Verfassungsschutzbericht 2010 HINWEISE Die Verfassungsschutzbehörde erfüllt mit diesem Bericht ihre gesetzlichen Unterrichtungspflichten, die in SS 15 Absatz 1 und 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) normiert sind. Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt. Hinweise auf Geschehnisse außerhalb Sachsen-Anhalts wurden in diesen Bericht aufgenommen, sofern sie für das Verständnis des Gesamtzusammenhanges erforderlich sind. Die in Anführungszeichen gefassten Textteile wurden - sofern es sich um Zitate handelt - in der Originalschreibweise wiedergegeben. I. ÜBERBLICK Das rechtsextremistische Personenpotenzial blieb in SachsenAnhalt im Vergleich zu den Vorjahren nahezu unverändert. Allerdings haben sich innerhalb des rechtsextremistischen Gefüges erneut Verschiebungen ergeben. Den größten Anteil an der Gesamtzahl von 1.390 Rechtsextremisten bildet mit 800 Personen das gewaltbereite, subkulturell geprägte Spektrum. Nach einem leichten Anwachsen dieses Potenzials im Vorjahr wurde damit wieder das Niveau des Jahres 2008 erreicht. Der Neonaziszene gehören in Sachsen-Anhalt etwa 240 Rechtsextremisten (Vorjahr: 230) an. Ihr sind auch die etwa 50 Mitglieder der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) zuzurechnen. Den in Sachsen-Anhalt existenten rechtsextremistischen Parteien und Vereinigungen gehörten im Berichtsjahr rund 300 Personen (Vorjahr: 270) an, davon waren allein 250 Personen - und damit 20 mehr als noch 2009 - im Landesverband Sachsen-Anhalt der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) organisiert. Diese leichte Erhöhung resultiert letztlich aus der im Berichtsjahr begonnenen, umfangreichen NPD-Werbekampagne für deren Antritt zur Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt. Im Jahr 2010 wurden im Land Sachsen-Anhalt 1.176 politisch motivierte Straftaten -rechtsgezählt, das sind knapp 26 Prozent weniger als im Vorjahr (1.584). Bei etwa 76 Prozent der Straftaten handelt es sich um so genannte Propagandadelikte, also um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach SS 86a Strafgesetzbuch (StGB). Die Zahl der politisch motivierten Gewalttaten ging von 83 auf 80 leicht zurück.1 1 Die Anzahl der darin enthaltenen rechtsextremistischen Gewalttaten stieg von 60 auf 67 Delikte an. Siehe hierzu Vorbemerkungen zur Statistik auf Seite 137 und Statistik auf Seite 138. 1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen sind im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen. Nach hier vorliegenden Erkenntnissen wurden in Sachsen-Anhalt 2010 sieben Konzerte (2009: 16) durchgeführt. Es handelt sich um die geringste Anzahl durchgeführter Konzerte seit dem Höchststand im Jahr 2003 (23). Mit acht (2009: neun) Liederabenden blieb deren Anzahl nahezu konstant. Ein leichter Anstieg ist im Bereich sonstiger rechtsextremistischer Veranstaltungen mit Musikdarbietungen festzustellen. Hiervon gab es 2010 insgesamt fünf (2009: drei). In Sachsen-Anhalt boten im Berichtszeitraum acht (Vorjahr: sechs) Online-Vertriebe ihre rechtsextremistischen Szeneutensilien zum Kauf an.2 Vier Internetseiten werden von ein und demselben Händler betrieben. Einem der genannten Vertriebe ist ein Szeneladen angeschlossen, der als beliebter Treffort von Rechtsextremisten gilt. Rechtsextremisten nutzten erneut allgemeine Gedenktage wie den 1. Mai, den 8. Mai, den 17. Juni und den Volkstrauertag sowie die Jahrestage von Bombardements deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, um diese im Sinne ihrer Propaganda umzudeuten und entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Sie entfalteten darüber hinaus wie in den Vorjahren Aktivitäten zu Geburtsund Todestagen von Nationalsozialisten. Das linksextremistische Personenpotenzial nahm in Sachsen-Anhalt im Vergleich zum Vorjahr um 30 Personen ab und umfasste im Berichtsjahr insgesamt 480 Personen. Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 262 politisch motivierte Straftaten -links-. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahr (336 Delikte) eine Abnahme um 22 Pro- 2 Wie im Vorjahr existierten drei weitere Vertriebe für NSBM-Material. Siehe Seite 14. 2 zent.3 Im selben Zeitraum ging der Anteil der entsprechend politisch motivierten Gewalttaten um 7 Prozent zurück (2010: 55 Delikte, 2009: 59 Delikte).4 Schwerpunktregion der etwa 220 Personen umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt ist nach wie vor die Landeshauptstadt Magdeburg. Hauptaktionsfeld autonomer Zusammenschlüsse blieb auch im Berichtszeitraum der so genannte Antifaschismus. Eine wichtige Rolle spielen aber auch der Widerstand gegen den vermeintlich repressiven Staat und die vermeintliche Militarisierung der Gesellschaft. Als Ziele körperlicher Gewalt stehen vor allem Rechtsextremisten im Fokus. Gleichzeitig sank die Hemmschwelle für gewalttätige Angriffe auf Polizisten, die Autonomen als Vertreter des "Repressionsapparates" gelten. Im Bereich der linksextremistischen Parteien und sonstigen Gruppierungen waren in Sachsen-Anhalt im Berichtszeitraum die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD/Ost) und die "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML) mit eigenen Strukturen aktiv. Sie alle setzen weiter auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen Klassenkampfes. Ihre Vertreter versuchen nach wie vor, sich in gesellschaftliche Protestkampagnen einzubringen. Im Rahmen der Beobachtung sicherheitsgefährdender und extremistischer Bestrebungen von Ausländern kommt dem Komplex der Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus besondere Bedeutung zu. Die Bundesrepublik Deutschland ist als Teil des weltweiten Gefahrenraumes anzusehen und liegt im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Gruppierungen. Aufgrund ernstzunehmender, etwa ab Mitte des Berichtsjahres bei den Sicherheitsbehörden eingegangener, sich nach und nach ver- 3 Die Anzahl der darin enthaltenen linksextremistischen Straftaten stieg von 37 auf 64 Delikte an. Siehe hierzu Vorbemerkungen zur Statistik auf Seite 137 und Statistik auf Seite 138. 4 Die Anzahl der darin enthaltenen linksextremistischen Gewalttaten stieg von 24 auf 37 Delikte an. 3 dichtender Hinweise war schließlich erstmals von einer intensivierten und hohen abstrakten Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus auch für Deutschland auszugehen. Die Sicherheitsbehörden reagierten darauf mit der Umsetzung eines umfangreichen Maßnahmenkonzeptes. In Sachsen-Anhalt wurden keine festgefügten Strukturen islamistischer Organisationen bekannt. Jedoch gab es zunehmend Hinweise auf Personen, die in Sachsen-Anhalt wohnen, aber islamistischen Gruppierungen in anderen Bundesländern zuzurechnen sind. Von den nichtislamistischen Organisationen, die sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen entfalten, war im Berichtsjahr in Sachsen-Anhalt lediglich die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mit eigenen Organisationsstrukturen aktiv. Auch 2010 setzten Nachrichtendienste fremder Staaten ihre Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland in unvermindertem Umfang fort. Dies galt auch im Berichtsjahr insbesondere für die Nachrichtendienste der Volksrepublik China und der Russischen Föderation. 4 II. RECHTSEXTREMISMUS Das rechtsextremistische Personenpotenzial blieb in SachsenAnhalt im Vergleich zu den Vorjahren nahezu unverändert. Allerdings haben sich innerhalb des rechtsextremistischen Gefüges erneut Verschiebungen ergeben. Die im Vorjahr leicht angewachsene Anzahl subkulturell geprägter Rechtsextremisten ging im Berichtsjahr wieder auf das Niveau des Jahres 2008 zurück. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten verfügen im Gegensatz zu Neonazis kaum über einen gefestigten ideologischen Überbau. Rechtsextremistische Ideologieelemente wie Fremdenfeindlichkeit, Rassismus oder Antisemitismus prägen das Sozialverhalten dieser Rechtsextremisten, die durch eine hohe Affinität zu Strafund Gewalttaten auffallen und als prinzipiell gewaltbereit gelten. Die Anzahl der Neonazis nahm in Sachsen-Anhalt im Berichtsjahr geringfügig zu. Sie finden sich nach wie vor mehrheitlich in losen, kameradschaftsähnlichen Strukturen zusammen. Ihnen ist ein vom historischen Nationalsozialismus geprägtes Weltbild eigen. Der neonazistischen Szene sind auch die Anhänger der sachsenanhaltischen "Jungen Nationaldemokraten" (JN) zuzurechnen. Auch in Sachsen-Anhalt gibt es im Bereich des Neonazismus Strukturen so genannter Autonomer Nationalisten. In deutlich geringerem Umfang als die subkulturell geprägte Szene weist auch die Neonaziszene eine Gewaltbezogenheit auf. Wie in den Vorjahren existieren weiter so genannte Mischszenen, die aus Neonazis und Subkulturellen bestehen. Rechtsterroristische Strukturen wurden im Berichtszeitraum in Sachsen-Anhalt nicht festgestellt. Die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff bildet dennoch ein nicht zu unterschätzendes Gefährdungspotenzial. 5 Die Mitgliederzahl des sachsen-anhaltischen Landesverbandes der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) stieg im Berichtsjahr leicht an. Dies resultiert letztlich aus der umfangreichen Werbekampagne im Rahmen des Wahlkampfes für die Landtagswahl 2011 in Sachsen-Anhalt. Die Bemühungen um eine Fusion mit der "Deutschen Volksunion" (DVU) spielten dabei indes keine Rolle. Der Landesverband gliederte sich 2010 weiterhin in elf Kreisverbände und mehrere Ortsbereichsgruppen. Der Landesverband Sachsen-Anhalt der DVU trat öffentlich so gut wie nicht in Erscheinung. Rechtsextremisten5 2009 2010 Parteien und Vereinigungen 270 300 Neonazis 230 240 Gewaltbereite Rechtsextremisten 850 800 Sonstige Personenzusammenschlüsse 30 50 Gesamt: 1.3806 1.3907 SUBKULTURELL GEPRÄGTE, GEWALTBEREITE RECHTSEXTREMISTEN Allgemeines Der subkulturell geprägten, gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene werden jene Rechtsextremisten zugerechnet, die keiner zielgerichteten politischen Tätigkeit nachgehen. Es handelt sich um eine Subkultur, in der vielfältige rechtsextremistische Einstellungen mit einer Affinität zu einer erlebnisund aktionsorientierten Betätigung zusammentreffen. Wichtigstes verbindendes Element für diesen Teil der Szene bleibt die rechtsextremistische Musik. Über viele Jahre hinweg wurde die Szene durch Skinheads geprägt. Dies hat sich zwischenzeitlich grundlegend geändert. Subkulturelle Rechtsextremisten sind heutzutage nicht mehr unbedingt auf den ersten 5 Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet. 6 1.320 nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften. 7 1.340 nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften. 6 Blick zu erkennen, neue "Dress-Codes" haben ihr äußeres Erscheinungsbild vielfältiger werden lassen. Die Szene ist nach wie vor unorganisiert und lehnt sich allenfalls an das ideologische Gedankengut der Neonazis an, wobei eine weltanschauliche und politische Auseinandersetzung nur sehr oberflächlich stattfindet. Im Bundesdurchschnitt nahm das subkulturelle rechtsextremistische Personenpotenzial in den letzten Jahren leicht ab. Auch in Sachsen-Anhalt wurde ein Rückgang von 850 Personen (2009) auf 800 Personen (2010) festgestellt. Strafund Gewalttaten Im Jahr 2010 wurden im Land Sachsen-Anhalt 1.176 politisch motivierte Straftaten -rechtsgezählt, das sind knapp 26 Prozent weniger als 2009 (1.584). Die Zahl der entsprechenden politisch motivierten Gewalttaten ging von 83 auf 80 zurück.8 Etwa 76 Prozent der Straftaten machen so genannte Propagandadelikte, also das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach SS 86a StGB, aus. Bei diesen 896 Straftaten handelt es sich beispielsweise um das Verwenden von Hakenkreuzen, das Zeigen des "Hitlergrußes" oder das Skandieren der Parole "Sieg Heil". Bei diesen - häufig unter Alkoholeinfluss verübten - Delikten ist der Anteil der Tatverdächtigen, die einer rechtsextremistischen Partei oder neonazistischen Kameradschaften angehören oder zu deren Umfeld gehören, sehr gering. In den meisten Fällen konnte kein Tatverdächtiger ermittelt werden; dennoch werden solche Straftaten grundsätzlich dem Bereich politisch motivierte Kriminalität -rechtszugeordnet. 8 Die Anzahl der darin enthaltenen rechtsextremistischen Gewalttaten stieg von 60 auf 67 Delikte an. Siehe hierzu Vorbemerkungen zur Statistik auf Seite 137 und Statistik auf Seite 138. 7 Fremdenfeindlich motivierte Straftaten Zur rechtsextremistischen Ideologie gehört das Ideal einer ethnisch homogenen Nation. Alle Fremden stellen aus dieser Sicht eine Bedrohung dar. Diese Ideologie basiert auf einer Überzeugung von der grundsätzlichen Ungleichheit der Menschen. Rechtsextremisten beurteilen eine Person nach ihrer ethnischen Abstammung und weisen ihr deshalb unterschiedliche Rechte und Wertigkeiten zu. Folgende Beispiele für fremdenfeindlich motivierte Straftaten sind hier exemplarisch zu benennen: Am 11. Juni wurden zwei aus Benin stammende Personen in einem Park in Halberstadt (Landkreis Harz) aus einer Gruppe alkoholisierter Personen heraus als "Neger" und "Sklaven" tituliert und mit Bierflaschen beworfen. Einige der unbekannten Täter verfolgten die Afrikaner und warfen erneut mit Flaschen. Bei einem Chat in einem sozialen Netzwerk kündigte am 29. August ein Nutzer einem anderen gegenüber an, einen kubanischen Staatsangehören "wegklatschen" zu wollen. Der andere Nutzer dokumentierte die Äußerungen und erstattete Anzeige. Im Chat hieß es wörtlich: "Ich hasse ihn und er hat meinen Namen in sein reudiges Maul genommen! Ich hau den um und gut...3 Leute und das Kanackenschwein. 3 Leute in schwarz, vermummt, autonom u. militant, glatzen-anhalt-widerstand9!" Am 11. September konnte in der Magdeburger Jakobstraße ein Kubaner vor drei ihn verfolgenden, vermummten Personen flüchten. Antisemitische Straftaten Antisemitismus bleibt ein zentrales Ideologieelement im deutschen Rechtsextremismus. Antisemitische Agitation richtet sich gegen eine behauptete Gesamtheit "der Juden", denen pauschal negative Eigenschaften unterstellt werden, um damit deren Abwertung, Be- 9 Eine solche Gruppierung ist nicht bekannt. 8 nachteiligung, Verfolgung oder gar Vernichtung ideologisch zu rechtfertigen. Juden werden als minderwertig gegenüber einer "arischen, weißen oder nordischen Rasse" diffamiert. Dieser "von Geburt an bestehende Makel" könne nicht beseitigt werden. Auch werden Juden zu den Verursachern der Weltwirtschaftskrise gezählt, die Teil des "jüdischen Planes zur Erringung der Weltherrschaft" sei. Folgende Beispiele für antisemitische Straftaten sind hier exemplarisch zu benennen: Am 16. Februar schrieben in Halle Unbekannte auf ein Hinweisschild "In Auschwitz weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind! Ich würd' so gern 'nen Juden töten!". Unbekannte Täter warfen am 3. April in Halberstadt (Landkreis Harz) eine Fensterscheibe des zur Moses-Mendelssohn-Akademie gehörenden "Museumskaffees Hirsch" ein. Durch den Steinwurf wurde ein so genannter Chanukka-Leuchter zerstört. Bei der Moses-Mendelssohn-Akademie handelt es sich um eine Internationale Begegnungsstätte mit Tagungs-, Seminarund Veranstaltungsprogramm. Die Akademie vermittelt Kenntnisse über Grundlagen des Judentums und über jüdische Geschichte und Kultur. In Laucha (Burgenlandkreis) schlug und trat ein 20-Jähriger am 16. April mehrfach auf einen 17-jährigen gebürtigen Israeli ein. Dabei soll der Täter den Geschädigten als "Judensau" beschimpft haben. Der Täter ist Angehöriger des örtlichen Fußballvereins BSC 99, dessen damaliger Jugendtrainer Lutz BATTKE ein Mandat für die NPD im Stadtrat von Laucha sowie ein Mandat im Kreistag des Burgenlandkreises wahrnimmt.10 Der Täter wurde am 31. August vom Amtsgericht Naumburg wegen Körperverletzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten, die für einen Zeitraum von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde, und zur Zahlung eines Geldbetrages in Höhe von 300 Euro verurteilt.11 10 Siehe Seite 49f. 11 Az.: 9 Ls 419 Js 15396/10; der Geldbetrag kommt der Gedenkstätte Buchenwald zu Gute. 9 Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner Gewaltbereitschaft und Aggressionspotenzial sind in Teilen der rechtsextremistischen Szene bundesweit gestiegen. Dies gilt auch für Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner. Folgende Beispiele für solche Auseinandersetzungen sind hier exemplarisch zu benennen: Am frühen Abend des 2. Februar stürmten etwa zehn vermummte Personen die Räumlichkeiten des Vereins "Kultur & Courage e.V. Salzwedel" (Altmarkkreis Salzwedel). In dem Objekt befindet sich auch ein so genannter Infoladen, der als "Autonomes Zentrum Salzwedel" bezeichnet wird. Die Angreifer bedrohten und misshandelten die anwesenden Personen. Darüber hinaus wurde die Einrichtung des Versammlungsraumes vollständig zerstört. Für diesen Abend war in den Vereinsräumen ein Treffen geplant, bei dem die Teilnahme an Protestkundgebungen gegen eine von Rechtsextremisten am 13. Februar in Dresden angemeldete Demonstration erörtert werden sollte. Das Treffen war im Vorfeld im Internet angekündigt worden. Ein bekannter Rechtsextremist (Schönebeck, Salzlandkreis) warf am 28. Juli in Schönebeck mehrere mit Farbe gefüllte Bierflaschen gegen die Fassade und die Fenster des Wahlkreisbüros einer Landtagsabgeordneten der Partei DIE LINKE, die am gleichen Tag am Amtsgericht Schönebeck als Beobachterin an einem Gerichtsverfahren gegen einen Rechtsextremisten aus Calbe (Salzlandkreis) teilnahm. "Blood & Honour" (B&H) und "Hammerskinheads" (HS) in Sachsen-Anhalt Nach dem rechtskräftigen Verbot von "Blood & Honour" (B&H) im Jahr 2001 sind bis heute keine Aktivitäten in Sachsen-Anhalt festzustellen, die den Fortbestand der Organisation belegen würden. Gleichfalls liegen keine Erkenntnisse über Strukturen der "Ham10 merskinheads" (HS) vor. Veranstaltungen der international agierenden Organisation, meist rechtsextremistische Musikveranstaltungen mit anschließender Zusammenkunft der Organisationsangehörigen, fanden fast ausschließlich im Ausland statt. Hieran nahmen allerdings Einzelpersonen aus Sachsen-Anhalt teil. Rechtsextremistische Musik Neben ihrer identitätsstiftenden Funktion dient rechtsextremistische Musik als Lockmittel, um Jugendliche oder junge Erwachsene an die rechtsextremistische Szene sowie deren Ideologie heranzuführen und langfristig zu binden. Diese Art der Musik besitzt deshalb nach wie vor eine herausragende Bedeutung für die Bildung und den Bestand der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene. Inhaltlich vermitteln die Texte offen oder unterschwellig rechtsextremistische Feindbilder und Fragmente einer nationalistischen, fremdenfeindlichen, antisemitischen und antidemokratischen Ideologie. Diese Wirkung nutzen neonazistische Kameradschaften und rechtsextremistische Parteien, um Sympathisanten, aber auch szenefremde Jugendliche, für sich zu gewinnen. Zudem gehören Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher zum festen Bestandteil zahlreicher, zum Beispiel von der NPD organisierter Veranstaltungen. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Rechtsextremistische Musikveranstaltungen sind im Jahr 2010 im Vergleich zum Vorjahr deutlich zurückgegangen. Nach hier vorliegenden Erkenntnissen wurden in Sachsen-Anhalt 2010 sieben Konzerte (2009: 16) durchgeführt. Es handelt sich um die geringste Anzahl durchgeführter Konzerte seit dem Höchststand im Jahr 2003 (23). Mit acht (2009: neun) Liederabenden blieb deren Anzahl nahezu konstant. Ein leichter Anstieg ist im Bereich rechtsextremistischer Veranstaltungen mit Musikdarbietungen festzustellen. Hiervon gab es 2010 insgesamt fünf (2009: drei). 11 Schwerpunkte für die Durchführung von rechtsextremistischen Musikveranstaltungen haben sich bundesweit dort entwickelt, wo Szeneangehörige auf angemietete oder eigene Veranstaltungsobjekte zurückgreifen können. Das trifft auch auf Sachsen-Anhalt zu. Hier fanden die meisten Veranstaltungen auf dem Anwesen des Rechtsextremisten Enrico MARX in Allstedt, Ortsteil (OT) Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) statt. Die präventiven und exekutiven Maßnahmen der Ordnungsund Sicherheitsbehörden haben zwar dazu geführt, dass die rechtsextremistische Szene bei der Anmietung geeigneter Räumlichkeiten für ihre Veranstaltungen oftmals erfolglos bleibt, allerdings finden sich immer wieder Eigentümer von Objekten, bei denen entweder ein kommerzielles Interesse im Vordergrund steht oder deren politische Einstellung mit derjenigen der Organisatoren übereinstimmt. In Bund und Ländern ist seit Jahren der Trend weg von wenigen großen, hin zu mehreren kleinen Konzerten mit meist 120 bis 150 Teilnehmern zu beobachten. Das ist vor allem darin begründet, dass große Konzerte durch ihre hohen logistischen Anforderungen nicht konsequent konspirativ vorbereitet und durchgeführt werden können, wie dies bei kleineren Veranstaltungen der Fall ist. Bei einem Verbot oder einer polizeilichen Auflösung sind die möglichen Verluste für die Veranstalter bei Großkonzerten (beispielsweise durch entstandene Bandgagen, die Ausleihe leistungsstarker Tontechnik und Saalmieten) entsprechend hoch. Musikstile und deren Bedeutung innerhalb der rechtsextremistischen Szene Der Wandel innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene, der mit einer Öffnung gegenüber anderen Musikstilen wie dem "Black Metal" oder dem "Hatecore" 12 verbunden ist, hat sich in den letzten Jahren weiter verstärkt. Rechtsextreme Musik bietet somit ein breiteres musikalisches Spektrum, über das Jugendliche angesprochen werden können. 12 "Hatecore" ist aus dem so genannten Hardcore-Punk hervorgegangen. 12 Gerade bei den jüngeren Anhängern der rechtsextremistischen Szene hat sich der Trend zur Musikrichtung des "Hatecore" weiter verstärkt. Bei diesem schnell und aggressiv vorgetragenen Musikstil wird versucht, mit den Texten an den Zeitgeist jugendlicher Subkulturen anzuknüpfen. Im Gegensatz zur "klassischen" rechtsextremistischen Skinheadmusik greift diese Stilrichtung weit weniger auf aggressive Hetze gegen Ausländer und Andersdenkende oder die Glorifizierung des Nationalsozialismus zurück. Im Vordergrund stehen stattdessen Globalisierungskritik, Sozialproteste und Umweltschutz, zum Teil unterlegt mit völkischen, antiamerikanischen und antisemitischen Inhalten. Mittlerweile gehört fast ein Fünftel der rechtsextremistischen Musikgruppen dem "Hatecore" an. Dies trifft insbesondere auf Neugründungen zu. Der unter dem Begriff "National Socialist Black Metal" (NSBM) bekannt gewordene Musikstil hat in der rechtsextremistischen Musikszene zwar weiter Verbreitung gefunden, jedoch wurden im Berichtszeitraum in Sachsen-Anhalt keine Konzerte dieser Musikrichtung festgestellt. Die Vertreter des NSBM propagieren ihr nationalsozialistisches Weltbild unter Verwendung von - auch für die unpolitische "Black Metal"-Szene typischen - neuheidnischen und antichristlichen Elementen. Ihre rechtsextremistische Ausrichtung lässt sich dabei weniger den Liedtexten entnehmen, die aufgrund des Musikstils ohnehin kaum zu verstehen sind. Ausschlaggebend sind vielmehr Äußerungen der Szene-Protagonisten in Internetbeiträgen. Rechtsextremistische Vertriebe In Sachsen-Anhalt boten im Berichtszeitraum acht Online-Vertriebe ihre rechtsextremistischen Szeneutensilien zum Kauf an. Zu den beliebtesten Verkaufsartikeln gehören nach wie vor CDs und DVDs, Bekleidung, Fahnen sowie sonstiges Propagandamaterial. Damit stieg die Anzahl der Online-Vertriebe gegenüber dem Vorjahr leicht an, wobei vier Internetseiten von ein und demselben Händler betrieben werden. 13 Ingesamt unterliegt die Vertriebsszene einer stetigen Fluktuation. Gerade neuen Vertrieben fällt es schwer, sich auf dem Markt zu etablieren. Dies gilt nicht zuletzt deshalb, weil die Szeneangehörigen im zunehmenden Maße Angebote in einschlägigen Foren oder privaten Tauschbörsen nutzen. Einem der genannten Vertriebe, der in Halberstadt (Landkreis Harz) ansässig ist, ist ein Szeneladen angeschlossen, der als beliebter Treffort von Rechtsextremisten in der Region gilt. Für den Vertrieb von NSBM-Material existieren drei weitere OnlineShops. Zudem treten nach wie vor mobile Einzelhändler am Rande von rechtsextremistischen Veranstaltungen und Skinheadkonzerten auf, um ihre Produkte anzubieten. Rechtsterrorismus In der Bundesrepublik Deutschland sind derzeit keine Anhaltspunkte für rechtsterroristische Bestrebungen zu erkennen. Festzustellen ist aber eine erhebliche Gewaltbereitschaft in Teilen der subkulturell geprägten und der neonazistischen Szene. Das Aggressionspotenzial beim Aufeinandertreffen von Rechtsund Linksextremisten hat sich deutlich erhöht. Bei Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, zum Teil auch mit der Polizei, ist die Hemmschwelle zum Einsatz körperlicher Gewalt oder gemeingefährlicher Mittel gesunken. RECHTSEXTREMISTISCHE SZENEN IN SACHSEN-ANHALT Rechtsextremistische Szene in Halle Die rechtsextremistische Szene in Halle ist teilweise neonazistisch ausgerichtet. Ihr werden etwa 40 Personen zugerechnet. Gleichwohl ist das Mobilisierungspotenzial bei szenetypischen Veranstaltungen höher. In Halle besteht eine enge Kooperation zwischen dem JNStützpunkt Halle, der sich personell aus der neonazistischen Kameradschaftsszene rekrutiert hat, und dem NPD-Kreisverband Halle. 14 Neben dem JN-Stützpunkt gibt es in Halle eine weitere Gruppierung, die unter dem Namen "Aktionsgruppe Halle", ehemals "Freie Kräfte Halle", firmiert. Die seit Jahren in Halle zu beobachtende Zersplitterung der örtlichen rechtsextremistischen Szene, in erster Linie durch persönliche Differenzen bedingt, setzte sich im Berichtsjahr fort. JN-Stützpunkt Halle Im Berichtsjahr gingen die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des JN-Stützpunktes merklich zurück. Von den mit dem NPDKreisverband Halle gemeinsam durchgeführten Treffen gingen keine Impulse aus. Einen Grund für die Inaktivität dürfte auch das Fehlen eines Szeneobjektes darstellen. Im Berichtsjahr trafen sich die JNund die NPD-Mitglieder in einer Gaststätte und auf einem Sportplatz in Halle. Weitere Gründe dürften der Wechsel der Führungspersonen und eine Fokussierung auf die Vorbereitung der Landtagswahl 2011 sein. Für letztere zeigten die parteiungebundenen Rechtsextremisten nur wenig Interesse. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten von Angehörigen des Stützpunktes beschränkten sich in erster Linie auf die Teilnahme an organisationsübergreifenden Demonstrationen wie zum Beispiel am 1. Mai in Berlin. In Wittenberg (Landkreis Wittenberg) fand am 11. Dezember eine Kundgebung der NPD unter dem Motto "Demokratie schützen - Bürgerrechte bewahren" statt. Daran nahmen etwa 30 Personen teil, darunter auch Mitglieder des JN-Stützpunktes. "Aktionsgruppe (AG) Halle" Bei der "Aktionsgruppe (AG) Halle" handelt es sich um einen regionalen Personenzusammenschluss von etwa zehn Personen, der im Verbund der "Aktionsgruppen (AG) Halle-Saalekreis" organisiert ist. Bis März war die "AG Halle" unter der Führung des Marcel SCORN (Halle) recht aktiv. Nach dem überraschenden Rückzug von 15 SCORN aus der "AG Halle" übernahm Kevin STEPHAN (Bad Lauchstädt, Saalekreis) die Führung der Gruppe. Mitglieder der "AG Halle" nahmen am 15. Januar an einer Mahnwache der NPD in Köthen (Anhalt, Landkreis Anhalt-Bitterfeld) teil. Eigenangaben auf der Internetseite der "AG Halle" zufolge verteilten Szeneangehörige am 19. und am 23. Januar Flugblätter in Briefkästen in Halle. Auf diesen hieß es: "Wir als Nationale Sozialisten...fordern daher: - Arbeitsplätze und gerechte Löhne für alle Deutschen - Schluss mit der kapitalistischen Ausbeutung - Verstaatlichung von Großkonzernen und Banken - der Privatisierung von Volkseigentum entgegentreten - Austritt aus der EU und Nato - Nein zu imperialistischer Kriegstreiberei - Keine Überfremdung und Moscheen in Deutschland - Deutschland uns Deutschen - Zentren für deutsche Jugendliche - Der Perspektivlosigkeit entgegentreten - Meinungsfreiheit für alle - gegen die Zensur der Medien Schau nicht länger weg und schließ dich uns an!" Die "AG Halle" beteiligte sich mit Rechtsextremisten aus dem Burgenlandkreis am 1. Mai in Berlin an einem Aufzug der rechtsextremistischen Szene im Bezirk Pankow, OT Prenzlauer Berg und an einer nicht genehmigten Versammlung auf dem Kurfürstendamm. Gegen sieben Szeneangehörige aus Sachsen-Anhalt wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs eingeleitet. Einem Beitrag auf der Internetseite der "AG Halle-Saalekreis" zufolge verteilten am 20. November in Halle Mitglieder der "AG Halle" und des JN-Stützpunktes 5.000 Flugblätter der NPD zum Thema "Halle darf kein zweites Leipzig werden - Straßenkriminalität verhindern!". Das Flugblatt behauptet eine Häufung krimineller Auseinandersetzungen in der Stadt. In dem Flugblatt wird überdies dafür 16 geworben, sich am 20. März 2011 an der Landtagswahl zu beteiligen und eine "starke nationale Opposition" zu wählen. Rechtsextremistische Szene im Saalekreis "Aktionsgruppen (AG) Halle-Saalekreis" Der rechtsextremistischen Szene im Saalekreis können etwa 60 Personen zugerechnet werden. Die nicht parteigebundene Szene wird als subkulturell geprägt eingeschätzt. Die im Sommer 2009 einsetzende Verschmelzung von "Freien Kräften" zu Aktionsgruppen führte anfangs zu einer Stärkung der rechtsextremistischen Szene im Saalekreis. Seit Beginn des Berichtsjahres sind die regionalen Aktionsgruppen in Bad Lauchstädt, Merseburg, Querfurt und in Halle in einem überregionalen Bündnis, das unter der Bezeichnung "Aktionsgruppen (AG) Halle-Saalekreis" auftritt, aktiv. Mit der Bildung regionaler Aktionsgruppen sollte die Eigenständigkeit der Kameradschaften gewahrt bleiben. Nach einer anfänglichen Zunahme von eigenständigen Aktivitäten gingen diese aufgrund von Friktionen zwischen den Führungskräften merklich zurück. "Aktionsgruppe (AG) Bad Lauchstädt" Der "Aktionsgruppe (AG) Bad Lauchstädt" können etwa zehn Personen zugeordnet werden, die bis Ende 2009 in der Öffentlichkeit unter den Bezeichnungen "Freie Nationalisten Bad Lauchstädt" (FNBL) auftraten. Die genannte Gruppierung entfaltete im Berichtsjahr nur sporadisch politische Aktivitäten. So beteiligten sich Angehörige der "AG Bad Lauchstädt" am 4. September an einer Demonstration der "Freien Kräfte" in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) unter dem Motto "6. Nationaler Antikriegstag". Weiterhin nahmen Szeneangehörige aus Bad Lauchstädt an Veranstaltungen im Objekt des MARX in Allstedt, OT Sotterhausen teil. 17 "Aktionsgruppe (AG) Merseburg" Der rechtsextremistischen Szene in Merseburg werden etwa 20 bis 30 Personen zugerechnet, die unstrukturiert agieren. Die nicht parteigebundene Szene wird als subkulturell geprägt eingeschätzt. Nach wie vor bestehen gute Kontakte zu Vertretern der NPD im Saalekreis sowie zu Angehörigen der rechtsextremistischen Szene in Sachsen. Im Berichtsjahr wurde eine neue Homepage der "Aktionsgruppe (AG) Merseburg" bekannt. Unter der Rubrik "Wer wir sind" heißt es, es handele sich um "eine junge dynamische Gruppe aus dem Raume Sachsen-Anhalt", "die gemeinsam ihre Freizeit gestalten und politisch aktiv" sein wolle. Mit der Bildung der "AG HalleSaalekreis" bildete sich auch die "AG Merseburg", die im Berichtsjahr allerdings kaum öffentlich in Erscheinung trat. Auf der Homepage der "AG Merseburg" wird außerdem auf die "Freien Kräfte" in Halle und Leipzig sowie über die "Autonomen Nationalisten Stendal" verwiesen. Bei den Verantwortlichen dürfte es sich um Angehörige der ehemaligen "Freien Nationalisten Merseburg" handeln. Der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Halle Rolf DIETRICH meldete als Privatperson im Namen einer "Bürgerinitiative für Meinungsfreiheit" eine Kundgebung am 19. Juni in Merseburg unter dem Motto "Arbeiter im Kampf für die Freiheit - Damals wie heute 17. Juni 53-10" an. Daran beteiligten sich etwa 250 Angehörige der rechtsextremistischen Szene. Als Versammlungsleiter trat der Rechtsextremist Stefan WAGNER (Schkeuditz/Sachsen) in Erscheinung. Einem Beitrag auf der Internetseite der "AG Merseburg" zufolge verteilten AG-Mitglieder in Merseburg etwa 2.500 "Mobilisierungsflugblätter" in Vorbereitung für eine JN-Demonstration am 2. Oktober in Halberstadt (Landkreis Harz). Dabei sollen "Antifa"-Aufkleber mit den erwähnten Flugblättern überklebt worden sein. 18 "Aktionsgruppe (AG) Querfurt" Der Szene in Querfurt werden derzeit zehn Personen zugerechnet. Sie ist lose strukturiert und verfügt über keinen hierarchischen Aufbau, ist aber als eigene Gruppe im Bündnis "AG Halle-Saalekreis" tätig. Die "Aktionsgruppe (AG) Querfurt" trat bei Veranstaltungen auf dem Grundstück des MARX und bei verschiedenen Demonstrationen in Erscheinung. Angehörige der Gruppierung nahmen unter der Leitung von STEPHAN nur sporadisch an Veranstaltungen teil. In Querfurt brachten unbekannte Täter in der Nacht zum 21. April an die Glasscheiben eines Haltestellenpavillons zahlreiche Aufkleber mit der Aufschrift "Demokraten bringen uns den Volkstod - Nationaler Sozialismus jetzt,..." an. Die Aufkleber wurden dabei in Form eines Hakenkreuzes angeordnet. Rechtsextremistische Szene im Burgenlandkreis Der rechtsextremistischen parteiungebundenen Szene im Burgenlandkreis werden etwa 15 bis 20 Personen zugerechnet. Strukturen und Gruppenbezeichnungen sind nicht bekannt. Einzelpersonen unterhalten enge Kontakte zur rechtsextremistischen Szene in Thüringen. Des Weiteren bestehen enge Kontakte zur rechtsextremistischen Szene im Saalekreis, insbesondere zu STEPHAN. Naumburg, OT Bad Kösen In den vergangenen Jahren nutzten Angehörige der rechtsextremistischen Szene den Todestag der Rathenau-Mörder13 am 17. Juli zu Kranzniederlegungen auf dem Friedhof in Bad Kösen, OT Saaleck. Dabei kam es immer wieder zu Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. 13 Die Mörder des Reichsaußenministers Walter RATHENAU, Hermann FISCHER und Erwin KERN, kamen am 17. Juli 1922 auf der Burg Saaleck (Burgenlandkreis) zu Tode. FISCHER hatte Selbstmord begangen, nachdem KERN von einem Polizisten in Notwehr erschossen worden war. 19 Im Berichtsjahr wurden am 17. Juli im Bereich des Friedhofes Saaleck insgesamt 23 Personen der rechtsextremistischen Szene festgestellt. Kränze wurden an diesem Tag nicht niedergelegt. Am 18. Juli wurden in Saaleck etwa 20 Personen der rechtsextremistischen Szene festgestellt, insbesondere Mitglieder des NPDKreisverbandes Burgenlandkreis, die mit einem Kranz zum dortigen Friedhof gingen. Von ihnen betraten 13 Personen das Friedhofsgelände. Die vor Ort befindliche Polizei untersagte jedoch das Ablegen des Kranzes an der Grabstelle der Rathenau-Attentäter. Daraufhin versammelten sich die Personen am Grab des Vaters von BATTKE und legten dort den Kranz mit der Aufschrift "In stillem Gedenken" nieder. Gemeinde Mertendorf, OT Görschen Anfang Januar erwarb ein Rechtsextremist ein Grundstück in Mertendorf, OT Görschen. Bei dem Objekt handelt es sich um einen vollständig umfriedeten Drei-Seitenhof. Anwohner gaben an, dass sich an Wochenenden mehrere Personen auf dem Grundstück aufhielten, die auch aus anderen Bundesländern angereist seien. Inwieweit sich das Objekt zu einem Szenetreffpunkt entwickelt, bleibt abzuwarten. Es ist derzeit nicht bekannt, wie der Ausbau finanziert werden soll. Solidaritätsaktionen der Szene sind nicht bekannt. Rechtsextremistische Szene in der Landeshauptstadt Magdeburg Der teilweise neonazistisch ausgerichteten rechtsextremistischen Szene in Magdeburg werden etwa 40 bis 50 aktive Personen zugerechnet. Unverändert kooperieren hier Angehörige der "Freien Nationalisten", der NPD und der JN bei der Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen eng miteinander. 20 Im Februar erließ das Bauordnungsamt der Stadt Magdeburg für den bis dahin genutzten Szenetreffpunkt in der Lerchenwuhne (Bereich "Flora-Park") eine Nutzungsuntersagung, woraufhin das Objekt im Berichtsjahr nicht mehr für Veranstaltungen mit größerem Personenpotenzial genutzt wurde. Wegen wiederholter Verstöße gegen die erlassene Nutzungsuntersagung versiegelte das Bauordnungsamt das Gebäude im August. Zum 65. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Magdeburg im Zweiten Weltkrieg meldeten Rechtsextremisten im Namen einer "Initiative gegen das Vergessen" für den 16. Januar eine Demonstration im Zentrum Magdeburgs an, wobei eine mögliche Teilnehmerzahl zwischen 500 bis 800 Personen genannt wurde. Als Anmelder der Veranstaltung fungierte wie in den Vorjahren der Neonazi Andreas BIERE aus Klein Wanzleben (Landkreis Börde). Als Stellvertreter agierten die Funktionsträger im JN-Landesvorstand Sascha BRAUMANN und Andy KNAPE (beide Magdeburg), die auch über enge Kontakte zu "Freien Nationalisten" verfügen. Im Vorfeld der Veranstaltung wurde eigens eine "Gedenkmarsch"Homepage erstellt, die nach Angaben der Betreiber auch weiterhin im Netz bleiben soll. Die Inhalte und der Aufbau der Homepage zeugen von einer sehr engen Verflechtung der Magdeburger Organisatoren mit den Verantwortlichen des alljährlichen Trauermarsches im Februar in Dresden. Unter anderem heißt es hier: "Auch zum 65. Jahrestag führt die 'Initiative gegen das Vergessen' einen Trauermarsch durch, um den Opfern würdig und ehrenvoll zu gedenken. Dieser Angriff auf unsere Heimatstadt, stellte keine Kriegsnotwendigkeit dar, sondern war ein reines Kalkül der Kriegslust!...In dieser Initiative findet sich jeder wieder, der den Geist unseres Volkes lebt und eine ehrenvolle Gedächtniskultur der Toten unseres Volkes am Leben erhalten möchte. Die Initiative gegen das Vergessen lehnt sich entschieden gegen den Zeitgeist des Systems auf, der durch den ewigen Schuldkult verkörpert wird. Sie lehnt sich gegen die Kollektivschuldfrage einiger verwirrter und ewig gestriger Historiker auf. Sie lehnt sich 21 gegen die Hetze der Antideutschen auf, die behaupten, wir Deutschen seien ein Tätervolk und keine Opfer. Sie fordert, daß die Behauptung, daß das deutsche Volk ein Tätervolk wäre, zum Strafbestand der Volksverhetzung wird! In diesem Jahr hat sich die Initiative gegen das Vergessen aus Magdeburg, sowie das Aktionsbündnis gegen das Vergessen aus Dresden dazu entschlossen, den Schulterschluss aus den Jahren zuvor weiter auszubauen...Unser Anliegen dient der geschichtlichen Aufarbeitung und der historischen Wahrheit. Wir benennen hierbei jene Opfer, die in der Geschichtsschreibung der Deutschen der gegenwärtigen Zeit endtabuisiert werden. Wir analysieren die Hintergründe des Bombenkrieges, sowie die verheerenden und verbrecherischen Luftangriffe der Alliierten auf deutsche Städte. Die Vernichtung kultureller Bauten und einzigartiger Architektur, sind neben den vielfachen menschlichen Verlusten besonders schmerzlich. Daher tragen wir unsere Trauer und jene Thematik auf die Straßen unserer Heimatstädte. In Wehmut besinnen wir uns zurück und werden den Toten unseres Volkes, die dem Kalkül der alliierten Krieglust zum Opfer fielen, in Würde gedenken." Auf der Unterstützerliste zum "Trauermarsch" trugen sich neben Gruppierungen aus Sachsen-Anhalt auch Personenzusammenschlüsse aus Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen ein. Die anlassbezogene bundesweite Zusammenarbeit der Szene ist auch daran zu erkennen, dass die Organisatoren im Vorfeld 56 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet benannten, die während der Demonstration als Ordner fungieren sollten. Hiervon lehnte die zuständige Ordnungsbehörde jedoch 13 Personen ab. Im Verlauf der ohne Zwischenfälle stattgefundenen Versammlung, an der etwa 1.000 Rechtsextremisten (2009: 720 Personen) aus dem gesamten Bundesgebiet teilnahmen, sprachen Szeneangehörige aus Niedersachsen, Sachsen und Sachsen-Anhalt zur Veranstaltungsthematik und warben dabei für die Teilnahme an weiteren Gedenkmärschen in Dresden (Februar) und Dessau-Roßlau (März). 22 Die Teilnehmer trugen schwarze Fahnen und zeigten Transparente unter anderem mit der Aufschrift "Bombenholocaust, kein Vergeben, kein Vergessen". Aus einem Lautsprecherwagen heraus wurde während der Zusammenkunft klassische Musik abgespielt. Die Polizei verhinderte ein Aufeinandertreffen von rechtsextremistischen Demonstranten und gewaltbereiten linksextremistischen Gegendemonstranten, die wiederholt versuchten, den Veranstaltungsablauf zu stören. Allgemein wurde die Demonstration in einschlägigen Internetforen der rechtsextremistischen Szene als "voller Erfolg" gewertet und die Organisation und Durchführung der Veranstaltung positiv hervorgehoben. Szeneangehörige nutzten einen öffentlichen Aufzug im Rahmen des Magdeburger Stadtfestes am 23. Mai, um hierbei im Rahmen der rechtsextremistischen "Raus aus Afghanistan"-Kampagne ein JN-Transparent mit der Aufschrift "Kehrt Marsch - kein Bundeswehreinsatz in Afghanistan" zu zeigen. Rechtsextremistische Szene im Salzlandkreis Insgesamt agieren im Salzlandkreis etwa 30 bis 40 Rechtsextremisten, die überwiegend subkulturell geprägt sind. Von den Angehörigen der "Freien Kameradschaft Schönebeck" gingen keine relevanten öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten aus. Am 12. Februar fand in Staßfurt eine von Rechtsextremisten initiierte Mahnwache unter dem Motto "Ein Licht für Dresden (Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945)" statt. 23 "Nationales Zentrum Mitteldeutschland" (Schloss Trebnitz) in Könnern, OT Trebnitz Beim Amtsgericht Bernburg fand im Februar die Versteigerung der Immobilie "Schloss Trebnitz" statt. Den Zuschlag erhielt die Bietergemeinschaft Axel SCHUNK14 (Bayern) und Thomas WULFF15 (Mecklenburg-Vorpommern). Den Verantwortlichen scheint bewusst zu sein, dass die Sanierung des Schlosses nur mit breiter Unterstützung der Szene verwirklicht werden kann.16 Aus diesem Grund wird in rechtsextremistischen Kreisen um tatkräftige Unterstützung geworben. Das Vorhaben wird in der Szene mit einem gewissen Argwohn betrachtet, so dass die notwendigen Sanierungsund Renovierungsarbeiten bisher nur schleppend voran gehen. 2010 fanden erstmals wieder Treffen von Rechtsextremisten in dem Objekt statt, unter anderem ein so genanntes "Ostara-Osterfest", ein Kinderfest und ein Erntedankfest. Rechtsextremistische Szene im Landkreis Jerichower Land Der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene im Landkreis Jerichower Land werden etwa 70 bis 80 Personen zugerechnet. Unverändert verfügen Szeneangehörige über gute Kontakte zu Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern, insbesondere zu solchen aus Brandenburg. Der Internetauftritt der Szene im Landkreis Jerichower Land blieb in das überregionale "Freie Netz" eingebunden. 14 SCHUNK ist "Alt-Bundesfahrtenführer" der "Wiking-Jugend". 15 WULFF, der sich nach einem Obergruppenführer der Waffen-SS selbst "Steiner" nennt, ist einer der bekanntesten deutschen Neonazis. Der NPD-Politiker gilt als Führungsfigur der rechtsextremistischen Szene vor allem in Norddeutschland. 16 Der Neonazi Steffen HUPKA musste sein Projekt "Nationales Zentrum Mitteldeutschland" im Jahr 2002 nicht zuletzt wegen mangelnder Eigenleistungen von Szeneangehörigen aufgeben. Hintergrund waren persönliche Zerwürfnisse zwischen verschiedenen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene. 24 Rechtsextremistische Szene im Landkreis Harz Die rechtsextremistische Szene im Landkreis Harz, die etwa 70 bis 80 Personen umfasst, ist im Wesentlichen unstrukturiert. Eine hierarchisch organisierte, neonazistisch ausgerichtete Kameradschaftsszene existiert nicht. Die nicht parteigebundenen Rechtsextremisten werden als subkulturell geprägt und gewaltbereit eingeschätzt. Hauptsächlich in der Region Wernigerode/Quedlinburg besteht weiterhin eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen "Freien Nationalisten", NPD und JN. Am 20. März veranstalteten etwa 15 Angehörige und Sympathisanten der JN aus Sachsen-Anhalt eine Brockenwanderung, die ohne Zwischenfälle verlief. Die Teilnehmer kamen aus dem Landkreis Harz und aus Magdeburg. Am 3. April hielten etwa 15 Rechtsextremisten, darunter der Bundesvorsitzende der JN Michael SCHÄFER (Wernigerode), in der Innenstadt von Wernigerode eine Mahnwache unter dem Motto "Raus aus Afghanistan" ab, die störungsfrei verlief. Unter der Überschrift "Sport frei im Harz" wurde im September auf der Internetseite des JN-Landesverbandes über ein Selbstverteidigungstraining des JN-Stützpunktes Harz berichtet. Als Grund für eine solche Veranstaltung wurde angegeben, "...dass mit Aggressionen politischer Gegner oder der Beamten der Staatsgewalt immer zu rechnen" sei. Rechtsextremistische Szene in der Altmark In der Region agieren rund 120 aktive rechtsextremistische Szeneangehörige. Unverändert kann für die Bereiche Gardelegen, Klötze und Salzwedel (alle Altmarkkreis Salzwedel) von einer lose strukturierten Szene mit der Bezeichnung "Freie Nationalisten Altmark-West" (FNAW) gesprochen werden. In der östlichen Altmarkregion agiert ein Per25 sonenzusammenschluss mit der Bezeichnung "Autonome Nationalisten Stendal" (Landkreis Stendal). Rechtsextremistische Szene im Altmarkkreis Salzwedel Angehörige der rechtsextremistischen Szene im Altmarkkreis Salzwedel beteiligten sich im Berichtsjahr nur sporadisch an öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten. Es bestehen jedoch unverändert gute Kontakte zwischen Vertretern der NPD und der "Freien Nationalisten". Am frühen Abend des 2. Februar stürmten etwa zehn vermummte Personen in die Räumlichkeiten des Vereins "Kultur & Courage e.V. Salzwedel". In dem Objekt befindet sich auch ein so genannter Infoladen, der als "Autonomes Zentrum Salzwedel" bezeichnet wird. Die Angreifer misshandelten die anwesenden Personen und bedrohten diese verbal. Darüber hinaus wurde die Einrichtung des Versammlungsraumes vollständig zerstört. Für diesen Abend war in den Vereinsräumen ein Treffen geplant, bei dem die Teilnahme an Protestkundgebungen gegen eine von Rechtsextremisten am 13. Februar in Dresden angemeldete Demonstration erörtert werden sollte. Das Treffen war im Vorfeld im Internet angekündigt worden. In Wallstawe nahmen am 3. Juli etwa 80 Personen an einem so genannten privaten Sportfest unter dem Motto "Schottland" teil. Die Veranstaltung wurde in den Vorjahren auch als "Schottenfest" bezeichnet. Unter den Teilnehmern waren unter anderem Mitglieder der FNAW, des Personenzusammenschlusses "Snevern Jungs" aus Schneverdingen (Niedersachsen) und des NPDKreisverbandes Altmark. Rechtsextremistische Szene im Landkreis Stendal Die rechtsextremistische Szene im Landkreis Stendal ist im Wesentlichen unstrukturiert und neonazistisch ausgerichtet. Die dortige Szene wird als subkulturell geprägt und gewaltbereit eingeschätzt. 26 Eine Ausnahme bilden hier die "Autonomen Nationalisten Stendal" mit einer erkennbaren Personenstruktur, die etwa 10 bis 15 Personen umfasst. Die Mitglieder zeigen bei szenetypischen Veranstaltungen Transparente mit den Bezeichnungen "Autonome Nationalisten Stendal" oder "Nationale Sozialisten Stendal" und tragen dabei größtenteils einheitliche schwarze Kleidung. Rechtsextremisten aus der Region Stendal verfügen über gute Kontakte zu Szeneangehörigen im Land Brandenburg. Unter dem Motto "Gegen das Vergessen" veranstalteten Angehörige der rechtsextremistischen Szene am 12. März in Stendal einen Aufzug mit anschließender Kundgebung, an dem etwa 80 Personen teilnahmen. Angehörige der linksextremistischen Szene führten parallel eine Gegenkundgebung durch. Nach deren Abschluss versuchten Linksextremisten, den noch laufenden rechtsextremistischen Aufzug gewaltsam zu stören. Dabei wurden Polizisten mit Steinen beworfen und mehrere Einsatzfahrzeuge beschädigt, woraufhin die Polizei die Veranstaltung beendete. Am 3. April versammelten sich rund 45 Personen der örtlichen rechtsextremistischen Szene als "Altmärkischer Kreis der Bismarckfreunde" zu einer Feierstunde aus Anlass des 195. Geburtstages Otto VON BISMARCKs in Schönhausen (Landkreis Stendal). Rechtsextremistische Szene im Landkreis Börde Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Börde werden etwa 30 bis 40 Personen zugerechnet, die unstrukturiert agieren. Die dortige nicht parteigebundene Szene wird als subkulturell geprägt und gewaltbereit eingeschätzt. Im Berichtszeitraum wurde ein Internetauftritt mit der Bezeichnung "Gegenwind-Aktion Nationaler Sozialisten aus dem Bördekreis" bekannt. Nach eigenem Bekunden handelt es sich hierbei um "junge Deutsche aus der Börde, die insbesonders das Aussterben unseres Volkes den Menschen ins Bewusstsein rücken will". 27 Der Internetseite der JN Sachsen-Anhalt zufolge wurden am 14. März in Wolmirstedt Plakate und Aufkleber der JN-Kampagne "Bundeswehr raus aus Afghanistan" verteilt. Am 14. September veranstalteten elf Personen der rechtsextremistischen Szene in Oschersleben eine Spontandemonstration und skandierten dabei unter anderem "Hier marschiert der nationale Widerstand! Reißt die ALGE ab!".17 Am 8. Oktober versammelten sich vor den ehemaligen Vereinsräumen der "Alternativen Lebensgestaltung e.V." (ALGE) in Oschersleben 30 Personen der rechtsextremistischen Szene. Die Polizei verhinderte ein Aufeinandertreffen von ALGE-Anhängern und Rechtsextremisten. Am Abend des 9. Oktober sollte in den ALGE-Räumlichkeiten in Oschersleben eine Solidaritätsparty zum Erhalt der ALGE stattfinden. Aus diesem Grund versammelten sich etwa 50 Personen der rechtsextremistischen Szene in der Nähe des Objektes. Auch hier verhinderte die Polizei ein Aufeinandertreffen der Gruppierungen. Rechtsextremistische Szene im Raum Dessau-Roßlau und in den Landkreisen Wittenberg und Anhalt-Bitterfeld Der regionalen rechtsextremistischen Szene im Raum DessauRoßlau, im Landkreis Wittenberg und in Bitterfeld-Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) werden etwa 40 bis 50 Personen zugerechnet, die unter der Bezeichnung "Freie Nationalisten AnhaltBitterfeld/Dessau" in Erscheinung treten. Hinzu kommen weitere 20 bis 30 Personen aus dem Bereich Zerbst/Köthen (Landkreis AnhaltBitterfeld). Die Szene agiert ohne erkennbare Strukturen, sie ist als subkulturell geprägt und gewaltbereit einzuschätzen. Zu den Führungspersonen zählen Carola HOLZ aus Bitterfeld-Wolfen (Landkreis AnhaltBitterfeld) sowie Alexander WEINERT aus Dessau-Roßlau. Im Berichtsjahr gingen die politischen Aktivitäten leicht zurück. 17 Zum damaligen Zeitpunkt stand der Abriss des von der ALGE genutzten Gebäudes wegen baulicher Mängel bevor. Siehe Seite 72f. 28 Vor dem Hintergrund der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg beteiligten sich am 15. Januar in Köthen (Anhalt, Landkreis Anhalt-Bitterfeld) 35 Rechtsextremisten an einer angemeldeten Mahnwache unter dem Motto "Wir Gedenken der Bombenopfer von Magdeburg". Eine weitere Mahnwache der rechtsextremistischen Szene fand am Abend des 12. Februar in Bitterfeld-Wolfen, OT Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) statt. Hier versammelten sich etwa 30 Teilnehmer unter dem Motto "Wir gedenken der Bombenopfer von Dresden". Im Zusammenhang mit dem 65. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Dessau im Zweiten Weltkrieg versammelten sich am 7. März in Dessau-Roßlau etwa 30 Personen der rechtsextremistischen Szene zu einer Mahnwache. Am 13. März fand dort ein Aufzug durch die Innenstadt unter dem Motto "Gegen das Vergessen - 65. Jahrestag Bombardierung Dessau - Wir gedenken der Opfer" mit etwa 240 Personen der rechtsextremistischen Szene aus Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Sachsen und Brandenburg statt. Die Teilnehmer führten zahlreiche Transparente und Fahnen mit. In Merseburg (Saalekreis) trafen sich am 19. Juni Rechtsextremisten aus den Bereichen Dessau-Roßlau, Halle, Köthen (Anhalt) und Magdeburg, um gemeinsam an einer Demonstration unter dem Motto "Arbeiter im Kampf für die Freiheit - Damals wie heute 17. Juni 1953-2010" teilzunehmen. Am 14. August fand in Bad Nenndorf (Niedersachsen) ein so genannter Trauermarsch für die Opfer "alliierter Kriegsund Nachkriegsverbrecher" unter dem Motto "Gegen Lüge der Befreiung" statt. An der Veranstaltung nahmen etwa 800 Rechtsextremisten teil. Die Teilnehmer führten zahlreiche Fahnen und Transparente mit, darunter auch ein Transparent mit der Aufschrift "Der Himmel färbte sich blutrot...und sie brachten Tod und Elend! Kein Vergeben - kein Vergessen! Freie Nationalisten aus Dessau und Anhalt Bitterfeld". 29 Am 7. August beteiligten sich Personen der rechtsextremistischen Szene aus der Region Wittenberg am "Deutsche Stimme"Pressefest der NPD in Niesky, OT Jänkendorf (Sachsen).18 Rechtsextremistische Szene im Landkreis MansfeldSüdharz Die teilweise neonazistisch ausgerichtete rechtsextremistische Szene in der Region Mansfeld-Südharz umfasst etwa 20 bis 30 Personen. Enrico MARX aus Allstedt, OT Sotterhausen, der weiterhin als Führungsperson der rechtsextremistischen Szene in der Region gilt, trat bei unterschiedlichen Veranstaltungen in Erscheinung. Gleichwohl ging die Anzahl der in seinem Objekt durchgeführten szenetypischen Veranstaltungen, zum Beispiel "Kameradschaftstreffen" mit Partycharakter oder Vortragsund Schulungsveranstaltungen, leicht zurück. Am 24. Januar organisierte MARX in seinem Objekt eine Veranstaltung zur Erinnerung an die Reichsgründung am 18. Januar 1871. Es beteiligten sich unter anderem Personen aus dem Raum Sangerhausen und dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Die Teilnehmer legten auf dem Gelände des Schlosses von Allstedt einen Kranz für die gefallenen deutschen Soldaten nieder. Am 11. Februar führten etwa 20 Personen der rechtsextremistischen Szene unter dem Motto "Ein Licht für Dresden" eine Mahnwache in Sangerhausen durch. Während der 75-minütigen Veranstaltung wurden Flugblätter verteilt und schwarze Fahnen mit den Aufschriften "Anhalt-Bitterfeld", "Sotterhausen" und "Sangerhausen" mitgeführt. Zudem wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Im Krieg ist die Wahrheit das erste Opfer!" gezeigt. 18 Siehe Seite 43. 30 Am 14. November richtete MARX in seinem Objekt eine "Heldengedenkfeier" aus. Die etwa 40 rechtsextremistischen Veranstaltungsteilnehmer legten gemeinsam einen Kranz am Kriegerdenkmal in der Nähe des Schlosses in Allstedt ab. ORGANISATIONSÜBERGREIFENDE AKTIVITÄTEN Rechtsextremisten nutzten erneut allgemeine Gedenktage wie den 1. Mai, den 8. Mai, den 17. Juni und den Volkstrauertag sowie die Jahrestage von Bombardements deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, um diese im Sinne ihrer Propaganda umzudeuten und entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Sie entfalteten darüber hinaus wie in den Vorjahren Aktivitäten zu Geburtsund Todestagen von Nationalsozialisten. Aktivitäten zum Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg Anlässlich des 65. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg rief der Landesverband Sachsen/Niederschlesien der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) für den 13. Februar zu einem so genannten Trauermarsch unter dem Motto "In Würde unserer Toten gedenken" in Dresden auf. Während sich am Ausgangspunkt der Kundgebung etwa 6.400 Rechtsextremisten versammelten, kam es zu massiven Störaktionen, zu denen überwiegend linksextremistische Gruppierungen aufgerufen hatten. Rund 9.500 Gegendemonstranten - unter ihnen bis zu 3.000 gewaltbereite Linksextremisten - gelang es, durch Sitzblockaden, Straßensperrungen und Barrikaden sowohl die genehmigte Kundgebungsroute als auch eine Alternativroute zu blockieren. So konnte lediglich eine akustisch kaum wahrnehmbare Auftaktveranstaltung durchgeführt werden. Die Kundgebung am Bahnhof Dresden-Neustadt wurde von Kai PFÜRSTINGER (Funktionär der JLO Sachsen/Niederschlesien) eröffnet. Szeneangaben zufolge traten als weitere Redner der JNBundesvorsitzende SCHÄFER (Wernigerode, Landkreis Harz), Se31 bastian RICHTER (Mitglied im JN-Bundesvorstand, Brandenburg) und BIERE (Vertreter der "Initiative gegen das Vergessen") auf. Nach dem JLO-Aufzug versammelten sich Rechtsextremisten in mehreren Bundesländern zu Spontandemonstrationen, bei denen es zu massiven Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. In Pirna (Sachsen) nahmen 400 Rechtsextremisten an einer Veranstaltung teil, in deren Verlauf Presseangaben zufolge Fensterscheiben des Büros einer SPD-Landtagsabgeordneten mit Steinen eingeworfen wurden. In Gera (Thüringen) wurden 183 Rechtsextremisten, darunter drei aus dem Burgenlandkreis bei einem Spontanaufzug vorläufig festgenommen, nachdem sie eine Polizeikette durchbrochen hatten. Gegen die Personen wird wegen Landfriedensbruches ermittelt. Rechtsextremisten veranstalteten in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Aktionswoche "Ein Licht für Dresden" Mahnwachen in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz), Staßfurt (Salzlandkreis) und Bitterfeld-Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld). Auf der Internetseite der "Autonomen Nationalisten Stendal" hieß es unter der Überschrift "Ein Licht für Dresden...", man habe in den Abendstunden des 11. Februar etwa 3.500 Flugblätter zum Gedenkmarsch am 13. Februar in Dresden verteilt.19 In dem Artikel wurde auch hinterfragt, ob zentrale Gedenkmärsche wie in Dresden noch "lohnenswert" seien oder ob es nicht besser sei, kleinere Aktionen und Demonstrationen durchzuführen. Aktivitäten zum Todestag von Horst WESSEL Vereinzelt war zu beobachten, dass Rechtsextremisten den Todestag des 1930 ermordeten SA-Sturmführers Horst WESSEL am 23. Februar (ähnlich den Aktionen zum Todestag von Rudolf HESS) zum Anlass nahmen, entsprechende Flugschriften zu verteilen. Aktivitäten, die Außenwirkung erzielten, waren nicht zu verzeichnen. 19 Die Verfassungsschutzbehörde kann eine solche Flugblattverteilung nicht bestätigen. 32 Aktivitäten zum "Hitlergeburtstag" In zeitlicher Nähe zum 20. April wurden keine öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen von Rechtsextremisten bekannt. Gleichwohl kam es zu Zusammenkünften von Rechtsextremisten im privaten Rahmen. Aktivitäten zum 1. Mai In Halberstadt (Landkreis Harz) betrieben NPD-Angehörige am 1. Mai einen Informationsstand und verteilten Flugblätter. Aktivitäten zum 8. Mai In Magdeburg stellten Unbekannte am 8. Mai in unmittelbarer Nähe zu einem russischen Ehrenmal schwarze Holzkreuze auf. Die Kreuze waren mit der Aufschrift "8. Mai - befreit?" versehen. Dies wurde auf der Internetseite der JN Sachsen-Anhalt als propagandistischer Erfolg gewertet. Am selben Tag wurden solche Holzkreuze auch im Saalekreis festgestellt. Sie wurden in mehreren Ortsteilen von Schkopau an Straßenrändern aufgestellt und waren mit Aufschriften wie "8. Mai - wir feiern nicht" und "15 Millionen Vertriebene" versehen. Am 8. Mai errichteten fünf NPD-Mitglieder auf dem Marktplatz von Quedlinburg (Landkreis Harz) einen Informationsstand. Dabei kam es zu einer Auseinandersetzung mit NPD-Gegnern, die jedoch von Polizeibeamten beendet wurde. In Merseburg (Saalekreis) beschmierten Unbekannte Grabsteine auf einem Ehrenfriedhof mit Parolen wie "8. Mai-Fest der Sieger" oder "Die selben Täter morden und vertreiben weiter im Namen der Befreiung". 33 Auf szenebekannten Internetseiten wurde darüber hinaus über "Pflegeaktionen" an Kriegsdenkmälern und Kriegsgräbern in der Altmark sowie im Raum Wolmirstedt (Landkreis Börde) berichtet. Eine durch einen Szeneangehörigen für den 8. Mai in Merseburg (Saalekreis) angemeldete Veranstaltung unter dem Motto "08. Mai - Kein Tag der Befreiung" wurde vom zuständigen Ordnungsamt verboten. Aktivitäten zum 17. Juni Am 17. Juni fand in den von der rechtsextremistischen Szene genutzten Räumlichkeiten in Magdeburg, Bereich "Flora-Park", eine Vortragsveranstaltung zum Thema "Volksaufstand am 17. Juni 1953" statt, an der etwa 30 Personen teilnahmen.20 Am 19. Juni fand in Merseburg (Saalekreis) eine Demonstration der NPD mit dem Thema "Arbeiter im Kampf für die Freiheit - Damals wie heute 17. Juni 1953-2010" statt. An der Versammlung nahmen etwa 250 Personen teil. Sommersonnenwendfeiern Am 19. Juni wurden an einem stillgelegten Kalksteinschacht bei Staßfurt, OT Förderstedt (Salzlandkreis) etwa 30 Personen festgestellt, die eine Sommersonnenwendfeier durchführen wollten. Unter ihnen waren auch zahlreiche amtsbekannte Angehörige der rechtsextremistischen Szene. Es waren bereits ein Zelt aufgebaut und Vorbereitungen für ein Lagerfeuer getroffen worden. Die Polizei stellte die Personalien der Anwesenden fest und erteilte Platzverweise. Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltungen Die zentralen Kundgebungen zum Todestag des HitlerStellvertreters Rudolf HESS in Wunsiedel (Bayern) blieben bereits 20 Siehe Seite 21. 34 seit dem Jahr 2005 verboten. Die Teilnehmerzahlen der seitdem durchgeführten Ersatzveranstaltungen sind kontinuierlich rückläufig. Auch im Berichtsjahr gab es keine zentrale Kundgebung. Kleinere Veranstaltungen, an denen insgesamt etwa 200 Personen teilnahmen, fanden in Neumünster (Schleswig-Holstein), Stralsund (Mecklenburg-Vorpommern) und im Raum Mittelhessen statt. Das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt hatte, wie bereits in den Vorjahren, eine Allgemeinverfügung erlassen, die öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel sowie Aufzüge, die aus Anlass oder im Zusammenhang mit dem 23. Todestag von HESS standen, in der Zeit vom 14. bis 19. August für das Hoheitsgebiet des Landes verbot. Diese Maßnahme beinhaltete auch jegliche damit verbundene Ersatzveranstaltungen. Entsprechende Versammlungen in Sachsen-Anhalt sind nicht bekannt geworden. Darüber hinaus fanden jedoch landesweit zahlreiche Propagandaaktionen statt, wie beispielsweise Farbschmierereien, Plakatierungen, Flugblattverteilungen und Anbringungen von Transparenten. So wurden zum Beispiel am 17. August sämtliche Ortseingangsschilder der Stadt Tangermünde (Landkreis Stendal) mit Plakaten mit der Aufschrift "Rudolf-Heß-Stadt" überklebt. "6. Nationaler Antikriegstag" in Dortmund (NordrheinWestfalen) Am 4. September fand in Dortmund eine Demonstration unter dem Motto "6. Nationaler Antikriegstag" statt. Aus Sachsen-Anhalt reisten Rechtsextremisten unter anderem aus den Räumen Halle, Magdeburg, Merseburg (Saalekreis) und Quedlinburg (Landkreis Harz) an. Demonstration am 16. Oktober in Leipzig (Sachsen) Am 16. Oktober fand in Leipzig eine Demonstration der rechtsextremistischen Szene unter dem Motto "Recht auf Zukunft" statt. Nach mehreren linksextremistischen Brandanschlägen auf Verteilerkästen von Eisenbahn-Signalanlagen war der Bahnverkehr im 35 Raum Halle-Leipzig am 16. Oktober stark beeinträchtigt, so dass einige Züge ihre Fahrt in Halle beenden mussten. Hiervon waren auch etwa 200 nach Leipzig reisende Rechtsextremisten betroffen, die sich in der Folge auf dem Hauptbahnhof von Halle aufhielten. Diese Personengruppe führte daraufhin eine Spontanversammlung durch, die allerdings von der Polizei beendet wurde. Die Rechtsextremisten reisten später nach Leipzig weiter. Aktivitäten zum "Heldengedenken" (Volkstrauertag) Anlässlich des Volkstrauertages am 14. November nahmen Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt an Veranstaltungen des öffentlichen Lebens teil oder führten selbstorganisierte Zusammenkünfte durch. Dies betraf unter anderem die Orte Allstedt (Landkreis MansfeldSüdharz), Stendal, Tangerhütte (beide Landkreis Stendal), Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel) sowie Naumburg, OT Bad Kösen und Weißenfels (beide Burgenlandkreis). DISKURSORIENTIERTER RECHTSEXTREMISMUS ("NEUE RECHTE") Im Bereich des rechtskonservativen Lagers hat sich seit einigen Jahrzehnten eine politische Strömung etabliert, die gemeinhin als "Neue Rechte" bezeichnet wird. Die "Neue Rechte" verbreitet ihre rechtskonservativen Auffassungen von Staat und Gesellschaft zumeist über publizistische Aktivitäten. Die Autoren der "Neuen Rechten" achten in der Regel darauf, dass ihren Äußerungen nicht das Attribut "rechtsextremistisch" anzuheften ist. Die "Neue Rechte" verwischt die Trennlinien zwischen demokratischem und rechtsextremistischem Spektrum. Versucht wird aber der Anschluss an die Diskurse in der Mitte der Gesellschaft, modern und moderat, ohne jedoch Einfluss auf das rechte Lager als Ganzes zu verlieren. Hinter dem oftmals maßvollen Duktus verbergen sich häufig anti-demokratische und mitunter fremdenfeindliche Konzepte. 36 Die Verfassungsschutzbehörde rechnet der "Neuen Rechten" nur Rechtsextremisten und deren Gruppierungen und Publikationen zu. Bei den in Sachsen-Anhalt ansässigen Personen und publizierenden Einrichtungen sind die Voraussetzungen der SSSS 4 und 5 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) - das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für zielund zweckgerichtete Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung - derzeit nicht gegeben. Das schließt nicht aus, dass solche Publikationen und Einrichtungen sich selbst als Teil einer - nach anderen Kriterien definierten - "Neuen Rechten" sehen. NUTZUNG NEUER MEDIEN DURCH RECHTSEXTREMISTEN Das Internet zählt seit Jahren zu einem unverzichtbaren Element im nationalen und internationalen Rechtsextremismus und bildet eine bedeutende Plattform zur Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie, Mobilisierung der Anhänger und Werbung neuer Sympathisanten. Um diese Ziele zu erreichen, sind Rechtsextremisten in allen Bereichen des Internets präsent. Zur Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda sowie zur Mobilisierung und Steuerung der Szene nutzen Rechtsextremisten vor allem eigene Homepages. Darüber hinaus bedienen sie sich in zunehmendem Maße der multimedialen und interaktiven Möglichkeiten des Internets, um ihre Weltanschauung zu verbreiten und aktiv auf die politische Meinungsund Willensbildung Einfluss zu nehmen. Die Anzahl der von Deutschen betriebenen rechtsextremistischen Homepages blieb auch 2010 mit etwa 1.000 Angeboten auf dem konstant hohen Niveau der Vorjahre. Zu berücksichtigen ist dabei die anhaltend starke Fluktuation dieser Seiten im Gesamtbestand. Häufig wechseln die Betreiber der Seiten ihren Speicherplatz - zum Beispiel wegen einer Sperrung durch den Provider - oder stellen ihre Internetaktivitäten ganz ein. Gleichzeitig erscheinen fast täglich neue rechtsextremistische Internet-Präsenzen - oft mit nur kurzer "Lebensdauer". Die von deutschen Rechtsextremisten ins Internet eingestellten Inhalte sind in der Regel so formuliert, dass die rechtsextremistische Zielsetzung klar erkennbar ist, ohne dass die Grenze 37 zur Strafbarkeit überschritten wird. Internetseiten mit nach deutschem Recht strafbaren Inhalten werden weiterhin anonym über das Ausland ins Netz gestellt. Die Urheber derartiger Internetinhalte agieren zumeist konspirativ und unter Ausnutzung aller vorhandenen Möglichkeiten zur Verschleierung. Nutzung von Web 2.0 Ein großer Teil der rechtsextremistischen Propaganda wurde in der Vergangenheit "passiv" im Internet bereitgestellt. Danach oblag es dem Nutzer, eine einschlägige Adresse aufzurufen oder einem Link zu einer entsprechenden Homepage zu folgen. Eine Kommunikation mit dem Betreiber fand allenfalls über so genannte Gästebücher statt. Neue Internetpräsenzen erscheinen zunehmend als so genannte Web 2.0-Angebote mit interaktiven Beteiligungsmöglichkeiten über Kommentare und Blog-Funktionen. Der Nutzer soll dazu animiert werden, sich aktiv in die rechtsextremistische Arbeit einzubringen und diese mitzugestalten. Dabei gewinnt insbesondere die Nutzung nicht-extremistischer sozialer Netzwerke durch Extremisten an Bedeutung. Die wechselseitigen Verlinkungen unter den Nutzern fördern die Bildung virtueller "Freundeskreise", über die Rechtsextremisten - auch über die Grenzen der rechtsextremistischen Szene hinaus - Kontakte suchen und so auch Unbeteiligte mit ihrer Propaganda konfrontieren. Nachdem vereinzelt Betreiber solcher unpolitischen Plattformen dazu übergingen, eindeutig rechtsextremistische Nutzer auszuschließen, gründeten betroffene Rechtsextremisten eigene OnlineCommunities für Gleichgesinnte. Dem allgemeinen Trend folgend, nutzen auch Rechtsextremisten das Potenzial von Internetdiensten wie zum Beispiel "Twitter", um zeitgleich und zeitnah aktuelle Meldungen, Termine, Mobilisierungsaufrufe und Veranstaltungskoordinierungen auf Computer und Mobiltelefone eines großen Adressatenkreises zu steuern. 38 Videoplattformen Auch im Berichtsjahr nutzten Rechtsextremisten Videoplattformen im Internet zur Verbreitung selbsterstellter Filme. Diese Kurzvideos mit Aufnahmen von Demonstrationen, Werbebotschaften von Parteien und Kameradschaften und Musikclips rechtsextremistischer Bands stoßen insbesondere bei jugendlichen Internetnutzern auf reges Interesse. Daneben wurden immer wieder Videos mit gewaltverherrlichenden, rassistischen und verfassungswidrigen Inhalten und Symbolen veröffentlicht, die zumeist anonym über das Ausland eingestellt worden waren. Rechtsextremistisches Internetradio und -TV Bereits in der Vergangenheit betrieben Rechtsextremisten so genanntes Internet-TV. Dabei handelte es sich um fertig produzierte Filmbeiträge, die als "Konserve" im Internet abgerufen werden konnten. Nach und nach kamen via Internet ausgestrahlte LiveSendungen hinzu, die auch eine anschließende Interaktion mit den Zuschauern umfassten. Darüber hinaus existieren diverse Internetradios, die vornehmlich rechtsextremistische Musik mit zum Teil strafbaren Texten senden. Dabei handelt es sich sowohl um Podcasts als auch um 24-Stunden-Livestreams oder auch Radioprojekte, die lediglich zu bestimmten Zeiten senden. Über eine "Hörerbeteiligung" haben Nutzer die Möglichkeit, auf die Programmgestaltung Einfluss zu nehmen. Auch in Sachsen-Anhalt existieren derartige, von hier ansässigen Rechtsextremisten betriebene Internetradios. 39 RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND VEREINIGUNGEN "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Die 1964 gegründete NPD wird seit März 1996 von Udo VOIGT geführt. Mit bundesweit rund 6.600 Mitgliedern ist sie trotz eines anhaltenden Mitgliederrückgangs (2009: 6.800; 2008: 7.000) weiterhin die größte rechtsextremistische Partei in Deutschland. Nach wie vor hat die NPD innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums aufgrund ihrer strukturellen, organisatorischen und politischen Möglichkeiten hohe Bedeutung. Vor allem in den neuen Bundesländern versucht die NPD, sich flächendeckend zu etablieren und konnte dabei in den vergangenen Jahren gewisse Erfolge verzeichnen. In Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern ist sie im Landtag vertreten. Bundesweit verfügt die NPD darüber hinaus über etwa 330 Kommunalmandate. In Sachsen-Anhalt ist die NPD mit 30 Mandaten in Kommunalparlamenten vertreten. Entwicklung der Bundespartei Die NPD führte am 4./5. Juni in Bamberg (Bayern) ihren seit 2007 mehrfach verschobenen Programmparteitag durch. Noch vor Beginn des Parteitages kündigten die Parteivorsitzenden von NPD und DVU, Udo VOIGT und Matthias FAUST, in einer Pressekonferenz an, eine Verschmelzung beider Parteien herbeiführen zu wollen. Eine auf den 12. Mai datierte Entwurfsvorlage der Programmkommission unter dem Titel "Das Parteiprogramm der NPD. Arbeit, Familie, Vaterland" fand die mehrheitliche Zustimmung des Parteitages. Insgesamt sechs Kapitel befassen sich mit Wirtschaftsund Sozialfragen. Dieser Themenbereich stellt einen Schwerpunkt des neuen Programms dar. Die NPD setzt programmatisch weiterhin kompromisslos auf das Konzept der "Volksgemeinschaft". Dieses Prinzip findet in den verschiedenen Programmfeldern durchgehend Anwendung. Das die Einwanderungsfrage thematisierende Kapitel steht unter dem Titel "Deutschland den Deutschen" und trägt die 40 Unterüberschrift "Integration ist Völkermord". Das zeitgeschichtlichen Fragen gewidmete Kapitel trägt die Überschrift "Schuldkult beenden". Dort fordert die NPD, dem "staatlich verordneten Schuldkult", der nicht zuletzt "im Dienst fremder Finanzinteressen" stehe, eine Absage zu erteilen. Besondere Aufmerksamkeit auf dem Parteitag erhielt der NPDLandesvorsitzende von Sachsen-Anhalt Matthias HEYDER,21 der in seiner Rede eindringlich um Unterstützung für die hiesige Landtagswahl am 20. März 2011 bat. Der Einzug in den Landtag, so HEYDER, ziele nicht darauf ab, Teil des Systems zu werden oder auch nur einen Millimeter von den eigenen Positionen abzurücken. Selbstverständlich vertrete der Landesverband den Standpunkt, dass es sich um ein "kaltes, zubetoniertes, volksfeindliches, asoziales System" handele, das nicht zu verändern, sondern abzuschaffen sei. Am 6. November fand in Hohenmölsen (Burgenlandkreis) ein außerordentlicher NPD-Bundesparteitag unter dem Motto "Gemeinsam stärker / Zur Fusion von NPD und DVU" statt. VOIGT thematisierte in seiner Rede die geplante Verschmelzung mit der DVU und deren Entwicklung bis zur Mitgliederabstimmung. Der Verschmelzungsvertrag wurde verlesen und erläutert. FAUST wurde als dritter stellvertretender Parteivorsitzender der NPD gewählt. Die DVU-Funktionäre Heiner HÖVING (Oschersleben, Landkreis Börde) und Ingmar KNOP (Dessau-Roßlau, Landesvorsitzender der DVU Sachsen-Anhalt) wurden als Beisitzer in den NPD-Parteivorstand aufgenommen. Auf den im November und Dezember stattgefundenen Parteitagen von NPD und DVU wurde die Fusion der Parteien beschlossen. Bei der Mitgliederbefragung der NPD befürworteten 92,5 Prozent, bei der Mitgliederbefragung der DVU rund 87,5 Prozent der teilnehmenden Mitglieder den Zusammenschluss. Am 29. Dezember unterzeichneten die beiden Parteivorsitzenden VOIGT und FAUST den Verschmelzungsvertrag. Die zum 21 Nachfolger HEYDERs als Landesvorsitzender wurde im Juni 2011 Peter WALDE. 41 1. Januar 2011 fusionierte Partei trägt den Namen "Nationaldemokratische Partei Deutschlands - Die Volksunion".22 Aktivitäten der Bundespartei Die NPD wendet sich auf einer bislang nicht offiziell vorgestellten Internetseite (www.enpd.de) an potenzielle US-amerikanische Sympathisanten und Unterstützer. In einer verklärten Selbstdarstellung heißt es dort unter anderem, dass es das "erste Ziel" der Partei sei, "stark wie die "Front National" in Frankreich oder die "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ) in Österreich" zu werden. Daher seien der Einzug in den "Reichstag und das europäische Parlament die nächsten Ziele". Die NPD respektiere die "Eigenheiten der Völker Europas und der Welt" und rufe deswegen die US-amerikanischen Leser auf, die Arbeit der Partei für eine bessere Zukunft "für unsere Völker" zu unterstützen. Zu diesem Zweck sind die Bankdaten der NPD für Überweisungen aus dem Ausland angegeben. Seit Anfang April bietet die NPD-Parteizentrale mit einem eigenen "Netzdienst" Speicherplatz an, der dem "reibungslosen Betrieb der Weltnetzseiten" ihrer Anhänger dienen soll. Dahinter steckt die Strategie, die befürchtete finanzielle Ausblutung der NPD mit dem Aufbau einer eigenen Infrastruktur zu verhindern. Die NPD setzte ihren "Kampf um die Straße" auch im Berichtsjahr fort. Zum 1. Mai organisierte die NPD fünf dezentrale Demonstrationen mit insgesamt rund 1.400 Teilnehmern. Die größten Veranstaltungen mit je rund 450 Teilnehmern fanden in Erfurt unter dem Motto "Arbeit statt Abwanderung" und in Rostock (MecklenburgVorpommern) statt. 22 Mit Beschluss des Landgerichts (LG) München I vom 25. Januar 2011 (Az.: 20 O 25065/10) wurde die Fusion zunächst als rechtlich unwirksam gestoppt. Das Gericht gab dem Antrag von vier Landesverbänden der DVU auf eine einstweilige Verfügung statt, da es bei der Urabstimmung in der DVU erhebliche Mängel gegeben habe. Das LG München I nahm am 27. Mai 2011 den nunmehr gestellten Antrag der DVU-Landesverbände Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein auf Eröffnung eines so genannten Hauptsacheverfahrens an (Stand: 27. Mai 2011). Siehe Seite 54ff. 42 Wie bereits dargestellt, wird über rechtsextremistische Musik versucht, Jugendliche oder junge Erwachsene an die rechtsextremistische Szene sowie ihre Ideologie heranzuführen und langfristig zu binden. Rechtsextremistische Bands und Liedermacher werden deshalb bei NPD-Veranstaltungen regelmäßig im Rahmenprogramm angekündigt, bilden im Veranstaltungsverlauf aber häufig den eigentlichen Schwerpunkt. Am 11. Juli fand in Gera (Thüringen) unter dem Motto "Deutsches Geld für deutsche Ausgaben - Raus aus dem Euro!" die alljährlich organisierte Konzertveranstaltung "Rock für Deutschland" statt. Hierfür war vor allem über InternetMobilisierungsseiten geworben worden. An der Veranstaltung nahmen etwa 1.200 Personen teil. Es spielten die rechtsextremistischen Bands "Wiege des Schicksals", "Fight Tonight", "Carpe Diem", "Projekt Vril" und "Frontalkraft". Als Redner traten die NPDFunktionäre Frank SCHWERDT (Landesvorsitzender der NPD in Thüringen), Patrick SCHRÖDER (Beisitzer im Landesvorstand Bayern) und Andreas STORR (Mitglied des Sächsischen Landtages) auf. Am 7. August fand am Quitzdorfer Stausee in Niesky, OT Jänkendorf (Sachsen) das Pressefest der NPD-eigenen "Deutschen Stimme Verlagsgesellschaft" (DS) statt. An der Veranstaltung nahmen rund 2.000 Besucher teil, darunter auch Personen der rechtsextremistischen Szene in der Region Wittenberg (Landkreis Wittenberg). Das musikalische Programm bestritten die rechtsextremistischen Bands "Brutal Attack", "Sturmwehr", "Sleipnir" und "Ü-Band" sowie der rechtsextremistische Liedermacher Frank RENNICKE. Als Redner traten die NPD-Funktionäre VOIGT, Holger APFEL (Vorsitzender der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag), Dr. Olaf ROSE (Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag) sowie die ausländischen Rechtsextremisten Alexander KAMKIN (Russland), Alberto TORRESANO (Spanien) und Tomislav SUNIC (Kroatien) auf. Erstmals verlieh die DS einen so genannten Widerstandspreis an "verdiente Nationalisten". Preisträger ist das neonazistische "Gedenkbündnis Bad Nenndorf", das seit fünf Jahren Ausrichter einer 43 alljährlichen Demonstration "zur Erinnerung an den alliierten Nachkriegsterror und die Verbrechen der Siegerjustiz" ist.23 Die "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) der NPD hat am 11. September auf einer Vollversammlung in Gieckau (Burgenlandkreis) ihren Vorstand neu gewählt. Der bisherige KPV-Chef Hartmut KRIEN (Sachsen) sowie sein Stellvertreter, der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Karl RICHTER (Bayern), wurden in ihren Ämtern bestätigt. Neuer Schatzmeister wurde DIETRICH (Braunsbedra, Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Halle). Selbstgestecktes Ziel der KPV ist es, "die wachsende Bereitschaft der Wähler, ihre Stimme der NPD zu geben, flächendeckend in konkrete kommunale Wahlerfolge umzusetzen und bereits errungene Mandate zu festigen und auszubauen". Intellektualisierungsbemühungen Seit gut einem Jahrzehnt gibt es innerhalb der NPD Bemühungen, die Theoriearbeit zu intensivieren. Am 24./25. April veranstaltete das NPD-nahe "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V." (Bildungswerk) unter dem Motto "Nation und Europa I" im Erzgebirge (Sachsen) ein Jugendseminar für "Schüler, Studenten und junge Akademiker". Der Teilnehmerkreis reichte den Organisatoren zufolge "von Aktivisten der 'Jungen Nationaldemokraten' (JN) und Vertretern des parteifreien Spektrums bis hin zu Rechtskonservativen, Burschenschaftlern und Traditionalisten". An dieser Veranstaltung nahmen lediglich 15 Personen teil. Die Referenten befassten sich mit nationalistischen und völkischen Europakonzeptionen von der "Konservativen Revolution" bis zum "Euro-Faschismus" sowie mit dem Thema "Waffen-SS". Das Bildungswerk wurde bereits am 18. April 2005 gegründet. In einer Presseerklärung der sächsischen NPD-Landtagsfraktion wertete die Partei die Gründung des Vereins als einen Beitrag zur "weiteren Professionalisierung der politischen Arbeit der nationalen Op23 Siehe Seite 29. 44 position". Aufgabe des Bildungswerkes sei es, durch Seminare und Publikationen Denkansätze der NPD in den öffentlichen Diskurs einzubringen und zu popularisieren. Das Bildungswerk entfaltete in den folgenden Jahren kaum Aktivitäten und blieb wirkungslos. "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Am 16. September 2006 wurde in Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) der "Ring Nationaler Frauen" (RNF) gegründet. Er sieht sich als Sprachrohr und Ansprechpartner für "nationale Frauen, unabhängig von einer NPD-Mitgliedschaft". Diese sollen durch den RNF stärker in die politische Arbeit einbezogen werden. Der RNF verfügt über eine eigene Internetpräsenz, über die auch eigene Pressemitteilungen veröffentlicht werden. Am 23. Oktober fand in Halberstadt (Landkreis Harz) ein Bundeskongress der NPD-Frauenorganisation statt. Unter den etwa 40 Teilnehmern befanden sich unter anderem HEYDER, das NPDPräsidiumsmitglied SCHWERDT (Thüringen) sowie der DVUVorsitzende FAUST. Der RNF-Vorstand vergab im Berichtsjahr erstmals die Auszeichnung "Frau des Jahres". Geehrt wurde die langjährige Vorsitzende der neonazistischen HNG Ursel MÜLLER (Rheinland-Pfalz). Alte und neue Bundesvorsitzende ist Edda SCHMIDT (BadenWürttemberg), stellvertretende Bundesvorsitzende sind Ricarda RIEFLING (Niedersachsen) und Judith ROTHE (Allstedt, OT Sotterhausen, Landkreis Mansfeld-Südharz). Dem Vorstand gehören außerdem Stella HÄHNEL (Brandenburg), Jasmin APFEL (Sachsen), Heidrun WALDE (Schneidlingen, Salzlandkreis) und Jennifer BARGIEL (Rheinland-Pfalz) an. Einer Pressemeldung des RNF von Ende März war zu entnehmen, dass ROTHE als Landesvorsitzende wiedergewählt wurde. Der Landesverband Sachsen-Anhalt des RNF entfaltete 2010 keinerlei öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. 45 NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt Der Mitgliederbestand des NPD-Landesverbandes Sachsen-Anhalt liegt bei etwa 250 Personen (2009: 230). Die leichte Erhöhung resultiert letztlich aus der umfangreichen Werbekampagne im Rahmen des Wahlkampfes für die Landtagswahl im März 2011 in Sachsen-Anhalt. Aus den Bemühungen um eine Fusion mit der DVU konnte der NPD-Landesverband hinsichtlich der Mitgliederzahl kaum Nutzen ziehen. Der Landesverband gliederte sich 2010 unverändert in elf Kreisverbände und mehrere Ortsbereichsgruppen. Vorbereitungen der NPD auf die Landtagswahl 2011 Der NPD-Landesverband hat sich in Absprache mit dem Parteivorstand frühzeitig auf die Teilnahme an der Landtagswahl vorbereitet. Zu Beginn des Jahres 2009 wurden hierfür die strategischen Maßnahmen beschlossen und seitdem sukzessive umgesetzt. Auf einem Landesparteitag der NPD am 24. April in Halberstadt (Landkreis Harz) wurde eine 20-köpfige Landesliste aufgestellt. Erwartungsgemäß finden sich die neonazistisch geprägten "Reformer" wie HEYDER, Matthias GÄRTNER (JN-Bundesschulungsleiter und Stadtrat in Magdeburg), SCHÄFER (JN-Bundesvorsitzender, Stadtrat in Wernigerode und Abgeordneter im Kreistag Harz) und Philipp VALENTA (stellvertretender JN-Bundesvorsitzender, Stadtrat in Bernburg und Abgeordneter im Kreistag Salzlandkreis) auf den vorderen Listenplätzen. Traditionalistische NPD-Mitglieder erreichten mittlere und hintere Platzierungen. Die Vorbereitung auf die Landtagswahl umfasst neben dem Rückgriff auf kommunale Mandatsträger bei der Kandidatenauswahl die Inanspruchnahme personeller, finanzieller und logistischer Hilfen der Bundespartei und aller anderen Landesverbände. Dies schließt - bei allen Ressentiments, die zwischen den "Freien Nationalisten" und der Partei eine Rolle spielen - auch das Engagement der hiesigen Neonazi-Kameradschaftsszene im Wahlkampf ein. Der NPD-Spitzenkandidat HEYDER führt den Landesverband Sachsen-Anhalt seit September 2008, zunächst als kommissari46 scher und seit Februar 2009 als gewählter Landesvorsitzender. Während es unter seiner Vorgängerin HOLZ zu gravierenden parteiinternen Verwerfungen gekommen war, unternahm HEYDER den Versuch, den vergleichsweise kleinen Landesverband zu konsolidieren. In der Auseinandersetzung mit HOLZ hatte er vor allem die Unterstützung der ihm auf den Plätzen zwei bis vier folgenden Landtagskandidaten erhalten. Kennzeichnend für die NPD in Sachsen-Anhalt ist vor allem eine enge Einbindung von JN-Aktivisten. Neben der NPD-Wahlkampfwerbung im Internet - hier unter anderem die Darstellung der Spitzenkandidaten HEYDER, SCHÄFER, VALENTA, GÄRTNER und WALDE - und der Verteilung zahlreicher Postwurfsendungen in Form einer Postkarte mit dem Konterfei des Spitzenkandidaten HEYDER präsentiert sich letzterer auch ausgiebig über eine Profilseite bei "Facebook". Die Chancen für den angestrebten Einzug der NPD in den Landtag von Sachsen-Anhalt wurden durch den frühzeitigen Verzicht der DVU auf eine eigene Kandidatur verbessert. Das bisherige SPD-Mitglied Hans PÜSCHEL, Ortsbürgermeister von Krauschwitz (Gemeinde Teuchern, Burgenlandkreis), besuchte am 6. November den NPD-Bundesparteitag in Hohenmölsen (Burgenlandkreis) und veröffentlichte seinen "Erlebnisbericht" im Internet. Darin stellte er unter anderem fest, er habe auf dem Parteitag "kaum einen Satz gefunden habe, den ich nicht selbst unterschreiben würde...Ich denke, wenn die (nur noch formale) Demokratie die existenziellen Probleme der Menschen und des Landes nicht löst, dann müssen es ja diejenigen versuchen, die eine vielleicht etwas andere Demokratie bzw. Volksherrschaft installieren wollen." PÜSCHEL vertiefte seine Äußerungen in verschiedenen Interviews auf einschlägigen rechtskonservativen oder rechtsextremistischen Portalen. Letztlich trat er aus der SPD aus und nahm das Angebot von HEYDER an, als Direktkandidat der NPD für den Wahlkreis 45 (Hohenmölsen-Weißenfels, Burgenlandkreis) zu kandidieren. PÜSCHEL sorgte mit seinen Äußerungen und seinem Austritt aus der SPD für die von der NPD im Wahlkampf benötigte Medienpräsenz. 47 Der NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt veröffentlichte Anfang November eine auch im Internet abrufbare achtseitige Wahlkampfzeitung mit dem Titel "WARUM NPD?". Die Publikation umfasst einerseits Beiträge zu aktuellen politischen und sozialen Themen ohne einen besonderen Landesbezug und stellt andererseits die fünf Spitzenkandidaten der Partei mit ihrer jeweiligen "Kernkompetenz" vor. Kurze Beiträge zur Inneren und Äußeren Sicherheit, zu sozialen Fragen, zur Stärkung heimischer Landwirtschaft und zur Ablehnung der Gentechnik, zu "Überfremdung" und Immigration von Muslimen und einer vermeintlich bedrohten Meinungsfreiheit ("Alle wissen: Sarrazin hat recht!") sollen ebenso plakativ eine Wahlentscheidung für die NPD begründen wie der Hinweis auf eine potenzielle Mehrheitsfähigkeit von NPD-Positionen ("Völlig normal: Rechte Ansichten auf dem Vormarsch"). In der Wahlkampfzeitung präsentiert sich HEYDER unter der Überschrift "Einigkeit und Recht und Freiheit!" als Zuständiger für die Generallinie der NPD. Der "Wirtschaftsfachmann" und Fraktionsvorsitzende der NPD-Fraktion im Kreistag des Salzlandkreises VALENTA kritisiert "Verschwendung, Filz und Korruption in der Europäischen Union". SCHÄFER, JN-Bundesvorsitzender und Kreistagsabgeordneter im Harz, prangert eine einer "Zwangskollektivierung" gleichkommende Gebietsreform und die demografische Entwicklung in Sachsen-Anhalt an. Die NPD-Landesschatzmeisterin WALDE versucht unter dem Schlagwort "Volksrente statt Altersarmut!" das Thema Familienund Rentenpolitik zu besetzen. Der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende und Bundesschulungsleiter der JN GÄRTNER geriert sich als Experte für Arbeitsmarktund Bildungsfragen. Weitere Aktivitäten des Landesverbandes Auf Einladung von drei Mitgliedern des Deutschen Bundestages fand am 31. Januar in den Räumlichkeiten des Brocken-Hotels die Veranstaltung "Grüne Frauen gehen voran - der Brocken ist bunt!" statt. Etwa 20 Personen der rechtsextremistischen Szene, darunter Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Harz und des RNFLandesverbandes, marschierten daraufhin ebenfalls an diesem Tag 48 auf den Brocken und verteilten Flugblätter im Touristensaal des Brocken-Hotels. Einem durch den Brockenwirt im Beisein der Polizei ausgesprochenen Hausverbot leisteten die Personen unmittelbar Folge. HEYDER veröffentlichte daraufhin auf verschiedenen NPDInternetseiten einen Artikel zu der Veranstaltung. In diesem bezeichnet er eine dort aufgetretene Musikgruppe als "Negertanzgruppe": "Wer den Brocken dazu benutzt, um Stimmung gegen alles Nationale zu machen, wie die Bundestagsmitglieder der Grünen, die sich am Sonntag ebenfalls auf dem Gipfel angekündigt haben, der wird schnell merken, dass der Harz immer noch die Heimat der Deutschen ist und nicht die der von den überalimentierten Bundestags-C-Promis aufgebotenen 'Negertanzgruppe'." Einer Internetmeldung des Kreisverbandes Mansfeld-Südharz von Anfang Mai ist zu entnehmen, dass dieser am 2. Mai seine Jahreshauptversammlung mit Vorstandswahl durchführte. ROTHE wurde in ihrem Amt als Vorsitzende bestätigt. Die gewählte Kreisverbandsvorsitzende beendete die Jahreshauptversammlung mit folgenden Worten: "Es ist wichtiger denn je, mehr Mandate im Landkreis zu erringen. Wir müssen noch mehr Überzeugungsarbeit beim Bürger leisten. Die Umsetzung unserer politischen Ziele steht gerade in der Ausübung unserer Mandate im Kreis-, und Stadtrat an oberster Stelle. Es ist unsere Pflicht, den Bürger über die Machenschaften hinter parlamentarischen Türen zu informieren." In Sachsen-Anhalt erreichte der Fall des ehrenamtlichen Fußballtrainers BATTKE, der beim BSC 99 Laucha (Burgenlandkreis) eine Jugendmannschaft trainiert hat, bundesweite mediale Aufmerksamkeit.24 BATTKE, der für die NPD ein Mandat im Stadtrat von Laucha sowie ein Mandat im Kreistag des Burgenlandkreises wahrnimmt, war nach zahlreichen Protesten auch offizieller Stellen als Jugend24 Siehe auch Seite 9. 49 trainer entlassen worden. Dies war für den NPD-Landesverband ein willkommenes Thema für den Landtagswahlkampf. Am 18. August rief die NPD deshalb zu einer Solidaritätskundgebung unter dem Motto "Unser Trainer heißt BATTKE" auf dem Lauchaer Marktplatz auf. Auch im Ort lagen in einigen Geschäften Unterschriftenlisten aus, auf denen Solidarität mit BATTKE bekundet werden konnte. Im Zusammenhang mit dem 14. Sachsen-Anhalt-Tag in Weißenfels (Burgenlandkreis) machten am 22. August vier Personen, darunter Andreas KARL (Billroda, Burgenlandkreis) und Denny WINTER (stellvertretender Leiter der NPD-Ortsbereichsgruppe Weißenfels), auf die Ereignisse um die Person BATTKE aufmerksam. Sie trugen dabei rote T-Shirts mit der Aufschrift "Unser Trainer heißt Lutz Battke" und zeigten entsprechende Transparente. Folgende Veranstaltungen der NPD unter dem Motto "Demokratie schützen - Bürgerrechte wahren" zielten ebenfalls auf die Ereignisse um BATTKE ab: Eine Kundgebung am 25. August vor der CDULandesgeschäftsstelle in Magdeburg, zwei anlässlich des in Bernburg (Salzlandkreis) stattfindenden Landessporttages organisierte Veranstaltungen am 25. September in Bernburg und eine Veranstaltung am selben Tag in Zerbst/Anhalt (Landkreis AnhaltBitterfeld) aufgrund des dort stattfindenden CDULandesparteitages. Am 7. November kandidierte BATTKE für die NPD in Laucha für das Bürgermeisteramt. Er erhielt 24,2 Prozent der gültigen Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag bei 64,7 Prozent. Mit dem Versuch des Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt, BATTKE die Kehrerlaubnis als Schornsteinfeger zu entziehen und seiner Entlassung als Jugendtrainer beim Sportverein "BSC 99 Laucha" geriet er in die Schlagzeilen. Sympathien erhielt er in der Hauptsache durch Eltern von ihm trainierter Kinder, die nach der Entlassung BATTKEs zunächst kein Fußballtraining absolvieren konnten. Dies nutzte die NPD zu ihren Gunsten, obgleich das relativ gute Wahlergebnis BATTKEs eher auf seine Person als auf die NPD zurückzuführen sein dürfte. 50 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) sind laut Satzung integraler Bestandteil der NPD und gelten als einzige "gewichtige" Jugendorganisation in der rechtsextremistischen Szene. Der JNBundesvorsitzende Michael SCHÄFER (Wernigerode, Landkreis Harz) ist kraft Amtes zugleich Mitglied des NPD-Parteivorstandes. Der Organisation werden bundesweit etwa 500 Personen zugerechnet. Als zentrales Publikationsorgan dient die Zeitschrift "Der Aktivist". Die JN-Bundesgeschäftsstelle, bisher in Bernburg (Salzlandkreis), befindet sich nunmehr in Halberstadt (Landkreis Harz). Postalisch ist die JN über ein Postfach in Wernigerode (Landkreis Harz) zu erreichen. Im Berichtsjahr führte die am 26. Juni auf dem 38. JNBundeskongress neu gewählte Bundesführung ihre Versuche fort, die Organisation weiter zu entwickeln. So unterstützte sie unter anderem im Rahmen von Koordinierungstreffen die Gründung eines JN-Stützpunktes in Schleswig-Holstein (bisher ein Bundesland ohne JN-Struktur). Die immer wieder von SCHÄFER propagierte Autonomie der JN trat im Berichtsjahr zugunsten der anstehenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und weiteren Bundesländern deutlich in den Hintergrund. Zu den wenigen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten gehört der am 26. Juni in Korb (Baden-Württemberg) durchgeführte 38. JN-Bundeskongress. Daran nahmen knapp 80 Personen teil. Bei den Vorstandswahlen wurde der bisherige Bundesvorsitzende SCHÄFER in seinem Amt bestätigt. Als Stellvertreter fungieren nunmehr Andy KNAPE (Magdeburg, JN-Landesvorsitzender Sachsen-Anhalt), Lars GOLD (JN-Landesvorsitzender BadenWürttemberg) und S. RICHTER (Funktionär im JN-Landesverband Brandenburg, Bundesführer der "IG Fahrt & Lager" sowie Schriftleiter von "Der Aktivist"). Für den bisherigen Bundesgeschäftsführer Philipp VALENTA (Bernburg, Salzlandkreis), der bekundete, sich 2011 schwerpunktmäßig der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt zu widmen, rückte Tobias ANDERS (Wernigerode, Landkreis Harz) nach, der ebenso wie 51 SCHÄFER Abgeordneter der NPD-Kreistagsfraktion Harz ist. Darüber hinaus gehören dem neu gewählten Bundesvorstand ein Schatzmeister sowie neun Beisitzer mit jeweils eigenen Ressorts an. Bei den stellvertretenden Bundesvorsitzenden KNAPE, GOLD und S. RICHTER handelt es sich um erfahrene Aktivisten mit ausgeprägten Verbindungen zur neonazistischen Szene. Die Scharnierfunktion der JN zwischen NPD und Neonazis dürfte somit in ihrer bisherigen Form erhalten bleiben. Am 10. April fand der im Vorfeld intensiv beworbene und von der JN veranstaltete "1. Südwestdeutsche Kulturtag 2010" in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) mit Unterstützung der NPD, des RNF und "freier Nationalisten" statt. Insgesamt erschienen etwa 170 Personen, darunter SCHÄFER, der zum Thema "1. Mai - Geschichte und Zukunft" sprach und Bezug auf die geschichtliche Entwicklung des 1. Mai als "Tag der Arbeit" nahm. Letztendlich sei dieser Feiertag durch die Nationalsozialisten eingeführt worden und existiere bis heute fort. Am 5. Juni fand am Quitzdorfer Stausee in Niesky, OT Jänkendorf (Sachsen) der "3. JN-Sachsentag" unter dem Motto "Jugend braucht Perspektiven" statt. Die wesentliche Werbung für diese Veranstaltung erfolgte über eine Mobilisierungsseite im Internet. Polizeiangaben zufolge nahmen etwa 400 Personen an dem Treffen teil, darunter auch tschechische Gäste. Während der Veranstaltung wechselten sich Reden und Musikdarbietungen ab. Dieses Konzept hat sich in der Vergangenheit bei vergleichbaren Veranstaltungen als erfolgreich erwiesen. Es dient in erster Linie dazu, Jugendliche für die politischen Ziele der NPD und ihrer Jugendorganisation zu gewinnen und an die Partei zu binden. Darüber hinaus traten die Bundes-JN außerhalb des Wahlkampfes kaum in Erscheinung. Als Jugendorganisation der NPD unterstützen die JN im Wahlkampf umfänglich ihre "Mutterpartei". Die Unterstützung der NPD erfolgte auch über eine neue Homepage mit dem Titel "Kompakt-Nachrichten", die vor allem Wahlkampfzwecken 52 dient, aber auch den inzwischen eingestellten "Nationalen Beobachter" ersetzen soll. Redaktionell verantwortlich zeichnet hier der "Nationale Bildungskreis" (NBK) der JN. Wohl vor dem Hintergrund des Wahlkampfes ist die Verlegung der JN-Geschäftsstelle nach Halberstadt (Landkreis Harz) zu betrachten, in der die NPD auch ihre Wahlkampfzentrale einrichtete. JN-Landesverband Sachsen-Anhalt Die JN in Sachsen-Anhalt sind in einen Landesverband und vier so genannte Stützpunkte strukturiert. Mit etwa 50 Mitgliedern blieb das Personenpotenzial der JN seit über fünf Jahren gleich. In Sachsen-Anhalt entwickelten sich die JN fast ausschließlich aus der Neonaziszene heraus und verstehen sich somit als Bindeglied zwischen der Partei und neonazistischen Strömungen. Neben diesen Verquickungen bemühten sich die JN bisher stets um Eigenständigkeit. Im Berichtsjahr zeigten sich in Sachsen-Anhalt jedoch kaum noch Abgrenzungen zwischen NPD und JN. Auch fanden JNFunktionäre als Kandidaten auf der Landesliste der NPD zur Landtagswahl 2011 Platz. Im Berichtsjahr blieb die Demonstration am 2. Oktober in Halberstadt (Landkreis Harz) die einzige durch den Landesverband initiierte öffentlichkeitswirksame Aktivität. Unter dem Motto "3. Oktober 1990 - Vom Regen in die Traufe! Wir wollen Leben, Freiheit, Einheit und einen souveränen Staat." verlief die hauptsächlich über das Internet beworbene Veranstaltung mit etwa 220 Teilnehmern - abgesehen von einer versuchten Sitzblockade von Gegendemonstranten - störungsfrei. Als Redner traten unter anderem SCHÄFER, KNAPE und Vertreter der rechtsextremistischen Szene aus Hessen und Sachsen auf. Die in Halberstadt durchgeführte Demonstration galt als Einstieg der NPD in den Landtagswahlkampf 2011. 53 "Deutsche Volksunion" (DVU) Aus der mit dem Rückzug des langjährigen Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard FREY Anfang 2009 begonnenen Umbruchphase konnte die rechtsextremistische DVU auch im Berichtsjahr nicht den gewünschten Nutzen ziehen. Erneut hatte sie einen Mitgliederrückgang zu verzeichnen: Gehörten der DVU 2009 bundesweit noch 4.500 Personen an, sank deren Anzahl im Berichtsjahr auf rund 3.000. Finanzielle Schwierigkeiten, interne Zerwürfnisse und der kritikresistente Bundesvorsitzende Matthias FAUST forderten bereits zum Jahresanfang ihren Tribut. Der Mäzen Patrik BRINKMANN25 zog sich aus der Partei zurück, die DVU entließ ihren Pressesprecher Andreas MOLAU und gegen FAUST formierten sich erste interne Koalitionen. Die durch die Parteivorsitzenden von NPD und DVU, VOIGT und FAUST, vor Beginn des NPD-Bundesparteitages am 4./5. Juni in Bamberg (Bayern) verkündete Verschmelzung beider Parteien kam überraschend. Dieser DVU-interne Alleingang FAUSTs beschleunigte den weiteren Erosionsprozess in der Partei.26 Eine erforderliche erste Mitgliederbefragung über die Fusionspläne erfolgte im Juli. FAUST, der weiter als DVU-Bundesvorsitzender auftritt, nannte auf der DVU-Homepage am 23. Juli folgendes Umfrageergebnis für die DVU: "1. Halten Sie eine Vereinigung von NPD und DVU für sinnvoll? Ja: 90,95 %, 2. Soll eine Vereinigung auch mit anderen Parteien und Organisationen angestrebt werden? Ja: 67,89 %, 25 Der schwedische Unternehmer BRINKMANN wurde mehrfach als Mäzen rechtsextremistischer Organisationen gehandelt. 26 Am 8. Juni enthob das DVU-Bundesschiedsgericht in einem Eilverfahren FAUST seines Amtes und schloss ihn aus der Partei aus. Dagegen reichte FAUST Beschwerde beim LG München I ein, das den Schiedsgerichtsbeschluss am 17. Juni in Teilen aufhob. Eine Wiedereinsetzung FAUSTs als Bundesvorsitzender lehnte das Gericht unter Verweis auf das Hauptverfahren jedoch ab. Eine hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Oberlandesgericht München am 28. Juli zurück. Erst mit Urteil des LG München I vom 27. Oktober (Az.: 20 O 14780/10) wurde FAUST erneut in seine Mitgliedsund Vorsitzendenrechte eingesetzt. 54 3. Halten Sie bei einer Vereinigung einen neuen Parteinamen für sinnvoll? Ja: 68,39 %." Nach Angaben von FAUST beteiligten sich an der Umfrage etwa 1.100 Personen, nahezu ein Viertel der DVU-Mitglieder. Am 4. August fand ein "Erstes Treffen der Gremien von DVU und NPD zu Beratungen über einen Verschmelzungsvertrag" statt. An dieser Sitzung nahmen von der DVU unter anderem FAUST sowie der stellvertretende Bundesvorsitzende Ingmar KNOP (DessauRoßlau) teil. Der Parteivorstand der NPD stimmte am 21./22. August dem Verschmelzungsvertragsentwurf zu. Im Rahmen einer Sitzung des DVU-Bundesvorstandes am 17. September in Bitterfeld-Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) stimmte auch die DVU dem Verschmelzungsvertragsentwurf zu. Dem Rechnung tragend, führte die DVU am 12. Dezember in Kirchheim (Thüringen) ihren außerordentlichen Parteitag durch. Dabei wurde der Verschmelzungsvertragsentwurf mit 88,6 Prozent der Stimmen angenommen, die Abstimmung über die Auflösung der DVU ergab 69 Ja-Stimmen (88,5 Prozent). An der Veranstaltung nahmen insgesamt 156 Personen, unter ihnen Gäste, teil. Die engen zeitlichen Vorgaben (Fusion zum 1. Januar 2011) konnte die DVU erfüllen und die Urabstimmung (Mitgliederbefragung) im Anschluss an den Verschmelzungsparteitag wurde noch rechtzeitig umgesetzt. Angaben FAUSTs zufolge entfielen rund 87,5 Prozent der abgegebenen Stimmen auf ein Votum für einen Zusammenschluss mit der NPD. Wie viele Mitglieder an der Abstimmung teilgenommen haben wurde allerdings nicht veröffentlicht. Im Gegensatz zur NPD gibt es in den Reihen der DVU erheblichen Widerstand gegen eine Fusion und gegen eine Auflösung der DVU. Die Querelen um die Tagesordnung und die Teilnahme von Perso55 nen mit Doppelmitgliedschaften27 führten dazu, dass die auf dem Bundesparteitag anwesenden Gegner einer Vereinigung noch vor der Abstimmung über den Entwurf des Verschmelzungsvertrags die Veranstaltung geschlossen verließen. Sie kündigten an, den Bundesparteitag und dessen Ergebnisse anzufechten. Am 27. Dezember stellten die DVU-Landesverbände Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Berlin und Nordrhein-Westfalen beim LG München I einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Damit wurde versucht, die Unterzeichnung des Verschmelzungsvertrages durch VOIGT und FAUST zu verhindern. Zudem entschied das DVU-Bundesschiedsgericht am 29. Dezember, dass der Verschmelzungsvertrag bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des LG München I nicht unterzeichnet werden dürfe. Auch die Gültigkeit der Urabstimmung wurde angezweifelt, da als Empfänger der von den Briefwählern ausgefüllten Wahlunterlagen der als Fusionsbefürworter bekannte KNOP angegeben war. Die Parteivorsitzenden FAUST und VOIGT unterzeichneten am 29. Dezember den Verschmelzungsvertrag zwischen DVU und NPD. FAUST setzte sich somit über den Beschluss des DVU-Bundesschiedsgerichts hinweg.28 27 NPD-Mitglieder sind während des Fusionsprozesses in die DVU eingetreten und waren auf dem Bundesparteitag der DVU zahlreich mit Stimmrecht vertreten. Die innerparteilichen Gegner sehen darin eine Absicherung der Verschmelzung und verweisen darauf, dass der DVU-Bundesvorstand noch Anfang des Jahres die DVU-Satzung dahingehend veränderte, dass Doppelmitgliedschaften nicht mehr zulässig seien. Hintergrund war damals die Aufnahme einer Tätigkeit KNOPs bei der NPD. 28 Mit Beschluss des LG München I vom 25. Januar 2011 (Az.: 20 O 25065/10) wurde die Fusion zunächst als rechtlich unwirksam gestoppt. Das Gericht gab damit dem Antrag der oben genannten DVU-Landesverbände auf eine einstweilige Verfügung statt, da es bei der Urabstimmung in der DVU erhebliche Mängel gegeben habe. Mit dem Beschluss wird der Antragsgegnerin (DVU, vertreten durch FAUST) untersagt, den Verschmelzungsvertrag mit der NPD vor erneuter Durchführung einer Urabstimmung gemäß DVU-Satzung zu unterzeichnen. Für Zuwiderhandlungen wurde der DVU ein Ordnungsgeld von bis zu 250.000 Euro angedroht. Erst mit Vorlage eines bestätigten Urabstimmungsergebnisses dürfe die Unterzeichnung des Verschmelzungsvertrages erfolgen. Dem LG München I war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass der Verschmelzungsvertrag bereits unterzeichnet worden war. Im Februar 2011 legte die DVU Widerspruch gegen die einstweilige Verfügung ein. Das LG München I nahm am 27. Mai 2011 den nunmehr gestellten Antrag der DVU-Landesverbände Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein auf Eröffnung eines so genannten Hauptsacheverfahrens an. (Stand: 27. Mai 2011) 56 DVU-Landesverband Sachsen-Anhalt Der DVU-Landesverband verfügte im Berichtsjahr über etwa 30 aktive Mitglieder. Wie in den vorangegangenen Jahren trat der Landesverband kaum öffentlich in Erscheinung. Die einzigen Ausnahmen bildeten am 13. März die Teilnahme am "Trauermarsch" zum 65. Jahrestag der Bombardierung der Stadt Dessau und der Landesparteitag am 25. April in Calbe (Salzlandkreis). Dieser Parteitag stellte die Weichen für den Alleinantritt der NPD zur Landtagswahl am 20. März 2011. Der sachsen-anhaltische DVU-Landesvorsitzende und stellvertretende Bundesvorsitzende KNOP (Dessau-Roßlau) wertete dabei den zugunsten der NPD erklärten Verzicht des sachsenanhaltischen DVU-Landesverbandes auf einen Wahlantritt 2011 als Signal an die "unbedingte Einigkeit und ein rasches Ende des zwischenparteilichen Kräfteverschleißes". Er betonte: "Wir haben vor vier Jahren auch die NPD und ihre Wähler zur Landtagswahl repräsentiert und ein achtbares Ergebnis errungen. Möge nun im kommenden Jahr die NPD mit Unterstützung der DVU den Kampf um den Einzug in den Magdeburger Landtag führen." Bei der anschließenden Neuwahl des DVU-Landesvorstandes wurde KNOP zum dritten Mal in Folge zum Landesvorsitzenden der DVU in Sachsen-Anhalt gewählt. Als stellvertretende Landesvorsitzende wurden Olaf ROTHENBERGER (Burg, Landkreis Jerichower Land) und HÖVING (Oschersleben, Landkreis Börde) gewählt. Der DVU-Landesverband unterstützte die Fusionsbemühungen des DVU-Bundesverbandes mit der NPD umfänglich. KNOP und HÖVING zählen zu den Fusionsbefürwortern, was sich auch in ihrer Wahl in den NPD-Bundesvorstand widerspiegelt. 57 "Kommissarische Reichsregierungen" (KRR) "Exilregierung des Deutschen Reichs" Im Berichtsjahr fanden monatliche "Bürgertreffen" und "Kabinettssitzungen" der "Exilregierung" statt. An solchen Sitzungen nehmen regelmäßig etwa 25 bis 30 Personen teil. Auf der Internetseite der Exilregierung erschien ein Bericht über die Feier zum sechsjährigen Bestehen der Exilregierung am 8. Mai. Diese Veranstaltung fand in Kelbra (Landkreis Mansfeld-Südharz) statt. Insgesamt nahmen etwa 40 Personen teil. Weiterhin wurde auf der Internetseite ein Bericht über das "Bürgertreffen" mit "Präsidiumssitzung" am 20./21. August veröffentlicht. Diese Veranstaltung fand ebenfalls in Kelbra unter Beteiligung von elf Personen statt. Im Beitrag wird angegeben, dass "eine Exkursion" nach Questenberg (Landkreis Mansfeld-Südharz) führte. Zu diesem Zeitpunkt fand dort das jährliche Questenfest statt. Die Gruppierung fiel dort aber nicht auf. Am 19./20. November fand in Morbach am Rhein (Rheinland-Pfalz) ein "Bürgertreffen" der "Exilregierung" statt. Über dieses Treffen wurde ein Bericht auf der Internetseite der "Exilregierung" veröffentlicht. Darin wird ausgeführt, dass der "Reichskanzler" Norbert SCHITTKE (Niedersachsen) nach der üblichen "Amtsträgersitzung" einen Kranz auf dem Ehrenfeld des Zentralfriedhofs in Koblenz (Rheinland-Pfalz) ablegte, vermutlich anlässlich des Volkstrauertages. Im Anschluss sei man zum "Kaiser-Wilhelm-Denkmal" ans "Deutsche Eck" gefahren, um eine "Bürgerin"29 aus der "preußischen Provinz Sachsen/Regierungsbezirk Merseburg" durch Verleihung des "Eisernen Kreuzes" auszuzeichnen. Die Verleihung führte SCHITTKE durch. 29 Die Identität der "Bürgerin" konnte nicht ermittelt werden. 58 "Regierung des Deutschen Reichs" Am 29. Juli ging bei der Pressestelle der Polizeidirektion SachsenAnhalt Süd eine E-Mail mit folgendem Wortlaut ein: "Sehr geehrte Damen und Herren, anbei ein offener Brief des Reichskanzlers, mit Stellungnahme zum Verfassungsschutzbericht 2009 des Landes Sachsen-Anhalt." Als Anhang wurde eine Pressemitteilung der "Reichsregierung" vom 28. Juli versandt. Sinngemäß heißt es darin, die Darstellungen des Verfassungsschutzes seien falsch. Die Nennung der "Regierung des Deutschen Reichs" komme einer "Verächtlichmachung" gleich, da diese nicht rechtsextremistisch sei. Die E-Mail wurde auch an Polizei-Pressestellen außerhalb Sachsen-Anhalts versandt. Da in den Kopfzeilen der fünfseitigen Pressemitteilung jeweils linksseitig ein Adler mit Hakenkreuz im Eichenkranz abgebildet war und dieser Adler auch auf der in der Pressemitteilung angegebenen Internetseite verwandt wird, leitete die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ein. "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) Der Bundesvorstand der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) veröffentlichte auf seiner Homepage unter anderem einen Veranstaltungskalender für das Jahr 2010. Darin wurde für April ein gemeinsames "Osterlager" mit der "Schlesischen Jugend"30 angekündigt. Darüber hinaus wies der Kalender für Anfang August die "5. Preußische Akademie" der JLO in Mitteldeutschland aus. Diese fand vom 20. bis 22. August unter dem Motto "Die große Krise - und nun?" wie in den Vorjahren im JLO-Objekt in Abberode, OT Steinbrücken (Landkreis Mansfeld-Südharz) statt. Eigenangaben zufolge nahmen daran bis zu 50 Personen teil. 30 Die "Schlesische Jugend" ist die Nachwuchsorganisation der "Landsmannschaft Schlesien". 59 Redner waren unter anderem Jürgen SCHWAB (Bayern, rechtsextremistischer Publizist) und Arne SCHIMMER (Mitglied der NPDFraktion im Sächsischen Landtag). SCHWAB referierte über die "deutsche Volksgemeinschaft" und SCHIMMER zum Thema "Vom Kaiser bis zum Mauerfall - Wendepunkte deutscher Wirtschaftsgeschichte". Seit Sommer 2006 finden im JLO-Objekt ein bis zweimal jährlich Zusammenkünfte der JLO statt. Neben der "Preußischen Akademie" wurde dort im Berichtsjahr das oben genannte "Osterlager" durchgeführt. "Heimattreue Deutsche Jugend e.V." (HDJ) Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wies am 1. September31 die Klage des Vereins "Heimattreue Deutsche Jugend - Bund für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) gegen das am 31. März 2009 vom Bundesministerium des Innern erlassene Vereinsverbot32 ab. Das Gericht stellte fest, dass das Verbot der HDJ zu Recht erging, da diese sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet und damit einen vereinsrechtlichen Verbotsgrund verwirklicht habe. "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." (Artgemeinschaft) Die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." (Artgemeinschaft) ist eine 1951 gegründete "germanisch-heidnische Organisation". Der Verein vertritt völkisch-rassistisches und antisemitisches Gedankengut. Er versteht sich als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart" bewahren, erneuern und weiterentwickeln will. 31 Az.: BVerwG 6 A 4.09. 32 Das Verbot erfolgte nach SS 3 Vereinsgesetz. Die Zwecke und Tätigkeiten der HDJ richteten sich in aggressiv-kämpferischer Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. 60 Im Juni führte die "Artgemeinschaft" in Ilfeld (Thüringen) eine Sommersonnenwendfeier durch. Zeitweilig nahmen daran bis zu 250 Personen teil. Die Teilnehmer aus Sachsen-Anhalt kamen aus dem Landkreis Börde und dem Burgenlandkreis. Der "Tradition" entsprechend schmückten die Teilnehmer während der Veranstaltung einen Questenbaum und stellten diesen auf. Gegen Mitternacht wurde ein "Sonnenwendfeuer" entzündet. An der jährlich in Ilfeld durchgeführten "Herbsttagung" nahmen im September auch Personen aus Sachsen-Anhalt teil. "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) wurde am 2. Juli 1979 in Frankfurt am Main (Hessen) gegründet und hat bundesweit etwa 600 Mitglieder. Sie fungiert als Bindeglied zwischen inhaftierten Rechtsextremisten und der rechtsextremistischen Szene. Die HNG bezeichnet dies als "wachsende Zusammenarbeit der positiven Kräfte der Szene". Sie sieht sich als Anlaufstelle für inhaftierte Rechtsextremisten und deren Angehörige und will eine "Wiedereingliederung" entlassener Gesinnungsgenossen in die rechte Szene erreichen. Die HNG gibt die Publikation "Nachrichten der HNG" heraus. Da tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass die Zwecke des Vereins und seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen und dass er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet (SS 3 Vereinsgesetz), wurden am 7. September im Rahmen eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens länderübergreifende Durchsuchungsund Beschlagnahmemaßnahmen durchgeführt. In Sachsen-Anhalt wurden drei Objekte in Dessau-Roßlau (Landkreis Anhalt-Bitterfeld), Allstedt, OT Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) und in Stendal (Landkreis Stendal) durchsucht. Der HNG gehören in Sachsen-Anhalt nur wenige Szene-Mitglieder an. 61 III. LINKSEXTREMISMUS Das linksextremistische Personenpotenzial nahm im Land SachsenAnhalt erneut leicht ab. Linksextremisten 2009 2010 Autonome 240 220 Parteien und Vereinigungen 270 260 Gesamt: 510 480 AUTONOME Selbstverständnis Autonome propagieren ein Leben frei von Zwängen und unter Missachtung von Normen und Autoritäten. Autonome definieren sich selbst vor allem über diverse "Anti-Einstellungen" und beschreiben sich mit Begriffen wie "antifaschistisch", "antikapitalistisch" oder "antipatriarchal". Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente sind Grundlage ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Wie andere Linksextremisten auch, streben sie die Überwindung des "herrschenden Systems" an. Autonome betrachten die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Dies bedeutet im Umkehrschluss die Nichtanerkennung des staatlichen Gewaltmonopols. Strafund Gewalttaten Das LKA Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 262 politisch motivierte Straftaten -links-. Dies bedeutet gegenüber dem Vorjahr (336 Delikte) eine Abnahme um 22 Prozent.33 Im gleichen Zeitraum ging der Anteil der entsprechenden politisch motivierten Gewalttaten um 7 Prozent zurück (2010: 55 Delikte, 2009: 59 Delikte).34 33 Die Anzahl der darin enthaltenen linksextremistischen Straftaten stieg von 37 auf 64 Delikte an. Siehe hierzu Vorbemerkungen zur Statistik auf Seite 137 und Statistik auf Seite 138. 34 Die Anzahl der darin enthaltenen linksextremistischen Gewalttaten stieg von 24 auf 37 Delikte an. 62 Überblick und Entwicklungstendenzen Seit vielen Jahren bleiben die wesentlichen Aktionsfelder der Autonomenszene - bei lediglich abweichender Gewichtung - unverändert. Da die Autonomenszene insgesamt eher reaktiv ausgerichtet ist, wird diese Gewichtung häufig von örtlichen Gegebenheiten - wie zum Beispiel der Existenz rechtsextremistischer oder konkurrierender linksextremistischer Strukturen oder schlicht vom aktuellen Tagesgeschehen - bestimmt. Hauptsächliches Aktionsfeld gewaltbereiter Linksextremisten ist bundesweit durchgängig, so auch in Sachsen-Anhalt, der "Antifaschismus". Eine wichtige Rolle spielen aber auch der Widerstand gegen den vermeintlich repressiven Staat und die vermeintliche Militarisierung der Gesellschaft. Als Ziele körperlicher Gewalt stehen vor allem Rechtsextremisten im Fokus, allerdings sank die Hemmschwelle für gewalttätige Angriffe auf Polizisten, die Autonomen als Vertreter des "Repressionsapparates" gelten, in den vergangenen Jahren erkennbar. Waren Polizeibeamte zuvor beispielsweise bei Demonstrationen immer wieder zwischen die Fronten geraten, sind sie inzwischen immer häufiger auch selbst Angriffsziele. Die szeneinterne Akzeptanz direkter Angriffe gegen Vertreter des "Repressionsapparates" hat in den letzten Jahren erkennbar zugenommen. Der "Kampf um autonome Freiräume" und gegen Stadtumstrukturierung geriet durch drohende und vollendete Räumungen alternativer Wohnund Kulturprojekte in den Blickpunkt autonomen Handelns. Die Autonomenszene sieht unkontrollierte "Freiräume" außerhalb einer "kapitalistischen Verwertungslogik" als unabdingbar für die Verwirklichung der eigenen Lebensentwürfe an und versteht sie als Rückzugsraum und Ausgangspunkt eigener "antistaatlicher" Aktivitäten. "Angriffe" des Staates auf diese "Freiräume" gelten somit als "gewaltsame" Durchsetzung "kapitalistischer Interessen" und werden daher als Rechtfertigungsgrund für gewalttätige Reaktionen angesehen. 63 Schwerpunktregion der etwa 220 Personen umfassenden Autonomenszene in Sachsen-Anhalt ist nach wie vor die Landeshauptstadt Magdeburg. Dort machten die Gruppierungen "Autonome Linke Magdeburg" (A.L.M.) sowie "Zusammen Kämpfen" (ZK) auf sich aufmerksam. Nennenswerte Aktivitäten der Autonomenszene gingen auch von der "Antifaschistischen Aktion Burg" (AAB, Landkreis Jerichower Land) aus. Als Vertreter des so genannten antideutschen Spektrums35 traten die "Jugendantifa Halle" (JAH) und die "Gruppe gegen deutsche Normalität Köthen" (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) hervor. Beide Gruppierungen riefen über eine zum 8. Mai36 eingerichtete Internetpräsenz dazu auf, die "militärische Zerschlagung der nationalsozialistischen deutschen Zivilbevölkerung durch die alliierten Armeen" zu feiern. Es werde ausdrücklich nicht die angebliche "Befreiung" der Deutschen vom Nationalsozialismus gefeiert, da die deutsche Bevölkerung das nationalsozialistische Regime in ihrer überwältigenden Mehrheit bedingungslos unterstützt habe. Die Vernetzungsbestrebungen innerhalb des gewaltbereiten Linksextremismus auf regionaler wie überregionaler Ebene sind vielfältig. Vernetzungen erfolgen oftmals anlassbezogen und sind nur in wenigen Fällen auf Dauer angelegt. So mobilisierte die neu gegründete Gruppierung "Antifaschistische Aktion 06" (afa 06) - eine "überregionale Antifastruktur aus dem Postleitzahlenbereich 06 in Sachsen-Anhalt" - mit Internetauftritten gegen rechtsextremistische Veranstaltungen in Dessau-Roßlau, Bitterfeld-Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) und Hohenmölsen (Burgenlandkreis). 35 "Antideutsche" Linksextremisten kennzeichnet eine konsequent solidarische Haltung zu Israel und dem jüdischen Volk. Dies schließt eine - für Linksextremisten ungewöhnliche - pro-amerikanische Ausrichtung ein. Aus diesem Blickwinkel erheben "Antideutsche" immer wieder Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppen, die ihrerseits zumeist pro-palästinensisch, antiisraelisch und anti-amerikanisch ausgerichtet sind. 36 Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. 64 Aktionsfelder der Autonomenszene in Sachsen-Anhalt "Antifaschismus" Anlässlich des 65. Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg rief die rechtsextremistische "Initiative gegen das Vergessen" für den 16. Januar zu einer Demonstration in der Landeshauptstadt auf. Neben Bürgerinitiativen mobilisierten auch Linksextremisten zu Gegenaktivitäten. In einem Mobilisierungsaufruf der A.L.M. unter dem Motto "No pasaran"37 hieß es: "Am 16. Januar...planen Neonazis einen Aufmarsch, um ihren Geschichtsrevisionismus zu verbreiten. Dem Aufmarsch gilt es mit allen Mitteln entgegenzutreten und ihn zu verhindern...Der jährliche Aufmarsch im Januar stellt den Höhepunkt der lokalen Naziszene dar. Aber nicht nur Faschisten betreiben Geschichtsrevisionismus, auch die offizielle deutsche Geschichtsaufarbeitung sieht zum Teil nicht anders aus als die der Neonazis. So gleichen die 'Trauerreden' bei den Veranstaltungen der bürgerlichen Mitte und lokalen Stadtregierungen oft denen der extremen Rechten...Wir werden...eine antifaschistische Demonstration auf die Straße bringen, um eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen und unsere Inhalte zu verbreiten. Im Anschluss rufen wir zu dezentralen Aktionen gegen den Naziaufmarsch auf. Schicken wir die Nazis dahin wo sie hingehören, auf den Müllhaufen der Geschichte." An dem störungsfrei verlaufenen Aufzug nahmen etwa 450 Personen teil. Nach Versammlungsende versuchten größere Gruppen gewaltbereiter Personen der linksextremistischen Szene, in den Bereich der Aufzugsstrecke der Rechtsextremisten zu gelangen. In der Nähe des Hasselbachplatzes wurden aus einer Menge von etwa 350 Personen heraus Mülltonnen auf die Straße geworfen und die Scheiben eines parkenden PKW zerstört. Darüber hinaus wurden Polizeibeamte mit Schneebällen, Eiern und Plastikflaschen beworfen. Die Polizei verhinderte weitere Ausschreitungen. 37 Dt.: "Sie werden nicht durchkommen." 65 Auch gegen einen rechtsextremistischen Aufzug am 12. März in Stendal (Landkreis Stendal) mobilisierte die linksextremistische Szene. Zunächst fand eine Kundgebung unter dem Motto "Dem Geschichtsrevisionismus ein Ende setzen - Antifaschismus durchsetzen" unter Beteiligung von etwa 90 Personen statt. Nach Beendigung der Kundgebung verließen deren Teilnehmer in Gruppen den Versammlungsort und versuchten, zur rechtsextremistischen Demonstration zu gelangen, um diese zu stören. Dabei wurden Einsatzkräfte der Polizei mehrfach massiv durch Steinwürfe angegriffen sowie mehrere Einsatzfahrzeuge und zivile PKW beschädigt. Unter dem Motto "Tanzen gegen die Provinz - Landflucht vorantreiben" fand am 19. Juni in Halle eine Demonstration gegen einen zeitgleich in Merseburg (Saalekreis) von Rechtsextremisten durchgeführten Aufzug aus Anlass des 17. Juni 195338 statt. Ein Aufruf dazu erfolgte unter anderem über die Internetseite der JAH sowie über das "Antifaschistische Informationsportal Köthen". Auf den Seiten einer eigens eingerichteten Internetpräsenz riefen die Verfasser unter der Überschrift "Aufruf zum Partyumzug in Halle: Mein Merseburg? Euer Merseburg!!!" auf, zur Versammlung nach Halle zu kommen und hier "die Neonazis und Merseburg als das darzustellen, was sie sind: Idioten und eine ostdeutsche Kleinstadt in all den typischen Facetten, welche uns das Leben vermiesen". Die JAH rief ausdrücklich nicht zu Störungen der Versammlung der rechtsextremistischen Szene oder zu einer Teilnahme an Gegenveranstaltungen in Merseburg auf. Dazu hieß es auf der Homepage der JAH: "Gleich und gleich gesellt sich gern...und aus diesem Grund wollen wir die Merseburger dieses mal mit ihren Nazis alleine lassen, anstatt das Feigenblatt für sie zu spielen. Dafür veranstalten wir in Halle eine Partydemo auf der Route, welche die Nazis in den letzten Jahren immer laufen wollten, es aber nicht geschafft haben." 38 An den Tagen um den 17. Juni 1953 kam es in der DDR zu einer Welle von Streiks, Demonstrationen und Protesten, die als Aufstand (auch Volksaufstand oder Arbeiteraufstand) des 17. Juni bezeichnet werden. 66 An der Demonstration nahmen statt der erwarteten 150 lediglich 30 Personen teil. Der "Antifaschismus" beinhaltet für Autonome immer wieder auch gewalttätige Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten. Folgende Beispiele sind hier zu nennen: In Gardelegen (Altmarkkreis Salzwedel) wurden im Januar mehrere politisch motivierte Sachbeschädigungen festgestellt sowie vermeintliche und tatsächliche Rechtsextremisten bedroht. So wurden unter anderem folgende Parolen an diverse Häuserwände gesprüht: "Kein Vergeben kein Vergessen, Nazis haben Namen und Adressen", "Antifa heißt Angriff", "Nazis töten ist kein Mord", "We are back and fight", "Militant kämpfen" und "Gegen Kapitalismus und Nationalisten". Zudem wurde am 26. Januar die Frontscheibe des PKW eines Rechtsextremisten eingeschlagen. Dieser fand in seinem Briefkasten einen Zettel mit der Aufschrift "Wir kriegen Euch Alle!!! ALG".39 Am 16. April wurde ein vermeintlicher Rechtsextremist bei einer körperlichen Auseinandersetzung schwer verletzt. Er hielt sich mit weiteren Personen auf der Schlosswiese in Wittenberg (Landkreis Wittenberg) auf, wo der letzte offizielle Schultag als so genannter Chaostag gefeiert wurde. Der Geschädigte trug eine Jacke mit der Aufschrift "Thor Steinar". Daraufhin titulierten ihn mehrere der linksextremistischen Szene zugerechnete Personen als "Nazisau" und "Nazischwein". Er wurde danach schwer misshandelt, unter anderem durch Tritte und Schläge ins Gesicht. Der Geschädigte musste schließlich stationär behandelt werden. Am 21. April kam es an einer Straßenbahnhaltestelle in Magdeburg zu einer gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil von zwei Personen, die für die rechtsextremistische Szene typische schwarze Kapuzenpullover mit der Aufschrift "Magdeburg wird kinderschänderfrei" trugen. Beide wurden von mindestens sechs, teils vermummten Personen unter Ausrufen wie "Ihr Scheiß Nazis, wir krie39 "Autonome Linke Gardelegen" (ALG). 67 gen euch" angegriffen und mit Schlägen und Tritten misshandelt. Nach kurzer Zeit gelang es beiden Geschädigten zu flüchten. Am 29. Mai kam es in Wolmirstedt (Landkreis Börde) zu einer Auseinandersetzung zwischen drei Linksund einem Rechtsextremisten. Der Rechtsextremist nahm dort an einer Musikveranstaltung in einem Jugendklub teil. Zur Tatzeit kam es zwischen den Beteiligten zunächst zu einer verbalen und dann zu einer tätlichen Auseinandersetzung. Auf den Rechtsextremisten wurde mehrfach eingeschlagen und -getreten, wodurch er mehrere Hämatome im Gesicht erlitt. Dem Geschädigten gelang es, in einen PKW zu flüchten. Die Angreifer versuchten, ihn aus dem Fahrzeug herauszuziehen. Da dies nicht gelang, sprangen sie auf den PKW und traten mehrfach unter anderem gegen die Frontscheibe. Am Fahrzeug entstand ein Sachschaden in Höhe von etwa 10.000 Euro. "Antikapitalismus" Die Gruppierung ZK rief anlässlich des 1. Mai zu einer Demonstration in Magdeburg unter dem Motto "Heraus zum revolutionären 1. Mai - gemeinsam gegen Ausbeutung und Unterdrückung" auf. Auf einem dafür werbenden Plakat hieß es: "Kapitalismus bedeutet Krieg und Krise. Klassenkampf organisieren! Soziale Revolution weltweit!". In einem im Internet veröffentlichten Aufruf hieß es unter anderem: "Der 1. Mai ist traditionell und international ein historischer Ausdruck von Klassenkampf...Wir rufen alle dazu auf, sich an der diesjährigen 1. Mai Demonstration in Magdeburg zu beteiligen, um unsere Wut gegen die kapitalistische Verwertungslogik und deren Profiteure auf die Straße zu tragen." Daneben gab es noch einen so genannten "Jugendaufruf von 'Zusammen kämpfen'", der auf jüngere Leser zugeschnitten war: "Du fragst dich, warum dir in der Schule erzählt wird, wir würden in einer sozialen Marktwirtschaft leben, in der jeder die gleichen Chancen hat, während du in deiner Ausbildung, soweit vorhanden, mit ein paar Euros nach Hause gehst?...Wir befinden uns mitten im Klassenkrieg von 68 Oben, nur dass unsere Klasse zu selten kämpft. Die einzige Frage, die am Ende wirklich zählt, ist die nach der Sozialen Revolution und zwar weltweit...Wir sind auf eine Selbstorganisation unserer Klasse mehr denn je angewiesen. Wir bekommen nur das, was wir uns selbst erkämpfen...Wir haben unseren Kiez, unsere Stadt und unsere Klasse vor Nazis und Cops zu schützen, nur wir können unsere Stadtteile vor Spekulanten sauber halten, damit unsere Mieten nicht ins Unermessliche steigen. Es wird Zeit, dass wir anfangen, uns zu organisieren um zusammen zu kämpfen, um dem Kapitalismus ein Ende zu bereiten." Der weitgehend störungsfrei verlaufene Aufzug mit 130 Teilnehmern begann am Alten Markt und endete an einem so genannten Infoladen in der Puschkinstraße. Die Gruppierung ZK rief auf ihrer Homepage außerdem zu einer Demonstration am 25. September in Magdeburg unter dem Motto "20 Jahre Krieg - Krise - Kapitalismus - Organisiert den Widerstand" auf. Dazu hieß es: "Am 3. Oktober 2010 feiert die herrschende Klasse der BRD den 20. Jahrestag des Zusammenbruchs und der anschließenden Einverleibung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)...Für uns bedeutet die so genannte 'Wiedervereinigung' nur den Beginn einer neuen Epoche der Ausbeutung und Unterdrückung. Gerade diese Epoche erfordert eine Fortführung des Kampfes für eine herrschaftsfreie und klassenlose Gesellschaft! Uns wird nichts geschenkt - positive Veränderungen für unsere Klasse sind nur in kollektiven Kämpfen zu erreichen. In diesem Sinne, Klassenbewusstsein entwickeln - Klassenkämpfe organisieren! Für eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung!" Am 25. September demonstrierten schließlich etwa 30 Personen der linksextremistischen Szene in Magdeburg-Stadtfeld. Die als Spontandemonstration deklarierte Veranstaltung wurde kurzfristig fernmündlich bei der Polizei angemeldet. Der Aufzug mit einem 69 Lautsprecherwagen und drei Transparenten wurde von Polizeibeamten begleitet und verlief ohne Störungen. "Antimilitarismus" Bundesweit gab es im Berichtszeitraum eine Fülle von "antimilitaristischen Aktionen" und Anschlägen gegen die Bundeswehr. Für Sachsen-Anhalt sind folgende Beispiele zu nennen: Der Bundesverteidigungsminister besuchte am 27. Juli die Clausewitzkaserne in Burg (Landkreis Jerichower Land). Im Stadtgebiet von Burg wurden im Vorfeld im unmittelbaren Bereich der Fahrtstrecke des Ministers mehrere Flugblätter und Aufkleber festgestellt, die den Abzug der NATO und der Bundeswehr aus Afghanistan forderten. An dem Gebäude eines Lebensmittelgeschäftes wurde ein etwa zehn Meter großer Schriftzug "Guttenberg verpiss Dich" festgestellt. Zu diesen Aktionen bekannte sich im Internet die AAB in einem Artikel unter der Überschrift "Wenn sie von Frieden reden - meinen sie Krieg". Weiter hieß es dort: "Da man sich...einem größeren Aufgebot an Sicherheitskräften und der Polizei ausgesetzt sah, entschlossen sich einige Personen in der Innenstadt von Burg Flugblätter zu verteilen...Mit den Aktionen...können wir zufrieden sein. Es wurden viele Menschen über die Auslandseinsätze der Bundeswehr informiert und auch auf die innere Aufrüstung aufmerksam gemacht. Ebenfalls war ein Teil des Stadtbildes durch antimilitaristische Plakate beklebt." Am 15. September brachten unbekannte Täter jeweils ein Plakat an der Frontscheibe zweier ziviler Bundeswehrtransporter an. Die Fahrzeuge befanden sich zur Tatzeit auf dem Parkplatz eines Einkaufscenters in Haldensleben (Landkreis Börde). Auf den Plakaten sind ausgebrannte Bundeswehrfahrzeuge erkennbar. Der großformatige Titel lautet "Dresden. Do it again."40. Im Text heißt es zu40 Dt.: "Dresden. Mach's nochmal." 70 nächst auf Englisch "Take the toys from the boys."41, dann weiter auf Deutsch: "Am Ostermontag 2009 brennt es in der Offizierschule des Heeres in Dresden. Die 'Initiative für ein neues blaues Wunder' bekennt sich in einem Schreiben: 'Wir müssen den Kriegen ihre materielle Grundlage entziehen. Eigenverantwortliche Abrüstungsschritte sind dabei das Gebot der Stunde. Um menschenverachtendes Kriegsgerät unbrauchbar zu machen, haben wir es einfach angezündet. Das Vorhaben gelingt. Die Kaserne erlebt ihr blaues Wunder, 42 Busse, PKW, LKW und Kleintransporter brennen aus, ein Hangar wird beschädigt. Freiheit für alle AntimilitaristInnen!'" Am 10. November fand im Stadthaus von Halle im Rahmen einer Vortragsreihe der "Gesellschaft für Wehrund Sicherheitspolitik e.V." eine Veranstaltung mit dem Thema "Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und das freundliche Desinteresse der Heimatfront" statt. Während des Vortrages störten insgesamt 13 Personen der linksextremistischen Szene die Veranstaltung wiederholt durch Rufe (unter anderem "Soldaten sind Mörder, Soldatinnen auch"), Pfiffe und Zeigen von Spruchbändern mit der Aufschrift "Kriege stoppen, Bundeswehr abschaffen" und "Keine Kriege für Kapitalisten". Es wurden Platzverweise ausgesprochen. Im Vorfeld dieser Veranstaltung hieß es auf der Internetseite der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) Sachsen-Anhalt: "Wir werden nicht dulden, dass mittels dieser...Veranstaltung der Militarismus sich noch weiter in den Köpfen ausbreitet. Der imperialistischen Aggression des deutschen Militarismus muss konkret entgegengetreten werden - wir werden diese Provokation nicht unbeantwortet lassen." 41 Dt.: "Nimm den Jungs die Spielzeuge weg." 71 "Antirassismus" Am 12. Juni fand in Dessau-Roßlau ein Aufzug unter dem Motto "In Erinnerung an Alberto Adriano"42 statt, an dem sich etwa 260 Personen beteiligten. Zu der Demonstration hatten auch autonome "Antifa"-Gruppen aufgerufen. Im Aufruf hieß es : "10 Jahre nach dem Mord an Alberto Adriano hat sich nicht viel geändert. Migrant_innen, Antifaschist_innen, Homosexuelle, Obdachlose und Andersdenkende sehen sich immer noch Angriffen durch Neonazis und Rassisten ausgesetzt. Den Nährboden für solche Taten bietet der gesellschaftliche Grundkonsens aus Alltagsrassismus, Antisemitismus und Homophobie. Als Katalysator dient...die von staatlicher Seite betriebene 'Ausländerpolitik'...sowie die kapitalistische Verwertungslogik. Damals wie heute haben wir keinen Bock darauf, diese Zustände schweigend hinzunehmen...Lasst uns ein deutliches Zeichen setzen gegen institutionellen Rassismus, rechten Grundkonsens, Nazistrukturen und für ein konsequentes und bitter notwendiges antifaschistisches Handeln in Dessau und anderswo." Im Vorfeld der Demonstration kam es in Dessau-Roßlau zu Sachbeschädigungen, indem an mehrere Häuserfassaden der Text "Nichts & Niemand ist vergessen! Demo zum 10. Jahrestag der Ermordung Alberto Adriano 12.06.2010 13:00 Uhr Dessau HBF" gesprüht wurde. "Kampf um Freiräume" Die Räumlichkeiten eines von dem Verein "Alternative Lebensgestaltung e.V." (ALGE) betriebenen alternativen Wohnprojektes in Oschersleben (Landkreis Börde) waren im Berichtsjahr zum 31. Juli aufgrund gravierender baulicher Mängel durch den Vermieter gekündigt worden. In der Folgezeit kam es zu einer Reihe von Aktivi42 Der seit etwa 1980 in Deutschland lebende Mosambikaner wurde in der Nacht zum 12. Juni 2000 in Dessau von drei Rechtsextremisten überfallen und schwer misshandelt. Er erlag am 14. Juni 2000 seinen Verletzungen. 72 täten der Bewohner des Objektes und ihrer Sympathisanten sowie von Angehörigen der linksextremistischen Szene. So fand am Nachmittag des 31. Juli in Oschersleben eine Spontanversammlung von 70 Angehörigen des autonomen Spektrums für den Erhalt des Szeneobjektes statt. Während des Aufzuges wurden die Parolen "ALGE bleibt!" und "Oschersleben braucht ein autonomes Zentrum" skandiert. Eigenen Angaben im Internetportal "Indymedia" zufolge seien auch Parolen wie "Reißt ihr uns die ALGE ab, machen wir die City platt" gerufen worden. Während der Versammlung wurde vereinzelt Pyrotechnik abgebrannt. Am 28. August fand eine "Freiraumdemo" mit etwa 90 Teilnehmern in Oschersleben statt. Zur Selbstdarstellung hieß es auf "Indymedia": "Die A.L.G.E. stellt in Oschersleben den einzigen selbst verwalteten Freiraum von linker Seite dar und ist akut bedroht...Dem werden wir natürlich nicht kampflos stattgeben, jedoch ist Solidarität gefragt, let's fight back!!" Der Aufzug verlief friedlich und ohne Störungen. Im Zeitraum August/September wurden im Stadtgebiet von Oschersleben vermehrt Sachbeschädigungen durch Farbschmierereien festgestellt. Dabei wurden Schriftzüge wie "Wir bleiben alle", "Börde nazifrei", "ALGE bleibt, sonst Bambule" und "Anarchie ist Leben in Freiheit" gesprüht. Das Szeneobjekt wurde am Vormittag des 11. Oktober aufgrund der genannten gravierenden baulichen Mängel geräumt und abgerissen. Am 17. Oktober versammelten sich etwa 50 Personen in losen Gruppen in einem Park hinter dem ehemaligen ALGE-Gelände zu einer nicht angemeldeten Kundgebung. Dabei wurde eine Protestnote gegen den Abriss verlesen. Beim Verlassen der Versammlung skandierten die Teilnehmer unter anderem "ALGE lebt" und "Wir kommen wieder!". 73 Mutmaßlich linksextremistische Einflussnahme auf die AntiAtomkraftbewegung In der Zeit vom 22. bis 25. Oktober besprühten unbekannte Täter fünf Fahrzeuge der "Deutsche Bahn AG", die in deren Fuhrpark in Magdeburg abgestellt waren, mit den Schriftzügen "No Castor" und "Atommafia" und zerstörten die komplette Bereifung. Weiterhin wurde die Fassade des Gebäudes der "DB Service Immobilien GmbH" großflächig mit den Schriftzügen "Atomstaat demontieren" und "Castor stoppen" besprüht. Im Rahmen der Proteste gegen den 12. Castor-Transport von der französischen Wiederaufbereitungsanlage in La Hague in das niedersächsische Zwischenlager Gorleben vom 5. bis 9. November fand insbesondere die Kampagne "Castor? Schottern!", die bundesweit von linksextremistischen Gruppen kontrovers diskutiert wurde, große Beachtung. Am 7. November beteiligten sich bis zu 7.000 Personen an dem Versuch, "massenhaft den Schotter aus dem Gleisbett zu entfernen" und die Gleise so "in kreativer Weise unpassierbar zu machen". Im Vorfeld der Proteste gegen den Castor-Transport hatten sich große Teile der Autonomenszene kritisch zur Kampagne "Castor? Schottern!" geäußert und sich nicht zuletzt aufgrund der Beteiligung von Parteien und des "bürgerlichen" Spektrums sowie des friedlichen Aktionskonsenses von dieser Aktionsform distanziert. Auch im Nachgang wurde - unter anderem über das Internetportal "Indymedia" - geäußert, die Aktionsform sei zwar grundsätzlich als eine unter vielen anderen sinnvoll, die Form der Organisierung jedoch zu kritisieren. Hier zeige sich einmal mehr ein Trend der letzten Jahre: "Die massive Wut und das enorme Mobilisierungspotential [wurden] in kontrollierbare Wege gelenkt...Die Strategien waren einheitlich und der Polizei bekannt. Obwohl von Seiten der Repressionsorgane Panik vor den Schotterern verbreitet wurde, konnten sie heilfroh sein, dass dieses Potential sich nicht auf dezentrale unkontrollierbare Art und Weise entlud." 74 Infolgedessen habe es "so gut wie keine" autonome Mobilisierung gegeben. Wie bereits in den Vorjahren zeigte sich auch bei den diesjährigen Protesten gegen den Castor-Transport, dass Linksextremisten in der Anti-Atomkraftwerk-Bewegung nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die Beteiligung von militanten Autonomen blieb mit etwa 300 Personen gering. Erkenntnisse über eine Beteiligung von Linksextremisten aus Sachsen-Anhalt liegen nicht vor. Ein weiterer Transport von Castorbehältern von Cadarache (Frankreich) in das Zwischenlager Nord nach Rubenow bei Lubmin (Mecklenburg-Vorpommern) erfolgte vom 15. bis 16. Dezember. Die Transportroute führte auch durch Sachsen-Anhalt. An der Hauptstrecke war es am 15. Dezember in den Bereichen Magdeburg und Schönebeck zu Kabelschachtbränden gekommen, die eine Beeinträchtigung von Streckensignalen und Weichenstellung zur Folge hatten und in den nächsten Tagen Störungen des Bahnverkehrs nach sich zogen. Am 15. Dezember wurden in Halle im unmittelbaren Umfeld der Bahnanlagen zwei Personen festgestellt, die bei Eintreffen der Polizei Rauchbomben zündeten. Auf den Gleisanlagen in Magdeburg-Buckau hielten sich am frühen Morgen des 16. Dezember, etwa zwei Stunden vor dem Eintreffen des Castor-Transports, mehrere Personen auf. Die Bundespolizei nahm in diesem Zusammenhang 29 Personen in Gewahrsam. Im Bereich Weißenfels (Burgenlandkreis) wurde eine Vielzahl von Schriftstücken aufgefunden, in denen vorgeblich im Namen des Landrates des Burgenlandkreises über einen angeblichen Unfall während des Castor-Transportes informiert wurde. Wörtlich hieß es: "Ich möchte Ihnen hiermit mein aufrichtiges Beileid für die Schädigung ihre körperlichen Unversehrtheit übermitteln. Sie haben damit ein großes Opfer für unser Land vollbracht und ihren Anteil geleistet um die Energieversorgung für die nächsten Jahrzehnte abzusichern." 75 LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND VEREINIGUNGEN In Sachsen-Anhalt waren im Berichtszeitraum die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD/Ost) und die "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML) mit eigenen Strukturen aktiv. Diese revolutionär-marxistischen Organisationen setzen weiter auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen Klassenkampfes. Ihre Vertreter versuchen, sich in gesellschaftliche Protestkampagnen einzubringen. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Die DKP Sachsen-Anhalt besitzt eigenen Angaben zufolge Strukturen in der Region Halle, in Magdeburg, in Salzwedel (Altmarkkreis Salzwedel) und im "Nordharz". Zudem soll es eine so genannte Parteigruppe "Magdeburg Umland" geben. Diese Gruppen haben innerhalb der Parteigesamtstruktur noch nicht den Status einer Bezirksoder Kreisorganisation erreicht. Daher verfügt die DKP in Sachsen-Anhalt lediglich über einen so genannten "Koordinierungsrat". Am 9./10. Oktober fand der 19. Parteitag der DKP in Frankfurt am Main (Hessen) statt. Die Delegierten wählten die bisherige DKPBezirksvorsitzende von Schleswig-Holstein Bettina JÜRGENSEN zur neuen Parteivorsitzenden. Sie löste den seit 1990 amtierenden Vorsitzenden Heinz STEHR ab, der nicht mehr kandidierte. Erwartungsgemäß war der unter dem Motto "Widerstand entwickeln. Kapitalismus überwinden!" stehende Parteitag von heftigen Auseinandersetzungen um die weitere politisch-ideologische und strategische Ausrichtung der Partei geprägt. JÜRGENSEN sprach sich für eine Beteiligung der DKP an gesellschaftlichen Bewegungen aus. Die innerparteiliche Opposition lehnt eine solche Öffnung der DKP ab und fordert stattdessen eine Neubesinnung auf eine traditionelle, vermeintlich unverfälschte Lehre des Marxismus76 Leninismus, was mit der Forderung nach einer Führungsrolle der Partei an der Spitze politischer Bewegungen einhergeht. Im Namen des Koordinierungsrates der DKP in Sachsen-Anhalt äußerte sich dazu Matthias KRAMER im Vorfeld des Parteitages. Auf der DKP-Internetplattform hieß es, er sehe Angriffe auf den Charakter und die Programmatik der DKP aus zwei Richtungen. Die einen wollten aus der DKP eine "Bekenntnispartei" machen, es aber trotz Bekenntnisses zum Klassenkampf an Radikalität vermissen lassen. Die anderen wollten sich vom "Klassenkampf der Arbeiterklasse und den kommunistischen Inhalten und Organisationsformen in der DKP" verabschieden. Stattdessen solle sich die DKP "als ein bunter Tupfer in einer noch bunteren Linken auflösen". Anlässlich des 1. Mai veröffentlichte die DKP Sachsen-Anhalt auf ihrer Internetseite einen Mobilisierungsaufruf. Unter dem Motto "Kapitalismus bedeutet Krise und Krieg! Den Klassenkampf organisieren! Für eine klassenlose Gesellschaft!" wurde dazu aufgefordert, zum "Roten Block auf der 1. Mai-Demo" in Magdeburg zu kommen. Daneben wurde ein Bild nordkoreanischer Kämpfer gezeigt. Der DKP-Parteivorstand forderte die DKP Sachsen-Anhalt auf, diesen Internetaufruf zu entfernen, da er dem Ansehen der DKP in der Gewerkschaftsund Arbeiterbewegung schade. Nordkoreanische Kampfformen seien mit Sicherheit kein Ausdruck des notwendigen Klassenkampfes in der BRD. Der Aufforderung zur Löschung des Textes wurde nicht Folge geleistet. An einer Demonstration zum 8. Mai in Halle-Glaucha haben etwa 40 DKP-Mitglieder und -Sympathisanten teilgenommen. 65 Jahre nach dem "Sieg der Roten Armee" und der "Alliierten der Anti-HitlerKoalition" sei die Stellung zum 8. Mai noch immer eine Klassenfrage, hieß es im Aufruf. Redner der Demonstration äußerten, Faschismus sei untrennbar mit der Herrschaft des Kapitalismus verbunden. Ziel der Partei sei die "soziale Revolution" und ein erster Schritt vor Ort werde "die Vertreibung der Faschisten aus Glaucha" sein. 77 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD/Ost) Die KPD/Ost ist in Sachsen-Anhalt mit einem Landesverband mit Sitz in Zeitz (Burgenlandkreis) sowie mit drei "Regionalorganisationen" in Zeitz, Halle/Bernburg und Magdeburg vertreten. Die KPD/Ost beschloss im Berichtsjahr, an der Landtagswahl 2011 teilzunehmen.43 In einem Flugblatt unter dem Titel "Gegen Sozialund Demokratieabbau", veröffentlicht auf ihrer Homepage, hieß es dazu: "In der Tradition des kommunistischen Wahlbündnisses 'Bündnis DKP/KPD' aus den Landtagswahlen 2002 und 2006 wollen wir uns an der Landtagswahl beteiligen. Das Landeswahlgesetz von Sachsen-Anhalt lässt keine Listenbündnisse mehr zu...KPD und DKP sind per Gesetz gezwungen, neue Wege zu gehen, die politischen Inhalte werden weiter gemeinsam vertreten..." Im Wahlprogramm der sachsen-anhaltischen KPD heißt es: "Unser Ziel ist der Kommunismus - eine Gesellschaft, in der auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums an Produktionsmittel, nach einem gemeinschaftlichen Plan produziert wird und die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert...Wir Kommunisten sind Teil der Bewegung, die sich für die Erhaltung der Bürgerrechte einsetzt und gemeinsam mit Anderen dafür kämpft. Aus diesen Gründen treten wir für eine starke außerparlamentarische Bewegung ein..." "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML) Die KPD/ML gibt im Internet lediglich eine Kontaktadresse in Magdeburg an. Sie vertreibt die unregelmäßig erscheinende Publikation "Roter Stern". Die KPD/ML sieht sich in der Tradition der von Ernst AUST 1968 gegründeten KPD. 43 Die KPD/Ost erreichte bei den Landtagswahlen am 20. März 2011 einen Anteil von 0,2 Prozent der Zweitstimmen. 78 Die Partei trat im Berichtsjahr öffentlich nicht in Erscheinung. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die MLPD verfügt in Sachsen-Anhalt über die Kreisverbände Dessau-Wolfen-Bitterfeld und Magdeburg/Schönebeck sowie über Ortsgruppen in Halle-Merseburg und Zeitz (Burgenlandkreis). Außerdem existieren Gruppen des Jugendverbandes "Rebell" in Magdeburg, Halle und Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld). Bundesweit gliedert sich die MLPD in sechs Landesverbände. Die MLPD Sachsen-Anhalts ist im Landesverband "Elbe-Saale" organisiert und mit MLPD-Gruppen aus Sachsen und Thüringen zusammengeschlossen. Das Parteibüro der Landesleitung hat seinen Sitz in Leipzig (Sachsen). Die Landesleitung gibt etwa vierteljährlich die Publikation "Stimme von und für Elbe-Saale" heraus. Die Verfassungsschutzbehörde rechnet der MLPD auf Landesebene etwa 50 aktive Mitglieder zu. Der Partei gehören bundesweit etwa 2.000 Mitglieder an. Die MLPD trat zur Landtagswahl 2011 mit einer Landesliste sowie mit Direktkandidaten an.44 Dazu wurden so genannte "Wählerinitiativen" gegründet, zum Beispiel im August in Magdeburg. Daneben wurden derartige Treffen auch aus Bitterfeld-Wolfen, Halle und Dessau-Roßlau bekannt. Diese haben die Funktion, Sympathisanten der Partei zu bündeln und diese zur Unterstützung des Wahlkampfes heranzuziehen. Die Wahlkampfkosten sollen über Beitragszahlungen und Spenden finanziert werden. Jeder der Widerstand leisten wolle, könne mit seiner Spende die revolutionäre Richtung stärken, so die Spitzenkandidatin der MLPD Monika KUSKE (Magdeburg) in der Parteizeitung "Stimme von und für Elbe-Saale". 44 Die MLPD erreichte bei den Landtagswahlen am 20. März 2011 einen Anteil von 0,2 Prozent der Zweitstimmen. 79 IV. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Bei der Beobachtung sicherheitsgefährdender und extremistischer Bestrebungen von Ausländern ist die Bedrohung durch den internationalen islamistischen Terrorismus nach wie vor ein wesentlicher Aspekt im Aufgabenspektrum der Verfassungsschutzbehörde. Die Bundesrepublik Deutschland ist als Teil des weltweiten Gefahrenraumes anzusehen und liegt im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Gruppierungen. Dieser Einschätzung liegen unter anderem folgende Kriterien zu Grunde: - Haltung Deutschlands im Hinblick auf die Konfliktfelder in Afghanistan und im Irak - Nennung Deutschlands in den Medien durch "al-Qaida"Führungspersonen - Deutsche Beteiligung am internationalen Kampf gegen den islamistischen Terrorismus - Islamkritische Veröffentlichungen (zum Beispiel Karikaturen des Propheten Mohammed) und deren Tolerierung. Aufgrund des verstärkten Hinweisaufkommens seit Mitte des Berichtsjahres nahm der Bundesminister des Innern am 17. November zur aktuellen Gefährdungslage Stellung. Er legte dar, dass nach Informationen der Sicherheitsbehörden die Terrororganisation "alQaida" längerfristig plane, Anschläge in den USA, in Europa und auch in Deutschland zu begehen. Da innerhalb kürzester Zeit weitere gefährdungsrelevante Erkenntnisse und Sachverhalte bekannt geworden seien, sei nunmehr von einer intensivierten und hohen abstrakten Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus auszugehen, die sich jederzeit in Form von Anschlägen unterschiedlicher Dimension und Intensität realisieren könne. 80 Bei dieser Lageeinschätzung wurden folgende Aspekte berücksichtigt: - Die der Terrororganisation "al-Qaida"45 zuzurechnende "alQaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH)46 bekannte sich authentisch zu den Ende Oktober versuchten Anschlägen auf den internationalen Frachtflugverkehr und zeigte damit ihre Anpassungsfähigkeit und Beharrlichkeit bei der Verfolgung ihrer Ziele. - Weiteren Hinweisen zufolge sollte Ende November ein mutmaßliches Anschlagsvorhaben realisiert werden. - Ermittlungsergebnisse der Polizei im Zusammenhang mit Personen aus dem islamistischen Personenspektrum bestätigten die Bestrebungen islamistischer Gruppen zu Anschlagsplanungen in der Bundesrepublik Deutschland. Die Sicherheitsbehörden haben auf die verschärfte Lage mit der Umsetzung eines umfangreichen Maßnahmenkonzeptes reagiert, dessen außenwirksame Komponenten - wie zum Beispiel die verstärkte öffentlich wahrnehmbare polizeiliche Präsenz - zum Teil bereits lageangepasst zurückgefahren werden konnten. Gleichwohl bewerten die Sicherheitsbehörden die vorliegenden Hinweise auf Anschlagsplanungen islamistisch motivierter, terroristischer Gruppierungen oder Personen in Europa nach wie vor in ihrer Gesamtheit als herausragend. Ein wichtiger Aspekt bei der Einschätzung der Gefährdungslage ist weiterhin die Auswertung der Medienarbeit islamistischer Organisationen. Vor allem "Kern-al-Qaida"47 und AQAH sowie die "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) und die "Islamische Jihad Uni45 Die von Usama BIN LADIN Mitte der 1980er Jahre gegründete "al-Qaida" ("Die Basis") verfolgt eine Doppelstrategie. Einerseits tritt sie mit propagandistischen Aktivitäten im Internet als "virtuelle" Organisation auf und setzt damit Impulse für die Aktivisten. Andererseits ist sie verstärkt bemüht, ihre Handlungsfähigkeit mit Terroranschlägen und Aufrufen zum gewaltsamen "Jihad" sicherzustellen. Ihre Ziele sind das Zurückdrängen westlicher Einflüsse auf muslimische Länder sowie der Sturz der nach ihrer Ansicht "vom Glauben abgefallenen" Regierungen im Nahen und Mittleren Osten. 46 2009 schlossen sich "al-Qaida im Jemen" und "al-Qaida"-Kräfte aus Saudi-Arabien zu AQAH zusammen. 47 Als "Kern-al-Qaida" bezeichnet man die "al-Qaida"-Führung und deren näheres Umfeld. 81 on" (IJU)48 veröffentlichten eine Vielzahl von Verlautbarungen und Erklärungen in Form von Videound Audiobotschaften sowie Texten, in denen zum Teil in deutscher Sprache zum "Jihad" aufgerufen wird. Über Videoportale wie zum Beispiel "Youtube" und jihadistische Internetforen erreichen islamistische Organisationen ein breites Publikum. Um den von islamistisch-terroristischen Gruppierungen ausgehenden Gefahren rechtzeitig begegnen zu können, wird vor allem dem Erkennen und Beobachten von Netzwerken und Strukturen eine große Bedeutung beigemessen. Diese Netzwerkstrukturen sind sehr komplex und heterogen und bilden zugleich ein Reservoir für die Radikalisierung und die Rekrutierung von Personen, die Ausbildungsund Trainingslager der "al-Qaida" besuchen, um sich auf mögliche Kampfeinsätze und Attentate vorzubereiten. Besonders achten die Sicherheitsbehörden auf die Rückkehr solcher radikalisierten Personen. Den Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder liegen Informationen zu insgesamt rund 255 Personen mit Deutschland-Bezug und islamistisch-terroristischem Hintergrund vor, die seit Beginn der 1990er Jahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben sollen oder eine solche anstreben. Etwa 135 dieser 255 Personen halten sich derzeit vermutlich wieder in Deutschland auf, davon sind etwa zehn Personen inhaftiert.49 Öffentlich bekannt ist, dass sich auch Personen mit DeutschlandBezug in Regionen wie zum Beispiel dem afghanischpakistanischen Grenzgebiet aufhalten, in denen sich Ausbildungslager islamistisch-terroristischer Organisationen befinden. Die ständige Thematisierung Deutschlands in Verlautbarungen islamistischer Gruppierungen könnte diese Entwicklung weiter verstärken. 48 Die IJU wurde 2002 als Abspaltung von der IBU gegründet. Ihr gehören sunnitische Islamisten an. Ihre Führung in Pakistan verfügt über Kontakte zur "al-Qaida" und ist von deren Ideologie beeinflusst. Sie verfolgte zunächst regionale Ziele in Usbekistan, hat aber ihren Aktionskreis zwischenzeitlich im Sinne des "Globalen Jihad" ausgeweitet. 49 Zahlenangaben Stand Februar 2011. 82 Das Beobachtungsspektrum des Arbeitsbereichs Ausländerextremismus erstreckt sich über die Beobachtung des Islamismus hinaus auch auf linksextremistisch und extrem nationalistisch ausgerichtete Bestrebungen von Ausländern. Bundesweit wurden im Berichtsjahr 73 Ausländerorganisationen mit etwa 62.500 Personen vom Verfassungsschutz beobachtet. Damit ist ein Anstieg von etwa 1.500 Anhängern im Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen. Das Islamismuspotenzial bildeten 29 Organisationen mit etwa 37.500 Personen, von denen die meisten der türkischen Organisation "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) zuzurechnen waren. Den größten Anteil der nichtislamistischen extremistischen Ausländervereine bildeten etwa 11.500 Kurden in 19 linksextremistischen und 10.150 Türken in 13 linksextremistischen und extrem nationalistischen Gruppierungen. ISLAMISTISCHE UND ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN In Sachsen-Anhalt sind keine festgefügten Strukturen islamistischer Organisationen bekannt geworden. Jedoch gab es zunehmend Hinweise auf Personen, die in Sachsen-Anhalt wohnen, aber islamistischen Gruppierungen, wie zum Beispiel der "Nordkaukasischen Separatistenbewegung" (NKSB), in anderen Bundesländern zuzurechnen sind. "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) Aufgrund der verfestigten Ausdehnung des Konfliktbereiches über Tschetschenien hinaus auf den gesamten Nordkaukasus und der endgültigen Aufspaltung der Anhängerschaft der "Tschetschenischen Republik Itschkeria" (CRI) / "Tschetschenischen Separatistenbewegung" (TSB) erfolgte im Berichtszeitraum die Umbenennung des Beobachtungsobjektes in "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB). 83 Die NKSB umfasst zum einen die "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) des Ahmed ZAKAJEW50 und zum anderen das im Oktober 2007 ausgerufene "Kaukasische Emirat" (KE)51 des selbsternannten Emirs und "Herrschers der Kaukasischen Völker" Dokku UMAROV. Auch im Jahr 2010 verübten islamistische Terroristen zahlreiche schwere Anschläge im Nordkaukasus. Der Schwerpunkt der Gewalttaten lag hier eindeutig in Dagestan, wohingegen die Lage in Tschetschenien relativ ruhig war. Die Anhänger des KE sind über ihre Aktivitäten im Nordkaukasus hinaus auch weiterhin bestrebt, den Konflikt in das russische Kernland zu tragen. So töteten zwei dagestanische Selbstmordattentäterinnen am 29. März bei zwei koordinierten Sprengstoffanschlägen in der Moskauer U-Bahn 40 Menschen und verletzten über 100 Personen zum Teil schwer. UMAROV übernahm am 31. März in einer Videobotschaft die Verantwortung für die Anschläge und kündigte weitere Angriffe an. Im Berichtsjahr gab es Einzelhinweise darauf, dass nordkaukasische Separatisten Anschläge in Westeuropa planen. So verletzte sich am 10. September in der öffentlichen Toilette eines Kopenhagener Hotels ein belgischer Staatsangehöriger tschetschenischer Abstammung offenbar bei dem Versuch, eine Briefbombe herzustellen. Die Bombe sollte vermutlich an die dänische Tageszeitung "Jyllands-Posten" verschickt werden, die im September 2005 die so genannten Mohammed-Karikaturen veröffentlicht hatte. Hinweise auf Anschläge in Deutschland durch nordkaukasische Islamisten ergaben sich im Jahr 2010 nicht. Die Zahl der Mitglieder und Anhänger der NKSB in Deutschland wird auf etwa 500 Personen geschätzt, die vielfältige Unterstüt50 Bei ZAKAJEW handelt es sich um den früheren "Premierminister" der Exilregierung der international nicht anerkannten CRI. 51 Das "Kaukasische Emirat" umfasst die russischen Teilrepubliken Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien, Nordossetien, Kabardino-Balkarien und Karatschoi-Tscherkessien. 84 zungshandlungen für diese Organisation leisten. Neben Lobbyund Propagandaarbeit werden Spenden für humanitäre Maßnahmen in der Heimat gesammelt. Des Weiteren betreibt die Organisation aber auch verdeckte Geldsammlungen, um Spendengelder in den Nordkaukasus zu transferieren und dadurch den bewaffneten Kampf vor Ort zu unterstützen. Trotz der generell gewaltbefürwortenden Strategie der NKSB wurden in Deutschland bislang keine Gewaltaktionen gegen Einrichtungen oder Staatsangehörige Russlands verzeichnet. Im Berichtszeitraum wurden in Sachsen-Anhalt mehrere Einzelpersonen festgestellt, die als Anhänger der Separatistenbewegung bezeichnet werden können und entsprechende Beziehungen bundesweit sowie international unterhielten. Gefestigte Strukturen der NKSB waren in Sachsen-Anhalt wie in den Vorjahren nicht feststellbar. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In Bezug auf nichtislamistische Organisationen, von denen sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen ausgehen, ist in Sachsen-Anhalt lediglich die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mit eigenen Organisationsstrukturen aktiv. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ist die größte nichtislamistische extremistische Ausländerorganisation in Deutschland. Sie hat sich mehrfach umbenannt (zum Beispiel in "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" [KADEK] und "Volkskongress Kurdistans" [KONGRA GEL]), verwendet aber weiter ihren bekannten Namen PKK. Sie wurde 1978 in der Türkei unter der Führung von Abdullah ÖCALAN mit der Zielstellung gegründet, in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei und in den angrenzenden Ländern einen eigenen Kurdenstaat zu errichten. Zur Durchsetzung des Vorhabens begann der militärische Arm der PKK am 85 15. August 1984 im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär. Ab 1991 erfolgten militante Operationen in Großstädten im Westen der Türkei. Aktivitäten der PKK wurden nach Westund Nordeuropa verlegt. Gewalttätige Aktivitäten von Anhängern der PKK in Form von Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen in Deutschland führten am 22. November 1993 zum vereinsrechtlichen Betätigungsverbot der PKK sowie einiger ihrer Teilorganisationen. Dieses Verbot erstreckt sich auch auf mehrere Nebenorganisationen und die angeblichen Neugründungen KADEK und KONGRA GEL, da es sich hierbei lediglich um Nachfolgeorganisationen handelt. Mit den angeblichen Neugründungen des KADEK und des KONGRA GEL in den Jahren 2002 bis 2007 beabsichtigte die PKK, eine politische, von Friedensund Demokratiegedanken getragene Neuausrichtung zu dokumentieren. Jedoch besteht nach Ansicht des Bundesministeriums des Innern nach wie vor die Organisationsidentität mit der PKK im Sinne des Vereinsgesetzes. Nach der Verhaftung52 des unumschränkten Führers der Partei ÖCALAN im Jahr 1999 veränderte die PKK ihre Strategie. Die Guerillaeinheiten stellten im Sommer 1999 ihre Operationen in der Türkei ein und zogen sich in die Berge des Nordirak zurück. Der militärische Arm der PKK bezeichnet sich seit dem Jahr 2000 als "Volksverteidigungseinheiten" (HPG). Das Ziel der Schaffung eines Kurdenstaates wurde schrittweise zu Gunsten der Forderung nach politischer und kultureller Autonomie in einem föderalen Staatsgefüge innerhalb der bestehenden Staatsgrenzen verändert. Seit dem 2. Mai 2002 ist die PKK vom "Rat der Europäischen Union" als terroristische Organisation gelistet. 52 ÖCALAN wurde 1999 in der Türkei wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Nach der Abschaffung der Todesstrafe durch das türkische Parlament im August 2002 wurde das Urteil im Oktober 2002 in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt. ÖCALAN ist auf der türkischen Mittelmeerinsel Imrali inhaftiert. 86 Ein Teil der Mitglieder der HPG trennte sich von der Organisation und gründete die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK). Die Gruppe begründete die Trennung auf ihrer Internetseite damit, dass ihr der KONGRA GEL und die HPG zu schwach erschienen. Ab 2004 verübten TAK-Mitglieder in der Westtürkei Anschläge gegen Angehörige staatlicher türkischer Einrichtungen, aber auch gegen zivile Ziele. Seit dem 21. Dezember 2006 sind die TAK vom "Rat der Europäischen Union" ebenfalls als Terrororganisation gelistet. Auch im Berichtsjahr entfalteten die TAK terroristische Aktivitäten in der Türkei. Am 8. Juni wurde in Istanbul ein Bombenattentat auf einen Polizeibus verübt. Dabei wurden 17 Personen - überwiegend Polizisten - zum Teil schwer verletzt. Die TAK bekannten sich noch am gleichen Tag über die prokurdische Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (FNA/Firat)53 zu der Tat. Zu einem am 31. Oktober in Istanbul (Türkei) verübten Selbstmordanschlag, bei dem 32 Menschen, darunter 15 Polizisten, zum Teil schwer verletzt wurden und der Attentäter getötet wurde, bekannten sich die TAK auf ihrer Homepage. Die PKK praktiziert nach wie vor eine Doppelstrategie. Während in der Türkei und in den Grenzgebieten zum Nordirak bewaffnete Auseinandersetzungen und Terroranschläge stattfinden, tritt die Organisation in Europa gewaltfrei auf. Sie verfolgt eine "Friedensstrategie", indem sie Propaganda für eine größere politische und kulturelle Selbstständigkeit der kurdischen Bevölkerung in der Türkei betreibt. Die PKK tritt in Europa hauptsächlich unter dem Namen KONGRA GEL auf, der politische Arm der Partei verwendet derzeit die Bezeichnung "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK). Von den etwa 800.000 in Deutschland lebenden ethnischen Kurden zählen etwa 11.500 Personen zum Anhängerpotenzial der PKK. Sie sind zumeist in örtlichen Vereinen organisiert. Als Dachverband 53 Firat (türkisch) = Euphrat. 87 fungiert die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM)54. Der Verein "Mezopotamien Kultur Haus e.V." in Halle ist nach eigenen Angaben Mitglied der YEK-KOM. Zur Verbreitung ihrer politischen Positionen, zur Veröffentlichung von Erklärungen der Partei sowie zur Mobilisierung der Kurden zur Teilnahme an Veranstaltungen und Demonstrationen nutzt die PKK die in Deutschland herausgegebene türkischsprachige Tageszeitung "Yeni Özgür Politika/Neue Freie Politik" und den am 19. Juni 2008 in Deutschland verbotenen türkischsprachigen Fernsehsender ROJ TV55. Gegen die Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern wurden Anfechtungsklagen erhoben. Am 24. Februar hat das BVerwG beschlossen, das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) einzuholen.56 Tätigkeitsschwerpunkt der Organisation in Europa ist die Beschaffung von Geldern zur Finanzierung des Propagandaapparates der PKK, der Organisationsstrukturen sowie der Guerillaeinheiten im Nordirak. So werden während der jährlichen Spendenkampagne in Europa und in Deutschland Millionenbeträge für die Partei eingenommen. Weitere Aktivitäten in Deutschland betrafen im Berichtsjahr vor allem die Forderung nach einer Haftentlassung ÖCALANs, den andauernden militärischen Konflikt zwischen den HPG und den türkischen Sicherheitskräften im Grenzgebiet der Türkei zum Nordirak, Proteste gegen staatliche Maßnahmen gegen Einrichtungen der PKK in der Türkei und in Europa sowie Aufrufe an europäische Re54 Die YEK-KOM mit Sitz in Düsseldorf wurde am 27. März 1994 gegründet. Laut Vereinsunterlagen pflegt die YEK-KOM die kurdische Kultur, Sprache und Tradition in Deutschland. Die Organisation tritt als Veranstalter von Kundgebungen und Demonstrationen auf. 55 Roj (kurdisch) heißt Tag. Der mit dänischer Lizenz sendende und in Belgien produzierende Satellitensender ROJ TV kann in Europa und in den kurdischen Siedlungsgebieten im Nahen Osten empfangen werden. 56 Dabei soll geklärt werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer nationalen Rechtsvorschrift über ein Vereinsverbot wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung gegen EU-Recht verstößt (Az.: BVerwG 6 A 7.08). Eine endgültige Entscheidung durch den EuGH steht noch aus. 88 gierungen, sich für eine Lösung der Kurdenfrage zu engagieren. Unter anderem fanden folgende Aktivitäten statt: Mehrere tausend Teilnehmer aus Europa demonstrierten am 13. Februar in Straßburg (Frankreich) für die Freilassung ÖCALANs. Am 20. und 21. März begingen die Anhänger und Sympathisanten der PKK deutschlandweit das Neujahrsfest Newroz57 mit Aufzügen und Fackelmärschen. Das traditionelle Fest der Kurden wird vom KONGRA GEL instrumentalisiert, um ein breites Spektrum kurdischer Volkszugehörigkeit anzusprechen und auf seine politischen Anliegen aufmerksam zu machen. Etwa 20.000 Personen sollen an der zentralen bundesweiten Demonstration unter dem Motto "Newroz bedeutet: Widerstand, Aufstand und Freiheit" in Düsseldorf teilgenommen haben. Zu aktuellen Anlässen versuchte der KONGRA GEL mit Kundgebungen und Demonstrationen in deutschen Städten öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Anlässlich der Hinrichtung von PKKAnhängern am 9. Mai im Iran initiierten Sympathisanten der PKK in Deutschland Protestveranstaltungen. In Halle beteiligten sich am 22. Mai etwa 100 Personen an einem störungsfrei verlaufenen Aufzug mit Abschlusskundgebung des "Mezopotamien Kultur Hauses e.V." unter dem Motto "Gegen die Todesstrafe im Iran". Aus Anlass der Berichterstattung der "Yeni Özgür Politika" und des Fernsehsenders ROJ TV über angebliche Leichenschändungen des türkischen Militärs an getöteten Guerillakämpfern der HPG in der Türkei mobilisierte die YEK-KOM die Kurden in Deutschland über ihre Internetseite zu Protestaktionen. In Magdeburg beteiligten sich am 13. August etwa 100 Personen an einer Demonstration unter dem Motto "Gegen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Kurden in der Türkei". Am 15. August nahmen in Halle etwa 130 57 Newroz (der neue Tag) geht historisch auf die Legende des kurdischen Schmieds Kawa zurück, der zum Widerstand gegen einen Tyrannen namens Dehak aufgerufen und diesen in der Nacht zum 21. März im Jahre 612 v. Chr. erschlagen haben soll. 89 Personen an einem Aufzug mit Abschlusskundgebung des "Mezopotamien Kultur Hauses e.V." unter dem Motto "Schluss mit den türkischen Faschisten gegen Kurden" teil. Als besonderer Höhepunkt erwies sich das am 18. September in Köln durchgeführte "18. Internationale Kurdische Kulturfestival", an dem sich etwa 35.000 PKK-Anhänger aus dem gesamten Bundesgebiet und den angrenzenden europäischen Ländern beteiligten. Die Exekutivmaßnahmen gegen den Fernsehsender ROJ TV in Belgien und Dänemark führten zu bundesweiten Protestaktionen. Am 15. Oktober nahmen in Magdeburg etwa 100 und in Halle etwa 50 Kurden an Kundgebungen teil, um gegen das Verbot von ROJ TV zu demonstrieren. Der 32. Gründungstag der PKK war Anlass für eine Feier in Magdeburg, über deren Durchführung die "Yeni Özgür Politika" in ihrer Ausgabe vom 22. Dezember unter der Überschrift "Die Freude der Wiederauferstehung" berichtete. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Die am 30. März 1994 in Damaskus (Syrien) gegründete marxistisch-leninistische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) verfolgt das Ziel, die bestehende Staatsordnung in der Türkei durch einen bewaffneten Kampf zu zerschlagen. Die Partei strebt die Schaffung einer türkischen sozialistischen Gesellschaft unter ihrer Führung an. Durch die Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 6. August 1998 ist die Organisation in Deutschland seit dem 13. August 1998 verboten. Von der "Europäischen Union" (EU) wurde die DHKP-C am 2. Mai 2002 als terroristische Organisation gelistet. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes stufte die Partei mit Beschluss vom 28. September als ausländische terroristische Vereinigung ein.58 58 Az.: 3 StR 214/10. 90 Die DHKP-C führte vom 16. bis 27. November einen bundesweiten "Langen Marsch für die Freilassung der politischen Gefangenen" durch, der von den DHKP-C-Umfeldorganisationen "Anatolische Föderation" und "Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei/Tayad" mitorganisiert wurde. In über 20 Städten fanden Kundgebungen statt, so auch am 22. November in Magdeburg. Die Teilnehmer thematisierten dabei die Strafverfahren gegen Funktionäre der DHKP-C in Deutschland und bezeichneten diese als Ausdruck staatlicher Repression und Unterdrückung der Meinungsfreiheit. Am 27. November beendete die DHKP-C diese Aktivitäten mit einer Demonstration in Köln (Nordrhein-Westfalen). STRAFUND GEWALTTATEN Die Anzahl der Strafund Gewalttaten im Bereich Ausländerextremismus ist in Sachsen-Anhalt weiterhin gering.59 59 Siehe Statistik Seite 137f. 91 V. SPIONAGEABWEHR Allgemeines Aufgrund ihrer geopolitischen Lage, der wichtigen Rolle innerhalb der EU und der NATO und nicht zuletzt als Standort vieler Unternehmen der Spitzentechnologie war die Bundesrepublik Deutschland auch im Jahr 2010 ein bedeutendes Aufklärungsziel für Nachrichtendienste einer Reihe fremder Staaten. Dies gilt insbesondere für die Nachrichtendienste der Volksrepublik China und der Russischen Föderation. Darüber hinaus sind aber auch Länder des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens zu nennen. Diesbezüglich sind die Aktivitäten des Irans, Syriens und Nordkoreas anzuführen. Durch ihre Spionageaktivitäten versuchen diese Länder sich Vorteile im politischen, militärischen und vermehrt auch wirtschaftlichen Sektor zu verschaffen. Die Nachrichtendienste totalitärer Staaten legen den Schwerpunkt ihrer Aufklärungstätigkeit insbesondere auf die Ausspähung von in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Oppositionellen. In diesem Zusammenhang wird sehr häufig massiver psychischer Druck auf die Betreffenden und ihre in der Heimat lebenden Angehörigen ausgeübt. Derartige Vorgehensweisen sind hauptsächlich von den Nachrichtendiensten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas bekannt geworden. In diesem Zusammenhang sind der iranische Nachrichtendienst VEVAK (Vezerate Etala' at Va Amniate Keshvar, Ministerium für Nachrichtenwesen und Sicherheit), die syrischen Nachrichtendienste sowie der libysche Auslandsnachrichtendienst besonders zu erwähnen. Vor dem Hintergrund der permanent fortschreitenden Globalisierung und durch die negativen Auswirkungen der internationalen Finanzkrise sind deutsche Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen im Universitätsund Hochschulbereich mehr denn je Ausforschungsbemühungen von Nachrichtendiensten fremder Staaten 92 ausgesetzt. Zwar bleibt die Problematik, dass die hiesige Wissenschaft und die gewerbliche Wirtschaft die wahren Intentionen ihrer jeweiligen "Partner" aus dem Ausland wegen der von dort betriebenen zielgerichteten Verschleierung oftmals nicht erkennen können. Jedoch scheint diesbezüglich ein größeres Problembewusstsein entwickelt worden zu sein. Chinesische Nachrichtendienste Die Volksrepublik China wird von der "Kommunistischen Partei Chinas" (KPCh) diktatorisch geführt und ist ein kommunistischer Staat, der jedoch seit zwei Jahrzehnten seine Wirtschaft zunehmend nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ausrichtet und einen steilen Aufschwung verzeichnet. Diese wirtschaftliche Entwicklung ermöglicht auch eine langfristig angelegte Aufrüstung der "Volksbefreiungsarmee" (VBA). Die Volksrepublik demonstriert ihre wachsende Macht insbesondere durch die Anschaffung moderner Waffentechnik und den Ausbau der Luftund Seestreitkräfte. Trotz zunehmender gesellschaftlicher Freiräume unterdrückt die Regierung nach wie vor unliebsame Personen und Vereinigungen, oft unter Missachtung der Menschenrechte. Ethnische und religiöse Minderheiten sind häufig Ziel einer repressiven Politik der Zentralmacht. Die Ausspähung oppositioneller Gruppen auch in der Bundesrepublik Deutschland stellt einen Schwerpunkt der chinesischen Nachrichtendienste dar. Zu erwähnen sind diesbezüglich die Demokratiebewegung, die Meditationsbewegung "Falun Gong", ethnische Minderheiten wie zum Beispiel die muslimischen Uiguren, die Tibeter und die Anhänger eines unabhängigen Taiwans. Diese Bewegungen werden in China amtlicherseits als die "Fünf Gifte" bezeichnet und von den chinesischen Sicherheitsorganen mit allen Mitteln 93 verfolgt und unterdrückt. Aktivisten drohen hohe Haftstrafen oder die Verbringung in "Umerziehungslager". Die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung Chinas im Ausland obliegt überwiegend dem "Ministry for State Security" (MSS) sowie dem Militärischen Informationsdienst "Military Intelligence Department" (MID). Beim MID handelt es sich um einen von mehreren militärischen Nachrichtendiensten innerhalb des Generalstabes der VBA. Das Interesse des MSS erstreckt sich auf die Bereiche Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Forschung sowie auf als "staatsfeindlich" definierte Organisationen und Gruppen. Die für Chinas Außenund Sicherheitspolitik und die Modernisierung der chinesischen Streitkräfte relevanten Informationen werden durch den MID beschafft. Generell begünstigen die allseits guten Beziehungen zwischen China und Deutschland sowie die exportorientierte deutsche Wirtschaft seit Jahren den einseitigen Abfluss von Know-how aus vielen Fachgebieten in Richtung China. China wiederum ist an allen technologischen Innovationen in und aus Deutschland interessiert und ist bemüht, diese auf vielfältigen Wegen zu beschaffen. In diesem Zusammenhang können auch das Bekunden eines Kaufinteresses, das Angebot einer Kooperation, der Austausch von Fachkräften sowie die Entsendung von Delegationen für nachrichtendienstliche Zwecke missbraucht werden. Grundsätzlich strebt die chinesische Regierung an, die in vielen Bereichen noch erheblichen Technologielücken zwischen ihrem Land und den führenden Industrienationen auch durch den zielgerichteten Einsatz der Nachrichtendienste zu kompensieren. Industriespionage ist eine tragende Säule der wirtschaftlichen Entwicklung Chinas und damit ein Systemproblem. Man will und muss das Land voranbringen, damit es in mehrfacher Sicht stabil bleibt. Dazu braucht man Know-how, Innovation und Marken. Um hier Entwicklungszeiten zu sparen, bedient man sich der Industriespionage in ihren vielfältigen Schattierungen. 94 Im Vordergrund steht für die chinesischen Dienste hierbei nicht die Entsendung ausgebildeter Agenten in deutsche Unternehmen und Forschungsinstitute, sondern vielmehr die Nutzung unzähliger so genannter Non-Professionals mit Zugang zu westlichem Know-how. Dieser Personenkreis zeichnet sich häufig durch Fleiß, Bildungshunger, Karrieredenken und Erwerbsstreben aus. Als potenzielle Ziele chinesischer Anwerbungsversuche kommen folglich insbesondere Praktikanten, Gaststudenten, Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter aus China in Betracht. Durch die chinesischen Dienste wird hierbei die ausgeprägte Verbundenheit der Chinesen zu ihrer Heimat zur Gewinnung für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit genutzt. Einen solchen "Non-Professional" verurteilte das Amtsgericht Tiergarten (Berlin) am 24. März. Der chinesische Austauschstudent wurde wegen des Verrats von Geschäftsgeheimnissen zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt.60 Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er sich während eines dreimonatigen Praktikums in einem geheimschutzbetreuten Berliner Architekturund Planungsbüro unbefugt Geschäftsund Betriebsgeheimnisse auf eine externe Festplatte kopiert hatte. Obwohl der Austauschstudent sich in seinem Praktikumsvertrag verpflichtet hatte, Vorschriften über die Schweigepflicht einzuhalten, nutzte er den ihm zur Verfügung stehenden fast unbegrenzten Zugriff auf das Firmennetzwerk für seine Zwecke aus. Eine firmeninterne Überprüfung ergab, dass große Mengen zum Teil geheimhaltungsbedürftiger Daten auf die Festplatte überspielt worden waren. Diese betrafen überwiegend Projekte, mit denen der Praktikant nicht betraut war, so zum Beispiel Konstruktionspläne einer deutschen diplomatischen Vertretung im Ausland. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Darüber hinaus werden von chinesischer Seite Kontakte zu führenden Personen in deutschen Firmen und zu Forschungsund Bildungseineinrichtungen unterhalten. "Ansprechpartner" sind dabei 60 Az.: (329 Ds) 5 WI Js 162/10 (15/10). 95 sowohl deutsche, als auch dort tätige chinesische Wissenschaftler. Solche Kontakte können chinesischen Nachrichtendiensten sehr gute Zugänge zu für sie interessanten Forschungskomplexen ermöglichen. In diesem Zusammenhang werden auch sehr häufig zielgerichtet Einladungen nach China ausgesprochen. Über die Nutzung so genannter menschlicher Quellen hinaus betreibt China Wirtschaftsspionage jedoch in erster Linie auf dem elektronischen Sektor. Besonders groß ist das Risiko hierbei für deutsche mittelständische Unternehmen, die ihre Rechnernetzwerke nicht durch eine in größeren Unternehmen bereits zum Standard zählende, aufwendige Sicherheitsarchitektur schützen können. Ein weiteres Sicherheitsrisiko stellt in diesem Zusammenhang die wachsende Nutzung der so genannten Internet-Telefonie auch durch Unternehmen dar. Nachrichtendienste der Russischen Föderation Die russischen Nachrichtendienste unterstützen durch ihre vielfältigen Aktivitäten im Rahmen der Informationsbeschaffung im Inund Ausland wichtige innen-, außenund machtpolitische Entscheidungen der Regierung und tragen dazu bei, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu fördern und seinen Interessen international Geltung zu verschaffen. Die russischen Auslandsaufklärungsdienste wurden insbesondere dazu aufgefordert, ihre Bemühungen zur Aufdeckung äußerer Bedrohungen für die nationale Sicherheit Russlands zu intensivieren. Folgende Nachrichtendienste der Russischen Föderation entwickeln Aktivitäten gegen deutsche Sicherheitsinteressen: Die Auslandsaufklärung obliegt hauptsächlich dem zivilen Auslandsnachrichtendienst SWR61. Der SWR verfügt über etwa 13.000 Mitarbeiter, die sich auf die Informationsbeschaffung aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik konzentrieren. 61 Sluschba Wneschnei Raswedki; dt.: "Auslandsnachrichtendienst". 96 In einem Interview mit dem Fernsehsender "Rossija" äußerste sich der russische Ministerpräsident Wladimir PUTIN Mitte Dezember unter anderem zu der Frage, wie der zivile russische Auslandsnachrichtendienst SWR im wissenschaftlich-technischen Bereich agiere. PUTIN erklärte, da Russland sich mit der Modernisierung seiner Wirtschaft befasse, werde sich die "Hilfe seitens der Geheimdienste nicht erübrigen". Nach seinen Aussagen setzt er dabei auf die Fähigkeit, alle vorhandenen Informationen vollständig zu analysieren, um aussichtsreiche Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsbranchen entsprechend zu orientieren. PUTIN knüpft damit an wiederholte Erklärungen von Präsident Dmitri MEDWEDEW an, dass der Wissenschaftsund Technologietransfer aus westlichen Ländern für Russland unverzichtbar sei, um die eigene wirtschaftliche und technologische Entwicklung zu fördern. Darüber hinaus wurden dem SWR Aufgaben im Bereich der Fernmeldeaufklärung übertragen. Ein Generalauftrag des SWR ist die Aufklärung westlicher Nachrichtendienste und hier insbesondere der Nachrichtendienste der Bundesrepublik Deutschland. Neben dem SWR entwickelt auch der militärische Nachrichtendienst GRU62 Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland. Der GRU besteht aus etwa 12.000 Mitarbeitern, deren Zielrichtung die Aufklärung der Bundeswehr, europäischer Verteidigungsstrukturen und der NATO ist. Darüber hinaus hat die GRU ein ausgeprägtes Interesse an militärisch nutzbarer Technologie. Neben den beiden bereits genannten russischen Nachrichtendiensten existiert als weiterer russischer Dienst der FSB63. Beim FSB handelt es sich um den Inlandsnachrichtendienst mit besonders breit gefächertem Aufgabengebiet, der etwa 350.000 Beschäftigte hat und somit zahlenmäßig der größte Nachrichtendienst innerhalb der Russischen Föderation ist. Im Rahmen seiner Abwehraktivitäten betreibt der FSB unter anderem eine intensive Überwachung des 62 Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije; dt.: "Hauptverwaltung für Aufklärung". 63 Federalnaja Sluschba Besopasnosti; dt.: "Bundesagentur für Sicherheit". 97 Internets und verfügt dazu über einen ständigen Zugriff auf den Datenverkehr. Darüber hinaus gehört die Kontrolle der nach Russland einund ausreisenden Personen zu den Aufgaben des FSB. Er ist für die zivile und militärische Spionageabwehr, die Beobachtung des politischen Extremismus sowie die Bekämpfung von Terrorismus und "Organisierter Kriminalität" (OK) zuständig. Neben seiner Beteiligung an der "Terrorismusbekämpfung" im Nordkaukasus soll er die russische Industrie vor Wirtschaftsspionage und OK sowie ausländische Investoren vor Wirtschaftskriminalität schützen. In Zukunft kann der FSB auch ohne Absprache mit Justiz oder Polizei nach eigenem Ermessen gegen ihm verdächtige Bürger und Organisationen vorgehen. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde im Frühjahr von der Regierung PUTINs ins Parlament eingebracht. Die Regierung begründet das Vorhaben mit der Zunahme extremistischer Organisationen und von Verbrechen, was wiederum wachsende soziale Spannungen in der Gesellschaft verursache. Bürgerrechtler und die Opposition befürchten hingegen, dass der FSB damit Regierungsgegner deutlich einfacher kontrollieren und abstrafen kann. Obwohl die Aktivitäten gegen die Bundesrepublik Deutschland hauptsächlich von den beiden Auslandsnachrichtendiensten SWR und GRU ausgehen, hat auch der FSB in der Vergangenheit versucht, deutsche Staatsangehörige während ihres Aufenthaltes in Russland für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit anzuwerben. In Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland wurde hierbei gezielt versucht, deutschstämmige Spätaussiedler für eine geheimdienstliche Agententätigkeit zu gewinnen. Weitere Informationen werden durch die Befragung von Landsleuten gewonnen, die sich aus beruflichen Gründen zeitweise in Deutschland aufhielten. Ihre Aktivitäten in Deutschland entwickeln die Mitarbeiter der russischen Auslandnachrichtendienste SWR und GRU aus den so genannten Legalresidenturen heraus. Diese sind Bestandteil der diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Föderation in der Bundesrepublik Deutschland und finden sich überdies in den Niederlassungen der russischen Medienagenturen und 98 Luftfahrtgesellschaften. Generell sind die russischen Dienste an den Auslandvertretungen in Deutschland stark vertreten und im europäischen Vergleich überrepräsentiert. Dies verdeutlicht den Stellenwert Deutschlands als Aufklärungsziel. Ihren größten Stützpunkt in der Bundesrepublik Deutschland unterhalten SWR und GRU an der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Die Informationsbeschaffung in der Bundesrepublik Deutschland erfolgt vor allem durch die hauptamtlichen Nachrichtendienstangehörigen, die getarnt als Diplomaten oder Journalisten tätig werden. Zudem gibt es Beschaffungsoperationen unter unmittelbarer Steuerung aus den Dienstzentralen in Moskau. Hinzu kommt eine intensive Fernmeldeaufklärung. Einen Großteil ihres Informationsbedarfs decken die russischen Nachrichtendienste durch die Auswertung offener Quellen wie des Internets und anderer Medien, den Besuch von Industriemessen, die Teilnahme an öffentlichen Vortragsveranstaltungen, Tagungen und Diskussionsrunden sowie durch Gespräche mit Kontaktpersonen. Sie wenden aber auch konspirative Methoden an, um besonders sensible Informationen zu beschaffen. Dies geschieht, wenn der Kontaktpartner Zugang zu besonders schutzwürdigen Informationen besitzt und bereit ist, diese preiszugeben. In diesem Zusammenhang werden manche Verbindungen im Laufe der Zeit nach klassischem Muster zu echten Agentenoperationen weiterentwickelt. Ins Blickfeld der russischen Nachrichtendienste geraten vor allem solche Personen, die sich aus privaten oder beruflichen Gründen regelmäßig oder für längere Zeit in Russland aufhalten. Insbesondere Angehörige deutscher diplomatischer Vertretungen, Behördenvertreter auf Dienstreisen, aber auch Firmenrepräsentanten sowie Personen, die in Russland einer freiberuflichen Tätigkeit nachgehen oder studieren, müssen mit nachrichtendienstlichen Ansprachen rechnen. 99 Nachrichtendienste der Republik Belarus (Weißrussland) Neben der Russischen Föderation unterhalten nur wenige Mitglieder der "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) Legalresidenturen in ihren Auslandsvertretungen in der Bundesrepublik Deutschland und setzen dort Mitarbeiter verdeckt auf diplomatischen Tarndienstposten ein. Über die stärkste nachrichtendienstliche Präsenz verfügt die Republik Weißrussland. Die Angehörigen des weißrussischen Nachrichtendienstes interessieren sich insbesondere für die Bewertung der politischen Lage in ihrem Heimatland durch die deutsche Politik sowie für Aktivitäten in Deutschland zur Unterstützung der Opposition in Weißrussland. Da der weißrussische Präsident Alexander LUKASCHENKO eine Bedrohung durch diese oppositionellen Bewegungen sowie die Gefahr von deren Unterstützung durch Ausländer sieht, werden Ausländer während ihres Aufenthaltes in Weißrussland intensiv überwacht. Mit Erlass vom 1. Februar hat LUKASCHENKO die Telefonunternehmen des Landes verpflichtet, dem zivilen Nachrichtendienst KGB64 rund um die Uhr kostenlos Zugang zu den Kundenanschlüssen zu ermöglichen. Außerdem müssen weißrussische OnlineDienstleister alle persönlichen Daten sowie das Nutzerprofil ihrer Kunden über einen Zeitraum von fünf Jahren erfassen und dem KGB bei Bedarf vollständig zur Verfügung stellen. Diese Befugnisse entsprechen den Rechten, die in Russland dem Inlandsnachrichtendienst FSB gegenüber dortigen Telekommunikationsunternehmen bereits im Jahr 2000 für die Internetund 2005 für die Telefonkontrolle zugewiesen wurden. Durch die Erweiterung der Befugnisse des KGB müssen ausländische Staatsangehörige nunmehr auch in Weißrussland damit rechnen, bei Telefonaten oder der Internetnutzung ins Blickfeld des Nachrichtendienstes zu geraten. Diesem Aspekt sollten Weißrussland-Reisende in jedem Fall Rechnung tragen. 64 Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti; dt.: "Komitee für Staatssicherheit". 100 Nachrichtendienste Libyens Neben den bisher angeführten Nachrichtendiensten agieren auch solche anderer Staaten im Bundesgebiet. Die Schwerpunkte ihrer Beschaffungsaktivitäten orientieren sich außer an den wirtschaftlichen Prioritäten auch am aktuellen politischen Geschehen in ihren Staaten. Die Aufklärungsziele auch solcher ausländischer Nachrichtendienste reichen von der Informationsbeschaffung aus Politik, Wirtschaft und Militär bis hin zur Ausspähung und Unterwanderung von in Deutschland ansässigen Organisationen und Personen, die in Opposition zur Regierung ihres Heimatlandes stehen. Solche Aktivitäten entfalten auch der libysche Auslandssicherheitsdienst und das so genannte Revolutionskomitee. Am 13. Mai wurden auf dem Flughafen Berlin/Tegel zwei libysche Staatsangehörige wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit festgenommen. Beide Personen hatten für den libyschen Geheimdienst oppositionelle Landsleute in Deutschland und Westeuropa ausgeforscht. Den Ermittlungsergebnissen zufolge hatte einer der Beschuldigten seit August 2007 als Führungsoffizier eines libyschen Nachrichtendienstes europaweit, vor allem aber in Deutschland, Informationen aus Oppositionellenkreisen beschafft und diese an die Zentrale in Libyen übermittelt. Bei der zweiten Person handelte es sich um seine Quelle. Diese war zur Ausspähung der libyschen Opposition in ganz Europa eingesetzt worden und hatte zudem Treffs ihres Führungsoffiziers mit anderen Quellen abgesichert. Der Staatsschutzsenat des Berliner Kammergerichts verurteilte beide libysche Staatsangehörige wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten sowie einem Jahr und zehn Monaten.65 In der Urteilsbegründung wird dargelegt, dass auch die Ausforschung inländischer Ausländerorganisationen und von Ausländern im Inland regelmäßig eine gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtete geheimdienstliche Tätigkeit darstellt. 65 Az.: (1) 3 StE 5/10-2 (7/10); Urteil vom 12. Januar 2011. 101 Der Anwalt des Führungsoffiziers stellte zwischenzeitlich einen Antrag auf Absehen von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen, nämlich das Vorliegen eines rechtskräftigen Urteils sowie eines Ausweisungsbescheides der Ausländerbehörde, sind erfüllt. Die Ausweisung ist unbefristet und hat zur Folge, dass der Betroffene zur Ausreise verpflichtet ist, ihm künftig kein Aufenthaltstitel mehr erteilt wird und er weder in die Bundesrepublik noch in einen anderen Schengen-Staat einreisen darf. Am 21. September nahm das Bundeskriminalamt (BKA) in Halle einen weiteren libyschen Spion fest. Das Berliner Kammergericht verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten.66 Die Strafe wurde auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Des Weiteren ordnete das Gericht den Verfall von 2.200 Euro an, die der Beschuldigte als Agentenlohn von seinem Führungsoffizier erhalten hatte. Die Richter befanden den Angeklagten für schuldig, von Mai 2010 bis zur Verhaftung als inoffizieller Mitarbeiter des libyschen Auslandsnachrichtendienstes im Exil lebende Oppositionelle ausgespäht zu haben. Bereits zum Prozessauftakt räumte der Beschuldigte dies ein. Weiterhin bestätigte er, die Informationen an seinen Führungsoffizier gegen Agentenlohn weitergegeben zu haben. Ziel sei die Unterwanderung libyscher Exilgruppen gewesen, um deren Arbeit zu sabotieren. Proliferation67 Die so genannten Risikostaaten Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien bemühen sich darum, in den Besitz von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen sowie deren Trägersystemen zu gelangen oder die bereits bestehenden Arsenale und 66 Az.: (1) 3 StE 7/10-2 (9/10); Urteil vom 8. Februar 2011. 67 Unter dem Begriff Proliferation versteht man die Weitergabe von atomaren, biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) und deren Trägersystemen sowie von Mitteln und Know-how zu deren Herstellung an Länder, von denen zu befürchten ist, dass diese Waffen von dort aus in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchführung politischer Ziele angedroht wird. 102 Produktionsanlagen zu modernisieren, zu komplettieren oder zu erweitern. Da sich die genannten Staaten an die internationalen Verträge, die sie zum Teil selbst ratifiziert haben, nicht halten, zum Beispiel indem sie im Nuklearbereich die verabredeten Kontrollen durch die "Internationale Atomenergie Agentur" (IAEA) nicht zulassen, verhängten der "Sicherheitsrat der Vereinten Nationen" und die EU Embargos. Um trotzdem an die benötigten Materialien und an technische Ausrüstungen zu gelangen, die selbst noch nicht hergestellt werden können, werden diese konspirativ, das heißt unter Verschleierung des tatsächlichen Endkunden oder durch Falschund Umdeklarierung der betreffenden Güter, auf Umwegen durch Drittstaaten in Risikoländer geliefert. Weiterhin besteht die Gefahr, dass das dazugehörige Know-how und die neuesten Forschungsergebnisse auf diesen Gebieten im Rahmen des allgemeinen wissenschaftlichen Austausches abfließen. Der Iran besitzt Chemiewaffen, bestreitet aber öffentlich, Nuklearwaffen herzustellen. Er behauptet, Uran lediglich für zivile Zwecke anzureichern. Am 11. Februar erklärte der iranische Präsident Mahmud AHMADINEDSCHAD den Iran zur Atommacht. Nahezu jährlich verschärft die EU die Embargo-Maßnahmen gegen den Iran durch rechtlich bindende Verordnungen, so am 25. Oktober durch die EU-Verordnung 961/2010. Der Iran bemüht sich um die Entwicklung von Trägersystemen, die in der Lage sind, Ziele auf dem europäischen Kontinent zu treffen. Nordkorea führte bereits 2006 und 2009 erste Nuklearwaffentests durch. Die IAEA bezeichnet das Land als Atomwaffenstaat. Dazu betreibt es selbst Proliferation, indem es Waffenträgersysteme unterschiedlicher Reichweiten exportiert. Syrien besitzt weiterhin Chemiewaffen und betreibt ein Raketenprogramm. 103 Pakistan verfügt über Nuklearwaffen und erfolgreich getestete Trägersysteme. Um die bestehenden weltweiten Exportkontrollen zu unterlaufen, setzen alle Risikostaaten auf nachrichtendienstlich gesteuerte Beschaffungsmaßnahmen. Aufgabe der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes ist es daher, von fremden Geheimdiensten gesteuerte oder durch fremde Staaten mit verdeckten Mitteln und Methoden betriebene Proliferationsvorgänge im Zusammenwirken mit anderen Behörden aufzudecken und, wenn möglich, zu unterbinden. Dies geschieht zum Beispiel durch Informationsweitergabe an die Strafverfolgungsbehörden. Die Broschüre "Proliferation. Wir haben Verantwortung", die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder im Berichtsjahr neu herausgegeben wurde, kann im Internet unter www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz abgerufen oder als Druckschrift per E-Mail bei abwehr@mi.sachsen-anhalt.de angefordert werden. Wirtschaftsschutz Vielen Unternehmen und Forschungseinrichtungen ist nicht bekannt, dass fremde Nachrichtendienste an ihren Betriebsgeheimnissen und Forschungsergebnissen interessiert sind und teilweise damit einem gesetzlichen Auftrag ihrer Länder folgen, Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage zu betreiben. Im Zusammenwirken mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der anderen Länder ist auch die sachsen-anhaltische Verfassungsschutzbehörde bemüht, das Wissen um die Mittel und Methoden von Nachrich104 tendiensten in Wirtschaft und Wissenschaft unseres Landes zu verbreiten. Ziel ist es dabei nicht, Misstrauen zu säen, sondern die Inhaber schutzbedürftigen Know-hows in die Lage zu versetzen, hinreichende Sicherungsmaßnahmen ergreifen zu können. Nicht jedes Sicherheitsvorkommnis in einem Betrieb oder einer wissenschaftlichen Einrichtung muss deshalb schon als Spionage im Sinne des Strafgesetzbuches gewertet werden, auch die Ausspähung durch konkurrierende Unternehmen (so genannte Industriespionage) kann die Ursache für einen Know-how-Abfluss sein und ist ebenfalls strafbar. Studien in der gewerblichen Wirtschaft aber auch eigene Erfahrungen zeigen, dass das Sicherheitsbewusstsein in der Wirtschaft bei Großunternehmen stärker ausgeprägt ist als bei kleinen und mittelständischen Unternehmen. In der Regel sind Unternehmen, die bereits geschädigt worden sind, sensibler für diese Thematik, als solche, die noch keine Know-how-Verluste zu verkraften hatten. Die Verfassungsschutzbehörde bietet den sachsen-anhaltischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen eine Sicherheitspartnerschaft an, die Information, vertrauensvollen Dialog und eine Sensibilisierung zu Fragen der Wirtschaftsspionage umfasst. Ziel dieser Partnerschaft ist es, Wirtschaftsspionage zu erkennen und einen Know-how-Abfluss zu verhindern. Einzelsensibilisierungen in der Firma oder im Institut sowie Vorträge zu den genannten Themen führt die Verfassungsschutzbehörde unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten kostenfrei durch. Darüber hinaus können unter der angeführten Adresse68 die Broschüre "Wirtschaftsspionage. Risiko für Ihr Unternehmen", die auch Verhaltensempfehlungen für Auslandsreisen enthält, und die Faltblätter - Schrankenlose Offenheit - "Soziale Netzwerke" im Web, - Elektronische Attacken auf Informationsund Kommunikationstechnik, - Sicherheit im Know-how-Transfer, 68 Siehe Seite 104. 105 - Sicherheitslücke Mensch - Der Innentäter als größte Bedrohung für die Unternehmen und - Wissenschaftsspionage - Gefahren für Forschung und Lehre als Druckausgaben angefordert werden. Mitarbeit der Bevölkerung Eine wirkungsvolle Spionageabwehr ist nur mit Hilfe der Bevölkerung möglich. Die Verfassungsschutzbehörde des Landes SachsenAnhalt geht daher Hinweisen auf die Tätigkeit fremder Nachrichtendienste nach und bittet alle Bürgerinnen und Bürger, die von derartigen Sachverhalten Kenntnis haben oder von fremden Nachrichtendiensten zur Mitarbeit aufgefordert wurden, ihr Wissen im Interesse unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der eigenen Sicherheit weiterzugeben. Dies gilt auch für diejenigen, die bereits im fremden Interesse nachrichtendienstlich tätig geworden sind. Ihnen kann geholfen werden, sich aus einer ausweglos erscheinenden Situation zu befreien. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen nicht wie die Strafverfolgungsbehörden dem Legalitätsprinzip und sind daher nicht in jedem Fall verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden über Hinweise auf Spionagedelikte zu informieren. Voraussetzung hierfür ist jedoch, die freiwillige Aufgabe der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und eine umfassende Offenbarung. Die Verfassungsschutzbehörde bietet hierzu jederzeit ihre Hilfe an und sichert Vertraulichkeit zu. Die Spionageabwehr der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt ist wie folgt zu erreichen: Telefon: 0391/567 3900 Fax: 0391/567 5943 E-Mail: abwehr@mi.sachsen-anhalt.de 106 VI. GEHEIMSCHUTZ Allgemeines Alle Institutionen des Bundes und der Länder sowie die Bevölkerung selbst müssen sich darauf verlassen können, dass Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden kann, als im staatlichen Interesse geheimzuhaltende Informationen (Verschlusssachen - VS) wirkungsvoll geschützt werden. Besondere vorbeugende Maßnahmen, der so genannte personelle und materielle Geheimschutz, sollen dies gewährleisten. Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der NATO und anderer überoder zwischenstaatlicher Einrichtungen gehalten, bestimmte Sicherheitsnormen zu erfüllen. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 4 Absatz 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) bei Geheimschutzverfahren im Behördenund Wirtschaftsbereich mit. Das Verfahren ist im sachsen-anhaltischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz (SÜG-LSA) geregelt.69 Geheimschutz im Behördenbereich Personeller Geheimschutz Maßgeblich für den personellen Geheimschutz ist die Sicherheitsüberprüfung. Sie ist notwendige Voraussetzung für die Ermächtigung einer Person zum Zugang zu im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Informationen (Verschlusssachen). Im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde festzustellen, ob eine Person für eine sicherheitsempfindliche Posi69 Siehe Seite 110. 107 tion geeignet ist. Dabei gilt es, etwaige Sicherheitsrisiken herauszufinden oder auszuschließen. Ferner berät die Verfassungsschutzbehörde in Fragen des Geheimschutzes die Geheimschutzbeauftragten der Ministerien sowie der oberen und mittleren Landesbehörden. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz befasst sich mit technischen und organisatorischen Sicherheitsvorkehrungen, die verhindern oder zumindest erschweren sollen, dass Unbefugte an geschützte Informationen gelangen. Die Verfassungsschutzbehörde hat hierbei die Aufgabe, öffentliche Stellen des Landes zu beraten, wie sie am besten technische Sicherungsmaßnahmen planen und durchführen können. Geheimschutz in der Wirtschaft Neben den erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Geheimschutzes in Behörden muss der Staat auch sensible Bereiche der Wirtschaft schützen, die mit der Ausführung geheimhaltungsbedürftiger öffentlicher Aufträge betraut sind. Die Erfahrungen haben auch im Berichtsjahr gezeigt, dass sich die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste nicht nur gegen staatliche Institutionen, sondern auch gegen Wirtschaftsunternehmen richten. Ein wirksames Geheimschutzsystem soll hier gewährleisten, dass die gegen die deutsche Wirtschaft gerichteten Ausspähungsversuche durch gezielte Maßnahmen im vorbeugenden Bereich abgewehrt werden können, um irreparable Schäden zu vermeiden. 108 VII. VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT Rechtliche Grundlagen Die geschichtlichen Erfahrungen der Weimarer Republik, die sich den Angriffen von rechts und links schutzlos ausgesetzt sah und schließlich vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten kapitulieren musste, veranlassten die Verfasser des Grundgesetzes, die Bundesrepublik Deutschland als streitbare Demokratie zu gestalten. Deshalb enthält das Grundgesetz (GG) Schutzvorkehrungen zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: - die Verwirkung bestimmter Grundrechte, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Art. 18 GG), - das Recht, Parteien (Art. 21 Abs. 2 GG) und sonstige Vereinigungen (Art. 9 Abs. 2 GG) zu verbieten, wenn diese darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, - die Unabänderlichkeit wesentlicher Grundsätze der Verfassung wie zum Beispiel des Schutzes der Menschenwürde und fundamentaler Verfassungsgrundsätze (Art. 79 Abs. 3 GG). Die Einrichtung von Verfassungsschutzbehörden ist Ausdruck der Entscheidung des Grundgesetzgebers für eine wehrhafte Demokratie. Er hat dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (Art. 73 Nr. 10b und Nr. 10c GG) zugewiesen und ihn zur Einrichtung von Zentralstellen zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) ermächtigt. Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bun109 desamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG)70 regelt unter anderem den gemeinsamen Aufgabenrahmen der Verfassungsschutzbehörden und ihre Zusammenarbeit. Das BVerfSchG verpflichtet die Länder zur Einrichtung von Landesbehörden für den Verfassungsschutz. Die Länder haben ihre Verfassungsschutzbehörden entweder als Teil des Ministeriums des Innern oder als selbstständige Landesbehörde organisiert. Seit April 1999 wird die Aufgabe des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt durch eine Abteilung des Ministeriums des Innern wahrgenommen. Einrichtung, Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde werden durch das Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) geregelt. Das Gesetz ist zuletzt durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt vom 11. November 2010 novelliert worden.71 Das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Land Sachsen-Anhalt (AG G 10-LSA)72 beinhaltet die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen für Maßnahmen, die in das Grundrecht nach Art. 10 GG eingreifen. Das Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz (SÜGLSA)73 ist die gesetzliche Regelung für Sicherheitsüberprüfungen, die aus Gründen des Geheimschutzes oder des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes erforderlich werden. Aufgaben des Verfassungsschutzes Aufgabe der sachsen-anhaltischen Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und die Auswertung von Informationen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes 70 BGBl. 1990, Teil I, S. 2954, 2970, zuletzt geändert durch Artikel 1a des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. 2009, Teil I, S. 2499). 71 GVBl. LSA 2006, S. 236, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. November 2010 (GVBl. LSA 2010, S. 541). 72 GVBl. LSA 2006, S. 25; Bundesrecht: Artikel 10-Gesetz - G 10 (BGBl. 2001 Teil I, S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. 2009, Teil I, S. 2499). 73 GVBl. LSA 2006, S. 14. 110 oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129, 129a des Strafgesetzbuches, 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 5. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Im Rahmen des Geheimschutzes und des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes wirkt die Verfassungsschutzbehörde bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen des öffentlichen und nichtöffentlichen Bereichs mit. Sie berät zudem bei technischen Sicherheitsmaßnahmen. Zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde zählt auch die Mitwirkung bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Aufenthalts-, dem Staatsangehörigkeits-, dem Luftsicherheits-, dem Sprengstoffund dem Atomgesetz sowie nach der Bewachungsverordnung. Um im Sinne eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes alle relevanten Erkenntnisse in Bezug auf den islamistischen Extremismus 111 und Terrorismus zentral auswerten zu können, ist das "Gemeinsame Informationsund Auswertungszentrum islamistischer Terrorismus" (GIAZ) geschaffen worden. Im GIAZ arbeiten Mitarbeiter von Verfassungsschutz und Polizei unter Beachtung des Trennungsgebotes und der für die jeweilige Behörde geltenden Rechtsvorschriften zusammen. Keine polizeilichen Befugnisse Die Verfassungsschutzbehörde hat keine polizeilichen Befugnisse. Ihre Mitarbeiter sind also nicht berechtigt, zu verhören, zu verhaften, festzunehmen, anzuhalten, zu beschlagnahmen oder zu durchsuchen. Die Verfassungsschutzbehörde darf auch nicht im Wege der Amtshilfe die Polizei um die Durchführung von Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. Methoden und Mittel nachrichtendienstlicher Tätigkeit Wo die offene Informationserhebung nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht, darf die Verfassungsschutzbehörde unter den Voraussetzungen der SSSS 7 und 8 VerfSchG-LSA nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kann dann erforderlich werden, wenn eine Organisation oder Gruppierung sich nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammenfindet oder sich generell konspirativ verhält, um ihre wahren Absichten zu verschleiern. Weil der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einen Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen darstellt, ist er nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhaltes auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise nicht möglich ist und nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Ein wichtiges nachrichtendienstliches Mittel ist der Einsatz von Vertrauensleuten (kurz: V-Leuten). Bei V-Leuten handelt es sich um Personen, die gezielt zur verdeckten Beschaffung von Informationen eingesetzt werden. V-Leute sind keine Bediensteten der Ver112 fassungsschutzbehörde. Die Steuerung extremistischer Gruppierungen oder Organisationen durch V-Leute ist unzulässig. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählt auch die Brief-, Postund Telefonkontrolle. Der hiermit verbundene Eingriff in das Grundrecht nach Artikel 10 GG ist nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes zulässig. Die Verfassungsschutzbehörde ist im Rahmen detaillierter gesetzlicher Regelungen befugt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen, sowie die dem Briefoder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen.74 Datenschutz Zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erhobene personenbezogene Daten sind nach den einschlägigen Datenschutzvorschriften, insbesondere den im Verfassungsschutzgesetz enthaltenen datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu behandeln. Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten nicht unbefristet oder auf Vorrat speichern. War eine Speicherung in einer Datei unzulässig oder ist die Kenntnis der gespeicherten Daten zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich, ist eine Löschung vorzunehmen. In diesem Fall sind zugleich die zur Person geführten Akten zu vernichten. Daten von Minderjährigen unterliegen besonderen Schutzbestimmungen (SSSS 10, 21 VerfSchG-LSA). Personenbezogene Daten dürfen nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen an Dritte übermittelt werden. So übermittelt die Verfassungsschutzbehörde den Strafverfolgungsbehörden personenbezogene Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Datenübermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von gravierenden Staatsschutzdelikten erforderlich ist. 74 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) BGBl. 2001 Teil I, S. 1254, 2298, zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 31. Juli 2009 (BGBl. 2009, Teil I, S. 2499). 113 Auskunftserteilung Jedermann kann unentgeltliche Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten beantragen. Die Verfassungsschutzbehörde ist nach SS 14 VerfSchG-LSA grundsätzlich verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Die Auskunft hat jedoch zu unterbleiben, wenn bestimmte, im Gesetz geregelte Ausschlussgründe vorliegen. Ein solcher Ausschlussgrund ist beispielsweise gegeben, wenn durch die Auskunftserteilung eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde drohen würde. Kontrolle Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt der Kontrolle durch den Landtag. Diese Aufgabe nimmt die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK)75 wahr. Hiervon bleiben die anderen Rechte des Landtages und seiner Ausschüsse unberührt. Die Landesregierung hat diese Kommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Die aus Abgeordneten des Landtages bestehende PKK tritt mindestens vierteljährlich zusammen. Grundsätzlich hat die PKK das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von Auskunftspersonen. In den Fällen der oben dargestellten Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz76 und der Wahrnehmung von besonderen Auskunftsbefugnissen nach SS 17a VerfSchG-LSA erfolgt die Kontrolle durch ein eigens dafür eingesetztes Gremium, die G 10-Kommission. Deren Kontrollbefugnis erstreckt sich auf den gesamten Prozess der Verarbeitung und Nutzung der erlangten personenbezogenen Daten. 75 Durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt vom 16. November 2006 (GVBl. LSA, S. 524) wurde die Anzahl der Kommissionsmitglieder von bislang drei auf nunmehr vier Abgeordnete des Landtages von Sachsen-Anhalt erhöht. 76 Siehe Seite 110. 114 Zusätzlich wird die Landesregierung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz, den Landesrechnungshof und die Gerichte kontrolliert. Schließlich unterliegt die Verfassungsschutzbehörde einer faktischen Kontrolle durch die Berichterstattung der Medien und die öffentliche Meinung. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Durch ihre Öffentlichkeitsarbeit leistet die Verfassungsschutzbehörde einen wichtigen Beitrag in der geistig-politischen Auseinandersetzung mit extremistischem und terroristischem Gedankengut und dient damit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Regierung und Parlament, aber auch die Bürger werden durch den Verfassungsschutz über die Aktivitäten und Absichten der verfassungsfeindlichen Organisationen informiert. Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde halten Vorträge über - die Institution des Verfassungsschutzes und - offen verwertbare Ergebnisse der nachrichtendienstlichen Facharbeit. Der Unterrichtung der Öffentlichkeit dient der Verfassungsschutzbericht. Die Verfassungsschutzberichte der letzten fünf Jahre können im Internet unter der Adresse www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz heruntergeladen werden. 115 Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) In der Fassung der Bekanntmachung vom 6. April 2006 (GVBl. LSA S. 236), zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. November 2010 (GVBl. LSA S. 541) Inhaltsübersicht Erster Teil: ORGANISATION UND AUFGABEN SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 2 Organisation und Zusammenarbeit SS 3 Bedienstete und Mitarbeiter SS 4 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde SS 5 Begriffsbestimmungen Zweiter Teil: ERHEBUNG, VERARBEITUNG UND NUTZUNG PERSONENBEZOGENER DATEN SS 6 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 7 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 8 Besondere Formen der Datenerhebung SS 9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS 10 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien SS 12 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Daten in Akten SS 13 (weggefallen) Dritter Teil: AUSKUNFT SS 14 Auskunft an die betroffene Person Vierter Teil: INFORMATIONSÜBERMITTLUNG SS 15 Unterrichtungspflichten SS 16 Zulässigkeit von Ersuchen der Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung personenbezogener Daten 116 SS 17 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde durch öffentliche Stellen SS 17a Übermittlung von besonderen Informationen an die Verfassungsschutzbehörde SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde SS 19 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an die Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes SS 20 Übermittlungsverbote SS 21 Minderjährigenschutz SS 22 Pflichten des Dritten, an den übermittelt wird SS 23 Nachberichtspflicht SS 23a Weitergabe personenbezogener Daten Fünfter Teil: PARLAMENTARISCHE KONTROLLE SS 24 Parlamentarische Kontrollkommission SS 25 Zusammensetzung und Wahl SS 26 Verfahrensweise SS 27 Aufgaben und Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission SS 28 Beteiligung des Landesbeauftragten für den Datenschutz SS 29 Datenerhebung bei Mitgliedern des Landtages Sechster Teil: SCHLUSSVORSCHRIFTEN SS 30 Geltung des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger SS 30a Einschränkung von Grundrechten SS 30b Sprachliche Gleichstellung SS 31 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Erster Teil ORGANISATION UND AUFGABEN SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Er hat die Landesregierung und andere Stellen nach Maßgabe dieses Gesetzes über Gefahren für diese Schutzgüter zu unterrichten. Dadurch sollen diese Stellen rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen ergreifen können. (3) Er hat auch die Öffentlichkeit über seine Aufgabenfelder zu unterrichten. 117 SS2 Organisation und Zusammenarbeit (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Ministerium des Innern. Es unterhält für diese Aufgabe eine besondere Abteilung. (2) Die für Verfassungsschutz zuständige Abteilung im Ministerium des Innern nimmt ihre Aufgaben gesondert von der Polizeiorganisation wahr. (3) Sie ist verpflichtet, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes mit dem Bund und den Ländern zusammenzuarbeiten. (4) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden. SS3 Bedienstete und Mitarbeiter (1) Die Mitarbeiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung im Ministerium des Innern haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für nationale Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik überprüft und in das der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einbezogen wird. (2) Personen, die dem Repressionsapparat der Deutschen Demokratischen Republik angehörten, insbesondere hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, Mitarbeiter der Abteilung I der Kriminalpolizei und ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands dürfen nicht mit Aufgaben des Verfassungsschutzes betraut werden; Personen mit Offiziersrang der bewaffneten Organe der Deutschen Demokratischen Republik dürfen Aufgaben des Verfassungsschutzes nur in zu begründenden Ausnahmefällen übertragen werden. SS4 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 118 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129, 129a des Strafgesetzbuches, 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 5. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. SS5 Begriffsbestimmungen (1) Es gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes im Sinne dieses Gesetzes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. b) Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes im Sinne dieses Gesetzes sind solche politisch bestimmten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. c) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. 119 Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie zielund zweckgerichtet unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, c) das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung der parlamentarischen Opposition, d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, e) die Unabhängigkeit der Gerichte, f) der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und g) die im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt konkretisierten Menschenrechte. Zweiter Teil ERHEBUNG, VERARBEITUNG UND NUTZUNG PERSONENBEZOGENER DATEN SS6 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Eine Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. Von mehreren geeigneten Maßnahmen ist diejenige zu wählen, die die betroffene Person voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. 120 SS7 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. (2) Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des SS 4 Abs. 1. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen Informationen verdeckt erheben. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffung regelt. (4) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, den Verfassungsschutzbehörden technische und verwaltungsmäßige Hilfe für Tarnmaßnahmen zu leisten. (5) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. (6) Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Die betroffene Person ist auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben und bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 4 Abs. 2 auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (7) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). SS8 Besondere Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können oder 121 2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge der Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn die Daten nicht auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise erhoben werden können. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben einzelner Personen unerlässlich ist und geeignete verwaltungsbehördliche oder polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1 gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in einer Wohnung. Die Anordnung des Einsatzes technischer Mittel nach Satz 1 und 2 trifft der Richter. Bei Gefahr im Verzug kann der Minister des Innern oder der Staatssekretär im Ministerium des Innern einen solchen Einsatz anordnen; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf längstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als weitere drei Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, so ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Ein Eingriff nach Satz 1 oder 2 ist der betroffenen Person nach seiner Beendigung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffes ausgeschlossen werden kann. (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen für den Verfassungsschutz tätigen Personen vorgesehen, kann der Minister des Innern oder eine von diesem beauftragte Person deren Einsatz anordnen. Eine anderweitige Verwendung der hierbei erlangten Erkenntnisse zu Zwecken der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (3a) Maßnahmen nach Absatz 1, 2 oder 3 dürfen nur angeordnet werden, soweit aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. (3b) Laufende Maßnahmen nach Absatz 1, 2 oder 3 sind unverzüglich zu unterbrechen, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung von der Datenerhebung erfasst wird. Ist eine Maßnahme nach Satz 1 unterbrochen worden, so darf sie nur unter den in Absatz 3a genannten Voraussetzungen fortgeführt werden. Absatz 2 Satz 3 bis 8 bleibt unberührt. Erfasste Daten, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung ist zu dokumentieren. (4) Zuständiges Gericht für Entscheidungen nach den Absätzen 2 und 3 ist das Amtsgericht am Sitz der Verfassungsschutzbehörde. Für das Verfahren gelten die Vorschriften 122 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. (5) Das Ministerium des Innern unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über die nach Absatz 2 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3 angeordneten Maßnahmen. (6) Gegen Unbeteiligte dürfen nachrichtendienstliche Mittel nicht gezielt angewendet werden. SS9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 erforderlich ist, 3. die Verfassungsschutzbehörde nach SS 4 Abs. 2 tätig wird oder 4. dies zur Erfüllung sonstiger gesetzlich zugewiesener Aufgaben erforderlich ist. (1a) Die Verfassungsschutzbehörde darf zum Zwecke der Vorgangsverwaltung personenbezogene Daten im Sinne des Absatzes 1 mit zur Erledigung anderer Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten amtsintern zusammen in automatisierten Verfahren verarbeiten und nutzen, soweit dies nicht nach anderen Rechtsvorschriften ausgeschlossen ist. Die jeweiligen Vorschriften zur Verarbeitung und Nutzung der personenbezogenen Daten, insbesondere zur Zweckbindung, bleiben unberührt. Ist der Zugriff auf personenbezogene Daten, deren Verarbeitung und Nutzung nach Satz 2 nicht vorgesehen ist, mit vertretbarem Aufwand nicht auszuschließen, ist die weitere Verarbeitung oder Nutzung dieser Daten unzulässig. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 4 Abs. 2 dürfen in automatisierten Dateien nur personenbezogene Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. (3) Die Speicherung von Informationen aus der engeren Persönlichkeitssphäre der betroffenen Personen in Dateien ist unzulässig. (4) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. 123 SS 10 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 9 Abs. 1 Daten über Minderjährige nach Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. Lebensjahres speichern, verändern und nutzen. Die Speicherung in gemeinsamen Dateien im Sinne des SS 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch SS 32 des Gesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2590, 2597), ist nicht zulässig. (2) Gespeicherte Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 4 Abs. 1 angefallen sind. SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die nach SS 9 Abs. 1 in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. In diesem Fall sind auch die zu ihrer Person geführten Akten zu vernichten. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden. In diesem Falle sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person übermittelt werden. (3) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob nach SS 9 Abs. 1 gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 4 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 4 oder 5 sind spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke verwendet werden. SS 12 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Daten in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von der betroffenen Person bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. 124 (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbezogene Daten zu sperren, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden und die Daten für ihre künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen entfallen. SS 13 Dateianordnungen (weggefallen) Dritter Teil AUSKUNFT SS 14 Auskunft an die betroffene Person (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt der betroffenen Person über zu ihrer Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die von der betroffenen Person nach Satz 1 mitgeteilten Informationen dürfen nur zum Zwecke der Prüfung des Auskunftsbegehrens verwendet werden. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung im Ministerium des Innern oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftserteilung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweige125 rung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist die betroffene Person auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das Ministerium des Innern im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die betroffene Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern sie nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Der Landesbeauftragte kann die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich für ihn im Einzelfall Beanstandungen ergeben, eine Auskunft an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. Vierter Teil INFORMATIONSÜBERMITTLUNG SS 15 Unterrichtungspflichten (1) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag mindestens einmal jährlich über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1. (2) Das Ministerium des Innern unterrichtet die Öffentlichkeit periodisch und aus gegebenem Anlass im Einzelfall über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1. (3) Es darf dabei auch personenbezogene Daten bekannt geben, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppen erforderlich ist und überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. SS 16 Zulässigkeit von Ersuchen der Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung personenbezogener Daten (1) Werden öffentliche Stellen, die nicht Nachrichtendienste sind, um Übermittlung personenbezogener Daten ersucht, so dürfen nur die Daten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bekannt sind oder aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können. (2) Absatz 1 gilt nicht für Ersuchen um solche Daten, die bei der Wahrnehmung grenzpolizeilicher Aufgaben bekannt werden. (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. 126 (4) Soweit nach anderen Rechtsvorschriften ein Übermittlungsersuchen durch den Behördenleiter zu stellen ist oder von seiner Ermächtigung abhängt, gilt als Behördenleiter der Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung im Ministerium des Innern. SS 17 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde durch öffentliche Stellen (1) Öffentliche Stellen im Sinne von SS 3 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger unterrichten von sich aus die Verfassungsschutzbehörde über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes erkennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 4 Abs. 1 Nrn. 1, 4 und 5 genannten Schutzgüter gerichtet sind. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus von sich aus der Verfassungsschutzbehörde auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen nach SS 4 Abs. 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. (3) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei sowie andere Behörden übermitteln auf Ersuchen der Verfassungsschutzbehörde die zur Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn sie nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Die Ersuchen werden durch die Verfassungsschutzbehörde aktenkundig gemacht. Unter den gleichen Voraussetzungen darf die Verfassungsschutzbehörde 1. Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 2. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, Polizeien des Bundes und anderer Länder um die Übermittlung solcher Informationen ersuchen. (4) Würde durch die Übermittlung nach Absatz 3 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder die betroffene Person unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf die Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach SS 4 Abs. 1 sowie bei der Beobachtung terroristischer Bestrebungen amtliche Register einsehen. (5) Über die Einsichtnahme nach Absatz 4 hat die Verfassungsschutzbehörde einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. 127 (6) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nach den Vorschriften der Absätze 1 bis 3 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 übermittelten Kenntnisse und Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 und 2 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (7) Übermittelte Informationen hat die Verfassungsschutzbehörde eigenständig zu bewerten. SS 17a Übermittlung von besonderen Informationen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Ausgenommen sind Telemediendienste, bei denen die redaktionelle Gestaltung zur Meinungsbildung für die Allgemeinheit im Vordergrund steht. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig von Absatz 1 erfasste Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediendienstes, 128 b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung für die in SS 4 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 4 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich auch gegen Personen richten, bei denen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist 1. bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für den von einer Maßnahme nach Absatz 2 Betroffenen in Anspruch nehmen, oder 2. bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 3 und 4, dass sie für den von einer Maßnahme nach Absatz 2 Betroffenen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4, dass der von einer Maßnahme nach Absatz 2 Betroffene ihren Anschluss benutzt. (4) Die Anordnung über die Einholung von Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 trifft der Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder sein Vertreter im Amt. Die Anordnung über die Einholung von Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 trifft der Minister des Innern oder sein Vertreter im Amt. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 hat die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffes ausgeschlossen werden kann. (5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 unterrichtet die Verfassungsschutzbehörde die G 10-Kommission (SS 1 Abs. 2 des Artikel 10-Gesetzes) vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann die Verfassungsschutzbehörde den Vollzug der Anordnung auch bereits vor der Unterrichtung der G 10-Kommission anordnen. Die G 10Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. Die Kontrollbefugnis der G 10-Kommission erstreckt sich auf den gesamten Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten. Anordnungen 129 über Auskünfte, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat die Verfassungsschutzbehörde unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Fall einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10Gesetzes entsprechend anzuwenden. Für die Mitteilung an den Betroffenen ist SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. (6) Die Verfassungsschutzbehörde darf, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen o- der Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung für ein in SS 4 Abs. 1 genanntes Schutzgut vorliegen, technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes oder zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Sie darf sich nur gegen den Betroffenen oder die in Absatz 3 Nr. 2 bezeichneten Personen richten. Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. Die Absätze 4, 5 und 7 gelten entsprechend. Zum 31. Dezember 2011 ist eine Evaluierung der Maßnahmen durch die Verfassungsschutzbehörde durchzuführen und dem Landtag vorzulegen. (7) Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über die Durchführung des Absatzes 2. Dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag von Sachsen-Anhalt jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie über Art, Umfang und Anordnungsgründe der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach Absatz 2; dabei sind die Grundsätze des SS 26 Abs. 1 zu beachten. (8) Das Ministerium des Innern unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes über die nach Absatz 2 Satz 1 Nrn. 3 bis 5 durchgeführten Maßnahmen nach Maßgabe des SS 8a Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (9) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und ü- bermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. Der Empfänger darf die übermittelten Daten, soweit 130 gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm ü- bermittelt wurden. (2) Auf Anfragen der Einstellungsbehörden erteilt der Verfassungsschutz auch Auskünfte zur Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich für den öffentlichen Dienst bewerben. Die Auskunft ist beschränkt auf gerichtsverwertbare Tatsachen aus vorhandenen Unterlagen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an ausländische Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere wegen der Gefahr einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden und die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, über die vorgenommene Verwendung der Daten um Auskunft zu bitten. (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Rahmen ihrer Aufgaben nach SS 4 personenbezogene Daten an andere Stellen übermitteln, soweit dies für die Erhebung personenbezogener Daten erforderlich ist. Im Übrigen dürfen personenbezogene Daten an andere Stellen nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder ferner zur Abwehr von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten einer fremden Macht erforderlich ist und das Ministerium des Innern seine Zustimmung erteilt hat. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, über die vorgenommene Verwendung der Daten um Auskunft zu bitten. SS 19 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes (1) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, der Polizei von sich aus die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. (2) Delikte nach Absatz 1 sind 1. die in SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten, 2. alle Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, 131 a) dass sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten, b) dass es sich um Bestrebungen handelt, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b und c des Grundgesetzes). (3) Die Polizei darf zur Verhinderung von Staatsschutzdelikten nach Absatz 2 die Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. (4) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben dieser Stellen erforderlich ist (SS 21 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes). SS 20 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils unterbleibt, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen, insbesondere bei Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre, und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen, insbesondere wenn die Informationen zu löschen waren. Die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. SS 21 Minderjährigenschutz (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 10 erfüllt sind. Liegen die Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. (2) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres aus nicht zur Person geführten Akten dürfen an ausländische, überoder zwischenstaatliche Stellen nicht übermittelt werden. 132 SS 22 Pflichten des Dritten, an den übermittelt wird Der Dritte, an den übermittelt wird, prüft, ob die nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat er die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren und in den Akten entsprechend zu kennzeichnen. SS 23 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, so sind sie unverzüglich gegenüber dem Dritten, an den die Daten übermittelt wurden, zu berichtigen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. SS 23a Weitergabe personenbezogener Daten Für die Weitergabe personenbezogener Daten zwischen der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung und den anderen Abteilungen des Ministeriums des Innern gelten die SSSS 16 bis 23 entsprechend. Fünfter Teil PARLAMENTARISCHE KONTROLLE SS 24 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterliegt auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes der Kontrolle durch den Landtag. Diese Aufgabe nimmt die Parlamentarische Kontrollkommission wahr. (2) Die Rechte des Landtages und seiner Ausschüsse bleiben unberührt. SS 25 Zusammensetzung und Wahl (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus vier Abgeordneten des Landtages. Der größten Oppositionsfraktion steht ein Sitz in der Kontrollkommission zu. (2) Der Landtag wählt die Mitglieder der Kommission sowie die gleiche Zahl von Stellvertretern mit der Mehrheit seiner Abgeordneten. 133 (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. (4) Scheidet ein Mitglied oder ein stellvertretendes Mitglied aus dem Landtag aus oder wird es Mitglied der Landesregierung, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Kommission; es ist unverzüglich ein neues Mitglied oder ein neues stellvertretendes Mitglied zu wählen. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied oder ein stellvertretendes Mitglied aus der Kommission ausscheidet. SS 26 Verfahrensweise (1) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder und ihre Stellvertreter sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der Kommission. Die Pflicht zur Geheimhaltung gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt. (2) Die Kommission tritt mindestens vierteljährlich, zusätzlich auf Antrag eines Mitgliedes zusammen. (3) Sie wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. Diese regelt auch, unter welchen Voraussetzungen Sitzungsunterlagen und Protokolle von den Mitgliedern der Kommission und ihren Stellvertretern eingesehen werden können. SS 27 Aufgaben und Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Hierzu gehört auch das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Länder und des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt. Sie berichtet auch über den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Die Entwürfe der jährlichen Wirtschaftspläne der Verfassungsschutzbehörde werden der Kommission zur Mitberatung zugeleitet. Die Landesregierung unterrichtet die Kommission über den Vollzug der Wirtschaftspläne im Haushaltsjahr. Die Kommission hat das Recht, von sich aus Sachverhalte aufzugreifen. (2) Die Kommission hat auf Antrag mindestens eines ihrer Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von Auskunftspersonen. Der Minister des Innern kann einem bestimmten Kontrollbegehren widersprechen, wenn es im Einzelfall die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erheblich gefährden würde; er hat dies vor dem Ausschuss schlüssig zu begründen. Die besonderen Rechte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse bleiben unberührt. 134 (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode einen Bericht über ihre bisherige Kontrolltätigkeit. Dabei sind die Grundsätze des SS 26 Abs. 1 zu beachten. (4) Die Kontrolle der Durchführung des Artikel 10-Gesetzes obliegt der G 10-Kommission. Das Nähere wird durch das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes geregelt. SS 28 Beteiligung des Landesbeauftragten für den Datenschutz Die Parlamentarische Kontrollkommission hat auf Antrag eines Mitgliedes den Landesbeauftragten für den Datenschutz zu beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, die die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten richten sich nach den Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger. SS 29 Datenerhebungen bei Mitgliedern des Landtages (1) Setzt die Verfassungsschutzbehörde nachrichtendienstliche Mittel gegen ein Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt ein, hat der Minister des Innern die Parlamentarische Kontrollkommission und den Präsidenten des Landtages unverzüglich hiervon zu unterrichten. (2) Im Falle des Absatz 1 sind der betroffenen Person nachrichtendienstliche Maßnahmen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Lässt sich in diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Sechster Teil SCHLUSSVORSCHRIFTEN SS 30 Geltung des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 4 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die SSSS 9 bis 13, 15, 16 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger keine Anwendung. 135 SS 30a Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf 1. Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes und Artikel 17 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt), 2. Schutz personenbezogener Daten (Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt), 3. Schutz des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 14 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt) eingeschränkt werden. SS 30b Sprachliche Gleichstellung Personenund Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in weiblicher und männlicher Form. SS 31 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Satz 1 betrifft das In-Kraft-Treten. SS 17a Abs. 6 tritt am 30. Juni 2012 außer Kraft. 136 STRAFUND GEWALTTATENSTATISTIK77 Vorbemerkung: Bei den statistischen Angaben zu den Strafund Gewalttaten handelt es sich um Zahlen, die dem Landeskriminalamt im Rahmen des kriminalpolizeilichen Meldedienstes "Politisch motivierte Kriminalität" zu übermitteln sind. Dieser Meldedienst beruht auf einem bundesweit einheitlichen Definitionssystem, das die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) am 10. Mai 2001 beschlossen und rückwirkend zum 1. Januar 2001 eingeführt hat. Danach werden Straftaten nach einem einheitlichen Kriterienkatalog erfasst und einem Phänomenbereich (im Wesentlichen Politisch motivierte Kriminalität -links-, Politisch motivierte Kriminalität -rechts-, Politisch motivierte Ausländerkriminalität) zugeordnet. Zentrales Erfassungskriterium ist die politisch motivierte Tat. Der extremistischen Kriminalität - als Teilmenge der politisch motivierten Kriminalität - werden Straftaten zugerechnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, das heißt darauf, fundamentale Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Kraft zu setzen. Ebenso hinzugerechnet werden Straftaten, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. In Sachsen-Anhalt wurden im Berichtsjahr in den Phänomenbereichen Politisch motivierte Kriminalität -links-, Politisch motivierte Kriminalität -rechtsund Politisch motivierte Ausländerkriminalität insgesamt 1.44578 (Vorjahr: 1.925) Straftaten registriert. 77 Alle in dieser Statistik aufgeführten Daten entsprechen dem Stand 31. Januar 2011. 78 Zuzüglich der 21 keinem Phänomenbereich zuzuordnenden Delikte und 47 Straftaten ohne explizite politische Motivation ergibt sich für das Jahr 2010 eine Summe von 1.513 politisch motivierten Strafund Gewalttaten. 137 Diese verteilen sich wie folgt: Politisch motivierte Straftaten 2009 2010 nach Phänomenbereich -rechts1.584 1.176 -links336 262 Ausländerkriminalität 5 7 Davon waren: Extremistische Straftaten 2009 2010 nach Phänomenbereich -rechts1.431 1.106 -links37 64 Ausländerkriminalität 1 4 Politisch motivierte Gewalttaten 2009 2010 nach Phänomenbereich -rechts83 80 -links59 55 Ausländerkriminalität 4 2 Von den genannten politisch motivierten Gewalttaten waren: Extremistische Gewalttaten 2009 2010 nach Phänomenbereich -rechts60 67 -links24 37 Ausländerkriminalität 0 1 Fremdenfeindliche und antisemitische 2009 2010 Straftaten im Phänomenbereich -rechts-79 Fremdenfeindliche Straftaten 84 83 Antisemitische Straftaten 47 36 79 Mit Umstellung der statistischen Erfassung zum 1. Januar 2001 kann es zur Doppelerfassung einer Straftat als fremdenfeindliche und als antisemitische Straftat kommen. 138