Verfassungsschutzbericht 2018 Verfassung Terrorismus Information G Linksextremismus N Extremismusprävention Ausländerextremismus U SS Aufklärung Islamismus Bewertung Spionageabwehr FA SE Demokratie Rechtsextremismus ES Analyse Reichsbürgerszene R P Sensibilisierung Wirtschaftsschutz IMPRESSUM Herausgeber: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Halberstädter Straße / "Am Platz des 17. Juni" 39112 Magdeburg Bezugsadresse: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Postfach 18 49 39008 Magdeburg Tel: 0391/567-3900 Druck: ? ? ? Dieser Verfassungsschutzbericht ist auch im Internet abrufbar: https://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/ verfassungsschutzberichte-zum-downloaden/ Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt für das Jahr 2018 Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt InhaltsverzeIchnIs VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT 7 GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND FUNKTION 7 Schwerpunktaufgaben 9 Arbeitsweise 11 Öffentlichkeitsarbeit 12 Präventionsarbeit 13 Auskunftserteilung 16 Rechtsextremismus 17 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 20 Partei "DIE RECHTE" (DR) 28 Partei "Der III. Weg" (III. Weg) 33 "Identitäre Bewegung" Deutschland" (IBD) 36 "Magdeburger gegen die Islamisierung des Abendlandes" 2.0 (MAGIDA 2.0) 46 "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft Lebensgestaltung" e.V. ("Artgemeinschaft") 50 Nationalsozialisten (Neonazis) 53 Weitgehend unstrukturierte, meist subkulturell geprägte Rechtsextremisten 68 Reichsbürgerszene 92 "Reichsregierungen", "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 95 LINKSEXTREMISMUS 104 Gewaltbereite Linksextremisten, insbesondere Autonome 110 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 130 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland" (MLPD) 133 "Rote Hilfe e.V." (RH) 137 4 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 InhaltsverzeIchnIs Islamistische Bestrebungen 141 Salafistische Bestrebungen 145 Muslimbruderschaft (MB) / "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) / HAMAS 152 "Gemeinschaft der Verkündigung der Mission" (Urdu: "Tablighi Jama'at", TJ) 156 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 158 "Arbeiterpartei Kurdistans" (kurdisch: Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) 160 SCIENTOLOGY ORGANISATION (SO) 169 Spionageabwehr 173 Russische Nachrichtendienste 174 Chinesische Nachrichtendienste 175 Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 179 Andere Nachrichtendienste 180 Cyberangriffe 180 Wirtschaftsschutz 182 Proliferationsabwehr 184 Mitarbeit der Bevölkerung 185 GEHEIMSCHUTZ 187 ANHANG 190 Statistik 190 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 5 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT GESETZLICHE GRUNDLAGEN UND FUNKTION Die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; sie soll den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder gewährleisten. Die Aufgaben des Verfassungsschutzes in unserem Bundesland nimmt das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt als Verfassungsschutzbehörde wahr. Der Verfassungsschutz informiert im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags die Landesregierung und andere Stellen. Diese sollen dadurch in die Lage versetzt werden, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen zu können. Ebenso unterrichtet er die Öffentlichkeit über seine Aufgabenfelder (vgl. SS 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt; nachfolgend VerfSchG-LSA). Sie bestehen in der Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129 und 129a des Strafgesetzbuches (StGB), Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 7 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes (GG), 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des GG, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 5. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Unter Bestrebungen im verfassungsschutzrechtlichen Sinn sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in oder für einen Personenzusammenschluss zu verstehen, die sich gegen die oben unter den Nummern 1., 4. und 5. genannten Schutzgüter richten. Ein Personenzusammenschluss besteht aus mehreren, gemeinsam handelnden Personen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, gelten nur dann als Bestrebung und werden vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des VerfSchG-LSA erheblich zu beschädigen (vgl. SS 5 Abs. 1 VerfSchG-LSA). Voraussetzung für das Sammeln und Auswerten von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für vorstehend genannte Bestrebungen oder Tätigkeiten. Für das Handeln der Verfassungsschutzbehörde ist es nicht erforderlich, dass eine konkrete Gefahr besteht oder eine begangene Straftat vorliegt. Der Verfassungsschutz wird bereits im Vorfeld konkreter Gefahren oder Straftaten tätig. Insbesondere darin kommt auch die Frühwarnfunktion des Verfassungsschutzes zum Ausdruck. 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Schwerpunktaufgaben Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Eine Schwerpunktaufgabe des Verfassungsschutzes besteht gemäß SS 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA im Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, mithin dem Schutz der nicht zur Disposition stehenden Elemente des Grundgestzes. In seinem Urteil vom 17. Januar 2017 - 2 BvB 1/13 - führt das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) aus, dass der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG jene zentralen Grundprinzipien umfasst, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Dies sind: - Prinzip der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG), - Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG), - Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG). Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Ferner ist das Demokratieprinzip konstitutiver Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unverzichtbar für ein demokratisches System sind die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung der Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG). Für den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind schließlich die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt (Art. 20 Abs. 3 GG) und die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte bestimmend. Zugleich erfordert die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit des Einzelnen, dass die Anwendung physischer Gewalt den gebundenen und gerichtlicher Kontrolle unterlieVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 9 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt genden staatlichen Organen vorbehalten ist. Dem entspricht die gesetzliche Aufzählung der Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in SS 5 Abs. 2 VerfSchG-LSA, ergänzt um den Verweis auf die in der Landesverfassung konkretisierten Menschenrechte. Spionageabwehr Die Spionageabwehr ist gemäß SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde. Sie beschäftigt sich mit der Aufklärung, Abwehr und Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und Völkerverständigung Ein anderer Arbeitsschwerpunkt des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Dazu gehören in erster Linie gewaltbereite extremistische Gruppen mit Auslandsbezug, die von unserem Staatsgebiet aus gewaltsame Aktionen planen und vorbereiten, um die politischen Verhältnisse im Ausland, vordringlich in ihrem Herkunftsland, gewaltsam zu verändern und dadurch die staatlichen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den betroffenen Staaten beeinträchtigen (vgl. SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG-LSA). Sofern sich Bestrebungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker richten, unterliegen diese ebenfalls der Beobachtung durch den Verfassungsschutz (vgl. SS 4 Abs. 1 Nr. 5 VerfSchG-LSA). Davon erfasst sind Personenzusammenschlüsse, die darauf abzielen, konfessionelle oder ethnische Gruppen im Ausland zu bekämpfen. 10 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Mitwirkung in Angelegenheiten des Geheimschutzes Gemäß SS 4 Abs. 2 VerfSchG-LSA wirkt der Verfassungsschutz im Rahmen des Geheimschutzes und des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen des öffentlichen und nichtöffentlichen Bereichs mit. Er berät zudem bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen. Arbeitsweise Der Verfassungsschutz stützt sich bei der Informationserhebung weitgehend auf offen zugängliches Material wie Zeitungen, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Rundfunkberichte, Interviews, Parteiprogramme und offene Internetinhalte. Er darf Informationen auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauenspersonen und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen verdeckt erheben (vgl. SS 7 Abs. 3 Verf-SchG-LSA). Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählt auch die Brief,Postund Telefonkontrolle. Der hiermit verbundene Eingriff in das Grundrecht nach Artikel 10 GG ist nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) zulässig. Die Verfassungsschutzbehörde erhebt, verarbeitet und nutzt die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten. Dies geschieht unter Beachtung des Datenschutzgesetzes Sachsen-Anhalt und der besonderen Regelungen des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt. Die Landesregierung unterliegt auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes der Kontrolle des Landtages. Diese Aufgabe nimmt die Parlamentarische Kontrollkommission wahr (vgl. SSSS 24 ff. VerfSchG-LSA). Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 11 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Für besondere Aufgaben des Verfassungsschutzes waren im Haushaltsplan 2018 im Einzelplan 03 insgesamt 792.900 Euro angesetzt. Der Verfassungsschutzbehörde standen im Berichtsjahr 110 Dienstposten/Arbeitsplätze zur Verfügung. Öffentlichkeitsarbeit Mit ihrer Öffentlichkeitsarbeit unterstützt die Verfassungsschutzbehörde die geistig-politische Auseinandersetzung mit extremistischem und terroristischem Gedankengut und dient damit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Regierung und Parlament, aber auch Bürgerinnen und Bürger werden so über Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert. Verfassungsschutzbericht Die Verfassungsschutzbehörde erfüllt mit diesem Bericht ihre gesetzlichen Unterrichtungspflichten, die in SS 15 Abs. 1 und 2 VerfSchG-LSA normiert sind. Bitte beachten Sie folgende redaktionelle Hinweise: - Soweit der Verfassungsschutzbericht einzelne Gruppierungen namentlich darstellt, handelt es sich - sofern nicht anders erwähnt - um Fälle, bei denen die vorliegenden Erkenntnisse in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele im Sinne des SS 4 Abs. 1 VerfSchG-LSA verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt (siehe Registeranhang). Allerdings erwähnt der Verfassungsschutzbericht nicht alle Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt. - Die Nennung lediglich extremistisch beeinflusster Gruppierungen dient dem Verständnis des sachlichen Zusammenhangs. 12 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt - Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Sachsen-Anhalts sind in den Bericht aufgenommen, sofern sie für das Verständnis des Gesamtzusammenhangs erforderlich sind. - Die in Anführungszeichen gefassten Textteile sind, so es sich um Zitate handelt, in der Originalschreibweise wiedergegeben. - Die jeweiligen Mitgliederzahlen der Personenzusammenschlüsse sind zum Teil geschätzt und gerundet. - Personenund Funktionsbezeichnungen in diesem Bericht gelten jeweils in weiblicher und männlicher Form. - Fußnoten sind fortlaufend im jeweiligen Abschnitt ausgewiesen. Die Verfassungsschutzberichte der letzten fünf Jahre können im Internet unter der Adresse: www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz heruntergeladen oder bei der Verfassungsschutzbehörde kostenlos angefordert werden. Präventionsarbeit Die Extremismusprävention ist seit Jahren ein fester Bestandteil der Arbeit des Verfassungsschutzes Sachsen-Anhalt. Die Verfassungsschutzbehörde informiert Landtag, Landesregierung, Gerichte, Staatsanwaltschaften, Kommunen und weitere Behörden, um frühzeitig vor Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu warnen. Der Verfassungsschutz steht somit allen Menschen im Land als Informationsdienstleister zur Verfügung. Dieser Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit Behörden sowie sonstigen privaten und zivilen Institutionen über die Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes und die damit einhergehende Bereitstellung von Informationen über verfassungsfeindliche Bestrebungen ist ein Bestandteil Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 13 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt des unmittelbaren Demokratieschutzes. Deshalb ist die Unterrichtung der Öffentlichkeit ein wichtiges Anliegen des Verfassungsschutzes. Dies geschieht mit dem jährlichen Verfassungsschutzbericht, öffentlichen Vorträgen und Fachtagungen sowie über unsere Internetseiten und die Pressearbeit. Themenfelder sind insbesondere die verschiedenen Erscheinungsformen des politischen Extremismus: Rechtsextremismus, Reichsbürgerszene, Linksextremismus, Ausländerextremismus und Islamismus. Im Bereich der Spionageabwehr sowie des Wirtschaftsund Wissenschaftsschutzes bietet die Verfassungsschutzbehörde Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen neben allgemeinen Informationen auch vertrauliche Beratung und Unterstützung zum Schutz vor Spionage an. Der Verfassungsschutz hat im Berichtsjahr Vorträge, Informationsveranstaltungen und Schulungen für Angehörige der Polizei, der Justiz und anderer Behörden sowie für Institutionen, Verbände und Unternehmen angeboten. Darüber hinaus nahmen Vertreter des Verfassungsschutzes als Referenten an Veranstaltungen zivilgesellschaftlicher Institutionen teil. Eine intensive Zusammenarbeit besteht auch mit Wirtschaftsverbänden und Unternehmen. Im Berichtsjahr besuchten mehr als 2.000 Personen die Vorträge und Informationsveranstaltungen des Verfassungsschutzes und informierten sich so direkt zu zu den Themenfeldern und Aufgaben des Verfassungsschutzes. Teilnehmer waren neben interessierten Bürgerinnen und Bürger vor allem Angehörige von Feuerwehr, Justiz, Polizei, Bundeswehr, Verwaltungen und Unternehmen. Diese nutzen die gewonnen Informationen nicht nur unmittelbar selbst, sondern geben sie auch als Multiplikator an ihr Umfeld weiter. Besonders stark nachgefragt waren die Themenfelder Reichsbürgerszene und Islamismus. Mittlerweile ist zudem ein steigendes Informationsinteresse zum Linksextremismus zu verzeichnen. 14 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Die Veranstaltungsformate richten sich sowohl an größere Personenkreise, in denen möglichst viele Adressaten erreicht werden, als auch an kleinere Runden, in denen ein gezielter und gegebenenfalls vertraulicher Austausch von Wissen und Erfahrungen stattfinden kann. Von Veranstaltern und sonstigen Interessierten kann dieses Angebot nachgefragt werden und Referenten des Verfassungsschutzes können zu Veranstaltungen eingeladen werden. Das Vortragsangebot nutzen auch diverse Bildungseinrichtungen. Dem jeweiligen Veranstalter oder dem unterrichtsgestaltenden Lehrer obliegt die Einbindung in das eigene Veranstaltungsoder pädagogische Konzept. Die Vorträge bilden Beiträge zur Information und sind Grundlage für weiterführende Diskussionen. Wünschen Sie weitere Informationen? Dann wenden Sie sich bitte direkt an uns: Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt Nachtweide 82 39124 Magdeburg Telefon: +49(0)391/567-3900 E-Mail: verfassungsschutz@mi.sachsen-anhalt.de oder besuchen Sie uns im Internet unter www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz Hier finden Sie weitere Informationen und unsere aktuellen Publikationen, die wir Ihnen auch am Ende dieses Berichts vorstellen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 15 Verfassungsschutz in sachsen-anhalt Auskunftserteilung Jeder Bürger kann unentgeltlich Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten beantragen. Die Verfassungsschutzbehörde ist nach SS 14 Abs. 1 VerfSchG-LSA grundsätzlich verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Geht ein Ersuchen ein, wird der Ersuchende zunächst gebeten, eine Kopie seines Personalausweises oder eines entsprechenden Personendokuments zur Identitätsfeststellung zu übersenden. Dies soll die angefragte Person davor schützen, dass möglicherweise andere Personen in seinem Namen Auskunft verlangen und Daten möglicherweise an Unberechtigte übermittelt werden. Die Auskunft hat nach SS 14 Abs. 2 VerfSchG-LSA zu unterbleiben, wenn bestimmte, im Gesetz geregelte Ausschlussgründe vorliegen. Dies ist beispielsweise gegeben, wenn durch die Auskunftserteilung eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde drohen würde. Im Berichtsjahr gab es 240 Auskunftsersuchen: Auskunft über die zur Person gespeicherten Daten 6 Negativauskunft, keine Daten gespeichert 192 Keine Bearbeitung mangels Identifizierung des 42 Ersuchenden Auskunftsersuchen insgesamt 240 16 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Rechtsextremismus Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Sachsen-Anhalt verharrt seit einigen Jahren auf gleichem Niveau. Auch das Berichtsjahr weist im Vergleich zum Vorjahr nur marginale Unterschiede auf. Rechtsextremisten 2016 2017 2018 Parteigebundener Rechtsextremis265 265 265 mus (Parteien) Parteiungebundener Rechtsextre410 350 340 mismus Weitgehend unstrukturierter, meist 800 760 740 subkulturell geprägter Rechtsextremismus Summe: 1.475 1.375 1.345 Gesamt (nach Abzug der Mehrfach1.400 1.300 1.300 mitgliedschaften) (Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet.) In Sachsen-Anhalt sind Strukturen des traditionellen Rechtsextremismus nach wie vor aktiv. Die Beobachtung gewaltbereiter Strukturen und die daraus abzuleitende frühzeitige Unterrichtung der Strafverfolgungsbehörden besitzt bei der Bearbeitung des Rechtsextremismus weiterhin höchste Priorität. Sinkende Gewalttatenzahlen dürfen nicht über das anhaltende hohe Gefährdungspotenzial im Rechtsextremismus hinwegtäuschen. Auch wenn die absoluten Zahlen eine Kontinuität widerspiegeln, befindet sich die rechtsextremistische Szene in Bewegung. Der traditionelle Rechtsextremismus der 1990er und Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 17 RechtsextRemismus 2000er Jahre sieht sich Modernisierungsprozessen ausgesetzt. Die Vereinzelung und Kleinteiligkeit in den Strukturen setzen sich fort und haben sich beschleunigt. Die Fragmentierung einst homogener Personenzusammenschlüsse führt wiederum zu einer Vielfältigkeit der Strukturen und Aktivitäten von Rechtsextremisten. Diese Entwicklung wird wesentlich von der Digitalisierung und internetbasierter Kommunikation beeinflusst. Die Digitalisierung verändert die Kommunikationsund Meinungsbildungsprozesse. Gesellschaftliche Entwicklungen sind zunehmend als hochkomplexes dynamisches System erfahrbar, dessen Agieren heute nur unscharf zu prognostizieren ist. Der Rechtsextremismus als gesellschaftspolitische Teilmenge unterliegt ebenso dieser Entwicklung. Die Übergänge der rechtsextremistischen Aktivitäten zwischen virtueller und Realwelt finden durch die nahezu flächendeckende Verbreitung und Nutzung sozialer Medien und Messenger-Dienste statt.1 Die Ereignisse in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) im Spätsommer, aber auch die musikalisch-politischen Großveranstaltungen außerhalb Sachsen-Anhalts verdeutlichen, wie Extremisten mit wenig Aufwand ein singuläres und regionales Vorkommnis zu einem das ganze Land bestimmenden Ereignis machen. Die jedem zur Verfügung stehenden Kommunikationsmittel helfen dem Rechtsextremismus, seine Regionalität und latente Isolierung zu durchbrechen und sie befördern eine (virtuelle) Netzwerkbildung. Zudem vermögen es rechtsextremistisch konnotierte Netzwerke - wie das Demonstrationsgeschehen in Chemnitz und Köthen zeigte - verstärkt Nicht-Extremisten einzubinden und damit eine "rechtsoffene Mischszene" zu generieren, die dann den antitotalitären Konsens der Mehrheitsbevölkerung anlassbezogen oder in Gänze verlässt. Auch das macht die rechtsextremistischen Netzwerke schlagkräftiger. 1 Der Anteil der Internetnutzer in Deutschland betrug im Jahr 2017 laut Statistischem Bundesamt 87 Prozent. Bis zum 44. Lebensjahr beträgt die Quote annähernd 100 Prozent. Über 50 Prozent sind Nutzer sozialer Netzwerke. 18 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Die einstige Strahlkraft der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) nimmt weiter ab. Die Themen der früheren Wortführerin im rechtsextremistischen Parteienspektrum werden auch von anderen Gruppierungen und Netzwerken bedient, die ihrerseits modernere Aktionsformen anbieten als die NPD und Aufmerksamkeit und Akzeptanz erfahren. Die Neonaziszene versteht sich im Kanon der rechtsextremistischen Erscheinungsformen als konsequente Verfechterin nationalsozialistischer Themen. So finden sich immer wieder Personen zu so genannten Zeitzeugenvorträgen, Heß-Gedenkaktionen oder Demonstrationen für Holocaustleugner zusammen. Im Heft 12 des neonazistischen Periodikums "N.S. HEUTE" ist zum Selbstverständnis des Neonazismus Folgendes nachzulesen: "Die Gesellschaft, in der wir heutigen Nationalen Sozialisten leben, welche uns 'Neonazis' nennt, ist eine vollkommen andere als die, welche vor 100 Jahren unsere weltanschaulichen Vorgänger 'Nazis' nannte. Das ist natürlich kein Grund, auch nur 1 % unserer Weltanschauung aufzugeben, zu ändern oder zu verbiegen. Von unseren unerschütterlichen weltanschaulichen Standpunkten her bleiben wir immer das, was wir waren - damals wie heute. Lediglich die Art unserer Agitation und der äußere Rahmen sind anders geworden." Aber auch völkisch orientierte alternative Lebensweisen, wie sie die "Artgemeinschaft" propagiert, bleiben für einen Teil des Rechtsextremismus attraktiv. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 19 RechtsextRemismus "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Sitz Landesverband: postalisch Berlin Verbreitung Bundesverband: Berlin Gründung Landesverband: 1990 (als Landesverband "Mitteldeutsche Nationaldemokraten") Bundesverband: 1964 Struktur Landesvorsitzender: Steffen THIEL Aufbau (Zeitz, Burgenlandkreis, seit November 2017) Bundesvorsitzender: Frank FRANZ (Saarland) Kreisverbände in Sachsen-Anhalt: Altmark, Anhalt-Bitterfeld, Bördekreis, Burgenlandkreis, Halle (Saale), Harz, Jerichower Land, Magdeburg, Mansfeld-Südharz, Saalekreis, Salzland, Wittenberg Mandatsträger in den Kommunalvertretungen Sachsen-Anhalts im unteren zweistelligen Bereich Unterorganisationen: - "Junge Nationaldemokraten" (JN) - "Ring Nationaler Frauen" (RNF), - "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) Mitglieder Land: 220 (2017: 220) Anhänger Bund: 4.000 (2017: 4.500) VeröffentWeb-Angebot: www.npd-sachsen-anhalt.de lichungen Publikationen: "Deutsche Stimme" (Bundesverband, monatlich) 20 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Kurzportrait / Ziele Die NPD ist eine rechtsextremistische Partei mit verfassungsfeindlicher Ideologie und Zielsetzung. Ihre Programmatik ist auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet und weist darin Kernelemente eines rechtsextremistischen Weltund Menschenbildes auf. Ihr Bestreben ist es, die Gesellschaft im Sinne ihrer rassistischen, nationalsozialistischen und antisemitischen Vorstellungen zu prägen. Grund der Beobachtung Die NPD vertritt ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, dessen ideologisches Kernelement die Idee einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" ist. Davon ausgehend propagiert sie unverhohlen rassistische und fremdenfeindliche Positionen. Die "Vier Säulen-Strategie" der Partei, bestehend aus dem "Kampf um die Köpfe", dem "Kampf um die Straße", dem "Kampf um die Parlamente" und dem "Kampf um den organisierten Willen", verdeutlicht seit Jahren das Ziel der NPD, den demokratischen Verfassungsstaat systematisch und umfassend zu bekämpfen. Auch im Jahr 2018 wurde das Themenfeld "Anti-Asyl" von der NPD genutzt, um mit fremdenfeindlicher Agitation Ausländer pauschal mit Negativeigenschaften zu belegen und als Bedrohung für die Bevölkerung zu diffamieren. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In seiner Sitzung am 2. Februar hat der Bundesrat den Beschluss gefasst, beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gemäß Art. 21 Abs. 3 GG in Verbindung mit SSSS 3 Nr. 2a, 43 ff. Bundesverfassungsgerichtgesetz (BVerfGG) die Einleitung eines Verfahrens zum Ausschluss der NPD von der staatliVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 21 RechtsextRemismus chen Parteienfinanzierung zu beantragen. Dem Vorhaben des Bundesrates haben sich am 18. April die Bundesregierung und am 26. April der Bundestag angeschlossen. Ziel ist es, die NPD für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung nach SS 18 des Gesetzes über die politischen Parteien auszuschließen. Gegen die vorherige Änderung des Grundgesetzes und die damit verbundene Neueinführung des Art. 21 Abs. 3 GG hat die NPD Klage vor dem BVerfG erhoben. Das Gericht hat die Klage noch nicht zugestellt. Bundesparteitag der NPD Am 17. November fand in Büdingen (Hessen) der Bundesparteitag der NPD unter dem Motto "Festung Europa - Schutzzone Deutschland" statt. Der Kreisverband Wittenberg war dort vertreten und veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite Eindrücke vom Parteitag. Der Parteivorsitzende Frank FRANZ konstatierte in seiner Eröffnungsrede, die Partei befinde sich in "einer schwierigen Phase", die Mitgliederzahlen seien mit etwa 4.000 Mitgliedern leicht rückläufig. Auch würden der NPD durch andere Parteien, wie "DIE RECHTE" (DR), Wähler streitig gemacht. Es wurden zehn Kandidaten für die Europawahl im Mai 2019 gewählt. Auf den ersten Listenplatz wurde der ehemalige Bundesvorsitzende und Europaabgeordnete Udo VOIGT (Berlin) deutlich mit 88 von 106 Stimmen gewählt. Auf die Plätze 2 bis 10 wurden ohne Gegenkandidaten weitere zum Teil parteiprominente Funktionäre gewählt. Vertreter aus Sachsen-Anhalt kandidierten nicht. Strukturelle Entwicklung Der Kreisverband Mansfeld-Südharz wählte im August Henry LIPPOLD (Gerbstedt) erneut zum Vorsitzenden. Am 15. Dezember führte der Kreisverband Wittenberg seine Jahreshauptversammlung mit Vorstandswahl und Wahl der Kandidaten zur anstehenden Kommunalwahl 2019 durch. 22 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Benjamin FOCKE (Oranienbaum-Wörlitz) ist neuer Vorsitzender des Kreisverbandes. Die Landes-NPD nutzt die vielfältigen Möglichkeiten des Internets wie soziale Netzwerke, Videoplattformen und eigens erstellte Websites um mittels Selbstdarstellung und Propaganda auf sich aufmerksam zu machen und zu werben. Allen Auftritten gemeinsam ist die Agitation gegen Flüchtlinge und Migranten sowie die Dokumentation durchgeführter Veranstaltungen. Des Weiteren wird regelmäßig auf die vermeintliche soziale Ungerechtigkeit zwischen Asylbewerbern und "in Not geratenen" Deutschen aufmerksam gemacht. Neben geteilten Verlautbarungen werden nur selten eigene Beiträge der Kreisverbände veröffentlicht, lediglich der Kreisverband Wittenberg ist in diesem Bereich aktiv. Aktivitäten Auch wenn der NPD-Landesverband im Berichtsjahr wenige Aktivitäten entfaltete, versucht die NPD nach wie vor, zur politischen Willensbildung in der Gesellschaft beizutragen. Im Rahmen der offiziellen und für alle Bürger offenen Gedenkveranstaltung der Stadt Magdeburg anlässlich der Bombardierung Magdeburgs am 16. Januar 1945 war neben dem Landesvorsitzenden der DR auch der Beisitzer des Landesverbandes der NPD, Jens CZERSKI (Magdeburg) anwesend. CZERSKI beteiligte sich zudem an einer nicht angemeldeten versammlungsrechtlichen Aktion auf dem Magdeburger Domplatz in den Abendstunden desselben Tages. Der "Neujahresempfang" der NPD-Kreistagsfraktion im Burgenlandkreis fand am 3. März in Naumburg, OT Saaleck, mit etwa 30 Personen ohne Außenwirkung statt. Die Veranstaltung trug das Motto "Nur durch die Wahrheit geht's zur Freiheit!". Am 28. April hielt der Landesverband in Halle (Saale) eine vom Parteivorstand initiierte Regionalkonferenz ab. Unter den etwa Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 23 RechtsextRemismus 20 Teilnehmern waren auch der NPD-Parteivorsitzende FRANZ und der Chefredakteur der "Deutschen Stimme" Peter SCHREIBER (Sachsen). Vorgestellt wurden die neuen Kampagnen der Bundespartei, einerseits das Projekt "Schutzzone" und andererseits das Projekt "Deutsche helfen Deutschen". Für den Landesverband und seine Kreisverbände ist die Asylthematik weiterhin ein bestimmendes Thema. Die Kreisverbände präsentierten hierzu Infostände und Mahnwachen, beteiligten sich aber auch an Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene zum Thema. Beispiele hierfür sind: - Beteiligung von Angehörigen des NPD-Landesverbandes an einer Demonstration am 14. April in Merseburg (Saalekreis) gegen die Vergabe von Wohnraum an Asylbewerber, - Beteiligung des Kreisverbandes Harz an der NPD-Kundgebung "Kriegstreiber stoppen!" vor dem Bundeskanzleramt am 18. April in Berlin, - Teilnahme des Kreisverbandes Magdeburg an einer Demonstration unter dem Motto "Gegen Gewalt auf unseren Straßen" am 24. April in Dessau-Roßlau, - Mahnwachen des Kreisverbandes Mansfeld-Südharz mit dem Motto "Asylmissbrauch macht uns arm" beziehungsweise "Das Boot ist voll - Asylbetrüger abschieben" am 19. April in der Lutherstadt Eisleben und am 27. April in Sangerhausen, am 11. und 16. Mai in Hettstedt, am 18. Mai in der Lutherstadt Eisleben, am 30. Mai in Hettstedt, am 6. September in Sangerhausen und 7. und 20. September in der Lutherstadt Mansfeld, am 7. November in Klostermansfeld und 15. November in Helbra, - Infostände des Kreisverbandes Magdeburg "Heimreise statt Einreise" am 5. Mai und 16. Juni in Magdeburg und - Mahnwache "Asylbetrug macht uns arm" des Kreisverbandes Wittenberg am 25. August in Oranienbaum-Wörlitz. Die Mahnwachen und Infostände verliefen friedlich und hatten eine geringe Öffentlichkeitswirksamkeit, im Durchschnitt waren fünf Teilnehmer zu verzeichnen. 24 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Am Demonstrationsgeschehen in Chemnitz (Sachsen) und Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) im August und September beteiligte sich auch der NPD-Landesvorsitzende THIEL. Anlässlich des Konzertes einer Band am 6. November in Dessau-Roßlau teilte der NPD-Bundesorganisationsleiter SCHMIDTKE auf der Facebook-Seite des Kreisverbandes Anhalt-Bitterfeld per Videobotschaft mit, dass er an den Intendanten des Anhaltischen Theaters Dessau und den Oberbürgermeister der Stadt Dessau-Roßlau einen "Offenen Brief für mehr Kunst" gerichtet habe. In diesem fordert er, im Rahmen der künstlerischen Freiheit die rechtsextremistischen Rockbands "Lunikoff Verschwörung" und "Stahlgewitter" auftreten zu lassen und fragte diverse Termine an. Sein Video kommentierte er mit den Worten: "Da sind wir mal gespannt, mit wievielerlei Maß hier dann gemessen wird und ob die künstlerische Freiheit auch für nationalistische Künstler zählt. Oder wir wieder einmal die heuchlerische Verlogenheit dieser 'Demokratie' offenlegen." An einem so genannten Fackelmarsch der asylfeindlichen rechtsextremistischen Szene am 10. November in Magdeburg nahmen auch zahlreiche Mitglieder und Protagonisten des NPD-Landesverbandes teil, darunter der Landesvorsitzende THIEL, Gustav HAENSCHKE (Magdeburg), Henry und Gerhard LIPPOLD (beide Gerbstedt, Mansfeld-Südharz), Hartmut SCHIRMER (Aschersleben, Salzlandkreis) und Lutz BATTKE (Laucha, Burgenlandkreis). Im Zusammenhang mit der Kampagne "Migrationspakt stoppen!", warben die auf Facebook vertretenen Kreisverbände mit einem gleichlautendem Formschreiben gegen den Beitritt der Bundesregierung zum internationalen Abkommen "Global Compact for Migration". So ist unter anderem auf den Seiten der Kreisverbände zu lesen: "Was es braucht ist eine Minusmigration. Deutschland ist Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 25 RechtsextRemismus das Land der Deutschen und kein x-beliebiges Einwanderungsland!". Anlässlich des Volkstrauertages am 18. November legten die Kreisverbände Anhalt-Bitterfeld, Mansfeld-Südharz und Wittenberg als Ausdruck "der nationalen Erinnerungskultur vieler Deutscher" Kränze an Denkmälern für gefallene deutsche Soldaten nieder. Beteiligung an überregionalen Aktivitäten der NPD Vom 7. bis 8. Juli veranstaltete die europäische politische Stiftung "Europa Terra Nostra" (ETN) in Berlin zum dritten Mal ein Grundlagenseminar mit dem Titel "Politische Videoproduktion in Theorie und Praxis". Teilnehmer waren Personen aus dem gesamten deutschen Raum, darunter Landesschatzmeister und Landesvorstandsmitglied Thomas LINDEMANN (Lutherstadt Wittenberg). Bei ETN handelt es sich um eine Stiftung der rechtsextremistischen Partei "Allianz für Frieden und Freiheit" (APF), die auf der Ebene der Europäischen Union tätig ist. APF und ETN haben 2017 Finanzmittel im Rahmen der Parteienförderung des Europäischen Parlaments erhalten. Eine Registrierung der APF bei der Behörde für europäische politische Parteien und europäische politische Stiftungen ist 2018 wieder gelöscht worden, da die APF nicht die formale Voraussetzung erfüllte, wonach einer europäischen Partei Mitgliedsparteien (mit Parlamentariern) aus sieben EU-Mitgliedsstaaten angehören müssen. Die ETN wurde mittlerweile aus dem Register der anerkannten europäischen politischen Stiftungen entfernt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der NPD ist es 2018 nicht gelungen, ein Wiedererstarken der eigenen Strukturen einzuleiten und den fallenden Trend bei den Landtagswahlen der vergangenen Jahre zu stoppen. Ihre bundesweite Mitgliederzahl sinkt weiterhin. Der Landesverband Sachsen-Anhalt, der seine Mitgliedszahl stabil halten 26 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus konnte, stellt insofern eine Ausnahme dar. Mit dem Sitz des ehemaligen Parteivorsitzenden Udo VOIGT (Berlin) im EU-Parlament hat die NPD lediglich ein überregionales Mandat inne. Allerdings verfügt sie auf kommunaler Ebene sowohl in Sachsen-Anhalt als auch bundesweit noch über Sitze und Fraktionen in mehreren Kreistagen und Gemeinderäten. Angesichts der derzeitigen Lage der NPD ist offen, ob sie bei der Europawahl im Mai 2019 den für das Erringen eines Parlamentssitzes notwendigen Stimmenanteil erreichen wird. Die innerparteilichen Diskussionen über die künftige Ausrichtung geben den radikalen Kräften innerhalb der NPD weiteren Auftrieb. Diese fordern seit Längerem eine Fokussierung auf das rechtsextremistische Binnenspektrum und die Führungsrolle der Partei in einer parteiund strömungsübergreifenden "nationalen Sammlungsbewegung". Dem Landesverband Sachsen-Anhalt ist es trotz neuer Führungsriege nicht gelungen, seine Strukturen und Mitgliederzahlen auszubauen. Parteiarbeit und eigene politische Aktionen finden zwar statt, stoßen jedoch auf wenig Resonanz. Schwerpunkt der Agitation ist weiterhin das Themenfeld Asylund Flüchtlingspolitik. Dies spiegelt sich unter anderem in einzelnen Mahnwachen und Infoständen zum Thema wider, vor allem aber in der Teilnahme an Demonstrationen der (übrigen) rechtsextremistischen Szene. Um sich langfristig wieder als Wahlpartei zu etablieren wird die NPD versuchen, mit ideologischer Festigkeit, mit Offenheit für nicht parteiorientierte "Aktivisten" und mit der Organisation strömungsübergreifender Großveranstaltungen eine Führungsrolle im rechtsextremistischen Spektrum zurückzugewinnen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 27 RechtsextRemismus Partei "DIE RECHTE" (DR) 1 Sitz Landesverband: Halberstadt (Landkreis Harz) Verbreitung Bundesverband: Dortmund (Nordrhein-Westfalen) Gründung Landesverband: 30. November 2014 Bundesverband: 27. Mai 2012 Struktur Landesvorsitzender: Ingo ZIMMERMANN Aufbau (Landeshauptstadt Magdeburg) Bundesvorsitzende (Doppelspitze): Sascha KROLZIG (Nordrhein-Westfalen) Michael BRÜCK (Nordrhein-Westfalen) Mitglieder Land: etwa 30 (2017: etwa 30) Anhänger Bund: 600 (2017: 650) VeröffentWeb-Angebote: lichungen http://die-rechte.net http://www.rechte-sachsen anhalt.com Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Kurzportrait / Ziele Die Partei "DIE RECHTE" wurde mehrheitlich von Mitgliedern der Deutschen Volksunion (DVU), auf Initiative des bis zum 31. Oktober amtierenden Bundesvorsitzenden Christian WORCH (Mecklenburg-Vorpommern), in Hamburg gegründet. Inzwischen spielen die ehemaligen DVU-Mitglieder keine Rolle mehr. Eine Vormacht aus neonazistischen "Freien Kräften" bestimmt die Tagesordnung und somit auch die Richtung der Partei. Diese Entwicklung begann mit der Gründung des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen am 15. September 2012, dessen Mitglieder überwiegend den im August 2012 verbotenen neo- 1 http://www.rechte-sachsen-anhalt.com, abgerufen 14. Januar 2019 28 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus nazistischen Organisationen NWDO2, KS3 Hamm und KS Aachener Land angehörten. Der Landesverband Nordrhein-Westfalen ist nicht nur der mitgliederstärkste Landesverband der Partei, sondern besetzt auch überwiegend den Bundesvorstand. Ständiges Ziel der Partei ist das Erfüllen der rechtlichen Anforderung zur Aufrechterhaltung des Parteienstatus. So beteiligte sich die Partei mit einer Landesliste an der Bundestagswahl 2017. Für das Jahr 2019 ist der Antritt zur Europawahl vorgesehen, hierfür bemühte sich DR im Berichtszeitraum um die erforderlichen Unterstützerunterschriften. Grund der Beobachtung Teile des Parteiprogramms sind stark nationalistisch geprägt: Zur "Wahrung der Identität" der Deutschen und zum Schutz des "deutschen Staatsvolkes" fordert DR beispielsweise ein "Zurückdrängen der Amerikanisierung" und anderer "übermäßiger fremder Einflüsse", die "Eindämmung ungezügelter Zuwanderung", die "Aufhebung der Duldung von Ausländern" sowie ein "Werbeverbot in ausländischen Sprachen". Das Parteiprogramm weist auch gebietsrevisionistische Züge auf: "Die Abtrennung der deutschen Gebiete östlich von Oder und Neiße als Kriegsfolge widerspricht völkerrechtlichen Grundsätzen. Wir wissen aber auch, dass nicht Gewaltanwendung, sondern nur friedliches Einvernehmen unter den Völkern eine Linderung oder auch Korrektur dieser Lage herbeiführen kann und darf." Eine weitere fremdenfeindliche Position im Parteiprogramm ist die Forderung, Zahlungen wie Sozialleistungen, Kindergeld oder Müttergeld nur an Deutsche zu gewähren. Damit wendet sich DR gegen die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 2 Nationaler Widerstand Dortmund 3 Kameradschaft Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 29 RechtsextRemismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum DR-Bundesparteitag Die DR führte am 1. April im Rheinland4 ihren 9. Bundesparteitag durch. Nach einer Satzungsänderung wird die Partei nunmehr von einer Doppelspitze vertreten. Neue Bundesvorsitzende sind die vormals als Beisitzer im Bundesvorstand aktiven Sascha KROLZIG (gleichzeitig Landesvorsitzender des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen bisheriger "Beauftragter Netzseite" im Bundesvorstand) und der bisherige Bundesorganisationsleiter Michael BRÜCK (gleichzeitig stellvertretender Landesvorsitzender des Landesverbands Nordrhein-Westfalen). Zudem wurden folgende Beschlüsse gefasst: - DR erhält den Namenszusatz "Partei für Volksabstimmung, Souveränität und Heimatschutz", - DR tritt zur Europawahl 2019 mit der "Liste des Nationalen Widerstandes" an, Spitzenkandidatin ist Ursula HAVERBECK-WETZEL5 (Nordrhein-Westfalen), Listenplatz 13 entfiel auf Marcel KRETSCHMER (Thale, Landkreis Harz). Die im November 2017 begonnene bundesweite Kampagne "Europa erwache" fand mit einer Demonstration mit 600 Teilnehmern am 14. April in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) ihren Abschluss. DR-Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Am 6. Januar gründete sich in Bad Harzburg (Niedersachsen) der DR-Kreisverband Süd-Ost-Niedersachsen. Unter den Gründungsmitgliedern befinden sich auch Mitglieder aus Sachsen-Anhalt. Der Landesvorsitzende Sachsen-Anhalts, Ingo ZIMMERMANN, nutzte den 16. Januar (73. Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs) für zwei öffentliche Auftritte: 4 Eigenangabe 5 Trotz Inhaftierung hält DR an HAVERBECK-WETZEL als "Spitzenkandidatin" fest. 30 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus - Bei der offiziellen Kranzniederlegung der Landeshauptstadt Magdeburg an der Gedenkstätte für die Opfer des Luftangriffes vom 16. Januar 1945 auf dem Westfriedhof erschien er in Begleitung eines Mitglieds der NPD. - Bei einer unangemeldeten Versammlung von Personen der rechtsextremistischen Szene vor dem Eingang des Magdeburger Doms erschien er unter anderem mit zwei Funktionären der MAGIDA 2.0. Der Kreisverband Magdeburg/Jerichower Land unterstützte die Kampagne "Freiheit für Ursula HAVERBECK-WETZEL" am 15. Mai in Magdeburg6. Auch DR instrumentalisierte die Geschehen in Chemnitz (Sachsen) und Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) für ihre politischen Zwecke. Umgehend wurden die Geschehnisse publiziert und mit dem Aufruf "Heute ALLE nach Chemnitz - DIE RECHTE ist dabei! [...] Wir rufen alle verfügbaren Kräfte dazu auf, sich den Protesten [...] anzuschließen. Die mörderische Ausländergewalt hat das Faß zum Überlaufen gebracht - Jetzt reicht es, jetzt wird Widerstand geleistet!" zur Teilnahme an verschiedenen Veranstaltungen mobilisiert. Am 1. September nahmen Mitglieder des Kreisverbandes Magdeburg/Jerichower Land an einer von der Alternative für Deutschland (AfD) organisierten Veranstaltung in Chemnitz teil. Der Landesvorsitzende Ingo ZIMMERMANN (Magdeburg) zeigte sich am 9. September auf einer Kundgebung in Köthen. 6 Siehe "Aktionen im Zusammenhang mit der Verhaftung von Ursula HAVERBECK-WETZEL" auf Seite 59. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 31 RechtsextRemismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die organisatorische Schwäche der Gesamtpartei, insbesondere im Osten Deutschlands, konnte nicht überwunden werden. Der neue Bundesvorstand stärkt hauptsächlich den nordrhein-westfälischen Landesverband. ZIMMERMANN ist es nicht gelungen handlungsfähige Parteistrukturen in Sachsen-Anhalt zu schaffen und den Landesverband aus der Bedeutungslosigkeit zu holen. Eine fortbestehende Inaktivität könnte in der Folge eine Auflösung des DR-Landesverbandes Sachsen-Anhalt nach sich ziehen. Der Antritt zur Europawahl 2019 dient dem Erhalt des Parteienstatus und bündelt die Kräfte der Partei bis zum Wahltermin im Mai 2019. Offen ist, ob dies zu einem Erfolg führen wird. 32 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Partei "Der III. Weg" (III. Weg) 1 Sitz Sachsen-Anhalt: keine Strukturen Verbreitung Bundesverband: Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Gründung 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) Struktur Bundesvorsitzender: Klaus ARMSTROFF Aufbau (Rheinland-Pfalz) Gebietsverbände Süd, West, und Mitte Stützpunkte bundesweit Mitglieder Land: etwa 10 (2017: etwa 10) Anhänger Bund: etwa 500 (2017: etwa 500) VeröffentWeb-Angebote: http://www.der-dritte-weg.info lichungen Soziale Netzwerke Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Kurzportrait / Ziele Insbesondere als Reaktion auf einen Streit innerhalb der NPD in Rheinland-Pfalz gründeten vornehmlich ehemalige Mitglieder dieses Landesverbandes III. Weg. Als sich 2014 in Bayern ein Verbot des Neonazi-Netzwerkes "Freies Netz Süd" abzeichnete, trat ein Teil dieser Neonazis in die Partei ein. Sie nutzen somit die Partei (Schutz des Parteienprivilegs) als Auffangstruktur, um staatlichen Exekutivund Verbotsmaßnahmen zu entgehen. Ideologisch lehnt sich die Partei, wie das 10-Punkte-Partei-Programm erkennen lässt, am Gedankengut des histo- 1 https://der-dritte-weg.info, abgerufen 14.01.2019 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 33 RechtsextRemismus rischen Nationalsozialismus an. Sie ist klar neonazistisch ausgerichtet. Beispielhafte Themen sind: "Volkstod stoppen", "Kampf dem Kapitalismus", "Terrorstaat Israel", "Homo-Propaganda stoppen". Grund der Beobachtung Führungsaktivisten der Partei sind seit Jahren fest im rechtsextremistischen Spektrum verankert. Das Parteiprogramm lehnt sich begrifflich zum Teil an Vertreter des "linken" nationalsozialistischen Parteiflügels der NSDAP an und propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschenund Gesellschaftsbild. III. Weg agitiert antisemitisch, ausländerfeindlich und revisionistisch. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundespartei / überregionale Aktivitäten III. Weg sieht die Parteistrukturen als so gefestigt an, dass sie nunmehr auch "parlamentarisch tätig" werden kann. Auf dem Gesamtparteitag am 7. April beschloss die Partei, bei den Europawahlen 2019 anzutreten. Spitzenkandidaten sind ARMSTROFF und der stellvertretende Bundesvorsitzende und Gebietsverbandsleiter Mitte2 Matthias FISCHER (Brandenburg). Am 21. Oktober veranstaltete der Gebietsverband Mitte einen Parteitag in Erfurt (Thüringen) und beschloss, bei der sächsischen Landtagswahl im September 2019 anzutreten. Im Vorfeld dieser Wahl beabsichtigt die Partei zudem, in verschiedenen sächsischen Regionen bei den Kommunalwahlen im Mai 2019 anzutreten. Die Partei baute ihre Arbeitsgemeinschaft (AG) "Körper & Geist" weiter aus. Diese "Sport-AG" bildet den Dachverband für alle sportbegeisterten Parteimitglieder und soll Gemeinschaftsgeist, Willensstärke und Disziplin fördern. 2 Umfasst die Bundesländer: Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Berlin. 34 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Das Geschehen in Chemnitz (Sachsen) wurde auch von III. Weg aufgegriffen. Die Partei organisierte am 1. September in Plauen (Sachsen) eine "Unterstützerund Protestkundgebung" mit 1.000 Teilnehmern3. Die Ereignisse in Köthen wurden hingegen nur medial aufgegriffen. weitere Aktivitäten der Partei in Sachsen-Anhalt Am 25. August führte III. Weg in Merseburg (Saalekreis) und in Halle (Saale) Infostände zur Sammlung von Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zur Europawahl 2019 durch. Hieran beteiligten sich vier Personen. Laut Angaben im Internet hat die Partei an folgenden Terminen Flugblattverteilungen durchgeführt: - 22. August sowie am 5., 6., und 7. September in Halle (Saale), - Ende November in Halle (Saale) im Stadtteil Halle-Neustadt, - Ende November in Queis (Saalekreis) und umliegenden Ortschaften, - ab Mitte Dezember in Magdeburg. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Ausbau kleinteiliger und gefestigter Parteistrukturen wurde 2018 vorangetrieben. Die Auflösung des thüringischen Landesverbandes von DR wurde genutzt, um sich als III. Weg dort zu etablieren. Das Verteilen von Propagandamaterialien auf den Straßen und die Pflege der Homepage zeigen ein anwachsendes Engagement der Partei in Sachsen-Anhalt. 3 Eigenangabe Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 35 RechtsextRemismus "Identitäre Bewegung" Deutschland" (IBD) 1 Sitz bundesweit Verbreitung Gründung Oktober 20122 Struktur Sachsen-Anhalt: Aufbau Kontrakultur Halle - seit 2015 IB Harz - seit 2015 IB Magdeburg - seit 2016 IB Sachsen-Anhalt - seit 2012 beziehungsweise 2014 und 2018 16 Regionalgruppen bundesweit (Eigenangabe) lokale IBD-Gruppen (Ortsgruppen) identitäre Projekte Verein "Identitäre Bewegung Deutschland e.V." Mitglieder Land: etwa 60 (2017: etwa 50) Anhänger Bund: etwa 600 (2017: etwa 500) VeröffentWeb-Angebote: Homepage lichungen Soziale Netzwerke Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spende Kurzportrait / Ziele Die IBD geriert sich als Bewegung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, welche die eigene Kultur beziehungsweise das eigene Volk vor den vermeintlichen Gefahren von Multikulturalismus, Masseneinwanderung und Identitätsbeziehungsweise Werteverlust bewahren will. Sie betrachtet sich eigenen 1 https://vk.com/identitaerelsa; abgerufen am 15. Januar 2019 2 Am 11. Oktober 2012 wurde die Facebook-Seite "Identitäre Bewegung Deutschland" eingerichtet. 36 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Aussagen zufolge als deutscher Ableger der rechtsextremistischen Bewegung "Generation Identitaire" (GI) aus Frankreich. Die IBD ist in der realen und virtuellen Welt gleichermaßen vertreten. Alle virtuellen Möglichkeiten (soziale Netzwerke, Foren, Video-Plattformen) werden genutzt, um über Aktionen der IBD zu informieren und somit auch über deren Ziele. So wird eine große Öffentlichkeit hergestellt, ohne auf eine große Anzahl von Aktivisten angewiesen zu sein. In der "Realwelt" sind die Aktivitäten vielfältig, zum Beispiel Banner-, Stör-, oder Verteilaktionen. Wichtige Orte werden zur Zielscheibe von zeitweiligen Besetzungen, beispielsweise das Brandenburger Tor in Berlin im Jahr 2016. Ihre ideologischen Grundlagen veröffentlichte die IBD in vier Teilen im Internet: - "100% Identität, 0% Rassismus" - "Unser Weg führt nach Europa" - "Unser Ziel ist demokratisch" - "Weder Kippa noch Palituch" Ihre Selbstdarstellung ist popkulturell geprägt, ihre Botschaften sind klar und einfach, ihre Wortwahl ist provokant und pseudo-intellektuell. Ihre Aktivisten geben sich jung und modern, demgemäß ist ihre verfassungsfeindliche Gesinnung nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Die IBD steht für einen modernen Rechtsextremismus, der mit einem Themenkomplex aus Anti-Islam, Anti-Asyl und AntiEstablishment versucht, bis weit in breite gesellschaftliche Kreise hinein anschlussfähig zu sein. Begriffe wie Rasse und Volksgemeinschaft werden durch unverfängliche Begriffe wie Ethnie, Identität und Kultur ersetzt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 37 RechtsextRemismus Grund der Beobachtung Ideologisch orientiert sich die "Identitäre Bewegung" (IB)3 an den Theorien der "Neuen Rechten" und vertritt programmatisch einen "ethnopluralistischen" Ansatz. Beim "Ethnopluralismus" handelt es sich um eine modernisierte Variante völkischer Ideologie. Das Konzept billigt ethnischen Gruppen in räumlicher Trennung vorgeblich ihre Eigenständigkeit zu, zielt aber tatsächlich anhand von Kollektivmerkmalen wie Kultur, Herkunft und Geschichte auf die Betonung ethnisch bzw. rassisch begründeter Gruppenunterschiede ab. Eine Zuwanderung von "Fremden", die nicht Teil dieser "ethnokulturellen Identität" sind, wird grundsätzlich abgelehnt. Die "Identitären" inszenieren sich dabei als die wahren Verteidiger von Vielfalt und Freiheit gegen die angebliche Gleichmacherei vermeintlich linker Ideologen. In ihrer Kritik zeigt sich jedoch ein übersteigerter Nationalismus, der das Individuum weitgehend negiert und stattdessen kollektivistisch die Volksgemeinschaft in den Mittelpunkt stellt. Sie propagiert die Auflösung der EU und die Bildung eines Europas der "identitären Nationalstaaten", die selbstbestimmt koexistieren. Hier besteht eine Verbindung zur NPD-Forderung nach einem "Europa der Vaterländer". In der IBD und für die IBD engagieren sich auch Personen, die einen Vorlauf im traditionellen Rechtsextremismus aufweisen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum "Identitäre Bewegung Deutschland" Anfang Januar veröffentlichte die IB Hamburg einen Aufruf, Vormundschaften für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge zu übernehmen. Vormünder übernehmen unter anderem die rechtliche Vertretung, kümmern sich um die Finanzen und unterstützen bei Anträgen, Asylfragen und im alltäglichen Leben. 3 Hier ist die IB als europaweites Phänomen gemeint, wie es nicht nur in Deutschland auftritt, sondern beispielsweise auch in Frankreich und Österreich. Im Folgenden wird die Bezeichnung IB immer dann verwendet, wenn z.B. eine Kampagne nicht länderbezogen war, sondern bewegungsbezogen. 38 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Der Gedanke hinter diesem Aufruf ist indes nicht das Wohl der Flüchtlinge, vielmehr geht es um Informationsgewinnung und Bloßstellung der "Asylindustrie". Dieses ursprünglich regionale Projekt wurde von der IBD zur bundesweiten Kampagne "aufgewertet". Am 30. Januar startete im Internet die neue Kampagne "120 Dezibel". Benannt nach der Lautstärke eines Taschenalarms ruft die Kampagne Frauen dazu auf, ihre Erfahrungen mit "Überfremdung, Gewalt und Missbrauch" in Text-, Bildund Videobeiträgen zu schildern und im Internet zu verbreiten. Dies sei keine Kampagne der IB, so die Eigenangabe. Dennoch wird zur Verbreitung das Knowhow und das Netzwerk der IB genutzt. Die Kampagne unterstellt eine importierte Gewalt von Migranten gegen Frauen und deren vermeintliche Verharmlosung seitens der Politik und der Medien. Unter dem ergänzenden Motto "Frauen gegen importierte Gewalt" soll die Kampagne auch ein klares Zeichen gegen die Frauenrechts-Kampagne "#MeToo"4 setzen. Die bekannteste Aktion der Kampagne bestand in der Störung der "MeToo-Podiumsveranstaltung zur Berlinale" am 19. Februar in Berlin. Im März verwehrte Großbritannien Martin SELLNER (IB Österreich, IBÖ) die Einreise, da die britischen Behörden die IB als eine Organisation einstufen, die zum Rassenhass aufstachelt. SELLNER war als Redner zu einem Kongress eingeladen, der jedoch untersagt worden war. Die sozialen Medien Facebook und Instagram löschten am 31. Mai zahlreiche Profile der IBD und der IBÖ. Diverse Regionalgruppen und Accounts von Mitgliedern waren ebenfalls betroffen (auch in Sachsen-Anhalt). Beide Plattformen gaben als Begründung einen "Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards" an. Mit "Okzident Media" startete die IB am 12. Oktober eine eigene Plattform, welche die Lücken der "Löschwelle" 4 "#MeToo ist ein Hashtag, der ab Mitte Oktober 2017 betroffene Frauen dazu ermutigen soll, über sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe zu berichten. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 39 RechtsextRemismus schließen soll. Das Projekt wurde am 8. Dezember 2018 im Haus der "Kontrakultur Halle" in Halle (Saale) präsentiert. Die IBD lud am 9. Juni zu ihrem Jahrestreffen nach Steigra OT Schnellroda (Landkreis Saalekreis) ein. Der Einladung folgten etwa 150 Personen. Kernpunkte des Treffens waren unter anderen zwei Vorträge. In einem wurde unter dem Titel "50 Jahre nach 1968 - die Revanche der patriotischen Jugend" das Resümee gezogen, dass das Jahr 1968 der Ausgangspunkt (angeblich einsetzender Gesellschaftsverfall) für das sei, was die Identitären heute ausmache. Mario Alexander MÜLLER (Halle (Saale) und führender Protagonist der "Kontrakultur Halle") referierte zum "identitären Zentrum" in Halle (Saale). Unter dem Motto "Europa Nostra - Identität verteidigen - Heimat bewahren" veranstaltete die IBD am 25. August in Dresden (Sachsen) erstmalig eine Großkundgebung mit umfassendem Rahmenprogramm ("Festival"), an der jedoch lediglich 350 bis 400 Personen, darunter auch Mitglieder der "Kontrakultur Halle", teilnahmen. Vom 28. bis 30. September veranstaltete die IBD ein Aktionswochenende in Schneizlreuth (Bayern, ca. 500 m vor dem deutsch-österreichischen Grenzübergang Melleck-Steinpass). Um auf die - so die IB - "unkontrollierte Völkerwanderung" aufmerksam zu machen, führte die IB unter dem Schlagwort "Defend Europe" mehrere Grenzaktionen durch5. Mehrere IBD-Mitglieder, darunter der bereits erwähnte Mario Alexander MÜLLER aus Halle (Saale), hielten sich unter dem Label des der IBD zuzurechnenden Vereins "Alternative Help Association e.V." (AHA!) im September 2018 in Syrien auf. Nach publizierter Selbstbeschreibung soll AHA! internationale 5 Teil dieser europaweiten Kampagne waren z.B. die Charterung des Schiffes C Star im Sommer 2017 und das Besetzen des Alpenpasses Col de l'Echelle an der französisch-italienischen Grenze im April. 40 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Aufbauprojekte in Krisenländern "finanzieren, unterstützen und begründen". Für die Webseite des Vereins ist als registrierter Kontakt die IBD angegeben. Unter dem Motto "Identität verteidigen - Tradition bewahren - Islamismus stoppen" fand am 1. Dezember in Halle (Saale) eine Versammlung der IBD mit bis zu 70 Teilnehmern sowie ein öffentlicher Weihnachtsmarkt statt. Zweck der Veranstaltung war die Information über aktuelle identitäre Projekte und Ziele für 2019. Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Identitäre Bewegung Sachsen-Anhalt Am 20. April titelte die "Kontrakultur Halle": "Neue Facebookseite für Sachsen-Anhalt". Der Facebook-Account der "Kontrakultur Halle" und der Twitter-Kanal der "Identitären Bewegung Magdeburg" firmieren nunmehr unter "Identitäre Bewegung Sachsen-Anhalt". Die IB Sachsen-Anhalt stellte am 23. Juni zwei Informationstische, so genannte "IB Zonen", in Magdeburg und Halle (Saale) auf. In Magdeburg nahmen 20 und in Halle (Saale) 33 Personen teil. Die "IB Zonen" gehören zur IBD-Kampagne "Deutschland, wir müssen reden" / "Wann wirst Du aktiv?". Am 27. und am 29. Juni stellte die IB Sachsen-Anhalt gelb angemalte Ölfässer auf dem Bürgersteig vor der Hauptbibliothek der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und auf dem Universitätsplatz der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auf. In diese Fässer wurden angezündete "Nebeltöpfe" geworfen. Die "Aussage" zur Aktion: Die Universitäten seien ideologisch kontaminiert. "Das ideologische Gift der 68er" führe dazu, dass die Universitäten keine Orte der freien Rede mehr seien und sie zunehmend zu ideologischen Gefängnissen einer kleinen, aber lauten linken Minderheit verkommen würden. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 41 RechtsextRemismus "Kontrakultur Halle" Sitz der "Kontrakultur Halle" ist die 6 Adam-Kuckhoff-Straße 16 (AKS16) in Halle (Saale). Im April 2018 erhielt das Objekt den Beinamen "Flamberg"7. Das Gebäude wird sowohl gewerblich, für Veranstaltungen, als auch zu Wohnzwecken genutzt. Nach Eigenangabe nutzen die "Kontrakultur Halle", das "Institut für Staatspolitik", die Initiative "EINPROZENT", ein Abgeordnetenbüro8 und das Label "Radical Esthetique" die AKS16. Die Thematik Asyl und Migration griff die "Kontrakultur Halle" in einer Banneraktion am 17. April vor dem Landgericht (LG) Dessau-Roßlau auf. Sie nahm die Verhandlung gegen vier eritreische Staatsangehörige wegen einer Gewalttat zum Anlass, um pauschalisiert "auf die katastrophalen Folgen der Politik der offenen Grenzen für die deutsche Bevölkerung aufmerksam zu machen". An der Aktion beteiligten sich etwa zehn Personen. 6 https://www.facebook.com/flamberghalle; abgerufen am 15. Januar 2019 7 Das "Flamberg" firmiert als "Flamberg e. V.". 8 Laut Ankündigung des MdL zum 1. Oktober geschlossen. 42 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Im April erschien das Musikvideo "Betonblock" von "Komplott" (Rapper aus Baden-Württemberg, Mitglied der "Kontrakultur Halle"). Es weist deutliche Sachsen-Anhalt-Bezüge auf. So wurde eine Aktion der IB Magdeburg im Jahre 2017 und eine aus den Anfängen der "Kontrakultur Halle" im Video verarbeitet. Zudem zeigt es einen Auftritt in der AKS16 und das Gebäude selbst. Im November veröffentlichte "Komplott" 15 Lieder, die sich in die Ideologie der IBD einbetten. Die Texte kennzeichnen den Wunsch nach Revolution, die Bekräftigung der Solidarität innerhalb der IBD und die Abgrenzung zum politischen Gegner. Unter dem Motto: "Sommer, Sonne, Reconquista - Identitärer Infotisch" stellten am 13. August sieben Personen einen Infostand auf dem Gehweg vor der AKS16 in Halle (Saale) auf. Mitglieder der "Kontrakultur Halle" nahmen am 1. September an einer von der AfD organisierten Kundgebung in Chemnitz (Sachsen) teil. Anwesend waren auch Mitglieder der DR, von "MAGIDA 2.0" und der "IB Harz". Am 16. September nahmen Mitglieder der "Kontrakultur Halle" an der vom Verein "Zukunft Heimat e. V."9 angemeldeten Demonstration in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) teil. Die Immatrikulationsveranstaltung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) am 10. Oktober nutzte die "Kontrakultur Halle" erneut zur Fortsetzung ihrer "Campusreihe" aus dem Jahr 201610. Weitere Aktivitäten in Kurzfassung: - "Saint Patrick's Day" am 13. April - Vortrag zum Thema "irische Kulturrevolution", mit mindestens 13 Teilnehmern. 9 Eine Anti-Asyl-Initiative aus dem Land Brandenburg mit Verbindungen zur rechtsextremistischen Szene. Vergleiche Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2017. 10 Seit 2016 "begrüßt" die "Kontrakultur Halle" die Erstsemester der MLU. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 43 RechtsextRemismus - "Bilderstürmer: Kunst wider den Zeitgeist" - Kunstveranstaltung am 14. April mit mindestens 15 Teilnehmern. - Kampfsporttag am 14. April mit Teilnehmern aus Österreich und Tschechien. - Banneraktion am Gebäude der AKS16 - Gesicht des Arnaud Beltrame11. - "Ukrainischer Abend" am 8. Juni in der AKS16, eine Angehörige des "Regiments Asow12" referierte zur Thematik: "Identität, Geopolitik, Perspektiven". - Konzert "Komplott live" am 23. Juni in der AKS16. - "Erster Flamberg Geburtstag" am 24. November in der AKS16. "IB Harz" Neun Mitglieder der "IB Harz" kamen am 30. März zu einer Aktion nach Art eines Flashmobs in Goslar (Niedersachsen) zusammen, bei dem unter anderem die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung thematisiert wurde. weitere Aktivitäten in Kurzfassung: - Teilnahme am "Marsch zu Ehren der Sainte Genenvieve (dt. Heilige Genoveva) - der Schutzheiligen" am 13. Januar in Paris (Frankreich). - Teilnahme am "Aktivistenwochenende" am 17. und 18. März im Harz mit Verhaltenstraining für Demonstrationen und Vorträgen. Weitere Teilnehmer kamen aus Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg. - Schaffung eines Schneebilds in Form eines Lambda und eines Hashtag für "120 Dezibel" am 20. März als Werbeaktion für die IBD. - Teilnahme an den oben genannten Kundgebungen am 1. September in Chemnitz (Sachsen) und am 16. Septem11 Französischer Gendarmerieoffizier, der sich Ende März bei einer islamistisch motivierten Geiselnahme in Trebes (Frankreich) als Austauschgeisel angeboten hatte und später vom Geiselnehmer getötet wurde. 12 In dem rechtsextremistisch geprägten "Regiment Asow" kämpfen Freiwillige aus ganz Europa in der Ostukraine gegen prorussische Separatisten. 44 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus ber Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld). - Teilnahme an der oben genannten Veranstaltung der IBD am 1. Dezember in Halle (Saale). "IB Magdeburg" Zwischen dem 12. und 13. Dezember wurde eine Vielzahl von Betonabsperrungen im Bereich des Magdeburger Weihnachtsmarktes mit den Schriftzügen "Grenzschutz im Innendienst" sowie "Fühlst du dich sicher?" besprüht. Im Fahrzeug eines Mitgliedes der IB Magdeburg wurden zwei Schablonen sichergestellt, die den Wortlaut der Schriftzüge aufwiesen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Martin SELLNER (IBÖ) mahnte bereits im Jahr 2017 in einer Publikation13 eine konsolidierte Qualität des Aktionismus an. Dieses Ziel erreichte die IBD im Berichtsjahr nicht. Die Zahl der Aktionen hat abgenommen und der Fundus stetig unerwarteter Protestformen hat an Umfang verloren. Als "neue" Aktionsform wurde nur der "angestaubte" Infotisch wiederbelebt. Perspektivisch wird die IBD versuchen, feste Strukturen zu schaffen. Ihre Ideologie soll die Gesellschaft nachhaltig verändern, dies könnte mit der Schaffung fester Einrichtungen wie zum Beispiel "identitärer Begegnungsstätten" erreicht werden. Ziel ist es, eine in allen Lebensbereichen funktionierende Gegenkultur zu etablieren. 13 https://sezession.de/57278/das-neurechte-waldchen Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 45 RechtsextRemismus Magdeburger gegen die Islamisierung des Abendlandes 2.0 (MAGIDA 2.0) Sitz Landeshauptstadt Magdeburg Verbreitung Gründung Juli/August 2015 Struktur Einzelpersonen Aufbau Mitglieder etwa 5 (2017: etwa 5) Anhänger VeröffentFacebook-Seite lichungen Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Die "MAGIDA 2.0" entstammt der GIDA-Bewegung1. Ursprünglich als "MAGIDA" gegründet und von der "PEGIDA"2, offiziell als "Ableger" anerkannt, bildete sich die "MAGIDA 2.03" auf Grund innerer Zerwürfnisse heraus und organisierte zwischen Juli/ August 2015 und März 2016 die wöchentlich stattfindenden so genannten "Abendspaziergänge". Laut ihrem Positionspapier haben sich in der "MAGIDA 2.0" "Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen, politischer Parteien, gesellschaftlicher Stellung und Konfessionen zusammen gefunden, um den Missbrauch durch die politische Kaste in Deutschland anzuprangern und für ein identitäres Deutschland und Europa zu wirken". Grund der Beobachtung Die "MAGIDA 2.0" unterliegt einer rechtsextremistischen Beeinflussung seitens der NPD sowie von DR. Die "MAGIDA 2.0" versucht nach außen ein unverfängliches Bild des bürgerlichen 1 Bewegung gegen die Islamisierung des Abendlandes 2 Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes 3 Kein offizieller Ableger der PEGIDA. 46 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Protestes zu etablieren. Für die "MAGIDA 2.0"-Kundgebungen wurden gezielt bekannte Rechtsextremisten als Redner verpflichtet. Als Organisation tritt sie kaum noch in der Öffentlichkeit auf, ihre Mitglieder und Unterstützer haben aber Kontakt zu anderen Rechtsextremisten (u. a. "Freie Kräfte"). Im Vordergrund der Rhetorik steht das angebliche Versagen des Staates und seiner Organe, jedoch meist verbunden mit einer "Schuldzuweisung" in Bezug auf Personen mit Migrationshintergrund. In Folge der rechtsextremistischen Beeinflussung der "MAGIDA 2.0" kann hier jedoch nicht mehr von einer allgemeinen Bürgerbewegung ausgegangen werden. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Mitglieder und Unterstützer der "MAGIDA 2.0" konnten auf fremd organisierten Veranstaltungen mit rechtsextremistischem Charakter festgestellt werden. Darüber hinaus versucht "MAGIDA 2.0" wieder, selbstverantwortliche Aktionen unter dem Deckmantel einer "Bürgerinitiative" zu etablieren. 4 Die Ereignisse in Köthen (Landkreis AnhaltBitterfeld) wurden auch von "MAGIDA 2.0" aufgegriffen. Mitglieder nahmen am 1. September an der von der AfD organisierten Kundgebung in Chemnitz teil. Am 9. September wurde eine Veranstaltung in Köthen mit der Bereitstellung eines Lautsprecherwagens logistisch unterstützt. 4 https://www.facebook.com/Magida-20-ohne-Maulkorb-487927824695428/ ?ref=ts, abgerufen 15. Januar 2019. MAGIDA 2.0 verfügt über kein festes Logo. Vielmehr werden auf der eigenen Facebookseite Bilder/Fotos als Profilbild genutzt und entsprechend instrumentalisiert. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 47 RechtsextRemismus Eine "Bürgerinitiative Magdeburg" meldete unter dem Motto "Für die Opfer der Politik und für sichere Städte" einen "1. Fackelmarsch" für den 10. November in Magdeburg an. Hinter der "Bürgerinitiative Magdeburg" verbirgt sich "MAGIDA 2.0". Anmelder und Versammlungsleiter des Fackelmarsches sind Organisationsmitglieder der "MAGIDA 2.0". 48 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Die Redner waren Personen, die nicht der rechtsextremistischen Szene Sachsen-Anhalts angehörten. Inhaltlich dominiert wurde die Veranstaltung maßgeblich vom "Bürgerbündnis Havelland e.V.". Die etwa 700 Teilnehmenden stammten mehrheitlich aus dem rechtsextremistischen Milieu. Insbesondere mitgeführte Banner mit den Schriftzügen "Deutsche Opfer, fremde Täter! Gegen Gewalt und Überfremdung!", "Freiheit für Ursula Haverbeck!" (in Frakturschrift) und "Antideutsche aus dem Land jagen" zeigen, dass die Veranstalter den Schulterschluss mit dem klassischen Rechtsextremismus nicht scheuten. Die Demonstration muss in den Kontext der Ereignisse von Chemnitz (Sachsen) und Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) gestellt werden. Sie ist hinsichtlich des Themas, die Art der Mobilisierung und Durchführung als Blaupause des Demonstrationsgeschehens in Chemnitz und Köthen zu verstehen. Im Rahmen eines Redebeitrages wurde explizit auf den "Trauermarsch 16.000 unvergessen" am 19. Januar 2019 in Magdeburg hingewiesen und zu einer regen Teilnahme aufgefordert. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die "MAGIDA 2.0" ist als Marke verbraucht, ihre Mitglieder und Unterstützer bleiben ihr dessen ungeachtet treu. In einer Art "Netzwerk" von vermeintlich "patriotischen" Gruppierungen versucht sie sich einen bürgerlichen Anstrich zu geben. Für 2019 sind bereits größere Veranstaltungen geplant. Es wird weiter versucht werden, Themen zu generieren, die auch für Nichtrechtsextremisten anschlussfähig erscheinen. Die Zusammenarbeit mit anderen, "inhaltlich passenden" Gruppierungen wird beibehalten beziehungsweise noch ausgebaut werden. Hier ist ein Personenpotenzial für Veranstaltungen abrufbar, das die eigene Größe verfälscht. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 49 RechtsextRemismus "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft Lebensgestaltung" e.V. ("Artgemeinschaft") Sitz Berlin Verbreitung Bundesweit Gründung 1951 Struktur Jens BAUER (Elsteraue, Burgenlandkreis) Aufbau fungiert seit Herbst 2015 als Vorsitzender. Mitglieder Land: etwa 30 Anhänger Bund: 150 - 170 (2017: 100 - 150) VeröffentWeb-Angebote: www.nordzeit.de lichungen www.asatru.de Soziale Medien Publikationen: "Nordische Zeitung" (NZ; vierteljährlich) eigener Buchdienst mit Büchern und Schriften zu heidnischen Themen und religiösem Brauchtum auf rassistischer Grundlage Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Einnahmen aus Buchdienst Kurzportrait / Ziele Die "Artgemeinschaft" ist eine neonazistische Organisation und vertritt völkisch-rassistisches Gedankengut. Sie versteht sich selbst als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart" bewahren, erneuern und weiterentwickeln will. 50 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Grund der Beobachtung Kennzeichnend für die "Artgemeinschaft" ist eine rassistisch geprägte Ideologie. Die Mitglieder leben strikt nach dem "Sittengesetz ihrer Ahnen". Darin heißt es: "Das Sittengesetz in uns gebietet Einsatz für Wahrung, Einigung und Mehrung germanischer Art. Das Sittengesetz in uns gebietet Gefolgschaft dem besseren Führer, mit Recht und Pflicht zu abweichendem Rat, nach bestem Wissen und Gewissen." Sie orientiert sich am Nationalsozialismus und versucht, "völkische Strukturen" aufzubauen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum An den "Gemeinschaftstagungen", die jährlich unter den Bezeichnungen "Frühjahrstagung", "Herbsttagung" und "Sonnenwendfeier" im März, Juni, September und Dezember in Ilfeld (Thüringen) stattfinden, nahmen im Berichtsjahr erneut Personen aus Sachsen-Anhalt teil. Die "Gemeinschaftstagungen" waren wie in den vergangenen Jahren im Wesentlichen von heidnisch-germanischen Ritualen geprägt. Zudem wurden Vorträge gehalten. Jens BAUER wurde für weitere drei Jahre zum Vorsitzenden gewählt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die "Artgemeinschaft" ist für die Szene ein bedeutender Ansprechpartner für das kulturelle Leben innerhalb der nationalen Bewegung und bietet mit ihren Veranstaltungen vor allen Neonazis einen ideologisch-lebensweltlichen Rahmen, um die Familien und Kinder an die Szene zu binden und rassistische Überzeugungen weiterzugeben. Dabei werden Ideale wie die "eigene Art" und "Rasse" propagiert. Die Organisation ist bei Interna äußerst konspirativ und versucht sich abzuschotten, um die eigene verfassungsfeindliche Ausrichtung zu verschleiern. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 51 RechtsextRemismus Mit BAUER agiert seit 2015 eine Führungsperson der neonazistischen Szene aus Sachsen-Anhalt an der Spitze der Organisation. Ein fester Personenkreis aus Sachsen-Anhalt nimmt seit Jahren an den "Gemeinschaftstagungen" teil. Die "Artgemeinschaft" fungiert als Bindeglied zwischen verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen (z.B. aus dem Parteienund Neonazispektrum). Ihre Öffnung für andere rechtsextremistische Organisationen soll die eigene Organisation stärken und den Führungsanspruch in dieser Szene unterstreichen. 52 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Nationalsozialisten (Neonazis) Gründung Neonazistische Organisationen etablierten sich insbesondere in den 1970er und existieren in Sachsen-Anhalt seit der Wiedervereinigung. Struktur In den letzten Jahren hat sich die klassische Aufbau neonazistische Szene stark verändert. Feste Strukturen der Szene wie das "Kameradschaftsmodell" werden nicht mehr bevorzugt. Neonazis bilden den größten Teil des parteiungebundenen Rechtsextremismus. Das Personenpotenzial umfasst dabei sowohl Gruppierungen mit einem subkulturellen Einschlag, als auch Gruppierungen, die für ideologische Varianten des Nationalsozialismus und die Übernahme neuer Verhaltensweisen aufgeschlossen sind sowie Gruppierungen, die den historischen Nationalsozialismus verherrlichen. Neben einer zunehmenden Strukturlosigkeit bilden sich Netzwerke im virtuellen Raum. Mitglieder Land: etwa 240 (2017: 250) Anhänger Bund: 6.600 (2017: 6.000)1 VeröffentWeb-Angebot: diverse, teils wechselnde lichungen Facebook-Auftritte Finanzierung Zumeist existiert in den Gruppierungen eine so genannte "Kameradschaftskasse". In der Regel zahlen Teilnehmer einen Unkostenbeitrag bei Vortragsveranstaltungen. Es werden mitunter auch Spendengelder gesammelt. 1 Die Angabe umfasst das gesamte Potenzial parteiunabhängiger bzw. parteiungebundener Strukturen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 53 RechtsextRemismus Kurzportrait / Ziele Neonazis stellen sich in die ideologische Tradition des historischen Nationalsozialismus. Sie treten bei geschichtsträchtigen Ereignissen, vornehmlich aus der Zeit des Dritten Reiches, oder bei der Glorifizierung einzelner Personen aus dieser Zeit auch öffentlichkeitswirksam in Erscheinung (z.B. "Trauermärsche" zum Gedenken an die Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, Geburtstag von Adolf Hitler, Veranstaltungen zum 1. und 8. Mai, "Gedenken" an die Rathenau-Attentäter Fischer und Kern am 17. Juli, bei "Heß-Gedenkaktionen" und germanischer Brauchtumspflege wie Sonnenwendfeiern). Weiterhin werden auch tagesaktuelle politische Ereignisse, insbesondere zur Asylproblematik, unverzüglich thematisiert, wie die Ereignisse in Chemnitz (Sachsen) und Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) gezeigt haben. Grund der Beobachtung Neonazistische Gruppierungen zeichnen sich durch eine vor allem von Rassismus und Antisemitismus geprägte Ideologie aus, die sich am Nationalsozialismus orientiert und somit im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Teile der Bevölkerung werden als minderwertig bezeichnet und ihnen werden in der Konsequenz ihre verfassungsrechtlich verbrieften Grundrechte, wie Menschenwürde und Gleichheit vor dem Gesetz, abgesprochen. Auf Grund ihrer Vorstellung von einer antipluralistischen Gesellschaft und einem autoritären Staat, in dem politischen Gegnern als Feinden das Existenzrecht abgesprochen wird, ist Neonazis eine grundsätzliche Gewaltorientierung zuzuschreiben. Gewalt gegen "Fremde" und "Feinde" wird auf dieser Basis legitimiert. 54 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Aktivitäten zu den Jahrestagen alliierter Luftangriffe auf deutsche Städte im Zweiten Weltkrieg Die Zerstörung deutscher Städte am Ende des Zweiten Weltkrieges nehmen Rechtsextremisten, auch in Sachsen-Anhalt, seit mehreren Jahren zum Anlass, öffentlichkeitswirksame Aktionen in Form von Demonstrationen oder Mahnwachen durchzuführen. Die jeweiligen Termine sind fester Bestandteil der Planungen von Szeneangehörigen, stellen mittlerweile fest verankerte Treffdaten dar und besitzen stark identitätsstiftende Bedeutung. Im Zuge dieser Veranstaltungen stellen die Verantwortlichen die geschichtlichen Ereignisse der damaligen Zeit aus ihrer eigenen, historisch inkorrekten und verzerrenden Sichtweise dar und ignorieren historisch belegte Tatsachen. In Sachsen-Anhalt sind insbesondere die Bombardierungen der Städte Magdeburg am 16. Januar 1945 und Dessau am 7. März 1945 von Bedeutung. In den letzten Jahren sank die Beteiligung an den von Rechtsextremisten organisierten Veranstaltungen zum Gedenken an die Bombardierung Magdeburgs erheblich. Während in den Jahren 2010 bis 2012 die Teilnehmerzahlen zwischen 1.000 und 1.200 lagen, wurden diese in der Folge nicht mehr erreicht. Zudem wird dieser Termin nicht mehr als ein bundesweites Szeneereignis wahrgenommen. Gründe dafür waren einerseits die stets erfolgten Gegenveranstaltungen und -aktionen andererseits aber auch die kaum vorhandene Organisationsstruktur der rechtsextremistischen Szene in Magdeburg. Am 16. Januar nahmen an der offiziellen Kranzniederlegung der Landeshauptstadt Magdeburg an der Gedenkstätte für die Opfer des Luftangriffes vom 16. Januar 1945 auf dem Westfriedhof etwa 100 Personen teil, darunter vier Rechtsextremisten. In den späten Abendstunden wurden zwölf Szeneangehörige aus dem Raum Magdeburg zusammen mit weiteren etwa 100 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 55 RechtsextRemismus Personen des bürgerlichen Spektrums vor dem Dom in Magdeburg festgestellt. Zu Beginn des Glockengeläutes begannen die Personen der rechtsextremistischen Szene eine unangemeldete Versammlung, indem sie sich im Kreis aufstellten und zwei schwarze Fahnen und ein weißes Transparent mit dem Bild eines Bombers und der Aufschrift "16.000 Tote - unvergessen!" entfalteten. Zwei weitere Personen hielten Grabkerzen in der Hand. Nach Ansprache seitens der Polizei wurden die Fahnen und Transparente eingerollt und die Versammlung eigenständig beendet. Der DR-Landesvorsitzende ZIMMERMANN fungierte dabei augenscheinlich als Versammlungsleiter. Ein öffentlichkeitswirksamer Trauermarsch von rechtsextremistischen Szeneangehörigen fand, wie schon im Vorjahr, nicht statt. Allerdings haben Szeneangehörige bei der Versammlungsbehörde der Landeshauptstadt für den 19. Januar 2019 sowie für die folgenden zehn Jahre jeweils einen Aufzug unter dem Motto "Trauermarsch 16.000 unvergessen" angemeldet. Anlässlich des 73. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dessau organisierte Alexander WEINERT aus Dessau-Roßlau, OT Roßlau, eine versammlungsrechtliche Aktion zum Thema "Gegen das Vergessen - Zum Gedenken der Opfer von Dessau" am 7. März in Dessau-Roßlau. Die etwa 25 Personen aus der rechtsextremistischen Szene zeigten Transparente und Fahnen und zündeten auf dem Gehweg mehrere Grablichter an. Im selben Zusammenhang organisierte WEINERT zudem den alljährlichen Trauermarsch am 17. März. Unter dem vorgenannten Motto versammelten sich etwa 60 Szeneangehörige. Aktivitäten anlässlich des Geburtstags von Adolf Hitler Es ist festzustellen, dass derartige Veranstaltungen innerhalb der Szene an Bedeutung verloren haben. Öffentlichkeitswirksame Aktionen waren nicht zu verzeichnen, vielmehr wurde der Anlass für private Zusammenkünfte von Szeneangehörigen ohne Öffentlichkeitswirkung genutzt. 56 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Sonnenwendfeiern Zur Sommerund Wintersonnenwende im Juni und Dezember konnten Aktivitäten von Szeneangehörigen in Form von Zusammenkünften im nördlichen und südlichen Sachsen-Anhalt festgestellt werden. Derartige Veranstaltungen finden im Verborgenen und mit wenigen Teilnehmern statt. Aktionsform "Schwarze Kreuze" Die Aktionsform "Schwarze Kreuze" ist im Jahr 2014 von dem rechtsextremistischen Rapper/Liedermacher Patrick KILLAT (Berlin) ins Leben gerufen worden. Seitdem veranstalten jeweils am 13. Juli Rechtsextremisten organisationsübergreifend in mehreren Bundesländern und nunmehr zum fünften Mal einen Aktionstag unter dem Motto "Schwarze Kreuze Deutschland". An öffentlichen Straßen und Plätzen werden schwarz bemalte Kreuze aufgestellt, die an deutsche Opfer von so genannter "Ausländergewalt" erinnern sollten. Zum Teil waren die Kreuze mit Inschriften wie "Deutsche Opfer unvergessen", "Überfremdung tötet", "Offene Grenzen töten" oder den Vornamen konkreter Opfer versehen. Wie in den Vorjahren war die Aktion über eine eigene Facebook-Seite beworben worden, auf der Bilder von Kreuzen an Ortsschildern eingestellt wurden, um die Reichweite zu dokumentieren. Einem Eintrag zufolge lagen den Initiatoren 504 Fotos aus 192 Städten im ganzen Bundesgebiet vor. Ausweislich einer auf Basis dieser Fotosammlung erstellten Karte lagen regionale Schwerpunkte der dezentralen Aktionen in Nordund Ostdeutschland sowie in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. In Sachsen-Anhalt sind Aktionen vorrangig im Bereich Stendal und in Tangerhütte (Landkreis Stendal) bekannt geworden. Ebenso wurden "Schwarze Kreuze" in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) festgestellt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 57 RechtsextRemismus Aktivitäten zum Todestag der Rathenau-Mörder Anlässlich des Todestages der Rathenau-Attentäter Fischer und Kern nahmen am 22. Juli etwa 20 Rechtsextremisten an einer Szeneveranstaltung in Naumburg, OT Saaleck, (Burgenlandkreis) teil. Nach einem Vortrag über Kriegs-und Befreiungsdenkmäler begaben sich die Teilnehmer zum Friedhof in Saaleck und stellten ein Holzkreuz mit der Inschrift "17. Juli 1922 Hermann Fischer - Erwin Kern" auf und legten Trauergebinde nieder. "Heß-Gedenkaktionen" Nach wie vor besitzt der Todestag des Hitler-Stellvertreters Heß in der rechtsextremistischen Szene des Landes einen erhöhten Stellenwert und entfaltet weiterhin eine mobilisierende Wirkung bei entsprechenden Erinnerungsaktivitäten. In diesem Jahr wurden themenbezogene Aktionen in Form von illegalen Plakatierungen, Flyerund Aufkleberaktionen in Burg (Landkreis Jerichower Land), Allstedt (Landkreis Mansfeld-Südharz), Klötze (Altmarkkreis Salzwedel) sowie Tangermünde und Buchholz (beide Landkreis Stendal) festgestellt. Öffentlichkeitswirksame demonstrative Veranstaltungen von Szeneangehörigen waren nicht zu verzeichnen. Eine zentrale Versammlung mit bundesweiter Beteiligung von Rechtsextremisten zum Gedenken an Heß erfolgte am 18. August mit etwa 700 Szeneangehörigen in Berlin-Mitte. Aktivitäten zum Volkstrauertag Rechtsextremisten begehen den "Heldengedenktag" in Anlehnung an und in ideologischer Bezugnahme auf den von den Nationalsozialisten 1934 umgewidmeten Volkstrauertag. Dabei beschränkt die rechtsextremistische Szene ihr Gedenken auf gefallene deutsche Soldaten der beiden Weltkriege sowie auf deutsche Bombenund Flüchtlingstote. Aktuell besitzt das "Heldengedenken" keine größere Mobilisierungskraft über Szenespektren hinweg, dient jedoch lokalen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen als einer 58 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus der wenigen verbliebenen zeitgeschichtlichen Anlässe für öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Drei NPD-Kreisverbände berichteten auf ihren Facebook-Seiten über Aktionen zum "Heldengedenken". Allen Veröffentlichungen waren Fotos der aufgesuchten Denkmäler und jeweils unterschiedliche Gedichte zum Thema beigefügt. Zeitzeugenvorträge Bei von rechtsextremistischen Szeneangehörigen organisierten so genannten Zeitzeugenvorträgen berichten oftmals ehemalige Wehrmachtsangehörige über ihre Kriegserlebnisse. Am 29. September fand unter dem Motto "Helden sterben nie" in Hohenwarthe (Landkreis Jerichower Land) solch ein Zeitzeugenvortrag statt. Die etwa 110 Teilnehmer kamen nicht nur aus Sachsen-Anhalt, sondern auch aus Sachsen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen. Anmelder der Veranstaltung war ein bekannter Rechtsextremist aus Niedersachsen. Aktionen im Zusammenhang mit der Verhaftung von Ursula HAVERBECK-WETZEL Am 8. Mai wurde die bundesweit bekannte seinerzeit 89-jährige Holocaust-Leugnerin Ursula HAVERBECK-WETZEL (Vlotho, Nordrhein-Westfalen) festgenommen. Gegen sie lag ein Haftbefehl wegen Volksverhetzung in acht Fällen vor. Wegen der Inhaftierung fanden auch in Sachsen-Anhalt Unterstützungsaktionen statt. So veranstalteten Rechtsextremisten am 11. Mai in Dessau-Roßlau eine angemeldete Kundgebung unter dem Motto "Freiheit für Ursula Haverbeck" mit etwa 30 Teilnehmern. Sie zeigten Transparente ("Freiheit für Ursula Haverbeck", "Freiheit für Horst Maler", "Solidarität ist eine Waffe", "Solidarität gegen staatliche Repression") und hielten zwei Redebeiträge. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 59 RechtsextRemismus In Magdeburg fand in den Abendstunden des 15. Mai eine Versammlung unter dem Motto "Freiheit für Ursula Haverbeck" statt. Die Kundgebung begann in Form einer Mahnwache mit 38 Teilnehmern unter Mitführen von vier Reichsflaggen in den Farben schwarz-weiß-rot sowie zwei Transparenten. Ein Transparent trug die Aufschrift "Freiheit für Ursula Haverbeck", auf dem zweiten Transparent waren zwischen den Aufschriften "Ihr für uns" und "wir für euch!" mittig Portraits von Ursula HAVERBECK-WETZEL und Horst MAHLER aufgebracht. Am anschließenden Aufzug nahmen 36 Personen teil. Vor dem Gebäude des LG Magdeburg formierten sich die Teilnehmer auf dem Gehweg und zündeten Fackeln an. Die Versammlung verlief störungsfrei. Anmelder der Veranstaltung war ein bekannter Rechtsextremist aus Magdeburg. Aktivitäten im Zusammenhang mit Flüchtlingen Am 10. April fand in Dessau-Roßlau eine versammlungsrechtliche Aktion unter dem Motto "Kandel ist überall - Gegen zunehmende Gewalt auf unseren Straßen" mit etwa 60 Teilnehmern 60 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus statt, davon etwa 35 aus dem rechtsextremistischen Spektrum. Drei Personen hielten Redebeiträge, die sich allesamt mit einem angeblich veränderten Sicherheitsgefühl infolge der Flüchtlingssituation in Deutschland beschäftigten. Eine weitere Kundgebung mit etwa 30 Szeneangehörigen fand unter dem Motto "Gegen Gewalt auf den Straßen" am 24. April statt. Sechs Redebeiträge hatten die Themen Islamismus, Heimat sowie die aktuelle Politik zum Inhalt. Sonstige Aktivitäten In den frühen Morgenstunden des 15. Juli fand in einem Lokal in Magdeburg-Neustadt eine Veranstaltung von Personen der rechtsextremistischen Szene statt, bei der strafrechtlich relevantes Liedgut abgespielt wurde. Den eintreffenden Polizeikräften wurde der Zutritt mittels "Verbarrikadieren" verweigert. Erst nach Hinzuziehung weiterer Einsatzkräfte der Landesbereitschaftspolizei und der Bundespolizei sowie unter Anwendung körperlicher Gewalt konnte das Lokal geräumt werden. Hierbei kam es zu teils erheblichen Widerstandshandlungen in Form von Schlägen und Tritten in Richtung der Einsatzkräfte. "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) In dem Verfahren gegen Beate ZSCHÄPE wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und gegen weitere mutmaßliche Unterstützer der terroristischen Vereinigung NSU hat der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) München am 11. Juli sein Urteil verkündet. ZSCHÄPE wurde unter anderem wegen Mordes in neun Fällen (so genannte Ceska-Serie), wegen versuchten Mordes in 32 tateinheitlichen Fällen (unter anderem Nagelbombenattentat in der Keupstraße Köln, Nordrhein-Westfalen), wegen versuchten Mordes (Sprengstoffanschlag in der Probsteigasse Köln, Nordrhein-Westfalen), wegen Mordes und Mordversuchs (an zwei Polizeibeamten in Heilbronn, Baden-Württemberg), wegen Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 61 RechtsextRemismus Raubüberfällen, wegen eines versuchten Mordes mittels einer schweren Brandstiftung (Brandlegung in der Frühlingsstraße in Zwickau, Sachsen) sowie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (NSU) verurteilt. Gegen sie wurde eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt und die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Gegen das Urteil legten Zschäpes Verteidiger das Rechtsmittel der Revision ein, weshalb noch keine Rechtskraft besteht. Das Gericht verurteilte die weiteren Angeklagten im Einzelnen wie folgt: - Andre EMINGER (Sachsen) wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, - Holger GERLACH (Niedersachsen) wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren, - den zur Tatzeit heranwachsenden Carsten SCHULTZE (Nordrhein-Westfalen) wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und - Ralf WOHLLEBEN wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren. Am 18. Juli wurde WOHLLEBEN nach sechs Jahren und acht Monaten Untersuchungshaft aus der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim (Bayern) auf Grund einer Haftbeschwerde entlassen. Er zog daraufhin zu einer Adresse im Burgenlandkreis. Es muss davon ausgegangen werden, dass WOHLLEBEN weiterhin den Kontakt zu Neonazis seiner früheren vornehmlich thüringischen Szene suchen wird. "Kollektiv Nordharz" Seit mehreren Jahren treten im Rahmen rechtsextremistischer Veranstaltungen Gruppierungen bzw. Akteure mit Bezügen zum Nordharz in Erscheinung. Anfangs beschränkte sich dies auf von Einzelpersonen oder Kleingruppen mitgeführte Fah62 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus nen2. Ab Mitte 2016 zeichnete sich eine Strukturierung ab, in die Szeneangehörige aus Niedersachsen und aus Sachsen-Anhalt involviert sind. Seit Beginn des Jahres 2017 trat diese Szene unter der Bezeichnung "Kollektiv Nordharz" öffentlichkeitswirksam in Erscheinung und verstand sich zwischenzeitlich als Teil des "Antikapitalistischen Kollektivs" (AKK). Ende 2017 gab das "Kollektiv Nordharz" seine Selbstauflösung bekannt. Mit der am 6. Januar erfolgten Gründung des Kreisverbandes Süd-Ost-Niedersachsen ging der oben genannte Personenkreis in Strukturen von DR auf3. Rechtsextremismus im Internet Rechtsextremisten kommunizieren mittlerweile fast ausschließlich über das Internet und die sozialen Netzwerke. Mit Hilfe von Verschlüsselungen können selbst sensible Informationen im Internet sicher und verborgen ausgetauscht werden. Zudem fühlen sich viele Internetnutzer auf Grund der weitgehenden Anonymität geschützt. Diese Anonymität in Verbindung mit den Verschlüsselungsmöglichkeiten hilft Rechtsextremisten in ihrem Bestreben, sich der staatlichen Beobachtung und Verfolgung zu entziehen. Das Internet wird ferner zur Mobilisierung genutzt, um in kurzer Zeit eine Vielzahl von Anhängern und Unterstützern zu erreichen. So gewannen die Veranstalter der Protestkundgebungen in Chemnitz (Sachsen) oder Köthen (Landkreis-Anhalt Bitterfeld) innerhalb weniger Stunden eine große Anzahl an Teilnehmern. Damit war oftmals ein Missbrauch der dortigen Ereignisse verbunden, um auch politisch nicht zugehörige bzw. szenefremde Personen für die eigene Sache zu gewinnen und zu instrumentalisieren. Ein Beispiel für eine solche virtuelle Gruppierung stellt die Facebook-Seite mit der Bezeichnung "Nationaler Widerstand 2 Vormalige Bezeichnungen u. a. "Nationale Sozialisten Nordharz", "Die RECHTE" Kreisverband Harz. 3 Siehe "Partei "DIE RECHTE"" auf Seite 28. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 63 RechtsextRemismus Jerichower Land" (NW-JL) dar. Auf der Seite wird szenetypisch asylkritisch argumentiert und über durchgeführte Aktionen wie das so genannte Heldengedenken berichtet. "HALLE-LEAKS" Einer der führenden in Sachsen-Anhalt aktiven Internet-Protagoninsten ist Sven LIEBICH (Klitschmar, Sachsen). Mit verschiedenen Internetpräsenzen, wie zum Beispiel dem Blog "HALLE-LEAKS" oder einem eigenen YouTube-Kanal, tritt er vornehmlich als Provokateur und Verschwörungstheoretiker auf. Seinen Aktivitäten liegt eine klare rechtsextremistische Konnotation zugrunde. Mit seiner überhöhten Darstellungen polarisiert er stark und versucht eine große Öffentlichkeit zu erreichen. So kommentiert er Beiträge aus der Tagespresse in einer irrealen, diffusen Art. Weiterhin stellt er reale Gegebenheiten bewusst verzerrt dar, damit diese in sein Weltbild passen und eine große Anhängerschaft finden können. Dies führt so weit, dass von ihm falsche Tatsachen verbreitet werden. Seine regelmäßigen (Video)Veröffentlichungen sind mitunter auch strafrechtlich relevant. Ein signifikantes Beispiel ist seine Veröffentlichung im Nachgang eines massiven Polizeieinsatzes zur Ergreifung eines abzuschiebenden Afrikaners in Ellwangen (Baden-Württemberg): Auf "HALLE-LEAKS" veröffentliche LIEBICH am 3. Mai einen Artikel, der mit "Polizei stürmt Flüchtlings-Butze in Ellwangen - bitte mit scharfen Schusswaffen!" überschrieben ist. Im Text fordert er "schießt endlich!". Außerdem ist ein Bild mit Polizeifahrzeugen zu sehen, die auf das Gelände der Asylbewerberunterkunft fahren. Es ist betitelt mit "Nehmt MPi und Flammenwerfer mit rein. Dann klappts auch mit der Abschiebung.". Ab dem 26. August berichtete LIEBICH ausführlich über das Tötungsdelikt vom selben Tag in Chemnitz (Sachsen). In seiner hasserfüllten und hetzerischen Art machte er Stimmung gegen 64 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Flüchtlinge und griff wiederholt auch Politiker an. So wurden die Täter als "Merkels Killer Moslems" bezeichnet. LIEBICH versucht, seine "digitale Dynamik" in die Realwelt zu übertragen. So veranstaltet er in Halle (Saale) regelmäßig eine "Montagsdemonstration" und nimmt außerhalb Sachsen-Anhalts an Versammlungen teil, bei denen er teilweise als Redner auftritt. So war LIEBICH am 3. Oktober Redner auf einer Versammlung des rechtsextremistischen Vereins "Wir für Deutschland" in Berlin. An der Demonstration unter dem Motto "Tag der Nation 2018" beteiligten sich etwa 1.900 Personen. Ein Großteil war verschiedenen Bereichen des rechtsextremistischen Spektrums zuzuordnen. LIEBICH wandte sich erneut gegen die "Vereinsmafia" und die "Altparteien", die er "korrupt" nannte. Den 3. Oktober bezeichnete er als "Tag der Schande". Zudem verglich er eine "Befreiung" des Deutschen Volkes vom gegenwärtigen System mit der Sklavenbefreiung. Am 12. Oktober war LIEBICH in Chemnitz (Sachsen) Redner auf einer Versammlung der rechtsextremistischen "Bürgerbewegung" PRO CHEMNITZ. Er trat dort mit etwa 15 Anhängern seiner "Merkeljugend"4 auf. Diese schwenkten rote Fahnen mit einem Euro-Symbol in der Mitte. Dabei kritisierte er in einer sarkastisch-überhöhten Art und Weise die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Im Stile Joseph Goebbels und gekleidet in einer schwarzen Uniform sprach er von "unserer geliebten Führerin Bundeskanzlerin Angela Merkel". LIEBICH und seine Anhänger skandierten zudem "Heil Merkel" und er rief den Teilnehmern der Versammlung zu: "Wollt ihr die totale Umvolkung?". 4 Zahlenmäßig variable Anhängerschaft des LIEBICH. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 65 RechtsextRemismus Am 16. November besuchte die Bundeskanzlerin Chemnitz. Unter dem Motto: "Lang lebe die Kanzlerin" meldete LIEBICH in diesem Zusammenhang eine Versammlung an, die Bestandteil des Demonstrationsgeschehens von PRO CHEMNITZ war. LIEBICH zog mit etwa 150 Teilnehmern seiner "Merkeljugend" durch die Stadt. Im Vorfeld der Versammlung stellte die sächsische Polizei 200 von LIEBICH mitgebrachte T-Shirts sicher. Auf diesen war "Weniger Lohn, Weniger Rente, Mehr Flüchtlinge, Heil Merkel!" aufgedruckt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die neonazistische Szene erfuhr gravierende organisatorische Änderungen. In der Zukunft gewinnen strukturarme Vernetzungsstrategien sowie eine erhöhte Konspiration an Bedeutung und kurzlebige Aktionsformen werden das Bild dieser Szene prägen. Vorträge oder so genannte Schulungsabende finden zwar weiterhin statt und stärken den Gemeinschaftssinn, werden aber zunehmend von virtuellen sozialen Netzwerken verdrängt. Seit Sommer nimmt das Aktionsniveau der neonazistischen Szene bei der Durchführung von "Anti-Asyl"-Veranstaltungen wieder zu. Die bundesweiten Vorfälle zum Beispiel in Chemnitz (Sachsen) und Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) zeigen, dass sich Rechtsextremisten aus der Neonaziszene gemeinsam mit 66 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Personen aus dem rechtsextremistischen Parteienspektrum und aus der Hooliganund Fußballszene an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen gegen die Asylpolitik der Bundesregierung beteiligen. Auf Grund dieser temporären Allianzen und der Verbindungen über die sozialen Netzwerke gelingt es den Neonazis, ihre szeneinterne Bedeutung zu erhöhen und in der Öffentlichkeit entsprechend wahrgenommen zu werden. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 67 RechtsextRemismus Weitgehend unstrukturierte, meist subkulturell geprägte Rechtsextremisten Verbreitung Bundesweit Gründung Diese Szene ging aus der Ende der 1960er Jahre in Großbritannien entstandenen Skinheadszene hervor und breitete sich in den 1970er Jahren auch in Deutschland aus. Struktur Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Aufbau Szene ist als heterogen und ohne feste Strukturen zu beschreiben. Es mangelt ihr grundsätzlich an der Bereitschaft zur Bildung von überregionalen Organisationsformen. Die Protagonisten treten eher in kleinen Cliquen auf, die vornehmlich in ihren Regionen agieren. Die Ausnahme hiervon bilden lediglich die Hammerskinheads, die nach dem Verbot der neonazistischen Skinhead-Organisation Organisation "Blood & Honour" im Jahre 20001 die einzige verbliebene bundesweite rechtsextremistische Skinheadorganisation mit festem hierarchischen Aufbau ist, jedoch derzeit ohne Chapter in Sachsen-Anhalt. Ein Trend der letzten Jahre besteht zudem darin, dass Gruppierungen, die im Kern der subkulturellen Szene zuzuordnen sind, wie etwa die zwischenzeitlich nicht mehr existierende "Brigade Halle/Saale", Strukturelemente der neonazistischen Szene adaptieren. Neben dem Vorhandensein fester innerer Strukturen, autoritärer Führungspersonen oder der Finanzierung über Mitgliedsbeiträge war dies auch daran festzustellen, dass das aktionsorientierte Verüben von Straftaten nicht mehr im Vor- 1 Blood & Honour wurde am 12. September 2000 vom Bundesministerium des Innern verboten. 68 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus dergrund steht. Zunehmend rückt das Planen und Durchführen versammlungsrechtlicher Aktionen in das Betätigungsfeld der Szene. Eine klar definierte Abgrenzung zum Neonazismus ist damit kaum noch möglich. Erschwerend kommt hinzu, dass von dieser "Mischszene" auch Strukturen und Erscheinungsformen anderer, nicht extremistischer Subkulturen, wie Rocker oder Hooligans, übernommen und Personen dieser Subkulturen rekrutiert werden. Ebenso erschwert die immer öfter festzustellende Verlagerung von rechtsextremistischen Aktivitäten in den virtuellen Raum den Sicherheitsbehörden die Beschreibung der subkulturellen Szene und vor allem aber die BewertungBewertung möglicher Gefahren. Rechtsextremisten nutzen soziale Netzwerke und Messengerdienste zunehmend nicht nur als Propagandainstrument, sondern finden sich hierüber einfach und vor allem schnell in virtuellen Gruppen zusammen. Gerade im Bereich der gewaltorientierten Szene sind es sodann Themen mit Gewaltbezug gegen Ausländer und politisch Andersdenkende oder gar Anschlagsszenarien, die in Gruppendiskussionen festzustellen sind und die Aufmerksamkeit der Behörden erfordern. Insoweit ist es von Bedeutung, das tatsächliche Übertragen derartiger Strukturen in den realen Raum und dort sich bildende Gruppierungen beziehungsweise deren mögliches Mobilisierungspotenzial frühzeitig zu erkennen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 69 RechtsextRemismus Mitglieder Land: etwa 740 (2017: etwa 760) Anhänger Bund: etwa 13.2402 (2017: 9.200) VeröffentWeb-Angebote: Bekanntgabe von Veranstallichungen tungen mittels Plakaten und Foren im Internet; Agitationen in sozialen Medien Kurzportrait / Ziele Mit der zunehmenden Politisierung der Skinheadszene seit Mitte der 1990er Jahre und der seit dem zu beobachtenden Verwischung der bis dahin klar abgrenzbaren Erscheinungsformen des Rechtsextremismus in Gestalt von Neonazis, Parteienspektrum und Skinheads bildete sich eine subkulturelle und als vielschichtig zu charakterisierende Szene heraus, die es kaum noch möglich macht, von "dem" Skinhead zu sprechen, der mit einheitlichen Dresscodes oder dem seinerzeit typische Erscheinungsbild erkennbar wäre. Vielmehr weisen die Angehörigen der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene seit geraumer Zeit ein sehr heterogenes Erscheinungsbild auf und definieren sich eher über szenetypische Musik und den damit verbundenen Lebensstil. Gerade das Auftreten passt sich dabei aktuellen Trends und auch der Altersstruktur des Personenpotenzials an. So treten subkulturell geprägte Rechtsextremisten etwa bei versammlungsrechtlichen Aktionen oftmals als "Schwarzer Block" auf; eine Erscheinungsform, die in der Vergangenheit eher allein das linksextremistische Spektrum charakterisierte. Die dieser Szene zuzuordnenden Personen verfügen in aller Regel nicht über ein in sich geschlossenes Weltbild, sondern werden von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst und geprägt. Als Kernfelder dienen hier vor allem Rassismus und Antisemitismus, gepaart mit einer Gewaltaffinität, die sich wiederum insbesondere gegen Minderheiten und aus ihrer Sicht anders Denkende 2 Auf Bundesebene umfasst diese Szene nunmehr auch die rechtsextremistisch geprägten Reichsbürger. 70 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus richtet. Gewalt und Gewaltbereitschaft waren schon immer ein wesentliches Kennzeichen der subkulturellen Szene. Im Zuge der zu beobachtenden Verjüngung der Szene ist zudem eine Zunahme der aktionsorientierten Motivation zu verzeichnen. Daraus resultieren meist spontan aggressive und gewalttätige Aktionen, mit denen die subkulturelle rechtsextremistische Szene in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Grund der Beobachtung Das Weltbild dieser Szene wird von rassistischen, antisemitischen, fremdenfeindlichen und Gewalt gegen Ausländer befürwortenden Ideologiebestandteilen sowie das demokratische System ablehnenden Haltungen geprägt. Dies wird in Aktionen, Strafund Gewalttaten sowie in zahlreichen Liedern einschlägiger Musikgruppen offen zum Ausdruck gebracht. Gerade die Liedtexte fungieren als wichtiges Medium, um rechtsextremistische und zum Teil gewaltbefürwortende Inhalte zu verbreiten. Gleichzeitig sollen damit bei den Hörern Hemmschwellen in Bezug auf die Ablehnung Anderer und die Anwendung von Gewalt abgebaut werden. All dies steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Ereignis am 8. September in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) und anschließendes Demonstrationsgeschehen In den Abendstunden des 8. September kam es in Köthen zwischen einem 22-jährigen Deutschen, zwei Afghanen (18 und 20 Jahre) und mindestens drei weiteren unbekannten Beteiligten zu einer verbalen und körperlichen Auseinandersetzung, in deren Folge der 22-Jährige Deutsche später verstarb. Als Todesursache wurde öffentlich mitgeteilt, dass ein akuter Herzmuskelinfarkt festgestellt worden war. Daraufhin fand am 9. September in Köthen unter anderem ein so genannter Trauermarsch mit bis zu 2.500 Personen statt, an dem nach hiesiger Einschätzung etwa 400 Rechtsextremisten Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 71 RechtsextRemismus teilgenommen haben. Diese kamen mehrheitlich aus allen Regionen Sachsen-Anhalts, darunter auch die bekannten Protagonisten Alexander WEINERT (Dessau-Roßlau), Jens BAUER (Elsteraue, Burgenlandkreis), Steffen JENRICH (Angern, Landkreis Börde) sowie die Landesvorsitzenden der NPD Steffen THIEL (Zeitz) und von DR Ingo ZIMMERMANN (Magdeburg). Der Termin verbreitete sich über die Sozialen Medien, was für eine Szenemobilisierung im gesamten Bundesgebiet sorgte, wie Teilnahmeabsichten unter anderem aus Bayern, Brandenburg, Hessen und Niedersachsen zeigten. Als Redner traten die hinlänglich bekannten Rechtsextremisten Dieter RIEFLING (Niedersachsen) und David KÖCKERT (Thüringen) sowie Alexander KURTH (Sachsen) in Erscheinung. Nach Aufrufen der AfD zu einem so genannten Trauermarsch und einer Kundgebung von THÜGIDA unter dem Motto "KLAGT NICHT, KÄMPFT!" versammelten sich am 10. September erneut rund 550 Personen in Köthen, darunter etwa 300 Rechtsextremisten. Beide Veranstaltungen verliefen störungsfrei. Ebenfalls für den 10. September und im Zusammenhang mit den Geschehnissen in Chemnitz (Sachsen) am 26. August und in Köthen mobilisierte Sven LIEBICH in den sozialen Medien zur Teilnahme an seiner so genannten Montagsdemonstration in Halle (Saale). Unter dem Motto "Montagsdemo in Halle - Für Frieden, Ehrliche Medien, Soziale Gerechtigkeit" bewegte sich ein Aufzug mit bis zu 450 Teilnehmern durch die Hallenser Innenstadt. Redner bei der Abschlusskundgebung war unter anderem LIEBICH. Unter den Teilnehmern konnte ein breites rechtsextremistisches Spektrum festgestellt werden, aber auch Teile der Türsteherszene und gewaltaffine Anhänger des HFC3. Die Polizei leitete mehrere Ermittlungsverfahren ein, unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Beleidigungen, Körperverletzungen sowie Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. 3 Hallescher Fußballclub 72 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus LIEBICH bewertete die für seine Verhältnisse hohe Teilnehmerzahl als großen Erfolg und Zeichen für einen beginnenden Umschwung. Der dem asylfeindlichen PEGIDA-Spektrum zuzurechnende Verein "Zukunft Heimat e.V." aus dem Land Brandenburg war Anmelder einer Demonstration am 16. September. Ebenfalls in Köthen versammelten sich unter dem Motto "Getötet, verleugnet, vergessen - Wie oft noch?" über 1.400 Personen, darunter etwa 400 Rechtsextremisten. Der rechtsextremistische Personenkreis dürfte mehrheitlich aus dem südlichen Sachsen-Anhalt und aus der Region stammen, ergänzt um überregional angereiste Teilnehmer aus Brandenburg, Sachsen, Thüringen und Niedersachsen. Unter den Teilnehmern befanden sich auch LIEBICH, der sein Klientel aus Halle (Saale) mobilisiert haben dürfte, Vertreter der IBD sowie der als "Volkslehrer" bekannt gewordene "Reichsbürger" Nikolai NERLING (Berlin). Insbesondere Vertreter der "Neuen Rechten" traten als Redner in Erscheinung. Insgesamt setzten sich die Teilnehmer aus allen Spektren des Rechtsextremismus zusammen (Parteien, Neonazis und subkulturell geprägte Personen). Unter dem Motto "#wirsindköthen" veranstaltete die Partei "DIE REPUBLIKANER" am 29. September eine Versammlung in Köthen mit 462 Teilnehmern. Hierbei wurden Redebeiträge gehalten und Musikbeiträge abgespielt. Auf Grund konzertierter behördlicher Maßnahmen fand die Veranstaltung unter strengen Auflagen statt. So konnte das musikalische Rahmenprogramm mit den rechtsextremistischen Bands "Kategorie C" (Niedersachsen), "Legion Twierdzy Wroclaw" (Polen) und dem Rapper "Ville der Ossi" (Patrick KILLAT, Berlin) wegen eines Verbots nicht wie geplant abgehalten werden. Daher reisten mit 462 polizeilich festgestellten Personen nur rund die Hälfte der von den Veranstaltern erwarteten Teilnehmer an. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 73 RechtsextRemismus Gegen den 41-jährigen Versammlungsanmelder aus Niedersachsen wurde ein Verfahren wegen Verstößen gegen die Beschränkungsverfügung eingeleitet. Weiter äußerte er am Mikrofon: "Ich bin stolz ein Nazi zu sein." Der stellvertretende Versammlungsleiter, KÖCKERT, äußerte in seiner Rede: "Dieses antideutsch, asoziale, von Juden gelenkte zionistische System..." Die Polizei leitete diesbezüglich zwei Strafverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung ein. Ein unbekannter Teilnehmer stimmte ein Lied der Band "Kategorie C" an, welches unter die Beschränkungsverfügung fiel. Die inhaltliche Gestaltung der rechtsextremistischen Versammlung übernahmen wiederum Personen, die aus Berlin, Thüringen, Sachsen und der Schweiz stammten, was einem "Import von Rechtsextremisten" nach Sachsen-Anhalt gleichkommt. Hier zeigt sich, wie ein Thema und dessen Instrumentalisierung derart mobilisieren und emotionalisieren kann, dass es überregionale Anziehungskraft entfaltet. Für asylfeindliche Rechtsextremisten ist egal, wo ein "Ereignis" stattfindet. Während der jeweilige Ort eine untergeordnete Rolle spielt, ist vielmehr entscheidend, ob das Thema vermittelbar, mobilisierungsund anschlussfähig ist. Das Ereignis in Köthen und der Fall in Chemnitz bieten einen gemeinsamen Nenner für das vielfältige Tun von Rechtsextremisten. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass Themen wie "Trauerarbeit", politische Kundgebung, Musikveranstaltung und das Begehen von Straftaten, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, von Rechtsextremisten miteinander verwoben werden. Ihnen geht es bei ihren Protesten und Aktionen nicht um das singuläre Ereignis, sondern um die weitere Implementierung ihrer von Fremdenund Asylfeindlichkeit geprägten Ideologie im gesellschaftlichen Raum. Mit den Demonstrationen in Chemnitz und Köthen haben Rechtsextremisten zumindest zeitweilig den Anschluss an das bürgerliche Spektrum erlangt. 74 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Weiterhin zeigt die Beteiligung von regionalen und insbesondere überregionalen Rechtsextremisten die rasante Mobilisierungsund Reaktionsfähigkeit der Szene. Allgemein ist auch mit Blick auf das weitere Versammlungsgeschehen im Land festzuhalten, dass die rechtsextremistische Szene angesichts der Gewalttaten mit Todesfolge hoch emotionalisiert reagiert. lm Vorfeld und im Nachgang demonstrativer Ereignisse wird es weiterhin aggressive Verlautbarungen wie Kommentare, Berichte, Videos in den sozialen Netzwerken und MessengerDiensten geben. Es ist derzeit noch nicht absehbar, ob und wie sich diese Diskussionen in der Realwelt weiter Bahn brechen werden. Es muss damit gerechnet werden, dass sich die rechtsextremistische Szene langfristig mit dem Thema der vermeintlichen Ausländergewalt befassen wird. Beispiele der "Mischszene" Wie angeführt, adaptieren Teile der subkulturellen Szene Strukturelemente der neonazistischen Szene, so dass eine "Mischszene" entstand, deren Protagonisten innerhalb eines losen Gefüges agieren. Beispielhaft werden hierfür folgende Gruppierungen genannt. "Brigade Halle/Saale" (BHS) Die BHS war in den Vorjahren regelmäßig im Bereich der Stadt Halle (Saale) in Erscheinung getretenen. Im Berichtsjahr waren keine Aktivitäten dieser Gruppierung mehr zu verzeichnen. Damit hat sich bestätigt, was in der überwiegend aktionsorientierten subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene regelmäßig zu beobachten ist: Gruppen mit eher festeren Strukturen bestehen nur für begrenzte Zeit und fallen dann wieder auseinander. So sind Personen, die zuvor der BHS angehörten, zwar weiterhin bei rechtsextremistischen Szeneveranstaltungen auszumachen, jedoch nicht mehr in geschlossener und organisierter Form. Die Etablierung einer Nachfolgegruppierung ist bislang nicht festzustellen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 75 RechtsextRemismus "Kameradschaft Aryans" (KA) Die vorherigen Ausführungen zur BHS gelten in gleicher Weise für die KA. Diese "Kameradschaft" trat im Rahmen einer rechtsextremistischen Versammlung am 1. Mai 2017 in Halle (Saale) in Erscheinung, konnte in der Folge jedoch nicht die Lücke in der örtlichen Szene füllen. Abgesehen von der Versammlungsteilnahme und einer im Nachgang begangenen Gewalttat kam es im Berichtszeitraum zu keinem öffentlichkeitswirksamen Auftreten. Soweit aus Sicht der Verfassungsschutzbehörde für den Raum Halle (Saale) mögliche Strukturen erkennbar waren, stellten sich diese in der Folge eher als lose Kennverhältnisse heraus, aus denen kein organisiertes Zusammenwirken erwuchs. "Brigade Magdeburg" (BM) Anders als in Halle (Saale) war die BM zumindest noch im virtuellen Raum existent und trat mit entsprechenden Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken und zuletzt mit einem Aufruf zur Teilnahme an einem so genannten Fackelmarsch am 10. November in Magdeburg in Erscheinung. Darüber hinaus ist jedoch bei der BM kein geschlossenes Auftreten im realen Raum mehr auszumachen. Die BM war erstmals im Jahr 2016 in Erscheinung getreten und schien sich bei ihrer Gründung und Ausrichtung an der damals bereits bestehenden BHS orientiert zu haben. Ob Personen, die der BM angehören oder angehört haben, an anderen Erscheinungsformen beteiligt sind, ließ sich bislang nicht belegen. Wie bei anderen örtlichen Szenen mit überwiegend aktionsorientierter Ausrichtung war auch hier festzustellen, dass sich Rechtsextremisten neuen Bewegungen anschließen, soweit diese das Streben nach Aktionen besser zu befriedigen scheinen. So konnten Personen, die etwa 2015 bei "MAGIDA 2.0"4 Fuß fassten, später in der aktuell nicht mehr aktiven Gruppierung "Gemeinsam Stark Magdeburg"5 verortet werden. 4 Siehe "Magdeburger gegen die Islamisierung des Abendlandes 2.0" auf Seite 46. 5 Siehe Verfassungsschutzbericht 2016, Seite 76 f.. 76 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Diese Gruppierung war vor allem mit einer Versammlung am 9. April 2016 in Erscheinung getreten, an der bis zu 800 Personen teilnahmen. Momentan scheint sich eine Gruppe um die Organisatoren des so genannten Fackelmarsches am 10. November6 gebildet zu haben. In ihr treten wiederum bereits bekannten Personen auf. Für die Vorbereitung ihrer Aktionen nutzen sie einschlägig bekannte, von der Szene regelmäßig genutzte Örtlichkeiten. "Bürgerbewegung Altmark" (BA) Die Szene im Landkreis Stendal konnte mit zwei versammlungsrechtlichen Aktionen am 18. August und 27. Oktober in Tangermünde mobilisieren und auch Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern für ihre Aktionen gewinnen. Die Veranstaltungen waren von der so genannten BA durchgeführt worden. Trotz des Namens, der den Anschein eines bürgerlichen Bezuges vermitteln soll, handelt es sich bei den Protagonisten der BA um hinlänglich bekannte Rechtsextremisten aus dem subkulturell geprägten Spektrum. Verbindungen zur Fanund Hooliganszene Die Verfassungsschutzbehörde stellt regelmäßig personelle Schnittmengen zwischen rechtsextremistischer Szene und Hooliganszene fest. Die Hooliganszene als solche wird nicht als verfassungsfeindliche und damit extremistische Bestrebung bewertet. Es liegen keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vor, dass von der Hooliganszene Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen (SS 4 Abs. 1 Nr. 1 VerfSchG LSA). Gleichwohl bestehen verfassungsschutzrelevante Schnittmengen und Verbindungen. Bekannte Rechtsextremisten treten erkennbar und aktiv in der Hooliganszene auf. Zudem begehen vereinzelte Mitglieder von Hooliganoder Fangruppierungen auch Straftaten aus dem Bereich der politisch motivierten Kriminalität -rechts-. 6 Siehe Seite Seite 48. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 77 RechtsextRemismus Als Beispiel für eine fremdenfeindliche und damit rechtsextremistische Straftat kann ein Vorfall vom 16. Oktober aus Halle (Saale) genannt werden. Im Rahmen der Abreisebewegungen nach einem Spiel des HFC hinderten einige HFC-Anhänger zwei Syrer daran, eine Straßenbahn zu besteigen. Sie skandierten dabei ausländerfeindliche Parolen und ein Mann zeigte ein Messer in Richtung der Syrer. Als sich die Beiden entfernten, wurden sie von etwa 20 HFC-Anhängern verfolgt und mit Flaschen beworfen, wobei ein Geschädigter am Kopf getroffen wurde. Daraufhin brachen die Tatverdächtigen die Verfolgung ab und verschwanden. Ein besonderer Fokus der Verfassungsschutzbehörde auf die Schnittmengenbetrachtung ergab sich auch auf Grund der FIFA-Fußballweltmeisterschaft in Russland. Da bereits im Vorfeld provozierende Fanutensilien mit neonazistischen Motiven im Internet angeboten wurden, waren die Sicherheitsbehörden besonders gefordert. Neben vereinzelten Reisen bekannter Rechtsextremisten nach Russland waren letztlich aber keine relevanten Feststellungen zu treffen, die im Rahmen der Veranstaltung die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland oder den Gedanken der Völkerverständigung hätten belasten können (vgl. SS 4 Abs. 1 Nr. 4 und 5 VerfSchG LSA). Nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörde ist es bisher zu keiner zielgerichteten rechtsextremistischen Unterwanderung von Hooligangruppen sowie von Fußballvereinen, Fanclubs und Ordnerdiensten in Sachsen-Anhalt gekommen. 78 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Auch die aktive Beteiligung von Hooligans und Fußballfangruppen an den Demonstrationen in Chemnitz (Sachsen) und Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld)7 im August und September ändert an dieser Einschätzung nichts. Es macht deutlich, dass die Hooliganszene - wie auch zu Hochzeiten von HogeSa oder GSD8 in den Jahren 2014 bis 2016 - einerseits zwar politisch beeinflussbar ist, dass es sich anderseits bei einer Vielzahl von Hooligans bzw. gewaltorientierten Fußballfans aber nicht um ideologisch gefestigte Rechtsextremisten handelt. Vielmehr dürften die versammlungsrechtlichen Großereignisse als Möglichkeit des aktiven Ausbruchs aus der "Normalität", gepaart mit der Gelegenheit des offenen und medial aufbereiteten Auslebens von Provokation und Gewalt als Motivation für diesen Personenkreis gedient haben. Auch der allgemeine Unmut, soziale Unzufriedenheit und ein subjektiv fehlendes Sicherheitsgefühl darf bei der Betrachtung möglicher Motivationsgründe nicht unberücksichtigt bleiben und dürfte zur Teilnahme auch von Personen des nichtextremistischen Bereichs an Szeneveranstaltungen wie in Chemnitz und später auch in Köthen geführt haben. Festzustellen ist zudem, dass Straftaten aus dem Bereich der Propagandadelikte vor allem begangen werden, um gegnerische Fangruppen sowie Sicherheitsund Polizeikräfte zu provozieren. Eine entsprechende rechtsextremistische Gesinnung ist damit eher selten verbunden. Gleichwohl ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die unreflektierte Übernahme von rechtsextremistischer Propaganda der Wegbereiter für einen Einstieg in die rechtsextremistische Szene darstellen kann. Ein Beispiel hierfür sind die Schmierereien der Worte "Heil Hitler" sowie der Zahl "88", die der Betreiber der MDCC-Arena in Magdeburg nach dem Fußballheimspiel des 1. FC Magdeburg gegen den FSV Zwickau9 feststellte. 7 Siehe "Ereignis am 8. September in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) und anschließendes Demonstrationsgeschehen" auf Seite 71. 8 Hooligans gegen Salafisten, Gemeinsam Stark Deutschland, siehe Verfassungsschutzbericht 2017, Seite 72. 9 Fußball-Sportverein Zwickau Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 79 RechtsextRemismus Ein weiteres Beispiel ist das Zeigen des Hitlergrußes aus der Gruppe von Fans des 1. FC Magdeburg nach einem Heimspiel am 17. August. Rechtsextremistische Waffenaffinität Nicht nur subkulturell geprägte Rechtsextremisten sondern Rechtsextremisten generell weisen häufig eine besondere Affinität zu Waffen und Militaria auf. Diese haben in der Szene aus milieuspezifischen und insbesondere ideologischen Gründen eine große Bedeutung. Die Kombination aus menschenverachtender Weltanschauung, niedriger Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt und ausgeprägter Affinität zu Waffen stellt ein nicht zu vernachlässigendes Bedrohungspotenzial dar. Dies haben insbesondere die rechtsterroristischen Aktivitäten des NSU gezeigt. Bereits in der Vergangenheit war festzustellen, dass sich Rechtsextremisten an Schießtrainings und militärähnlichen Übungen im Inund Ausland beteiligen. Dieses Verhalten folgt dabei der in der Szene propagandistisch geforderten stetigen Wehrhaftigkeit. Auch im Berichtszeitraum haben Rechtsextremisten an Schießübungen im Ausland teilgenommen, davon entfiel auf Sachsen-Anhalt nur eine geringe Anzahl. Der Verfassungsschutzbehörde sind etwa 30 Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt bekannt, die über waffenrechtliche Erlaubnisse verfügen. Das sind zum Einen Personen, die als Jäger oder Sportschützen zum Besitz erlaubnispflichtiger Schusswaffen berechtigt sind und zum Anderen Personen, die den so genannten Kleinen Waffenschein besitzen, der zum Führen bestimmter frei erwerbbarer Waffen berechtigt. Soweit der Verfassungsschutzbehörde ausreichend mitteilbare Erkenntnisse vorliegen, die Zweifel an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit aufkommen lassen, werden die zuständigen Waffenbehörden gemäß SS 18 Abs. 1 VerfSchG LSA hierüber informiert. 80 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Gemäß Urteilen des Verwaltungsgerichtshof Hessen10 und des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts11 liegt eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit vor, wenn eine Bestrebung unterstützt wird, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet. Verbindungen zu anderen Subkulturen Prepper-Szene Teile der Szene beschäftigt die Vorstellung, dass es in Deutschland vor allem aufgrund der Zuwanderung zu einem politischen Umbruch oder bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen wird. Darauf wolle sich die Szene vorbereiten. Neben der oftmals nur verbalen Absichtserklärung hinsichtlich einer möglichen Bewaffnung geriet das Betätigungsfeld der so genannten "Prepper" in den Fokus der Extremisten. Der Begriff "Prepper" ist aus dem Englischen abgeleitet12 und bezeichnet Personen, die sich mittels individueller Maßnahmen auf jedwede Art von Katastrophe vorbereiten. "Prepper" sind als solche grundsätzlich nicht extremistisch konnotiert. Es ist jedoch festzustellen, dass Rechtsextremisten die Verhaltensweisen der "Prepper" adaptieren und sich entsprechend im Rahmen von internen Seminaren oder Vortragsveranstaltungen schulen. Motivationslage ist jedoch nicht die preppertypische Sorge vor Naturkatastrophen oder ähnliches. Der Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt liegen bislang keine Anhaltspunkte für eine gezielte rechtsextremistische Beeinflussung bzw. Unterwanderung der "Prepper"-Szene vor. Kampfsportszene Eine weitere Schnittmengenbetrachtung der Verfassungsschutzbehörde erfolgt im Bereich der Kampfsportszene. Auf Grund des in der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene vorherrschenden Männlichkeitskultes und der Gewaltaffinität lassen sich regelmäßig Schnittmengen abbilden. Der Glaube an einen "Untergang des Systems" scheint zunehmend 10 Urteil vom 12.10.2017 im Verfahren 4 A 626/17. 11 Urteil vom 16.03.2018 im Verfahren 3 A 556/17. 12 To be prepared = vorbereitet sein. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 81 RechtsextRemismus Rechtsextremisten zur Ausübung von Kampfsport oder zur Teilnahme an (internen) Selbstverteidigungsseminaren zu bewegen. Eine solche Veranstaltung fand zum Beispiel am 20. Oktober in der Gemeinde Wallstawe (Altmarkkreis Salzwedel) statt. Neben Selbstverteidigungsseminaren führen Rechtsextremisten aber auch größere und in der Szene etablierte Kampfsportveranstaltungen durch. Von Bedeutung waren hier etwa der "Kampf der Nibelungen" am 21. April und 13. Oktober in Ostritz (Sachsen) und die Veranstaltung "TIWAZ - Kampf der freien Männer" am 9. Juni in Grünhain (Sachsen). Auch bei diesen Veranstaltungen konnten Teilnehmer aus Sachsen-Anhalt festgestellt werden, zum Teil als aktive Kämpfer. Die Erfahrungen der Verfassungsschutzbehörden zeigen, dass solche Veranstaltungen, zumal wenn sie gut besucht sind, aus monetären Gründen wiederholt werden. Betroffene Gemeinden informiert die Verfassungsschutzbehörde aus Präventionsgründen, insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungsorten. Fremdenfeindlich motivierte Protestaktionen Am 3. März und 14. April führte eine asylkritische Bürgerbewegung zwei versammlungsrechtliche Aktionen in Merseburg (Saalekreis) durch. Die Teilnehmerzahlen lagen jeweils im dreistelligen Bereich, unter anderem hatten Rechtsextremisten aus dem Landkreis Mansfeld-Südharz, dem Burgenlandkreis und dem Saalekreis teilgenommen. Der hinreichend bekannte Sven LIEBICH trat beide Male als Redner in Erscheinung. Seine Ausführungen enthielten rechtsextremistische Bezüge verbunden mit dem Ziel, Angst und Hass gegen Ausländer zu schüren. 82 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Er äußerte sich fremdenfeindlich, bezeichnete das Verhalten von Flüchtlingen pauschal als kriminell und beleidigte und beschimpfte Politiker verschiedener Parteien. Am 29. September trat die Szene im Landkreis Wittenberg in der Lutherstadt Wittenberg mit der Teilnahme an einer Versammlung unter dem Motto "Gerechtigkeit für Marcus Hempel - Das war keine Notwehr" in Erscheinung. An der von einem Landtagsabgeordneten der AfD geleiteten Versammlung nahmen bis zu 290 Personen teil, darunter auch Rechtsextremisten. Im Jahr 2017 kam es in der Lutherstadt Wittenberg zu Auseinandersetzung zwischen einem Deutschen und einem syrischen Flüchtling, in deren Folge der Deutsche verstarb. Dieses Ereignis wurde und wird seitdem von der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene instrumentalisiert. Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik dient der Szene neben ihrer identitätsstiftenden Funktion auch als Lockmittel, um Jugendliche oder junge Erwachsene an die rechtsextremistische Szene sowie deren Ideologie heranzuführen und zu binden. Inhaltlich vermitteln die Texte - zumeist unterschwellig - rechtsextremistische Feindbilder und Fragmente einer nationalistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen und antidemokratischen Ideologie. Rechtsextremistische Musik besitzt somit unverändert eine herausragende Bedeutung für die Bildung und den Bestand der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Wie in den Vorjahren setzte sich der Trend fort, Veranstaltungen mit überschaubaren Teilnehmerzahlen durchzuführen. Konzerte im kleinen Rahmen und Liederabende lassen sich mit geringem logistischen Aufwand konspirativ und ohne lange Planungszeiten organisieren. Darüber hinaus können dafür private Veranstaltungsorte genutzt werden. Diese sind vor allem wegen der eingeschränkten Zugriffsrechte der OrdnungsbeVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 83 RechtsextRemismus hörden beliebte Treffund Anlaufpunkte der rechtsextremistischen Szene. Ein prägnantes Beispiel aus Sachsen-Anhalt ist das Objekt von Enrico MARX im Allstedter Ortsteil Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz). Insgesamt registrierte die Verfassungsschutzbehörde im Berichtszeitraum acht Konzerte und 13 Liederabende (2017: ebenfalls acht Konzerte und 13 Liederabende). Bei den Liederabenden lag der Szenezuspruch wiederum durchschnittlich im mittleren zweistelligen Bereich. Konzerte konnten etwas mehr Besucher mobilisieren, hier waren hohe zweistellige bis niedrige dreistellige Teilnehmerzahlen zu verzeichnen. Aus den im Verhältnis niedrigen Teilnehmerzahlen in Sachsen-Anhalt lassen sich jedoch keine allgemeinen Schlüsse ziehen. Insgesamt betrachtet sind die Anziehungskraft und die Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Konzerte ungebrochen. Das zeigt sich deutlich an mehreren angemeldeten Großveranstaltungen, wie dem so genannten "Schild und Schwert"-Festival am 20. und 21. April in Ostritz (Sachsen) mit über 1.000 Teilnehmern und der Veranstaltung "Tage der nationalen Bewegung" am 8. und 9. Juni in Themar (Thüringen) mit über 2.200 Besuchern, darunter viele aus Sachsen-Anhalt. Doch auch bei solchen angemeldeten Großveranstaltungen konnten im Zusammenwirken von Ordnungsund Sicherheitsbehörden Erfolge verbucht werden: Die Neuauflage des Festivals "Rock gegen Überfremdung" in Apolda (Thüringen), das 84 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus im Juli 2017 noch etwa 5.000 Teilnehmer anzog, konnte auf Grund behördlicher Maßnahmen nicht zum geplanten Termin und im geplanten Umfang stattfinden. Die im provisorischen Rahmen stattfindende Ersatzveranstaltung im Oktober wurde an beiden Tagen zusammen lediglich von etwa 1.500 Rechtsextremisten besucht. Die Feststellung der letzten Jahre, dass die Mehrzahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen im südlichen Sachsen-Anhalt stattfand, hat auch im Berichtszeitraum Bestand. Schwerpunkt war hier erneut das bereits genannte Objekt von MARX, wo nahezu jede dritte Veranstaltung in Sachsen-Anhalt stattfand. Unmittelbar darauf folgen Spielstätten im Saalekreis sowie der kreisfreien Städte Halle (Saale) und Dessau-Roßlau. Musikgruppen und Liedermacher Hinsichtlich der Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen aus Sachsen-Anhalt ist gegenüber dem Vorjahr keine Veränderung feststellbar. Nach wie vor sind 13 rechtsextremistische Bands bekannt, von denen jedoch sechs (2017: drei) nicht aktiv in Erscheinung traten. Die aktiven Musikgruppen spielten im Berichtszeitraum nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern traten auch in anderen Bundesländern auf - meist im Rahmen von Großveranstaltungen wie in Ostritz und Themar. Zu Aktivitäten von Liedermachern aus Sachsen-Anhalt liegen im Berichtszeitraum keine Erkenntnisse vor. Sofern Liedermacher in Sachsen-Anhalt auftraten, waren dies Akteure aus anderen Bundesländern. Politisch motivierte Kriminalität - rechts - Die Darstellung der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene, mit ihrem rassistischen und fremdenfeindlichen Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 85 RechtsextRemismus Weltbild, das Gewalt befürwortet und das demokratische System ablehnt, findet in den Daten der politisch motivierten Kriminalität (PMK) - rechts - eine statistische Größe. Diese Daten geben den Sicherheitsbehörden die Möglichkeit, Häufungen oder Tendenzen von rechtsextremistischen Straftaten im Land Sachsen-Anhalt zu erkennen. Wie im Vorjahr korrespondiert der Rückgang des Personenpotenzials der gewaltorientierten subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene erneut mit der Verminderung der Strafund vor allem Gewalttaten der PMK - rechts -. Dennoch darf die unverändert fortbestehende Gewaltbereitschaft der Szene nicht verkannt werden. Gerade Aktionen wie in Chemnitz (Sachsen) zeigen das hohe Aggressionsund Gewaltpotenzial in Teilen der Szene. Bietet sich doch bei entsprechenden Ereignissen, die Rechtsextremisten bewusst für sich vereinnahmen, die Möglichkeit, um die vorhandene Bereitschaft in tatsächliche Gewaltund Straftaten umzusetzen. Im Berichtsjahr wurden insgesamt 1.321 Straftaten im Bereich der PMK - rechts - erfasst. Damit bestätigt sich der rückläufige Trend. (Vorjahr: 1.461). Hiervon wurden 1.270 Taten als extremistisch eingestuft (Vorjahr: 1.398). Bei den Gewalttaten gab es einen leichten Rückgang um 13 auf 92 registrierte Straftaten. Bei den Propagandadelikten ist mit 923 (2017: 1.020) erfassten Taten ebenfalls ein Rückgang zu erkennen. Dennoch macht diese Deliktsgruppe auch weiterhin den mit Abstand größten Teil der PMK - rechts - aus. In Bezug auf die lokalen Schwerpunkte waren in Halle (Saale) mit insgesamt 169 rechtsextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten die meisten Taten der PMK - rechts - zu verzeichnen, auch wenn gegenüber dem Vorjahr ein deutlicher Rückgang festzustellen ist (2017: 212). Zweite Hochburg der PMK - rechts - ist die Landeshauptstadt Magdeburg. Hier waren 135 rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten zu verzeichnen, was ein vergleichbares Niveau gegenüber dem 86 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus Vorjahr darstellt (2017: 139). Außerhalb der beiden Großstädte sind insbesondere die Fallzahlen in den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld, Stendal und Wittenberg hervorzuheben. In Anhalt-Bitterfeld ist nach einem Rückgang der Zahl der rechtsextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten von 103 in 2016 auf 89 in 2017 nunmehr ein erneuter Anstieg auf 99 Delikte in 2018 zu verzeichnen. Auch wenn sich bislang keine Erkenntnisse für eine aktive oder gar wachsende subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene gewinnen ließen, muss die Entwicklung der Straftaten demgemäß interpretiert werden. Hierbei ist insbesondere das Versammlungsgeschehen im September von Bedeutung13. Ein Erstarken der Szene ist insoweit nicht auszuschließen. Wenn auch eine Vielzahl der Versammlungsteilnehmer dem nichtextremistischen Bereich entstammte und Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet nach Köthen reisten, traten doch auch bekannte lokale Rechtsextremisten in Erscheinung, um die es zuvor hinsichtlich ihrer Szeneaktivitäten ruhiger geworden war. Im Landkreis Wittenberg blieb die Fallzahl mit 81 Taten auf dem gleichen hohen Niveau vom Vorjahr (2017: 83). Im Landkreis Stendal hingegen war ein deutlicher Rückgang von 110 Taten in 2017 auf nunmehr 59 Taten zu verzeichnen. In Bezug auf die unmittelbare Tätermotivation verfestigte sich der Trend des Vorjahres, dass die in den Jahren 2014 bis 2016 im Fokus stehende Bedeutung der Asylthematik weiter in den Hintergrund geriet. Gleichwohl waren islamistisch-terroristische Anschläge wie zum Beispiel in Lüttich (Belgien) oder Straßburg (Frankreich) dazu geeignet, einen situationsbedingten Anstieg, vor allem bei den Propagandadelikten, zu bewirken. Das drückte sich vor allem im Bereich der "Hate-Crime" aus, wenn in den sozialen Netzwerken menschenverachtende Aussagen getroffen wurden. 13 Siehe "Ereignis am 8. September in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) und anschließendes Demonstrationsgeschehen" auf Seite 71. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 87 RechtsextRemismus Viele dieser Internetpostings gelten als Propagandaoder Äußerungsdelikt. Darunter fallen unter anderem Verstöße gegen SS 86a StGB sowie Volksverhetzungen, Bedrohungen oder Anstiftungen zu Straftaten, die zu einem großen Teil auch im virtuellen Raum begangen werden. Rechtsextremisten offenbaren dabei ihre sonst häufig verborgen gehaltene positive Einstellung zum Nationalsozialismus. Als Beispiel kann ein Vorfall vom 18. Januar herangezogen werden. Ein 33-jähriger Deutscher aus Bernburg (Salzlandkreis) postete öffentlich auf Facebook einen Beitrag mit Hakenkreuzabbildungen, dem Abbild von Adolf Hitler sowie der Losung "Ein Volk, ein Reich, ein Führer". Der Tatverdächtige war dem Verfassungsschutz bisher nicht bekannt. Auf Grund des hohen Verfolgungsdrucks in den Onlinediensten, die dem deutschen Recht unterliegen, weichen Rechtsextremisten häufig auch auf ausländische soziale Netzwerke oder Server aus, wie zum Beispiel vk.com14. So wurden vk.com-Accounts bekannt, auf denen gegen Personen des öffentlichen, politischen Lebens, Behördenmitarbeiter, Ausländer und Flüchtlinge gehetzt wird. Weiterhin wird zu Gewalt gegen diese Personen und Gruppen aufgerufen, Gewaltawendung verherrlicht und verfassungsfeindliche Symbole mit nationalsozialistischem Bezug gezeigt. Ein vereinendes Ideologiemerkmal im Rechtsextremismus ist der Antisemitismus. Dies äußert sich auch in entsprechenden Straftaten, sowohl in der realen als auch der virtuellen Welt. Unbekannte beschmierten am 21. Oktober in Halle (Saale) Teile des Jüdischen Friedhofs mit antisemitischen Abbildungen, darunter auch die Trauerhalle, die der Halleschen Gemeinde als Synagoge dient. Die Abbildungen waren von der Straße aus zu sehen und zeigten zum Beispiel ein Gesicht mit spitzen Zähnen. Die herabwürdigende Darstellung von Juden mit spitzen Zähnen stammt aus der Zeit des Nationalsozialistischen Regimes. Mittels solcher Abbildungen sollten die angeblichen 14 Ein russisches Pendant zu Facebook. 88 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus jüdischen Wesensmerkmale wie Raffsucht und Geldgier stigmatisiert dargestellt sowie eine entmenschlichte Darstellung erreicht werden. Neben dem Antisemitismus erfüllt die Asylthematik weiterhin eine relevante ideologische Funktion, hat jedoch keine zentrale Bedeutung mehr für die in der rechtsextremistischen Szene insgesamt ebenfalls wichtige Agitation und Propaganda. Anlassbezogene Kampagnen wie zuletzt zu den Ereignissen in Chemnitz (Sachsen) und Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) können jedoch kurzfristig eine erhöhte entsprechende Mobilisierungswirkung entfalten. Gepaart mit einem Bezug zur Flüchtlingspolitik können die etablierten und szeneimmanenten Anknüpfungspunkte wie Fremdenfeindlichkeit und der damit eng verbundene Rassismus situationsbedingt für Agitationszwecke genutzt werden und auf einen immer noch vorhandenen Nährboden fallen. Hierfür bedienen sich die Rechtsextremisten auch weiterhin intensiv der sozialen Medien, was ihnen eine breite Resonanz bis in nahezu alle Bevölkerungsschichten hinein ermöglicht. Zudem werden öffentlichkeitswirksame Vorfälle mit einem Bezug zu Flüchtlingen oder der Flüchtlingspolitik für Aktionen im realen Raum genutzt. Beispielhaft sei auf eine Versammlung in Köthen vom 9. September verwiesen15. Einer der Redner nutzte Formulierungen wie "Rassenkrieg gegen das deutsche Volk" oder "Wollen wir weiter Schafe sein oder wollen wir zu Wölfen werden und sie zerfetzen?". Die Polizei leitete diesbezüglich Strafverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung gemäß SS 130 StGB ein. Die Ablehnung der aktuellen Asylpolitik seitens der rechtsextremistischen Szene ist eng verbunden mit einer ausgeprägten Islamfeindlichkeit. Dies führt häufig zu Strafund Gewalttaten gegen Personen, denen die Täter einen Flüchtlingsoder Islamsbezug zuschreiben. 15 Siehe "Ereignis am 8. September in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) und anschließendes Demonstrationsgeschehen" auf Seite 71. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 89 RechtsextRemismus Ein Beispiel dafür ist ein Fall vom 29. Juni in Halle (Saale), als zwei syrische Staatsangehörige, die vor dem Objekt des "Islamischen Kulturcentrum Halle e.V." (IKC) standen, von einem oder mehreren bisher unbekannten Tätern vermutlich mit einer Druckluftwaffe beschossen wurden. Ein Geschädigter trug eine Verletzung am Unterarm davon. Am Gebäude des IKC waren Beschädigungen erkennbar. Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ist nach wie vor ein weiterer zentraler Bestandteil der rechtsextremistischen Strategie. Infolge des Bundestagswahlkampfes machte im Jahr 2017 das Beschädigen an oder das Zerstören von Wahlplakaten einen Großteil der strafbaren Handlungen aus. Dabei handelten im Allgemeinen Einzeltäter oder mehrere Personen gemeinsam, ohne dass diese eine auf Dauer angelegte Gruppierung darstellten. Demgegenüber richteten sich die Aktionen im Jahr 2018 wieder verstärkt gegen Objekte oder Personen. Herausragend sind zwei Beispiele aus der Hansestadt Salzwedel. Unter dem Motto "Für eine antifaschistische Provinz! Nazistrukturen zerlegen!" erfolgte hier am 14. Juli eine Versammlung der linksextremistischen Szene. Etwa 20 Angehörige der rechtsextremistischen Szene provozierten am Rande der Veranstaltung unter anderem mit "Sieg Heil"-Rufen, dem Zeigen des "Hitlergrußes" und dem Ausrollen eines Transparents mit der Aufschrift "ANTIFA IST HETZE UND LÜGE". Die Polizei verhinderte Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern. Am 7. September kam es zu einem schweren Landfriedensbruch. Eine Gaststätte, die auch von Personen des linken Spektrums frequentiert wird, wurde von mehreren vermummten 90 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 RechtsextRemismus und mit Baseballschlägern oder ähnlichen Schlagwerkzeugen bewaffneten Personen angegriffen. Verschiedene Scheiben sowie ein Schaukasten wurden zerstört. Anschließend schlugen die Angreifer auf eine vor dem Lokal stehende Person ein. Des Weiteren gab es in diesem Zusammenhang eine Sachbeschädigung an einem "Autonomen Zentrum" in der Hansestadt Salzwedel. Die polizeilichen Ermittlungen ergaben einen Tatverdacht gegen fünf Personen im Alter von 19 bis 25 Jahre. Diese sind dem Verfassungsschutz als rechtsextremistisch motivierte Täter bekannt und werden dem subkulturell geprägten Rechtsextremismus zugerechnet. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Das Personenpotenzial der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene in Sachsen-Anhalt hat sich gegenüber dem Vorjahr erneut verringert, wenngleich im geringen Umfang. Der Rückgang geht mit den Veränderungen in dieser Szene einher, die die Verfassungsschutzbehörde in den letzten Jahren beobachtete. Unverändert sind Bestrebungen zur Schaffung von festen Strukturen nicht zu erkennen. Auch geraten Themen, die in der Vergangenheit die Szene prägten, häufiger in den Hintergrund, oftmals bedingt durch eine veränderte Altersstruktur. Aus Sicht der Verfassungsschutzbehörde wird es weiterhin vor allem die Zuwanderung sein, die künftig von der Szene aufgegriffen und in fremdenfeindlichen Kampagnen und Auseinandersetzungen öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck gebracht wird. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 91 ReichsbüRgeRszene REICHSBÜRGERSZENE Zur Reichsbürgerszene zählen Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen und deren Rechtssystem ablehnen. Dabei berufen sie sich etwa auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auf ein selbst definiertes Naturrecht. Sie bestreiten die Legitimation der demokratisch gewählten Repräsentanten oder definieren sich selbst als außerhalb der Rechtsordnung stehend und sind deshalb häufig bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Seit Ende 2016 beobachtet die Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt die Reichsbürgerszene und konnte mit der Unterstützung der Behörden des Landes ein aussagekräftiges Bild über die Szene und das hiesige Personenpotenzial entwerfen. Für den Berichtszeitraum sind dieser Szene etwa 500 Personen zuzurechnen. In dieser Größenordnung dürfte sich die Reichsbürgerszene auch in den nächsten Jahren bewegen. Der weit überwiegende Teil des Personenspektrums fällt durch seine Korrespondenz mit Verwaltungs-, Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden auf. In Ansätzen sind auch strukturelle Vernetzungsbestrebungen zu erkennen. Etwa 30 Prozent der "Reichsbürger und Selbstverwalter" schlossen sich Reichsbürger-Organisationen wie etwa der "Samtgemeinde Alte Marck", dem "Königreich Deutschland" oder dem "Freistaat Preußen" an. Das Organisieren in zielund zweckgerichtet handelnden Personenzusammenschlüssen erhöht die Handlungsfähigkeit der Szene erheblich. "Reichsbürger und Selbstverwalter" treten immer wieder auch gewalttätig gegenüber Behördenvertretern in Erscheinung. Daher ist es geboten, den (legalen) Waffenbesitz von Szeneangehörigen dezidiert zu untersuchen. Der Verfassungsschutz 92 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 ReichsbüRgeRszene übermittelt seine Erkenntnisse den Waffenbehörden, die letztlich über die Zuverlässigkeit zum Führen von Waffen zu befinden haben. Die größte Gefahr geht von ideologisierten und emotionalisierten Einzeltätern aus. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 93 ReichsbüRgeRszene "Reichsregierungen", "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Gründung Die seit Jahren in der Bundesrepublik Deutschland agierenden "Reichsregierungen" haben ihren Ursprung in der seit den 1980er Jahren bestehenden "Kommissarischen Reichsregierung" (KRR) um Wolfgang Ebel (+, Berlin). Verbreitung "Reichsregierungen," "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gibt es im gesamten Bundesgebiet. Schwerpunktregionen in Sachsen-Anhalt sind der Altmarkkreis Salzwedel, der Landkreis Stendal und das südliche Sachsen-Anhalt. Struktur Die Reichsbürgerszene ist sehr heterogen. Sie Aufbau zeigt sich zersplittert und vielschichtig. Die Reichsbürgerszene lässt sich in "Reichsregierungen", "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" unterscheiden. Zum Teil stehen "Reichsregierungen" in Konkurrenz zueinander. Als "Reichsbürger" bezeichnen sich Einzelpersonen und verschiedene Gruppierungen, die sich als Angehörige eines "Deutschen Reiches" wähnen. Bei den "Selbstverwaltern" handelt es sich um eine heterogene Gruppe von Einzelpersonen, die im Gegensatz zu den "Reichsbürgern" und "Reichsregierungen" nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind, sondern behaupten, sie könnten auf Grund einer Erklärung aus der Bundesrepublik Deutschland ausscheiden oder diese sei gar nicht existent. Entsprechend seien sie nicht mehr ihren Gesetzen unterworfen. 94 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 ReichsbüRgeRszene Manche "Selbstverwalter" rufen sogar eigene "Staatsgebilde" aus. Neben den Einzelakteuren existieren eine Vielzahl an Kleinst-und Kleingruppen sowie virtuelle Netzwerke und darüber hinaus auch überregional agierende Personenzusammenschlüsse. Mitglieder Land: etwa 500 (2017: etwa 450), davon sind Anhänger 10% der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen Bund: etwa 19.000 (2017: etwa 16.500) VeröffentWeb-Angebote: diverse, teils wechselnde lichungen Facebook-Auftritte und Homepages Kurzportrait / Ziele In der Reichsbürgerszene werden gemeinhin folgende Botschaften vertreten: - Die Bundesrepublik Deutschland ist nach ihrer Auffassung kein echter Staat im völkerrechtlichem Sinn, sondern eine Firma mit staatsähnlichen Strukturen, eine "BRD-GmbH". Es handele sich um ein reines "Verwaltungskonstrukt". - "Reichsbürger" bestreiten die Unabhängigkeit der Bundesrepublik Deutschland. - Sie behaupten, die Bundesrepublik Deutschland sei juristisch nicht existent, also illegal. - Hingegen bestehe das Deutsche Reich völkerrechtlich fort. Dabei wird oft in den Grenzen von 1937 gedacht. Dieses gedachte Reich sei allerdings immer noch besetzt, wobei der Hinweis auf die Militärpräsenz, etwa der USA, selten fehlt. Daher gebe es auch nur eine kommissarische "Reichsregierung", die legal, aber machtlos sei. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 95 ReichsbüRgeRszene Demnach versuchen die "Reichsbürger" pseudostaatliche Strukturen aufzubauen, indem sie so genannte kommissarische "Reichsregierungen" und eigene "Verwaltungsstrukturen" schaffen. Der Trend zur Bildung von kommunalen Parallelstrukturen in Form so genannter Landgemeinden ist bundesweit zu beobachten. Um dies zu unterstreichen werden eigene "Legitimationspapiere", "Ämter" u.ä. ins Leben gerufen. Grund der Beobachtung Die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung beinhaltet unter anderem die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Damit ist die Szene als verfassungsfeindlich und extremistisch im Sinne des SS 4 Abs. 1 Nr. 1 VerfSchG LSA einzustufen. Zudem können Bestrebungen von "Reichsregierungen", "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sein, was ebenfalls eine Verfassungsfeindlichkeit im Sinne des SS 4 Abs. 1 Nr. 1 VerfSchG LSA bedeutet. Soweit diese Bestrebungen im Einzelfall auch mit gebietsrevisionistischen Forderungen verbunden sind, richtet sich dies gegen den Gedanken der Völkerverständigung und stellt somit eine Verfassungsfeindlichkeit im Sinne SS 4 Abs. 1 Nr. 5 VerfSchG LSA dar. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Neben Einzelpersonen waren vor allem folgende Reichsbürgergruppierungen in Sachsen-Anhalt aktiv: "NeuDeutschand / Königreich Deutschland" Im Jahr 2009 gründete der Esoteriker Peter FITZEK (Lutherstadt Wittenberg) den Verein "NeuDeutschland". Er tritt seit 2012 als "König" des "Königreich Deutschland" in Erscheinung. FITZEK will mit seinen deutschlandweit verbreiteten Mitgliedern eine neue esoterische und ökologisch ausgerichtete, utopische Staatsform in Deutschland schaffen. 96 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 ReichsbüRgeRszene Sie leugnen die Geltung der hoheitlichen Befugnisse und Rechtsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland auf dem "Hoheitsgebiet" des "Königreich Deutschland". Für dieses "Königreich" hatte FITZEK unter anderem eine eigene Bank und eine eigene Krankenversicherung ("Gesundheitskasse") erschaffen. Auf Grund dessen verurteilte das LG Dessau-Roßlau FITZEK bereits am 10. August 2017 wegen nicht genehmigter Krankenversicherungsgeschäfte sowie des Fahrens ohne Führerschein in mehreren Fällen zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Anfang Mai hatte das OLG Naumburg FITZEKs Revision verworfen. Daraufhin richtete dieser eine Anhörungsrüge an das OLG Naumburg. Im September bestätigte das OLG erneut die Revisionsverwerfung. FITZEK wurde daher am 31. Oktober inhaftiert. Er erhob daraufhin Verfassungsklage vor dem Bundesverfassungsgericht. Diese wurde jedoch nicht zur Entscheidung angenommen. Die Internetseite des "Königreich Deutschland" kündigte an, dass geprüft wird, den Europäischen Gerichtshof für Menschrechte einzuschalten. Zuvor war gegen FITZEK bereits Untersuchungshaft wegen Untreue in Tateinheit mit unerlaubten Bankgeschäften angeordnet gewesen. Am 9. April hob das LG Halle den entsprechenden Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 97 ReichsbüRgeRszene Untersuchungshaftbefehl auf, so dass FITZEK zwischenzeitlich in Freiheit war. In einem Interview im Mai berichtete er über die Zeit seines (ersten) Gefängnisaufenthaltes und äußerte sich über die Staatsanwaltschaft dahingehend, dass das "Gewaltmonopol von einer elitären Kaste" ausgeübt werde. Ein weiteres Interview mit FITZEK wurde Ende Juli veröffentlicht. Neben Äußerungen zu vergangenen bzw. noch laufenden Auseinandersetzungen mit der Justiz berichtet FITZEK auch zu geplanten Aktionen des "Königreich Deutschland". Er führt aus, er wolle die Bundesrepublik Deutschland auf Schadensersatz verklagen, das "System sei kriminell und gemeinwohlschädlich". Er gab zu verstehen, dass die Strukturen des "Königreich Deutschland" noch existent seien. So würde die "Gesundheitskasse" weiter existieren. Man habe eine neue deutsche Heilfürsorge ins Leben gerufen. Zu seinen Visionen äußerte sich FITZEK dahingehend, dass für ihn die Verfassungsordnung des "Königreich Deutschland" gelte und er nach dieser Ordnung neue Strukturen mit neuem Recht aufbauen wolle. Unternehmensgründungen im "Königreich" ohne Steuerzahlungen und Gewerbeanmeldungen sollten weiter erfolgen. Neben den vorgenannten Veröffentlichungen erlangte das "Königreich Deutschland" mit der im September ausgerichteten "KRD-Messe1" besondere Aufmerksamkeit innerhalb der Szene. Während der Verkaufsausstellung präsentierten die Anhänger verschiedene Vorträge und Ausstellungen, um neue Sympathisanten für die Ideen des "Königreich Deutschland" zu gewinnen. Themen waren zum Beispiel "Freies Unternehmertum im Königreich Deutschland, gegenwärtige Zeitenwende und souveräne Gemeinden, soziale Systeme der Zukunft, schuldund zinsloses Geldsystem", aber auch esoterische Themenfelder wie "Herzöffnung und kontaktlose Kampfkunst". Das "Königreich" wertete die "KRD-Messe" als vollen Erfolg. Die Messe besuchten mehrere hundert Personen aus dem gesamten Bundesgebiet. 1 KRD = "Königreich Deutschland". 98 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 ReichsbüRgeRszene "Amt für Menschenrecht" Die bundesweit agierende Gruppierung "Amt für Menschenrecht" ist eine der zahlreichen "Reichsregierungen". Sie tritt unter wechselnden Bezeichnungen auf, wie zum Beispiel "Internationales Zentrum für Menschenrechte", "Internationales Zentrum Menschenrecht", "Gerichtshof der Menschen" oder "Akademie für Menschenrechte". Führungsperson ist der schuldunfähige Mustafa Selim SÜRMELI (Stade, Niedersachsen), der strafrechtlich nicht belangt werden kann. Im Februar organisierte die Gruppierung in Halle (Saale) eine Veranstaltung zum Thema "Völkerund Menschenrecht". Die Internetseite des "Internationalen Zentrums für Menschenrecht - IZMR" warb für die Veranstaltung. Insgesamt nahmen etwa 20 Personen aus Bayern, Hamburg und Sachsen-Anhalt teil. "Freistaat Preußen" Der "Freistaat Preußen" ist ein Teil der Gruppierung "Staatenbund Deutsches Reich". Weitere Teile sind "Bundesstaat Bayern", "Bundesstaat Württemberg" "Bundesstaat Baden" und "Bundesstaat Sachsen". Die Gruppierung versucht die territoriale Souveränität des Staates mit seinen 26 Gliedstaaten wieder herzustellen, wie sie in der Verfassung des (historischen) Deutschen Reichs von 1871 niedergelegt ist. Das "Präsidium des Deutschen Reichs / Freistaat Preußen" verschickte im Berichtszeitraum regelmäßig Schreiben ("Protestnoten", "Anordnungen" und "Amtsblätter") an die Verwaltungsbehörden im Land Sachsen-Anhalt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 99 ReichsbüRgeRszene In diesen Schreiben brachte es im typischen Stil der Reichsbürgerszene zum Ausdruck, dass das Grundgesetz keine Verfassung auf dem Staatsgebiet des "Freistaat Preußen" sei, da die rechtsverbindliche Anerkennung fehle. Die "BRD" sei eine "Treuhandverwaltung". Sie werde dazu verpflichtet, die kommunale Selbstverwaltung schrittweise wieder herzustellen. In einer weiteren "Anordnung" wandte sich die Gruppierung an Bundeswehrsoldaten, Polizisten, Richter und Landesbedienstete. Alle vom "Freistaat Preußen" vermuteten Deutschen (Personen im Besitz eines Personalausweises) seien Staatsangehörige des "Deutschen Reiches" und sie hätten das Recht auf Staatsangehörigkeit eines der "Bundesstaaten des Deutschen Reiches". Damit seien auch die Gesetze des "Deutschen Reiches" im Rechtsstand 1914 sowie für den "Freistaat Preußen" die preußischen Gesetze im Rechtsstand vom 18. Juli 1932 gültig und anzuwenden. Jedweder Verstoß gegen diese Gesetze 100 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 ReichsbüRgeRszene könne strafrechtlich als Kriegsverbrechen verfolgt werden. Eine weitere "Protestnote" an das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt wendet sich gegen die "erneute illegale Besetzung und Ausplünderung des Freistaat Preußen". Nach einem geschichtlichen Abriss sprechen die Verfasser der Bundesrepublik Deutschland die Legitimation ab. Der Landesregierung werfen die "Reichsbürger" vor, "Zwangsvollstreckungen wegen vorgetäuschter Schulden" zu tätigen und das Gebiet des "Freistaat Preußen" für die "illegale Einwanderung und Neuansiedlungen von Fremden zu nutzen". "Samtgemeinde Alte Marck" Die "Samtgemeinde Alte Marck" ist etwa seit Ende 2015 aktiv und sieht sich als die erste Gebietskörperschaft in "Deutschland als Ganzes", die die Rechtsfähigkeit wiedererlangt habe. Die Bundesrepublik Deutschland deklariert sie als "Scheinstaat". Es handelt sich hierbei um so genannte "Selbstverwalter". Im Berichtszeitraum gab die "Samtgemeinde" über ihr Büro in Arendsee (Altmarkkreis Salzwedel) Bürgertreffen bekannt bzw. bot Hilfe bei Auseinandersetzungen mit Behörden an. Anhänger der "Samtgemeinde" beschäftigten mit ihren reichsbürgertypischen Schreiben die Verwaltungsbehörden des Landes. Weitere Aktivitäten von Reichsbürgern Anfang Juli fand in Wolmirstedt, Ortsteil Glindenberg, (Landkreis Börde) in einer Gaststätte ein so genannter Stammtisch von "Reichsbürgern" statt. Die Teilnehmer kamen aus der Landeshauptstadt Magdeburg, dem Altmarkkreis Salzwedel sowie aus den Landkreisen Jerichower Land und Stendal. Des Weiteren wurden Fahrzeuge aus Baden-Württemberg, Brandenburg, Bayern, Sachsen und Thüringen festgestellt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 101 ReichsbüRgeRszene Am 4. Oktober verurteilte das LG Stendal ein der Reichsbürgerszene zugehöriges Ehepaar aus Salzwedel. Der Ehemann erhielt wegen versuchten Totschlags eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Jahren. Unter anderem hatte er bei einer Durchsuchung im Jahr 2016 ein Beil in Richtung eines SEK-Beamten geworfen. Das Gericht verurteilte die Ehefrau zu elf Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung, unter anderem wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, falscher Verdächtigung und Beleidigung. In die Verfahren flossen weitere Delikte ein, die in direktem Zusammenhang mit dem Auftreten der Eheleute als Reichsbürger vor Behörden stehen, vor allem die Beleidigung von Amtspersonen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bewertungen, Tendenzen, Ausblicke Die systematische Auswertung von Vorkommnissen mit eindeutigem Reichsbürgerbezug verdeutlicht, dass die Szene vielfältige Aktivitäten sowohl in der Realwelt als auch im virtuellen Raum entwickelte. Mit einem Rückgang dieser Aktivitäten ist nicht zu rechnen. Das Personenpotenzial der Szene wird sich stabilisieren. Im Fokus stehen daher Personen, die sich in einem zielund zweckgerichteten Personenzusammenschluss engagieren, da diese sicherlich Teil der Szene bleiben werden. Zwar ist die Schnittmenge zum Rechtsextremismus mit etwa zehn Prozent nicht hoch, gleichwohl verfangen reichsbürgertypische Argumentationen im traditionellen Rechtsextremismus. Aus unterschiedlichen Motiven lehnen beide extremistischen Lager die Bundesrepublik Deutschland in Gänze ab. Angehörige der Reichsbürgerszene traten und treten mitunter gewalttätig gegenüber den Behörden auf. Daher gehört der Analyse des legalen Waffenbesitzes von Reichsbürgern und Selbstverwaltern größte Aufmerksamkeit. Etwa fünf Prozent des Personenpotenzials sind im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis. Die zuständigen Unteren Waffenbehörden wurden 102 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 ReichsbüRgeRszene und werden hierüber in Kenntnis gesetzt. Zudem dürften auch weitere präventive Maßnahmen der Sicherheitsbehörden ihre Wirkung nicht verfehlen und einen unverzichtbaren Beitrag zur Eindämmung leisten. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 103 Linksextremismus LINKSEXTREMISMUS Linksextremismus als heterogenes Phänomen stellt ein Sammelbecken für unterschiedliche Strömungen dar. Einigkeit besteht im Bestreben, die bestehende "bürgerliche", "kapitalistische" Staatsund Gesellschaftsordnung zu überwinden, denn von dieser gingen nach Ansicht der Linksextremisten Ausbeutung, Faschismus, Rassismus, Sexismus und Homophobie aus. Einigkeit besteht ferner darin, die Legitimation für die Bekämpfung dieser Zustände aus einer vermeintlichen Position der Unterdrückung heraus zu schöpfen. Die Bandbreite der Herangehensweise zur Verwirklichung der revolutionären Ziele reicht dabei von eher diskursorientiertem Agieren bis hin zu militanten Aktionen, die teils in massiver Gewalt gegen Personen und Sachen enden. Bestehende gesellschaftliche Konflikte werden aufgegriffen, zugespitzt und für die eigenen Zwecke instrumentalisiert. Dabei werden unterschiedliche Politikfelder besetzt, die mit Aktionen begleitet und auf Grund thematischer Anschlussfähigkeit auch zur Stabilisierung der bestehenden Anhängerschaft und zur Rekrutierung neuer Anhänger genutzt werden können. Die Struktur und der Organisationsgrad sind geprägt von gewaltorientierten Linksextremisten, die überwiegend anarchistischen oder autonomen Personenzusammenschlüssen angehören sowie marxistisch-leninistischen Parteien und weiteren linksextremistischen Zusammenschlüssen. Linksextremisten 2016 2017 2018 Gewaltbereite Linksextremisten 230 230 270 insbesondere Autonome Parteien und sonstige Gruppierun260 260 260 gen, unter anderem die "Rote Hilfe" Gesamt: 490 490 530 (Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet) 104 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Bei der Angabe des Gesamtpotenzials ist von Doppelmitgliedschaften auszugehen. So sind Autonome häufig auch Mitglieder in der "Roten Hilfe". Die genaue Anzahl dieser Doppelmitgliedschaften kann jedoch nicht beziffert werden. Das linksextremistische Personenpotenzial im Land Sachsen-Anhalt ist im Berichtsjahr angestiegen. Der Aufwuchs bei den gewaltbereiten Linksextremisten beruht insbesondere auf der Bildung neuer Personenzusammenschlüsse. In Sachsen-Anhalt waren im Berichtszeitraum mit eigenen Parteistrukturen die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) aktiv. Von der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD/Ost) waren keine Aktionen wahrnehmbar. Als sonstige feste Gruppierung ist die "Rote Hilfe" (RH) zu nennen, die bundesweit in Ortsgruppen organisiert und in Sachsen-Anhalt mit drei Gliederungen vertreten ist. Die Städte Magdeburg, Halle (Saale) und Burg (Landkreis Jerichower Land) bilden die Schwerpunktbereiche gewaltorientierter linksextremistischer Gruppierungen und Aktivitäten. Wesentliche Aktionsschwerpunkte der Linksextremisten in Sachsen-Anhalt waren die Themenfelder "Antifaschismus", "Kurdistansolidarität" und "Freiräume" sowie Protestaktionen gegen die 209. Sitzung der "Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder" (IMK) im November in Magdeburg. Innerhalb des "Antifaschismus" hat die Fokussierung auf die AfD als politischen Gegner zugenommen. Angehörige oder Unterstützer der AfD sehen sich weiterhin einer potenziellen Bedrohung seitens Linksextremisten ausgesetzt. Sachbeschädigungen gegen Parteibüros oder Wahlplakate und Beleidigungen gegen Mitglieder werden als legitim angesehen und finden regelmäßig statt. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 105 Linksextremismus Im Bereich der "Kurdistansolidarität" wirkte sich vor allem der Syrien-Konflikt fördernd auf Verbindungen zwischen Linksextremisten und Anhängern der PKK1 aus. Insbesondere in Magdeburg und Halle (Saale) gab es phänomenübergreifende Kontakte und Kooperationen bei verschiedenen Veranstaltungen. Als "Freiräume" gelten insbesondere besetzte Häuser, kollektive Wohnprojekte sowie selbstverwaltete so genannte Jugendund Kulturzentren. Seit Jahren reklamieren Linksextremisten für sich die Schaffung und den Erhalt selbstbestimmter - subkultureller - Strukturen und möglichst staatlich unkontrollierter "Freiräume außerhalb des kapitalistischen Systems und seiner Verwertungslogik sowie der dieses stützenden gesellschaftlichen Normen und Institutionen". Ein herausragendes Ereignis im Berichtszeitraum für die linksextremistische Szene im Land war die Mobilisierung gegen die Herbsttagung der IMK im November in Magdeburg. Vor allem aus der Sicht der gewaltbereiten linksextremistischen Szene stellt die IMK einen Kristallisationspunkt des Protestes dar, insbesondere in den weiteren Aktionsfeldern "Antirepression" und aktuell "Antirassismus". In diesem Kontext richtet sich der Protest gegen die Innenminister und -senatoren als Repräsentanten des kapitalistischen Systems, das es zu bekämpfen gelte. Ein Ereignis wie die IMK bietet daher ein hohes Mobilisierungspotenzial sowohl innerhalb verschiedener extremistischer Spektren als auch bei nichtextremistischen Gruppierungen. Mobilisierungsverstärkend waren zudem die Auswirkungen des G20-Gipfels 2017 in Hamburg sowie die daraus resultierenden Strafverfahren beziehungsweise die in Teilen der Szene als "drastisch" empfundenen Strafen gegen die Protestteilnehmer. Gleiches gilt für die in Diskussion stehenden oder bereits neu beschlossenen Polizeigesetze. 1 Siehe "Arbeiterpartei Kurdistans" (kurdisch: Partiya Karkeren Kurdistan, PKK)" auf Seite 160. 106 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Nach Ansicht der Linksextremisten findet derzeit eine weltweite autoritäre Formierung von Staat und Gesellschaft statt, die einen Rechtsruck und eine weitere Militarisierung der Polizei zur Folge habe. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 107 Linksextremismus Die Mobilisierung zu den Protesten gegen die IMK ist ein auch Beispiel für die zunehmenden Tendenzen, wonach sich Linksextremisten mit dem nichtextremistischen Bereich vernetzen und diesen für ihre eigenen linksextremistischen Zwecke instrumentalisieren. Kernthema des Aufrufs zu den IMK-Protesten war die Kritik am Staat und seiner Innenpolitik. Neben dem Widerstand gegen die neuen Polizeigesetze wurde die breite Palette innerhalb der Flüchtlingsund Asylpolitik sowie das PKK-Verbot und der Fall "Oury Jalloh" thematisiert. Diese Aktionsfelder berühren Themen, in denen sich auch Personen des nichtextremistischen Bereichs engagieren und einbringen wollen. Auf Grund scheinbar gemeinsamer Interessen besteht grundsätzlich die Gefahr, dass es in Teilen der Gesellschaft zu einer positiveren Wahrnehmung linksextremistischer Positionen kommt. Dies erlaubt es Linksextremisten, diverse Kooperationsformen mit unterschiedlichen politischen Richtungen einzugehen. So waren sowohl Gruppierungen des nichtextremistischen Bereichs als auch linksextremistische Zusammenschlüsse im so genannten "Unheimlich sicher"-Bündnis vertreten, welches zu den Protesten gegen die IMK aufgerufen hatte. Die in diesem Zusammenhang bejahende Wahrnehmung beziehungsweise die Akzeptanz extremistischer Positionen seitens der nichtextremistischen Akteure führt in der Folge auch zu einer Erosion der Abgrenzung zwischen Extremisten und Demokraten. Linksextremisten beabsichtigen damit eine Verzerrung der Wahrnehmung ihrer extremistischen Positionen und demokratiefeindlichen Ideologie, um eine Anschlussfähigkeit an andere Gesellschaftsbereiche zu erreichen. Im Zusammenhang mit der IMK-Demonstration war nicht auszuschließen, dass dies auch für diesen Anlass gelingen könnte. So war im Verlauf der Bündnisaktivitäten festzustellen, dass ein Teil der das Bündnis tragenden Gruppierungen und Initiativen keine Distanzierung zu den extremistischen Gruppierungen vornahm. 108 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Weiterhin ermöglicht die Fokussierung auf gemeinsame Feindbilder die Integration der unterschiedlichen Strömungen innerhalb des linksextremistischen Spektrums - ungeachtet ideologischer und strategischer Differenzen zwischen den einzelnen Szenen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 109 Linksextremismus Gewaltbereite Linksextremisten, insbesondere Autonome Sitz Schwerpunktregionen in Magdeburg, Halle Verbreitung (Saale) und Burg (Landkreis Jerichower Land) Bundesweite Verteilung mit lokalen Hochburgen, vorwiegend in Großstädten außerhalb von Sachsen-Anhalt Gründung Entstanden Ende der 1970er Jahre aus den Ausläufern der Studentenbewegung der 1968er Jahre, der Sponti-Szene der 1970er-Jahre und der Punk-Subkultur; seit Anfang der 1990er Jahre auch in den neuen Bundesländern. Struktur Autonome sind ihrem Selbstverständnis entAufbau sprechend hierarchiefeindlich und lehnen daher festgefügte Organisationen bzw. Strukturen ab. Organisationsformen sind meist in Zusammensetzung und Namensgebung wechselnde Kleingruppen. Das Internet wird als offenes Kontaktmedium genutzt. Daneben gibt es geschlossene konspirative Foren. Überregionale Treffen mit Delegierten sind thematisch gebunden. Mitglieder Sachsen-Anhalt: etwa 270 gewaltbereite Anhänger Linksextremisten, insbesondere Autonome (2017: 230) Bundesweit: 7.000 gewaltbereite Linksextremisten, darunter 6.300 Autonome (2017: ebenso) VeröffentWeb-Angebote: szenebezogenen Internet lichungen portalen und soziale Netzwerke Publikationen: Szenepublikationen Finanzierung Spenden, Solidaritätskonzerte oder -partys für anlassbezogene Aktionen und Kampagnen 110 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Kurzportrait / Ziele Den Großteil des gewaltorientierten Personenpotenzials stellen Autonome. Sie agieren in lockeren Kleingruppen. Autonome verweigern sich grundsätzlich gesellschaftlichen und staatlichen Normen und Verpflichtungen sowie einer Teilnahme am kapitalistischen Wirtschaftsleben. Autonome treten für eine herrschaftsfreie Gesellschaft nach einer erfolgten Revolution ein. Linksextremistische Theorien werden abgelehnt. Das politische Handeln ist daher von aktuellen politischen Themenfeldern abhängig und stark anlassund aktionsbezogen. Der autonome Aktionismus ist gekennzeichnet von thematischen Ansatzpunkten wie Antifaschismus, Antirassismus, Antimilitarismus. Grund der Beobachtung Autonome sind insgesamt staatsfeindlich, da der Staat aus ihrer Sicht die maximale Hierarchie mitsamt der größtmöglichen Unterdrückung verkörpert und damit der Selbstverwirklichung jedes Einzelnen im Wege steht. Demzufolge müssen der Staat und das gesellschaftliche System abgeschafft werden. Gewalt wird dabei als legitimes Mittel der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und der Polizei als Teil des "staatlichen Repressionsapparats" angesehen. Die politisch bestimmten Verhaltensweisen von Autonomen - insbesondere das Ablehnen des staatlichen Gewaltmonopols bei gleichzeitigem Befürworten von Gewalt, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen - sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum "Zusammen kämpfen" (ZK) ZK ist im Jahr 2008 aus anderen autonomen Zusammenschlüssen Magdeburgs hervorgegangen, fordert für sich selbst eine "verbindliche teilbereichsübergreifende Organisierung" und nutzt Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 111 Linksextremismus den ebenfalls im Jahr 2008 eröffneten "Infoladen" als Treffpunkt. In einer Selbstdarstellung auf der eigenen Homepage heißt es: "Wir von Zusammen Kämpfen verstehen uns als einen Teil der weltweit kämpfenden revolutionären Linken für eine Gesellschaft frei von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung, frei von Kriegen und frei von rassistischer, patriarchaler und sexistischer Unterdrückung. ... Anstatt uns durch das Profitinteresse der Herrschenden einschränken zu lassen, vertrauen wir auf unsere eigene Stärke und kämpfen selbstorganisiert gegen die Herrschaft von Staat und Kapital." Als Schwerpunkte ihrer politischen Arbeit nennen die Autoren den "Internationalen Klassenkampf / Stadtteilkampf", "Selbstorganisation", "Antifaschistischer Selbstschutz" und "Antirepression". Im Berichtsjahr engagierte sich ZK besonders in der Vorbereitung und Durchführung des so genannten "Klassenkampfblocks" bei der Demonstration gegen die IMK im November in Magdeburg. "Proletarische Autonomie Magdeburg" (PAM) In der August-Ausgabe der Magdeburger Szenezeitschrift "Unterdruck" stellte sich die PAM als Gruppierung von "AnarchistInnen" und "KommunistInnen" vor. Vordringliche Aufgabe sei es für sie, ein Klassenbewusstsein zur Organisierung der proletarischen Linken zu entwickeln. Weiter heißt es: "Wir dürfen uns nicht auf staatskonforme Gewerkschaften oder parlamentarische Parteien verlassen, da sie keinen klassenkämpferischen Standpunkt mehr vertreten, sondern nur im Sinne des 'sozialen Dialogs' handeln, sprich auf die Befriedung unserer Auflehnung gegen die Unterdrückung aus sind. Aus diesem Grund lehnen wir den Parlamentarismus als Mittel zur sozialen Revolution strikt ab." 112 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Im konkreten Fall wird ganz offensichtlich der rechtsstaatliche Rahmen als nicht bindend angesehen, so dass aus dem Motiv der Unterdrückung die Legitimation für Aktivitäten gezogen wird, die die gesetzlichen Grenzen überschreiten. Insbesondere wird das bestehende System als unreformierbar betrachtet und daraus auch die Notwendigkeit einer Revolution abgeleitet. "Jugendwiderstand" (JW) / "Rote Arbeiterjugend Magdeburg" (RAJ) Neu etabliert hat sich der so genannte "Jugendwiderstand" (JW), der in einigen Städten im Bundesgebiet und insbesondere in Berlin auftritt. Der Magdeburger Ableger dieser Gruppierung nennt sich "Rote Arbeiterjugend Magdeburg" (RAJ). Auf ihrer Internetplattform bezeichnet sich die Gruppierung als "proletarische, revolutionäre und antiimperialistische Jugendorganisation, die gegen dieses System, für den Sozialismus und für die freie Zukunft im Kommunismus" kämpft. Der JW tritt gewaltbereit und antisemitisch auf und bekennt sich zum Maoismus als ideologische Grundlage. Aufgrund seines gewalttätigen Auftretens reagierte die Presse zum Beispiel mit Überschriften wie "Maos Schläger". Als Gegenreaktion hieß es: "Wir sind proletarische Jugendliche. Wir sind Revolutionäre. Wir werden den Ansprüchen der bürgerlichen Presse nie genügen. [...] Wir kämpfen für die Unterdrückten, für die Arbeiterklasse, das Volk und die Völker der ganzen Welt. [...] Und das kompromisslos und konsequent, voller Hass auf den Feind und voller Liebe für die Unsrigen, für unsere Klasse und das Volk. Es gibt einen klaren Interessengegensatz zwischen ihnen und uns. Unüberbrückbar. So einfach ist das." Interventionistische Linke - Ortsgruppe Halle In Halle (Saale) existiert eine Ortsgruppe der "InterventionisVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 113 Linksextremismus tischen Linken" (IL). Sie ist die bisher einzige Gruppierung aus Sachsen-Anhalt in der Bundes-IL. Die IL ist ein postautonomer Zusammenschluss und fungiert sowohl als Scharnier zwischen Linksextremisten aus dem gewaltorientierten und dem legalistischen Spektrum als auch zwischen dem linksextremistischen Spektrum und nichtextremistischen Gruppierungen. Ideologischer Schwerpunkt der IL ist der "Antikapitalismus", Ziel ist dabei die Überwindung des Kapitalismus mittels eines "revolutionären Umsturzes". Der IL-Halle sind kaum eigene öffentlichkeitswirksame Aktionen gelungen. Der Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt offenbar im "Antifaschismus" und hier in einer Beteiligung an den Aktivitäten von Bündnissen aus dem nichtextremistischen Bereich. Im Zusammenhang mit der Urteilsverkündung im NSU-Prozess fanden bundesweit Aktionen unter Beteiligung der linksextremistischen Szene statt, so auch am 11. Juli in Halle (Saale). An der Demonstration unter dem Thema "Kein Schlussstrich" nahmen bis zu 450 Personen teil, darunter etwa 100 Zuganreisende aus Leipzig (Sachsen). Ein Facebook-Eintrag des OAP zur Teilnahmeaufforderung ließ auf eine entsprechende Beteiligung schließen. Bereits am 10. Juli wurden 26 Straßenschilder festgestellt, die mit Opfernamen des NSU überklebt waren. Zu dieser Aktion bekannte sich die IL-Halle, welche zugleich zur Teilnahme an der vorgenannten Demonstration aufgerufen hatte. "Offene Antifaplenum" (OAP) Das OAP aus Halle (Saale) versteht sich als "Anlaufpunkt für antifaschistisch interessierte Menschen" - auch ohne Gruppenanbindung. In ihrer Selbstdarstellung vom November hießt es: "In unseren Fokus als Antifaschist_innen soll das Individuum und seine Emanzipation stehen. Deshalb ist es unser Ziel, die Zurichtung des Einzelnen durch die kapitalistische Verwertungslogik, das Patriarchat und die Zwangskollektive wie Volk und Nation zu analysieren und zu beseitigen." 114 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Das OAP gehört zum so genannten "antideutschen Spektrum", so heißt es in der Selbstdarstellung weiter: "Wir solidarisieren uns mit dem Staat Israel als Garant jüdischer Selbstbestimmung in einer antisemitischen Welt, als Konsequenz aus den deutschen Verbrechen während des Nationalsozialismus und wegen der aktuellen antisemitischen Bedrohungen vor allem von islamistischer Seite." Nach dem Ereignis in Köthen1 (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) bei dem ein 22-jähriger Deutscher zu Tode kam, waren am 9. September vier anlassbezogene Versammlungen in Köthen zu verzeichnen. An einer Gedenkveranstaltung unter dem Motto "Rassistische Hetzjagden verhindern, bevor sie entstehen" mit etwa 220 Teilnehmern beteiligten sich auch Linksextremisten. Das OAP erstellte einen eigenen Aufruf unter dem Motto "Dem deutschen Mob entgegentreten" und rief ebenfalls zu einer "angemeldeten antifaschistischen Kundgebung" auf. In diesem Zusammenhang wurde eine weitere Demonstration für den 16. September angemeldet. Das OAP und die IL-Halle riefen zur entsprechenden Teilnahme auf. Vor Ort waren unter den etwa 250 erschienenen Linksextremisten überwiegend angereiste Personen festzustellen. Der Großteil kam dabei aus Halle (Saale), Magdeburg, Burg (Jerichower Land) und Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel), aber auch aus Leipzig (Sachsen), Berlin, Hamburg und Hannover (Niedersachsen). Auf Grund einer vom OAP an einem Lautsprecherwagen angebrachten Israelfahne kam es bereits vor Beginn des Aufzuges zu einer zunächst verbal ausgetragenen Kontroverse mit Mitgliedern der RAJ Magdeburg. In der weiteren Folge griffen diese auf die OAP-Mitglieder über. Dieser Konflikt zwischen den Anhängern der antiimperialistischen (RAJ) und der antideutschen Strömung (OAP) wird seitens des OAP als schwerwiegender antisemitischer Zwischenfall gewertet. 1 Siehe "Ereignis am 8. September in Köthen (Anhalt-Bitterfeld) und anschließendes Demonstrationsgeschehen" auf Seite 71. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 115 Linksextremismus "Gesellschaftskritische Odyssee" (GekO) Der Zusammenschluss GekO ist ebenfalls in Halle (Saale) aktiv und vertritt einen eher theoretischen Ansatz mit einem hohen intellektuellen Anspruch. Eigenen Angaben zufolge ist es eine "parteiunabhängige Gruppe von linksradikalen Einzelpersonen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben emanzipatorische linksradikale Theorie & Praxis nach außen zu tragen." Zu diesem "linksradikalen" Ansatz heißt es weiter: "Linksradikal heißt für uns auch nicht nur auf Demos rumzulaufen und die Polizei anzupöbeln. Linksradikal heißt für uns anzuerkennen, dass der Weg zu einer befreiten Gesellschaft nicht mit, sondern nur gegen Staat, Nation und Kapital zu beschreiten ist." "Youth against fascism" (YAFA) Internetangaben zufolge hat sich in Halle (Saale) im Berichtszeitraum die neue Gruppierung YAFA gegründet. Unter der Überschrift "Kein Bock auf Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Homophobie" heißt es in ihrer Selbstdarstellung, man habe vom "gesellschaftlichen Rechtsruck die Schnauze voll" und wolle die antifaschistischen Strukturen der Stadt erweitern. Wahrnehmbare Aktionen sind von der Gruppierung bislang nicht ausgegangen. "Roter Aufbau Burg" (RAB) Eigenen Angaben zufolge gründete sich im März eine neue Gruppierung namens "Roter Aufbau Burg" (RAB). Dabei handelt es sich um die Umbenennung der bekannten Gruppierung "Antifaschistische Aktion Burg" (AAB, Landkreis Jerichower Land). In ihrer Selbstdarstellung heißt es: "Der ,Rote Aufbau Burg' ist eine kommunistische Gruppe, die sich aus einer Reihe von politisch engagierten Jugendlichen zusammensetzt, welche seit vielen Jahren eine weitestgehend erfolgreiche, antifaschistische und revolutionäre Politik in der ostdeutschen Kleinstadt führt. Nach langer Überlegung haben wir uns dazu entschlossen, unsere politischen Ziele weiterzuentwickeln und uns als Roter Aufbau Burg neu zu organisie116 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus ren. ... Teil unserer politischen Arbeit wird es sein, mit Leuten unserer Klasse in Kontakt zu treten, die genug vom kapitalistischen Ausbeuter-System haben. Deshalb sehen wir es als unumgänglich an, diese in unsere politischen Kämpfe miteinzubeziehen. Nur so besteht die Möglichkeit eine reale Gegenmacht aufzubauen, die fähig ist auf Geschehnisse in unserer Stadt, aber auch bundesweit und international zu reagieren." Gruppierungen mit der Bezeichnung "Roter Aufbau" gibt es bundesweit noch in Hamburg und im Rhein-Ruhr-Gebiet. "Antifaschistische Aktion Salzwedel" (AAS) Bei der AAS aus der Hansestadt Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel) handelt es sich um einen losen Zusammenschluss, in dem seit dem Jahr 2009 ein wechselndes Personenpotenzial agiert. Ihrem autonomen Selbstverständnis entsprechend sind die Protagonisten hierarchiefeindlich und lehnen festgefügte Organisationen und Strukturen ab. Die AAS beschreibt sich als "linksradikale Gruppierung". Auf der Internetseite "Kein ruhiges Hinterland - Infoblog fürs Wendland und die Altmark" erschien am 15. Mai ein Artikel, der einen so genannten "Antifaschistischen Stadtrundgang" am Folgetag in Salzwedel ankündigte. An den Stationen gebe es musikalische Unterstützung. Am 16. Mai versammelten sich etwa 100 Personen. Während des "Stadtrundgangs" begingen Angehörige und Sympathisanten der linksextremistischen Szene Salzwedels "Outingaktionen". Sie suchten Wohnanschriften von rechtsextremistischen Personen sowie das Büro der AfD auf und spielten vor diesen Objekten Musik. Während des Aufzuges kam es zu Straftaten Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 117 Linksextremismus wie Sachbeschädigungen (Abtreten eines Autospiegels, Farbschmierereien an einen Kraftrad und auf der Fahrbahn) und Bedrohung von Pressevertretern, weil diese den Aufzug fotografierten. Unter dem Motto "Für eine antifaschistische Provinz! Nazistrukturen zerlegen" rief die AAS zu einer Demonstration am 14. Juli auf. Anlass war ein vermeintlicher Überfall von Rechtsextremisten auf das "Autonome Zentrum Kim Hubert" am 5. Juni2. Am Aufzug nahmen bis zu 430 Personen teil, die Teilnehmer rekrutierten sich sowohl aus der regionalen Szene, als auch in Folge von Vorfeldmobilisierungen aus Linksextremisten aus Hamburg, Hannover (Niedersachsen) und dem Wendland (Niedersachsen). Etwa 200 Teilnehmer formierten sich zu einem "schwarzen Block". Aus dem Aufzug heraus kam es zum Zünden von Nebeltöpfen3. Aktionsschwerpunkte Die wesentlichen Aktionsschwerpunkte der autonomen Szene in Sachsen-Anhalt waren deckungsgleich mit den Aktionsschwerpunkten der gesamten linksextremistischen Szene. Oftmals waren es dabei gerade Autonome, die als Hauptakteure in Erscheinung traten und somit die prägenden Akzente setzten. "Antifaschismus" und Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner Hauptaktionsschwerpunkt der autonomen Szene im Berichtszeitraum war der "Antifaschismus". Dabei stand nach wie vor die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner im Mittelpunkt. Die Konfrontation wird gezielt gesucht und provoziert, dabei werden auch Straftaten in Kauf genommen. Im Fokus stehen hier vor allem Einrichtungen, Objekte und Symbole der rechtsextremistischen Szene. 2 Die Strafverfolgung gestaltete sich mangels Kooperationsbereitschaft der möglichen Geschädigten äußert schwierig. 3 Siehe auch Seite 48. 118 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Die allgemein in der Gesellschaft vorzufindende Polarisierung spiegelt sich auch in einem erhöhten Aktionsniveau der linksextremistischen Szene wider. Neben situativ und teilweise spontan entstandenen Konfrontationen, zum Beispiel im Rahmen von versammlungsrechtlichen Aktionen, werden einzelne Aktionen gegen missliebige Personen gezielt und mit Vorbereitung verübt. Die dabei verwirklichten Straftatbestände reichen von Beleidigungen über Sachbeschädigungen bis hin zu Körperverletzungen. Am Beispiel des Antifaschismus zeigt sich, zu welchen Eskalationen es seitens der Autonomen gegen den politischen Gegner kommen kann. In Bezug auf die Konfrontation mit der AfD war vor allem die Europawahlversammlung von Bedeutung, die die AfD im Zeitraum vom 16. bis 19. November auf dem Messegelände in Magdeburg veranstaltete. Hierzu gab es verschiedene Protestaktionen. An einer Fußgängerbrücke über dem Magdeburger Ring stellte die Polizei eine hängende Puppe mit dem Schriftzug "AfD - Die Nazis kommen" fest. Zuvor kam es bereits am 16. November zu einem Übergriff, als mehrere Personen mit einem Taxi vom Tagungsort der AfD zu ihrem Hotel fuhren. Nachdem ein Mann das Taxi verlassen hatte, kamen plötzlich etwa zehn vermummte Personen auf ihn zu und fragten, ob er ein Mitglied der AfD sei. Er bat die Vermummten, ihn in Ruhe zu lassen. Daraufhin trat ihn eine dieser Personen gegen seinen Oberschenkel. Aus Angst stieg er wieder ins Taxi ein. Beim Losfahren schlug einer der Vermummten mit einem Baseballschläger gegen die Heckscheibe des Fahrzeugs, so dass diese zu Bruch ging. In der Dezemberausgabe der Szenezeitschrift "Unterdruck" hieß es dazu, dass "ein paar Antifaschist*innen einem Grüppchen von AfD-Schweinen" deutlich gemacht hätten, dass "sie nicht willkommen sind". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 119 Linksextremismus Neben der AfD steht das "Institut für Staatspolitik" (IfS) in Schnellroda (Saalekreis) im Fokus. Die Gruppierung "Kollektiv 'IfS dichtmachen'" organisiert regelmäßig so genannte Mahnwachen vor dem Objekt. Auf dem eigenen Blog heißt es dazu: "Schnellroda ist einer der entscheidenden Vernetzungspunkte der 'Neuen Rechten' und als solcher zu wichtig, als das man ihn ignorieren kann. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, aus diesem losen Bündnis eine feste Gruppe zu bilden, [...] Antifa heißt Landarbeit!". Weiterhin wird das Haus der IBD in der Adam-Kuckhoff-Straße4 in Halle (Saale) mit regelmäßigen Gegenveranstaltungen der Gruppierung "Kick them out - Nazizentren dichtmachen" thematisiert und als politischer Gegner deklariert. Auch wenn die beiden vorgenannten Gruppierungen nicht in ihrer Gesamtheit linksextremistisch sind, so werden sie beide von Autonomen beeinflusst und auch geprägt. Zudem fühlen sich offenbar Autonome aufgerufen, an Rande von Kundgebungen beider Gruppierungen Straftaten, wie zum Beispiel Sachbeschädigungen zu begehen. Am 1. Oktober teilte ein Zeuge mit, dass sich am "Infoladen" in Magdeburg noch immer ein Aufkleber mit der Aufschrift "stimmzettel in den müll politiker in die urne" und abgebildeter Maschinenpistole befinden soll. Die Polizei entfernte den Aufkleber und stellte ihn sicher. "Kurdistansolidarität" Das Themenfeld der "Kurdistansolidarität" gewann mit den militärischen Interventionen der Türkei in Nordsyrien an Bedeutung. So entstand Anfang des Jahres unter anderem das "Soli- 4 Siehe "Kontrakultur Halle" auf Seite 42. 120 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus daritätsbündnis Kurdistan-Magdeburg", ein Zusammenschluss aus Angehörigen der linksextremistischen Szene Magdeburgs und Mitgliedern eines PKK-Vereins aus Magdeburg. Am 10. Februar und 10. März fanden unter dem Motto "Für die Solidarität mit Afrin!" zwei Versammlungen in Magdeburg mit bis zu je 350 Teilnehmern statt, darunter jeweils etwa 50 Personen der linksextremistischen Szene. Die PAM begründete ihre Beteiligung wie folgt: "Unsere Aufgabe hier in der BRD ist die Solidarität. Wir müssen gemeinsam die faschistischen Kräfte hier bekämpfen, die Kriegsmaschinerie stören und eine soziale Revolution aufbauen und durchführen. Denn die Kämpfe, die wir hier für Frauenbefreiung, Selbstorganisierung und die proletarische Autonomie führen sind das, was die Revolution in Rojava und allen anderen fortschrittlichen Prozesse auf der Welt unterstützt. Hoch die Internationale Solidarität! Es lebe der Widerstand der YPJ und YPG! Freiheit für Abdullah Öcalan! Freiheit für alle politischen und sozialen Gefangenen!" Im Zuge der Demonstration gegen die IMK am 24. November in Magdeburg organisierte das "Solidaritätsbündnis" einen eigenen "Internationalistischen Block". Hierzu erklärte das Bündnis, dass "in der BRD ... durch die Präsenz von MigrantInnen und Geflüchteten ein besonderes Potenzial zur Vernetzung und Weiterentwicklung der Kämpfe" bestehe. Die Proteste gegen die Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 121 Linksextremismus IMK seien nur ein "kleiner Beitrag", dass "die politische Widerstandsbewegung aus ihrer Isolation herauskomme [...] und sich in die sozialen Kämpfe in der Gesellschaft einbringe". "Freiräume" Das Thema der "Freiräume" besitzt gerade für die autonome Szene einen hohen Stellenwert. Ein solcher "Freiraum" ist der "Infoladen" in der Alexander-Puschkin-Straße in Magdeburg. Der "Infoladen" ist Treffpunkt einer derzeit lose agierenden Szene in Magdeburg und außerdem eine Kontaktadresse der RH. Von besonderer Relevanz ist, dass das entsprechende Mietverhältnis bereits im März auslief. Ein Angebot zur Vertragsverlängerung um ein weiteres halbes Jahr lehnten die Nutzer des "Infoladens" ab. Man unterstellte dem Eigentümer einen bewussten Angriff auf soziale Projekte mit dem Ziel, Profitinteressen zu maximieren und durchzusetzen. Für den Fall einer Räumung drohte die Szene mit Auseinandersetzungen. Unter dem Motto "Gegen Mietwucher und Verdrängung! Für den Erhalt der Nachbarschaft und sozialer Freiräume! Infoladen bleibt!" versammelten sich am 31. März in Magdeburg etwa 120 Personen, darunter viele Vertreter der linksextremistischen Szene. Ein weiterer "Freiraum" war das so genannte "HaSi" in der Hafenstraße in Halle (Saale). Dieses "soziokulturelle Projekt" entstand im Januar 2016 als Resultat einer Hausbesetzung. Die Nutzer erhielten später von der Halleschen Wohnungsgesellschaft mbH (HWG) einen Gestattungsvertrag zur befristeten 122 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Nutzung. Linksextremistische Gruppierungen wie das OAP, die RH und die IL-Halle unterstützten das Projekt. Nachdem dieser Vertrag am 31. Januar ausgelaufen war, weigerten sich die Mieter das Objekt an die Eigentümer zu übergeben und nutzten das Grundstück rechtswidrig. Auf Grund von angekündigten Zwangsräumungen erfolgten unterschiedliche Solidarisierungsaktionen der linksextremistischen Szene für den Erhalt des "HaSi". So gab es mehrere Kundgebungen und Plakatierungen mit Aufschriften wie "Jede Räumung hat ihren Preis #Hasi bleibt" oder "Freiräume erkämpfen #Hasi bleibt". Am 24. Februar fand in Halle (Saale) eine Demonstration unter dem Motto "Hasi bleibt! Freiräume verteidigen" mit bis zu 470 Teilnehmern statt, die Transparente mit den Aufschriften "Hasi bleibt - Freiräume schaffen", "Hasenbau statt Luxusbau", "Recht auf Stadt - Hasi bleibt" zeigten. Die Demonstrierenden forderten die HWG auf, das Haus nicht räumen zu lassen. Zudem richtete sich der Protest an die Stadtratsfraktionen, die dem Antrag zum Verkauf des Objektes an den "HaSi"-Trägerverein zustimmen sollten. Am 15. Dezember zogen die Besetzer aus dem Objekt aus. Der nichtextremistische Verein "Haushalten e.V." pachtete von der Stadt Halle (Saale) das 17.000 Quadratmeter große Gelände der ehemaligen Stadtgärtnerei und verpachtete es an die ehemaligen "HaSi"-Nutzer weiter. Auf der Facebook-Seite des Projekts hieß es unter der Überschrift "Wir sind gegangen um zu bleiben!": "Die Wut und Trauer über die Umstände, die uns zwingen die Hafenstraße ohne jeglichen realen Grund zu verlassen, bleiben leider bestehen. Die Bereitschaft zu einem Auszug werten wir nicht als freiwillige Aktion, sondern als ein erzwungenes Entgegenkommen. Es ist uns ein wichtiges Anliegen, unkommerzielle Freiräume nicht nur am Galgenberg, sondern in ganz Halle und überall langfristig zu sichern. Wir werden unsere antikapitalistische, antisexistische, antifaschistische, antirasVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 123 Linksextremismus sistische und herrschaftsfreie Arbeit (die Liste der Missstände ist nicht zu Ende zu schreiben) für ein solidarisches Miteinander fortführen. Wir werden weiter Orte gestalten, an denen dies möglich ist." Proteste gegen die 209. Sitzung der Innenministerkonferenz Vom 28. bis 30. November fand in Magdeburg die 209. Sitzung der IMK statt. Gerade für die autonome Szene der Landeshauptstadt stellte die Konferenz einen Anlass für vielfältige Protestaktionen dar, zu denen sie umfangreich mobilisierte. Insbesondere das so genannte "Unheimlich sicher"-Bündnis rief zu verschiedenen Protestaktionen auf. Vom 12. bis 16. November gab es eine "Aktionswoche" mit mehreren kleineren Veranstaltungen und am 24. November fand in Magdeburg eine Demonstration mit etwa 1.100 Teilnehmern statt. Dem "Unheimlich sicher"-Bündnis gehörten sieben "organisierende Gruppen und Initiativen" an, darunter die Magdeburger Ortsgruppe der RH und die gewaltorientierte Gruppierung ZK. Daneben gab es eine Vielzahl unterstützender Gruppierungen und Einzelpersonen, unter denen ebenfalls Linksextremisten waren, wie zum Beispiel die PAM. Regional und überregional, unter anderem in Berlin und Hamburg fanden vielfach Vernetzungsund Mobilisierungsveranstaltungen statt. Die dort erörterten Themen "Kampf der kurdischen Bewegung", "Repression gegen Fußballfans", "Ausbau polizeilicher Befugnisse" zeigten, welche Personengruppen angesprochen werden sollten. 124 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Am 24. November bewegte sich der Demonstrationszug in sieben einzelnen Blöcken durch die Innenstadt von Magdeburg. Ein Block war der "Klassenkampf-Block", zu dem im Vorfeld unter dem Motto "Widerstand - Aufstand - Klassenkampf - IMK abschaffen" mobilisiert worden war. Es sei "unabdingbar, die kämpfenden Kräfte auf der Straße zu vereinen und eine grundlegende Systemfrage in den Widerstand gegen die IMK zu tragen". Weiter hieß es: "Nur als eine vereint organisiert kämpfende Klasse wird diese System von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung enden". Daher wolle man "den Aufstandsgedanken gegen das kapitalistische System in den Protest gegen die IMK" tragen und fordert: "IMK abschaffen!". Unterzeichner des Aufrufs waren die Gruppierungen ZK und RAB. Ein weiterer Block war der "Internationalistische Block", der vom "Solidaritätsbündnis Kurdistan-Magdeburg" organisiert wurde. Dazu hieß es "Reiht euch ein und zeigt, dass wir staatlicher Repression, nationalistischer Spaltung und alltäglicher Ausbeutung unseren Widerstand entgegensetzen werden." Die 1.100 Demonstrationsteilnehmer waren mehrheitlich der linksextremistischen Szene zuzurechnen. Im Verlauf des Aufzuges kam es vereinzelt zu veranstaltungstypischen Straftaten. Strafanzeigen gab es unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Es liegen Erkenntnisse vor, dass neben regionalen Strukturen auch linksextremistische Gruppierungen aus Berlin, Hamburg, Leipzig (Sachsen), Frankfurt am Main (Hessen), Bremen und Hannover (Niedersachsen) teilgenommen haben. Die Versammlungsteilnehmer führten zahlreiche Banner mit verschiedenen Aufschriften mit, wie zum Beispiel: "Kampf dem Polizeistaat heißt Kampf dem neuen Polizeigesetz", "Arbeiterklasse Ostdeutschland - gegen die Sicherheit des Kapitalismus" und "Kampf um Befreiung bleibt international". Die Mobilisierung für die Demonstration war fast ausschließlich von Linksextremisten ausgegangen; entsprechende VeranVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 125 Linksextremismus staltungen waren vor allem in Szeneobjekten der gewaltorientierten linksextremistischen Szene zu verzeichnen. Nach hiesiger Einschätzung konnte ein unfriedlicher Verlauf der Demonstration nur auf Grund der hohen Polizeipräsenz verhindert werden. Im Stadtgebiet von Magdeburg waren im Anschluss an die Demonstration mehrere Kleingruppen ehemaliger Versammlungsteilnehmer feststellbar. Vermummte Personen griffen dabei ein Polizeifahrzeug und Einsatzkräfte mit Steinen und Pyrotechnik an. Weitere Kundgebungen Am 7. Januar nahmen in Dessau-Roßlau bis zu 3.000 Personen an einer angemeldeten Kundgebung mit anschließendem Aufzug unter dem Motto "Oury Jalloh - das war Mord" anlässlich dessen 13. Todestages teil. Nicht zuletzt die erneute mediale Aufarbeitung des Falles Oury Jalloh und die damit einhergehende Forderung nach Aufnahme neuer Ermittlungen ließen im Vorfeld gesteigerte Mobilisierungsaktivitäten in der linksextremistischen Szene erkennen. Anreisen erfolgten unter anderem aus Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main (Hessen) und Braunschweig (Niedersachsen). Im Verlauf der Demonstration kam es vereinzelt zu Angriffen auf Polizeibeamte mit Flaschen und pyrotechnischen Erzeugnissen. Auch auf das Gebäude der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau und auf das Gelände des Polizeireviers Dessau-Roßlau warfen die Teilnehmer vereinzelt Gegenstände und Pyrotechnik. Im Zusammenhang mit dem 73. Jahrestag der alliierten Luftangriffe auf Dessau am 7. März 1945 veranstalteten Rechtsextremisten und als Gegenaktionen linke und linksextremistische Gruppierungen am 10. und am 17. März entsprechende Versammlungen. So mobilisierte ein so genanntes "Jugendbündnis" für den 17. März zu einer Demonstration unter dem Motto "Schöner leben ohne Nazis": "Deshalb mobilisieren wir als Jugendbündnis zu ei126 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus nem antikapitalistischen und antifaschistischen Jugendblock auf der Antifa-Demo am 17.03.2018 in Dessau. Der Block soll Raum für kreative Aktionen bieten, um den Nazis ihr Gedenken zu versauen." Die Demonstration verlief weitgehend störungsfrei. Am 29. September fand in Magdeburg eine Demonstration unter dem Motto "Kein Vergeben, kein Vergessen. In Gedenken an alle Opfer rassistischer Gewalt" mit 185 Teilnehmern statt. Anmelder war ein Angehöriger der linksextremistischen Szene Magdeburgs. Es wurden Transparente mit den Schriftzügen "Faschismus tötet" und "Infoladen bleibt" mitgeführt. Während des Aufzuges kam es vor dem Geschäft "Narvik" zu Böllerund Flaschenwürfen. Zuvor scheiterte ein Angriff auf ein AfD-Büro, da dies von der Polizei geschützt wurde. Am 10. November fand in Magdeburg ein rechtsextremistischer "Fackelmarsch" mit 700 Teilnehmern statt5. Unter dem Motto "Ausgefackelt" mobilisierte hiergegen ein Bündnis aus dem nichtextremistischen Bereich. An dieser Gegendemonstration nahmen ebenfalls 700 Personen teil, darunter etwa 70 Linksextremisten aus dem Umfeld des "Infoladens" Magdeburg sowie Szeneangehörige aus Burg (Landkreis Jerichower Land), Berlin, Hamburg und dem niedersächsischen Wendland. Einige Teilnehmer konnten sich in kleinen Gruppen von der Versammlung absetzen und entlang der Demonstrationsroute durch die Stadt bewegen. Dabei kam es hin und wieder zu verbalen Auseinandersetzungen mit Teilnehmern des "Fackelmarsches". Die Polizei musste mehrfach ein Aufeinandertreffen von Angehörigen der rechtsund linksextremistischen Szene mit Zwangsmitteln verhindern. Nach dem "Fackelmarsch" zog eine mindestens 20-köpfige Autonomengruppe durch Magdeburg-Stadtfeld und stieß offenbar gezielt auf drei Personen, die sie als Teilnehmer des 5 Siehe Seite Seite 48. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 127 Linksextremismus "Fackelmarsches" identifizierten. Diese drei Personen wurden umkreist, so dass ein Entkommen nicht möglich war. Hierbei maskierte sich der überwiegende Teil der 20-köpfigen Gruppe und schlug mit unterschiedlicher Tatbeteiligung auf die drei Umzingelten ein. Strafund Gewalttaten Im Bereich der Strafund Gewalttaten der politisch motivierten Kriminalität (PMK) - links - gab es einen Rückgang der Fallzahlen im Jahresvergleich 2017/2018 von 118 Taten auf nunmehr 280. Die darin enthaltenen Gewalttaten gingen ebenfalls zurück von 41 Taten im Jahr 2017 auf 24 Taten im Jahr 2018. Gleichwohl muss nach wie vor von einer niedrigen Hemmschwelle zur Gewaltanwendung, insbesondere gegen eingesetzte Polizeikräfte, ausgegangen werden. In Einzelfällen ist - wie beispielsweise in der Konfrontation mit dem politischen Gegner - die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung bei Teilen der gewaltbereiten linksextremistischen Szene nach wie vor deutlich herabgesetzt bzw. nicht existent. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Autonome in Sachsen-Anhalt befassten sich überwiegend mit den von ihnen vor Ort festzustellenden Verhältnissen oder mit den Verhältnissen, die sie als feststellbar empfinden. Teilweise erfolgte eine Beteiligung an bundesweiten Bündnissen. So haben sich Burger Autonome der AAB dem "Revolutionären Aufbau" als überregionale Struktur angeschlossen. Im Mittelpunkt stand dabei das thematische und aktionsorientierte Aufarbeiten des G20-Gipfels 2017. In den kommenden Jahren werden die Bestrebungen aus dem Spektrum der Autonomen Hauptträger des gewaltbereiten Linksextremismus in Sachsen-Anhalt sein. Es ist weiterhin von einer hohen Gewaltorientierung auszugehen. Zu den Hauptschwerpunkten autonomer Aktionsfelder werden der "Antifaschismus" und der "Antirassismus" zählen, da diese über eine 128 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus hohe gesellschaftliche Anschlussfähigkeit verfügen. Es ist davon auszugehen, dass auch nichtextremistische Anlässe wie Protestveranstaltungen oder Demonstrationen genutzt werden, um die eigenen Interessen aktionistisch einzubringen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 129 Linksextremismus "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Sitz Bundesverband: Essen Verbreitung (Nordrhein-Westfalen) bundesweite Verbreitung Gründung 1968 In Sachsen-Anhalt seit 1997 mit einzelnen Parteigruppen existent. Struktur Sachsen-Anhalt: Vorsitzender des "KoordinieAufbau rungsrates" Matthias KRAMER (Magdeburg) Parteivorsitzender: Patrick KÖBELE (Essen) Die Partei gliedert sich in Grund-, Kreis-, Bezirksund/oder Landesorganisationen sowie eine Bundesorganisation. In Halle (Saale) gibt es eine Ortsgruppe, in Magdeburg sowie in der Region Altmark Einzelmitglieder. Innerhalb der Parteigesamtstruktur ist der Status einer Bezirksbzw. Kreisorganisation nicht erreicht. Daher verfügt die DKP in Sachsen Anhalt lediglich über einen so genannten "Koordinierungsrat". Mitglieder Sachsen-Anhalt: etwa 15 (2017: etwa 20) Anhänger Bund: 3.000 (2017: 3.000) VeröffentWeb-Angebote: www.dkp.de, lichungen www.dkp-online.de www.dkp-halle.de Publikationen: UZ - "Unsere Zeit" (wöchentlich) "Marxistische Blätter" (alle zwei Monate) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden 130 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Kurzportrait / Ziele Die DKP ist eine marxistisch-leninistische Kernorganisation. Die Partei versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Ihr Ziel ist die Errichtung einer sozialistischen / kommunistischen Gesellschaft durch einen revolutionären Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen. Die DKP bekennt sich zur Ideologie von Marx, Engels und Lenin als Richtschnur ihres politischen Handelns. Grund der Beobachtung Die DKP strebt langfristig einen Systemwechsel in Richtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung an. Mittels eines klassenkämpferisch-revolutionären Aktes sollen die kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse, der Parlamentarismus und der politisch-gesellschaftliche Pluralismus überwunden werden. Gewaltanwendung wird dabei nicht ausgeschlossen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Vom 2. bis 4. März nahmen Delegierte aus Sachsen-Anhalt am 22. Parteitag der DKP in Frankfurt am Main (Hessen) teil. Der seit Jahren andauernde innerparteiliche Richtungsstreit hält weiter an. Auf dem Parteitag beschlossen die 164 Delegierten einen Antrag des Parteivorstands zur Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Mitgliedschaft in der DKP und im "Netzwerk kommunistische Politik". Dieses Ende 2015 von einigen DKP-Mitgliedern gegründete Netzwerk sucht nach "neuen Formen kommunistischer Politikführung". Das Netzwerk will im Zuge dessen die Bedeutung der Arbeiterklasse als "revolutionärem Subjekt" sowie die "Avantgarderolle der Partei" relativieren und plädiert für eine Mitarbeit der DKP in allen "fortschrittlichen Bewegungen". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 131 Linksextremismus Die stellvertretende Parteivorsitzende Wera RICHTER (Berlin) stellte in ihrer Rede fest, dass die Partei weiterhin mit sinkenden Mitgliederzahlen zu tun habe - auch ohne die Austritte im Rahmen der innerparteilichen Auseinandersetzungen. Es wurde ein neuer 32-köpfiger Parteivorstand gewählt. Der bisherige Parteivorsitzende KÖBELE wurde mit großer Mehrheit in seinem Amt bestätigt, ebenso die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Wera RICHTER und Hans-Peter BRENNER (Nordrhein-Westfalen). In Sachsen-Anhalt trat die DKP im Berichtszeitraum mit keinen öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen auf. Für das Jahr 2019 ist der Antritt zur Europawahl vorgesehen, hierfür bemühte sich die DKP im Berichtszeitraum um die erforderlichen Unterstützerunterschriften. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Es ist davon auszugehen, dass die DKP ihre seit Jahren vertretene kommunistische Ideologie auch künftig beibehalten wird. Sollte es allerdings nicht gelingen, neue Mitglieder zu gewinnen, die Parteifinanzen zu stabilisieren sowie die innerparteilichen ideologischen und strategischen Streitfragen zu klären, droht ein Verbleiben in der politischen Bedeutungslosigkeit. Es ist der Partei weiterhin nicht gelungen, erfolgreich öffentlich wirksam zu werden. Tragbare Bündnisse mit bürgerlichen Kräften sind nicht in Sicht. Die Partei ist aufgrund des hohen Durchschnittsalters ihrer Mitglieder nicht in der Lage, aktionsorientiert zu agieren und arbeitet daher meist theoriebezogen. 132 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland" (MLPD) Sitz Bundesverband: Gelsenkirchen Verbreitung (Nordrhein-Westfalen) bundesweite Verbreitung Sachsen-Anhalt: angegliedert im Landesverband Ost Gründung 1982 In Sachsen-Anhalt seit 1992 mit einzelnen Strukturen existent. Struktur Parteivorsitzende: Gabi FECHTNER (Nord Aufbau rhein-Westfalen) Die Partei ist in mehreren Ebenen organisiert. Betriebsund Wohngebietsgruppen bilden die erste Ebene der Partei. Die zweite Organisationsebene stellen die Ortsgruppen dar. Danach folgt der Kreisverband. Als letzte Ebene folgen die derzeit sechs Landesverbände. Vorsitzender des Landesverbands Ost: Andrew Schlüter (Berlin) Mitglieder Sachsen-Anhalt: etwa 25 (2017: etwa 30) Anhänger Bund: etwa 1.800 (2017: etwa 1.800) VeröffentWeb-Angebote: www.mlpd.de, www.rf-news lichungen Publikationen: "Rote Fahne" (RF) (wöchentlich) "Lernen und Kämpfen" (LuK) (mehrmals jährlich) "Rebell" (zweimonatlich) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden In wirtschaftlicher Hinsicht stellt die MLPD eine der finanzstärksten linksextremistischen Parteien in Deutschland dar. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 133 Linksextremismus Kurzportrait / Ziele Die MLPD ist eine maoistisch-stalinistisch ausgerichtete Partei, die sich an den Lehren von Marx, Engels, Lenin, Mao Tsetung und Stalin orientiert. Ihrem Verständnis nach kann der Kapitalismus nicht reformiert werden, sondern muss revolutionär durch den "echten" Sozialismus abgelöst werden. Trotz Probleme und Niederlagen habe der Sozialismus seine wirtschaftliche, politische und moralische Überlegenheit über den Kapitalismus bewiesen. Über die Mitgliedschaft ihrer Angehörigen in Gewerkschaften versucht die MLPD Einfluss auf die Arbeiter als "Subjekt des Klassenkampfes" zu erlangen. Sie unterstützt die Forderungen der Gewerkschaften bei Streiks, verbindet deren Ziele aber jeweils mit ihrer fundamentalen Kapitalismuskritik und der Forderung nach einer kommunistischen Gesellschaft. Grund der Beobachtung Die MLPD versteht sich selbst als Repräsentantin einer radikal linken und revolutionären Perspektive des "echten" Sozialismus, dessen Errichtung sie propagiert. Ihre Zielsetzung ist eindeutig verfassungsfeindlich. So bekennt sie sich zum Beispiel in der Präambel ihrer Parteistatuten dazu, dass ihr grundlegendes Ziel "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals" und die "Errichtung der Diktatur des Proletariats" ist. Die Partei will sich zur Erreichung dieses Ziels "...mutig an die Spitze der Kämpfe der Arbeiterklasse stellen". Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die internationalistische Bündnisausrichtung mit dem Gedanken der sozialistischen Weltrevolution ist bei der MLPD besonders offensiv ausgeprägt, was sich insbesondere in der von der MLPD im Jahr 2010 gegründeten "Internationalen Koordinierung revolutionärer Organisationen und Parteien" (ICOR) zeigt. 134 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus Dem folgend sind im Magdeburger "Solidaritätsbündnis Kurdistan-Magdeburg" neben kurdischen PKK-Anhängern und Autonomen auch Mitglieder der MLPD vertreten1. Dies folgt der Parteilinie der internationalistischen Bündnisausrichtung. An einer Versammlung mit Aufzug zum Thema "Stoppt den Krieg in Afrin" am 3. Februar in der Innenstadt von Halle (Saale) nahmen bis zu 350 Personen teil, darunter auch Angehörige der linksextremistischen Szene. Kurdische Teilnehmer zeigten ein Transparent mit der Aufschrift: "Sofortige Aufhebung des PKK-Verbotes", "Freiheit für Abdullah Öcalan". Dies hatten MLPD-Mitglieder gefertigt. Nach einem Gespräch zwischen dem Versammlungsleiter und den Teilnehmern wurde das Transparent zunächst eingerollt, zu einem späteren Zeitpunkt zeigten MLPD-Mitglieder es erneut. Im November veröffentlichte die MLPD in einem Flugblatt eine "Erklärung der MLPD zum repressiven und undemokratischen Ausschluss aus dem #unteilbar-Bündnis". Anfang November seien in einem "reaktionären Rundumschlag MLPD, Rebell, Internationalistisches Bündnis, Montagsdemo, Umweltgewerkschaft und Frauenverband Courage aus dem #unteilbar-Bündnis" von "Demo-Unterstützer*innen" ausgeschlossen worden. Der Aufzug "Unteilbar - Für eine offene und solidarische Gesellschaft" wurde in Berlin am 13. Oktober mit in der Spitze bis zu geschätzten 120.000 Teilnehmern durchgeführt. Zu der unter anderem gegen den "Rechtsruck" in der Gesellschaft gerichteten Demonstration riefen vorwiegend Organisationen aus dem nichtextremistischen Bereich auf. Aber auch linksextremistische Gruppierungen wie die MLPD unterstützten die Demonstration, was in Presseberichten teilweise kritisch bewertet wurde. 1 Siehe "Kurdistansolidarität" auf Seite 120. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 135 Linksextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Es ist davon auszugehen, dass die MLPD die von ihr seit Jahren vertretene ideologische Linie auch zukünftig beibehalten wird. Dabei sucht die Partei explizit den Kontakt zu verbotenen ausländischen Organisationen wie die PKK. Es kann angenommen werden, dass ihr dies den Kontakt ins aktionsorientierte linksextremistische Spektrum erleichtert. Um ihr politisches Verständnis auch innerhalb dieses Spektrums des Linksextremismus darlegen zu können, scheint die Partei die Zusammenarbeit über das "Internationalistische Bündnis" ausbauen zu wollen. Zur Europawahl im Mai 2019 kandidiert sie als "Internationalistische Liste/MLPD". 136 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus "Rote Hilfe e.V." (RH) Sitz Bundesverband: Göttingen Verbreitung (Niedersachsen) bundesweite Verbreitung Gründung 1975 In Sachsen-Anhalt seit 1996 mit der ersten RH-Ortsgruppe in Halle (Saale) existent. Struktur Bundesweit gibt es 51 Ortsgruppen. Aufbau Die lokalen Gruppen wählen auf Mitgliederversammlungen ihre Abgesandten für die Bundesdelegiertenkonferenz, diese tritt mindestens alle zwei Jahre zusammen. Der Bundesvorstand wird für eine Dauer von zwei Jahren gewählt und organisiert als oberstes Organ der RH deren bundesweite Arbeit. Er tagt mindestens zweimal jährlich, verwaltet die Finanzen des Vereins und gibt dessen Zeitung heraus. In Sachsen-Anhalt existieren Ortsgruppen in Halle (Saale), Magdeburg und Salzwedel. Mitglieder Sachsen-Anhalt: etwa 190 (2017: etwa 180) Anhänger Bund: etwa 9.240 (2017: etwa 8.300) VeröffentWeb-Angebot: www.rote-hilfe.de lichungen Publikationen: "Die Rote Hilfe" (quartalsweise) Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden Vertrieb von Büchern, Broschüren, Informationsmaterial Kurzportrait / Ziele Die RH ist nach ihrem Selbstverständnis eine "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" zur Unterstützung von Personen, die nach ihrer Auffassung in der " Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 137 Linksextremismus politischen Betätigung verfolgt werden". Dabei vertritt die RH kein eigenständiges weltanschauliches Programm, ist jedoch ein bedeutender Bestandteil der linksextremistischen Szene und wirkt organisationsübergreifend. Die zentrale Haltung der RH besteht in der Überzeugung einem Staat gegenüber zu stehen, der mittels eines umfassenden Repressionsapparates herrscht. Die RH stellt die Sicherheitsund Justizbehörden als Unterdrückungsmittel dar, mit denen der Staat ihm politisch missliebige Personen unterdrückt, kriminalisiert und letztendlich wegsperrt. Dadurch spricht sie der Bundesrepublik Deutschland die Eigenschaft als Rechtsstaat ab und sieht in ihr stattdessen ein Willkürregime. Die RH unterstützt linksextremistische Straftäter auf mehrfache Weise. Mittels Kampagnen sollen die Sicherheitsund Justizbehörden diskreditiert werden. Zudem schult sie zu Straftaten bereite Szeneangehörige darin, das Risiko einer Strafverfolgung zu minimieren. Das wichtigste Vorgehen besteht in der politischen, logistischen und finanziellen Unterstützung von Linksextremisten in Ermittlungsund Strafverfahren sowie im Strafvollzug. Erkennt die RH eine Person als "Unterstützungsfall" an, so beteiligt sie sich an Prozessund Anwaltskosten (sowie Strafund Bußgeldern) und vermittelt gegebenenfalls anwaltliche Unterstützung. Grund der Beobachtung Die RH ist ein zentraler Bestandteil der linksextremistischen Szene und betätigt sich in deren Kampagnenfeld "Antirepression". Sie ist eine organisationsübergreifende Unterstützerin von Straftätern aus den unterschiedlichen Bereichen der linksextremistischen Szene. Die RH bekämpft die Bundesrepublik Deutschland, die sie als einen Willkürstaat darstellt, von dem eine politische Verfolgung ausgeht. Die RH an sich agiert nicht gewalttätig, allerdings stabilisiert und motiviert sie das Spektrum der generell zu Straftaten bereiten Linksextremisten, unter Einschluss möglicher Gewalt138 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Linksextremismus täter. Auf Grund der von der RH gewährten Hilfestellung und Unterstützung werden Einstellungen geweckt beziehungsweise bestärkt, die begangenes Unrecht bagatellisieren und staatliches Handeln delegitimieren sowie das Abschreckungspotenzial strafrechtlicher Sanktionen verringern. Straftäter werden so von der Auseinandersetzung mit dem von ihnen verübten Unrecht abgehalten. Die RH erfüllt damit eine Gewalt unterstützende Funktion. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Vom 14. bis 16. September fand in Straußberg (Thüringen) die Bundesdelegiertenversammlung der RH statt. Gemäß dem Delegiertenschlüssel hätten die in Sachsen-Anhalt agierenden Gruppen jeweils drei der insgesamt 251 Delegierten stellen können. Die Magdeburger Ortsgruppe mobilisierte ebenfalls zur Teilnahme an der vom "Unheimlich sicher"-Bündnis organisierten Demonstration gegen die IMK1. Die IMK solle "nicht widerstandslos hingenommen" werden. Weiter hieß es: "Unsere Kritik gilt nicht nur dem Staat und seiner Innenpolitik, es gilt das gesamte Konstrukt von Unterdrückung und kapitalistischer Herrschaft umzuwerfen. Die Folgen dieser repressiven Ordnung zeigen sich uns auf vielfältiger Weise in unserem Alltag. Genauso vielfältig sind aber unsere Widerstände gegen diese Verhältnisse". 1 Siehe "Proteste gegen die 209. Sitzung der Innenministerkonferenz" auf Seite 124. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 139 Linksextremismus Nach der Demonstration bot die RH Hilfe in Form einer so genannten "Rechtsberatung" in den Räumlichkeiten einer öffentlichen Einrichtung in Magdeburg an. Bei der Veranstaltung bestand die Möglichkeit mit einzelnen Mitgliedern der RH Magdeburg über juristische Probleme oder Fragen der materiellen Unterstützung zu sprechen. Die RH warb mit den Worten: "Wir möchten darauf hinweisen, dass Menschen bei der Roten Hilfe auch materielle Unterstützung beantragen können. Die ist nicht an die Mitgliedschaft in der RH gebunden." Die RH Salzwedel unterstützte eine Demonstration am 2. Februar in Lüchow (Niedersachsen), die sich gegen die Inhaftierungen und Gerichtsprozesse nach den massiven Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels wendete. "Auch 212 Tage nach Hamburg haben sie uns nicht kleinbekommen. Lasst sie uns gemeinsam nehmen, die Straße ... Gegen ihr brutales Verwertungssystem und Repression, für Solidarität mit den Gefangenen, den Spaß an der Rebellion ..." Die Ortsgruppe in Halle (Saale) war insbesondere in der so genannten "Freiraumdebatte" um das Szeneobjekt "HaSi" aktiv2. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Eine Änderung der seit Jahren praktizierten Vorgehensweise ist unwahrscheinlich. Sofern keine ungewöhnlichen Ereignisse auftreten, wird die RH ihr personelles und finanzielles Wachstum weiter steigern. Sie wird daher auch zukünftig ein wichtiger Stabilitätsfaktor der linksextremistischen Szene sein. Insbesondere für gewaltorientierte Bestrebungen und Einzelpersonen wird die RH ihre unterstützende und bestärkende Arbeit fortsetzen. 2 Siehe "Freiräume" auf Seite 122. 140 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus Islamistische Bestrebungen Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine spezifische Form des politischen Extremismus. Unter Berufung auf die Religion des Islam zielt der Islamismus auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dem Islamismus ist dabei die Überzeugung inne, dass Religion nicht nur eine persönliche, quasi private Angelegenheit sei, sondern auch das öffentliche gesellschaftliche Leben sowie die politische Ordnung eines Staates bestimme oder zumindest in Teilen regle. Diese von Gott gewollte und somit "wahre" (und zugleich absolute) Ordnung, rangiere in ihrer Wertigkeit vor allen von Menschen gemachten Ordnungssystemen. Der Islamismus lässt sich in verschiedene Strömungen untergliedern, den Jihadismus, islamistischen Terrorismus, den legalistischen Islamismus und den Salafismus. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihrer ideologischen Prämissen, ihrer geografischen Orientierung und ihrer Strategien (bzw. der Wahl ihrer Mittel), können sich aber auch überschneiden, zum Beispiel im Jihadsalafismus. Hier werden Ideologieelemente des Salafismus mit der kämpferische Ausprägung des Jihadismus vereint. - Jihadistische Gruppierungen wie zum Beispiel der "Islamische Staat" und "al-Qaida" sehen in ihrem Kampf für einen "Gottesstaat" mit terroristischer Gewalt ein unabdingbares Mittel gegen "Ungläubige" und aus ihrer Perspektive korrupte islamische Regimes. Ihre terroristische Agenda ist global und bedroht folglich die gesamte internationale Staatengemeinschaft. - Die Anhänger islamistisch-terroristischer Gruppierungen wie der HAMAS und "Hizb Allah", deren Ziel die Vernichtung des jüdischen Staates Israel ist, sind im Wesentlichen auf ihre Herkunftsregionen fokussiert und wenden schwerpunktmäßig dort terroristische Gewalt an. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 141 IslamIsmus - So genannte legalistische Strömungen versuchen, über politische und gesellschaftliche Einflussnahme eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchzusetzen. - Salafisten orientieren sich ausschließlich an einem wortgetreuen Verständnis von Koran und Sunna1 sowie am Vorbild der Gefährten Mohammeds, den so genannten rechtschaffenen Altvorderen2. Sie vertreten dabei einen Exklusivitätsanspruch, beanspruchen die einzig "wahren" Muslime zu sein und lehnen die geschichtliche Entwicklung der Religion des Islam und ihre vielschichtige Ausübung und Interpretation seitens der Muslime ab3. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung werden islamistische Bestrebungen vor allem in der Ausprägung des militanten und insbesondere terroristischen Islamismus und Jihadismus gesehen. Entsprechend motivierte Anschläge und Straftaten sowie mit islamistischen Bestrebungen verbundene konkrete Gefahren sind Ereignisse, die sich unschwer als Bedrohungen erkennen lassen. Das Erfordernis eines entschlossenen Einschreitens gegen diese Phänomene ist unstrittig. Verfassungsschutz, Polizei und Justiz arbeiten bei der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung auf diesem Feld mit ihren jeweiligen Aufgaben und Befugnissen eng zusammen. Demgegenüber ist eine Bedrohung durch die Strömung des legalistischen Islamismus, die scheinbar im Einklang mit den Prinzipien unseres demokratischen Rechtsstaates steht, weniger offensichtlich. Da diese vermeintlich gesetzeskonformen Ausprägungen des Islamismus in der Regel weder eine konkrete Gefahr darstellen noch strafrechtlich relevant sind, 1 Zur Nachahmung empfohlene Handlungsweisen und Aussagen des Propheten Mohammed. 2 Arabisch: al-Salaf al-Salih. 3 Vgl. Kompendium des BfV - Darstellung ausgewählter Arbeitsbereiche und Beobachtungsobjekte, S. 61 f. 142 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus wird deren langfristig wirkender schädlicher Einfluss auf die freiheitliche demokratische Grundordnung oft unterschätzt. Und selbst wenn die Gefahr erkannt wird, ist der Umgang mit solchen Erscheinungen schwierig und stellt eine Herausforderung für Gesellschaft, Politik und Verwaltung dar. Sachsen-Anhalt war im Berichtsjahr von allen der vorgenannten Ausprägungen des Islamismus betroffen, das islamistische Personenpotenzial ist erneut angestiegen und beläuft sich auf etwa 300 Personen. Die im Land festgestellten Bezüge zum Jihadismus standen zumeist im Kontext der Entwicklungen in den so genannten Jihad-Gebieten. Die Sicherheitsbehörden bearbeiten weiterhin Hinweise auf (vermeintliche) Jihadisten. Diesen wird zum Beispiel vorgeworfen, islamistischen Gruppen im syrischen Bürgerkrieg angehört zu haben. Die meisten Fälle dieser Art betrafen Personen mit Migrationsbezug. Zwar ließ sich die überwiegende Anzahl an Hinweisen nicht bestätigen, in einigen Fällen konnte die Verfassungsschutzbehörde jedoch bestätigende Erkenntnisse gewinnen, beweissicher verdichten und gemäß SS 19 VerfSchG LSA an die für den polizeilichen Staatsschutz zuständigen Strafverfolgungsbehörden weiterleiten. Neben eingeleiteten Ermittlungsverfahren und erhobenen Anklagen kam es auch zu entsprechenden Verurteilungen. Nach wie vor ist trotz der weiter fortgeschrittenen militärischen Niederwerfung des so genannten "Islamischen Staats" (IS) davon auszugehen, dass die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus und Jihadismus auch in Deutschland zunächst unverändert fortbesteht. Insbesondere die von Jihadisten mit Nachdruck verfolgten Versuche im Internet ihre Ideologie zu verbreiten und zu Anschlägen zu verleiten, können jederzeit vor allem bei labilen Persönlichkeiten auf fruchtbaren Boden fallen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 143 IslamIsmus Der legalistische Islamismus in Sachsen-Anhalt wird von so genannten politischen Salafisten, Angehörigen der Tabligh-i-Jamaat (TJ) sowie der Muslimbruderschaft (MB) geprägt. Nach wie vor ist das Personenpotenzial im Vergleich zu westlichen Bundesländern gering. Anlass zur Sorge besteht aber dann, wenn wie im Land feststellbar, Vertreter der vorgenannten Organisationen in islamischen Gemeinden nach Einfluss streben oder jene gar dominieren. Für einen Großteil der vor allem aus Syrien aber auch aus anderen muslimisch geprägten Staaten zugewanderten Menschen stellen die islamischen Gemeinden einen wichtigen Anlaufpunkt dar. Daher kann das Wirken und der Einfluss der sich dort engagierenden Islamisten zu einer Verbreitung extremistischer Ideologie führen und einer Integration der Zuwanderer entgegenwirken. Auf Grund dessen werden neben den salafistischen Bestrebungen vorrangig islamistische Bestrebungen mit legalistischer Ausprägung genannt. 144 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus Salafistische Bestrebungen Sitz Schwerpunkte in Nordrhein-Westfalen und in Verbreitung Ballungszentren in Sachsen-Anhalt landesweit, doch ohne gefestigte Strukturen Gründung Ursprünge in Entwicklungen der islamischen Welt besonders im 18. und 19. Jahrhundert Struktur einzelne Aktivisten in Sachsen-Anhalt Mitglieder Sachsen-Anhalt: etwa 80 (2017: etwa 70) Anhänger Bund: etwa 11.2001 (2017: etwa 10.300) VeröffentWeb-Angebot: diverse Internetauftritte lichungen soziale Netzwerke Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Der Verfassungsschutz versteht unter Salafismus eine besonders radikale Strömung innerhalb des Islamismus. Salafisten streben nach Wiederherstellung des "authentischen Islam" und nach Umsetzung islamischer Rechtsvorschriften (Scharia), die nach ihrer Auffassung als Gesetz Gottes prinzipiell für die gesamte Menschheit gültig sind. Die Verwirklichung des "authentischen Islam" steht für eine politische Agenda, die in der Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" münden soll. Grund der Beobachtung Das verfassungsschutzrelevante salafistische Spektrum wird in die Kategorien "jihadistischer Salafismus" und "politischer Salafismus" unterteilt. Beiden Strömungen gemein sind ideologische Grundlagen und die grundsätzliche Befürwortung von Gewalt, die Übergänge zwischen beiden Richtungen sind fließend. Politische Salafisten vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt, sie wollen die Gesellschaft von innen heraus anhand 1 Stand: August 2018. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 145 IslamIsmus von Missionierungen islamkonform umgestalten. Jihadistische Salafisten fordern die unmittelbare Gewaltanwendung zur Durchsetzung ihrer Ziele. Ihnen ist gemein, dass sie die islamische Religion als Ideologie verstehen, die es kompromisslos umzusetzen gilt. Die von Gott vorgeschriebenen Regeln sollen über allem stehen. Salafistische Ideologie steht damit im grundsätzlichen Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der freien Religionsausübung sowie der allgemeinen Gleichberechtigung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Vereinzelt traten in verschiedenen Moscheen oder Gebetsräumen des Landes Prediger auf, die dem salafistischen Spektrum zuzurechnen sind. Kerninhalte solcher Predigten waren zum Beispiel das Schwelgen in Erzählungen von legendären Schlachten aus frühislamischer Zeit oder der Zeit der Kreuzzüge und das Suggerieren, dass die Zuhörer der Predigt allein in einer Welt voller Feinde stünden. Aussagen wie, Muslime müssten den "ersten Platz unter den Völkern" einnehmen oder der bewaffnete Jihad sei eine weitere verbindliche Glaubenspflicht für alle Muslime2 sind kennzeichnend für Argumentationslinien des jüngeren jihadistischen Salafismus. Solche Predigten, oftmals in Arabisch gehalten, bauen ein klares "wir gegen sie"-Feindbild auf. Sie fördern die Abschottung der zugewanderten gläubigen Muslime und stehen den Integrationsbemühungen der Landesregierung entgegen. Der Islamische Staat (IS) und weitere jihadsalafistische Organisationen Im Berichtszeitraum war der IS erneut die bekannteste jihadsalafistische Organisation, die in den Vorjahren auch Jugendliche 2 Neben den fünf "Säulen des Islam": Glaubensbekenntnis, Fasten im Monat Ramadan, Pilgerfahrt nach Mekka, Gebet, Almosenabgabe. 146 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus aus Sachsen-Anhalt angezogen hatte. Da Deutschland an Waffenlieferungen und Ausbildungsmaßnahmen für Gegner des IS beteiligt ist, ist eine Gefährdungslage für deutsche Einrichtungen und Interessen entstanden. Der IS ruft explizit zum Kampf unter anderem gegen Deutschland auf. Es liegen derzeit Erkenntnisse zu mehr als 1.050 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS und der al-Qaida3 oder denen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben. Dies bedeutet, dass den zuständigen Justizbehörden zu der anderen Hälfte der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren vorliegen. Derzeit werden Ausreisesachverhalte nur noch vereinzelt nachträglich bekannt. Neue Ausreisen in Richtung Syrien/Irak 3 Al-Qaida ist eine Mitte der 1980er Jahre von Usama Bin Ladin gegründete Terrororganisation. Ihr Kampf gilt einerseits dem "äußeren Feind" (dem westlichen Einfluss, insbesondere seitens der USA und Israel), andererseits dem "inneren Feind" (den so genannten unislamischen Regierungen des Nahen und Mittleren Ostens sowie in Nordafrika). Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 147 IslamIsmus sind aktuell nicht bekannt und sind nur noch in Einzelfällen zu erwarten. Mehr als ein Fünftel der gereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu über 110 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger rechtskräftiger Verurteilungen aus Syrien/Irak zurückgekehrter Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Zu etwa 200 Personen liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Im Zusammenhang mit den fortschreitenden Gebietsverlusten des IS liegen Erkenntnisse zu Personen vor, die aktuell aus Syrien/Irak ausreisen möchten und/oder sich aktuell in Syrien/Irak in Haft befinden. Bei einem Großteil dieser Personen dürfte sich eine verstärkte Rückreisetendenz abzeichnen. Neben militärischen Operationen und Attentaten im eigentlichen "Kalifatsgebiet" in Syrien und im Irak hat der IS auch regelmäßig Anschläge in Europa verübt oder hierzu inspiriert. So reklamierte der IS den Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt (Frankreich) am 11. Dezember für sich, bei dem ein Attentäter fünf Personen tötete und elf Menschen zum Teil schwer verletzte. Am 30. Mai erfolgte in Aschersleben (Salzlandkreis) die Vollstreckung eines Durchsuchungsbeschlusses gegen einen 50-jährigen Syrer. Ermittlungen des Generalbundesanwaltes beim Bundesgerichtshof (GBA) ergaben den Verdacht, dass dieser als Mitglied einer terroristischen Vereinigung im Ausland zwischen November 2012 und Juli 2013 unter anderem logisti148 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus sche Dienste für die Jabhat-al-Nusra (JaN)4 übernommen hatte. Die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland ist strafbar gemäß SSSS 129a, 129b StGB. Am 29. Juni verurteilte das Kammergericht Berlin eine im Jahr 2017 in Sachsen-Anhalt festgenommene Person auf Grund der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten. Die Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt bearbeitete im Berichtszeitraum nicht nur Hinweise auf die dargestellten bekannten terroristischen Organisationen. Eine Vielzahl der in den vergangen Jahren eingegangenen Hinweise bezog sich auf bis dato zum Teil unbekannte jihadistische Gruppierungen, die in den syrischen Bürgerkrieg verstrickt waren. Die von der Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalt gewonnenen Erkenntnisse bildeten die Grundlage für die Einstufung der beiden jihadistischen Gruppierungen Liwa Mu'ta und Liwa Owais al Qorani als eigenständige terroristische Organisationen. Auf Grund dieser Erkenntnisse erließ das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) Strafverfolgungsermächtigungen zu beiden Gruppierungen. In der Folge wurden bundesweit gegen einen Personenkreis im mittleren zweistelligen Bereich Strafverfolgungsmaßnahmen eingeleitet. Daneben fielen Erkenntnisse zu weiteren Personen an, die in jihadistisch orientierten Gruppierungen in Syrien aktiv waren und sich in wechselnden Allianzen mit ihren jeweiligen Organisationen anderen terroristischen Vereinigungen wie z. B. dem IS oder der JaN angeschlossen hatten. Der Anstieg des islamistischen Personenpotenzials ist zu einem nicht unerheblichen Teil diesem Phänomen zuzuschreiben. Diese Personengruppe wird weiterhin im besonderen Fokus der Verfassungsschutz- 4 Die Jabhat Al-Nusra gehörte zunächst der Al-Qaida an. Nach der Trennung im Juli 2016 erfolgte die Umbenennung in Jabhat Fath al-Sham und der Anschluss an den "Islamischen Staat", Anfang 2017 erfolgte die Umbenennung in Jabhat Al-Nusra. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 149 IslamIsmus behörde stehen. Soweit der Verfassungsschutzbehörde ausreichend mitteilbare Erkenntnisse vorliegen, die für die Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich sind, werden die zuständigen Strafverfolgungsbehörden gemäß SS 19 Abs. 1 VerfSchG LSA hierüber informiert. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Es ist damit zu rechnen, dass der IS infolge der Einschränkung seines Aktionsfeldes in Syrien und im Irak sich bietende Tatgelegenheiten innerhalb Deutschlands nutzen wird. Dies muss nicht notwendigerweise mittels so genannten Rückkehrern geschehen, die nach einer ideologischen und paramilitärischen Schulung beim IS - oder nach nachhaltiger Radikalisierung auf Grund ihrer Kriegserfahrungen - in ihr Herkunftsland zurückkehren und dort operativ tätig werden. Ebenso müssen Personen in Betracht gezogen werden, die entweder behördlicherseits an einer geplanten Ausreise gehindert wurden oder deren Reisewunsch in ein Jihadgebiet aus anderen Gründen scheiterte und die ihren Wunsch nach einer Beteiligung am Jihad nun mit einfachen Tatmitteln im Inland umsetzen. Die geschickte mediale Darstellung der Erfolge des IS und der Anschläge in zum Feind erklärten Ländern wird 2019 fortgesetzt und zur Inspirationsquelle von Gruppen oder Einzeltätern werden. Jihadsalafistische Aktivität geht indes nicht allein vom IS aus. Al-Qaida-nahe Terrororganisationen wie die in Nordwestsyrien aktive "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) werden 2019 mit dem IS regional um Vormacht und Einfluss konkurrieren. 150 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus Die Verdrängung von IS-Kämpfern aus jener Region kann ebenfalls zu einer Verlagerung ihrer Aktivitäten nach Europa führen und somit direkte Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland haben. Bei einer fortschreitenden Rückgewinnung der Kontrolle über das syrische Staatsgebiet seitens der regulären Strukturen ist ferner damit zu rechnen, dass weiterhin Hinweise auf nach Deutschland geflüchtete Personen eingehen werden, die in eher regional verorteten jihadistischen Gruppierungen gegen das syrische Regime gekämpft haben. Weiterhin übt der Salafismus auf nach Orientierung suchende Menschen eine hohe Anziehungskraft aus. Auf längere Sicht wird sich diese Entwicklung auch in Sachsen-Anhalt quantitativ manifestieren. Dieser Einschätzung liegt zum einen die Zunahme der Einwohner von Sachsen-Anhalt mit islamischem Migrationshintergrund zugrunde, von denen einige eine Nähe zum Salafismus aufweisen. Zum anderen ist die bereits seit Jahren zu beobachtende Anziehungskraft charismatischer salafistischer Prediger zur Rekrutierung von salafistischem Nachwuchs geeignet. Dies betrifft auch nach Orientierung suchende Jugendliche sowohl mit als auch ohne Migrationshintergrund. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 151 IslamIsmus Muslimbruderschaft (MB) / "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) / HAMAS Sitz Hauptsitz der DMG in Köln Verbreitung (Nordrhein-Westfalen) in Sachsen-Anhalt landesweit, Gründung MB: 1928 DMG (IGD): 1958 HAMAS: 1987 Struktur Als Sammelbecken der MB in Europa gilt die Föderation islamischer Organisationen in Europa (FIOE). Die IGD gehört zu den Gründungsmitgliedern. Am 9. September hat sie sih in DMG umbenannt. Die HAMAS ist aus der MB hervorgegangen. Mitglieder Sachsen-Anhalt: 15 (2017: 15) Anhänger Bund: etwa 1.3601 (2017: etwa 1.350) VeröffentWeb-Angebot: diverse Internetauftritte lichungen soziale Netzwerke Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Die in Ägypten gegründete MB gilt als älteste und einflussreichste organisierte sunnitische islamistische Bewegung. Zahlreiche islamistische Organisationen sind aus der MB hervorgegangen, so auch die DMG und die terroristische palästinensische HAMAS. Programmatischer Kernpunkt der MB ist die Einheit von Religion und Staat. Ihr Ziel ist die schrittweise Durchsetzung islamischer Rechtsvorschriften (Scharia). Gewaltanwendung wird 1 Davon etwa 320 HAMAS. 152 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus dabei nicht ausgeschlossen, doch nicht vorrangig angestrebt. In mehreren islamischen Ländern ist die MB verboten worden. 2 Die MB lehnt demokratische Staatssysteme ab, agiert aber pragmatisch. So engagieren sich ihre Vertreter häufig gesellschaftlich, um Einfluss zu gewinnen. Vertreter der MB stellen nach außen hin demokratische Prinzipien nicht in Frage und erwecken häufig den Anschein, eine vergleichsweise "moderate" Islamauslegung zu vertreten. Grund der Beobachtung Die von Gott vorgeschriebenen Regeln sollen über allem stehen. Die Ideologie der Muslimbruderschaft steht damit im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der Religionsausübung sowie der allgemeinen Gleichberechtigung. Die IGD ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der MB in Deutschland. Ihr Ziel ist, sich als anerkannter Ansprechpartner zum Thema Islam zu etablieren. Zu diesem Zweck werden offene Bekenntnisse zur MB möglichst vermieden. Die HAMAS ist für zahlreiche Selbstmordattentate und Raketenangriffe auf israelisches Territorium verantwortlich. Ihre 2 Der "Rabia"-Gruß der Muslimbrüder entstand 2013 in Kairo (Ägypten). Auf dem Rabia-al-Adawiya-Platz löste das Militär eine Sitzblockade der MB gewaltsam auf. "Rabia" bedeutet im Arabischen u.a. "vierte"; daher das Symbol der hochgehaltenen Hand mit den vier abgespreizten Fingern. Später wurden diese Finger mit den vier Phasen der angestrebten Machtübernahme der MB identifiziert: 1. Missionierung 2. Rekrutierung 3. Konfrontation 4. Machtübernahme Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 153 IslamIsmus Aktivitäten richten sich somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung und sind geeignet, deutsche Interessen im Ausland zu gefährden. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Ein der terroristischen HAMAS angehörender Muslimbruder3 aus Bitterfeld-Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld), der dort als Prediger agiert und in seinen Predigten islamistische und antisemitische Inhalte verkündet hatte, konnte auf Grund der Hinweise und übermittelten Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde an die zuständigen Behörden am 23. August in das Westjordanland zurückgeführt werden. In Sachsen-Anhalt gibt es nach wie vor Personen, die der Ideologie der MB folgen. Die hier aktiven 15 Personen sind größtenteils Persönlichkeiten, die führende Funktionen in ihren jeweiligen Moscheevereinen anstreben oder wie im Fall des bereits im Vorjahresbericht erwähnten Vereins "Islamische Gemeinde Stendal e.V."4 (IGS) innehaben. Auch wenn Vertreter der MB typischerweise bemüht sind, sich nach außen hin als gemäßigte Muslime darzustellen, so sind sie doch bestrebt das Gedankengut der MB weiter zu verbreiten. So haben bei der IGS aktive Protagonisten im Anschluss an das Erscheinen des Verfassungsschutzberichts 2017 im April offene Hinweise auf die MB-Ideologie aus ihren jeweiligen öffentlichen Auftritten in sozialen Netzwerken getilgt und anschließend eine MB-Nähe in Abrede gestellt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Es besteht unverändert die Gefahr, dass die Selbstinszenierung als vertrauenswürdige zivilgesellschaftliche Akteure bei Verantwortungsträgern in Kommunen, Land, Kirchen und Zivilge- 3 Siehe Verfassungsschutzbericht 2017, Seite 145 f.. 4 Siehe Verfassungsschutzbericht 2017, Seite 146. 154 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus sellschaft verfängt und zu Fehleinschätzungen führen kann. Mitarbeiter von Behörden, Kirchen und zivilgesellschaftlichen Organisationen sind daher gehalten, kritisch darauf zu achten, wem sie eine Plattform als Gesprächspartner bieten. Darüber hinaus laufen die in den jeweiligen Gemeinden zusammen kommenden Gläubigen Gefahr, unbemerkt und ungewollt von extremistischen Bestrebungen beeinflusst zu werden. Der Verfassungsschutz hält daher auch im Phänomenbereich des Islamismus ein Präventionsangebot vor und bietet entsprechende Sensibilisierungsveranstaltungen an. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 155 IslamIsmus "Gemeinschaft der Verkündigung der Mission" (Urdu: "Tablighi Jama'at", TJ) Sitz drei religiöse Zentren in Pakistan, Indien und Verbreitung Bangladesch in Deutschland keine offizielle Niederlassung Gründung 1926 in Indien Struktur Leitung: Führungszirkel (Schura) Aufbau In Deutschland koordinieren zentrale Akteure über informelle Kontakte in einem hierarchisch aufgebauten Netzwerk die Arbeit der TJ. Mitglieder Sachsen-Anhalt: mittlerer zweistelliger Bereich Anhänger (2017: mittlerer zweistelliger Bereich) Bund: ca. 650 (2017: etwa 650) Veröffent--lichungen Finanzierung Spenden Kurzportrait / Ziele Die TJ ist eine transnationale Missionierungsbewegung mit etwa 12 Millionen Anhängern weltweit. Sie orientiert sich eng an dem Islamverständnis der islamischen Frühzeit. Ein wesentlicher Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ in Deutschland ist die Gewinnung neuer Anhänger, die Missionierung und ideologische Schulung der Mitglieder. Grund der Beobachtung Die TJ propagiert eine wörtliche Auslegung des Korans und der Sunna, eine rigorose Abgrenzung zu Nichtmuslimen und eine Ausgrenzung von Frauen von der politischen und gesellschaftlichen 156 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 IslamIsmus Teilhabe. Die Ablehnung der weltlichen Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen begünstigen die Bildung von Parallelgesellschaften und fördern individuelle Radikalisierungsprozesse. Das Erreichen eines auf islamischen Rechtsvorschriften (Scharia) basierenden Lebens ist das erklärte Ziel der TJ. Damit gehen von der TJ Bestrebungen aus, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum TJ-Anhänger verstärkten ihre Missionierungstätigkeiten, insbesondere in Form von Straßenmissionierungen. Ausgangspunkt dieser Aktivitäten waren verschiedene Moscheen in Sachsen-Anhalt, die den in der Regel in Gruppen reisenden TJ-Anhängern als Übernachtungsund Veranstaltungsort dienen. Zielgruppen sind vor allem Muslime mit vermeintlich unzureichender Beachtung der Glaubensriten sowie Nichtmuslime. Im Rahmen der Kontaktaufnahme werden Einladungen zu Gebeten, Moscheebesuchen oder zu anderen Veranstaltungen ausgesprochen. Die Anhänger der TJ aus Sachsen-Anhalt sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Sie beteiligen sich an Missionierungsreisen sowie bundesweiten und europaweiten Treffen, auf denen unter anderen die Missionierungsarbeit abgestimmt und organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten beständig auszuweiten und ihre Anhängerzahl zu erhöhen. In Sachsen-Anhalt ist eine Intensivierung der Missionierungsbestrebungen zu verzeichnen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 157 Ausländerextremismus SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Im Phänomenbereich des Ausländerextremismus finden sich Ideologieelemente aus dem Rechtsund Linksextremismus sowie dem separatistischen Bereich. Der Verfassungsschutz beobachtet dabei vorrangig sicherheitsgefährdende Bestrebungen, die mit der Anwendung von Gewalt oder den darauf gerichteten Vorbereitungshandlungen die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG LSA). Wie auch in den Vorjahren ist die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) die einzige ausländische extremistische Organisation in diesem Phänomenbereich, die über nennenswerte Strukturen in Sachsen-Anhalt verfügt. Die maßgeblichen Aktivitäten ihrer Anhänger richten sich nach wie vor auf die Teilnahme an überregionalen Großveranstaltungen, auf denen stets auch die zentralen Forderungen nach Anerkennung der kurdischen Identität und Autonomie sowie die Aufhebung des PKK-Verbots propagiert werden. Die PKK ist bundesund europaweit in der Lage, sowohl zu zentralen kurdischen Veranstaltungen als auch zu Versammlungen anlässlich aktueller politischer Themen hohe Teilnehmerzahlen im mitunter vierstelligen Bereich zu mobilisieren. Häufig gehen diese Veranstaltungen mit einem hohen Maß an Emotionalisierung einher. Dies kann zum Teil in gewalttätigen Aktionen münden, die insbesondere von jugendlichen Anhängern der Partei ausgehen. Im Berichtsjahr richtete sich der Protest der PKK-Anhänger im Wesentlichen gegen die militärischen Aktionen der türkischen Armee innerhalb des kurdisch verwalteten Kantons Afrin in Nordsyrien. In diesem Zusammenhang konnte ein verstärktes gemeinsames Agieren von PKK-Anhängern und Angehörigen 158 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Ausländerextremismus der linksextremistischen Szene beobachtet werden1. Einen weiteren Höhepunkt des Veranstaltungsgeschehens bildeten die Protestveranstaltungen anlässlich des Besuchs des türkischen Präsidenten Erdogan in Deutschland im Herbst. Darüber hinaus gilt die Hauptsorge dem Gesundheitszustand des in türkischer Haft befindlichen Abdullah ÖCALAN und bewegt sich als ein Kernthema der kurdischen Gemeinschaft auf einem hohen Niveau. 1 Siehe auch "Kurdistansolidarität" auf Seite 120. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 159 Ausländerextremismus "Arbeiterpartei Kurdistans" (kurdisch: Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) Weitere ehemalige und bestehende Bezeichnungen: * "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) * "Freiheitsund Demokratiekongress" (KADEK) * "Gemeinschaften der Kommunen Kurdistans" (KKK) * "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Sitz Sitz der Parteiführung in den Kandil-Bergen/ Verbreitung Nord-Irak Verbreitung in "Kurdistan" (Teile der Türkei, Syriens, Iraks und Irans) sowie Europa Gründung 27. November 1978 in der Türkei Struktur Trotz der nach außen als legalistisch Aufbau erscheinenden Strukturen handelt es sich bei der PKK um eine streng hierarchische Kaderorganisation. Das höchste Entscheidungsorgan der PKK ist der KCK mit seinem Präsidenten Abdullah ÖCALAN. Gemeinsame Vorsitzende des KCK sind Cemil BAYIK und Bese HOZAT. In Europa werden die Aktivitäten der PKK maßgeblich vom "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (kurdisch: Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li Ewropa, kurz: KCDK-E), dem politischen Arm der Partei in Europa, bestimmt. Deren Weisungen werden von regelmäßig wechselnden Führungskadern, die ihrerseits vom KCDK-E bestimmt werden, an die Basis weitergegeben. Die Organisationsstruktur der PKK unterteilt das Bundesgebiet in neun Regionen (Eyalet), die wiederum in verschiedene Gebiete (Bölge) untergliedert sind. Sachsen-Anhalt findet sich 160 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Ausländerextremismus im Bölge Sachsen bzw. in der Eyalet Berlin wieder. Zur Umsetzung ihrer Vorgaben bedient sich die PKK-Führung in Europa und Deutschland der örtlichen kurdischen Kulturvereine, die zu einem großen Teil in der Dachorganisation "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland" (kurdisch: Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanya, kurz: NAV-DEM) organisiert sind. In Sachsen-Anhalt dienen das "Demokratische Kurdische Gesellschaftszentrum Magdeburg" (DKTM Magdeburg) sowie der Verein "Mezopotamien Kulturhaus e.V." in Halle (Saale) als Anlaufstelle für PKK-Anhänger. Jugendorganisation: "Komalen Ciwan1" / "Ciwanen Azad2" Mitglieder Sachsen-Anhalt: etwa 250 (2017: etwa 250) Anhänger Bund: etwa 14.000 (2017: etwa 14.000) Damit zählt die PKK zu den mitgliederstärksten nichtislamistischen ausländerextremistischen Ausländerorganisationen. 1 Sinngemäß: "Gemeinschaft der Jugendlichen". 2 Sinngemäß: "Freie Jugend". Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 161 Ausländerextremismus VeröffentWeb-Angebot: diverse Internetauftritte lichungen Publikationen mit unterschiedlichen Erscheinungszyklen: "Serxwebun" (Unabhängigkeit) "Sterka Ciwan" (Stern der Jugend) "Newaya Jin" (Erlebnisse der Frauen) "Yeni Özgür Politika" (Neue freie Politik, YÖP); Fernsehsender: "NUCE TV" Finanzierung Die PKK und ihre Folgeund Nebenorganisationen finanzieren sich zum größten Teil über ihre jährlichen "Spendenkampagnen" sowie Einnahmen aus dem Verkauf kurdischer Publikationen und Eintrittskarten für diverse Großveranstaltungen. Auch Mitgliedsbeiträge der PKK nahe stehender kurdischer Vereinen kommen der Organisation zugute. Das Einsammeln der "Spenden" stellt einen Schwerpunkt der Parteiarbeit dar. 2017 wurde deutschlandweit erneut ein Spendenergebnis in Rekordhöhe erreicht. Die anhaltenden Kämpfe in Nordsyrien, im Irak und in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei führen zu einem hohen Finanzbedarf der PKK, aber auch zu einer weiterhin hohen "Spenden"bereitschaft in der kurdischen Gemeinde. Auf Grund dessen erbrachten die einzelnen "Spendenkampagnen" der letzten Jahre in Deutschland pro Jahr jeweils Einnahmen von zum Teil deutlich mehr als zehn Millionen Euro. Kurzportrait / Ziele Abdullah ÖCALAN gründete gemeinsam mit weiteren Protagonisten im Jahr 1978 die marxistisch ausgerichtete PKK, deren ursprüngliches Ziel in der Gründung eines unabhängigen kurdischen Staates auf den Gebieten Südostanatolien, Nord-Irak sowie Teilen des westlichen Irans und des nördlichen 162 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Ausländerextremismus Syriens bestand. Zur Durchsetzung dieses Ziels rief ÖCALAN 1984 zum bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. In der Folge kam es zu zahlreichen terroristischen Anschlägen innerhalb und außerhalb der Türkei, so auch gegen türkische Einrichtungen in Deutschland. Auf Grund dessen unterliegen die PKK sowie ihre Nachfolgeorganisationen seit 1993 einem Betätigungsverbot in Deutschland. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die PKK in ihrer Gesamtheit eine terroristische Vereinigung, seit 2002 listet die Europäische Union die PKK als terroristische Organisation. Mit der Verhaftung ÖCALANs im Jahr 1999 rückte die PKK von ihren separatistischen Zielen ab und verfolgt seitdem das Ziel einer autonomen Selbstverwaltung der Kurden innerhalb der bestehenden Ländergrenzen. Dabei erhebt die PKK den Anspruch, alleiniger Interessenvertreter der kurdischstämmigen Bevölkerung zu sein. In Deutschland und Europa bemüht sich die PKK weiterhin um ein gewaltfreies Auftreten, nicht zuletzt um für eine Aufhebung des PKK-Verbots zu werben. Europa und insbesondere Deutschland stellen für die PKK eine unverzichtbare rückwärtige Basis dar, aus der die Organisation einen Großteil ihrer personellen und finanziellen Ressourcen schöpft. Zur Propagierung ihrer Ideologie nutzt die PKK insbesondere jährlich wiederkehrende zentrale Großveranstaltungen, zu denen sich nach wie vor teils tausende Teilnehmer mobilisieren lassen. Das vorhandene Mobilisierungspotenzial geht dabei in besonderem Maße über die genannte Anhängerzahl hinaus. Grund der Beobachtung Trotz ihres Kurswechsels Mitte der neunziger Jahre zu weitgehend friedlichem Verhalten in Deutschland stellt die PKK, insbesondere wegen ihrer fortwährenden Bereitschaft zu gewaltorientierten Aktionen zurückzukehren, nach wie vor eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Darüber hinaus verfolgt die PKK ihre Ziele in der Türkei und aktuell auch in Syrien weiterhin mit WaffengeVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 163 Ausländerextremismus walt. Hierfür nutzt die PKK Deutschland als Rückzugsraum und Ressourcenquelle. Mit diesem Verhalten gefährdet sie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 4 Abs. 1 Nr. 4 VerfSchG LSA. Ereingisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Innerhalb des Berichtszeitraums war die türkische Militäroffensive im kurdisch verwalteten Kanton Afrin in Nordsyrien das prägendste Ereignis für die Aktivitäten der PKK. Der daraus resultierende Protest zeigt eindrucksvoll wie aktuelle Geschehnisse geeignet sind, die Anhängerschaft zu mobilisieren. Mit der "Operation Olivenzweig" verfolgte die Türkei das Ziel, die Etablierung kurdischer Siedlungsgebiete an der syrisch-türkischen Grenze zu verhindern. Mit Beginn dieser Militäraktion am 20. Januar fanden deutschlandweit nahezu täglich versammlungsrechtliche Protestaktionen statt, zu denen der NAV-DEM aufgerufen hatte. Höhepunkt war eine Großdemonstration am 27. Januar in Köln (Nordrhein-Westfalen) mit etwa 13.000 Teilnehmern. Insgesamt gab es bis April bundesweit deutlich mehr als 1.000 Versammlungen. Diese verliefen zumeist friedlich, jedoch kam es im Rahmen einzelner Demonstrationen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit nationalistischen Türken oder der Polizei. Weiterhin führte die ständige Dynamik der Lage in Afrin und die damit verbundene Emotionalisierung von PKK-Anhängern zu gewalttätigen Protesten in Form von Brandanschlägen oder anderen Sachbeschädigungen gegen türkische Vereine und Moscheen sowie gegen Objekte von Polizei und Bundeswehr. Auch Einrichtungen deutscher Parteien wurden das Ziel diverser Sachbeschädigungen. Der deutschen Politik und damit letztlich den Parteien wird die Verantwortung für die Lieferungen deutscher Waffen an die Türkei und damit mittelbar ein Unterstützen der Militäraktionen in Afrin zugeschrieben. In Sachsen-Anhalt fanden in der Zeit von Januar bis April etwa 40 versammlungsrechtliche Aktionen statt. Deren Organisati164 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Ausländerextremismus on lag fast ausschließlich in den Händen von Mitgliedern des DKTM Magdeburg und des "Mezopotamien Kulturhaus e.V. in Halle (Saale)". Aufgrund ideologischer Überschneidungen gehört das Thema "Kurdistansolidarität" mit wechselnder Intensität seit langem zu den Aktionsfeldern der linksextremistischen Szene. Im Zuge der Afrin-Proteste konnte bundesweit eine deutliche Zunahme gemeinsamer Aktivitäten von PKK-Anhängern und Angehörigen der linksextremistischen Szene festgestellt werden. So beteiligten sich linksextremistische Gruppen an Demonstrationen mit Afrin-Bezug oder waren in Einzelfällen auch für deren Organisation verantwortlich. Der deutschen linksextremistischen Szene kann neben den PKK-Jugendorganisationen Komalen Ciwan bzw. Ciwanen Azad zudem eine Beteiligung an den Anschlägen zugeschrieben werden, die im Zuge der Proteste verübt wurden. In Sachsen-Anhalt konnte ebenfalls ein verstärktes gemeinsames Agieren von PKK-Anhängern und Angehörigen der linksextremistischen Szene beobachtet werden. So drang am 24. April eine entsprechend zusammengesetzte Gruppe gewaltsam in die Landesgeschäftsstelle der Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) in Magdeburg ein. An der Außenfassade entrollte sie ein Transparent und protestierte gegen das Vorgehen der türkischen Regierung in Afrin. Aus der verstärkten Zusammenarbeit entstand Anfang des Jahres unter anderem das "Solidaritätsbündnis Kurdistan-Magdeburg". Regelmäßige Treffen des Bündnisses finden unter anderem in den Räumlichkeiten des DKTM Magdeburg statt. Die jährlich in Deutschland stattfindenden kurdischen Großveranstaltungen mobilisierten erneut mehrere tausend Teilnehmer. PKK-Anhänger aus Sachsen-Anhalt nahmen dabei sowohl an den Newroz-Feierlichkeiten am 17. März in Hannover (Niedersachsen) als auch an einer Ersatzveranstaltung des InterVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 165 Ausländerextremismus nationalen Kurdistan-Festival am 8. September in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) teil. Am Newroz-Fest nahmen insgesamt 11.000 Personen teil. Auf Grund der Proteste gegen die militärischen Aktionen in Afrin verlief das Fest sehr emotionsgeladen, begleitet von zahlreichen Straftaten wie dem Zeigen verbotener PKK-Fahnen und vereinzelten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. An der Kundgebung in Düsseldorf nahmen lediglich 3.500 Personen teil, was im Vergleich mit bisherigen Teilnehmerzahlen einen historischen Tiefpunkt darstellt. Wegen der behördlichen Untersagung des Festivals und der damit verbundenen kurzfristigen Veränderung des Veranstaltungsortes waren höhere Teilnehmerzahlen verhindert worden. Einen weiteren Schwerpunkt des Veranstaltungsgeschehens bildeten die Proteste in vielen Städten anlässlich des Deutschlandbesuchs des türkischen Präsidenten Erdogan vom 27. bis 29. September. Zur größten Versammlung in Berlin mit etwa 6.000 Teilnehmern reisten auch Personen aus Sachsen-Anhalt. Am 1. Dezember fand in Berlin eine Demonstration unter dem Motto: "Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten - Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus!" mit etwa 900 Teilnehmern statt. Zu der Veranstaltung hatten verschiedene PKK-nahe Organisationen aufgerufen. An der Mobilisierung beteiligten sich auch Gruppierungen der linksextremistischen Szene. Im Verlauf der Demonstration kam es zum Einsatz von Pyrotechnik und Vermummungen sowie zum Zeigen verbotener Fahnen der PKK und der KCK. Darüber hinaus gab es körperliche Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Versammlungsteilnehmern und türkisch-nationalistischen Personen sowie Gewalt gegen eingesetzte Polizeibeamte. Eines der in der Folge eingeleiteten Ermittlungsverfahren richtet sich gegen einen PKK-Aktivisten aus Sachsen-Anhalt. Grund ist der tätliche Angriff auf Vollstreckungsbeamte. 166 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Ausländerextremismus Die PKK-nahen Vereine in Sachsen-Anhalt sind weiterhin bemüht, als reine Kulturvereine in Erscheinung zu treten, deren Hauptaugenmerk auf die Organisation von Veranstaltungen liegt, die im Rahmen von Kampagnen des NAV-DEM oder des KCDK-E stattfinden. Beispielhaft dafür ist eine Veranstaltung von PKK-Anhänger am 19. August in Magdeburg unter dem Motto: "15'e Tebaxe 1984 - 34 Jahre Guerillakampf in Kurdistan". Am 15. August 1984 begann der bewaffnete Kampf der PKK gegen die türkischen "Besetzer" und die damit einhergehende Gründung der PKK-Guerillaorganisation. Zuvor hatte der KCDK-E europaweit zur feierlichen Begehung dieses Jahrestages aufgerufen. Eine Zugehörigkeit der hiesigen Vereine zur PKK lässt sich des Weiteren auch an der regelmäßigen Teilnahme einzelner Mitglieder an der ständigen Mahnwache für die Freilassung Abdullah ÖCALANs in Straßburg (Frankreich) erkennen. Diese Mahnwache besteht seit dem 25. Juni 2012 und wird im Rotationsprinzip von Organisationsangehörigen aus ganz Europa besetzt. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Im Zuge von Veranstaltungen zum Thema Afrin aber auch zu weiteren Anlässen zeigten die hohe Emotionalisierung und die damit einhergehenden Straftaten in besonderem Maße das vorhandene Gewaltpotenzial der PKK-Anhänger. In Verbindung mit dem stetig hohen Mobilisierungspotenzial birgt dies bei entsprechenden Gelegenheiten die Gefahr der tatsächlichen Gewaltentladung. Auf Grund des hohen Finanzbedarfs und des Bedarfs an Guerillakämpfern stehen im Zentrum der PKK-Aktivitäten in Deutschland weiterhin vor allem das Sammeln von Geldern sowie das Rekrutieren von jungen Kämpfern. Die PKK-nahen Vereine in Sachsen-Anhalt werden nach wie vor über die PKK-Führung gelenkt. Anhaltend verdeutlicht sich Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 167 Ausländerextremismus dies insbesondere im Rahmen bundesweiter Protestkampagnen. Gleichermaßen initiiert vom PKK-nahen NAV-DEM beziehungsweise dem KCDK-E werden entsprechende Anweisungen unmittelbar umgesetzt. Auch eine Beteiligung von Personen und Gruppierungen aus dem linksextremistischen Spektrum konnte hier erneut festgestellt werden. Kernthemen der PKK-Strukturen in Deutschland bleiben weiterhin der inhaltliche Diskurs zur Aufhebung des bestehenden Betätigungsverbots in Deutschland, zum bestehenden Verbot von Kennzeichen und Symbolen im Kontext versammlungsrechtlicher Aktionen, die Einrichtung autonomer kurdischer Siedlungsgebiete sowie zur Freilassung ÖCALANs. Es ist weiterhin davon auszugehen, dass militärische, politische und humanitäre Ereignisse in den kurdischen Siedlungsgebieten, insbesondere im syrisch-türkischen Grenzgebiet, direkte Reaktionen von PKKund PYD3-Anhängern im gesamten Bundesgebiet hervorrufen werden. Anhaltend ist in diesem Zusammenhang mit aktionsbezogenen körperlichen Auseinandersetzungen zu rechnen sowie mit Aktionen gegen vor allem türkische Einrichtungen. 3 Kurdische Partei in Syrien, Schwesterpartei der PKK. 168 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Scientology organiSation SCIENTOLOGY ORGANISATION (SO) 1 2 Sitz Los Angeles (USA) Verbreitung "Scientology-Kirche Deutschland" (SKD) München; weitere Niederlassungen in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt (Main) ,Hamburg, Hannover, und Stuttgart Gründung 1954 von Lafayette Ronald Hubbard in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Struktur Die Scientology Organisation (SO) ist eine Aufbau internationale Organisation mit strikter Hierarchie und totalitärem Anspruch. Deutschland nimmt in Europa eine herausragende Bedeutung ein. Dachverband in Deutschland ist die "Scientology-Kirche Deutschland" (SKD) mit Sitz in München. Sie betreibt sieben "Kirchen", darunter zwei "Celebrity Centres" für die Gewinnung und Ausbildung von Mitgliedern. Die lokalen Niederlassungen der SO sind nur scheinbar selbständig,sie sind in das weltweite, aus den USA gesteuerte System eingebunden. Nebenorganisationen der SO: "Office of Special Affairs"(OSA), "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM), 1 Das "S" steht für Scientology. Das untere ARCDreieck steht für Affinität, Realität und Kommunikation (Communication), das obere KRC-Dreieck steht für Wissen (knowledge), Verantwortung (responsibility) und Kontrolle (control). 2 Das Scientology-Kreuz entstand 1954, L. Ron Hubbard fand den grundlegenden Entwurf für das Sonnenkreuz der Scientology in einer alten spanischen Mission in Arizona. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 169 Scientology organiSation "World Institute of Scientology Enterprise"(WISE), "Applied Scholastics" (ApS), Criminon, Narconon, "Jugend für Menschenrechte", "The Way to Happiness Foundation" (TWTH-Foundation), "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben". Mitglieder Sachsen-Anhalt: Anhänger unterer einstelliger Bereich Bund: etwa 3.500 VeröffentWeb-Angebot: lichungen www.scientology.de Internationale Publikationen: Impact, Scientology News, Celebrity, Source, Freewinds, OT-Universe, The Auditor, Advance deutschsprachige Publikation: Freiheit Finanzierung Vertrieb von kostenpflichtigen Kursen und Kursmaterialien, Spenden Kurzportrait / Ziele Nach der unabänderlichen und bindenden Ideologie von Hubbard wird der "Clear-Planet" angestrebt: Alle Menschen gehören der scientologischen Gesellschaft an. SO strebt die Weltherrschaft an. Die Einteilung der Menschen erfolgt in "Aberrierte", d.h. Nicht-Scientologen, geistig Gestörte, deren Menschenrechte eingeschränkt werden müssen und "Nichtaberrierte" (= Scientologen). SO will Einfluss auf die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik ausüben, um die scientologische "Ethik" durchzusetzen, insbe170 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Scientology organiSation sondere sollen Positionen, die sich gegen SO richten, beseitigt werden. Grund der Beobachtung Die Lehre der SO stellt eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung dar. Nicht nur Einschränkungen wesentlicher Grundund Menschenrechte - wie Meinungsfreiheit und Gleichberechtigung - sind Konsequenzen der Lehre, sondern es wird auch eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen angestrebt. Zum Erreichen der Ziele verfolgt die Organisation zumeist verdeckt die Beeinflussung sowohl der Gesellschaft und Wirtschaft als auch der Politik. Mit der Entscheidung des OVG Münster vom 12. Februar 2008 ist die Rechtmäßigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz bestätigt worden. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In Sachsen-Anhalt hat die SO zunehmend Probleme bei der Mitgliederwerbung, selbst einstige Interessenten haben sich wieder abgekehrt. Die Expansionsbestrebungen in Deutschland bestehen jedoch fort. In den letzten Jahren sind vor allem Kontaktaufnahmen im Bereich des Sports bekannt geworden. Die oben genannte TWTH-Foundation hat junge Athleten angesprochen und ihnen ein Stipendium in den USA angeboten. Am 9. September eröffente SO eine neue repräsentative Niederlassung in Stuttgart (Baden-Württemberg), eine so genannte "Ideale Org". Bewertung, Tendenzen, Ausblick SO unternimmt weiterhin Anstrengungen, um gesellschaftliche Anerkennung zu erreichen, die Organisation zu vergrößern und die finanziellen Einnahmen zu erhöhen. Hierzu versucht sie insbesondere junge Erwachsene anzusprechen. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 171 Scientology organiSation Ihrem Ziel der Errichtung einer scientologischen Gesellschaft, wird SO in Sachsen-Anhalt nicht näher kommen. Ihr gelingt es nach wie vor nicht, Mitglieder zu gewinnen und Strukturen aufzubauen. 172 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Spionageabwehr Spionageabwehr Fremde Staaten nutzen Nachrichtenoder Geheimdienste, um Spionage durchzuführen. Sie verfolgen das Ziel, schützenswerte oder geheimhaltungsbedürftige Informationen zu gewinnen oder Einfluss zu nehmen. Hierbei agieren sie auf vielen Ebenen und nutzen verschiedenste Kanäle. Der angestrebte Informationsvorsprung soll sie in die Lage versetzen, das Handeln des Ziellandes genauer einschätzen zu können. Es geht um Verhandlungspositionen bei bioder multilateralen Verhandlungen, allgemeine politische Entwicklungen, verteidigungspolitische Aktivitäten, militärische Rüstung, Planungen und Auslandseinsätze, Sanktionspolitik, Energieund Wirtschaftspolitik, Stabilität der kritischen Infrastrukturen usw. Die Bundesrepublik Deutschland ist mit ihrer geostrategisch zentralen Lage in Mitteleuropa, als wichtiger Staat innerhalb des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses und als größte Volkswirtschaft der Europäischen Union (EU) für viele Nachrichtendienste daher von hohem Interesse. Da die Tätigkeit von Nachrichtendiensten im Zielland von der jeweiligen Spionageabwehr beobachtet wird, werden Nachrichtendienstangehörige unter dem Schutz des Diplomatenstatus oder konsularischem Schutz in den Auslandsvertretungen der fremden Staaten untergebracht. Man spricht von so genannten Legalresidenturen. Zur Erlangung geheimhaltungsbedürftiger Tatsachen wird der fremde Nachrichtendienst nicht nur sein eigenes Personal einsetzen, er wird auch versuchen, Bürgerinnen und Bürger des Gastlandes für seine Zwecke zu gewinnen. Diese Vorgehensweise ist als Agentenführung bekannt. Hinzu treten nachrichtendienstlich gesteuerte Aktivitäten im Internet. Die Handlungsoptionen reichen von den entsprechenden Cyberangriffen bis zur Einflussnahme mittels der sozialen Medien, in denen genannte "Trollfabriken" Meinungen und Tatsachen gemischt mit "Fake News" posten. In den KurznachVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 173 Spionageabwehr richtendiensten konnten so genannte "Robots" in erheblichem Umfang tendenziöse Meinungen veröffentlichen. Das "Leaken" von Daten, wie z.B. bei den Macron-Leaks 2017 verfolgt nicht nur das Ziel, das Opfer bloß zu stellen, sondern auch die erbeuteten Dateien mit Malware zu versehen und somit einer zweiten Nutzung zuzuführen. Innerhalb der Verfassungsschutzabteilung beschäftigt sich die Spionageabwehr mit der Aufklärung, Abwehr und Prävention von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste gemäß SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA. Gemäß diesem gesetzlichen Auftrag geht die Spionageabwehr jedem Anfangsverdacht von Spionage, mithin Aktivitäten fremder Nachrichtendienste in Sachsen-Anhalt, nach (360-Grad-Blick) und arbeitet hierbei eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zusammen. Die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran sind die Hauptakteure der gegen Deutschland und das Bundesland Sachsen-Anhalt gerichteten Spionageaktivitäten. Darüber hinaus spielen weitere Staaten eine Rolle. Russische Nachrichtendienste Das Ausspähungsinteresse russischer Nachrichtendienste richtet sich vornehmlich auf alle Politikfelder, die in Bezug zur Russischen Föderation stehen oder sich auf diese auswirken können sowie auf die Bündnispolitik innerhalb der NATO und die deutsche Außenpolitik. Die drei maßgeblichen Nachrichtendienste sind - der Auslandsnachrichtendienst SWR1 - der Inlandsnachrichtendienst FSB2 und - der militärische Nachrichtendienst GRU3, der am 5. November sein 100-jähriges Bestehen feierte. Sie gehören neben den Ministerien für Verteidigung, Inneres und Justiz sowie weiteren Sicherheitsbehörden zum unmit- 1 Sluschba Wneschnei Raswedki 2 Federalnaja Sluschba Besopasnosti 3 Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije 174 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Spionageabwehr telbaren Einflussbereich des Präsidenten. Sie sind im Sicherheitsrat vertreten, den der Präsident einberuft, und beraten diesen in allen relevanten Angelegenheiten unmittelbar. Sie haben weitreichende gesetzliche Befugnisse und flankieren die Interessen der Regierung mittels verborgener und offener Maßnahmen. Reisen in die Russische Föderation und Kontakte zu den diplomatischen oder konsularischen Vertretungen sind derzeit besonders für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst mit der Gefahr einer nachrichtendienstlichen Ansprache verbunden. Im Fokus stehen dabei insbesondere Angehörige der deutschen Sicherheitsbehörden. Angehörige russischer Nachrichtendienste, die aus den Botschaften und Konsulaten heraus operieren, missbrauchen das Vertrauen ihrer nicht selten arglosen Kontaktpersonen und kommen oftmals allein durch geschickte Gesprächsführung an schutzbedürftige Informationen heran. Sofern Kontaktpersonen interessante Informationen liefern können, versuchen diese "Legalresidenturoffiziere" die bislang offenen Kontakte auszubauen. Vorsichtig werden konspirative Elemente in die Verbindung eingeführt und die persönliche Zuwendung wird intensiviert. Offene Telefonate werden vermieden und Treffen werden im Voraus festgelegt. Diese finden überwiegend in Gaststätten statt. Die Nachrichtendienstoffiziere bemühen sich, den Anschein einer vertrauensvollen und freundschaftlichen Verbindung aufzubauen, tatsächlich dient die Verbindung im Kern dem Abschöpfen von Informationen. Die Verbindung wird dann erweitert mit der Bitte um Zusammenstellung unverfänglicher Informationen, denen konkrete Beschaffungsaufträge, die an Bedeutung zunehmen, folgen werden und mit Sachoder Geldleistungen honoriert werden. Chinesische Nachrichtendienste Die Volksrepublik China (VRC) verfolgt mit Stringenz ihre regionalund geostrategischen Interessen mit verschiedenen MitVerfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 175 Spionageabwehr teln, zu denen auch der Einsatz der Nachrichtendienste gehört, die die Maßnahmen und Aktivitäten absichern. Die Volksrepublik verfügt über folgende Nachrichtendienste: Der zivile Inund Auslandsnachrichtendienst MSS4 ist selbst Ministerium und zentralistisch organisiert. Er verfügt über Außenstellen in jeder Provinz. Das MPS5 ist unter anderem zuständig für Ausländer und die Kontrolle des chinesischen Internets. Der militärische Nachrichtendienst MID6 ist aus dem Generalstab der Volksbefreiungsarmee herausgelöst worden und nun dem Joint Staff Department Intelligence Bureau (JSD-IB) der Zentralen Militärkommission unterstellt. Die Cyberwar-Spezialisten sind nicht mehr als Abteilung des Generalstabs der Volksbefreiungsarmee organisiert, sondern sind dem Network Systems Department (NSD) zugeordnet, das der Teilstreitkraft Strategic Support Force (SSF) neben Heer, Marine, Luftwaffe und Raketentruppen zugeordnet ist. Zudem unterhält die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) neben dem "Büro 6107" zur weltweiten Überwachung der Meditationsbewegung "Falun Gong" das "International Liaison Department" (IDCPC8), das Tatsachen und Erkenntnisse über Partnerparteien und Kontrahenten der KPCh sammelt und auswertet. Weiterhin existiert das "United Front Work Department" (UFWD), das sowohl Nicht-Mitglieder der KPCh innerhalb der Volksrepublik als auch weltweit an die Interessen der KPCh bindet und für die Umsetzung der Parteilinie sorgt. Hiermit verfügt der chinesische Staatsapparat neben den Nachrichtendiensten über ein weiteres Instrument zur Mobilisierung von Auslandschinesen für chinesische Interessen und zur Einflussnahme in den jeweiligen Gastländern. 4 Ministry of State Security 5 Minstry of Public Security 6 Military Intelligence Directorate 7 Der Name "Büro 610" geht auf das Gründungsdatum dieses funktionalen Nachrichtendienstes, den 10.06.1999, zurück. 8 IDCPC = International Liaison Department of The Central Committee of The Communist Party of China. 176 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Spionageabwehr Ein Schwerpunkt der chinesischen Spionage stellt immer noch die Bekämpfung der als staatsfeindlich angesehenen Bestrebungen und Vereinigungen dar, die als "fünf Gifte" bezeichnet werden: - die Demokratiebewegung - die Meditationsbewegung Falun Gong - die Anhänger der Unabhängigkeit Taiwans - die Autonomiebestrebungen Tibets und der westchinesischen Volksgruppe der Uiguren. Das weltumspannende Projekt der chinesischen Staatsführung, die "neue Seidenstraße" oder "Belt and Road Initiative" (BRI), verfolgt das Ziel, den Zustrom von Rohstoffen in die Volksrepublik zu beflügeln und den eigenen Warenabsatz zu verbessern. Gleichzeitig geraten die Partnerländer dieses geostrategischem Infrastrukturprojekts in wirtschaftliche Abhängigkeit, da die Errichtungsund Ausbaukosten von den beteiligten Partnerländern getragen werden müssen und von der chinesischen Seite über Kredite vorfinanziert werden. Die BRI soll den geologistischen Rahmen bilden, um die Strategie "Made in China 2025" umzusetzen. Mit dieser Strategie beabsichtigt die chinesische Staatsführung zehn Schlüsselindustrien auszubauen, um letztlich die westliche Innovationsdominanz abzuschütteln und bis zum Jahr 2049 die globale Marktund Technologieführerschaft zu erreichen: - neue Informationstechnologien - Robotik und automatisierte Werkzeugmaschinensysteme (Industrie 4.0) - Luftund Raumfahrt - Meerestechnik (inklusive Rohstoffund Energiegewinnung sowie Spezialschiffbau) - moderne Schienenverkehrstechnik - Elektroanlagenbau - neue Energien und alternative Antriebe - neue Werkstoffe und Materialien - Biopharmazie und Medizintechnik Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 177 Spionageabwehr - Landwirtschaft (Digitalisierung von landwirtschaftlichen Maschinen und Prozessen) Sie wird durch den aktuell gültigen "Fünf-Jahres-Plan" ausgestaltet, der für die chinesischen Staatsbediensteten, Parteifunktionäre und die zum Teil riesigen Staatsunternehmen verbindlich ist. Der Erfolg dieser Strategie hängt maßgeblich von der Modernisierung des Bildungssystems ab. Chinesische Stellen und ihre Vertreter nutzen die Sogwirkung ihres gewaltigen Binnenmarktes dazu, um deutsche Unternehmen unter Druck bzw. Kooperationszwang zu setzen. Dabei wird immer noch die Firmenform des "Joint Venture" bevorzugt, die überwiegend vorteilhaft für die chinesische Seite ist. Die chinesische Staatsführung setzt weiterhin erhebliche finanzielle Mittel gezielt dazu ein, sich ausländische strategisch bedeutsame Unternehmen mit ihrem fortgeschrittenen Knowhow anzueignen. Die für die strategischen Vorhaben bedeutsamen Technologien des Auslands werden mittels vollständiger Firmenübernahme oder Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung unter Kontrolle gebracht. Was zunächst wie ein Zustrom "frischen" Kapitals aussieht, dürfte sich alsbald als der Beginn eines langsamen Niedergangs erweisen. Der Gesetzgeber hat Vorsorge in Bezug auf kritische Infrastrukturen (KRITIS) und für die Sicherheit der Bundesrepublik bedeutsame Unternehmen getroffen. Wenn "Unionsfremde", also Akteure von außerhalb der Europäischen Union, ein solches Unternehmen erwerben möchten, greift seit 2017 ein staatliches Prüfverfahren. Entweder kann in einem sektorenübergreifenden Prüfverfahren geprüft werden, ob die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch diese ausländische Direktinvestition (ADI) gefährdet ist (SS 55 Außenwirtschaftsverordnung [AWV]) oder in einem sektorspezifischen Prüfverfahren, ob wesentliche Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet sind (SS 60 AWV). Der Wirtschaftsschutz kann im Vorfeld solcher Übernahmeversuche beratend und sensibilisierend tätig werden. 178 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Spionageabwehr Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Das MOIS9 kann als Hauptakteur nachrichtendienstlicher Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland gelten. Daneben betreiben die Revolutionsgarden10 den eigenen Nachrichtendienst RGID11 und verfügen mit den Quds Force12 über Spezialkräfte für militärische Kommandoaktionen und Staatsterrorismus. Iranische Nachrichtendienste sind ein zentrales Instrument der politischen Führung zur Durchsetzung des Herrschaftsanspruches im Inund Ausland. Demzufolge gilt das vorrangige Interesse der Ausspähung von Aktivitäten der iranischen Opposition im Ausland, wie dem "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI) und seinem ehemals militärischen Arm, der "Volksmodschahedin Iran-Organisation" (MEK13), iranisch-monarchistischen Gruppierungen und iranisch-kurdischen Gruppierungen sowie der Überwachung der nach Deutschland geflohenen Iraner. Die Ausspähungsaktivitäten der Quds Force richten sich insbesondere gegen (pro-)jüdische bzw. (pro-)israelische Ziele sowie einzelne exponierte für diese Einrichtungen tätige Personen, die vorbereitend für den Bedarfsfall als potenzielle Anschlagsziele aufgeklärt werden. Führende Politiker Irans haben den Staat Israel wiederholt zum Feindstaat erklärt und öffentlich mit Vernichtungsdrohungen belegt. In den letzten Jahren wurden wiederholt geheimdienstliche Ausspähungsaktivitäten und Cyberangriffe iranischer Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland festgestellt. 2016 und 2017 wurden Agenten iranischer Nachrichtendienste von deutschen Gerichten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Cyberangriffe mit iranischem Hintergrund betrafen bzw. bedrohten auch Institutionen in Sachsen-Anhalt. 9 Ministry of Intelligence of the Islamic Republic of Iran 10 Iranian Revolutionary Guard Corps (IRGC), persisch: Pasdaran. 11 Revolutionary Guard Intelligence Directorate 12 Al-Quds bedeutet "die Heilige", die arabische Bezeichnung für Jerusalem. 13 Modschahedin e-Khalq Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 179 Spionageabwehr Andere Nachrichtendienste Die Nachrichtendienste Nordafrikas sowie des nahen und mittleren Ostens werden in Deutschland hauptsächlich gegen Oppositionelle ihrer Heimatländer aktiv. Das gilt insbesondere dann, wenn sich diese in Deutschland entsprechend betätigen, an Demonstrationen teilnehmen oder Kampagnen gegen die Regierungen ihrer Herkunftsländer betreiben. Zu den nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Zuge der Flüchtlingsbewegung verweisen wir auf unsere Broschüre "Aktivitäten extremistischer Akteure im Zusammenhang mit Flüchtlingen" (S. 41ff.), die unter http://mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz/ informationen/publikationen-tagungsbaende heruntergeladen oder bestellt werden kann. Das Aufklärungsinteresse der Türkei in Deutschland fokussiert sich auf Aktivitäten von Anhängern und Unterstützern der Gülen-Bewegung, kurdischer Gruppen, türkischer extremistischer Auslandsorganisationen, aber auch von exilierten Gegnern der türkischen Regierung. Cyberangriffe Ausländische Nachrichtendienste, insbesondere die oben genannten Hauptakteure, die Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland betreiben, setzen neben dem klassischen Repertoire nachrichtendienstlicher Methoden regelmäßig Cyberangriffe ein. Deutsche Unternehmen, Hochschulen, Universitäten, Behörden, Parlamente und Politiker stehen ebenfalls im Fokus internationaler Cyberangriffskampagnen und somit eines Ausspähungsund Sabotageinteresses fremder Nachrichtendienste. 180 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Spionageabwehr Nicht alle Unternehmen in Sachsen-Anhalt verfügen über die technischen Möglichkeiten und personellen Kapazitäten, um nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberangriffe zu detektieren, forensisch zu analysieren und den Urheber zu identifizieren. Aus diesem Grund bleiben fortgeschrittene anhaltende Bedrohungen14, die die IT-Systeme erreichen, zumeist unentdeckt und werden nicht angezeigt. Die weit überwiegende Zahl der Angriffe auf Unternehmens-, Wissenschaftsund Behördennetzwerke sowie auf Privatpersonen in Sachsen-Anhalt war zwar kriminell motiviert. Im Berichtsjahr verzeichnete die Spionageabwehr indes ein gestiegenes Hinweisaufkommen im Bereich der Cyberangriffe. Gleichfalls war - bedingt durch steigende mediale Berichterstattung und anhaltende Sensibilisierungstätigkeit des Verfassungsschutzes - die Thematik stärker in das Bewusstsein der Bürgerinnen und Bürger gerückt. Cyberangriffe unterschiedlicher Motivation gegen deutsche Behörden und Einrichtungen, Unternehmen, Hochschulen und Universitäten wurden fortgesetzt, von denen auch Institutionen in Sachsen-Anhalt betroffen waren. Es wurde öffentlich bekannt, dass sich eine Angriffskampagne, die 2016 von einem Institut der iranischen Revolutionsgarden ausgegangen war, weltweit gegen 320 Universitäten und Hochschulen gerichtet hatte, um Kennund Passwörter für den Bibliothekszugang im Intranet der Einrichtungen zu erlangen. In Deutschland war die Betroffenheit von 23 Universitäten bekannt geworden. Die Angriffe führten zwar nicht immer zum Erfolg, setzten sich aber 2018 fort. Die erbeuteten wissenschaftlichen Arbeiten wurden im Internet zum Download angeboten. Es kann angenommen werden, dass die betreffenden Dateien für kriminelle oder nachrichtendienstliche Zwecke mit Malware versehen worden sind. Seit mehreren Jahren sind Angriffe und Aufklärungsaktivitäten, die der APT-Gruppe BerserkBear zugerechnet werden, bekannt. 14 Englische Bezeichnung: Advanced Persistent Threats (APT). Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 181 Spionageabwehr Ab dem Frühjahr bestand Gewissheit, dass sich eine neue Angriffswelle gegen Unternehmen der Energieund Wasserverund entsorgung, der Informationstechnik und Telekommunikation richtete. Die Angreifer verwendeten zumeist öffentlich zugängliche Angriffswerkzeuge und versuchten unzureichend gesicherte Systeme unter ihre Kontrolle zu bringen. Ihr besonderes Augenmerk richteten sie auf Infrastrukturkomponenten, wie z.B. Router. In Sachsen-Anhalt waren Unternehmen der IT und der Energiebranche betroffen, die vom Wirtschaftsschutz sensibilisiert wurden. Eine weitere Angriffswelle bedrohte deutsche Medienunternehmen. Sie ging aus von der APT-Gruppierung SANDWORM, die sich der Methode des Spear-Phishings bediente. Hierbei wurde im Anhang an eine E-Mail ein verseuchtes Word-Dokument versandt. Beim Öffnen dieses Dokuments wird dem Opfer empfohlen, das Ausführen von Makros zuzulassen. Im Ergebnis gelingt es dem Angreifer, auf dem Opfersystem beliebige Shell-Befehle auszuführen. Die Dokumente trugen die Namen: "E-Mail-Adressliste_2018.doc" und "Wichtig! Neue Anforderungen an die Informationssicherheit:Kontenbearbeite. doc" (Fehler wie im Original!). Der Wirtschaftsschutz richtete Sensibilisierungsschreiben an sachsen-anhaltische Medienhäuser. Er hält aktuelle Informationen zur Absicherung von Firmennetzwerken gegen erkannte mutmaßlich nachrichtendienstliche Angreifer bereit. Wirtschaftsschutz Der Wirtschaftsschutz möchte Mittel, Methoden und Absichten fremder Nachrichtendienste, von Extremisten und Terroristen bekannt machen, um dazu beizutragen, dass sich Wirtschaft und Wissenschaft eigenverantwortlich und effektiv gegen Ausforschung (insbes. Wirtschaftsspionage), Sabotage und Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können. 182 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Spionageabwehr Obwohl die Gefahr, von fremden Nachrichtendiensten mittels Cyberattacken angegriffen zu werden, zugenommen hat, darf die Gefahr der Wirtschaftsspionage nicht vernachlässigt werden. Der gesetzliche Auftrag einiger fremder Nachrichtendienste, Wirtschaftsspionage zu betreiben, gilt ungebrochen. Neu erschienene Studien zeigen, dass Industriebetriebe des Mittelstandes in einem besonders großen Umfang von Wirtschaftsund Industriespionage betroffen sind. Datendiebstahl stellt dabei das häufigste Delikt dar. Von gleichbleibend großer Bedeutung ist, dass die Bedrohung deutscher Unternehmen sowohl von innen als auch von außen erfolgt. So werden Neueinstellungen selten unter Sicherheitsgesichtspunkten überprüft, Praktikanten und Beschäftigte von Kooperationspartnern erhalten oftmals unreflektiert Zugang zu schützenswertem Know-how. Den Unternehmen droht weiterhin auch der Know-how-Verlust auf Reisen. Der Diebstahl mitgeführter IT-Geräte durch Kriminelle darf nicht außer Acht gelassen werden. Der fremde Nachrichtendienst kann seine Kompetenzen in seinem Heimatland am stärksten ausschöpfen. Zu den dort angewandten Methoden gehört auch, Dienstreisende mit interessantem Know-how zur nachrichtendienstlichen Mitarbeit mit Hilfe erpresserischen Materials zur Mitarbeit zwingen. Der Wirtschaftsschutz geht auf gefährdete Unternehmen und Institutionen zu, betreibt Vernetzung mit Verbänden und wissenschaftlichen Lehrund Forschungseinrichtungen, sensibilisiert und unterstützt deren eigene Aktivitäten, z. B. im Rahmen von Unternehmenszertifizierungen nach IT-Grundschutz. Vorträge und Beratungen zur Cyberabwehr standen im Berichtsjahr im Vordergrund der Wirtschaftsschutztätigkeit. Mehrere Hundert Multiplikatoren konnten erreicht, das Sicherheitsbewusstsein der Mitarbeiter mehrerer Unternehmen auch aus dem KRITIS-Sektor, gefestigt werden. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 183 Spionageabwehr Die Verfassungsschutzbehörde versendet auf Wunsch Faltblätter mit allgemeinen Informationen zum Wirtschaftsschutz in Sachsen-Anhalt, einem Lagebild und der Darstellung von spezifischen Risiken für Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus hält der Wirtschaftsschutz Sachsen-Anhalt aktuelle Informationen zu folgenden Spezialthemen vor: - Besuchermanagement. Umgang mit Besuchern und Fremdpersonal. - Cloud Computing. Was KMU wissen und beachten sollten. - Elektronische Angriffe. Gefahren für Informationsund Kommunikationstechnik. - Fokus Wissenschaft. Gefahren für Forschung und Lehre. - Geschäftsreisen. Sicherheit bei Auslandsreisen. - Industrie 4.0. Herausforderungen neuer Technologien. - Know-how-Schutz. Identifizieren. Bewerten. Schützen. - Personalauswahl. Loyalität als Sicherheitsgewinn. - Sicherheitslücke Mensch. Gefahr durch Innentäter. - Social Media. Risiken durch soziale Netzwerke. - Social Engineering. Informationsbeschaffung durch soziale Manipulation. Zum Schutz sachsen-anhaltischer Unternehmen kooperiert der Wirtschaftsschutz mit den Industrieund Handelskammern, Wirtschaftsverbänden, Hochschulen und Forschungsinstituten. Bei Fragen oder Informationsbedarf können Sie mit uns in Kontakt treten: Telefon: 0391/567 3900 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de Proliferationsabwehr Unter Proliferation versteht man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen (sog. ABC-Waffen) sowie ihrer potenziellen Trägersysteme (ballistische Raketen, Marschflugkörper, Drohnen etc.). 184 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Spionageabwehr Des Weiteren fällt unter diesen Begriff auch die Weiterverbreitung der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows. Die Finanzierung der Proliferation, ihrer Güter und ihres Know-hows unterliegt ebenfalls einem strengen Sanktionsregime. Die Nachrichtendienste der Risikostaaten Pakistan, Nordkorea, Syrien und Iran stehen im Verdacht, Proliferation zu betreiben und zu fördern, indem sie diese Aktivitäten logistisch und personell unterstützen. Um illegale Exporte durchzuführen, wird beispielsweise der Endnutzer einer sensiblen Ware verschleiert und eine Beschaffung über Umweglieferländer gewählt, zudem werden Tarnfirmen und Strohmänner genutzt. Weitere Hinweise und Merkmale für Proliferation finden Sie in der Broschüre "Proliferation. Wir haben Verantwortung", die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder herausgegeben wird. Sie kann im Internet unter www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz abgerufen oder als Druckschrift per E-Mail bei wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de angefordert werden. Mitarbeit der Bevölkerung Die Verfassungsschutzbehörde hat gemäß SS 4 Abs. 1 Nr. 3 VerfSchG-LSA den gesetzlichen Auftrag Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht zu sammeln und auszuwerten. Damit sie ihren Auftrag erfüllen kann, benötigt sie auch und gerade Hinweise auf die Tätigkeit fremder Nachrichtendienste. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 185 Spionageabwehr Alle Bürgerinnen und Bürger, die von derartigen Sachverhalten Kenntnis haben oder von fremden Nachrichtendiensten zur Mitarbeit aufgefordert wurden, werden gebeten, ihr Wissen im Interesse unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ihrer eigenen Sicherheit an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben. Auch demjenigen, der bereits im fremden Interesse nachrichtendienstlich tätig geworden ist, kann geholfen werden, sich aus einer ausweglos erscheinenden Situation zu befreien. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen nicht wie die Strafverfolgungsbehörden dem Legalitätsprinzip und sind daher nicht in jedem Fall verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden über Hinweise auf Spionagedelikte zu informieren. Voraussetzung ist die freiwillige Aufgabe der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und eine umfassende Offenbarung. Die Verfassungsschutzbehörde bietet jederzeit ihre Hilfe an und sichert Vertraulichkeit zu. Das Gleiche gilt für die Übermittlung etwaiger Verdachtsmomente sowie von Informationen über mögliche Sicherheitsvorfälle und Cyberangriffe. Die Spionageabwehr des Landes Sachsen-Anhalt ist zu erreichen unter: Telefon: 0391/567 3900 Fax: 0391/567 3999 E-Mail: wirtschaftsschutz@mi.sachsen-anhalt.de Sie bietet allen Bürgern, Unternehmen, Interessenverbänden, Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Behörden Sensibilisierungen zu den Themen Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Cyberabwehr an. 186 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Geheimschutz GEHEIMSCHUTZ Allgemeines Verschlusssachen (VS) sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die - unabhängig von ihrer Darstellungsform - geheim zu halten und entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit mit einem der Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeichnen sind. Alle Institutionen des Bundes und der Länder müssen sich darauf verlassen können, dass Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden können, als im staatlichen Interesse geheim zu haltende Informationen (Verschlusssachen - VS) wirkungsvoll geschützt werden. Jeder, dem eine VS anvertraut oder zugänglich gemacht worden ist, trägt die persönliche Verantwortung für ihre sichere Aufbewahrung und vorschriftsmäßige Behandlung sowie für die Geheimhaltung ihres Inhalts gemäß den Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung für das Land Sachsen-Anhalt (VSA-LSA). Geheimschutz im öffentlichen Bereich Personeller Geheimschutz Mit dem personellen Geheimschutz soll verhindert werden, dass Personen mit Sicherheitsrisiken Zugang zu VS erhalten. Das hierzu genutzte Instrument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Die Verantwortung für diese Sicherheitsmaßnahmen liegt bei den zuständigen Stellen. Im öffentlichen Bereich des Landes Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 187 Geheimschutz ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. Die zuständige Stelle bestellt zur Erfüllung ihrer Aufgaben einen Geheimschutzbeauftragten und einen Vertreter. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (SÜG-LSA) geregelt. Die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde Sachsen-Anhalts beruht auf SS 4 Abs. 2 Nr. 1 VerfSchG-LSA in Verbindung mit SS 4 Abs. 3 SÜG-LSA. Gründe, die einem Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegenstehen, können sich insbesondere ergeben aus: - Zweifeln an der Zuverlässigkeit (z.B. aufgrund von Straftaten, Drogenoder Alkoholmissbrauch); - Gefährdungen durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (zum Beispiel im Falle einer Überschuldung, da dies ein Ansatzpunkt sein kann, um den Betroffenen gegen Geldzahlung zu einer Verletzung seiner Pflichten zu veranlassen); - Zweifeln am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (z.B. wegen extremistischer Betätigung). Die Frage, ob sich aus einem derartigen Umstand tatsächlich ein Sicherheitsrisiko ergibt, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Art der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu prüfen. Eine Sicherheitsüberprüfung darf nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz befasst sich mit technischen und organisatorischen Sicherheitsvorkehrungen, die verhindern oder zumindest erschweren sollen, dass Unbefugte an geschützte Informationen gelangen. 188 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 Geheimschutz Die Verfassungsschutzbehörde hat hierbei die Aufgabe, öffentliche Stellen und geheimschutzbetreute Unternehmen des Landes zu beraten, wie sie am besten technische Sicherungsmaßnahmen planen und durchführen können. Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 189 StatiStik PERSONENPOTENZIAL 2016 2017 2018 Rechtsextremisten Parteigebundener Rechtsextremis265 265 265 mus (Parteien) Parteiungebundener Rechtsextre410 350 340 mismus Weitgehend unstrukturierter, meist subkulturell geprägter Rechtsextre800 760 740 mismus Summe: 1.475 1.375 1.345 Gesamt (nach Abzug der Mehrfach1.400 1.300 1.300 mitgliedschaften) Linksextremisten Gewaltbereite Linksextremisten, 230 230 270 insbesondere Autonome Parteien und sonstige Gruppierun260 260 260 gen, u.a. die "Rote Hilfe" Gesamt: 490 490 530 Islamisten 150 200 300 Reichsbürgerszene (inkl. Rechtsextremisten innerhalb 330 450 500 dieser Szene) PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 250 250 250 GESAMTZAHL aller Extremisten in Sachsen-Anhalt (nach Abzug von 2.590 2.655 2.880 Mehrfachmitgliedschaften) 190 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 StatiStik STRAFUND GEWALTTATEN Politisch motivierte Straftaten nach 2016 2017 2018 Phänomenbereich (Stand 10.04.2018) -rechts1.660 1.461 1.321 -links281 398 280 ausländische Ideologie nicht erfasst 14 11 religiöse Ideologie nicht erfasst 30 18 Davon waren: Extremistische Straftaten: -rechts1.561 1.398 1.270 -links71 164 109 Politisch motivierte Gewalttaten: -rechts149 105 92 -links52 41 24 ausländische Ideologie nicht erfasst 3 3 religiöse Ideologie nicht erfasst 3 1 Davon waren: Extremistische Gewalttaten: -rechts129 101 91 -links24 29 21 Fremdenfeindliche Straftaten 446 328 348 Antisemitische Straftaten 79 54 62 Propagandadelikte -rechts1.050 1.020 923 -links- 3 2 5 ausländische Ideologie nicht erfasst 2 0 religiöse Ideologie nicht erfasst 1 0 Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 2018 191 Verteilerhinweis Dieser Bericht wird vom Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt im Rahmen der gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Er darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern während des Wahlkampfes zum Zweck der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich sind insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen und an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass sie als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, die Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden.