Verfassungsschutzbericht 2021 Beratung Spionageabwehr Verfassung Terrorismus Information Linksextremismus Extremismusprävention ng Auslandsbezogener Extremismus su Aufklärung Bewertung fa s Islamismus Delegitimierung se es Demokratie Rechtsextremismus Pr Analyse Reichsbürgerszene Sensibilisierung Wirtschaftsschutz IMPRESSUM Herausgeber: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Halberstädter Straße / "Am Platz des 17. Juni" 39112 Magdeburg Bezugsadresse: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Postfach 18 49 39008 Magdeburg Tel: 0391/567-3900 Dieser Verfassungsschutzbericht ist auch im Internet abrufbar: https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/ verfassungsschutzberichte-zum-downloaden/ Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt für das Jahr 2021 Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt InhaltsverzeIchnIs VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT 8 Gesetzliche Grundlagen und Funktion 8 Schwerpunktaufgaben 10 Arbeitsweise 15 Öffentlichkeitsarbeit 16 Präventionsarbeit 15 Auskunftserteilung 21 RECHTSEXTREMISMUS 22 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial (gewaltbereiter Rechtsextremismus / Rechtsterrorismus) 26 Rechtsextremistisches Parteienspektrum "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 51 Partei "DIE RECHTE" (DR) 59 Partei "Der III. Weg" (III. Weg) 64 "Neue Rechte" 70 "Identitäre Bewegung" Deutschland" (IBD) 70 "Verein für Staatspolitik e. V." firmiert unter "Institut für Staatspolitik" (IfS) 79 Parteiungebundener, vornehmlich neonazistisch geprägter Rechtsextremismus 84 Neonationalsozialisten (Neonazis) 84 "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäße Lebensgestaltung" e.V. ("Artgemeinschaft") 105 REICHSBÜRGERSZENE 110 "Reichsregierungen", "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 111 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES 122 Sammelbeobachtungsobjekt: Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates 122 LINKSEXTREMISMUS 130 Gewaltorientierte Linksextremisten 140 VI Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 InhaltsverzeIchnIs "Rote Hilfe e.V." (RH) 179 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland" (MLPD) 184 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 189 ISLAMISMUS 192 Salafismus 197 "Gemeinschaft der Verkündigung der Mission" (Urdu: "Tablighi Jama'at", TJ) 206 Muslimbruderschaft (MB) / "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) / HAMAS 208 AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS 211 "Arbeiterpartei Kurdistans" (kurdisch: Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) 204 SCIENTOLOGY ORGANISATION (SO) 229 SPIONAGEABWEHR 232 Russische Föderation 234 Chinesische Nachrichtendienste 236 Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 239 Andere Nachrichtendienste 240 Hybride Bedrohungen 241 Cyberabwehr 244 Wirtschaftsschutz 247 Proliferationsabwehr 250 Mitarbeit der Bevölkerung 252 GEHEIMSCHUTZ 254 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 VII Verfassungsschutz in sachsen-anhalt VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT Gesetzliche Grundlagen und Funktion Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; sie soll den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder gewährleisten. Die Aufgaben des Verfassungsschutzes in unserem Bundesland nimmt das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt als Verfassungsschutzbehörde wahr. Der Verfassungsschutz informiert im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags die Landesregierung und andere Stellen. Diese sollen dadurch in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können. Ebenso unterrichtet er die Öffentlichkeit über seine Aufgabenfelder (vgl. SS 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt; nachfolgend VerfSchG-LSA). Sie bestehen in der Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129 und 129a des Strafgesetzbuches (StGB), 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG), 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des GG, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 5. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Unter Bestrebungen im verfassungsschutzrechtlichen Sinn sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in oder für einen Personenzusammenschluss zu verstehen, die sich gegen die oben unter den Ziffern 1., 4. und 5. genannten Schutzgüter richten. Ein Personenzusammenschluss besteht aus mehreren, gemeinsam handelnden Personen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, gelten nur dann als Bestrebung und werden vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des VerfSchG-LSA erheblich zu beschädigen (vgl. SS 5 Abs. 1 VerfSchG-LSA). Voraussetzung für das Sammeln und Auswerten von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für vorstehend genannte Bestrebungen oder Tätigkeiten. Für das Handeln der Verfassungsschutzbehörde ist es nicht erforderlich, dass eine konkrete Gefahr besteht oder eine begangene Straftat vorliegt. Der Verfassungsschutz wird bereits im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten tätig. Insbesondere darin kommt auch die Frühwarnfunktion des Verfassungsschutzes zum Ausdruck. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 9 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Schwerpunktaufgaben Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Eine Schwerpunktaufgabe des Verfassungsschutzes besteht gemäß SS 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA im Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, mithin dem Schutz der nicht zur Disposition stehenden Elemente des Grundgestzes. In seinem Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - führt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus, dass der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG jene zentralen Grundprinzipien umfasst, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Dies sind: - Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), - Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG), - Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG). Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den 10 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterliegenden staatlichen Organen vorbehalten ist. Dem entspricht die gesetzliche Aufzählung der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in SS 5 Abs. 2 VerfSchG-LSA, ergänzt um den Verweis auf die in der Landesverfassung konkretisierten Menschenrechte. Spionageabwehr Die Spionageabwehr ist gemäß SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde. Sie beschäftigt sich mit der Aufklärung, Abwehr und Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und Völkerverständigung Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Dazu gehören in erster Linie gewaltbereite extremistische Gruppen mit Auslandsbezug, die von unserem Staatsgebiet aus gewaltsame Aktionen planen und vorbereiten, um die politischen Verhältnisse im Ausland, vordringlich in ihrem Herkunftsland, gewaltsam zu verändern und dadurch die staatlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den betroffenen Staaten beeinträchtigen (vgl. SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG-LSA). Sofern sich Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker richten, unterliegen diese ebenfalls der Beobachtung durch den Verfassungsschutz (vgl. SS 4 Abs. 1 Nr. 5 VerfSchG-LSA). Davon erfasst sind Personenzusammenschlüsse, die darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 11 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Mitwirkung in Angelegenheiten des Geheimschutzes Nach SS 4 Abs. 2 Nr. 1 VerfSchG-LSA ist die Verfassungsschutzbehörde nicht nur für Angelegenheiten des Geheimschutzes, sondern auch für weitere gesetzlich geregelte Mitwirkungsaufgaben, die so genannten Zuverlässigkeitsüberprüfungen, zuständig. Mit der Erfüllung dieses Auftrages trägt die Verfassungsschutzbehörde dazu bei, dass Extremisten weder legal in den Besitz von Waffen gelangen noch ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verfestigen können oder Zugang zu bestimmten sicherheitsempfindlichen Bereichen erhalten. Das Verfahren richtet sich nach den jeweiligen Fachgesetzen, auf deren Grundlage die jeweils zuständigen Behörden eine Anfrage an die Verfassungsschutzbehörde stellen. In der Folge prüft die Verfassungsschutzbehörde, ob ihr zu den von der Behörde angegebenen Personen Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung der Fachbehörde sicherheitsbezogene Relevanz besitzen, mithin für die Beurteilung des Sachverhalts von Bedeutung sein könnten. Im Rahmen dieser Mitwirkung übermittelt die Verfassungsschutzbehörde die bei ihr vorliegenden Erkenntnisse unter Berücksichtigung des Geheimschutzes an die anfragende öffentliche Stelle. Sie wirkt so mit ihrer Erkenntnismitteilung an dem jeweiligen Verfahren mit; die alleinige Befugnis zur Entscheidung verbleibt jedoch bei der jeweils zuständigen Behörde. Zu den Mitwirkungsbereichen zählen Anfragen insbesondere nach - Waffengesetz (WaffG), - Gewerbeordnung (GewO), - Aufenthaltsgesetz (AufenthG), - Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), - Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), - Sprengstoffgesetz (SprengG) und - Atomgesetz (AtG). 12 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Dabei gehören zu den anfragestärksten Bereichen: Anfragen nach WaffG Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften (3. WaffRÄndG) vom 17. Februar 2020 wurde in SS 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 WaffG eine obligatorische (Regel-) Anfrage beim Verfassungsschutz im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung normiert. Anfragen nach GewO (Bewacher) Personen, die ein Bewachungsgewerbe betreiben oder als Wachperson tätig werden wollen, unterliegen nach SS 34a GewO einer Zuverlässigkeitsüberprüfung. Sowohl für den Gewerbetreibenden sowie für die mit der Leitung eines Betriebes oder einer Zweigniederlassung beauftragte Person als auch für Wachpersonen, die bei der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und zugangsgeschützten Großveranstaltungen eingesetzt werden sollen, ist die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde gesetzlich vorgeschrieben. Anfragen nach AufenthG Nach SS 73 Abs. 2 AufenthG können die Ausländerbehörden vor erstmaliger Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln die personenbezogenen Daten der Antragstellenden an die Verfassungsschutzbehörde übermitteln, um festzustellen, ob Gründe für eine Versagung vorliegen. Die Verfassungsschutzbehörde hat der Ausländerbehörde unverzüglich mitzuteilen, ob Versagungsgründe nach SS 5 Abs. 4 AufenthG oder sonstige Sicherheitsbedenken gegeben sind. Hierbei geht der Gesetzgeber davon aus, dass ein Ausweisungsinteresse besonders schwer wiegt, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet. Anfragen nach StAG (Einbürgerung) Zur Ermittlung von Ausschlussgründen i.S.d. SS 11 StAG übermitVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 13 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt teln die Einbürgerungsbehörden gem. SS 37 Abs. 2 StAG vor ihrer Entscheidung die personenbezogenen Daten aller Antragstellenden, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, an die Verfassungsschutzbehörde. Über etwaige Erkenntnisse hat die Verfassungsschutzbehörde die Einbürgerungsbehörde unverzüglich zu unterrichten. Anfrageaufkommen im Berichtsjahr Die Verfassungsschutzbehörde hat im Berichtsjahr an insgesamt 40.268 Verfahren mitgewirkt. Die Anzahl der Anfragen belief sich dabei nach dem WaffG auf 15.578, nach der GewO auf 1.237, nach dem AufenthG auf 21.489, nach dem StAG auf 1.439 sowie nach LuftSiG, SprengG und AtG zusammen auf 525. Nachberichtspflicht Die Mehrzahl der Regelanfragen ist mit einer Nachberichtspflicht der Verfassungsschutzbehörde versehen, so beispielsweise Anfragen nach WaffG, AufenthG, GewO, LuftSiG, SprengG und AtG. Danach hat die Verfassungsschutzbehörde die zuständige Behörde unverzüglich zu informieren, soweit im Nachhinein für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsame Erkenntnisse bzw. für Anfragen nach AufenthG Versagungsgründe oder sonstige Sicherheitsbedenken anfallen. Im Berichtsjahr wurde zum Beispiel zum AufenthG in über 4.200 Fällen ein Nachbericht ausgelöst. Die Verfassungsschutzbehörde prüft im Einzelfall, ob relevante Erkenntnisse an die Ausländerbehörden mitzuteilen sind. 14 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Arbeitsweise Der Verfassungsschutz stützt sich bei der Informationserhebung weitgehend auf offen zugängliches Material wie Zeitungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Rundfunkberichte, Interviews, Parteiprogramme und offene Internetinhalte. Er darf Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauenspersonen und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen verdeckt erheben (vgl. SS 7 Abs. 3 VerfSchG-LSA). Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählt auch die Brief,Postund Telefonkontrolle. Der hiermit verbundene Eingriff in das Grundrecht nach Artikel 10 GG ist nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) zulässig. Die Verfassungsschutzbehörde erhebt, verarbeitet und nutzt die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten. Dies geschieht unter Beachtung des Datenschutzgesetzes Sachsen-Anhalt und der besonderen Regelungen des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt. Die Landesregierung unterliegt auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes der Kontrolle des Landtages. Diese Aufgabe nimmt das Parlamentarische Kontrollgremium wahr (vgl. SSSS 24 ff. VerfSchGLSA). Für besondere Aufgaben des Verfassungsschutzes waren im Haushaltsplan 2021 im Einzelplan 03 insgesamt 1.119.500 Euro angesetzt. Der Verfassungsschutzbehörde standen im Berichtsjahr 120 Dienstposten/Arbeitsplätze zur Verfügung. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 15 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Öffentlichkeitsarbeit Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit unterstützt die Verfassungsschutzbehörde die geistig-politische Auseinandersetzung mit extremistischem und terroristischem Gedankengut und dient damit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Regierung und Parlament, aber auch Bürgerinnen und Bürger werden so über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert. Verfassungsschutzbericht Die Verfassungsschutzbehörde erfüllt mit diesem Bericht ihre gesetzlichen Unterrichtungspflichten, die in SS 15 Abs. 1 und 2 VerfSchG-LSA normiert sind. Bitte beachten Sie folgende redaktionelle Hinweise: - Soweit der Verfassungsschutzbericht einzelne Gruppierungen namentlich nennt, handelt es sich - sofern nicht anders erwähnt - um Fälle, bei denen die vorliegenden Erkenntnisse in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele im Sinne des SS 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA verfolgt. Diese Gruppierungen gelten insofern als gesicherte extremistische Bestrebungen, die zielund zweckgerichtet gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorgehen (siehe Registeranhang). - Allerdings erwähnt der Verfassungsschutzbericht nicht alle Gruppierungen, die von der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt beobachtet werden. Insbesondere werden die Gruppierungen nicht erwähnt, bei denen lediglich tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Informationen über solche Gruppierungen darf die Verfassungsschutzbehörde gemäß SS 7 Abs. 2 VerfSchG-LSA sammeln und auswerten. Über diese Gruppierungen darf sie jedoch nicht 16 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt öffentlich berichten, da von der Unterrichtungspflicht des SS 15 Abs. 2 VerfSchG-LSA nur gesicherte extremistische Bestrebungen erfasst sind. Eine Nennung von sogenannten Verdachtsfällen erfolgt daher nicht. - Die Nennung von Gruppierungen, die extremistisch beeinflusst sind, dient dem Verständnis des sachlichen Zusammenhangs. - Der Berichtszeitraum umfasst den Zeitraum 1. Januar bis 31. Dezember 2021. Ereignisse vor oder nach diesem Zeitraum werden nur dargestellt, sofern sie für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs erforderlich sind. - Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Sachsen-Anhalts sind in den Bericht aufgenommen, sofern sie für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs erforderlich sind. - Die in Anführungszeichen gefassten Textteile sind, so es sich um Zitate handelt, in der Originalschreibweise wiedergegeben. - Die jeweiligen Mitgliederzahlen der Personenzusammenschlüsse sind zum Teil geschätzt und gerundet. - Personenund Funktionsbezeichnungen in diesem Bericht gelten jeweils in weiblicher und männlicher Form. - Fußnoten sind fortlaufend im jeweiligen Abschnitt ausgewiesen. Die Verfassungsschutzberichte der letzten fünf Jahre können im Internet unter der Adresse: www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz heruntergeladen oder bei der Verfassungsschutzbehörde kostenlos angefordert werden. Präventionsarbeit Die Extremismusprävention ist seit Jahren ein fester Bestandteil der Arbeit des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt. Mit der Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes hat der GesetzVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 17 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt geber in SS 4a VerfSchG-LSA klargestellt, dass die Prävention zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde zählt. Demzufolge informiert die Verfassungsschutzbehörde Landtag, Landesregierung, Gerichte, Staatsanwaltschaften, Kommunen und weitere Behörden, um frühzeitig vor Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu warnen. Der Verfassungsschutz steht somit allen Menschen im Land als Informationsdienstleister zur Verfügung. Dieser Dialog mit den Bürgern, aber auch mit Behörden sowie sonstigen privaten und zivilen Institutionen über die Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes und die damit einhergehende Bereitstellung von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen ist ein Bestandteil des unmittelbaren Demokratieschutzes. Deshalb ist die Unterrichtung der Öffentlichkeit ein wichtiges Anliegen des Verfassungsschutzes. Dies geschieht mit dem jährlichen Verfassungsschutzbericht, öffentlichen Vorträgen und Fachtagungen sowie über Publikationen, unsere Internetseiten und die Pressearbeit. Themenfelder sind insbesondere die verschiedenen Erscheinungsformen des politischen Extremismus: Rechtsextremismus, Reichsbürgerszene, Linksextremismus, Ausländerextremismus, Islamismus und der im Berichtsjahr neu eingerichtete Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Im Bereich der Spionageabwehr sowie des Wirtschaftsund Wissenschaftsschutzes bietet die Verfassungsschutzbehörde Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen neben allgemeinen Informationen auch vertrauliche Beratung und Unterstützung zum Schutz vor Spionage an. Auch wenn die öffentlichen Aktivitäten der Verfassungsschutzbehörde im Berichtsjahr aufgrund der Corona-Pandemie erneut eingeschränkt waren, konnten einige Veranstaltungen und Projekte durchgeführt werden. 18 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Am 11. November 2021 veranstaltete die Verfassungsschutzbehörde gemeinsam mit der Industrieund Handelskammer (IHK) Halle-Dessau in den Räumen der IHK den 4. Wirtschaftsschutztag des Landes Sachsen-Anhalt. Da die Abstandsregeln die Teilnehmerzahl vor Ort erheblich begrenzten, fand der Wirtschaftsschutztag als Hybridveranstaltung statt. Im Zentrum der Veranstaltung stand die Frage, wie Gefahren durch Cyberangriffe, mit denen sich Unternehmen konfrontiert sehen, gemeinsam im Team besser vorgebeugt werden kann. Mit rund 50 Teilnehmern in Präsenz und weiteren rund 150 Zuschauern an den Bildschirmen erreichte dieser Wirtschaftsschutztag den bislang größten Zuspruch. Im Berichtsjahr hat der Verfassungsschutz zudem erneut Vorträge, Informationsveranstaltungen und Schulungen für Angehörige der Polizei, der Justiz und anderer Behörden sowie für Institutionen, Verbände und Unternehmen angeboten. Darüber hinaus nahmen Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde als Referenten an Veranstaltungen zivilgesellschaftlicher Institutionen teil. Eine intensive Zusammenarbeit besteht auch mit Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Die Informationsangebote richten sich sowohl an größere Personenkreise im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen als auch an kleinere Runden, in denen ein gezielter und gegebenenfalls vertraulicher Austausch von Wissen und Erfahrungen stattfinden kann. Adressaten des Vortragsangebots der Verfassungsschutzbehörde sind primär Behörden, Schulen und Hochschulen, Kommunen bzw. kommunale Entscheidungsträger, Verbände und Unternehmen. Von Veranstaltern und sonstigen Interessierten kann dieses Angebot nachgefragt werden. Dem jeweiligen Veranstalter oder der unterrichtsgestaltenden Lehrkraft obliegt die Einbindung in das eigene Veranstaltungsoder pädagogische Konzept. Die Vorträge bilden Beiträge zur Information und sind Grundlage für weiterführende Diskussionen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 19 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Wünschen Sie weitere Informationen? Dann wenden Sie sich bitte direkt an uns: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Nachtweide 82 39124 Magdeburg Telefon: +49(0)391/567-3900 E-Mail: verfassungsschutz@mi.sachsen-anhalt.de info.verfassungsschutz@mi.sachsen-anhalt.de oder besuchen Sie uns im Internet unter www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz Hier finden Sie weitere Informationen und unsere aktuellen Publikationen, die wir Ihnen auch am Ende dieses Berichts vorstellen. Bereits an dieser Stelle soll auf eine aktuelle Publikation hingewiesen werden. Aufgrund der großen Nachfrage, auch im Rahmen von Informationsund Sensibilisierungsveranstaltungen der Verfassungsschutzbehörde, und der dynamischen Entwicklung innerhalb der Reichsbürgerszene wurde im Oktober 2021 eine dritte, aktualisierte Auflage der Broschüre "'Reichsbürger', 'Reichsregierungen' und 'Selbstverwalter' - Informationen und Handlungsempfehlungen zur 'Reichsbürgerszene'" erstellt. Im Jahr 2017 hatte das 20 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt mit der Broschüre erstmals Informationen zu einschlägigen Argumentationsmustern und Aktivitäten der Reichsbürgerszene sowie Handlungsempfehlungen für Betroffene veröffentlicht. Die aktualisierte Broschüre enthält u.a. neue Erkenntnisse über Strukturen der Szene in Sachsen-Anhalt und Aktivitäten von "Reichsbürgern" im Rahmen der Proteste gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Auskunftserteilung Jeder Bürger kann unentgeltlich Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten beantragen. Die Verfassungsschutzbehörde ist nach SS 14 Abs. 1 VerfSchG-LSA grundsätzlich verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Geht ein Ersuchen ein, wird der Ersuchende zunächst gebeten, eine Kopie seines Personalausweises oder eines entsprechenden Personendokuments zur Identitätsfeststellung zu übersenden. Dies soll die angefragte Person davor schützen, dass möglicherweise andere Personen in seinem Namen Auskunft verlangen und Daten möglicherweise an Unberechtigte übermittelt werden. Die Auskunft hat nach SS 14 Abs. 2 VerfSchG-LSA zu unterbleiben, wenn bestimmte, im Gesetz geregelte Ausschlussgründe vorliegen. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn durch die Auskunftserteilung eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde drohen würde. Im Berichtsjahr gab es 174 Auskunftsersuchen: Auskunft über die zur Person gespeicherten Daten 21 Negativauskunft, keine Daten gespeichert 113 Keine Bearbeitung mangels Identifizierung des Er40 suchenden Auskunftsersuchen insgesamt 174 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 21 RechtsextRemismus Rechtsextremismus Die Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen bestimmte auch im Berichtsjahr die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde. Die fortschreitende Formierung rechtsextremistischer Strukturen im Internet ist Ausdruck einer hohen Dynamik dieser verfassungsfeindlichen Szene. Inzwischen haben sich diese Strukturen neben den fortbestehenden traditionellen Erscheinungsformen etabliert. Die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie schränkten in den ersten Monaten des Jahres 2021 die öffentlichkeitswirksamen rechtsextremistischen Aktivitäten wie Musikveranstaltungen oder szenetypische Zusammenkünfte ein oder sie fanden im kleineren Rahmen, dezentral und mit geringen Teilnehmerzahlen statt. Die von der rechtsextremistischen Szene obstruktiv erlebte Phase nutzten Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt, um sich neu zu ordnen, Regionalität zu überwinden und ihre Programmatik zu schärfen. Im Ergebnis etablierten sich neue rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse, deren Führungskader aber seit Jahren fester Bestandteil der neonazistischen Szene sind. Mit der "Neuen Stärke Magdeburg" (NSMD), "Harzrevolte" oder "Wolfsschar" gaben sie sich Bezeichnungen, die einen Neuanfang, den Willen nach Zusammenführung und Einigkeit sowie Durchsetzungswillen suggerieren sollen. Im südlichen Sachsen-Anhalt trat im Berichtsjahr erstmals die "Aktionsgruppe Dessau-Bitterfeld" auf, die aktionsorientiert, regional und überregional bei rechtsextremistischen Versammlungen und Protesten gegen die Beschränkungsmaßnahmen im Kontext der Pandemie auffiel. 22 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Die Corona-Pandemie hat die Verbreitung von Verschwörungsideologien, die von einem offenen oder codierten Antisemitismus gespeist werden, und die Anschlussmöglichkeiten für Rechtsextremisten bieten, befördert. Antisemitisch geprägte Verschwörungserzählungen verfangen aber auch in nicht-extremistischen Teilen der Bevölkerung, etwa wenn Personen, die gegen die Beschränkungsmaßnahmen protestieren, unreflektiert den Judenstern mit dem Schriftzug "ungeimpft" tragen. Urheber ist der bekannte Rechtsextremist Sven LIEBICH. Der millionenfache Mord an Juden wird mit der staatlichen Bekämpfung der Pandemie gleichgesetzt. Die Singularität dieses Verbrechens wird dadurch relativiert. Allerdings haben Rechtsextremisten die Pandemie nicht nur genutzt, um dezidiert antisemitisch geprägte Verschwörungsideologien zu verbreiten. Im Kontext der Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Beschränkungsmaßnahmen rückten vor allem solche Verschwörungsideologien in den Mittelpunkt, die darauf abzielen, den Staat und seine Institutionen verächtlich zu machen. So wurde der Politik sowie den staatlichen Einrichtungen und Repräsentanten etwa die Errichtung einer "Corona-Diktatur" unterstellt, welche die Menschen unter anderem dazu zwinge, sich mittels einer "Giftspritze" impfen zu lassen. Die "Eliten" würden die Unterdrückung des Volkes und die Errichtung eines globalen Überwachungsregimes ("Great Reset") beabsichtigen, weshalb Widerstand zu leisten sei. Derartige Verschwörungsideologien verfangen zum Teil im bürgerlichen Spektrum der Demonstrationen, wirken aber vor allem auf Rechtsextremisten und "Reichsbürger" als Magnet. Die katalysatorische Wirkung von Verschwörungsideologien kann in Verbindung mit Fake News und anderen Faktoren zu einer erheblichen Radikalisierung führen, wie Übergriffe auf Corona-Testzentren oder Angriffe auf Polizeibeamtinnen und -beamte bei einzelnen Demonstrationen belegen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 23 RechtsextRemismus Die rechtsextremistische Szene in Halle (Saale) ist weiterhin vom intensiven Versammlungsgeschehen des Sven LIEBICH geprägt. Seine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus spiegelt sich in den von ihm verwendeten Symboliken und Stilelementen wider. Die neonazistisch orientierte Kleinpartei "Der III. Weg" präsentierte sich im Berichtsjahr als aktivste Organisation im parteigebundenen Spektrum. Der Partei, deren Funktionäre durch eine scharfe Rhetorik bei der Kommentierung tagespolitischer Themen auffallen, ist es gelungen, ihre Strukturen - auch in Sachsen-Anhalt - auszubauen. Auf ihren Internetpräsenzen legt der "III. Weg" minuziös Rechenschaft über Verteilaktionen von Informationsflyern zu verschiedenen Themen ab. Die NPD hingegen unterliegt weiter einem Abwärtstrend. Ihre zunehmende Bedeutungslosigkeit lässt sich nicht zuletzt an den Wahlergebnissen auf Bundesund Landesebene ablesen. Eine Zerrissenheit in den eigenen Reihen und Konkurrenten lassen die Partei erstarren. Der neue sachsen-anhaltische Landesvorstand mit alten Köpfen ist Ausdruck dieser Entwicklung. Auch der Versuch, die "Jungen Nationalisten" (JN) neu zu beleben, blieb mit der einzig im anhaltischen Raum Wittenberg existierenden Struktur weit hinter den eigenen Erwartungen zurück. Die Detektion gewaltbereiter Gruppierungen und Einzelpersonen nimmt bei der Beobachtung rechtsextremistischer Bestrebungen einen großen Raum ein. Hierzu zählt auch die Mitwirkung beim Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse. Neben dem Verfahren der Regelabfrage der Unteren Waffenbehörden beim Verfassungsschutz übermittelt dieser auf der Grundlage von SS 18 Abs. 1 VerfSchG-LSA die ihm zu Personen vorliegenden und mitteilbaren Erkenntnisse an die zuständigen Waffenbehörden. Auch die Weiterwirkung des inhaftierten Rechtsterroristen BALLIET, die sich im Ansatz mit der von BREIVIK dahingehend 24 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus vergleichen lässt, dass beide manipulativ versuchen, auf die Außenwelt und damit auch auf andere Rechtsextremisten einzuwirken, konnte im Berichtszeitraum wahrgenommen werden. Das rechtsextremistische Personenpotenzial befindet sich im Berichtsjahr in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Der leichte Zuwachs bei den rechtsextremistischen Parteien ist auf einen Anstieg der Mitgliederzahl des "III. Wegs" zurückzuführen. Auch die anderen Bereiche weisen einen leichten Zuwachs auf. Aufgrund der Verzahnung von Personen und Personenzusammenschlüssen sind Mehrfachmitgliedschaften bei der Ausweisung des Personenpotenzials zu berücksichtigen. Etwa die Hälfte des rechtsextremistischen Personenpotenzials wird als gewaltbereit eingestuft. Rechtsextremisten1 2019 2020 2021 Parteigebundener Rechtsextremismus (Parteien) 180 155 165 Parteiungebundener Rechtsextremismus (Neonazismus) 360 365 395 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 740 770 780 Summe: 1.280 1.290 1.340 Gesamt (nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften) 1.230 1.230 1.250 1 - Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 25 RechtsextRemismus Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial (gewaltbereiter Rechtsextremismus / Rechtsterrorismus) Sitz Bundesweit Verbreitung Gründung Diese Szene ging aus der Ende der 1960er Jahre in Großbritannien entstandenen Skinheadszene hervor und breitete sich in den 1970er Jahren auch in Deutschland aus. Nach der zunehmenden Politisierung der Skinheadszene in der Mitte der 1990er Jahre war in den letzten Jahren eine Verwischung der bis dahin klar abgrenzbaren Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in Gestalt von Neonazis, Parteienspektrum und Skinheads zu beobachten, aus der sich eine subkulturelle und als vielschichtig zu charakterisierende Szene herausbildete. Struktur Die subkulturell geprägte und in großen Teilen Aufbau auch gewaltorientierte rechtsextremistische Szene ist als heterogen und ohne feste Strukturen zu beschreiben. Die dieser Szene zuzurechnenden Rechtsextremisten zeigen im Wesentlichen keine Bereitschaft zur Bildung fester organisatorischer Strukturen. Sie treten vielmehr in kleinen Personenzusammenschlüssen oder rein virtuellen Gruppen auf, vornehmlich in ihren Regionen agierend. Mitglieder Land: etwa 780 (2020: etwa 770) Anhänger Bund: etwa 15.000 (2020: 13.700) VeröffentWeb-Angebote: lichungen Agitationen in sozialen Medien, Bekanntgabe 26 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus von Veranstaltungen durch Plakate und Foren im Internet Kurzportrait / Ziele Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene weist seit geraumer Zeit ein sehr heterogenes Erscheinungsbild auf und definiert sich eher über szenetypische Musik und den damit verbundenen Lebensstil. Das Auftreten passt sich dabei aktuellen Trends und auch der Altersstruktur des Personenpotenzials an. So hat sich in den letzten Jahren vor allem auch der Kampfsport als zunehmendes Aktionsfeld herausgestellt. Neben dem eigentlichen Kampfsporttraining zur körperlichen Ertüchtigung und Wehrhaftigkeit spielte dabei auch die Unterstützung bei der Organisation und Durchführung von Kampfsportveranstaltungen eine große Rolle. Die der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zuzuordnenden Personen verfügen in aller Regel nicht über ein in sich geschlossenes Weltbild, sondern werden von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst und geprägt. Als Kernfelder dienen hier vor allem Rassismus und Antisemitismus, untersetzt mit einer Gewaltaffinität, die sich wiederum insbesondere gegen Minderheiten und aus ihrer Sicht Andersdenkende richtet. Gewalt und Gewaltbereitschaft waren schon immer ein wesentliches Kennzeichen dieser Szene. Im Zuge der zu beobachtenden Verjüngung der Szene ist zudem eine Zunahme der aktionsorientierten Motivation zu verzeichnen, da gerade bei jüngeren Szeneangehörigen Aktivitäten mit "Erlebnischarakter" im Vordergrund stehen, die auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Zunehmend rückt das Planen und Durchführen versammlungsrechtlicher Aktionen in das Betätigungsfeld der Szene. Eine klar definierte Abgrenzung zum Neonazismus ist damit kaum noch möglich. Es kam zu verstärkten Aktivitäten der Szene im Zusammenhang mit den versammlungsrechtlichen Aktionen gegen die Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 27 RechtsextRemismus staatlichen Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Grund der Beobachtung Das Weltbild dieser Szene wird von rassistischen, antisemitischen, fremdenfeindlichen und Gewalt gegen Ausländer befürwortenden Ideologiebestandteilen sowie das demokratische System ablehnenden Haltungen geprägt. Dies wird in Aktionen, Strafund Gewalttaten sowie in zahlreichen Liedtexten einschlägiger Musikgruppen offen zum Ausdruck gebracht. Gerade die Liedtexte fungieren als wichtiges Medium, um rechtsextremistische und zum Teil gewaltbefürwortende Inhalte zu verbreiten. Gleichzeitig sollen damit bei den Hörern Hemmschwellen in Bezug auf die Ablehnung Anderer und die Anwendung von Gewalt abgebaut werden. All dies steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Rechtsterrorismus Der Rechtsterrorist Stephan BALLIET wurde für seinen Anschlag auf die Synagoge in Halle (Saale) und den Mord an zwei Personen am 21. Dezember 2020 vom Oberlandesgericht Naumburg zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Er verbüßt seine Haftstrafe in einer Justizvollzugsanstalt in Sachsen-Anhalt. Im Berichtszeitraum wurde der Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt bekannt, dass BALLIET einen Briefverkehr mit einer Polizeivollzugsbeamtin geführt hat. Nach Bekanntwerden des Briefverkehrs wurden disziplinarrechtliche Schritte gegen die Beamtin eingeleitet. Sie wurde auf ihren Antrag im Oktober 2021 aus dem Dienstverhältnis entlassen. Die Auswertung der Briefe von BALLIET verdeutlichten einmal mehr, dass dieser keinerlei Reue für seine menschenverachtenden Taten zeigt, seine antisemitischen Einstellungen offen zum Ausdruck bringt und diese - sich antisemitischer Verschwö28 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus rungstheoreme bedienend - in einen Kontext zu aktuellen Ereignissen setzt. Vielmehr bezeichnet sich BALLIET ohne Umschreibung selbst als eliminatorischen Antisemiten und Rassisten. Daneben unterhielt BALLIET weitere Briefkontakte, darunter auch zu hier bekannten Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten. Die Kontaktaufnahme erfolgte in diesen Fällen von "außen", wenngleich BALLIET auf diese reagierte und die Briefe erwiderte. Es lassen sich auch daraus keine Schlüsse ziehen, die auf eine frühere aktive Einbindung von BALLIET in die rechtsextremistische Szene hindeuten. Die Verfassungsschutzbehörde wird die in der Haft unternommenen Aktivitäten BALLIETs, die sich im Ansatz mit der von BREIVIK dahingehend vergleichen lassen, als beide manipulativ auf die Außenwelt und damit auch auf andere Rechtsextremisten einzuwirken versuchen, weiter beobachten. Die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde besteht in einem solchen Fall darin, die von BALLIETs Wirken offenkundig angesprochenen oder in Teilen auch faszinierten Personen und deren ideologische Einstellung oder die aktive Einbindung in die rechtsextremistische Szene bekanntzumachen sowie die Ernsthaftigkeit und mögliche Gefährdung zu bewerten. Seit dem 13. April 2021 wird vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (Baden-Württemberg) gegen die Mitglieder der so genannten "Gruppe S." wegen des Verdachts der Planung und Vorbereitung von Anschlägen auf Moscheen und Politiker verhandelt. Auch zwei Personen aus Sachsen-Anhalt sollen daran beteiligt und mithin Teil einer mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung gewesen sein. Die beiden Personen wurden von der Verfassungsschutzbehörde der "Division Sachsen-Anhalt" innerhalb der rechtsextremistischen Gruppierung "Vikings Security Germania" zugerechnet, einer bürgerwehrähnlichen Gruppierung, die sich im Zuge der so genannten Flüchtlingskrise im asylund muslimenfeindlichen Spektrum des Rechtsextremismus herausgebildet und verfestigt hatte. Deren Mitglieder traten vor allem in den Jahren 2019 und 2020 in Sachsen-Anhalt mit so Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 29 RechtsextRemismus genannten Streifengängen an diversen Orten in Erscheinung. Im Berichtszeitraum waren - wohl auch aufgrund des Ermittlungsverfahrens - Aktivitäten der verbliebenen Personen der Gruppe nicht festzustellen, wenngleich diese nicht von ihren rechtsextremistischen Einstellungen abgerückt sein dürften. Am vorgenannten Beispiel wird deutlich, dass die Übergänge von einer zuerst virtuell agierenden Gruppe über ein vermeintliches Eintreten für Sicherheit und Ordnung abseits des staatlichen Gewaltmonopols bis hin zur Bereitschaft zur Ausübung schwerster Gewalttaten oder Anschläge fließend sind und auch der Radikalisierungsprozess innerhalb einer solchen Gruppe äußerst schnell verlaufen kann. Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner Die Verfassungsschutzbehörde verzeichnete im Berichtszeitraum bundeslandübergreifend Auseinandersetzungen und gewalttätige Übergriffe zwischen Linksund Rechtsextremisten, die in Teilen auch in entsprechende Mobilisierungsund Vorbereitungshandlungen übergingen und ein Aufschaukeln der Lage befürchten ließen. Von den Auseinandersetzungen waren auch Personen und Objekte der rechtsextremistischen Szene in Sachsen-Anhalt betroffen. Wenn auch nicht in diesem überregionalen Kontext verortet, sind in diesem Themenkomplex auch die teils gewalttätigen und mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Übergriffe auf Personen des linken Spektrums anzuführen, die sich gegen den Ausbau der Autobahn 14 aussprechen und im ehemaligen Bahnhof in Seehausen (Landkreis Stendal) ihr "Basislager" errichtet haben. So haben Personen, die der Verfassungsschutzbehörde zuvor noch nicht bekannt gewesen waren, das Objekt und dort anwesende Personen mehrfach attackiert. Als Höhepunkt der Aktionen kann ein am 18. Juni 2021 verübter Angriff angeführt werden, bei dem zwei männliche Täter dort angetroffene Personen mit einer Soft-Air-Waffe beschossen und die Tat gefilmt haben. 30 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Bei der Tatausübung trug ein Täter eine weiße Kapuze, ähnlich der des Ku-Klux-Klans. Wenngleich die jeweiligen Täter zuvor nicht als Rechtsextremisten bekannt waren, lassen die Übergriffe auf ein mutmaßlich als "linkes Szeneobjekt" identifiziertes Objekt unter wiederkehrender Verwendung rechtsextremistischer Symbolik in der Gesamtschau den Schluss zu, dass die Aktion nicht mehr allein als rein unpolitische Provokation bewertet werden kann. Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden Im Rahmen der Fortschreibung des vom Bundesamt für Verfassungsschutz erarbeiteten und vom Bundesinnenminister am 6. Oktober 2020 vorgestellten bundesweiten Lagebildes "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" wurden der Verfassungsschutzbehörde weitere Hinweise auf mögliche Bezüge von Polizeivollzugsbeamten zum Rechtsextremismus bekannt. Die Anzahl der detektierten Verdachtsfälle hat sich im Vergleich zum vorangegangenen Berichtszeitraum erhöht. Dies dürfte aber weniger mit einem Anstieg von rechtsextremistischen Einstellungen innerhalb der Polizei zu begründen sein, sondern vielmehr mit einer gesteigerten Sensibilität von Dienstvorgesetzten und Aufsichtsbehörden. Neben der einleitend aufgeführten Polizeivollzugsbeamtin, die in einem Briefverkehr mit dem Rechtsterroristen Stephan BALLIET stand, hat die Verfassungsschutzbehörde bei drei als Verdachtsfall detektierten Polizeivollzugsbeamten in der Folge auch aktive Verbindungen zu hier bereits bekannten Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen bekanntgemacht. Bürgerwehrähnliche Strukturen in der rechtsextremistischen Szene Gerade innerhalb der gewaltorientierten rechtsextremistischen Szene wird spätestens seit der im Jahr 2015 begonnenen Aufnahme von Flüchtlingen die Auffassung vertreten, dass der Staat Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 31 RechtsextRemismus nicht mehr in der Lage sei, sein Gewaltmonopol auszuüben und "Volk und Heimat" zu schützen. Rechtsextremisten sehen sich daher nicht selten berufen, die "deutsche" Bevölkerung zu schützen und sich auf einen aus ihrer Sicht drohenden "Rassenkrieg" vorzubereiten. In der nahen Vergangenheit haben sie den Versuch unternommen, mit dem Aufbau bürgerwehrähnlicher Strukturen vor Ort Anschluss an nicht-extremistische Milieus zu finden. Wenngleich die Aufnahme von Flüchtlingen in den Jahren 2015/16 seit dem Beginn des Jahres 2020 in den Hintergrund gerückt ist, wird das Thema unverändert von Rechtsextremisten bedient. So veröffentlichte die rechtsextremistische Partei "Der III. Weg", die fortlaufend auch zur körperlichen Ertüchtigung zum Zwecke der Wehrhaftigkeit aufruft, um den Jahreswechsel 2021/2022 mehrere Beiträge auf ihrer Internetseite, in denen über zurückliegende "Bürgerstreifen" berichtet wurde, etwa in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau oder in Schönebeck (Salzlandkreis). In Dessau-Roßlau seien bei diesen Aktionen Flyer mit der Überschrift "KEIN ZWEITES 2015! GRENZSCHLIEßUNGEN JETZT!" in der Stadt verteilt worden. 32 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Rechtsextremisten und Kampfsport Die Verfassungsschutzbehörde hat in den zurückliegenden Jahren ein gesteigertes Interesse an der Ausübung von Kampfsport innerhalb der rechtsextremistischen Szene beobachten können. Einen vorläufigen Höhepunkt stellten im Jahr 2020 die Planungen für das von der Polizei letztlich untersagte Großereignis "Kampf der Nibelungen" dar, dessen Kämpfe am 26. September 2020 auf dem Gelände des Klubhauses der rechtsextremistisch geprägten Rockergruppierung "MC Division 39 Magdeburg" in Magdeburg-Rothensee für eine spätere Veröffentlichung im Internet aufgezeichnet werden sollten. Wenngleich ein solches Großereignis im Berichtszeitraum zumindest in Sachsen-Anhalt ausblieb, erlangte die Verfassungsschutzbehörde vermehrt Informationen über kleinere, aber dennoch professionalisiert vorbereitete Kampfsporttrainings. Derartige Veranstaltungen sollen in einer sich zunehmend verjüngenden und aktionsorientierten rechtsextremistischen Szene der Rekrutierung eines bislang nicht erreichbaren Personenpotenzials dienen, wobei der Event-Charakter "großer" Veranstaltungen die Attraktivität und das Rekrutierungspotenzial massiv stärkt. Daneben fördern Veranstaltungen mit steigenden Zuschauerzahlen auch die Vernetzung und dienen schlicht auch als Geldquelle. Darüber hinaus trainieren Rechtsextremisten in kommerziellen Kampfsportschulen, die auch anderen Personen, teils sogar mit Migrationshintergrund oder anderer politischer Ausrichtung, offenstehen und von diesen genutzt werden. Vor allem gewaltorientierte Rechtsextremisten nutzen diese Angebote, um sich zu ertüchtigen und auf den "Kampf auf der Straße" vorzubereiten. Es ist davon auszugehen, dass sie sich in der Regel nicht zu erkennen geben, um einen Ausschluss von den Kampfsportschulen zu vermeiden. Insgesamt bestehen aber in Sachsen-Anhalt aktuell keine strukturierten und zielgerichteten Verbindungen zwischen der rechtsextremistischen Szene und der Kampfsportszene. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 33 RechtsextRemismus Rechtsextremisten und Waffen Gerade subkulturell geprägte und gewaltbereite Rechtsextremisten weisen häufig eine besondere Affinität zu Waffen auf. Waffen haben in der rechtsextremistischen Szene aus milieuspezifischen und insbesondere ideologischen Gründen eine große Bedeutung. Die für diese Szene typische Kombination einer menschenverachtenden Weltanschauung mit einer niedrigen Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt und einer Faszination für Waffen schafft ein nicht zu vernachlässigendes Bedrohungspotenzial, wie die rechtsterroristischen Aktivitäten des NSU und zuletzt auch die Mordtaten von Halle (Saale), Kassel und Hanau (Hessen) gezeigt haben. Im Berichtszeitraum sind der Verfassungsschutzbehörde Rechtsextremisten bekannt geworden, die - teilweise wiederkehrend - an Schießtrainings im Inund Ausland teilgenommen haben. Gerade im osteuropäischen Ausland haben Rechtsextremisten die Möglichkeit, das Schießen mit vollautomatischen Kriegswaffen zu trainieren. Aber auch in Deutschland stehen ihnen privat betriebene Schießstände offen. Zum Teil können sie dort mit entsprechend vorgehaltenen Leihwaffen schießen oder aber sie kennen persönlich legale Waffenbesitzer, die mit ihnen trainieren und hierfür die Schusswaffen auf dem Schießstand zur Verfügung stellen. Eine gezielte Unterstützung von Rechtsextremisten durch private Schießstandbetreiber oder Schützenvereine hat die Verfassungsschutzbehörde bislang nicht festgestellt. Gerade um die Möglichkeiten des sportlichen Schießens wahrnehmen zu können, dürften es viele Rechtsextremisten bei solchen Veranstaltungen vermeiden, ihre ideologische Einstellung offen zu artikulieren. Daneben verzeichnet die Verfassungsschutzbehörde immer noch eine größere Anzahl an Rechtsextremisten mit waffenrechtlichen Erlaubnissen, die sie zum Besitz von erlaubnispflichtigen und mithin "scharfen" Schusswaffen berechtigen. Soweit der Verfassungsschutzbehörde ausreichend mitteilbare 34 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Erkenntnisse zu diesen Personen vorliegen, die Zweifel an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit aufkommen lassen, werden die zuständigen Waffenbehörden auf der Grundlage von SS 18 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt hierüber informiert. Im Berichtszeitraum haben die zuständigen Unteren Waffenbehörden die waffenrechtlichen Erlaubnisse im Anschluss an solche Auskünfte in einzelnen Fällen entzogen. Zudem ist es im rechtsextremistischen Spektrum eine verbreitete Praxis, wenn man sich mit der Beantragung eines so genannten Kleinen Waffenscheins in die Lage versetzt, erlaubnisfreie, aber nicht minder gefährliche (Schreckschuss-)Waffen in der Öffentlichkeit bei sich führen zu dürfen. Damit wird nicht zuletzt die Abschreckung von vermeintlichen politischen Gegnern und "Fremden" intendiert. Eine besondere Bedrohung für die innere Sicherheit geht von der illegalen Nutzung von Schusswaffen durch Rechtsextremisten aus. Polizeiliche Ermittlungen, die im Berichtszeitraum durchgeführt wurden, haben erneut gezeigt, dass diese Bedrohung nicht unterschätzt werden darf. So fand die Polizei im Rahmen einer Hausdurchsuchung im Frühjahr 2021 bei einem der Verfassungsschutzbehörde hinlänglich bekannten, der rechtsextremistischen Gruppierung "Harzrevolte" zuzurechnenden Rechtsextremisten diverse illegale Schusswaffen und Munition. Bei einer anderen Person durchsuchte die Polizei im Sommer 2021 aufgrund des Verdachts des illegalen Waffenbesitzes die Wohnräume. Dabei stellte sie diverse Devotionalien und andere Hinweise fest, die darauf schließen lassen, dass es sich bei der Person um einen Rechtsextremisten handelt. Vorbereitung auf den "Tag X" Es ist nicht allein die Affinität zu Waffen, die Rechtsextremisten umtreibt und zu entsprechenden Handlungen animiert, sondern auch die Vorstellung, dass es in Deutschland vor allem aufgrund Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 35 RechtsextRemismus der Zuwanderung und zuletzt auch wegen der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu einem politischen Umsturz oder zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen wird, auf die man vorbereitet sein müsse. Rechtsextremisten befassen sich daher intensiv mit Überlebensstrategien und Praktiken privater Krisenvorsorge in Vorbereitung auf einen "Tag X", die auch in der sogenannten Prepper-Szene propagiert werden. Während in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre die Aufnahme von Flüchtlingen innerhalb der rechtsextremistischen Szene apokalyptische Untergangsfantasien genährt hat, empfinden Rechtsextremisten nunmehr die Auswirkungen der CoronaPandemie als Anstoß für ihre von Verschwörungstheorien und Ideologemen geprägten Bestrebungen. Die Verfassungsschutzbehörde stellte im Berichtsjahr fortwährend fest, dass innerhalb von rechtsextremistischen Gruppierungen und Foren diverse Möglichkeiten zur Vorbereitung auf den "Tag X" und den damit einhergehenden politischen Umsturz oder aber den "Rassenkrieg" thematisiert und diskutiert werden. Vor allem im virtuellen Raum waren vereinzelte Aufrufe zur Vorbereitung auf einen "Tag X" auszumachen, an dem die staatliche Ordnung zusammenbrechen werde. Teilweise wurde in diesem Kontext auch darüber diskutiert, wie man diesen "Tag X" gezielt herbeiführen könnte. Verbindungen zu anderen Subkulturen Eine gezielte Beobachtung der Fußballfanoder Hooliganszene erfolgt von der Verfassungsschutzbehörde in Sachsen-Anhalt nicht, weil keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass von dieser Szene Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Dennoch stellt die Verfassungsschutzbehörde regelmäßig personelle Schnittmengen zwischen der rechtsextremistischen Szene und der Hooliganszene fest; vor allem dann, wenn bekannte Rechtsextremisten wahrnehmbar und aktiv in der Hooliganszene auftreten oder Mitglieder von Hooliganoder Fangruppierungen 36 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus mit Straftaten der politisch motivierten Kriminalität -rechtsin Erscheinung treten. Gerade die letztgenannte Schnittmenge besteht zu einem nicht unerheblichen Teil aber auch aus Fällen, bei denen nicht der politische Aktivismus im Vordergrund steht, sondern vielmehr der Hang zur Gewaltausübung. Als Beispiel für die vorgenannte Schnittmengenbetrachtung ist etwa eine von der Polizei am 30. Oktober 2021 in Halle (Saale) festgestellte Straftat der politisch motivierten Kriminalität -rechtsin Gestalt einer Volksverhetzung zu benennen. Hier wurde in einer Straßenbahn aus einer 20-köpfigen Personengruppe von Fußballfans lautstark "Kanaken zerhacken" gerufen und im Anschluss gegenüber der Polizei mehrfach der Hitlergruß gezeigt. Daneben hat die Verfassungsschutzbehörde im Zusammenhang mit einzelnen Versammlungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wieder verstärkt politisch motivierte Aktivitäten von Personen aus der Hooliganszene wahrgenommen. Dabei handelt es sich vor allem um Personen, die bereits in der Vergangenheit auch als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten sind, wie etwa Mitglieder der früheren Personenzusammenschlüsse "Gemeinsam Stark Magdeburg" und "Blue White Street Elite". Gerade der letztgenannte Personenkreis ist Ende 2021 bei Versammlungen in Burg und Genthin (Landkreis Jerichower Land) aktiv in Erscheinung getreten. Bei der Betrachtung der Schnittmengen zwischen der rechtsextremistischen Szene und der Rockerszene fokussierte sich die Verfassungsschutzbehörde im Berichtsjahr wieder verstärkt auf die Aktivitäten der rechtsextremistisch geprägten Rockergruppierung "MC Division 39 Magdeburg". Nachdem diese im Vorjahr (2020) im Zusammenhang mit der Ausrichtung der rechtsextremistischen Kampfsportgroßveranstaltung "Kampf der Nibelungen" in Erscheinung getreten war, erhielt die Verfassungsschutzbehörde im Berichtszeitraum Hinweise auf Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 37 RechtsextRemismus mögliche rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierte Aktionen der Rockergruppierung. Insoweit scheint sich die Gruppierung, bei deren Gründungsmitgliedern es sich zum Teil um frühere Magdeburger Neonazis handelt, verstärkt dem rechtsextremistischen Spektrum anzunähern. Mitglieder der Gruppierung haben sich zudem an den Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie beteiligt. Auch dies spricht für eine forcierte politische Ausrichtung. Rockerähnliche Gruppierung "Brigade 8" Neben den Verbindungen von Rechtsextremisten in die Rockerszene stellt die Verfassungsschutzbehörde seit geraumer Zeit auch rechtsextremistische Gruppierungen fest, welche die Strukturen und Erscheinungsformen von Rockern adaptieren. Als Beispiel ist hier die rechtsextremistische Gruppierung "Brigade 8 - Mittel/Elbe" zu nennen, deren Mitglieder bei rechtsextremistischen Veranstaltungen mit entsprechenden "Kutten" in Erscheinung treten und dadurch leicht zu identifizieren sind. Der Gruppierung werden bekannte Rechtsextremisten zugerechnet, die - den Strukturen der Rockerszene folgend - als so genannte Mitglieder, Anwärter oder Unterstützer geführt werden. Im Berichtszeitraum trat die "Brigade 8 - Mittel/Elbe" mit der Teilnahme an Versammlungen der rechtsextremistischen Szene, wie etwa am 12. Juni 2021 in Dessau-Roßlau oder mit einer Kranzniederlegung an einem Kriegsdenkmal am 15. November 2021 in Altjeßnitz (Landkreis Anhalt-Bitterfeld), in Erscheinung. Der Kranz wies das Logo der Gruppierung und den Schriftzug "Sie waren die besten Soldaten der Welt" auf. Dies belegt in der Gesamtschau der vorliegenden Erkenntnisse zum Personenpotenzial einmal mehr das geschichtsrevisionistische und den Nationalsozialismus verherrlichende Weltbild des organisierten Rechtsextremismus. Politisch motivierte Kriminalität -rechtsFür die Sicherheitsbehörden ist die Häufigkeit von Straftaten, die der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) -rechtszuzurech38 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus nen sind, ein wichtiger Indikator für die Beurteilung der aktuellen Gewaltbereitschaft des Rechtsextremismus. Im Berichtsjahr wurden insgesamt 1.560 Straftaten im Bereich der PMK -rechtserfasst. Damit ist im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang zu konstatieren, der auf die Zahl der erfassten Propagandastraftaten zurückzuführen ist. Mit 1.000 Delikten macht diese Deliktsgruppe weiterhin den mit Abstand größten Teil der PMK -rechtsaus. Die Anzahl der Gewaltstraftaten ist gegenüber dem Vorjahr nahezu unverändert. Fremdenfeindlich motivierte Strafund Gewalttaten Die Agitation gegen die Asylund Migrationspolitik der Bundesregierung ist für die rechtsextremistische Szene weiterhin von großer Bedeutung. Teile der Szene bedienen sich auch gewaltsamer Mittel, um ihren asylfeindlichen Einstellungen Ausdruck zu verleihen. Ein Beispiel für eine fremdenfeindliche Straftat, die im Berichtszeitraum begangen wurde, ist ein Sachverhalt vom 27. November 2021 in Braunsbedra (Saalekreis). Hier bedrohten drei deutsche Tatverdächtige einen 52-jährigen Iraker verbal und mit einem Cuttermesser. Die Ablehnung der aktuellen Asylpolitik durch die rechtsextremistische Szene ist eng mit einer ausgeprägten Islamfeindlichkeit verbunden, trat im Berichtszeitraum aber eher in den Hintergrund. Dennoch kam es zu Angriffen und Straftaten mit islamfeindlicher Motivation. Ein solches Verhalten zeigt ein Vorfall vom 9. November 2021 in Halle (Saale). Hier wurde eine staatenlose und schutzsuchende muslimische Frau, die ein Kopftuch trug, von einem 38-jährigen Deutschen verbal und körperlich angegriffen. Antisemitisch motivierte Strafund Gewalttaten Trauriger Höhepunkt der antisemitisch motivierten Straftaten in Sachsen-Anhalt war im Jahr 2019 der Angriff von Stephan BALLIET auf die Synagoge in Halle (Saale). Auch nach diesem ErVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 39 RechtsextRemismus eignis kam es immer wieder zu verletzenden Ansprachen, Beleidigungen und Bedrohungen von Juden, aber auch zu Angriffen auf Juden oder jüdische Einrichtungen. Jüdische Mitbürger und Einrichtungen werden auch künftig ein Ziel von antisemitisch ideologisierten Straftätern bleiben. Im aktuellen Berichtszeitraum setzte sich die ansteigende Tendenz bei den antisemitischen Straftaten der letzten Jahre fort. Am 2. Juli 2021 ging in der Synagogen-Gemeinde zu Magdeburg ein Brief mit volksverhetzendem und antisemitischem Inhalt ein. Als Absender wurde der fiktive Name "Loddar Goldi aus dem Ost-Harz" angegeben. Im Schreiben heißt es: "Sehr geehrtes Judenpack, Ich vertrete die Arischen Brigaden Mitteldeutschlands! Eure Zeit ist nun gekommen! Wir sehen uns! In diesem Sinne HEIL HITLER!" (Schreibweise wie im Original) Weiterhin war zusätzlich ein Hakenkreuz abgebildet. Ein Täter konnte bisher nicht ermittelt werden. Ein Beispiel für Angriffe auf jüdische Einrichtungen, die im Berichtszeitraum festgestellt wurden, ist die Verunstaltung des Israelitischen Friedhofs in Dessau-Roßlau mit rechtsextremistischen Schriftzügen wie "SektioN DeSSAU" (sic), die am 5. November 2021 entdeckt wurden. Die Täter konnten bislang nicht ermittelt werden. In der Nacht vom 23. zum 24. Juli 2021 wurde in Magdeburg von einem unbekannten Täter das Banner des Fördervereins "Neue Synagoge Magdeburg" beschädigt. Der Täter brannte ein ca. 10 mal 10 cm großes Loch in das Banner. In der Nacht vom 7. zum 8. August 2021 hat ein unbekannter Täter an dem PKW eines ehrenamtlichen Mitarbeiters der Jüdischen Gemeinde zu Halle (Saale) eine Fensterscheibe eingeschlagen und Schlüssel sowie Transponder aus dem Fahrzeug entwendet, die dem Täter den Zutritt zur Synagoge und zum Gemeindesitz ermöglichten. In Eisleben (Landkreis Mansfeld-Südharz) haben unbekannte Täter am Morgen des 13. Oktober 2021 in die Hauseingangstür der ehemaligen Synagoge beleidigende sexistische Wörter und Symbole eingeritzt. 40 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Zudem wurde die Objektmauer der Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Halle (Saale) allein im Jahr 2021 insgesamt fünf Mal mit Sprühfarbe beschmiert. Auch in diesen Fällen wurden die Täter bislang nicht ermittelt. Straftaten gegen den politischen Gegner Die Konfrontation mit dem politischen Gegner ist ein ständiger Reizpunkt innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Die gewaltorientierte Haltung gegenüber dem politischen Gegner entlädt sich in unterschiedlichen Formen: in Angriffen auf Mitglieder und Einrichtungen politischer Parteien, in der Zerstörung von Wahlplakaten, in verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Aktionen sowie in Form der Verbreitung von Hasspostings, Drohmails und Drohschreiben. Ein nicht unerheblicher Teil der strafbaren Handlungen im Berichtszeitraum stand im Kontext der Landtagswahl in SachsenAnhalt und der Bundestagswahl. In Bernburg (Salzlandkreis) wurde am 2. Mai 2021 ein Wahlplakat der CDU, auf dem ein Kandidat der Partei abgebildet war, mit dem Wort "Jude" beschmiert. Am 5. Mai 2021 wurde in der Lutherstadt Eisleben (Landkreis Mansfeld-Südharz) auf einem Großwerbeträger der SPD zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt ein Hakenkreuz aufgesprüht. Am 9. Mai 2021 kam es in Bad Dürrenberg (Saalekreis) zu einem ähnlichen Vorfall. Hier beschmierten unbekannte Täter die Rückseite eines Werbeträgers der CDU mit den Worten "Fuck Linke" sowie mit zwei Hakenkreuzen und zwei SS-Runen. In Wanzleben (Landkreis Börde) machten unbekannte Täter am 20. August 2021 ein Wahlplakat der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" unkenntlich und beschmierten es mit einem Hakenkreuz. Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik hat innerhalb der Szene aufgrund ihrer identitätsstiftenden Funktion nach wie vor eine zentrale Bedeutung. Rechtsextremisten nutzen die Musik, um JugendVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 41 RechtsextRemismus liche oder junge Erwachsene an ihre Ideologie heranzuführen. Die Protagonisten vermitteln offen oder unterschwellig durch die Liedinhalte und ihre Selbstdarstellung rechtsextremistische Feindbilder und nationalistische, fremdenfeindliche, antisemitische und antidemokratische Ideen. Die nach dem Beginn der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 beschlossenen Eindämmungsmaßnahmen haben die rechtsextremistische Musikszene in ihren Aktivitäten stark eingeschränkt. Zeitweise kamen diese Aktivitäten im Berichtszeitraum ganz zum Erliegen; allerdings hat die Szene jede Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen sofort genutzt, um erneut Musikveranstaltungen durchzuführen. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen In Sachsen-Anhalt fanden im Jahr 2021 insgesamt vier (2020: drei) rechtsextremistische Konzerte und zehn (2020: elf) Liederabende statt. Daneben wurden sieben (2020: neun) sonstige Musikveranstaltungen registriert, in deren Verlauf es zur Darbietung von Livemusik kam. Hierunter sind beispielsweise Veranstaltungen zu verstehen, bei denen die Musikdarbietung eine untergeordnete Rolle spielte und nur der musikalischen Umrahmung diente. Zum Beispiel führte die "Harzrevolte" am 2. Oktober 2021 ein "Kameradschaftswochenende und Vernetzungstreffen" unter anderem mit Mitgliedern der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" durch. Im Rahmen dieser Veranstaltung kam es dann auch zu Livebeiträgen von Liedermachern. Wie in den Vorjahren war festzustellen, dass die Musikveranstaltungen größtenteils in Räumlichkeiten stattfanden, die sich in privatem Besitz befinden. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich dabei sowohl bei Konzerten als auch bei Liederabenden und sonstigen Veranstaltungen durchschnittlich im mittleren zweistelligen Bereich. 42 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Anklage gegen elf Personen wegen Fortführung der verbotenen Vereinigung "Blood & Honour Division Deutschland" Am 28. Januar 2021 erhob die Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) München Anklage gegen elf Personen aus vier Bundesländern wegen des Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot gemäß SS 85 Strafgesetzbuch (StGB). Diese Personen werden beschuldigt, von Oktober 2016 bis Dezember 2018 das Ziel verfolgt zu haben, die seit dem Jahr 2000 in Deutschland verbotene Organisation Blood & Honour (B&H)1 fortzuführen. Sie sollen eine B&H-Struktur mit drei so genannten Sektionen in Baden-Württemberg, Bayern und Thüringen aufgebaut und rechtsextremistische Ideologie unter anderem durch die Produktion und den Vertrieb von Musik-CDs verbreitet haben. Zudem unterhielten sie Kontakte zu ausländischen B&H-Gruppierungen und planten die Durchführung rechtsextremistischer Konzerte. Damit erstreckten sich die Aktivitäten der Beschuldigten auch in diesem Punkt auf eines der früheren Hauptbetätigungsfelder der verbotenen B&H, die in den 1990er Jahren als einer der wichtigsten Organisatoren rechtsextremistischer Konzerte in Deutschland in Erscheinung getreten war. Die Anklageerhebung ist das Ergebnis eines mehrjährigen Ermittlungsverfahrens, welches die GenStA München im November 2018 eingeleitet hatte. Ausgangspunkt waren Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden, die den Schluss zuließen, dass 1 - Bei der "Blood & Honour"-Bewegung handelt es sich um eine international agierende neonazistische Bewegung. Sie wurde im Jahr 1987 in Großbritannien von der Führungsfigur der Skinhead-Bewegung, dem britischen Neonazi Ian Stuart Donaldson, mit dem Ziel gegründet, die rechtsextremistische Ideologie über rechtsextremistische Musik zu verbreiten. Sieben Jahre später entstand ein deutscher Ableger der britischen Mutterorganisation. Einige Jahre lang war die Gruppierung, die ein eigenes Produktionslabel für rechtsextremistische Tonträger betrieb, eine der wichtigsten Veranstalter rechtsextremistischer Skinhead-Konzerte in Deutschland. Die "B&H-Division Deutschland" wurde mitsamt ihrer Jugendorganisation "White Youth" im September 2000 vom Bundesminister des Innern verboten. Das Verbot ist seit dem 16. Juni 2001 unanfechtbar. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 43 RechtsextRemismus in mindestens drei Bundesländern neue B&H-Sektionen gegründet worden waren. Daneben lagen Hinweise auf eine übergeordnete deutschlandweite "Divisions"-Führungsstruktur vor. Weitere Ermittlungen im Jahr 2018 konnten den bestehenden Verdacht erhärten. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten weiterhin aufmerksam alle Aktivitäten mit Bezug zur B&H-Bewegung, um mögliche weitere Nachfolgebestrebungen und somit Verstöße gegen das Vereinsgesetz aufzudecken. Nach wie vor liegen der Verfassungsschutzbehörde keine Hinweise auf die Existenz von "Blood & Honour"-Strukturen in Sachsen-Anhalt vor. Rechtsextremistische Vertriebe Innerhalb der rechtsextremistischen Szene gibt es immer wieder Bestrebungen, über diverse Vertriebsorganisationen einen Geldund Warentransfer zu etablieren. Dabei gibt es unterschiedliche Zielrichtungen und Verkaufsstrategien. Die jeweiligen Vertriebe sprechen diverse Zielgruppen an und führen daher ein entsprechendes zielgruppenorientiertes Angebot. Das kann den Vertrieb von Tonträgern rechtsextremistischer Musikgruppen sowie deren Merchandise-Produkte beinhalten, aber auch Bekleidung mit szenebezogenen Aufdrucken, wie z. B. einschlägig bekannte Zahlenund Buchstabencodes oder entsprechende Parolen beziehungsweise Slogans. Diese Angebote richten sich häufig vor allem an die subkulturell geprägte Szene. Angebote, die sich an die eher neonazistisch orientierte Zielgruppe richten, glorifizieren zumeist die Wehrmacht und die NS-Diktatur. Der internetbasierte Vertriebsweg hat sich durchgesetzt. Rechtsextremisten bieten ihre Waren unkompliziert an und potentielle Kunden haben die Möglichkeit, anonym und unbehelligt Produkte zu sichten und zu erwerben. Hinzu kommt, dass über diverse Plattformen in den sozialen Medien eine direkte Kommunikation zwischen dem Käufer und dem Verkäufer stattfinden kann. Auf diesem Wege können Kunden über das ausgestellte Angebot hinaus Produkte oder Produktdesigns bestellen. 44 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Im Berichtsjahr wurde im Internet ein Internetvertrieb mit der Bezeichnung "Hobbyarbeit aus der Altmark" bekannt. Neben dem Vertriebsnamen bildet ein Symbol den zentralen Bestandteil der Startseite. Bei dem Symbol handelt es sich um eine Rune mit der Bezeichnung "Jera".2 Über die Internetseite werden die verschiedensten Produkte angeboten, zum Beispiel Armbänder und Schlüsselanhänger, bedruckte und bestickte Bekleidung, Tassen, Schieferplatten, LED-Lichterbögen oder andere Holzdekorationen, wobei viele Artikel mit einer Lasergravur versehen werden können. Auf diesen Artikeln sind häufig Runen abgebildet, darunter Sig-Runen und das Symbol der "Schwarzen Sonne". Eventuell strafrechtlich relevante Darstellungen werden abgedeckt präsentiert. 2 - Jera oder auch Jara ist die zwölfte Rune des älteren Futharks mit dem Lautwert j und fehlt im jüngeren Futhark. Der rekonstruierte urgermanische Name bedeutet "Jahr" oder "Ernte". Die Rune erscheint in den Runengedichten als altenglisch gear bzw. gotisch gaar (Quelle: https://www.wirkendekraft.at/Rune_Jera/). Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 45 RechtsextRemismus Über einen zu dem Vertrieb gehörenden Telegramkanal sind mehrfach Einträge ersichtlich, die neonazistische Bezüge aufweisen. Teilweise haben diese Einträge Bezüge zum Tierschutz. Innerhalb der Beiträge werden häufig die Zusätze "241133" oder "Projekt 241133"3 verwendet. Zudem werden Bilder gezeigt, auf denen der Arm einer männlichen Person sowie ein Schäferhund abgebildet sind. Im Rahmen einer Bildersuche konnten die vermutlichen Originalbilder gefunden werden. Das Originalfoto zeigt Adolf Hitler mit seiner Schäferhündin "Blondi". 3 - Am 24.11.1933 wurde das erste Reichstierschutzgesetz verabschiedet. Zunächst fand dieses Gesetz große internationale Anerkennung und Beachtung, da es nach außen hin die Tierquälerei erstmalig unter Strafe stellte. Letztlich wurde das Gesetz jedoch vorrangig zum Zweck der Diskriminierung von Juden sowie Sinti und Roma eingesetzt. 46 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Daneben versuchen Rechtsextremisten im Rahmen von Szeneveranstaltungen, wie zum Beispiel auf dem "Nationalen Handwerkermarkt"4, mittels mobiler Verkaufsstände Waren zu vertreiben, ohne dabei in der Öffentlichkeit aufzutreten. Hier werden zumeist Bekleidungsgegenstände, aber auch sonstige Devotionalien wie Tassen, Anstecker oder Tonträger angeboten, deren öffentlicher Verkauf häufig strafbar wäre, da die Gegenstände teilweise mit verfassungsfeindlichen Symbolen versehen sind oder die Texte auf den Tonträgern teils strafbare Textpassagen enthalten. Rechtsextremistische Objekte und Immobilienerwerb von Rechtsextremisten Szeneeigene Immobilien und Objekte bieten Rückzugsmöglichkeiten und dienen als mögliche Veranstaltungsund Schulungsräume. Gerade die Möglichkeit zur Schaffung von Rückzugsräumen erfährt derzeit ein erhöhtes Interesse innerhalb der rechtsextremistischen Szene. So sind einzelne Szeneangehörige bestrebt, Objekte oder Immobilien zu erwerben, um hier abgrenzbare Wohnund Veranstaltungsräume für Gleichgesinnte zu schaffen. In diesem Kontext gilt auch weiterhin, dass gastronomische Einrichtungen, die von Rechtsextremisten betrieben werden, eine größere Bedeutung für die rechtsextremistische Szene haben als andere Lokalitäten. Die lässt sich vor allem damit erklären, dass derartige Einrichtungen nicht nur laufende Einnahmen generieren, sondern auch als Veranstaltungsräume für die Szene genutzt werden können. Ein Beispiel für ein solches Objekt in Sachsen-Anhalt ist das in Naumburg (Burgenlandkreis) ansässige "Lokal 18". Inzwischen hat sich das "Lokal 18" als ein fester Anlaufpunkt für Rechtsextremisten etabliert. Der Betreiber bezeichnet seine Gastwirtschaft in seinem Telegram-Account als "lokalpatriotisches Lokal". 4 - Siehe dazu auch Seiten 57 und Seite 98. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 47 RechtsextRemismus Daneben sind dem Verfassungsschutz auch sogenannte "völkische Siedlungsbestrebungen" bekannt geworden. Einige dieser Gemeinschaften leben ihre völkischen Überzeugungen ohne Anspruch auf eine politisch-gesellschaftliche Umgestaltung aus. Sie gelten nicht als verfassungsfeindliche Bestrebungen. Für den Verfassungsschutz sind völkische Siedlungsbestrebungen dann relevant, wenn Akteure aus dem rechtsextremistischen Spektrum gezielt versuchen, Rückzugsräume zu schaffen, indem sie bestimmte Gebiete durch Zuzug und/oder ideologische/kulturelle Prägung vereinnahmen. Die derzeit von Rechtsextremisten im ländlichen Raum genutzten Objekte dienen in der Regel Wohnzwecken oder werden anlassbezogen für Treffen und Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene genutzt. Es ist ein zunehmendes Bestreben innerhalb der rechtsextremistischen Szene erkennbar, Szeneangehörige dazu zu bewegen, sich vornehmlich im ländlichen Raum niederzulassen. Dabei wird vermehrt Bezug genommen auf ein angeblich stetig an48 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus wachsendes ethnisch-kulturelles und religiöses Konfliktpotenzial in den dichter besiedelten urbanen Regionen. Dieser Entwicklung wollen Rechtsextremisten mit der Ansiedlung "nationaler Familien und Aktivsten" in Mitteldeutschland5 systematisch entgegen wirken. Dabei werden ein niedriger Ausländeranteil, günstiger Wohnraum und eine sehr günstige Arbeitsmarktlage als "gute Standortfaktoren" kommuniziert. Gerade die ländlich geprägten Regionen, mit den teils "abgelegenen" kleinen Ortschaften, bieten für derartige Siedlungsbestrebungen ein lohnendes Ziel, da insbesondere wegen der ländlichen Lage deutlich geringere Kaufpreise aufgerufen werden können als in urbanen Regionen. In vielen Fällen sind die Verkäufer "froh", überhaupt einen Käufer für die Immobilie gefunden zu haben. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene blieb in Sachsen-Anhalt im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert. Wenngleich sich die Szene fortwährend verjüngt und damit von ihr auch andere Aktionsfelder bedient werden, stehen unverändert die Themen Zuwanderung, Antisemitismus und die Auseinandersetzung mit dem vermeintlichen politischen Gegner im Vordergrund. Im Berichtsjahr 5 - Umfasst auch die Bundesländer Brandenburg und MecklenburgVorpommern. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 49 RechtsextRemismus wurde die Aktionsorientiertheit der Szene durch die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie zwar erneut gehemmt. Gleichwohl boten die gegen die damit einhergehenden Einschränkungen gerichteten Versammlungslagen ein entsprechendes Aktionspotenzial. Damit bleibt abzuwarten, wie sich die Aktionen im Kontext der staatlichen Einschränkungen fortentwickeln. Unverändert war festzustellen, dass - nicht zuletzt infolge der bereits erwähnten Verjüngung der rechtsextremistischen Szene - die sozialen Medien und Messengerdienste verstärkt zur Planung von größeren Veranstaltungen oder Aktionen genutzt werden, teils im Rahmen von nur temporär bestehenden bzw. "projektbezogenen" Gruppen. Die zuletzt festgestellten rein virtuellen Aktionen und Veranstaltungen nahmen ab, da an deren Stelle mit einzelnen Corona-Versammlungen neue Aktionsfelder rückten. Nichtsdestotrotz wurden gerade diese Veranstaltungen in den sozialen Medien auch von Rechtsextremisten mit Gewaltaufrufen und Androhungen von Straftaten begleitet. Dies erschwert den Sicherheitsbehörden unverändert die Bewertung der Mobilisierungsund Gefährdungspotenziale erheblich. So wird es auch künftig deren Hauptaufgabe sein, frühzeitig tatsächliche Gewaltabsichten und Gewaltankündigungen sowie Radikalisierungstendenzen im virtuellen Raum zu erkennen. 50 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Rechtsextremistisches Parteienspektrum "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Landesverband Sachsen-Anhalt Sitz Landesverband: postalisch Berlin Verbreitung Bundesverband: Berlin Gründung Landesverband: 1990 (als Landesverband "Mitteldeutsche Nationaldemokraten") Bundesverband: 1964 Struktur Landesvorsitzender: Henry-Kurt LIPPOLD (GerbAufbau stedt, Mansfeld-Südharz, seit Oktober 2019) Kreisverbände in Sachsen-Anhalt: Altmark, Anhalt-Bitterfeld, Bördekreis, Burgenlandkreis, Halle (Saale), Harz, Jerichower Land, Magdeburg, Mansfeld-Südharz, Saalekreis, Salzland, Wittenberg Unterorganisationen: "Junge Nationalisten" (JN) "Ring Nationaler Frauen" (RNF), "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) Mitglieder Land: 120 (2020: 120) Anhänger Bund: 3.150 (2020: 3.500) VeröffentWeb-Angebote: lichungen www.facebook.com/npd.sachsen.anhalt/ https://www.npd-sachsen-anhalt.de Publikation: "Deutsche Stimme" (Bundesverband, mehrmals jährlich, frei verkäufliches Magazin) Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 51 RechtsextRemismus Kurzportrait / Ziele Die NPD ist eine rechtsextremistische Partei mit verfassungsfeindlicher Ideologie und Zielsetzung. Ihre Programmatik ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet und weist darin Kernelemente eines rechtsextremistischen Weltund Menschenbildes auf. Sie ist bestrebt, die Gesellschaft im Sinne ihrer rassistischen, nationalsozialistischen und antisemitischen Vorstellungen zu prägen. Grund der Beobachtung Die NPD vertritt ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, dessen ideologisches Kernelement die Idee einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" ist. Davon ausgehend propagiert sie unverhohlen rassistische und fremdenfeindliche Positionen. Die "Vier Säulen-Strategie" der Partei, bestehend aus dem "Kampf um die Köpfe", dem "Kampf um die Straße", dem "Kampf um die Parlamente" und dem "Kampf um den organisierten Willen", verdeutlicht seit Jahren das Ziel der NPD, den demokratischen Verfassungsstaat systematisch und umfassend zu bekämpfen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundestagswahl Der Niedergang der NPD hat sich im Jahr 2021 fortgesetzt. Bei der Bundestagswahl am 26. September 2021 errang die NPD 64.608 Zweitstimmen (0,1 Prozent; 2017: 0,4 Prozent). Damit hat die NPD ihren Anspruch auf Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung vollständig verloren. Sie muss zukünftig ohne 52 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus staatliche Zuschüsse auskommen und die bereits für das Jahr 2021 erhaltenen Abschlagszahlungen in Höhe von insgesamt 260.892,63 Euro im nächsten Jahr zurückerstatten. Der NPD-Parteivorsitzende Frank FRANZ (Mecklenburg-Vorpommern) beschönigte die Situation: "Nein, wir sind nicht pleite und wir stehen auch nicht vor der Pleite. Unsere Finanzen sind solide und es besteht kein Grund zur Sorge. Dass wir künftig mit weniger Geld auskommen müssen, ist logisch. Aber dieses Szenario haben wir natürlich einkalkuliert." FRANZ kündigte an, "ganz neue Wege gehen zu müssen". Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Am 6. Juni 2021 wurde der 8. Landtag in Sachsen-Anhalt gewählt. Die NPD trat mit ihrem Spitzenkandidaten Steffen THIEL (Zeitz, Burgenlandkreis) an und konnte lediglich 0,3 Prozent der Zweitstimmen auf sich vereinen. Dies entspricht einer absoluten Zweitstimmenzahl von 2.888. Mit diesem schwachen Ergebnis setzt die NPD ihren Abwärtstrend der letzten Jahre auch in Sachsen-Anhalt fort. Bei den Landtagswahlen 2011 konnte die Partei in Sachsen-Anhalt noch 45.826 Zweitstimmen und damit einen Anteil von 4,6 Prozent verbuchen. Nach einem deutlichen Rückgang des Stimmenanteils auf 1,9 Prozent im Jahr 2016 fiel die Partei weiter zurück, mit der Folge, dass sie ihren Anspruch auf Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung nunmehr verloren hat. Bereits vor der Wahl waren die strukturellen Probleme der sachsen-anhaltinischen NPD sichtbar geworden. So kam der Wahlkampf des Landesverbandes Sachsen-Anhalt nur schleppend in Gang. Außenwirkung erzielte die Partei kaum. Auch in den sozialen Medien blieb die NPD praktisch unsichtbar. Das offizielle Wahlprogramm wurde auf der Website der NPD SachsenAnhalt erst eine Woche vor der Wahl veröffentlicht. Inhaltlich setzte die NPD darin auf altbekannte Themen wie die Asylpolitik, Globalisierungskritik oder Familienpolitik; zudem warb sie für die Stärkung von direktdemokratischen Verfahren. Daneben Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 53 RechtsextRemismus beinhaltete das Wahlprogramm auch die Themen Energiewende und Umweltschutz. Der Pressesprecher der NPD Sachsen-Anhalt, Henrik GEHRE (Merseburg, Saalekreis), kommentierte den Wahlausgang auf Facebook anschließend entsprechend ernüchtert: "Der NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt nimmt das gestrige Wahlergebnis zur Kenntnis. (...) Nach eingehender Analyse werden wir die Landtagswahlen aufarbeiten und die richtigen Schlüsse ziehen. Das Wahlergebnis ist eine Aufforderung, besser zu werden. Mit Ihnen gemeinsam wird uns das gelingen. Unser Einsatz für Deutschland wird an Fahrt aufnehmen und uns an unsere Ziele bringen. Am Ende zahlt sich Beharrlichkeit aus." Angesichts der fundamentalen Probleme der NPD wirkt diese Reaktion eher wie eine an die Parteimitglieder gerichtete "Durchhalteparole". Eine Trendwende hin zu einem Aufschwung ist derzeit weder inhaltlich-programmatisch noch hinsichtlich der strategischen Aufstellung für kommende Wahlen zu erwarten. Entwicklung des Landesverbandes Trotz seiner strukturellen Probleme ist der NPD-Landesverband darin bemüht, seinen Pflichten gemäß des Parteistatuts weiterhin nachzukommen. Dazu zählt auch die regelmäßige Durchführung von Wahlen zu den Kreisvorständen, die etwa am 24. Juli 2021 im Kreisverband Mansfeld-Südharz und am 22. August 2021 im Kreisverband Wittenberg stattfanden. Am 30. Oktober 2021 führte die NPD ihren Landesparteitag durch. Eigenen Angaben zufolge wurde Henry Kurt LIPPOLD (Gerbstedt) in seinem Amt als Vorsitzender bestätigt, als seine Stellvertreter fungieren Henrik GEHRE (Merseburg, Saalekreis) und Gustav HAENSCHKE (Magdeburg). Daneben seien zwei JN-Aktivisten in den Vorstand gewählt worden. Hierbei dürfte es sich um die Personen Benjamin FOCKE (Oranienbaum-Wörlitz, Landkreis Wittenberg) und Marcel GERSTMANN (Seegebiet Mansfelder Land, Mansfeld-Südharz) handeln. 54 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Aktivitäten Der NPD-Landesverband informiert auf seinem Facebook-Account über eine am 19. Januar 2021 in Dessau-Roßlau (OT Roßlau) durchgeführte Gedenkveranstaltung anlässlich des "Mordversuches" an einem "deutschen Patrioten". Das veröffentlichte Video zeigt Fackelträger, die in der Nähe des damaligen Tatortes ein Banner mit der Aufschrift "Keine Toleranz für Linke Gewalt - Wir zeigen Gesicht!" tragen. Mit einem weiteren Banner sucht die NPD Zeugen des "ungesühnten Verbrechens". Die NPD Sachsen-Anhalt berichtete am 8. März 2021 im Internet über eine "Gedenk-Aktion" zu Ehren der Opfer der Dessauer "Bombennacht" vom 7. März 1945. Dazu zeigen Fotos ein an einem Denkmal abgelegtes Blumengesteck mit dem Aufdruck "Freie Nationalisten aus Sachsen-Anhalt". Am 8. März 2021 führte der AfD-Kreisverband Mansfeld-Südharz in Hettstedt eine Versammlung mit dem Thema "Rückkehr zur Normalität - Vernunft statt Corona-Panikmache" durch. In einer Facebook-Meldung des oben genannten Kreisverbandes hierzu sind die NPD-Mitglieder Hartmut SCHIRMER (Aschersleben, Salzlandkreis) und Gerhard LIPPOLD (Gerbstedt, Mansfeld-Südharz) als Teilnehmer zu erkennen. Zudem soll SCHIRMER als Redner aufgetreten sein. Die "Bürgerinitiative für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit", deren Hauptprotagonisten Silvio DRESCHER und Henry LIPPOLD (beide ebenfalls Mitglieder im NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt) bereits 2020 zahlreiche Protestveranstaltungen gegen die geltenden Corona-Maßnahmen anmeldeten, führte auch im Berichtsjahr in der Lutherstadt Eisleben und in Hettstedt (Landkreis Mansfeld-Südharz) zahlreiche Mahnwachen unter dem Motto "Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn" durch. Die Aktionen fanden jedoch wie schon im vorangegangenen Jahr kaum Resonanz in der Bevölkerung. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 55 RechtsextRemismus "Junge Nationalisten" (JN) Einer Internetmeldung der JN Sachsen-Anhalt zufolge beteiligten sich diese am 15. März 2021 an dem vom AfD-Kreisverband Wittenberg organisierten Protest gegen Corona-Maßnahmen in der Lutherstadt Wittenberg. Auf der Facebook-Präsenz der JN wurde am 5. April 2021 über einen Gemeinschaftsabend von JN-Mitgliedern aus dem "Anhaltiner Land" mit "freien Kräften der Region" berichtet. Das Treffen sollte nach eigener Auskunft "der inneren Stärkung der Gemeinschaft" dienen. Die JN gab ferner in den sozialen Medien preis, dass sie "gemeinsam mit freien Kräften" eine Sonnenwendfeier am 19. Juni 2021 im "Anhaltiner Land" abgehalten habe. Die Veranstaltung habe unter anderem mit einem Sportkampf begonnen. Mit einsetzender Dämmerung seien Fackeln entzündet, Gedichte vorgetragen, gemeinsam gesungen und ein Feuer entzündet worden. Ein namentlich nicht benannter Liedermacher habe dann in der Folge noch einige Liedstücke vorgetragen. Am 7. August 2021 fand in Chemnitz (Sachsen) der Länderkongress der JN Sachsen mit etwa 30 Personen statt. Im Rahmen dieser Zusammenkunft wurde der "JN-Gebietsverband-Mitte" gegründet, der die Länder Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg umfasst. Mit der Gründung des neuen Gebietsverbands geht der hiesige Landesverband in diesem auf. Dem neuen Verband ist aus Sachsen-Anhalt bisher allein der JNStützpunkt "Anhaltiner Land" angegliedert. Die JN Sachsen-Anhalt berichteten am 13. Juli 2021 auf ihrer Facebook-Seite über die bundesweite Aktion "Schwarze Kreuze". Auch in Sachsen-Anhalt seien im "Anhaltiner Land" Kreuze aufgestellt worden, die auf die "Ermordung deutscher Landsleute durch ausländische Täter" hinweisen. Man habe auch den 56 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus "Gedenkort für Markus Hempel in der Lutherstadt Wittenberg"1 aufgesucht, um mit einem schwarzen Kreuz an dessen Tod zu erinnern. Auf ihrer Internetseite berichteten die JN Ende September 2021 über den zweiten "nationalen Kunstund Handwerkermarkt" in Sachsen-Anhalt, bei dem der JN-Stützpunkt "Anhaltiner Land" mit einem eigenen Informationsstand präsent gewesen sei. Neben politischen Gesprächen und "der Vernetzung verschiedener Gruppen" sei auch das "Gemeinschaftsleben" nicht zu kurz gekommen. So habe man sich abends "am Feuerkreis" bei den "Klängen von Blutlinie"2 ausgetauscht und "die Gemeinschaft nach innen gestärkt". Der JN-Bundesverband berichtete auf seiner Homepage über das Gemeinschaftswochenende der "JN Anhaltiner Land" "im Harz" vom 2. und 3. Oktober 2021. Am Abend des 2. Oktober 2021 habe man am Vernetzungstreffen der "Harzrevolte" teilgenommen. Anlässlich des Tags der Deutschen Einheit wurde am 3. Oktober 2021 unter dem Motto "Deutschland, Deiner Festung zu Wehr! - 31 Jahre Wiedervereinigung" "zu regionalen Gemäuern" aufgebrochen, um dort Banner mit den Aufschriften "Heimat, unsere Burg - JN", "Jung - frech - radikal, Antikapitalistischer Widerstand" sowie "Einigkeit und Recht - Freiheit" zu hissen. Derartige Aktionen fanden des Weiteren im "Leipziger Umland", Zittau und Jonsdorf, an der Burg Gnadstein (alle Sachsen) sowie an der Burg Falkenstein im Landkreis Harz statt. Die JN berichteten auf ihrem Instagram-Account über Prostete gegen Corona-Maßnahmen "in Mitteldeutschland". Demnach haben sich JN-Aktivisten an den Demonstrationen am 6. Dezember 2021 in der Lutherstadt Wittenberg, am 13. Dezember 2021 1 - Markus Hempel - 2017 schlug ein junger Syrer Hempel in der Lutherstadt Wittenberg im Streit nieder. Das Opfer starb an den Folgen des Sturzes. 2 - Blutlinie - rechtsextremistischer Liedermacher aus Niedersachsen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 57 RechtsextRemismus in der Lutherstadt Eisleben und Sangerhausen (beide MansfeldSüdharz), der Lutherstadt Wittenberg und Zerbst (Anhalt-Bitterfeld) und am 20. Dezember 2021 in der Lutherstadt Wittenberg beteiligt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Auch 2021 verliert die NPD weiter an Bedeutung in der rechtsextremistischen Szene. Der Trend rückläufiger Mitgliederzahlen sowie anhaltend schwacher Wahlergebnisse der Partei setzte sich fort. Mit der abermaligen Wahlniederlage bei der Bundestagswahl hat die NPD ihren Anspruch auf Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung vollständig verloren. Damit dürften auf die Partei erhebliche finanzielle Probleme zukommen. Der seit 2019 offen schwelende Konflikt über eine strategische Neuausrichtung der Partei konnte auch in diesem Jahr nicht gelöst werden. Der NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt ist lediglich noch in den sozialen Medien präsent. Dort werden fast ausschließlich Artikel der Parteizeitung "Deutsche Stimme" geteilt. Weitere öffentlichkeitswirksame politische Aktivitäten außerhalb des Pandemie-Kontextes fanden nicht statt. Während andere Parteien intensiv zur Teilnahme an den unterschiedlichen Demonstrationen gegen die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie aufriefen, finden sich nur sporadische Darstellungen der vermeintlichen eigenen Teilnahme der JN oder einzelner Mitglieder des NPD-Landesverbandes in den sozialen Medien. In Sachsen-Anhalt existiert nach der Gründung des "JN-Gebietsverbandes Mitte" weiterhin allein der Stützpunkt "Anhaltiner Land" der JN. Dieser trat im Berichtjahr vermehrt sichtbar mit Aktionen in Erscheinung. Die JN sind bestrebt, mit entsprechenden Kampagnen und öffentlichkeitswirksamen Aktionen Jugendliche für sich zu gewinnen. Mit einem strukturellen Ausbau der JN ist im kommenden Jahr zu rechnen. 58 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Partei "DIE RECHTE" (DR) Sitz Landesverband: keine Erkenntnisse Verbreitung Bundesverband: Dortmund (Nordrhein-Westfalen) Gründung Landesverband: inaktiv Bundesverband: 27. Mai 2012 Struktur Bundesvorsitzender: Christian WORCH (MecklenAufbau burg-Vorpommern) Mitglieder Land: 20 (2020: 20) Anhänger Bund: 500 (2020: 550) VeröffentWeb-Angebote: lichungen http://die-rechte.net Finanzierung Mitgliedsbeiträge und Spenden Kurzportrait / Ziele Die Partei DR wurde mehrheitlich von Mitgliedern der Deutschen Volksunion (DVU), auf Initiative des amtierenden Bundesvorsitzenden Christian WORCH (Mecklenburg-Vorpommern), in Hamburg gegründet. Eine Vormacht aus neonazistischen "Freien Kräften" bestimmt die inhaltliche Richtung und Programmatik der Partei. Diese Entwicklung begann mit der Gründung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen am 15. September 2012, dessen Mitglieder überwiegend den im August 2012 verboteVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 59 RechtsextRemismus nen neonazistischen Organisationen NWDO1, KS2 Hamm und KS Aachener Land angehörten. Grund der Beobachtung Teile des Parteiprogramms sind stark nationalistisch geprägt: Zur "Wahrung der Identität" der Deutschen und zum Schutz des "deutschen Staatsvolkes" fordert DR beispielsweise ein "Zurückdrängen der Amerikanisierung" und anderer "übermäßiger fremder Einflüsse", die "Eindämmung ungezügelter Zuwanderung", die "Aufhebung der Duldung von Ausländern" sowie ein "Werbeverbot in ausländischen Sprachen". Das Parteiprogramm weist auch gebietsrevisionistische Züge auf: "Die Abtrennung der deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße als Kriegsfolge widerspricht völkerrechtlichen Grundsätzen. Wir wissen aber auch, dass nicht Gewaltanwendung, sondern nur friedliches Einvernehmen unter den Völkern eine Linderung oder auch Korrektur dieser Lage herbeiführen kann und darf." Die Verbrechen des Nationalsozialismus werden relativiert, indem diesen die alliierten Kriegsverbrechen gleichwertig gegenübergestellt werden; eine besondere Verantwortung Deutschlands wird abgelehnt. Das Eintreten für die Holocaustleugnerin Ursula HAVERBECK-WETZEL (Nordrhein-Westfalen) verdeutlicht dies. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum An der "Gedenkveranstaltung" zum 76. Jahrestag der Zerstörung der Stadt Magdeburg im Zweiten Weltkrieg am 16. Januar 2021 in Magdeburg nahmen auch Mitglieder der DR teil. Als Redner trat neben dem zu diesem Zeitpunkt noch amtierenden Bundesvorsitzenden Sven SKODA (Nordrhein-Westfalen) auch der Vorsitzende des DR-Kreisverbandes Braunschweig-Hildesheim, 1 - Nationaler Widerstand Dortmund 2 - Kameradschaft 60 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Johannes WELGE (Niedersachsen), auf. Damit wurde die enge Verbundenheit zwischen den Landesverbänden Niedersachsen und Sachsen-Anhalt unterstrichen. Mitglieder und Unterstützer der DR beteiligten sich am 20. Februar und am 31. Mai 2021 jeweils in Braunschweig (Niedersachsen) an Versammlungen des dortigen Kreisverbandes. Darüber hinaus bestand die Absicht, an einer 1. Mai-Demonstration in Erfurt (Thüringen) teilzunehmen, was aber wegen eines von der Polizei ausgesprochenen Aufenthaltsverbots in Thüringen nicht umgesetzt werden konnte. Am 27. Juni 2021 führte der DR-Landesverband Niedersachsen einen Parteitag mit Neuwahlen durch. In den neuen Landesvorstand wurde unter anderem Jan SCHMIDT (Magdeburg) gewählt. SCHMIDT nahm bisher an verschiedenen Veranstaltungen der DR und der rechtsextremistischen Szene teil. Die Verflechtung mit Niedersachsen zeigt, dass DR zumindest mittelfristig keine eigenen aktiven Strukturen in Sachsen-Anhalt anstrebt. Am 22. August 2021 fand der 11. DR-Bundesparteitag statt. Der Parteigründer und frühere Bundesvorsitzende (2012 bis 2017) Christian WORCH (Mecklenburg-Vorpommern) wurde zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Zu seinem Stellvertreter wählten die Delegierten den bisherigen Medienbeauftragten und Beisitzer Markus WALTER (Nordrhein-Westfalen). Die Serie von Angriffen mutmaßlicher Linksextremisten auf rechtsextremistische Szeneobjekte und Personen stellt weiterhin ein Schwerpunktthema in der rechtsextremistischen Szene dar. Um in diesem Zusammenhang den "Nationalen Selbstschutz" zu verbessern, werden inzwischen von verschiedenen rechtsextremistischen Akteuren Schulungen und Informationsveranstaltungen angeboten. Am 16. Juli 2021 führte die DR eine Vortragsveranstaltung in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) mit Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 61 RechtsextRemismus dem NPD-Bundesorganisationsleiter Sebastian SCHMIDTKE (Thüringen) durch. Laut Angaben der Partei ging SCHMIDTKE im ersten Teil seines Vortrags auf die mutmaßlich hinter der Anschlagsserie steckende linksextremistische "Hammerbande" und auf deren Taten, Vorgehensweise, Personen und mutmaßliche Hintermänner in Politik und Gesellschaft ein. Der zweite Teil habe eine "Rechtsund Sicherheitsschulung" umfasst. Außerdem hätten sich die Zuhörer "direkt vor Ort mit Sicherheitstechnik und legaler Bewaffnung" eindecken können, wovon auch zahlreich Gebrauch gemacht worden sei. Die enge Verbundenheit des DR-Kreisverbandes BraunschweigHildesheim mit Sachsen-Anhalt zeigt sich in dessen Beteiligung an Versammlungen am 5. September 2021 in Dessau-Roßlau und an Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie am 6. und 13. Dezember 2021 in Halberstadt (Landkreis Harz). Am 9. Oktober 2021 fand in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) ein Trauermarsch unter dem Motto "Siggi - unvergessen" zum Gedenken an den verstorbenen langjährigen Neonaziaktivisten und DR-Funktionär Siegfried Borchardt (SS Siggi) statt. Etwa 500 Rechtsextremisten gedachten in diesem Rahmen dem am 3. Oktober 2021 Verstorbenen. Die rund 500 Teilnehmer stammten überwiegend aus den Parteien DR und der NPD, der Neonaziszene, der subkulturellen Szene sowie aus der Dortmunder Hooliganszene. Zahlreiche Teilnehmer trugen schwarze Fahnen. Der nordrheinwestfälische Landeschef der DR, Alexander DEPTOLLA, habe den Trauermarsch organisiert und die Eröffnungsrede gehalten. Zum Abschluss hielt Thorsten HEISE, stellvertretender Bundesvorsitzender der NPD, eine Rede. Zu Beginn rezitierte er das Lied der Hitlerjugend, wobei er nur das Wort "Hitlerjugend" in "deutsche Jugend" und ein weiteres Wort abänderte. Unter den Teilnehmern befanden sich Angehörige der "Harzrevolte" und der JN "Anhaltiner Land". 62 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Partei hat ihren Schwerpunkt nach wie vor in NordrheinWestfalen. Sie speist sich personell und inhaltlich aus dem Neonazismus. Gerade hier hat die DR mit Konkurrenten zu kämpfen. Die westdeutsch geprägte Bundespartei konnte in den östlichen Bundesländern bisher nur vereinzelt Mitglieder und Anhänger gewinnen. Dies wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern. Mit konsolidierten Strukturen in Sachsen-Anhalt ist nicht zu rechnen. Die DR wird im rechtsextremistischen Spektrum weiterhin nur ein Zaungast sein. (SS 130 StGB stellt die Volksverhetzung unter Strafe) Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 63 RechtsextRemismus Partei "Der III. Weg" (III. Weg) Sitz Sachsen-Anhalt: Stützpunkt Magdeburg/Altmark Verbreitung Bundesverband: Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Gründung Land: 28. August 2021 Bund: 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) Struktur Bundesvorsitzender: Matthias FISCHER (BrandenAufbau burg) Sachsen-Anhalt: Stützpunktleiter Mirco HERZ (Tangerhütte, Landkreis Stendal) Mitglieder Land: etwa 25 (2020: etwa 20) Anhänger Bund: 650 (2020: 600) VeröffentWeb-Angebote: http://www.der-dritte-weg.info/ lichungen Soziale Netzwerke Finanzierung Mitgliedsbeiträge und Spenden Kurzportrait / Ziele Die 2013 gegründete Partei "Der III. Weg" ist seit Jahren fest im rechtsextremistischen Spektrum verankert. Die Partei gliedert sich in drei Landesverbände und 21 Stützpunkte. Die Partei "Der III. Weg" sieht sich als Teil einer nationalrevolutionären Bewegung und verfolgt in ihrem Auftreten einen ganzheitlichen Ansatz, der sich nicht nur auf politische Aktionen beschränkt. Grundlage der Parteiaktivitäten ist das sogenannte 64 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus "Drei-Säulen-Konzept": politischer Kampf, kultureller Kampf und Kampf um die Gemeinschaft. Mit ihren zahlreichen vorgeblich sozialen Aktivitäten in der Öffentlichkeit versucht die Partei sich als "Kümmerer" zu inszenieren, mit dem Ziel, sich bei den Bürgern bekannt zu machen, neue Mitglieder zu werben und mögliche Wählerstimmen für Kommunalund Landtagswahlen zu gewinnen. Grund der Beobachtung Das Programm der Partei lehnt sich zum Teil an Vertreter des sogenannten "linken" Nationalsozialismus an und propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschenund Gesellschaftsbild. Es fordert die Erhaltung und Entwicklung der "biologischen Volkssubstanz" und die Schaffung eines "Deutschen Sozialismus". "Der III. Weg" agitiert insgesamt antisemitisch, ausländerfeindlich und revisionistisch. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundestagswahl Bei der am 26. September 2021 stattgefundenen Bundestagwahl stellte die Partei "Der III. Weg" lediglich in Bayern und Sachsen Landeslisten auf. Im Ergebnis errang die Partei 7.830 Zweitstimmen (0,0 Prozent), wobei ihr sächsisches Zweitstimmenergebnis von 0,2 Prozent nur unwesentlich hinter der NPD (0,3 Prozent) liegt. Wichtiger als das Wahlergebnis war für die Partei jedoch die Möglichkeit, im Wahlkampf mit provokanten Aktionen auf sich aufmerksam zu machen und so die eigene Bekanntheit zu steigern. In dieser Hinsicht bewertet der "III. Weg" den Wahlkampf erfolgreich. Bundesweit hatten Wahlplakate mit dem Slogan "HÄNGT DIE GRÜNEN!" Aufsehen erregt. Das Aufhängen der Plakate führte in Bayern und Sachsen zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen. Während die Staatsanwaltschaft München den Inhalt der Plakate bereits frühzeitig als Störung des öffentVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 65 RechtsextRemismus lichen Friedens durch Androhung von Straftaten bewertet hatte und diese abgenommen werden mussten, wurde in Sachsen ein Straftatverdacht zunächst nicht gesehen. Bundespartei / überregionale Aktivitäten Am 13. November 2021 fand der Bundesparteitag der Partei "Der III. Weg" statt. Matthias FISCHER (Brandenburg) wurde zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Stellvertretender Parteivorsitzender wurde der bisherige Vorsitzende Klaus ARMSTROFF (Rheinland-Pfalz). Komplementiert wird der neue Vorstand von drei Beisitzern. An der Kundgebung am 13. Februar 2021 in Dresden unter dem Motto: "Vergesst niemals Dresden! Feierstunde zu Ehren der Dresdner Luftkriegstoten des 13. Februar 1945. Dresden-Gedenken 2021!" nahmen insgesamt 170 "III. Weg"-Mitglieder teil. Als Reaktion auf Kriegshandlungen im Nahen Osten und die thematisch darauf bezogenen Demonstrationen in Deutschland rief der "III. Weg" auf der parteieigenen Homepage Verbraucher zum Boykott israelischer Produkte auf. Im Einzelnen heißt es: "Was den Verbrechern im Zionistenstaat aber tatsächlich nachhaltig wehtut ist der Boykott ihrer Waren auf dem Weltmarkt. (...) Deshalb sollte man als wirklich aktive Hilfe für den palästinensischen Freiheitskampf in Israel produzierte Artikel beim nächsten Einkauf im heimischen Supermarkt konsequent meiden und auch jene Produkte, die ausländische Unternehmen herstellen, welche in Israel investieren. (...)". "Der III. Weg" bot unter dem Titel "1. Mai 2021: Ein Volk will Zukunft - dieses System will diese Zukunft nicht!" einen ausführlichen Rückblick auf den "nationalrevolutionären Arbeiterkampftag". Hierbei wurde die Sichtweise der Partei auf die "Repressionsorgie" "dieses Systems" dargelegt, mit welcher die "kraftvolle Demonstration gegen die kapitalistische Ausbeutung" "mit allen Mitteln" habe verhindert werden sollen. 66 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Letztendlich konnte die Partei aufgrund von frühzeitigen Verboten lediglich in Plauen vor ihrer Parteizentrale eine Kundgebung zum "Arbeiterkampftag" durchführen. Hieran nahmen zirka 50 Personen teil. Auch in diesem Jahr führte die rechtsextremistische Szene zahlreiche Aktionen und Versammlungen anlässlich des Volkstrauertages unter der Bezeichnung "Heldengedenken" durch. "Der III. Weg" berichtete am 13. November 2021 in einem Liveticker von dem im Voraus im Internet beworbenen "Heldengedenken" in Wunsiedel (Bayern). Am Demonstrationszug nahmen zirka 200 Personen teil. Als Redner sollen der sächsische Landesvorsitzende Tony GENTSCH, der neue Bundesvorsitzende Matthias FISCHER, Klaus ARMSTROFF und der Leiter des Gebietsverbands West, Julian BENDER (Nordrhein-Westfalen), in Erscheinung getreten sein. Nach Angaben der Partei hat es ähnliche Aktionen auch in der Region Burgenlandkreis gegeben. Entwicklung und Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Am 28. August 2021 wurde in Sachsen-Anhalt der neue "Stützpunkt Magdeburg/Altmark" gegründet. Neuer Stützpunktleiter ist Mirco HERZ. Bei der Gründung anwesend war der zu diesem Zeitpunkt noch stellvertretende und jetzige Bundesvorsitzende Matthias FISCHER. Im Zuge der Rechts-Links-Auseinandersetzungen berichtete die Partei Anfang Juli unter dem Titel "Wehr dich endlich! - Selbstverteidigungskurs in Anhalt" über ein von ihr durchgeführtes "offenes Selbstverteidigungsseminar". Angesichts "zunehmender Aggressionen durch Linksextreme, Migranten und bezahlter Schlägertruppen", denen "Nationalisten" sich ausgesetzt sähen, werden "regelmäßige Trainings" als "unerlässlich" erachtet; weitere Kurse seien daher geplant. Eine weitere "stützpunktübergreifende Sicherheitsschulung" fand am 19. September 2021 im "Raum Anhalt" statt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 67 RechtsextRemismus Am 17. Juli 2021 anlässlich des 99. Todestages der RathenauMörder Fischer und Kern unternahmen Mitglieder des "Stützpunktes Mittelland" einen Ausflug nach Naumburg OT Saaleck (Burgenlandkreis). Es nahmen etwa 40 Personen teil. Im September 2021 fand laut eigenen Angaben "in der Region Anhalt" für die Parteimitglieder ein "Tag der Gemeinschaft" unter dem Motto "Sport, Gemeinschaft und Bildung" statt. Für Personen, welche Interesse daran haben, Teil der "nationalrevolutionären Bewegung" und deren "lebendiger Gemeinschaft" zu werden, wurde eine E-Mail-Adresse zur Kontaktaufnahme angegeben. "Der III. Weg" hat im Berichtsjahr seine Propaganda im Internet weiter verstärkt. Die publizierten Artikel befassen sich neben der Corona-Thematik auch weiterhin hauptsächlich mit Ausländerkriminalität, Überfremdung, Asylzuwanderung sowie mit der vermeintlich von Linksextremisten ausgehenden Gewalt. Neben den Aktivitäten im Internet fand auch in diesem Jahr wieder eine Vielzahl an Flyer-Verteilungen durch Mitglieder des III. Weges u.a. gegen die Asylpolitik in Eisleben oder gegen Homosexualität und für ein traditionelles Familienbild in Bernburg statt. Das beherrschende Thema in der politischen Agitation der Partei waren auch im Jahr 2021 die Corona-Pandemie und deren Folgen. Daher nahmen Parteimitglieder an einzelnen Demonstrationen, "Spaziergängen" und Kundgebungen der Querdenker wie auch an anderen Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie teil. In Sachsen-Anhalt beteiligten sich die Stützpunkte Mittelland, Magdeburg/Altmark und Mitglieder der Partei aus der Region Burgenlandkreis an Protestaktionen im November und Dezember unter anderem in Köthen, Stendal, Magdeburg, Weißenfels, Zeitz, Dessau-Roßlau, Gommern und Naumburg. Die Partei ruft wöchentlich im Internet zur Teilnahme an den 68 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus "Montagsprotesten gegen die Corona-Zwangsmaßnahmen" auf und veröffentlicht hierzu die zahlreichen bundesweiten Demonstrationen mit Nennung des Ortes, der Uhrzeit und des Treffpunktes. Zudem hat die Partei ein 10-Punkte-Programm veröffentlicht, in dem der Weg zur Beendigung der Corona-Krise aufgezeigt werden soll. Die Partei stelle sich "explizit gegen die hemmungslose Einschränkung von Freiheitsrechten". Außerdem fordere sie "den Schutz der Volksgesundheit". Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Jahr 2021 bemühte sich "Der III. Weg" trotz der Einschränkungen durch die Corona-Pandemie um den weiteren Ausbau seiner Strukturen. Im Ergebnis kam es in Sachsen-Anhalt unter anderem zur Stützpunktgründung Magdeburg/ Altmark in Sachsen-Anhalt. Mit einem weiteren strukturellen Ausbau ist auch künftig zu rechnen. Insbesondere über das Auftreten in der Öffentlichkeit vor allem bei Demonstrationen und Kundgebungen sowie Flugblattverteilungen wird die Partei versuchen, sich vermehrt bei den Bürgern bekannt zu machen und Akzeptanz über den engen Kreis der eigenen Klientel hinaus zu finden. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 69 RechtsextRemismus Neue Rechte1 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Sitz bundesweit Verbreitung Gründung Oktober 2012 (Am 11. Oktober 2012 wurde die Facebook-Seite "Identitäre Bewegung Deutschland" eingerichtet) Struktur IB Sachsen-Anhalt (IB ST) Aufbau Verein "Identitäre Bewegung Deutschland e.V." bundesweite Regionalgruppen lokale IBD-Gruppen (Ortsgruppen) identitäre Projekte Mitglieder Land: etwa 25 (2020: 30) Anhänger Bund: 500 (2020: 575) VeröffentWeb-Angebote: Homepage, lichungen soziale Netzwerke und Blogs Materialversand "Phalanx" Finanzierung Spenden 1 - Darunter wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen verstanden, in dem rechtskonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien antiliberale sowie antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen. 70 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Kurzportrait / Ziele Die IBD geriert sich als Bewegung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die eigene Kultur beziehungsweise das eigene Volk vor den vermeintlichen Gefahren von Multikulturalismus, Masseneinwanderung und Identitätsbeziehungsweise Werteverlust bewahren will. Sie betrachtet sich eigenen Aussagen zufolge als deutscher Ableger der rechtsextremistischen Bewegung "Generation Identitaire" (GI)2 aus Frankreich. Die IBD ist in der realen und virtuellen Welt gleichermaßen vertreten. Alle virtuellen Möglichkeiten (soziale Netzwerke, Foren, Video-Plattformen) werden genutzt, um über Aktionen der IBD zu informieren und somit auch über deren Ziele. So wird eine große Öffentlichkeit hergestellt, ohne auf eine hohe Anzahl von Aktivisten angewiesen zu sein. Zuletzt sperrten einige soziale Medien die Profile der IBD, weshalb diese zunehmend auf Plattformen ausweichen muss, die bislang weniger Reichweite generieren. In der "Realwelt" sind die Aktivitäten vielfältig: So hat die IBD in der jüngeren Vergangenheit zum Beispiel Banner-, Störoder Verteilaktionen und Aktionen an symbolträchtigen Orten durchgeführt. Die Selbstdarstellung der IBD ist popkulturell geprägt, ihre Botschaften sind klar und einfach, ihre Wortwahl provokant und pseudo-intellektuell. Ihre Aktivisten geben sich jung und modern; demgemäß ist ihre verfassungsfeindliche Gesinnung nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Die IBD, als eine Vertreterin der "Neuen Rechten", steht für einen modernisierten Rechtsextremismus, der mit einem Themenkomplex aus Anti-Islam, Anti-Asyl und Anti-Establishment versucht, bis weit in breite gesellschaftliche Kreise hinein anschlussfähig zu sein. Begriffe wie Rasse und Volksgemeinschaft werden durch unverfängliche Begriffe wie Ethnie, Identität und Kultur ersetzt. 2 - Wurde am 03.03.2021 per Dekret des französischen Innenministers aufgelöst. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 71 RechtsextRemismus Grund der Beobachtung Ideologisch orientiert sich die "Identitäre Bewegung" an den Theorien der "Neuen Rechten"; sie vertritt eine ethnopluralistische, antiliberale und kollektivistische Programmatik. Beim Ethnopluralismus handelt es sich um eine modernisierte Variante völkischer Ideologie. Das Konzept billigt ethnischen Gruppen in räumlicher Trennung vorgeblich ihre Eigenständigkeit zu, zielt aber tatsächlich anhand von Kollektivmerkmalen wie Kultur, Herkunft und Geschichte auf die Betonung ethnisch bzw. rassisch begründeter Gruppenunterschiede ab. Eine Zuwanderung von "Fremden", die nicht Teil dieser "ethnokulturellen Identität" sind, wird grundsätzlich abgelehnt. Die Identitären inszenieren sich als die wahren Verteidiger von Vielfalt und Freiheit gegen die angebliche Gleichmacherei vermeintlich linker Ideologen. Ihr Weltbild ist von einem übersteigerten Nationalismus geprägt, der das Individuum weitgehend negiert und stattdessen kollektivistisch die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Die IBD propagiert die Auflösung der EU und die Bildung eines Europas der "identitären Nationalstaaten". Hier besteht eine Verbindung zur NPD-Forderung nach einem "Europa der Vaterländer". In der IBD und für die IBD engagieren sich auch Personen, die einen Vorlauf im traditionellen Rechtsextremismus aufweisen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum "Identitäre Bewegung Deutschland" Neben den "Identitären" in Österreich und Deutschland galt die "Generation Identitaire" (GI) aus Frankreich als eine der aktivsten und am besten organisierten IB-Ländergruppen in Europa. Am 3. März 2021 verbot der Innenminister Frankreichs die GI. Dem Auflösungsdekret zufolge handelte es sich bei der GI um eine militärisch geprägte Organisation mit dem Charakter einer privaten Miliz. Trotz des offiziell deklarierten Zwecks der "Ver72 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus teidigung und Förderung der lokalen, regionalen, französischen und europäischen Identität" habe der Verein tatsächlich eine Ideologie gefördert, die zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung von Personen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Rasse oder ihrer Religion anstachele. Das eingeleitete Verbotsverfahren war bereits Mitte Februar bekannt geworden. Als Reaktion mobilisierten europäische IBGruppen für eine Solidaritätsdemonstration am 20. Februar in Paris (Frankreich). Nach eigenen Angaben nahmen 3000 Personen daran teil, darunter zahlreiche "Identitäre" aus Deutschland. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg hat den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 12. Novemer 2020 abgelehnt, mit dem die Klage des Vereins "Identitäre Bewegung Deutschland e.V." gegen die Berichterstattung über ihn in Verfassungsschutzberichten des Bundes abgewiesen worden war. Der 1. Senat hat zur Begründung u. a. ausgeführt, es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Somit ist die IBD zu Recht als rechtsextremistisch eingestuft. Der Beschluss ist unanfechtbar. Mit "Great Reset stoppen!" und "Rechtsklick" startete die IBD neue Kampagnen. "Great Reset" ist ein vom "World Economic Forum" (WEF) geprägter Begriff, der nach der Lesart der IBD eine globale Gleichschaltung der Menschen, eine autoritäre Gesetzgebung sowie großangelegte Umverteilungsmaßnahmen und die Erosion nationalstaatlicher Grenzen zum Ziel hat. Aus der Sicht der IB bietet die Corona-Krise die perfekte Gelegenheit, den "Great Reset" sukzessive umzusetzen. Diese Annahme führte zur Kampagne "Rechtsklick", dem ersten organisierten Versuch der IBD zur Instrumentalisierung der Corona-Pandemie. Die avisierte Bündelung von Protesten gegen die staatlichen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen aus dem Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 73 RechtsextRemismus Lager der aktionsorientierten "Neuen Rechten" schlug sich in Form von Flugblättern und Grafiken nieder. Die Protestbewegungen der IBD gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zeigten sich weniger in selbstorganisierten Kundgebungen; vielmehr nahmen Mitglieder der IBD und der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) an einzelnen Veranstaltungen teil, die von anderen Gruppen organisiert wurden. Hier gelang es der IB vereinzelt, Frontbanner zu platzieren.3 Dessen ungeachtet findet der Protest mehrheitlich virtuell statt. Am 21. Juni 2021 teilte die IBD auf ihrem Telegram-Kanal einen Beitrag des Telegram-Kanals "GEGENUNI", in dem unter dem Motto "Feuer auf die Uni" der Start der sogenannten "GEGENUNI" zum 1. Juli angekündigt wurde. In dem dazu veröffentlichten Text heißt es: "Die Uni ist am Ende. Mit ihrem Verfall ist der geistige Raum der Nation stickig, eng und tödlich langweilig geworden. Statt eines Horts der freien Lehre und des freien Geists, ist die Universität Brutstätte des linksliberalen Universalismus geworden." Ziel sei es, die "junge, rechte Intelligenz" aus ihren "zerstreuten Nischen und dem vereinzelten Waldgang"4 zu versammeln und zu bilden. Diesen "jungen, gefährlichen Denkern" wolle die "GEGENUNI" eine Möglichkeit zur Verbreitung ihrer Ideen geben. Durch die Erhebung von Studiengebühren strebe das Format zudem an, "Verdienstmöglichkeiten für junge Rechtsintellektuelle" zu schaffen. Am 7. Juli 2021 beschloss der österreichische Nationalrat eine Änderung des Symbole-Gesetzes. Demnach darf u. a. das Sym- 3 - Beispielsweise: 20. November 2021 in Wien (Österreich) sowie 4. Dezember 2021 in Cottbus (Brandenburg) mit dem Slogan "Kontrolliert die Grenze - nicht euer Volk". 4 - Der "Waldgang" ist ein beliebtes Motiv der Neuen Rechten, das Ernst Jüngers Essay "Der Waldgang" aus dem Jahr 1951 entnommen ist. Jünger beschreibt den Waldgänger als überzeugten Nonkonformisten, der den herrschenden Zeitgeist verachtet und bereit ist, gegen den politischen Konsens Widerstand zu leisten. 74 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus bol der IBÖ in der Öffentlichkeit und damit auch im Internet nicht mehr zur Schau gestellt, getragen oder verbreitet werden. Als Reaktion auf das Verbot veranstaltete die IBÖ unter Beteiligung deutscher Aktivisten am 31. Juli 2021 in Wien eine Demonstration unter dem Motto "GEGEN DAS LAMBDA-VERBOT. Ihr Verbot ist uns gleich!" mit etwa 300 Teilnehmern. Im Resultat präsentiert die IBD ihr Logo5 vornehmlich in den sozialen Medien, nunmehr mit einem schwarz-weißen Hintergrund. Im August 2021 kamen etwa 50 Aktivisten der IBD und der IBÖ im Rahmen des "Alpenlagers 2021" unter dem Motto "Immer nach vorn" zusammen. Neben Kraftund Ausdauersporttrainings standen, nach eigenen Angaben, auch theoretische Vorträge auf der Agenda. Unter den Teilnehmenden befanden sich auch IBD-Mitglieder aus Sachsen-Anhalt. Am 19. Juli 2021 veröffentlichten diverse Online-Kanäle aus dem Spektrum der "Neuen Rechten" Berichte über ein neues "identitäres" Zentrum in Steyregg bei Linz in Oberösterreich. Die Konzeption des "Castell Aurora" als Begegnungs-, Wohnund Arbeitsstätte für neurechte Aktivisten weist deutliche Parallelen zum ehemaligen Hausprojekt "Flamberg" in Halle (Saale) auf. Die durch die IB angekündigte "neue Grenzgänger-Kampagne" wurde im Oktober umgesetzt. Hierbei versuchten Mitglieder der IB, ausgestattet mit Nachtsichtgeräten, Taschenlampen und Flyern, Asylsuchende am Grenzübertritt zu hindern. An der deutsch-polnischen Grenze fanden nach Angaben der IB "Patrouillen" in Zittau, Görlitz und Frankfurt/Oder statt. "Nie wieder 2015" lautet die Rechtfertigung der IB, die mit diesen Aktionen wieder einmal den "großen Bevölkerungsaustausch" heraufbeschwört. Strategiewechsel der IB Im Jahr 2021 hat sich bei der IBD und insbesondere bei der IBÖ ein Strategiewechsel abgezeichnet. Im Internetartikel "Identi- 5 - Bisher ausschließlich - Lambda in schwarz-gelber Farbgebung. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 75 RechtsextRemismus täre Bewegung: Rückblick, Kritik, Ausblick" wird der neue Ansatz der IB thematisiert. Der Artikel skizziert eine taktische Neuausrichtung, die als Evolution der "Identitären Bewegung (IB)" hin zur "identitären Bewegung" (iB) beschrieben wird. Das nunmehr kleingeschriebene Adjektiv stehe für eine "Vielfalt und Dezentralität" unter Beibehaltung der inhaltlichen Substanz: "Gerade die starke Verankerung der Symbolik und Idee der IB in den Anfangsjahren, rodete und kultivierte den politischen Boden, auf dem nun eine identitätsbewegung wesentlich freier und mit weniger Transparenz und sichtbaren Gesichtern agieren kann." [sic!]. Vielfältige Themen bei den Aktivitäten, die vermummte oder unerkannte Teilnahme von IBD-Mitgliedern an von anderen Gruppen oder Einzelpersonen angemeldeten Veranstaltungen und das Auftreten regionaler Kleinstgruppen im einheitlichen Kleidungsstiel sind die ersten Erscheinungsformen dieser "Evolution". So protestierten IB-Mitglieder am 18. Oktober 2021 in Leipzig (Sachsen) vermummt gegen die "Verstrickung von Universität und Linksterrorismus". Ferner forderte am 30. Oktober in Tübingen (Baden-Württemberg) eine regionale Kleinstgruppe ("Schwabenbande") "Zapfenstreich statt CSD"6 und am 27. November 2021 täuschten IB-Mitglieder in Hamburg die Teilnehmer einer Demonstration der Organisation "Seebrücke" mit falschen Flyern. Eine IBD-Zugehörigkeit der Teilnehmer war in den hier berichteten Fällen jeweils nicht erkennbar. Mitglied der Schwabenbande: Die Strategie der Dezentralität kommt beispielsweise in regionalen Gruppen mit eigenem Namen zum Ausdruck. Typisch für das neue Erscheinungsbild sind ein Schlauchschal mit regionalem Herkunftsnachweis, ein Cap sowie eine Art Blouson. 6 - CSD = Christopher Street Day 76 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Flyer der IB Flyer Seebrücke Am 21. September 2021 veröffentlichte Martin SELLNER (IBÖ) auf der Website "Sezession" den Artikel "Sezession oder Reconquista - nach der 'Stunde Null'" und am 1. Oktober den Folgeartikel "Die Strategie der Sammlung". Seine Beiträge sind eine Gegenüberstellung der Strategien "Reconquista" und "Sezession". Beide verfolgen dasselbe Ziel, nur jeweils mit anderen Mitteln und über einen anderen Weg. Das unumstößliche Ziel sei der Erhalt der ethnokulturellen Identität, Kontinuität und Homogenität. Sollte der vermeintliche "Bevölkerungsaustausch" voranschreiten und dadurch an der Leitstrategie "Reconquista" nicht mehr festgehalten werden können, wäre die Abspaltung/ Absonderung der neue Weg. In "Sammlungsgebieten" entstünde ein anderes, ein eigentliches Deutschland, "in dem Deutsche, die es bleiben wollen, jene umfassende Parallelstrukturen aufbauen, an denen auch migrantische Minoritäten seit Jahrzehnten arbeiten". Mögliche "Sammlungsgebiete" wären für SELLNER in Deutschland die neuen Bundesländer. Wie bei anderen rechtsextremistischen Gruppierungen wird hier das Motiv eines "weißen Ethnostaates" propagiert. Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Obwohl Funktionäre der IBD in Sachsen-Anhalt wohnhaft sind, ist Sachsen-Anhalt kein Operationsland der IBD. Die IB ST entfaltete keine eigenen Aktivitäten. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 77 RechtsextRemismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Zukunft der IBD ist offen. Es fand und findet derzeit ein Prozess der Auflösung, der Zerfaserung und des Rebrandings7 statt. Perspektivisch ist davon auszugehen, dass die IBD/IBÖ als Gruppierung wesentlich kleiner und elitärer auftreten wird, ihre Strukturen, Personalien oder Finanzierungen nicht offengelegt werden und kaum mehr eine Abgrenzung zwischen den IB-Gruppen möglich sein wird. Letztgenanntes dürfte auch auf die schwindenden Mitgliederzahlen zurückzuführen sein. Ferner wird ein einheitlicher Kleidungsstil (Uniformierung) für einen Wiedererkennungswert sorgen, wenngleich weniger bekannte bzw. unkenntlich gemachte Gesichter das Bild prägen werden. Die IBD/IBÖ setzt zunehmend auf die Anonymität ihrer Akteure. Letztlich wird die IBD/IBÖ auf eine Fülle neuer Formate mit neuen Namen setzen, die kaum eine Verbindung zur IB erkennen lassen. Die IB ST, als Regionalgruppe, ist gegenwärtig inaktiv. Sie besteht aus Mitgliedern, die sich vereinzelt an Veranstaltungen beteiligen, welche nicht von der IB selbst organisiert werden. Es fehlt ihr an zielgerichteter Lenkung und Leitung. Sollte diese Lücke geschlossen werden können, kann von Aktivitäten ausgegangen werden. Auch der beschriebene Strategiewechsel der IB bietet Potenzial für die Regionalgruppe Sachsen-Anhalt. 7 - Umbenennung aber auch zielgerichtete Veränderung eines Images. 78 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus "Verein für Staatspolitik e. V." firmiert unter "Institut für Staatspolitik" (IfS) Sitz Steigra OT Schnellroda Verbreitung (Saalekreis) Gründung 2000 Struktur Einzelpersonen Aufbau Vorstandsmitglieder: Dr. Erik LEHNERT (Brandenburg) Götz KUBITSCHEK (Schnellroda) Mitglieder etwa 10 (2020: etwa 10) Anhänger VeröffentHomepage, soziale Netzwerke, Podcasts, lichungen "Sezession Online", Publikation "Sezession" Finanzierung Erlöse aus Veranstaltungen und dem Verkauf von Publikationen, Spenden Kurzportrait / Ziele Das IfS ist eine private, nichtuniversitäre Einrichtung und wurde nach eigenen Angaben im Jahr 2000 unter anderem von Götz KUBITSCHEK gegründet. Innerhalb des "neurechten" Netzwerks nimmt das IfS die Rolle eines "geistigen Gravitationszentrums"1 ein. Kernthema des IfS ist die "staatspolitische Ordnung", die es in folgende Arbeitsgebiete unterteilt: "Staat und Gesellschaft", "Politik und Identität", "Zuwanderung und Integration", "Er- 1 - Backes, Uwe: Zum Weltbild der Neuen Rechten in Deutschland. In: Konrad-Adenauer-Stiftung (Hrsg.): Analysen & Argumente Nr. 321. Sankt Augustin 2018, S. 8. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 79 RechtsextRemismus ziehung und Bildung", "Krieg und Krise" sowie "Ökonomie und Ökologie". Diese werden sowohl in Veranstaltungen (Akademien) als auch in Publikationen aufgegriffen.2 Unter den zahlreichen Veröffentlichungen des IfS ragt die Zeitschrift "Sezession" besonders hervor, da sie innerhalb der "Neuen Rechten" sehr bekannt und wirkmächtig ist. Sie erscheint aktuell sechsmal im Jahr. Zu ihrem Autorenstamm zählen mehrere Personen, die dem Rechtsextremismus zuzurechnen sind. Das IfS will durch eine Diskursverschiebung nach "rechts" eine vermeintlich linke Hegemonie in Gesellschaft und Politik aufbrechen. Der "Raum des Sagbaren" soll ausgedehnt werden. Das IfS strebt nach Deutungshoheit im vorpolitischen und nach Einfluss im parlamentarischen Raum. Stärker als viele andere rechtsextremistische Gruppierungen setzt das IfS auf die Schrift als Mittel zur Verbreitung der eigenen Ideologie. Grund der Beobachtung Wenn auch in geringerem Ausmaß als bei anderen rechtsextremistischen Bestrebungen charakterisieren das IfS rassistische und biologistische Sichtweisen. Den Wesenskern der Ideologie des IfS stellt (wie auch im Falle der IBD) der Ethnopluralismus dar. In unmittelbarem Zusammenhang mit seiner ethnopluralistischen Agitation steht die Ausländerund Islamfeindlichkeit des IfS. Das IfS diskriminiert ausgewählte Personengruppen, wenn es diesen pauschal negative Eigenschaften zuschreibt. Im Zuge dessen werden diesen Menschen die persönliche Identität und Individualität im Sinne des Art. 2 GG sowie die Gleichheitsrechte nach Art. 3 GG abgesprochen. Die pauschale Verächtlichmachung von ethnischen und kulturellen Minderheiten verstößt außerdem gegen das Prinzip der Unantastbarkeit der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG. Das IfS richtet sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. 2 - Beispielweise die "Wissenschaftliche Reihe" oder das "Staatspolitische Handbuch" des IfS. 80 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Durch seine Rolle als "think tank" der "Neuen Rechten" unterhält das IfS eine Vielzahl von Kontakten und Beziehungen zu anderen Gruppen und Personen der "Neuen Rechten". Es ist somit bestrebt, Dritte mit seinem extremistischen Denken und Handeln zu beeinflussen. Dabei scheut es eine teils offensive, teils subversive Pflege und Verbreitung verschwörungsideologischer Argumentationsmuster nicht. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Das IfS ist primär publizierend tätig. Entsprechend bleibt die Anzahl realweltlicher Aktivitäten (z. B. Treffen, thematische "Akademien", Kampagnen oder Schulungen) überschaubar. Zwei Veranstaltungen des IfS prägten den Berichtszeitraum: Der "Tag der offenen Tür" vom 24. bis 25. Juli 2021 fand in Kooperation mit dem "Verlag Antaios"3 statt. In der Gesamtheit nahmen etwa 250 bis 300 Personen teil. Neben einer Podiumsdiskussion mit Martin SELLNER ("Identitäre Bewegung Österreich") wurden unter anderem Buchbesprechungen mit Götz KUBITSCHEK und Dr. Erik LEHNERT angeboten. Diese Veranstaltungen sind aufgrund ihres Vernetzungscharakters für die Szene von elementarer Bedeutung, da hier Akteure aus dem gesamten neurechten Spektrum aufeinandertreffen und sich austauschen können. An der "21. Sommerakademie", die vom 17. bis 19. September 2021 stattfand, nahmen etwa 100 Personen teil. "Akademieerfahrene" Personen referierten zu Themen wie "Entwicklung (west)deutscher Staatlichkeit von 1945 bis heute" oder "Der Kampf gegen rechts und der Great Reset". An den Akademien nehmen in der Regel Unterstützer sowie Angehörige der "Neuen Rechten" teil. Die Akademien sind Personen unter 35 Jahren vorbehalten, was die Bedeutung des IfS als 3 - Verlegt auch Publikationen des IfS. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 81 RechtsextRemismus "Schulungszentrum der Neuen Rechten" verdeutlicht. Neben Veranstaltungen prägten fortwährend publizistische Aktivitäten des IfS die Entwicklungen im Berichtszeitraum. In einem Artikel auf der Homepage der Sezession äußert sich Götz KUBITSCHEK zu den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Er sieht die Wahl als "Alle gegen Einen", wobei er der "Alternative für Deutschland" (AfD) eine "Opferrolle" zubilligt. Die AfD sei im Wahlkampf von den Medien als "extremistisch gebrandmarkt", gleichzeitig aber als "Kopf-an-Kopf-Konkurrent" hochgeschrieben worden. Dies habe die Wähler vor "Angst" CDU wählen lassen. In dem Artikel "Wir bleiben hier", der am 1. September 2021 auf der Internetpräsenz der "Sezession" veröffentlicht wurde, äußert sich Ellen KOSITZA über die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit des Auswanderns. Sie schreibt: "Viele Leute, gerade im sogenannten rechten Milieu zeigen sich nicht nur auswanderungswillig, sondern ergreifen Maßnahmen. [...] Aber überhaupt: Kann man denn so einfach die Segel streichen? Sich davonmachen, weil es gerade immens drückt? Wäre es nicht eine Art Fahnenflucht, ein Desertieren?" [sic!] Die Initiative "Zusammenrücken", eine von der Partei "Der III. Weg" unterstützte Gruppierung, fasste die Quintessenz des Beitrags mit der Parole "Hier bleiben und zusammenrücken" zusammen. Dies zeigt, dass das IfS mit seiner Themenwahl und Positionierung - gewollt oder ungewollt - auch in den klassischen Rechtsextremismus hineinwirkt. Die ideologischen Überschneidungen sind teils evident und zeigen, dass oft wenig neu an der "Neuen Rechten" ist. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das IfS ist eng eingebettet in das Netzwerk der "Neuen Rechten". Es scheut die Kooperation mit anderen rechtsextremistischen Bestrebungen wie der "Identitären Bewegung" nicht. 82 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Das IfS, insbesondere KUBITSCHEK, wird weiterhin Möglichkeiten, Partnerschaften, Dynamiken vornehmlich im vorpolitischen Raum sondieren. Solange diese chancenreich, nachhaltig oder opportun erscheinen, wird das IfS Unterstützung gewähren, Kooperationen anbieten und positive Bezugnahmen aussprechen. Nach wie vor ist das IfS als ideologischer Ideengeber wichtigster Stratege und Schulungsort für die übrigen Organisationen des Netzwerks der "Neuen Rechten". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 83 RechtsextRemismus Parteiungebundener, vornehmlich neonazistisch geprägter Rechtsextremismus Neonationalsozialisten (Neonazis) Gründung Neonazistische Organisationen etablierten sich insbesondere in den 1970er Jahren und existieren in Sachsen-Anhalt seit der Wiedervereinigung. Struktur Die heterogene neonazistische Szene in SachAufbau sen-Anhalt agiert aktuell in aktionsorientierten, regionalen Gruppierungen, die teilweise durch unterschiedliche ideologische Richtungen des Rechtsextremismus charakterisiert sind. Feste Organisationsstrukturen werden vermehrt abgelöst und stattdessen wird auf überregionale Vernetzung gesetzt. Zudem nehmen Verflechtungen innerhalb der Szene weiter zu. So bestehen gute Kontakte zu den Parteien "DIE RECHTE", "Der III. Weg" und zu der Gruppierung "Neue Stärke Partei". Kameradschaftsähnliche Personenzusammenschlüsse finden sich in Magdeburg, in der Altmark, im Burgenlandkreis, im Vorharz, in Dessau-Roßlau und in den Landkreisen Mansfeld-Südharz und Bördekreis. Einige der genannten Strukturen verfügen über Kontakte zu Szeneangehörigen in Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen. Neonazis stellen den größten Teil des parteiungebundenen Rechtsextremismus dar. Das Personenpotenzial umfasst dabei sowohl Gruppierungen mit einem subkulturellen "Einschlag" als auch Gruppierungen, die für ideologische Varianten des Nationalsozialis84 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus mus und die Übernahme neuer Verhaltensweisen aufgeschlossen sind, sowie Gruppierungen, die den historischen Nationalsozialismus verherrlichen. Oft werden die Zusammenschlüsse vorrangig von einzelnen Akteuren geeint und zur Zusammenarbeit untereinander gesteuert. Mitglieder Anhänger Land: 300 (2020: 265) Bund: 8.500 (2020: 7.800) Veröffentlichungen Web-Angebote: diverse, teils wechselnde Auftritte in den sozialen Medien (vor allem Facebook, mit verstärkter Nutzung von geschlossenen Gruppenchats) und Internetblogs Publikation: Zeitschrift "N.S. Heute" Finanzierung Zumeist existiert in den Gruppierungen eine so genannte "Kameradschaftskasse". In der Regel zahlen Teilnehmer einen Unkostenbeitrag bei Vortragsveranstaltungen. Es werden mitunter auch Spendengelder gesammelt. Kurzportrait / Ziele Neonazis stellen sich in die ideologische Tradition des historischen Nationalsozialismus. Sie treten bei geschichtsträchtigen Ereignissen (vornehmlich aus der Zeit des Dritten Reiches) oder bei der Glorifizierung einzelner prominenter Nationalsozialisten auch öffentlichkeitswirksam in Erscheinung (z. B. "Trauermärsche" zum Gedenken an die Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, der Geburtstag von Adolf Hitler, Veranstaltungen zum 1. und 8. Mai, "Gedenken" an die Rathenau-Attentäter Fischer und Kern am 17. Juli, bei "Heß-Gedenkaktionen" und germanischer Brauchtumspflege wie Sonnenwendfeiern). Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 85 RechtsextRemismus Bei Neonazis spielte im Berichtszeitraum die Teilnahme an Protesten gegen die Beschränkungsmaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie eine wichtige Rolle. Die Demonstrationen boten der neonazistischen Szene eine Gelegenheit, sich öffentlichkeitswirksam zu präsentieren und auf diese Weise neue Anhänger zu werben. Auch sind derartige Veranstaltungen der überregionalen Vernetzung dienlich. Für ihre Selbstdarstellung nutzen diese Personenzusammenschlüsse vor allem soziale Medien wie Facebook, Telegram, Twitter, Instagram oder YouTube. Dort werden aktuelle politische Themen diskutiert und bewertet, Propagandamaterialien veröffentlicht und Aktivitäten dokumentiert. Grund der Beobachtung Neonazistische Gruppierungen zeichnen sich durch eine vor allem von Rassismus und Antisemitismus geprägte Ideologie aus, welche sich am Nationalsozialismus orientiert und somit im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Teile der Bevölkerung werden als minderwertig bezeichnet und ihnen werden in der Konsequenz ihre verfassungsrechtlich verbrieften Grundrechte, wie Menschenwürde und Gleichheit vor dem Gesetz, abgesprochen. Die Umdeutung oder Relativierung des Nationalsozialismus, als Revisionismus bezeichnet, gehört zu den zentralen Ideologemen des deutschen Neonazismus. Aufgrund ihrer Vorstellung von einer antipluralistischen Gesellschaft und einem autoritären Staat, in dem politischen Gegnern als Feinden das Existenzrecht abgesprochen wird, ist Neonazis eine grundsätzliche Gewaltorientierung zuzuschreiben. Gewalt gegen "Fremde" und "Feinde" wird auf dieser Basis legitimiert. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum "Neue Stärke Magdeburg" Im Berichtszeitraum trat erstmals im Rahmen rechtsextremistischer Veranstaltungen ein Personenzusammenschluss unter der 86 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Bezeichnung "Neue Stärke Magdeburg" in Erscheinung, in dem sich überwiegend Personen zusammengefunden haben, die der Verfassungsschutzbehörde bereits seit mehreren Jahren als - teils gewaltbereite - Rechtsextremisten bekannt sind. Zuletzt gehörten der Gruppierung etwa 30 Personen an. Diese konnten aufgrund entsprechender Symbolik in der Folge wiederkehrend auf Versammlungen der rechtsextremistischen Szene und zuletzt auch auf einzelnen Versammlungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie festgestellt werden. Gerade hier fielen Personen der "Neuen Stärke" durch teilweise provozierendes Verhalten gegenüber Polizeivollzugsbeamten auf. Unmittelbar nach dem Bekanntwerden der Gruppierung veröffentlichte diese auf ihrem Telegram-Kanal auch einen Beitrag, in dem über den Aufbau einer "Abteilung" in Sachsen-Anhalt berichtet wird. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die "Neue Stärke" in Magdeburg in einer organisatorischen Verbindung zur Ursprungsgruppierung "Neue Stärke Erfurt" in Thüringen steht. Auch dieser Personenzusammenschluss setzt sich aus bekannten Rechtsextremisten zusammen, teilweise mit vorheriger Einbindung in die rechtsextremistischen Parteien "DIE RECHTE" und "Der III. Weg". Die Bekundung des Aufbaus von Strukturen in Sachsen-Anhalt war verbunden mit einem Aufruf an "jeden Deutschen aus Magdeburg und Umgebung", "sich der Neuen Stärke anzuschließen und kämpferisch für unser Land sowie die Zukunft unserer Kinder in unseren Wirkungsbereichen" einzutreten. Am 13. November 2021 fand in Magdeburg der von der Gruppierung so genannte erste "Bundesparteitag" zur Gründung einer "Neue Stärke Partei" statt, an dem etwa 40 Personen teilnahmen, darunter wiederum bereits der Verfassungsschutzbehörde bekannte Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt, Thüringen und Rheinland-Pfalz. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 87 RechtsextRemismus Der "Bundesparteitag" stellte vorerst den Höhepunkt der Bemühungen zur Bildung einer bundesweiten Organisation dar. Im Nachgang zu der Veranstaltung gab die "Neue Stärke Partei" in den sozialen Medien auch die Besetzung ihres Bundesvorstands nebst Organigramm bekannt. Der hier bekannte Rechtsextremist Patrick SCHMIDT aus Sachsen-Anhalt bekleidet dort nunmehr die Funktionen als "Stellvertreter der Vorsitzenden" und drei weitere Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt wurden als "Beisitzer" bestimmt, darunter der dem Verfassungsschutz hinlänglich bekannte Martin SCHOCK aus Magdeburg. Die "Neue Stärke Partei" zeichnet ein düsteres Bild von einem in seiner Existenz bedrohten "deutschen Volk", das massiv durch "Überfremdung" und "kommunistische Umerziehung der deutschen Volksseele" bedroht sei und ohne "die gebündelte Kraft deutschrevolutionärer Kräfte" untergehen werde. Daraus ergebe sich nach eigenem Bekunden die Schlussfolgerung, dass es "einer neuen Stärke für unsere Nation, für unsere Heimat und für unsere Kinder" bedürfe, unter der Parole, "organisationsübergreifend Widerstand zu leisten". Die "Neue Stärke Partei" veröffentlichte in der Folge auf ihrer Internetseite ein Parteiprogramm, das im Kern auf einen auf der Grundlage rechtsextremistischer Ideologieelemente zu errichtenden "starken Nationalstaat" abstellt. So wird bereits zu Beginn des Parteiprogramms direkt ausgeführt, dass die "Straßen unserer Heimat nicht dem antideutschen Gutmenschentum!" überlassen werden dürfen - eine explizite Kampfansage an den vermeintlichen politischen Gegner aus dem linken Spektrum. Ferner sollen die "Interessen des deutschen Volkes priorisiert" und das Nationalgefühl durch "völkisch-traditionelle Veranstaltungen" gestärkt werden. Unter der Rubrik "Nationalstaat gestalten" bedient die "Neue Stärke Partei" auch geschichtsrevisionistische Ansätze dahingehend, dass aus ihrer Sicht der "Geschichtsunterricht in deutschen Schulen" die "Geschichte unseres Volkes wertfrei, umfassend und wahrheitsgemäß" vermitteln sollte, was eine Anpassung der Lehrpläne entsprechend der "Faktenlage" voraussetze. Die "Grundrechte der deutschen Volksangehörigen im Nationalstaat" sollen 88 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus für alle "Deutschen" gelten, die "sich nicht gegen das Leben und Überleben des deutschen Volkes versündigen". Diese Kernaussage im Parteiprogramm richtet sich unmittelbar gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Ferner soll das "inmitten des Abendlandes" liegende Deutschland als neues "Machtzentrum" auf dem europäischen Festland installiert werden, aus dem heraus in der Folge ein "revolutionäres Manifest für Europa kreiert" werden soll. Das "Machtzentrum" würde dem Ziel dienen, das "Abendland vor äußeren Feinden zu beschützen". Diese Wortwahl macht deutlich, dass die Gruppierung ideologisch in der Tradition des nationalsozialistischen Strebens nach einem deutschen Großmachtstatus in Europa zu verorten ist. Die Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt ordnete die "Neue Stärke Magdeburg" im Berichtszeitraum bislang nicht dem Parteienspektrum zu, sondern betrachtete sie in Ermangelung parteispezifischer Aktivitäten noch als neonazistisch geprägte Gruppierung. Wenngleich die "Neue Stärke Partei" die nach SS 6 Abs. 3 des Parteiengesetzes erforderlichen Unterlagen zwischenzeitlich beim Bundeswahlleiter eingereicht hat, ist sie im Berichtszeitraum noch bei keiner Wahl angetreten. Gleichwohl zeigt sich der Wille zur Etablierung darin, dass die "Neue Stärke" in relativ kurzer Zeit eine feste Räumlichkeit in Magdeburg angemietet hat und nutzt. Mit Blick auf die überwiegende (vormalige) Verortung ihrer Mitglieder in der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene stellt dies durchaus ein Novum dar. Neben den Teilnahmen an einzelnen Versammlungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie führte die Gruppierung im Rahmen eines so genannten Aktionstages "Kampfkultur in Deutschland" am 11. Dezember 2021 mit etwa 30 Personen eine Versammlung in Magdeburg durch. Die Versammlungsteilnehmer traten dabei mit einheitlicher Szenebekleidung, Fahnen und einem Banner mit der Aufschrift "Neue Stärke Partei" auf. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 89 RechtsextRemismus Zuletzt trat die "Neue Stärke Magdeburg" im Zusammenhang mit der Planung und Durchführung der wiederkehrenden Versammlung der rechtsextremistischen Szene am Jahrestag der Bombardierung der Stadt Magdeburg im Zweiten Weltkrieg in Erscheinung, was - auch wegen der teilnehmenden Personen - einmal mehr deren Nähe zum Neonazismus belegt. Zudem wurden dabei auch die fortbestehenden engen Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen deutlich, die sich aus den persönlichen Kennverhältnissen des Personenpotenzials ergeben dürften. So nahmen insbesondere Mitglieder der Partei "DIE RECHTE" und des rechtsextremistischen Personenzusammenschlusses "Harzrevolte" teil. Die Verfassungsschutzbehörde wird allein schon aufgrund des im Rahmen der Versammlungslagen mit Corona-Bezug gezeigten Aggressionspotenzials und der in der Gruppierung verorteten gewaltbereiten Rechtsextremisten ihren Fokus bei der Beobachtung der Gruppierung und deren Entwicklung weiter schärfen. "Harzrevolte" Die "Harzrevolte" trat im Berichtszeitraum erstmals in Erscheinung. Bei der "Harzrevolte" handelt es sich um eine rechtsextremistische Gruppierung, die vornehmlich auf Demonstrationen 90 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus in Halberstadt, Blankenburg und Wernigerode (alle Landkreis Harz) und in den sozialen Medien öffentlichkeitswirksam in Erscheinung trat. Als selbsternanntes Ziel werden die Vernetzung und der Zusammenhalt des Großraumes Harz genannt. Die öffentliche Kommunikation findet über soziale Medien statt. Die Initiatoren und Führungspersonen Marcel KRETSCHMER (Thale, Landkreis Harz) und Martin SCHÜTTPELZ (Huy, Landkreis Harz) sind einschlägig als langjährige Angehörige der rechtsextremistischen Szene bekannt. Beiträge in den sozialen Medien sind im traditionellen rechtsextremistischen Bereich zu verorten. Sie setzen sich beispielsweise mit Gedenktagen anlässlich der Zerstörung deutscher Städte am Ende des Zweiten Weltkrieges und mit Siedlungsprojekten wie "Zusammenrücken in Mitteldeutschland" auseinander. Zudem werden Beiträge aus dem rechtsextremistischen Parteienspektrum geteilt. So unterstützte die Gruppierung unter anderem den Kandidaten der NPD für die Stadtratswahl in Goslar (Niedersachsen). Die "Harzrevolte" tritt vor allem öffentlich bei einzelnen Demonstrationen in Erscheinung, die sich gegen die CoronaBeschränkungen richten. Dabei scheint es der Gruppierung weniger um pandemiebedingte Themen, sondern vor allem um Aufmerksamkeit durch Präsenz beim Protestgeschehen zu gehen, um dieses für ihre Zwecke zu nutzen. Um öffentlich wirksam aufzutreten, führte die "Harzrevolte" auf einzelnen Demonstrationen im Harz regelmäßig ein Banner mit der Aufschrift "Die Regierung ist das Virus - Deutsch, stabil, ungeimpft" mit. Zusätzlich verteilte die Gruppierung im Rahmen des Protests am 13. Dezember 2021 Fackeln an Mitdemonstrierende. Daneben organisiert die "Harzrevolte" eigene Veranstaltungen und nimmt auch an "klassischen" rechtsextremistischen Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Gruppierungen teil. Beispielsweise organisierte die Gruppe am 2. Oktober 2021 ein Vernetzungstreffen im Harz, an dem unter anderen die JN und zwei rechtsextremistische Liedermacher teilnahmen. Anhänger Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 91 RechtsextRemismus der "Harzrevolte" besuchten auch einen Zeitzeugenvortrag mit der bekannten Holocaustleugnerin Ursula HAVERBECK-WETZEL (Nordrhein-Westfalen), das "Heldengedenken" in Braunschweig (Niedersachsen) oder den "Gedenkmarsch" für den verstorbenen Neonazi Siegfried BORCHARDT am 9. Oktober 2021 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen), die alle von Mitgliedern der rechtsextremistischen Partei "DIE RECHTE" organisiert wurden. Die künftigen Aktivitäten der Gruppierung hängen maßgeblich vom weiteren Verlauf der Corona-Pandemie und den damit verbundenen staatlichen Beschränkungsmaßnahmen ab. Unabhängig davon hat sich die "Harzrevolte" im Berichtszeitraum als rechtsextremistische Gruppierung im Raum Harz etabliert, weshalb auch abseits der Corona-Proteste mit weiteren Aktionen zu rechnen ist. Rechtsextremistische Aktivitäten von Sven LIEBICH Der Rechtsextremist Sven LIEBICH (Klitschmar, Sachsen) ist sich seines Status als einer der bekanntesten Einzelakteure der rechtsextremistischen Szene im südlichen Sachsen-Anhalt sehr 92 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus wohl bewusst. Diese Rolle lebt er aus und genießt sie offensichtlich. Im Berichtszeitraum sorgte er erneut landesund bundesweit für Aufsehen. Das Durchführen von Versammlungen bleibt für LIEBICH essenziell. Quantitativ betrachtet sind sie bundesweit ohne Vergleich. Neben seinen etablierten "Montagsdemos" führte er im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zusätzlich eine Vielzahl von Versammlungen größtenteils samstags in Halle (Saale) unter dem Motto "Die Revolution ist noch nicht zu Ende" durch. Seine Aktivitäten gegen die Corona-Beschränkungsmaßnahmen setzte er unvermindert fort. Trotz großer Anstrengungen gelang es ihm nicht, breite Schichten der Bevölkerung anzusprechen. Seine Versammlungen und "Auftritte" wurden von einem gleichbleibenden Personenkreis besucht und unterstützt. Es handelte sich um bis zu maximal 50 Personen, die seine Aktivitäten auch überörtlich begleiteten. Im Berichtszeitraum hat LIEBICH weiter versucht, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch an andere Strukturen mit dem Ziel anzudocken, seine eigene Reputation zu erhöhen, insbesondere im Kontext des pandemiebedingten Protests. Auch wurde er von Teilen seiner Anhängerschaft zu Veranstaltungen außerhalb von Halle (Saale) begleitet. So nahm LIEBICH u. a. an Versammlungen in Magdeburg, Schönebeck (Salzlandkreis), Köthen (AnhaltBitterfeld), der Lutherstadt Wittenberg (Landkreis Wittenberg) oder an Autokorsos in Riesa und Meiningen (Sachsen) sowie an "Spaziergängen" in Freiberg (Sachsen) teil. Zudem war LIEBICH mehrfach Teilnehmer und auch Redner bei Versammlungen der rechtsextremistisch eingestuften Partei "Freie Sachsen" in Zwönitz (Sachsen). Auch an der bundesweit bedeutsamen Versammlung von Gegnern der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie am 20. März 2021 in Kassel (Hessen) mit über 20.000 Teilnehmern waren LIEBICH und ca. zehn seiner Anhänger vertreten. Im Rahmen einer Versammlung gegen die Änderung des InfekVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 93 RechtsextRemismus tionsschutzgesetzes am 21. April 2021 in Berlin, an der sich etwa 10.000 Teilnehmer unter anderem auch aus der Querdenkerund rechtsextremistischen Szene beteiligten, wurde LIEBICH am Denkmal für die ermordeten Juden in Europa mit dem Tagebuch der Anne Frank in der Hand und einem "Judenstern" mit der Aufschrift: "Ungetestete sind hier nicht erwünscht!" an seinem Pullover kurzzeitig von der Polizei in Gewahrsam genommen. Neben der Anmeldung und Teilnahme an Versammlungen gegen Corona-Beschränkungsmaßnahmen versuchte LIEBICH abermals, mit provokanten und herabwürdigenden Auftritten eine hohe Öffentlichkeitswirksamkeit zu erreichen. Am 1. Mai 2021 begab sich LIEBICH mit zwei weiteren Personen zum KZ Buchenwald (Thüringen) und veröffentlichte später Bilder von sich vor der dortigen Gedenkstätte. Der Post auf seinem Telegram-Kanal war untertitelt mit der Aussage: "Wir schänden keine Gedenkstätten. Wir gedenken." Unter einem zweiten Bild mit LIEBICH vor dem Eingang zum Konzentrationslager war zu lesen: "Vergesst nicht, heut wieder 22 Uhr in Euren Baracken zu sein. Zum Glück wird der europäische Schießbefehl zurzeit noch nicht umgesetzt." Die Aktion steht im Zusammenhang mit einer Durchsuchung bei einem Weimarer Richter, der zuvor ein Urteil zur Maskenpflicht gefällt hatte. Ende Juli 2021 ließ sich LIEBICH das Motiv "Judenstern" u. a. mit der Inschrift "UNGEIMPFT", das er auch in seinem Online-Shop verkauft, auf den Oberarm tätowieren. In dem begleitenden Post auf seinem Telegram-Kanal kommentierte er die Aktion mit den Worten: "Ich glaube, ich lege mal vor. Ich gehe vorauseilend zum Tätowierer. Hoffentlich machen sie aus mir dann keinen Lampenschirm später...".1 Am 21. August 2021 kam es beim Burgfest in Querfurt (Saalekreis) an einem mobilen Impfstand des DRK zu einer körper 1 - Bezieht sich auf die Herstellung von Lampenschirmen aus Menschenhaut im Konzentrationslager Buchenwald. 94 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus lichen Auseinandersetzung zwischen LIEBICH und mehreren Begleitern mit einem Mitarbeiter einer Impfstation. Beim Anblick der mobilen Impfstation nahm LIEBICH sein Handy, videografierte die Situation im Selfie-Modus und kommentierte sie. Daraufhin nahm ihm ein Mitarbeiter der Impfstation das Handy weg und die Situation eskalierte. Im Nachgang veröffentlichte LIEBICH ein 33-sekündiges Video des Ereignisses auf verschiedenen Social-Media-Kanälen. Darin äußerte er coronaleugnerische Thesen, die auch antisemitische Bezüge trugen: "Die wollen hier die Leute totspritzen. ... Ich habe hier gefragt, wo die Duschräume sind."2 LIEBICH bemüht mit nationalsozialistisch konnotierten Begriffen eine irreführende Analogie zu heutigen gesellschaftlichen Umständen. Am 3. Oktober 2021 führte LIEBICH beim Besuch der Bundeskanzlerin in Halle (Saale) anlässlich der Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit eine Versammlung unter dem Motto "Halle verabschiedet die Kanzlerin" durch. Diese wurde von ihm und seiner "Merkeljugend" im provokanten Stil umgesetzt und lehnte sich an Propagandaveranstaltungen des Nationalsozialismus an. Die verwendeten Plakate und Symbole waren im Stil des Nationalsozialismus gehalten; allerdings wurde anstelle von Hakenkreuzen das Eurosymbol oder die "Merkelraute" benutzt. Seine Redebeiträge lehnte LIEBICH an Reden von Vertretern der NS-Gewaltherrschaft (z. B. an eine Rede von Baldur von Schirach vor der Hitlerjugend) an. Von ihm und seinen Anhängern wurde mehrfach "Wie Geil" skandiert, was auch leicht als "Sieg Heil" verstanden werden konnte. An der Versammlung nahmen 85 Personen teil, wobei sich ein Großteil der Versammlungsteilnehmer aus dem üblichen Personenkreis um LIEBICH rekrutierte. Zusätzlich reisten Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt und dem Bundesgebiet an, unter ihnen der als "Volkslehrer" bekannte Nikolai NERLING (Thüringen), der die Versammlung medial begleitete. 2 - Bezieht sich auf die Vergasungsanlagen in Konzentrationslagern. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 95 RechtsextRemismus Aufgrund von Blockadeaktionen der linken Szene konnte LIEBICH seine geplante Aufzugsstrecke nicht nutzen. Während des Versammlungsverlaufs untersagte ihm die Versammlungsbehörde Wortkombinationen mit dem Begriff "geil". Am 20. Dezember 2021 waren LIEBICH und mehrere seiner Anhänger Teilnehmer eines "Spazierganges" gegen die Corona-Beschränkungsmaßnahmen in Magdeburg. Als mehrere Versammlungsteilnehmer versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen, rief LIEBICH: "Wir sind das Volk". Die Menge skandierte danach ebenfalls diesen Slogan. LIEBICH selber war nicht am Durchbruchsversuch beteiligt. Im Nachgang äußerte sich LIEBICH bewundernd über die offensichtlichen Gewalttätigkeiten in Magdeburg und warf der "Bewegung Halle"3 vor, zu polizeifreundlich zu agieren. Er forderte, die Polizei mit gleichzeitigen Versammlungslagen zu überlasten, damit das "System in die Knie gezwungen" werde. Auch seinen Kampf gegen politische Gegner setzte LIEBICH im Berichtsjahr unbeirrt fort. So tauchte er Ende Mai 2021 vor der JVA Chemnitz (Sachsen) auf und beschimpfte mit einem Megafon über die Gefängnismauern hinweg eine linksextremistische Gefangene. Unter dem Jubel anderer Insassinnen setzte er seine Tiraden mehrere Minuten fort und veröffentlichte ein selbstgefertigtes Video auf seinen Online-Präsenzen. Im Juli und August 2021 provozierte und beleidigte er Anhänger der "Fridays for Future"-Bewegung. Im Zusammenhang mit der Migrationswelle an der polnisch-belarussischen Grenze meldete LIEBICH im vierten Quartal mehrfach Versammlungen unter dem Motto: "Wir haben Platz - auch im Paulusviertel" an. Diese fanden in einem Stadtteil von Halle (Saale) statt, in dem vor allem politisch linksorientierte Personen leben. LIEBICH nahm die Provokation bewusst in Kauf. 3 - Heterogene Coronamaßnahmen-kritische Protestbewegung in Halle (Saale). 96 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Einen weiteren Schwerpunkt seiner Aktivitäten bildeten die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und die Bundestagswahl. LIEBICH führte eine Vielzahl von Versammlungen im direkten Umfeld von Wahlkampfveranstaltungen der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" durch. Auch anlässlich einer Wahlkampfveranstaltung der Partei "Die Linke" versammelte er sich mit seiner Anhängerschaft unter dem Motto: "Gegen die Wiederkehr des Stalinismus". Dabei beschimpfte er Politiker und versuchte mit teilweise unwahren Behauptungen, diese Parteien in ein schlechtes Licht zu rücken. Gleichzeitig unterstützte er die AfD durch seine Teilnahme an Wahlkampfveranstaltungen in Haldensleben, Weißenfels und Merseburg, indem er seine mediale Präsenz nutzte und die verbale Auseinandersetzung mit linksorientierten Gegendemonstranten suchte. Trotz seines Drangs, sich unermüdlich öffentlich wirksam darzustellen, blieben seine vielen Versuche, andere gesellschaftliche Schichten für seine rechtsextremistischen Ideen zu begeistern, erfolglos. Es ist davon auszugehen, dass sich dies auch in Zukunft nicht ändern wird. Allerdings wird dies seinen Aktivismus nicht schmälern: Vielmehr wird LIEBICH auch künftig jede öffentliche Plattform zu nutzen versuchen, um sich und sein rechtsextremistisches Weltbild zu präsentieren. Neonazistische Aktivitäten im Raum Wittenberg Während der Osterfeiertage 2021 fand laut Eigenangabe auf der Internetseite der JN ein Gemeinschaftstreffen von JN und den "Freien Kräften" aus dem "Anhaltiner Land" in Bad Schmiedeberg statt. Das Treffen, das insbesondere der Stärkung der Gemeinschaft dienen sollte, war von bekannten Bräuchen wie dem Entzünden von Fackeln, dem Errichten einer Feuerstelle und dem Vortragen von Gedichten geprägt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 97 RechtsextRemismus Rechtsextremistische Szene im Landkreis Mansfeld-Südharz Das alljährlich zu Pfingsten stattfindende Questenfest in Questenberg wird seit Jahren auch von Rechtsextremisten aufgesucht. Die Queste wird von diesem Personenkreis mit der germanischen Mythologie in Verbindung gebracht und daher zum Anlass genommen, Brauchtumspflege öffentlich darzustellen. Enrico MARX (Sotterhausen), Sven LIEBICH (Klitschmar, Sachsen) und Nikolai NERLING, alias der "Volkslehrer" (Thüringen), waren vor Ort. Am 25. September 2021 wurde unter dem Motto "Hand in Hand für Erhalt und Bestand" auf dem Grundstück des MARX in Allstedt, OT Sotterhausen, der "Nationale Handwerkermarkt" fortgesetzt. Die etwa 50 Teilnehmer der Veranstaltung kamen aus Bayern, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die JN aus dem "Anhaltiner Land" waren mit einem eigenen Infostand vertreten. Die Veranstaltung ist ein Beleg für integratives Handeln innerhalb der rechtsextremistischen Szene. (Auf dem "Nationalen Handwerkermarkt" vom 25. September 98 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus angebotene Produkte, die zum Teil in der Neonazi-Szene beliebte Symbole darstellen, wie z.B. die "Schwarze Sonne" oder die "Lebensrune"). Rechtsextremistische Szene in DessauRoßlau und Anhalt-Bitterfeld Im Berichtsjahr trat die "Aktionsgruppe Dessau/Bitterfeld" ("Aktionsgruppe") erstmals in Erscheinung. Die Hauptakteure sowie ein Teil ihrer Anhänger gehören seit Jahren der traditionellen rechtsextremistischen Szene an. Sie zeigen sich in der Öffentlichkeit mit schwarzen und weißen T-Shirts mit der Aufschrift "Aktionsgruppe Dessau/Bitterfeld". Diesem aktionsorientierten Zusammenschluss können etwa 30 Personen zugerechnet werden, der vornehmlich öffentlichkeitswirksam bei rechtsextremistischen Versammlungen in Erscheinung tritt. Die "Aktionsgruppe" nahm im Jahr 2021 an folgenden versammlungsrechtlichen Aktionen im gesamten Bundesgebiet teil: - 1. Mai: Teilnahme an einer Versammlung der "Neuen Stärke Erfurt" in Erfurt (Thüringen), - 17. Juli: Teilnahme am "Antikommunistischen Aktionstag" der Gruppierung "Neue Stärke Erfurt" in Erfurt, - 7. August: Teilnahme an einer organisationsübergreifenden Demonstration unter dem Motto "Gemeinsam für Frieden, Freiheit und Souveränität!" in Weimar (Thüringen), - 11. September: Teilnahme an zwei Wahlkampfveranstaltungen der Partei "DIE RECHTE" in Braunschweig (Niedersachsen). Demonstrationen zu aktuellen Ereignissen Im Berichtszeitraum nahmen Rechtsextremisten aus dem Burgenlandkreis an der gesellschaftlichen Diskussion zum Thema Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 99 RechtsextRemismus "Corona-Pandemie" teil, indem sie sich mehrfach an einzelnen versammlungsrechtlichen Aktionen und Protestveranstaltungen im Süden von Sachsen-Anhalt beteiligten. Szeneangehörige aus Weißenfels, Elsteraue und Zeitz beteiligten sich an Kundgebungen/Mahnwachen, "Spaziergängen" und Autokorsos gegen die Beschränkungsmaßnahmen. In der Regel beteiligten sich zwischen zehn und 20 Rechtsextremisten an den jeweiligen versammlungsrechtlichen Aktionen. Auch der bekannte Rechtsextremist Jens BAUER (Elsteraue) setzte seine Aktivitäten fort. So meldete er für den 19. und 26. Februar sowie den 5. März 2021 Auto-Korsos durch Zeitz an. Diese standen unter dem Motto "Gemeinsam statt einsam - Schluß mit den Corona-Maßnahmen". 94 Fahrzeuge wurden am 19. Februar, 106 Fahrzeuge am 26. Februar und 67 Fahrzeuge am 5. März festgestellt. Während der Veranstaltungen konnten Rufe wie "Frieden, Freiheit, keine Diktatur" wahrgenommen werden. Im Berichtsjahr häuften sich die zum Teil gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten. Als Reaktionen hierauf folgten am 12. Juni 2021 in Dessau-Roßlau zwei Aktionen der rechtsextremistischen Szene unter dem Motto "Linke Gewalt stoppen" bzw. "Wir fordern Aufklärung gegen linke Gewalt". Die Demonstration "Linke Gewalt stoppen" wurde von der "Aktionsgruppe Dessau/Bitterfeld" organisiert. Für die Versammlung "Wir fordern Aufklärung gegen Linke Gewalt" zeichnete Alexander WEINERT (Dessau-Roßlau) verantwortlich. An den Versammlungen nahmen 90 bis 120 Personen teil, darunter Mitglieder der "Brigade 8 Chapter Mittel/Elbe", der 100 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus JN aus Niedersachsen, Mitglieder der Gruppierung "Neue Stärke Erfurt", Rechtsextremisten aus Brandenburg und NordrheinWestfalen sowie Mitglieder der Partei "DIE RECHTE" aus Niedersachsen. Aktivitäten zu den Jahrestagen alliierter Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg Die Zerstörung deutscher Städte von alliierten Streitkräften am Ende des Zweiten Weltkriegs nehmen Rechtsextremisten, auch in Sachsen-Anhalt, seit mehreren Jahren zum Anlass, öffentlichkeitswirksame Aktionen in Form von Demonstrationen und Kranzniederlegungen durchzuführen. Anlässlich des 76. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Magdeburg führte die rechtsextremistische Szene am 16. Januar 2021 in Magdeburg eine Kundgebung unter dem Motto "Trauermarsch 16.000 unvergessen" mit 110 Teilnehmern durch. Anmelder und Leiter des "Trauermarschs" war Matthias FISCHER (Magdeburg), welcher der "MAGIDA 2.0/Bürgerinitiative Magdeburg" zugerechnet werden kann. Gleichzeitig fanden in der Gesamtzahl 28 angemeldete Gegenaktionen des linksextremistischen und nicht-extremistischen Spektrums statt, an denen insgesamt etwa 500 Personen teilnahmen. Die Polizei verhinderte mehrfach das Aufeinandertreffen von Personen der linksund rechtsextremistischen Szene. Nach Beendigung der Veranstaltungen setzten Unbekannte Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 101 RechtsextRemismus zwei Pkw von ehemaligen Teilnehmern der Versammlung der rechtsextremistischen Szene in Brand. Am 13. Februar fand in Dresden (Sachsen) die alljährliche, von Rechtsextremisten organisierte "Gedenkaktion" anlässlich der alliierten Luftangriffe auf die Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg statt. Das diesjährige Motto lautete: "Vergesst niemals Dresden! Feierstunde zu Ehren der Dresdner Luftkriegstoten des 13. Februar 1945. Dresden-Gedenken 2021!". Es waren insgesamt etwa 800 Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet vor Ort, darunter auch etwa 170 Mitglieder der Partei "Der III. Weg". Aus Sachsen-Anhalt nahmen vorwiegend Szeneangehörige aus den südlichen Teilen des Landes teil. Die "NPD Sachsen-Anhalt" berichtete auf ihrer Internetseite über eine Gedenkaktion zu Ehren der Opfer der Dessauer "Bombennacht" vom 7. März 1945: "Zahlreiche Bürger" sollen sich an der Veranstaltung beteiligt haben. Ein Foto zeigt ein an einem Denkmal abgelegtes Blumengesteck mit dem Aufdruck "Freie Nationalisten aus Sachsen-Anhalt". Aktionsform "Schwarze Kreuze" Zum achten Mal haben Rechtsextremisten organisationsübergreifend am 13. Juli in mehreren Bundesländern einen Aktionstag unter dem Motto "Schwarze Kreuze Deutschland" durchgeführt. Hierbei wurden schwarz bemalte Kreuze an öffentlichen Straßen und Plätzen aufgestellt, die an die deutschen Opfer sogenannter Ausländergewalt erinnern sollten. Auf dem Telegram-Kanal "Aktion Schwarze Kreuze" sind zahlreiche Bilder und Videos zur Vorbereitung eingestellt. Für Sachsen102 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Anhalt betrifft dies Raguhn, Köthen (beides Anhalt-Bitterfeld), Bad Dürrenberg, Spergau (beide Saalekreis) und Jessen (Landkreis Wittenberg). Weitere Feststellungen waren auch in Stendal und Tangermünde (beide Landkreis Stendal) zu verzeichnen. Rechtsextremistische Aktivitäten zum Todestag der RathenauMörder Auch in diesem Jahr führten Rechtsextremisten ihre "Pflichtveranstaltung" zum Gedenken an die Rathenau-Mörder in Bad Kösen, OT Saaleck, durch. Dafür trafen sich am 17. Juli 2021 etwa 35 Personen in der Gaststätte "Burgblick". Die Teilnehmer konnten mehrheitlich der örtlichen rechtsextremistischen Szene im Burgenlandkreis sowie den NPD-Kreisverbänden Burgenlandkreis und Saalekreis zugerechnet werden. Während der Veranstaltung begaben sich die Teilnehmer zum Friedhof Saaleck, wo eine kurze Trauerrede gehalten wurde. Die rechtsextremistische Partei "Der III. Weg", Stützpunkt Mittelland, organisierte für den 17. Juli 2021 eine eigenständige Gedenkaktion. Etwa 30 Personen, darunter Rechtsextremisten aus Berlin, Sachsen und Thüringen wanderten zur Rudelsburg in Saaleck. "Heß-Gedenkaktionen" Nach wie vor entfaltet der Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß in der rechtsextremistischen Szene des Landes Sachsen-Anhalt eine mobilisierende Wirkung bei entsprechenden Erinnerungsaktivitäten. In diesem Jahr wurden in Sachsen-Anhalt mehrere themenbezogene Aktionen im Raum Stendal festgestellt. Hierzu befestigten Unbekannte an vier Brücken, welche von der B 189 bzw. der B 188 gut einsehbar sind, zwischen dem 26. August und 27. August 2021 drei Laken mit der Aufschrift "Rudolf Heß Mord" sowie ein Laken mit der Aufschrift "Rudolf Heß Unvergessen". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 103 RechtsextRemismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Wie bereits in den letzten zwei Jahren dominieren regionale Personenzusammenschlüsse die rechtsextremistische Szene in Sachsen-Anhalt. Das gemeinsame Agieren von Gruppierungen mit Parteien wie "DIE RECHTE", NPD, "Der III. Weg" zeigen das Fortschreiten der überregionalen Vernetzung. Die öffentliche Wahrnehmung von politischen Aktivitäten durch Angehörige der neonazistischen Szene spielt gerade während der pandemiebedingten Einschränkungen eine besondere Rolle. Mit der Teilnahme an politischen Aktionen wird der Zusammenhalt gestärkt und öffentlich bekundet. Die Teilnahme an Demonstrationen und Spaziergängen gegen die pandemiebedingten Eindämmungsmaßnahmen in Sachsen-Anhalt zeigen, dass sich Rechtsextremisten aus der Neonaziszene mit Personen aus dem Parteienspektrum und aus der Hooliganund Fußballfanszene öffentlichkeitswirksam an Veranstaltungen gegen die bestehende aktuelle Corona-Politik der Bundesregierung beteiligten. Durch diese temporären Allianzen und die Vernetzung über die sozialen Netzwerke versuchen Neonazis, ihre szeneinterne Bedeutung zu erhöhen und in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. 104 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" e.V. ("Artgemeinschaft") Sitz Berlin Verbreitung Gründung 1951 Struktur Jens BAUER (Elsteraue, Burgenlandkreis) fungiert Aufbau seit Herbst 2015 als Vorsitzender. Mitglieder Land: etwa 30 (2020: etwa 30) Anhänger Bund: 180 (2020: 180) VeröffentWeb-Angebote: www.nordzeit.de lichungen www.asatru.de Publikationen: "Nordische Zeitung" (NZ; vierteljährlich) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Einnahmen aus Buchdienst Kurzportrait / Ziele Die "Artgemeinschaft" ist die derzeit größte deutsche neonazistische Organisation. Die "Artgemeinschaft" versteht sich selbst als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart" bewahren, erneuern und weiterentwickeln will. Ihr Ziel ist es, als Glaubensgemeinschaft anerkannt zu werden. Die "Artgemeinschaft" ist eindeutig rassistisch ausgerichtet. Die "Art" als Synonym für "Rasse" gilt als höchstes Gut. So stehen "Gleichgeartete Gattenwahl" und "reine Weitergabe unseres Erbes" für das von der "Artgemeinschaft" propagierte Verbot von "Rassenmischung". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 105 RechtsextRemismus Über einen eigenen Buchdienst werden Publikationen zu heidnischem und religiösem Brauchtum verbreitet. Mit ihren Veranstaltungen bietet die "Artgemeinschaft" Neonazis den nötigen Rahmen, um Familien und Kinder an die Szene zu binden und rassistische Überzeugungen weiterzugeben. So nimmt seit Jahren ein fester Personenkreis aus Sachsen-Anhalt an den "Gemeinschaftstagungen" der "Artgemeinschaft" teil. Die "Artgemeinschaft" erhebt einen Führungsanspruch im völkischrassistisch geprägten Milieu des deutschen Neonazismus und versteht sich selbst als Bindeglied zwischen verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen. Grund der Beobachtung Kennzeichnend für die "Artgemeinschaft" ist eine rassistisch geprägte Ideologie. Die Mitglieder leben strikt nach dem "Sittengesetz ihrer Ahnen". Darin heißt es: "Das Sittengesetz in uns gebietet Tapferkeit und Mut in jeder Lage, Kühnheit und Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Familie, Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischen Glaubens.... Das Sittengesetz in uns gebietet Einsatz für Wahrung, Einigung und Mehrung germanischer Art... Das Sittengesetz in uns gebietet Gefolgschaft dem besseren Führer, mit Recht und Pflicht zu abweichendem Rat, nach bestem Wissen und Gewissen." Die Organisation orientiert sich am Nationalsozialismus und versucht, "völkische Strukturen" aufzubauen. 106 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Pandemiebedingt mussten die "Gemeinschaftstagungen" der Organisation im Frühjahr, Herbst und Winter ausfallen. Lediglich die Gemeinschaftstage im Juni konnten in Ilfeld (Thüringen) stattfinden. Die Sommersonnenwendfeier der "Artgemeinschaft" wurde im Jahr 2021 vom 17. bis 20. Juni mit etwa 360 Teilnehmern in Ilfeld (Thüringen) durchgeführt. Aus Sachsen-Anhalt nahmen Personen aus den Landkreisen Burgenlandkreis, Harz, MansfeldSüdharz, Salzlandkreis, Stendal und aus Halle (Saale) teil. (Bei der Bezeichnung "n.St." handelt es sich um die dem heidnischen Brauchtum entnommene Zeitrechnung "nach Stonehenge". 3821 n.St. entsprich demnach dem Jahr 2021.) Über soziale Medien (Facebook, Telegram) veröffentlichte die Organisation Gedichte und Texte und informierte zu Neuveröffentlichungen, die über ihren Buchdienst zu beziehen sind. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 107 RechtsextRemismus Anlässlich des 70-jährigen Bestehens der "Artgemeinschaft" bot die Organisation über ihren Buchdienst ein blaues T-Shirt an, auf dem in Gold das folgende Zitat des Dichters Emanuel Geibel (1815 - 1884) aufgedruckt war: "Am guten Alten in Treue halten, am kräftigen Neuen sich stärken und freuen, wird niemand gereuen". Geibel war einer der populärsten deutschsprachigen Lyriker seiner Zeit. Der Schlussvers seines 1861 veröffentlichten Gedichts "Deutschlands Beruf" ("Und es mag am deutschen Wesen / Einmal noch die Welt genesen") wurde in der Zeit des deutschen Imperialismus von dessen Befürwortern zu einer politischen Parole umgewandelt. Mit der hier erfolgten Übernahme von Geibels Zitats zeigt sich, wie Rechtsextremisten einzelne Passagen und Zitate aus ihrem (geschichtlichen) Kontext herausreißen, um diese dann für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren und zu politisieren. Im November 2021 wurde ebenfalls über den Buchdienst der Tonträger der Liedermacherin "Eine deutsche Frau" angeboten. Die Liedtexte sind größtenteils übersteigert nationalistisch und von völkischen Elementen geprägt. Die Einflechtung von historisch "vorbelasteten" Begriffen wie "Vaterland", "Ehre", Treue", "die Würde der Deutschen" und "deutsches Volk" zeigt die politische Ausrichtung der Liedermacherin. "Eine deutsche Frau" nutzt bekannte Volkslieder, um unter dem Vorwand der Bewahrung "deutscher" Traditionen und Liedkultur ihre eigene extremistische Haltung zu verdeutlichen und öffentlich zu verbreiten. 108 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 RechtsextRemismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Neben den pandemiebedingten Einschränkungen war festzustellen, dass die Organisation bestrebt war, ihre Kontakte in die neonazistische Szene zu festigen und weiter auszubauen. Es gelang ihr, regionale Veranstaltungen - zum Beispiel sogenannte "Gefährtschaftstreffen" - durchzuführen. Die zunehmende öffentliche Berichterstattung in den Medien über "völkische Lebenskulturen" führte zu einer Beunruhigung innerhalb der Organisation. Daher agieren die Funktionäre äußerst konspirativ und schotten sich gegenüber anderen Parteien und Organisationen ab. Die "Artgemeinschaft" stellt die heidnische Brauchtumspflege und die Ahnenkunde in den Vordergrund. Damit will sie auch in Zukunft das Gemeinschaftsgefühl stärken. Eine autarke Lebensweise wird weiter praktiziert. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 109 ReichsbüRgeRszene REICHSBÜRGERSZENE Für die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter ist im Berichtsjahr eine Zunahme der Anhängerschaft um 100 auf nunmehr 600 Personen zu konstatieren. Die Aktivitäten sind von einer starken Individualität geprägt, die nach wie vor in unzähligen Schreiben an Behörden zum Ausdruck kommt. Die Corona-Pandemie beflügelte Teile der Szene, die ohnehin für Verschwörungserzählungen empfänglich ist. Reichsbürger haben während der Pandemie eine eigenständige Protestkultur entwickelt, die sich u. a. in dem wöchentlichen "Stillen Protest" in Gröningen, OT Heynburg, an der B 81 manifestierte. In Magdeburg wurden einzelne eigene Versammlungen angemeldet, denen sich auch Nichtextremisten anschlossen. Die im Vorjahr getroffene Einschätzung der Verfassungsschutzbehörde, dass die Zahl der Personen, die sich der Reichsbürgerszene zugehörig fühlen oder zumindest deren Argumentationsmuster nutzen, ansteigen wird, hat sich bestätigt. Das "Königreich Deutschland" (KRD) setzte seine Aktivitäten in realweltlicher und virtueller Form fort. Im Mittelpunkt stand dabei die Etablierung von so genannten Dorfprojekten und "Gemeinwohlkassen". 110 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 ReichsbüRgeRszene "Reichsregierungen", "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Gründung Die seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland agierenden "Reichsregierungen" haben ihren Ursprung in der seit den 1980er Jahren bestehenden "Kommissarischen Reichsregierung" (KRR) um Wolfgang Ebel (+, Berlin). Verbreitung Reichsregierungen", "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind bundesweit aktiv. Schwerpunktregionen in Sachsen-Anhalt sind der Salzlandkreis, der Landkreis Stendal und der Raum Halle (Saale). Struktur Die Reichsbürgerszene ist sehr heterogen. Aufbau Sie zeigt sich zersplittert und vielschichtig. Die Reichsbürgerszene lässt sich in "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" unterscheiden. Als "Reichsbürger" bezeichnen sich Einzelpersonen und verschiedene Gruppierungen, die sich als Angehörige eines "Deutschen Reiches" wähnen. Bei den "Selbstverwaltern" handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Einzelpersonen, die im Gegensatz zu den "Reichsbürgern" und "Reichsregierungen" nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind, sondern behaupten, sie könnten auf Grund einer Erklärung aus der Bundesrepublik Deutschland ausscheiden oder diese sei gar nicht existent. Entsprechend seien sie nicht mehr ihren Gesetzen unterworfen. Manche "Selbstverwalter" rufen sogar eigene "Staatsgebilde" aus. Neben den Einzelakteuren existieren eine Vielzahl an Kleinst-und Kleingruppen sowie virtuelle Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 111 ReichsbüRgeRszene Netzwerke und darüber hinaus auch überregional agierende Personenzusammenschlüsse. Mitglieder Land: etwa 600 (2020: 500) - davon sind etwa Anhänger 8 % der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen Bund: 21.000 (2020: 20.000) - davon sind etwa 5 % der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen VeröffentWeb-Angebote: lichungen diverse teils wechselnde Facebook-Auftritte stark anwachsende Anzahl von Telegram-Kanälen Kurzportrait / Ziele In der Reichsbürgerszene werden gemeinhin folgende Botschaften vertreten: - Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Auffassung kein echter Staat im völkerrechtlichen Sinn, sondern eine Firma mit staatsähnlichen Strukturen, eine "BRD-GmbH". - Es handele sich um ein reines "Verwaltungsund Firmenkonstrukt". - "Reichsbürger" bestreiten die Unabhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland. - Sie behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei juristisch nicht existent, also illegal. - Hingegen bestehe das Deutsche Reich völkerrechtlich fort. Dabei wird oft in den Grenzen von 1937 gedacht. Dieses gedachte Reich sei allerdings immer noch besetzt, wobei der Hinweis auf die Militärpräsenz, etwa der USA, selten fehlt. 112 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 ReichsbüRgeRszene Dementsprechend versuchen die "Reichsbürger", pseudostaatliche Strukturen aufzubauen, indem sie eigene "Verwaltungsstrukturen" schaffen. Der Trend zur Bildung von kommunalen Parallelstrukturen ist bundesweit zu beobachten. Um dies zu unterstreichen, rufen Angehörige der Reichsbürgerszene eigene "Legitimationspapiere", "Ämter" u. ä. ins Leben. Grund der Beobachtung Die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung beinhaltet unter anderem die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Zudem können sich Bestrebungen von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes und, soweit sie im Einzelfall mit gebietsrevisionistischen Forderungen verbunden sind, auch gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. Zuweilen werden auch antisemitische Verschwörungstheorien bis hin zur Holocaust-Leugnung verbreitet. Ein geringer Teil der Szene ist zudem im Rechtsextremismus verhaftet. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Reichsbürgerszene unterliegt Veränderungen und ist anpassungsfähig. Die Corona-Pandemie spielt weiterhin für die Reichsbürgerbewegung eine herausragende Rolle. Verschiedene, teils widersprüchliche Verschwörungsmythen werden von der Szene verbreitet. Durch Falschdarstellungen und unwahre Aussagen soll die Stimmungslage in der Bevölkerung für eigene Zwecke missbraucht werden. Es wird immer wieder behauptet, dass keine Gefahr vom Corona-Virus ausgehe und deshalb staatliche Vorgaben und Gebote nicht beachtet werden müssten, da diese lediglich ein Machtinstrument der Regierung seien. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 113 ReichsbüRgeRszene Aktive Gruppierungen der Reichsbürgerszene in Sachsen-Anhalt In Sachsen-Anhalt ist die Reichsbürgerszene durch eine Vielzahl von Einzelpersonen geprägt. 30 Prozent sind in Personenzusammenschlüssen wie dem "Königreich Deutschland", "Freistaat Preußen", "Amt für Menschenrecht", "Gemeindeamt Schinne" oder in der "Verfassunggebenden Versammlung" organisiert. Diese nehmen in Sachsen-Anhalt einen bedeutenden Stellenwert ein, da sie zweckund zielgerichtet agieren. Sie sind im Internet auch mit überregionalen Personenzusammenschlüssen vernetzt. "Königreich Deutschland" (KRD) Im Jahr 2009 gründete der Esoteriker Peter FITZEK (Lutherstadt Wittenberg) den Verein "NeuDeutschland". Seit 2012 tritt FITZEK als "Monarch" des "Königreichs Deutschland" (KRD) in Erscheinung. Die KRD-Programmatik basiert auf der Annahme, dass die hoheitlichen Befugnisse und Rechtsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland nicht gelten. Die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des selbsternannten "Königs", Peter FITZEK, stehen 114 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 ReichsbüRgeRszene den im Grundgesetz verbrieften Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegen. Das von ihm ins Leben gerufene Staatskonstrukt versucht er mit der Etablierung einer "Gesundheitskasse" oder "Gemeinwohlkasse" mit Leben zu füllen. Seit 2019 dehnte FITZEK die KRD-Aktivitäten auf weitere Bundesländer aus. Diese Aktivitäten, die sich durch einen starken Expansionsdrang auszeichnen, umfassen vielfältige Maßnahmen zur Rekrutierung neuer Anhänger aus der Mitte der Gesellschaft und zur Herstellung neuer Allianzen. FITZEK nutzt mittlerweile auch die digitale Welt sehr intensiv, um für seine Ideen zu werben. Auch in diesem Jahr wurden Online-Seminare und regelmäßige Livestreams durchgeführt. Allerdings wurde hier thematisch wenig Neues geboten. Die Inhalte seiner Darstellungen wiederholen sich. Das KRD wirbt weiterhin offensiv um Gewerbetreibende. Die vermeintliche Aussicht auf ein "steuerfreies Wirtschaftssystem", "verminderte Sozialabgaben" sowie ein "autarkes und geschlossenes zinsfreies Geldsystem" sollen die zugkräftigsten Argumente darstellen, um einen Übertritt in das KRD herbeizuführen. Das Werben von Anhängern und Investoren erfolgt über "Unternehmerseminare" oder "Tage der offenen Tür". Im Kontext der Corona-Pandemie betonte FITZEK, dass das Corona-Virus für ihn keine Relevanz habe, und dass die Regeln der Bundesrepublik Deutschland im Bereich seines "Staatsgebietes" nicht gelten. Nicht zuletzt aus diesem Grund führte er unbeirrt Veranstaltungen innerhalb und außerhalb von Sachsen-Anhalt, auch unter Missachtung der Hygieneregeln, durch. Die Initiierung von "Dorfprojekten" war im Berichtsjahr ein zentrales Thema. Dahinter steckt die Idee, unabhängig von der Bundesrepublik Deutschland auf "eigenem Territorium" ein autarkes Gebiet zu schaffen, das sich selbst versorgen kann. Für den Erwerb von Immobilien wurden verschiedene Vereine ins Leben gerufen, um bei den Anfragen zu verschleiern, wer tatsächlich Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 115 ReichsbüRgeRszene Interessent ist. Diese fragen Kommunen nach Immobilien an, die über bestimmte Parameter verfügen, um eine Eigenversorgung zu ermöglichen. Dazu zählt beispielsweise eine eigene Wasserversorgung durch einen See oder Fluss; die Liegenschaft sollte zudem eine Größe von bis zu 50 Hektar haben, damit dort bis zu 300 Personen leben können. Auch in Sachsen-Anhalt gab es Bemühungen des KRD, infrage kommende Standorte ausfindig zu machen. Hierzu wurden Kommunen unter Verschleierung der eigentlichen Interessenten online nach geeigneten Objekten angefragt. Für Sachsen-Anhalt war das Ansinnen nicht von Erfolg gekrönt, allerdings ist ein entsprechendes Engagement des KRD in anderen Bundesländern bekannt. "Verfassunggebende Versammlung" (VV) Die "Verfassunggebende Versammlung" wurde laut Eigenangabe im Oktober 2015 "in den rechtswirksamen Stand" versetzt. Sie lehnt die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und das Grundgesetz mit der gesamten Rechtsordnung ab und tritt meist im virtuellen Raum in Erscheinung. Die VV versucht, parallelstaatliche Strukturen aufzubauen, die im Ergebnis die Ablösung des existierenden und die Schaffung eines neuen Staates nach eigenen Vorgaben zum Ziel haben. In Sachsen-Anhalt werden etwa 20 Personen der VV zugerechnet. "Initiative B 81" Die bereits seit dem vergangenen Jahr stattfindenden regelmäßigen Versammlungen in der Ortslage Gröningen, OT Heynburg (Landkreis Börde), an der B 81 von Personen, die der Reichsbürgerszene zugerechnet werden, setzten sich auch im Jahr 2021 fort. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich stabil im unteren zweistelligen Bereich. Die Anhänger der Gruppierung streben eine Expansion und stärkere Vernetzung an. Mittlerweile finden auch in Heyroths116 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 ReichsbüRgeRszene berge (Landkreis Jerichower Land) und Staßfurt (Salzlandkreis) wiederkehrend Versammlungen statt, die aber nur sehr geringe Teilnehmerzahlen aufweisen. Ebenso werden gleichgelagerte Versammlungen in anderen Bundesländern wie Brandenburg oder Niedersachsen personell unterstützt. Auch in Magdeburg haben die Protagonisten mehrfach Versammlungen durchgeführt, zu denen auch bundesweite Anreisen von Anhängern der Szene erfolgten. Zudem nahmen sie an mehreren Corona-Spaziergängen anderer Initiatoren in SachsenAnhalt und überregionalen sogenannten Querdenker-Versammlungen teil. Bei diesen Veranstaltungen haben Vertreter der Initiative B 81 auch eigene Redebeiträge gehalten. Die Gruppierung ist in Telegram-Kanälen wie "Widerstand Salzlandkreis-Bördekreis-Harzkreis" und "Börde Hakel Erwacht (Austausch)" vernetzt und hat dort auch bereits zu Teilnahmen an anderen Protestversammlungen aufgerufen. Es ist festzustellen, dass die Aggressivität der Äußerungen zunimmt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 117 ReichsbüRgeRszene Aufbau von Parallelverwaltungen Ein Beispiel für den Aufbau von Parallelverwaltungen ist das "Gemeindeamt Schinne". Der "Vorsteher" des "Gemeindeamt Schinne" wandte sich als verantwortlicher Vertreter von anderen Reichsbürgern an Behörden und gab in seinen Schreiben "Rechtsauskünfte". Mittlerweile werden eigene Ausweisdokumente und Kfz-Kennzeichen vertrieben. Im Berichtszeitraum verschickte das "Gemeindeamt Schinne" bundesweit an Ministerpräsidenten, Landesminister und Justizbehörden Schreiben, in denen es sich als Vertreter des Preußischen Staates "vorstellte" und darlegte, dass das Deutsche Reich seit 1871 nicht untergegangen sei und nun reaktiviert würde. Dadurch würden eine "Exterritorialität" und eigene, von der Bundesrepublik Deutschland unabhängige Regelungen etabliert. Von den Empfängern wird gefordert, die Schreiben "fristwahrend" zu akzeptieren. Etwa 14 Tage später wurde ein Anschlussschreiben versendet, in dem darauf hingewiesen wurde, dass das vorherige Schreiben ohne Einwände akzeptiert und somit angenommen sei, was eine "Eigenstaatlichkeit" des "Gemeindesamtes Schinne" bedeute. Weitere Aktivitäten von Reichsbürgern Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie forcierten verschiedene Reichsbürgergruppierungen die Idee, eigene schulische Strukturen aufzubauen, die sich an der Ideologie der Reichsbürger orientieren sollten. So wurde bekannt, dass die bundesweit vor allem online agierende Reichsbürgergruppierung VV eine eigene Schulform etablieren will. Die "BSD-Online-Schule", abgeleitet von "Bildung Spielend Downloaden", soll eine Alternative zum bisherigen Schulunterricht sein und langfristig eine "eigenständige unabhängige Schule im Völkerrecht" darstellen. 118 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 ReichsbüRgeRszene Auch die Reichsbürgergruppierung "Bismarcks Erben / Ewiger Bund /Vaterländischer Hilfsdienst" rief die eigenen Anhänger auf, die Kinder nach den Ferien nicht in die Schule zu schicken, um eine eigene "systemunabhängige" Schulausbildung durchzuführen. Ein bedeutsames Beispiel für Aktivitäten der Szene stellte die Gruppierung S.H.A.E.F.1 dar, deren - Anhänger im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen bundesweit in unterschiedlichster Form agierten. Der ideologische Kopf, Torsten Gerhard JANSEN aus Niedersachsen, sieht sich als "Befehlshaber" des Hauptquartiers der alliierten Streitkräfte, das aus seiner Sicht weiter fortbesteht. Aus diesem Grund gelten angeblich die Gesetze der Bundesrepublik nicht; aus der Sicht von JANSEN haben allein die Gesetze des S.H.A.E.F. weiter Geltung. JANSEN behauptet, dass er von den amerikanischen Streitkräften zur Ausübung von Hoheitsrechten befugt sei. Er betrieb umfangreiche Online-Präsenzen, die über eine bemerkenswerte Reichweite verfügten. Der Telegramkanal "S.H.A.E.F Regierungsinstitution Deutschland" beispielsweise hatte eine fünfstellige Anzahl von Gruppenmitgliedern. In den sozialen Medien veröffentlichten JANSEN und weitere Akteure "Todesurteile" u. a. gegen verschiedene Repräsentanten des Staates, z. B. den ehemaligen Gesundheitsminister. 1 - Die Anhänger dieser Verschwörungstheorie berufen sich auf das Supreme Headquarters Allied Expedition Force (S.H.A.E.F.), das während des Zweiten Weltkriegs das Oberkommando über die alliierten Streitkräfte in Europa ausübte und nach Kriegsende aufgelöst wurde. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 119 ReichsbüRgeRszene Nach umfangreichen Ermittlungsverfahren u. a. der Staatsanwaltschaft Göttingen erfolgten zwischenzeitlich Durchsuchungsmaßnahmen bei Vertretern der S.H.A.E.F.-Ideologie; Torsten Gerhard JANSEN wurde in Untersuchungshaft genommen. Auch in Sachsen-Anhalt wurden Schreiben dieser Gruppierung an verschiedenste staatliche Stellen, darunter auch an Schulen, verschickt. "Todesurteile" sind aber nicht bekannt geworden. Bewertungen, Tendenzen, Ausblicke Die systematische Auswertung von Vorkommnissen mit eindeutigem Reichsbürgerbezug verdeutlicht, dass die Szene vielfältige Aktivitäten sowohl in der Realwelt als auch im virtuellen Raum entwickelte. In Sachsen-Anhalt ist die "Vielschreiberei" und die unmittelbare Konfrontation mit Behörden und Ämtern die gängige Strategie, die zumeist von Einzelpersonen verfolgt wird. Dazu zählt auch das Versenden von seitenlangen pseudojuristischen Argumentationen mit dem Ziel, staatliche Restriktionen zu umgehen. Des Weiteren zeigt sich eine immer weiter zunehmende Vernetzung der Szene. Hierzu bieten soziale Medien und Online-Foren eine bestmögliche Basis. Herauszuheben ist das starke Anwachsen von Telegram-Kanälen, die sich szeneintern etabliert haben. Die sich fortsetzende Corona-Pandemie sorgte nicht nur für ein Anwachsen des Personenpotenzials, sondern verfestigte auch die ideologischen Positionen der Szene. Durch das gegenseitige Bestärken und Unterstützen, sowohl in der digitalen als auch in der realen Welt, muss von einer weiteren Radikalisierung der Reichsbürgerszene ausgegangen werden. Diese Entwicklung ist bei Einzelpersonen bereits erkennbar. 120 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 ReichsbüRgeRszene Ein sich fortsetzender Schwerpunkt der Betrachtung sind "Reichsbürger", die über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügen und sich waffenaffin zeigen. Daher erfordert die Analyse des legalen Waffenbesitzes von Reichsbürgern und Selbstverwaltern weiterhin die größte Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden. Etwa fünf Prozent des Personenpotenzials in Sachsen-Anhalt sind im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Die zuständigen Waffenbehörden wurden über vorliegende Erkenntnisse bei Waffeninhabern, die der Reichsbürgerszene angehören, unterrichtet. 121 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Sammelbeobachtungsobjekt: Demokratiefeindliche und/ oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates Im Verlauf der Pandemie wurden legitime Proteste gegen die Corona-Politik zunehmend als Plattform genutzt, um Regierungsverantwortlichen und staatlichen Stellen pauschal und diffamierend zu unterstellen, sie nutzten und missbrauchten die Corona-Pandemie dazu, die Bürgerinnen und Bürger zu entrechten und zu überwachen. Teilnehmende an den Protesten propagierten das Ignorieren behördlicher Auflagen und tolerierten bereits zu Beginn des Jahres 2021 Teilnahmen von Rechtsextremisten sowie von Personen der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene, sind aber selbst diesen Szenen nicht zuzurechnen. Insgesamt zielt ein derartiges Verhalten darauf ab, das Vertrauen in staatliche Institutionen und seine Repräsentanten nachhaltig zu erschüttern. In Folge dieser Entwicklung wurde im März 2021 im Verfassungsschutzverbund der neue Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet, welcher das bundesweite Sammelbeobachtungsobjekt "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" einschließt. Bestrebungen dieses Sammelbeobachtungsobjekts lehnen nicht zuvorderst die Demokratie unmittelbar ab, sondern agitieren in unbotmäßiger, verfassungsschutzrelevanter Weise gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates und machen diese verächtlich. Dieses Verhalten untergräbt das Vertrauen in das staatliche System grundlegend und kann daher zur Beeinträchtigung von dessen Funktionsfähigkeit führen. Konkret werden zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gezeigt. Diese äußern sich beispielsweise in Form von agitatorischen Verächtlichmachungen ohne Sachbezug, Gewaltandrohungen gegen Vertreterinnen und Vertreter der parlaVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 122 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates mentarischen Demokratie oder auch in Form von Blockadeund Sabotageaktionen gegen staatliche Einrichtungen sowie gegen lebenswichtige Infrastruktur und Versorgungseinrichtungen. Das Sammelbeobachtungsobjekt ermöglicht die Bearbeitung von Bestrebungen, die aufgrund ihrer - insbesondere ideologischen - Heterogenität den bekannten Extremismusvarianten nicht zuzuordnen sind. Mediale Begrifflichkeiten wie "Impfgegner", "Coronaleugner" und "Maskenverweigerer" entsprechen nicht unmittelbar einer Relevanz für das Sammelbeobachtungsobjekt. Es muss eine massive und verunglimpfende Verächtlichmachung staatlicher Repräsentanten und ihrer demokratisch legitimierten Entscheidungen zum Ausdruck gebracht werden, damit eine verfassungsschutzrelevante Demokratiefeindlichkeit vorliegt. Inhaltlich versuchen Akteure dieser Szene, vor allem über soziale Medien Fehlinformationen mit Anknüpfungspunkten zu verschiedenen Verschwörungsideologien zu verbreiten. Sie unterstellen den politisch Verantwortlichen ein diktatorisches Verhalten und rufen zum Widerstand gegen diese auf. Pandemiebedingte Themen dienen häufig als Ausgangspunkt, um den eigentlichen Fokus auf die Errichtung einer Widerstandsbewegung zur Abschaffung des "Systems" zu lenken. Dies eröffnet den Szeneangehörigen die Möglichkeit, andere aktuelle Themen mit hohem Aggressionspotenzial in den Fokus ihres "Widerstands" zu nehmen. Insofern ist der neu geschaffene Phänomenbereich nicht auf den verfassungsschutzrelevanten Teil des Protests gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beschränkt. Zukünftige Krisen und Themen mit hohem Aggressionsund Mobilisierungspotenzial könnten abseits der Corona-Pandemie genutzt werden, um die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie staatliche Einrichtungen nachhaltig zu delegitimieren und verächtlich zu machen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 123 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates Die Demonstrierenden verbindet zum Großteil ein Glaube an Verschwörungsideologien. Verschwörungsideologien forcieren die Delegitimierung des Staates durch eine prononcierte Elitenfeindlichkeit, kategorisches "Freund-Feind-Denken" sowie durch die Verächtlichmachung der staatlichen Institutionen und ihrer Repräsentanten. Die Verbreitung von Verschwörungsideologien hat somit eine erhebliche katalysatorische Wirkung. Ein Großteil der Kommunikation und damit auch der Vernetzung erfolgt über soziale Medien und Messengerdienste. Dementsprechend entfaltet sich die katalysatorische Wirkung von Verschwörungsideologien auf Radikalisierungstendenzen vor allem über diese Kommunikationsmittel. Dabei werden vor allem Bilder und Videos genutzt, um eine besonders starke Emotionalität zu induzieren und Glaubwürdigkeit zu suggerieren. Meist handelt es sich um Fehlinformationen, gezielt manipulierte oder aus dem Kontext gerissene Inhalte, die Nutzer nicht als solche erkennen können oder wollen und vielfach teilen. Um Handlungsdruck zu erzeugen und den Widerstand auch in die Realwelt zu überführen, werden häufig Videos und Bilder, die 124 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates vermeintliche Polizeigewalt dokumentieren, gezeigt, um den Nutzern ihre eigene Untätigkeit vorzuwerfen. Für das Sammelbeobachtungsobjekt sind vor allem die Anzweiflung von demokratischen Entscheidungen auf Basis der eigenen Verschwörungsideologie und der Aufruf, gegen diese in sicherheitsgefährdender Weise vorzugehen, relevant. Insbesondere in Bezug auf die vom Weltwirtschaftsforum diskutierte Initiative "Great Reset" existieren in der Protestszene verschiedene verschwörungsideologische Interpretationen.1 So prognostiziert die Szene beispielsweise die Einführung einer Zwangsimpfung zur Errichtung eines globalen Überwachungsregimes. Verschwörungsideologische Argumentationsmuster zum "Great Reset" werden auch mit Inhalten der QAnon-Verschwörungs- 1 - Der "Great Reset" ist eine Initiative des Weltwirtschaftsforums aus dem Jahr 2020, welche die Corona-Pandemie als Anlass zur Neugestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft sieht. Diese soll Konjunkturpakete für fairen wirtschaftlichen Wettbewerb, Reduzierung wirtschaftlicher Ungleichheiten und Investitionen im Bereich Nachhaltigkeit umfassen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 125 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates ideologie2 verknüpft. Das Narrativ von "globalistischen" Plänen des Weltwirtschaftsforums, die auf eine Auflösung traditioneller gesellschaftlicher Strukturen und des sozialen Zusammenhalts zielen würden, bietet Anknüpfungspunkte für die rechtsextremistische und Reichsbürgerszene. Der Glaube an eine Verschwörungsideologie kann in letzter Konsequenz auch als Legitimationsgrundlage für gewaltsamen Widerstand dienen. Die Ermordung eines Tankstellenwarts von einer Person dieser Szene in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) hat auf tragische Weise verdeutlicht, wie die Aufforderung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes auf Basis von Verschwörungsideologien zu einem Mordmotiv werden kann. Entwicklung des Protestgeschehens im Jahresverlauf Bundesweit korrelierte das Corona-Protestgeschehen im Berichtsjahr maßgeblich mit den Infektionswellen und damit einhergehenden pandemiebedingten staatlichen Maßnahmen. Neben klassischen Kundgebungen und Aufzügen wurden auch andere Aktionsformen gewählt. Diese umfassten sogenannte Spaziergänge, das Errichten von spontanen "Freiluftcafes" auf öffentlichen Plätzen oder das Aufstellen von Kinderschuhen vor öffentlichen Einrichtungen.3 2 - QAnon ist eine in den USA entstandene Verschwörungserzählung. Demnach bestimme ein "Deep State" - im Geheimen agierende Eliten aus Staat und Gesellschaft - insgeheim die Geschicke des Landes. U. a. sollen sie in unterirdischen Lagern Kinder foltern, um so das vermeintlich lebensverlängernde "Adrenochrom" zu gewinnen. Die Bezeichnung "Q" steht dabei für einen Eingeweihten, der über die Zugangsermächtigung der "Q Clearance" der US-Regierung verfügen soll und seine "Erkenntnisse" in kryptischen Meldungen im Internet veröffentlicht. "Anon" bezeichnet die anonymen Nutzernamen in Imageboards. 3 - Das Aufstellen von Kinderschuhen vor öffentlichen Einrichtungen wurde als Protestform gewählt, um auf die Rechte von Kindern während der Corona-Pandemie aufmerksam zu machen und gegen die Testund Maskenpflicht an Schulen zu protestieren. 126 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates In Folge der Lockerungen der pandemiebedingten Einschränkungen zur Mitte des Jahres war ein Rückgang des Mobilisierungspotenzials von Themen mit Bezug zum Coronavirus zu verzeichnen. Kurzzeitig rückten andere Themen wie die Klimapolitik, die Bundestagswahl oder die Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen Mitte Juli 2021 in den Fokus der Szene. Verschiedene extremistische Gruppen, die vor allem der rechtsextremistischen und der "Querdenker"-Szene4 zuzurechnen sind, inszenierten im Zuge der Flutkatastrophe Hilfsaktionen in den Hochwassergebieten, während sie gleichzeitig die (staatlichen) Ortskräfte beispielsweise der Polizei oder des Technischen Hilfswerks verächtlich machten. Im Zuge dessen kam es zu einer Verbreitung von Fehlinformationen zur Situation vor Ort und von Verschwörungsideologien zu den Hintergründen des Hochwassers. Zudem riefen bekannte "Querdenker" zu Spendenaktionen auf. Im Kontext von steigenden Infektionszahlen und der Diskussion einer allgemeinen Impfpflicht war im November 2021 ein Anstieg des bundesweiten Protestgeschehens festzustellen. In Sachsen-Anhalt erfuhr das Protestgeschehen im Laufe des Dezembers 2021 einen starken Aufschwung, der sich in der Anzahl der Kundgebungen, den Teilnehmerzahlen und auch im Anstieg der Gruppengrößen in den sozialen Medien widerspiegelte. Ende Dezember nahmen montags an 35 bis 40 Demonstrationen insgesamt bis zu 18.000 Demonstrierende teil. Als Demonstrationszentren mit Teilnehmerzahlen im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich bildeten sich Magdeburg, Halberstadt, 4 - Bei "Querdenken" handelt es sich um die vor allem anfängliche Selbstbezeichnung des Protestgeschehens. Der Begriff ist auf die dem neuen Phänomenbereich zuzuordnende Gruppierung "Querdenken711" zurückzuführen, welche die ersten großen pandemiebezogenen Proteste 2020 in Stuttgart organisierte. In dem hier verwendeten Kontext bezieht sich der Begriff allgemein auf Personen des neuen Phänomenbereichs, aber auch konkret auf Protagonisten dieser anfänglichen Protestszene. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 127 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates Halle (Saale) und Lutherstadt Wittenberg heraus. Der größte dieser "Montagsspaziergänge" fand am 27. Dezember 2021 in Magdeburg mit etwa 5.000 Teilnehmenden statt. Im Dezember 2021 war vor allem ein Trend hin zu unangemeldeten Aufzügen zu verzeichnen, welche die Szene verharmlosend als "Spaziergänge" bezeichnete. Insbesondere Teilnehmende, die einer extremistischen Szene entstammen, suchten mitunter bewusst die direkte Konfrontation mit den polizeilichen Einsatzkräften. Derartige Aktionen zielten auf entsprechende Bilder für die (sozialen) Medien, damit der eigene Opferstatus zur Schau getragen, "willkürliche Polizeigewalt" unterstellt und die Existenz einer "Corona-Diktatur" behauptet werden konnte. Über den gesamten Jahresverlauf war das Protestgeschehen sehr heterogen und vor allem regional geprägt. Ein homogener und zentralisierter Protest bildete sich nicht heraus und überregionale Anreisen fanden kaum statt. Einzelne Telegram-Akteure versuchten eine überregionale Organisation vor allem der Montagsproteste; allerdings kristallisierten sich in Sachsen-Anhalt keine klaren "Führungspersonen" bzw. Gruppierungen heraus. Das heterogene Personenpotenzial der Proteste ist als eine von Verschwörungserzählungen und esoterischen Weltbildern ge128 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates prägte Mischszene zu bewerten. Die Proteste in Sachsen-Anhalt waren allerdings deutlich weniger von esoterischen Motiven geprägt als in den westdeutschen Bundesländern5. Ein einendes Motiv in Sachsen-Anhalt war vielmehr die nostalgisch anmutende Rückbesinnung auf das Protestgeschehen der Wendezeit von 1989. Dieses Motiv kam in den sozialen Medien durch eine starke Identifikation der Szeneangehörigen als "Ostdeutsche" und die Konstruktion von vermeintlichen Parallelen zwischen 1989 und heute zum Ausdruck. So wähnten sich die Protestierenden in einer Diktatur, unterdrückt von herrschenden Eliten, denen sie durch Präsenz auf der Straße den Widerstand des Volkes demonstrieren können. Es wurde bekundet, dass die Menschen im Osten Deutschlands, im Gegensatz zu denen im Westen, wissen würden, wie ein politisches System zu überwinden sei. Der "staatsloyale Westen" beuge sich den Regeln letztendlich, während die Menschen im Osten wahren Widerstand leisten würden. Daraus wurde von den Akteuren in den sozialen Medien ein Wir-Gefühl und Selbstbewusstsein generiert, die ihnen vermeintlich vom "System" abgesprochen würden. Das Motiv der "2. Wende" wurde auch bei realweltlichen Demonstrationen deutlich, wenn von "Montagsdemonstrationen" gesprochen wurde, Lichter und Kerzen mitgebracht werden sollten, "Wir sind das Volk"-Rufe angestimmt wurden oder für die musikalische Untermalung der Demonstrationen beispielsweise das Lied "Freiheit" des Interpreten Marius Müller-Westernhagen6 ausgewählt wurde. Dieses Motiv einer "friedlichen Revolution" trug auch dazu bei, dass in den sozialen Medien immer wieder Aufrufe erfolgten, friedlich zu bleiben, da es auf diese Weise schon einmal funktioniert habe. Im starken Widerspruch dazu standen Gewaltaufrufe und verbale Angriffe vor allem gegen Polizisten, aber auch gegen Politiker, die in den sozialen Medien 5 - Vgl. hierzu Frei, Nachtwey, Quellen des "Querdenkertums". Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg, Basel 2021. 6 - Marius Müller-Westernhagen distanzierte sich von der Nutzung seiner Musik bei den Demonstrationen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 129 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates vielfach geteilt wurden. Nutzer beispielsweise von Telegram thematisierten diesen Widerspruch zwar; jedoch führte dies nicht zu einer Abgrenzung von gewaltbefürwortenden Akteuren. Sie stellten vielmehr das gemeinsame Ziel der "Freiheit" nach der Überwindung des bestehenden politischen Systems und die Bedeutsamkeit einer möglichst regen Teilnahme an den Protesten in den Vordergrund. Eine gemeinsame Zukunftsvision war nicht zu erkennen. Die Mobilisierung zu diesen Protesten verlief hochdynamisch und unterlag einer hohen Fluktuation. Die Veranstaltungen wurden fast ausschließlich über soziale Medien und Messengerdienste beworben. Dabei kommt dem Messengerdienst Telegram eine herausragende Rolle als besonders attraktives und beliebtes Kommunikationsmittel zu, da eine Moderation der Inhalte fast nicht stattfindet, die Anonymität gewährleistet wird und diverse Vernetzungsmöglichkeiten verfügbar sind. Beteiligung von extremistischem Personenpotenzial Durch die Kleinteiligkeit und Heterogenität des Protestgeschehens kann das Personenpotenzial der Gesamtszene nicht abschließend quantifiziert werden, zumal sich der Großteil der "Szene" aus nicht-extremistischen Personen zusammensetzte. Extremisten versuchten allerdings gezielt, diese Demonstrationen als Plattformen zu nutzen. Unter anderem über gemeinsame Verschwörungsnarrative und eine starke Emotionalisierung sollte ihre Ideologie für ein breites Publikum sichtbar und anschlussfähig gemacht werden. Bei den realweltlichen Protesten fand - wie in der virtuellen Welt - kaum eine klare Abgrenzung von Rechtsextremisten und Reichsbürgern statt. Vor allem mit dem Anstieg des Protestgeschehens zum Ende des Jahres war neuerlich der Versuch von rechtsextremistischen Gruppierungen und Einzelpersonen zu beobachten, durch ihre Beteiligung die Proteste für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. 130 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates Rechtsextremisten traten im Kontext des Corona-Protestgeschehens bei einzelnen Veranstaltungen zunehmend bestimmend auf. Zwar wurde der Großteil der Demonstrationen nicht maßgeblich von rechtsextremistischen Personen organisiert; diese versuchten jedoch, das allgemeine Protestgeschehen durch ihre Anwesenheit zu prägen, medienwirksame Bilder zu erzeugen und das Geschehen vor Ort zu steuern. Zu Beginn des zunehmenden Protestgeschehens traten Rechtsextremisten vor allem als Unterstützer in Erscheinung. Sie verbreiteten die Termine der Protestaufrufe und teilten auf ihren virtuellen Kanälen Bilder von ihren Teilnahmen an Demonstrationen. Rechtsextremistische Gruppierungen versuchten, das Protestgeschehen im weiteren Verlauf auch aktiv zu beeinflussen. Bei größeren Demonstrationen, wie beispielsweise bei einzelnen "Montagsspaziergängen" im Dezember 2021 in Magdeburg, versuchten sie, sich an die Spitze des Zuges und diesen in Bewegung zu setzen. Die rechtsextremistische Gruppierung "Harzrevolte", deren Teilnehmerzahl bei etwa 30 lag, zeigte bei Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 131 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates "Montagsspaziergängen" Ende Dezember 2021 in Halberstadt offensiv ihre Banner und verteilte Fackeln. Neben der "Harzrevolte" nahmen Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppierung "Neue Stärke", der Parteien "Der III. Weg" und NPD sowie der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" regelmäßig und an mehreren Orten in Sachsen-Anhalt am Corona-Protestgeschehen im Dezember teil. Personen aus der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene traten landesweit vereinzelt als Redner in Erscheinung. Sie versammelten sich aber auch zu eigenen Protesten, etwa zum wöchentlichen "Stillen Protest" an der B81 bei Heynburg und regelmäßig in Staßfurt, da Teilnehmende am Corona-Protestgeschehen das Zeigen von Reichsflaggen durchaus kritisch sahen. Versuche von Reichsbürgern, im Sommer (beispielsweise am 14. August 2021 in Magdeburg) eine breitere Klientel für ihre Proteste zu mobilisieren, gelangen nicht. 132 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 VerfassungsschutzreleVante Delegitimierung Des staates Einordnung des Gewaltpotenzials Die Proteste waren über den Jahresverlauf zum Großteil friedlich. Mit der Zunahme des Protestgeschehens im Dezember steigerte sich allerdings bei Demonstrationen mit Corona-Bezug das Gewaltpotenzial. Beispielsweise warfen Demonstrierende bei einigen wenigen Veranstaltungen Flaschen, Farbbeutel und Steine und setzten Pyrotechnik ein. Auch konnten vereinzelt "Sieg Heil"-Rufe von Demonstrierenden festgestellt werden. Seit Beginn der Pandemie richteten sich Protest-Aktionen immer wieder gegen Amtsund Mandatsträger sowie andere Personen, wie etwa Wissenschaftler und Ärzte, und gegen öffentliche Einrichtungen. In diesem Kontext wurden auch in Sachsen-Anhalt Einschüchterungsversuche unternommen: Ärzte erhielten Briefe zu vermeintlichen Impfschäden, Demonstrationen fanden vor öffentlichen Einrichtungen wie beispielsweise dem Bildungsministerium in Magdeburg statt und auch Impfzentren, wie beispielsweise in Thale, wurden durch das Besprühen mit volksverhetzenden Aussagen beschädigt. Einen besonderen Nährboden für ein gesteigertes Gewaltpotenzial säten die in sozialen Netzwerken agierenden Akteure der rechtsextremistischen, Reichsbürgerund Selbstverwalterszene sowie der Szene der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates, die zum Teil fünfbis sechsstellige Abonnentenzahlen erreichten und somit auch überregional Einfluss nahmen. Im Vergleich zu den realweltlichen Protesten war die Stimmung in den sozialen Netzwerken, insbesondere bei Telegram, deutlich aggressiver, radikaler und aufgeheizter. Eine intensive und kontinuierliche Beschäftigung mit derartigen Inhalten ohne Existenz eines adäquaten Korrektivs kann zu einer Radikalisierung von Personen oder Personengruppen führen. Der in den sozialen Medien und bei Demonstrationen oftmals artikulierte Hass gegen staatliche Repräsentanten und Einrichtungen kann auf diesem Wege in realweltliche Gewalthandlungen münden. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 133 Linksextremismus LINKSEXTREMISMUS Linksextremismus als heterogenes Phänomen stellt ein Sammelbecken für unterschiedliche Strömungen dar, die jeweils gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Bei aller Vielschichtigkeit wissen sich Linksextremisten in der Verabsolutierung der menschlichen Fundamentalgleichheit einig, aus der sie denkbar radikale Konsequenzen ziehen. Das Ziel ist die totale Befreiung des Menschen aus allen gesellschaftlichen, politischen oder sozio-ökonomischen Zwängen und die Errichtung einer herrschaftsbzw. klassenlosen Ordnung. In dem Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Gleichheit haben sich mit der Zeit die unterschiedlichsten Ideologien innerhalb des Linksextremismus ausgebildet. Je nach Ansatz soll das Ziel einer Gesellschaftsformation der Freien und Gleichen auf dem Wege der Diktatur einer zentralistischen (Einheits-)Partei, einer dezentralen Selbstorganisation oder mit der Abschaffung jeglicher Staatsund Herrschaftsstrukturen erreicht werden. Diese Methoden widersprechen den Werten und Verfahrensregeln des demokratischen Verfassungsstaates, dessen Bestand Linksextremisten angreifen und auf revolutionärem Wege überwinden wollen. Alle linksextremistischen Strömungen lassen sich auf die ideengeschichtlichen Ideologiefamilien des Kommunismus auf der einen und des Anarchismus auf der anderen Seite zurückführen. Während beide Phänomene in der Vorstellung von einer befreiten Gesellschaft als utopisches Endziel übereinstimmen, unterscheiden sie sich doch in der Vorstellung davon, wie dies zu erreichen sei. So schließen anarchistische Ideologien aus ihrem übersteigerten Gleichheitspostulat auf einen absoluten Freiheitsgedanken im Sinne einer herrschaftslosen Gesellschaft. Damit lehnen Anarchisten jedwede staatliche Ordnung ab. Anarchisten verzichten darauf, einen umfassenden und systematischen Theorieentwurf für die kommende Utopie vorzulegen, und beschränken sich stattdessen auf eine umfassende AntiVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 134 Linksextremismus Haltung zum Bestehenden. Vor diesem Hintergrund rückt das individuelle Freiheitsrecht in den Mittelpunkt ihrer Weltsicht, so dass bereits in dem eigenen Tun und Handeln der kommende Umbruch vorgelebt werden soll. Das Vertrauen in die Einsichtsfähigkeit und die grenzenlose Vernunft des Menschen sind dabei geradezu dogmatisch als ideologischer Eckpfeiler des revolutionären Moments gesetzt. Während der Anarchismus den Wert der individuellen Freiheit verabsolutiert, strebt der Kommunismus die umfassende Ausweitung des Gleichheitspostulats auf sämtliche gesellschaftlichen Lebensbereiche an. Zu diesem Zweck soll das bestehende politische System auf revolutionärem Wege zerschlagen und von einer "Diktatur des Proletariats" abgelöst werden. Eine "proletarische Avantgarde" bringt in einer Übergangsphase des Sozialismus den Staat zum Absterben und ersetzt ihn schließlich mit der Etablierung einer klassenlosen (Welt-)Gesellschaft. Die Auseinandersetzungen mit der Frage, wie die Revolution letztlich zu organisieren sei, begründen das ungebrochene Theoriebewusstsein kommunistischer Gruppierungen, die zur Beantwortung dieser Frage meist auf die geistigen Väter des Kommunismus wie Marx, Lenin, Trotzki, Stalin oder Mao zurückgreifen. Aus dieser sehr unterschiedlichen Gewichtung der Werte Freiheit und Gleichheit ergeben sich immer wieder fundamentale ideologische Konflikte zwischen kommunistischen Gruppierungen und linksextremistischen Akteuren, die eher in der Tradition des Anarchismus stehen. Eine Zusammenarbeit gibt es wiederum dort, wo soziale Problemlagen für die revolutionären Ziele eingespannt und im Sinne einer vorgeschobenen Gesellschaftskritik instrumentalisiert werden können. Die linksextremistische Szene bedient sich unterschiedlicher Mittel, um auf die Gesellschaft einzuwirken und diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. So gründen parlamentsund organisaVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 135 Linksextremismus tionsorientierte Linksextremisten Parteien bzw. Gruppen, mit denen sie einen legalistischen Weg einschlagen, um an Wahlen teilzunehmen bzw. öffentlich für ihre Agenda zu werben. Dagegen versuchen diskursorientierte Linksextremisten die demokratische Gesellschaft auf einer metapolitischen Ebene anzugehen und auf das Moment eines revolutionären Wandels hinzuarbeiten. Von diesen gewaltlosen Strategien unterscheiden sich die aktionsorientierten Gruppierungen. Vor allem die Autonomen wählen das Mittel der Gewalt, um mit Ausschreitungen, Anschlägen oder Überfällen ihre linksextremistischen Ziele zu erreichen. Unabhängig von der jeweiligen Strategie arbeiten alle Linksextremisten auf eine Zielsetzung hin, die über kurz oder lang auf die Abschaffung der demokratischen Rechtsund Gesellschaftsform hinausläuft. Das linksextremistische Personenpotenzial stellt sich für Sachsen-Anhalt wie folgt dar: Linksextremisten1 2019 2020 2021 Gewaltorientierte Linksextremisten 290 300 300 Nicht gewaltorientierte Linksextre260 290 300 misten Gesamt: 550 590 600 1 - Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet. 136 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Das linksextremistische Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt stieg im Jahr 2021 leicht an. Wie schon in den vergangenen Jahren war es vor allem ein Mitgliederzuwachs im gewaltunterstützenden Umfeld des "Roten Hilfe e.V.", durch den sich die Gesamtanzahl linksextremistischer Akteure erhöhte. Im gewaltorientierten Spektrum des Linksextremismus war eine Konsolidierung zu beobachten. Während ältere Akteure ausschieden oder weitgehend inaktiv blieben, konnte eine neue und junge Generation von Autonomen diese Kluft ausgleichen. Dagegen hielt der Abwärtstrend bei den politischen Parteien weiter an. Insgesamt werden 600 Personen dem linksextremistischen Spektrum in Sachsen-Anhalt zugeordnet, wobei von einer Dopplung von Angehörigen des gewaltorientierten Linksextremismus und der Mitglieder der "Roten Hilfe" auszugehen ist. Die linksextremistische Szene in Zeiten der Corona-Pandemie Auch im Jahr 2021 konnte die linksextremistische Szene für sich keine klare Linie im Umgang mit der Corona-Pandemie und ihren Folgen finden. Dies zeigte sich vor allem in Bezug auf ihre Positionierung zu den zahlreichen Protesten gegen die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus. Die linksextremistische Szene reagierte gespalten und konnte aufgrund ideologischer Differenzen keinen gemeinsamen Aktionskonsens finden. Ausschlaggebend hierbei war vor allem die ideologische Ausrichtung im Linksextremismus und eine damit einhergehende Frontstellung zwischen dem Aktionsfeld des Antifaschismus auf der einen und dem Antikapitalismus auf der anderen Seite. Mit der Ideologie des Antifaschismus sah der eine Teil des linksextremistischen Spektrums eine durchgehende Beeinflussung und Vereinnahmung des Demonstrationsgeschehens durch rechtsextremistische Akteure. Allerdings gerieten dadurch nicht nur Rechtsextremisten in den Fokus gewaltorientierter Linksextremisten, sondern auch nicht-extremistische Teilnehmer und logistische Unterstützer der Demonstrationen gegen die MaßVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 137 Linksextremismus nahmen zur Eindämmung der Pandemie. Diese Entwicklung war vor allem in Halle (Saale) zu beobachten, wo gewaltorientierte Linksextremisten des autonomen Spektrums das vom Antifaschismus propagierte Feindbild schrittweise ausdehnten: Während anfänglich noch genuine Rechtsextremisten bzw. Personen aus deren unmittelbarem Umfeld im Fokus standen, zählten mit der Zeit auch Corona-Maßnahmenkritiker und Impfgegner aus dem "Querdenker"-Spektrum zu den ausgemachten Feinden. Dementsprechend bedienten sich die gewaltorientierten Linksextremisten in Halle (Saale) des eingespielten Aktionsrepertoires im Aktionsfeld des Antifaschismus und blockierten die Demonstrationsrouten, griffen am Rande der Veranstaltungen einzelne Teilnehmer an, "outeten" diese auf der linksextremistischen Internetplattform "de.indymedia" oder setzten gezielt Pkw ausgewählter Personen in Brand. Entgegen ihrem staatsund hierarchiefeindlichen Selbstverständnis hießen Teile der Autonomen in Halle (Saale) dadurch mittelbar staatliche Corona-Eindämmungsmaßnahmen gut. Auch wenn etwa das "Offene Antifaplenum" vereinzelt versuchte, eine eigenständige Richtung jenseits der antifaschistischen Ideologieschablone einzuschlagen, so waren doch die Aktionsformen des autonomen Spektrums in Halle (Saale) Ausdruck einer fortschreitenden Ideologisierung und Ritualisierung unter dem Banner des Antifaschismus. Einen gänzlich anderen Weg im Umgang mit dem Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit Corona-Eindämmungsmaßnahmen hat dagegen ein Teil der linksextremistischen Szene in Magdeburg eingeschlagen. Statt antifaschistischer 138 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Ideologiefragmente spielen hier bei der Bewertung des Protestgeschehens vor allem marxistisch-leninistische Versatzstücke eine entscheidende Rolle. Dadurch fiel der Gegenprotest in Magdeburg nicht nur schwächer aus; er wurde von einzelnen Akteuren aus dem antiimperialistischen Spektrum sogar als gänzlich falsche Strategie verurteilt. In einer harschen Kritik aus dem Umfeld von "Zusammen Kämpfen" (ZK) heißt es dementsprechend, in Teilen der linksextremistischen Szene werde nicht länger "opponiert, sondern gebettelt". Stattdessen sei "etwas mehr marxistischer Dogmatismus notwendig, um nicht in jeder Krise des Kapitals wieder in Diskussionen über deren Verursacher und Nutznießer zu verfallen". Dergestalt betrachteten einzelne Gruppen in Magdeburg die Demonstranten nicht als Feindbild, sondern als Teil der Arbeiterklasse, die es für ihre marxistische Agenda zu gewinnen gelte: "Wir sollten die Krise nutzen, um unsere Argumente öffentlich gegen die Herrschenden zu richten und die Klassenwidersprüche herauszustellen. Wer ein Ende der Pandemie will, muss die Systemfrage stellen." Vor diesem Hintergrund ist auch die Nachbarschaftshilfe zu verstehen, die ZK aus dem Szeneobjekt "F52" in Magdeburg heraus organisiert und stetig ausbaut. Die Gruppierung verfolgt das Ziel, die von ihr behaupteten sozialen Verwerfungen der Pandemie durch die Unterstützung der von ihr besonders nachteilig Betroffenen für einen unmittelbaren Klassenkampf zu nutzen. Dieses Vorgehen ist ideologisch gesehen durchaus stringent, wird der Antifaschismus im Marxismus-Leninismus doch als Teil des Antikapitalismus verstanden. Wo immer jedoch die beiden Aktionsfelder gegeneinander ausgespielt werden, kommen in der linksextremistischen Szene Querfront-Vorwürfe auf, die eine weitgehende Isolierung der betroffenen Gruppen nach sich zieht. Ob Teile des linksextremistischen Spektrums in Magdeburg sich dem corona-maßnahmenkritischen Spektrum weiter zuwenden, bleibt abzuwarten. Der besonders dogmatisch vertretene Antikapitalismus innerhalb der Szene lässt dies zumindest erwarten. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 139 Linksextremismus Gewaltorientierte Linksextremisten Sitz Schwerpunktregionen in Magdeburg, Halle Verbreitung (Saale) und Burg (Landkreis Jerichower Land). Bundesweite Verteilung mit lokalen Hochburgen, vorwiegend in Großstädten Gründung Ende der 1970er Jahre als Ausläufer der Studentenbewegung, der Sponti-Szene und der PunkSubkultur; seit Anfang der 1990er Jahre in allen Bundesländern. Struktur Gewaltorientierte Linksextremisten bilden keine Aufbau strukturelle Einheit, sondern sind heterogen aufgestellt. Zum überwiegenden Teil prägen Autonome dieses Spektrum des Linksextremismus. Weitere gewaltorientierte Akteure sind Antiimperialisten und Anarchisten. Ihrem Selbstverständnis entsprechend sind Autonome hierarchiefeindlich; festgefügte Organisationen bzw. Strukturen lehnen sie ab. Vielmehr steht die bedingungslose Freiheit des Individuums im Mittelpunkt ihres Handelns. Aktionen gehen von anlassbezogenen Kleingruppen aus, die in stetig wechselnder Zusammensetzung und Namensgebung den Organisationsschwerpunkt der Autonomen darstellen. Antiimperialisten bilden weitgehend feste Strukturen aus. Aus ihrer ideologischen Fixierung folgt eine stärkere Gruppenbindung. Je dogmatischer Antiimperialisten auftreten, desto eher sind sie von den Autonomen zu unterscheiden. Anarchisten lehnen grundsätzlich jegliche Herrschaftsform ab. Feste Strukturen bilden lediglich syndikalistische Anarchisten aus. Sie organisie140 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus ren sich in Form von Gewerkschaften, vertreten dabei jedoch anarchistische Prinzipien. Mitglieder Land: etwa 300 gewaltorientierte LinksextremisAnhänger ten, insbesondere Autonome (2020: 300) Bund: etwa 10.300 gewaltorientierte Linksextremisten, darunter 8.000 Autonome (2020: 9.600 / 7.500) VeröffentIm Internet bewegen sich gewaltorientierte lichungen Linksextremisten durchgehend konspirativ. Sie bedienen sich der Kommunikationsangebote von Linksextremisten für Linksextremisten, insbesondere um Aktionen zu planen, Gewalttaten in Selbstbezichtigungsschreiben zu rechtfertigen oder aber sich als Gruppe öffentlich zu präsentieren, ohne dass Rückschlüsse auf die dahinterstehenden Personen gezogen werden können. Selbstdarstellungen, Aufrufe zu Demonstrationen oder andere Aktivitäten erscheinen häufig auf szenebezogenen Blogs und Internetseiten, vor allem "riseup", "noblogs", "blackblogs" oder "systemli" sowie in sozialen Netzwerken wie "Twitter" und "Instagram". Selbstbezichtigungsschreiben (SBS) nach Gewalttaten werden anonym auf "de.indymedia" veröffentlicht. Szenepublikationen spielen kaum noch eine Rolle. Einzelne Akteure oder Gruppen publizieren gelegentlich in linksextremistischen Zeitungen und Zeitschriften wie "junge Welt" oder "analyse & kritik". Finanzierung Spenden, Solidaritätskonzerte oder -partys für anlassbezogene Aktionen und Kampagnen, insVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 141 Linksextremismus besondere für "Opfer staatlicher Repressionen", Einnahmen aus dem Barbetrieb in den linksextremistischen Szeneobjekten. Kurzportrait / Ziele Aus der Bandbreite kommunistischer und anarchistischer Ideologien begründet sich die Heterogenität der linksextremistischen Szene. Deren einzelne Strömungen lassen sich nicht nur nach den zugrunde gelegten Weltbildern und Zielen unterscheiden, sondern vor allem nach der Wahl der Mittel und der damit einhergehenden Strategie. Innerhalb der linksextremistischen Szene Sachsen-Anhalts lassen sich insgesamt vier Spektren unterscheiden: (Post-)Autonome, Antiimperialisten, Antideutsche und Anarchisten. (Post-)Autonome Autonome bilden den Schwerpunkt im gewaltorientierten Linksextremismus. Dies gilt sowohl für das Personenpotenzial als auch für das Verhältnis der Szene zur Gewalt. Autonome beziehen ihr Selbstverständnis nicht aus einem spezifischen Ideologiekonstrukt. Vielmehr ist die Szene von einer weitreichenden Theoriefeindlichkeit und Anti-Haltung geprägt, die nicht zuletzt auf einem diffusen Verständnis zwischen Anarchismus und Kommunismus aufbaut. Autonome setzen die bedingungslose Freiheit des Individuums in den Mittelpunkt all ihres Handelns. Im Zuge dieser "Politik der ersten Person" bekämpfen sie alles, was ihrem persönlichen Freiheitsempfinden entgegensteht. Gewalt und Militanz sind dementsprechend nicht nur ein strategisches Mittel, sondern prägendes Element der Szene. Vor diesem Hintergrund lehnen Autonome Hierarchien und jede Form von Herrschaft konsequent ab. Was sie verbindet, ist eine Form des subjektiven und emotionalen Empfindens, das vor allem in der Affirmation von Gewalt zum Ausdruck kommt. Insbesondere auf Demonstrationen geht die propagierte Individualität der Autonomen in der militanten Masse des "Schwarzen Blocks" auf. Dieser schafft Anonymität und damit Schutz für den Einzelnen 142 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus und wird zugleich als identitätsstiftendes Moment wahrgenommen. Eine Demonstration ist für Autonome daher erst ein Erfolg, wenn es zu Ausschreitungen und Angriffen auf die Polizei und den politischen Gegner kommt. Den scheinbar spontan verübten Gewalttaten bei Demonstrationen gehen häufig konkrete Planungen voraus, so dass etwa im Verlauf der Aufmarschstrecke Steindepots angelegt oder Vermummungsgegenstände und Wurfgeschosse mitgeführt werden. Autonome schaffen es mittlerweile jedoch immer seltener, dieses kollektive Moment der Militanz auf die Straße zu tragen. Stattdessen fokussieren autonome Gruppen heute stärker auf klandestine Aktionen. Dafür schließen sich einzelne Akteure anlassbezogen zu Aktionsgruppen zusammen, um (Brand-)Anschläge gegen symbolträchtige Objekte wie Fahrzeuge, Gebäude oder sensible Infrastruktur zu planen und auszuführen. Es kommt zu teils erheblichen Sachschäden und immer häufiger werden dabei schwere und schwerste Verletzungen von Menschen in Kauf genommen. Die offene Gewaltbereitschaft und die fehlende inhaltliche Breite zeugen von einer zunehmenden Selbstbezogenheit der Autonomen. Statt gezielt auf gesellschaftliche Problemlagen einzuwirken, nutzen Autonome diese lediglich als vorgeschobene Rechtfertigung für die eigene Militanz. In Reaktion auf die ideologische Bedeutungslosigkeit, die fehlende Einflussnahme sowie Anschlussfähigkeit bildeten sich die Postautonomen heraus. Diese formieren sich vorwiegend in überregionalen Netzwerken, sind marxistisch geprägt und suggerieren nach außen einen ideologischen Minimalkonsens. Ihr Ziel ist ein revolutionärer Umsturz, also nicht nur die Abschaffung des Kapitalismus, sondern auch die Überwindung des demokratischen Verfassungsstaates als dessen inhärente Herrschaftsform. Mit einer breiten Bündnispolitik bringen sie linksextremistische Akteure unterschiedlicher ideologischer Prägung zusammen. Dazu instrumentalisieren Postautonome auf der einen Seite eine Fülle von gesellschaftlichen Protestbewegungen mit dem Ziel, den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen. Auf Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 143 Linksextremismus der anderen Seite arbeiten sie mit gewaltorientierten Autonomen zusammen. Auch wenn sie sich vordergründig nicht an gewalttätigen Ausschreitungen beteiligen, so sehen sie doch in der Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. In dieser Stellung nehmen Postautonome eine "Scharnierfunktion" ein. Antiimperialisten und Antideutsche Maßgeblich geprägt von Lenins Schrift "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus", gehört der Antiimperialismus seit jeher zum ideologischen Fundament der linksextremistischen Szene. Aus der Sicht von Lenin sind kapitalistische Staaten in ihrem Streben nach Profitmaximierung stets auf der Suche nach neuen Rohstoffen, Absatzmärkten und billigen Arbeitskräften. Notfalls eigneten sie sich diese gewaltsam an, was unweigerlich zu Kolonialismus und Kriegen führe. Vor diesem Hintergrund vertreten Antiimperialisten ideologisch einen orthodoxen Marxismus-Leninismus. Für sie steht nicht die Freiheit des Individuums im Mittelpunkt, sondern der Klassenkampf. Dadurch argumentieren Antiimperialisten in festgefahrenen Polarisierungskategorien: auf individueller Ebene in einem Dualismus von ausgebeuteten Arbeitern und ausbeutenden Kapitalisten; im weltpolitischen Rahmen zwischen unterdrückten Völkern und unterdrückenden Staaten. Ausschlaggebend für Auseinandersetzungen in der linksextremistischen Szene ist dabei der antiimperialistische Blick auf Israel. Insbesondere seit dem israelischen Erfolg im Sechstagekrieg sehen Antiimperialisten in dem jüdischen Staat nicht mehr die Heimstatt der im Holocaust Verfolgten, sondern einen Hort der "kolonialistischen Ausbeutung" Palästinas. Dadurch bilden antiimperialistische Linksextremisten ein dezidiert antizionisti144 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus sches Weltbild aus, das vereinzelt auch die Schwelle zum Antisemitismus überschreitet. Als ideologischer Gegenpol bildete sich Anfang der 1990er Jahre eine antideutsche Strömung. Hatte sich noch Mitte der 2000er Jahre eine Vielzahl von Gruppen im Spektrum der Autonomen als antideutsch verstanden, so findet der Begriff des "Antideutschen" heute in erster Linie als eine Fremdzuschreibung Verwendung. Eine eigenständige antideutsche Szene existiert nicht mehr - ihre Ideologiefragmente sind jedoch noch immer in Teilen des Linksextremismus zu finden. Die Wurzeln der Antideutschen liegen dabei in den Protesten gegen die deutsche Wiedervereinigung. Man befürchtete, dass nunmehr ein "Viertes Reich" entstehen würde, das unmittelbar an die nationalsozialistische Vergangenheit anknüpfen könnte. In einer monokausalen Fixierung auf die deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus rückten die Antideutschen nunmehr den Antisemitismus in das ideologische Blickfeld. Dadurch begannen sie sich vom "Selbstbestimmungsrecht der Völker" zu lösen - zunächst als "Selbstbestimmungsrecht der Deutschen", doch schon bald als ideologisches Fragment des Antiimperialismus. In der Folge zogen die Antideutschen nicht länger die ideologischen Konstrukte des Klassenkampfes und des Antiimperialismus zur Erklärung der weltpolitischen Ereignisse heran. Vielmehr traten nun der Holocaust und die damit verbundene Staatsgründung Israels in ihr Bewusstsein. In der ideengeschichtlichen Tradition der Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 145 Linksextremismus ersten Generation der Frankfurter Schule wurden nun die Werte des Westens (Individualität, Freiheit und Gleichheit) gegen die Ideologien der Regression (Nationalsozialismus, Islamismus, marxistisch-leninistischer Antiimperialismus) verteidigt. Dabei begreifen Antideutsche den Antisemitismus nicht ausschließlich als Feindschaft gegenüber Juden, sondern immer auch als eine materialistische Komponente, die aus dem "kapitalistischen System" erwachse. In diesem Sinne verwerfen sie auch den "Massenansatz" im traditionellen Linksextremismus. Während orthodoxe Marxisten-Leninisten versuchen, die Arbeiterklasse für die revolutionäre Umwälzung zu mobilisieren, sehen die Antideutschen im Holocaust einen kollektiven Akt der "deutschen Volksgemeinschaft", zu der eben auch die Klasse der Arbeiter und nicht allein die Kapitalisten gehört hätten. Dementsprechend richtet sich die Strategie der Antideutschen weniger auf die Umsetzung eines revolutionären Umbruchs als vielmehr auf die Verhinderung einer Revolution unter den falschen Vorzeichen. Kritik und Provokation sind dabei die Mittel, welche antideutsch beeinflusste Gruppen in der Auseinandersetzung mit ihren politischen Gegnern - hier vor allem den Antiimperialisten - ins Feld führen. Seither geht es bei diesem innerlinken Konflikt vor allem um die Ausdeutung des Antifaschismus. Zwar bekämpfen beide Seiten die Rechtsextremisten, doch bedingt ein unterschiedlicher Begründungszusammenhang eine verschobene Feindbildkonstruktion. Antiimperialisten argumentieren weitgehend materialistisch, das heißt sie sehen die Wurzeln des Nationalsozialismus (sie sprechen unterschiedslos vom Faschismus) im Kapitalismus, wodurch nicht nur Rechtsextremisten unter das Feindbild im Antifaschismus fallen, sondern auch Polizisten, Kapitalisten oder konservative Kräfte. Die Antideutschen argumentieren dagegen vermehrt auf einer historisch-ideellen Ebene, wodurch sie den Nationalsozialismus als Referenzrahmen heranziehen und auf dieser Grundlage neben Rechtsextremisten auch Islamisten (sie sprechen vom Islamofaschismus) zu ihren Gegnern zählen. 146 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Für Sachsen-Anhalt ergibt sich folgende Besonderheit: Mit den Städten Magdeburg, Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel) und Burg (Jerichower Land) herrscht im Landesnorden eine ausgesprochen antiimperialistische Szene vor, während der Landessüden mit Halle (Saale) als Zentrum vor allem antideutsch geprägt ist. Diese Differenzen lassen sich im Berichtszeitraum anhand der Reaktionen der linksextremistischen Szene auf die Angriffe der Hamas auf Israel und die daraus resultierenden Kampfeinsätze im Mai 2021 aufzeigen. Während sich im Norden von Sachsen-Anhalt die antiimperialistischen Gruppierungen unmissverständlich für die Seite der Palästinenser einsetzten, ergriffen im Landessüden die antideutsch beeinflussten Autonomen Partei für Israel. So organisierte das "Offene Antifaplenum" in Halle (Saale) am 18. Mai 2021 eine Kundgebung, mit der sich die Gruppe unter dem Motto "We stand with Israel" in dem Konflikt nicht nur an die Seite Israels stellte, sondern dazu auch eine Kritik am "politischen Islam" und am arabisch-islamisch geprägten Antisemitismus formulierte: So heißt es in einer Erklärung: "Der gemeinsame Nenner ist die Prägung durch den Islam. Der Islam stellt Nährboden und Infrastruktur für den Antisemitismus bereit, weil die Glaubenssätze des Islam eine paranoide und autoritäre Weltsicht befördern." Vor diesem Hintergrund wird Israel nicht nur als Schutzort der durch Antisemitismus verfolgten Juden wahrgenommen, sondern zugleich auch als Ort der westlichen Freiheit. Diese Zuschreibung produziert allerdings weitgehend gefestigte Feindbilder, die sich nicht zuletzt in der Rede von "dem" Islam manifestieren. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 147 Linksextremismus In Magdeburg hielt das antiimperialistische Spektrum um ZK am 20. Mai 2021 eine Versammlung unter der Losung "Keine deutschen Bomben auf Palästina" ab. Dabei zeigte sich der schmale Grat, auf dem sich ZK zwischen einer antiimperialistischen und antisemitischen Israelkritik bewegt. In der Rede von ZK hieß es: "Wenn wir ein freies Palästina vom Mittelmeer bis zum Jordan fordern, dann fordern wir kein Palästina ohne Jüd_innen. Sondern wir fordern, dass Palästina befreit und dekolonialisiert wird, befreit von Rassismus in Form von Zionismus, Krieg und Besatzung. Das und nichts anderes bedeutet "Palestine will be free. From the River to the Sea" [...]. Unterstützen wir den Kampf der PalästinenserInnen gegen ihre rassistische und imperialistische Unterdrückung. Lasst uns den proletarischen Internationalismus, die internationale Solidarität konkret leben! Boykottieren wir israelische Produkte bis zum Ende der Besatzung. Sorgen wir dafür, dass die BRD nicht weiter Rüstungsgüter an einen Apartheidstaat liefert." Seit dem antisemitischen Anschlag vom 9. Oktober 2019 in Halle (Saale) versucht das antiimperialistische Spektrum in Sachsen-Anhalt, antisemitische Diskursmuster von sich zu weisen und stattdessen den antizionistischen bzw. antirassistischen Charakter ihrer "Israelkritik" zu betonen. Allerdings läuft der in der Rede vorgetragene Begründungszusammenhang aus Antirassismus und Antizionismus auf eine Abschaffung Israels als Nationalstaat des jüdischen Volkes und der Holocaustüberlebenden hinaus. Linksextremistische Gruppen wie ZK sind aufgrund ihres orthodoxen Antiimperialismus blind dafür, die Schnittstellen zwischen einer antizionistischen Generalkritik und antisemitischen Diskursmustern aufzudecken. Den Holocaust als negatives "Gründungsmoment" Israels und der ihm zugrundeliegende Antisemitismus wird vom Marxismus-Leninismus verdeckt und ist für Antiimperialisten dementsprechend nicht greifbar. Ideologisch bleiben sie vielmehr einer Weltsicht verhaftet, die aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts stammt. Daher können Antiimperialisten in der israelischen Staatsgrün148 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus dung nur das Projekt des Kolonialismus in einem allgemeinen Prozess der Unterdrückung und Ausbeutung sehen. Sie sind im Linksextremismus damit besonders anfällig für antisemitische Diskursmuster. Anarchisten Anarchisten berufen sich nicht auf ein starres Ideologiegebäude; charakteristisch ist eine Vielzahl an Strömungen, die mehr oder weniger stringent nebeneinander existieren. Während alle Anarchisten mit der verabsolutierten Freiheit und Einsichtsfähigkeit des Individuums die prinzipielle Realisierbarkeit einer herrschaftslosen Ordnung begründen, unterscheiden sie sich hinsichtlich der Stellung des Individuums, der Frage der Gewalt und ihres Organisationsgrades. Zu unterscheiden ist zwischen einem individualistischen und einem kollektivistischen sowie zwischen pazifistischem und aufständischem Anarchismus. Dabei konnte einzig der gewerkschaftlich organisierte Anarchismus, der bis heute als Anarchosyndikalismus existiert, eine gewisse gesellschaftspolitische Stringenz entwickeln. Bei aller Heterogenität werden gewaltorientierte Linksextremisten auf den immer gleichen Aktionsfeldern aktiv. Neben dem Antikapitalismus als "Urthema" beziehen sich linksextremistische Aktionen vor allem auf den Antifaschismus, die Antirepression und den Antirassismus. Während sich auf Aktionsfeldern wie dem Antimilitarismus immer seltener Ansätze für gewaltorientierte Linksextremisten finden lassen, sind andere neu hinzugetreten, wie etwa eine linksextremistische Beeinflussung der Klimaschutz-Bewegung. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 149 Linksextremismus Grund der Beobachtung In einer Verabsolutierung der Werte von Freiheit und Gleichheit richten sich gewaltorientierte Linksextremisten gegen die bestehende demokratische Staatsund Gesellschaftsordnung. Missstände in der Demokratie sollen nicht gelöst, sondern mitsamt der freiheitlichen Verfassungsordnung abgeschafft werden. Unabhängig von den divergierenden Zielen sehen alle Akteure und Gruppen dieser Szene Gewalt als ein legitimes Mittel an. Diese politisch bestimmten Verhaltensweisen - insbesondere das Ablehnen des staatlichen Gewaltmonopols bei gleichzeitigem Befürworten von Gewalt, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen - sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die gewaltorientierte linksextremistische Szene in Sachsen-Anhalt lässt sich sowohl ideologisch als auch strukturell in mehrere regionale Zentren einordnen. Weitgehend feste Strukturen bestehen lediglich in Magdeburg und Burg; im übrigen Land sind die gewaltorientierten Linksextremisten eher locker organisiert. Im Berichtsjahr waren vor allem folgende Gruppierungen aktiv: "Zusammen Kämpfen" (ZK) ZK ist eine antiimperialistische Gruppe aus Magdeburg, die sich seit 2008 als "Teil der weltweit kämpfenden revolutionären Linken" versteht. Im Sinne eines orthodoxen Verständnisses vom Kommunismus fußen die ideologischen Grundlagen von ZK vor allem auf den Schriften von Marx und Lenin. Dementsprechend sieht sich ZK als Teil eines Versuchs der "Selbstorganisation unserer Klasse zur Überwindung von Ausbeutung und Unterdrückung weltweit", wie es in der Selbstdarstellung heißt. Tatsächlich gehörte ZK zu einem Netzwerk antiimperialistischer Gruppen, die sich 2010/2011 in Berlin, Stuttgart und Magdeburg zusammenfanden. Von dieser Gruppendynamik ist im Jahr 2021 allerdings nicht viel übriggeblieben. ZK agiert heute weitgehend 150 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus isoliert und engagiert sich vornehmlich in dem linksextremistischen Szeneobjekt "F52". Kontakte pflegt die Gruppe darüber hinaus zum Netzwerk "Freiheit für alle politischen Gefangenen", zu der gesundheitspolitischen Kampagne "Nicht auf unserem Rücken" sowie zu der antisemitischen Kampagne "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS). Im Internet tritt ZK lediglich auf der eigenen Netzseite auf. Indirekt beteiligt ist die Gruppe jedoch auch an dem Nachrichtenportal "Megaphon" sowie am "Redmedia Kollektiv", das den multimedialen Arm der linksextremistischen Szene Magdeburgs bildet. "Proletarische Autonomie Magdeburg" (PAM) Die PAM ist seit 2016 als eine Gruppierung von "AnarchistInnen" und "KommunistInnen" aktiv. Wie die PAM selbst betont, soll vor allem das "Bewusstsein der proletarischen Klasse" organisiert werden, um eine "proletarische Autonomie" von Staat, politischen Parteien oder Gewerkschaften zu schaffen. Dafür hat sie sich in erster Linie der Stadtteilarbeit verschrieben, für die sie die Räumlichkeiten des Stadtteilladens "Mitmischen" nutzt. Die PAM ist ebenfalls im Netzwerk "Freiheit für alle politischen Gefangenen" aktiv. Über das "Solidaritätsbündnis KurdistanMagdeburg" agiert die PAM zudem im Aktionsfeld der Kurdistansolidarität. In Anlehnung an die Magdeburger Regionalzeitung veröffentlicht die PAM unregelmäßig die "Magdeburger Volksstimmung". "Roter Aufbau Burg" (RAB) Bei dem RAB handelt es sich um eine kommunistische Gruppe aus Burg (Jerichower Land). Bis zum Ende des Jahres 2017 agierte sie noch unter dem Namen "Antifaschistische Aktion Burg", war aber bereits zu dieser Zeit marxistisch-leninistisch geprägt. Nachdem sich die Gruppe an den Protesten des "Roten Aufbau Hamburg" gegen den G20-Gipfel beteiligt hatte, trat sie anschließend ebenfalls unter dem Label des "Roten Aufbau" auf. Zusammen mit den gleichnamigen Gruppen in Hamburg und im Rhein-Ruhr-Gebiet hat es sich der RAB zur Aufgabe gemacht, Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 151 Linksextremismus "linke revolutionäre Politik einer breiten Masse zugänglich zu machen". In Burg betreibt die Gruppe das Szeneobjekt "Rotes Zentrum" und ist vor allem auf den Aktionsfeldern des Antikapitalismus und des Antifaschismus aktiv. Ein intensiver Austausch findet vor allem mit dem "Roten Aufbau Hamburg" und mit der ebenso dogmatisch auftretenden linksextremistischen Szene Magdeburgs statt. "Antifaschistische Aktion Salzwedel" (AAS) Die AAS agiert seit 2009 in der Hansestadt Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel) als ein loser Zusammenschluss von stetig wechselnden Einzelpersonen. In ihrem theorieund hierarchiefeindlichen Auftreten entspricht die AAS dem Selbstverständnis der autonomen Szene. Sich selbst bezeichnen die Protagonisten schlichtweg als "linksradikale Gruppe". Mit dem "Autonomen Zentrum Kim Hubert" verfügt die AAS über ein eigenes Szeneobjekt, das sie als organisatorisches Zentrum für ihre Aktionen nutzt. Anlassbezogen kooperiert die AAS mit Linksextremisten aus dem Wendland (Niedersachsen). "Offenes Antifaplenum" (OAP) Das OAP ist ein loser Zusammenschluss und Anlaufpunkt für alle "antifaschistisch interessierten Menschen" innerhalb der linksextremistischen Szene von Halle (Saale). Dabei vertritt das OAP einen dezidiert antideutsch beeinflussten Ansatz. So lehnt das Plenum nicht nur den Antiimperialismus und eine - wie es daran anschließend heißt - verkürzte Kapitalismuskritik ab; vielmehr kritisiert es auch die poststrukturalistischen Einflüsse und die damit einhergehende Identitätspolitik innerhalb der linksex152 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus tremistischen Szene. Stattdessen solidarisiert sich das OAP mit dem Staat Israel als "Garant jüdischer Selbstbestimmung in einer antisemitischen Welt, als Konsequenz aus den deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus". In dieser antideutschen Ausrichtung ist der Antifaschismus des OAP nicht nur gegen den politischen Gegner auf der rechtsextremistischen Seite gerichtet, sondern auch gegen Vertreter des "politischen Islam". Jenseits des antifaschistischen Schwerpunktes versucht das OAP seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, einen eigenständigen Standpunkt zu entwickeln und in die hiesige Szene einzubringen. Der Treffpunkt des OAP ist das hallesche Szeneobjekt "Reil 78". "Interventionistische Linke" - Ortsgruppe Halle (IL) In Halle (Saale) ist ein Ableger des postautonomen Zusammenschlusses "Interventionistische Linke" (IL) aktiv. Im Rahmen ihrer "Scharnierfunktion" kooperiert die IL mit verschiedenen Bündnissen, sowohl mit Linksextremisten aus dem gewaltorientierten und dem legalistischen Spektrum als auch mit Gruppierungen aus dem nichtextremistischen Bereich. Tätigkeitsschwerpunkte sind Antifaschismus und Antikapitalismus; verknüpft wird dies mit Aktionen in den Bereichen der Klimaoder Gesundheitspolitik. Bewusst wird in dieser strategischen Bündnisarbeit auf eine marxistische Diktion verzichtet. Das primäre Ziel der IL bleibt es jedoch, den "Kapitalismus" im Wege eines "revolutionären Umsturzes" zu überwinden. "Freie Arbeiter*innen-Union" (FAU) Die 1977 gegründete FAU versteht sich als eine Gewerkschaft, die im "weltweiten Kampf der Anarchosyndikalisten" in der Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 153 Linksextremismus "Internationalen ArbeiterInnen Assoziation" eingebunden ist. Ideologisch zielt der Anarchosyndikalismus auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über den Menschen. Im Kern dieser anarchistischen Weltanschauung strebt die FAU eine Gesellschaft ohne Herrschaft und Eigentum an. Regierungen, Parlamente oder Gesetze werden dementsprechend als Instrumente zur Unterdrückung der natürlichen Freiheit wahrgenommen. In diesem Anspruch auf Herrschaftslosigkeit sind die Aktivitäten der FAU vor allem gegen den Staat als Herrschaftsinstitution gerichtet. In der Frage der Gewalt laviert die FAU zwischen einer mittelbaren Gewerkschaftsarbeit einerseits und dem Aufbau revolutionärer Gewerkschaftsund Betriebsgruppen andererseits. Ziel bleibt das unmittelbare Überwinden der bestehenden staatlichen Ordnung. Neben Hilfsangeboten für potenzielle Mitglieder bei Arbeitslosigkeit oder Streiks kooperiert die FAU dementsprechend auch mit gewaltorientierten Linksextremisten. Vor diesem Hintergrund unterscheidet sich die FAU mehr als deutlich von den etablierten Gewerkschaften. Neue Gruppierungen Im Berichtszeitraum traten sowohl in der linksextremistischen Szene in Magdeburg als auch in Halle (Saale) neue Gruppierungen und Strukturen in Erscheinung. 154 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus "Aktivistische Jugend Halle" (AJH) Seit Mitte des Jahres 2021 beteiligt sich eine "Aktivistische Jugend Halle" an verschiedenen Aktionen und Demonstrationen der linksextremistischen Szene in Halle (Saale). Die Gruppe bestätigt die Theoriefeindlichkeit des autonomen Spektrums, wenn sie zu den Gründungsumständen schreibt: "Zur Idee der Gründung bewegten uns die kaputten bestehenden Verhältnisse. Mit diesem Status Quo wollen wir uns nicht weiter zufrieden geben. Unser Ziel ist eine Gesellschaft fern von Hierarchien, Kapitalismus, Klimakrise und jeglichen Diskriminierungsund Unterdrückungsformen. Wir wollen autoritäre Entwicklungen des Staates verhindern und dem Rechtsruck entschlossen entgegentreten." Das breite und wenig tiefschürfende Themenspektrum der Gruppe deutet auf ein junges und unerfahrenes Umfeld, dem es vornehmlich um eine generelle Aktionsorientierung gehen dürfte. "Magdeburg Straight Edge" (MDSxE) In der linksextremistischen Szene von Magdeburg tritt seit Ende März 2021 eine neue Gruppierung mit dem Namen "Magdeburg Straight Edge" (MDSxE) auf. Diese versteht sich als ein Zusammenschluss "junger Antifaschisten, die sich einem drogenfreien Leben verschrieben haben". Die Gruppe stammt aus dem Umfeld des "Jugendwiderstandes", der sich offiziell am 9. Juni 2019 aufgelöst hatte. In Magdeburg beteiligte sich die Gruppe an Veranstaltungen im "F52"; sie steht damit dem antiimperialistisch-dogmatischen Spektrum um ZK nahe. Daneben bestehen Kontakte zu einem weiteren Ableger in Berlin sowie zu Linksextremisten aus Stuttgart. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 155 Linksextremismus "Offenes Antifaschistisches Treffen Magdeburg und Umgebung" (OAT) Im "Infoladen-Stadtfeld" kam am 24. September 2021 erstmalig das OAT zusammen, um eine Anlaufstelle für "klassenbewussten Antifaschismus" zu schaffen. Das Ziel des Treffens soll es sein, neue Akteure für die linksextremistische Szene Magdeburgs zu gewinnen und Aktionen auf dem Feld des Antifaschismus voranzutreiben. Dafür werden zweiwöchentlich Vortragsund Diskussionsabende zur Vorbereitung von Kundgebungen und Demonstrationen organisiert. Aktionsschwerpunkte Gewaltorientierte Linksextremisten streben danach, die demokratische Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Die Grundlage hierfür ist der Glaube an die prinzipielle Realisierbarkeit einer Gesellschaft der Freien und Gleichen. Der Kapitalismus wird dabei als Ursache für alle Missstände und Verwerfungen herangezogen, die dieser Utopie entgegenstehen. Dergestalt gehört der Antikapitalismus zu dem primären Betätigungsfeld im Linksextremismus, wenn er als Aktionsfeld auch schwer zu vermitteln ist. Nicht nur vor diesem Hintergrund weichen Links156 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus extremisten auf weitere Themengebiete aus, die sich aus dem prinzipiellen Kampf gegen den Kapitalismus ergeben. An erster Stelle stehen dabei der Antifaschismus und das Themenfeld der Antirepression; aber auch Aspekte wie der Kampf gegen den Klimawandel spielen im gewaltorientierten Spektrum des Linksextremismus eine immer größere Rolle. Antikapitalismus Linksextremisten verstehen den Kapitalismus nicht nur als Wirtschaftsordnung, sondern immer auch als eine Herrschaftsform. Dementsprechend wird er zugleich als Auslöser für soziale Missstände und gesellschaftspolitische Verwerfungen herangezogen. Kapitalismus und demokratischer Verfassungsstaat werden dabei gleichgesetzt, so dass aus linksextremistischer Sicht beide zu bekämpfen sind. Neben Großereignissen anlässlich von internationalen Handelskonferenzen oder Tagungen der Staatsund Regierungschefs (z. B. G20-Treffen) demonstrieren Linksextremisten stets an traditionellen Gedenkund Feiertagen. So nutzt etwa die linksextremistische Szene in Magdeburg vor allem den 1. Mai, um am "internationalen Kampftag unserer Klasse" sich zusammenzuschließen und der "Wut auf die bestehenden Verhältnisse, also Ausbeutung und Unterdrückung, Gehör zu verschaffen", wie es im diesjährigen Aufruf hieß. Im Fokus der Organisatoren stand neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie ein breites Themenspektrum, das von einer generellen Kritik am Kapitalismus über antifaschistische Aktionsfelder bis hin zum Boykott der bevorstehenden Landesund Bundestagswahlen reichte. Dementsprechend beteiligten sich die unterschiedlichsten Gruppierungen an der Kundgebung zum 1. Mai 2021: ZK, RAB, "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" sowie Autonome aus dem Umfeld des "Infoladens". Da die Versammlungsbehörde einen Aufzug pandemiebedingt untersagt hatte, nutzten die Linksextremisten die im gesamten Stadtteil angemeldeten Kundgebungsorte. Dabei wurden Banner wie "Stadtfeld Ost bleibt Widerstand", "Gegen die Diktatur der Banken & Großkonzerne" oder "#Wahlboykott 2021" präsentiert. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 157 Linksextremismus Insbesondere an den Reaktionen zu den Wahlen des Landtages von Sachsen-Anhalt zeigte sich, wie linksextremistische Gruppen den Antikapitalismus gegen die demokratische Gesellschaftsordnung richten. So rief ZK einen konsequenten Wahlboykott aus, um damit "ein Signal der Ablehnung und des Widerstandes gegen die herrschende Ordnung" zu setzen. Vor diesem Hintergrund sieht ZK das Moment der Wahlen nicht als Teil der demokratischen Willensbildung an, sondern als "Spiegel des Kapitalismus. Er allein ist die Grundlage aller politischen Entscheidungen im Parlament. [...] Es ist egal, wen wir wählen, immer wird eine Regierung des Kapitals herauskommen." Der konsequente Boykott der Wahlen wird dementsprechend als grundlegende Kritik an der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und zugleich an der demokratischen Gesellschaftsform verstanden. Stattdes158 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus sen müsse auf der Grundlage der Selbstorganisation die Voraussetzung für eine revolutionäre Umwälzung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsform geschaffen werden. Damit deutet sich der Aufruf zum Boykott der Wahl als Ausfluss einer zutiefst dogmatischen und orthodox-marxistischen Ideologie aus, die in dieser Grundsätzlichkeit in der linksextremistischen Szene kaum zu vermitteln war und dementsprechend auf wenig Resonanz stieß. Das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" meldete für den 3. Oktober 2021 eine Demonstration unter dem Motto "Gegen 31 Jahre Abbau Ost - für soziale Revolution" an, zu der 60 Teilnehmer erwartet wurden. Laut einem Instagram-Eintrag des "Redmedia-Kollektivs" haben 100 Personen an der Demonstration teilgenommen. Man habe den Ausverkauf Ostdeutschlands sowie den Abbau von Frauenrechten thematisiert und an die "antifaschistischen & politischen Gefangenen in den Knästen der BRD erinnert". Von unbekannten Tatverdächtigen wurden im Rahmen der Veranstaltung die Worte "Gebt dem Bullen was er braucht, 9 mm in den Bauch!" lautstark skandiert. Das sogenannte "3. Oktober Bündnis" habe zudem eine anlassbezogene Zeitung herausgebracht. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 159 Linksextremismus Antifaschismus Der Kampf gegen den "Faschismus" ist das zentrale Betätigungsfeld für Linksextremisten. Dies beruht nicht zuletzt darauf, dass unter der Agenda des "Antifaschismus" große Teile der linksextremistischen Szene mobilisiert und zusammengeführt werden können. So etwa anlässlich des 76. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Magdeburg, zu dem am 16. Januar 2021 in Magdeburg eine so genannte "Gedenkveranstaltung" der rechtsextremistischen Szene unter dem Motto "Trauermarsch 16.000 unvergessen" stattfand. Unter dem Banner des "Antifaschismus" und im Zuge der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner formierte sich ein entsprechender Gegenprotest, an dem sich auch die linksextremistische Szene beteiligte. Sachsen-Anhaltische Linksextremisten, insbesondere aus Magdeburg, favorisierten die so genannte "Vorabenddemonstration" am 15. Januar 2021 unter dem Motto "PAPPESATT! Gegen Faschismus auf allen Ebenen - Für Solidarität und Selbstbestimmung!". In diesem Zusammenhang warb die Magdeburger Gruppierung ZK auf ihrer Internetseite für das Einreihen in einen "klassenkämpferischen Block". Für die Demonstration war ein Aufzug mit 150 Teilnehmern angemeldet. Pandemiebedingt erging die Auflage, die Demonstration als Kundgebung durchzuführen. Insgesamt nahmen bis 160 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus zu 300 Personen teil. Hierbei kam es zeitweise zu dem Versuch, körperlich auf die zur Absicherung eingesetzten Polizeikräfte einzuwirken. Zudem musste im weiteren Verlauf eine Sitzblockade geräumt sowie mehrfach das Aufeinandertreffen von Angehörigen der linksund der rechtsextremistischen Szene ververhindert werden. Im unmittelbaren Nachgang der Versammlungslage kam es zum Brand von zwei PKW, deren Besitzer Teilnehmer des "Trauermarsches" waren. Einer weiteren Person wurde ihr Pullover mit der Aufschrift "Thor Steinar" geraubt. Dabei skandierten die Täter "Scheißnazis! Nazis raus". Entscheidend für die Wirksamkeit der antifaschistischen Ideologie ist ein Feindbild, das von weiten Teilen der linksextremistischen Szene getragen wird. Besonders im Vorfeld der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt konnte mit der AfD ein solches Feindbild generiert werden, so dass es landesweit zu Aktionen gegen Wahlkampfauftritte der Partei kam. Am 5. Mai 2021 fanden sich etwa Mitglieder des RAB auf dem Rolandplatz in Burg zusammen, um den "rechten Wahlkampf zum Desaster [zu] machen!!!", wie es auf Instagram hieß. Dazu beteiligten sich die Linksextremisten mit einem Transparent an der überregionalen Kampagne "antifacist action! Gegen rechte Krisenlösungen". Eine unmittelbare Störung des Wahlkampfauftritts konnte die Polizei jedoch verhindern. Auch in Salzwedel fand unter dem Motto: "Alle zusammen gegen den Faschismus" am 27. Mai 2021 eine von drei Protestkundgebungen gegen eine Wahlkampfveranstaltung der AfD statt. Unter den 180 Teilnehmern befanden sich auch Linksextremisten, die mehrfach Pyrotechnik zündeten. Zudem traten im weiteren Verlauf zwei Täter einem Polizisten gegen den Brustkorb und verletzten diesen. Auch nach Beendigung der KundgeVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 161 Linksextremismus bung versuchten Linksextremisten, in Kleingruppen die Teilnehmer der AfD-Wahlkampfveranstaltung anzugreifen; dies wurde jedoch auch in diesem Fall von der Polizei verhindert. Unabhängig von diesen regionalen Aktionsformen zeigte sich im Vorfeld der Landtagswahl eine gänzlich neue Entwicklung. So trat im gewaltorientierten Linksextremismus ein Demonstrationsbündnis namens "No Discussion" auf den Plan, das breite Teile des autonomen Spektrums zusammenführte. Angesichts eines möglichen Wahlerfolges der AfD erklärten sich verschiedene Gruppen für eine Zusammenarbeit bereit, um das Aktionspotenzial in Sachsen-Anhalt zu bündeln und abseits der städtischen Ballungsgebiete aktiv zu werden. Im Aufruf zu einer ersten Demonstration des Bündnisses am 22. Mai 2021 in Thale (Landkreis Harz) heißt es dementsprechend, dass "gesellschaftlicher Fortschritt nur emanzipatorisch erkämpft und nicht gewählt werden" könne. Die Organisatoren wollen stattdessen eine "links-radikale Perspektive sichtbar machen", um zugleich eine "Perspektive jenseits von Staat, Kapital und völkischen Ideen" aufzuzeigen. Mit weiteren Demonstrationen in Stendal am 5. Juni 2021 sowie in Seehausen am 30. Oktober 2021 gelang es dem Bündnis erstmalig, landesweit Gruppen aus dem Spektrum des gewaltorientierten Linksextremismus zu mobilisieren. Unter einem gemeinsamen Aktionskonsens und dem geteilten Feindbild der AfD vereinte das Bündnis Linksextremisten aus Halle (Saale), Mag162 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus deburg, Dessau-Roßlau und Salzwedel. Damit zeigt sich eine neue Generation von jungen Autonomen, die dazu bereit sind, die angestammten Grabenkämpfe zwischen einer antideutschen und einer antiimperialistischen Ausrichtung innerhalb der linksextremistischen Szene zu überwinden. Ob das Bündnis den Aktionskonsens auch jenseits eines gemeinsamen Feindbildes aufrechterhalten kann, bleibt zunächst abzuwarten. Neben dieser Mobilisierung nach innen schafft die antifaschistische Ideologie auch Kooperationsmöglichkeiten nach außen. Zu einer solchen Entgrenzung des Linksextremismus kann es dort kommen, wo auf der Grundlage eines gemeinsamen Feindbildes Linksextremisten und nicht-extremistische Akteure im Aktionsfeld des Antifaschismus anlassbezogen kooperieren. Vor allem in Halle (Saale) sind gewaltorientierte Linksextremisten darum bemüht, eine unmittelbare Kooperation voranzutreiben. Vor dem Hintergrund der zahllosen Kundgebungen, die Sven LIEBICH mit wöchentlicher Regelmäßigkeit abhält, wandte sich das Autonome Spektrum unter der Bezeichnung "Antifaschistische Gruppen Halle" am 20. Oktober 2021 in einem Flyer unmittelbar an die Zivilgesellschaft in Halle (Saale). Nachdem bekannt geworden war, dass LIEBICH eine Kundgebung im Paulusviertel abhalten wird, wurde die Anwohnerschaft aufgefordert, Sperrmüll auf die Straße zu stellen und Hauseingänge als Fluchtwege offen zu halten. Zugleich appellierten die Linksextremisten an die erfolgreiche Zusammenarbeit der vergangenen Jahre: "Erfolgreicher antifaschistischer Gegenprotest z. B. gegen die Identitären hat in Halle schon immer aufgrund der Gleichzeitigkeit verschiedenster Protestformen und Akteure funktioniert und daran sollten wir anknüpfen. Auf eine gute Zusammenarbeit!" Dass die Linksextremisten bei dieser Zusammenarbeit keinesfalls auf eine generelle Gewaltorientierung verzichten, zeigte sich im Verlauf der nachfolgenden Spontanversammlung. So griffen Linksextremisten wiederholt Polizeibeamte an, wobei nur der Einsatz von Pfefferspray, Schlagstock und körperlicher Gewalt einen direkten Durchbruchversuch zur Versammlung des Sven Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 163 Linksextremismus LIEBICH verhindern konnte. Auch versuchten im Nahbereich der Versammlung schwarzvermummte Personen, Mülltonnen in Brand zu setzen. Im Allgemeinen ist eine stetige Ausweitung antifaschistischer Ideologieversatzstücke und damit auch eine Ausweitung der antifaschistischen Feindbildkonstruktion zu beobachten. Dies wurde vor allem im Verlauf der Corona-Pandemie offensichtlich. Wo anfänglich auf eine Beteiligung rechtsextremistischer Akteure abgestellt wurde, stand schon bald das gesamte maßnahmenkritische Lager im Fokus gewaltorientierter Linksextremisten. Anlässlich eines geplanten Fahrzeugkorsos, der am 6. März 2021 von Halle (Saale) zu einer Kundgebung der "Querdenken"Bewegung in Leipzig (Sachsen) fahren sollte, mobilisierte das autonome Spektrum in Halle (Saale) zu Gegenprotesten. Bereits vor der Abfahrt des Korsos blockierten Autonome mit Fahrrädern den entsprechenden Treffpunkt auf einem Parkplatz. Dabei versuchte ein Fahrer, sein Fahrzeug aus der Umzingelung der Linksextremisten zu befreien. Er beschleunigte und brachte eine Fahrradfahrerin zu Fall. In der Folge griffen die Autonomen gezielt den Fahrzeugkorso an und schlugen die Heckscheibe eines Autos ein. Aufgrund dieses Vorfalls hatte sich für die Autonomen die zuvor getroffene Ausweitung des Feindbildes bestätigt. Die IL-Halle schrieb dazu auf Twitter: "Diese Leute mögen Herzen herumtragen und von Frieden sprechen. An sich handelt es sich um Menschenfeinde, die als solche behandelt werden müssen." So wurde der Vorfall im Nachgang zu einem Akt des "antifaschistischen Selbstschutzes" umgedeutet, der aus der Sicht der Szeneangehörigen jede Form von Gewalt zu rechtfertigen scheint. Recherchetätigkeiten und "Outings" des politischen Gegners Gewaltorientierte Linksextremisten agieren nicht im luftleeren Raum, sondern können auf ein engmaschiges Unterstützernetzwerk zurückgreifen. Dadurch sind die linksextremistischen Angriffe in den letzten Jahren immer gewalttätiger und zugleich persönlicher ausgefallen. Die Opfer werden gezielt aufgesucht, um sie in ihrem persönlichen Umfeld anzugreifen. 164 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Voraussetzung hierfür sind Ausspähaktionen linksextremistischer Akteure, mit denen insbesondere Adressen, Arbeitgeber und Lebensverhältnisse von vermeintlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten recherchiert und dann zum Zwecke der Stigmatisierung veröffentlicht werden. Diese "Rechercheteams" agieren vor allem im Internet, nutzen aber auch klassische Beobachtungsmethoden. Das Vorgehen dieser Teams ist in einem Graubereich angesiedelt, denn nicht selten wird der politische Gegner unter dem Deckmantel der "Dokumentation" auf Veranstaltungen ausgespäht. Dabei fotografieren die Rechercheteams sowohl die Teilnehmer als auch deren KfZ-Kennzeichen und veröffentlichen diese anschließend zu "Dokumentationszwecken" auf eigens dafür ins Leben gerufenen Blogs. Mithilfe der detaillierten Porträtaufnahmen sollen die Teilnehmer identifiziert und anschließend öffentlich "geoutet" werden, sei es via Plakatierung oder via Internet. Weiterhin kann die Recherche dazu dienen, konkrete Angriffe auf einzelne Personen vorzubereiten, wenn z. B. exponierte politische Gegner in ihren Wohnungen oder Ladengeschäften angegriffen werden. "Outings" können jedoch auch Polizisten treffen, insbesondere Zivilfahnder, deren Gesichter so bekannt gemacht werden. In Halle (Saale) steht vor allem das Demonstrationsgeschehen des Sven LIEBICH im Fokus der antifaschistischen Recherche. Redner, Teilnehmer und Unterstützer der Kundgebungen werden porträtiert und einzeln dokumentiert. Gewaltorientierte Linksextremisten nutzen die Daten, um gezielt gegen die so dokumentierten Gegner vorzugehen. Am 24. Januar 2021 brannte etwa der Transporter eines Halters aus, der in der Vergangenheit mehrfach Kundgebungen im Umfeld des Rechtsextremisten Sven LIEBICH angemeldet hatte. Zudem folgte am 1. März 2021 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 165 Linksextremismus dessen "Outing" auf der linksextremistischen Internetplattform "de.indymedia". Eine nicht näher bezeichnete "Antifa-Recherche Halle" begründete dies damit, dass auf den angemeldeten Kundgebungen des LIEBICH "menschenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Äußerungen regelmäßig eine Bühne geboten wird." Auch in der linksextremistischen Szene Magdeburgs finden gezielt Recherchetätigkeiten statt. So wurden im Dezember 2021 mehrere Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppierung "Neue Stärke Magdeburg" (NS MD) geoutet. Die ursprünglich in Thüringen entstandene Gruppierung "Neue Stärke" ist nach ihrem Auftreten in Magdeburg im Visier von Antifa-Recherchegruppen. Es folgten gezielte Angriffe auf Mitglieder der NS MD, wie in zwei Selbstbezichtigungsschreiben auf der linksextremistischen Internetplattform "de.indymedia" berichtet wird. Zum einem habe man an einem Auto die Reifen zerstochen und die Scheiben eingeschlagen, zum anderen die "Privatwohnung entglast". Laut Schreiben haben die Verfasser "die Privatwohnung des Magdeburger Kameradschaftsnazis Maik R. entglast, welche seit geraumer Zeit als Treffpunkt der NSP Nazis genutzt wird." Weiter heißt es: "Die Magdeburger Nazis der 'Neue Stärke Partei', einem Abklatsch des 3. Wegs, liefen am letzten Montag in der Deckung von tausenden Querdenker_innen durch die Stadt. Unter den Augen der Bullen und ihren Kameras versuchten sie auch Menschen anzugreifen" [sic!]. Dem Beitrag ist ein Lichtbild beigefügt, welches augenscheinlich Protestierende bei einer Demonstration zeigt. Des Weiteren wurde auf "de.indymedia" seitens einer so genannten "Antifaschistischen Aktion" eine Liste mit 31 Personen, die als "Faschisten" und "Mitglieder der Magdeburger Abteilung des Neonazizusammenschlusses Neue Stärke Partei (NSP)" angesehen werden, veröffentlicht. Die Liste enthält neben Vorund Zunamen auch Fotos der geouteten Personen. Seit Bekanntwerden dieses Outings gab es bereits Angriffe bzw. Aktionen zum Nachteil von mindestens vier der auf der Liste verzeichneten 166 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Personen in Form von Sachbeschädigungen. Hierbei ist zu beobachten, dass die Zeitspanne zwischen einem Outing im Internet und einer durchgeführten Aktion zum Nachteil einer geouteten Person oder Gruppe sehr kurz war. Auf ein Outing folgten somit unverzüglich Angriffe auf Personen oder Objekte des politischen Gegners. Antirepression Der Kampf gegen eine vermeintliche Unterdrückung ist eines der entscheidenden Aktionsfelder militanter Linksextremisten und ihres Unterstützerfeldes. Die linksextremistische Szene sieht den Staat als ein "Repressionsinstrument" der Herrschenden und des Kapitals zur Verhinderung eines revolutionären Prozesses. Rechtsstaatliche Maßnahmen, insbesondere der Justizund Polizeibehörden, seien daher eine "Repression" und somit nichts anderes als ein Akt der Herrschaftssicherung. Vor diesem Hintergrund organisiert sich die Szene in regionalen und überregionalen "Solidaritätsnetzwerken". Die wichtigste und größte Organisation ist dabei die "Rote Hilfe". Im Rahmen der Antirepression werden linksextremistische Straftäter vollumfänglich unterstützt, während entsprechende Gerichtsverfahren als politische Verfahren und inhaftierte Szeneangehörige als "politische Gefangene" deklariert werden. Mit einer traditionellen Gefangenenhilfe, "Knastbesuchen" oder anderweitigen Solidaritätsaktionen soll der Rechtsstaat als ein diktatorisches System diffamiert werden. Zur aktionistischen Untermalung hält die linksextremistische Szene jährlich am 18. März den "Tag der politischen Gefangenen" ab. So veranstalteten die IL und das "Rojava Soli Bündnis Halle" eine gemeinsame Kundgebung unter dem Motto "Willkürlichen Machtmissbrauch sichtbar machen". Insgesamt 130 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 167 Linksextremismus Personen nahmen teil, um sich "gemeinsam gegen Repression" und für die "Solidarität mit den Betroffenen" auszusprechen. In ihrem Redebeitrag solidarisierte sich das Bündnis mit den kurdischen Gefangenen in der Türkei, im Iran und in Deutschland. Dazu wurde gefordert, den Begriff der Kriminalität als "willkürliches Stigmata [sic!] der Machthabenden gegen Systemunkonforme" abzuschaffen. Dementsprechend endete die Rede mit der Parole: "Freiheit für alle politischen Gefangenen. No Nation, No Border, Fight Law and Order." Eine Mitarbeiterin des Universitätsklinikums Magdeburg wird derzeit beschuldigt, Meldedaten über einen autorisierten Account abgerufen zu haben. Bisher wurden 170 Datensätze festgestellt, die auf Datenmissbrauch hindeuten. Diese ausgespähten Daten gehörten zu tatsächlichen bzw. vermeintlichen Rechtsextremisten und sind an linke Strukturen teilweise auf Anforderung weitergegeben worden. Eine Vielzahl von Presseveröffentlichungen sowie die Beschäftigung des Landtages mit diesem Thema folgten. Die linksextremistische Szene, insbesondere Magdeburgs, solidarisierte sich vollumfänglich mit der Beschuldigten. Das szenenahe Nachrichtenportal "Megaphon" titelte "Polizei, Staat, Nazis, Presse - Hand in Hand" und unterstellte: "Diese Frau wird aufgrund ihrer politischen Gesinnung, aufgrund ihres feministischen und antifaschistischen Aktivismus verurteilt, bevor überhaupt eine Anklage erhoben wurde." Die "Rote Hilfe Magdeburg" sicherte der Betroffenen politische und juristische Unterstützung zu, gefolgt von einem Aufruf: "Seid auch ihr solidarisch und stellt euch an ihre Seite". Am 21. Mai 2021 kam es in Halle (Saale) zu einem besonders schweren Fall des Landfriedensbruchs, bei dem Vertreter des Ordnungsamtes mit Böllern und Pyrotechnik angegriffen wurden. Hintergrund war eine am 20. Mai 2021 in Weißenfels (Burgenlandkreis) durchgeführte Kundgebung gegen eine 168 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Wahlkampfveranstaltung der AfD.1 Hier war ein Teilnehmer infolge der Intervention eines Polizisten zu Fall gekommen. Vor diesem Hintergrund tat sich am darauffolgenden Tag eine Gruppe von Autonomen zusammen und begab sich mit Parolen wie "ACAB", "All cops are bastards" und "Hass, Hass, Hass" zum August-Bebel-Platz. Hier griffen sie die dort anwesenden Vertreter des Ordnungsamtes unvermittelt mit Böllern und anderen "pyrotechnischen" Erzeugnissen an. Die Beamten wichen in ihren Fahrzeugen vor den Angreifern zurück. In einer auf der linksextremistischen Internetplattform "de.indymedia" unter dem Titel "Ein Angriff auf einen von uns ist ein Angriff auf uns alle!" veröffentlichten Stellungnahme dementieren die Linksextremisten den Vorfall, nur um sogleich eine weitere Drohung auszusprechen: "Repressionen auf Grundlage dieser Lüge werden nicht unbeantwortet bleiben." Am 24. Juli 2021 organisierte das "Offene Antifaplenum" unter dem Motto "Save our communication - Verfassungsschutz abschaffen" eine Demonstration, mit der es gegen die Ausweitung des sogenannten G10-Gesetzes (Gesetz zur Beschränkung des Brief, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz oder G10-Gesetz)) protestierte. Die linksextremistische Szene sei mit den geplanten Maßnahmen einer "Repression" ausgesetzt, die sich "bis ins Privateste ausweitet. Jede linke Gruppierung ist hiervon betroffen, antifaschistische Recherchearbeit wird so verkompliziert bis verunmöglicht." Vor diesem Hintergrund veröffentlichte das OAP auf Facebook den folgenden Aufruf: "Lasst uns die Stadt unsicher machen und dem Staat zeigen was wir von ihm halten!" Entgegen der Ankündigung blieb die Demonstration weitgehend störungsfrei. Ein bisher nicht weiter bekanntes "Recherchekollektiv" klärte über die politischen Hintergründe 1 - In der ursprünglichen Pressefassung des Verfassungsschutzberichts 2021 wurde diese Kundgebung als Veranstaltung der linksextremistischen Szene bezeichnet. Diese Darstellung war unzutreffend: Es handelte sich vielmehr um eine überwiegend von demokratischen Teilen der Zivilgesellschaft getragene Kundgebung, an der gleichwohl auch Akteure der linksextremistischen Szene teilgenommen haben. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 169 Linksextremismus der Maßnahmenverschärfung auf. Insgesamt war unter den 140 Teilnehmern gegenüber den Polizisten durchgehend eine latent aggressive Stimmung zu verzeichnen. Am 16. Oktober 2021 fand in Halle (Saale) eine Demonstration unter dem Slogan "Unsere Solidarität gegen ihre Repression" statt. Organisator war die "Aktivistische Jugend Halle", eine neu gegründete Gruppierung, die sich am 20. Mai 2021 bei Twitter erstmalig zu Wort gemeldet hatte und sich seither an verschiedenen Aktionen der linksextremistischen Szene in Halle (Saale) beteiligte. Im Aktionsfeld der Antirepression versuchte die AJH, vor allem die linksextremistisch beeinflusste Klimaschutzbewegung zu mobilisieren. Gleichwohl wirkte der Aufruf wenig stringent und die Themensetzung weitgehend willkürlich gewählt. Es drängte sich daher der Eindruck auf, dass für die AJH die Durchführung einer selbstorganisierten Demonstration ein Selbstzweck war. Darauf deutet auch die kurzfristige Ankündigung eines FLINTA*Blocks2 hin, mit der die Organisatoren thematisch offensichtlich an eine "queerfeministische" Demonstration in Leipzig (Sachsen) anknüpfen wollten. Tatsächlich schaffte es die AJH, 250 Teilnehmer auf die Straße zu bringen, von denen auch 40 Personen aus Leipzig angereist 2 - Frauen, Lesben, Intersexuell, Nicht-binär, Transsexuell, Agender (keinem Geschlecht zugehörig), der * steht für weitere nicht genannte und nicht-männliche Geschlechteridentitäten. 170 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus waren. Im Verlauf der Demonstration kam es zu Störungen (z. B. wurde mehrfach Pyrotechnik eingesetzt und eine Glasflasche in Richtung eines Einsatzfahrzeugs geworfen). In den stetig wiederkehrenden Sprechchören war die polizeifeindliche Grundhaltung der Teilnehmer der kleinste gemeinsame Nenner. Darüber hinaus bekundeten die "queerfeministischen" Teilnehmer ihren Unmut über das "Mackertum" in der linksextremistischen Szene von Halle (Saale) - eine Konfliktlinie, die in der linksextremistischen Szene von Halle (Saale) vermehrt zu beobachten ist. Insgesamt konnte die AJH die Demonstration als Erfolg für sich verbuchen. Die Gruppe kann damit als etablierter Teil der linksextremistischen Szene in Halle (Saale) betrachtet werden. Linksextremistische Beeinflussung im Themenfeld des Klimaschutzes Im Allgemeinen versuchen Linksextremisten, gesellschaftliche Problemstellungen aufzugreifen, jedoch nicht um diese zu lösen, sondern um sie im Sinne ihrer revolutionären Zielsetzung zu instrumentalisieren. Linksextremisten haben sich in den vergangenen Jahren vermehrt innerhalb der Klimaschutz-Bewegung engagiert. Insbesondere postautonome Zusammenschlüsse wie die IL versuchen maßgeblich, die Proteste zu initiieren, zu lenken und ideologisch aufzuladen. So sollen die Fragen des Klimaschutzes vor allem im Sinne einer antikapitalistischen Agenda betrachtet werden, um sie damit zu einer "systemimmanenten" Krise des Kapitalismus zuzuspitzen. Dementsprechend wird der in der Klimaschutzbewegung häufig verwendete Slogan "System Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 171 Linksextremismus Change not Climate Change" bewusst doppeldeutig aufgegriffen. Im Sinne der IL geht es dabei weniger um die Bekämpfung des Klimawandels als vielmehr um einen klassisch-linksextremistischen Antikapitalismus und damit auch um eine Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Vor diesem Hintergrund hält die linksextremistische Beeinflussung der Klimaschutz-Bewegung unvermindert an. So organisierte die IL-Halle zusammen mit zwei weiteren linksextremistisch beeinflussten Klimaschutzgruppen am 24. September 2021 eine "antikapitalistische Zubringerdemo" für die Klima-Proteste, die "Fridays for Future" auch in Halle (Saale) organisierte. Im Aufruf auf Instagram wird die Grenze zu einer linksextremistischen Kapitalismuskritik dort überschritten, wo es heißt: "Klimagerechtigkeit wird erkämpft und nicht gewählt! Die gesellschaftlichen, strukturellen und systematischen Probleme, die in unserer neokolonialistischen kapitalistischen und globalisierten Gesellschaft vorherrschen und für die Klimakrise verantwortlich sind, können nicht durch eine Wahl verändert werden, solange das System, welches verantwortlich für die Krise ist, bleibt." Der Verlauf der Zubringer-Demonstration war mehrheitlich von Autonomen geprägt. So wurde aus einer Gruppe der 100 Teilnehmer ein Rauchtopf gezündet und in den skandierten Parolen die Polizei als Feindbild markiert. Nach dem Anschluss an die Demonstration von "Fridays for Future" war eine linksextremistische Beeinflussung nicht länger zu beobachten. Auch im Norden von Sachsen-Anhalt ist eine linksextremistische Beeinflussung der Klimaschutz-Bewegung zu konstatieren. Ausgangspunkt ist der Ausbau der A 14. Auf Höhe der Stadt Seehausen in der Altmark führt der geplante Streckenabschnitt durch den Losser Forst. Bereits seit Dezember 2020 formierte sich eine Aktionsgruppe "Keine A 14", welche als konkretes Ziel die Störung bzw. die Verhinderung von Rodungsarbeiten benennt und ihr Anliegen über eine Internetpräsenz bewirbt. Auf der linksextremistischen Internetplattform "de.indymedia" wurde 172 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus schließlich am 24. April 2021 die Besetzung des Losser Forstes ausgerufen, die aufgrund der dortigen Baummonokultur unter dem Aktionstitel "Moni bleibt!" unmittelbar auf dem geplanten Trassenverlauf durchgeführt wird. Exemplarisch für den Protest ist dieses auf Twitter veröffentliche Foto mit dem Banner "Weist die Pollis in die Schranken Feuer auf die Dirks und Banken". "Dirk" ist als Synonym für Polizei, bzw. Polizisten zu verstehen. Er bezieht sich auf den Vornamen zweier leitender Polizeibeamter, die für viele Linksextremisten als Symbol der von ihnen verhassten Staatsmacht stehen: zum einen den Leiter des Polizeipräsidiums Aachen, welches für polizeiliche Maßnahmen im Hambacher Forst zuständig ist, zum anderen den Leiter der sächsischen Sonderkommission "Soko Linx". Dieser war zudem Ziel einer wenige Tage zuvor stattfindenden Demonstration in Leipzig, wo es auf einem Transparent hieß: "Dirk .... Bald ist er aus dein Traum, dann liegst du im Kofferraum!" Dieser Spruch wiederum nimmt Bezug auf den von der "Roten Armee Fraktion" entführten Hanns-Martin Schleyer, dessen Leiche im Kofferraum eines Pkw gefunden wurde. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 173 Linksextremismus Mit der Besetzung des Hambacher Forstes in Nordrhein-Westfalen und des Dannenröder Forstes in Hessen lässt sich eine zunehmende Beeinflussung der Klimaschutzbewegung von der linksextremistischen Szene beobachten. An eine solche Entwicklung knüpft auch die Waldbesetzung im Losser Forst an. So geht es den Besetzern nicht nur darum, den Ausbau der A14 zu verhindern. Vielmehr soll mit dem Bau von Baumhäusern ein "Freiraum" geschaffen werden, in dem die Besetzer ihre Vorstellung von einer "Welt ohne Hierarchien", für Selbstbestimmung und "ein gutes Leben für alle" vorleben, wie es in der Erklärung zur Besetzung des Losser Forstes heißt. Vor diesem Hintergrund lässt sich unter den Waldbesetzern eine Nähe zu anarchistischen Ideologiefragmenten feststellen. Während die damit einhergehende Utopie weitgehend diffus bleibt, sind die Feindbilder umso schärfer ausgeprägt: "Keine Machos. Keine Faschos. Keine Cops", wird von den Waldbesetzern stetig verlautbart. Zugleich betonen sie den "antifaschistischen" Charakter ihres Protestes und fordern dazu auf, so lange im Wald zu bleiben, bis die selbstausgerufene "autonome Zone Altmark komplett entnazifiziert ist". Unter das Verdikt des Antifaschismus fallen dabei nicht nur genuine Rechtsextremisten, sondern auch Vertreter des staatlichen Gewaltmonopols, wie die Polizei oder das Ordnungsamt. Dementsprechend aggressiv reagieren die Besetzer auf die Anwesenheit von Staatsvertretern in dem von ihnen besetzten "Freiraum". In dem anarchistischen Selbstverständnis der Waldbesetzer wird Gewalt als ein legitimes Mittel im vermeintlichen Abwehrkampf gegen den politischen Gegner und den Staat herangezogen. Tendenzen zu einem Prozess der Radikalisierung des Protestes, wie sie im Dannenröder oder Hambacher Forst vorherrschen, sind mit der Besetzung des Losser Forstes jedoch nicht zu beobachten. Politisch motivierte Kriminalität -linksDie Darstellung des gewaltorientierten Linksextremismus findet in den Daten der politisch motivierten Kriminalität (PMK) -linkseine statistische Größe. Mit insgesamt 529 Straftaten stieg die 174 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Anzahl der PMK -linksnach einer pandemiebedingten Stagnation wieder an. Dies schlug sich auch auf die Anzahl von Gewaltstraftaten nieder, die mit 56 Fällen deutlich über dem Vorjahresniveau lagen. Insgesamt befand sich die PMK -linksdamit wieder auf dem vorpandemischen Niveau. Gewaltstraftaten waren dementsprechend vor allem im Bereich der Körperverletzung des politischen Gegners und der Widerstandshandlungen gegen die Polizei zu verzeichnen. Die nachfolgenden Beispiele sollen einen Einblick in die szenetypischen Straften der PMK -linksvermitteln: Am 11. Januar 2021 kam es in Magdeburg zu einem Anschlag auf das Privatfahrzeug eines Rechtsextremisten. In einem Selbstbezichtigungsschreiben auf "de.indymedia" mit entsprechendem "Outing" hieß es hierzu, man habe "in der Nacht von Sonntag zu Montag den Magdeburger Neonazi [...] besucht und sein schönes Auto entglast sowie Buttersäure im Innenraum verteilt". Auf eine Brandstiftung habe man verzichtet, da sonst "Autos von Unbeteiligten Schaden genommen hätten". Dem Geschädigten wird gedroht: "Wenn wir dich das nächste Mal treffen, dann bricht nicht nur Glas." Am Ende des Schreibens sind zwei Veranstaltungshinweise aufgeführt: "15.01.2021 Antifaschistische Vorabenddemo 18 Uhr Opernplatz Magdeburg" sowie "16.01.2021 Naziaufmarsch verhindern". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 175 Linksextremismus Im Zusammenhang mit dem "Tag der politischen Gefangenen" kam es am 18. März 2021 in Halle (Saale) zu diversen Sachbeschädigungen an mehreren Fahrkartenautomaten der Halleschen Verkehrs-AG (HAVAG) und der Deutschen Bahn AG. Auf der linksextremistischen Internetplattform "de.indymedia" bekannten sich Unbekannte zu der Tat. Sie wollten so einen kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr erzwingen und zugleich ein Zeichen gegen die "Repression" setzen, mit der die Beförderungserschleichung (Schwarzfahren) belegt ist. In diesem Sinne sei Armut immer auch politisch zu verstehen und der kostenlose Personennahverkehr eine zwingende Konsequenz. Dementsprechend fordern die Autoren: "Für eine Zukunft ohne Armut. Reichtum für alle!" In den frühen Morgenstunden des 14. April 2021 griffen in Naumburg (Burgenlandkreis) Unbekannte den rechtsextremistischen Szenetreff "Lokal 18" an. Sie warfen mehrere mit Kaltanstrich gefüllte Farbbeutel gegen die Fensterscheiben und beschädigten dabei drei Fenster. Des Weiteren beschmutzten sie die Hausfassade großflächig mit einer teerähnlichen Substanz und verschütteten eine unbekannte Flüssigkeit vor und in dem Objekt (vermutlich Buttersäure). Im Rahmen der Spurensuche stellte die Polizei an einem Fenster eine Plastikflasche mit unbekannter Flüssigkeit fest. An der Flasche war ein Böller befestigt; es handelt sich mutmaßlich um einen Brandsatz, der nicht ausgelöst wurde. Ein Selbstbezichtigungsschreiben ist nicht bekannt geworden. Der Angriff reiht sich aber in eine Serie von Angriffen und Brandanschlägen auf rechtsextremistische Szeneobjekte in Thüringen und Sachsen ein. Am 1. November 2021 besprühten Unbekannte in Stendal die Schaufensterscheibe des AfD-Wahlkreisbüros mittels Graffiti. Mit Sprühfarbe wurde "Wir kriegen euch", "161"3 sowie das Zeichen "Hammer und Sichel" aufgesprüht. Das Wahlkreisbüro ist als solches von außen erkennbar. 3 - Zahlencode für AFA, Abkürzung für Antifaschistische Aktion. 176 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das gewaltorientierte linksextremistische Spektrum fand im Berichtszeitraum zu seinen eingespielten Aktionsformen zurück und bediente alle einschlägigen Themenfelder. Gleichwohl war noch immer eine gewisse Verunsicherung angesichts des erstarkenden Demonstrationsgeschehens der Corona-Maßnahmenkritiker zu verzeichnen. Dabei gelang es vor allem dem Spektrum der Autonomen in Halle (Saale) nicht, eine stringente Linie zwischen einer staatsfeindlichen Haltung auf der einen und der antifaschistischen Ideologie auf der anderen Seite zu entwickeln. Vielmehr befindet sich das gewaltorientierte linksextremistische Spektrum hier in der Sackgasse einer weitgehenden Ritualisierung der immer gleichen Aktionsstrukturen. Bemerkenswert ist hingegen die Entwicklung in Teilen des gewaltorientierten Spektrums in Magdeburg. Während die linksextremistische Szene hier nach wie vor in den üblichen Themenund Aktionsfeldern aktiv ist, schreitet angesichts der Corona-Pandemie der Aufbau von Kiezund Nachbarschaftstreffen weiter voran. So veranstalten Linksextremisten Essensausgaben, Grillabende oder Kinderfeste, um in dem für sich reklamierten "Kiez" ein Bild des "Kümmerers" zu vermitteln. Dabei sind die Versuche der Einflussnahme auf die "Arbeiterklasse" vor dem Hintergrund der marxistischen Tradition der linksextremistischen Szene in Magdeburg durchaus stringent. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 177 Linksextremismus Allerdings zeichnet sich schon jetzt eine weitere Konfliktlinie in der linksextremistischen Szene ab. So sind es vor allem junge Autonome, die sich vermehrt auf poststrukturalistische und postmoderne Ideologien der "Critical Whitness" oder LGTBQ+ beziehen. In ihrem partikularen Anspruch widersprechen diese identitätsideologischen Ansätze ebenso einem marxistischenantiimperialistischen Weltbild wie dem universalistischen Anspruch innerhalb der antideutsch beeinflussten Gruppen. Inwieweit der Konflikt das Aktionspotenzial der linksextremistischen Szene schwächt, kann noch nicht prognostiziert werden. Erste Konflikte waren jedoch bereits in der linksextremistischen Szene von Halle (Saale) zu beobachten. 178 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus "Rote Hilfe e. V." (RH) Sitz Bundesverband: Göttingen Verbreitung (Niedersachsen) bundesweite Verbreitung Gründung 1975 In Sachsen-Anhalt seit 1996 mit der ersten RHOrtsgruppe in Halle (Saale) existent Struktur Bundesweit existieren 50 Ortsgruppen. Aufbau Die lokalen Gruppen wählen auf Mitgliederversammlungen ihre Abgesandten für die Bundesdelegiertenkonferenz; diese tritt mindestens alle zwei Jahre zusammen. Der Bundesvorstand wird für eine Dauer von zwei Jahren gewählt und organisiert als oberstes Organ der RH deren bundesweite Arbeit. Er tagt mindestens zweimal jährlich, verwaltet die Finanzen des Vereins und gibt dessen Zeitung heraus. In Sachsen-Anhalt existieren Ortsgruppen in Halle (Saale), Magdeburg und Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel). Mitglieder Land: etwa 290 (2020: 240) Anhänger Bund: 12.100 (2020: 11.000) VeröffentliWeb-Angebote: www.rote-hilfe.de chungen Publikationen: "Die Rote Hilfe" (quartalsweise) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Vertrieb von Büchern, Broschüren, Informationsmaterial. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 179 Linksextremismus Kurzportrait / Ziele Die RH ist nach ihrem Selbstverständnis eine "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" zur Unterstützung von Personen, die nach ihrer Auffassung in der "Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden". Dabei vertritt die RH kein eigenständiges weltanschauliches Programm; sie ist jedoch ein bedeutender Bestandteil der linksextremistischen Szene und wirkt organisationsübergreifend. Die RH stellt die Sicherheitsund Justizbehörden als Teile eines umfassenden Repressionsapparates dar, mit dem der Staat ihm politisch missliebige Personen unterdrückt, kriminalisiert und letztlich wegsperrt. Dadurch spricht sie der Bundesrepublik Deutschland die Eigenschaft als Rechtsstaat ab und sieht in ihr stattdessen ein Willkürregime. Die RH unterstützt Linksextremisten in Ermittlungsund Strafverfahren sowie im Strafvollzug. Erkennt die RH eine Person als "Unterstützungsfall" an, so beteiligt sie sich an Prozessund Anwaltskosten (sowie Strafund Bußgeldern) und vermittelt erforderlichenfalls anwaltliche Unterstützung. Zudem organisiert die RH Kampagnen, die auf die Diskreditierung von Sicherheitsund Justizbehörden zielen. Im Rahmen von Schulungen gibt die RH Szeneangehörigen Handlungsempfehlungen zur Minimierung des Risikos einer Strafverfolgung im Anschluss an begangene Straftaten. Grund der Beobachtung Die RH ist ein zentraler Bestandteil der linksextremistischen Szene und betätigt sich in deren Kampagnenfeld "Antirepression". Sie ist eine organisationsübergreifende Unterstützerin von Straftätern aus den unterschiedlichen Bereichen der linksextremistischen Szene. Die RH betrachtet die Bundesrepublik Deutschland als einen Willkürstaat, von dem eine systematische Verfolgung der politischen Opposition ausgehe. In dieser Funktion stabilisiert und motiviert die RH die gewaltorientierte linksextremistische Szene, indem sie das strafrechtli180 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus che Abschreckungspotenzial für Linksextremisten verringert. Sie erfüllt damit eine Gewalt unterstützende Funktion. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die in Sachsen-Anhalt existierenden Ortsgruppen in Magdeburg, Halle (Saale) und Salzwedel haben insgesamt etwa 290 Mitglieder. Bei Veranstaltungen der RH wird deutlich, dass es eine große Gruppe von passiven, das heißt lediglich beitragszahlenden Mitgliedern gibt, die der weitaus kleineren Anzahl von Mitgliedern entgegensteht, die tatsächlich auf dem Gebiet der "Antirepressionsarbeit" aktiv werden. Die linksextremistische Szene richtet anlässlich des "Tages der Freiheit für alle politischen Gefangenen" am 18. März alljährlich verschiedene Veranstaltungen zur Solidarisierung mit inhaftierten Linksextremisten aus. Mit einer traditionellen Gefangenenhilfe, "Knastbesuchen" oder anderweitigen Solidaritätsaktionen soll der Rechtsstaat als ein diktatorisches System diffamiert werden. Im Berichtszeitraum beteiligte sich die RH am 18. März 2021 an Kundgebungen in Magdeburg und Halle (Saale). Laut einem Instagram-Eintrag beteiligten sich an der Kundgebung in Magdeburg 35 Personen. Es sei auf die Repression in Deutschland, in der Türkei, in Palästina und in Kurdistan aufmerksam gemacht und die Freilassung aller politischen Gefangenen gefordert worden. Als Unterstützer der Veranstaltung wurden neben der RH Magdeburg das "Solibündnis Kurdistan-Magdeburg" und das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" angegeben. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 181 Linksextremismus Am 23. Juli 2021 fand im Szeneobjekt "Kim Hubert" eine Vortragsveranstaltung der RH-Ortsgruppe Salzwedel statt. Unter dem Motto "Was tun wenn's brennt?" wollte man sich mit Regeln zum Verhalten bei Verhaftungen bzw. bei Polizeikontrollen auseinandersetzen. "Um Angriffe der Repressionsorgane abzuwehren, ist es wichtig, die eigenen Rechte zu kennen und davon Gebrauch zu machen", hieß es auf der Internetseite des Szeneobjekts. Vom 9. bis 12. September 2021 fand in Geseke (Nordrhein-Westfalen) die RH-Bundesdelegiertenkonferenz statt. Die Wahl der Delegierten erfolgte während des Sommers in den jeweiligen Ortsmitgliederversammlungen. In den Bundesvorstand der RH sowie in die verschiedenen Kommissionen wurde aus SachsenAnhalt niemand gewählt. Auf der linksextremistischen Plattform "de.indymedia" erschien am 26. November 2021 von "Grupo internacional" ein Artikel unter der Überschrift "Internationalismus lässt sich nicht verbieten - Wir stehen zusammen mit Maria". Textidentisch veröffentlichte auch die "Rote Hilfe e. V. OG Magdeburg" den Aufruf zur Unterstützung und erklärte sich solidarisch "mit der von der Repression betroffenen Genossin". Der "spanischen Genossin und Freundin Maria" sei ein Bescheid der Ausländerbehörde Magdeburg zur Ausreise ausgehändigt worden. Sie habe ihr Freizügigkeitsrecht als EU-Bürgerin verwirkt. Besagte Person "Maria" ist insbesondere in Magdeburg, sowohl als Angehörige der lokalen linksex-tremistischen Szene als auch in PKK-Zusammenhängen, 182 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus bekannt geworden. In diesem Schreiben hieß es abschließend: "Gerade jetzt ist es wichtig, dass wir entschlossen und gemeinsam Schulter an Schulter stehen und zeigen, dass ein Angriff auf eine, ein Angriff auf uns alle ist. ... Organisieren wir unsere Wut und kämpfen wir konsequent für eine Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung..." Bewertung, Tendenzen, Ausblick Auch in Zeiten allgemeiner Umbrüche bleibt die RH einer der wichtigsten Stabilitätsfaktoren innerhalb des Linksextremismus. Mit ihrer gut vernetzten Struktur und der finanziellen Unterstützung potenzieller Strafund Gewalttäter trägt sie zu einer spektrenübergreifenden Konsolidierung bei. Dabei bietet die RH eine Organisationsorientierung für jene Linksextremisten, die gemeinschaftlich aktiv sein wollen, ohne jedoch in die starren Zwänge einer Partei eingebunden zu sein. Entscheidend für den Erfolg der RH ist vor allem ihre ideologische Flexibilität, so dass ihre Unterstützung jedem potenziellen Gewalttäter gilt, solange dieser nur eine linksextremistische Zielsetzung verfolgt. Sie begründet damit einen ideologischen Rahmen, der die Legitimität des demokratischen Verfassungsstaats systematisch infrage stellt und dabei Gewalt als politisches Mittel befürwortet. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 183 Linksextremismus "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland" (MLPD) Sitz Sitz des Bundesverbandes: Gelsenkirchen Verbreitung (Nordrhein-Westfalen) Bundesweite Verbreitung Sachsen-Anhalt: angegliedert im Landesverband Ost Gründung 1982 In Sachsen-Anhalt seit 1992 mit einzelnen Strukturen existent Struktur Parteivorsitzende: Gabi FECHTNER (NordrheinAufbau Westfalen) Die Partei ist in vier Organisationsebenen gegliedert. Betriebsund Wohngebietsgruppen bilden die erste Ebene der Partei. Die zweite Organisationsebene stellen die Ortsgruppen dar. Danach folgt der Kreisverband. Als letzte Ebene folgen die derzeit sieben Landesverbände. Der Jugendverband "REBELL" ist die Jugendorganisation der MLPD. Vorsitzender des Landesverbandes Ost: Andrew SCHLÜTER (Berlin) Mitglieder Land: etwa 20 (2020: 20) Anhänger Bund: 2.800 (2020: 2.800) VeröffentliWeb-Angebote: www.mlpd.de, www.rf-news.de chungen Publikationen: "Rote Fahne" (RF) (zweiwöchentlich) "Lernen und Kämpfen" (LuK) (mehrmals jährlich) "Rebell" (zweimonatlich) 184 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Verglichen mit ihrer politischen Bedeutungslosigkeit verfügt die MLPD über ein überdurchschnittlich hohes Parteivermögen Kurzportrait / Ziele Die MLPD ist eine maoistisch-stalinistisch ausgerichtete Partei, die sich an den Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao orientiert. Ihrem Verständnis nach kann der Kapitalismus nicht reformiert werden; er muss daher revolutionär durch den "echten" Sozialismus abgelöst werden. Trotz der Probleme und Niederlagen habe der Sozialismus seine wirtschaftliche, politische und moralische Überlegenheit über den Kapitalismus bewiesen. Über die Mitgliedschaft ihrer Angehörigen in Gewerkschaften versucht die MLPD Einfluss auf die Arbeiter als "Subjekt des Klassenkampfes" zu erlangen. Sie unterstützt die Forderungen der Gewerkschaften bei Streiks, verbindet deren Ziele aber jeweils mit ihrer fundamentalen Kapitalismuskritik und der Forderung nach einer kommunistischen Gesellschaft. Grund der Beobachtung Die MLPD versteht sich als Repräsentantin einer radikal linken und revolutionären Perspektive des "echten" Sozialismus. Bereits in der Präambel ihrer Parteistatuten formuliert sie ihr grundlegendes Ziel "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals". Dafür strebt sie die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft als Übergang zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft an. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 185 Linksextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Sachsen-Anhalt ist die MLPD mit Kontaktadressen in Magdeburg, Halle (Saale) und Bitterfeld-Wolfen (Anhalt-Bitterfeld) vertreten. Ausgehend von diesen Ortsgruppen versucht die MLPD mit einer Vielzahl von Kundgebungen, ihre revolutionären Ideen auf die Straße zu tragen. So finden in Magdeburg und Halle (Saale) regelmäßig (Montags-)Kundgebungen statt, bei denen unter dem Motto "Neue Politiker braucht das Land" mit einem sogenannten "Offenen Mikrofon" anschlussfähige Fragen diskutiert werden sollen. Auch beteiligte sich die Magdeburger Ortsgruppe am 10. April 2021 mit einer Kundgebung in Magdeburg an dem bundesweiten Aktionstag "ZeroCovid". Gefordert wurde ein ernsthafter Corona-Schutz auch an Arbeitsplätzen, Schulen und Kitas. Am Rande ihrer Kundgebung kam es zu einem verbalen Schlagabtausch mit Teilnehmern der gleichzeitig stattfindenden Veranstaltung des "unteilbar"-Bündnisses "Solidarität statt Ausgrenzung", da sie die MLPD-Mitglieder für Gegner der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hielten. Die MLPD-Mitglieder blieben "kämpferisch", wie es im Nachgang hieß: "So wurde die MLPD über Mikrofon aufgefordert, ihr Transparent herunter zu nehmen - was wir nicht taten. Das Gespenst des Kommunismus grüßt aus Magdeburg." Eine Außenwirkung konnte mit der Veranstaltung dennoch nicht erzielt werden. Die MLPD nahm bundesweit an der Bundestagswahl im September 2021 teil. Gabi FECHTNER, Parteivorsitzende der MLPD, veröffentlichte hierzu eine Pressemitteilung: "In so einer Krisensituation ist mehr denn je eine revolutionäre Arbeiterpartei gefragt. [...] Als eine der vielen systematischen Wahlbehinderungen müssen wir incl. Direktkandidaten über 60.000 Unterstützerunterschriften sammeln - in Corona-Zeiten. Da gilt natürlich: jetzt erst recht! Jede Unterschrift für die Wahlzulassung ist auch eine Unterschrift gegen diese Willkür und antikommunistische Unterdrückung." 186 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Im Vorfeld der Bundestagswahl fanden sowohl in Magdeburg als auch in Halle (Saale) mehrere Wahlkampfveranstaltungen der "MLPD/Internationalistische Liste" statt. Sie verliefen mit einer jeweils geringen Beteiligung und Außenwirkung störungsfrei. Insgesamt errang die MLPD 17.799 Zweitund 22.534 Erststimmen (jeweils 0,0 Prozent). In Sachsen-Anhalt waren es 620 Erststimmen (0,1 Prozent) und 1.049 Zweistimmen (0,1 Prozent). In der Online-Ausgabe der Zeitung "Rote Fahne" (rf-news.de) wurde das eigene Wahlergebnis ausgewertet: "Der gewachsene gesellschaftliche Einfluss der MLPD spiegelt sich noch weniger als bei den vorangegangenen Wahlen im Stimmenergebnis wider." Im Vergleich zu den letzten Bundestagswahlen 2017 errang der MLPD noch einmal deutlich weniger Stimmen. Als Ursachen wurden von der MLPD eine umfassende Manipulation der öffentlichen Meinung und ein von den Medien forcierter Antikommunismus identifiziert. "Selbstverständlich" gebe es auch subjektive Gründe: die Kampagne müsse noch längerfristiger und gründlicher vorbereitet werden. Gemäß Angaben auf der MLPD-Internetseite fand am 30. August 2021 in Erfurt (Thüringen) der MLPD-Parteitag statt. Gabi FECHTNER (Nordrhein-Westfalen) sei in geheimer Wahl in das Zentralkomitee und als Parteivorsitzende der MLPD wiedergewählt worden. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 187 Linksextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Aufgrund ihrer sektenartigen Züge ist davon auszugehen, dass die MLPD die von ihr seit Jahren vertretene ideologische Linie auch zukünftig beibehalten wird. Obwohl die Partei stetig auf der Suche nach neuen und vor allem jungen Mitgliedern ist, gelingt es ihr nicht, ihre weitgehende Isolation zu durchbrechen. Vielmehr werden die Dogmatiker von diversen Veranstaltungen ausgeschlossen oder ins Abseits gedrängt. Eine Außenwirkung können sie lediglich dort entfalten, wo die linksextremistische Szene eine ähnlich orthodoxe Ideologie verfolgt. So sind es insbesondere Magdeburger Linksextremisten, die offen mit der Partei kooperieren. In den übrigen Teilen von Sachsen-Anhalt fristet die Partei jedoch ein beständiges Schattendasein. 188 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Sitz Sitz des Bundesverbandes: Verbreitung Essen (Nordrhein-Westfalen) Bundesweite Verbreitung Gründung 1968 In Sachsen-Anhalt seit 1997 mit einzelnen Parteigruppen existent Struktur Parteivorsitzender: Patrick KÖBELE (Essen, NordAufbau rhein-Westfalen) Vorsitzender des "Koordinierungsrates" in Sachsen-Anhalt: Matthias KRAMER (Magdeburg) Die Partei gliedert sich in Grund-, Kreis-, Bezirksund/oder Landesorganisationen sowie eine Bundesorganisation. In Sachsen-Anhalt gibt es in Halle (Saale) eine Ortsgruppe, in Magdeburg sowie in der Region Altmark Einzelmitglieder. Innerhalb der Parteigesamtstruktur ist der Status einer Bezirksbzw. Kreisorganisation nicht erreicht. Daher verfügt die DKP in Sachsen-Anhalt lediglich über einen so genannten "Koordinierungsrat". Mitglieder Land: etwa 15 (2020: 15) Anhänger Bund: 2.850 (2020: 2.850) VeröffentliWeb-Angebote: www.dkp.de chungen Publikationen: UZ - "Unsere Zeit" (wöchentlich) "Marxistische Blätter" (zweimonatlich) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 189 Linksextremismus Kurzportrait / Ziele Die DKP ist eine marxistisch-leninistische Kernorganisation. Die Partei versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Ihr Ziel ist die Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft durch einen revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen. Als Richtschnur ihres politischen Handelns bekennt Sie sich zur Ideologie von Marx, Engels und Lenin. Grund der Beobachtung Die DKP strebt langfristig einen Systemwechsel in Richtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung an. In einem klassenkämpferisch-revolutionären Akt sollen die kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse, der Parlamentarismus und der politisch-gesellschaftliche Pluralismus überwunden werden. Gewaltanwendung wird dabei nicht ausgeschlossen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Sachsen-Anhalt wurde das ohnehin niedrige Aktionsniveau der DKP durch die Corona-Pandemie weiter beschränkt. Auf ihrer Homepage erläuterte die DKP im Februar 2021 ihre aktuelle Parteiarbeit unter Corona-Bedingungen. So führe man öffentliche Aktionen fort und unterstütze dabei vor allem die Arbeit der Gewerkschaften. In einem Beitrag in der Ausgabe Februar 2021 der DKP-Zeitung "Unsere Zeit" wird unter der Überschrift "Pandemie - das Chaos hat System" auf Probleme im Bildungswesen, in der Sozialpolitik, beim Impfen und bei den Impfstoffen sowie bezüglich der "bürgerlichen Demokratie" eingegangen. Letztendlich heißt es "Das Chaos hat System - Die Krise heißt Kapitalismus" sowie "Heraus auf die Straße". 190 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Linksextremismus Die DKP hatte bereits auf ihrem 23. Parteitag im Frühjahr 2020 beschlossen, bei der Bundestagswahl 2021 anzutreten. In Sachsen-Anhalt fehlten die Parteistrukturen, um eine Landesliste, geschweige einen Direktkandidaten, für die Wahl aufzustellen. Selbst für eine Beteiligung an der Landtagswahl 2021 in Sachsen-Anhalt waren keine Kapazitäten vorhanden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Strategie linksextremistischer Parteien ist es, über den Einzug in die Parlamente die Bedingung einer proletarischen Revolution zu schaffen und letztlich eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu etablieren. Vor diesem Hintergrund war die fehlende Teilnahme an den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt ein Offenbarungseid. Handlungsfähige Strukturen der Partei sind aufgrund einer stetigen Überalterung sowie finanziellen und ideologischen Marginalisierung nicht länger zu erkennen. Die DKP in Sachsen-Anhalt ist damit restlos in der Bedeutungslosigkeit angekommen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 191 IslamIsmus ISLAMISMUS Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine spezifische Form des politischen Extremismus. Unter Berufung auf die Religion des Islam zielt der Islamismus auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Islamismus ist von der Überzeugung geprägt, dass Religion nicht nur eine persönliche, quasi private Angelegenheit ist, sondern auch das öffentliche gesellschaftliche Leben sowie die politische Ordnung eines Staates bestimmen oder zumindest in Teilen regeln soll. Diese von Gott gewollte und somit "wahre" (und zugleich absolute) Ordnung rangiere in ihrer Wertigkeit vor allen von Menschen gemachten Ordnungssystemen. Im Islamismus lassen sich verschiedene Strömungen feststellen. Diese unterscheiden sich teilweise hinsichtlich ihrer ideologischen Prämissen, ihrer geographischen Orientierung, ihrer Strategien und der Wahl ihrer Mittel. Sie können sich aber auch überschneiden, zum Beispiel in der Strömung des Jihadsalafismus. Hier werden Ideologieelemente des Salafismus mit dem Jihadismus zu einer gewaltorientierten und kämpferischen Strömung vereint. - Die Anhänger islamistisch-terroristischer Gruppierungen wie der im Gazastreifen aktiven palästinensischen HAMAS oder der libanesischen "Hizb Allah"1, deren Ziel die Vernichtung des jüdischen Staates Israel ist, sind im Wesentlichen auf ihre Herkunftsregionen fokussiert und wenden schwerpunktmäßig dort terroristische Gewalt an. - So genannte legalistische Strömungen versuchen, über politische und gesellschaftliche Einflussnahme eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchzusetzen. 1 - Das BMI hat die "Hizb Allah" mit Verfügung vom 26. März mit einem Betätigungsverbot belegt und dabei auch verboten, Kennzeichen der "Hizb Allah" zu verbreiten oder zu verwenden. 192 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus - Salafisten orientieren sich ausschließlich an einem wortgetreuen Verständnis von Koran und Sunna2 nach ihrer Interpretation sowie am Vorbild der Gefährten Mohammeds, den so genannten rechtschaffenen Altvorderen.3 Sie vertreten dabei einen Exklusivitätsanspruch, beanspruchen die einzig "wahren" Muslime zu sein und lehnen die geschichtliche Entwicklung der Religion des Islam und ihre vielschichtige Ausübung und Interpretation seitens der Muslime ab.4 In der gesellschaftlichen Wahrnehmung werden islamistische Bestrebungen vor allem mit dem terroristischen Islamismus und Jihadismus in Verbindung gebracht. Entsprechend motivierte Anschläge und Straftaten sowie mit islamistischen Bestrebungen verbundene konkrete Gefahren sind Ereignisse bzw. Phänomene, die sich unschwer als Bedrohungen erkennen lassen. Das Erfordernis eines entschlossenen Einschreitens gegen diese Phänomene ist unstrittig. Verfassungsschutz, Polizei und Justiz arbeiten bei der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung auf diesem Feld mit ihren jeweiligen Aufgaben und Befugnissen eng zusammen. Aktuell sind damit Fragen verbunden, die sich aus der tatsächlichen oder möglichen Rückkehr von Personen ergeben, welche sich freiwillig in das Jihadgebiet begeben und dort terroristischen Gruppen angeschlossen haben. Dies trifft insbesondere auf die Personen zu, die aus ihren (europäischen) Heimatländern in das "Kalifatsgebiet" des IS gereist waren und sich dort dem IS angeschlossen hatten. Nach der weitgehenden militärischen Niederlage der IS-Jihadisten sind viele dieser Personen in Gefangenenlagern vor allem in Nordsyrien festgesetzt worden. Darunter befanden sich zwei aus Sachsen-Anhalt stammende 2 - Zur Nachahmung empfohlene Handlungsweisen und Aussagen des Propheten Mohammed. 3 - Arabisch: al-Salaf al-Salih. 4 - Vgl. Kompendium des BfV - Darstellung ausgewählter Arbeitsbereiche und Beobachtungsobjekte, S. 61 f. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 193 IslamIsmus junge Frauen, die 2015 nach Syrien ausgereist waren. Eine der beiden Frauen ist inzwischen nach Deutschland zurückgekehrt. Angesichts weiterer möglicher Rückkehrer nach Deutschland ist zu klären, ob und inwieweit diese Personen weiterhin einer islamistischen Ideologie anhängen, ob von ihnen eine Gefährdung ausgeht und wie erforderlichenfalls darauf behördlich reagiert werden sollte. Ein weiteres Hauptaugenmerk der Sicherheitsbehörden liegt auf der Bearbeitung von Hinweisen auf (vermeintliche) Jihadisten. In einzelnen Fällen hat dies dazu geführt, dass die Verfassungsschutzbehörde gemäß SS 19 VerfSchG-LSA Informationen an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt hat, damit diese entsprechende Ermittlungen aufnehmen konnten. Wie schon in den vorangegangenen Berichtsjahren handelte es sich dabei hauptsächlich um Hinweise auf Personen mit Migrationshintergrund, bei denen eine Betätigung in jihadistischen Gruppen anzunehmen ist, die als Kriegsparteien im syrischen Bürgerkrieg aktiv waren. Ebenso bedeutsam, aber weniger offensichtlich ist die Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die vom legalistischen Islamismus ausgeht, der scheinbar im Einklang mit den Prinzipien unseres Rechtsstaates steht. Legalistische Strömungen des Islamismus sind in der Regel weder mit Straftaten noch mit konkreten Gefahren verbunden. Daher stehen sie - zu Unrecht - wesentlich weniger im Fokus der Öffentlichkeit und werden als weitaus geringere Bedrohung empfunden. Dabei wird verkannt, dass Bestrebungen dieser Art zielgerichtet an der Umsetzung ihres ideologischen Weltbildes arbeiten und ständig versuchen, ihren gesellschaftlichen und politischen Einfluss auszuweiten. Dies ist ein schleichender Prozess, der für Außenstehende schwer zu fassen ist, da sich die entsprechenden Akteure in der Regel nach außen angepasst verhalten. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch sie das 194 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus bestehende politische System durch eine vermeintlich von Gott gewollte Ordnung ersetzen wollen, die über allen von Menschen gemachten Regeln steht. Diese Doktrin ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Das in den letzten Jahren zu verzeichnende Anwachsen des Anteils der Menschen mit muslimischer Religionszugehörigkeit an der deutschen Bevölkerung bietet den Anhängern legalistischer Strömungen verstärkt die Gelegenheit, für ihre Überzeugungen zu werben. Der Gefahr, dass ihre Vorstellungen und Ideologien auf breitere Akzeptanz stoßen, ist entgegenzuwirken. Dies gilt umso mehr, als die Bereitschaft Einzelner, sich für einen jihadistischen Weg zu entscheiden, durch die Beschäftigung mit legalistischen Ideologieelementen zumindest mittelbar gefördert werden kann. Relevant sind insoweit auch Predigten, die in Sachsen-Anhalt in Moscheen und Gebetsräumen gehalten wurden und werden. In einem kleineren Teil der Predigten konnten Elemente extremistischer Ideologien festgestellt werden. Die so schon im Vorjahr beschriebenen Entwicklungen islamistischer Bestrebungen haben sich fortgesetzt; das entsprechende Personenpotenzial liegt unverändert bei etwa 400 Personen. Antisemitismus im Islamismus Antisemitismus ist ein wesentliches Element in der Ideologie des gesamten islamistischen Spektrums. Unter Antisemitismus versteht man die politisch, sozial, rassistisch oder religiös begründete Feindschaft gegenüber Juden. Dieser Antisemitismus äußert sich teils latent, teils offen und oft im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt in Form von Israelfeindlichkeit. Im Zusammenhang mit der Eskalation des Nahostkonflikts im Mai kam es bei einer Veranstaltung in Halle (Saale) am 13. Mai 2021 zu einer Auseinandersetzung um eine Israelfahne. Medialen Veröffentlichungen ist zu entnehmen, dass anscheinend das Verbrennen dieser Fahne verhindert werden konnte. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 195 IslamIsmus In Magdeburg wurde am 26. Mai 2021 einem jüdischen Mitbürger die Kippa vom Kopf geschlagen. Die Tätergruppe mit offenkundigem Migrationshintergrund konnte einer konkreten ideologischen Strömung nicht zugeordnet werden. 196 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus Salafismus Sitz Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen in BalVerbreitung lungszentren In Sachsen-Anhalt landesweit mit Schwerpunkt in Halle (Saale), doch ohne gefestigte Strukturen Gründung Ursprünge in Entwicklungen der islamischen Welt besonders im 18. und 19. Jahrhundert Struktur in Sachsen-Anhalt sind einzelne SzeneangehöriAufbau ge feststellbar Mitglieder Land: etwa 100 Personen (2020: 90) Anhänger Bund: etwa 11.900 (2020: ca. 12.150) VeröffentliWeb-Angebote, soziale Netzwerke chungen Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Kurzportrait / Ziele Der Verfassungsschutz versteht unter "Salafismus" eine besonders radikale Strömung innerhalb des Islamismus. Salafisten streben nach Wiederherstellung des "authentischen Islam" und nach Umsetzung islamischer Rechtsvorschriften (Scharia), die nach ihrer Auffassung als Gesetz Gottes prinzipiell für die gesamte Menschheit gültig sind. Die Verwirklichung des "authentischen Islam" steht für eine politische Agenda, die in der Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" münden soll. Grund der Beobachtung Das verfassungsschutzrelevante salafistische Spektrum wird in die Kategorien "jihadistischer Salafismus" und "politischer Salafismus" unterteilt. Beide Strömungen teilen ideologische Grundlagen und die grundsätzliche Befürwortung von Gewalt; Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 197 IslamIsmus die Übergänge zwischen ihnen sind fließend. Politische Salafisten vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt, sie wollen die Gesellschaft von innen heraus durch Missionierung islamkonform umgestalten. Jihadistische Salafisten verstehen die islamische Religion als eine Ideologie, die es kompromisslos - und mit Gewalt - durchzusetzen gilt. Die von Gott vorgeschriebenen Regeln sollen über allem stehen. Die salafistische Ideologie steht damit im Widerspruch zu den in der Verfassung verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der freien Religionsausübung und der Gleichberechtigung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Zunahme der Zahl von Salafisten in Halle (Saale) im Jahr 2021 bestätigt die in der Vergangenheit getroffene Prognose der Verfassungsschutzbehörde, derzufolge der Salafismus auf nach Orientierung suchende Menschen eine hohe Anziehungskraft ausübt, was sich auch in Sachsen-Anhalt quantitativ manifestieren wird. Am 26. August 2021 verurteilte das OLG Düsseldorf nach 22 Hauptverhandlungstagen einen zuletzt in Naumburg (Saale) wohnhaften syrischen Staatsangehörigen wegen eines Kriegsverbrechens (Tötung in Tateinheit mit Mord in Tateinheit mit mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland) zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Das Urteil ist nach bisherigem Kenntnisstand noch nicht rechtskräftig. Der Syrer hatte am 10. Juli 2012 an der Hinrichtung eines Soldaten der syrischen Streitkräfte mitgewirkt, der zuvor bei gewaltsamen Auseinandersetzungen gefangen genommen und augenscheinlich gefoltert worden war. In Moscheen traten zudem vereinzelt Prediger auf, welche die salafistische Ideologie propagierten. In diesen Predigten wird häufig ein vermeintlicher Opferstatus der Muslime herausgestellt. Damit soll bei den Zuhörern eine Schwarz-Weiß-Weltsicht geschaffen, Kampfbereitschaft geweckt und eine Art Wagenburgmentalität ("wir gegen den Rest der Welt") zementiert 198 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus werden. Daneben ist bei Salafisten auch eine Affinität für Verschwörungstheorien und Falschinformationen feststellbar. In ihren Predigten befürworten sie häufig die Einführung eines an der Scharia orientierten Strafrechtssystems zur Lösung aller Probleme, da die darin vorgesehenen drakonischen Körperstrafen Straftäter aus ihrer Sicht effektiver abschrecken würden. Einzelne dem Salafismus anhängende Personen mit Wohnsitz in Sachsen-Anhalt, darunter Konvertiten, engagierten sich bei salafistischen Organisationen, die ihren Sitz und ihren Aktionsraum in anderen Bundesländern haben. So wurden außerhalb von Sachsen-Anhalt z. B. Informationsstände dieser Organisationen betreut und Veranstaltungen der salafistischen Szene besucht. Islamistischer Terrorismus und jihadsalafistische Organisationen Jihadistische Gruppierungen wie zum Beispiel der "Islamische Staat" (IS) und "al-Qaida" zuzurechnende Organisationen sehen in ihrem Kampf für die Errichtung eines "Gottesstaates" mit terroristischer Gewalt ein Mittel gegen "Ungläubige" und gegen von ihnen als korrupt betrachtete Regime in der islamischen Welt. Ihre terroristische Agenda ist teilweise global und bedroht folglich die gesamte internationale Staatengemeinschaft. Das von den deutschen Sicherheitsbehörden identifizierte islamistisch-terroristische Personenpotenzial (itP) belief sich in 2021 auf bundesweit rund 1.950 Personen.1 In Sachsen-Anhalt liegt dieses Personenpotenzial im mittleren zweistelligen Bereich. Über das itP werden "gewaltbereite Extremisten im Bereich Islamismus/islamistischer Terrorismus, also (Einzel-) Personen, zu denen Hinweise auf eine persönliche Gewaltbereitschaft vorliegen", unabhängig von ihrer Organisationszugehörigkeit erfasst. Hierunter befindet sich eine Vielzahl von Jihadisten bzw. Mitgliedern und Unterstützern von islamistisch-terroristischen Vereinigungen, die aus ihren jeweiligen Herkunftsländern (insbesondere Syrien) nach Deutschland geflohen sind. Diese betreffen u. a. folgende Terrororganisationen: 1 - Stand: 29. November 2021 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 199 IslamIsmus - "Islamischer Staat" (IS) - vormalige "Jabhat al-Nusra", jetzt "Hai'at Tahrir al-Sham" - "Al-Shabab" - "Ahrar al-Sham" - "Taliban" Die Zahl der entsprechenden Hinweise ist seit Einsetzen der Flüchtlingssituation insbesondere mit Schutzsuchenden aus dem Herkunftsland Syrien seit 2015 stetig gestiegen. Dass die Gefahren für die innere Sicherheit, die vom Islamismus ausgehen, auch in einem Land wie Sachsen-Anhalt, das eine vergleichsweise schwache islamistische Szene beheimatet, keinesfalls unterschätzt werden dürfen, hat uns ein Vorfall aus dem Februar 2021 vor Augen geführt: Aufgrund des Verdachts des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz durchsuchte die Polizei eine Wohnung in Dessau-Roßlau und stellte neben islamistischem Propagandamaterial diverse Chemikalien sicher, die zur Herstellung von Sprengsätzen verwendet werden können. Der Wohnungsbesitzer hielt sich zu diesem Zeitpunkt in Dänemark bei seinem Bruder auf, beide wurden dort auch verhaftet. Inzwischen haben die dänischen Behörden gegen sie Anklage erhoben. Der Tatvorwurf ist dem deutschen SS 89a StGB - Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat - vergleichbar. Zudem stellen auch Rückkehrer und Rückkehrerinnen, die sich dem IS oder anderen islamistischen Terrorgruppierungen in Syrien oder im Irak angeschlossen hatten, eine potenzielle Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland dar. Hiervon ist auch Sachsen-Anhalt betroffen. Im Fall einer aus Sangerhausen stammenden IS-Rückkehrerin hat der Generalbundesanwalt am 7. Juli 2021 vor dem Staatsschutzsenat des OLG Naumburg Anklage wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der ausländischen terroristischen Vereinigung IS erhoben. Zudem werden ihr Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit und 200 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz sowie das Waffengesetz zur Last gelegt. Am 18. Mai 2022 wurde sie nach dem Jugendstrafrecht zu zwei Jahren Freiheitstrafe, ausgesetzt für drei Jahre zur Bewährung, verurteilt. Im Berichtsjahr befand sich noch eine weitere aus Sachsen-Anhalt ausgereiste weibliche Person, die im Jihad-Gebiet in Syrien für den IS tätig war, in einem nordsyrischen Gefangenenlager für sogenannte "Foreign Terrorist Fighters". Die aus Aschersleben stammende Person war bereits 2014 nach Syrien ausgereist und ist im Rahmen einer Rückholaktion der Bundesregierung im März 2022 nach Deutschland zurückgekehrt. Derzeit befindet sich die Betroffene in der JVA Halle in Untersuchungshaft. Seit Mitte 2021 war ein deutlicher Anstieg des Migrationsaufkommens an der östlichen EU-Außengrenze zu Belarus zu verzeichnen. Im Oktober stieg die Sekundärmigration an der deutsch-polnischen Grenze deutlich an, so dass das Thema in den Fokus der deutschen Medien und Politik gerückt ist. Über diese Route ist auch eine Person illegal wieder nach Sachsen-Anhalt eingereist, die wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer islamistisch-terroristischen Vereinigung in ihrem Herkunftsland Syrien 2019 bestandskräftig aus Deutschland ausgewiesen worden war und sich seither in Saudi-Arabien aufgehalten hatte. Die betreffende Person ist nach wie vor dem o. g. islamistisch-terroristischen Personenpotenzial zuzurechnen. Ein ehemals in Sachsen-Anhalt als Geflüchteter aus dem syrischen Bürgerkrieg untergebrachter Jihadist ist bei kriegerischen Auseinandersetzungen in Nordsyrien verletzt worden. Er hatte sich dorthin begeben, um mit syrischen Kämpfern vermutlich gegen kurdische Verbände vorzugehen. Medial ist seine Gruppe bekannt geworden, da diese anscheinend an der Tötung gefangener Gegner beteiligt war. Im Berichtszeitraum wurde im Zuge der Machtübernahme der radikal-islamistischen Taliban im August 2021 eine Vielzahl von Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 201 IslamIsmus Personen aus Afghanistan u. a. auch nach Deutschland evakuiert. Auf Grund der äußerst prekären Situation an dem Kabuler Flughafen sind neben den sogenannten Ortskräften und deren Familien auch Personen evakuiert worden, deren Hintergrund nicht bekannt gewesen ist. Islamischer Staat (IS) Der IS war 2021 nach wie vor die bekannteste der jihadsalafistischen Organisationen, die in der Vergangenheit auch Jugendliche aus Sachsen-Anhalt angezogen hatte. Da Deutschland an Waffenlieferungen und Ausbildungsmaßnahmen für Gegner des IS beteiligt ist, besteht eine Gefährdungslage für deutsche Einrichtungen und Interessen. Der IS ruft explizit zum Kampf unter anderem gegen Deutschland auf. In einem am 4. Oktober 2021 geposteten Video einer IS-nahen Medienplattform wird zum Jihad gegen westliche Staaten der Anti-IS-Koalition, insbesondere Frankreich, ausdrücklich aber auch Deutschland, aufgerufen. Dabei wird an die IS-Anhänger appelliert, alle zur Verfügung stehenden Mittel wie Schusswaffen, Messer und Fahrzeuge zu nutzen. (Auf dem Screenshot steht auf Arabisch der Schriftzug "Deutschland" als Zielland für Anschläge, rechts oben ist die IS-Fahne erkennbar.) 202 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus Ausreisen bzw. Ausreiseversuche aus Deutschland seit 20112 Derzeit liegen Erkenntnisse zu mehr als 1.150 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die seit 2011 in Richtung Syrien/Irak gereist sind und sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aktuell dort aufhalten bzw. aufgehalten haben. Hiervon sind 25 % weiblich. Zu etwa 65 % dieser gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS, von al-Qaida oder diesen Organisationen nahestehenden Gruppierungen sowie anderen terroristischen Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der gereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren vorliegen. Darüber hinaus sind mehr als 230 Personen bekannt, deren geplante bzw. versuchte Ausreise nach Syrien oder Irak scheiterte bzw. verhindert werden konnte, z. B. aufgrund von behördlichen Maßnahmen wie einer behördlichen Ausreiseuntersagung. Mehr als die Hälfte der Personen, die gereist sind oder deren Ausreise verhindert wurde bzw. scheiterte, hat die deutsche Staatsangehörigkeit. Hierzu zählen auch Personen, die neben der deutschen eine weitere Staatsangehörigkeit besitzen. Die meisten Ausreisen bzw. Ausreiseversuche waren in den Jahren 2013 bis 2015 zu verzeichnen. In den Folgejahren gingen die Zahlen sukzessive zurück. Seit 2019 werden Ausreisen bzw. Ausreiseversuche nur noch sehr vereinzelt registriert. So wurden im Jahr 2021 fünf Ausreisen bzw. Ausreiseversuche in Richtung Syrien/Irak registriert. Aktuell halten sich etwa 39 % der etwa 1.150 gereisten Personen im Ausland auf. Von diesen befindet sich etwa ein Drittel im Ausland in Haft bzw. in Gewahrsam (in Syrien, Irak oder Türkei); hiervon sind 56 % weiblich. 2 - Stand: 28. Oktober 2021 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 203 IslamIsmus Die Mehrzahl der in Haft bzw. in Gewahrsam befindlichen Personen beabsichtigt nach Deutschland zurückzukehren. Etwa zwei Drittel dieser Personen befinden sich auf freiem Fuß in Syrien bzw. Irak, hiervon sind 34 % weiblich. Zum Großteil der Personen liegen keine Erkenntnisse zum konkreten Aufenthaltsort vor. Es ist davon auszugehen, dass sich einzelne Personen zwischenzeitlich in anderen Staaten außerhalb von Syrien/Irak aufhalten und ein nicht unerheblicher Anteil der Personen bei Kampfhandlungen verstorben ist. Zu etwa 25 % der etwa 1.150 gereisten Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder Irak ums Leben gekommen sind. Etwa 37 % der etwa 1.150 gereisten Personen kehrte bislang nach Deutschland zurück; hiervon sind etwa 20 % weiblich. Mindestens 22 Personen haben Deutschland nach ihrer Rückkehr aufgrund behördlicher Maßnahmen (z. B. Abschiebung) zwischenzeitlich wieder verlassen bzw. sind freiwillig in einen Drittstaat ausgereist. Zu über 140 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Gegen 268 der zurückgekehrten Personen wurde ein Ermittlungsverfahren aufgrund von Straftaten, die im Zusammenhang mit der Ausreise dieser Personen in Richtung Syrien/Irak stehen, eingeleitet; hiervon sind 56 weiblich. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Salafismus kann auf Menschen, die Schwierigkeiten bei der Ausbildung einer stabilen persönlichen Identität haben und auf der Suche nach Orientierung sind, eine große Anziehungskraft ausüben. Dies gilt nicht nur für Menschen aus Einwandererfamilien, sondern auch für Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Angesichts des Zuwachses des muslimischen Bevölkerungsanteils infolge der verstärkten Migrationsbewegungen aus muslimisch geprägten Staaten seit 2015/16 ist aber davon auszuge204 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus hen, dass die Bedrohung, die von der Rekrutierung salafistischen Nachwuchses durch charismatische salafistische Prediger für die innere Sicherheit Sachsen-Anhalts ausgeht, in den vergangenen Jahren zugenommen hat. Es ist damit zu rechnen, dass der IS infolge der Einschränkung seines Aktionsfeldes in Syrien und Irak sich bietende Tatgelegenheiten gegen deutsche Interessen auch im Bundesgebiet nutzen wird. Die geschickte mediale Darstellung der Erfolge des IS und der Anschläge in Ländern, die der IS zu Feinden des Islam erklärt hat, wird auch 2022 fortgesetzt und zur Inspirationsquelle von Gruppen oder Einzeltätern werden, die mit herkömmlichen nachrichtendienstlichen Mitteln nur eingeschränkt identifiziert oder beobachtet werden können. Die Verdrängung von IS-Kämpfern aus jener Region kann zur Verlagerung ihrer Aktivitäten nach Europa führen und dadurch direkte Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland haben. Die Ideologie des IS existiert weiter, aber nach dessen territorialem Niedergang drängen andere Organisationen nach. Al-Qaida-nahe Terrororganisationen wie die in Nordwestsyrien aktive "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) werden auch weiterhin mit dem IS um die regionale Vormacht im Nahen Osten konkurrieren. (Flagge der HTS) Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 205 IslamIsmus "Gemeinschaft der Verkündigung der Mission" (Urdu: "Tablighi Jama'at", TJ) Sitz drei religiöse Zentren in Pakistan, Indien und Verbreitung Bangladesch in Deutschland keine offizielle Niederlassung Gründung 1926 in Indien Struktur Leitung: Führungszirkel (Schura) Aufbau In Deutschland koordinieren zentrale Akteure über informelle Kontakte in einem hierarchisch aufgebauten Netzwerk die Arbeit der TJ. Mitglieder Sachsen-Anhalt: mittlerer zweistelliger Bereich Anhänger (2020: ebenso) Bund: etwa 550 (2020: etwa 650) Veröffent--lichungen Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Die TJ ist eine transnationale Missionierungsbewegung mit etwa 12 Millionen Anhängern weltweit. Sie orientiert sich eng an dem Islamverständnis der islamischen Frühzeit. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ in Deutschland ist die Gewinnung neuer Anhänger, die Missionierung und ideologische Schulung der Mitglieder. Grund der Beobachtung Die TJ propagiert eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, eine rigorose Abgrenzung zu Nichtmuslimen und eine Ausgrenzung von Frauen von der politischen und gesellschaftlichen 206 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus Teilhabe. Die Ablehnung der weltlichen Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen begünstigen die Bildung von Parallelgesellschaften und fördern individuelle Radikalisierungsprozesse. Die Erreichung eines auf den in der Scharia enthaltenen Rechtsvorschriften basierenden Lebens ist das erklärte Ziel der TJ. Damit gehen von der TJ Bestrebungen aus, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Pandemiebedingt waren die Aktivitätsmöglichkeiten der TJ-Anhänger in 2021 weiterhin eingeschränkt. Der interne Konflikt in der Führungsebene spielt ebenfalls eine maßgebliche Rolle. In Sachsen-Anhalt sind deshalb die Missionierungstätigkeiten stark zurückgegangen und Treffen fanden nur noch im kleineren Rahmen statt. Lokale Schwerpunkte der Aktivitäten der TJ sind verschiedene Moscheen im Bundesland. Im Rahmen der Kontaktaufnahme werden Einladungen zu Gebeten, Moscheebesuchen oder anderen Veranstaltungen ausgesprochen. Zielgruppen sind einerseits Muslime mit vermeintlich unzureichender Beachtung der Glaubensriten und anderseits Nichtmuslime. Ein wesentliches Ziel der Missionierungstätigkeit der TJ ist es, diese Gruppen von ihrer Gemeinschaft und ihrem Islamverständnis zu überzeugen. Die Anhänger der TJ aus Sachsen-Anhalt sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Sie beteiligen sich an Missionierungsreisen und bundesweiten und europaweiten Treffen, auf denen u. a. die weitere Missionierungsarbeit abgestimmt wird. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Anhängerzahl hierzulande ist weitestgehend konstant geblieben. Daher wird sich der Rückgang der Missionierungstätigkeiten nach dem Ende der Corona-Pandemie weiter relativieren. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 207 IslamIsmus Muslimbruderschaft (MB) / "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) / HAMAS Sitz Hauptsitz der DMG in Köln Verbreitung (Nordrhein-Westfalen) in Sachsen-Anhalt landesweit, Gründung MB: 1928 in Ägypten DMG (IGD): 1958 HAMAS: 1987 Struktur Die am 9. September 2018 in DMG umbenannte IGD gehörte zu den Gründungsmitgliedern der "Föderation islamischer Organisationen in Europa" (FIOE), die als Sammelbecken für Organisationen der MB in Europa gilt. Mitglieder Sachsen-Anhalt: 20 (2020: 20) Anhänger Bund: etwa 1.450 VeröffentWeb-Angebote: diverse Internetauftritte lichungen soziale Netzwerke Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Die Muslimbruderschaft (MB) gilt als älteste und einflussreichste organisierte sunnitische islamistische Bewegung. Zahlreiche islamistische Organisationen, zum Beispiel die DMG in Deutschland und die terroristische palästinensische HAMAS, sind aus der MB hervorgegangen. Programmatischer Kernpunkt der MB ist die Einheit von Religion und Staat. Ihr Ziel ist die schrittweise Durchsetzung islamischer Rechtsvorschriften (Scharia). Gewaltanwendung wird dabei nicht ausgeschlossen, doch nicht vorrangig angestrebt. In mehreren islamischen Ländern ist die MB verboten. Die MB lehnt demokratische Staatssysteme ab, agiert aber pragmatisch. Ihre meist gebildeten und eloquenten Vertreter 208 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 IslamIsmus engagieren sich häufig gesellschaftlich, um Einfluss zu gewinnen. Vertreter der MB stellen nach außen hin demokratische Prinzipien nicht in Frage und erwecken häufig den Anschein, eine vergleichsweise "moderate" Islamauslegung zu vertreten. Grund der Beobachtung Die von Gott vorgeschriebenen Regeln sollen über allem stehen. Damit steht die Ideologie der Muslimbruderschaft im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der freien Religionsausübung sowie der allgemeinen Gleichberechtigung. Die DMG ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der MB in Deutschland. Ihr Ziel ist es, sich als anerkannter Ansprechpartner zum Thema Islam zu etablieren. Zu diesem Zweck werden offene Bekenntnisse zur MB möglichst vermieden. Bezüglich der HAMAS ist festzustellen, dass sie für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelisches Territorium verantwortlich ist. Ihre Aktivitäten richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und sind geeignet, deutsche Interessen im Ausland zu gefährden. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Vereinzelt traten in Moscheen Prediger auf, die ideologische Standpunkte der Muslimbruderschaft propagierten. Die Erwähnung einschlägiger Aktivitäten im Land in den Verfassungsschutzberichten des Landes Sachsen-Anhalt seit 2017 führte zur Zurückhaltung bei den öffentlichen Äußerungen. Darüber hinaus betreibt die MB verschiedene Unterorganisationen mit vermeintlich karitativem Anstrich, die auch islamischen Gemeinden oder Vereinen in Sachsen-Anhalt als Kooperationspartner zur Verfügung stehen. Kooperationen oder sonstige VerVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 209 IslamIsmus bindungen zu diesen MB-nahen Organisationen müssen nicht zwangsläufig aus islamistischen Motiven heraus bestehen oder eingegangen worden sein. Vielmehr wird das hinter der Fassade der Wohltätigkeit tatsächlich verfolgte Ziel nicht erkannt und eine zu wünschende Distanzierung nicht vorgenommen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick In Sachsen-Anhalt gibt es nach wie vor Personen, die der Ideologie der Muslimbruderschaft folgen. Die in Sachsen-Anhalt aktiven 20 Personen sind größtenteils Persönlichkeiten, die führende Funktionen in ihren jeweiligen Gemeinden innehaben. Ihr Ziel ist letztlich die Abschaffung der Demokratie und die Gründung eines auf religiösen Regeln basierenden Gottesstaates. Sie sind bestrebt, das Gedankengut der Muslimbruderschaft weiter zu verbreiten, und bemüht, sich als gemäßigte Muslime darzustellen. Es besteht unverändert die Gefahr, dass die Selbstinszenierung als vertrauenswürdige zivilgesellschaftliche Akteure bei Verantwortungsträgern in Kommunen, Land, Kirchen und Zivilgesellschaft verfängt und zu Fehleinschätzungen führen kann. Mitarbeiter von Behörden, Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen sind daher gehalten, kritisch darauf zu achten, wem sie eine Plattform als Gesprächspartner bieten. 210 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus AUSLANDSBEZOGENE SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN Im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus (ohne Islamismus) beobachtet der Verfassungsschutz sicherheitsgefährdende Bestrebungen, die mit der Anwendung von Gewalt oder darauf gerichteten Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Es finden sich dabei Ideologieelemente sowohl aus dem Rechtsund Linksextremismus als auch aus dem Separatismus.1 Die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen in Deutschland werden stark von der Situation in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Das Ziel dieser Organisationen ist zumeist die Veränderung der politischen Verhältnisse in ihren jeweiligen Heimatländern, was in vielen Fällen auch mittels Gewalt erreicht werden soll. In Sachsen-Anhalt ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) die einzige ausländische extremistische Organisation, die über bedeutende Strukturen verfügt. Während die PKK in der Türkei und den kurdischen Siedlungsgebieten in Syrien und dem Irak nach wie vor Anschläge verübt, bemühen sich ihre Anhänger in Deutschland um ein gewaltfreies Auftreten. Neben dem Requirieren von Spendengeldern beschränken sich die Aktivitäten hierzulande vor allem auf die Durchführung regionaler versammlungsrechtlicher Aktionen sowie die Teilnahmen an zentralen PKK-Großveranstaltungen. Diese Veranstaltungen dienen der Partei vorrangig der Propagierung ihrer politischen Forderungen nach Anerkennung der kurdischen Identität und Autonomie sowie der Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots. 1 - Separatismus bedeutet, dass ein Teil einer Bevölkerung sich und ihr Heimatgebiet aus ihrem aktuellen Staat herauslösen möchte. Ziel kann die Gründung eines neuen eigenständigen Staates sein oder der Anschluss an einen anderen Staat. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 211 AuslAndsbezogener extremismus Im Berichtsjahr waren die Aktivitäten der PKK-Anhänger erneut von den aktuellen politischen Ereignissen in den kurdischen Siedlungsgebieten geprägt. Die dortigen anhaltenden militärischen Aktivitäten der türkischen Streitkräfte mobilisierten die PKK-Anhänger zu diversen, oft unmittelbaren und spontanen Protestaktionen. Auch die Sorge um den Gesundheitszustand und die Haftbedingungen ihres inhaftierten PKK-Anführers Abdullah ÖCALAN standen nach wie vor im Fokus. Jedoch ließen die pandemiebedingten Einschränkungen ein unbeeinflusstes Veranstaltungsgeschehen nicht zu. Insbesondere die für die PKK bedeutsamen jährlichen Großveranstaltungen konnten entweder gar nicht oder nur mit einer sehr dezimierten Teilnehmerzahl stattfinden. Auch das Leben der örtlichen kurdischen Vereine in Sachsen-Anhalt war von Inaktivität geprägt. 212 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus "Arbeiterpartei Kurdistans" (kurdisch: Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) Weitere - "Volkskongress Kurehemalige distans" (KONGRA GEL) und bestehen- - "Freiheitsund Demokratiekongress" (KAde BezeichDEK) nungen: - "Gemeinschaften der Kommunen Kurdistans" (KKK) - "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (kurdisch: Koma Civaken Kurdistan, KCK) Sitz Sitz der Parteiführung in den Kandil-Bergen/ Verbreitung Nord-Irak Verbreitung in Kurdistan (Teile der Türkei, Syriens, Iraks und Irans) sowie Europa Gründung 27. November 1978 in der Türkei Struktur Trotz der mehrfach nach außen angekündigte Aufbau Einführung demokratischer Strukturen hält die PKK intern nach wie vor an ihrer strengen autoritären Führung fest. Das höchste Entscheidungsorgan der PKK ist der KCK mit seinem Präsidenten Abdullah ÖCALAN. Gemeinsame Vorsitzende des KCK sind Cemil BAYIK und Bese HOZAT. In Europa werden die Aktivitäten der PKK maßgeblich vom "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (kurdisch: Kongreya Civaken Demokratik a KurdA(r)stanA(r)yen li Ewropa, KCDK-E), dem politischen Arm der Partei in Europa, bestimmt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 213 AuslAndsbezogener extremismus Deren Weisungen werden von regelmäßig wechselnden Führungskadern an die Basis weitergegeben. Die Organisationsstruktur der PKK unterteilt das Bundesgebiet aktuell in neun Regionen (Eyalet), die wiederum in 30 verschiedene Gebiete (Bölge) untergliedert sind. Sachsen-Anhalt findet sich hierbei im Gebiet Sachsen bzw. dem übergeordneten Eyalet Berlin wieder. Zur Umsetzung ihrer Vorgaben bedient sich die PKK-Führung in Europa und Deutschland der örtlichen kurdischen Kulturvereine. Diese Vereine sind zu einem großen Teil in der Dachorganisation "Konföderation der Gesellschaften Mezopotamiens in Deutschland" (kurdisch: Konfederasyona Civaken Mezopotamyaye li Elmanyaye, KON-MED) organisiert. Diese ist Nachfolgeorganisation des "Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland" (kurdisch: Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanya, NAV-DEM). Mit Hilfe ihrer fünf untergeordneten Föderationen führt sie die Aufgaben als nun zuständiger Dachverband weiter. PKK-nahe Vereine auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts werden von der "Freien Kurdistan Föderation Ostdeutschland" (kurdisch: Federasoyna Kurdistaniyen Azad li Rojhilate Almayna, FED-KURD) vertreten. 214 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus Dazu gehören das "Demokratische Kurdische Gesellschaftszentrum (Kurdisch: Demokratik Kürt Toplum Merkezi, DKTM) Magdeburg" sowie der Verein "Mezopotamien Kulturhaus e.V. in Halle (Saale) (auch DKTM Halle (Saale)). Die Vereine dienen den hiesigen PKK-Anhängern als Anlaufstelle und Treffpunkt. Überdies versucht die PKK mit Hilfe von Massenorganisationen, in denen sich PKK-Anhänger entsprechend ihrer Berufsund Interessengruppen zusammenfinden, Kurden weiter an die Partei zu binden. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Jugendorganisation "Komalen Ciwan"/"Ciwanen Azad" bzw. die europäische Jugenddachorganisation "Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS), die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (Kurdisch: Tevgera Jinen Kurdistan, TJK-E) und die Studentenorganisation "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (kurdisch: Yekitiya Xwendekaren Kurdistan, YXK). Mitglieder Land: etwa 250 (2020: etwa 250) Anhänger Bund: etwa 14.500 (2020: etwa 14.500) VeröffentliPKK-Nachrichtenagentur "Ajansa Nuceyan a chungen Firate" (ANF), Publikationen: "Yeni Özgür Politika" (YÖP) "Serxwerbun" (Unabhängigkeit) Finanzierung Die PKK sowie ihre Folgeund Nebenorganisationen finanzieren sich zum größten Teil über ihre jährlichen "Spendenkampagnen" sowie Einnahmen aus dem Verkauf kurdischer Publikationen und Eintrittskarten für diverse Großveranstaltungen. Auch Mitgliedsbeiträge von der PKK naheVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 215 AuslAndsbezogener extremismus stehenden Vereinen kommen der Organisation zugute. Das Geld dient vor allem dem Unterhalt der hiesigen Organisationsstrukturen, aber auch der Unterstützung der Guerilla in den Kampfgebieten. Das Einsammeln der Spenden stellt einen Schwerpunkt der Parteiarbeit, insbesondere für ihre Führungskader, dar. Die anhaltenden militärischen Konflikte in Nordsyrien, im Nord-Irak und in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei führen weiterhin zu einem hohen Finanzbedarf der PKK, aber auch zu einer anhaltend hohen Spendenbereitschaft in der kurdischen Gemeinde. Die sich in Deutschland bisher Jahr für Jahr kontinuierlich steigernde Gesamtspendensumme erreicht mittlerweile eine Höhe von mehr als 15 Millionen Euro pro Jahr. Kurzportrait / Ziele Abdullah ÖCALAN gründete gemeinsam mit weiteren Protagonisten im Jahr 1978 die marxistisch ausgerichtete PKK, deren ursprüngliches Ziel in der Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staates auf den Gebieten Südostanatolien, Nord-Irak sowie Teilen des westlichen Irans und des nördlichen Syriens bestand. In dem Selbstverständnis, alleiniger Interessenvertreter der kurdischstämmigen Bevölkerung zu sein, rief ÖCALAN 1984 zur Durchsetzung dieses Ziels zum bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. In der Folge kam es zu zahlreichen terroristischen Anschlägen innerhalb und außerhalb der Türkei, so auch gegen türkische Einrichtungen in Deutschland. Bis heute sind diesen Auseinandersetzungen etwa 45.000 Menschen zum Opfer gefallen. Aufgrund dessen unterliegen die PKK sowie ihre Nachfolgeorganisationen seit 1993 in Deutschland einem Betätigungsverbot. Seit 2002 ist die PKK darüber hinaus bei der Europäischen Union als terroristische Organisation gelistet. Mit Urteil vom 28. Oktober 2010 (3 StR 179/10) bestätigte der Bundesgerichtshof, dass es sich bei den Strukturen der PKK nicht um 216 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus selbständige Teilorganisationen handelt, sondern insgesamt um eine terroristische Vereinigung im Ausland. Mit der Verhaftung ÖCALANs im Jahr 1999 rückte die PKK zwar von ihren separatistischen Zielen ab und bemüht sich seitdem um eine autonome Selbstverwaltung der Kurden innerhalb der bestehenden Ländergrenzen. Dennoch versucht sie weiterhin ihre Ziele mit Hilfe von schweren Gewalttaten, einschließlich der Tötung von Menschen, zu erreichen. Während die PKK auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt, bemüht sie sich in Europa um ein gewaltfreies Auftreten. Europa und insbesondere Deutschland stellen für die PKK eine unverzichtbare rückwärtige Basis dar, aus der die Organisation den Großteil ihrer personellen und finanziellen Ressourcen schöpft. Zur Propagierung ihrer Ideologie nutzt die PKK insbesondere ihre jährlich wiederkehrenden zentralen Großveranstaltungen, zu denen sich in der Vergangenheit teils tausende Anhänger mobilisieren ließen. Das vorhandene Mobilisierungspotenzial ging dabei deutlich über die genannte Anhängerzahl hinaus. Im Berichtszeitraum konnten diese Zahlen auch aufgrund der pandemiebedingten Einschränkungen nicht erreicht werden. Grund der Beobachtung Trotz ihres Kurswechsels Mitte der neunziger Jahre zu weitgehend friedlichem Verhalten in Deutschland stellt die PKK, insbesondere wegen ihrer fortwährenden Bereitschaft, zu gewaltorientierten Aktionen zurückzukehren, nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Darüber hinaus verfolgt die PKK ihre Ziele besonders in den kurdischen Siedlungsgebieten weiterhin mit Waffengewalt. Mit diesem Verhalten gefährdet sie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG-LSA. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 217 AuslAndsbezogener extremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Aktionen und Aktivitäten der PKK und ihrer Anhänger hierzulande werden im Wesentlichen von den politischen und militärischen Geschehnissen in den kurdischen Siedlungsgebieten, den Sorgen um die Gesundheit und die Haftbedingungen ÖCALANs sowie von den Bemühungen um die Aufhebung des PKK-Verbots geprägt. Auswirkungen türkischer Aktionen in den kurdischen Siedlungsgebieten In der Nacht auf den 10. Februar 2021 erfolgte eine militärische Aktion der türkischen Streitkräfte gegen Stellungen der PKKGuerilla1 im Nordirak. Den unmittelbaren Protestaufrufen der PKK-Europaführung folgten bundesweit Veranstaltungen, u. a. in Köln, Hamburg, Saarbrücken und Magdeburg. An einer bereits im November 2020 gestarteten Unterschriftenaktion des europäischen Dachverbands der PKK-Frauenverbände unter dem Titel "100 Gründe, um den Diktator zu verurteilen" beteiligten sich auch PKK-Anhänger aus Magdeburg. Sowohl am 5. als auch am 8. März 2021 fanden Kundgebungen mit Unterschriftensammlung statt. Darüber hinaus wurden in verschiedenen deutschen Städten Straßenschilder mit den Namen kurdischer Frauen überklebt, so auch in Halle (Saale) und Magdeburg. Aufgrund einer weiteren militärischen Aktion der Türkei im April rief die PKK zu einem bundesweiten Aktionstag auf. Zahlreiche PKK-Sympathisanten in ganz Deutschland nahmen an den entsprechenden Kundgebungen und Demonstrationen teil. In Magdeburg beteiligten sich Anhänger an der in diesem Rahmen stattfindenden Flyeraktion "1,5 Millionen mal "Nein" zum türkischen Faschismus!" und verteilten einen Flyer der KON-MED in Briefkästen in der Innenstadt. 1 - Die bewaffneten Einheiten der PKK, die "Hezen Parastina Gel" (HPG), werden auch als Guerilla bezeichnet. 218 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus Vor dem Hintergrund des anhaltenden militärischen Konflikts zwischen der Türkei und der PKK wurde im Juni überdies die Aktion "Defend Kurdistan" ins Leben gerufen. Dieser internationalen Initiative (und zugleich Plattform) gehören verschiedene Privatpersonen, Organisationen und Kampagnen an. In Deutschland beteiligen sich vorrangig linksextremistische Organisationen. Ziel der Aktion war die Reise mehrerer hundert PKK-Anhäner in die umkämpften Gebiete im Nord-Irak. Diese "Friedensdelegationen" sollten sich in die Nähe der Frontlinie begeben, um dort als "Lebende Schutzschilde" zu agieren. Entsprechende Versuche konnten zum Teil vereitelt werden. So wurde einer Gruppe von etwa 40 Personen auf dem Flughafen Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) die Weiterreise untersagt. Eine weitere Gruppe gelangte zwar bis nach Erbil (Irak), wurde jedoch aufgrund des Eingreifens der Behörden vor Ort ebenfalls an einer Weiterreise in die Kampfgebiete gehindert. Eigenen Angaben des "Rojava Solibündnis Halle" zufolge haben sich auch zwei Personen aus Halle (Saale) unter den Reisenden befunden. Anlässlich ihrer Rückkehr veranstaltete das Bündnis am 16. Juni 2021 eine Mahnwache in Halle (Saale). Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 219 AuslAndsbezogener extremismus Am 14. Juli 2021 fand in den Räumen des "Mezopotamien Kulturhaus e. V." Halle (Saale) eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Jahrestags des "Großen Widerstands des 14. Juli 1982" statt. An diesem Tag hatten mehrere inhaftierte PKK-Kader aufgrund schlechter Haftbedingungen einen Hungerstreik begonnen, in dessen Folge vier der Häftlinge verstarben. Alljährlich wird den Verstorbenen auf zahlreichen Gedenkveranstaltungen gedacht. Das PKK Nachrichtenportal ANF berichtete über die Veranstaltung. Hierbei war unter anderem zu sehen, wie die Räumlichkeiten mit diversen verbotenen PKK-Symbolen geschmückt waren. Für den 14. August 2021 organisierte die Initiative "Defend Kurdistan" in Düsseldorf eine Demonstration unter dem Motto "Gegen die türkische Invasion in Südkurdistan/Nordirak". Es nahmen etwa 1.500 Personen teil. In den PKK-nahen Medien wurden Busanreisen aus diversen Städten bekannt gegeben, darunter auch aus Halle (Saale). In den verschiedenen Reden während der Veranstaltung wurde u. a. Bezug auf den "Geist des 15. August" genommen. Der 15. August 1984 markiert für die PKK den "Beginn des Widerstands". Damals griffen bewaffnete Einheiten der PKK erstmalig mehrere Polizeiund Militärstationen in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei an. 220 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus Sorge um ÖCALAN Die Sorge der PKK-Gemeinschaft um die Haftsituation und den Gesundheitszustand des PKK-Führers Abdullah ÖCALAN führt immer wieder zu geplanten aber auch spontanen, versammlungsrechtlichen Aktionen im gesamten Bundesgebiet. Anlässe sind z. B. Jahrestage, wie die Verhaftung ÖCALANs am 15. Februar 1999 oder akute, zum Teil unbestätige Meldungen über ÖCALANs Zustand. So verbreitete sich im März 2021 das Gerücht über den angeblichen Tod des PKK-Führers. Auch wenn die türkischen Behörden dieses zeitnah dementierten, folgten dennoch zahlreiche PKKAnhänger den Aufrufen der PKK-nahen Dachorganisationen. Im Vorfeld des Jahrestags der Festnahme ÖCALANS am 15. Februar 1999 in Kenia wurde eine mehrwöchige dezentrale Aktionskampagne unter dem Namen "Die Zeit ist reif - Freiheit für Öcalan" ins Leben gerufen. In der Folge kam es in verschiedenen deutschen Städten zu Aktionen und Kundgebungen. Ein Teil dieser Kampagne waren 22 Busse, die, als sogenannte fahrende Öcalan-Bibliotheken hergerichtet, durch Deutschland fuhren, um u. a. auf die Haftsituation ÖCALANS aufmerksam zu machen. Für den 10. März 2021 waren sowohl in Magdeburg als auch in Halle (Saale) entsprechende Stationen und damit verbundeVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 221 AuslAndsbezogener extremismus ne Kundgebungen vorgesehen. Aufgrund des offensichtlichen Bezugs zur PKK untersagten die zuständigen Behörden diese Veranstaltungen jedoch. Anlässlich des 72. Geburtstags Abdullah ÖCALANS am 4. April 2021 machte das "Solibündnis Kurdistan-Magdeburg" mit einer "Aufkleberaktion" auf sich aufmerksam. Anhänger des Bündnisses hatten u. a. zahlreiche Stromverteilerkästen, Verkehrsschilder und Laternenpfähle mit Aufklebern versehen. Auf diesen war Abdullah ÖCALANs zusammen mit dem Spruch "Freiheit für Öcalan" abgebildet. Für den 2. Oktober 2021 hatte die KON-MED zu einer Großdemonstration "Freiheit für Öcalan" vor dem Europaratsgebäude in Straßburg (Frankreich) aufgerufen. Im Anschluss daran sollte unweit des Türkischen Konsulats eine mehrwöchige Mahnwache in Form eines Zeltlagers durchgeführt werden. Nachdem die französischen Behörden die versammlungsrechtliche Aktion verboten hatten, löste die Polizei das Camp auf. Hierbei kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen. Eigenen Angaben zufolge haben sich auch Anhänger des "Solibündnisses Kurdistan-Magdeburg" an dem Zeltlager beteiligt. Bemühungen zur Aufhebung des PKK-Verbots Eine "Initiative PKK-Verbot aufheben" rief für den Zeitraum vom 22. bis 27. November 2021 zu einer bundesweiten Aktionswoche gegen das PKK-Verbot in Deutschland auf. Den Abschlussvsollte eine Demonstration unter dem Motto "PKK-Verbot beenden - politische Lösungen fördern" am 27. November in Berlin bilden. Im Verlauf der Demonstration kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Vorfeld waren verbotene PKK-Symbole gezeigt und Pyrotechnik abgebrannt worden. Sowohl das "Solibündnis Kurdistan-Magdeburg" als auch das "Rojava Solibündnis Halle" 222 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus hatten vor der Veranstaltung zu Informationsabenden eingeladen; auch wurden gemeinsame Anreisen organisiert. Alljährliche Großveranstaltungen Die für die PKK überaus wichtigen jährlichen Großveranstaltungen konnten in diesem Jahr teilweise stattfinden. Jedoch nahmen jeweils nur wenige PKK-Anhänger aus Deutschland teil. Vielmehr wurden im Bundesgebiet entsprechende dezentrale Veranstaltungen organisiert. So organisierte das vom "Rojava Solibündnis Halle" anlässlich des Jahrestages der Ermordung dreier PKK-Aktivistinnen in Paris (Frankreich) am 9. Januar 2021 die Gedenkveranstaltung "In Gedenken an die Morde von Paris". Das kurdische Newrozfest wurde ebenfalls in Form diverser kleinerer Veranstaltungen durchgeführt. Einzig das "29. Internationale kurdische Kulturfestival" fand als zentrale Veranstaltung am 24./25. September 2021 unter dem Motto "Status für Kurdistan - Freiheit für Öcalan" in Landgraaf/Niederlande statt. Da das Zeigen von PKK-Symbolen in den Niederlanden nicht unter Strafe steht, konnte die PKK ihr Festival dort ohne jegliche Einschränkungen durchführen, was wohl auch der Grund für die Verlegung der Veranstaltung ins Ausland war. So wurden auf dem Veranstaltungsgelände zahlreiche PKK-Fahnen und andere in Deutschland verbotene Symbole gezeigt. Nach Angaben der örtlichen Behörden reisten etwa 5.000 Personen an. In der Vergangenheit hatte die PKK-Europaführung teils mehr als 30.000 Menschen zur Teilnahme an diesen Großveranstaltungen motivieren können. Aufgrund pandemiebedingter Einschränkungen waren derartige Teilnehmerzahlen nicht erreichbar. Rekrutierungsbemühungen Für den bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten bemüht sich die PKK auch in Deutschland intensiv, junge Menschen als Kämpfer für die Guerillaeinheiten zu gewinnen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 223 AuslAndsbezogener extremismus Dazu bedient sie sich insbesondere der PKK-nahen Medien für ihre Propagandaarbeit. Auch die jährlichen Großveranstaltungen werden für Rekrutierungsbemühungen genutzt. Regelmäßig erscheinen "Werbevideos", die den persönlichen Einsatz innerhalb der PKK-Kampfeinheiten als heldenhaft verklären und verherrlichen. Neben zumeist kurdischen Jugendlichen oder jungen kurdischen Kämpfern treten in diesen Propagandavideos auch Deutsche in Erscheinung, die sich der bewaffneten Einheiten der PKK/PYD angeschlossen haben. So sollen sich auch nichtkurdischstämmige Jugendliche angesprochen fühlen. In einem am 1. Mai 2021 auf dem Nachrichtenportal ANF erschienenen Video berichtet ein aus Sachsen-Anhalt stammender junger Mann über seine Motivation, aus Deutschland auszureisen und sich als sogenannter Internationalist den kämpfenden Einheiten der PKK anzuschließen. Er verklärt die vor Ort Kämpfenden als Helden und ruft dazu auf, ebenfalls in die umkämpften kurdischen Gebiete zu kommen. Seit 2013 haben sich fast 300 Personen aus Deutschland in die kurdischen Krisengebiete begeben und sich dort den verschiedenen PKK-Kampfeinheiten angeschlossen. Mindestens 32 der Ausgereisten sind dort ums Leben gekommen. Eine von ihnen soll Sarah Handelmann sein, die nach Angaben von PKK-Medien im April 2019 bei einem türkischen Luftangriff getötet wurde. 224 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 AuslAndsbezogener extremismus Das "Solibündnis Kurdistan-Magdeburg" richtete für Handelmann im April 2021 einen "Gedenkort" in Magdeburg ein. Über die damit einhergehende Gedenkveranstaltung berichtete das Nachrichtenportal ANF ebenfalls. Auch diese verherrlichende Art des Märtyrergedenkens dient letztlich den Rekrutierungsbemühungen der PKK. Zusammenarbeit mit Linksextremisten In den vergangenen Jahren kam es wiederholt und stetig zu themenbezogener Kooperation zwischen Anhängern der marxistisch ausgerichteten PKK und linksextremistischen Gruppierungen. Dies geschieht vorrangig dann, wenn sich von Linksextremisten besetzte Themenfelder wie z. B. Antiimperialismus, Antifaschismus oder Antimilitarismus mit den Themenfeldern der PKK überschneiden. Dies führt zu gegenseitiger Unterstützung in weiteren Bereichen, wie z. B. dem Kampf gegen das PKK-Verbot. Gerade in Hinblick auf versammlungsrechtliche Aktivitäten erweitert diese Unterstützung die Mobilisierungsmöglichkeiten der PKK, wenn Linksextremisten für entsprechende Demonstrationen werben, an diesen teilnehmen oder diese zum Teil auch eigenverantwortlich organisieren. Im Gegenzug beteiligen sich auch PKK-Anhänger an Demonstrationen von Linksextremisten. Zudem drückt sich die Zusammenarbeit zwischen PKK-Anhängern und Linksextremisten in vielen gemeinsam getragenen Bündnissen aus. Innerhalb dieser Bündnisse sind die sogenannten Internationalisten angesiedelt. Als solche bezeichnen sich Menschen, die für politische Belange, die den Rahmen von Nationalstaaten überschreiten, aktiv werden. Im Fall der PKK handelt es sich dabei um zumeist linksgerichtete bzw. linksextremistische Personen aus ganz Europa, die sich für die Belange der Kurden intensiv einsetzen. Dies kann die Teilnahme an Demonstrationen umfassen, aber auch die Beteiligung an kämpferischen Auseinandersetzungen in den kurdischen Siedlungsgebieten. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 225 AuslAndsbezogener extremismus In Sachsen-Anhalt gehören das "Solidaritätsbündnis KurdistanMagdeburg" und das "Rojava Solibündnis Halle" dazu. Beide initiierten im Berichtszeitraum zahlreiche Aktionen. Beispielhaft steht, wie bereits im vergangenen Jahr, eine Veranstaltung in Magdeburg anlässlich des Jahrestags der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der Guerilla-Truppen der PKK am 15. August 1984. Die Kooperation findet sich auch auf anderen Ebenen wieder. So wurde auf dem Jahreskongress der KON-MED am 6. Juni 2021 in Köln (Nordrhein-Westfalen) der gemeinsame Beschluss gefasst, mittels intensiver Unterstützung des "Rote Hilfe e.V." gegen die "Kriminalisierung" der PKK vorzugehen. 226 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Scientology organiSation Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Aktivitäten der PKK-Anhänger in Sachsen-Anhalt werden nach wie vor stark von den aktuellen politischen Ereignissen in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in Syrien und Nordirak geprägt. Insbesondere die anhaltenden militärischen Angriffe der türkischen Streitkräfte auf Stellungen der bewaffneten PKK-Einheiten führen zu meist unmittelbaren Reaktionen in Form von Kundgebungen oder Demonstrationen. Auch die stete Sorge um den Gesundheitszustand des PKK-Führers Abdullah ÖCALAN sowie dessen Haftsituation sind aufgrund einer damit einhergehenden Emotionalisierung nach wie vor geeignet, PKK-Anhänger zu öffentlichkeitswirksamen Protesten zu mobilisieren. Mit den unmittelbaren Reaktionen auf aktuelle Ereignisse in den kurdischen Siedlungsgebieten möchte die PKK in Deutschland Aufmerksamkeit im politischen Raum erlangen, um so möglichen Einfluss auf hiesige Entscheidungen, die politischen Beziehungen Deutschlands zur Türkei betreffend, zu nehmen. Dennoch konnte die PKK-Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt nicht an das Aktionsgeschehen vergangener Jahre anknüpfen. Erneut ließen pandemiebedingte Auflagen ein uneingeschränktes Agieren der PKK-Anhängerschaft nicht zu. Insbesondere öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der PKK-nahen Vereine in Magdeburg und Halle (Saale) waren kaum zu verzeichnen. Gleichwohl füllten das "Solibündnis Kurdistan-Magdeburg" und das "Rojava Solibündis Halle" diese Lücke. Beide initiierten den Großteil der 2021 festgestellten Veranstaltungen mit PKK-Bezügen. Es bleibt abzuwarten, ob die hiesigen PKK-Vereine nach Beendigung der Pandemielage wieder zu ihrem früheren Aktionismus zurückfinden. Die traditionellen PKK-Großveranstaltungen unterlagen einem weiteren Bedeutungsverlust. Da die Teilnehmerzahlen bereits vor der Pandemie rückläufig waren, erscheint es zweifelhaft, ob Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 227 AuslAndsbezogener extremismus ehemals übliche Teilnehmerzahlen von 20.000 bis 30.000 Beteiligten ohne entsprechende Einschränkungen wieder erreicht werden können. Auch zukünftig werden aktuelle politische Ereignisse in den kurdischen Siedlungsgebieten sowie die Sorge um den PKK-Führer Abdullah ÖCALAN zu Kundgebungen und Demonstrationen führen. Dabei kann insbesondere in Sachsen-Anhalt von einem zumeist friedlichen Auftreten ausgegangen werden. Die PKK in Deutschland wird einen ihrer wichtigsten Rückzugsund Finanzierungsräume nicht gefährden und weiterhin darum bemüht sein, dass die Mitglieder ihrer Organisationen gewaltfrei agieren. Auch sollen die bislang in Hinblick auf eine mögliche Aufhebung des Betätigungsverbots erlangten Erfolge nicht mit einem gewalttätigen Image konterkariert werden. Vereinzelte tätliche Auseinandersetzungen von zumeist jungen PKK-Anhängern mit der Polizei oder politisch Andersdenkenden in den vergangenen Jahren zeigten jedoch, dass die Bereitschaft, zur Gewalt zurückzukehren, nach wie vor vorhanden ist. Das Zusammenwirken von Linksextremisten und PKK-Anhängern hat sich weiter verfestigt und wird auch mittelfristig eine maßgebliche Rolle insbesondere im Bereich des Aktionsgeschehens einnehmen. 228 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Scientology organiSation SCIENTOLOGY ORGANISATION (SO) Sitz Los Angeles (USA) Verbreitung "Scientology-Kirche Deutschland" (SKD) München; weitere Niederlassungen in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Hannover und Stuttgart Gründung 1954 von Lafayette Ronald Hubbard (1911-1986) in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Struktur Die Scientology-Organisation (SO) ist eine interAufbau nationale Organisation mit strikter Hierarchie und totalitärem Anspruch. Deutschland nimmt in Europa eine herausragende Bedeutung ein. Der Dachverband in Deutschland ist die "Scientology-Kirche Deutschland" (SKD) mit Sitz in München. Die lokalen Niederlassungen der SO sind nur scheinbar selbständig, sie sind in das weltweite, aus den USA gesteuerte System eingebunden. Nebenorganisationen der SO : "Office of Special Affairs" (OSA), "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e. V." (KVPM), "World Institute of Scientology Enterprise" (WISE), "Applied Scholastics" (ApS), "Criminon", "Narconon", "Jugend für Menschenrechte", "The Way to Happiness Foundation" (TWTHFoundation), "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 229 Scientology organiSation Mitglieder Sachsen-Anhalt: instelliger Bereich Anhänger (2020: einstelliger Bereich) Bund: 3.600 (2020: etwa 3.500) Veröffentlichungen Web-Angebot: www.scientology.de Internationale Publikationen: Impact, Scientology News, Celebrity, Source, Freewinds, OT-Universe, The Auditor, Advance Deutschsprachige Publikation: Freiheit Finanzierung Vertrieb von kostenpflichtigen Kursen und Materialien; Spenden Kurzportrait / Ziele 1 2 Die international aktive "Scientology Organisation" (SO) strebt ein totalitäres gesellschaftliches System nach Vorlage der Ideologie des Gründers Hubbard ("Clear-Planet") an. Die Einteilung der Menschen erfolgt in "Aberrierte", d. h. Nicht-Scientologen, geistig Gestörte, deren Menschenrechte eingeschränkt werden müssen und "Nichtaberrierte" (= Scientologen). Nach der unabänderlichen und bindenden Ideologie von Hubbard wird der "Clear-Planet" angestrebt: Alle Menschen gehören demnach der scientologischen Gesellschaft an. Grund der Beobachtung Die Lehre der SO stellt eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Nicht nur Einschränkungen wesentlicher Grundund Menschenrechte - wie Meinungsfreiheit und 1 - Das "S" steht für Scientology. Das untere ARCDreieck steht für Affinität, Realität und Kommunikation (Communication), das obere KRC-Dreieck steht für Wissen (knowledge), Verantwortung (responsibility) und Kontrolle (control). 2 - Das Scientology-Kreuz entstand 1954, L. Ron Hubbard fand den grundlegenden Entwurf für das Sonnenkreuz der Scientology in einer alten spanischen Mission in Arizona. 230 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Scientology organiSation Gleichberechtigung - sind Konsequenzen der Lehre, sondern es wird auch eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen angestrebt. Zum Erreichen der Ziele verfolgt die Organisation zumeist verdeckt die Beeinflussung sowohl der Gesellschaft und Wirtschaft als auch der Politik. Mit der Entscheidung des OVG Münster vom 12. Februar 2008 ist die Rechtmäßigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz bestätigt worden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick SO unternimmt weiterhin Anstrengungen, um gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen, die Organisation zu vergrößern und die finanziellen Einnahmen zu erhöhen. Hierzu versucht sie insbesondere junge Erwachsene anzusprechen. Ihrem Ziel der Errichtung einer scientologischen Gesellschaft wird die SO in Sachsen-Anhalt nicht näher kommen. Ihr gelingt es nach wie vor nicht, Mitglieder zu gewinnen und Strukturen aufzubauen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 231 Spionageabwehr Spionageabwehr Spionage zielt darauf, auf illegale Weise schützenswerte, geheimhaltungsbedürftige und geheim gehaltene Informationen aus bzw. über andere Staaten zu gewinnen oder Einfluss auf die Tätigkeit staatlicher Behörden auf allen Ebenen zu nehmen. Der Begriff umfasst nachrichtendienstliches Agieren fremder Mächte zum verdeckten und illegalen Erkunden und Beschaffen von nichtöffentlichen Informationen zu politischen Faktoren sowie wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und militärischen Potenzialen eines anderen Staates. Dies soll dem spionierenden Staat einen Informationsvorsprung verschaffen. Das Interesse beinahe aller Regierungen der Staaten dieser Welt ist auf das Gewinnen umfangreicher Informationen aus dem Ausland gerichtet. Als eine der führenden Exportnationen mit Standorten zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie, aufgrund der bedeutenden Position innerhalb der Europäischen Union (EU) und der NATO sowie ihrer geostrategischen Lage ist die Bundesrepublik Deutschland ein prioritäres Aufklärungsziel für Nachrichtendienste fremder Staaten. Die Aufgabe der Spionageabwehr ist es daher, sich mit der Aufklärung, der Abwehr und der Prävention von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste zu beschäftigen. Sie sammelt Informationen über geheimdienstliche Aktivitäten und wertet sie aus. Die gesetzliche Grundlage dafür bildet SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA. Allen tatsächlichen Anhaltspunkten für sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes wird im Rahmen der "360-Grad-Bearbeitung" nachgegangen. Dabei arbeitet die Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), den Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV), dem Bundesamt für den militärischen 232 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Abschirmdienst (BAMAD) sowie allen anderen Sicherheitsbehörden zusammen. Die Tätigkeit fremder Nachrichtendienste wird im Zielland von der jeweiligen Spionageabwehr beobachtet. Nachrichtendienstangehörige fremder Mächte werden daher unter dem Schutz des Diplomatenstatus oder konsularischem Schutz in den Auslandsvertretungen der fremden Staaten untergebracht. Man spricht hierbei von Legalresidenturen. Fremde Nachrichtendienste setzen zur Erlangung nichtöffentlicher bzw. geheimhaltungsbedürftiger Informationen nicht nur ihr eigenes Personal ein, sondern versuchen regelmäßig auch, Bürgerinnen und Bürger des Gastlandes für ihre Zwecke zu gewinnen. Diese Vorgehensweise ist als Agentenführung bekannt. Hinzu treten nachrichtendienstlich gesteuerte Aktivitäten im Internet, bei denen verschiedene Kanäle genutzt werden, um politische Ebenen der Gastländer zu beeinflussen und eine größtmögliche Durchschlagskraft zu erreichen. Dies reicht von Cyberangriffen bis zur Einflussnahme über die sozialen Medien, in denen von so genannten "Trollfabriken" Posts, in denen Meinungen und Tatsachen mit "Fake News" gemischt sind, gesetzt werden. Ebenso veröffentlichen sogenannte "Robots" tendenziöse Meinungen in erheblichem Umfang in den Kurznachrichtendiensten. Eine weitere Handlungsoption ist das "Leaken" von Daten; das ist das illegale Veröffentlichen vertraulicher personenbezogener Daten, um Opfer bloßzustellen, ihres Einflusses zu berauben oder lächerlich zu machen. Ferner werden erbeutete Dateien mit Malware versehen und dann, z. B. als nicht erkennbar kompromittierte Sendungen über gehackte Konten, einer "zweiten Nutzung" zugeführt. Hauptakteure dieser sicherheitserheblichen Aktivitäten gegen Deutschland und Sachsen-Anhalt sind die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 233 Spionageabwehr Schließlich besteht für deutsche Staatsangehörige auch im Hinblick auf Auslandreisen, insbesondere in die Russische Föderation und nach China, die Gefahr, das Interesse dortiger Nachrichtendienste zu wecken. Dies kann insbesondere Firmenvertreter und Angehörige des Öffentlichen Dienstes betreffen. Erfahrungen in der Vergangenheit haben gezeigt, dass immer wieder Reisende mit vermeintlichen Vorwürfen zu Fehlverhalten oder Straftaten angesprochen werden und kompromittierende Situationen geschaffen werden, um Druck auszuüben und in diesem Kontext erfolgreich für nachrichtendienstliche Tätigkeiten zu werben bzw. die Preisgabe von Informationen zu erwirken. Ebenso muss bei solchen Reisen mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass mitgeführte Unterlagen und Technik (Mobiltelefone, Laptops etc.) im Interesse eines Nachrichtendienstes ausspioniert werden. Russische Föderation Alle nationalen und internationalen deutschen Politikfelder, die einen Bezug zur Russischen Föderation aufweisen, - vor allem Handlungsgebiete der Außen-, Sicherheits-, Bündnisund Wirtschaftspolitik - sind von Interesse für die russischen Nachrichtendienste. Aufklärungsmaßnahmen richten sich speziell gegen politische Mandatsträger, Denkfabriken, Nichtregierungsorganisationen und Vereine mit Bezügen zu Russland oder anderen osteuropäischen Staaten. Russische Nachrichtendienste versuchen speziell durch Propaganda und Desinformation, insbesondere über staatlich gelenkte Medien, soziale Netzwerke und über ihre staatlichen Institutionen Einfluss auf Willensbildungsprozesse auszuüben und in dieser Folge destabilisierend Misstrauen und negative Stimmung in der hiesigen Bevölkerung zu schüren. 234 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Die drei maßgeblichen Nachrichtendienste sind: - der Auslandsnachrichtendienst Sluschba Wneschnei Raswedki (SWR), - der Inlandsnachrichtendienst Federalnaja Sluschba Besopasnosti (FSB) und - der militärische Nachrichtendienst Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU). Sie flankieren die Interessen der Regierung mittels verborgener und offener Maßnahmen und haben weitreichende gesetzliche Befugnisse. Neben den Ministerien für Verteidigung, Inneres und Justiz sowie weiteren Sicherheitsbehörden gehören sie zum unmittelbaren Einflussbereich des russischen Staatspräsidenten. Angehörige russischer Nachrichtendienste, die in Deutschland aus den Botschaften und Konsulaten heraus operieren, missbrauchen ihren diplomatischen Status und das Vertrauen ihrer nicht selten arglosen Kontaktpersonen. Oft kommen sie allein durch geschickte Gesprächsführung an schutzbedürftige Informationen heran. Sofern Kontaktpersonen interessante Informationen liefern können, versuchen diese "Legalresidenturoffiziere", die bislang offenen Kontakte auszubauen und konspirative Elemente in die Verbindung einzuführen. Offene Telefonate werden vermieden, konspirative Treffen im Voraus festgelegt und persönliche Zuwendungen intensiviert. Zum Abschöpfen von Informationen bauen die Nachrichtendienstmitarbeiter vertrauensvolle und freundschaftliche Verbindungen auf. Dazu werden Bitten um Zusammenstellung unverfänglicher Informationen geäußert, denen konkrete Beschaffungsaufträge folgen können, die mit Sachoder Geldleistungen honoriert werden. Die Bitte um absolute Verschwiegenheit, die von einem Vertreter einer konsularischen oder diplomatischen Vertretung geäußert wird, kennzeichnet eine konspirative, nachrichtendienstliche Verbindung. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 235 Spionageabwehr Schließlich operieren russische Nachrichtendienstangehörige auch auf deutschem Territorium, um im Ausland illegale Interessen ihres Staates gegen Oppositionelle oder "Staatsfeinde" durchzusetzen. Im sogenannten "Tiergartenmordfall" verurteilte das Kammergericht Berlin am 15. Dezember 2021 den russischen Staatsbürger Vadim KRASIKOV wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und stellte die besondere Schwere der Schuld fest. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mord an einem ausländischen Staatsbürger im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit am 23. August 2019 im Auftrag staatlicher russischer Stellen erfolgte. Das Urteil ist rechtskräftig. Chinesische Nachrichtendienste Klar definiertes Ziel der politischen Führung der Volksrepublik China (VRC) ist es, strategische Vorteile zu gewinnen, die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern und die Position der weltweit führenden Industrienation einzunehmen. Verfolgt werden diese Ziele durch Informationsgewinnung in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft sowie in der Unterstützung des weiteren Ausbaus geostrategischer Ambitionen der VRC. Dies ist auch die primäre Aufgabe der Nachrichtendienste der VRC, die ein wichtiges Instrument zur Absicherung des Machterhalts der "Kommunistischen Partei" (KPCh) sind. Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste agieren konspirativ und häufig getarnt als Journalisten, Studenten oder Diplomaten, die an den amtlichen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland (Legalresidenturen) eingesetzt werden. Die VRC verfügt über folgende Nachrichtendienste: - den zivilen Inund Auslandsnachrichtendienst Ministry of State Security - Ministerium für Staatssicherheit (MSS), - das Ministry of Public Security - Ministerium für Öffentliche Sicherheit (MPS) und - den mimilitärischen Nachrichtendienst Military Intelligence Directorate - Direktorium für den Militärischen Nachrichtendienst (MID). 236 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Zudem unterhält die KPCh mehrere funktionale Nachrichtendienste,1 die neben den staatlichen Nachrichtendiensten weitere Instrumente zur Durchsetzung ihrer Interessen im Ausland darstellen: - Das "Büro 610" dient der weltweiten Überwachung der Meditationsbewegung "Falun Gong", - das International Liaison Department of the Central Committee of the Communist Party of China (IDCPC), das Tatsachen und Erkenntnisse über Partnerparteien und Kontrahenten der KPCh sammelt und auswertet, - das United Front Work Department (UFWD), welches Mitglieder und Nicht-Mitglieder der KPCh innerhalb der VRC und weltweit an die Interessen der KPCh bindet und für die Umsetzung der Parteilinie sorgt. Die chinesische Regierung versucht, gezielt Einfluss auf politische und wissenschaftliche Akteure anderer Staaten zu nehmen und universell gültige Menschenrechte zu relativieren. Dies geschieht unter anderem über die Konfuzius-Institute (KI), die zwar offiziell den Anschein der Unabhängigkeit zu erwecken versuchen, tatsächlich aber einer direkten politischen Einflussnahme unterliegen. Die Institute sind teilweise den Hochschulen der Zielländer angegliedert und organisatorisch eng mit ihnen verflochten. Derzeit gibt es 19 chinesische KI in Deutschland. Nach eigener Aussage fördern sie die chinesische Sprache und Kultur im Ausland. Mehrere Universitäten haben die Kooperation oder ihre finanzielle Unterstützung eingestellt. Die weltweit tätigen Institute waren bis 2020 dem "Hanban"2, einer nachgeordneten Behörde des chinesischen Erziehungs ministeriums, zugeordnet. Um den Anschein der Unabhängigkeit zu erwecken, sind die KI im Juni 2020 in die "Beijing Chinese 1 - Ein funktionaler Nachrichtendienst ist eine Organisation, die Spionage betreibt, ohne Nachrichtenoder Geheimdienst zu sein. 2 - "Hanban" ist die chinesische Abkürzung für "Staatliches Führungsgruppenbüro für die internationale Verbreitung der chinesischen Sprache". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 237 Spionageabwehr International Education Foundation (CIEF)" überführt worden. Mit der gleichzeitigen Gründung des "Center for Language Education and Cooperation (CLEC)" am bisherigen Sitz und als Nachfolger von "Hanban" zeigte sich jedoch, dass damit inhaltlich und personell keine nennenswerte Neuausrichtung der Institutionen verbunden ist. Es ist davon auszugehen, dass die Nähe der KI zur KPCh daher weiterhin bestehen bleibt und eine Entideologisierung der KI nicht zu erwarten ist. KI gefährden vielmehr auch weiterhin die akademische Freiheit in Forschung und Lehre und werden als wichtige politische Einflussakteure und Instrumente der Machtprojektion der KPCh im Ausland aktiv bleiben.3 Das Ausspähen und die Unterwanderung von in Deutschland lebenden oppositionellen Kräften, die von der chinesischen Regierung unter der Bezeichnung "Fünf Gifte" als staatsfeindlich beschrieben werden, ist ein weiterer nachrichtendienstlicher Schwerpunkt. Die innerstaatlichen Konflikte mit Oppositionellen und nationalen Minderheiten werden von der KPCh als Bedrohung der staatlichen Sicherheit wahrgenommen. Nach wie vor von großer Bedeutung ist das geostrategische Projekt "Neue Seidenstraße" bzw. "Belt and Road Initiative" (BRI), mit der die chinesische Staatsführung das Ziel verfolgt, den Zustrom von Rohstoffen in die VRC zu beflügeln und den eigenen Warenabsatz zu verbessern. Die BRI bildet den geologistischen Rahmen, um die Strategie der Staatsführung "Made in China 2025" umzusetzen. Es gilt, die westliche Innovationsdominanz zu übertreffen und bis zum Jahr 2049 die globale Marktund Technologieführerschaft zu erreichen. Die VRC beabsichtigt daher, die Schlüsselindustrien wie beispielsweise neue Informationstechnologien, Luftund Raumfahrt, neue Energien und alternative Antriebe auszubauen. Die Partnerländer der BRI nehmen ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von der VRC, die sich aufgrund der Vorfinanzierung der Errichtungsund Ausbaukosten von 3 - Vgl. Bundestagsdrucksache 19/29891 vom 19.05.2021 238 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Häfen, Autobahnen und weiteren großen Infrastrukturprojekten durch chinesische Kredite ergibt, oftmals bewusst in Kauf. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Die Bekämpfung und Ausspähung von im Inund Ausland lebenden bzw. tätigen oppositionellen Personen und Gruppierungen - hier sind insbesondere der "Nationale Widerstand Iran" und sein ehemals militärischer Arm, die "Volksmodschahedin Iran-Organisation", iranisch-monarchistische Gruppierungen und iranisch-kurdische Gruppierungen sowie die nach Deutschland geflohenen Iraner zu nennen - gilt dem vorrangigen Interesse iranischer Nachrichtendienste. In diesem Kontext mehren sich seit Jahren Hinweise auf staatsterroristische Aktivitäten mit iranischem Ursprung in europäischen Ländern. Das Ministry of Intelligence of the Islamic Republic of Iran (MOIS) gilt als Hauptakteur nachrichtendienstlicher Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland. Daneben betreiben die Revolutionsgarden der Iranian Revolutionary Guard Corps (IRGC) den eigenen Nachrichtendienst Revolutionary Guard Intelligence Directorate (RGID) und verfügen mit den Quds Force über Spezialkräfte für militärische Kommandoaktionen und Staatsterrorismus. Insbesondere gegen (pro-)jüdische und (pro-) israelische Ziele sowie einzelne exponierte, für diese Einrichtungen tätige Personen, die vorbereitend für den Bedarfsfall als potenzielle Anschlagsziele aufgeklärt werden, richten sich die Ausspähungsaktivitäten der Quds Force. Führende Politiker Irans haben den Staat Israel wiederholt zum Feindstaat erklärt und öffentlich mit Vernichtungsdrohungen belegt. Iranisch unterstützte Terrororganisationen wie Hizbollah und HAMAS greifen den Staat Israel mit Waffengewalt an. In der Bundesrepublik Deutschland wurden in den letzten Jahren wiederholt geheimdienstliche Ausspähungsaktivitäten und Cyberangriffe iranischer Nachrichtendienste festgestellt. Das so genannte "Mabna Institut", eine Cyberangriffseinrichtung Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 239 Spionageabwehr der iranischen Revolutionswächter (Pasdaran), setzte die 2016 begonnenen Angriffsaktivitäten fort und bedrohte sachsen-anhaltische Institutionen und deren ausländische Partner. Andere Nachrichtendienste Die Nachrichtendienste Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens werden in Deutschland neben den angeführten Ländern hauptsächlich gegen Oppositionelle ihrer Heimatländer aktiv, speziell dann, wenn diese sich in Deutschland gegen die Regierungen ihrer Herkunftsländer engagieren. Im Zusammenhang mit nachrichtendienstlich relevanten Vorgängen auf deutschem Boden ist ein verstärktes Agieren der Nachrichtendienste der Türkei zu vernehmen. Der Inund Auslandsnachrichtendienst Milli Istihbarat Teskilati (MIT) hat in der türkischen Sicherheitsarchitektur eine zentrale und tragende Rolle. Die Aufklärung der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und der sogenannten Gülen-Bewegung sind hierbei Hauptziele. Türkische Stellen sehen in dem islamischen Prediger Fethullah Gülen und dessen Anhängern die Verantwortlichen für den Putschversuch im Sommer 2016. Im Fokus türkischer Nachrichtendienste sind weltweit weitere Personen und Organisationen, die aus türkischer Sicht als extremistisch oder terroristisch beurteilt werden. Zu den nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegenüber Geflüchteten verweisen wir auf unsere Broschüre: "Aktivitäten extremistischer Akteure im Zusammenhang mit Flüchtlingen" (S. 41ff.). Diese kann unter: https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/ publikationen/publikationen-tagungsbaende/ heruntergeladen oder bestellt werden. 240 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Hybride Bedrohungen Die kombinierte Anwendung konventioneller und nicht-konventioneller Mittel im gesamten Spektrum ziviler bis hin zu (para-) militärischen Maßnahmen kennzeichnet hybride Bedrohungen. Im Regelfall zeichnen sie sich durch gezielte Verschleierung der eigenen Urheberschaft aus. Hybride Aktivitäten fremder Staaten zielen darauf ab, das gesamtgesellschaftliche und politische Gefüge in einem Land zu schwächen oder zu stören und damit eigene Zielsetzungen zu verfolgen. In den letzten Jahren sind diese Aktivitäten, die systematisch initiiert werden und mittlerweile ein Teil hybrider Strategien sind, zu einem bedeutsamen Mittel im Kampf um Einfluss und Vorherrschaft im globalen Gefüge geworden. Der Einsatz von Desinformationskampagnen stellt ein herausragendes Instrument dar. Mit der gezielten Verbreitung von Falschinformationen wird versucht, Politik, Gesellschaft oder bestimmte Personengruppen zu beeinflussen. Zielrichtung solcher Kampagnen ist die Infragestellung freiheitlicher, demokratischer Werte sowie des gesellschaftlichen Zusammenhalts in Deutschland und in westlichen Staaten allgemein. In der heutigen vernetzten Welt bietet das Internet die idealen Voraussetzungen für entsprechende Kampagnen. Diese sind leicht zu tarnen, häufig ist der Verursacher nicht erkennbar und bleibt anonym. Online ausgelöste und gesteuerte Initiativen sind verhältnismäßig kostengünstig umzusetzen und können sich enorm schnell und weit verbreiten. Wenn Diskussionen in sozialen Netzwerken gezielt gesteuert und Nachrichten manipuliert oder aus dem Kontext gerissen werden, kann Verwirrung entstehen und dies wiederum die öffentlichen Debatten beeinflussen. Ziel dieser hybriden Maßnahmen ist es, das Vertrauen in staatliche Stellen zu untergraben, Politiker und demokratische Prozesse zu delegitimieren oder gesellschaftliche Konfliktlinien zu vertiefen. Offene, pluralistische und demokratische Gesellschaften, die ein breites Meinungsspektrum zulassen und gerade nicht - wie in Autokratien zu beobachten - den MeiVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 241 Spionageabwehr nungskorridor verengen, sind besonders anfällig für solche Einflussoperationen. Es bedarf daher einer aufmerksamen Öffentlichkeit, um diesen Bedrohungen entgegentreten zu können. Wissenschaftliche Untersuchungen haben festgestellt, dass allein durch faktenbasierte Gegenkommunikationsmaßnahmen nur selten Desinformationsgläubige umgestimmt werden können.4 Auch die Vermittlungsart der Inhalte hat sich geändert. "Alternative" und desinformierende Medien und Moderatoren sind häufig untereinander vernetzt. Innerhalb dieser "Filterblasen" verweisen Narrative aufeinander und Mediennutzer entwickeln ein emotionales Verhältnis zu Informationen; ganzheitliche Narrative werden wichtiger als einzelne Fakten, rationale Argumente erzeugen keine Wirkung. Fakten werden durch Verschwörungsmythen erklärt und in weitere Verschwörungserzählungen eingebettet. Für viele Staaten, so die Russische Föderation und die VRC, ist die Pandemie weiterhin ein Aufhänger gewesen, sich global vorteilhaft zu positionieren oder ihre Interessen entsprechend zu vertreten. Dabei wird auch Desinformation betrieben und in bisherige Narrative eingepflegt. Hinzu traten neue Botschaften hybrid agierender Staaten, die vermeintlich gutes Krisenmanagement und Hilfsbereitschaft herausstreichen. Gleichzeitig werden vermeintliche Schwächen oder Defizite demokratischer Gemeinwesen in delegitimierender Weise propagandistisch aufbereitet und medial verbreitet. Die propagandistischen Botschaften zielen sowohl auf die jeweils eigene Öffentlichkeit als auch auf andere Staaten beziehungsweise den globalen Informationsraum. So versuchte der russische staatliche Auslandssender "RT",5 der dem russischen staatlichen Medienunternehmen "Rossija 4 - Vgl. The Guardian: "Facts won't fix this: experts on how to fight America's disinformation crisis" vom 01.01.2021, in: www.theguardian.com; abgerufen am 05.01.2021. 5 - Bis 2009 "Russia Today" 242 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Sewodnaja" untersteht, im Berichtsjahr, die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt als manipuliert darzustellen. "RT" beschrieb die Veröffentlichung der Wahlumfragen im Vorfeld der Wahl als "Zerrbild" und "realitätsfern" und unterstellte, dass die Umfragen die Wähler beeinflusst hätten. Die Berichterstattung von RT DE versuchte hierbei unterschwellig und beiläufig ohne aufsehenerregende plakative Anklagen, den Vertrauensverlust in Institutionen zu fördern. Das entspricht dem Vorgehen Russlands in der jüngeren Vergangenheit. Im September berichtete das ebenfalls "Rossija Sewodnaja" unterstehende Portal "Sputnik"6 über angebliche und zielgerichtete Diskriminierungen Ungeimpfter an der Universitätsklinik Halle (Saale). "RT" hat zudem einen erneuten Versuch unternommen, ein Vollprogramm in Deutschland zu starten. Am 16. Dezember 2021 lancierte der Staatssender RT ein Programm, das unter anderem via Satellit und über YouTube in Deutschland empfangen werden sollte. Wegen unzureichender Sendelizenzen und Verstöße gegen die YouTube-Richtlinien wurden diese Übertragungswege jedoch schon nach kurzer Zeit blockiert oder abgeschaltet. Russische Stellen reagierten mit Zensurvorwürfen gegen Deutschland. Die während des Pandemiegeschehens mit hybriden Bedrohungen und Desinformationskampagnen agierenden fremden Staaten werden ihre die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdenden Einflussnahmeoperationen weiter betreiben. Solange die Pandemie die Gesellschaft weiter bewegt, wird auch der Einsatz von Desinformation exemplarisch für den Gebrauch manipulativer Methoden im Kampf um die Deutungshoheit in gesellschaftlichen Diskursen weiter an Bedeutung gewinnen. Ein weiteres Mittel der hybriden Bedrohungen sind Cyberangriffe (siehe dazu auch den nachfolgenden Abschnitt "Cyberab- 6 - http://snanews.de Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 243 Spionageabwehr wehr"). Mit den im Zuge von Cyberangriffen erbeuteten Daten können in der Folgezeit z. B. Desinformationskampagnen vorbereitet werden. So werden in den sozialen Medien beispielsweise Konten von Politikern gehackt, übernommen und über diese Kanäle dann zunächst offiziell erscheinende Falschinformationen verbreitet. Weiterhin können erbeutete persönliche und intime Daten genutzt werden, um diese im falschen Kontext zu veröffentlichen. Die Betroffenen sollen diskreditiert oder gar erpresst werden. Bei so genannten "Hack-and-Leak-Operationen" versuchen die Angreifer, über das Abgreifen von Zugangsdaten zunächst an sensible oder private Informationen der Opfer zu gelangen, um diese später gezielt zu veröffentlichen. Ziel ist es, das öffentliche Meinungsbild über betroffene Personen oder über eine bestimmte Stelle (z. B. eine Partei oder Organisation) negativ zu beeinflussen. Vor dem Hintergrund der im Berichtszeitraum durchgeführten Wahlen auf Bundesund Landesebene war im Vorfeld zu befürchten, dass bei Cyberangriffen erbeutete Daten nicht nur der Spionage dienen sollten, sondern gezielt für Einflussoperationen und Desinformation angewendet werden könnten. Cyberabwehr Der Cyberraum hat sich in den letzten Jahren zu einem bedeutenden Aktionsfeld für fremde Nachrichtendienste sowie andere fremde staatliche oder staatlich unterstützte Akteure entwickelt. Sie nutzen eine Vielzahl von Möglichkeiten, um die Bundesrepublik Deutschland und ihre verbündeten und befreundeten Staaten zu schädigen, Informationen zu stehlen oder unbrauchbar zu machen. Die fortschreitende Digitalisierung und Vernetzung von Geräten, Arbeitsbereichen sowie Geschäftsund Produktionsprozessen bietet eine wachsende Anzahl von Angriffsvektoren. Im Fokus der Angreifer stehen jegliche Hardund Software, die über das Internet erreichbar sind. 244 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Die Notwendigkeit, in der Corona-Pandemie Fernzugriffssoftware einzusetzen, um Homeoffice für viele Beschäftigte zu ermöglichen oder Besprechungen, Tagungen und Konferenzen im Internet durchzuführen, hat zu einem Umdenken in Wirtschaft, Wissenschaft, Schulen und Behörden geführt. Schwere Cyberangriffe mit kriminellem Hintergrund im Jahr 2021, sog. Ransomwareangriffe, haben das Erfordernis eingehender IT-Sicherheitsschulungen und eine Verbesserung der IT-Sicherheitsausstattung von Institutionen herausgekehrt. Cyberangriffe - ob mit krimineller Intention oder nachrichtendienstlich von einem anderen Staat gesteuert - stellen eine ernste Bedrohung für den Betrieb kritischer Infrastrukturen sowie lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen dar. Die im Dezember 2020 entdeckten Schwachstellen im Microsoft Exchange Server konnten vom Hersteller erst Anfang März 2021 am "Patchday" geschlossen werden. Nur 14 Tage danach, noch im März, haben chinesische staatliche Cyberakteure diese für Cyberattacken ausgenutzt. Im Verlauf des Jahres sah sich Microsoft gezwungen, weitere Exploits zu patchen. Nunmehr konnte festgestellt werden, dass sowohl russische als auch iranische Cyberakteure versuchten diese ausnutzen. Für Unternehmen, Wissenschaft und Forschung sowie Behörden bleibt ein konsequentes, sehr zeitnah gelagertes Patchmanagement unabdingbar. Der Cyberakteur "Ghostwriter" griff im Frühjahr und im Sommer 2021 Parlamentarier des Deutschen Bundestages, von Landtagen und Kommunalparlamenten mit Phishing-Mails an, um deren Zugangsdaten zu Microsoft Outlook zu erhalten. Genutzt wurden dabei täuschend echt nachempfundene Warnmeldungen zweier bekannter deutscher E-Mail-Provider. Der Angreifer verfolgte das Ziel, belastende Dialoge zu erbeuten, um damit die betroffenen Politiker bloßzustellen, ggf. zu erpressen und das Vertrauen in demokratisch gewählte Parlamente auf Dauer zu untergraben sowie die erbeuteten E-Mail-Adressen für weitere, Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 245 Spionageabwehr neue Angriffe zu nutzen. Das Auswärtige Amt machte dafür in einer Pressekonferenz am 6. September 2021 den russischen militärischen Nachrichtendienst GRU verantwortlich. Auch in Sachsen-Anhalt waren Parlamentarier betroffen. Die Spionageabwehr hat auf Grund der Phishingangriffe Sensibilisierungsmaßnahmen eingeleitet. Sie informierte die Landtagsverwaltung und weitere politisch aktive Stellen und Personen umgehend, sensibilisierte zum Angriffsmodus und übermittelte Handlungsempfehlungen an die betroffenen Stellen. Die Bedrohung ist weiterhin akut. Der Verfassungsschutz hält Angebote zur Mitarbeitersensibilisierung von Unternehmen und Behörden vor, die auf nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberangriffe abzielen. Ransomwareangriffe werden nach derzeitigem Kenntnisstand überwiegend von Kriminellen geführt, um bei möglichst großen Zielen ein Lösegeld zu erpressen und sind daher von Polizei und Staatsanwaltschaft strafrechtlich zu verfolgen. Allerdings ist insbesondere bei Angriffen aus der Russischen Föderation, der VRC und Nordkorea angesichts der umfassenden Überwachungsund Unterdrückungsmechanismen davon auszugehen, dass derartige Cyberangriffe von staatlichen Stellen zumindest geduldet werden, um in den Zielländern destablilisierend zu wirken. Die tiefgreifende Verschlüsselung aller Daten der Opfersysteme, d. h. auch der für die Wiederherstellung der Produktivsysteme vorgesehenen Sicherungen (Backups) dürfte auf der mangelnden Segmentierung der IT-Netzwerke beruhen, für die der Wirtschaftsschutz seit vielen Jahren wirbt. Es ist auf Grund der massiven Bedrohung der Datenkonsistenz und -integrität von Produktivnetzwerken von Unternehmen und Behörden angezeigt, Backup-Systeme physisch vom Produktivnetz zu trennen. 246 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Wirtschaftsschutz (als präventives Element der Spionageabwehr) Sachsen-anhaltische Unternehmen sind nach wie vor und mit wachsender Intensität Cyberangriffen und fortbestehenden Gefahren der "klassischen" Ausforschung, die auf den Einsatz von Menschen für die illegale Erlangung geschützten Wissens setzt, ausgesetzt. Wirtschaftsspionage ist ungebrochen der gesetzliche Auftrag einiger fremder Nachrichtendienste. Der Wirtschaftsschutz als präventives Element der Spionageabwehr informiert über Mittel, Methoden und Absichten fremder Nachrichtendienste, sich illegal Know-how zu verschaffen. Ebenso informiert er über Extremismus und Staatsterrorismus. Er berät und unterstützt Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Forschungseinrichtungen und andere Institutionen, um Wirtschaft und Wissenschaft dabei zu unterstützen, eigenverantwortlich und effektiv Maßnahmen gegen Ausforschung (insbesondere Wirtschaftsspionage), Sabotage und andere schädliche Einwirkungen zu ergreifen. Das im Außendienst beschäftigte Firmenpersonal, das Auslandsdienstreisen unternehmen muss, unterliegt hierbei der stärksten Gefährdung, von fremden Nachrichtendiensten angesprochen oder verdeckt ausgeforscht zu werden. Unter wachsendem Ausspähungsdruck steht das wirtschaftliche Engagement von Unternehmen in der VRC, die Offenlegungspflichten gesetzlich festschreibt. Seit 2021 sind alle dort tätigen Unternehmen gesetzlich gezwungen, Exploits, also Sicherheitslücken in der Software, einer chinesischen Cybersicherheitsbehörde zu melden. Als Ausländische Direktinvestitionen (ADI) bezeichnet man den in einer globalisierten Welt üblichen Erwerb oder Teilerwerb von deutschen Unternehmen durch ausländische Investoren, die nicht zur EU gehören. Die VRC verfolgt mit Unternehmenskäufen im Rahmen von ADI das Ziel, über den legalen Know-how-Erwerb die Strategie Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 247 Spionageabwehr "Made in China 2025" umzusetzen. Die betreffenden Wirtschaftszweige sollen durchdrungen werden und es soll in den Schlüsseltechnologien eine beherrschende Stellung erlangt werden. Zur Vorsorge und zum Schutz kritischer Infrastrukturen sowie der für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedeutsamen Unternehmen sind daher gesetzliche Regelungen geschaffen worden: Wenn Akteure außerhalb der EU ein solches Unternehmen erwerben möchten, greift ein staatliches Prüfverfahren. Die außenwirtschaftsrechtliche Investitionsprüfung in Deutschland wird durch das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und die Außenwirtschaftsverordnung (AWV) geregelt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) ist die für die Investitionsprüfung zuständige Behörde. Die Übernahme von Unternehmen aus strategisch wichtigen oder sensiblen Industriesektoren wird damit zum Schutz nationaler und europäischer Sicherheitsinteressen weiter erschwert. Im Berichtszeitraum beteiligte sich der Wirtschaftsschutz im Rahmen seiner Zuständigkeit für die präventive Spionageabwehr an den das Land Sachsen-Anhalt tangierenden Prüfverfahren gemäß SS 55 Abs. 1 AWV und gab seine Voten zu einer voraussichtlichen möglichen Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ab. Der Wirtschaftsschutz bietet im Vorfeld von Unternehmenskäufen, die einer Investitionsprüfung bedürfen, den Veräußerern an, entsprechend zu sensibilisieren. Der Wirtschaftsschutz geht auf Unternehmen und Institutionen zu, wenn dies gewünscht ist oder konkrete Gefährdungshinweise vorliegen. Im Rahmen seiner Präventionsarbeit sucht der Wirtschaftsschutz insbesondere zu kleinen und mittleren Unternehmen Kontakt und wirbt dafür, Risiken und Bedrohungen durch fremde Nachrichtendienste ernst zu nehmen, entsprechend sensibel zu reagieren und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. 248 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Der Wirtschaftsschutz ist mit den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder, den Industrieund Handelskammern in Sachsen-Anhalt, mit Wirtschaftsverbänden sowie wissenschaftlichen Lehrund Forschungseinrichtungen vernetzt, um sein Wissen und seine Analysen im Interesse der Sicherheit von Wirtschaft und Forschung zu teilen. Das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt veranstaltete am 11. November 2021 gemeinsam mit der Industrieund Handelskammer (IHK) Halle-Dessau in den Räumen der IHK den 4. Wirtschaftsschutztag Sachsen-Anhalt. Eingangsthema war der angemessene Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zur Stärkung der Unternehmensresilienz gegen Cyberangriffe unter dem Motto "Digitale Fitness". Ein Vertreter des Bundesamtes für Verfassungsschutz erläuterte, wie man Maßnahmen des Wirtschaftsschutzes trotz der Pandemie bedingten Einschränkungen umsetzen kann. Weiterhin stellte das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik leicht umsetzbare Maßnahmen gegen Cyberbedrohungen vor. Abschließend präsentierten und diskutierten Unternehmer aus dem Kammerbezirk Best Practices ihrer Unternehmen in Bezug auf die Cybersicherheit. Auf Grund pandemiebedingter Kapazitätsgrenzen vor Ort fand der Wirtschaftsschutztag erstmals als Hybridveranstaltung statt. Mit rund 50 Teilnehmenden in Präsenz und weiteren rund 150 digital Teilnehmenden erreichte dieser Wirtschaftsschutztag den bislang größten Zuspruch. Allen sachsen-anhaltischen Unternehmen, Unternehmensverbänden, Forschungsund Wissenschaftseinrichtungen steht der Wirtschaftsschutz mit seinem Informationsangebot in Form von Publikationen, Sensibilisierungen und Vorträgen kostenfrei zur Verfügung. Treten Sie mit uns in Kontakt: Telefon: 0391/567 3900 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 249 Spionageabwehr Aktuelle Informationen sind zu folgenden Spezialthemen verfügbar: - Cloud Computing. Was KMU wissen und beachten sollten. - Besuchermanagement. Umgang mit Besuchern und Fremdpersonal. - Elektronische Angriffe. Gefahren für Informationsund Kommunikationstechnik. - Fokus Wissenschaft. Gefahren für Forschung und Lehre. - Geschäftsreisen. Sicherheit bei Auslandsreisen. - Industrie 4.0. Herausforderungen neuer Technologien. - Know-how-Schutz. Identifizieren. Bewerten. Schützen. - Personalauswahl. Loyalität als Sicherheitsgewinn. - Sicherheitslücke Mensch. Gefahr durch Innentäter. - Social Media. Risiken durch soziale Netzwerke. - Social Engineering. Informationsbeschaffung durch soziale Manipulation. Proliferationsabwehr Mit Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen, die Weiterverbreitung der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, die Weiterverbreitung von Trägersystemen (Raketen, Drohnen etc.) und die Weiterverbreitung des dafür erforderlichen Know-hows. Die Finanzierung der Proliferation unterliegt ebenfalls einem strengen Sanktionsregime. Proliferation stellt eine Bedrohung des Friedens dar. Die Nachrichtendienste der Risikostaaten Pakistan, Nordkorea, Syrien und Iran stehen im Verdacht, Proliferation zu betreiben 250 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr oder logistisch und personell Unterstützung zu leisten. Um illegale Exporte durchzuführen, wird beispielsweise der Endnutzer einer sensiblen Ware verschleiert und eine Beschaffung über Umweglieferländer gewählt; zudem werden Tarnfirmen und Strohmänner genutzt. Weitere Hinweise und Merkmale für Proliferation finden Sie in der Broschüre "Proliferation. Wir haben Verantwortung", die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder herausgegeben wird. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 251 Spionageabwehr Sie kann im Internet unter: https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/publikationen/ publikationen-spionage-und-proliferationsabwehr/ heruntergeladen oder als Druckschrift per E-Mail bei wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de angefordert werden. Mitarbeit der Bevölkerung Die Verfassungsschutzbehörde hat gemäß SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA den gesetzlichen Auftrag, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht zu sammeln und auszuwerten. Damit sie ihren Auftrag erfüllen kann, benötigt sie auch Hinweise auf die Tätigkeit fremder Nachrichtendienste aus der Bevölkerung. Alle Bürgerinnen und Bürger, die von derartigen Sachverhalten Kenntnis haben oder von fremden Nachrichtendiensten zur Mitarbeit aufgefordert wurden, werden gebeten, ihr Wissen zum Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zur eigenen Sicherheit an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben. Die Verfassungsschutzbehörde kann Menschen, die bereits im Interesse fremder Staaten nachrichtendienstlich tätig geworden sind, dabei helfen, sich aus einer ausweglos erscheinenden Situation zu befreien. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen nicht wie die Strafverfolgungsbehörden dem Legalitätsprinzip und sind daher nicht in jedem Fall verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden über Hinweise auf Spionagedelikte zu informieren. Voraussetzung ist die freiwillige Aufgabe der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und eine umfassende Offenbarung. Die Verfassungsschutzbehörde bietet jederzeit Hilfe an und sichert Vertraulichkeit zu. 252 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Spionageabwehr Das Gleiche gilt für die Übermittlung etwaiger Verdachtsmomente sowie von Informationen über mögliche Sicherheitsvorfälle und Cyberangriffe. Die Spionageabwehr des Landes Sachsen-Anhalt ist zu erreichen unter: Telefon: 0391/567 3900 Fax: 0391/567 3999 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de Sie bietet allen Bürgern, Unternehmen, Interessenverbänden, Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Behörden Sensibilisierungen zu den Themen Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr an. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 253 Geheimschutz Geheimschutz Allgemeines Verschlusssachen (VS) sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die - unabhängig von ihrer Darstellungsform - geheim zu halten und entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit mit einem der Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeichnen sind. Alle Institutionen des Bundes und der Länder müssen sich darauf verlassen können, dass Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden können, als im staatlichen Interesse geheim zu haltende Informationen (VS) wirkungsvoll geschützt werden. Jeder, dem eine VS anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist, trägt die persönliche Verantwortung für ihre sichere Aufbewahrung und vorschriftsmäßige Behandlung sowie für die Geheimhaltung ihres Inhalts gemäß den Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung für das Land Sachsen-Anhalt (VSA). Geheimschutz im öffentlichen Bereich Personeller Geheimschutz Mit dem personellen Geheimschutz soll verhindert werden, dass Personen mit Sicherheitsrisiken Zugang zu VS erhalten. Das hierzu genutzte Instrument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Verantwortung für diese Sicherheitsmaßnahmen liegt bei den zuständigen Stellen. Im öffentlichen Bereich des Landes ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. Die zuständige Stelle bestellt zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen Geheimschutzbeauftragten und einen Vertreter. 254 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Geheimschutz Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SÜG-LSA) geregelt. Die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalts beruht auf SS 4 Abs. 2 Nr. 1 VerfSchG-LSA in Verbindung mit SS 4 Abs. 3 SÜG-LSA. Gründe, die einem Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegenstehen, können sich ergeben aus insbesondere: - Zweifeln an der Zuverlässigkeit (z.B. aufgrund von Straftaten, Drogenoder Alkoholmissbrauch); - Gefährdungen durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (z. B. im Falle einer Überschuldung, da dies ein Ansatzpunkt sein kann, um den Betroffenen gegen Geldzahlung zu einer Verletzung seiner Pflichten zu veranlassen); - Zweifeln am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (z. B. wegen extremistischer Betätigung). Die Frage, ob sich aus einem derartigen Umstand tatsächlich ein Sicherheitsrisiko ergibt, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Art der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu prüfen. Eine Sicherheitsüberprüfung darf nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz befasst sich mit technischen und organisatorischen Sicherheitsvorkehrungen, die verhindern oder zumindest erschweren sollen, dass Unbefugte an geschützte Informationen gelangen. Die Verfassungsschutzbehörde hat hierbei die Aufgabe, öffentliche Stellen und geheimschutzbetreute Unternehmen des Landes zu beraten, wie sie am besten technische Sicherungsmaßnahmen planen und durchführen können. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 255 StatiStik Extremistisches Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt 2019 2020 2021 Rechtsextremisten Weitgehend unstrukturierter, meist subkulturell geprägter Rechtsextre740 770 780 mismus Parteiungebundener Rechtsextre360 365 395 mismus Parteigebundener Rechtsextremis180 155 165 mus (Parteien) Summe: 1.280 1.290 1.340 Gesamt (nach Abzug der Mehrfach1.230 1.230 1.250 mitgliedschaften) Linksextremisten Gewaltorientierte Linksextremisten 290 300 300 Nicht gewaltorientierte 260 290 300 Linksextremisten Gesamt: 550 590 600 Islamisten 400 400 400 Reichsbürgerszene (inkl. Rechtsextremisten innerhalb 500 500 600 dieser Szene) PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 250 250 250 GESAMTZAHL aller Extremisten in Sachsen-Anhalt (nach Abzug von 2.930 2.970 3.100 Mehrfachmitgliedschaften) 256 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Bildnachweis Seite 14 MI LSA Seite 32 III. Weg Seite 45 Internetseite des entsprechenden Vertriebs (2x) Seite 46 Telegram Seite 48 Telegram Seite 49 Internetseite der entsprechenden Kampagne Seite 51 Logo NPD Seite 52 NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt Seite 59 Logo DR Seite 63 DR Seite 64 III. Weg Seite 69 MI LSA Seite 70 Logo IBD (2x) Seite 76 IBD Seite 77 Telegram; Seebrücke Hamburg Seite 78 MI LSA Seite 79 Logo IfS Seite 90 NSP (2x) Seite 92 Telegram Seite 98 Telegram Seite 99 Telegram Seite 100 Facebook Seite 101 Facebook Seite 102 Internetseite der entsprechenden Kampagne Seite 105 "Artgemeinschaft" Seite 106 "Artgemeinschaft" Seite 107 "Artgemeinschaft" Seite 108 "Artgemeinschaft" Seite 110 Telegram Seite 114 Telegram Seite 117 "Inititiative B 81" Seite 119 "S.H.A.E.F." Seite 121 Telegram Seite 124 Telegram Seite 125 Telegram Seite 128 MI LSA Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 257 Bildnachweis Seite 131 Facebook Seite 132 Telegram Seite 136 MI LSA Seite 138 Twitter Seite 144 Twitter Seite 145 MI LSA Seite 147 de.indymedia Seite 149 MI LSA Seite 152 Facebook Seite 153 Twitter Seite 154 MI LSA Seite 155 Logo AJH; Instagram Seite 156 MI LSA Seite 158 Instagram; ZK Seite 159 Facebook Seite 160 ZK Seite 161 MI LSA Seite 162 Twitter Seite 165 MI LSA Seite 167 MI LSA Seite 170 AJH Seite 171 Twitter Seite 173 Twitter Seite 175 MI LSA Seite 177 MI LSA Seite 179 Logo RH Seite 181 MI LSA Seite 182 AZ "Kim Hubert" Seite 183 de.indymedia Seite 184 Logo MLPD Seite 185 MLPD Seite 187 MLPD Seite 188 MI LSA Seite 189 Logo DKP; Marxistische Blätter (Screenshot) Seite 191 MI LSA (2x) 258 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 Bildnachweis Seite 202 Screenshot aus einer Sendung einer pro-IS Medienplattform Seite 205 Wikipedia Seite 206 Logo TJ Seite 212 Twitter Seite 213 Logo PKK; Logo KCDK-E Seite 214 Logo Kon-Med; Logo Fed-Kurd Seite 219 Twitter; Facebook Seite 220 ANF Seite 221 Twitter Seite 222 MI LSA Seite 224 Twitter Seite 226 Logo "Solidaritätsbündnis KurdistanMagdeburg"; Logo "Rojava Solibündnis Halle", Twitter Seite 228 Facebook Seite 230 Logo und Zeichen SO Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2021 259 Verteilerhinweis Dieser Bericht wird vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Er darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern während des Wahlkampfes zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich sind insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass sie als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, die Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden.