Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 2/4785 Zweite Wahlperiode 20.05.1998 Unterrichtung Präsident des Landtages Magdeburg, 20. Mai 1998 von Sachsen-Anhalt Verfassungsschutzbericht 1997 Sehr geehrte Damen und Herren, mit Schreiben vom 19. Mai 1998 hat der Ministerpräsident des Landes SachsenAnhalt gemäß SS 15 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) vom 14. Juli 1992 (GVBl. LSA S. 590) dem Landtag den Verfassungsschutzbericht des Landes Sachsen-Anhalt 1997 mit der Bitte um Kenntnisnahme übermittelt. Federführend ist das Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt. Die Unterrichtung des Landtages erfolgt gemäß SS 54 Abs. 1 Satz 2 der Vorläufigen Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt. Mit freundlichen Grüßen Dr. Klaus Keitel Anlage Hinweis: Die Ausgabe des gedruckten Verfassungsschutzberichtes 1997 erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. (Ausgegeben am 22.05.1998) SACHSEN ANHALT Ministerium des Innern Sachsen-Anhalt IMPRESSUM HERAUSGEBER: Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt Halberstädter Straße 2 39112 Magdeburg BEZUGSADRESSE: Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt Zuckerbusch 15 39114 Magdeburg TELEFON: (0391) 567-3900 TELEFAX: (0391) 567-3999 INTERNET: http://www.mi.sachsen-anhalt.de/ lfv/lfv.htm DRUCK: Halberstädter Druckhaus GmbH VORWORT Vorwort Ein wichtiger Beitrag zur Unterrichtung der Öffentlichkeit über Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaates, insbesondere durch extremistische Bestrebungen, ist der Verfassungsschutzbericht. Er ist zugleich Bestandteil praktizierter wehrhafter Demokratie und neben der aktuellen Öffentlichkeitsarbeit die Erfüllung des gesetzlichen Auftrages an die Landesregierung und die Verfassungsschutzbehörde, die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen zu informieren. Extremistische Bestrebungen in diesem Sinne sind insbesondere der Rechtsextremismus, der Linksextremismus und der Ausländerextremismus. Diese bilden den Arbeitsschwerpunkt des Landesamtes für Verfassungsschutz. Daneben steht die Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen sowie die Aufklärung geheimdienstlicher Tätigkeiten fremder Mächte in der Bundesrepublik Deutschland und fortwirkender Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik. Neben diesen klassischen Aufgaben des Verfassungsschutzes war 1997 auch ein Jahr mit neuen Herausforderungen. Zu den Beobachtungsobjekten des Verfassungsschutzes gehört seit 1997 die "Scientology-Organisation". Sie stellt ein Beobachtungsobjekt dar, das nicht in die herkömmlichen Erklärungsmuster "Rechtsund Linksextremismus" paßt. In Sachsen-Anhalt ist 1997, nachdem in den Vorjahren ein Rückgang verzeichnet werden konnte, die Zahl politisch motivierter Gewalttaten gestiegen. Diesem Trend, der bundesweit zu beobachten ist, gilt es, entschieden entgegenzuwirken. Der Verfassungsschutzbericht für das Jahr 1997 faßt die Ergebnisse der Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz zusammen. Dabei konzentriert er sich insbesondere auf Aussagen zum politischen Extremismus in Sachsen-Anhalt. VORWORT So ist er eine Orientierungshilfe für die politische Auseinandersetzung und nicht als eine abschließende Darstellung oder erschöpfende juristische Würdigung zu verstehen. Die Verfassungsschutzbehörde kann allerdings nur Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung aufzeigen. Sich mit diesen Bestrebungen auseinanderzusetzen, sind alle Demokraten aufgerufen. Dies kann nicht allein Aufgabe des Staates sein. Gerade das Erstarken einer rechtsextremistischen Partei bei der Landtagswahl im April 1998 gibt mir Anlaß, auf diese gemeinsame Aufgabe hinzuweisen. Dazu beizutragen, ist Anliegen des vorliegenden Berichts. Der Verfassungsschutz in Sachsen-Anhalt hat auch im vergangenen Jahr zur Sicherung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung beigetragen. Für ihre engagierte Arbeit danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verfassungsschutzbehörde. Magdeburg, im Mai 1998 Dr. Manfred Püchel Minister des Innern ÜBERBLICK I. ÜBERBLICK Nach wie vor ist die Beobachtung des Rechtsextremismus mit seinen verfassungsfeindlichen Aktivitäten ein Schwerpunkt der Arbeit der Verfassungsschutzbehörde des Landes Sachsen-Anhalt. Im Berichtszeitraum war ein Ansteigen rechtsextremistisch motivierter Gesetzesverletzungen festzustellen. Deren Gesamtzahl fiel im Vergleich zum Vorjahr deutlich höher aus. Dies ist insbesondere auf die weitere Zunahme der Propagandadelikte zurückzuführen. Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten blieb unverändert hoch. Damit einhergehend hat sich die Zahl der Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischem Hintergrund gegenüber 1996 nahezu verdoppelt. Auch fremdenfeindliche Gewalttaten nahmen erheblich zu. Daneben waren vermehrt rechtsextremistisch motivierte Übergriffe auf vermeintlich oder tatsächlich linksorientierte Jugendliche zu beobachten. Die Anzahl bekanntgewordener Skinheadkonzerte hat zugenommen, wenngleich die Teilnehmerzahlen sanken. Musikvertriebe, von denen Tonträger mit Musik rechtsextremistischen Inhalts angeboten werden, waren das Ziel staatlicher Maßnahmen zur Eindämmung von Propagandadelikten. Schwerpunkt neonazistischer Aktivitäten in Sachsen-Anhalt waren der Harz sowie der Raum Wittenberg und Halle. Führende Neonazis mobilisierten zu verschiedenen regionalen und überregionalen Anlässen die rechtsextremistische Szene und konnten insbesondere Skinheads zur Zusammenarbeit bewegen. Zudem haben sie an Einfluß im rechten Parteienspektrum gewonnen. Rechtsextremistische Parteien in Sachsen-Anhalt verzeichnen weiterhin rückläufige oder auf geringem Niveau stagnierende Mitgliederzahlen. Ihre Organisationsstrukturen sind gegenüber denen in anderen Bundesländern schwach ausgeprägt. ÜBERBLICK Die Aktivitäten von Linksextremisten haben im Berichtszeitraum zugenommen. Diese Entwicklung ist zum einen an der deutlichen Zunahme von Strafund Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund abzulesen. Ein herausragendes Ereignis in diesem Zusammenhang waren demonstrative Aktionen des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums anläßlich des Todes eines Magdeburger Punkers. Zum anderen unterstrichen Linksextremisten in zahlreichen Publikationen, wie Zeitungen und Zeitschriften, Flugblättern und ähnlichem, erneut ihre Bereitschaft, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vorzugehen. Der "Kampf" gegen rechtsextremistische Strukturen wird dabei zur Bekämpfung des Staates instrumentalisiert. Einen ähnlichen Ansatz haben linksextremistische Parteien und Organisationen, die überwiegend revolutionär-marxistisch ausgerichtet sind. Sie sind jedoch aufgrund ihrer wenigen Mitglieder in Sachsen-Anhalt von minderer Bedeutung. Eine Ausnahme hiervon bildet die "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF). Im Bereich des Ausländerextremismus ist eine deutliche Zunahme von Aktionen der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) festzustellen. Strafund Gewalttaten sind in erster Linie auf Spendengelderpressungen unter Gewaltanwendung zurückzuführen. In fast allen größeren Unterkünften von Asylbewerbern konnten - gesteuert aus den alten Bundesländern - sogenannte "PKK-Heimkomitees" aufgebaut werden. In Sachsen-Anhalt sind bisher keine Strukturen der ScientologyOrganisation (SO) bekanntgeworden. Gleichwohl konnten in mehreren Orten des Landes unter anderem Postwurfsendungen und Publikationen mit Bezug zur SO festgestellt werden. RECHTSEXTREMISMUS II. RECHTSEXTREMISMUS Die Parteien, Organisationen, losen Gruppierungen und Einzelpersonen, die als rechtsextremistisch einzustufen sind, verfügen über kein einheitlich festgefügtes ideologisches System. Sie bekämpfen aus einer rassistisch und nationalistisch geprägten Motivation heraus offen oder verdeckt die freiheitliche demokratische Grundordnung, um an ihre Stelle eine totalitäre, zumindest aber autoritäre Regierungsform mit Führerprinzip zu setzen. Rechtsextremismus in Deutschland läßt sich grundsätzlich in drei Erscheinungsformen einteilen: * rechtsextremistisch orientierte Jugendliche, * organisierter Neonazismus, * rechtsextremistische Parteien und Organisationen. RECHTSEXTREMISTISCH ORIENTIERTE JUGENDLICHE In der Bundesrepublik Deutschland bilden rechtsextremistisch orientierte Jugendliche, insbesondere rechtsextremistische Skinheads, ein erhebliches Gewaltpotential, das seit mehreren Jahren zunimmt. Die rechtsextremistisch orientierte Jugendszene ist ein diffuses, von anderen Jugendmilieus nicht immer eindeutig abgrenzbares Gebilde. Die Gesamtzahl gewaltbereiter Rechtsextremisten ist im Berichtszeitraum deutlich stärker als zuvor angestiegen und wird nunmehr auf bundesweit 7.600 Personen (1996: 6.400) geschätzt. In Sachsen-Anhalt beträgt ihre Zahl unverändert rund 600 Personen. RECHTSEXTREMISMUS Gewaltbereite Rechtsextremisten in der Bundesrepublik Deutschland 10000 7600 8000 6200 6400 5400 6000 4000 2000 0 1994 1995 1996 1997 Die Angehörigen dieser Szene treffen sich in unorganisierten lokalen Cliquen. Schwerpunktmäßig treten sie in Magdeburg und Halle sowie im Raum Merseburg und in der Altmark auf. Insbesondere in diesen Regionen hat die rechtsextremistische Skinheadszene ihre Mobilisierungsfähigkeit erhöhen können. Zudem waren Organisationsansätze erkennbar, wie sie sich zuvor bereits bei der neonazistisch beeinflußten "Harzblick-Szene" in Wernigerode zeigten. Ein Beispiel dafür ist die "Blood & Honour"Bewegung,1 die sich zu einer bundesweiten Strömung entwickelt hat und auch in Sachsen-Anhalt seit 1996 Zulauf erhält. 1 Die "Blood & Honour"-Bewegung hat ihren Ursprung in Großbritannien. Sie wurde durch Ian STUART, den ehemaligen Leadsänger der Skinheadband "Screwdriver", in den frühen 80er Jahren ins Leben gerufen. Unter dem Motto "Rock against Communism" wurden Konzerte für "nationale" und rassistische Bands organisiert. Für "Blood & Honour" ist Musik das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen. Das Symbol der Bewegung ist die Triskele (Sonnenrad), welche auch vom Ku-Klux-Klan benutzt wird. Die "Blood & Honour"-Bewegung ist mittlerweile in vielen Staaten mit Sektionen vertreten. Die Mitglieder tragen an ihrer typischen Skinheadbekleidung Aufnäher mit der Inschrift "Blood & Honour" und der jeweiligen Sektion. RECHTSEXTREMISMUS "Blood & Honour"Sympathisanten traten im Raum Halle und Magdeburg in Erscheinung, wobei sie ihre Zugehörigkeit durch entsprechend bedruckte T-Shirts, eine Sektionsfahne sowie Aufkleber an ihren Autos zu erkennen gaben. Darüber hinaus sind Organisationstendenzen anhand lokaler Zusammenschlüsse mit überschaubarer Personenzahl feststellbar. Sie treten mitunter nur recht kurzlebig auf und verzichten bewußt auf vereinsrechtliche Organisationsformen. Hierzu zählen die Gruppierungen "Erblühendes Mitteldeutschland Altmark-Börde" und "Jungsturm Halle/Saale". Daneben gründeten sich mehrere kleinere "Kameradschaften" im Raum Klötze, Stendal und Tangerhütte. Deren Anhängerschaft verwendet als Zeichen der Zugehörigkeit sogenannte "Gauabzeichen"2 mit der Inschrift "Sachsen-Anhalt" sowie einem Zusatzbalken mit der Benennung des jeweiligen Ortes. Neben den "Kameradschaften" sind ferner die "Eckartsfront" im Burgenlandkreis und die "Ostara"-Bewegung3 im Raum Sangerhausen bekannt. Letztere gab ein Fanzine4 mit dem Namen "OSTARA" heraus und bemühte sich während der jährlich stattfindenden "Questenfeiern" in Questenberg (Landkreis Sangerhausen) um Kontaktaufnahme mit bekannten Rechtsextremisten. 2 Es handelt sich dabei um Nachbildungen von Zeichen der Hitlerjugend. Das Zeigen in der Öffentlichkeit ist strafbar. 3 OSTARA - germanische Erdund Frühlingsgöttin. 4 Der Begriff steht für "Fan" und "Magazine". Dabei handelt es sich um einfach aufgemachte, selbst hergestellte Broschüren, die nur in kleinen Auflagen innerhalb der Szene verbreitet werden. RECHTSEXTREMISMUS Übersicht über die Strafund Gewalttaten5 Im Berichtszeitraum wurden 1.108 Straftaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation erfaßt, darunter 80 Gewalttaten. Diese Zahlen dokumentieren ein erhebliches Ansteigen von Gesetzesverstößen mit rechtsextremistischem Hintergrund in Sachsen-Anhalt. Diese Entwicklung ist im wesentlichen auf die weitere Zunahme sogenannter Propagandadelikte6 zurückzuführen, die fast 80 % aller rechtsextremistisch motivierten Straftaten ausmachen. Die Gesamtzahl einschlägiger Straftaten hat bundesweit um 40 % und in Sachsen-Anhalt um 28 % zugenommen. Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten hat sich gegenüber 1996 nahezu verdoppelt. Auch bundesweit ist ein erheblicher Zuwachs festzustellen. Rechtsextremismus 1995 1996 1997 Straftaten insgesamt: 849 865 1108 * Gewalttaten 96 41 80 * sonstige Straftaten 753 824 1028 5 Die Zahlen ergeben sich aus der Statistik des Landeskriminalamtes. Änderungen zu den Vorjahren beruhen auf Aktualisierungen. 6 Verstöße gegen die SSSS 86 und 86a StGB. RECHTSEXTREMISMUS Die Gewalttaten gliedern sich nach Deliktsarten wie folgt: Deliktsarten 1995 1996 1997 * Tötung/versuchte Tötung7 2 3 3 * Brandanschläge 2 1 2 * Landfriedensbrüche 13 7 10 * Körperverletzungen 42 27 51 * Sachbeschädigungen unter er37 3 14 heblicher Gewaltanwendung Nach ihrem Ziel gliedern sich die Gewalttaten wie folgt: Ziel 1995 1996 1997 gegen Fremde 48 27 56 antisemitisch 1 1 1 gegen politische Gegner 23 2 12 gegen Sonstige 13 12 11 * Fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten Fremdenfeindlich motivierte Gewalt hat im Berichtszeitraum zugenommen, nachdem seit 1995 zunächst eine rückläufige Tendenz feststellbar war. Die Zahl der Gewalttaten, die sich gegen Ausländer, mitunter auch nur vermeintliche, richteten, hat sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Besonders auffällig ist der hohe Anteil der Körperverletzungen. Darüber hinaus richteten die Täter ihre Angriffe zunehmend gegen den Wohnraum und den Besitz hier lebender Ausländer. 7 In allen Fällen handelt es sich um versuchte Tötungen. RECHTSEXTREMISMUS Die fremdenfeindlichen Gewalttaten gliedern sich nach Deliktsarten wie folgt: Deliktsart 1995 1996 1997 * Tötung/versuchte Tötung8 1 3 2 * Brandanschläge 0 1 2 * Landfriedensbrüche 4 3 4 * Körperverletzungen 25 19 35 * Sachbeschädigungen unter er18 1 13 heblicher Gewaltanwendung Summe 48 27 56 Beispiele für fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten aus dem Berichtszeitraum sind: 7. Februar, Halberstadt Zwei rechtsorientierte Jugendliche stachen einen wolgadeutschen Spätaussiedler mit einem Messer nieder und verletzten ihn dabei lebensgefährlich. Zuvor hatten sie das Opfer mit den Worten "Hau ab, du Russenschwein" beschimpft. 20. April, Schönebeck Vier junge Täter verübten nach einer "Hitler-Geburtstagsfeier" einen Brandanschlag auf ein mit 80 Personen belegtes Spätaussiedlerheim. Da Heimbewohner das Feuer rechtzeitig entdeckten, konnte der Brand gelöscht werden, ohne daß Personen zu Schaden kamen. 8 In allen Fällen handelt es sich um versuchte Tötungen. RECHTSEXTREMISMUS 24. Mai, Halle Jugendliche beschimpften in der Straßenbahn einen Schwarzafrikaner mit den Worten "Du Ausländer, was willst du hier, mach dich zurück, wo du herkommst", schlugen ihn nieder und traten ihn mit Schuhen ins Gesicht. 8. August, Magdeburg Unbekannte Täter schlugen einen sudanesischen Staatsbürger vor seinem Wohnhaus mit einem Holzpfosten zusammen. Dabei erhob einer der Täter den Arm zum "Hitlergruß". 22. Oktober, Halle Eine Gruppe Skinheads bedrohte zwei Marokkaner mit Baseballschlägern und Eisenstangen. Die Angreifer äußerten, die Ausländer töten zu wollen. Als die Polizei eintraf, wurde auch sie massiv bedroht. * Antisemitisch motivierte Straftaten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stoßen wegen ihres historischen Bezuges in der Öffentlichkeit auf eine erhöhte Sensibilität. Die Zahl derartiger Straftaten ist gegenüber dem Vorjahr gestiegen (von 31 auf 46). Überwiegend handelt es sich dabei, wie auch die Beispiele zeigen, um Schmierereien und Äußerungen mit übelsten Inhalten. RECHTSEXTREMISMUS Antisemitische Motivation 1995 1996 1997 Straftaten 48 31 46 Gewalttaten 1 1 1 6. April, Magdeburg Rechtsgerichtete Jugendliche verfolgten zwei ausländische Studenten und riefen dabei "Jüdisches Dreckschwein ... Was ihr Ausländer auf deutschen Straßen zu suchen habt ... Kanacken, ihr seid dreckig ... solche Leute wie ihr werden vergast". 13. September, Langenstein, Landkreis Halberstadt Unbekannte Täter beschmierten das Büround Ausstellungsgebäude der Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge mit Hakenkreuzen und der Parole "Juden raus". Zudem malten sie auf den Fußweg einen Davidstern. Unter den Straftaten mit antisemitischem Hintergrund wurde eine Gewalttat bekannt: 7. November, Ballenstedt, Landkreis Quedlinburg Skinheads belästigten eine Gruppe Jugendlicher aus BadenWürttemberg, die ein Theaterstück im Rahmen der jüdischen Gedenktage in Sachsen-Anhalt aufführte, und forderten sie auf, die von ihnen besuchte Gaststätte zu verlassen. Mehrere der vermeintlich jüdischen Bürger wurden anschließend zusammengeschlagen. * Gewalttaten gegen politische Gegner Die Zahl der festgestellten Gewalttaten, die Rechtsextremisten gegen politische Gegner verübten, ist höher als im Vorjahr. Insgesamt wurden zwölf Übergriffe von Personen der rechten Szene auf vermeintlich oder tatsächlich der linken Szene angehörige Jugendliche registriert. RECHTSEXTREMISMUS Die Gewalttaten gegen politische Gegner stellen sich wie folgt dar: Deliktsarten 1995 1996 1997 * Tötung/versuchte Tötung9 1 0 0 * Brandanschläge 1 0 0 * Landfriedensbrüche 6 2 3 * Körperverletzungen 11 0 9 * Sachbeschädigungen unter er- 4 0 0 heblicher Gewaltanwendung Summe 23 2 12 Die Zunahme hängt zeitlich und räumlich mit dem Tod eines der Punkszene zuzurechnenden Jugendlichen zusammen, der am 8. Februar in Magdeburg-Olvenstedt mit massiven Kopfverletzungen und Messerstichen im Rücken aufgefunden wurde und kurze Zeit später seinen Verletzungen erlag. Ein rechtsextremistischer Tathintergrund konnte zunächst nicht ausgeschlossen werden.10 Abscheu und Empörung über das Verbrechen schlugen in der linksorientierten Jugendszene teilweise in Gewalt um. In der Folgezeit kam es zu Ausschreitungen zwischen der linken und rechten Szene in Magdeburg. Dabei begingen Rechtsextremisten allein im Stadtteil Olvenstedt unter anderem folgende Gewalttaten: 9 Versuchte Tötung. 10 Eine rechtsextremistische Motivation hat sich nicht bestätigt. Die Straftat wurde alsbald aufgeklärt, ein 17jähriger Jugendlicher als Täter ermittelt und inzwischen rechtskräftig verurteilt. Die Person war bereits zuvor durch eine Reihe von kriminellen Straftaten polizeibekannt, ohne in rechtsextremistischer Hinsicht in Erscheinung getreten zu sein. Gleichwohl hat sich der Täter als Sympathisant der rechten Skinheadszene bezeichnet. RECHTSEXTREMISMUS 14. Februar Eine Gruppe Skinheads überfiel einen Punker und schlug ihn mit Baseballschlägern zusammen. 14. Februar Nachdem linksgerichtete Jugendliche einen Treffpunkt der rechten Szene angegriffen hatten, verfolgten etwa 30 Skinheads die Angreifer, bis diese in eine Straßenbahn flüchteten. Daraufhin bewarfen die Skinheads die Bahn mit Steinen. Die eingreifende Polizei konnte Schlimmeres verhindern. 15. Februar Mehrere unbekannte Täter beschimpften einen Jugendlichen als "Zecke" und verletzten ihn durch Fußtritte. 16. Februar Vier Skinheads schlugen einen der linksextremistischen Szene zugehörigen Jugendlichen zusammen, weil dieser sich in "ihrem Territorium" aufhielt. 17. Februar Drei Skinheads verprügelten einen Jugendlichen, der an der "Mahnwache" zum Gedenken an den getöteten Punker teilgenommen hatte. * Altersstruktur der mutmaßlichen Täter Auffallend ist das zumeist jugendliche Alter der gewaltbereiten Rechtsextremisten. Wie bereits seit 1995 zu beobachten, waren etwa zwei Drittel der bekanntgewordenen mutmaßlichen Straftäter zur Tatzeit nicht älter als 20 Jahre. Im Berichtszeitraum stieg der Anteil der Jugendlichen und Kinder unter 16 Jahren, die sich an rechtsextremistisch motivierten Straftaten beteiligten. Dagegen beträgt der Anteil der mutmaßlichen Täter, die 30 Jahre und älter sind, lediglich 3,2 Prozent. RECHTSEXTREMISMUS Veranstaltungen mit Skinheadbands Für die rechte Skinheadund Jugendszene erfüllen Skinheadkonzerte eine wichtige kommunikative Funktion. Zugleich beweisen sie die Mobilisierungsfähigkeit dieser Szene. Erneut haben die Skinheadkonzerte bundesweit zugenommen, wenngleich deren Teilnehmerzahlen rückläufig waren. Zudem konnte im Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen eine sinkende Bereitschaft zu Gewalttaten registriert werden, während sich die Propagandadelikte häuften. So trugen Konzertteilnehmer Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, skandierten lautstark nationalsozialistische Parolen und entboten den "Hitlergruß". Die Bands spielten auch solche Musiktitel, deren Texte wegen der oftmals volksverhetzenden und fremdenfeindlichen Inhalte durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) indiziert sind.11 Damit kommt es im Zusammenhang mit Skinheadkonzerten immer wieder zu Ermittlungsverfahren mit unterschiedlichen Tatvorwürfen, wie zum Beispiel Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SS 86a StGB), Volksverhetzung (SS 130 StGB) und Sachbeschädigung (SS 303 StGB). Die konsequenten Verbote der Verwaltungsbehörden bewirkten eine weitgehende Einschränkung der Aktivitäten von Skinheadbands in Sachsen-Anhalt. Darüber hinaus wurden mehrere Mitglieder von Skinheadbands wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung zu Geldstrafen verurteilt. Im Berichtszeitraum fanden in Sachsen-Anhalt rechtsextremistische Skinheadkonzerte statt, von denen im folgenden einzelne aufgeführt sind: 11 Die Weitergabe an Jugendliche ist nach dem Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte strafbar. RECHTSEXTREMISMUS Eine Veranstaltung am 24. Mai in Naumburg (Burgenlandkreis), zu der nur eingeladene Personen Zutritt hatten, hatte über 200 Teilnehmer. Das Treffen war als "Benefizkonzert" für in Thüringen inhaftierte Rechtsextremisten organisiert worden. Auf dem Gelände einer ehemaligen LPG versammelten sich am 28. Juni in Altenweddingen (Bördekreis) Rechtsextremisten aus Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt zu einem Skinheadkonzert anläßlich des Geburtstages des Neonazis Thorsten HEISE (Niedersachsen). Die meisten der anreisenden Personen wurden bereits im Vorfeld durch polizeiliche Maßnahmen vom Konzertbesuch abgehalten, so daß nur wenig mehr als 150 Teilnehmer zum Veranstaltungsort gelangten. Am 18. Oktober fand in Naumburg in einer umgebauten Scheune auf dem Privatgrundstück eines bekannten Rechtsextremisten vor ungefähr 200 Teilnehmern ein weiteres "Benefizkonzert" mit mehreren Skinheadbands, darunter Gruppen aus Sachsen und Sachsen-Anhalt, statt. Musikvertriebe In der Bundesrepublik Deutschland gibt es eine Reihe Musikvertriebe, von denen die rechtsextremistische Szene mit Tonträgern deutscher und ausländischer Skinheadbands, aber auch mit Fanzines und sonstigen Skinheadutensilien "versorgt" wird. Auf einschlägigen Bestellisten sind indizierte CDs und Musikkassetten zu finden. Die verbotenen Tonträger12 werden außerdem am Rande von Konzertveranstaltungen der rechten Szene zum Kauf angeboten. Ein Beispiel dafür ist die CD der Band "Zillertaler Türkenjäger", deren antisemitische und ausländerfeindliche Liedtexte den Straftatbestand der Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß erfüllen. Der Handel mit derartigen Tonträgern hat sich offensichtlich zu einem lukrativen Geschäft entwickelt. Mit den oftmals im osteu12 Die zuständigen Gerichte haben Beschlagnahmebeschlüsse erlassen. RECHTSEXTREMISMUS ropäischen Ausland produzierten CDs lassen sich hohe Gewinne erzielen, denen geringe Kosten gegenüberstehen. Um dem zunehmenden Angebot an Tonträgern mit rechtsextremistischen, strafrechtlich relevanten Inhalten zu begegnen, durchsuchten die Polizeien der Länder Anfang August in einer gemeinsamen bundesweiten Aktion die Wohn-, Geschäftsund Lagerräume von entsprechenden Anbietern. Dem waren bereits Mitte Juni Exekutivmaßnahmen gegen drei Betreiber in Baden-Württemberg, Sachsen und Sachsen-Anhalt vorausgegangen. Davon waren auch die im Raum Halle/Saale angesiedelten Firmen "Mitteldeutscher Musikversand" und "Ultima Tonträgervertrieb" betroffen. Diese Maßnahmen führten zur Beschlagnahme einer hohen Zahl von Tonträgern und zogen die Einleitung entsprechender Ermittlungsverfahren gegen die Eigentümer der Vertriebe nach sich. Darüber hinaus konnten Geschäftsunterlagen, aus denen Besteller und Zwischenhändler derartiger Tonträger hervorgehen, sichergestellt werden. Als Ergebnis der bundesweiten Maßnahmen dürften empfindliche Einnahmeverluste bei den Vertrieben, erhebliche Verzögerungen bezüglich der Auslieferung von Bestellungen und zudem eine Verunsicherung in der rechtsextremistischen Szene eingetreten sein. NEONAZISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN Gruppierungen und Aktionsbündnisse im Harzbereich In den Landkreisen Wernigerode und Quedlinburg befindet sich ein Schwerpunkt rechtsextremistischer Aktivitäten in SachsenAnhalt. Bis zum Verbot der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) im Februar 1995 existierte im Großraum Wernigerode deren bundesweit größter Kreisverband. Mit dessen Auflösung zerfiel die Anhängerschaft in einzelne Splittergruppen. In der Folgezeit schlossen sich die ehemaligen FAP-Mitglieder und Sympathisanten dem von Niedersachsen aus agierenden "Deutschen Freundeskreis Nordharz" (DFN) oder einer militanten Wer- RECHTSEXTREMISMUS nigeröder Skinheadszene an. Diese ist unter der Bezeichnung "Harzblick-Szene" bekannt. Ein weiterer Teil der ehemaligen FAPAnhänger traf sich regelmäßig zu Kameradschaftsabenden und beteiligte sich an verschiedenen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Aus diesen Treffen ging 1997 der "Kameradschaftsverband Wernigerode" hervor. Das Aktionsbündnis "Harzfront" des Quedlinburger Neonazis Steffen HUPKA war bis 1996 in der Harzregion aktiv, verlor aber danach an Bedeutung und ließ im Berichtsjahr keine Aktivitäten erkennen. Diese Entwicklung ging einher mit einem zunehmenden Engagement HUPKAs für die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) und die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), deren Landesvorsitzender er mittlerweile ist. HUPKAs parteipolitische "Neuorientierung" ist mit einer verstärkten überregionalen und auch bundesweiten Tätigkeit verbunden. Diese geht offensichtlich zu Lasten seiner Aktivitäten im Rahmen der "Harzfront". Bemerkenswert ist auch, daß im Berichtszeitraum kein weiteres Exemplar der von ihm seit 1994 herausgegebenen Publikation "Umbruch" erschien. Daß der Neonazi dennoch als einer der Hauptinitiatoren rechtsextremistischer Aktivitäten im Harzbereich gelten muß und gleichwohl in der Lage ist, dort ein entsprechendes Personenpotential zu mobilisieren, zeigte der Überfall auf die in einem Quedlinburger Jugendclub gezeigte Ausstellung "Soldaten sind Mörder, Verbrechen der Wehrmacht in Jugoslawien von 1941 - 1944". Angeführt von HUPKA beschädigte eine Gruppe von Rechtsextremisten am 9. Oktober mehrere Ausstellungsstücke und verließ die Räumlichkeiten erst, nachdem die eintreffende Polizei Platzverweise ausgesprochen hatte.13 13 Hierzu wurden Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung eingeleitet, die noch nicht abgeschlossen sind. RECHTSEXTREMISMUS * "Kameradschaftsverband Wernigerode" Dem "harten Kern" des "Kameradschaftsverbandes Wernigerode" können etwa 25 Personen zugerechnet werden, unter ihnen etliche, die Kontakte zu dem niedersächsischen Neonazi Thorsten HEISE und zum rechtsextremistischen Liedermacher Veit KELTERBORN aus Thüringen unterhalten. Die Anhänger der Gruppe treffen sich zu Kameradschaftsund "nationalen" Liederabenden, beteiligen sich jedoch auch an überregionalen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Dies belegt insbesondere die Teilnahme an der von der NPD organisierten Demonstration gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" am 1. März in München. Zudem reisten Wernigeröder "Kameraden" zu einer sogenannten "Heldengedenkfeier" anläßlich des Volkstrauertages nach Bad Gandersheim und Salzderhelden (beides in Niedersachsen). Darüber hinaus ist der Verband in der Lage, zu bestimmten Anlässen bis zu 100 Personen aus Sachsen-Anhalt und weiteren Bundesländern zu mobilisieren. Als Beispiele dafür können die von Kameradschaftsangehörigen durchgeführten Sonnenwendfeiern bei Blankenburg und Elbingerode (beides Landkreis Wernigerode) angeführt werden. Den "Hitlergeburtstag" nutzten sie, um zusammen mit Rechtsextremisten aus Niedersachsen und Thüringen zum Brocken zu marschieren. Dort legten sie an einem Soldatengrab einen Kranz nieder. Danach trafen sich die etwa 25 Teilnehmer mit weiteren 60 Rechtsextremisten in der Nähe von Blankenburg zu einem "nationalen" Liederabend mit KELTERBORN. Wegen starker Polizeipräsenz löste sich die Versammlung frühzeitig auf. * "Deutscher Freundeskreis Nordharz" (DFN) Der 1994 im niedersächsischen Landkreis Goslar gegründete DFN dehnte sehr bald seinen Wirkungsbereich auf den Landkreis Wernigerode aus. Der Gruppierung gehören überwiegend Personen aus dem Raum Goslar an. An den dort stattfindenden Veran- RECHTSEXTREMISMUS staltungen, darunter politische Schulungsabende, nahmen allerdings auch ehemalige FAP-Anhänger aus Wernigerode teil. Der DFN fiel durch eine nationalistische und betont feindselige Haltung gegenüber Ausländern, insbesondere Asylbewerbern, auf. Dies belegen zahlreiche Flugblätter und andere Propagandamaterialien, die regelmäßig verbreitet wurden. Hierzu zählen Aufkleber wie: "DEUTSCHE LEISTET WIDERSTAND JETZT! Nationale Jugend Harz" "Den nationalistischen Widerstand organisieren!" "Unsere Großväter waren keine Verbrecher. Wir sind stolz auf sie!" "AMI GO HOME Wir wollen nicht der 51. Bundesstaat der USA sein". Die Aufkleber und Flugblätter sind, wie die vom DFN herausgegebene Publikation "NORDHARZ INFO-Dienst", über Postfächer in Ilsenburg (Landkreis Wernigerode) und Liebenburg (Niedersachsen) zu beziehen. * "Harzblick-Szene" Im Wernigeröder Jugendclub "Harzblick" treffen sich regelmäßig 20 bis 30 rechtsorientierte Jugendliche. Ein Großteil dieser Personen trat bis 1996 durch Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund in Erscheinung. Diese Entwicklung setzte sich im Berichtszeitraum nicht fort, jedoch ist die "Harzblick-Szene" weiterhin als gewaltbereit einzustufen. RECHTSEXTREMISMUS Der für die Zusammenkünfte bei Musik und reichlich Alkohol genutzte Clubraum ist das Domizil des Wernigeröder "Jugendbund e. V.". Dessen Vorsitzender ist ein der Verfassungsschutzbehörde einschlägig bekannter Rechtsextremist. Von ihm wird seit Januar 1997 die Skinhead-Schrift (Fanzine) "Der Harz-Sturm" herausgegeben, von der im Berichtszeitraum vier Ausgaben erschienen. Das "lokale Zine für die Harzregion" 14 gibt vor, eine Publikation des "Jugendbund e. V." zu sein und rechtfertigt diesen Anspruch durch Berichte über das "Vereinsleben". Daneben informiert es über die nationale und internationale Skinheadbewegung und berichtet über Skinheadbands und deren Musik. Selbstauflösung des Vereins "Die Nationalen e. V." Der Vorsitzende des in Berlin ansässigen neonazistischen Vereins "Die Nationalen e. V." Frank SCHWERDT15 gab im November dessen Selbstauflösung bekannt. Als Begründung führte er an, Aufgaben und Ziele des Vereins, nämlich die Bildung eines informellen Netzwerkes und die Unterstützung "nationaler" Einigungstendenzen, seien weitgehend erreicht. Die politische Arbeit solle durch unabhängige Kameradschaften, Parteien und Gruppierungen fortgesetzt werden. Der Selbstauflösung war das Verbot16 der Brandenburger "Kameradschaft Oberhavel" vorangegangen. Offensichtlich handelt es sich bei der Selbstauflösung um eine von rein taktischen Überlegungen bestimmte Maßnahme, die dazu diente, einem drohenden Verbot zuvorzukommen und eine damit einhergehende Beschlagnahme und Einziehung des Vereinsvermögens zu umgehen. Davon wäre auch die weitere Existenz der von SCHWERDT herausgegebenen "Berlin-Brandenburger Zeitung der nationalen Erneuerung" (BBZ) einschließlich deren Regionalausgaben betroffen gewesen. 14 Eigenbezeichnung im Untertitel des Fanzines "Der Harz-Sturm". 15 SCHWERDT hat inzwischen in der NPD eine neue politische Heimat gefunden und wurde auf dem Bundesparteitag im Januar 1998 in den Bundesvorstand gewählt. 16 Die neonazistische "Kameradschaft Oberhavel" wurde am 15. August 1997 durch das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg verboten. RECHTSEXTREMISMUS Die seit 1996 verlegte "Mitteldeutsche Rundschau", Regionalausgabe der BBZ für Sachsen und Sachsen-Anhalt, erschien im Berichtszeitraum nach mehrmonatiger Pause als Ausgabe August/September,17 der keine weiteren folgten. Die von den Strafverfolgungsbehörden gegen den Herausgeber SCHWERDT sowie den Chefredakteur WENDT ergriffenen strafprozessualen Maßnahmen18 bewirkten offensichtlich eine empfindliche Störung des Erscheinens der Zeitung. Die "Mitteldeutsche Rundschau" ruft offen zur Beseitigung der Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland auf. Bezeichnend dafür ist ein auf der Titelseite19 unter der Überschrift "Jetzt endlich die Machtfrage stellen!" abgedruckter Kommentar: "Jedes Jahr werden fleißig neue Milliardenkredite aufgenommen. Gegen diesen Angriff der Liberalkapitalisten auf die arbeitenden deutschen Menschen muß der Kampf für eine nationale, antikapitalistische Wirtschaftsordnung aufgenommen werden. Letztere ist zwingend notwendig, soll das deutsche Volk vor der zügellosen Gewinnsucht des internationalen Kapitals geschützt und ein gewisser Wohlstand für die Volksgemeinschaft erhalten werden. Diese Herausforderung ist nur von einer nationalen, in sich geschlossenen, sozialorientierten Bewegung zu bewältigen. Die nationalen Kräfte sind dringend aufgerufen, endlich aufeinanderzuzugehen und die offenstehenden Möglichkeiten zu nutzen, um die Machtfrage in Deutschland stellen zu können." 17 Die Ausgabe wird im Kopf fälschlicherweise als Nr. 3, August 1996 ausgewiesen. 18 Beide waren in getrennten Verfahren wegen Verbreitung von Propagandamitteln und Volksverhetzung zu Freiheitsstrafen ohne Bewährung verurteilt worden. WENDT, der seiner Hauptverhandlung zunächst fernblieb, wurde bis Juli in Untersuchungshaft genommen. Im September durchsuchte die Polizei SCHWERDTs Wohnung. 19 Ausgabe August/September 1997. RECHTSEXTREMISMUS In einem weiteren Artikel20 unter der Überschrift "Knapp sechs Millionen Arbeitslose in Deutschland!" werden Parallelen zur Situation der Jahre 1932 und 1933 gezogen und in diesem Zusammenhang auf angebliche Leistungen der nationalsozialistischen Bewegung verwiesen: "Statistiken zufolge waren zuletzt in Deutschland nur im Januar 1933 mehr Menschen arbeitslos, bis die damals nationalsozialistische Bewegung das Blatt wendete." "Kameradschaft Wittenberg" Die "Kameradschaft Wittenberg" tritt seit 1991 unter wechselnden Bezeichnungen wie "Kameradschaft Wittenberg im Freundeskreis 'Die Nationalen e. V.'", "Kameradschaft Ostelbe", "Kameradschaft Anhalt" und bis Januar 1997 als "Kameradschaft Elbe-Ost" auf. Ihr sind bis zu 80 Mitglieder und Sympathisanten aus dem Raum Wittenberg zuzurechnen, darunter ehemalige FAPMitglieder, Skinheads und Hooligans. Neben einer Anzahl von 20 bis 25 Anhängern, die sich häufiger an den Aktivitäten der Kameradschaft beteiligen, ist das übrige Personenpotential nur zu größeren und zumeist überregionalen Anlässen mobilisierbar. Ein solches Ereignis war die von der NPD gegen die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" organisierte Demonstration in München. Die Aktivitäten der "Kameradschaft Wittenberg" wiesen gegenüber den Vorjahren eine deutlich rückläufige Tendenz auf. Die Ursachen dafür dürften zum einen in einer erkennbaren Verunsicherung der Anhängerschaft liegen, die eintrat, nachdem der damalige Kameradschaftsführer und ein weiterer Kameradschaftsangehöriger bei einem Streit mit Berliner Neonazis zu Tode kamen.21 Zum anderen war ein nachlassendes Engagement SCHWERDTs festzustellen. Dieser hatte die Kameradschaft seit 20 Ebenda. 21 Am 18. April waren die beiden Wittenberger im Anschluß an eine Feier in Berlin von zwei Mitgliedern der Berliner "Kameradschaft Treptow" angegriffen und durch Messerstiche tödlich verletzt worden. RECHTSEXTREMISMUS Jahren mit Schulungsund Propagandamaterial wie auch finanziell unterstützt. Die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Haltung der "Kameradschaft Wittenberg" zeigt sich indes unvermindert. Bezeichnend hierfür sind insbesondere politische Aussagen und Forderungen des "Grundsatzprogramms der Kameradschaft Wittenberg - Wer wir sind und was wir wollen." 22, das im Januar an private Haushalte im Raum Wittenberg verteilt wurde. Das Papier gipfelt in der Propagierung des Nationalsozialismus: "Jenseits der gescheiterten materialistischen Ideologien von Kapitalismus und Kommunismus stehen wir für den dritten Weg: dem nationalen Sozialismus." Auch im praktischen Handeln der Kameradschaftsangehörigen zeigte sich deren Orientierung am Nationalsozialismus. So dokumentiert die Teilnahme von rund 20 Anhängern der Kameradschaft an den alljährlich bundesweit von Rechtsextremisten organisierten "Rudolf Heß-Gedenkmärschen" die Glorifizierung führender Repräsentanten des NS-Regimes. Die häufige Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen des Dritten Reiches, wie beispielsweise Gaudreiecke der Hitlerjugend, unterstreicht den Vorbildcharakter, der dem Nationalsozialismus beigemessen wird und dem die "Kameradschaft Wittenberg" nacheifert. 22 Flugschrift ohne Datumsangabe. RECHTSEXTREMISMUS "Freiheitlicher Volks Block" (FVB) Der FVB mit Sitz in Nürnberg wurde 1994 gegründet und hat bundesweit rund 100 Mitglieder und Sympathisanten. Führende Funktionäre gehörten zuvor - bis zu deren Verbot23 - der neonazistischen "Heimattreuen Vereinigung Deutschlands" (HVD) an. Die ideologisch-politische Ausrichtung des FVB orientiert sich e- benfalls am Nationalsozialismus. Bis 1996 beschränkten sich die Aktivitäten des FVB im wesentlichen auf die Länder BadenWürttemberg und Bayern. Im Februar 1997 trat der FVB mit der Anmeldung einer Demonstration unter dem Motto "Rotfrontund Antifaterror verhindern - gegen linke Gewalt und antideutsche Medienhetze!" erstmals in Sachsen-Anhalt in Erscheinung. Hintergrund war die Tötung eines jungen Punkers, die zu Auseinandersetzungen zwischen militanten rechten und linken Jugendlichen in Magdeburg geführt hatte. Ein von dem FVB geplanter provokativer Aufzug von Rechtsextremisten wurde verboten. Ferner machte der Verein im Mai mit der Gründung eines Landesverbandes in Sachsen-Anhalt auf sich aufmerksam. Ihm können derzeit etwa 20 Mitglieder und Sympathisanten zugerechnet werden. Darunter sind Personen, die zuvor unter der Bezeichnung "Jungsturm Halle/Saale" auftraten. Im Juli und August meldete der FVB weitere Kundgebungen in Halle und Quedlinburg an, die jeweils verboten wurden. Darüber hinaus versuchte er mit mehreren Flugblattaktionen die Bevölkerung anzusprechen. Hierbei bezog er sich auf Themen wie Arbeitslosigkeit oder die Einführung des Euro. Eine führende Rolle bei den hiesigen Aktivitäten spielt der Hallenser Neonazi Konrad ROOCK, der bereits in der Vergangenheit das neonazistische Spektrum im Raum Halle entscheidend mitprägte. Er war es auch, der eine Gruppe des FVB aus Halle an23 Die HVD wurde 1993 durch das Innenministerium des Landes Baden-Württemberg verboten. RECHTSEXTREMISMUS führte, die sich im November in Spanien an einem internationalen Treffen von Rechtsextremisten beteiligte. Dort und bei weiteren Anlässen fiel insbesondere das martialische Erscheinungsbild des einheitlich in schwarz gekleideten FVB-Blocks auf. RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND ORGANISATIONEN "Die Republikaner" (REP) Die im Berichtszeitraum festgestellten tatsächlichen Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen der Partei "Die Republikaner" (REP) rechtfertigen ihre weitere Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Zwar war deren Bundesvorsitzender Dr. Rolf SCHLIERER darauf bedacht, dem Staat keine Angriffsflächen zu bieten und bemühte sich zudem, die Republikaner gegenüber den Bürgern als seriöse und demokratische Partei darzustellen. Beschlüsse des Bundesvorstandes und Weisungen Dr.SCHLIERERs wurden jedoch nach wie vor von Teilen der REP ignoriert und unterlaufen. So konnte er die von ihm geforderte Abgrenzung gegenüber anderen rechtsextremistischen Parteien nicht in allen Landesverbänden durchsetzen. Obwohl Dr. SCHLIERER die Mehrheit der Mitglieder hinter sich weiß und weiterhin bemüht scheint, die Befürworter einer "Vereinigten Rechten" zurückzudrängen, setzten sich die parteiinternen Auseinandersetzungen um die Bündnisfrage auch 1997 fort und gipfelten im Parteiaustritt von drei Bundesvorstandsmitgliedern. Aber auch Dr. SCHLIERER selbst läßt Zweifel an der Ernsthaftigkeit einer Abgrenzung zu anderen rechtsextremistischen Parteien aufkommen, wenn er äußert, nach einem Wahlerfolg bei den nächsten Europawahlen eng mit der von LE PEN geführten französischen "Front National" (FN) sowie dem belgischen "Vlaams Blok" (VB) im Europaparlament zusammenarbeiten zu wollen.24 24 Nach einer Presseerklärung des rechtsextremistischen "Nation-Europa-Freunde e. V." vom 30. September traf sich Dr. SCHLIERER mit dem Präsidenten des "Front National" (FN) Jean Marie LE PEN und dem Vorsitzenden des "Vlaams Blok" (VB) Frank VANHECKE. Dr. SCHLIERER habe für 1999 angekündigt, im Europaparlament eine Fraktionsgemeinschaft mit dem FN und dem VB unter Führung LE PENs anzustreben. RECHTSEXTREMISMUS Tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung läßt nach wie vor auch die Ausländerpolitik der REP erkennen. So betrieben Funktionäre der Partei zu unterschiedlichen Anlässen, insbesondere in Parteipublikationen, fremdenfeindliche und rassistische Agitation. Durch wiederholt anzutreffende Gleichsetzung von "multikulturell" mit "multikriminell" werten die Republikaner Ausländer in ihrer Gesamtheit ab und negieren damit deren durch das Grundgesetz geschützte Menschenwürde. Unter Führung von Dr. Rudolf KRAUSE, der bis Anfang 1997 dem Landesverband vorstand,25 wurden Beschlüsse des Bundesvorstandes und Weisungen Dr. SCHLIERERs unterlaufen, indem eine regionale Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen erfolgte. Unter dem neuen Landesvorsitzenden Wolfgang HÖBER26 fand diese Politik ihre Fortsetzung. Die bündnispolitischen Ziele, die der hiesige Landesverband verfolgt, belegt ein Artikel, der in der REP-Publikation "Mitteldeutscher Kurier"27 erschien. Unter der Überschrift "Denk ich an Deutschland in der Nacht ..." schreibt ein Redaktionsmitglied: 25 Dr. KRAUSE hat 1997 aus beruflichen Gründen seinen Hauptwohnsitz nach Berlin verlegt und verzichtete auf eine erneute Kandidatur für den Landesvorsitz. An Veranstaltungen des hiesigen Landesverbandes nahm er weiterhin teil und beeinflußte dessen politische Aktivitäten nicht unerheblich. Zudem ist er Mitglied des Landesvorstandes und hat die Funktion des Schriftführers inne. 26 Der Hallenser wurde am 25. Januar im Rahmen des Landesparteitages in Bad Kösen (Burgenlandkreis) zum Landesvorsitzenden gewählt. 27 Heft 1/98. RECHTSEXTREMISMUS "Die Republikaner als größte der Nationaldemokratischen Partei muß zu einer nationalen Sammlungsbewegung werden und das ohne Wenn und Aber! ... Die Integration muß aber noch weiter gehen. Nach französischen Vorbild muß eine 'Nationale Front' geschaffen werden." (Schreibweise wie im Original) Tatsächlich beeinflussen solche Forderungen das Handeln des Landesverbandes. So wurde der ehemalige langjährige REPBundesvorsitzende Franz SCHÖNHUBER, Protagonist einer "Vereinigten Rechten", Ende Januar zum "Ehrenmitglied auf Lebenszeit" der Republikaner in Sachsen-Anhalt ernannt. Diese Entscheidung veranschaulicht die bündnispolitische Ausrichtung des hiesigen Landesverbandes und stellt zudem eine offene Provokation Dr. SCHLIERERs dar. Auch die Umsetzung der vom Bundesvorstand anläßlich der bevorstehenden Landtagswahl in SachsenAnhalt beschlossenen Listenverbindung mit den nicht als extremistisch eingestuften Parteien "Deutsche Soziale Union" (DSU) und "Demokratische Erneuerung" (DE)28 lehnten die Republikaner in Sachsen-Anhalt ab. Zwar sind die REP die zahlenmäßig stärkste und politisch aktivste rechtsextremistische Partei in SachsenAnhalt, aber auch sie konnte bislang nicht in das Landesparlament einziehen. Während die Partei auf Bundesebene 1997 erstmals seit Jahren ein leichtes Ansteigen ihrer Mitgliederzahlen auf 15.500 (1996: 15.000) verzeichnete, sank die Mitgliederzahl im Landesverband. Am Ende des Berichtszeitraumes hatte sie rund 200 Mitglieder (1996: 250). "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Die NPD hat bundesweit 4.300 Mitglieder (1996: 3.500). Sie wird seit 1996 von Udo VOIGT (Bayern) geführt. Unter seinem Vorsitz gewann die NPD neue Mitglieder, konsolidierte ihre Finanzen und steigerte ihre Reputation im rechtsextremistischen Lager durch eine themenund aktionsbezogene sowie strömungsüber28 DSU und DE sind keine Beobachtungsobjekte des Landesamtes für Verfassungsschutz SachsenAnhalt. RECHTSEXTREMISMUS greifende Zusammenarbeit. Zuvor hatte der ehemalige Bundesvorsitzende Günter DECKERT29 durch seine Nähe zum Revisionismus die Partei in die politische Isolation getrieben. Die Neuorientierung der NPD äußerte sich deutlich durch verstärkte Thematisierung sozialund wirtschaftspolitischer Fragen, Nutzung neuer Kommunikationsmittel, bündnispolitische Orientierung sowie weitreichende Einbindung der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) in die politische Arbeit der Partei. Da die bisherigen Bemühungen um ein Bündnis mit anderen rechtsextremistischen Parteien gescheitert sind, mißt VOIGT den Kontakten zum neonazistischen Lager große Bedeutung bei. Er ist offenbar bereit, Neonazis und Skinheads als festen Bestandteil rechtsextremistischer Bündnispolitik, aber auch als in die Partei integrierbares Potential, anzusehen. Als Erfolg einer solchen Bündnispolitik werten die Nationaldemokraten die bundesweite Mobilisierung der rechten Szene am 1. März in München anläßlich der dort gezeigten Ausstellung "Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944". An einer von der NPD angemeldeten Demonstration unter dem Motto "Unsere Großväter waren keine Verbrecher" beteiligten sich rund 4.300 Personen, darunter neben den Anhängern von NPD und JN auch Neonazis und Skinheads. Aus Sachsen-Anhalt nahmen etwa 150 Rechtsextremisten teil, die unter anderem der "Kameradschaft Wittenberg", dem "Kameradschaftsverband Wernigerode" und der Hallenser Szene um Konrad ROOCK angehören. Zuvor hatte der Quedlinburger Neonazi HUPKA landesweit im rechtsextremistischen Spektrum für die Veranstaltung geworben. Er engagiert sich bereits seit 1996 für die NPD und deren Nachwuchsorganisation und wurde auf dem Landesparteitag in Liederstädt (Landkreis MerseburgQuerfurt) Anfang Oktober zum Vorsitzenden gewählt. Der Landesverband gliedert sich in die Regionalverbände Halle, Magdeburg und Dessau, die jedoch bisher in dieser Funktion nicht in Er29 DECKERT, der derzeit eine Freiheitsstrafe wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß verbüßt, stellte sich auf dem Bundesparteitag in Reuterstadt-Stavenhagen (MecklenburgVorpommern) im Januar 1998 erneut zur Wahl, mußte jedoch eine deutliche Niederlage hinnehmen und gehört dem Bundesvorstand nicht mehr an. RECHTSEXTREMISMUS scheinung traten. Im Vergleich zur Situation in den anderen Bundesländern zeigt sich die NPD hier strukturell unterentwickelt und verfügt nur über ungefähr 40 Mitglieder (1996: 30). Gleichwohl ist insbesondere HUPKA durch seine Verbindungen zu Neonazis und Skinheads in der Lage, weitere Rechtsextremisten zu bestimmten Anlässen zu mobilisieren. Auch ist er sichtlich bemüht, durch öffentlichkeitswirksame Aktivitäten den Bekanntheitsgrad der Partei zu erhöhen und weitere Mitglieder zu gewinnen. "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die im Jahr 1969 als Jugendorganisation der NPD gegründeten "Jungen Nationaldemokraten" sind mit inzwischen über 350 Mitgliedern und Anwärtern30 der derzeit größte und aktivste Zusammenschluß junger Rechtsextremisten in der Bundesrepublik Deutschland. Seit 1996 betreibt der Bundesvorstand die Umwandlung zur Kaderorganisation, die im Berichtszeitraum weiteren Zulauf erfuhr. Dabei umfaßt die politische Orientierung der JN, von deren Aufwärtsentwicklung auch die NPD profitierte, die Zusammenarbeit mit dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum. Zudem erwiesen sich die "Jungen Nationaldemokraten" als mobilisierungsfähig und gewannen Skinheads als weiteres Mobilisierungspotential. Dies zeigte sich insbesondere anläßlich der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in München. Die zunehmende neonazistische Ausrichtung der Organisation verdeutlicht die personelle Zusammensetzung ihres Bundesvorstandes. Auf dem im Mai im bayerischen Roding abgehaltenen JN-Bundeskongreß wurden die Neonazis Steffen HUPKA (Quedlinburg), Jens PÜHSE und Sascha ROßMÜLLER (beide Bayern) in ihren Ämtern als Bundesvorstandsmitglieder bestätigt. ROßMÜLLER wurde zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Auch der Einfluß der "Jungen Nationaldemokraten" auf die NPD, der gegenüber sie sich sehr selbstbewußt geben, ist gewachsen. So festigte die Jugendorganisation mit der zwischen30 Da es sich bei der JN um eine sogenannte Kaderorganisation handelt, durchlaufen ihre Mitglieder den Weg vom Mitgliedsanwärter zum Mitglied/Aktivist und danach weiter über den Status Kaderanwärter zum Kader. RECHTSEXTREMISMUS zeitlich erfolgten Wahl31 von vier ihrer Funktionäre, darunter auch HUPKA, zu Beisitzern des NPD-Bundesvorstandes ihre Position innerhalb der Mutterpartei. In Sachsen-Anhalt verfügt die JN bisher über keine Organisation, sondern lediglich über wenige Mitglieder und Anwärter. Gleichwohl organisierte HUPKA als "Landesbeauftragter" die politische Arbeit und warb um Mitglieder, um seine Partei und deren Jugendorganisation aus der politischen Bedeutungslosigkeit herauszuführen. In dem Artikel "Aktionsformen unseres Widerstandes"32 beschreibt er seine Gedanken über "Aktionsformen", die zur "Macht" führen und bemerkt: "Wie sollten Aktionsformen in nächster Zeit vor allem ausgerichtet sein? Erstes Ziel muß es immer sein, mit unseren Aussagen an die Öffentlichkeit zu gelangen". Hierzu zählt HUPKA folgende Aktionen: "Verteilen (von Propagandamaterial) vor Schulen, Einkaufszentren usw. Infostände Demos, Kundgebungen usw. symbolische oder tatsächliche Besetzung, Blockaden usw. (Radiosender usw.) Spontanaktionen (Demos, Kundgebungen jeder Art usw.) Agitationen in Fußgängerzonen mit Phantasie (z. B. Verkleidungen, Musik, Reden)" Neben der Durchführung solcher Aktionen verstärkt der Quedlinburger Neonazi zugleich die Mitgliederwerbung und Öffentlichkeitsarbeit in Sachsen-Anhalt. So verteilten Anhänger der JN Ende Juli im Stadtgebiet von Klötze (Altmarkkreis Salzwedel) Propagandamaterial der NPD/JN. Anfang August bauten Anhänger der JN in Schönebeck und kurz darauf in Genthin (Jerichower Land) einen Informationsstand auf und boten diverses Propagandamaterial an. Darüber hinaus beteiligten sich JN-Anhänger im Rah31 Bundesparteitag am 10./11. Januar 1998 in Stavenhagen (Mecklenburg-Vorpommern). 32 JN-Publikation "Einheit und Kampf", Nr. 18/1997. RECHTSEXTREMISMUS men sogenannter "Heldengedenkfeiern" am Volkstrauertag an einer Veranstaltung in Jävenitz (Altmarkkreis Salzwedel). "Deutsche Volksunion" (DVU) Bereits 1971 gründete der Münchener Verleger Dr. Gerhard FREY (63) den Verein "Deutsche Volksunion e. V." (DVU e. V.). Auf seine Initiative wurde 1987 die DVU, deren Bundesvorsitzender er ist, gegründet. Zeitlich unabhängig davon rief insbesondere Dr. FREY themenbezogene Aktionsgemeinschaften, wie zum Beispiel die "Initiative für Ausländerbegrenzung" (I. f. A.) und die "Aktion Oder-Neiße" (AKON), ins Leben. Die rechtsextremistische Einstellung der Partei ergibt sich hauptsächlich aus der Art der Behandlung der Themen "Asylpolitik", Antisemitismus und der Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen in ihren Publikationen. Sprachrohr der Partei sind dabei die beiden Wochenzeitungen "Deutsche Nationalzeitung" (DNZ) und "Deutsche Wochenzeitung/Deutscher Anzeiger" (DWZ/DA).33 Diese Zeitungen belegen deutlich die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen der Partei. Ihre Schwerpunktthemen sind die ablehnende Haltung gegenüber Ausländern, insbesondere Asylbewerbern, die Herabwürdigung der demokratischen Parteien, die angebliche "Geschichtsfälschung" und "Umerziehung" der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, die innere Sicherheit und die Stimmungsmache gegen die Europäische Union, hier insbesondere die Einführung der Euro-Währung. Höhepunkt der Aktivitäten der seit 1996 bei einer Mitgliederzahl von rund 15.000 Personen34 stagnierenden Partei war im Berichtsjahr eine alljährlich in Passau (Bayern) stattfindende Großkundgebung. An der am 27. September in der Passauer Nibelungenhalle durchgeführten Veranstaltung nahmen rund 2.500 Per33 DNZ und DWZ/DA, die vom Bundesvorsitzenden Dr. FREY herausgegeben werden, hatten 1997 eine Auflagenhöhe von zusammen 55.000 und können als Publikationsorgane der Partei angesehen werden. 34 Dr. FREY gibt höhere Mitgliederzahlen an. RECHTSEXTREMISMUS sonen teil. In seiner Rede ging Dr. FREY neben seinen Standardthemen wie "Scheinasylanten" und "Kriminelle Ausländer" insbesondere auf die Hamburger Bürgerschaftswahl vom September 1997 ein. Der 1991 in Magdeburg gegründete Landesverband trat im Berichtszeitraum kaum in Erscheinung. Die politischen Aktivitäten des etwa 30 Mitglieder35 zählenden Landesverbandes beschränken sich seit Jahren auf "Nationale Stammtisch"-Treffen in Halle. Zudem bedurfte der Landesverband aufgrund seiner Organisationsund Personaldefizite der Führung und Unterstützung durch die DVU-Verbände anderer Bundesländer und der durch Dr. FREY. Unter der Überschrift "Sachsen-Anhalt: DVU geht ran" weisen die FREYschen Wochenzeitungen DNZ und DWZ/DA vom 31. Oktober 1997 erstmals darauf hin, daß der DVU-Bundesvorstand auf Antrag des Bundesvorsitzenden die Teilnahme an der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im April 1998 beschlossen habe. Dazu heißt es in diesen Ausgaben von DNZ und DWZ/DA: "Gerade hier also sei es wichtig und sinnvoll, den um die Früchte der Wiedervereinigung betrogenen Deutschen eine rechte Alternative anzubieten." Zur Vorbereitung der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt tagte am 29. November der Landesparteitag. Die Veranstaltung fand im Raum Delitzsch (Sachsen) statt. Hierzu reisten rund 130 Personen aus Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Berlin an. Themen des Parteitages waren die organisatorische und personelle Sicherstellung der Wahlteilnahme. Der in der Folgezeit von der DVU mit hohem finanziellen Aufwand landesweit geführte "Werbefeldzug" mit einer Flut von Postwurfsendungen an die privaten Haushalte steht im krassen Widerspruch zur bisherigen politischen Bedeutungslosigkeit der Partei in Sachsen-Anhalt und täuscht einen hier nicht vorhandenen Organisationsgrad vor. 35 Dr. FREY gibt höhere Mitgliederzahlen an. RECHTSEXTREMISMUS ORGANISATIONSÜBERGREIFENDE AKTIVITÄTEN Es vermehrten sich - auch in Sachsen-Anhalt - die Hinweise auf den Besitz von Schußwaffen in der rechtsextremistischen Szene. Dies stellt ein ernstzunehmendes Gefahrenpotential dar. Derzeit gibt es allerdings in der Bundesrepublik Deutschland keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Entstehen rechtsterroristischer Strukturen.36 Anläßlich einer am 8. August erfolgten polizeilichen Hausdurchsuchung bei einer einschlägig bekannten Person37 in Halle/Saale wurden unter anderem Rohrbomben, 50 Kilogramm militärische Knallund Sprengtechnik sowie elektronische Zündverzögerungsund -auslöseeinheiten, eine scharfe Pistole, ein Winchestergewehr und zahlreiche Patronen gefunden. Des weiteren konnte umfangreiches rechtsextremistisches Propagandamaterial beschlagnahmt werden. ANTI-ANTIFA Erneut wurde deutlich, daß sich die ANTI-ANTIFA nicht allein gegen den politischen Gegner richtet, sondern in gleicher Weise auch gegen die staatlichen Institutionen und alle demokratischen Kräfte, die den Rechtsextremismus brandmarken und bekämpfen. Dabei sollen nach dem Verständnis der Initiatoren dieser Kampagne die Anhänger neonazistischer und sonstiger rechtsextremistischer Gruppen zu einer organisationsübergreifenden Aktionsgemeinschaft gegen "ALLE Gegner des nationalen Widerstandes" 38 mobilisiert werden. 36 Terroristische Strukturen liegen vor, wenn von einer Vereinigung im Sinne des SS 129a StGB unter Gewaltanwendung schwerste Straftaten gegen das Leben und die Gesundheit sowie Sachen begangen oder geplant werden. 37 Die Person war bereits 1992 in Erscheinung getreten, als sie in Halle einen Sprengkörper zur Explosion brachte, der Sachschaden anrichtete. 38 Selbstdarstellung der "Front 88" in einer Schrift vom Mai 1997, herausgegeben vom "Verein für freiheitliche Völkerverständigung e. V." in Görlitz (Sachsen). 1996 benannte sich die von dem Neonazi CHAVES-RAMOS initiierte "ANTI-ANTIFA-Infogruppe Naumburg" in "Front 88" um und bezeichnet sich zudem als "Abwehrverband des nationalen Widerstandes". RECHTSEXTREMISMUS Eine "Naumburger Bürgerinitiative gegen linksextremistische Gewalt", die bereits 1996 mit einem im Stil der ANTI-ANTIFA gehaltenen Flugblatt in Erscheinung trat, zeichnete für eine weitere Hetzschrift verantwortlich, die Unbekannte Ende Mai in den Briefkasten der PDS-Geschäftsstelle in Naumburg einwarfen. In dem Faltblatt wird in verunglimpfender Weise über Personen berichtet, die öffentlich gegen die rechtsextremistische Szene auftreten. Zudem werden ihre Namen, Adressen und Telefonnummern bekanntgegeben. In einer als Treffpunkt von Angehörigen der rechten Szene bekannten Gaststätte in Weißenfels lag das Flugblatt einer "ANTIAntifa Halle" aus. Der Textinhalt der Schrift ist gegen den politischen Gegner gerichtet. Die Verfasser erklären, der "Terror roter Spitzbuben ... gegen Mitglieder der nationalen Opposition in Halle" zwinge zum Handeln. Darüber hinaus drohen sie: "Uns namentlich bekannte Rädelsführer dürfen ab sofort mit empfindlichen Gegenmaßnahmen rechnen". Das Flugblatt ist mit dem in der rechtsextremistischen Szene bekannten Zahlencode "88" unterzeichnet, der für "Heil Hitler" steht. Im Oktober wurde in Schönebeck eine Postwurfsendung einer "Bürgerinitiative für Meinungsfreiheit" aufgefunden. Darin werden die Leser über einen Überfall "autonomer Antifaschisten" auf eine Familie in Liebenburg (Niedersachsen) informiert, bei dem die "national" gesinnten Opfer mit Zaunlatten und Knüppeln zusammengeschlagen und verletzt worden seien. Zugleich wird dazu aufgerufen, sich für Meinungs-, Redeund Versammlungsfreiheit für die "nationale Opposition" einzusetzen. Durch aktive Mitarbeit sollen "nationale" und patriotische Parteien, Verbände und Gruppen unterstützt werden. Nur dadurch könnten sich die Bürger gegen "antideutsche Hetze" und "linksextremistische Gewalt" wehren. Das Flugblatt ist von der "ANTI-ANTIFA Harz" unterzeichnet. RECHTSEXTREMISMUS * Rudolf-HESS-Kampagne 1997 Der HITLER-Stellvertreter Rudolf HESS starb am 17. August 1987 durch Selbstmord im alliierten Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau. Seither wird er von der neonazistischen Szene zunehmend zum Märtyrer hochstilisiert und zum Idol verklärt. Die Rechtsextremisten bezeichnen HESS auf Flugblättern und Aufklebern unter anderem als "Märtyrer für den Frieden". Sein Todestag wird alljährlich zur sogenannten Rudolf-HESS-Kampagne genutzt. Den Behörden ist es 1997 bundesweit gelungen, eine von den Neonazis für das Wochenende 16./17. August geplante zentrale Kundgebung zu verhindern. Die Polizei unterband bereits im Ansatz jegliche Versuche einer zentralen Kundgebung, an denen sich etwa 800 Rechtsextremisten beteiligten. Wie in den Jahren zuvor hatten führende Neonazis zur Organisation eines zentralen Gedenkmarsches ein "Aktionskomitee Rudolf Heß" gebildet. Da sich der Todestag zum zehnten Mal jährte, fühlte sich die rechte Szene besonders angespornt, den Staat herauszufordern. Die Vorbereitungen ließen zunächst darauf schließen, daß sich die Rechtsextremisten im Raum Frankfurt a. M./Fulda (Hessen) sammeln würden. Tatsächlich wurden dann die Fahrzeuge der anreisenden Teilnehmer in den Bereich Kassel (Hessen) gelotst. Die Organisatoren konnten ihre Absicht, den Aufzug in Hessen oder Thüringen durchzuführen, wegen der dortigen großen Polizeipräsenz nicht umsetzen. An zahlreichen Kontrollstellen wurden viele der anreisenden Rechtsextremisten an einer Weiterfahrt gehindert. Hierzu zählten beispielsweise Anhänger der "Kameradschaft Wittenberg", die die Polizei auf einem Autobahnrastplatz in Thüringen in Unterbindungsgewahrsam nahm. Weitere Aufmarschversuche der Neonazis an mehreren Orten Niedersachsens und der Versuch, nach Magdeburg zu gelangen, scheiterten. Allein in Niedersachsen wurden rund 300 Personen vorübergehend in Gewahrsam genommen, darunter auch gewalttätige Gegendemonstranten der linksextremistischen Szene. RECHTSEXTREMISMUS Im Zusammenhang mit den geplanten HESS-Aktionen der Rechtsextremisten sind in mehreren Orten Sachsen-Anhalts Aufkleber, Flugblätter und Plakatierungen festgestellt worden, deren Inhalte und Darstellungen einen Straftatenverdacht begründen. Des weiteren versuchten bekannte Personen der Neonaziszene, in verschiedenen Städten des Landes während der "Aktionswochen" öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zu organisieren. So meldete ROOCK eine Demonstration des "Freiheitlichen Volks Blocks" (FVB) für den 9. August in Quedlinburg und CHAVESRAMOS einen Aufzug für den 16. August in Dessau an. Weitere Anmeldungen gingen bei den Verwaltungsbehörden in Sangerhausen und Magdeburg ein. Alle Veranstaltungen wurden verboten. Dennoch versuchten Rechtsextremisten, spontane Aufzüge durchzuführen. Nachdem eine Demonstration von etwa 50 Personen am Vormittag des 9. August in Genthin (Landkreis Jerichower Land) von der Polizei verhindert wurde, begaben sich die Rechtsextremisten nach Burg (Landkreis Jerichower Land). Bevor die Sicherheitskräfte auch diesen Aufzug auflösten, konnten die Teilnehmer vor dem Landratsamt ein Transparent mit der Aufschrift "Rudolf Heß - 1987 ermordet, er lebt in unseren Herzen" entrollen. Die Polizei nahm 19 Personen in Unterbindungsgewahrsam und stellte das Transparent sowie weiteres Propagandamaterial sicher. ROOCK beabsichtigte, zusammen mit weiteren Rechtsextremisten am 16. August in Halle einen HESS-Gedenkmarsch durchzuführen. Das Vorhaben scheiterte an starker Polizeipräsenz und der Überzahl vor Ort befindlicher Gegendemonstranten. Zudem wurde ROOCK in Unterbindungsgewahrsam genommen. Aktionen anläßlich des Volkstrauertages Wie auch in den Jahren zuvor schickten sich Rechtsextremisten bundesweit an, den Volkstrauertag öffentlichkeitswirksam für sogenannte "Heldengedenkfeiern" in ihrem Sinne zu mißbrauchen. Da eine zentrale Veranstaltung auf dem Soldatenfriedhof in Halbe (Brandenburg) seit 1992 verboten wurde, gingen die Rechtsextremisten dazu über, dezentrale Veranstaltungen durchzufüh- RECHTSEXTREMISMUS ren. Es wurden mehrere derartige Aktionen bekannt, die entweder in Sachsen-Anhalt stattfanden oder an denen sich Personen aus Sachsen-Anhalt beteiligten. An einem Ehrenmal auf dem Friedhof in Jävenitz (Altmarkkreis Salzwedel) fand am 16. November unter maßgeblicher Beteiligung des Neonazis HUPKA eine Kranzniederlegung statt. Hieran nahmen rund 100 Personen, von denen zumindest ein Teil der rechtsextremistischen Szene angehört, teil. Der bekannte Neonazi Thorsten HEISE leitete eine "Gedenkveranstaltung" in Bad Gandersheim (Niedersachsen), an der sich ungefähr 60 Personen, darunter Anhänger des "Kameradschaftsverbandes Wernigerode", beteiligten. Kurz nach ihrem Erscheinen wurden die Rechtsextremisten durch andere Friedhofsbesucher aufgefordert, den Ort zu verlassen. Die Gruppe um HEISE wich daraufhin auf den Soldatenfriedhof Salzderhelden (Niedersachsen) aus und legte dort Kränze nieder. Einschlägige Straftaten, zu denen es in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit "Heldengedenkfeiern" am Volkstrauertag wiederholt gekommen war, wurden 1997 von der Polizei verhindert. RECHTSEXTREMISMUS Internationale Treffen mit Teilnehmern aus SachsenAnhalt Deutsche Rechtsextremisten beteiligten sich erneut an den alljährlichen Falangisten-Treffen in Spanien. Dort kommen "alte Kämpfer" und Neonazis aus dem Inund Ausland zusammen, um der Todestage von PRIMO DE RIVERA39 und des Diktators FRANCO zu gedenken. Des weiteren wird der Angehörigen der spanischen "Division Azul", die mit der deutschen Wehrmacht an der Ostfront gekämpft hatten, sowie auch der gefallenen Soldaten der im spanischen Bürgerkrieg eingesetzten deutschen "Legion Condor" gedacht. An den vom 21. bis 23. November durchgeführten Veranstaltungen in Madrid nahmen etwa 100 Personen aus Deutschland teil, darunter auch Rechtsextremisten aus Sachsen-Anhalt. Besondere Aufmerksamkeit erregte eine Gruppe des FVB, die in geschlossener Formation und in schwarze Uniformen gekleidet in die Basilika im "Tal der Gefallenen" einmarschierte. Neonazistische Propaganda aus dem Ausland Im November erhielten eine Reihe von Organisationen, Einrichtungen und Behörden in mehreren Orten Sachsen-Anhalts sowie weiteren Bundesländern unaufgefordert Briefsendungen aus Kawagoe Saitama in Japan. Ein Absender ist nicht bekannt. Die Sendungen in englischer und deutscher Sprache weisen große Ähnlichkeit mit vergleichbaren Briefen auf, die Institutionen in Magdeburg bereits im Jahr 1996 erhalten hatten. Verschiedene Schreiben sind mit Hakenkreuzen und SS-Runen versehen. Der Text ruft zu Gewaltund Willkürmaßnahmen gegen Juden und den Staat Israel auf. 39 Er gründete 1933 die Partei der Falange (ab 1937 von FRANCO geleitete faschistische spanische Staatspartei) und war ab 1934 bis zu seinem Tod deren unabsetzbarer Führer. Die Falange wurde 1977 aufgelöst. RECHTSEXTREMISMUS Publikation " AUFRUF an alle Deutschen ..." Seit August wird in mehreren Bundesländern die rechtsextremistische Hetzschrift "AUFRUF an alle Deutschen zur Notwehr gegen die Überfremdung - Der Völkermord am deutschen Volk" verbreitet. Auch in Sachsen-Anhalt erhielten mehrere öffentliche Institutionen diese Schmähschrift. Auf dem Titelblatt wird die Auflagenhöhe der fast 30 Seiten umfassenden Schrift mit 110.000 Exemplaren und als Ursprungsort Dresden angegeben. Inhalt und Diktion lassen eine zutiefst fremdenfeindliche, antisemitische und gegen den Staat gerichtete Haltung erkennen. Die 65 Unterzeichner, darunter einschlägig bekannte Publizisten und Ideologen des rechten Spektrums sowie ehemalige Funktionäre rechtsextremistischer Parteien und Organisationen, rufen "alle volkstreuen Deutschen zur Notwehr auf gegen den von der Staatsführung amtlich geplanten und mit brutalen Methoden durchgeführten Völkermord am deutschen Volk." Sie fordern, "den Rechtsanspruch Fremder auf Asyl sofort auszuschließen" sowie die Zuwanderung osteuropäischer Juden zu stoppen. LINKSEXTREMISMUS III. LINKSEXTREMISMUS Die in der Bundesrepublik Deutschland bedeutsamen linksextremistischen Organisationen und Gruppierungen orientieren sich entsprechend ihrer jeweiligen ideologischen Ausrichtung an der marxistisch-leninistischen Weltanschauung oder an anarchistischen Theorien. Die linksextremistischen Bestrebungen und Tätigkeiten lassen sich einteilen in * gewaltbereite Autonome/anarchistische Bestrebungen, * marxistisch-leninistische Parteien und Vereinigungen, * linksextremistischen Terrorismus. AUTONOME Allgemeine Entwicklung In der Bundesrepublik Deutschland bestehen seit etwa 1980 linksextremistische Zusammenschlüsse, deren Angehörige sich selbst als "Autonome" bezeichnen. Die sogenannte Autonomenszene verfügt weder über verbindliche organisatorische Strukturen noch über ein einheitliches ideologisches Konzept. Ihr "Weltbild" folgt im wesentlichen verschwommenen anarchistischen Vorstellungen und ist darüber hinaus von Haß auf die bürgerliche Gesellschaft, ihre Normen und Lebensformen geprägt. Nach Auffassung der Autonomen verhindert das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland ein "freies, selbstbestimmtes" Leben und soll auf revolutionärem Wege überwunden werden. LINKSEXTREMISMUS Die Bereitschaft zur Militanz, also zum Kampf für eine Überzeugung mittels Gewalt, ist innerhalb der Autonomenszene weitgehend vorhanden, wobei allerdings über den Grad einzusetzender Gewalt sehr wohl gestritten wird. Diskussionsforen sind die von der "Szene" herausgegebenen Zeitschriften, in denen oftmals direkt oder indirekt zur Gewalt aufgerufen wird und mitunter sogar potentielle Anschlagsziele und Methoden benannt werden. Bei der Wahl dieser Anschlagsoder Angriffsziele lassen sich Linksextremisten in der Regel vom Kriterium der "Vermittelbarkeit" leiten. Dazu greifen sie Anliegen gesellschaftlicher Protestbewegungen auf und suchen in ihnen Akzeptanz für ihre Aktionen. Beispielhaft sind die Proteste gegen CASTOR-Transporte. Die Autonomenszene Sachsen-Anhalts umfaßt nach wie vor rund 380 Personen. Die gleichbleibende Anzahl ist allerdings nicht eine Folge des Verbleibs derselben Personen in der Szene. Vielmehr unterliegen autonome Gruppen einem ständigen Personenzuund -abgang. Beim überwiegenden Teil der Szene ist nach einigen Jahren ein "Rückzug ins Private" zu beobachten. Demgegenüber wachsen jüngere Personen aus einer Art "jugendlicher Subkultur" nach. Insgesamt sind in Sachsen-Anhalt nur noch wenige Autonome "der ersten Stunde" im Umfeld der linksextremistischen Szene verblieben, der Anteil der über 30jährigen ist verschwindend gering. Autonome aus Sachsen-Anhalt kooperierten im Berichtszeitraum vor allem mit Gleichgesinnten aus den angrenzenden Bundesländern einschließlich Berlins. Der Versuch, die örtliche Isolierung der Autonomenszenen beispielsweise durch die Schaffung verbindlicher überregionaler Strukturen zu überwinden, scheiterte bisher an den sehr unterschiedlichen gruppenspezifischen Interessen. LINKSEXTREMISMUS So arbeiten Autonome aus Sachsen-Anhalt nur in geringem Umfang und vereinzelt in bundesweiten Autonomenstrukturen wie AA/BO40 oder BAT41 mit. Die Autonomen entfalteten im Berichtszeitraum Aktivitäten zu den klassischen linksextremistischen Aktionsfeldern "Antifaschismus", "Antimilitarismus" und "Internationalismus", hier vor allem im Zusammenhang mit der "Kurdistan-Solidarität". Darüber hinaus thematisierten sie erneut die Verhinderung von Atommülltransporten. Militante Aktionen Autonomer anläßlich legitimen und friedlichen Protestes vieler anderer Kernkraftgegner führen häufig zu einer Diskreditierung des gesamten Aktionsfeldes "Anti-Kernkraft". Es ist daher nicht zu vermeiden, daß im nachfolgenden Bericht punktuell Ereignisse beschrieben werden, an denen auch demokratische Gruppen oder deren Mitglieder beteiligt waren. Schwerpunkte der Autonomenszene Schwerpunkt der Autonomenszene Sachsen-Anhalts ist neben Dessau, Magdeburg und der Region Halberstadt/Quedlinburg auch wieder verstärkt Halle. Darüber hinaus entwickelte sie Aktivitäten in Wittenberg, Gardelegen, Haldensleben, Aschersleben, Bitterfeld und Stendal. 40 "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation". 41 "Bundesweites Antifa-Treffen". LINKSEXTREMISMUS * Magdeburg Im Berichtszeitraum war für die Magdeburger Autonomenszene vor allem der Tod des der Punkszene zuzurechnenden Jugendlichen Frank BÖTTCHER von Bedeutung. Die zunächst aus einer spontanen Solidarisierung der Autonomen mit der Punkszene42 entstandenen Proteste fanden zum Teil bundesweite Beachtung. Der 17jährige Frank BÖTTCHER wurde in den frühen Morgenstunden des 8. Februar mit schweren Kopfverletzungen und mehreren Messerstichen im Rücken an einer Straßenbahnhaltestelle in Magdeburg-Olvenstedt aufgefunden. Er starb kurze Zeit später in einem Krankenhaus. Noch vor Bekanntwerden der Identität des Täters gingen die Punkund die sich mit ihr solidarisierende Autonomenszene davon aus, daß die Tat von Rechtsextremisten verübt worden sei. Bereits am folgenden Tag kam es zu einer Demonstration unter dem Motto "Nichts und niemand wird vergessen - den rechten Terror bekämpfen". Hieran beteiligten sich zirka 500 Personen. Darunter befanden sich neben Vertretern demokratischer Organisationen Autonome unter anderem aus Braunschweig, Berlin, Potsdam, Hamburg, Halberstadt, Quedlinburg, Dessau, Halle, Magdeburg, Angehörige der Punkszene, Mitglieder der "Kommunistischen Partei Deutschlands - Gruppe MÖLLER" (KPD/M), der "Internationalen Jugend" (IJ) und der "Kommunistischen Plattform der PDS" (KPF). Während der Veranstaltung kam es zu massiven Ausschreitungen durch militante Demonstrationsteilnehmer. Besonders im Stadtteil Olvenstedt, der von der linksextremistischen Szene als "rechte Hochburg" eingeschätzt wird, kam es zu zahlreichen Sachbeschädigungen durch Steinwürfe und Farbsprühereien. Darüber hinaus 42 Die Punkszene wird von den Verfassungsschutzbehörden als weitgehend apolitisch eingeschätzt. Solidarisierungseffekte zwischen den Szenen sind in der Regel durch die gemeinsame Haltung zu Staat und "bürgerlicher Gesellschaft" begründet und von der eigenen "Andersartigkeit" getragen. Die Punkszene beteiligt sich in seltenen Fällen an politischen Aktivitäten der Autonomenszene und wird von dieser vor allem wegen häufigen Alkoholkonsums als "unkontrollierbar" eingestuft. LINKSEXTREMISMUS wurden Personen angegriffen, die ihres Äußeren wegen der rechten Szene zugeordnet wurden. Insgesamt nahm die Polizei elf Personen fest. Die Polarisierung in "links" oder "rechts" und damit einhergehende Gewaltausbrüche sind für die folgenden Tage symptomatisch. Besonders hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang zwei Ereignisse: Am 14. Februar begaben sich 30 bis 40 Personen der linksgerichteten Szene, die sich zuvor an einer "Mahnwache" am Tatort beteiligt hatten, zu einer als Treffpunkt der rechtsextremistischen Szene geltenden Gaststätte und bewarfen diese mit Steinen und Feuerwerkskörpern. Anschließend flüchteten sie, von rechten Jugendlichen verfolgt, in eine in der Nähe haltende Straßenbahn. Die Polizei verhinderte größere Auseinandersetzungen. Am 15. Februar mißhandelten Punker einen als "Fascho" titulierter Straßenbahnfahrgast mit Baseballschlägern und Fäusten. Eine für den 16. Februar angemeldete Demonstration des rechtsextremistischen "Freiheitlichen Volks Blocks"(FVB), die sich inhaltlich gegen die "Vorverurteilungen" der rechten Szene richten sollte, wurde verboten. Eine für den gleichen Tag angemeldete Gegendemonstration "Paroli den Nazis" fand daraufhin ebenfalls nicht statt. Abschluß und - gemessen an der Größe des Teilnehmerfeldes - Höhepunkt der Ereignisse war eine am 22. Februar durchgeführte Großdemonstration in Magdeburg. Daran beteiligten sich mehr als 2.000 Personen, darunter rund 1.000 Linksextremisten und einige der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zuzurechnende Kurden. Schon bei der Auftaktveranstaltung quittierten Autonome diverse Aufrufe zu friedlichem Verhalten mit Pfiffen. Während der Demonstration kam es zu mehreren Straftaten. So wurde beim Erreichen des Stadtteils Olvenstedt ein vermeintlicher "Fascho" durch Autonome erheblich verletzt. Autonome warfen Fenster- LINKSEXTREMISMUS scheiben einer Bankfiliale ein. In der Folge skandierten sie Parolen wie "Deutsche Bullen sind Faschisten" und "Messer rein, Messer raus, Messer rot, Nazi tot" und bewarfen Polizisten sowie friedliche Demonstranten mit Pflastersteinen. Über die im Zusammenhang mit dem Tod Frank BÖTTCHERs stehenden Aktionen hinaus gingen extremistische Aktivitäten vor allem von der Gruppe "Hewkari-Arbeitsgemeinschaft Kurdistan e. V." aus. Einige ihrer Gründungsmitglieder sind durch ihre frühere Betätigung in der ebenfalls in die Autonomenszene eingebundenen "Kurdistan-Solidarität Magdeburg" bekannt. Wie andere in der Autonomenszene aktive Kurdistan-Solidaritätsgruppen hält auch Hewkari zu diesem Zweck Kontakte zur PKK und ihren Anhängern. Der PKK wird von der Autonomenszene eine Art "Vorbildcharakter" beigemessen, da sie als eine der wenigen (marxistischleninistischen) Parteien angesehen wird, die eine vermeintlich reale Chance hat, durch ihre Politik des "Befreiungskampfes" Veränderungen zu erreichen. Vom 21. bis 26. April führte Hewkari unter der Bezeichnung "Frieden für Kurdistan-Initiativgruppe" eine "Woche der deutschkurdischen Freundschaft" in Magdeburg durch. Diese bot neben Vertretern demokratischer Einrichtungen auch Angehörigen von PKK-Unterorganisationen und der PKK nahestehenden Personen ein Podium. LINKSEXTREMISMUS In einem Flugblatt zur Veranstaltungswoche formulierte Hewkari: "Auch in Sachsen-Anhalt sind die hier lebenden Kurdinnen und Kurden von der bundesweiten Kriminalisierung betroffen. Beispiele hierfür waren die Polizeirazzien in den Flüchtlingsheimen in Halle und Halberstadt." Am 30. Mai veranstaltete Hewkari in Magdeburg eine Kundgebung unter dem Motto "Frieden für Kurdistan". Daran beteiligten sich etwa 60 Personen, davon ungefähr 40 Kurden. Die Teilnehmer zeigten mehrfach Symbole der PKK und verbrannten eine türkische Nationalfahne. Einschreitenden Polizeibeamten setzten sie zum Teil erheblichen Widerstand entgegen. Hierbei versuchten sie zugleich, einen bereits Festgenommenen zu befreien. Zwei Polizeibeamte erlitten bei der Auflösung der Kundgebung leichte Verletzungen. Die Unterstützung der PKK durch deutsche linksextremistische Gruppen erfolgt auch in anderen Bundesländern und hat sich seit dem Betätigungsverbot der PKK verstärkt. Den Schwerpunkt der derzeitigen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten bildet die Kampagne "Dialog statt Verbot", die unter anderem von PKK-nahen Vereinigungen sowohl deutscher als auch ausländischer Extremisten getragen wird. Eine in diesem Zusammenhang durchgeführte Rundreise mit einem "Info-Bus" (siehe Abbildung) führte auch durch Sachsen-Anhalt und wurde bei den Aufenthalten am 21. November in Magdeburg und am 22. November in Dessau durch Hewkari-Mitglieder unterstützt. Hierzu organisierten Hewkari-Mitglieder außerdem eine Kundgebung unter dem Motto "Freiheit für Kurdistan", an der sich etwa 60 Personen beteiligten. In Dessau erfolgten während des Aufenthaltes Ansprachen in kurdischer und deutscher Sprache, die nachdrücklich die Aufhebung des Betätigungsverbotes der PKK forderten. LINKSEXTREMISMUS Über die exemplarisch geschilderten Aktionen hinaus sind weitere Aktivitäten hervorzuheben, die von Angehörigen der Magdeburger Autonomenszene initiiert wurden oder unter ihrer Beteiligung stattfanden: * Demonstrative Aktionen gegen die Räumung von besetzten Häusern in der Friesenstraße am 10. Juni und am 8. November. * Demonstration "Nazi-Aktionen verhindern! Der Opfer gedenken! Gegen Faschismus und Rassismus aktiv werden!" am 20. April unter Beteiligung von insgesamt 120 Personen aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. * "Anti-Party gegen den Tag der Deutschen Einheit" am 3. Oktober mit Transparenten "Deutschland verrecke", Sachbeschädigungen, Straßenblockaden und Körperverletzungen. * Störung des "6. Helmstedtmarsches der Reservisten der Bundeswehr" am 11. Oktober unter Mitwirkung von Autonomen aus mehreren Städten Sachsen-Anhalts und Niedersachsens. Im Berichtszeitraum erschienen in zwei Ausgaben der Magdeburger Szenepublikation "Sündenbock" Aufrufe zu Straftaten (Anleitungen zur Herstellung und zum Einsatz von Farbbeuteln sowie zum Inbrandsetzen von Pkw). Die der Autonomenszene zuzurechnenden Verfasser der Publikation lehnen sich an die bundesweit vertriebenen Szeneschriften "INTERIM"43 und "radikal"44 an oder kopieren diese.45 43 In Berlin erscheinende autonome Wochenschrift mit bundesweiter Verbreitung. 44 Als "Zeitung aus dem Untergrund" an wechselnden Orten im Ausland gedruckte und konspirativ vertriebene Szenepublikation. 45 Die Anleitung zum Inbrandsetzen von Pkw stammt aus "radikal" Nr. 148 (November 1993). LINKSEXTREMISMUS * Dessau Die im "Alternativen Jugendzentrum Dessau" (AJZ) ansässigen Autonomen zählten auch 1997 zu den aktivsten Zusammenschlüssen in Sachsen-Anhalt. Sie unterhalten gute Kontakte zu Linksextremisten innerhalb und außerhalb Sachsen-Anhalts. Neben den Szenepublikationen "INTERIM" und "radikal" kommt auf Landesebene nach wie vor der in Dessau herausgegebenen Zeitschrift "Der Alzheimer" Bedeutung zu.46 Im Jahr 1997 traten Autonome aus Dessau vor allem mit Aktivitäten zu den Aktionsfeldern "Antifaschismus" und "Antimilitarismus" in Erscheinung. Die Kurdistan-Solidarität hat sich 1997 als fester Bestandteil der Aktivitätenpalette der Dessauer Autonomenszene etabliert. Am 1. Oktober führten Dessauer Autonome und kurdische Asylbewerber aus der Zentralen Gemeinschaftsunterkunft (ZGU) in Möhlau (Landkreis Wittenberg) einen sogenannten "Kurdischen Tag" in Form eines Straßenfestes durch. Während der friedlichen Veranstaltung zeigten Kurden Plakate mit Symbolen der PKK. Im Nachgang trat ein Mitglied des PKK-dominierten kurdischen Exilparlaments auf. Im Rahmen der Kampagne "Dialog statt Verbot" beteiligten sich Autonome aus Dessau an einer Rahmenveranstaltung zum Halt des "Infobusses" in Dessau. Beide Veranstaltungen wurden in der Publikation "Der Alzheimer" thematisiert. In der Darstellung wird versucht, das Betätigungsverbot der PKK als generelles Verbot der politischen Betätigung von Kurden in der Bundesrepublik umzudeuten. Zugleich wird daraus die Forderung nach einer Aufhebung des Verbotes abgeleitet. 46 Vergleiche Jahresbericht 1996. LINKSEXTREMISMUS Das gestiegene Engagement der Dessauer Autonomenszene für die Kurdistan-Solidarität entspricht dem gegenwärtigen Trend. Danach versuchen Kurdistan-Solidaritätsgruppen innerhalb von Autonomengruppen Interessenten für die Gründung von eigenen Solidaritätsstrukturen zu werben. Im Rahmen ihrer "Antimilitarismuskampagne" beteiligten sich Autonome aus Dessau an Störungen öffentlicher Rekrutengelöbnisse der Bundeswehr am 31. Mai in Roßlau und am 22. August in Naumburg. Besonders hervorzuheben ist darüber hinaus die Blockade eines Reisebusses durch die örtliche Autonomenszene. Der Bus, der Besucher einer Veranstaltung der rechtsextremistischen "Deutschen Volksunion" (DVU) transportierte, wurde nach einem Zwischenhalt am Dessauer Bus-Bahnhof an der Weiterfahrt gehindert und mit Sprühschriften wie "Nazi-Bus" und "Faschisten" beschmiert. Die Polizei löste die Blockade auf und nahm 36 Personen vorläufig fest. Die "Revolutionäre 1. Mai-Demo" der Dessauer-Autonomenszene, die erneut unter dem Motto "Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren" 47 stand, fand wegen einer zeitgleich stattfindenden Kundgebung des DGB keine Beachtung. Am 11. Oktober demonstrierten Autonome in Dessau gegen das Verbot einer bundesweiten Veranstaltung gegen Rechtsextremismus in Saalfeld (Thüringen). An der Aktion beteiligten sich etwa 40 Personen, zu Störungen kam es nicht. 47 Bertolt BRECHT. LINKSEXTREMISMUS * Halle Die Hallenser Autonomenszene hat nach Bezug ihres neuen Zentrums in der Ludwigstraße 37 wieder deutlich mehr Aktivitäten entfaltet als im Vorjahr. Die Aktionen beinhalteten im Berichtsjahr Themen wie "Antifaschismus", "Anti-Militarismus" und "AntiKernkraft". Darüber hinaus arbeiteten Angehörige der autonomen Szene in der linksextremistischen Rechtsund Hafthilfeorganisation "Rote Hilfe e. V." mit. Nach längerer Pause erschien im September 1997 erstmals wieder die Hallenser Szenepublikation "Subbotnik in L. A.", die jetzt ebenfalls im Szeneobjekt Ludwigstraße 37 hergestellt wird. Gegenüber den früheren Ausgaben zeigt sich ein Wandel der Publikation vom allgemeinen linkspolitischen Monatsheft zu einem linksextremistisch agitierenden Szeneblatt. Als Grund für die Veränderung der Konzeption des Blattes führen die Herausgeber an, daß das bisherige inhaltliche Konzept aufgrund mangelnden Interesses verändert werden mußte. In Zukunft wolle man sich bewußt auf lokale und regionale Vorgänge und Ereignisse konzentrieren. Am 20. Februar störten zirka 80 größtenteils der Autonomenszene zuzurechnende Personen ein öffentliches Rekrutengelöbnis der Bundeswehr im Neustadt-Stadion. Am ursprünglich vorgesehenen Veranstaltungsort in der Galgenbergschlucht hatten bereits am 18. Februar vermutlich der Autonomenszene zuzurechnende Täter gegen die Bundeswehr gerichtete Farbschmierereien angebracht. LINKSEXTREMISMUS Am 16. August kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene und Autonomen sowie deren Sympathisanten. Auslöser war der Versuch von etwa 40 Rechtsextremisten, des 10. Jahrestages des Todes von HITLERStellvertreter HESS zu gedenken. Während von den Rechtsextremisten eine Person in Unterbindungsgewahrsam genommen wurde, wurden auf seiten der Autonomen und ihrer Sympathisanten sechs Personen unter dem Verdacht des Landfriedensbruchs und der Körperverletzung vorläufig festgenommen. Am 10. Oktober versammelten sich 20 bis 30 der Autonomenszene zuzurechnende, vermummte Personen vor einem als Treffpunkt der rechten Szene bekannten Cafe in Halle. Sie waren mit Baseballschlägern und Holzknüppeln bewaffnet und warfen mit Pflastersteinen in Richtung des Cafes. Im Lokal befanden sich zur fraglichen Zeit etwa 30 Personen der rechtsextremistischen Szene. Nachdem die Angreifer bei Eintreffen der Polizei geflüchtet waren, wurde am Tatort ein Kleintransporter, beladen mit Baseballschlägern, Morgensternen und Pflastersteinen, sichergestellt. * Region Halberstadt/Quedlinburg Aus den Autonomenszenen der Städte Halberstadt und Quedlinburg ragt die "Antifa Ha/Qu" heraus. Diese Gruppierung legte in der Vergangenheit besonderen Wert auf öffentlichkeitswirksame Aktionen zum Thema "Antifaschismus", die in der Regel gegen die im Ostharz ansässigen Rechtsextremisten gerichtet waren. LINKSEXTREMISMUS Von besonderer Bedeutung war im Berichtszeitraum eine Demonstration am 9. August in Quedlinburg, die sich insbesondere gegen den dort ansässigen Neonazi Steffen HUPKA und die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) richtete und von einem Bündnis aus der Antifa Ha/Qu und der "Autonomen Antifa (M)"48 aus Göttingen getragen wurde. An der Veranstaltung, die bis auf vereinzelte Steinwürfe vor dem Wohnhaus HUPKAs friedlich verlief, beteiligten sich rund 450 Personen. Darunter - an der Spitze des Zuges - ein sogenannter "Schwarzer Block" mit 60 bis 80 Vermummten. Bei den Demonstrationsteilnehmern handelte es sich im übrigen um Autonome aus Dessau, Halle, Aschersleben, Haldensleben und Magdeburg sowie überregional aus Berlin, Göttingen, Braunschweig, Hannover, Hamburg, Kiel und Osnabrück. Darüber hinaus beteiligten sich neben Vertretern demokratischer Organisationen auch traditionelle Kommunisten. Aktivitäten von Linksextremisten in der Anti-AtomkraftBewegung In der heterogenen Anti-Atomkraft-Bewegung sind Linksextremisten nach wie vor in der Minderheit. Die meisten Atomkraftgegner, insbesondere die "Betroffenen vor Ort", identifizieren sich nicht mit deren verfassungsfeindlichen Zielen. Für viele militante Linksextremisten entwickelte sich in den vergangenen Jahren der Kampf gegen den Transport von Atommüll - der Punkt, an dem das "Atomprogramm" der Bundesregierung "am angreifbarsten" sei - zu einem herausragenden Aktionsfeld. Unverhohlen gaben sie zu erkennen, daß das "Einklinken" in die Anti-Atomkraft-Bewegung für sie lediglich ein taktisches Mittel ist, um ihren revolutionären Zielen näher zu kommen. Letztlich geht es ihnen darum, den Staat an sich zu bekämpfen. 48 Besonders die "Antifa (M)" hatte sich in der Vergangenheit als Befürworter eines harten Kurses gegenüber dem Staat und speziell den Strafverfolgungsbehörden hervorgetan und war bereits an der etwa 1.000 Teilnehmer umfassenden bundesweiten Demonstration "Kampf dem Faschismus im Ostharz" am 4. November 1995 in Quedlinburg und an Einzelveranstaltungen der "Antifaschistischen Mahnund Gedenkwoche" vom 07. bis 13.09.1996 in Quedlinburg beteiligt. LINKSEXTREMISMUS Gerade im Zusammenspiel legaler und illegaler Aktionen und einer gegenseitigen Tolerierung von "Gewaltfreien" und Militanten sehen sie seit einigen Jahren eine "neue Qualität". So betonten "Autonome Gruppen gegen den Strom", die am 13. April 1995 mit einem Anschlag auf einen Hochspannungsmast in Görtz (Brandenburg) einen Sachschaden von etwa 2 Millionen DM angerichtet hatten, in einem Bekennerschreiben: "Gerade das Zusammenwirken verschiedener Kampfformen ist es, was den Herrschenden einige Probleme macht. Die Militanten sind nicht isoliert, sondern Teil einer breiten Bewegung, wo alle die unterschiedlichsten Formen des Widerstandes respektieren." Darüber hinaus thematisierte die linksextremistische Szene den im Frühjahr durchgeführten dritten Transport von Castor-Behältern in das atomare Zwischenlager nach Gorleben (Niedersachsen). Am 30. und 31. Januar wurden auf den Bahnstrecken Güterglück - Barby und Stendal - Salzwedel mit den Transporten im Zusammenhang stehende Eingriffe in den Bahnverkehr registriert. In beiden Fällen zerstörten die Täter Kabelstränge von Signalanlagen. Hierdurch kam es zu erheblichen Einschränkungen des Bahnverkehrs. Die Urheber dieser Straftaten sind nicht bekannt, eine Zugehörigkeit zur linksextremistischen Szene ist allerdings naheliegend. Am 24. September demonstrierten Atomkraftgegner auf dem Containerbahnhof Magdeburg-Sudenburg. Die Demonstranten, vorwiegend aus Halle, wollten mit einer Blockade das Verladen von Containern mit Abfällen aus dem Zwischenlager Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern) von der Schiene auf die Straße verhindern. LINKSEXTREMISMUS Übersicht über die Strafund Gewalttaten49 Linksextremisten in Sachsen-Anhalt verübten im Berichtszeitraum 201 Straftaten, davon 97 Gewalttaten. Linksextremismus 1995 1996 1997 Straftaten insgesamt: 116 55 201 * Gewalttaten 61 20 97 * sonstige Straftaten 55 35 104 Der signifikante Anstieg der Straftaten beruht vor allem auf den Ausschreitungen nach dem Tod des Punkers Frank BÖTTCHER. Nahezu zwei Drittel aller linksextremistisch motivierten Straftaten des Jahres 1997 wurden in diesem Zusammenhang verübt. Die Gewalttaten gliedern sich wie folgt: Deliktsarten 1995 1996 1997 Gewalttaten insgesamt: 61 20 97 * Tötung/versuchte Tötung50 1 1 0 * Brandanschläge (-versuche) 3 1 0 * Landfriedensbrüche 15 10 14 * Körperverletzungen 6 7 30 * Sachbeschädigungen unter er36 1 53 heblicher Gewaltanwendung 16 Straftaten, davon 14 Gewalttaten, richteten sich gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten. 49 Die Zahlen ergeben sich aus der Statistik des Landeskriminalamtes. Änderungen zu den Vorjahresberichten beruhen auf Aktualisierungen. 50 In allen Fällen handelt es sich um versuchte Tötungen. LINKSEXTREMISMUS LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND ORGANISATIONEN "Marxistisch-Leninistische Partei" (MLPD) Die traditionell-kommunistisch orientierte MLPD konnte ihre Organisation in Sachsen-Anhalt im Berichtsjahr nicht weiter aufbauen. Nach wie vor existiert lediglich eine Kontaktadresse in Halle. Ihre Hauptaufgabe sieht die Partei in der Mitgliedergewinnung sowie der Stärkung des Jugendverbandes "Rebell". Die MLPD beabsichtigt, an den Bundestagswahlen im Jahr 1998 teilzunehmen. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Nach eigenen Angaben hat die DKP zur Zeit bundesweit 6.500 Mitglieder, davon wohnen etwa 300 Personen in den neuen Bundesländern. In Sachsen-Anhalt existieren DKP-Ortsgruppen in der Altmark und in Halle/Merseburg. Im November führte die DKP Sachsen-Anhalts in Halle ihre Landeskonferenz durch. Ein Schwerpunkt war die Zusammenarbeit der Regionalorganisationen der DKP und der KPD-Ost. "Kommunistische Partei Deutschlands - Gruppe Möller" (KPD/M) Ziel der von Diethard MÖLLER 1986 gegründeten KPD-Gruppe ist eine kommunistische Gesellschaftsordnung. Auch im Jahr 1997 entfaltete diese Gruppierung vor allem in Magdeburg zahlreiche Aktivitäten. Einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit sieht sie in gewerkschaftlicher Arbeit. Auf einem Flugblatt der KPD/M, das dem 51. Jahrestag der Ermordung Ernst THÄLMANNs gewidmet war, heißt es: LINKSEXTREMISMUS "Arbeiter, denkt daran, die Kapitalisten brauchen euch. Noch nie sind sie ohne euch ausgekommen, die Arbeiter brauchen sie aber nicht. Ohne euch läuft gar nichts. Allein die 4 Millionen Arbeiter in der Großindustrie produzieren heute rund vier Fünftel des gesellschaftlichen Neuwerts. Ihr könnt eine Macht werden, wenn ihr nur wollt. Noch immer stehen alle Räder still, wenn der Prolet es will. Und die Arbeiterklasse ist eine mächtige Kraft, wenn sie kämpft, aber gemeinsam - oder sie ist nicht's. Laßt euch nicht verarschen, glaubt den Kapitalisten nicht, ihr sitzt nie im selben Boot mit ihnen. Seid aktive Gewerkschaftler, denn ihr seid doch die Gewerkschaft. Den Gewerkschaftsbürokraten mach Feuer unterm Hintern. Informiert euch, unterstützt solche kämpferischen Bewegungen, wie die Aktion "Arbeitsplätze für Millionen". Das wären erste Schritte Widerstand gegen die Kapitaloffensive zu leisten. Und der ist bitter nötig. So würde Thälmann mit euch reden. Kommunistische Partei Deutschlands - KPD (Sachsen-Anhalt)" (Schreibweise wie im Original) "Internationale Jugend" (IJ) Die IJ ist eine bundesweite linksextremistische Jugendorganisation. Im "Roten Morgen"51 stellt sie sich als "eine neue, revolutionäre Jugendbewegung" vor, die "erst im Entstehen" sei. "Jugendliche - völlig egal, welcher Nationalität - organisieren sich in der Internationalen Jugend. Wir sind keiner Partei verpflichtet. Unser Ziel: eine menschliche Gesellschaft, ohne Ausbeutung und Unterdrückung". Die IJ hält die jetzige Gesellschaft für "so vollständig kaputt, daß sie nicht mehr reformierbar" ist. 51 Publikation der "Kommunistischen Partei Deutschlands - Gruppe Möller" (KPD/M). LINKSEXTREMISMUS Die IJ besitzt eine Kontaktadresse in Magdeburg und ist in der Vergangenheit mit Flugschriften an die Öffentlichkeit getreten. "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD-Ost) Die KPD-Ost wurde 1990 in Berlin gegründet. Sie sieht sich in der Tradition der von Karl LIEBKNECHT und Rosa LUXEMBURG 1918/19 gegründeten KPD und verfolgt eine marxistisch-leninistische Weltanschauung. Am 25./26. Januar fand der 19. Parteitag der KPD-Ost in Berlin statt. Die Delegierten verabschiedeten ein Thesenpapier "Zur Strategie und Taktik der KPD - Für eine ideologische und politische Offensive im Kampf um die politischen und sozialen Rechte der Arbeiterklasse und aller Werktätigen." Das Zentralorgan der KPD-Ost "Die Rote Fahne"52 stellte in diesem Zusammenhang heraus, "daß das kapitalistische System keine Alternative zum Sozialismus darstellt" und "daß die Ergebnisse des Sozialismus in der DDR und der anderen sozialistischen Länder für die Arbeiterklasse und aller Werktätigen das Beste war, was bisher geschaffen wurde". (Schreibweise wie im Original) Gleichzeitig wird ein Aufruf zur "kommunistischen Aktionseinheit" und zum "antiimperialistischen Widerstand" befürwortet. Der KPD-Ost ist es gelungen, ihre Parteistrukturen in SachsenAnhalt auszubauen. Neben der bereits bekannten Kontaktadresse in Halle existiert nun auch eine KPD-Kreisorganisation in Zeitz (Burgenlandkreis). 52 Februar 1997. LINKSEXTREMISMUS Offensichtlich haben die Ortsorganisationen von KPD-Ost und DKP in Halle eine "Aktionseinheit" in politischen Fragen vereinbart. Gemeinsame Mitgliederversammlungen und ein gemeinsames Flugblatt "KPD-DKP / Auch Sachsen-Anhalt braucht eine linke Alternative" zeugen davon. Am 11. Oktober fand in Halle eine gemeinsame öffentliche Veranstaltung der DKP und der KPD-Ost aus Anlaß des "80. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution" statt. "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF) Das Berichtsjahr machte erneut deutlich, daß dieser Flügel der PDS eine auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung ausgerichtete Gesellschaftsordnung anstrebt. Die KPF versuchte im Berichtszeitraum mit Blick auf die Wahlen zu Landtagen und zum Bundestag 1998, verstärkt auf das Wahlprogramm der PDS Einfluß zu nehmen. "Die Genossinnen und Genossen in Sachsen-Anhalt werden sich in den nächsten Monaten verstärkt in die Diskussion und Aktivitäten einbringen. Das betrifft sowohl das Wahlprogramm der PDS 1998, die Sozialismusdebatte der DKP, eine marxistische Analyse der oppositionellen Kräfteverhältnisse im Lande, als auch die Basisarbeit vor Ort und den 1. Mai 1997...". 53 Dieses Zitat faßt im wesentlichen die Diskussionspunkte der im April in Friesdorf (Landkreis Mansfelder Land) durchgeführten Landeskonferenz der KPF zusammen. Die "Kommunistische Plattform der PDS" versuchte, ihren Einfluß auf die sachsen-anhaltische PDS zu verstärken. Sie unterstrich mit Gegenkandidaturen bei der Wahl zum PDS-Landesvorsitz im September und der Kandidatur des Bundessprechers der KPF für 53 "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS", Heft 5/1997, S. 27. LINKSEXTREMISMUS ein Direktmandat im Bördekreis zur Landtagswahl in SachsenAnhalt ihr politisches Selbstbewußtsein. Sie ist weiterhin bemüht, ihre Zusammenarbeit mit der DKP und anderen "Linkskräften" auszubauen. Auch scheint es, daß die Zurückhaltung gegenüber Autonomen schwindet. Mit Blick auf die Aktivitäten zum 1. Mai stellte ein sachsen-anhaltisches Mitglied des Bundeskoordinierungsrates54 der KPF fest: "Wir sollten genau hinsehen, wer sind unsere Bündnispartner, und wie gehen wir mit ihnen um. Mehr auf die Autonomen zugehen und die revolutionäre 1. MaiDemonstration unterstützen. Erklärungen zur Gewaltfreiheit sind nicht dienlich, es kommt nicht darauf an, welche Mittel wir verwenden, sondern welchen Zweck wir verfolgen." 55 LINKSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS In Sachsen-Anhalt gibt es gegenwärtig keine Anhaltspunkte für linksterroristische Bestrebungen. "Rote-Armee-Fraktion" (RAF) Am 18. Oktober 1997 jährte sich zum 20. Mal der Todestag der Stammheimer RAF-Inhaftierten BAADER, ENSSLIN und RASPE. Mit Blick auf die Geschehnisse im Herbst 1977 führten Linksextremisten auch in Sachsen-Anhalt Diskussionsund Vortragsveranstaltungen durch, um damit erneut die Bedeutung der "Gefangenenfrage" und die Notwendigkeit der "Geschichtsaufarbeitung" zu thematisieren. Die Forderung nach Freilassung inhaftierter e- hemaliger RAF-Mitglieder blieb ein zentrales Thema. In diesem Zusammenhang sind folgende Vorkommnisse zu sehen: 54 Vier Personen aus Sachsen-Anhalt wurden 1997 in den Bundeskoordinierungsrat, das oberste Gremium der KPF, gewählt. 55 "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS", Heft 4/1997, S. 23. LINKSEXTREMISMUS In der Nacht zum 1. Juli wurden die Ortstafeln in Halberstadt und Quedlinburg beidseitig mit Plakaten überklebt, auf denen die Freilassung der RAF-Gefangenen HAULE, KLAR, HEIßLER und MOHNHAUPT gefordert wurde. Am 23. und 24. Oktober sprühten unbekannte Täter an Gebäuden in Merseburg und Leuna (beide Landkreis Merseburg-Querfurt) folgende Sprüche: "Sofortige Freilassung aller Gefangenen aus der RAF" und "Schluß mit der Isolationshaft". In einer Reihe von Interviews meldeten sich inhaftierte RAFTerroristen zu Wort. Birgit HOGEFELD erläuterte gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel"56 den Kurswechsel der RAF seit 1992 und die Zukunftsperspektive einer Terrorgruppe in der Bundesrepublik Deutschland. Der damals noch als vorläufig erklärte Verzicht auf tödliche Anschläge sei endgültig. HOGEFELD wiederholte ihre 1996 erhobene Forderung nach Auflösung der RAF und fügte hinzu: "Ich kann mir aus der Zeit vor 1993 nicht vorstellen, daß die RAF einfach sangund klanglos verschwindet. Das lange Schweigen interpretiere ich als intensiven Nachdenkprozeß über das 'Wie weiter'. ... Die haben eine politische Verantwortung, noch einmal etwas zu sagen. Ich denke, sie tun sich damit schwer, und das kann ich verstehen." 56 Nr. 42 vom 13.10.1997, Seite 169 ff. LINKSEXTREMISMUS "Antiimperialistische Zelle" (AIZ) Durch die Festnahme zweier mutmaßlicher AIZ-Mitglieder in der Nähe von Hamburg am 25. Februar 1996 ist diese Gruppierung allem Anschein nach weitgehend zerschlagen. Seitdem ist sie nicht mehr in Erscheinung getreten. Am 14. November wurde die Hauptverhandlung gegen die zwei Festgenommenen eröffnet. Der Prozeß stößt auf wenig Interesse bei den linksextremistischen Gruppen. Schon häufiger waren kritische Stellungnahmen zu den Inhaftierten zu hören, die sich in verschiedenen Erklärungen als "muslimische politische Gefangene" bezeichnet haben. Das AIZ-Konzept57 wurde schon in den Vorjahren heftig vom linksextremistisch-terroristischen Lager kritisiert. "Rote Hilfe e. V." (RH) Die Rechtsund Hafthilfeorganisation "Rote Hilfe e. V." unterstützt große Teile des linksextremistischen Spektrums. Sie ist in den 80er Jahren nach den ersten Verurteilungen von Terroristen der RAF aus dem terroristischen Umfeld entstanden. In Sachsen-Anhalt werden gegenwärtig Strukturen dieser Organisation aufgebaut. So besteht seit September 1996 eine Ortsgruppe der RH in Halle/Saale. 57 Die Mitglieder der AIZ lehnen den von der RAF erklärten Gewaltverzicht ab und bekämpfen in der Tradition der RAF die staatliche Ordnung und die gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland mit Terrorakten und Brandanschlägen. AUSLÄNDEREXTREMISMUS IV. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Allgemeines Zu den Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz gehört die Beobachtung sicherheitsgefährdender und extremistischer Bestrebungen von Ausländern. Eine solche Beobachtung erfolgt dann, wenn durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährdet werden. Die betreffenden ausländischen Organisationen und Gruppierungen entwickeln in der Bundesrepublik Deutschland Aktivitäten mit dem Ziel, eine Änderung der politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern herbeizuführen. Der Bereich des Ausländerextremismus umfaßt dabei sowohl linksextremistische als auch extrem nationalistische und islamistische Zielrichtungen. In Sachsen-Anhalt waren auch 1997 geringe Aktivitäten auf dem Gebiet des Ausländerextremismus zu verzeichnen. Gleichwohl ist das Bemühen um einen weiteren Aufbau erkennbar. Die meisten Aktivitäten gingen von der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) aus. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die PKK wurde 1978 in der Türkei gegründet und wird seither von Abdullah ÖCALAN geleitet. Seit 1984 führt sie einen bewaffneten, revolutionären Kampf mit dem Ziel, einen unabhängigen Staat Kurdistan unter ihrer Herrschaft zu errichten. Die politischen Auseinandersetzungen in der Türkei und der seit 1984 zwischen dem türkischen Staat und der "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK)58 erbittert geführte Guerillakrieg, der inzwischen auf beiden Seiten Tausende Menschenleben kostete, haben großen Einfluß auf die Lebensumstände der in der Bundesrepublik 58 Es handelt sich um den militärischen Arm der PKK. AUSLÄNDEREXTREMISMUS Deutschland lebenden Türken und Kurden. Die PKK versucht, durch Ansprechen der Nationalgefühle unter den Kurden Anhänger zu gewinnen, die aktiv für die Partei tätig sind und sie sowohl finanziell als auch ideologisch, propagandistisch und in einigen Fällen auch durch direkte Teilnahme am militärischen Kampf unterstützen. Nachdem in den zurückliegenden Jahren die PKK eine Vielzahl von Terrorund Brandanschlägen59 gegen türkische und deutsche Einrichtungen verübte, ist seit 1996 ein gemäßigteres Verhalten gegenüber Deutschland zu verzeichnen. Offensichtlich ist der PKK und ihrem Führer ÖCALAN an einer politischen Lösung des Konfliktes mit Deutschland gelegen. Vorrangiges Ziel ist die Aufhebung des Betätigungsverbotes der PKK und ihrer Teilund Nebenorganisationen. Die Aktivitäten der PKK konzentrieren sich auf Kurden in Asylbewerberunterkünften. Aufgrund der in Sachsen-Anhalt weitgehend zentral gestalteten Unterbringung von Asylbewerbern in relativ großen Unterkünften werden die meisten Aktivitäten von der Bevölkerung nicht wahrgenommen. Nach außen sichtbar sind lediglich Propagandaaktionen sowie folkloristische und kulturelle Veranstaltungen mit dem Ziel der Thematisierung der Kurdistanproblematik. Die gewalttätigen Auseinandersetzungen dagegen werden intern ausgetragen. Der Aufbau der PKK ist in Sachsen-Anhalt bereits soweit fortgeschritten, daß eine straffe Kontrolle kurdischer Asylbewerber durch die PKK stattfinden kann. In den Gemeinschaftsunterkünften für Asylbewerber wurden Heimkomitees aufgebaut, die mit großem Druck die Forderungen der PKK-Führungsebene - zumeist aus Niedersachsen und Berlin - umsetzen. Regionale Schwerpunkte sind Gardelegen (Altmarkkreis Salzwedel), Magdeburg, Halberstadt, Ilsenburg (Landkreis Wernigerode), Harbke 59 Als Reaktion hierauf wurde vom Bundesminister des Innern am 26.11.1993 die Betätigung der PKK und ihrer Teilorganisation "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) in der Bundesrepublik Deutschland untersagt. In diesem Zusammenhang wurden weitere Vereine und Einrichtungen, die der PKK/ERNK zugerechnet wurden, verboten. AUSLÄNDEREXTREMISMUS (Bördekreis), Zeitz (Burgenlandkreis), Halle, Möhlau (Landkreis Wittenberg) und Friedersdorf (Landkreis Bitterfeld). Der wachsende Geldbedarf der PKK führte zu einer Zunahme von Spendengelderpressungen. Die Betroffenen werden unter Androhung - bei Weigerung auch unter Anwendung - von Gewalt zu Geldspenden für die PKK genötigt, wobei deren Funktionäre auch nicht vor Körperverletzungen zurückschrecken. Disziplinierungsmaßnahmen werden mit großer Brutalität durchgeführt. So kam es in der Zentralen Gemeinschaftsunterkunft (ZGU) für Asylbewerber in Gardelegen im vergangenen Jahr immer wieder zu Repressalien gegenüber kurdischen Asylbewerbern, die die geforderten monatlichen Geldbeträge nicht zahlten. Weitere Fälle wurden aus Burg (Landkreis Jerichower Land), Zeitz und Weißenfels, Köthen und Dessau bekannt. Neben der Aufgabe der Geldbeschaffung obliegt den PKKHeimkomitees die ständige Einflußnahme auf die politische Ausrichtung der kurdischen Heimbewohner. Hierzu werden Publikationen verkauft und regelmäßig Versammlungen und Schulungen in der Absicht durchgeführt, die Kurden für die PKK und ihre Ziele zu gewinnen. Der Aufbau der PKK ermöglicht es ihr, bei Bedarf eine große Anzahl von Kurden für die Teilnahme an Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet zu mobilisieren. So reisten zu einer europaweiten Großveranstaltung am 26. April in Düsseldorf unter dem Motto "Zeit für Frieden in Kurdistan" auch Kurden aus verschiedenen Asylbewerberunterkünften Sachsen-Anhalts an. Insgesamt besuchten etwa 45.000 Personen die Veranstaltung in Düsseldorf. Entsprechend dem neuen Kurs der PKK verlief diese Großveranstaltung insgesamt gewaltfrei, gelegentlich wurden PKK-Symbole und -Fahnen gezeigt. AUSLÄNDEREXTREMISMUS Diese Zurückhaltung ordnete ÖCALAN auch in Hinblick auf die Feierlichkeiten zum traditionellen NEWROZ-Fest60 am 20. März an, die in Sachsen-Anhalt durchweg friedlich verliefen. Veranstaltungen wurden in Gardelegen, Magdeburg, Halle und Zeitz durchgeführt. Hinsichtlich der politischen Forderung nach Aufhebung des Betätigungsverbotes für die PKK erfuhren die Funktionäre Unterstützung aus dem linksextremistischen Spektrum. Kurdistan-Solidaritätsgruppen und Mitglieder autonomer Gruppen beteiligten sich an der Buskampagne "Dialog statt Verbot", die anläßlich des Jahrestages des Betätigungsverbots der PKK von der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM)61 initiiert worden war. Die vom 3. bis 26. November durchgeführte Kampagne machte auch in Magdeburg und Dessau Station. Zum Thema "Frieden für Kurdistan" hatte die "Hewkari-AG Kurdistan e. V." in Magdeburg bereits im Frühjahr eine "Woche der deutsch-kurdischen Freundschaft" organisiert. Ein weiterer Versuch, auf die Kurdistanproblematik hinzuweisen, war eine Veranstaltung "Kurdischer Tag" am 1. Oktober in Dessau, bei der Personen der linksextremistischen Szene mit Asylbewerbern aus Möhlau zusammenarbeiteten. PKK-Anhänger nahmen auch an einer Großdemonstration am 22. Februar 1997 in Magdeburg teil und zeigten dort PKK-Fahnen. Auf einer weiteren Veranstaltung am 30. Mai in Magdeburg, an der neben deutschen auch etwa 40 kurdische Personen teilnahmen, wurden PKK-Fahnen und - Symbole gezeigt. Insgesamt blieb bei all diesen Aktionen die vom Veranstalter erhoffte Resonanz aus der Bevölkerung aus. 60 Das kurdische Neujahrsfest NEWROZ ist für die kurdische Bevölkerung von großer Bedeutung. Von der PKK wird dieser Tag zum Anlaß genommen, um zu Demonstrationen aufzurufen und durch die Mobilisierung großer Bevölkerungsteile ihre Stärke zu zeigen. 61 Bei YEK-KOM handelt es sich um einen Dachverband örtlicher, der PKK zuzurechnender Vereine. AUSLÄNDEREXTREMISMUS Andere ausländische extremistische Gruppierungen In Einzelfällen traten in Sachsen-Anhalt wohnhafte Mitglieder o- der Anhänger türkischer revolutionär-marxistischer Gruppen62 in Erscheinung. Ihr Aktionsschwerpunkt lag bisher jedoch in anderen Bundesländern. Aktivitäten islamischer Extremisten sind in Sachsen-Anhalt bisher nicht bekanntgeworden. Für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland stellen sie jedoch ein zunehmendes Problem dar.63 Von diesen Extremisten sind die Anhänger des gemäßigten traditionellen Islam, die die überwiegende Mehrheit der in der Bundesrepublik lebenden Muslime bilden und sich gesetzestreu verhalten, zu unterscheiden. Die Verfassungsschutzbehörden beobachten lediglich die Gruppierungen, die die ideologischextremistische Instrumentalisierung des Islam betreiben. Diese werden auch als Islamisten oder Fundamentalisten bezeichnet. Sie propagieren einen militanten Islam und lehnen demokratische Prinzipien ab. In ihren jeweiligen Heimatländern sollen die derzeit herrschenden, von ihnen als unislamisch bezeichneten Gesellschaftsordnungen bekämpft und ein theokratischer Staat nach i- ranischem Vorbild errichtet werden. 62 Es bestehen Verbindungen zur "Volksbefreiungspartei/-front" (DHKP-C), die aus der verbotenen "Devrimci Sol" hervorging, sowie zu einem der "Revolutionären Kommunistischen Partei der Türkei" (TDKP) zuzurechnenden Verein. 63 Derzeit sind in der Bundesrepublik Deutschland 13 islamisch-extremistische Gruppierungen mit einem Anhängerpotentail von etwa 32.000 Personen bekannt. Sie entstammen überwiegend islamistischen Bewegungen in Algerien, Ägypten, im Libanon, in den von Israel besetzten und unter Selbstverwaltung stehenden Palästinensergebieten, in der Türkei und im Iran. Hierzu zählen unter anderem die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG), der "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln" (ICCB), die "Muslimbruderschaft" (MB), der "Islamische Bund Palästina" (IBP), die "Islamische Heilsfront" (FIS), die "Hizb Allah" und die "AMAL". AUSLÄNDEREXTREMISMUS Übersicht über die Strafund Gewalttaten64 Im Jahr 1997 wurden in Sachsen-Anhalt 30 Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund registriert. In den meisten Fällen handelte es sich um Verstöße gegen das Vereinsgesetz. Weitere Delikte waren Erpressung und Körperverletzung, zum Teil mit erheblicher Gewaltanwendung. Ausländerextremismus 1995 1996 1997 Straftaten insgesamt: 21 35 30 * Gewalttaten 5 165 6 * sonstige Straftaten 16 34 24 64 Die Zahlen für 1997 ergeben sich aus der Statistik des Landeskriminalamtes. 65 Ein versuchtes Tötungsdelikt. SCIENTOLOGY-ORGANISATION V. "SCIENTOLOGY"-ORGANISATION Im Juni 1997 beschlossen die Innenminister und -senatoren der Länder die Beobachtung der Scientology-Organisation. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung sind aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gegeben. Der Science-Fiction-Autor Lafayette Ronald HUBBARD (1911 - 1986) legte mit seinem 1950 veröffentlichten Buch "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand" (auch bekannt unter "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit") den Grundstein für die Entstehung und Weiterentwicklung der scientologischen Ideologie. 1954 gründete er in den USA die erste "Kirche" für Anhänger der Scientology, die "Church of Scientology". Kernpunkt der Lehre von Scientology ist die Befreiung oder Erlösung des Menschen als Geistwesen. Die SO strebt den "perfekten Menschen" an, einen Menschen, der "clear" ist im Sinne ihrer Lehre, das heißt frei von "allen körperlichen Schmerzen und schmerzlichen Emotionen". Seine "Geistseele" ("Thetan") erlangt den Zustand der "völligen geistigen Freiheit" und wird zum "Operierenden Thetan". Der SO geht es hierbei jedoch weder um seelischen Zuspruch, noch um uneigennützige Hilfe bei der Bewältigung persönlicher Probleme. Sie zielt darauf ab, die Menschen auf ihre Lehre einzuschwören und jegliches Abweichen davon rigide zu unterbinden. In der Sprache der Scientologen wird dieses Abweichen als "Aberration" bezeichnet. "Aberrierte" Personen sind für die SO regelrecht "Freiwild". SCIENTOLOGY-ORGANISATION Kritiker und Aussteiger sind für die SO "unterdrückerische" Personen und Kriminelle, die mit allen Mitteln zu bekämpfen sind. Die SO verfügt über eine streng hierarchische, weitverzweigte Struktur in einer Vielzahl von Ländern. Ihre oberste Führung ist das "Religious Technology Center" (RTC) in Los Angeles, die europäische Zentrale befindet sich in Kopenhagen. Die "Scientology-Kirche Deutschland e. V." wurde im Jahre 1970 in München gegründet. Nach ersten Einschätzungen der Verfassungsschutzbehörden dürfte die Zahl der Mitglieder deutlich unter 10.000 liegen. Die SO verfügt mit dem "Office for Special Affairs" (OSA) über einen eigenen Nachrichtendienst. Zur Unterwanderung der Wirtschaft bedient sich die SO des im Jahre 1979 gegründeten weltweiten Verbandes "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE). Die SO zielt darauf ab, die Führerschaft in der Gesellschaft anzustreben, um diese insgesamt zu "clearen". "Clear Deutschland" ist beispielsweise ein 1987 ins Leben gerufenes Programm von Scientology, um in der Bundesrepublik Deutschland die Macht zu übernehmen. Das Verhalten der Organisation läßt eine politische Zielsetzung erkennen, die darauf ausgerichtet ist, die verfassungsmäßige Ordnung auszuhöhlen oder zu beseitigen: Scientology spricht nur "Clears, Ehrlichen und Produktiven" im Sinne ihrer Lehre gewisse (ausgehöhlte) Rechte zu. Bereits die Strukturen der SO lassen Elemente von Gewalt und Willkür erkennen, so in Form von Arbeitsoder Straflagern und einem menschenverachtenden Bestrafungssystem. SCIENTOLOGY-ORGANISATION Die SO propagiert nur für "Nichtaberrierte" das Recht, "vernünftigen Maßnahmen (der Regierung) zuzustimmen". Von allgemeinen, gleichen, freien und geheimen Wahlen ist dabei keine Rede. Scientology erhebt einen absoluten Alleinvertretungsanspruch und duldet keinerlei Opposition. Kritikern begegnet man mit rücksichtsloser Unterdrückung. In Sachsen-Anhalt liegen derzeit keine Erkenntnisse darüber vor, daß Gliederungen der Organisation bestehen. Gleichwohl waren einzelne Aktivitäten der Organisation zum Beispiel in Form von Postwurfsendungen in mehreren Orten des Landes sowie das unaufgeforderte Zusenden von SO-Publikationen an ausgewählte Personen und Institutionen zu verzeichnen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt hat für Hinweisgeber, Betroffene und deren Angehörige, Opfer und Aussteiger der SO ein "Vertrauliches Telefon" unter der Rufnummer (0391) 567 5909 eingerichtet. Alle Gespräche werden vertraulich behandelt. SPIONAGEABWEHR VI. SPIONAGEABWEHR Allgemeines An der Notwendigkeit, den Ausforschungsbemühungen osteuropäischen Nachrichtendienste entgegenzuwirken, hat sich grundsätzlich nichts geändert. Schwerpunkt der Aufgaben der Spionageabwehr ist die Befragung und Beratung deutschstämmiger Aussiedler. Hinweise lassen darauf schließen, daß Nachrichtendienste der Nachfolgestaaten der Sowjetunion insbesondere diesen Personenkreis für ihre Zwecke einzubinden versuchen. Die Beobachtung der Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus dem Nahen und Mittleren Osten, die durch Einbindung und mit Hilfe ihrer Nachrichtendienste versuchen, in den Besitz von Erzeugnissen zu gelangen, die Exportbeschränkungen unterliegen, zählt ebenso zu den Aufgaben der Spionageabwehr. Dieses Feld ist in Sachsen-Anhalt jedoch von eher untergeordneter Bedeutung. Spionageabwehr mit Hilfe der Bevölkerung Wirkungsvolle Spionageabwehr ist nur mit Hilfe der Bevölkerung möglich. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt bittet jede Bürgerin und jeden Bürger, die von der Tätigkeit fremder Geheimdienste gegen die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verbündeten Kenntnis haben oder von solchen Nachrichtendiensten angesprochen oder zur Mitarbeit aufgefordert worden sind, ihr Wissen im Interesse unseres freiheitlichen Staatswesens, aber auch der eigenen Sicherheit wegen, zu offenbaren. Das gilt auch für diejenigen, die schon im fremden Interesse nachrichtendienstlich tätig geworden sind. Ihnen können die Verfassungsschutzbehörden helfen, sich aus einer für ausweglos gehaltenen Lage zu befreien. Voraussetzung hierfür ist die freiwillige Aufgabe der nachrichtendienstlichen Tätigkeit und eine umfassende Offenbarung. SPIONAGEABWEHR Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt bietet hierzu jederzeit seine Hilfe an. Vertraulichkeit ist zugesichert. Fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der DDR Wie in den Vorjahren sind auch 1997 in Sachsen-Anhalt keine fortwirkenden Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen DDR festgestellt worden, deren Ziel es gewesen wäre, durch organisierte Handlungen die äußere Sicherheit zu gefährden66 oder kriminelle oder terroristische Vereinigungen zu bilden.67 66 SSSS 94 bis 99 StGB. 67 SSSS 129, 129a StGB. GEHEIMSCHUTZ VII. GEHEIMSCHUTZ Allgemeines Alle Institutionen des Bundes und der Länder sowie die Bevölkerung selbst müssen sich darauf verlassen können, daß Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden können, als im staatlichen Interesse geheimzuhaltende Informationen (Verschlußsachen - VS) wirkungsvoll geschützt werden. Besondere vorbeugende Maßnahmen, der sogenannte personelle und materielle Geheimschutz, sollen dies gewährleisten. Zudem ist die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der NATO und anderer überoder zwischenstaatlicher Einrichtungen gehalten, bestimmte Sicherheitsnormen zu erfüllen. Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt gemäß SS 4 Absatz 2 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt vom 14. Juli 1992 (GVBl. LSA S. 590) bei Geheimschutzverfahren im Behördenund Wirtschaftsbereich mit. Geheimschutz im Behördenbereich Th Personeller Geheimschutz Maßgeblich für den personellen Geheimschutz ist die Sicherheitsüberprüfung. Sie ist notwendige Voraussetzung für die Ermächtigung einer Person zum Zugang zu im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Informationen (Verschlußsachen). Im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde festzustellen, ob eine Person für eine sicherheitsempfindliche Position geeignet ist. Dabei gilt es, etwaige Sicherheitsrisiken herauszufinden oder auszuschließen. GEHEIMSCHUTZ Ferner führt das Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich des Geheimschutzes Tagungen und Schulungen für die Geheimschutzbeauftragten der Ministerien sowie der oberen und mittleren Landesbehörden durch. Th Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz befaßt sich mit technischen und organisatorischen Sicherheitsvorkehrungen, die erschweren sollen, daß Unbefugte an geschützte Informationen gelangen. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat hierbei die Aufgabe, öffentliche Stellen des Landes zu beraten, wie sie am besten technische Sicherungsmaßnahmen planen und durchführen können. Geheimschutz in der Wirtschaft Neben den erforderlichen Maßnahmen auf dem Gebiet des Geheimschutzes in Behörden muß der Staat auch sensible Bereiche seiner Wirtschaft schützen, die mit der Ausführung geheimhaltungsbedürftiger öffentlicher Aufträge betraut sind. Die Erfahrungen haben gezeigt, daß sich die Aktivitäten fremder Nachrichtendienste nicht nur gegen staatliche Institutionen, sondern in starkem Maße auch gegen Wirtschaftsunternehmen richten. Ein wirksames Geheimschutzsystem soll hier gewährleisten, daß die gegen die deutsche Wirtschaft gerichteten Ausspähungsversuche durch gezielte Maßnahmen im vorbeugenden Bereich abgewehrt werden können, um irreparable Schäden zu vermeiden. ALLGEMEINES VIII. VERFASSUNGSSCHUTZ IN SACHSENANHALT Grundlagen und organisatorische Ausgestaltung des Verfassungsschutzes Vor allem die geschichtlichen Erfahrungen der Weimarer Republik, die sich den Angriffen von rechts und links schutzlos ausgesetzt sah und schließlich vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten kapitulieren mußte, veranlaßten die Verfasser des Grundgesetzes, die Bundesrepublik Deutschland als streitbare Demokratie zu gestalten. Zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung enthält das Grundgesetz Schutzvorkehrungen. Hierzu gehören: * die Verwirkung bestimmter Grundrechte, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht werden (Artikel 18 Grundgesetz), * das Recht, Parteien (Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz) und sonstige Vereinigungen (Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz) zu verbieten, wenn diese darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, * die Unabänderlichkeit wesentlicher Grundsätze der Verfassung wie zum Beispiel der Schutz der Menschenwürde und fundamentale Verfassungsgrundsätze (Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz). Der Grundgesetzgeber maß dem Verfassungsschutz in diesem komplexen Schutzsystem eine wichtige Rolle zu. Er hat den Bund zur Errichtung von Zentralstellen zur Sammlung von Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Sicherheit von Bund und Län- ALLGEMEINES dern ermächtigt (Artikel 73 Nr. 10b; Artikel 87 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz). Von dieser Ermächtigung hat der Bund bereits 1950 Gebrauch gemacht und das Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (Bundesverfassungsschutzgesetz) erlassen, das Bund und Länder zur Zusammenarbeit und Errichtung von Verfassungsschutzbehörden verpflichtet. Auf Bundesebene wurde das Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln gegründet. Die Länder haben ihre Verfassungsschutzbehörden entweder als Teil des Innenministeriums oder als selbständige Landesbehörde organisiert. Das Bundesverfassungsschutzgesetz wurde 1990 novelliert. Es enthält Bestimmungen über Aufgaben und Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz und einen strengen Katalog datenschutzrechtlicher Vorschriften. Das Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt orientiert sich am Verfassungsschutzgesetz des Bundes. Die Aufgaben des Verfassungsschutzes nimmt in Sachsen-Anhalt das Landesamt für Verfassungsschutz wahr. Das Landesamt gehört als obere Landesbehörde zum Geschäftsbereich des Ministeriums des Innern und untersteht dessen Fachund Dienstaufsicht. Zu erreichen ist das Landesamt für Verfassungsschutz wie folgt: Zuckerbusch 15 oder Postfach 18 49 39114 Magdeburg 39008 Magdeburg Telefon: 0391/567 3900 Telefax: 0391/567 3999. ALLGEMEINES Methoden und Mittel der Informationsgewinnung Die Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz sind in SS 4 VerfSchG-LSA definiert: "SS 4 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik, insbesondere des Ministeriums für Staatssicherheit oder des Amtes für Nationale Sicherheit, im Sinne der SSSS 94 bis 99, 129, 129a des Strafgesetzbuches, 3. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. ALLGEMEINES (2) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen der zuständigen öffentlichen Stellen mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, welche das zuständige Ministerium im einzelnen bestimmt hat, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Für die Mitwirkung des Verfassungsschutzes an der Sicherheitsüberprüfung nach Satz 1 ist die Einwilligung der betroffenen Person erforderlich. Ehegatten, Verlobte oder die Person, die mit der betroffenen Person in Lebensgemeinschaft zusammenlebt, dürfen in die Sicherheitsüberprüfungen ebenfalls nur mit ihrer Einwilligung einbezogen werden. (3) Die Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde gemäß Absatz 2 setzt im Einzelfall voraus, daß die betroffene Person und andere in die Überprüfung einbezogene Personen über Zweck und Verfahren der Überprüfung einschließlich der Verarbeitung der erhobenen Daten durch die beteiligten Dienststellen vorab unterrichtet werden." ALLGEMEINES Keine polizeilichen Befugnisse Der Verfassungsschutz hat keinerlei polizeiliche Befugnisse. Er ist also nicht berechtigt zu verhören, zu verhaften, festzunehmen, anzuhalten, zu beschlagnahmen oder zu durchsuchen. Dies obliegt allein der Polizei. Die Verfassungsschutzbehörde darf auch nicht die Polizei bitten, an ihrer Stelle tätig zu werden. Methoden und Mittel nachrichtendienstlicher Tätigkeit Wo die offene Informationserhebung nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht, darf die Verfassungsschutzbehörde die in SS 7 Absatz 3 VerfSchG-LSA aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen: "SS 7 Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere durch Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und die Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen Informationen verdeckt erheben. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffung regelt. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission zu übersenden." Der Einsatz solcher nachrichtendienstlichen Mittel kann dann erforderlich werden, wenn eine Organisation oder Gruppierung sich nur unter Ausschluß der Öffentlichkeit zusammenfindet oder sich generell konspirativ verhält, um ihre wahren Absichten zu verschleiern. ALLGEMEINES Weil der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel einen Eingriff in die grundgesetzlich geschützte Privatsphäre und die allgemeinen Freiheitsrechte darstellt, ist er nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhaltes auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise nicht möglich ist und er nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Das einschneidendste nachrichtendienstliche Mittel des Verfassungsschutzes ist die Brief-, Postund Telefonkontrolle. Weil hierdurch das Grundrecht nach Artikel 10 Grundgesetz beeinträchtigt wird, kann der Einsatz eines solchen Mittels nur auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen. Mit dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (allgemein "G 10" genannt) und dem entsprechenden Landesausführungsgesetz sind in Sachsen-Anhalt die gesetzlichen Voraussetzungen geschaffen. Datenschutz Der Verfassungsschutz hat das Datenschutzrecht zu beachten. Die zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erhobenen personenbezogenen Daten werden daher gemäß den im Verfassungsschutzgesetz enthaltenen Vorschriften über die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung solcher Daten behandelt. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten nicht unbegrenzt oder auf Vorrat speichern. Wird festgestellt, daß eine Speicherung unzulässig war oder die Kenntnis der gespeicherten Daten nicht mehr erforderlich ist, sind diese zu löschen. Ergibt sich, daß Daten zu löschen sind, sind zugleich die zur Person geführten Akten zu vernichten (Näheres siehe SS 11 VerfSchG-LSA). Daten zu Minderjährigen, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, dürfen in Dateien nicht gespeichert werden. Daten des Landesamtes für Verfassungsschutz dürfen nur unter genau festgelegten engen Voraussetzungen an Dritte ü- bermittelt werden. Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Strafverfolgungsbehörden personenbezogene Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Datenübermitt- ALLGEMEINES lung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Am Ende des Berichtszeitraumes waren vom Landesamt für Verfassungsschutz etwa 6.200 Personen in dem von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder als Aktenfundstelle gemeinsam betriebenen und genutzten nachrichtendienstlichen Informationssystem ("NADIS") gespeichert, davon Daten zu 1.790 Personen im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen. Auskunftserteilung Jedermann hat die Möglichkeit, das Landesamt für Verfassungsschutz um unentgeltliche Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu bitten. Die Behörde ist gemäß SS 14 VerfSchG-LSA grundsätzlich verpflichtet, Auskunft zu erteilen, soweit der Bürger auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Die Auskunft hat zu unterbleiben, wenn die Verweigerungsgründe vorliegen, die bereits das Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten der Bürger (DSG-LSA) in SS 15 Absatz 4 nennt. Zu diesen Verweigerungsgründen kommt als spezieller gesetzlicher Auskunftsverweigerungsgrund die Gefährdung von Quellen oder die Gefahr der Ausforschung seines Erkenntnisstandes oder seiner Arbeitsweise hinzu. ALLGEMEINES Kontrolle Das Landesamt für Verfassungsschutz unterliegt einer umfassenden Kontrolle, nämlich * der Dienstund Fachaufsicht des Ministeriums des Innern, * der Prüfung durch den Landesrechnungshof, * der Kontrolle durch das Parlament, * der Kontrolle des Landesbeauftragten für den Datenschutz und * der Kontrolle durch die Gerichte. Außerdem unterliegt das Landesamt für Verfassungsschutz der besonderen Kontrolle des Landtages durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Diese Kommission wird von der Landesregierung umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichtet. Die aus fünf Abgeordneten des Landtages bestehende Kontrollkommission tritt mindestens vierteljährlich zusammen. Unter bestimmten Voraussetzungen hat sie das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen des Landesamtes für Verfassungsschutz sowie auf Anhörung von Auskunftspersonen. Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes leistet in der notwendigen geistig-politischen Auseinandersetzung mit extremistischem und terroristischem Gedankengut eine wichtige Aufgabe, die letztlich dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland dient. Sie gewährleistet, daß Regierung und Parlament, aber auch jeder Bürger über die Aktivitäten und Absichten verfassungsfeindlicher Organisationen informiert werden. ALLGEMEINES Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes informiert über * die Institution des Verfassungsschutzes und * die offen verwertbaren Ergebnisse der nachrichtendienstlichen Facharbeit. Wichtig zur Unterrichtung der Öffentlichkeit ist der jährlich herausgegebene Verfassungsschutzbericht, der seit 1996 auch im Internet http://www.mi.sachsen-anhalt.de/lfv/lfv.htm nachzulesen ist. In Sachsen-Anhalt werden die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit vom Ministerium des Innern und vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Unter dem Slogan "FAIRSTÄNDNIS - Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhaß" beteiligten sich das Ministerium des Innern und das Landesamt für Verfassungsschutz auch 1997 an der gemeinsamen Kampagne von Bund und Ländern gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit. Im Rahmen dieser Aufklärungskampagne und mit Blick auf das "Europäische Jahr gegen Rassismus" wurden unter anderem zahlreiche Informationsmaterialien wie zum Beispiel das Jugendmagazin "basta - Nein zur Gewalt" sowie das Computerspiel "Dunkle Schatten 2 - Im Netzwerk gefangen" kostenlos verteilt. Auf Anfrage stellt das Landesamt für Verfassungsschutz Referenten für Informationsveranstaltungen zur Verfügung. ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AA/BO Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation AIZ Antiimperialistische Zelle AJZ Alternatives Jugendzentrum Dessau AKON Aktion Oder-Neiße ARGK Volksbefreiungsarmee Kurdistans BAT Bundesweites Antifa-Treffen BBZ Berlin-Brandenburger Zeitung der nationalen Erneuerung BPjS Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften DE Demokratische Erneuerung DFN Deutscher Freundeskreis Nordharz DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DHKP-C Volksbefreiungspartei/-front DKP Deutsche Kommunistische Partei DNZ Deutsche Nationalzeitung DSG-LSA Datenschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt DSU Deutsche Soziale Union DVU Deutsche Volksunion DWZ/DA Deutsche Wochenzeitung/Deutscher Anzeiger FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FIS Islamische Heilsfront FN Front National FVB Freiheitlicher Volks Block GG Grundgesetz HVD Heimattreue Vereinigung Deutschlands IBP Islamischer Bund Palästina ICCB Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS I. f. A. Initiative für Ausländerbegrenzung IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. IJ Internationale Jugend JN Junge Nationaldemokraten KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPD-Ost Kommunistische Partei Deutschlands KPD/M Kommunistische Partei Deutschlands - Gruppe MÖLLER KPF Kommunistische Plattform der PDS LPG Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft MB Muslimbruderschaft MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands OSA Office for Special Affairs PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PKK Arbeiterpartei Kurdistans RAF Rote Armee Fraktion REP Die Republikaner RH Rote Hilfe e. V. RTC Religious Technology Center SO Scientology-Organisation StGB Strafgesetzbuch TDKP Revolutionäre Kommunistische Partei der Türkei ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS VB Vlaams Blok VerfSchG-LSA Gesetz über den Verfassungsschutz des Landes Sachsen-Anhalt VS Verschlußsachen WISE World Institute of Scientology Enterprises YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. ZGU Zentrale Gemeinschaftsunterkunft