amini, den die Protestierenden auf die gewaltsame Festnahme durch iranische Sicherheitskräfte zurückführten. Später wurde die Parole auch von Gruppierungen übernommen, die der PKK nahestehen. Mittlerweile wird sie von den unterschiedlichsten Gruppierungen und Organisationen genutzt. 101 Vgl. hierzu auch das Kapitel "Linksextremismus", S. 99. 146 Auslandsbezogener Extremismus Neben der regelmäßigen Beteiligung an den Versammlungen von YS veranstaltete "ZORA Dessau" am 17. August 2024 erstmals ein sogenanntes "Palästina Cafe". Ziel dieses Veranstaltungsformats sollte es laut Ankündigung sein, als "ein Ort des Widerstands und der unermüdlichen Solidarität" in "Vorträgen und Diskussionen [...] die Historie auf[zu]arbeiten und über die Schrecken [zu] sprechen, die in Palästina tagtäglich seit dem frühen 20. Jahrhundert geschehen." Mit den etablierten israelfeindlichen Narrativen des antiimperialistischen Spektrums wurde Israel ein "Genozid" an "den Palästinensern" vorgeworfen, während der Terrorangriff der HAMAS vom 7. Oktober 2023 unerwähnt blieb. Mangels Außenwirkung wurde das Veranstaltungsformat nicht fortgesetzt. Auch die Magdeburger ZORA-Ortsgruppe trat im Berichtsjahr verstärkt bei Aktionen der linksextremistischen Szene in Magdeburg in Erscheinung. So war sie im Oktober und November 2024 zusammen mit der Gruppierung "Frauenkampftag.SFO" in die Organisation der Kampagne "Nicht eine weniger!" eingebunden, die sich auf den "Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen" am 25. November 2024 bezog.102 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Berichtsjahr trat die MLKP in Sachsen-Anhalt weiterhin ausschließlich über ihre Jugendund Umfeldorganisationen YS und ZORA in Erscheinung. Trotz fehlender Parteistrukturen und einer überschaubaren Anhängerschaft der Dessauer und Magdeburger Ortsgruppen von YS bzw. ZORA konnten sich diese im Berichtsjahr ideologisch und organisatorisch weiter festigen. Neben dem organisatorischen Auslandsbezug dieser Gruppen zur MLKP kam dabei ihre ideologische Verortung im dogmatischen und antiimperialistischen Spektrum der linksextremistischen Szene zum Ausdruck. Ähnlich wie im Fall von kommunistisch orientierten Gruppen ohne Auslandsbezug sind die Aktivitäten von YS und ZORA auf der ideologischen Grundlage des Marxismus-Leninismus gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet; sie zielen auf die Umwälzung des demokratischen Rechtsstaats in eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung auch mit gewaltvollen Mitteln ab. In der Zukunft ist weiterhin mit eigenständigen und gemeinschaftlichen Agitationsund Versammlungsaktivitäten der Dessauer und Magdeburger Ortsgruppen von YS bzw. ZORA zu rechnen. Neben dem traditionellen linksextremistischen Aktionsfeld des "Antifaschismus" bieten hier vor allem etwaige politische Maßnahmen einer neuen Bundesregierung in der Migrationskontrolle sowie in der Rüstungsund Verteidigungspolitik zahlreiche Anknüpfungspunkte für Aktivitäten in den Aktionsfeldern "Antirassismus" und "Antimilitarismus". 102 Zu der Gruppierung "Frauenkampftag.SFO" sowie zu der Kampagne "Nicht eine weniger!" vgl. das Kapitel "Linksextremismus", S. 97 u. 101. 147 SCIENTOLOGY ORGANISATION Scientology Organisation SCIENTOLOGY ORGANISATION Gründung 1954 von Lafayette Ronald Hubbard (1911-1986) in den USA; 1970 erste Niederlassung in Deutschland Sitz Los Angeles (USA) Mitglieder / 2023 2024 Anhänger Land einstellige Zahl einstellige Zahl Bund 3.600 3.600 Struktur / Die SO ist streng hierarchisch organisiert. Nachfolger des 1986 Aufbau verstorbenen Gründers L. Ron Hubbard ist David Miscavige, der die Organisation bis heute als Vorsitzender des Religious Technology Centers (RTC) steuert. Der Dachverband in Deutschland ist die "Scientology-Kirche Deutschland" (SKD) mit Sitz in München. Die lokalen Niederlassungen gliedern sich in sieben sogenannte Kirchen (Orgs), mehrere kleinere Missionen und zwei sogenannte Celebrity Centres in München und Düsseldorf. Große und repräsentative Orgs mit überregionaler Bedeutung, die möglichst alle Dienstleistungen der SO unter einem Dach anbieten, werden als "Ideale Orgs" bezeichnet. Im Rahmen der "Ideal-Org"-Kampagnen will die SO weltweit in Städten, die sie zur Erreichung ihrer Ziele als politisch und wirtschaftlich bedeutsam erachtet, "Ideale Orgs" aufbauen bzw. bestehende Einrichtungen vergrößern. Dieser Aufbau wird allein aus Spenden finanziert. Derzeit existieren drei "Ideale Orgs" in Deutschland: in Berlin, Hamburg und Stuttgart. Die SO verfügt über einen eigenen Geheimdienst, das "Office of Special Affairs" (OSA), welches gegen SO-kritische Positionen und Personen vorgehen soll. Es ist davon auszugehen, dass die SO mithilfe des OSA zielgerichtet personenbezogene Informationen zu ihren Kritikern und Gegnern sammelt und diese in gerichtlichen Verfahren oder für Diffamierungskampagnen nutzt. Der "Church"-Bereich (d.h. der Bereich der ideologischen und indoktrinären Kernarbeit) ist neben den Tarnorganisationen "World Institute of Scientology Enterprise" (WISE) und "Association for Better Living and Education" (ABLE) eine der wichtigsten organisatorischen Säulen der SO. Mit Hilfe dieser und anderer Tarnund Nebenorganisationen - wie bspw. "The Way to Happiness Foundation" (TWTH-Foundation), "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben", "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM) - soll der Schein einer attraktiven, humanitären und sozialen Organisation gewahrt werden. Da diese Nebenund Tarnorganisationen auf den ersten Blick einen Zusammenhang mit der SO nicht erkennen lassen, wird hierüber versucht, sich in unterschiedliche gesellschaftliche und politische Themen einzubringen, um die Ideologie der SO in die Gesellschaft zu tragen. Hierbei besteht grundsätzlich die Gefahr, dass Veranstaltungen der Nebenund Tarnorganisationen nicht als Aktivität der SO 149 Scientology Organisation erkannt werden und daher unwissentlich auf Kontaktangebote der SO eingegangen wird. 103 104 Kurzportrait / Ziele Gemäß der als unveränderlich und bindend angesehenen Ideologie von Hubbard verfolgt die SO das Ziel, einen "Clear-Planeten" zu erschaffen: In diesem angestrebten Idealzustand sollen alle Menschen Teil der scientologischen Gemeinschaft sein. Die SO strebt danach, eine Weltordnung zu etablieren, in der die Werte und Ansichten von Scientology universelle Geltung haben. Dieses System steht im direkten Widerspruch zum verfassungsrechtlich verankerten Gleichheitsprinzip, da die SO eine Einteilung der Menschen in Kategorien wie "Aberrierte" (Nicht-Scientologen), "Nichtaberrierte" (Scientologen) und geistig Gestörte vornimmt, wobei letztere in ihren Menschenrechten eingeschränkt werden sollen. Um die scientologische "Ethik" durchzusetzen, strebt die SO danach, Einfluss auf Gesellschaft, Wirtschaft und Politik auszuüben. Grund der Beobachtung Seit 1997 wird die SO von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Ihre Lehre zielt auf die Einschränkung oder Außerkraftsetzung wesentlicher Grundund Menschenrechte (etwa der Unantastbarkeit der Menschenwürde, der Meinungsfreiheit und der Gleichheit aller vor dem Gesetz) ab. Darüber hinaus strebt die SO eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an. Während die Organisation ihre extremistischen Ziele nach außen verbergen will oder leugnet, vertritt sie diese unverstellt gegenüber ihren Anhängern und offenbart dabei ihr totalitäres Programm. Mit der Entscheidung des OVG Münster vom 12. Februar 2008 ist die Rechtmäßigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz bestätigt worden. 103 Das "S" steht für "Scientology". Das untere ARC-Dreieck steht für "Affinität", "Realität" und "Kommunikation" ("Communication"); das obere KRC-Dreieck steht für "Wissen" ("Knowledge"), "Verantwortung" ("Responsibility") und "Kontrolle" ("Control"). 104 Das Scientology-Kreuz entstand 1954. L. Hubbard fand den grundlegenden Entwurf für das Sonnenkreuz der Scientology in einer alten spanischen Mission in Arizona. 150 Scientology Organisation Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die SO setzte im Berichtszeitraum weiterhin auf bewährte Methoden, um ihre Ziele zu erreichen, und erschloss sich zusätzlich neue Bereiche im digitalen Raum. Die Organisation bemüht sich nach wie vor intensiv darum, gesellschaftliche Anerkennung zu erlangen, ihre Mitgliederzahl zu vergrößern und ihre finanziellen Ressourcen auszubauen. Besonders junge Erwachsene stehen im Fokus ihrer Rekrutierungsversuche. Dennoch wird die SO ihrem Ziel, eine scientologische Gesellschaft in Sachsen-Anhalt zu etablieren, nicht näherkommen. Es gelingt ihr weiterhin nicht, in Sachsen-Anhalt Mitglieder zu gewinnen oder stabile Strukturen aufzubauen. 151 SPIONAGEABWEHR Spionageabwehr EINLEITUNG Spionage zielt darauf, auf illegale Weise schützenswerte, geheimhaltungsbedürftige und geheim gehaltene Informationen aus anderen bzw. über andere Staaten zu gewinnen oder Einfluss auf die Tätigkeit staatlicher Behörden auf allen Ebenen zu nehmen. Der Begriff umfasst nachrichtendienstliches Agieren fremder Mächte zum Zweck des verdeckten und illegalen Erkundens und Beschaffens nichtöffentlicher Informationen zu politischen Entscheidungsprozessen sowie zu wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Potenzialen eines anderen Staates. Dies soll dem spionierenden Staat einen Informationsvorsprung verschaffen. Als eine der führenden Exportnationen mit Standorten zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie sowie aufgrund ihrer geostrategischen Lage und ihrer bedeutenden Position innerhalb der Europäischen Union (EU) und der NATO ist die Bundesrepublik Deutschland ein prioritäres Aufklärungsziel für Nachrichtendienste fremder Staaten. Die Aufgabe der Spionageabwehr ist es daher, sich mit der Aufklärung, der Abwehr und der Prävention von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste zu beschäftigen. Sie sammelt Informationen über geheimdienstliche Aktivitäten und wertet sie aus. Die gesetzliche Grundlage dafür bildet SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA. Im Rahmen der sogenannten "360-Grad-Bearbeitung" geht sie allen Anhaltspunkten für sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht nach. Hierbei besteht eine enge Kooperation mit dem BfV, den Verfassungsschutzbehörden der Länder, dem Bundesamt für den militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und allen anderen Sicherheitsbehörden. Da die Tätigkeit von Nachrichtendiensten im Zielland von der jeweiligen Spionageabwehr beobachtet wird, werden Angehörige von Nachrichtendiensten häufig unter dem Schutz des Diplomatenstatus oder der konsularischen Immunität in den Auslandsvertretungen der fremden Staaten untergebracht. Man spricht von sogenannten Legalresidenturen. Um an vertrauliche Informationen zu gelangen, setzen ausländische Nachrichtendienste nicht nur eigenes Personal ein; sie sind zudem darum bemüht, Bürger des Gastlandes für ihre Zwecke zu gewinnen und zu steuern. Diese Vorgehensweise ist als Agentenführung bekannt. Abseits dieser "klassischen" Form der Spionage haben nachrichtendienstlich gesteuerte Maßnahmen im Internet in den vergangenen Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Dabei werden verschiedene Kanäle genutzt, um die politischen und gesellschaftlichen Diskurse in den Zielländern zu beeinflussen. Die Strategien reichen von Cyberangriffen bis zur Beeinflussung von sozialen Medien, in denen sogenannte "Trollfabriken" Meinungen und Fakten mit "Fake News" vermischen. In Kurznachrichtendiensten können sogenannte "Robots" in erheblichem Umfang tendenziöse Meinungen verbreiten. Ein weiteres Mittel ist das "Leaken" von Daten, also das Veröffentlichen vertraulicher personenbezogener Informationen, die oftmals illegal erbeutet wurden. Mit dem "Leaken" dieser Daten sollen die Betroffenen bloßgestellt, ihres Einflusses beraubt oder lächerlich gemacht werden. Häufig werden die erbeuteten Dateien zudem mit Malware versehen und somit einer "zweiten Nutzung" zugeführt. Die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran gelten im Wesentlichen als Hauptakteure sicherheitsrelevanter Aktivitäten gegen Deutschland und das Bundesland Sachsen-Anhalt. 153 Spionageabwehr Im Hinblick auf Auslandsreisen, insbesondere in die Russische Föderation und die Volksrepublik China, besteht für deutsche Staatsangehörige die Gefahr, das Interesse der Nachrichtendienste der jeweiligen Staaten zu wecken. Dies kann insbesondere Firmenvertreter und Angehörige des Öffentlichen Dienstes betreffen. Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass immer wieder Reisende mit vermeintlichen Vorwürfen zu Fehlverhalten angesprochen und kompromittierende Situationen geschaffen werden, um Druck auszuüben und in diesem Kontext für nachrichtendienstliche Tätigkeiten zu werben bzw. die Preisgabe von Informationen zu erwirken. Ebenso muss bei solchen Reisen mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass mitgeführte Unterlagen und Technik (Mobiltelefone, Laptops etc.) im Interesse eines Nachrichtendienstes ausspioniert werden. NACHRICHTENDIENSTE DER RUSSISCHEN FÖDERATION Alle Handlungsfelder der deutschen Politik, die einen Bezug zur Russischen Föderation aufweisen, - vor allem die Außen-, Sicherheits-, Bündnisund Wirtschaftspolitik - sind von Interesse für die russischen Nachrichtendienste. Aufklärungsmaßnahmen russischer Nachrichtendienste richten sich speziell gegen politische Mandatsträger, Denkfabriken, Nichtregierungsorganisationen und Vereine mit Bezügen zu Russland oder anderen osteuropäischen Staaten. Mittels Propaganda und der Verbreitung von Desinformation, die insbesondere über staatliche Institutionen, staatlich gelenkte Medien und soziale Netzwerke gestreut wird, versuchen russische Nachrichtendienste, Einfluss auf Willensbildungsprozesse auszuüben, Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen zu erzeugen und die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland auf diese Weise langfristig zu destabilisieren. Die drei maßgeblichen Nachrichtendienste sind: der Auslandsnachrichtendienst Sluschba Wneschnei Raswedki (SWR), der Inlandsnachrichtendienst Federalnaja Sluschba Besopasnosti (FSB) und der militärische Nachrichtendienst Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU). Diese Nachrichtendienste verfügen über weitreichende gesetzliche Befugnisse und unterstützen die Interessen ihrer Regierung mittels offener und verborgener Maßnahmen. Neben den Ministerien für Verteidigung, Inneres und Justiz sowie weiteren Sicherheitsbehörden gehören sie zum unmittelbaren Einflussbereich des russischen Staatspräsidenten. Im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine wurden in den letzten Jahren zahlreiche russische Botschaftsangehörige aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Angehörige der russischen Nachrichtendienste, die in Deutschland (aus der Botschaft in Berlin und dem Generalkonsulat in Bonn heraus) weiterhin aktiv sind, missbrauchen ihren diplomatischen Status und das Vertrauen ihrer nicht selten arglosen Kontaktpersonen. Geschickte Gesprächsführung ermöglicht es ihnen oft, an schutzbedürftige Informationen zu gelangen. Wenn Kontaktpersonen als wertvoll und informationsreich erachtet werden, wird versucht, die bisherigen Kontakte zu vertiefen und konspirative Elemente einzuführen. Offene Telefonate werden vermieden, konspirative Treffen im Voraus festgelegt und persönliche Zuwendungen intensiviert. Um Informationen abzuschöpfen, bauen Nachrichtendienstangehö154 Spionageabwehr rige vertrauensvolle und freundschaftliche Verbindungen auf. Dazu werden Bitten um Zusammenstellung unverfänglicher Informationen geäußert, denen konkrete, mit Sachoder Geldleistungen honorierte Beschaffungsaufträge folgen können. Die dabei von Vertretern konsularischer oder diplomatischer Vertretungen geäußerte Aufforderung zur absoluten Verschwiegenheit kennzeichnet eine konspirative, nachrichtendienstliche Verbindung. Seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat sich die Bedrohung durch mögliche nachrichtendienstliche Aktivitäten gegen politische, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Organisationen auch in Sachsen-Anhalt erhöht. Besonders Ministerien und nachgeordnete Behörden des Landes sind potenzielle Ziele russischer Spionageaktivitäten. Die russische Regierung flankiert ihr militärisches Vorgehen in der Ukraine und die Aktivitäten ihrer Nachrichtendienste im Cyberraum mit Desinformationsund Propagandakampagnen, welche die NATO und "den Westen" als eigentliche Aggressoren darstellen und Zweifel an der Legitimität und Integrität der ukrainischen Regierung hervorzurufen versuchen, um die europäische Unterstützung der Ukraine zu diskreditieren und als schädlich für Europa selbst darzustellen.105 Vor allem russischstämmige und pro-russisch eingestellte Personen im Westen sind eine wichtige Zielgruppe der Kampagnen. Die russische Regierung nutzt seit langem soziale Netzwerke und staatliche Medien, einschließlich Russia Today (RT) und Sputnik, um Desinformation und Propaganda zu verbreiten - auch in Deutschland. Diese Medienhäuser berichten nicht journalistisch unabhängig, sondern stehen unter der Kontrolle des russischen Staates, der sie direkt für Desinformationskampagnen einsetzt. CHINESISCHE NACHRICHTENDIENSTE Die politische Führung der Volksrepublik China (VRC) hat klar definierte Ziele für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Chinas, darunter das Erlangen strategischer Vorteile, die Förderung der eigenen wirtschaftlichen Interessen und die Positionierung als führende Industrienation weltweit. Die Aufgabe der Nachrichtendienste ist es, das Erreichen dieser Ziele durch Informationsgewinnung in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft zu unterstützen und damit die geostrategischen Ambitionen der VRC zu fördern. Die Angehörigen der Nachrichtendienste agieren konspirativ und häufig getarnt als Journalisten, Studierende oder Diplomaten, die in den amtlichen Vertretungen der VRC in der Bundesrepublik Deutschland eingesetzt werden. Die VRC verfügt über folgende Nachrichtendienste: den zivilen Inund Auslandsnachrichtendienst Ministry of State Security - Ministerium für Staatssicherheit (MSS), das Ministry of Public Security - Ministerium für Öffentliche Sicherheit (MPS) und den militärischen Nachrichtendienst Military Intelligence Directorate - Direktorium für den Militärischen Nachrichtendienst (MID). 105 Siehe auch den Abschnitt "Hybride Bedrohungen", S. 158 ff. 155 Spionageabwehr Zudem unterhält die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) mehrere parteieigene funktionale Nachrichtendienste:106 Das "Büro 610" dient der weltweiten Überwachung der Meditationsbewegung "Falun Gong". Das International Liaison Department of the Central Committee of the Communist Party of China (IDCPC) sammelt Tatsachen und Erkenntnisse über Partnerparteien sowie Kontrahenten der KPCh und wertet diese aus. Das United Front Work Department (UFWD) bindet Mitglieder und Nicht-Mitglieder der KPCh innerhalb der VRC und weltweit an die Interessen der KPCh und sorgt für die Umsetzung der Parteilinie. Die chinesische Regierung versucht, gezielt Einfluss auf politische und wissenschaftliche Akteure anderer Staaten zu nehmen und universell gültige Menschenrechte zu relativieren. Dies geschieht unter anderem über die Konfuzius-Institute (KI), die teilweise den Hochschulen der Zielländer angegliedert und organisatorisch eng mit ihnen verflochten sind. Derzeit gibt es 19 chinesische KI in Deutschland. Nach eigener Aussage fördern sie die chinesische Sprache und Kultur im Ausland. Sie versuchen zwar offiziell den Anschein der Unabhängigkeit zu erwecken, unterliegen aber tatsächlich einer direkten politischen Einflussnahme. Die weltweit tätigen KI waren bis 2020 dem "Hanban"107, einer nachgeordneten Behörde des chinesischen Erziehungsministeriums, zugeordnet. Um den Anschein der Unabhängigkeit zu erwecken, sind die KI im Juni 2020 in die "Beijing Chinese international Education Foundation (CIEF)" überführt worden. Mit der gleichzeitigen Gründung des "Center for Language Education and Cooperation (CLEC)" am bisherigen Sitz und als Nachfolger von "Hanban" zeigte sich jedoch, dass damit inhaltlich und personell keine nennenswerte Neuausrichtung der Institutionen verbunden ist. Es ist davon auszugehen, dass die Nähe der KI zur KPCh weiterhin bestehen bleibt und eine Entideologisierung der KI nicht zu erwarten ist. KI gefährden vielmehr auch weiterhin die akademische Freiheit in Forschung und Lehre und werden als wichtige politische Einflussakteure und Instrumente der Machtprojektion der KPCh im Ausland aktiv bleiben. Ein weiterer Aufgabenschwerpunkt chinesischer Nachrichtendienste ist das Ausspähen und die Unterwanderung von oppositionellen Kräften, die von der chinesischen Regierung unter der Bezeichnung "Fünf Gifte"108 als staatsfeindlich beschrieben werden. Die KPCh nimmt innerstaatliche Konflikte mit Oppositionellen und nationalen Minderheiten als Bedrohung der staatlichen Sicherheit wahr. Nach wie vor von großer Bedeutung ist das geostrategische Projekt "Neue Seidenstraße" bzw. die "Belt and Road Initiative" (BRI), mit der die chinesische Staatsführung das Ziel verfolgt, den Zustrom von Rohstoffen in die VRC zu beflügeln und den eigenen Warenabsatz zu 106 Ein funktionaler Nachrichtendienst ist eine Organisation, die Spionage betreibt, ohne Nachrichtenoder Geheimdienst zu sein. 107 "Hanban" ist die chinesische Abkürzung für "Staatliches Führungsgruppenbüro für die internationale Verbreitung der chinesischen Sprache". 108 Dies sind die Meditationsbewegung Falun Gong, die Demokratiebewegung, die Bewegungen für Autonomie in den Provinzen Tibet und Xinjiang sowie Befürworter eines unabhängigen Taiwan. 156 Spionageabwehr verbessern. Die BRI bildet den geologistischen Rahmen für die Umsetzung der von der Staatsführung vorgegebenen Strategie "Made in China 2025". Es gilt, die westliche Innovationsdominanz zu übertreffen und bis zum Jahr 2049 die globale Marktund Technologieführerschaft zu erreichen. Die VRC beabsichtigt daher, die Schlüsselindustrien (wie beispielsweise neue Informationstechnologien, Luftund Raumfahrt, neue Energien und alternative Antriebe) auszubauen. Die Partnerländer der BRI nehmen ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von der VRC, die sich aus der Vorfinanzierung der Errichtungsund Ausbaukosten von Häfen, Autobahnen und weiteren großen Infrastrukturprojekten durch chinesische Kredite ergibt, oftmals bewusst in Kauf. NACHRICHTENDIENSTE DER ISLAMISCHEN REPUBLIK IRAN Das vorrangige Interesse der iranischen Nachrichtendienste gilt der Bekämpfung und Ausspähung von im Inund Ausland lebenden bzw. tätigen oppositionellen Personen und Gruppierungen, zu denen insbesondere der "Nationale Widerstandsrat Iran" und sein ehemals militärischer Arm, die "Volksmodschahedin Iran-Organisation", sowie monarchistische und kurdische Gruppierungen zählen. Es gibt seit Jahren Hinweise auf staatsterroristische Aktivitäten der iranischen Regierung in europäischen Ländern. Als Hauptakteur nachrichtendienstlicher Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland gilt oft das Ministry of Intelligence of the Islamic Republic of Iran (MOIS). Die Revolutionsgarden der Iranian Revolutionary Guard Corps (IRGC) betreiben ebenfalls ihren eigenen Nachrichtendienst, das Revolutionary Guard Intelligence Directorate (RGID), und verfügen mit den Quds Force über Spezialeinheiten für militärische Kommandoaktionen und Staatsterrorismus. Die Ausspähungsaktivitäten der Quds Force richten sich insbesondere gegen (pro-)jüdische bzw. (pro-)israelische Institutionen und Unternehmen sowie einzelne exponierte, für diese Einrichtungen tätige Personen. Führende Politiker Irans haben Israel wiederholt zum Feindstaat erklärt und öffentlich mit der Vernichtung des israelischen Staates gedroht. Iranisch unterstützte Terrororganisationen wie Hizbollah und HAMAS greifen Israel mit Waffengewalt an. In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den letzten Jahren wiederholt geheimdienstliche Ausspähungsaktivitäten und Cyberangriffe iranischer Nachrichtendienste festgestellt. Das so genannte "Mabna Institut", eine Cyberangriffseinrichtung der iranischen Revolutionswächter (Pasdaran), setzte die 2016 begonnenen Angriffsaktivitäten fort und bedrohte sachsen-anhaltische Institutionen und deren ausländische Partner. Neben einem expliziten nachrichtendienstlichen Risiko besteht weiterhin die Gefahr, dass Iran Personen mit doppelter Staatsangehörigkeit bei Einreisen willkürlich inhaftiert, um dies als politisches Druckmittel zu nutzen. 157 Spionageabwehr ANDERE NACHRICHTENDIENSTE Die Nachrichtendienste Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens werden in Deutschland neben den angeführten Ländern hauptsächlich gegen Oppositionelle ihrer Heimatländer aktiv, speziell dann, wenn diese sich in Deutschland gegen die Regierungen ihrer Herkunftsländer engagieren.109 Im Zusammenhang mit nachrichtendienstlich relevanten Vorgängen auf deutschem Boden ist ein verstärktes Agieren der Nachrichtendienste der Türkei zu beobachten. Der Inund Auslandsnachrichtendienst Milli Istihbarat Teskilati (MIT) nimmt in der türkischen Sicherheitsarchitektur eine zentrale Rolle ein. Den Schwerpunkt seiner Arbeit bildet die Aufklärung der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und der sogenannten Gülen-Bewegung. Türkische Stellen machen den im Oktober 2024 verstorbenen islamischen Prediger Fethullah Gülen und dessen Anhänger für den im Sommer 2016 gegen die türkische Regierung unternommenen Putschversuch verantwortlich. Im Fokus türkischer Nachrichtendienste sind weltweit weitere Personen und Organisationen, die aus türkischer Sicht als extremistisch oder terroristisch beurteilt werden. HYBRIDE BEDROHUNGEN Die kombinierte Anwendung konventioneller und nicht-konventioneller Mittel im gesamten Spektrum ziviler bis hin zu (para-) militärischen Maßnahmen kennzeichnet hybride Bedrohungen. Im Regelfall zeichnen sie sich durch die gezielte Verschleierung der eigenen Urheberschaft aus. Hybride Aktivitäten fremder Staaten zielen darauf ab, das gesellschaftliche und politische Gefüge eines anderen Landes nachhaltig zu schwächen. In den letzten Jahren sind diese Aktivitäten zu einem bedeutenden Mittel im Kampf um Einfluss und Vorherrschaft im globalen Gefüge geworden. Der Einsatz von Desinformationskampagnen stellt ein herausragendes Instrument hybrider Strategien dar. Mit der gezielten Verbreitung von Desinformationen wird versucht, Politik, Gesellschaft oder bestimmte Personengruppen anderer Länder zu beeinflussen. Zielrichtung solcher Kampagnen ist die Infragestellung freiheitlicher, demokratischer Werte sowie des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland und anderen westlichen Staaten. Das Internet bietet ideale Bedingungen für entsprechende Initiativen zur Verbreitung irreführender Informationen. Online ausgelöste und gesteuerte Aktionen lassen sich vergleichsweise kostengünstig durchführen und sind leicht zu verschleiern; oft bleiben die Urheber unentdeckt und agieren anonym oder mit falschen Identitäten. Die Urheber und Protagonisten von Desinformationskampagnen verbreiten gezielt und wissentlich falsche Nachrichten und 109 Für Informationen zu nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit Migrationsbewegungen von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten und Nordafrika nach Deutschland vgl. Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Aktivitäten extremistischer Akteure im Zusammenhang mit Flüchtlingen. Eine Handreichung für hauptund ehrenamtlich Tätige in der Flüchtlingshilfe. Magdeburg 2015, S. 41ff. Die Broschüre kann unter https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/publikationen/publikationen-tagungsbaende/ heruntergeladen oder bestellt werden. 158 Spionageabwehr Erzählungen in den sozialen Medien mit dem Ziel, deren Nutzer in die Irre zu führen und auf diese Weise Schaden anzurichten. Ziel dieser hybriden Maßnahmen ist es, das Vertrauen in staatliche Stellen zu untergraben, Politiker und demokratische Prozesse verächtlich zu machen oder gesellschaftliche Konfliktlinien zu vertiefen. Offene, pluralistische und demokratische Gesellschaften, die ein breites Meinungsspektrum zulassen und gerade nicht - wie es in Autokratien geschieht - den Meinungskorridor verengen, sind besonders anfällig für solche Einflussoperationen. Es bedarf daher einer aufmerksamen Öffentlichkeit, um diesen Bedrohungen entgegentreten zu können. Im Jahr 2024 waren erneut Drohnenüberflüge über sachsen-anhaltische Truppenübungsplätze zu verzeichnen, auf denen ukrainische Soldaten ausgebildet wurden. Diese Aktivitäten deuten auf gezielte hybride Operationen hin. Ziel der Ausspähungsaktivitäten dürfte es insbesondere sein, Informationen über Ausstattung und Verhalten der ukrainischen Soldaten zu gewinnen und gleichzeitig politische Unsicherheit zu schüren. Sie sind Ausdruck einer Strategie, die militärische, technische und psychologische Mittel kombiniert, um die politische Unterstützung für die Ukraine zu untergraben. Russische Desinformation im Kontext Hybrider Bedrohungen und des Angriffskrieges gegen die Ukraine Die Russische Föderation versucht seit Jahren, den öffentlichen Diskurs in westlichen Demokratien durch die Verbreitung von Desinformation in ihrem Sinne zu beeinflussen. Sie ist bestrebt, die politische und öffentliche Meinung in Deutschland und anderen Staaten durch das Verbreiten von Desinformation, Propaganda sowie durch weitere Versuche illegitimer Einflussnahme zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Hierfür bedient sie sich auch bestimmter Medien, die Teil ihres staatlichen Propagandaapparates sind. Die eindeutige Zuordnung solcher Kampagnen zu staatlichen Stellen der Russischen Föderation ist zwar oft nicht möglich; jedoch liefern Vorgehensweisen, thematische Aspekte und beteiligte Akteure starke Indizien für mutmaßlich von staatlichen Institutionen der Russischen Föderation beabsichtigte und koordinierte Desinformationskampagnen. Seit dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 haben Desinformationskampagnen ein bisher nicht gekanntes Ausmaß erreicht. In diesem Kontext traten zum einen vermehrt offizielle russische Stellen als Akteure der Verbreitung von Desinformation auf, die sämtliche verfügbaren Kommunikationsmittel nutzten (z. B. offizielle Presseerklärungen des Außenministeriums, eigene Kanäle in sozialen Medien und Webseiten der russischen Botschaften). Zum anderen verbreiteten staatsnahe russische Medien gezielt Falschinformationen, Desinformation und Propaganda. Aufgrund der durch Sanktionen bedingten Einschränkung der Reichweite russischer staatsnaher Medien in Europa, die z. B. das Auslandsprogramm von Russia Today "RT DE" betrifft, intensivierte sich die Verbreitung pro-russischer Desinformation und Propaganda über Accounts in sozialen Medien. In Westeuropa lebende Personen, die dem russischen Angriffskrieg und der aktuellen russischen Regierung unkritisch gegenüberstehen, erweisen sich als wertvolle Multiplikatoren für die Verbreitung dieser Narrative und Propaganda. Im Berichtszeitraum erreichten beispielsweise Telegram-Kanäle wie "Neues aus 159 Spionageabwehr Russland" und "Russländer & Friends", Youtube-Kanäle wie "InfraRot Medien" sowie Webseiten wie "Anti-Spiegel" und "SouthFront", die der Verbreitung pro-russischer Desinformation im deutschsprachigen Raum dienen, hohe Followerbzw. Abonnentenzahlen. Dabei sind zwei verschiedene Ausrichtungen von Desinformationskampagnen erkennbar: (1) Die zielgerichtete Verbreitung von Propaganda und Desinformationen gegenüber der eigenen Bevölkerung (einschließlich im Ausland lebender Staatsbürger) erfolgt in dem Bestreben, den Krieg gegen die Ukraine als Reaktion auf vermeintliche Bedrohungen der Russischen Föderation weiterhin zu legitimieren. Hierbei werden die NATO und der Westen als eigentliche Aggressoren dargestellt, während der Überfall auf die Ukraine als legitimer Akt zur Verteidigung russischer Sicherheitsinteressen präsentiert wird. Gleichzeitig wird die militärische und politische Überlegenheit des eigenen Staates betont, während die westlichen Staaten als schwach dargestellt werden. Das Ziel besteht darin, eine hohe Zustimmung der russischen Bevölkerung zum Vorgehen in der Ukraine zu sichern. So wurde beispielsweise die Behauptung verbreitet, die Ukraine betreibe gemeinsam mit westlichen Staaten geheime Biowaffenlabore in Grenznähe zu Russland. Dieses Narrativ wurde über staatlich kontrollierte Medien sowie soziale Netzwerke weit verbreitet und diente dazu, eine direkte Bedrohungslage zu konstruieren, um den Krieg als notwendige Verteidigungsmaßnahme darzustellen. Ergänzend dazu wurden angebliche militärische Erfolge Russlands betont und wirtschaftliche sowie gesellschaftliche Krisen westlicher Länder überhöht dargestellt, um das Bild eines starken Russlands gegenüber einem angeblich zerfallenden Westen zu erzeugen. (2) Im Hinblick auf die internationale Wahrnehmung besteht das Bestreben der russischen Regierung darin, die Deutungshoheit über die Bewertung des Angriffskriegs gegen die Ukraine aufrecht zu erhalten und negative Reaktionen der Staatengemeinschaft gegenüber Russland sowie eine ideelle und materielle Unterstützung der Ukraine seitens ausländischer Akteure zu erschweren oder zu vereiteln. Hybride Maßnahmen haben auch zum Ziel, den inneren Zusammenhalt der EU und der NATO zu destabilisieren und mögliche Spaltungslinien in den westlichen Gesellschaften zu vertiefen. In diesem Zusammenhang werden gezielt Desinformationen über westliche Waffenlieferungen verbreitet, etwa durch die Behauptung, diese würden in die Hände extremistischer Gruppen gelangen oder den illegalen Waffenhandel befeuern. Über soziale Medien und alternative Nachrichtenseiten werden solche Narrative verstärkt, um Zweifel an der Wirksamkeit und Legitimität der westlichen Unterstützungspolitik zu schüren. Gleichzeitig greifen russische Akteure kontroverse politische Debatten innerhalb der EU - beispielsweise über Energieabhängigkeit, Migrationspolitik oder Haushaltsfragen - auf und verstärken diese gezielt, um das Bild eines zerstrittenen und geschwächten Westens zu fördern. Ziel ist es, die internationale Solidarität mit der Ukraine zu unterminieren und politischen Druck auf westliche Entscheidungsträger zu erzeugen. Durch aufwendig strukturierte Maßnahmen betreibt Russland im politischen Bereich gezielte Einflussnahme. Ein Beispiel ist die Plattform "Voice of Europe", die sich als internationales Nachrichtenportal ausgab, tatsächlich aber Inhalte verbreitete, die mit den außenpolitischen 160 Spionageabwehr Zielen Russlands übereinstimmten. Im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni 2024 wurde diese Operation, die sich unter anderem an Abgeordnete und Kandidaten des Europäischen Parlaments richtete, von mehreren europäischen Sicherheitsdiensten - darunter auch das BfV - identifiziert und gestoppt. Infolgedessen verhängte die EU am 27. Mai 2024 Sanktionen gegen das beteiligte Unternehmen und mehrere zugehörige Personen. Ein weiteres Beispiel ist die sogenannte "Doppelgänger''-Kampagne - eine langfristig angelegte, technisch anspruchsvolle Einflussoperation mit russischem Ursprung. Seit Anfang 2022 werden dabei gezielt Falschinformationen und Propaganda verbreitet, indem Internetseiten etablierter Medien nachgebildet oder vermeintlich unabhängige Nachrichtenseiten aufgebaut werden. Trotz EU-Sanktionen gegen zwei der verantwortlichen Firmen im Jahr 2023 wurden die Aktivitäten fortgesetzt. Ziel ist es, durch vorgetäuschte Glaubwürdigkeit bestimmte Narrative im öffentlichen Diskurs zu verankern. Zur Verstärkung der Reichweite werden Inhalte über automatisierte Konten - etwa im Netzwerk des Kurznachrichtendienstes X - weiterverbreitet. Auch im Kontext der Europawahl 2024 wurde auf diesem Weg gezielt Desinformation zu polarisierenden Themen in den deutschen Informationsraum eingespeist. Der sachsen-anhaltische Landesverband der AfD hat eine Kampagne mit dem Namen "Stoppt die Sanktionen!" gestartet, die sich gegen die wirtschaftlichen Sanktionen der EU und Deutschlands gegenüber Russland richtet.110 Im Zentrum der Kampagne steht die Forderung nach einem Ende der Wirtschaftssanktionen, deren Nutzen und Rechtfertigung durch den Einsatz von Desinformation bestritten wird. Die Kampagne verbreitet das Narrativ, Deutschland schade mit den Sanktionen und der durch sie bewirkten Verschlechterung der Handelsbeziehungen zur Russischen Föderation seinen nationalen Interessen. Der Website der Initiative kann entnommen werden, dass es sich bei der Initiative, entgegen der Behauptung des Landesverbandes der AfD, nicht um eine überparteiliche Initiative handelt: Alle 19 als Unterstützer aufgeführten Politiker sind Mitglieder der AfD. Was können Bürgerinnen und Bürger gegen Desinformation tun? Desinformation entfaltet vor allem dadurch ihre Wirkung, dass ihre wahrheitswidrigen Inhalte bewusst emotionalisieren und dann von vielen Menschen ungeprüft und unkritisch weiterverbreitet werden. Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Widerstandskraft im Informationsraum sind Kernelemente eines wirksamen Schutzes. Die Verfassungsschutzbehörde gibt folgende Handlungsempfehlungen, um nicht Opfer von Desinformation zu werden: In den sozialen Medien verbreitete Informationen sollten nicht ungeprüft weitergeleitet, sondern zunächst kritisch hinterfragt werden. Es ist bekannt, dass Meldungen umso häufiger geteilt werden, je emotionaler oder dramatischer sie formuliert sind. Desinformationskampagnen zielen genau darauf ab, dass sich falsche Meldungen und Nachrichten viral verbreiten und so Verunsicherung schüren und Ängste auslösen - ohne dass deren Wahrheitsgehalt hinterfragt wird. Beteiligen Sie sich nicht an der Verbreitung fragwürdiger oder zweifelhafter Inhalte! 110 Vgl. hierzu auch den Abschnitt "'Alternative für Deutschland' (AfD) Landesverband Sachsen-Anhalt" in dem Kapitel "Rechtsextremismus", S. 25. 161 Spionageabwehr Leiten Sie Informationen nicht blindlings weiter! Seriöse Berichterstattung zeichnet sich durch Unabhängigkeit und Faktenbasiertheit aus. Unabhängige Medien recherchieren ihre Meldungen und bieten zusätzliche Informationen, Hintergrundinformationen und Faktenchecks an. Bei Unsicherheiten geben sie oft Hinweise darauf, dass Bildund Videomaterial oder Berichte aus Krisengebieten nicht unabhängig überprüft werden können. Desinformation hingegen erfolgt gezielt, ist parteiisch und verbirgt oft den wahren Urheber. Hinterfragen Sie Quellen und Urheber kritisch. Nutzen Sie Faktenchecks und lesen Sie Informationen aufmerksam durch. Vergleichen Sie Inhalte mit anderen vertrauenswürdigen Quellen, wie den Nachrichtensendern sowie Tagesund Wochenzeitungen. Die Verfassungsschutzbehörde hat im Vorfeld der Bundestagswahl am 23. Februar 2025 vor einer Zunahme von Desinformationskampagnen gewarnt. Mit Informationen auf ihrer Internetseite sowie mit einer Pressemitteilung im Rahmen der Informationsreihe "Was macht der Verfassungsschutz?"111 sensibilisierte die Verfassungsschutzbehörde die Bevölkerung für die Gefahr der Manipulation des demokratischen Willensbildungsprozesses durch hybride Einflussnahmeaktivitäten fremder Staaten.112 SABOTAGE Die Russische Föderation hat im Zuge ihres völkerrechtswidrigen Angriffskriegs gegen die Ukraine abstrakt den "Westen" und seine freiheitliche Lebensweise zum Feind erklärt. Aufgrund der öffentlichen Äußerungen russischer Spitzenpolitiker müssen die Staaten der EU und der NATO davon ausgehen, dass es zu hybriden Bedrohungen und staatlich gelenkten oder beeinflussten Maßnahmen in ihren Ländern kommen kann. Von besonderer Bedeutung sind dabei mögliche Sabotageaktionen, die von russischen oder prorussisch eingestellten Personen ausgehen, welche von russischen Nachrichtendiensten angeworben oder mittelbar rekrutiert wurden. Der Begriff Sabotage ist nicht zwingend an das Agieren von Nachrichtendiensten gebunden. Unter 111 Vgl. hierzu den Abschnitt "Öffentlichkeitsarbeit und Prävention" in dem Kapitel "Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt", S. 13 ff. 112 "Desinformation und hybride Bedrohungen: Eine Gefahr für die demokratische Willensbildung", URL: https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/informationsreihe-was-macht-der-verfassungsschutz/teil-2-desinformation-und-hybride-bedrohungen-eine-gefahr-fuer-die-demokratische-willensbildung. 162 Spionageabwehr Sabotage ist die absichtliche und zielgerichtete Beeinträchtigung von militärischen oder politischen Prozessen oder von Produktionsabläufen zu verstehen. Dazu können das Beschädigen oder Zerstören wichtiger Anlagen und Einrichtungen (beispielsweise im Bereich kritischer Infrastrukturen) zählen. Der Störungshandlung ist zunächst nicht anzusehen, dass es eine Sabotagehandlung sein könnte, die ein fremder Nachrichtendienst beauftragt hat. Sie kann sich als Sachbeschädigung, Brandstiftung oder andere schädigende Straftat darstellen und im Zusammenhang mit anderen Straftaten (z. B. nachrichtendienstlicher Ausspähung) auftreten. Im Juli 2024 gingen in mehreren europäischen Staaten Pakete, die per Luftfracht versendet wurden oder werden sollten, in Flammen auf. Es handelte sich dabei mutmaßlich um Sabotageaktionen des russischen Militärnachrichtendienstes GRU. Einer dieser Vorfälle ereignete sich am Flughafen Leipzig/ Halle, wo ein mit Zeitzünder und hochentzündlichen Brennstoffen präparierter Brandsatz in Flammen aufging. Für die Umsetzung von Sabotageaktionen bedient sich der GRU häufig sogenannter "LowLevel-Agenten". Damit sind Personen ohne nachrichtendienstlichen Hintergrund gemeint, die niedrigschwellig und über Kontaktpersonen und -netzwerke zur Verschleierung des nachrichtendienstlichen Hintergrunds angeworben und für vergleichsweise einfache Operationen im nachrichtendienstlichen Interesse eingesetzt werden. Den Akteuren ist ihre Einbindung in nachrichtendienstliche Aktionen in der Regel nicht bekannt. Die Motivation zur Übernahme von Aufträgen liegt üblicherweise in finanziellen Interessen oder patriotischen Haltungen, die ausgenutzt werden. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen hat die EU gegen Personen, die aus ihrer Sicht an der Steuerung russischer Sabotageaktivitäten in Europa beteiligt sind, Sanktionen verhängt.113 In Sachsen-Anhalt sind Straftaten gegen Kritische Infrastrukturen bekannt geworden, die die Qualität von Sabotage erreicht haben. Ein konkreter Nachweis für einen nachrichtendienstlichen Hintergrund liegt allerdings in keinem dieser Fälle vor. Seit 2022 warnt der Verfassungsschutz vor der Sabotage Kritischer Infrastrukturen. Diese sind ein potenzielles Angriffsziel von Saboteuren, die von russischen Geheimdiensten beauftragt worden sind. Hierzu veröffentlichte das BfV am 26. Juli 2024 einen "Sicherheitshinweis 113 Als Beispiel sei hier auf den GRU-Oberst Denis Smolyaninov und die GRU-Einheit 29155 verwiesen. Der Rat der Europäischen Union begründet die Sanktionierung von Denis Smolyaninov u. a. wie folgt: "Denis Alexandrovich Smolyaninov ist ein Oberst der GRU, der auf psychologische Kriegsführung spezialisiert ist. [...] Er nutzt Telegram-Kanäle, um Desinformation zu verbreiten, auch in der Ukraine. Über soziale Medien rekrutiert er Agenten für Sabotageakte in der Union und andere Aktivitäten zur Schaffung von Spannungen zwischen NATO-Ländern. Die GRU ist verantwortlich für die aktive Vorbereitung von Explosionen, Brandstiftung und Schäden der Infrastruktur auf dem Gebiet der Union, um Waffenlieferungen in die Ukraine zu verlangsamen, Zwietracht zu säen und den Anschein zu schaffen, dass in Europa Unzufriedenheit in Bezug auf die Unterstützung der Ukraine herrscht. [...]" (Beschluss 2024/3174 des Rates der Europäischen Union vom 16. Dezember 2024 zur Änderung des Beschlusses 2024/2643 über restriktive Maßnahmen angesichts der destabilisierenden Aktivitäten Russlands, URL: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:L_202403174). 163 Spionageabwehr für die Wirtschaft", der auf der Homepage des BfV heruntergeladen werden kann.114 Auf der Homepage des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt steht das Informationsblatt "Schutz vor Sabotage" in deutscher und englischer Sprache zum Download zur Verfügung.115 CYBERABWEHR Unternehmen, Behörden und wissenschaftliche Institutionen sind täglich mit Cyberangriffen konfrontiert. Sie können staatlich geduldet, unterstützt oder sogar gelenkt sein. Fremde Nachrichtendienste sowie andere fremde staatliche oder staatlich unterstützte Cyberakteure bauen ihre Cyberfähigkeiten immer stärker aus. Sie nutzen den Cyberraum als Operationsgebiet, um verborgene Informationen zu erlangen oder ihre Opfer mittels Ransomware zu erpressen.116 Die fortschreitende Digitalisierung aller Lebensbereiche kommt dem Interesse fremder Nachrichtendienste entgegen. Grundsätzlich kann jedes Gerät mit Zugang zum Internet von Cyberakteuren identifiziert und angegriffen werden. Autoritäre Regierungen sind bestrebt, ihre Staaten auch im Internet abzuschotten und Vernetzungsmöglichkeiten unter ihre Kontrolle zu bringen. Aus dieser umfassenden Überwachung kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass von diesen Staaten ausgehende Cyberangriffe nicht unbemerkt bleiben und von den jeweiligen Regierungen daher entweder bloß geduldet oder sogar unterstützt werden. Eine der wirksamsten Cyberangriffsmethoden stellt nach wie vor das "Phishing" dar, bei dem die Zielperson dazu verleitet wird, Kennwort und Passwort an die unbekannten Angreifer weiterzuleiten, die daraufhin Zugriff auf interne IT-Netzwerke erhalten. Auf der Homepage der Verfassungsschutzbehörde finden Sie Handlungsempfehlungen zum Schutz vor "Phishing".117 Cyberangriffe der Russischen Föderation Russische Nachrichtendienste unterhalten Organisationseinheiten, die Cyberangriffe gegen Ziele in der Ukraine, in EUund NATO-Staaten durchführen. Sie nutzen den Cyberraum zur Unterstützung der mittelund langfristigen Absichten der Regierung, aber auch um (Wirtschafts-)Spionage und Sabotage zu betreiben. Daneben gibt es in der Russischen Föderation Cyberakteure, die staatlich gegründet oder staatlich unterstützt, bisweilen auch nur staatlich geduldet sind und die aus kriminellen, nachrichtendienstlichen oder politisch-aktivistischen Motiven gegen europäische und deutsche Ziele handeln. Die Russische Föderation und ihre Unterstützer begreifen den Cyberraum als zusätzliches militärisches Operationsgebiet, auf dem es gilt, empfindliche Schläge gegen feindliche Infrastrukturen auszuführen. 114 https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2024/2024-07-26-sicherheitshinweis-schutz-vor-sabotage.html. 115 https://mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Verfassungsschutz/Referat_44/WiSchu_Sabotageschutz.pdf. 116 Als Ransomware werden Schadprogramme bezeichnet, die den Zugriff auf Daten und Systeme einschränken oder verhindern und diese Ressourcen nur gegen Zahlung eines Lösegeldes (englisch "ransom") wieder freigeben. 117 https://mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Verfassungsschutz/Referat_44/WiSchu_Schutz_vor_Phishing.pdf. 164 Spionageabwehr Die Staaten der NATO und der EU unterstützen die Ukraine in ihrem Kampf zur Erhaltung ihrer Staatlichkeit und wurden daher verstärkt von russischen Cyberakteuren angegriffen, insbesondere mittels sogenannter DDoS-Attacken,118 die Internetseiten für mehrere Stunden stilllegen können. Wenngleich die tatsächlichen Folgen solcher Angriffe (wie etwa Einschränkungen bei Online-Services) minimal sind, können sie mittelfristig eine destabilisierende Wirkung entfalten: Mit DDoS-Angriffen gegen staatliche Homepages werden eGovernmentDienste dem Zugriff der Bürgerinnen und Bürger entzogen; die Sichtbarkeit solcher Angriffe kann außerdem Zweifel an der Sicherheit digitaler Prozesse hervorrufen oder verstärken und damit mittelbar auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den demokratischen Rechtsstaat negativ beeinflussen. Wie bereits im Vorjahr griff der prorussische Cyberakteur "NoName057" auch im Jahr 2024 das Online-Portal des Landes Sachsen-Anhalt an, allerdings ohne größere Schäden zu verursachen. Hochschulen und Universitäten unterliegen einer besonderen Gefährdung. Aufgrund ihrer offenen IT-Netze und einer Vielzahl von Nutzern, die sich von außen in die Hochschulnetze einloggen müssen, bieten sich Angreifern oft viele Möglichkeiten, um die IT-Infrastrukturen von Hochschuleinrichtungen zu infiltrieren. Cyberangriffe aus der Volksrepublik China Die VRC hat in den letzten Jahren ihre Sicherheitsgesetzgebung zu Lasten von in China tätigen ausländischen Unternehmen, Besucherinnen und Besuchern und der eigenen Bevölkerung verschärft. Es gelingt ihr, sensible personenbezogene Daten und Unternehmensdaten in ihren Machtbereich zu ziehen. Im Berichtszeitraum wurde bekannt, dass chinesische Nachrichtendienste zur Nachrichtengewinnung das vorherrschende "Staubsaugerprinzip", die Gewinnung aller verfügbaren Informationen über die Zielländer und ihre relevanten Ziele, um eine Komponente erweitern konnten. Ein Unbekannter hatte auf der Plattform Github ein größeres Konvolut an Dateien veröffentlicht, das anhand des chinesischen Unternehmens "i-Soon" die Industrialisierung der Cyberspionage nachweist. "i-Soon" hatte demnach eigenständig Cyberspionage betrieben und seine illegal erbeuteten Informationen den chinesischen Nachrichtendiensten zum Kauf angeboten. Eine technische Spezialität chinesischer Cyberspionageakteure besteht darin, Sicherheitslücken in der hardwarenahen Software von veralteten und von den Herstellern nicht mehr unterstützten Netzwerk-Komponenten auszunutzen, um sensible Datenverkehre auszuleiten. Die sachsen-anhaltische Spionageabwehr ging Hinweisen aus dem Verfassungsschutzverbund auf betroffene sachsen-anhaltische Unternehmen nach. 118 Ein DDoS-Angriff (engl. Distributed-Denial-of-Service-Attack) ist eine technisch niederschwellige Form des Cyberangriffs, bei dem in der Regel ein Internetdienst von einer Vielzahl von gekaperten Servern aus angegriffen wird, was zur Überlastung und damit zur Nichtverfügbarkeit des Internetdienstes führt. 165 Spionageabwehr Die Bundesregierung führte zu derartigen Cyberangriffen der APT119-Gruppen 15 und 31 ein offizielles Verfahren zur Bestimmung der Urheberschaft der Angriffe durch, bei dem die obersten, fachlich mit der Cyberabwehr betrauten Bundesbehörden - BfV, Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und Bundesnachrichtendienst (BND) - ihre Expertise zusammenführen. Im Ergebnis dieses Attribuierungsverfahrens wurden die Nachrichtendienste der VRC als Täterorganisationen identifiziert. Das Auswärtige Amt bestellte daraufhin erstmals in der Geschichte der diplomatischen Beziehungen beider Staaten den chinesischen Botschafter ein. WIRTSCHAFTSSCHUTZ Der Wirtschaftsschutz hat gemäß SS 4a VerfSchG-LSA die Aufgabe, die sachsen-anhaltische Bevölkerung, Unternehmen, Behörden sowie Einrichtungen der Wissenschaft und der Forschung über Mittel und Methoden zu informieren, mit denen sich fremde Nachrichtendienste illegal Know-how verschaffen oder Sabotageakte verüben. Zudem informiert er über Extremismus, Cyberangriffe und Staatsterrorismus sowie über deren mögliche Auswirkungen für Unternehmen, Forschungseinrichtungen und andere Institutionen. Er berät, informiert und sensibilisiert Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Forschungseinrichtungen, Hochschulen und andere Institutionen, um diese dabei zu unterstützen, eigenverantwortlich und effektiv Maßnahmen gegen Ausforschung (insbesondere Wirtschaftsspionage), Sabotage und andere schädliche Einwirkungen fremder Staaten und Nachrichtendienste zu ergreifen. Mitarbeiter von Unternehmen, die im Außendienst tätig sind und Auslandsdienstreisen unternehmen müssen, unterliegen der stärksten Gefährdung, von fremden Nachrichtendiensten offen oder verdeckt angesprochen und ausgeforscht zu werden. Dies gilt ganz besonders für autoritär regierte Staaten wie Russland, Iran, Nordkorea und China und andere Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken (SmbS). Diese setzen auch im Ausland zahlreiche Mittel und Methoden ein, um nicht nur auf legalem Wege vertrauliche Informationen, strategische Erkenntnisse und wertvolles Know-how zu erhalten. Wirtschaftsschutz gegen chinesische Aktivitäten In ihrem erklärten Bestreben, bis zur Mitte dieses Jahrhunderts zur weltweit führenden Technologieund Wirtschaftsmacht zu werden, setzt die VRC gezielt unlautere Methoden des Wissensund Technologietransfers ein. Die VRC verfolgt das Fernziel, aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Staaten eine politische zu generieren und in deren Souveränität einzugreifen. Milliardenschwere Direktinvestitionen werden nach wie vor für den legalen Knowhow-Erwerb genutzt. Für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und militärische Zukunft sind die "Emerging Technologies" (z. B. Künstliche Intelligenz, Nanotechnologie, additive Fertigungsverfahren, Quantentechnologie) von großer Bedeutung: Das sind zukunftsweisende Technologien, deren Einsatz in den Bereichen der militärischen und der Rüstungsforschung sprunghafte Forschungsfortschritte verspricht. Die innerchinesische Wissenschaftsstrategie der "zivil-militärischen Fusion" trägt dem Begehren in besonderer Weise Rechnung. Anders als an deutschen Universitäten existieren militärische und zivile Forschungseinrichtungen auf demselben Campus. Zivile Forschungsergebnisse sollen nach dieser Zielsetzung unmittelbar 119 Advanced Persistent Threat = Fortgeschrittene nachhaltige Bedrohung. Eine besonders hartnäckige in Netzwerken und Rechnern eingenistete Spionageoder sonstige Schadsoftware. 166 Spionageabwehr der militärischen Forschung zufließen. Um die gesteckten Ziele im Bereich der Zukunftstechnologien zu erreichen, setzt die VRC auf verschiedene Methoden des Know-how-Erwerbs. Eine seit Jahren wichtige Strategie ist dabei der Kauf westlicher Unternehmen. Als Ausländische Direktinvestitionen (ADI) bezeichnet man den sonst üblichen Erwerb oder Teilerwerb von deutschen Unternehmen durch ausländische Investoren, deren Firmensitz oder der des Mutterkonzerns sich nicht in einem EUMitgliedstaat befindet. Insbesondere die chinesische Botschaft unterstützt solche strategisch wichtigen Erwerbsvorhaben mit entsprechender Medienarbeit und greift dabei stark in innerdeutsche Belange ein. Zur Vorsorge und zum Schutz kritischer Infrastrukturen sowie für die Sicherheit der für die Bundesrepublik Deutschland bedeutsamen Unternehmen wurden daher gesetzliche Regelungen geschaffen. Wenn Akteure außerhalb der EU ein solches Unternehmen erwerben möchten, greift ein staatliches Prüfverfahren. Die außenwirtschaftsrechtliche Investitionsprüfung in Deutschland wird durch das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) geregelt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWE) ist die für die Investitionsprüfung zuständige Behörde. Die Übernahme von Unternehmen aus strategisch wichtigen oder sensiblen Industriesektoren wird damit zum Schutz nationaler und europäischer Sicherheitsinteressen erschwert. Im Vorfeld von Unternehmenskäufen, die einer Investitionsprüfung bedürfen, bietet der Wirtschaftsschutz an, den Veräußerer entsprechend zu sensibilisieren. Präventionsarbeit des Wirtschaftsschutzes Die in Sachsen-Anhalt tätigen Unternehmen und Institutionen können bei Bedarf kostenfrei Beratungen und Gespräche mit dem Wirtschaftsschutz in Anspruch nehmen. Sollten dem Wirtschaftsschutz konkrete oder abstrakte Gefährdungshinweise vorliegen, geht er selbständig auf die Betroffenen zu. Im Rahmen seiner Präventionsarbeit sucht der Wirtschaftsschutz insbesondere Kontakt zu kleinen und mittleren Unternehmen und wirbt im Rahmen von Informationsund Sensibilisierungsgesprächen dafür, Risiken und Bedrohungen durch fremde Nachrichtendienste ernst zu nehmen und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Wichtige Medien für die Sensibilisierung von Unternehmen und des dort beschäftigten Personals sind auch Informationsblätter des Wirtschaftsschutzes zu speziellen Einzelthemen - z. B. Sicherheit auf Geschäftsreisen (mit Checkliste), Schutz vor Social Engineering; Spionage in Wissenschaft und Forschung, Schutz vor Phishing -, die gemeinsam im Verfassungsschutzverbund entwickelt worden sind. Diese können auch auf der Homepage des Verfassungsschutzes heruntergeladen werden.120 Der Wirtschaftsschutz ist mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder, den Industrieund Handelskammern in Sachsen-Anhalt, mit Wirtschaftsverbänden sowie wissenschaftlichen Lehrund Forschungseinrichtungen vernetzt, um Wissen, Analysen und Warnmeldungen aus dem gesamten Verfassungsschutzverbund und im Interesse der Sicherheit 120 Unter dem Link https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/publikationen. Fokussiert wird in diesen Publikationen u. a. auf das Agieren von "Innentätern", also von Personen, die entweder in ein Unternehmen eingeschleust oder aus ihm für Ausspähzwecke geworben werden (siehe Informationsblatt "Bedrohung durch Innentäter"). Unternehmen, Behörden und Wissenschaftsinstitutionen können dieses Sicherheitsrisiko mit Hilfe eines "Pre-Employment Screening", einem datenschutzkonformen Personencheck von Bewerberinnen und Bewerbern, vermeiden (siehe hierzu das das Informationsblatt "Pre-Employment Screening"). 167 Spionageabwehr von Wirtschaft und Forschung zu teilen. Allen sachsen-anhaltischen Unternehmen, Unternehmensverbänden, Forschungsund Wissenschaftseinrichtungen steht der Wirtschaftsschutz mit seinem Informationsangebot in Form von Publikationen, Sensibilisierungen und Vorträgen kostenfrei zur Verfügung. Weitergehende Angebote können im Rahmen eines persönlichen Kontaktes erarbeitet werden. Treten Sie mit uns in Kontakt: Telefon: 0391/567 3900 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de PROLIFERATIONSABWEHR Die Weiterverbreitung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen sowie bestimmter Trägersysteme (Raketen, Drohnen etc.) und des dafür erforderlichen Know-hows bedrohen den Frieden und unterliegen in der Bundesrepublik Deutschland der Exportkontrolle. Die Finanzierung der Proliferation unterliegt einem strengen Sanktionsregime. Die Exportkontrolle fußt auf mehreren internationalen Verträgen, welche die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert hat. Als Beispiel sei hier das Chemiewaffenübereinkommen genannt. Mit der Durchführung der Exportkontrollen sind die Zollbehörden beauftragt. Die Verfassungsschutzbehörden stellen jedoch immer wieder fest, dass für den illegalen Export von sensiblen Gütern verdeckte Methoden eingesetzt werden, die auf das Wirken von fremden Nachrichtendiensten schließen lassen. Die Nachrichtendienste der Staaten Indien, Iran, Nordkorea, Pakistan, Syrien und der VRC stehen im Verdacht, Proliferation zu betreiben o- der logistisch und personell Unterstützung zu leisten. Auch die Russische Föderation setzt nachrichtendienstliche Mittel ein, um an sensible Güter zu gelangen, die den in Reaktion auf den völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine gegen Russland verhängten Wirtschaftssanktionen unterliegen. Hierzu zählen insbesondere hochentwickelte Industriegüter, die, wie z. B. Mikrochips, für die russische Rüstungsproduktion von großer Bedeutung sind. Um illegale Exporte durchzuführen, verschleiern proliferatorische Akteure beispielsweise die tatsächlichen Endnutzer einer sensiblen Ware und beschaffen sie über Umweglieferländer wie die VRC oder die Nachbarn von Risikostaaten wie Iran, Pakistan, Nordkorea oder Syrien. Zudem werden Tarnfirmen und Strohmänner genutzt.121 Mitarbeit der Bevölkerung Die Verfassungsschutzbehörde hat nach SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA den gesetzlichen Auftrag, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht zu sammeln und auszuwerten. Damit sie ihren Auftrag erfüllen kann, ist sie auch auf die Mithilfe der Bevölkerung angewiesen. Menschen können sich ungewollt in nachrichtendienstliche Aktivitäten verstricken. Aufgrund eines Verstoßes gegen ihnen nicht bekannte Gesetze im Ausland könnten sie in das Visier 121 Weitere Hinweise zum Thema Proliferation finden Sie in der Broschüre "Proliferation. Wir haben Verantwortung", die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder herausgegeben wird. Sie kann im Internet unter https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/publikationen/publikationen-spionage-und-proliferationsabwehr/ heruntergeladen oder als Druckschrift per E-Mail bei wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de angefordert werden. 168 Spionageabwehr fremder Nachrichtendienste geraten und zur Mitarbeit gezwungen werden. Die Verfassungsschutzbehörde kann Menschen, die bereits im Interesse fremder Staaten nachrichtendienstlich tätig geworden sind, dabei helfen, sich aus einer ausweglos erscheinenden Situation zu befreien. Da die Verfassungsschutzbehörden nicht (wie die Strafverfolgungsbehörden) dem Legalitätsprinzip unterliegen, sind sie nicht verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden über Hinweise auf Spionagedelikte zu informieren. Voraussetzung ist die freiwillige Aufgabe der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und eine umfassende Offenbarung. Die Verfassungsschutzbehörde sichert allen Hilfesuchenden Vertraulichkeit zu. Dasselbe gilt für die Übermittlung etwaiger Verdachtsmomente sowie von Informationen über mögliche Sicherheitsvorfälle und Cyberangriffe. Die Spionageabwehr des Landes Sachsen-Anhalt ist zu erreichen unter: Telefon: 0391/567 3900 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de Die Spionageabwehr bietet allen Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen, Interessenverbänden, Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Behörden Sensibilisierungen zu den Themen Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr an. 169 GEHEIMSCHUTZ Geheimschutz GEHEIMSCHUTZ Allgemeines Verschlusssachen (VS) sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die - unabhängig von ihrer Darstellungsform - geheim zu halten und entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit mit einem der Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeichnen sind. Alle Institutionen des Bundes und der Länder müssen sich darauf verlassen können, dass Informationen, deren Kenntnisnahme von Unbefugten den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden können, als im staatlichen Interesse geheim zu haltende Informationen wirkungsvoll geschützt werden. Jeder, dem eine VS anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist, trägt die persönliche Verantwortung für ihre sichere Aufbewahrung und vorschriftsmäßige Behandlung sowie für die Geheimhaltung ihres Inhalts gemäß den Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung für das Land Sachsen-Anhalt (VSA). Geheimschutz im öffentlichen Bereich Personeller Geheimschutz Mit dem personellen Geheimschutz soll verhindert werden, dass Personen mit Sicherheitsrisiken Zugang zu VS erhalten. Das hierzu genutzte Instrument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Verantwortung für diese Sicherheitsmaßnahmen liegt bei den zuständigen Stellen. Im öffentlichen Bereich des Landes ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. Die zuständige Stelle bestellt zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen Geheimschutzbeauftragten und einen Vertreter. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SÜG-LSA) geregelt. Die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalts beruht auf SS 4 Abs. 2 Nr. 1 VerfSchG-LSA in Verbindung mit SS 4 Abs. 3 SÜG-LSA. Gründe, die einem Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegenstehen, können sich insbesondere ergeben aus: Zweifeln an der Zuverlässigkeit (z. B. aufgrund von Straftaten, Drogenoder Alkoholmissbrauch); Gefährdungen durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (z. B. im Falle einer Überschuldung, da dies ein Ansatzpunkt sein kann, um den Betroffenen gegen Geldzahlung zu einer Verletzung seiner Pflichten zu veranlassen); 171 Geheimschutz Zweifeln am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (z. B. wegen extremistischer Betätigung). Die Frage, ob sich aus einem derartigen Umstand tatsächlich ein Sicherheitsrisiko ergibt, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Art der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu prüfen. Eine Sicherheitsüberprüfung darf nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz befasst sich mit technischen und organisatorischen Sicherheitsvorkehrungen, die verhindern oder zumindest erschweren sollen, dass Unbefugte an geschützte Informationen gelangen. Die Verfassungsschutzbehörde hat hierbei die Aufgabe, öffentliche Stellen und geheimschutzbetreute Unternehmen des Landes zu beraten, wie sie am besten technische Sicherungsmaßnahmen planen und durchführen können. 172 ANHANG Anhang STATISTIK Extremistisches Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt 2022 2023 2024 Rechtsextremisten Parteigebundener Rechtsextremismus (Parteien) 190 2.345 2.750 Weitgehend unstrukturierter, meist subkulturell ge900 970 1.110 prägter Rechtsextremismus Parteiungebundener Rechtsextremismus 255 250 290 Summe: 1.345 3.565 4.150 Gesamt (nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften): 1.270 3.350 4.000 Reichsbürgerszene (inkl. Rechtsextremisten inner650 700 700 halb dieser Szene) Delegitimiererszene 100 90 Linksextremisten Gewaltorientierte Linksextremisten 295 295 295 Nicht gewaltorientierte Linksextremisten 305 385 385 Gesamt: 600 680 680 Islamisten 400 400 400 PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 250 250 250 Summe 3.170 5.480 6.120 174 Anhang BILDNACHWEIS Seite 14 MI LSA Seite 23 Logo AfD Landesverband Sachsen-Anhalt Seite 33 Logo "Die Heimat" Seite 38 Logo "Der III. Weg" Seite 45 t.me/HalberstadtOffiziell t.me/harzverteidigen Seite 47 MI LSA Seite 50 https://wedaelysiabuch.wordpress.com/ Seite 54 https://www.instagram.com/js_sachsenanhalt/ https://www.tiktok.com/@djv_sotlzedeutschejugend Seite 61 https://opos-records.com Seite 62 https://isegrim-fashion.com/herren/t-shirts/307/t-shirt-schwarz-traditional Seite 63 https://www.erichs-druckbude.de/produkt/kissen/ https://storage.e.jimdo.com/cdn-cgi/image/quality=85,fit=scaledown,format=auto,trim=110;0;110;0,width=640,height=640/image/ 55677177/50c10cdc-845a-4ad5-a726-5a7db9c5f30c.jpg Seite 67 Logo IBD Seite 71 Logo IfS Seite 82 https://www.hilfsdienst.net/ Seite 87 https://bewegunghalle.de/ Seite 88 bernburg-steht-auf-ev.de Seite 95 https://political-prisoners.net/ https://www.instagram.com/kiezkommune_stadtfeld/ Seite 96 https://www.instagram.com/frauenkampftag.sfo/ https://www.instagram.com/roter.aufbau.burg/ Seite 97 https://www.instagram.com/fau_halle/ https://www.instagram.com/oaphalle/ Seite 98 https://komaufbau.org/ (3x) Seite 99 http://zusammenkaempfen.bplaced.net/ Seite 101 https://www.instagram.com/zora_magdeburg/ Seite 102 http://zusammenkaempfen.bplaced.net/ Seite 103 wikimedia.org https://www.instagram.com/redmediakollektiv/ Seite 106 https://www.instagram.com/infoladen.stadtfeld/ Seite 108 https://www.instagram.com/redmediakollektiv/ (3x) Seite 113 Logo "Rote Hilfe" Seite 114 https://www.facebook.com/profile.php?id=100064863450950 Seite 116 Logo MLPD Seite 119 Logo DKP Seite 126 https://www.youtube.com/watch?v=SvA0Y6zp5wc Seite 127 https://www.instagram.com/wd_dawa/ (3x) Seite 128 Logo IS Seite 132 Logo TJ Seite 138 Logo PKK 175 Anhang Seite 140 https://firatnews.com Seite 144 Logo MLKP Seite 145 Logo YS Logo ZORA Seite 146 https://www.instagram.com/youngstruggle_dessau/ Seite 147 https://www.instagram.com/zora_dessau/ Seite 150 Logo und Zeichen SO 176