Verfassungsschutzbericht 2007 VORWORT VORWORT Der vorliegende Verfassungsschutzbericht 2007 bestärkt mich in meinen Einschätzungen über die Gefahren für unsere demokratische Ordnung. Wir brauchen weiterhin ein entschlossenes gemeinsames Handeln von Politik, Polizei und Gesellschaft, wie es in der Kampagne Hingucken & Einmischen angelegt ist. Die wichtigsten Schlussfolgerungen aus dem Bericht sind für mich: ! Die NPD ist als organisierendes Zentrum des Rechtsextremismus eine Bedrohung für die Demokratie. Sie strebt die Zerstörung unserer freiheitlichen Staatsund Gesellschaftsordnung an und predigt den Hass auf Ausländer, Juden und Andersdenkende. Ihr Verbot bleibt auf der Tagesordnung, auch wenn es dafür im Moment keine Mehrheit in den antragsberechtigten Verfassungsorganen gibt. ! Gleichzeitig gibt es keinen Grund, dass Demokraten auf die NPD starren wie das Kaninchen auf die Schlange. Mit gerade einmal 13 kommunalen Mandaten ist die Partei von relevantem politischen Einfluss über die rechte Szene hinaus noch weit entfernt. Die Mitgliederzahl stagniert. Auch wenn es derzeit kein Verbot gibt, ist es unsere Aufgabe, die Scheinkonzepte der Rechtsextremisten zu entlarven und sie mit allen Mitteln des Rechtsstaates in die Schranken zu weisen. ! Linksextremismus spielt im Vergleich dazu in Sachsen-Anhalt eine untergeordnete Rolle. Ein sehr großer Anteil der Straftaten aus diesem Bereich resultiert aus direkten Konflikten zwischen rechten und linken Extremisten im Demonstrationsgeschehen. ! Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus nehmen wir ernst, auch wenn zur Zeit in unserem Land keine Strukturen islamistischer Organisationen feststellbar sind. I VORWORT Der beste Schutz für unsere Verfassung sind Bürgerinnen und Bürger, die sich in und gegenüber den demokratischen Institutionen, in Parteien, Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Verbänden und Selbstverwaltungsorganisationen in großer Zahl für ihre Interessen und für unsere demokratische Gesellschaft engagieren. Wer die Kraft solidarischen Handelns kennen gelernt hat, ist immun gegen Führerkult und Herrenmenschenideologie. Gleichwohl ist die Arbeit des Verfassungsschutzes gerade in Anbetracht der Gefahren, die vom politischen Extremismus - und in Sachsen-Anhalt insbesondere vom Rechtsextremismus - ausgehen, unverzichtbar. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verfassungsschutzabteilung danke ich deshalb an dieser Stelle ausdrücklich für ihre im Jahr 2007 geleistete Arbeit. Magdeburg, im Juni 2008 Holger Hövelmann Minister des Innern II ÜBERBLICK I. ÜBERBLICK Die Anzahl der Rechtsextremisten ging in Sachsen-Anhalt gegenüber dem Vorjahr leicht zurück. Den größten Anteil an der Gesamtzahl von 1.460 Personen bildet mit 800 Personen nach wie vor das gewaltbereite, subkulturell geprägte Spektrum. Der weit überwiegende Teil der 350 parteigebundenen sachsenanhaltischen Rechtsextremisten ist in der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) organisiert. Der Neonaziszene gehören in Sachsen-Anhalt insgesamt etwa 270 Rechtsextremisten an. Ihr sind auch die etwa 50 Mitglieder der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) zuzurechnen. Die Anzahl der politisch motivierten Straftaten -rechtsstieg gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 8,9 Prozent an. Um mehr als 16 Prozent zugenommen haben dabei Propagandadelikte. Entgegen diesem Trend gingen politisch motivierte Gewalttaten -rechtsim Jahr 2007 um 18,9 Prozent zurück. Im Berichtsjahr fanden zehn rechtsextremistische Konzerte statt. Seit 2003 hatte diese Zahl durchweg höher gelegen. Gleichzeitig stieg die Zahl der polizeilich verhinderten Konzerte an. Wie bereits in den Vorjahren kommt dem Treffpunkt der rechtsextremistischen Szene in Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) eine herausragende Bedeutung zu. Die hier oftmals parallel zu den wöchentlichen Szenepartys stattfindenden Proben rechtsextremistischer Musikgruppen werden nicht selten für die anwesenden Partygäste geöffnet und nehmen dadurch Konzertcharakter an. Im Berichtszeitraum haben in Sachsen-Anhalt sechs OnlineVertriebe ihr rechtsextremistisches Material über professionell gestaltete Internetseiten zum Kauf angeboten. Zwei dieser Vertriebe boten ihre Waren zusätzlich in eigenen Ladengeschäften an. Diese fungierten auch als regionale Treffpunkte der Szene. 1 ÜBERBLICK Rechtsextremisten missbrauchten erneut allgemeine Gedenktage wie den 1. Mai, den 8. Mai (Kriegsende) und den Volkstrauertag sowie die Jahrestage von Bombardements deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, um diese im Sinne ihrer Propaganda umzudeuten. Sie griffen zu diesem Zweck auch allgemein diskutierte Ereignisse wie den in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) stattgefundenen G8-Gipfel auf. Darüber hinaus entfalteten Rechtsextremisten Aktivitäten im Zusammenhang mit den im Berichtsjahr durchgeführten Kommunalwahlen, bei denen die Vertreter rechtsextremistischer Parteien schließlich 15 Mandate erzielten. Als Folge einer Verkleinerung der Autonomenszene nahm das linksextremistische Personenpotenzial im Land Sachsen-Anhalt im Berichtsjahr insgesamt leicht ab. Das LKA Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 211 politisch motivierte Straftaten -links(2006: 291). Dies bedeutet einen Rückgang um 27 Prozent. Im gleichen Zeitraum nahm der Anteil der entsprechend motivierten Gewalttaten sogar um mehr als 54 Prozent ab (2007: 32 Delikte, 2006: 70 Delikte). Schwerpunktregionen der etwa 270 Personen umfassenden Autonomenszene sind in Sachsen-Anhalt nach wie vor die Städte Magdeburg und Halle. Nennenswerte Aktivitäten gab es ferner in der Harzregion und in der Altmark. Ein besonderes Thema auch für die hiesige Autonomenszene war die Vorbereitung der Proteste anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm. Hauptaktionsfeld autonomer Zusammenschlüsse blieb allerdings der "Antifaschistische Kampf" gegen tatsächliche oder vermeintliche rechtsextremistische Aktivitäten und Strukturen. Gleichwohl nahm die Anzahl der von Autonomen ausgegangenen körperlichen Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten im Berichtszeitraum deutlich ab. 2 ÜBERBLICK Die verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen innerhalb der Autonomenszene zwischen den "Antiimperialisten" und "Antideutschen" hielten dagegen an. In Sachsen-Anhalt waren im Berichtszeitraum die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), deren Jugendorganisation "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD/Ost) und die "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten Leninisten" (KPD/ML) mit eigenen Strukturen präsent. Diese Organisationen setzten weiter auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen Klassenkampfes. Ihre Vertreter versuchten erneut, sich in gesellschaftliche Protestkampagnen einzubringen. Im Hinblick auf die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus ist auch die Bundesrepublik nach wie vor als Teil des weltweiten Gefahrenraumes anzusehen und inzwischen sogar in das direkte Zielspektrum entsprechender Gruppierungen gelangt. Dies belegen Pläne für Terroranschläge in Deutschland, deren Umsetzung im Berichtsjahr durch die Verhaftung von drei Tatverdächtigen in Nordrhein-Westfalen vereitelt werden konnte. Davor hatten Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der "Operation Alberich" über mehrere Monate hinweg die Aktivitäten dieser Personen beobachtet. Diese zunehmende Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus macht deutlich, dass die Zusammenarbeit sämtlicher Sicherheitsbehörden und deren operative Tätigkeiten weiter ständig intensiviert und optimiert werden müssen. Ein konkretes Beispiel hierfür ist das im Berichtsjahr innerhalb des "Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrums" (GTAZ) in Berlin eingerichtete "Gemeinsame Internet Zentrum", mit dessen Hilfe auch die organisatorische Voraussetzung für eine Bündelung der fachlichen Kompetenzen bei der 3 ÜBERBLICK Beobachtung und Auswertung einschlägiger Internetangebote geschaffen werden soll. In Sachsen-Anhalt sind keine fest gefügten Strukturen islamistischer Organisationen bekannt geworden. Allerdings gab es Hinweise auf Personen, die in Sachsen-Anhalt wohnen und islamistischen Gruppierungen in anderen Bundesländern zuzurechnen sind. Zu den nichtislamistischen Organisationen, von denen in SachsenAnhalt sicherheitsgefährdende und extremistische Aktivitäten ausgehen, zählen vor allem der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRAGEL), der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) und die "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP). Während der KONGRAGEL mit Vereinen in Sachsen-Anhalt präsent ist, wurden bislang keine festgefügten Strukturen anderer Organisationen festgestellt, wenngleich Aktivitäten einzelner Anhänger und Sympathisanten bekannt sind. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein Schwerpunkt der Aufklärungstätigkeit der Nachrichtendienste zahlreicher fremder Staaten. Diesbezüglich entwickelten neben den Nachrichtendiensten der Volksrepublik China die Dienste der Russischen Föderation die intensivsten Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. Vor allem die Industrieund Wirtschaftsspionage stellt eine Gefahr auch für sachsen-anhaltische Unternehmen und Forschungseinrichtungen dar. 4 RECHTSEXTREMISMUS II. RECHTSEXTREMISMUS Die Anzahl der Rechtsextremisten ging in Sachsen-Anhalt gegenüber dem Vorjahr leicht zurück. Den größten Anteil an der Gesamtzahl von 1.460 Personen bildet mit 800 Personen nach wie vor das gewaltbereite, subkulturell geprägte Spektrum. Der weit überwiegende Teil der parteigebundenen Rechtsextremisten ist in der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) organisiert. Seit etwa drei Jahren verharrt die NPD bei einem Mitgliederbestand zwischen 250 und 260 Personen. Die etwa 50 Mitglieder der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) werden ausschließlich der Neonaziszene zugerechnet. Trotz vielfältiger, zum Teil öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten und einer offensiven Internetpublizistik ist es den JN-Funktionären im Jahr 2007 nicht gelungen, die Mitgliederzahlen ihrer Organisation zu erhöhen und diese strukturell weiter auszubauen. Der Neonaziszene in Sachsen-Anhalt gehören insgesamt etwa 270 Rechtsextremisten an, die mehrheitlich in so genannten Kameradschaften organisiert sind. Zur Kategorie "Sonstige Personenzusammenschlüsse" zählt die "Exilregierung Deutsches Reich". Sie verlor im Berichtsjahr zwei Drittel ihrer Mitglieder und ist dadurch Hauptursache für den Rückgang der Gesamtzahl an Rechtsextremisten. Rechtsextremisten1 2006 2007 Parteien und Vereinigungen 400 350 Neonazis 250 270 Gewaltbereite Rechtsextremisten 800 800 Sonstige Personenzusammenschlüsse 120 40 Gesamt: 1.5702 1.4603 1 Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet. 2 1.510 nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften. 3 1.400 nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften. 5 RECHTSEXTREMISMUS SUBKULTURELL GEPRÄGTE, GEWALTBEREITE RECHTSEXTREMISTEN Allgemeines Die Anzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten hatte im Jahr 2002 mit bundesweit 10.700 Personen ihren Höhepunkt erreicht und verringerte sich im Berichtsjahr auf nunmehr 10.000 Personen. In Sachsen-Anhalt werden dieser Szene wie im Vorjahr etwa 800 Personen zugerechnet. Der Anteil der rechtsextremistischen Skinheads ist innerhalb dieses Spektrums weiter rückläufig, was sich besonders am klassischen äußeren Erscheinungsbild feststellen lässt. Das gewohnte "Skinheadoutfit" wird mehr und mehr von Stilelementen des jugendlichen Mainstreams, wie zum Beispiel durch das Tragen von modischer Kleidung bestimmter Marken oder von Piercings, sowie durch den Einfluss anderer subkultureller Strömungen verdrängt. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch ein zunehmender "Germanenkult". Häufig erschließt sich der jeweils aktuelle Dress-Code nur "Eingeweihten". Aus der subkulturellen Szene stammt der weit überwiegende Teil derjenigen Rechtsextremisten, die politisch motivierte Straftaten begehen. Gleichwohl ist der Lebensstil dieser rechtsextremistischen Jugendszene eher auf das Ausleben individueller Bedürfnisse, als auf eine systematische politische Arbeit ausgerichtet. Ohne über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild zu verfügen, geben ihre Anhänger unreflektiert dumpfe rechtsextremistische Parolen wieder. Ihre cliquenähnlichen Personenzusammenschlüsse weisen - wenn überhaupt - nur einen losen Organisierungsgrad auf. Der Gruppenzusammenhalt ist nicht von einer hierarchischen Struktur bestimmt, sondern durch persönliche Beziehungen der Gruppenmitglieder untereinander. Den Mittelpunkt des Handelns bildet die gemeinsame Freizeitgestaltung, die sich auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Szenezusammenkünften und Skinheadkonzerten erstreckt. Trotz eines kaum ausgeprägten politischen Bewusstseins stellt die subkulturelle Szene wegen ihrer großen Personenstärke für den organisierten Rechtsextremismus ein wichtiges 6 RECHTSEXTREMISMUS Mobilisierungspotenzial dar. Im Gegenzug betrachten subkulturell geprägte Rechtsextremisten die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen und Kundgebungen als "Event", als Ereignis von Erlebniswert. Strafund Gewalttaten Gegenüber dem Vorjahreszeitraum stieg die Anzahl der politisch motivierten Straftaten4 -rechtsum fast 9 Prozent auf 1.350 Delikte an (2006: 1.240 Delikte). Um mehr als 16 Prozent zugenommen haben dabei Propagandadelikte, wie zum Beispiel Hakenkreuzschmierereien, das Zeigen des so genannten Hitlergrußes oder auch das Tragen des alten, in Sachsen-Anhalt verbotenen "ThorSteinar"-Logos, das allein 117mal polizeilich verfolgt wurde. Unter Berücksichtigung der rückläufigen Bevölkerungsentwicklung fällt der Anstieg im rechtsextremistischen Straftatenbereich zusätzlich ins Gewicht. Politisch motivierte Gewalttaten -rechtsgingen im Jahr 2007 entgegen dem oben genannten Trend um fast 19 Prozent auf 99 Delikte zurück (2006: 122 Delikte). Ursachen dieser Entwicklung sind unter anderem die Intensivierung der polizeilichen Maßnahmen und eine gestiegene Bereitschaft der Bevölkerung, dem gewaltbereiten Rechtsextremismus entschieden entgegenzutreten. Folgende Vorkommnisse sind exemplarisch zu nennen: Wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung wurden zwei Männer im Alter von 25 und 26 Jahren festgenommen, die am 6. Januar versucht hatten, eine Asylbewerberunterkunft in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) mit Brandbeschleunigern zu entzünden. Dabei brannte ein Zimmer vollständig aus, weitere Zimmer wurden unbrauchbar. Von den vier Tatverdächtigen waren hier zwei hinlänglich bekannt. Ein Tatverdächtiger stammt aus dem 4 Siehe Statistik Seite 128 f. Für die Erfassung von Straftaten ist der Polizeibereich federführend zuständig. 7 RECHTSEXTREMISMUS Umfeld der "Ostara-Skinheads" um Enrico MARX aus Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz). Am 9. Februar gaben zwei Minderjährige auf dem Bahnhof von Lutherstadt Eisleben (Landkreis Mansfeld-Südharz) einem Reisenden eine symbolische "Fahrkarte" mit der Aufschrift "Von Lutherstadt Eisleben bis Auschwitz-Birkenau" und beschimpften ihn mit antisemitischen Parolen. Nachdem am 24. Juni 2006 in Pretzien (Salzlandkreis) im Rahmen einer Veranstaltung des "Heimatbundes Ostelbien e. V." ein Exemplar des "Tagebuchs der Anne Frank" verbrannt worden war, verurteilte das Amtsgericht Schönebeck im März fünf Angeklagte wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu Haftstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, sowie zu Geldstrafen. In Pretzien wurden im Berichtszeitraum erneut rechtsextremistische Straftaten bekannt: So fanden Einwohner am 16. März in ihren Hausbriefkästen und im Ort CDs mit antisemitischem Inhalt und der Aufschrift "Auflage 7, Morgenröte oder Abenddämmerung/Nationalbuch der Deutschen Jugend...". Die CDs enthielten eine Rede HITLERs zur Judenvernichtung. Am 27. März erhielten Pretziener Bürger mit der Tagespost Schreiben rechtsextremistischen Inhalts. Am 9. Juni wurden in Halberstadt (Landkreis Harz) Schauspieler des Nordharzer Städtebundtheaters nach einer Premierenfeier angegriffen und teils schwer verletzt. Die Tatverdächtigen sind bereits hinlänglich polizeibekannt, unter anderem im Zusammenhang mit Übergriffen gegen Besucher des örtlichen soziokulturellen Zentrums "Zora". Seit Oktober sind vor dem Amtsgericht Halberstadt vier Personen angeklagt. An einer Straßenbahnhaltestelle in Magdeburg schlug am 25. August ein den Behörden als krimineller Gewalttäter und als gewalttätiger Rechtsextremist bekannter Magdeburger einen Iraker mit ei- 8 RECHTSEXTREMISMUS nem Baseballschläger nieder. Zuvor hatte der Täter seinen Hund auf das Opfer gehetzt und es mit ausländerfeindlichen Parolen beleidigt. Antisemitische Delikte verringerten sich im Berichtsjahr von 54 auf 46 Straftaten. Sie stehen dennoch im Blickfeld der Sicherheitsbehörden. Neben den bereits genannten Vorfällen sind nachfolgende Straftaten mit antisemitischer Motivation als exemplarisch einzustufen: Der Heimatverein "Glücksburger Heide" in Jessen (Landkreis Wittenberg) erhielt am 3. April einen Brief mit antisemitischem Inhalt und mehreren Hakenkreuzdarstellungen. In dem Schreiben wird gefordert, das Berliner Holocaust-Mahnmal zu einem "deutschen Ehrenund Heldengedenkplatz" umzugestalten. Zudem wird zur Wachsamkeit gegenüber der "Judenmafia" aufgerufen. Der Adressat solle möglichst viele Kopien des Schreibens fertigen und diese verbreiten "bis ein von Deutschem Geist getriebener Befreiungssturm die Judenmafia hinwegfegt". Als Absender des Schreibens ist eine "Freie Aktion Deutsche Rose"5 angegeben. Der Poststempel weist auf das Briefzentrum 97 (Würzburg/Bayern) hin. Am 20. April wurden in Dessau in Nähe einer Mahnund Gedenkstätte der Schriftzug "Zyklon B, Ihr glaubt den Lügnern! Dummes Deutsches Volk!" und weitere Schmierereien festgestellt. Im Zusammenhang mit einer Körperverletzung am 28. April in Lutherstadt Eisleben (Landkreis Mansfeld-Südharz) äußerte der Beschuldigte in seiner Vernehmung "...ich werde wieder Buchenwald aufmachen und mich als Heizer bewerben, dann würde Deutschland bald wieder den Deutschen gehören". Das jüdische Denkmal "Die göttlichen Gebotstafeln" von Josef BZDOK wurde in Magdeburg am 28. April von Unbekannten mit 5 Die "Freie Aktion Deutsche Rose" ist den Verfassungsschutzbehörden seit 2006 bekannt. Unter diesem Pseudonym wurden seit dieser Zeit ausschließlich antisemitische Briefe in mehrere Bundesländer verschickt. 9 RECHTSEXTREMISMUS Hakenkreuzen und Schriftzügen wie "Juden", "C18" und "NSDAP" beschmiert. Eine Gedenkstätte für im Zweiten Weltkrieg gefallene sowjetische Soldaten wurde am 4. Mai in Burg (Landkreis Jerichower Land) von Unbekannten mit der Parole "Jeder Schuss ein toter Russ, Davidsterne für slawische U-Menschen" beschmiert. In Dessau sind am 14. Mai das Bürogebäude des "Bündnisses gegen Rechtsextremismus" und die Gedenkstele der jüdischen Gemeinde mit Hakenkreuzen und SS-Runen verschandelt worden. Die Stele erinnert an die Deportation der Dessauer Juden und an die Zerstörung der Synagoge. Grabplatten ehemaliger russischer und polnischer Zwangsarbeiter sowie Grabsteine des jüdischen Friedhofs wurden am 1. Juni in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) mit Hakenkreuzen beschmiert und zertrümmert. Bundesweit agierende Skinheadgruppierungen Nachfolgeaktivitäten der verbotenen "Blood & Honour"-Skinheads (B&H) Die deutsche Division der neonazistisch geprägten, internationalen Skinheadorganisation "Blood & Honour" ist seit September 2000 verboten. Dennoch wurden vor allem in Süddeutschland Nachfolgebestrebungen festgestellt. Dabei blieben maßgebliche Personen weitgehend in ihrem früheren Hauptbetätigungsfeld, der Organisierung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen, aktiv. Da B&H in den meisten anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise in Ungarn, Belgien oder Italien nicht verboten ist, finden dort weiterhin Konzerte und Treffen statt. So wurde bereits frühzeitig über die ungarische Presse bekannt, dass am 10. Februar in Budapest eine B&H-Veranstaltung stattfinden werde. Ein Szeneforum rief im Internet dazu auf, an einer Demonstration unter dem Motto "Uns ruft die 10 RECHTSEXTREMISMUS Stimme des Blutes" in Budapest teilzunehmen. Nach der Veranstaltung hieß es im Internet: "Wie jedes Jahr fand auch in diesem Jahr am 10.02.2007 in Budapest der "Tag der Ehre"6 statt. Etwa 1.000 "Nationale Sozialisten" aus Belgien, Deutschland, Österreich, Schweiz, Tschechien, England, Kroatien, Slowenien, Ungarn, Bulgarien und andere Nationen reisten an. Die Atmosphäre auf dem Heldenplatz in Budapest war diszipliniert und ruhig, so dass es ein sehr würdiges Gedenken an die Gefallenen von 1944 war. Organisiert wurde die Veranstaltung von Anhängern der ungarischen "Sektion 28" und Einzelkameraden. Gegen 14 Uhr marschierten unter Trommelwirbel und Sonnenschein die ungarischen Kameraden und die Gesandten der europäischen Nationen auf dem Heldenplatz in Budapests Herzen auf." Zu den Rednern gehörten Udo VOIGT aus Deutschland (NPD) und Stephen SWINFEN (Swiny, Sektionsleiter der britischen B&HSektion). Die Redner thematisierten das Geschehen von 1944 und zogen Vergleiche zur heutigen Zeit. Am Abend fand in einer szenebekannten Örtlichkeit in der Nähe von Budapest ein Konzert mit einschlägigen ungarischen Bands statt. An einschlägigen Veranstaltungen im Ausland beteiligen sich immer wieder auch Einzelpersonen aus Sachsen-Anhalt. In SachsenAnhalt selbst wurden im Berichtsjahr keine Aktivitäten mit B&HBezug bekannt. Der hiesigen Szene ist es nach dem Verbot nicht gelungen, den regionalen organisatorischen Zusammenhalt von B&H aufrecht zu erhalten. Am 21. Februar wurde vor dem Landgericht Halle Anklage gegen sieben ehemalige B&H-Angehörige erhoben. Unter ihnen befand sich ein Tatverdächtiger aus Sachsen-Anhalt. Die Angeklagten sol- 6 Von Rechtsextremisten organisierte Veranstaltung zum Gedenken an einen versuchten Ausbruch von SS-Einheiten und ungarischen Truppen aus dem bereits von der Sowjetarmee eingekreisten Buda am 10. Februar 1945. 11 RECHTSEXTREMISMUS len nach dem Verbot der B&H-Division Deutschland bis zum Jahr 2002 weitere B&H-Zusammenkünfte und Treffen sowie Musikveranstaltungen vorbereitet und durchgeführt haben. Am 12. März wurden fünf Angeklagte zu Geldstrafen verurteilt, das Verfahren gegen einen Beschuldigten wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt. Gegen den siebenten Beschuldigten, Sascha BRAUMANN aus Magdeburg, wurde das Verfahren zunächst ausgesetzt und später gegen Zahlung von 300 Euro ebenfalls eingestellt. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Im Berichtsjahr fanden zehn rechtsextremistische Konzerte statt. Seit 2003 hatte diese Zahl durchweg höher gelegen. Gleichzeitig stieg - nicht zuletzt dank der effektiven Zusammenarbeit zwischen den Ordnungsund Sicherheitsbehörden und ihres konsequenten Vorgehens - die Zahl der polizeilich verhinderten Konzerte an, so dass insgesamt von einem positiven Trend gesprochen werden kann. Musik, ein bestimmendes Element innerhalb der subkulturell geprägten, rechtsextremistischen Szene, ist nach wie vor die "Einstiegsdroge", die vor allem Jugendliche in die rechtsextremistische Szene führt. Dies betrifft vor allem solche Jugendliche, die sich gerade in einer alterstypischen "Protestphase" befinden, in der gesellschaftliche Maßstäbe und Normen, aber auch Elternhaus und Schule häufig als "aufgezwungen" erlebt werden. Genau diese Phase ist der Ansatzpunkt rechtsextremistischer "Rattenfänger". Beispielhaft seien hier nur die Versuche genannt, eine rechtsextremistische Indoktrination durch die Verteilung kostenloser Tonträger auf Schulhöfen zu erreichen. Hier gilt es für alle am Erziehungsprozess Beteiligten, undogmatisch vorzugehen und argumentativ zu überzeugen. Wie bereits in den Vorjahren kommt dem Treffpunkt der rechtsextremistischen Szene in Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) eine herausragende Bedeutung zu. Die hier oftmals parallel zu den 12 RECHTSEXTREMISMUS wöchentlichen Szenepartys stattfindenden Proben rechtsextremistischer Musikgruppen werden nicht selten für die anwesenden Partygäste geöffnet und nehmen somit Konzertcharakter an. Darüber hinaus versucht MARX - wenn auch merklich zurückhaltender als in den Vorjahren - immer wieder, tatsächliche Konzerte mit Musikgruppen des rechtsextremistischen Spektrums aus dem Inund Ausland zu veranstalten. Auslöser für die erwähnte relative Zurückhaltung des MARX dürften polizeiliche Maßnahmen vor Ort sein. MARX hat außerdem eine baurechtliche Untersagung erhalten, die ihm die Nutzung des in seinem Objekt befindlichen Saales für Veranstaltungen verbietet. Wegen eines Verstoßes gegen diese Untersagung wurde zwischenzeitlich ein zuvor angedrohtes Zwangsgeld fällig, dessen Zahlung MARX wirtschaftlich erheblich unter Druck setzt. Deshalb bittet MARX bei seinen Veranstaltungen um Spenden. Aufgrund von Strafrechtsverstößen wurde MARX zudem die Gewerbeerlaubnis für seinen Vertrieb "Barbarossa-Records" und somit eine erhebliche Einnahmequelle entzogen. Beispielhaft für die eingangs erwähnte Eindämmung rechtsextremistischer Konzertaktivitäten in Sachsen-Anhalt sollen hier vier Veranstaltungen genannt werden: Ein für den 23. Februar in Brietz (Altmarkkreis Salzwedel) geplantes Konzert der rechtsextremistischen Szene wurde bereits vor Beginn von der Polizei aufgelöst. Die rund 80 Veranstaltungsbesucher leisteten teils massiven Widerstand. Nachdem die Polizei am 23. Juni eine rechtsextremistische Konzertveranstaltung in Kloster Lehnin/Damsdorf (Brandenburg) bereits vor ihrem Beginn unterbinden konnte, verlegten die Organisatoren das Konzert nach Magdeburg. Auch hier untersagte die Polizei die Veranstaltung und löste diese kurz nach ihrem Beginn auf. Dabei stießen die Einsatzkräfte auf zum Teil erheblichen Widerstand. Nachdem die 250 Teilnehmer aus mehreren Bundesländern aufgefordert worden waren, das Objekt zu verlassen, warfen diese Steine, Stühle, Flaschen und Ähnliches aus dem Gebäude heraus auf 13 RECHTSEXTREMISMUS die Polizisten. Einige vermummte Personen begaben sich auf ein Vordach, um von dort ebenfalls Gegenstände auf Polizeibeamte zu werfen. Während eines vom NPD-Landesverband angemeldeten "Sommerfestes" am 4. August in Sangerhausen (Landkreis MansfeldSüdharz) wurde gegen ordnungsrechtliche Auflagen verstoßen. Die Veranstaltung, bei der verschiedene rechtsextremistische Musikgruppen und Liedermacher vor 450 Personen der rechtsextremistischen Szene auftraten, wurde daraufhin polizeilich beendet. Darüber hinaus unterband die Polizei am 1. Dezember ein rechtsextremistisches Konzert in Döcklitz (Saalekreis). Verbindungen zwischen der Skinheadund der "Black Metal"-Szene Beim "Black Metal" handelt es sich um eine härter und schneller gespielte Variante des "Heavy Metal". Auch aufgrund der bereits erwähnten exekutiven Maßnahmen gegen rechtsextremistische Musikveranstaltungen wendet sich ein Teil der Skinheadszene dem "Black Metal" zu, in dem die nordische Mythologie mit ihrer Ablehnung des Christentums, einer Bejahung der Naturreligion sowie durch die Verwendung heidnischer Symbolik eine entscheidende Rolle spielt. Hierdurch ergeben sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für die rechtsextremistisch orientierte Szene, für die die Bedeutung der nordisch-germanischen Mythologie in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat. Aus den rechtsextremistischen Bestrebungen innerhalb der "Black Metal"-Szene entwickelten sich schließlich neue Strömungen wie "NS Black Metal" (NSBM) oder auch "Aryan Metal". Insbesondere NSBM-Anhänger in den USA und Osteuropa bekennen sich offen zu antisemitischem und nationalsozialistischem Gedankengut und bedienen sich der entsprechenden Terminologie und Symbolik. Zudem wird eine "jüdische Weltverschwörung" behauptet und als Hauptfeind ein "judeo-christliches System" ausgemacht. Regierungen demokratischer Staaten werden als "ZOG"7 7 "Zionist Occupied Government" (dt. zionistisch besetzte/vereinnahmte Regierung). 14 RECHTSEXTREMISMUS bezeichnet. Diese seien verschwörerisch durch Juden kontrolliert und von diesen gesteuert. Die Judenverfolgung des "Dritten Reiches" gilt in weiten Teilen der NSBM-Bewegung als Befreiungsschlag gegen eine als "verweichlicht" angesehene Ordnung. Mittlerweile hat sich auch in Sachsen-Anhalt die Anhängerschaft des NSBM erheblich vergrößert, hat die Anzahl hier ansässiger Musikgruppen zugenommen. Im Berichtsjahr fanden in SachsenAnhalt drei NSBM-Konzerte statt, die jeweils zwischen 100 und 200 Besucher hatten. Weiter an Bedeutung zugenommen hat auch die Teilnahme deutscher Rechtsextremisten an einschlägigen Veranstaltungen im Ausland. Ein Beispiel hierfür sind die in Szenekreisen hoch geschätzten - weil mit "hochkarätigen" Szenebands besetzten - Konzerte zum Gedenken an den verstorbenen "Skrewdriver"-Sänger und Gründer der "White Power"-Bewegung Ian Stuart DONALDSON8. Im Berichtsjahr fand ein solches Konzert in Belgien statt. Häufig werden am Rande dieser Veranstaltungen einschlägige Waren mit rechtsextremistischem Bezug angeboten, die aufgrund der abweichenden Gesetzgebung der europäischen Nachbarländer dort ebenso wenig strafbewehrt sind wie beispielsweise das Entbieten des so genannten Hitlergrußes oder das Skandieren nationalsozialistischer Parolen wie "Heil Hitler". Entsprechend oft sind solche Handlungen im Rahmen der Konzertveranstaltungen zu beobachten. Veröffentlichung strafrechtlich relevanter Tonträger Neben der Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie dient die einschlägige Musik ihren Produzenten, Interpreten und Vertreibern ganz klar auch zur Erzielung von beträchtlichen finanziellen Gewinnen. Dies gilt insbesondere für solche Produktionen, die eindeutig fremdenfeindlich, rassistisch und/oder antisemitisch geprägt sind. Um einschlägige deutsche Strafrechtsnormen zu umgehen, wird auch bei der Herstellung entsprechender Tonträger auf Presswerke im Ausland zurückgegriffen. 8 Geb. am 11. August 1957, gest. am 24. September 1993. 15 RECHTSEXTREMISMUS Als Beispiel ist der seit kurzem in der rechtsextremistischen Szene verbreitete Sampler "Sturm über Deutschland" zu nennen. Der Tonträger enthält zum Teil bereits bekannte Liedtexte mit volksverhetzenden, rassistischen, antisemitischen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Inhalten. So ruft das Lied "Hitler's Harfen" der gleichnamigen Band zur Tötung von Juden auf. Der Tonträger wurde in Kalifornien produziert und wird vom USamerikanischen Versand "Arisches Reich Productions" vertrieben. Die akzentfreie Aussprache der Texte durch die Sänger lässt auf eine Beteiligung deutscher Rechtsextremisten an der Aufnahme der CD schließen. Bereits im Jahr 2003 lagen den Verfassungsschutzbehörden erste Hinweise auf einen geplanten Tonträger mit dem Namen "Die faschistischen Vier" vor, für den im Stil der rechtsextremistischen CD "12 Doitsche Stimmungshits" des Studioprojektes "Zillertaler Türkenjäger" bekannte deutsche Schlagermelodien mit neuen, in hohem Maße fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Texten unterlegt wurden. Durch die bekannten Melodien finden diese Tonträger nicht nur in rechtsextremistischen Kreisen Beachtung. Wegen des volksverhetzenden Charakters der CD verkündete das Amtsgericht Schweinfurt (Bayern) am 20. August den Erlass eines allgemeinen Beschlagnahmebeschlusses9. Rechtsextremistische Vertriebe Im Berichtszeitraum haben in Sachsen-Anhalt sechs OnlineVertriebe ihr rechtsextremistisches Material über professionell gestaltete Internetseiten zum Kauf angeboten. Zwei dieser Vertriebe boten ihre Waren zusätzlich in eigenen Ladengeschäften an. Diese fungieren auch als regionale Treffpunkte für Rechtsextremisten. In der rechtsextremistischen Szene haben sich in den vergangenen Jahren nationale und internationale Vertriebsstrukturen entwickelt. Angeboten werden Textilien, Tonträger, Videos, Fahnen, Publikationen und sonstige Devotionalien mit rechtsextremistischem Bezug. 9 Az. Gs 740/07, 12 Js 8450/07. 16 RECHTSEXTREMISMUS Von besonderer Bedeutung ist hierbei, dass sich kommerzielle Interessen der Betreiber mit dem Anspruch vermischen, über die angebotenen Artikel rechtsextremistische Propaganda zu betreiben und entsprechende Wertvorstellungen zu vermitteln. Der professionelle Online-Versandhandel ist für Betreiber und Besteller mit einem relativ geringen Aufwand verbunden. Die meisten Vertriebsfirmen verfügen deshalb über eigene, regelmäßig aktualisierte Online-Shops. Darüber hinaus nutzen Rechtsextremisten auch große Internet-Auktionshäuser. Das Internet hat also auch für die rechtsextremistische Vertriebsszene einen sehr hohen Stellenwert erlangt. Rechtsextremistische Vertriebsaktivitäten gehen zudem von konspirativ agierenden Kleinsthändlern aus, die rechtsextremistische Musik und Szeneartikel auf Konzerten, bei Kameradschaftstreffen und bei anderen rechtsextremistischen Veranstaltungen in kleineren Stückzahlen zum Kauf anbieten. Die von deutschen Versandhändlern produzierten und vertriebenen CDs werden in aller Regel vor ihrer Verbreitung anwaltlich überprüft und sind dadurch meistens strafrechtlich nicht zu beanstanden. Sie bieten aus demselben Grund häufig auch keinen Anlass für eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM). Strafbare Tonträger werden vorwiegend im Ausland produziert und in unauffälligen Kleinstmengen nach Deutschland versandt. Daher bleiben sie bei der Einfuhr häufig unentdeckt. Verschiedene Vertriebe geben an, einen Teil der erzielten Verkaufserlöse in die Szene zurückzuleiten, um dadurch politische Aktivitäten, Projekte und Veranstaltungen zu unterstützen. Die rechtsextremistischen Vertriebe tragen auch maßgeblich zur Nachwuchswerbung für die Szene bei. So wurden das Projekt "Schulhof" und verschiedene rechtsextremistische Schülerzeitungen nicht zuletzt durch das finanzielle und logistische Engagement einschlägiger Vertriebe unterstützt. 17 RECHTSEXTREMISMUS RECHTSEXTREMISTISCHE SZENEN IN SACHSEN-ANHALT Rechtsextremistische Szene im Saalekreis Der rechtsextremistischen Szene im Saalekreis können 35 bis 45 Personen zugerechnet werden. Dort sind keine festgefügten, neonazistisch geprägten Strukturen erkennbar. Stattdessen sind mit den "Freien Nationalisten Merseburg" und der "Sozialrevolutionären Alternative Querfurt" zwei rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse bekannt, die als Mischszenen aus subkulturell und neonazistisch geprägten Rechtsextremisten anzusehen sind. "Freie Nationalisten Merseburg" Seit Ende 2002 waren Angehörige der rechtsextremistischen Szene in Merseburg (Saalekreis) unter der Bezeichnung "Freie Kräfte" aktiv. Der Gruppierung konnten etwa 20 Personen, darunter auch NPD-Mitglieder, zugerechnet werden. Angehörige der "Freien Kräfte" beteiligten sich meist an überregionalen Veranstaltungen, so in Sotterhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) und Halle oder in sächsischen Städten wie Leipzig, Delitzsch und Schkeuditz. In Merseburg selbst kamen die Szeneangehörigen lediglich zu ihren wöchentlichen Treffen und zu Geburtstagsfeiern zusammen. Die Bezeichnung "Freie Kräfte" fand zuletzt keine Verwendung mehr. Seit April tritt in Merseburg eine Kameradschaft unter dem Namen "Freie Nationalisten Merseburg" in Erscheinung. Als eine der Führungspersonen agiert der Rechtsextremist Tino MARX, der zwar einerseits NPD und JN bei öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten unterstützen will, andererseits seinen Führungsanspruch innerhalb der rechtsextremistischen Szene nicht zu Gunsten dieser Organisationen einbüßen möchte. Sein Agieren unter dem Etikett "Freie Nationalisten Merseburg" sichert ihm zudem enge Beziehungen zur rechtsextremistischen Szene in Schkeuditz und Delitzsch. Vor allem aus Schkeuditz erhält die Merseburger Gruppe personelle Unterstützung, verfügt damit über ein beachtliches Personenpotenzial im 18 RECHTSEXTREMISMUS Verbund der so genannten Autonomen Nationalisten und bildet dadurch einen Gegenpol zu den JN. Berichtszeitraumbezogene Aktivitäten Am 12. August führten Rechtsextremisten aus Schkeuditz als Bürgerinitiative "Unsere Kinder - Unsere Zukunft" in Merseburg einen Aufzug mit Zwischenkundgebung zum Thema "Schützt unsere Kinder - Härtere Strafen für Pädophile" durch, der unter Auflagen stattfand. Daran nahmen 115 Personen teil, darunter Rechtsextremisten aus Schkeuditz, Mitglieder der "Freien Nationalisten Merseburg" und Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Saalekreis. An einer Demonstration am 17. August in Altenburg (Thüringen) beteiligten sich etwa 350 Personen, darunter Angehörige der "Freien Nationalisten Merseburg". Am 18. August nahmen etwa 70 Personen der rechtsextremistischen Szenen aus Bad Lauchstädt, Merseburg, Leuna, Farnstädt (alle Saalekreis), Leipzig und Berlin am "Brunnenfest" in Bad Lauchstädt teil. Am Abend begannen Szeneangehörige aus Bad Lauchstädt, Querfurt und Leuna (alle Saalekreis) eine Prügelei. Dabei wurden Parolen wie "Ruhm und Ehre der Waffen-SS", "Rudolf Heß - Märtyrer" und "Hasta la vista - Antifaschista" skandiert. Mehrere Personen wurden in der Folge von der Polizei festgenommen. Etwa 30 bis 40 Szeneangehörige leisteten Widerstand und griffen die Beamten an. Die Polizei führte Identitätsfeststellungen durch und sprach Platzverweise aus. Am 9. November fand in Delitzsch ein Fackelmarsch "gegen Kinderschänder" statt. Anlass war der Überfall auf eine neunjährige Schülerin in Delitzsch, die vergewaltigt und danach ausgesetzt worden war. Insgesamt nahmen etwa 250 Personen teil, die unter anderem aus Merseburg stammten. 19 RECHTSEXTREMISMUS "Sozialrevolutionäre Alternative Querfurt" Seit Mai 2007 tritt im Saalekreis eine "Sozialrevolutionäre Alternative Querfurt" öffentlich in Erscheinung. Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich hierbei um einen losen Personenzusammenschluss, der aktionsund themenbezogen handelt und bereit ist, den JN-Stützpunkt Sangerhausen zu unterstützen. Des Weiteren bindet die Gruppierung Personen, die sich weder den "Freien Nationalisten Merseburg" noch der rechtsextremistischen Szene im Raum Halle zugehörig fühlen. Zu ihrem Selbstverständnis erklärte die Gruppe auf ihrer Homepage, bei ihren Mitgliedern handele es sich um "Aktivisten/-innen in den Reihen der nationalen Jugend", die die Ansicht verträten, "dass dieses korrupte und vom Kapital beherrschte System keine Zukunft hat". Weiter heißt es: "Im Gegensatz zum Durchschnitts BRD'ler stehen wir auf und wehren uns. Wir sind übergegangen zum ideologischen Angriff gegen dieses System und seine gekauften Bonzen. Dieser 'Angriff' erfolgt natürlich völlig friedlich und gewaltfrei, uns geht es darum unseren Volksgenossen Alternativen zum (noch) herrschenden System aufzuzeigen und Überzeugungsarbeit zu leisten." Am 9. Juni nahmen Mitglieder der "Sozialrevolutionären Alternative Querfurt" in Querfurt an einer 'Mahnwache' gegen den G8-Gipfel teil. Eigendarstellungen zufolge handelte es sich hierbei um den "ersten politischen Auftritt" in der Öffentlichkeit. Des Weiteren gab die Gruppe an, aktiv in das "Nationale Sommerfest" am 4. August in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) eingebunden gewesen zu sein. Am 28. Dezember fand in Querfurt unter dem Motto "Gegen staatliche Repression - Stoppt Polizeiwillkür" eine gemeinsame Mahnwache von JN und "Sozialrevolutionärer Alternative Querfurt" statt, an 20 RECHTSEXTREMISMUS der 32 Personen teilnahmen. Versammlungsleiter war Enrico MARX. "Nationaler Beobachter - Informationsblatt für die Region Halle/Merseburg" (NB) Im Berichtsjahr erschien keine gedruckte Ausgabe des "Nationalen Beobachters". Lediglich die Internetseite wurde sporadisch gepflegt. Die eingestellten Beiträge thematisierten die durchgeführten öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des JN-Stützpunktes Halle, zum Beispiel zum 1. Mai, sowie Aktivitäten gegen den G8-Gipfel oder zum Volkstrauertag. Hierbei wurde häufig kommentarlos auf Veröffentlichungen anderer Homepages zurückgegriffen. "Nationales Infoblatt" Zu Beginn des Berichtsjahres erschien die Publikation nicht mehr wie bisher unter der Bezeichnung "Freie Kräfte Oberbergischer Kreis/Halle/Saale", sondern unter der Bezeichnung "Nationales Infoblatt - Überregionale Zeitung". Grund hierfür dürften Zerwürfnisse innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Halle gewesen sein.10 Im Wesentlichen handelt es sich beim "Nationalen Infoblatt" um eine Sammlung von Internetbeiträgen, die unkommentiert übernommen wurden und Veranstaltungen und Ereignisse mit rechtsextremistischen Bezügen aus dem gesamten Bundesgebiet aufgreifen. Rechtsextremistische Szene im Raum Halle Der teilweise neonazistisch ausgerichteten rechtsextremistischen Szene im Raum Halle werden etwa 60 bis 80 aktive Personen zugerechnet, die sich noch Anfang 2007 auf die Gruppen "Nationale Sozialisten Halle" und "Freie Kräfte Halle" verteilten. Nachdem sich die "Freien Kräfte Halle" kurze Zeit später aufgelöst hatten, schlossen sich einige dieser Personen dem NPDKreisverband Halle an, andere suchten die Nähe zur Gruppe um den Neonazi Matthias BADY, der den "Nationalen Sozialisten Halle" 10 Siehe unten. 21 RECHTSEXTREMISMUS vorsteht und seit November 2006 außerdem den JN-Stützpunkt Halle/Saale leitet. Zwischen den beiden letztgenannten Zusammenschlüssen besteht eine weitgehende personelle Übereinstimmung. Aufgrund persönlicher Differenzen zwischen den Führungspersonen wandten sich zum Ende des Berichtsjahres mehrere Mitglieder vom JN-Stützpunkt ab und nahmen nicht mehr an Veranstaltungen teil. Die im Berichtsjahr verzeichneten Aktivitäten der JN-Gruppe um BADY und ihrer Sympathisanten erfolgten in enger Absprache mit dem JN-Landesvorsitzenden Philipp VALENTA (Bernburg, Salzlandkreis). Ein Schwerpunkt lag dabei auf der Sammlung von Unterstützungsunterschriften für die NPD im Zusammenhang mit den Kommunalwahlen. Gesammelt wurde an öffentlichen Orten, wie zum Beispiel vor Einkaufsmärkten, sowie in Szenetreffpunkten. Daneben wurden Aktivitäten mit Bezug zum G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) entfaltet. Berichtszeitraumbezogene Aktivitäten Am 8. Februar meldete BADY in seiner Funktion als JNStützpunktleiter für den 13. Februar in Halle eine 'Mahnwache' auf der Rathaustreppe unter dem Motto "Ein Licht für Dresden" an. Anfang April fand an der öffentlichen Feuerstelle "Am Kanal" in Halle ein vom JN-Stützpunkt Halle organisiertes Osterfeuer statt, an dem etwa 60 Rechtsextremisten teilnahmen. In einer Begrüßungsrede wurde die "Tradition des Osterfeuers in der germanischen Mythologie" erläutert. Im weiteren Verlauf wurden an der Feuerstelle zwei schwarze Fahnen entrollt und eine hölzerne Lebensrune entzündet. Am 1. Mai führten Hallesche Szeneangehörige eine Spontandemonstration in der Naumburger Innenstadt durch.11 11 Siehe Seite 38. 22 RECHTSEXTREMISMUS Darüber hinaus organisierte der JN-Stützpunkt zusammen mit dem örtlichen NPD-Kreisverband eine 'Mahnwache' unter dem Motto "Israel - Das geraubte Land". Die 'Mahnwache' fand am 4. Mai unter Beteiligung von 27 Personen in Halle statt und wandte sich gegen einen Besuch der Präsidentin des Zentralrates der Juden in der Stadt. Bereits im Januar hatte BADY bei der zuständigen Versammlungsbehörde 'Mahnwachen' für den 19. Mai im Bereich "Leipziger Turm" und für den 9. Juni im Bereich der Ulrichskirche in Halle angemeldet. An den 'Mahnwachen' unter dem Motto "Gib 8 - Sozial statt Global" beteiligten sich jeweils etwa 20 Mitglieder des JN-Kreisverbandes Halle und verteilten dabei themenbezogenes Infomaterial der NPD an die Passanten. Am 2. Juni nahmen Mitglieder des JN-Kreisverbandes Halle an spontanen Anti-G8-Kundgebungen in Osterburg (Landkreis Stendal) und Wittenberge (Brandenburg) teil. Im Zusammenhang mit dem 85. Todestag der Mörder des Reichsaußenministers Walther RATHENAU12 verhinderte die Polizei in Bad Kösen, OT Saaleck (Burgenlandkreis) am 21. Juli eine geplante Totenehrung durch Angehörige der rechtsextremistischen Szene. Die bis zu 60 aus dem Burgenlandkreis und Halle sowie aus Altenburg (Thüringen), Hof (Bayern) und Leipzig (Sachsen) angereisten Rechtsextremisten bewegten sich in Kleingruppen zur Saaleanlegestelle, um dort zwei Kränze niederzulegen. Diese und weitere Aktivitäten wurden unterbunden. Im Rahmen des alljährlich in Halle stattfindenden Laternenfestes verteilten Mitglieder des JN-Stützpunktes unter anderem Flugblätter zum Thema "Zukunft statt Globalisierung". Zudem wurde ein angemietetes Tretboot genutzt, um von der Saale aus Transparente zu zeigen, die auf die Finanzsituation der Stadt Halle aufmerksam ma12 Der 17. Juli war der 85. Todestag der RATHENAU-Mörder Hermann FISCHER und Erwin KERN. Auf der Burg Saaleck beging FISCHER Selbstmord, nachdem KERN von einem Polizisten in Notwehr erschossen worden war. 23 RECHTSEXTREMISMUS chen sollten. Ferner wurde versucht, durch in der Stadt angebrachte JN-Schriftzüge auf die Präsenz der Organisation in Halle aufmerksam zu machen. Wie in jedem Jahr entfaltete der Personenkreis um BADY auch im Berichtszeitraum Aktivitäten mit Bezug zum Volkstrauertag. 13 Rechtsextremistische Szene in der Landeshauptstadt Magdeburg Der teilweise neonazistisch ausgerichteten rechtsextremistischen Szene in Magdeburg werden etwa 40 aktive Personen zugerechnet, die wahlweise unter den Bezeichnungen "Freie Nationalisten Magdeburg" oder "Nationale Sozialisten Magdeburg" öffentlich in Erscheinung treten. Der Personenkreis nutzte im Berichtsjahr die Räumlichkeiten des bekannten Szenetreffpunktes "Club S 26" für politische Aktivitäten. Unverändert kooperierten im Raum Magdeburg Angehörige der "Freien Nationalisten", der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) eng miteinander. Insbesondere unterstützten "Freie Nationalisten" über ihre Internetpräsenz14 den Kommunalwahlkampf von NPD/JN oder beteiligten sich aktiv an der Verteilung von Wahlkampfmaterialien. Die enge politische Zusammenarbeit zwischen parteigebundenen und parteiungebundenen Rechtsextremisten zeigte sich im Berichtsjahr auch bei der Organisation und Durchführung von Demonstrationen und Szenezusammenkünften. In politisch-ideologischer Hinsicht spielte neben der Wahlkampfunterstützung vor allem das Thema Globalisierung eine wichtige Rolle. Rechtsextremisten bedienen sich dieses Themenfeldes vor allem, um so indirekt Kritik an den bestehenden politischen Verhältnissen zu transportieren. 13 Siehe auch Seite 44ff. 14 Diese existierte im Berichtsjahr bis Juli. Danach fungierte die Internetseite der JN auch als Sprachrohr der parteiungebundenen Magdeburger Rechtsextremisten. 24 RECHTSEXTREMISMUS Berichtszeitraumbezogene Aktivitäten Anlässlich des 62. Jahrestages der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg zogen am 13. Januar etwa 350 Rechtsextremisten zum Westfriedhof der Stadt und zeigten dabei Transparente mit Aufschriften wie "Jedes System kann man abschalten - Nationaler Sozialismus" oder "JN Magdeburg - Wir lassen uns nicht kriminalisieren". Der Aufzug wurde wie bereits in den Vorjahren von einer "Initiative gegen das Vergessen" durchgeführt und stand unter dem Motto "Unsere Mauern brachen - aber unsere Herzen nicht". Während der öffentlichen Kranzniederlegung am 16. Januar auf dem Westfriedhof legten Rechtsextremisten ebenfalls einen Kranz nieder. Oberbürgermeister Lutz TRÜMPER ließ den Kranz nach Abschluss der Veranstaltung entfernen. Aus Protest gegen diese Vorgehensweise demonstrierten in den Abendstunden etwa 20 Angehörige der rechtsextremistischen Szene mit Transparenten vor dem Haus des Oberbürgermeisters und skandierten unter anderem "Trümper und deine Bande, ihr seid für Deutschland eine Schande." Im Rahmen der so genannten Wortergreifungsstrategie störten Rechtsextremisten mehrere Veranstaltungen. So fand in der Magdeburger Stadtbibliothek am 15. Januar eine Autorenlesung mit dem Historiker und Publizisten Hannes HEER zu dessen Werk "Hitler war's - Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit" statt. Dagegen protestierten etwa 40 Personen der rechtsextremistischen Szene. Eine für den 10. Mai durch den NPD-Kreisverband Magdeburg angemeldete Kundgebung zum Thema "Schluss mit dem Schuldkult" wurde von der Polizeidirektion Magdeburg verboten. Dagegen richteten sich mehrere Spontanaktivitäten von Rechtsextremisten. So besuchten Szeneangehörige eine öffentliche Stadtratssitzung im Rathaus und zeigten ein Transparent mit der Aufschrift "JN-Magdeburg; Wir lassen uns nicht kriminalisieren; 25 RECHTSEXTREMISMUS Nationale Sozialisten". Den Aufforderungen, das Gebäude zu verlassen, kamen die Störer unter Protesten nach. Eine weitere Gruppe zog mit einem Transparent mit der Aufschrift "Schluss mit der Befreiungslüge" durch einen Magdeburger Einkaufspark. Darüber hinaus wurden in der Innenstadt Flugblätter der JN verteilt. Am 19. Mai führte die NPD in Magdeburg eine 'Mahnwache' unter dem Motto "Gib8 - Sozial statt Global" durch, an der 25 Personen der rechtsextremistischen Szene teilnahmen. Dabei verteilten die Demonstranten themenbezogenes Propagandamaterial an Passanten. Am 27. September fand in Magdeburg im Palais am Fürstenwall eine Podiumsdiskussion zum Thema "Polizeiarbeit und Rechtsextremismus" statt. Daran nahmen insgesamt 170 Personen teil, darunter auch Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens. Zwei Rechtsextremisten wurde die Teilnahme an der Veranstaltung versagt. Szeneangehörige veranstalteten daraufhin vor dem Palais eine Mahnwache unter dem Motto "Wir lassen uns nicht kriminalisieren", an der sich 22 Personen beteiligten. Während des Magdeburger Rathausfestes versammelten sich am 3. Oktober etwa zehn Personen des JN-Stützpunktes Magdeburg, entrollten erneut das Transparent mit der Aufschrift "Wir lassen uns nicht kriminalisieren" und zogen in Richtung Allee-Center, wobei Propagandamaterial an Passanten verteilt wurde. Die Veranstaltung war zuvor nicht angemeldet worden. Am 8. Oktober fand in der Innenstadt von Magdeburg eine Kundgebung der JN unter dem Motto "Zukunft statt Globalisierung" statt, an der zehn Personen teilnahmen. In der Nähe der Kundgebung betrieb der NPD-Kreisverband Magdeburg einen Informationsstand. Mehrere Szeneangehörige verteilten Zeitschriften mit dem Titel "Jetzt reicht's" und Handzettel mit der Überschrift "Gegen Globalisierung - Widerstand". In der Nähe des Veranstaltungsortes versammelten sich schließlich etwa 15 Rechtsextremisten und 20 An26 RECHTSEXTREMISMUS gehörige der linksextremistischen Szene. Zwischen mehreren Personen beider Gruppen kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen. Am 12. November fand in Magdeburg eine Kundgebung der JN mit sechs Teilnehmern zum Thema "Aufmucken statt Ducken - Kampf dem Gesinnungsterror" statt. Rechtsextremistische Szene im Landkreis Harz Die rechtsextremistische Szene in den ehemaligen Landkreisen Halberstadt und Quedlinburg ist im Wesentlichen unstrukturiert. Eine hierarchische, homogene, neonazistisch ausgerichtete Kameradschaftsstruktur existiert nicht. Die nicht parteigebundene Szene in den genannten Bereichen wird als subkulturell geprägt und gewaltbereit eingeschätzt. Im Gegensatz hierzu kann für den ehemaligen Landkreis Wernigerode eine stärker werdende Verschmelzung von "Freien Nationalisten", NPD und JN festgestellt werden. Ideologische Unterschiede zwischen den Gruppen sind so gut wie nicht auszumachen. Insgesamt umfasst die rechtsextremistische Szene im Landkreis Harz etwa 50 aktive Personen. Gleichwohl dürfte das Mobilisierungspotenzial bei szenetypischen Veranstaltungen weit höher sein. Berichtszeitraumbezogene Aktivitäten Anfang 2007 stand die Unterstützung der Kandidaten von JN und NPD zu den Kommunalwahlen im Vordergrund der festgestellten Aktivitäten. Auf der Internetseite des JN-Stützpunktes Wernigerode wurde im Vorfeld der Wahl in zahlreichen Beiträgen eine "Unfähigkeit der etablierten Parteien" beklagt und die "Nationale Opposition" als "einzige Alternative" präsentiert. In einem dort veröffentlichten Artikel hieß es: "Natürlich stehen wir als nationalistische Jugend an der Seite unserer Mutterpartei NPD und werden sie überall tatkräf27 RECHTSEXTREMISMUS tig unterstützen. Die JN-Sachsen-Anhalt wird nicht nur gemeinsam mit der NPD und freien Gruppen auf den Straßen für unsere Alternative werben und aktiv am Wahlkampf teilnehmen, um für soziale und nationale Politik einzutreten. Sie wird auch versuchen, im Wahlkampf eigene Akzente zu setzen." Unter dem Motto "Kapitalismus abschalten - Eure Politik ist ungerecht" fand am 1. März in Halberstadt (Landkreis Harz) eine Kundgebung der NPD mit etwa 50 Teilnehmern statt. Als Reaktion auf einen Aufruf der linksextremistischen Szene zur Beschädigung von NPD-Wahlplakaten versuchten am 31. März rund 60 Personen der rechtsextremistischen Szene, gewaltsam in das Halberstädter soziokulturelle Jugendzentrum "Zora" zu gelangen, wo zu diesem Zeitpunkt ein Konzert stattfand. Die Polizei vereitelte das Vordringen der Rechtsextremisten in den Veranstaltungsraum. Am 20. April beteiligten sich rund 70 Szeneangehörige in Wernigerode an einer Wahlkampfveranstaltung der NPD, in deren Rahmen auch der NPD-Bundesvorsitzende Udo VOIGT (Berlin) auftrat. Am Rande einer vom Verein "Augen auf im Harz e. V." initiierten Demonstration unter dem Motto "Wer schweigt stimmt zu" wurden am 23. Juni im Stadtgebiet von Wernigerode 13 Personen der rechtsextremistischen Szene, die beabsichtigt hatten, den Aufzug zu stören, in Verhinderungsgewahrsam genommen. Am 28. Juni fand in Quedlinburg eine Veranstaltung unter dem Motto "Marktplatzaktion - Schluss mit Lustig! Laut gegen Nazis" statt. Etwa 20 Rechtsextremisten versuchten erfolglos, die Veranstaltung zu stören. Im Juni wurde auf der Internetseite des "Nationalen Beobachters Wernigerode" die in Anwesenheit des JN-Landesvorsitzenden Philipp VALENTA erfolgte Gründung des JN-Stützpunktes Blanken28 RECHTSEXTREMISMUS burg bekannt gegeben. Aktivitäten des Zusammenschlusses wurden im Berichtszeitraum nicht bekannt. Am 14. September richteten die Stadt Halberstadt und das Nordharzer Städtebundtheater mehrere Veranstaltungen gegen den Rechtsextremismus aus. Rechtsextremisten15 meldeten in Halberstadt insgesamt sieben Gegenveranstaltungen in Form von 'Mahnwachen' oder Kundgebungen an, die sämtlichst von der Stadt verboten wurden und deshalb nicht stattfanden. Im Rahmen der "Wernigeröder Pädagogischen Gespräche" fand am 19. September im Rathaus in Wernigerode eine nicht öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema "Zwischen Schulhof-CD und Thor Steinar" statt, an der etwa 60 Lehrer des Landkreises Harz teilnahmen. Sieben Angehörigen des JN-Stützpunktes Wernigerode - unter ihnen zwei Kreistagsmitglieder - versuchten, ebenfalls an der Veranstaltung teilzunehmen, was ihnen aber verwehrt wurde. An einer vom Vorsitzenden des NPD-Kreisverbandes Harz Matthias HEYDER (Elbingerode, Landkreis Harz) angemeldeten NPDKundgebung am 7. September in Quedlinburg (Motto "Auf die Plätze! Fertig! Los!") nahmen etwa 30 Personen teil. Diese als Mobilisierungsveranstaltung zu einer Demonstration am 15. September am gleichen Ort gedachte Versammlung verlief störungsfrei. An der Veranstaltung am 15. September (Motto "Und wer schützt uns vor Euch? Organisiert Euch gegen Polizeistaat und Gewalt") nahmen schließlich etwa 240 Personen der rechtsextremistischen Szene teil. 15 JN-Landesverband Sachsen-Anhalt, JN-Kreisverband Halle sowie JN-Stützpunkte Bernburg, Blankenburg, Magdeburg, Wernigerode und Staßfurt. 29 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremistische Szene im Salzlandkreis Rechtsextremistische Szene Schönebeck Der in Schönebeck (Salzlandkreis) bereits seit 2006 existierende JN-Stützpunkt und die so genannten Freien Nationalisten entfalteten im Berichtsjahr nur in vergleichsweise geringem Umfang Aktivitäten. Das gesamte rechtsextremistische Spektrum im Bereich Schönebeck umfasst etwa 20 aktive Personen. Das Europabüro der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" des Landes Sachsen-Anhalt veranstaltete in Schönebeck im Vorfeld der sachsen-anhaltischen Kommunalwahl am 23. März eine Podiumsdiskussion zum Thema "Nazis in deutschen Parlamenten". Im Umfeld des Tagungslokals protestierten etwa 25 Personen der rechtsextremistischen Szene und versuchten schließlich erfolglos, sich Zutritt zum Veranstaltungsraum zu verschaffen. An der Störaktion waren überwiegend Mitglieder und Sympathisanten der JN-Stützpunkte Bernburg/Staßfurt und Magdeburg beteiligt. Am 30. April demonstrierten Vertreter des JN-Stützpunktes Schönebeck auf dem dort stattfindenden so genannten Lichterfest mit Eselsund Schafsmasken verkleidet gegen die Globalisierung. Rechtsextremistische Szene im Raum Bernburg/Staßfurt Unverändert gehen in diesem Bereich die politischen Aktivitäten hauptsächlich von Mitgliedern und Sympathisanten der JNStützpunkte Bernburg und Staßfurt aus, die eng kooperieren. Das gesamte rechtsextremistische Spektrum umfasst dort etwa 20 aktive Personen. Als "Auftakt" für eine "Aktionswoche Gib8 - Stopp den Wahnsinn" verteilten Mitglieder des JN-Stützpunktes Staßfurt am 19. Mai am 30 RECHTSEXTREMISMUS Rande eines Volksfests in Aschersleben (Salzlandkreis) Flugblätter gegen den G8-Gipfel. In Gatersleben (Salzlandkreis) fand am 21. Mai eine durch die "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft e. V." angemeldete Demonstration und internationale Kundgebung unter dem Motto "Rettet die Genbank Gatersleben! Keine Gentechnik-Experimente in Gatersleben" mit etwa 150 Teilnehmern statt. Darunter befanden sich sechs Personen des JN-Stützpunktes Staßfurt, die unter dem Motto "Gib8 - Ährensache ohne Gentechnik" am Rande der Demonstration mitmarschierten, um gegen eine "kapitalistische Profitgier und Artenzerstörung" zu protestieren. Am 22. Mai fand in Bernburg (Salzlandkreis) eine 'Mahnwache' des dortigen JN-Stützpunktes unter dem Motto "Unfrei, arm und ausgebeutet - das ist was G8 bedeutet" statt. Mitglieder des JN-Stützpunktes Staßfurt führten in Aschersleben am 24. Mai eine 'Mahnwache' unter dem Motto "Gib8 (G8) - Sozial statt Global" durch. Am 30. November fand in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) eine 'Mahnwache' unter dem Motto "Nationale gegen Kinderschänder! - Für eine sichere Zukunft unserer Kinder" statt. An der Veranstaltung, die durch einen Sympathisanten des JN-Stützpunktes Bernburg angemeldet wurde, nahmen 52 Personen, darunter die NPDLandesvorsitzende Carola HOLZ, teil. Rechtsextremistische Szene in der Altmark In der Region agieren 90 bis 100 aktive rechtsextremistische Szeneangehörige. Unverändert kann für die Räume Gardelegen, Klötze und Salzwedel von einer lose strukturierten Szene gesprochen werden, die unter der Bezeichnung "Freie Nationalisten Altmark-West" firmiert. Aus der östlichen Altmarkregion sind ähnliche Personenzusammenschlüsse nicht bekannt. 31 RECHTSEXTREMISMUS Angehörige der genannten Szene beteiligten sich im Berichtszeitraum nur sporadisch an öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten wie an den Demonstrationen am 13. Januar in Magdeburg, am 10. März in Salzwedel oder am 3. März in Halbe (Brandenburg). Insbesondere bei der Vorbereitung und Durchführung der Demonstration in Salzwedel war eine enge Zusammenarbeit zwischen dem NPDKreisverband Salzwedel16 und den "Freien Nationalisten AltmarkWest" zu beobachten. Berichtszeitraumbezogene Aktivitäten Am 22. Februar legten Vertreter der "Freien Nationalisten AltmarkWest" in Salzwedel einen Kranz zur Erinnerung an die Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg nieder. Für den 10. März planten der NPD-Kreisverband Salzwedel als Anmelder und die "Freien Nationalisten Altmark-West" als Veranstalter eine Demonstration mit Live-Musik unter dem Motto "Rock gegen Polizeiwillkür". Hintergrund hierfür war die Auflösung einer Veranstaltung der rechtsextremistischen Szene am 23. Februar in Brietz (Altmarkkreis Salzwedel), die bereits vor Beginn verboten worden war.17 Die Musikdarbietung wurde im Vorfeld verboten. An der ohne Zwischenfälle verlaufenen Demonstration in Salzwedel nahmen etwa 170 Personen aus der Altmark und aus Magdeburg sowie aus Niedersachsen, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern teil. Etwa 30 schwarz gekleidete Personen aus der rechtsextremistischen Szene besuchten am 1. April das Bismarckmuseum in Schönhausen (Landkreis Stendal). Unter den Teilnehmern, die schwarz-weiß-rote Fahnen mitführten, befanden sich auch Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Salzwedel. Am 28. Juli fand in Jeggeleben (Altmarkkreis Salzwedel) ein durch Angehörige der rechtsextremistischen Szene organisiertes "Schot16 Jetzt NPD-Kreisverband Altmark. 17 Siehe auch Seite 13. 32 RECHTSEXTREMISMUS tenfest" statt, an dem etwa 200 Personen teilnahmen. Die "Freien Nationalisten Altmark-West" warben im Vorfeld mit Flugblättern für die Zusammenkunft. Am 29. Dezember beteiligten sich in Stendal Angehörige der "Freien Nationalisten Altmark-West" an einer NPD-Demonstration unter dem Motto "Für ein freies, soziales und nationales Deutschland". 18 Rechtsextremistische Szene der Region Sangerhausen "Ostara-Skinheads" (Sangerhausen, Landkreis Mansfeld-Südharz) Die rund 20 Personen umfassende "Kameradschaft Ostara" entwickelte im Berichtsjahr so gut wie keine öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten. Allerdings schart ihr Anführer Enrico MARX, der seit März 2006 gleichzeitig als Leiter des JN-Stützpunktes Sangerhausen fungiert, weiterhin eine Vielzahl von Rechtsextremisten und rechtsextremistisch beeinflussten Jugendlichen um sich. Diese erschienen vor allem zu den von ihm weiterhin regelmäßig ausgerichteten Zusammenkünften mit Partycharakter.19 Nach einer solchen Party zu Beginn des Jahres begingen Veranstaltungsteilnehmer einen Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Sangerhausen. Aus diesem Grund wurde Enrico MARX Mitte des Jahres vom Landgericht Halle als Zeuge zum Prozess gegen die Brandstifter geladen. Enrico MARX erschien zu den Verhandlungen stets in Begleitung von Sympathisanten. Rechtsextremistische Szene im Landkreis Jerichower Land Der teilweise stark gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene im Landkreis Jerichower Land werden etwa 60 aktive Personen zugerechnet. Die Rechtsextremisten nutzten im Berichtsjahr unter anderem Treffpunkte in Brettin und Grabow (beide Landkreis Jerichower 18 Siehe auch Seite 56. 19 Je nach Art der Veranstaltung (Party, Vortrag/Schulung oder Konzert) mobilisiert MARX zwischen 20 und 100 Personen. 33 RECHTSEXTREMISMUS Land). Weiterhin verfügen Szeneangehörige über gute Kontakte zu Rechtsextremisten aus Brandenburg, die in gemeinsame Aktivitäten mündeten. Im Berichtsjahr wurde im Internet das "Mitteldeutsche Infoportal der freien Kräfte"20 bekannt, das regionale Infoportale aus Burg (Landkreis Jerichower Land), Altenburg (Thüringen), Delitzsch (Sachsen) und Hof (Bayern) umfasst. Im Juni kamen Infoportale der Städte Haldensleben (Landkreis Börde) und Leipzig (Sachsen) hinzu. In einer Selbstdarstellung hieß es unter anderem: "Das Freie Netz (FN) ist ein Zusammenschluss parteiunabhängiger Aktionsgruppen aus dem Raum Mitteldeutschland. Es ist ein Portal der unabhängigen, revolutionären Gruppen des nationalen Angriffs. Wir lassen uns in keine, dieser brD genehmen Parteienorganisation eingliedern und stellen uns somit nicht unter die Statutfaust dieser Scheindemokratie." Das Burger Portal firmiert unter der Bezeichnung "Freies Netz Burg". Berichtszeitraumbezogene Aktivitäten Am 11. August planten die "Freien Kräfte Burg" eine Demonstration unter dem Motto "Gegen Polizeiwillkür", die schließlich verboten wurde.21 Eigenangaben zufolge nahmen Szeneangehörige aus dem Raum Burg an NPD-Demonstrationen am 1. Dezember in Berlin und am 29. Dezember in Stendal teil. 20 Domaininhaber und Provider ist der Rechtsextremist Mike SCHEFFLER aus Delitzsch (Sachsen). 21 Siehe auch Seite 41. 34 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremistische Szene im Landkreis Börde Der ohne erkennbare Strukturen agierenden rechtsextremistischen Szene im Bördekreis werden etwa 40 aktive Personen zugerechnet. Im Juni 2006 wurde eine seinerzeit noch im Aufbau befindliche Internetpräsenz einer "Kameradschaft Magdeburger Börde" bekannt. Seit Januar firmiert unter derselben Domainadresse ein Zusammenschluss mit der Bezeichnung "Heimatschutz Magdeburger Börde". Zum Selbstverständnis der Vereinigung heißt es dort unter anderem: "Unsere selbst auferlegte Aufgabe ist es deshalb dem deutschen Bürger die Augen zu öffnen, damit er nicht blind durch sein Leben irrt. Wir denken frei nach dem Motto: Wenn dir diese Welt nicht gefällt, dann schaff dir eine andere! Alles für Deutschland, nichts für uns!" In der Öffentlichkeit ist der "Heimatschutz Magdeburger Börde" darüber hinaus bislang nicht in Erscheinung getreten. Über das "Mitteldeutsche Infoportal der freien Kräfte" war zwischen Juni und Dezember unter der Bezeichnung "Freies Netz Haldensleben" auch ein Infoportal für den Raum Haldensleben (Landkreis Börde) abrufbar, über das allerdings lediglich bereits bekannte Internetangebote anderer Gruppen verbreitet wurden. Hinweise auf einen tatsächlichen Personenzusammenschluss ergaben sich dadurch nicht. Rechtsextremistische Szene im Raum Dessau-WittenbergBitterfeld In der Region existieren nur wenige rechtsextremistische Strukturen. Im Wittenberger Bereich ist dies die "Kameradschaft Landkreis Wittenberg", von der im Berichtsjahr aber keine öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten ausgingen. Der Kameradschaft gehören insgesamt etwa 20 Personen an. Eine gemeinsam mit dem NPD35 RECHTSEXTREMISMUS Landesverband geplante Demonstration am 6. Oktober in Gräfenhainichen wurde von der Polizeidirektion Dessau-Roßlau verboten. Die "Freien Nationalisten Dessau" entfalteten im Berichtsjahr nur noch in sehr geringem Umfang Aktivitäten. Der lediglich sehr lose strukturierten Gruppe gehören etwa 15 Personen an, die an einigen Demonstrationen und Veranstaltungen teilgenommen haben. Mit dem regionalen NPD-Kreisverband Anhalt-Bitterfeld gab es eine punktuelle Zusammenarbeit. Rechtsextremistische Szene im Raum Köthen Die rechtsextremistische Szene Köthen (Landkreis AnhaltBitterfeld), der etwa 20 aktive Personen zugerechnet werden, ist als subkulturell ausgerichtet und gewaltbereit zu charakterisieren und besitzt keinerlei hierarchischen Aufbau. Am 3. März fand in Köthen eine Vortragsveranstaltung zum Thema "Umgang mit Polizei und Geheimdiensten" statt.22 Überregionale Strukturen sachsen-anhaltischer Rechtsextremisten "SelbstSchutz Sachsen-Anhalt" Der rechtsextremistische Ordnerdienst "SelbstSchutz SachsenAnhalt" unterhält Ortsgruppen in Salzwedel, Gardelegen (beide Altmarkkreis Salzwedel), Magdeburg, Wernigerode (Landkreis Harz) und Halle. Als seine Aufgabe stellt der "SelbstSchutz" die Absicherung von Veranstaltungen des rechtsextremistischen Lagers dar. Die Organisationsangehörigen entstammen ausnahmslos der rechtsextremistischen Kameradschaftsszene, entfalten als Personenzusammenschluss aber keine politischen Aktivitäten. Zu den Tätigkeiten des Ordnerdienstes zählten einer Eigendarstellung zufolge im Berichtsjahr beispielsweise die Absicherung von 22 Siehe Seite 61. 36 RECHTSEXTREMISMUS NPD-Veranstaltungen, so des sächsischen Landesparteitages am 4. März in Pirna, einer Wahlkampfveranstaltung am 10. März in Salzwedel und einer weiteren am 7. April in Burg (Landkreis Jerichower Land). In einer Stellungnahme des NPD-Landesverbandes wird die zuverlässige und professionelle Arbeit des "SelbstSchutzes" ausdrücklich gewürdigt. Im Internet hieß es hierzu: "Dank der Ordnerdienstleistungen des SelbstSchutzDeutschland, durch sie war es Querulanten nicht möglich die Veranstaltung in jeglicher Hinsicht zu stören. Jeder kann unsere guten Jungs für die Sicherheit seiner Veranstaltung buchen". Eine eigene Internetpräsenz dient ausschließlich der Selbstdarstellung und Werbung. ORGANISATIONSÜBERGREIFENDE AKTIVITÄTEN Aktivitäten zum Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg Zum Gedenken an die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg fanden in Sachsen-Anhalt am 13. Februar unter dem Thema "Ein Licht für Dresden - Gedenken an den Dresdner Bombenholocaust vom 13.02.1945" mehrere versammlungsrechtliche Aktivitäten der NPD gemeinsam mit JN-Mitgliedern und "Freien Nationalisten" statt. An 'Mahnwachen' in Halberstadt (Landkreis Harz, Versammlungsleiter HEYDER aus Elbingerode) nahmen etwa 30 und in Wernigerode (Landkreis Harz, Versammlungsleiter Michael SCHÄFER aus Wernigerode) etwa 15 Personen der rechtsextremistischen Szene teil. 37 RECHTSEXTREMISMUS In Magdeburg fand eine themenbezogene 'Mahnwache' der rechtsextremistischen Szene mit etwa 70 Teilnehmern statt. Der JN-Stützpunkt Halle veranstaltete eine 'Mahnwache' mit rund 50 Teilnehmern. Diese zeigten schwarze Fahnen mit den Aufschriften "Leuna", "Allenstedt", "Anhalt-Bitterfeld", "Halle/Saale" und "Bad Lauchstädt", um den regionalen Charakter der 'Mahnwache' zu unterstreichen. Alle genannten Veranstaltungen verliefen störungsfrei. Aktivitäten zum 1. Mai Der 1. Mai entwickelt sich national und international weiter zu einem bedeutenden Demonstrationstermin für Neonazis. An den im Jahr 2007 von der NPD und den "Freien Nationalisten" organisierten Zusammenkünften nahmen bundesweit etwa 3.400 Rechtsextremisten teil. An einer unter dem Motto "Arbeit für Millionen statt Profite für Millionäre" durchgeführten Demonstration in Erfurt beteiligten sich etwa 1.000 Personen der rechtsextremistischen Szene. Aus SachsenAnhalt reisten Rechtsextremisten unter anderem aus den Bereichen Bad Lauchstädt, Merseburg (beide Saalekreis), Halle, Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) und Magdeburg an. Im Rahmen der Rückreise führten etwa 100 Szeneangehörige eine Spontandemonstration in der Innenstadt von Naumburg (Burgenlandkreis) durch. Die Teilnehmer zeigten Transparente mit Aufschriften wie "Wir sind mit der Gesamtsituation unzufrieden" oder "Nationalen Sozialismus durchsetzen" und führten Fahnen der NPD mit. Ein von der Polizei ausgesprochenes Demonstrationsverbot wurde ignoriert. Zu den Demonstranten zählten Rechtsextremisten aus Halle und Merseburg. Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei im Deutschen Bundestag Dr. Gregor GYSI sprach am 1. Mai auf einer Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Zeitz (Burgenlandkreis). Dabei 38 RECHTSEXTREMISMUS mischten sich etwa 60 Personen der rechtsextremistischen Szene aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zunächst unter die Zuschauer und formierten sich schließlich zu einer Spontandemonstration, die die Polizei jedoch untersagte. Szeneangehörige agierten daraufhin gewaltsam gegen die Polizei, die daraufhin Schlagstöcke und Pfefferspray einsetzte. Aktivitäten zum 8. Mai Alljährlich nutzen Rechtsextremisten den Jahrestag des Kriegsendes, um gegen "Schuldkult und Befreiungslüge" zu demonstrieren. Angehörige der linksextremistischen Szene führten am 5. Mai in Burg (Landkreis Jerichower Land) eine Zusammenkunft unter dem Motto "62 Jahre! Wir feiern!" durch. Um Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten zu vermeiden, stellte die Polizei Platzverweise gegen 16, in der Nähe der Veranstaltung festgestellte Rechtsextremisten aus. An einer vom NPD-Kreisverband Salzwedel angemeldeten Demonstration unter dem Motto "8. Mai 1945 - Schluss mit der Befreiungslüge" nahmen am 5. Mai etwa 130 Rechtsextremisten in Schönhausen (Landkreis Stendal) teil. Am 8. Mai hielten 36 Personen der rechtsextremistischen Szene aus dem Jerichower Land und dem Landkreis Börde im Goethepark in Burg eine 'Mahnwache' unter dem Motto "8. Mai - Wir feiern nicht." ab. Eine für den 10. Mai durch den NPD-Kreisverband Magdeburg angemeldete Kundgebung zum Thema "Schluss mit dem Schuldkult" wurde von der Polizeidirektion Magdeburg verboten. 39 RECHTSEXTREMISMUS Aktivitäten mit G8-Bezug in Sachsen-Anhalt Drei bekannte Rechtsextremisten brachten am 26. Mai an der Fassade eines leerstehenden Hochhauses in Magdeburg ein Transparent mit den Schriftzügen "Arbeit statt Dividende" und "Volksgemeinschaft statt Globalisierung" an. Eine für den 2. Juni von der NPD in Schwerin geplante Demonstration gegen den G8-Gipfel wurde von der Stadt verboten. Daraufhin kam es bundesweit zu zahlreichen Spontanaktivitäten von Rechtsextremisten. Nach einer Veranstaltung in Wittenberge (Brandenburg) fuhren etwa 180 NPD-Angehörige und "Freie Nationalisten" aus Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt per Bahn nach Osterburg (Landkreis Stendal). Hier zogen sie mit Fahnen und Transparenten, deren Aufschriften sich gegen die Globalisierung richteten, über das von zahlreichen Besuchern frequentierte Veranstaltungsgelände des 11. Sachsen-Anhalt-Tages zu einer der Veranstaltungsbühnen. Dabei zeigten sich die Demonstranten gegenüber den anwesenden Polizeibeamten aggressiv und gewaltbereit. Weitere Aktivitäten, die von diesem Personenkreis im Bereich des Stendaler Hauptbahnhofs geplant waren, wurden von der Polizei verhindert. Gleichwohl wurden die Ereignisse auf den einschlägig bekannten Internetseiten als "voller Erfolg" gewertet. Teilnehmer aus Sachsen-Anhalt kamen unter anderem aus den Bereichen Bernburg, Staßfurt (beide Salzlandkreis), Halle, Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld), Magdeburg, Wernigerode (Landkreis Harz) und der Altmarkregion. Am 5. Juni führten etwa 20 Personen der NPD, der JN und der "Freien Nationalisten" in Magdeburg eine 'Mahnwache' unter dem Motto "Gib8-Sozial statt Global" durch. 40 RECHTSEXTREMISMUS Rudolf-HESS-Gedenkveranstaltungen Überregional Das Landratsamt Wunsiedel (Bayern) hatte die für den 18. August23 von dem rechtsextremistischen Rechtsanwalt Jürgen RIEGER (Hamburg) angemeldete Veranstaltung in Wunsiedel "Gedenken an Rudolf Heß" am 26. Juni verboten. Wie schon in den Vorjahren ist es rechtsextremistischen Szeneangehörigen nach diesem Verbot nicht gelungen, eine zentrale Ersatzveranstaltung für den HESS-Gedenkmarsch zu organisieren. Die rechtsextremistische Szene führte am 17., 18. und 19. August dezentrale Gedenkveranstaltungen in Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen durch. An den Demonstrationen beteiligten sich insgesamt etwa 1.200 Personen. Größere Kundgebungen gab es in Friedrichshafen (BadenWürttemberg, etwa 220 Teilnehmer), Gräfenberg (Bayern, etwa 260 Teilnehmer) und in Jena (Thüringen, etwa 380 Teilnehmer). Im Verlauf der Kundgebung in Jena trat das NPD-Mitglied Andreas BIERE (Klein Wanzleben, Landkreis Börde) als Redner auf. Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Durch das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt wurde wie im Vorjahr eine Allgemeinverfügung erlassen, die öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge, die im Zusammenhang mit dem 20. Todestag von HESS standen, in der Zeit vom 14. bis 19. August verbot. Dies schloss auch jegliche damit verbundene Ersatzveranstaltungen ein. Jedoch versuchten Rechtsextremisten, vor und nach dem genannten Zeitraum Veranstaltungen durchzuführen, die, wenn auch mit anderen Themenfeldern verbunden, einen Bezug zum 20. Todestag von HESS aufwiesen. 23 Rudolf HESS war am 17. August 1987 verstorben. 41 RECHTSEXTREMISMUS Für den 11. August meldeten Vertreter der "Freien Kräfte Burg" eine Demonstration unter dem Motto "Gegen Polizeiwillkür" an. Aufgrund der zeitlichen Nähe zum HESS-Todestag und weil sich die Veranstalter im vorhergehenden Kooperationsgespräch auf keinen Ausweichtermin einlassen wollten, bestätigte das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt ein von der Polizei ausgesprochenes Verbot. Vor dem Hintergrund dieser Verbotsverfügung meldeten bekannte Szeneangehörige eine Spontandemonstration am 11. August in Magdeburg an. Am Nachmittag versammelten sich etwa 100 Personen der rechtsextremistischen Szene vor dem Magdeburger Hauptbahnhof. Die Polizei verhinderte Auseinandersetzungen mit den etwa 50 anwesenden Personen des linksextremistischen Spektrums. Zum 12. August meldete HEYDER eine Demonstration in Wernigerode unter dem Motto "Auf die Plätze! Gegen gestrige Willkürmaßnahmen und Rechtsbruch der Polizei in Wernigerode" an. Mit dieser sollte gegen polizeiliche Kontrollen der Teilnehmer aus Wernigerode, die sich an der Veranstaltung in Burg (Landkreis Jerichower Land) beteiligen wollten, protestiert werden. Da es sich bei der Versammlung am 12. August um eine Ersatzveranstaltung für die Demonstration in Burg handelte, wurde diese ebenfalls verboten. Am Nachmittag zogen etwa 20 Personen der rechtsextremistischen Szene mit Fahnen und Transparenten durch das Stadtgebiet von Wernigerode. Am 17. August wurden in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) fünf Personen festgestellt, die ein selbstgefertigtes, schwarzes Transparent mit sich führten, das Schriftzüge mit HESS-Bezug aufwies. HEYDER meldete für den 18. August einen weiteren Aufzug im Stadtgebiet von Zerbst (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) unter dem Motto "Auf die Plätze! Für freie Bürger gegen Denkverbote!" an, der durch die Polizei verboten wurde. Während des Brunnenfestes in Bad Lauchstädt (Saalekreis) wurde am 19. August aus einer Gruppe von etwa 30 Personen unter ande42 RECHTSEXTREMISMUS rem "Rudolf Heß das war Mord. Bad Lauchstädt national" gerufen. Bei dem daraufhin erfolgten Polizeieinsatz leisteten die Personen gewaltsam Widerstand. Auf das Verbot von Szeneveranstaltungen mit HESS-Bezug reagierten Rechtsextremisten unter anderem mit einem Beitrag auf mehreren einschlägig bekannten Internetseiten unter der Überschrift "Erkennt den Feind". In diesem wurde dazu aufgefordert, verstärkt Demonstrationen anzumelden, um die Polizei nicht zur Ruhe kommen zu lassen. Dabei sollten die Anmeldungen vor allem nächtliche Termine vorsehen. Die Urheber gingen dabei davon aus, dass die Veranstaltungen nicht stattfinden würden, aber Polizeikräfte zumindest vor Ort sein müssten. In dem Beitrag hieß es wörtlich: "Meldet Veranstaltungen an! Kommt es zu Übergriffen, meldet Eildemonstrationen an, gerade auch nachts. Demonstriert spontan - Ihr habt alles recht dazu. Wer diesem System als Polizist dient hat keinen Anspruch mehr auf ruhige Nächte in warmen Büros. Beschäftigt sie, Kameraden!" Dementsprechend wurden die folgenden Versammlungen vorzugsweise für die Nachtstunden angemeldet, die sämtlichst verboten wurden und nicht stattfanden: * 20. August, Magdeburg, JN-'Mahnwache' vor dem Gebäude des Landtages von Sachsen-Anhalt, * 20. August, Wernigerode (Landkreis Harz), NPD-'Mahnwache', * 21. August, Wernigerode, NPD-'Mahnwache', * 22. August, Schierke/Brockenplateau (Landkreis Harz), NPDKundgebung, * 23. August, Stapelburg (Landkreis Harz), NPD-Kundgebung. Durch die Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Anhalt-Bitterfeld HOLZ (Wolfen) wurde für den 24. August im Stadtgebiet von Aken (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) ein Aufzug mit mehreren Kundgebungen angemeldet, der ebenfalls verboten wurde. 43 RECHTSEXTREMISMUS Am 25. August führten etwa 25 Personen der rechtsextremistischen Szene in Aken eine Spontandemonstration durch, die nach kurzer Zeit endete. Von den Demonstranten wurden Parolen wie "Widerstand lässt sich nicht verbieten" skandiert. Die Szeneangehörigen trugen dabei Fackeln und zeigten eine Reichsflagge. Eine vom "Nationalen Heimatbund Deutschland" für den 25. August angemeldete Versammlung auf dem Markt in Gerbstedt (Landkreis Mansfeld-Südharz) unter dem Motto "17. August 1987 - Mord verjährt nicht. Wir gedenken Rudolf Heß" wurde durch das Landratsamt verboten. Aktivitäten zum "Heldengedenktag" (Volkstrauertag) Auch anlässlich des Volkstrauertages führten Rechtsextremisten zahlreiche Veranstaltungen durch. In Hausneindorf (Landkreis Harz) richtete die NPD am 17. November eine Versammlung unter dem Motto "Erinnern-GedenkenEhren! Auch heute in der alten Festung Harz" aus, an der etwa 70 Rechtsextremisten teilnahmen. Als Anmelder der Zusammenkunft agierte im Namen einer "Initiative gegen das Vergessen" der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Harz HEYDER. Im Anschluss begaben sich etwa 50 Teilnehmer nach Heimburg bei Blankenburg (Landkreis Harz), um an einem Vortrag unter dem Titel "Über Galgen wächst kein Gras" des szenebekannten Historikers Dr. Olaf ROSE (Nordrhein-Westfalen) teilzunehmen. ROSE agitierte dabei gegen die Justiz der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 18. November fand vor dem Kriegerdenkmal in Klötze (Altmarkkreis Salzwedel) eine von Angehörigen der "Freien Nationalisten Altmark-West" organisierte Kranzniederlegung mit etwa 80 Teilnehmern aus Sachsen-Anhalt (überwiegend aus der Altmark) und aus Niedersachsen statt. Während der Veranstaltung verstieß ein Redner gegen die von der Ordnungsbehörde erteilten Auflagen. Da der Versammlungsleiter 44 RECHTSEXTREMISMUS der Aufforderung der Polizei zur Beendigung der Veranstaltung nicht folgte, wurde die Veranstaltung aufgelöst. Dabei versuchten Szeneangehörige einen Ring um den Redner zu bilden, um die Veranstaltung fortzusetzen. Als einige Teilnehmer sich der anschließenden Identitätsfeststellung zu entziehen versuchten, kam es zu kurzzeitigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Bei der Kranzniederlegung durch den Oberbürgermeister der Stadt Weißenfels (Burgenlandkreis) am 18. November waren etwa zehn NPD-Anhänger anwesend, die jedoch keine eigenen Aktivitäten entfalteten. An einer öffentlichen Kranzniederlegung am 18. November in Radegast (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) beteiligten sich etwa zehn Rechtsextremisten, die einen Kranz mit der Aufschrift "Unseren toten Soldaten in Ehren/NPD-Kreistagsfraktion Anhalt-Bitterfeld" niederlegten. Eine vor Ort anwesende, etwa gleich starke Personengruppe der linksextremistischen Szene versuchte, die Rechtsextremisten zu provozieren. Die Polizei verhinderte jedoch ein Aufeinandertreffen der Gruppen. Für den 18. November meldete die Vorsitzende der NPDKreistagsfraktion Mansfeld-Südharz Judith ROTHE (Sotterhausen) im Namen der Partei eine Kranzniederlegung in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) an, die verboten wurde. Daraufhin nahmen etwa 15 Personen der rechtsextremistischen Szene an der offiziellen Veranstaltung der Stadt Sangerhausen teil und legten in diesem Rahmen einen Kranz nieder. Für den 1. Dezember hatte die NPD-Fraktion des Kreistages Mansfeld-Südharz eine weitere Veranstaltung auf dem Friedhof von Sangerhausen angemeldet, an der sich neben ROTHE lediglich zwei weitere Personen beteiligten. Am 18. November nahmen zwei bekannte Szeneangehörige an der offiziellen Gedenkveranstaltung der Stadt Halle auf dem Gertrau45 RECHTSEXTREMISMUS denfriedhof teil und legten hier einen Kranz nieder, den sie nach Abschluss der Veranstaltung wieder entfernten. Beide Personen begaben sich dann zum Friedhof Halle-Diemitz. Bei der Veranstaltung in Halle-Diemitz handelte es sich um das eigentliche lokale "Heldengedenken" des rechtsextremistischen Personenzusammenschlusses um Matthias BADY (Halle), an dem zehn Personen teilnahmen. Hierbei wurden zwei Kränze mit Aufschriften des NPD-Kreisverbandes Halle und des JNKreisverbandes Halle, darunter auch der vom Gertraudenfriedhof mitgebrachte, abgelegt. Die Schleifen der Kränze trugen die Aufschrift "JN Halle - Ehre wem Ehre gebührt" und "NPD KB Halle/ Saale - Im ewigen Gedenken". Zwei für den 17. und 18. November in Allstedt und Lutherstadt Eisleben (beide Landkreis Mansfeld-Südharz) vom "Nationalen Heimatbund Deutschland" angemeldete Kranzniederlegungen wurden nicht durchgeführt. Eine von den "Freien Nationalisten Köthen" für den 24. November geplante Kranzniederlegung "Zum Gedenken der Opfer beider Weltkriege" in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) wurde verboten. In den Nachmittagsstunden des 25. November wurde festgestellt, dass auf dem Ehrenfriedhof von Köthen ein Kranz niedergelegt worden war. Die Schleifen trugen die Aufschrift "Wir gedenken unserer Helden/Freie Nationalisten Cöthen-Anhalt". Sonnenwendfeiern von Rechtsextremisten in SachsenAnhalt Am 22. Juni versammelten sich auf einem Privatgrundstück in Neuendorf (Altmarkkreis Salzwedel) etwa 50 Personen der rechtsextremistischen Szene und führten hier eine Sommersonnenwendfeier durch, die von der Polizei aufgelöst wurde. Als Reaktion darauf veranstalteten am 23. Juni rund 30 Szeneangehörige vor dem Polizeirevier in Salzwedel eine Spontandemonstration und zeigten ein schwarzes Transparent mit der Aufschrift 46 RECHTSEXTREMISMUS "Für Meinungsfreiheit - Gegen Polizeiwillkür - Freie Nationalisten Altmarkwest". Am 23. Juni trafen etwa 40 Personen der rechtsextremistischen Szene aus Sachsen-Anhalt und Brandenburg auf einem angemieteten Grundstück in der Nähe des Parchauer Sees (Landkreis Jerichower Land) Vorbereitungen für eine Sommersonnenwendfeier. Dazu war bereits ein Zelt aufgestellt und ein Holzstapel für ein Lagerfeuer errichtet worden. Die Veranstaltung selbst wurde von der Polizei verhindert. Daraufhin wollten Rechtsextremisten am 24. Juni in Burg (Landkreis Jerichower Land) eine Demonstration "Gegen Polizeiwillkür" durchführen, die jedoch ebenfalls verhindert wurde. Am 21. Dezember wollten in Tangeln (Altmarkkreis Salzwedel) etwa 30 Angehörige der rechtsextremistischen Szene eine Wintersonnenwendfeier durchführen. Die Polizei beendete die Zusammenkunft und erteilte Platzverweise. Enrico MARX versuchte mit etwa 15 weiteren Rechtsextremisten ebenfalls am 21. Dezember eine Wintersonnenwendfeier am Forsthaus Sandtalsteich (Landkreis Mansfeld-Südharz) zu veranstalten. Auch diese Zusammenkunft wurde von der Polizei beendet. DISKURSORIENTIERTER RECHTSEXTREMISMUS ("NEUE RECHTE") Als diskursorientierter Rechtsextremismus bezeichnete Bestrebungen haben das Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen oder wesentlich zu verändern, indem versucht wird, Einfluss auf gesamtgesellschaftliche Diskurse zu nehmen und diese im eigenen Sinne umzulenken. Der diskursorientierte Rechtsextremismus orientiert sich vorwiegend an den Ideen der "Konservativen Revolution" der 20erund 30er-Jahre. Diese bestand aus mehreren Strömungen. Hierzu zählten vor allem die "Nationalrevolutionäre", die "Völkischen" und die "Jungkonservativen". 47 RECHTSEXTREMISMUS Das Gedankengut der "Nationalrevolutionäre" wird unter anderem von einigen rechtsextremistischen Kameradschaften und Teilen der NPD aufgegriffen. Vorstellungen der "Völkischen", die mitunter die absurdesten biologistischen, rassistischen und eugenischen24 Ideen propagierten, werden von vielen Rechtsextremisten geteilt, aber nur von wenigen öffentlich geäußert. Diskursorientierte Rechtsextremisten wenden sich vorwiegend den auch durch die übrigen Rechtsextremisten favorisierten Themen zu. Sie äußern häufig subtil formulierte Zweifel an historisch Verbürgtem wie der Kriegsschuld der nationalsozialistischen Staatsführung oder den Verbrechen, die von Wehrmachtssoldaten und Waffen-SS begangen wurden. Ihr Antisemitismus tarnt sich zuweilen als Antiamerikanismus oder Antizionismus, mitunter wird auch nur angemerkt, dass antisemitische Argumente auch eine Berechtigung hätten oder Beachtung verdienten. Aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse werden aufgegriffen und so umgedeutet, dass rechtsextremistische Theorien scheinbar bestätigt werden. Im Berichtszeitraum thematisierten diskursorientierte Rechtsextremisten wiederholt Gewaltverbrechen, die von Migranten an Deutschen verübt worden seien. Dies wurde mit dem Schlagwort "Vorbürgerkrieg" belegt, um in der Bevölkerung gezielt Ressentiments gegen Migranten zu schüren. Dabei sollte ein vermeintlich schädlicher "Multikulturalismus" entlarvt werden, der von den "herrschenden Achtundsechzigern" propagiert werde. Diskursorientierte Rechtsextremisten betätigen sich als Leiter einschlägiger Diskussionszirkel und Seminare, sind als Publizisten tätig oder treten als Betreiber und Moderator von InternetDiskussionsforen auf, in denen sie sich regelmäßig auch selbst zu Wort melden. "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) Die GFP, eine Organisation rechtsextremistischer Verleger, Publizisten und Journalisten, veranstaltete vom 11. bis 13. Mai in Bad Kissingen (Bayern) ihren Jahreskongress unter dem Motto "Im Na24 Eugenik: Erbgesundheitslehre. 48 RECHTSEXTREMISMUS men der Gerechtigkeit! - Politik im Würgegriff der Justiz". Andreas MOLAU, stellvertretender Chefredakteur der "Deutschen Stimme" und Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Landtag von Sachsen, wurde während der am Rande stattfindenden Jahreshauptversammlung der GfP als deren Vorsitzender wiedergewählt. Der sachsen-anhaltische DVU-Landesvorsitzende Ingmar KNOP (Dessau) hielt dort einen Vortrag mit dem Thema "Juristische Fallstricke strangulieren die Meinungsfreiheit", in dem er Fälle aus seiner Rechtsanwaltspraxis vortrug. NUTZUNG NEUER MEDIEN DURCH RECHTSEXTREMISTEN Selbstverständlich nutzen auch Rechtsextremisten jegliche Formen von Informationstechnik. Diese ist inzwischen sowohl für die Vernetzung innerhalb der Szene als auch für die Verbreitung von rechtsextremistischer Propaganda ein Faktor von entscheidender Bedeutung geworden. Von den vielfältigen diesbezüglichen Aktivitäten sollen hier nur einige exemplarisch benannt werden. Videoportal "NS-Media" Aufgrund von Nutzerbeschwerden sperrten in der Vergangenheit mehrere bekannte Videoportale Filme. Ein Beispiel dafür ist der Fall des rechtsextremistischen Videoprojekts "Die Woche - Kritische Nachrichten", das wegen Verstößen gegen die Nutzungsordnungen von der Plattform "youtube" entfernt worden war. Solche Sperrungen sollten mit der Einrichtung einer eigenen, "szenekonformen" Videoplattform verhindert werden, von der man sich zudem eine zielgerichtetere Verbreitung verspricht. In von Rechtsextremisten frequentierten Foren wurde in zahlreichen Fällen auf die Einrichtung von "NS-Media" hingewiesen. Die Diskutanten beklagten dabei zwar, dass das Videoangebot "noch klein" sei. "NS-Media" habe aber das Potenzial, sich zu einer "unzensierten Plattform für alle" zu entwickeln, auf der man die im Internet bislang verstreuten Videos bündeln und - anders als bei szenefernen Anbietern - sicher ablegen könne. 49 RECHTSEXTREMISMUS Hackerangriffe auf "Antifa"-Homepages Anfang des Jahres verlautbarten größtenteils der linksextremistischen Szene zuzurechnende Internetseiten, dass mehrere von ihnen von Rechtsextremisten "gehackt" worden seien. Während rechtsextremistische Homepages in der Vergangenheit des Öfteren Ziel von Hackerangriffen waren, waren Angriffe von Rechtsextremisten auf gegnerische Homepages bislang eher eine Seltenheit. Nach Hackerangriffen gegen rechtsextremistische Homepages wurden Nutzerdaten von Forenmitgliedern und deren private Korrespondenz oder Daten von Kunden rechtsextremistischer Vertriebe veröffentlicht. Dies führte zu Verunsicherungen in der rechtsextremistischen Szene. Der oben genannte Hackerangriff ist dagegen nahezu unbeachtet geblieben, da es sich um eher unbedeutende Homepages handelte. Eventuell gewonnene vertrauliche Informationen wurden nicht veröffentlicht. Internetradios 2006 war in der deutschen rechtsextremistischen Szene der Trend, neue Radiosendungen ins Internet zu stellen, eher rückläufig. Eine der beliebtesten Radiosendungen "Radio Tonstoerung" wurde von den Betreibern aus dem Netz genommen. Es verblieben lediglich einige wenige, von Deutschen betriebene Radios im Internet. Seit Anfang 2007 wurden mehrere neue Internetradios festgestellt, die neben aktuellen rechtsextremistischen Produktionen einschlägiger Liedermacher und Bands auch deutsche Volksmusik und Schlager aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges anboten. Die meisten Sendungen wurden nicht moderiert. RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND VEREINIGUNGEN In Sachsen-Anhalt unterhalten die rechtsextremistischen Parteien "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), "Deutsche Volksunion" (DVU) und "Die Republikaner" (REP) eigene Landesverbände. 50 RECHTSEXTREMISMUS DVU und REP verfügen nur noch über rudimentäre Parteistrukturen und hatten im Verlauf der letzten drei Jahre einen erheblichen Mitgliederverlust hinzunehmen. Nach dem Austritt eines Großteils des REP-Landesvorstandes Ende 2006 setzte sich der Zerfallsprozess des Landesverbandes fort. Die "Deutsche Partei" (DP), in der die DVU-Abspaltung "Freiheitliche Deutsche Volkspartei" (FDVP) 2003 aufgegangen war, erzielte bei der Kommunalwahl 2007 - wohl auch bedingt durch einen gewissen Bekanntheitsgrad der Kandidatin - einen Sitz im Wittenberger Kreistag. Die DP blieb im Berichtszeitraum ansonsten bedeutungslos. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Derzeit sind in der NPD bundesweit etwa 7.200 Rechtsextremisten organisiert (2006: 7.000). In Sachsen-Anhalt gehören ihr 250 Personen an. Die "Volksfront von Rechts", auch bezeichnet als der "Kampf um den organisierten Willen", ist das derzeit bedeutendste Ideologieelement der NPD. Mit der "Volksfrontpolitik" soll die Bündelung rechtsextremistischer Organisationen vorangetrieben werden. Diese Entwicklung ist auch für Sachsen-Anhalt auszumachen. Wider Erwarten haben hier im Berichtsjahr weder die NPD noch ihre Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) Mitgliederzuwächse erfahren. Offenbar konnten beide ihre Attraktivität für die rechtsextremistische Szene nicht erhöhen. Wahlergebnisse der Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt Zu den sachsen-anhaltischen Kommunalwahlen am 22. April trat die NPD mit 115 Kandidaten in sieben von neun Landkreisen zur Wahl an, davon allein im Burgenlandkreis mit 55 Bewerbern. Die NPD errang schließlich bei einer Wahlbeteiligung von 36,5 Prozent 13 Sitze in sachsen-anhaltischen Kreistagen. Zahlreiche Wahlkampfhelfer aus anderen Bundesländern hatten den Wahlkampf des Landesverbandes aktiv unterstützt. Neben dem Parteivorsitzenden Udo VOIGT beteiligten sich auch zahlreiche an51 RECHTSEXTREMISMUS dere NPD-Kader und -Abgeordnete an den Wahlkampfveranstaltungen. Als herausragende Ereignisse sind die Wahlkampfveranstaltungen am 7. April in der Stadthalle Burg (Landkreis Jerichower Land) mit 120 Teilnehmern und am 20. April in Wernigerode (Landkreis Harz) mit 70 Teilnehmern zu nennen. Im Vorfeld der Veranstaltung am 7. April hatte die Stadt Burg versucht, die Nutzung der Stadthalle durch die NPD verbieten zu lassen, unterlag aber vor dem Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt.25 Wahlkampfunterstützung erfuhr der NPD-Landesverband auch durch die JN und die neonazistische Kameradschaftsszene. So wurde auf den bekannten Internetseiten der Kreisverbände, der JNStützpunkte und des "Nationalen Beobachters" unter dem Motto "Nationale in den Kreistag" zur Teilnahme an der Wahl aufgerufen. Auf den Listen der NPD kandidierten auch Mitglieder der JN. Darunter waren der Neonazi und Leiter des JN-Stützpunktes Sangerhausen Enrico MARX (Sotterhausen, Landkreis Mansfeld-Südharz), der JN-Landesvorsitzende Philipp VALENTA (Bernburg, Salzlandkreis), der JN-Bundesvorsitzende SCHÄFER (Wernigerode) und das Mitglied des JN-Stützpunktes Wernigerode Tobias ANDERS (Wasserleben, Landkreis Harz). SCHÄFER und ANDERS errangen Mandate im Kreistag des Landkreises Harz und VALENTA ein Mandat für den Salzlandkreis. Die bei der Kommunalwahl gewählten NPD-Vertreter gründeten in den Kreistagen der Landkreise Harz, Mansfeld-Südharz, AnhaltBitterfeld, Burgenlandkreis und Salzlandkreis Fraktionen, die eine "bürgernahe und nationale Politik" als ihre Hauptaufgabe bezeichneten. Die zu Landratswahlen angetretenen NPD-Kandidaten Andreas KARL (Billroda, Burgenlandkreis), SCHÄFER und Manfred HORST (Bernburg, Salzlandkreis) erhielten nicht die erforderliche Stimmenzahl. 25 Az.: 4 M 102/07. 52 RECHTSEXTREMISMUS Ideologische Entwicklung Äußerungen maßgeblicher Funktionäre der Partei entsprechen der üblichen rassistischen, antisemitischen und revisionistischen Agitation der NPD und verunglimpfen staatliche Repräsentanten und Institutionen. Mit oft aggressiven und bewusst empörenden Tiraden setzen Parteifunktionäre dabei auf den Effekt der Selbstskandalisierung, um sich eine allgemeine Aufmerksamkeit zu sichern. Holger APFEL, Fraktionsvorsitzender der NPD im sächsischen Landtag, forderte am 9. Mai in einer Landtagsdebatte über das "Sächsische Gesetz zur Ausführung des Zuwanderungsgesetzes" eine "Ausländerrückführungspflicht". In seiner durchweg rassistisch geprägten Rede sagte APFEL nach NPD-Angaben wörtlich: "Wer nur noch, völlig unterschiedslos, 'Menschen' - aber keine Deutschen mehr kennt, den kann es auch nicht empören, wenn er in westdeutschen Großstädten verarmte Rentner in Mülleimern nach Pfandflaschen angeln sieht, während hinter ihnen staatsalimentierte orientalische Großfamilien oder arrogante Wohlstands-Neger daherstolzieren! Für wen das alles nur unterschiedslos 'Menschen' sind, der vermag das schreiende Unrecht dieser Alltagsszene aus der 'Bunten Republik Deutschland' nicht mehr zu erkennen." Weitere Aktivitäten der Bundespartei Der 1. Mai ist zu einem bedeutenden Demonstrationstermin für Neonazis aus Deutschland und auch aus dem Ausland geworden.26 Die maßgeblichen Veranstalter stellten ihre persönlichen Differenzen zurück und hatten wohl auch bewusst jede regionale Konkurrenz ihrer Veranstaltungen vermieden. Es gab mehrere dezentrale Veranstaltungen von Rechtsextremisten. An den sechs von der NPD organisierten Demonstrationen nahmen insgesamt 2.700 Personen teil. 26 Siehe auch Seite 38f. 53 RECHTSEXTREMISMUS Die bundesweit größte NPD-Veranstaltung fand in Erfurt statt. Insgesamt versammelten sich dort etwa 1.300 Personen unter dem Motto "Zukunft statt Globalisierung". Die Proteste rund um den G8-Gipfel im Mai und Juni 2007 gehörten auch in Sachsen-Anhalt zu den rechtsextremistischen Agitationsschwerpunkten. NPD und Neonazis glaubten, durch Aktivitäten rund um den G8Gipfel punkten zu können. Sie behaupten von sich, "die einzige authentische Anti-Globalisierungspartei" zu sein. Hinter ihren Parolen verbirgt sich allerdings kein Antikapitalismus, sondern ein völkischer Staatskapitalismus. Rechtsextremisten fordern dabei eine raumorientierte und regulierte Wirtschaft und hohe Zollschranken, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu schützen. Den "starken Staat" betrachten Rechtsextremisten als Gegenmittel zur Globalisierung. Dabei hieß es, statt Globalisierung wolle man den "Erhalt der bewährten, nationalstaatlichen Ordnung". Unter Federführung der NPD und der JN wurden in diesem Zusammenhang mehrere öffentlichkeitswirksame Aktivitäten organisiert. So wurden der 19. Mai und der 9. Juni als "deutschlandweite Aktionstage gegen den G8-Gipfel" ausgerufen. In zahlreichen Fußgängerzonen größerer und mittlerer deutscher Städte, so auch in Magdeburg, Halle und Burg (Landkreis Jerichower Land), wurden themenbezogene 'Mahnwachen' abgehalten, bei denen in größerem Umfang "Infoblätter" verteilt wurden. Am 8. September beteiligten sich etwa 1.600 Personen aus der gesamten Bundesrepublik am von der NPD organisierten "Fest der Völker" in Jena (Thüringen), bei dem zahlreiche rechtsextremistische Bands und Redner aus Deutschland und dem europäischen Ausland auftraten. Der "5. Freiheitliche Kongress" des NPD-Parteiorgans "Deutsche Stimme" (DS) fand vom 23. bis 25. November in Bad Kösen (Burgenlandkreis) statt. Die Teilnehmer kamen aus Deutschland, Dänemark, Belgien, der Schweiz, Österreich, Schweden und Italien (Südtirol). 54 RECHTSEXTREMISMUS Die NPD und mit ihr der "Deutsche Stimme Verlag" (DSV) verfolgen mit dem "Freiheitlichen Kongress" das Ziel, das intellektuelle Profil der NPD zu schärfen und den Führungsanspruch der Partei in der gesamten rechtsextremistischen Szene zu untermauern. Diese Absicht steht im Einklang mit der zweiten Säule ("Kampf um die Köpfe") des so genannten Säulen-Konzeptes der NPD. Die in Bad Kösen aufgebotenen Redner spiegelten deutlich das ideologische Repertoire der NPD wieder. Unter anderem traten vor den 150 geladenen Gästen Personen auf, die entweder der so genannten Erlebnisgeneration angehören, oder aber anderweitig durch geschichtsrevisionistische Äußerungen bekannt sind. Die im Jahr 2006 bundesweit gegründete NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) wählte am 20. Oktober einen neuen Vorstand.27 Die Wahl bestätigte mit Gitta SCHÜSSLER (Sachsen) als Bundessprecherin und ROTHE als stellvertretender Bundessprecherin weitgehend den alten Vorstand. ROTHE ist gleichzeitig Beisitzerin im NPD-Landesvorstand und Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Mansfeld-Südharz. NPD-Landesverband Sachsen-Anhalt Der weit überwiegende Teil der parteigebundenen Rechtsextremisten in Sachsen-Anhalt ist in der NPD organisiert. Seit nunmehr drei Jahren verharrt die NPD bei einem Mitgliederbestand zwischen 250 und 260 Personen.28 Die vielfältigen Aktivitäten der NPD im Bundesgebiet, insbesondere ihr Wirken in zwei Landesparlamenten oder auf kommunaler Ebene haben der Partei in Sachsen-Anhalt keinen nennenswerten Auftrieb verschafft. Der bisherige Landesvorsitzende Andreas KARL trat im Juni von seinem Amt zurück. Nachfolgerin wurde die bisherige stellvertretende Landesvorsitzende HOLZ, die gleichzeitig Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Anhalt-Bitterfeld ist. 27 Eigenangabe im Internet. 28 2005: 250, 2006: 260, 2007: 250. 55 RECHTSEXTREMISMUS Die zehn Kreisverbände des NPD-Landesverbandes wurden um die Jahreswende 2006/2007 mit Blick auf die Kreisgebietsreform neu organisiert. Die Kreisverbände im Süden Sachsen-Anhalts gehören dabei zu den mitgliederstärksten und aktivsten. Dort findet das Gros der Aktivitäten statt. Zahlreiche öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen wurden vom Kreisverband Harz und dem JN-Stützpunkt Wernigerode organisiert. Der Kreisverband Altmark arbeitet anlassbezogen mit der Kameradschaft "Freie Nationalisten Altmark-West" zusammen. An einer von der NPD angemeldeten Demonstration in Salzwedel nahmen am 10. März insgesamt etwa 170 Personen teil.29 Über zahlreiche Infostände und 'Mahnwachen' hinaus veranstaltete der NPD-Kreisverband Altmark zusammen mit den "Freien Nationalisten Altmark-West" am 29. Dezember in Stendal eine Demonstration unter dem Motto "Für ein freies, soziales und nationales Deutschland" zum "erfolgreichen Jahresabschluss der nationalen Bewegung". Daran nahmen etwa 400 Personen der rechtsextremistischen Szene teil. Auch in Sachsen-Anhalt wird nunmehr die vom NPD-Parteivorstand propagierte "Volksfront von Rechts", die die Einbeziehung der neonazistischen Szene beinhaltet, verwirklicht. Mit der Wahl von Neonazis in den Landesvorstand wurde der Volksfrontgedanke auch personell im NPD-Landesvorstand verankert. Mit dem Rückzug von KARL ist im Landesvorstand ein Generationswechsel eingeläutet worden. Die neuen, neonazistisch ausgerichteten Kader werden die Landes-NPD aktionistischer gestalten und ideologische Fragen verstärkt in den Vordergrund stellen. Der "Kampf um die Straße", eine weitere "Säule" der NPD-Ideologie, mit seinen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten wie Demonstrationen, 'Mahnwachen' oder Infoständen wird intensiver als bisher geführt werden. Zudem sollen Schulungsveranstaltungen das ideologische Fundament von NPD und JN festigen. 29 Siehe auch Seite 32. 56 RECHTSEXTREMISMUS Einen Höhepunkt rechtsextremistischer Aktivitäten bildete das am 4. August in Sangerhausen (Landkreis Mansfeld-Südharz) unter behördlichen und gerichtlichen Auflagen durchgeführte "Sommerfest der nationalen Bewegung", das zeitweilig bis zu 450 Besucher hatte. Als die Band "Hate Soldiers" nicht genehmigte Lieder spielte, forderte die Polizei den Versammlungsleiter und NPDLandesgeschäftsführer HEYDER auf, dies zu unterbinden und drohte mit dem Abbruch der Veranstaltung. Daraufhin erklärte HEYDER die Veranstaltung für beendet und forderte die Anwesenden auf, sich auf dem Marktplatz von Sangerhausen zu einer Spontanversammlung einzufinden. Einige Besucher versuchten, als Marschblock loszuziehen und skandierten einschlägige Parolen. Dies und die beabsichtigte Spontanversammlung wurden von der Polizei unterbunden. Um ihre Isolation zu überwinden und über das rechtsextremistische Spektrum hinaus wahrgenommen zu werden, setzte die NPD auch 2007 auf die Durchsetzung ihrer "Wortergreifungsstrategie". Entsprechend geschulte Parteimitglieder sollen dabei auf Veranstaltungen des politischen Gegners diesen verbal attackieren, provozieren und so möglichst bloßstellen. Zudem sollen öffentliche Veranstaltungen durch Wortbeiträge im rechtsextremistischen Sinne umfunktioniert oder zumindest in ihrem Verlauf mitbestimmt werden. In Sachsen-Anhalt sind in diesem Zusammenhang zwei Veranstaltungen exemplarisch zu nennen. Am 27. September nahmen Mitglieder des NPD-Landesverbandes an einem Seminar der Landeszentrale für politische Bildung zum Thema "Mythos Kameradschaft - Rechtsextreme Lebenswelten auf dem Land" teil. Unter ihnen befanden sich auch HOLZ und ROTHE. Im Halberstädter Rathaussaal fand am 6. November vor etwa 100 Besuchern eine Podiumsdiskussion zum Thema "Was bringt ein NPD-Verbot?" unter Beteiligung von Innenstaatssekretär Rüdiger ERBEN statt. Zeitgleich führte die NPD vor dem Veranstaltungslokal eine 'Mahnwache' unter dem Motto "Für die Freiheit, für das Leben - Erben aus den Stühlen heben" durch. Die 14 Teilnehmer zeigten ein Transparent mit der Aufschrift "Wer schützt uns vor Euch?", entrollten Fahnen und entzündeten Fackeln. 57 RECHTSEXTREMISMUS Am 21. Juli trafen sich Mitglieder der NPD und Angehörige der "Freien Kräfte" zum jährlichen Gedenken an die Mörder des Reichsaußenministers Walther RATHENAU. Die Polizei untersagte die Totenehrung am Begräbnisort Bad Kösen, OT Saaleck (Burgenlandkreis).30 Die sachsen-anhaltischen NPD-Parteigliederungen verfügen über eigene Internetauftritte, über die verfassungsfeindliches Gedankengut verbreitet, Termine ausgetauscht und Aktivitäten koordiniert werden. Darüber hinaus gibt der NPD-Landesverband in unregelmäßigen Abständen eine Publikation unter dem Titel "NPD Sachsen-Anhalt" heraus. Der RNF verfügt in Sachsen-Anhalt derzeit über fünf Regionalgruppen in Halle, im Saalekreis, im Salzlandkreis und in den Landkreisen Mansfeld-Südharz und Anhalt-Bitterfeld. Hauptziel der landesweit etwa 25 RNF-Mitglieder ist es Eigenangaben zufolge, das "politische Interesse und die politische Mitverantwortung einer jeden Frau in Sachsen-Anhalt zu wecken". "Junge Nationaldemokraten" (JN) JN-Bundesverband In den letzten zwei Jahren haben sich die Neonaziszene und die NPD sowohl inhaltlich als auch organisatorisch angenähert. Vor allem drängen immer mehr Neonazis in die Parteivorstände und beginnen, diese politisch zu dominieren. Als Bindeglied fungieren dabei die JN, die einzige, zahlenmäßig relevante Jugendorganisation einer rechtsextremistischen Partei. Am 6. Oktober fand im sachsen-anhaltischen Hausneindorf (Landkreis Harz) der JN-Bundeskongress statt, bei dem ein neuer Vorstand gewählt und die weitere inhaltliche Ausrichtung der JN diskutiert wurde. Neuer Bundesvorsitzender der JN wurde SCHÄFER (Wernigerode, Landkreis Harz). Neben den Stellvertretern Philipp 30 Siehe auch Seite 23. 58 RECHTSEXTREMISMUS VALENTA (Bernburg, Salzlandkreis; Landesvorsitzender SachsenAnhalt) und Norman BORDIN (München, Landesvorsitzender Bayern) wurden sechs weitere Personen als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt. Mit der Wahl sachsen-anhaltischer Neonazis an die JNBundesspitze ist auch die Bundesgeschäftsstelle von Sachsen nach Sachsen-Anhalt verlegt worden. Diese befindet sich jetzt in den Räumen des JN-Landesverbandes im "Nationalen Zentrum Bernburg" (NZB). Der neue JN-Bundesvorsitzende SCHÄFER hat sich in einem Interview mit der NPD-Parteizeitung "Deutsche Stimme" zum künftigen politischen Kurs seiner Organisation geäußert. Demnach sollen die JN in den nächsten Jahren zu "einer modernen und schlagkräftigen nationalistischen Jugendorganisation" ausgebaut werden. Ideologisch habe man "chauvinistische und altrechte Anfälle" hinter sich gelassen und lebe einen sozialistischen, nationalen und völkischen "Befreiungsnationalismus". Diese Grundsätze wolle man auch der Jugend vermitteln. Ein Schwerpunkt der zukünftigen politischen Arbeit solle zunächst im Bereich der Bildung liegen. Hierzu habe man eigens ein Referat eingerichtet, das einerseits die Kader schulen und andererseits das "Potential angehender Akademiker durch vertiefende Seminare zur allgemeinen Politik" nutzen solle. Dazu werde vor allem der neu geschaffene "Nationale Bildungskreis" (NBK) eingesetzt, der die Schulungsarbeit flächendeckend durchführen solle, um so den "Kampf um die Köpfe, die intellektuelle Aufrüstung der Bewegung" zu verwirklichen. Neben Bildungsarbeit wolle man Angebote schaffen, "die über das eigentlich Politische" hinausgingen, um so den Mitgliedern ein Kameradschaftsgefühl zu vermitteln, das letztlich die starke Mitgliederfluktuation im Parteijugendbereich zu überwinden helfe. Erste Schritte wurden mit den auf der Internetseite des JNBundesvorstandes angekündigten Schulungsmaßnahmen eingeleitet. Am 28. Oktober fand im NZB die erste so genannte Aktivistenschulung mit etwa 30 Personen aus Sachsen-Anhalt und Sachsen statt. Dem Bundesvorstand zufolge war die Schulung "Grundwissen im politischen Kampf, Teil 1" für Aktivisten der JN und für "Kameraden der Freien Kräfte" organisiert worden. Zum "Umgang mit Polizei 59 RECHTSEXTREMISMUS und Geheimdiensten" referierte der JN-Landesvorsitzende VALENTA. SCHÄFERs Aussagen deuten darauf hin, dass sich die JN stärker als bisher gegenüber den so genannten Freien Kräften öffnen werden. Ein Hinweis für eine geplante engere Anbindung der JN an neonazistische Kameradschaften ist die personelle Zusammensetzung des JN-Bundesvorstandes. So ist mit BORDIN ein weiterer Protagonist aus dem neonazistischen Spektrum in die JN-Führung aufgerückt. Im Berichtsjahr erschien wieder eine Ausgabe der bundesweiten JN-Mitgliederzeitschrift "Der Aktivist. Zentralorgan der Jungen Nationaldemokraten", die unter anderem Schulungstexte enthält. Die 20 Seiten umfassende Zeitschrift wird an JN-Mitglieder kostenlos abgegeben. Das Zentralorgan soll Eigenangaben zufolge künftig den Entwicklungsprozess der JN von einer inaktiven und kleinen Jugendorganisation hin zu einer sozialrevolutionären, volkstreuen Jugendbewegung widerspiegeln. Der JN-Bundesvorstand hatte seine Mitgliederzeitschrift "Der Aktivist" bis 1999 zuletzt nur noch mit einer Ausgabe jährlich herausgegeben. Darüber hinaus verteilten einzelne JN-Landesverbände auf regionaler Ebene so genannte Schülerzeitschriften. Deren Herausgabe zeigt, dass die NPD und ihre Jugendorganisation verstärkt um Zustimmung bei Jugendlichen und Schülern werben. Die Werbung unter Jugendlichen wird dabei gezielt mit dem Bemühen um eine weitere lokale Verankerung verknüpft. Wahlanalysen der letzten Jahre zeigen, dass rechtsextremistische Parteien zu einem überdurchschnittlichen Prozentsatz die Stimmen jüngerer Wähler erhalten. Die anvisierte Zielgruppe der Jugendlichen und damit der künftigen Erstund Jungwähler wird daher auch für die Wahlergebnisse der Partei in den nächsten Jahren eine große Rolle spielen. 60 RECHTSEXTREMISMUS JN-Landesverband Sachsen-Anhalt31 Die Mitglieder der JN werden ausschließlich der Neonaziszene zugerechnet. Die JN selbst hat etwa 50 Mitglieder in acht JNStützpunkten (Bernburg, Blankenburg, Halle, Magdeburg, Sangerhausen, Schönebeck, Staßfurt und Wernigerode). Trotz vielfältiger, zum Teil öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten und einer offensiven Internetpublizistik ist es den Funktionären im Berichtsjahr nicht gelungen, die Mitgliederzahlen zu erhöhen und die Organisationsstrukturen auszubauen. Im Berichtsjahr gab der JN-Landesverband Sachsen-Anhalt eine zweite Ausgabe der Schülerzeitschrift "Jugend Rebelliert" heraus. Neonazis und JN verfügen darüber hinaus über ein Netz von Internetplattformen. So existieren Regionalausgaben des "Nationalen Beobachters", die wichtigsten JN-Stützpunkte verfügen zudem über eigene Internetpräsenzen. Am 3. März fand in Köthen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) eine Schulungsveranstaltung zum Thema "Umgang mit Polizei und Geheimdienst" statt. Veranstalter war der JN-Landesverband. Die etwa 50 Teilnehmer wurden von dem Rechtsextremisten Stefan LUX (Nordrhein-Westfalen) geschult. Ziel sollte sein, "Rechtsbrüche seitens der Polizei und des Geheimdienstes konsequent rechtlich" verfolgen zu können. An der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg fanden vom 4. bis 6. Juni Studentenratswahlen statt, an denen sich auch das JN-Mitglied Matthias GÄRTNER (Magdeburg) und ein weiterer Kandidat des rechtsextremistischen Spektrums aus Brandenburg beteiligten. Die beiden Kandidaten der rechtsextremistischen Liste "Studentische Interessen statt Politik" blieben mit weit unter einem Prozent jedoch ohne Mandat. 31 Weitere Berichte über die Aktivitäten der JN in Sachsen-Anhalt finden sich in den Berichtsteilen des Kapitels "Rechtsextremistische Szenen in Sachsen-Anhalt" (Seiten 18 bis 37). 61 RECHTSEXTREMISMUS "Deutsche Volksunion" (DVU) Entwicklung der Bundespartei Im Gegensatz zur NPD gelang es der DVU auch 2007 nicht, durch den gemeinsamen "Deutschland-Pakt" ihre Attraktivität in der rechtsextremistischen Szene zu erhöhen oder ihre Mitgliederzahlen zu stabilisieren. Stattdessen ist ein weiterer Mitgliederrückgang von 8.500 (2006) auf 7.000 Personen zu verzeichnen. Etliche von ihnen wechselten zur NPD. Bei einzelnen DVU-Landesverbänden ist festzustellen, dass die Aktivitäten weitgehend zum Erliegen gekommen sind. Die Partei wird von ihrem Gründer und Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard FREY weiterhin zentralistisch und autokratisch geführt. Die DVU ist nach wie vor im Brandenburger Landtag vertreten. Sie nahm entsprechend der Vereinbarungen mit der NPD ("Deutschland-Pakt") am 13. Mai an der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft und der gleichzeitig stattfindenden Wahl zur Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven teil. Dabei erreichte die DVU ein aus ihrer Sicht enttäuschendes Wahlergebnis von lediglich 2,74 Prozent der Stimmen. Sie stellte allerdings aufgrund einer Besonderheit des bremischen Wahlgesetzes mit Siegfried TITTMANN weiterhin einen Abgeordneten in der Bremischen Bürgerschaft. TITTMANN verließ im Juli aus persönlichen Gründen die Partei, behielt jedoch sein Mandat in der Bürgerschaft und in der Stadtverordnetenversammlung von Bremerhaven. Landesverband Sachsen-Anhalt Der DVU-Landesverband kann als so gut wie nicht mehr existent bezeichnet werden. Von dem 1998 mehr als 700 Mitglieder starken Landesverband blieben 2007 noch etwa 30 Mitglieder, die sich unregelmäßig zu den noch stattfindenden "Stammtischen" in Halle, Dessau und Bitterfeld versammeln. Vom Landesverband gehen keinerlei Anstrengungen aus, regelmäßige Mitgliederversammlun62 RECHTSEXTREMISMUS gen durchzuführen oder öffentlichkeitswirksame politische Aktivitäten zu entfalten. Aufgrund von Wahlabsprachen mit der NPD trat der DVULandesverband nur in der kreisfreien Stadt Dessau-Roßlau zur Kommunalwahl an. Von den sechs DVU-Kandidaten errang lediglich Manfred FRÜHAUF (Dessau) ein Mandat für den Stadtrat von Dessau-Roßlau. FRÜHAUF verzichtete jedoch zugunsten des DVU-Landesvorsitzenden Ingmar KNOP (Dessau). "Für sieben Jahre ist damit gewährleistet, dass deutsche Politik im DessauRoßlauer-Rathaus eine Stimme hat" so KNOP in einem Artikel der "National-Zeitung" vom Mai. KNOP ist auch Mitglied im Bundesvorstand der DVU. "Exilregierung Deutsches Reich" In Sachsen-Anhalt können der "Exilregierung Deutsches Reich" noch etwa 30 bis 40 Personen zugerechnet werden. Sieben davon bekleiden ein Amt in den zahlreichen "Ministerien". Im Berichtsjahr war ein deutlicher Mitgliederschwund erkennbar. Die für SachsenAnhalt genannten und im Internet veröffentlichen "Meldestellen" existieren nicht mehr. Auch konnten 2007 in Sachsen-Anhalt keine Veranstaltungen der Gruppierung festgestellt werden. Die "Exilregierung" führte - zumeist in Thüringen - weiterhin ihre monatlichen "Kabinetts-/Arbeitssitzungen" durch. Hierfür wurde ausschließlich über das Internet geworben. Im Durchschnitt nahmen etwa 20 bis 30 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet teil. Als Leiter der Zusammenkünfte fungierte regelmäßig "Reichskanzler" Norbert SCHITTKE (Hildesheim/Niedersachsen). Da unter den Anwesenden zumeist neue Interessenten waren, stellte der "Reichskanzler" in seinen Ausführungen immer wieder "Arbeit" und Zielsetzungen der "Exilregierung" dar. Dabei wurden auch die neuesten Versionen von Ausweisdokumenten vorgestellt. Hin und wieder übernahm auch "Reichspräsident" Wolfgang BENSCH (Berlin) das Wort. Dabei hielt er Vorträge von eher esoterischem Inhalt. 63 RECHTSEXTREMISMUS "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland e. V." (JLO)32 An einem von der JLO organisierten Trauermarsch durch die Dresdener Innenstadt beteiligten sich am 13. Februar rund 1.750 Personen (2006: 4.200). Wie bereits in den Vorjahren hatte der Landesverband Sachsen/Niederschlesien der JLO auch eine Kundgebung angemeldet. Dabei sprachen unter anderem der NPDParteivorsitzende VOIGT, der JLO-Aktivist Alexander KLEBER (Sachsen), der ehemalige Rechtsterrorist Peter NAUMANN (Hessen) und Dr. Olaf ROSE (Nordrhein-Westfalen). NAUMANN und ROSE gehören dem Parlamentarischen Beratungsdienst der NPDLandtagsfraktion in Sachsen an. Durch Angehörige der linksextremistischen Szene wurde versucht, anreisende Versammlungsteilnehmer der JLO anzugreifen. Ein Aufeinandertreffen der Gruppierungen konnte von der Polizei verhindert werden. Während des Aufzuges der JLO bildeten bis zu 500 Personen des linksextremistischen Spektrums mehrere Sitzblockaden. Zudem wurden Baustellenabsperrungen und Müllcontainer auf die Fahrbahn verbracht und zum Teil angezündet. Polizeikräfte wurden mit Steinen beworfen und Einsatzfahrzeuge beschädigt. Der von der JLO veranstaltete Trauermarsch war Teil einer "Aktionswoche" im Zeitraum vom 12. bis 17. Februar, die im Berichtsjahr erstmalig auf einer Internet-Sonderseite unter der Bezeichnung "Aktionsbündnis - Gegen das Vergessen" beworben wurde. 32 Während einer Mitgliederversammlung am 25. Juni 2006 wurde die Änderung der Satzung und der Namensbezeichnung von "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" in "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland e. V." beschlossen. Die Eintragung ins Vereinsregister erfolgte im August 2006. Seit Jahren versuchen rechtsextremistische Personen und Vereinigungen verstärkt, Immobilien für ihre Zwecke zu erwerben. In diesem Zusammenhang wurde inzwischen der Begriff des politisch motivierten Immobiliengeschäftes geprägt. Rechtsextremisten suchen nach Räumlichkeiten, in denen Schulungen und sonstige Treffen ungestört durchgeführt werden können. Ende 2001 gelang zwei Funktionären der JLO aus Bayern und Baden-Württemberg der Erwerb einer Immobilie im Landkreis Mansfeld-Südharz. In den vergangenen Jahren wurde das Objekt einer Komplettrenovierung unterzogen. Es steht seit Mitte 2005 für Veranstaltungen zur Verfügung. Im Sommer 2006 fand dort eine "1. Preußische Akademie" der JLO und im August des Berichtsjahres eine "2. Preußische Akademie" statt. Einem Bericht im NPD-Organ "Deutsche Stimme" (Ausgabe September 2007) zufolge referierten dort unter anderem der Leiter des "Instituts für Staatspolitik" Götz KUBITSCHECK (Schnellroda, Saalekreis) sowie der rechtsextremistische Publizist Andreas MOLAU (Niedersachsen). 64 RECHTSEXTREMISMUS An der offiziellen Kranzniederlegung der Stadt Dresden auf dem Heidefriedhof beteiligten sich am Vormittag des 13. Februar etwa 40 Rechtsextremisten, darunter Angehörige der JLO, der NPD und der JN. Im Rahmen der Aktionswoche "Ein Licht für Dresden", zu der ein "Aktionsbündnis gegen das Vergessen"33 im Internet aufgerufen hatte, fanden am 13. Februar in verschiedenen Bundesländern eigene Veranstaltungen statt, so auch in Sachsen-Anhalt. 34 33 Einem am 18. Januar veröffentlichten Aufruf auf der Homepage des JN-Bundesvorstandes zufolge gehören dem Aktionsbündnis Mitglieder des NPD-dominierten "Nationalen Bündnisses für Dresden", des "Nationalen Jugendbündnisses Dresden", der sächsischen NPD-Landtagsfraktion, des NPDLandesverbandes, des NPD-Kreisverbandes Dresden und Vertreter der "freien Aktivisten" an. 34 Siehe Seite 22. 65 LINKSEXTREMISMUS III. LINKSEXTREMISMUS Das linksextremistische Personenpotenzial nahm im Land SachsenAnhalt im Berichtsjahr insgesamt leicht ab. Linksextremisten35 2006 2007 Autonome 300 270 Parteien und sonstige Gruppierungen 270 270 Gesamt: 570 540 AUTONOME Selbstverständnis Autonome propagieren ein Leben frei von Zwängen unter Missachtung von Normen und Autoritäten. Ihr Selbstverständnis ist geprägt von diversen "Anti-Einstellungen". So definieren Autonome sich mit Begriffen wie "antifaschistisch", "antikapitalistisch" oder "antipatriarchal". Die ideologische Grundlage ihrer häufig spontanen Aktivitäten bilden in aller Regel diffuse anarchistische und kommunistische Vorstellungen. Wie die meisten anderen Linksextremisten zielen Autonome auf die Überwindung des "herrschenden Systems" ab, halten hierzu aber auch die Anwendung von Gewalt für legitim. Strafund Gewalttaten Das LKA Sachsen-Anhalt registrierte für das Berichtsjahr 211 politisch motivierte Straftaten -links(2006: 291). Dies bedeutet einen Rückgang von 27 Prozent. Im gleichen Zeitraum nahm der Anteil der entsprechend motivierten Gewalttaten sogar um mehr als 54 Prozent ab (2007: 32 Delikte, 2006: 70 Delikte).36 35 Zahlen zum Teil geschätzt und gerundet. 36 Siehe Statistik Seite 128 f. Für die Erfassung von Straftaten ist der Polizeibereich federführend zuständig. 66 LINKSEXTREMISMUS Überblick und Entwicklungstendenzen Schwerpunktregionen der etwa 270 Personen umfassenden Autonomenszene sind in Sachsen-Anhalt nach wie vor die Städte Magdeburg und Halle. In Magdeburg waren Gruppierungen wie die "Gruppe Internationale Solidarität" (GIS), die "Autonome Antifa Magdeburg" (AAMD) und das "Antifaschistische Infoportal" (AIP) aktiv. In Halle machte insbesondere die "ag no tears for krauts" auf sich aufmerksam. Nennenswerte Aktivitäten gab es ferner in der Harzregion und in der Altmark. Im Berichtsjahr gründete sich die "Autonome Linke Salzwedel" (ALS). Daneben erfolgte die Wiedergründung der "Antifaschistischen Aktion Burg" (AAB). Ein besonderes Thema für Autonome auch in Sachsen-Anhalt war die Vorbereitung der Proteste anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern). In Magdeburg agierte hierbei das aus Autonomen und orthodoxen Linksextremisten bestehende "Anti-G8-Bündnis Magdeburg" - dazu gehörten nach eigenem Bekunden die GIS, die "Frauengruppe Magdeburg", die AAMD, die KPD/ML Magdeburg und die DKP Sachsen-Anhalt. Hauptaktionsfeld autonomer Zusammenschlüsse blieb im Berichtszeitraum die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. "Antifaschistischer Kampf" bedeutet für Autonome nach wie vor "den Faschismus bei den Wurzeln zu packen" und gegen diesen durch theoretische oder praktische Auseinandersetzungen mit den "Nazis", für deren Existenz das "System" verantwortlich gemacht wird, vorzugehen. Neben dem Auftreten gegen rechtsextremistische Demonstrationen nahmen Aktivitäten gegen den so genannten rechtsextremistischen Lifestyle wieder zu. Diese richteten sich im Berichtsjahr insbesondere gegen Bekleidungsgeschäfte, die zum Beispiel die Marke "Thor Steinar" vertreiben. Die Anzahl der von Autonomen ausgegangenen körperlichen Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten nahm im Berichtszeitraum deutlich ab. Die verbalen und körperlichen Auseinandersetzungen zwischen "Antiimperialisten" und "Antideutschen" hielten an. 67 LINKSEXTREMISMUS Auseinandersetzungen zwischen linksextremistischen Szeneangehörigen In Magdeburg kam es auch im Jahr 2007 zu Auseinandersetzungen zwischen so genannten "Antiimperialisten" - vertreten durch GIS und AAMD - und so genannten "Antideutschen" - vertreten durch das AIP. Dies ist auch über die Region hinaus bekannt und wird unter anderem im Internet diskutiert und gewertet. "Antideutsche" erklären sich mit dem jüdischen Volk und dem Staat Israel uneingeschränkt solidarisch. Sie begründen ihre Gegnerschaft zum deutschen Staat, indem sie diesem und seinen Bürgern einen prinzipiellen Antisemitismus einhergehend mit Großmachtstreben unterstellen. Im Gegensatz dazu solidarisieren sich die amerikafeindlich gesinnten, antiimperialistischen Gruppierungen mit dem gegen Israel gerichteten so genannten palästinensischen Befreiungskampf. Die verhärteten Fronten wirkten sich auch auf die Mobilisierungsfähigkeit der Magdeburger Autonomenszene zu antifaschistischen Demonstrationen aus. Es gelang der Magdeburg Szene im Berichtsjahr deshalb nicht mehr, gemeinsame Veranstaltungen zu organisieren. Für den 27. Januar rief das AIP zu einer Kundgebung der so genannten "Initiative gegen Antisemitismus" in Magdeburg unter dem Motto "...dass Auschwitz sich nicht wiederhole" auf, und nahm damit Bezug auf den 62. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz. An der Veranstaltung nahmen etwa 30 Angehörige des "antideutschen" Spektrums aus Magdeburg, Halle und Leipzig teil. Nach der Kundgebung kam es beim Rückweg der Teilnehmer zum Bahnhof zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen einigen Antideutschen und Angehörigen von GIS und AAMD. Die antideutsche "ag no tears for krauts" aus Halle bezeichnete die AAMD später als Verursacherin der Auseinandersetzung. Sie forderte in einem Interneteintrag die AAMD und die GIS auf, sich aus allen antifaschistischen Strukturen zurückzuziehen. Ferner rief sie andere 68 LINKSEXTREMISMUS Gruppierungen dazu auf, ihre Bündnisarbeit mit AAMD und GIS einzustellen. Die AAMD wies die Vorwürfe zurück, räumte allerdings ein, eine Israelfahne von einer Person aus Leipzig entwendet zu haben. Das AIP versuche, die AAMD mittels "erfundener Geschichten" zu bekämpfen. Magdeburg war und sei eine "internationalistische Stadt". Man werde es nicht dulden, dass "Antideutsche versuchen...israelsolidarische Politik in Magdeburg zu propagieren". Am 27. Juni fand im Magdeburger "eineWelt haus" eine Vortragsveranstaltung zum Thema "Zur Kritik des Antisemitismus und Antiamerikanismus - Solidarität mit Israel" statt, die unter anderem vom AIP organisiert und ausgerichtet worden war. Nach Polizeiangaben begab sich während der Veranstaltung eine Gruppe von etwa 15 Personen, denen der Veranstalter die Teilnahme verweigert hatte, an die Rückfront des Objektes, zerstörte dort mit Steinwürfen zwei Fensterscheiben, drang dann in das Objekt ein und versprühte Reizgas. Anschließend flüchtete die Personengruppe aus Mitgliedern von GIS und AAMD in unbekannte Richtung. Neugründungen von Autonomengruppen Die im Berichtsjahr neugegründete "Autonome Linke Salzwedel (ALS)" äußerte sich im Internet zu ihrem Selbstverständnis: "Wir...verstehen uns als einen emanzipatorischen Zusammenschluss aus weltoffenen und alternativdenkenden Menschen, welche sich aufgrund ihrer tief verwurzelten antifaschistischen Denkund Lebensweise zusammengeschlossen haben um dem Faschismus und dem Staatsterror diesen Staates offen und aktiv entgegenzutreten... Unser Ziel ist es in einer herrschaftsfreien, klassenlosen und multikulturellen Gesellschaft Aller zu leben. Unser Hauptanliegen besteht jedoch darin den fortschreitenden rechten Lifestyle und Mainstream in Sachsen-Anhalt und speziell in der Altmark zu bekämpfen und aufzuhalten... 69 LINKSEXTREMISMUS Kampf der SS-Praxis der Polizei in der EU und global! Kampf allen Ausbeutern und Feinden der Linken - Kampf der Klassenjustiz weltweit!" Die "Antifaschistische Aktion Burg" (AAB) gründete sich eigenen Angaben zufolge im März wieder, nachdem sie sich Ende 2006 aufgelöst hatte. Zu ihrem Selbstverständnis erklärte sie: "Wir versuchen hauptsächlich gegen Nazis vorzugehen, diese bei ihren Aktionen zu behindern und die Menschen über diese aufzuklären. Dies ist allerdings nur ein Teil der Lösung des Problems. So muss...die Mehrheitsgesellschaft mit ihrem Alltagsrassismus und Nationalismus kritisiert werden und durch einen linksradikalen Antifaschismus ersetzt werden...Die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse als Ganzes ist und bleibt unser Ziel...Wir finden, dass die gegenwärtige Situation nicht besonders revolutionär ist, deshalb versuchen wir (zurzeit) hauptsächlich uns in schon bestehende kapitalistische Krisen einzubringen. Es gibt kein ruhiges Hinterland! Den Antifaschismus organisieren! Deutschland abziehen! Kapitalismus abschaffen!" Spezifische Aktionsfelder der Autonomenszene in SachsenAnhalt "Antifaschismus" Am 16. Januar jährte sich der Tag der Zerstörung Magdeburgs während des Zweiten Weltkriegs zum 62. Mal. Aus diesem Anlass rief auch die "Autonome Antifa Magdeburg" (AAMD) auf ihrer Homepage unter dem Motto "Geschichtsrevisionismus erkennen und bekämpfen! Antifaschistische Strukturen stärken und verteidigen!" zu einer Demonstration auf. Daran nahmen am 13. Januar nach Polizeiangaben 350 Personen teil. Teilnehmer der Veranstaltung versuchten, durch eine Sitzblockade und die Verzögerung des Demonstrationszuges einen zeitgleich stattfindenden Aufzug der 70 LINKSEXTREMISMUS rechtsextremistischen Szene zu stören. Die Polizei verhinderte dies. Die AAMD bewertete die Demonstration dennoch als "antifaschistischen Erfolg". Ein "extremes Bullenaufgebot" habe versucht, jeden "antifaschistischen Widerstand" zu unterdrücken. Man habe sich aber nicht einschüchtern lassen, viele Leute seien nach Magdeburg gekommen, um zu unterstützen. Andere Antifa-Angehörige bezeichneten die Demonstration im Internet hingegen allerdings als misslungen und unorganisiert. Am 11. Mai fand in Magdeburg ein Aufzug zum 15. Todestag des Thorsten LAMPRECHT37 statt, an dem etwa 120 Personen teilnahmen. Aufgerufen hatte dazu wiederum die AAMD. In dem im Internet veröffentlichten Aufruf hieß es, der antifaschistische Widerstand dürfe sich nicht ausschließlich nur an den "Nazis" orientieren. "Die einzige grundlegende Lösung des Naziproblems ist die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft, welche Bedingungen schafft, in dem kein Mensch mehr ein geknechtetes und erniedrigtes Leben führen muss und deshalb niemand mehr nach den Regeln des Kapitals lebt, welches zu diesen Lebensbedingungen führt. Die beste Strategie gegen die Faschisten ist immer noch linke Politik! Das rechte Schlägerpack müssen wir uns natürlich weiterhin vom Hals halten! In Gedenken an den 15. Todestag von Lampe!!! Gegen Nazis, Staat und Kapital! Den antifaschistischen Selbstschutz organisieren! Für die soziale Befreiung weltweit!" Wegen der großen Resonanz entschloss sich der Veranstaltungsleiter zu einem spontanen Aufzug zum Neustädter Friedhof. Auch die Spontanveranstaltung verlief friedlich. 37 Der der Punkszene zuzurechnende Jugendliche Thorsten LAMPRECHT starb in Folge eines gewalttätigen Überfalls von Rechtsextremisten auf die Magdeburger Gaststätte "Elbterrassen" im Jahr 1992. 71 LINKSEXTREMISMUS Aus Anlass einer geplanten, aber schließlich durch das Oberlandesgericht verbotenen rechtsextremistischen Veranstaltung, rief ein "Antifa Bündnis Burg" für den 11. August zu einer Demonstration unter dem Thema: "Let's push things forward - den rechten Konsens brechen" in Burg (Landkreis Jerichower Land) auf. Im Aufruf hieß es: "Wir wollen uns mit einer starken antifaschistischen Demonstration direkt gegen die nationalsozialistische Organisierung in und um Burg wehren und der grauen, deutschen Realität mit allem was sie an Abscheulichkeiten bereithält ein kräftiges Fuck off!! entgegenschleudern. Linksradikaler Antifaschismus kann nur als grundlegende Gesellschaftskritik verstanden werden und ist als konkrete Selbstverteidigung gerade hier nach wie vor notwendig. Weder Staat noch Zivilgesellschaft sind zu einer vernünftigen Kritik an der nationalsozialistischen Ideologie fähig, würde dies doch bedeuten, die eigenen Basiskategorien wie Volk, Staat, Recht und Warentausch in Frage zu stellen." Der Aufruf endete mit den Worten: "Also kommt nach Burg um mit uns gegen den Naziaufmarsch und die ganze scheiß deutsche Realität zu demonstrieren! Gegen Deutschland und seine Nazis! Für den Kommunismus!" An der Demonstration beteiligten sich etwa 150 Angehörige der Autonomenszene. Provokationen von vereinzelt auftretenden Rechtsextremisten führten nicht zu Auseinandersetzungen, da die Polizei die Rechtsextremisten von den Demonstrationsteilnehmern trennte. In Quedlinburg (Landkreis Harz) fanden am 15. September anlässlich einer Kundgebung der NPD Gegenaktivitäten sowohl von Antifa-Angehörigen als auch von demokratischen Kräften statt. Zeitgleich zogen die Gegendemonstranten unter dem Motto "Wir stellen 72 LINKSEXTREMISMUS uns quer" durch die Stadt und versammelten sich auf dem Marktplatz gemeinsam mit einer Vielzahl von Einwohnern und Besuchern zu einer friedlichen Protestveranstaltung. Ein Antifa-Angehöriger veröffentlichte im Internetforum "Indymedia" einen so genannten "Erlebnisbericht", der die Differenzen innerhalb der linksextremistischen Szene zwischen "Antideutschen" und "Antiimps" verdeutlichte. Dem in die Demonstrationsvorbereitungen eingebundenen "AIP" (Magdeburg) wurde vorgeworfen, nicht in der Lage gewesen zu sein, "praktische erfolgreiche Antifaarbeit" zu leisten: "Schon im Vorfeld war das Anliegen dieses Bündnisses sehr mysteriös... aus dem Aufruf, der durch das Internet geisterte, ging nicht hervor, ob es sich hierbei um ein Schreiben des gesamten Bündnisses oder der Antifa-Gruppen handelte ... Die nur gerüchteweise bekannten teilnehmenden antifaschistischen Gruppen hatten offensichtlich alles daran gesetzt, an diesem Tag am runden Katzentisch der Demokratie Platz nehmen zu dürfen." Zum Ablauf hieß es weiter: "Die BürgerInnen konnten mit unserer Unterstützung ihr Rathaus, ihre Hotels und Geschäfte sowie ihre Touristen vor dem Ansturm der Nazis retten. Immerhin konnte erreicht werden, dass der Naziaufmarsch am Marktplatz blockiert wurde und die Neofaschisten ihre Route nicht durchsetzen konnten. Bei nüchterner Einschätzung ist klar, das auch nicht mehr drin war. Dafür mussten wir uns die ganze Zeit auf das Übelste beschimpfen lassen. Wir wären ja genau wie die Nazis usw. Für die Bürgersleute waren wir Manövriermasse...Bei der realen Einschätzung der Situation ist klar, das wir auch in Zukunft Bündnisse mit den BürgerInnen eingehen werden müssen. Das funktioniert aber nicht indem wir uns anbiedern sondern in dem wir klar sagen was geht und was nicht." 73 LINKSEXTREMISMUS Anlässlich eines rechtsextremistischen Aufzuges rief die Gruppierung "Autonome Antifa Salzwedel" für den 29. Dezember zu Gegenaktivitäten unter dem Motto: "Könnt ihr vergessen - Kein Naziaufmarsch in Stendal - Linke Strukturen stärken" auf. An dieser Kundgebung in Stendal nahmen etwa 150 Angehörige der linksextremistischen Szene teil, die anfangs versuchten, anreisende Teilnehmer der NPD-Kundgebung am Verlassen des Bahnhofs zu hindern. Die Polizei vereitelte schließlich das Aufeinandertreffen der Gruppierungen. Die Veranstaltung wurde mit dem Ziel beendet, sich einer Veranstaltung des bürgerlichen "Bündnisses gegen Rechts" auf dem Marktplatz anzuschließen. Später versuchten etwa 80 Personen der linksextremistischen Szene, den Aufmarsch der NPD zu stoppen. Die Polizei löste die Blockade auf. Aktivitäten gegen rechtsextremistischen "Lifestyle" Am 4. August wurde bei dem in Halberstadt (Landkreis Harz) ansässigen Bekleidungsgeschäft "Ragnarök", in dem rechtsextremistische Szeneangehörige verkehren und szenetypische Bekleidungsgegenstände verkauft werden, eine Scheibe eingeworfen. Von den Tätern geworfene Brandsätze entzündeten sich nicht. Mit Farbspray war zudem der Spruch "Besser Leben ohne Nazis" auf die Front des Gebäudes aufgebracht worden. Unter dem Motto "Buntes Haus-Braune raus" fand am 1. August vor dem "Hundertwasserhaus" in Magdeburg eine Kundgebung mit etwa 150 Teilnehmern statt, die sich gegen das kurz zuvor eröffnete Geschäft "Narvik" und den dortigen Verkauf von Bekleidung der Marke "Thor Steinar" richtete. An der Versammlung nahmen auch Personen des öffentlichen Lebens teil. Nach Angaben des "Antifa-Infoportals" (AIP) soll es auch "eher direkte Aktionen gegen den Laden" gegeben haben. Einige Kundgebungsteilnehmer hätten die Front des Geschäftes "verschönert" und dessen Fenster und Türen mit Flyern und Plakaten verklebt, während weitere Szeneangehörige rings um die Kundgebung Flugblätter der Kampagne "Stopp Thor Steinar" verteilten. 74 LINKSEXTREMISMUS Während einer Demonstration am 3. Oktober in Leipzig, die sich gegen die Eröffnung eines Geschäftes zum Vertrieb von "Thor Steinar-Bekleidung" richtete, verteilten Angehörige der Gruppierung "ag no tears für krauts" Flugblätter mit dem Titel "Ladenschluss versus Ausverkauf". Darin wurde das Anliegen der Demonstration als "Aufnahmeantrag in die Gemeinschaft der anständigen Deutschen" diskreditiert. Im Text hieß es: "Wenn den Organisatoren der heutigen Demonstration vor dem Hintergrund des deutschen Geltungsdranges wegen Auschwitz, der Entschädigungsverweigerung für frühere Zwangsarbeiter oder der deutschen Verständnissinnigkeit gegenüber den antisemitischen Mörderbanden im Nahen Osten zum 'Tag der Deutschen Einheit' nur ein kleiner ThorSteinar-Shop in Leipzig einfällt, dann scheinen sie an Deutschland nur ein paar Nazis zu stören, die auf gesamtgesellschaftlicher Ebene längst marginalisiert sind. Wenn sie vor dem Hintergrund des staatlichen Antifaschismus am 3. Oktober auch noch gegen diesen Laden...demonstrieren, dann scheint sich hinter ihrem Antifaschismus vor allem die Sehnsucht nach einem besseren, das heißt nazifreien Deutschland zu verbergen." Weiter hieß es, die Demonstranten würden weder von "Staat und Kapital" noch vom "Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie" etwas wissen wollen. Unter dem Motto "Schluss mit dem Theater. Alternative Gegenkultur statt braunem Lifestyle. Naziläden dicht machen" veranstaltete das "Linke Bündnis Magdeburg", bestehend aus den Gruppierungen AAMD, GIS und "Bürgerinitiative Montagsdemo", im Zeitraum vom 2. bis 11. November eine Aktionswoche. Neben einigen Vortragsveranstaltungen fand in Magdeburg am 3. November eine themengleiche Demonstration statt, an der sich etwa 180 Szeneangehörige beteiligten. 75 LINKSEXTREMISMUS Körperliche Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und Rechtsextremisten oder vermeintlichen Rechtsextremisten Am 4. März kam es in Gräfenhainichen (Landkreis Wittenberg) zu einem Landfriedensbruch mit gefährlicher Körperverletzung. Acht Angehörige der lokalen linksextremistischen Szene drangen in einen Jugendclub ein, zerstörten dabei die Glasscheibe der Eingangstür und schlugen anschließend zielgerichtet mit Fäusten auf zwei Angehörige der rechtsextremistischen Szene ein. Nach der Tat verließen die Beschuldigten das Gebäude. Die Polizei stellte tatverdächtige Personen fest. Zwei Angehörige der linksextremistischen Szene beschimpften und misshandelten am 5. November auf einem Parkplatz in MagdeburgStadtfeld einen Mann, der Bekleidung der Marke "Thor Steinar" trug. Ein von den Tätern mitgeführter Hund biss den Geschädigten mehrfach. Anschließend flüchteten die Angreifer. "Antirepression" Zunehmende Bedeutung erlangte in den letzten Jahren das Aktionsfeld "Antirepression". Autonome werten die Verschärfung der Sicherheitsgesetze, den Einsatz neuer technischer Fahndungsmittel und die Sicherheitsmaßnahmen zu dem stattgefundenen G8-Gipfel als neue Qualität "staatlicher Repression" und als Methoden eines "ausgeklügelten Systems zur Herrschaftssicherung". Innerhalb der linksextremistischen Szene hieß es daher unter anderem "No Justice - No Peace - Kein Friede mit dem deutschen Polizeistaat". Die GIS positionierte sich im September auf ihrer Homepage zum Thema "SS129 a/b"38. Diese Rechtsnormen seien ein "Instrument der Klassenjustiz". Sie böten "Verfolgungsbehörden einen enormen Handlungsspielraum, um gegen...revolutionäre Kräfte vorzugehen". Neben der "Erfassung linker Strukturen" gehe es den "Bullen" in ers38 SS 129 a StGB: Bildung terroristischer Vereinigungen. SS 129 b StGB: Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland. 76 LINKSEXTREMISMUS ter Linie immer darum "unsere Strukturen" zu schwächen. Der wohl wichtigste Schutz gegen Repressionsmaßnahmen sei ein klarer Klassenstandpunkt. Am Schluss des Textes hieß es: "Weg mit 129 a und b! Unsere Gefangenen müssen raus! Für eine gesamtgesellschaftliche Befreiungsperspektive! Zusammen kämpfen!" Im Oktober erschien in Magdeburg eine weitere Ausgabe der Szenezeitschrift "Rabatz"39, die auch auf der Internetseite der GIS veröffentlicht wurde. Darin befand sich unter anderem eine Bilderfolge mit mehreren Aufnahmen unterschiedlicher Militärtechnik, betitelt mit den Worten: "Es gibt zu viele Bundeswehrfahrzeuge - Freiheit für Oliver, Florian und Axel40 - Weg mit den SSSS129a und b". Einige Fotos trugen zusätzlich die Aufschriften "beinahe sabotiert" oder "sabotiert". Damit solidarisierte sich auch die hiesige Autonomenszene mit den in der letzten Zeit insbesondere in Berlin und Hamburg vermehrt aufgetretenen Zerstörungen von Bundeswehrfahrzeugen durch mutmaßliche Linksextremisten. LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND VEREINIGUNGEN In Sachsen-Anhalt waren im Berichtszeitraum die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), deren Jugendorganisation "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD/Ost) und die "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten Leninisten" (KPD/ML) mit eigenen Strukturen präsent. Diese revolutionär-marxistischen Organisationen setzten weiter auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen Klassenkampfes. Ihre Vertreter versuchten, sich in gesellschaftliche Protestkampagnen einzubringen. 39 Ausgabe Nr. 5. 40 Personen, die am 31. Juli in Brandenburg bei dem Versuch, Bundeswehrfahrzeuge in Brand zu setzen, festgenommen worden waren. 77 LINKSEXTREMISMUS "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD/Ost) Die KPD/Ost wird in Sachsen-Anhalt durch einen Landesverband mit Sitz in Zeitz (Burgenlandkreis) und über drei "Regionalorganisationen" in Zeitz, Halle/Bernburg und Magdeburg vertreten. "KPD-online" zufolge fand am 21. April in Berlin der 25. Parteitag der KPD unter aktiver Beteiligung von Parteimitgliedern aus Sachsen-Anhalt statt. Im dort abgegebenen Rechenschaftsbericht wurde die aktuelle politische Situation analysiert. Der "Kampf gegen das imperialistische System" wurde als "Existenzfrage der Menschheit" bezeichnet. Die "herrschende kapitalistische Ordnung" steuere dem "Untergang in die Barbarei" zu, weil sie auf keinem Gebiet des gesellschaftlichen Lebens konstruktive Antworten geben könne. Auf dem Parteitag wurden zudem ein neues Programm und die Neufassung des Statuts beschlossen. Letzteres schreibt jetzt fest, dass die Aufnahme als Mitglied erst nach einer einjährigen "Kandidatenzeit" sowie "gründlicher Prüfung in der zuständigen Organisation" erfolgt. Als neuer KPD-Vorsitzender wurde Dieter ROLLE aus Zeitz gewählt. Einem Artikel der KPD-Zeitung "Die Rote Fahne"41 zufolge fand aus Anlass der "90. Wiederkehr des Sieges der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" am 20. Oktober in Halle eine Gedenkveranstaltung mit Mitgliedern der KPD, der DKP und der SDAJ statt. Organisiert wurde diese Veranstaltung von der KPD-Landesleitung. In einem Referat wurde auf die Bedeutung und die Geschichte der Oktoberrevolution eingegangen. "Der Sieg der Konterrevolution über den Sozialismus" sei nicht die letzte Antwort auf die Geschichte des Sozialismus, obwohl es das sei, was die "imperialistischen Medien und Historiker den Völkern beweisen" wollten. Zur Kreistagswahl warb die KPD unter anderem mit der Losung "Wer die etablierten Parteien wählt, den bestraft auch künftig das 41 Ausgabe vom November. 78 LINKSEXTREMISMUS Leben!". Die KPD erzielte im Salzlandkreis 307 Stimmen (0,16 Prozent). Im Burgenlandkreis erreichte die KPD 479 Stimmen (0,2 Prozent). "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Die DKP verfügt in Sachsen Anhalt über einen so genannten "Koordinierungsrat". Die Internetseite der DKP Sachen-Anhalt nennt Strukturen mit den Regionsbezeichnungen "Halle", "Nordharz", "Magdeburg", "Sachsen-Anhalt Nord" und "Sachsen-Anhalt Ost". In Wüllmersen (Altmarkkreis Salzwedel) fand einem Artikel in der DKP-Zeitung "Unsere Zeit" (UZ) vom 9. Juni zufolge das 3. Landesseminar der DKP-Gruppen Sachsen-Anhalts statt. Zweck des Seminars sei die Stärkung der Bindung zwischen den Parteigruppen gewesen. Zur künftigen Arbeit der DKP hieß es, im Mittelpunkt werde weiterhin die "Bildungsarbeit" der Kader stehen, denn nur mit einem "klaren und fundierten Klassenstandpunkt" könne die Partei sowohl "in der Jugend, in den Gewerkschaften als auch in sozialen Bündnissen" entscheidend Einfluss gewinnen. Einem anderen UZ-Artikel zufolge sei es trotz Zielvorgabe des Parteivorstandes im Jahr 2007 nicht gelungen, den AbonnentenRückgang der Zeitung zu stoppen. Von einer Wende in der Abonnement-Entwicklung sei die UZ weiter entfernt denn je. Die Verluste beliefen sich in Sachsen-Anhalt auf 19,7 Prozent und stellten damit einen Höchststand dar. "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Die SDAJ ist die Jugendorganisation der DKP. In Sachsen-Anhalt existiert eine SDAJ-Gruppe in Halle. An einer Demonstration der SDAJ unter dem Motto "No Nazis, no NPD" nahmen am 17. Juni in Halle etwa 130 Personen teil. Die Veranstaltung verlief ohne Störungen. 79 LINKSEXTREMISMUS Der Anmelder der Demonstration äußerte in einem Interview gegenüber der UZ: "Seit Jahren marschieren Nazis durch Halle und versuchen, den 17. Juni für sich zu nutzen. Wir setzen dem in unserer Demonstration klare antifaschistische Positionen entgegen. Da die linke Szene in Halle sehr zersplittert ist, versuchen wir eine Möglichkeit zu finden, die Antifaschisten wieder zu vereinigen, um den Nazistrukturen etwas entgegensetzen zu können." Weiter führte er aus, dass die SDAJ-Gruppe seit einem Jahr existiere. Man habe sich nach der antifaschistischen Demonstration vom 17. Juni 2006 als feste Gruppe zusammengeschlossen und arbeite mit der "Antifa, einem großen Teil der Punkszene, den Genossen der KPD und der VVN-BdA42 zusammen". "Vorbildliche Unterstützung" leiste auch die DKP Halle. Am 18. August fand in Halle eine Kundgebung zum Thema "Rettet das Thälmann-Denkmal" mit etwa 50 Teilnehmern statt. Angemeldet wurde diese von der SDAJ. Im gemeinsamen Aufruf von SDAJ, DKP und KPD/Ost hieß es dazu, man rufe alle Bürger zum Protest gegen den Abriss des Thälmann-Denkmals auf. Die Stadt spare massiv an Jugend-, Kulturund Bildungseinrichtungen - aber für die Demontage antifaschistischer Denkmäler schmeiße sie Geld zum Fenster raus. Der Aufruf endete mit den Worten: "Schluss mit der Schleifung antifaschistischer Wahrzeichen! Schluss mit dieser Haushaltspolitik!". In der Gedenkrede hieß es, nur "außerparlamentarische Massenaktionen" seien in der Lage, "die Machtbestrebungen des Imperialismus und seiner Lakaien" zu stoppen. Dazu gehöre auch, gegen die Beseitigung von "Monumenten der deutschen Arbeiterbewegung" aktiv zu werden und dem "Antikommunismus aller Schattierungen die Stirn zu bieten".43 42 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V." 43 "Die Rote Fahne" vom September. 80 LINKSEXTREMISMUS "Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML) Die hiesige KPD/ML gibt im Internet lediglich eine Magdeburger Kontaktadresse an und vertreibt eine Publikation unter dem Namen "Roter Stern". Die KPD/ML trat im Berichtszeitraum vorwiegend im linksextremistischen "Anti-G8-Bündnis Magdeburg" auf. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die MLPD verfügt in Sachsen-Anhalt über umfassende Parteistrukturen, so den Kreisverband Dessau-Wolfen-Bitterfeld, den Kreisverband Magdeburg/Schönebeck und die Ortsgruppen in Bernburg, Halle-Merseburg, Wernigerode und Zeitz. Außerdem existieren Gruppen des Jugendverbandes "Rebell" in Magdeburg, Halle und Wolfen. Seit der Umstrukturierung der Partei in sieben Landesverbände Ende des Jahres 2006 gehört die sachsen-anhaltische MLPD zum Landesverband "Elbe-Saale" mit einer Geschäftsstelle in Leipzig. Gemessen am Umfang der Parteigliederungen gingen von der MLPD wenig öffentlichkeitswirksame Aktionen aus. Die MLPD beging am 20. Juni ihren 25. Jahrestag unter anderem mit einem Festakt in Gelsenkirchen (NRW). Aus diesem Anlass erschienen eine "Sondernummer" der Parteizeitung "Rote Fahne" mit einer Auflagenstärke von 200.000 Exemplaren44 und eine DVD mit dem Titel: "25 Jahre MLPD - wer aber ist die Partei?". Nach den Premiere-Vorführungen am 4. August in Duisburg (NordrheinWestfalen) sei der Film auch in Bernburg (Salzlandkreis), Halle, Magdeburg und Wittenberg-Piesteritz vorgestellt worden. Die MLPD-Landesgeschäftsstelle gab etwa vierteljährlich eine Publikation heraus. Diese erschien zunächst unter dem Titel "Stimme 44 Laut Eigenangabe. 81 LINKSEXTREMISMUS Sachsen-Anhalts" und wurde dann in "Stimme von und für ElbeSaale" umbenannt. Die Zeitung wird in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen verteilt. Bei den Wahlen zum Stadtrat von Bitterfeld-Wolfen erhielt die "MLPD/Offene Liste" am 22. April 492 Stimmen (1,31 Prozent). Dabei erlangte die Vorsitzende des MLPD-Kreisverbandes DessauWolfen-Bitterfeld Ina KORNTREFF erneut ein Stadtratsmandat. LINKSEXTREMISTISCHE EINFLUSSNAHME AUF DIE ANTIGLOBALISIERUNGSBEWEGUNG Vom 6. bis 8. Juni fand in Heiligendamm (MecklenburgVorpommern) unter deutschem Vorsitz das jährliche Treffen der Staatsund Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen statt. Dagegen gab es zahlreiche Proteste sowohl im Vorfeld als auch während der Veranstaltung. Initiatoren und Teilnehmer stammten überwiegend aus nichtextremistischen Gruppen. Allerdings griffen auch zahlreiche linksextremistische Gruppen das Thema auf. In Sachsen-Anhalt waren dies insbesondere das linksextremistische "Anti-G8-Bündnis Magdeburg", zu dem erklärtermaßen die GIS, die "Frauengruppe Magdeburg", die AAMD, die KPD/ML Magdeburg und die DKP Sachsen-Anhalt zählten. Das "Anti-G8-Bündnis Magdeburg" veröffentlichte im Januar und im März Ausgaben der Zeitschrift "Rabatz" (Untertitel: "Zeitung gegen den G8-Gipfel"). In der Januar-Ausgabe wurde zur so genannten "Aktionswoche im März gegen Militarisierung und G8" aufgerufen. Zur Begründung hieß es, beim G8-Treffen würden die Staatschefs ihre Schritte in der kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutung im Sinne der Profitmaximierung koordinieren wollen. Lasttragende sei die "Klasse der Ausgebeuteten". Demzufolge müsse man sich zusammenschließen und kämpfen "für eine Welt in der für jeden Platz ist, in der es keine Ausbeutung und Unterdrückung gibt". Im Vorfeld des G8-Gipfels kam es bundesweit über eine Vielzahl von anderweitigen Sachbeschädigungen hinaus zu insgesamt 23 82 LINKSEXTREMISMUS Brandanschlägen45, die von den Tätern in Selbstbezichtigungsschreiben als Teil einer Militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel bezeichnet wurden. Brandanschläge mit G8-Bezug ereigneten sich in Sachsen-Anhalt nicht. Von den sonstigen einschlägigen Vorfällen ist für SachsenAnhalt insbesondere ein Ereignis hervorzuheben. Am späten Abend des 19. März setzte ein Angehöriger der Magdeburger Autonomenszene einen Papiercontainer in Magdeburg-Stadtfeld in Brand. Eintreffende Polizeibeamte wurden aus einer Wohnung heraus mit Gegenständen beworfen und mit den Worten "In Heiligendamm sehen wir uns wieder und dann machen wir euch fertig!" bedroht. Am 2. Juni beteiligten sich in Rostock nach Polizeiangaben etwa 30.000 Personen (Veranstalter: 80.000) an einer angemeldeten "Internationalen Großdemonstration" unter dem Motto: "Eine andere Welt ist möglich!". Nach friedlich verlaufenen Auftaktkundgebungen bewegten sich zwei Demonstrationszüge durch die Rostocker Innenstadt zum Ort der gemeinsamen Abschlusskundgebung am Stadthafen. Innerhalb eines dieser Aufzüge bildeten etwa 2.000 militante Autonome einen geschlossenen "Schwarzen Block", aus dem es zu massiven Übergriffen kam. Steinwürfe trafen Gebäude, ein mit Beamten besetztes Polizeifahrzeug wurde angegriffen und schwer beschädigt, parkende Fahrzeuge von Anwohnern wurden umgestürzt und teilweise in Brand gesetzt, Polizeibeamte wurden mit Pflastersteinen, Flaschen und Molotow-Cocktails beworfen. Nur ein Großaufgebot an Polizei und das praktizierte Deeskalationskonzept bewirkten eine Lageberuhigung. Eine Vielzahl anderer an der Demonstration teilnehmender Gruppierungen distanzierte sich von den genannten Störaktionen. Zwölf Demonstranten aus Sachsen-Anhalt wurden zeitweise in Gewahrsam genommen. Ein Autonomer wurde später wegen Landfriedensbruchs verurteilt. 45 Juli 2005 bis Mai 2007. 83 AUSLÄNDEREXTREMISMUS IV. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Nach wie vor ist auch die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus als Teil des weltweiten Gefahrenraumes anzusehen und inzwischen sogar in das direkte Zielspektrum entsprechender Gruppierungen gelangt. Dies belegen Pläne für Terroranschläge in Deutschland, deren Umsetzung durch die Verhaftung von drei Tatverdächtigen im September 2007 in Oberschledorn (Nordrhein-Westfalen) vereitelt werden konnte. Potenzielle Ziele dieser unmittelbar bevorstehenden Anschläge sollten - neben verschiedenen Flughäfen - USamerikanische Einrichtungen wie Kasernen, Diskotheken und Restaurants sein. Vor der Festnahme hatten Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der "Operation Alberich" über mehrere Monate hinweg die Aktivitäten dieser Personen beobachtet, die sich unter anderem äußerst konspirativ große Mengen an Chemikalien beschafft hatten. Die Festgenommenen gehören zu der von Afghanistan und Pakistan aus agierenden "Islamischen Jihad Union" (IJU). Dieser Sachverhalt und die versuchten Anschläge im Juli 2006 auf den öffentlichen Personennahverkehr in Nordrhein-Westfalen, aber auch Internetveröffentlichungen, in denen die Bundesrepublik Deutschland immer öfter als Zielobjekt islamistisch-terroristischer Gruppierungen genannt wird, belegen eine zunehmende Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus. Eine Lehre daraus ist, dass die Zusammenarbeit sämtlicher Sicherheitsbehörden und deren operative Tätigkeiten weiter ständig intensiviert und optimiert werden müssen. Die Nachbereitung der grundsätzlich erfolgreichen Arbeit von Polizei und Verfassungsschutz bei der Bewältigung der "Operation Alberich" bildet dafür eine geeignete Grundlage. Ein konkretes Beispiel für die Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden ist das im Berichtsjahr innerhalb des "Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrums" (GTAZ) in Berlin eingerichtete "Gemeinsame Internet Zentrum", mit dessen Hilfe 84 AUSLÄNDEREXTREMISMUS auch die organisatorische Voraussetzung für eine Bündelung der fachlichen Kompetenzen bei der Beobachtung und Auswertung einschlägiger Internetangebote geschaffen werden soll. Das Beobachtungsspektrum des Arbeitsbereiches Ausländerextremismus erstreckt sich über die Beobachtung des Islamismus hinaus auch auf linksextremistisch und extrem nationalistisch ausgerichtete Bestrebungen von Ausländern. Unter Beobachtung des Verfassungsschutzes stehen bundesweit 75 Ausländerorganisationen mit etwa 58.400 Personen. Das Islamismuspotenzial bilden 30 Organisationen mit insgesamt etwa 33.170 Personen, von denen die meisten der türkischen Organisation "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." zuzurechnen sind. Den größten Anteil der nichtislamistischen extremistischen Ausländervereine bilden 11.500 Kurden in 19 linksextremistischen und 10.650 Türken in 13 extrem nationalistischen Gruppierungen. In Sachsen-Anhalt ist nach wie vor lediglich der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL46) mit eigenen Organisationsstrukturen präsent. Islamistische und islamistisch-terroristische Bestrebungen In Sachsen-Anhalt sind keine fest gefügten Strukturen islamistischer Organisationen bekannt geworden. Allerdings gab es Hinweise auf Personen, die in Sachsen-Anhalt wohnen und islamistischen Gruppierungen in anderen Bundesländern zuzurechnen sind. Zur zielgerichteten und effektiven Bekämpfung solcher Aktivitäten arbeiten Polizei und Verfassungsschutzbehörde des Landes entsprechend ihrer jeweiligen gesetzlichen Aufgabenstellung im "Gemeinsamen Informationsund Auswertungszentrum islamistischer Terrorismus" (GIAZ) vertrauensvoll und eng zusammen. 46 Unter dieser Bezeichnung tritt die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) gegenwärtig auf. 85 AUSLÄNDEREXTREMISMUS Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Zu den nichtislamistischen Organisationen, von denen in SachsenAnhalt sicherheitsgefährdende und extremistische Aktivitäten ausgehen, zählen vor allem der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRAGEL), der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) und die "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP). Während der KONGRAGEL mit Vereinen in Sachsen-Anhalt präsent ist, wurden bislang keine festgefügten Strukturen anderer Organisationen festgestellt, wenngleich Aktivitäten einzelner Anhänger und Sympathisanten bekannt sind. "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) Die am 27. November 1978 in der Türkei gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) kämpfte ab 1984 im Südosten der Türkei in einem Guerillakrieg gegen das türkische Militär mit dem Ziel der Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staates. Der Mitbegründer der Organisation Abdullah ÖCALAN entwickelte sich zum unumschränkten Führer der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) und KONGRA-GEL. Gewalttätige Aktivitäten von Anhängern der PKK gegen türkische Einrichtungen in Deutschland führten am 22. November 1993 zum vereinsrechtlichen Betätigungsverbot der PKK sowie einiger ihrer Teilorganisationen. Laut Verfügung des Bundesministeriums des Innern (BMI) vom 30. Juli 2004 erstreckt sich dieses Verbot auch auf den im November 2003 gegründeten KONGRA-GEL, da wie im Fall der Umbenennung von PKK in KADEK im April 2004 auch hier Identität mit der PKK bestehe. Der am 15. Februar 1999 in Kenia festgenommene ÖCALAN wurde im Juni 1999 wegen Hochverrats in der Türkei zum Tode verurteilt. Nach der Abschaffung der Todesstrafe in der Türkei im August 86 AUSLÄNDEREXTREMISMUS 2002 wurde das Urteil im Oktober 2002 in eine lebenslange Freiheitsstrafe ohne Möglichkeit der Begnadigung umgewandelt. Die Haftbedingungen und der Gesundheitszustand des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali Inhaftierten standen im Berichtsjahr im Mittelpunkt aller Veranstaltungen von Anhängern des KONGRAGEL in Deutschland. In Sachsen-Anhalt organisierten die Mitgliedsvereine der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM)47 "Kurdisch-Deutscher Kulturverein Magdeburg e. V." und "Mezopotamien Kulturhaus e. V." (Halle) mehrere von der KONGRA-GEL-Führung beschlossene Veranstaltungen. Am 1. März gaben die Anwälte ÖCALANs auf einer Pressekonferenz in Rom bekannt, dass ihr Mandant Anzeichen einer chronischen Vergiftung durch Schwermetallverbindungen zeige. Die Verantwortung hierfür trage in erster Linie die türkische Regierung. Die Führung des KONGRA-GEL und die Jugendorganisation KOMALEN CIWAN riefen daraufhin alle Kurden auf, sich für ÖCALAN einzusetzen. Am 6. März nahmen an einem vom Verein "Mezopotamien Kultur Haus e. V." organisierten Aufzug durch die Innenstadt von Halle unter dem Motto "Gesundheitszustand ÖCALANs in der Haft - Vergiftung ÖCALANs in der Haft" etwa 200 Personen teil. Im Demonstrationszug wurden Fahnen und Transparente mit ÖCALAN-Bildern und dem Slogan "Freiheit für ÖCALAN" gezeigt. Am 21. April beteiligten sich in Magdeburg etwa 150 Personen an einem Aufzug mit Abschlusskundgebung unter dem Motto "Vorfälle um ÖCALAN". Während des Aufzuges wurden Fahnen mit dem Bildnis ÖCALANs und ein Transparent mit der Aufschrift "Der türkische Staat vergiftet ÖCALAN" gezeigt. 47 Die am 27. März 1994 gegründete "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) fungiert als Dachverband der örtlichen Kurdenvereine. 87 AUSLÄNDEREXTREMISMUS Als Reaktion auf einen Anschlag am 14. August in der Region Shengal (Nordirak), bei dem nach Angaben der KONGRA-GELnahen Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" etwa 500 Menschen - hauptsächlich yezidische Kurden - ums Leben gekommen seien, organisierten Kurden in Europa zahlreiche Kundgebungen. Zu dem Anschlag bekannte sich eine hier bislang unbekannte Organisation mit der Bezeichnung "Türk Intikam Birligi/Türkische Racheeinheiten" (TIB). Diese gab an, einen gegen Turkmenen gerichteten Bombenanschlag in der irakischen Stadt Tuz-Humartu gerächt zu haben. Der Anschlag wurde vom KONGRA-GEL und ihm nahe stehenden Organisationen in mehreren Erklärungen als Massaker verurteilt. Der "Yeni Özgür Politika" zufolge bezeichnete der im Juni wiedergewählte KONGRA-GEL-Vorsitzende Zübeyir AYDAR den Anschlag als "ethnische Säuberung" mit dem Ziel, die Kurden aus dem Gebiet zu vertreiben. Auf dem Marktplatz in Halle fand am 30. August eine Kundgebung unter dem Motto "Gedenken an das Massaker in Shengal" mit etwa 80 Teilnehmern statt. Der Zeitraum vom 2. bis zum 4. November war geprägt von zahlreichen Veranstaltungen im Zusammenhang mit dem kurdischtürkischen Konflikt im Grenzgebiet zwischen der Türkei und dem Irak. Anhänger des KONGRA-GEL demonstrierten in mehreren deutschen Großstädten. In Magdeburg beteiligten sich am 4. November etwa 220 Personen an einem vom "Kurdisch-Deutschen Kulturverein Magdeburg e. V." initiierten Aufzug mit Abschlusskundgebung unter dem Motto "Gegen Krieg - Freiheit für ÖCALAN". Vor Beginn des Aufzuges wurden unter den Versammlungsteilnehmern 30 Fahnen mit dem Konterfei ÖCALANs und PKK-Symbolen verteilt. Dies stellte einen Verstoß gegen die Auflagenverfügung der Versammlungsbehörde dar. Die Fahnen wurden nach Aufforderung der Polizei wieder eingerollt. Des Weiteren stellten Polizeibeamte einen Teppich mit Symbolen der PKK sicher. 88 AUSLÄNDEREXTREMISMUS Strafund Gewalttaten Die Anzahl der Strafund Gewalttaten im Bereich Ausländerextremismus blieb auch im Berichtsjahr sehr gering. 48 48 Siehe Statistik Seite 128 f. Für die Erfassung von Straftaten ist der Polizeibereich federführend zuständig. 89 SPIONAGEABWEHR V. SPIONAGEABWEHR Allgemeines Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein Schwerpunkt der Aufklärungstätigkeit der Nachrichtendienste zahlreicher fremder Staaten. Diesbezüglich entwickelten neben den Nachrichtendiensten der Volksrepublik China die Dienste der Russischen Föderation die intensivsten Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus registrierten die Verfassungsschutzbehörden weitere starke Aufklärungstätigkeiten auch von anderen Ländern aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), hier insbesondere von der Republik Belarus (Weißrussland). Spionageaktivitäten gehen zudem von Staaten aus dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten aus. In diesem Zusammenhang sind insbesondere der Iran, Syrien und Nordkorea zu nennen. Nachrichtendienste fremder Staaten sind in Deutschland in unterschiedlicher Personalstärke an den amtlichen und halbamtlichen Vertretungen ihrer Länder präsent. Ihre in diesen so genannten Legalresidenturen auf Tarndienstposten als "Diplomaten" oder "Journalisten" eingesetzten Mitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentralen der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Gelingt es der Spionageabwehr, solchen "Diplomaten" statuswidrige Aktivitäten nachzuweisen, kann dies zur Ausweisung der betreffenden Personen aus Deutschland führen. Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste zielen darauf ab, Informationen aus den klassischen Schwerpunkten der Spionage wie Politik, Wirtschaft und Militär zu gewinnen oder den technologischen Abstand ihrer Länder zu den führenden Industrienationen zu verringern. Entsprechend gewinnt die Industrieund Wirtschaftsspionage zunehmend an Bedeutung, zumal auf diesem Wege Kosten 90 SPIONAGEABWEHR und Zeit für eigene technologische Entwicklungen eingespart werden. Zur Umsetzung ihrer Ziele versuchen solche fremden Nachrichtendienste, ausgewählte und für sie interessante Personen anzusprechen, um sie für eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zu gewinnen. Die Kontaktaufnahme (Ansprache) erfolgt oft legendiert. Dies bedeutet, dass die jeweiligen Zielpersonen häufig zunächst nicht über die wahren Hintergründe sowie die Tatsache, dass es sich bei ihrem Gesprächspartner um einen Mitarbeiter eines Nachrichtendienstes handelt, informiert sind. Für eine Ansprache gefährdet sind insbesondere Personen, die ursprünglich aus den Herkunftsländern der fremden Dienste stammen, mittlerweile jedoch in der Bundesrepublik Deutschland ansässig sind. Bei Ablehnung einer nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit wird den betreffenden Personen oder ihren in der Heimat lebenden Angehörigen oftmals mit Repressalien gedroht. Ins Visier geraten aber auch Bundesbürger. Diese werden insbesondere bei Reisen in die Herkunftsländer der fremden Nachrichtendienste von diesen angesprochen. Generell gilt, dass solche Dienste auf eigenem Territorium deutlich offensiver agieren. Chinesische Nachrichtendienste Im Blickfeld der breiten Öffentlichkeit sind die chinesischen Nachrichtendienste insbesondere seitdem bekannt wurde, dass zahlreiche Computer in Bundesministerien und solche des Bundeskanzleramtes mit Spionageprogrammen aus China infiziert wurden. Nach Aussage von Experten hätten diese den Abfluss von 160 Gigabyte an Daten verhindert. Die Angriffe sind nach Einschätzung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) offensichtlich auf Hacker aus dem Bereich der chinesischen Volksbefreiungsarmee zurückzuführen und damit dem chinesischen Staat zuzuordnen. Die chinesische Regierung bestritt diese Vorwürfe oder versuchte sie zu relativieren, versprach aber 91 SPIONAGEABWEHR anlässlich eines Besuches von Bundeskanzlerin MERKEL in China mehr oder minder, solche Hackerangriffe einzustellen. Gleichwohl stehen 60 Prozent der von den Verfassungsschutzbehörden diesbezüglich erkannten Verdachtsfälle im Zusammenhang mit chinesischen Spionageaktivitäten. Auch der deutsche Mittelstand und somit auch Betriebe aus Sachsen-Anhalt sind verstärktes Ziel von Hackerangriffen. China betreibt in Deutschland hauptsächlich Wirtschaftsspionage, und zwar in erster Linie auf dem elektronischen Sektor. Besonders groß ist das Risiko hierbei für solche deutschen Mittelständler, die ihr Netzwerk nicht durch eine aufwendige Sicherheitsarchitektur schützen können, die in großen Betrieben bereits Standard ist. Ein neues Sicherheitsrisiko stellt hierbei die bei Firmen beliebte Internet-Telefonie dar. Hier potenzieren sich zwei Gefahren: Kommunikation auf der einen und das Internet auf der anderen Seite. Eine weitere mögliche Gefahrenquelle stellen zudem Praktikanten, Gaststudenten, Doktoranden und wissenschaftliche Mitarbeiter unter anderem aus China dar. Insbesondere chinesische Dienste nutzen die ausgeprägte Heimatverbundenheit ihrer Landsleute und versuchen, diese zu einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit zu verpflichten. Dies wird befördert durch einen hohen Organisationsgrad der hier lebenden Chinesen, die in unzähligen Vereinen - zumeist unter Kontrolle der amtlichen chinesischen Vertretungen - zusammengefasst sind. Im Vordergrund steht für die chinesischen Nachrichtendienste nicht die Entsendung ausgebildeter Agenten in deutsche Unternehmen und Forschungsinstitute, sondern vielmehr die Nutzung unzähliger so genannter Non-Professionals mit Zugang zu westlichem Know-how, ausgestattet mit Fleiß, Bildungshunger, Karrieredenken und Erwerbsstreben. Die in Deutschland einsetzende öffentliche Diskussion über die Gefahren der Markenpiraterie, des illegalen Technologietransfers und 92 SPIONAGEABWEHR des Diebstahls geistigen Eigentums durch chinesische Stellen und Unternehmen hat inzwischen zu einer steigenden Sensibilisierung in der deutschen Wirtschaft und Politik geführt. Die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung im Ausland obliegt überwiegend dem "Ministry for State Security" (MSS) und dem Militärischen Informationsdienst "Military Intelligence Department" (MID). Das Interesse des MSS gilt den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Technik und Forschung sowie den als staatsfeindlich definierten Organisationen und Gruppen. Beim MID handelt es sich um einen von mehreren militärischen Nachrichtendiensten innerhalb des Generalstabes der "Volksbefreiungsarmee". Sein Interesse richtet sich auf solche Informationen, die für Chinas Außenund Sicherheitspolitik sowie für die Modernisierung der Streitkräfte von Bedeutung sind. Die allseits guten Beziehungen zwischen China und Deutschland sowie die exportorientierte deutsche Wirtschaft begünstigen seit Jahren einen intensiven aber auch einseitigen Abfluss von Knowhow auf vielen Fachgebieten in Richtung China. China ist an allen technologischen Innovationen in Deutschland interessiert und versucht auf vielfältigen Wegen, sich diese zu beschaffen. Dazu gehören das Bekunden von Kaufinteresse, das Angebot von Kooperationen, der Austausch von Fachkräften sowie die Entsendung von Delegationen. Nachrichtendienste der Russischen Föderation Auch die Aufklärungsaktivitäten der russischen Nachrichtendienste gegen die Bundesrepublik Deutschland halten unvermindert an oder sollen sogar noch intensiviert werden. Auch die russischen Nachrichtendienste werden über ihre klassische Ausrichtung hinaus vermehrt zum Zwecke der Wirtschaftsspionage eingesetzt. Neben dem für die Auslandsaufklärung zuständigen SWR (Sluschba Wneschnej Raswedki) und dem militärischen Nachrichtendienst 93 SPIONAGEABWEHR GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) existiert in der Russischen Föderation der FSB (Federalnaja Sluschba Besopasnosti) als eigentlicher Inlandsnachrichtendienst. Dieser betreibt im Rahmen seiner Abwehraktivitäten eine intensive Internetüberwachung. Zu diesem Zweck müssen alle russischen Anbieter von Internetzugängen dem FSB einen ständigen Zugriff auf den gesamten, über Russland abgewickelten Datenverkehr ermöglichen. Auch die Telefongesellschaften des Landes sind verpflichtet, dem FSB einen permanenten Zugang zu Informationen über Telefonkunden, deren Ferngespräche und die angefallenen Gebühren zu gewähren. Dadurch erhält der FSB die Möglichkeit, telefonische Kontakte, deren Intensität sowie den Aufenthalt der Gesprächsteilnehmer zum Zeitpunkt der Telefonate festzustellen und die so gewonnenen Daten für nachrichtendienstliche Zwecke zu nutzen. Daher müssen auch ausländische Staatsangehörige in Russland damit rechnen, bei der Nutzung des Internets oder durch Telefongespräche in das Blickfeld des FSB zu geraten und gezielt nachrichtendienstlich überwacht zu werden. Zu den weiteren Aufgaben des etwa 350.000 Mitarbeiter zählenden FSB zählt auch der Kampf gegen den internationalen Terrorismus. So genannte Antiterroroperationen in Tschetschenien und im Nordkaukasus erfolgen daher unter der Führung des FSB und mit den von ihm unterhaltenen Truppen. Der FSB ist auch für die Kontrolle einund ausreisender Personen zuständig. In diesem Zusammenhang wurde ihm im Rahmen der 2003 eingeleiteten Reorganisation der Schutz der Staatsgrenze übertragen. Der SWR ist der zivile Auslandsnachrichtendienst der Russischen Föderation. Seine Personalstärke beträgt etwa 13.000 Mitarbeiter. Neben der Informationsbeschaffung aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik wurden dem SWR auch Aufgaben im Bereich der Fernmeldeaufklärung übertragen. Eine generelle Aufgabenstellung des SWR ist die personelle und methodische 94 SPIONAGEABWEHR Aufklärung westlicher und hier vor allem bundesdeutscher Nachrichtendienste. Neben dem SWR entwickelt auch die GRU, der militärische Auslandsnachrichtendienst der Russischen Föderation, Aktivitäten auf deutschem Boden und gegen die Bundesrepublik Deutschland. Die GRU untersteht dem russischen Verteidigungsministerium und besteht aus etwa 12.000 Mitarbeitern. Zielsetzung der GRU ist insbesondere die Aufklärung der Bundeswehr, des westeuropäischen Verteidigungsbündnisses und der NATO. Es besteht darüber hinaus ein starkes Interesse an Informationen über militärisch nutzbare Forschungsergebnisse aus dem Bereich der Rüstungsindustrie. Im Rahmen ihrer Aktivitäten versuchen die russischen Nachrichtendienste gezielt, Personen unter den deutschstämmigen Spätaussiedlern für eine geheimdienstliche Agententätigkeit zu gewinnen. Weitere Informationen werden darüber hinaus durch die Befragung von Landsleuten gewonnen, die sich aus beruflichen Gründen zeitweise in Deutschland aufhielten. Als Beispiel sei hier die Befragung von in Deutschland lernenden russischen Studenten nach deren Rückkehr in ihre Heimat genannt. Nachrichtendienste der Republik Belarus (Weißrussland) Die Nachrichtendienstangehörigen der Botschaft in Berlin und der Außenstelle in Bonn betreiben in erster Linie offene Informationsbeschaffung. Da der weißrussische Präsident LUKASCHENKO eine Bedrohung durch oppositionelle Bewegungen und deren Unterstützung durch das Ausland fürchtet, werden Ausländer während ihres Aufenthaltes in Weißrussland intensiv überwacht. Dies sollte bei Reisen nach Weißrussland in jedem Fall berücksichtigt werden. 95 SPIONAGEABWEHR Nachrichtendienste aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas Die Nachrichtendienste dieser Staaten zielen durch ihre Aktivitäten vor allem auf die Aufklärung solcher in der Bundesrepublik Deutschland lebender Personen ab, die in Opposition zu den jeweiligen Regimen ihrer Heimatländer stehen. Hierzu wird die Aufklärung und Unterwanderung der in Deutschland lebenden Landsleute betrieben. Um entsprechende Personen für eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zu gewinnen, wird nicht selten massiver psychischer Druck ausgeübt. In diesem Zusammenhang sind insbesondere der iranische Nachrichtendienst VEVAK (Vezerate Etala'at Va Amniate Keshvar) sowie die syrischen Dienste zu erwähnen. Letztere haben in Deutschland ein Informantennetz aufgebaut. Proliferation1 Insbesondere im Zusammenhang mit den Problemregionen des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens ist der Proliferation nach wie vor eine immense Bedeutung beizumessen. Dies gilt vor allem für den Iran und sein Interesse an der Nutzung der Kerntechnologie. Der Iran scheint weiterhin fest entschlossen, sein Atomprogramm zu realisieren. Demzufolge ist auch weiterhin mit entsprechenden nachrichtendienstlich gesteuerten Beschaffungsmaßnahmen für Technologie und Material zu rechnen. Aufgabe der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes ist es auch, von fremden Geheimdiensten gesteuerte oder durch fremde Staaten mit verdeckten Mitteln und Methoden betriebene Proliferationsvorgänge zu analysieren. Zudem wird durch Informationsweitergabe an die Strafverfolgungsbehörden im Fall erkannter beabsichtigter illegaler Beschaffung zu deren Verhinderung beigetragen. 1 Unter dem Begriff Proliferation versteht man die Weitergabe von atomaren, biologischen und chemischen Waffen (ABC-Waffen) und deren Trägersystemen sowie von Mitteln und Know-how zu deren Herstellung an Länder, von denen zu befürchten ist, dass von dort aus diese Waffen in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. 96 SPIONAGEABWEHR Die von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder unter dem Titel "Proliferation - das geht uns an!" erstellte Broschüre kann im Internet unter www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz abgerufen werden. Die Verfassungsschutzbehörde bietet allen in der gewerblichen Wirtschaft und der Wissenschaft Tätigen eine Sicherheitspartnerschaft an. Ziel dieser Partnerschaft ist es, durch Informationen, vertrauensvollen Dialog und Sensibilisierung Wirtschaftsspionage sowie Proliferation zu erkennen und letztlich zu verhindern. Mitarbeit der Bevölkerung Eine wirkungsvolle Spionageabwehr ist nur mit Hilfe der Bevölkerung möglich. Die Verfassungsschutzbehörde des Landes SachsenAnhalt geht daher Hinweisen auf die Tätigkeit fremder Nachrichtendienste nach und bittet alle Bürgerinnen und Bürger, die von derartigen Sachverhalten Kenntnis haben oder von fremden Nachrichtendiensten zur Mitarbeit aufgefordert wurden, ihr Wissen im Interesse unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der eigenen Sicherheit weiterzugeben. Dies gilt auch für diejenigen, die bereits im fremden Interesse nachrichtendienstlich tätig geworden sind. Ihnen kann geholfen werden, sich aus einer ausweglos erscheinenden Situation zu befreien. Die Verfassungsschutzbehörden unterliegen nicht wie die Strafverfolgungsbehörden dem Legalitätsprinzip und sind daher nicht in jedem Fall verpflichtet, die Strafverfolgungsbehörden über Hinweise auf Spionagedelikte zu informieren. Voraussetzung hierfür ist jedoch die freiwillige Aufgabe der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und eine umfassende Offenbarung. Die Verfassungsschutzbehörde bietet hierzu jederzeit ihre Hilfe an und sichert Vertraulichkeit zu. 97 SPIONAGEABWEHR Die Spionageabwehr der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt ist wie folgt zu erreichen: Telefon: 0391/567 3900 Fax: 0391/567 3999 E-Mail: vschutz@mi.sachsen-anhalt.de 98 GEHEIMSCHUTZ VI. GEHEIMSCHUTZ Allgemeines Alle Institutionen des Bundes und der Länder sowie die Bevölkerung selbst müssen sich darauf verlassen können, dass Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden kann, als im staatlichen Interesse geheimzuhaltende Informationen (Verschlusssachen - VS) wirkungsvoll geschützt werden. Besondere vorbeugende Maßnahmen, der so genannte personelle und materielle Geheimschutz, sollen dies gewährleisten. Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der NATO und anderer überoder zwischenstaatlicher Einrichtungen gehalten, bestimmte Sicherheitsnormen zu erfüllen. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 4 Absatz 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) bei Geheimschutzverfahren im Behördenund Wirtschaftsbereich mit. Das Verfahren ist im sachsen-anhaltischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz (SÜG-LSA) geregelt.50 Geheimschutz im Behördenbereich Personeller Geheimschutz Maßgeblich für den personellen Geheimschutz ist die Sicherheitsüberprüfung. Sie ist notwendige Voraussetzung für die Ermächtigung einer Person zum Zugang zu im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Informationen (Verschlusssachen). Im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde 50 Siehe auch Seite 102. 99 GEHEIMSCHUTZ festzustellen, ob eine Person für eine sicherheitsempfindliche Position geeignet ist. Dabei gilt es, etwaige Sicherheitsrisiken herauszufinden oder auszuschließen. Ferner berät die Verfassungsschutzbehörde in Fragen des Geheimschutzes die Geheimschutzbeauftragten der Ministerien sowie der oberen und mittleren Landesbehörden. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz befasst sich mit technischen und organisatorischen Sicherheitsvorkehrungen, die verhindern oder zumindest erschweren sollen, dass Unbefugte an geschützte Informationen gelangen. Die Verfassungsschutzbehörde hat hierbei die Aufgabe, öffentliche Stellen des Landes zu beraten, wie sie am besten technische Sicherungsmaßnahmen planen und durchführen können. Geheimschutz in der Wirtschaft Neben den erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Geheimschutzes in Behörden muss der Staat auch sensible Bereiche der Wirtschaft schützen, die mit der Ausführung geheimhaltungsbedürftiger öffentlicher Aufträge betraut sind. Die Erfahrungen haben auch im Berichtsjahr gezeigt, dass sich die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste nicht nur gegen staatliche Institutionen, sondern auch gegen Wirtschaftsunternehmen richten. Ein wirksames Geheimschutzsystem soll hier gewährleisten, dass die gegen die deutsche Wirtschaft gerichteten Ausspähungsversuche durch gezielte Maßnahmen im vorbeugenden Bereich abgewehrt werden können, um irreparable Schäden zu vermeiden. 100 ALLGEMEINES VII. VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSEN-ANHALT Rechtliche Grundlagen Die geschichtlichen Erfahrungen der Weimarer Republik, die sich den Angriffen von rechts und links schutzlos ausgesetzt sah und schließlich vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten kapitulieren musste, veranlassten die Verfasser des Grundgesetzes, die Bundesrepublik Deutschland als streitbare Demokratie zu gestalten. Deshalb enthält das Grundgesetz (GG) Schutzvorkehrungen zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung: - die Verwirkung bestimmter Grundrechte, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Art. 18 GG), - das Recht, Parteien (Art. 21 Abs. 2 GG) und sonstige Vereinigungen (Art. 9 Abs. 2 GG) zu verbieten, wenn diese darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, - die Unabänderlichkeit wesentlicher Grundsätze der Verfassung wie zum Beispiel des Schutzes der Menschenwürde und fundamentaler Verfassungsgrundsätze (Art. 79 Abs. 3 GG). Die Einrichtung von Verfassungsschutzbehörden ist Ausdruck der Entscheidung des Grundgesetzgebers für eine wehrhafte Demokratie. Er hat dem Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (Art. 73 Nr. 10b und Nr. 10c GG) zugewiesen und ihn zur Einrichtung von Zentralstellen zur Sammlung von Unterlagen für Zwecke des Verfassungsschutzes (Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) ermächtigt. 101 ALLGEMEINES Das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG)51 regelt unter anderem den gemeinsamen Aufgabenrahmen der Verfassungsschutzbehörden und ihre Zusammenarbeit. Das BVerfSchG verpflichtet die Länder zur Einrichtung von Landesbehörden für den Verfassungsschutz. Die Länder haben ihre Verfassungsschutzbehörden entweder als Teil des Ministeriums des Innern oder als selbstständige Landesbehörde organisiert. Seit April 1999 wird die Aufgabe des Verfassungsschutzes in Sachsen-Anhalt durch eine Abteilung des Ministeriums des Innern wahrgenommen. Einrichtung, Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde werden durch das Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) geregelt. Das Gesetz ist im Jahr 2005 umfassend novelliert worden und im Februar 2006 in Kraft getreten.52 Zugleich ist das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Land Sachsen-Anhalt (AG G 10-LSA) in novellierter Fassung in Kraft getreten.53 Hierin finden sich die landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen für Maßnahmen, die in das Grundrecht nach Art. 10 GG eingreifen. Zudem ersetzt das Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz (SÜG-LSA)54 die bisher geltenden Richtlinien für die Sicherheitsüberprüfung von Personen im Rahmen des Geheimschutzes (Sicherheitsrichtlinien - SiR-LSA). Aufgaben des Verfassungsschutzes Aufgabe der sachsen-anhaltischen Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und die Auswertung von Informationen über 51 BGBl. 1990, Teil I, S. 2954, 2970, zuletzt geändert durch SS 32 des Gesetzes vom 27. November 2007 (BGBl. 2007, Teil I, S. 2590). 52 GVBl. 2007 LSA 2006, S. 236, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. November 2006 (GVBl. LSA 2006, S. 524). 53 GVBl. LSA 2006, S. 25; Bundesrecht: Artikel 10-Gesetz - G 10 (BGBl. 2001 Teil I, S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. Februar 2007 (BGBl. 2007 Teil I, S. 106). 54 GVBl. LSA 2006, S. 14. 102 ALLGEMEINES 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129, 129a des Strafgesetzbuches, 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 5. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Im Rahmen des Geheimschutzes und des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes wirkt die Verfassungsschutzbehörde bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen des öffentlichen und nichtöffentlichen Bereichs mit. Sie berät zudem bei technischen Sicherheitsmaßnahmen. Zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde zählt auch die Mitwirkung bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Aufenthalts-, dem Staatsangehörigkeits-, dem Luftsicherheits-, dem 103 ALLGEMEINES Sprengstoffund dem Atomgesetz sowie nach der Bewachungsverordnung. Um im Sinne eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes alle relevanten Erkenntnisse in Bezug auf den islamistischen Extremismus und Terrorismus zentral auswerten zu können, ist das Gemeinsame Informationsund Analysezentrum (GIAZ) geschaffen worden. Im GIAZ arbeiten Mitarbeiter von Verfassungsschutz und Polizei unter Beachtung des Trennungsgebotes und der für die jeweilige Behörde geltenden Rechtsvorschriften zusammen. Keine polizeilichen Befugnisse Die Verfassungsschutzbehörde hat keine polizeilichen Befugnisse. Ihre Mitarbeiter sind also nicht berechtigt, zu verhören, zu verhaften, festzunehmen, anzuhalten, zu beschlagnahmen oder zu durchsuchen. Die Verfassungsschutzbehörde darf auch nicht im Wege der Amtshilfe die Polizei um die Durchführung von Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. Methoden und Mittel nachrichtendienstlicher Tätigkeit Wo die offene Informationserhebung nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht, darf die Verfassungsschutzbehörde unter den Voraussetzungen des SS 8 VerfSchG-LSA nachrichtendienstliche Mittel einsetzen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kann dann erforderlich werden, wenn eine Organisation oder Gruppierung sich nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit zusammenfindet oder sich generell konspirativ verhält, um ihre wahren Absichten zu verschleiern. Weil der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre und die Freiheitsrechte des Einzelnen darstellt, ist er nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhaltes auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise nicht möglich ist und nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. 104 ALLGEMEINES Ein wichtiges nachrichtendienstliches Mittel ist der Einsatz von Vertrauensleuten (kurz: V-Leuten). Bei V-Leuten handelt es sich um Personen, die gezielt zur verdeckten Beschaffung von Informationen eingesetzt werden. V-Leute sind keine Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde. Die Steuerung extremistischer Gruppierungen oder Organisationen durch V-Leute ist unzulässig. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählt auch die Brief-, Postund Telefonkontrolle. Der hiermit verbundene Eingriff in das Grundrecht nach Artikel 10 GG ist nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes zulässig. Die Verfassungsschutzbehörde ist im Rahmen detaillierter gesetzlicher Regelungen befugt, die Telekommunikation zu überwachen und aufzuzeichnen, sowie die dem Briefoder Postgeheimnis unterliegenden Sendungen zu öffnen und einzusehen.55 Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall und unter engen rechtlichen Voraussetzungen den so genannten IMSI-Catcher einsetzen, mit dem die Geräteund die Kartennummer sowie der Standort eines Mobiltelefons ermittelt werden können. Datenschutz Zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erhobene personenbezogene Daten sind nach den einschlägigen Datenschutzvorschriften, insbesondere den im Verfassungsschutzgesetz enthaltenen datenschutzrechtlichen Bestimmungen zu behandeln. Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten nicht unbefristet oder auf Vorrat speichern. War eine Speicherung in einer Datei unzulässig oder ist die Kenntnis der gespeicherten Daten zur Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich, ist eine Löschung vorzunehmen. In diesem Fall sind zugleich die zur Person geführten Akten zu vernichten. Daten von Minderjährigen unterliegen besonderen Schutzbestimmungen (SSSS 10, 21 VerfSchG-LSA). 55 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) BGBl. 2001 Teil I, S. 1254, 2298, zuletzt geändert durch SS 78 Abs. 1 des Gesetzes vom 23. November 2007 (BGBl. 2007 Teil I S. 2614). 105 ALLGEMEINES Personenbezogene Daten dürfen nur unter engen rechtlichen Voraussetzungen an Dritte übermittelt werden. So übermittelt die Verfassungsschutzbehörde den Strafverfolgungsbehörden personenbezogene Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass diese Datenübermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von gravierenden Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Auskunftserteilung Jedermann kann unentgeltliche Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten beantragen. Die Verfassungsschutzbehörde ist nach SS 14 VerfSchG-LSA grundsätzlich verpflichtet, Auskunft zu erteilen. Die Auskunft hat jedoch zu unterbleiben, wenn bestimmte, im Gesetz geregelte Ausschlussgründe vorliegen. Ein solcher Ausschlussgrund ist beispielsweise gegeben, wenn durch die Auskunftserteilung eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde drohen würde. Kontrolle Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt der Kontrolle durch den Landtag. Diese Aufgabe nimmt die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK)56 wahr. Hiervon bleiben die anderen Rechte des Landtages und seiner Ausschüsse unberührt. Die Landesregierung hat diese Kommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Die aus Abgeordneten des Landtages bestehende PKK tritt mindestens vierteljährlich zusammen. Grundsätzlich hat die PKK das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von Auskunftspersonen. 56 Durch das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt vom 16. November 2006 (GVBl. LSA, S. 524) wurde die Anzahl der Kommissionsmitglieder von bislang drei auf nunmehr vier Abgeordnete des Landtages von Sachsen-Anhalt erhöht. 106 ALLGEMEINES In den Fällen der oben dargestellten Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz57 und der Wahrnehmung von besonderen Auskunftsbefugnissen nach SS 17a VerfSchG-LSA sowie im Falle des Einsatzes des IMSI-Catchers58 erfolgt die Kontrolle durch ein eigens dafür eingesetztes Gremium, die G 10-Kommission. Deren Kontrollbefugnis erstreckt sich auf den gesamten Prozess der Verarbeitung und Nutzung der erlangten personenbezogenen Daten. Zusätzlich wird die Landesregierung auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz, den Landesrechnungshof und die Gerichte kontrolliert. Schließlich unterliegt die Verfassungsschutzbehörde einer faktischen Kontrolle durch die Berichterstattung der Medien und die öffentliche Meinung. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Durch ihre Öffentlichkeitsarbeit leistet die Verfassungsschutzbehörde einen wichtigen Beitrag in der geistig-politischen Auseinandersetzung mit extremistischem und terroristischem Gedankengut und dient damit dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Regierung und Parlament, aber auch die Bürger werden durch den Verfassungsschutz über die Aktivitäten und Absichten der verfassungsfeindlichen Organisationen informiert. Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde halten Vorträge über - die Institution des Verfassungsschutzes und - offen verwertbare Ergebnisse der nachrichtendienstlichen Facharbeit. 57 Siehe Seite 105. 58 Siehe Seite 105. 107 ALLGEMEINES Der Unterrichtung der Öffentlichkeit dient der Verfassungsschutzbericht. Die Verfassungsschutzberichte der letzten fünf Jahre können im Internet unter der Adresse www.mi.sachsen-anhalt.de/verfassungsschutz heruntergeladen werden. 108 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) In der Fassung der Bekanntmachung vom 6. April 2006 (GVBl. LSA S. 236), geändert durch Gesetz vom 16. November 2006 (GVBl. LSA S. 524) Inhaltsübersicht Erster Teil: ORGANISATION UND AUFGABEN SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 2 Organisation und Zusammenarbeit SS 3 Bedienstete und Mitarbeiter SS 4 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde SS 5 Begriffsbestimmungen Zweiter Teil: ERHEBUNG, VERARBEITUNG UND NUTZUNG PERSONENBEZOGENER DATEN SS 6 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 7 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 8 Besondere Formen der Datenerhebung SS 9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS 10 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien SS 12 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Daten in Akten SS 13 (weggefallen) Dritter Teil: AUSKUNFT SS 14 Auskunft an die betroffene Person Vierter Teil: INFORMATIONSÜBERMITTLUNG SS 15 Unterrichtungspflichten SS 16 Zulässigkeit von Ersuchen der Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung personenbezogener Daten 109 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 17 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde durch öffentliche Stellen SS 17a Übermittlung von besonderen Informationen an die Verfassungsschutzbehörde SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde SS 19 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an die Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes SS 20 Übermittlungsverbote SS 21 Minderjährigenschutz SS 22 Pflichten des Dritten, an den übermittelt wird SS 23 Nachberichtspflicht SS 23a Weitergabe personenbezogener Daten Fünfter Teil: PARLAMENTARISCHE KONTROLLE SS 24 Parlamentarische Kontrollkommission SS 25 Zusammensetzung und Wahl SS 26 Verfahrensweise SS 27 Aufgaben und Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission SS 28 Beteiligung des Landesbeauftragten für den Datenschutz SS 29 Datenerhebung bei Mitgliedern des Landtages Sechster Teil: SCHLUSSVORSCHRIFTEN SS 30 Geltung des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger SS 30a Einschränkung von Grundrechten SS 30b Sprachliche Gleichstellung SS 31 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Erster Teil ORGANISATION UND AUFGABEN SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Er hat die Landesregierung und andere Stellen nach Maßgabe dieses Gesetzes über Gefahren für diese Schutzgüter zu unterrichten. Dadurch sollen diese Stellen rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen ergreifen können. (3) Er hat auch die Öffentlichkeit über seine Aufgabenfelder zu unterrichten. 110 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS2 Organisation und Zusammenarbeit (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Ministerium des Innern. Es unterhält für diese Aufgabe eine besondere Abteilung. (2) Die für Verfassungsschutz zuständige Abteilung im Ministerium des Innern nimmt ihre Aufgaben gesondert von der Polizeiorganisation wahr. (3) Sie ist verpflichtet, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes mit dem Bund und den Ländern zusammenzuarbeiten. (4) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Sachsen-Anhalt im Rahmen der Bestimmungen dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden. SS3 Bedienstete und Mitarbeiter (1) Die Mitarbeiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung im Ministerium des Innern haben sich einem Sicherheitsüberprüfungsverfahren nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes zu unterziehen, welches insbesondere auf Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit oder das Amt für nationale Sicherheit der Deutschen Demokratischen Republik überprüft und in das der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einbezogen wird. (2) Personen, die dem Repressionsapparat der Deutschen Demokratischen Republik angehörten, insbesondere hauptamtliche oder inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, Mitarbeiter der Abteilung I der Kriminalpolizei und ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands dürfen nicht mit Aufgaben des Verfassungsschutzes betraut werden; Personen mit Offiziersrang der bewaffneten Organe der Deutschen Demokratischen Republik dürfen Aufgaben des Verfassungsschutzes nur in zu begründenden Ausnahmefällen übertragen werden. SS4 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 111 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129, 129a des Strafgesetzbuches, 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 5. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. SS5 Begriffsbestimmungen (1) Es gelten folgende Begriffsbestimmungen: a) Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes im Sinne dieses Gesetzes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. b) Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes im Sinne dieses Gesetzes sind solche politisch bestimmten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. c) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. 112 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie zielund zweckgerichtet unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, c) das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung der parlamentarischen Opposition, d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, e) die Unabhängigkeit der Gerichte, f) der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und g) die im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt konkretisierten Menschenrechte. Zweiter Teil ERHEBUNG, VERARBEITUNG UND NUTZUNG PERSONENBEZOGENER DATEN SS6 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Eine Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. Von mehreren geeigneten Maßnahmen ist diejenige zu wählen, die die betroffene Person voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS7 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen, 113 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. (2) Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des SS 4 Abs. 1. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen Informationen verdeckt erheben. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffung regelt. (4) Die Behörden des Landes sind verpflichtet, den Verfassungsschutzbehörden technische und verwaltungsmäßige Hilfe für Tarnmaßnahmen zu leisten. (5) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. (6) Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Die betroffene Person ist auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben und bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 4 Abs. 2 auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (7) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). SS8 Besondere Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Nachrichtenzugänge gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge der Verfassungsschutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung nach Satz 1 ist nur zulässig, wenn die Daten nicht auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise erhoben werden können. Die Anwendung 114 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen gemeinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Gefahr für das Leben einzelner Personen unerlässlich ist und geeignete verwaltungsbehördliche oder polizeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1 gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in einer Wohnung. Die Anordnung des Einsatzes technischer Mittel nach Satz 1 und 2 trifft der Richter. Bei Gefahr im Verzug kann der Minister des Innern oder der Staatssekretär im Ministerium des Innern einen solchen Einsatz anordnen; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf längstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als weitere drei Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, so ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Ein Eingriff nach Satz 1 oder 2 ist der betroffenen Person nach seiner Beendigung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffes ausgeschlossen werden kann. (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen für den Verfassungsschutz tätigen Personen vorgesehen, kann der Minister des Innern oder eine von diesem beauftragte Person deren Einsatz anordnen. Eine anderweitige Verwendung der hierbei erlangten Erkenntnisse zu Zwecken der Gefahrenabwehr oder der Strafverfolgung ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (4) Zuständiges Gericht für Entscheidungen nach den Absätzen 2 und 3 ist das Amtsgericht am Sitz der Verfassungsschutzbehörde. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. (5) Das Ministerium des Innern unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über die nach Absatz 2 und, soweit richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3 angeordneten Maßnahmen. (6) Gegen Unbeteiligte dürfen nachrichtendienstliche Mittel nicht gezielt angewendet werden. SS9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien und Akten speichern, verändern und nutzen, wenn 115 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1 erforderlich ist oder 3. die Verfassungsschutzbehörde nach SS 4 Abs. 2 tätig wird. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 4 Abs. 2 dürfen in automatisierten Dateien nur personenbezogene Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. (3) Die Speicherung von Informationen aus der engeren Persönlichkeitssphäre der betroffenen Personen in Dateien ist unzulässig. (4) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. SS 10 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 9 Daten über Minderjährige nach Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. Lebensjahres in Akten und amtseigenen Dateien speichern, verändern und nutzen. Die Speicherung in gemeinsamen Dateien im Sinne des SS 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl. I S. 1818, 1921), ist nicht zulässig. Unter den Voraussetzungen des SS 9 darf die Verfassungsschutzbehörde Daten über Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres in Akten speichern, verändern und nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 11. Februar 2005 (BGBl. I S. 239, 241), genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. (2) In Dateien oder zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 4 Abs. 1 angefallen sind. SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. In diesem Fall sind auch die zu ihrer Person 116 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ geführten Akten zu vernichten. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden. In diesem Falle sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der betroffenen Person übermittelt werden. (3) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 4 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 4 oder 5 sind spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke verwendet werden. SS 12 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Daten in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von der betroffenen Person bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat personenbezogene Daten zu sperren, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt würden und die Daten für ihre künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen entfallen. SS 13 Dateianordnungen (weggefallen) Dritter Teil AUSKUNFT SS 14 Auskunft an die betroffene Person (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt der betroffenen Person über zu ihrer Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die von der betroffenen Person nach Satz 1 mitgeteilten Informationen dürfen nur zum Zwecke der Prüfung des Auskunftsbegehrens verwendet werden. 117 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung im Ministerium des Innern oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftserteilung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist die betroffene Person auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Landesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das Ministerium des Innern im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die betroffene Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern sie nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Der Landesbeauftragte kann die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich für ihn im Einzelfall Beanstandungen ergeben, eine Auskunft an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. Vierter Teil INFORMATIONSÜBERMITTLUNG SS 15 Unterrichtungspflichten (1) Die Landesregierung unterrichtet den Landtag mindestens einmal jährlich über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1. 118 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (2) Das Ministerium des Innern unterrichtet die Öffentlichkeit periodisch und aus gegebenem Anlass im Einzelfall über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Abs. 1. (3) Es darf dabei auch personenbezogene Daten bekannt geben, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppen erforderlich ist und überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. SS 16 Zulässigkeit von Ersuchen der Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung personenbezogener Daten (1) Werden öffentliche Stellen, die nicht Nachrichtendienste sind, um Übermittlung personenbezogener Daten ersucht, so dürfen nur die Daten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bekannt sind oder aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können. (2) Absatz 1 gilt nicht für Ersuchen um solche Daten, die bei der Wahrnehmung grenzpolizeilicher Aufgaben bekannt werden. (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (4) Soweit nach anderen Rechtsvorschriften ein Übermittlungsersuchen durch den Behördenleiter zu stellen ist oder von seiner Ermächtigung abhängt, gilt als Behördenleiter der Leiter der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung im Ministerium des Innern. SS 17 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde durch öffentliche Stellen (1) Öffentliche Stellen im Sinne von SS 3 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger unterrichten von sich aus die Verfassungsschutzbehörde über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes erkennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 4 Abs. 1 Nrn. 1, 4 und 5 genannten Schutzgüter gerichtet sind. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus von sich aus der Verfassungsschutzbehörde auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen nach SS 4 Abs. 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. 119 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (3) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei sowie andere Behörden übermitteln auf Ersuchen der Verfassungsschutzbehörde die zur Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn sie nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Die Ersuchen werden durch die Verfassungsschutzbehörde aktenkundig gemacht. Unter den gleichen Voraussetzungen darf die Verfassungsschutzbehörde 1. Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, 2. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, Polizeien des Bundes und anderer Länder um die Übermittlung solcher Informationen ersuchen. (4) Würde durch die Übermittlung nach Absatz 3 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder die betroffene Person unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf die Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach SS 4 Abs. 1 sowie bei der Beobachtung terroristischer Bestrebungen amtliche Register einsehen. (5) Über die Einsichtnahme nach Absatz 4 hat die Verfassungsschutzbehörde einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (6) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nach den Vorschriften der Absätze 1 bis 3 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 übermittelten Kenntnisse und Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 und 2 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (7) Übermittelte Informationen hat die Verfassungsschutzbehörde eigenständig zu bewerten. SS 17a Übermittlung von besonderen Informationen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Der Verfassungsschutzbehörde stehen die in SS 8 Abs. 5 bis 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes geregelten Befugnisse unter den dort genannten Voraussetzungen zu. (2) Die Entscheidung über die Einholung von Auskünften nach SS 8 Abs. 5 bis 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes trifft die Verfassungsschutzbehörde. 120 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (3) Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die G 10-Kommission nach SS 4 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes über die beabsichtigten Maßnahmen vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann die Verfassungsschutzbehörde den Vollzug der Entscheidung auch vor Unterrichtung der G 10-Kommission anordnen. Die G 10-Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. Entscheidungen über Auskunftsersuchen, die die G 10-Kommission für nicht notwendig oder unzulässig erklärt, sind unverzüglich aufzuheben. (4) Die Kontrollbefugnis der G 10-Kommission erstreckt sich auf den gesamten Prozess der Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 1 erlangten personenbezogenen Daten. Für die Verarbeitung der nach Absatz 1 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunftsgeber nicht mitgeteilt werden. Für die Mitteilung an den Betroffenen ist SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. (5) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall zur Erfüllung ihrer Aufgabe nach SS 4 Abs. 1 Nr. 1, sofern die dort genannten Bestrebungen durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, Auskünfte entsprechend SS 8 Abs. 5 bis 8 des Bundesverfassungsschutzgesetzes einholen. Die Absätze 2 bis 4 gelten entsprechend. (6) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 4 Abs. 1 Nr. 1, sofern die dort genannten Bestrebungen durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, sowie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 4 Abs. 1 Nrn. 2 bis 5 auch technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteund Kartennummern einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung die Erreichung des Zwecks der Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwertungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. Die Absätze 2 bis 4 und 7 gelten entsprechend. Zum 31. Dezember 2008 ist eine Evaluierung der Maßnahmen durch die Verfassungsschutzbehörde durchzuführen und dem Landtag vorzulegen. (7) Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über die Durchführung der Absätze 1 und 5. Dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 5 zu geben. Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag von Sachsen-Anhalt jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie über Art, Umfang und Anordnungsgründe der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 5; dabei sind die Grundsätze des SS 26 Abs. 1 zu beachten. 121 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (8) Das Ministerium des Innern unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes über die nach Absatz 1 durchgeführten Maßnahmen nach Maßgabe des SS 8 Abs. 10 Satz 1 Halbsatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. Der Empfänger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. (2) Auf Anfragen der Einstellungsbehörden erteilt der Verfassungsschutz auch Auskünfte zur Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich für den öffentlichen Dienst bewerben. Die Auskunft ist beschränkt auf gerichtsverwertbare Tatsachen aus vorhandenen Unterlagen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an ausländische Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere wegen der Gefahr einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden und die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, über die vorgenommene Verwendung der Daten um Auskunft zu bitten. (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Rahmen ihrer Aufgaben nach SS 4 personenbezogene Daten an andere Stellen übermitteln, soweit dies für die Erhebung personenbezogener Daten erforderlich ist. Im Übrigen dürfen personenbezogene Daten an andere Stellen nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder ferner zur Abwehr von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten einer fremden Macht erforderlich ist und das Ministerium des Innern seine Zustimmung erteilt hat. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, über die vorgenommene Verwendung der Daten um Auskunft zu bitten. 122 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 19 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes (1) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, der Polizei von sich aus die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. (2) Delikte nach Absatz 1 sind 1. die in SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten, 2. alle Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, a) dass sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten, b) dass es sich um Bestrebungen handelt, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b und c des Grundgesetzes). (3) Die Polizei darf zur Verhinderung von Staatsschutzdelikten nach Absatz 2 die Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. (4) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben dieser Stellen erforderlich ist (SS 21 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes). SS 20 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Teils unterbleibt, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen, insbesondere bei Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre, und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 123 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen, insbesondere wenn die Informationen zu löschen waren. Die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. SS 21 Minderjährigenschutz (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 10 erfüllt sind. Liegen die Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. (2) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres aus nicht zur Person geführten Akten dürfen an ausländische, überoder zwischenstaatliche Stellen nicht übermittelt werden. SS 22 Pflichten des Dritten, an den übermittelt wird Der Dritte, an den übermittelt wird, prüft, ob die nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat er die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren und in den Akten entsprechend zu kennzeichnen. SS 23 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, so sind sie unverzüglich gegenüber dem Dritten, an den die Daten übermittelt wurden, zu berichtigen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. SS 23a Weitergabe personenbezogener Daten Für die Weitergabe personenbezogener Daten zwischen der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung und den anderen Abteilungen des Ministeriums des Innern gelten die SSSS 16 bis 23 entsprechend. 124 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Fünfter Teil PARLAMENTARISCHE KONTROLLE SS 24 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterliegt auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes der Kontrolle durch den Landtag. Diese Aufgabe nimmt die Parlamentarische Kontrollkommission wahr. (2) Die Rechte des Landtages und seiner Ausschüsse bleiben unberührt. SS 25 Zusammensetzung und Wahl (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus vier Abgeordneten des Landtages. Der größten Oppositionsfraktion steht ein Sitz in der Kontrollkommission zu. (2) Der Landtag wählt die Mitglieder der Kommission sowie die gleiche Zahl von Stellvertretern mit der Mehrheit seiner Abgeordneten. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. (4) Scheidet ein Mitglied oder ein stellvertretendes Mitglied aus dem Landtag aus oder wird es Mitglied der Landesregierung, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Kommission; es ist unverzüglich ein neues Mitglied oder ein neues stellvertretendes Mitglied zu wählen. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied oder ein stellvertretendes Mitglied aus der Kommission ausscheidet. SS 26 Verfahrensweise (1) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder und ihre Stellvertreter sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus der Kommission. Die Pflicht zur Geheimhaltung gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt. (2) Die Kommission tritt mindestens vierteljährlich, zusätzlich auf Antrag eines Mitgliedes zusammen. (3) Sie wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. Diese regelt auch, unter welchen Voraussetzungen Sitzungsunterlagen und Protokolle von den Mitgliedern der Kommission und ihren Stellvertretern eingesehen werden können. 125 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 27 Aufgaben und Befugnisse der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Die Landesregierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung. Hierzu gehört auch das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Länder und des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt. Sie berichtet auch über den Erlass von Verwaltungsvorschriften. Die Entwürfe der jährlichen Wirtschaftspläne der Verfassungsschutzbehörde werden der Kommission zur Mitberatung zugeleitet. Die Landesregierung unterrichtet die Kommission über den Vollzug der Wirtschaftspläne im Haushaltsjahr. Die Kommission hat das Recht, von sich aus Sachverhalte aufzugreifen. (2) Die Kommission hat auf Antrag mindestens eines ihrer Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von Auskunftspersonen. Der Minister des Innern kann einem bestimmten Kontrollbegehren widersprechen, wenn es im Einzelfall die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erheblich gefährden würde; er hat dies vor dem Ausschuss schlüssig zu begründen. Die besonderen Rechte parlamentarischer Untersuchungsausschüsse bleiben unberührt. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode einen Bericht über ihre bisherige Kontrolltätigkeit. Dabei sind die Grundsätze des SS 26 Abs. 1 zu beachten. (4) Die Kontrolle der Durchführung des Artikel 10-Gesetzes obliegt der G 10-Kommission. Das Nähere wird durch das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes geregelt. SS 28 Beteiligung des Landesbeauftragten für den Datenschutz Die Parlamentarische Kontrollkommission hat auf Antrag eines Mitgliedes den Landesbeauftragten für den Datenschutz zu beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, die die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten richten sich nach den Bestimmungen des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger. SS 29 Datenerhebungen bei Mitgliedern des Landtages (1) Setzt die Verfassungsschutzbehörde nachrichtendienstliche Mittel gegen ein Mitglied des Landtages von Sachsen-Anhalt ein, hat der Minister des Innern die Parlamentarische Kontrollkommission und den Präsidenten des Landtages unverzüglich hiervon zu unterrichten. 126 VERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (2) Im Falle des Absatz 1 sind der betroffenen Person nachrichtendienstliche Maßnahmen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Lässt sich in diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Sechster Teil SCHLUSSVORSCHRIFTEN SS 30 Geltung des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 4 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die SSSS 9 bis 13, 15, 16 und 26 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger keine Anwendung. SS 30a Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf 1. Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes und Artikel 17 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt), 2. Schutz personenbezogener Daten (Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt), 3. Schutz des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes und Artikel 14 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt) eingeschränkt werden. SS 30b Sprachliche Gleichstellung Personenund Funktionsbezeichnungen in diesem Gesetz gelten jeweils in weiblicher und männlicher Form. SS 31 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Satz 1 betrifft das In-Kraft-Treten. SS 17a Abs. 6 tritt am 30. Juni 2009 außer Kraft. 127 STATISTIK STRAFUND GEWALTTATENSTATISTIK59 Vorbemerkung: Bei den statistischen Angaben zu den Strafund Gewalttaten handelt es sich um Zahlen, die dem Landeskriminalamt im Rahmen des kriminalpolizeilichen Meldedienstes "Politisch motivierte Kriminalität" zu übermitteln sind. Dieser Meldedienst beruht auf einem bundesweit einheitlichen Definitionssystem, das die Sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) am 10. Mai 2001 beschlossen und rückwirkend zum 1. Januar 2001 eingeführt hat. Danach werden Straftaten nach einem einheitlichen Kriterienkatalog erfasst und einem Phänomenbereich (im Wesentlichen Politisch motivierte Kriminalität -links-, Politisch motivierte Kriminalität -rechts-, Politisch motivierte Ausländerkriminalität) zugeordnet. Zentrales Erfassungskriterium ist die politisch motivierte Tat. Der extremistischen Kriminalität - als Teilmenge der politisch motivierten Kriminalität - werden Straftaten zugerechnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, das heißt darauf, fundamentale Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Kraft zu setzen. In Sachsen-Anhalt wurden im Berichtsjahr in den Phänomenbereichen Politisch motivierte Kriminalität -links-, Politisch motivierte Kriminalität -rechtsund Politisch motivierte Ausländerkriminalität insgesamt 1.56760 (Vorjahr: 1.536) Straftaten registriert. Diese verteilen sich wie folgt: 59 Alle in dieser Statistik aufgeführten Daten entsprechen dem Stand 31. Januar 2008. 60 86 Delikte konnten bisher keinem Phänomenbereich zugeordnet werden, so dass sie bei der Darstellung der Strafund Gewalttaten unberücksichtigt geblieben sind. 128 STATISTIK Politisch motivierte Straftaten 2006 2007 nach Phänomenbereich -rechts1.240 1.350 -links291 211 Ausländerkriminalität 5 6 Davon waren: Extremistische Straftaten 2006 2007 nach Phänomenbereich -rechts1.198 1.279 -links164 49 Ausländerkriminalität 4 5 Politisch motivierte Gewalttaten 2006 2007 nach Phänomenbereich -rechts122 99 -links70 32 Ausländerkriminalität 4 0 Von den genannten politisch motivierten Gewalttaten waren: Extremistische Gewalttaten 2006 2007 nach Phänomenbereich -rechts111 87 -links57 20 Ausländerkriminalität 3 0 Fremdenfeindliche und antisemitische 2006 2007 Straftaten im Phänomenbereich -rechts-61 Fremdenfeindliche Straftaten 163 111 Antisemitische Straftaten 54 46 61 Mit Umstellung der statistischen Erfassung zum 1. Januar 2001 kann es zur Doppelerfassung einer Straftat als fremdenfeindliche und als antisemitische Straftat kommen. 129