Landtag von Sachsen-Anhalt Drucksache 2/91 0 Zweite Wahlperiode 04.05.1995 Unterrichtung Präsident des Landtages Magdeburg, 4. Mai 1995 von Sachsen-Anhalt Verfassungsschutzbericht 1994 Sehr geehrte Damen und Herren, mit Schreiben vom 26. April 1995 hat der Chef der Staatskanzlei des Landes Sachsen-Anhalt gemäß SS 15 Abs. 1 des Gesetzes über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfSchG-LSA) vom 14. Juli 1992 (GVBI. LSA S. 590) dem Landtag den Verfassungsschutzbericht 1994 der Landesregierung mit der Bitte um Kenntnisnahme übermittelt. Federführend ist das Ministerium des lnnern des Landes Sachsen-Anhalt. Die Unterrichtung des Landtages erfolgt gemäß SS 54 Abs. 1 Satz 2 der Vorläufigen Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt (VoriGO.LT). Mit freundlichen Grüßen Dr. Klaus Keitel Anlage Hinweis: Die Ausgabe des gedruckten Verfassungsschutzberichtes 1994 erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt. (Ausgegeben am 05.05.1995) Vorabdruck Verfassungsschutzbericht des Landes SachsenAnhalt 1994 ~Iinisterium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt --------------------Sachsen-AnhaltVerfassungsschutzbericht 1994 Ministerium des lnnern des Landes Sachsen-Anhalt - - - - - - - - - - - Berichtszeitraum: 01. 01. 1994-31. 12. 1994 - Vorwort Die Bedeutung und der Wert eines freiheitlich-demokratischen verfaßten Staates wissen gerade diejenigen zu schätzen, die die Freiheitsrechte nach deren jahrzehntelanger staatlicher Mißachtung erkämpft haben. Die Verteidigung und der Schutz des demokratischen Rechtsstaates ist Aufgabe aller Bürgerinnen und Bürger. Deren Bereitschaft, sich mit den Werten unserer Verfassung zu identifizieren und an ihrer Bewahrung engagiert mitzuwirken, ist der beste Garant fiir einen wirksamen Verfassungsschutz. Ein positives und ermutigendes Signal in dieser Hinsicht ist die deutliche Absage der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land an extremistische Parteien bei den Wahlgängen des vergangeneo Jahres. Trauriger Höhepunkt des Berichtsjahres waren demgegenüber die Ausschreitungen in Magdeburg am Himmelfahrtstag. Die besorgniserregende Zunahme fremdenfeindlicher Straftaten im Berichtszeit- . raum ist nicht zuletzt auf diese Ereignisse im Mai 1994 und ihre Folgewirkung zurückzufiihren. Als erschreckende Beispiele fiir Fremdenhaß und Gewalt sind die Krawalle zugleich Mahnung zu erhöhter Wachsamkeit aller, um Wiederholungen vorzubeugen. Der Verfassungsschutz leistet hierzu einen wichtigen Beitrag, indem er Erkenntnisse zu rechtsund linksextremistischen Bestrebungen gibt. Sein Arbeitsauftrag und seine Mittel sind gesetzlich festgelegt und werden durch den Landtag kontrolliert. Die Verfassungsschutzbehörde wird gerade im Vorfeld polizeilich relevanter Aktivitäten tätig. Deutlicher Beleg hierfür sind die Verbote von rechtsextremistischen Vereinigungen im vergangeneo Jahr, die wesentlich auf Informationen des Verfassungsschutzes gestützt werden konnten. Der Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen und andere Angriffe auf unsere Verfassung dient der vorliegende Bericht. Er zeigt verfassungsfeindliche Ziele und Bestrebungen auf, die gerade von extremistischen Gruppierungen häufig durch Scheinbekenntnisse zur Demokratie, durch die Umwertung politischer und juristischer Begriffe und verdeckte Querverbindungen verschleiert werden. Der diesjährige Verfassungsschutzbericht gibt den Bürgerinnen und Bürgern hierzu die notwendigen Informationen und liefert damit einen wichtigen Beitrag zur praktizierten wehrhaften Demokratie. Dr. Manfred Püchel Minister des Innem des Landes Sachsen-Anhalt Inhaltsverzeichnis Vonvort ** 1 I. Uberblick II. Rechtsextremismus 3 1. Vorbemerkungen 3 1.1 Begriffsbestimmungen 3 1.2 Ideologische Strömungen 4 1.3 Erscheinungsformen des Rechtsextremismus 4 1.4 Merkmale des Rechtsextremismus 5 1.5 Nutzung der modernen Informationstechnik 7 1.5.1 Mailboxen 7 1.5.2 "Nationale Info-Telefone" (NIT) 12 1.5.3 Mobiltelefone 15 1.5.4 Mobilfunk, CB-Funk und FAX 15 1.5.5 Gegenmaßnahmen 16 1.6 Revisionismus-Kampagne 16 1.6.1 Ziele und Methoden 16 1.6.2 Entwicklung 17 1.6.3 Träger der Revisionismus-Kampagne 18 1.7 Auslandskontakte deutscher Rechtsextre19 misten 1.7.1 Neonazistische Propaganda aus dem Aus20 land 1.7.2 Internationale Treffen 23 2. Militanter Rechtsextremismus 26 2.1 Erscheinungsformen 26 2.1.1 Skinheads 26 2.1.2 Andere militante Rechtsextremisten 29 II 2.2 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 30 2.2.1 Übersicht über die Strafund Gewalttaten 34 2.2.2 Gerichtsurteile 44 2.2.3 Kein Rechtsterrorismus in Sachsen-Anhalt 47 3. Neonazistische Organisationen 47 und Parteien 3.1 Allgemeines 47 3.1.1 Ideologisch-politischer Standort 48 3.1.2 Organisation 49 3.1.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 51 3.2 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 57 3.2.1 Ideologisch-politischer Standort 57 3.2.2 Organisation 60 3.2.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 62 3.3 Direkte Aktion!Mitteldeutschland (JF) 66 3.3.1 Ideologisch-politischer Standort 66 3.3.2 Organisation 68 3.3.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 70 3.4 Deutscher Freundeskreis Nordharz (DFN) 74 3.4.1 Ideologisch-politischer Standort 74 3.4.2 Organisation 75 3.4.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 76 3.5 Hilfsorganisation für nationale politische 78 Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) 3.5.1 Ideologisch-politischer Standort 78 3.5.2 Organisation 78 3.5.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 79 3.6 Internationales HUfskomitee für nationale 79 politische Verfolgte und deren Angehörige e. V. (IHV) 3.6.1 Ideologisch-politischer Standort 79 3.6.2 Organisation 79 3.6.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 80 3.7 Die Nationalen e. V. 80 3.7.1 Ideologisch-politischer Standort 80 111 3.7.2 Organisation 83 3.7.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 84 4. Rechtsextremistische Parteien 88 und Organisationen 4.1 Partei "Die Republikaner" (REP) 88 4.1.1 Ideologisch-politischer Standort 89 4.1.2 Organisation 91 4.1.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 92 4.2 Nationaldemokratische Partei Deutschlands 95 (NPD) 4.2.1 Ideologisch-politischer Standort 95 4.2.2. Organisation 96 4.2.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 98 4.3 Deutsche Volksunion (DVU) 99 4.3.1 Ideologisch-politischer Standort 99 4.3.2 Organisation 101 4.3.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 102 4.4 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 102 4.4.1 Ideologisch-politischer Standort 102 4.4.2 Organisation 103 4.4.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 104 4.5 Wiking-Jugend (WJ) 105 111. Linksextremismus 107 1. Allgemeines 107 2. Autonome 108 2.1 Ideologisch-politischer Standort 108 2.2 Aktionsformen militanter Autonomer 109 2.3 Gegenwärtige Situation innerhalb der auto110 nomen Szene 2.4 Strukturen in Sachsen-Anhalt 112 2.5 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 115 IV 2.6 Übersicht in Zahlen 120 3. Parteien, Organisationen und 122 sonstige Gruppierungen 3.1 Marxistisch-Leninistische Partei 123 Deutschlands (MLPD) 3.1.1 Ideologisch-politischer Standort 123 3.1.2 Organisation 123 3.1.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 123 3.2 Kommunistische Partei Deutschlands, Sitz 124 Berlin (KPD-Ost) 3.2.1 Ideologisch-politischer Standort 124 3.2.2 Organisation 124 3.2.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 126 3.3 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 127 3.4 Kommunistische Partei Deutschlands 127 (Gruppe MÖLLER) 3.4.1 "KPD/Magdeburg" 127 3.4.2 Internationale Jugend gegen Kapitalismus 128 und Faschismus 3.5 Kommunistische Plattform in der PDS 129 (KPF) 3.5.1 Ideologisch-politischer Standort 129 3.5.2 Organisation 130 3.5.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 130 3.6 Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands 131 (SpAD) 3.6.1 Ideologisch-politischer Standort 131 3.6.2 Organisation 131 3.6.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 131 4. Linksextremistischer Terrorismus 133 4.1 Rote Armee Fraktion (RAF) 133 4.2 Antiimperialistische Zelle (AIZ) 135 V IV. Fortwirkende Strukturen 137 und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdiensteder DDR V. Sicherheitsgefährdende und 138 extremistische Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines 138 2. Aktivitäten in Sachsen-Anhalt 139 VI. Spionageabwehr 140 ** 1. Allgemeiner Uberblick 140 2. Ehemalige DDR-Nachrichten140 dienste 3. Nachrichtendienste der rus141 sischen Föderation und der übrigen GUS-Staaten 4. Nachrichtendienste sonstiger 141 ehemaliger Warschauer-PaktStaaten 5. Nachrichtendienste aus dem 142 Nahen und Mittleren Osten 6. Spionageabwehr mit Hilfe der 142 Bevölkerung VI VII. Geheimschutz 143 1. Allgemeines 143 2. Geheimschutz im Behörden143 hereich 2.1 Personeller Geheimschutz 143 2.2 Materieller Geheimschutz 144 3. Geheimschutz in der Wirtschaft 145 VIII. Verfassungsschutz in 147 Sachsen-Anhalt 1. Grundlagen und organisatorische 147 Ausgestaltung des Verfassungsschutzes 2. Aufgaben des Verfassungs148 schutzes 3. Organisation des Verfassungs154 schutzes in Sachsen-Anhalt 4. Methoden und Mittel der Infor154 mationsgewinnung 5. Kontrolle 157 VII IX. Verfassungsschutz durch 158 Aufklärung ** 1. Fortsetzung der "FAIRSTAND158 NIS-Kampagne" ** 2. Offentlichkeitsarbeit des Ver162 fassungssch utzes X. Anhang Anhang 1: 163 Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Sachsen-Anhalt (VerfassungsschutzgesetzLSA) Anhang 2: 178 Abkürzungsverzeichnis Anhang 3: 181 Stichwortverzeichnis Anhang 4: 193 Strukturdaten 1 I. Überblick 1994 ging die Gefahr fiir die innere Sicherheit hauptsächlich von rechtsextremistischen Bestrebungen und Tätigkeiten aus. Eine Bedrohung stellen aber auch weiterhin verfassungsfeindliche Aktivitäten von Linksextremisten dar. Im rechtsextremistischen Bereich war eine drastische Zunahme neonazistischer Aktivitäten festzustellen. Die Zahl der Neonazis hat sich in Sachsen-Anhalt im Berichtszeitraum mehr als verdreifacht. Den örtlichen Schwerpunkt bildet die Harzregion. Dort konnte insbesondere die im Februar 1995 verbotene Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei neue Mitglieder und Sympathisanten gewinnen. Auch war zu beobachten, daß sich einzelne Neonazis und militante Rechtsextremisten Gruppen anschlossen, die absichtlich auf feste innere Strukturen verzichten und dadurch Einzelgänger ansprechen. Besondere Gefahren gehen weiterhin von rechtsextremistischen Gewalttätern aus. Obwohl ein leichter Rückgang bei den Gewalttaten festzustellen war, nahmen die fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten - gegen den Bundestrend - um mehr als ein Drittel zu. Eine ungewöhnliche Entwicklung war bei den antisemitischen Straftaten festzustellen. Ihre Zahl hat sich mehr als verzehnfacht, wobei die Gewalttaten aiJerdings nur einen kleinen Teil ausmachten. Die informationeile Vernetzung zwischen Neonazis, militanten Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen wurde im Berichtszeitraum fortgesetzt, um die andauernden Organisationsverluste auszugleichen. Es ist zu erwarten, daß im April 1995 auch in Sachsen-Anhalt ein "Nationales Info-Telefon" installiert werden wird. Die rechtsextremistischen Parteien erzielten im Berichtszeitraum aus ihrer Sicht verheerende Wahlergebnisse und litten unter der weiterhin bestehenden innerparteilichen Zerstrittenheit. Dies hatte rückläufige Mitgliederzahlen zur Folge, so daß unter anderem auch deshalb sich die bestehenden Organisationsstrukturen nicht weiter entwickelten. 2 Linksextremistische Bestrebungen gingen im Berichtszeitraum hauptsächlich von Autonomen aus. Ihnen waren auch die meisten Straftaten zuzurechnen, obwohl hier ein allgemeiner Rückgang zu verzeichnen war. Als Reaktion auf die Zunahme neonazistischer Aktivitäten in der Harzregion bildete sich im Bereich Halberstadt und Quedlinburg eine ,,Antifa-Ha/Qu". Die linksextremistischen Parteien spielten in Sachsen-Anhalt keine besondere Rolle. Die Auswertung der begangenen Gewalttaten fiihrte zu dem Schluß, daß auch im Jahr 1994 in Sachsen-Anhalt weder im rechtsnoch im linksextremistischen Bereich terroristische Aktivitäten bestehen. Die gesetzlichen Voraussetzungen fiir die Annahme einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a Abs. 1 StGB liegen weiterhin nicht vor. Allerdings ist die Gefahr, die von der terroristischen "Antiimperialistischen Zelle" bundesweit ausgeht, nicht zu unterschätzen. Sie hatte im Berichtszeitraum angedroht, die bundesdeutschen Eliten da anzugreifen" wo sie wohnen und arbeiten". Extremistische Bestrebungen und Tätigkeiten von Ausländern waren in Sachsen-Anhalt nicht festzustellen. Das gleiche gilt fiir den Bereich "Fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der DDR". Im Bereich der Spionageabwehr wurden bei der Abarbeitung von Altfällen Erkenntnisse des Landesamtes fiir Verfassungsschutz zum Anlaß fiir die Einleitung von Ermittlungsverfahren genommen. 3 * II. Rechtsextremismus 1. Vorbemerkungen 1.1 Begriffsbestimmung "Rechtsextremismus" umfaßt im Verständnis der Verfassungsschutzbehörden politisch motivierte Bestrebungen, die im N ationalismus und Rassismus wurzeln. Nationalismus beinhaltet dabei im wesentlichen die Überbewertung eigener nationaler Interessen zu Lasten der Interessen anderer Nationen und zu Lasten der Individualrechte von Angehörigen der eigenen Nation. Nationalismus und Rassismus sind miteinander eng verzahnte Begriffe, weil in der rechtsextremistischen Interpretation die Nation nur die Gemeinschaft derjenigen umfaßt, die aufgrund gemeinschaftlicher Abstammung - also einheitlicher Rasse - zusammengehören ("Rassenation"). Die nationalsozialistische Propaganda verkündete einen solchen von Volkstumsideologie und Rassenfanatismus beherrschten biologischen Nationenbegriff, der im Unterschied zum Begriff der "Kultumation" steht. Die "Kulturnation" ist gegründet auf die ethnisch-kulturelle Entwicklung des Volkes, stellt also auf die Gemeinschaft von Menschen ab, die durch gemeinsame Abstammung und durch gemeinsame Sprache, Religion und Kultur sowie durch gemeinsam erlebte Geschichte ein politisches Gemeinschaftsgefühl entwickelt haben. Rechtsextremismus ist somit gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet. Nationalistische Elemente stellen die Wertordnung des Grundgesetzes in Frage, weil sie Individualrechte hinter nationale Kollektivinteressen zurücktreten L_ sen. Der Rassismus ist zudem mit dem grundgesetzlich verbürgten Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsgrundsatz im Sinne der Artikel 1 und 3 des Grundgesetzes unvereinbar. Eine dergestalt rassistisch motivierte und damit rechtsextremistische Fremdenfeindlichkeit sollte nicht als ,,Ausländerfeindlichkeit" bezeichnet werden. Denn ein Rassist bekämpft auch die inzwischen eingebürgerten, d. h. zu deutschen Staatsangehörigen gewordenen Ausländer, nicht jedoch diejenigen Ausländer, die er im weitesten Sinne der "nordischen Rasse" zuordnet. 4 * 1.2 Ideologische Strömungen Der Rechtsextremismus weist keine einheitliche Ideologie auf. Das wesentliche Kennzeichen jedweder rechtsextremistischen Einstellung und Ideologie ist der Nationalismus. Unter den Nationalisten bilden die Anhänger AdolfHITLERs und des Nationalsozialismus eine nicht nur im Inland, sondern auch in vielen anderen Ländern vertretene Minderheit. Neonazis sind zu unterscheiden von den nichtnationalsozialistisch geprägten rechtsextremistischen Gruppierungen. Rechtsextremistische Parteien in der Bundesrepublik Deutschland wie die "Deutsche Volksunion" (DVU), die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und die "Deutsche Liga fiir Volk und Heimat" (DLVH) propagieren kein geschlossenes Ideologiegebäude, sondern eine mit wechselnden Schwerpunktthemen besetzte rechtsextremistische Agitation. Dabei ist die NPD einer eher völkisch-kollektivistischen Vorstellung verhaftet mit dem Ziel, einen Volksstaat anzustreben; der die Interessen der Gemeinschaft über die Rechte des Einzelnen stellt. Die DVU hingegen hat bisher überhaupt keine weltanschaulichen oder ideologischen Konzepte erkennen lassen. Sie greift in den Publikationen ihres Bundesvorsitzenden Dr. FREY regelmäßig aktuelle Themen auf, um Feindbilder zu erzeugen, wie etwa das Bild vom "vagabundierenden Zigeuner", dem "faulen Polen", den "kriminellen Asylbewerbern" oder den "Juden, die die Deutschen erpressen". Die DLVH ist das Ergebnis von Personalquerelen im rechtsextremistischen Parteienbereich. Sie hat von den anderen rechtsextremistischen Parteien Teilaspekte übernommen, um sich als "Partei der nationalen Sammlung" zu empfehlen. 1.3 Erscheinungsformen des Rechtsextremismus Bei den Erscheinungsfonnen des Rechtsextremismus ist zu trennen zwischen: dem militanten Rechtsextremismus (Seite 26), dem organisierten Neonazismus (Seite 4 7) und 5 den rechtsextremistischen Parteien und Organisationen (Seite 88). 1.4 Merkmale des Rechtsextremismus Die unter dem Begriff Rechtsextremismus zusammengefaßten Parteien, Organisationen oder Personenzusammenschlüsse verfUgen nicht über ein gefestigtes theoretisches System. Die Bestrebungen rechtsextremistischer Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland sind im wesentlichen dadurch gekennzeichnet, daß sie die Grundlagen der Demokratie ablehnen und - aus taktischen Gründen meist nicht offen erklärt - eine totalitäre Regierungsform unter Einschluß des Führerprinzips anstreben. Sie stellen sich damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die wichtigsten Elemente des Rechtsextremismus sind: ein den Gedanken der Völkerverständigung mißachtender, übersteigerter, oft aggressiver Nationalismus, verbunden mit menschenverachtender Fremdenfeindlichkeit, die offene oder verdeckte Wiederbelebung des Antisemitismus und anderer rassistischer Thesen, wie die Warnung vor einer ,,Rassenmischung u als Gefährdung des "deutschen Volkscharakters", die mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Gleichheitsprinzip nicht vereinbar sind, die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des einzelnen, die auf eine Aushöhlung der Grundrechte abzielt (völkischer Kollektivismus), wiederkehrende Versuche, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft unter Herausstellung angeblich positiver Leistungen des Dritten Reiches zu rechtfertigen, die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime zu diffamieren und die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu verschweigen, zu verharmlosen oder sogar zu leugnen (Revisionismus) und 6 eine Überbetonung militärischer und soldatischer Werte und hierarchischer Prinzipien (,,Führer" und "Gefolgschaft") verbunden mit der Propagierung einer autoritären und diktatorischen staatlichen und sozialen Ordnung sowie der Überbetonung der Notwendigkeit eines nach innen und außen starken Staates (Etatismus). Hinzu kommt die von allen Extremisten betriebene planmäßige Verunglimpfung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten in der Absicht, die Demokratie in den Augen der Bevölkerung als Wert zu erschüttern. Diese Merkmale sind nicht immer vollständig bei allen rechtsextremistischen Personenzusammenschlüssen zu beobachten. Manchmal sind nur Teilaspekte fiir das Gesamterscheinungsbild bestimmend. Auch die Intensität und die Mittel des Kampfes gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind unterschiedlich. Wahrend die Neonazis offen alle wesentlichen demokratischen Verfassungsgrundsatze ablehnen und sie langfristig durch ein System des ,,Dritten Weges" ersetzen wollen, versuchen die rechtsextremistischen Parteien wie die NPD und die DVU, ihre wahren Ziele vielfach hinter tagespolitischen Forderungen zu verbergen. Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele lehnen sie verbal ab. Dagegen fordern Neonazis schon seit Jahren offen zur Gewaltanwendung auf. Das herausragende gemeinsame Merkmal aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist der Rassismus, der im Neonazismus und in der rechtsextremistischen Skinhead-Bewegung am stärksten artikuliert wird. Betont wird die rechtsextremistische Ideologie von der angeblichen Ungleichheit der Menschen und der angeblich unterschiedlichen "Wertigkeit" der Menschenrassen. Neben Juden sind Ausländer, vor allem Türken, von dieser Aggression betroffen. Gegenwärtig steht die rassistisch begründete Fremdenfeindlichkeit im Vordergrund, wahrend der Antisemitismus dahinter zurücktritt. Rechtsextremisten orientieren sich dabei an den Kriterien der ,,Fremdartigkeit" der Ausländer: Je ,fremdrassiger" der Ausländer, besonders der Asylbewerber oder Flüchtling nach ihrer Auffassung ist, desto deutlicher wird er als potentielle Gefahr für die deutsche "Volkssubstanz" bzw. "Volks- 7 gemeinschaft" hingestellt. Infolgedessen fordern sie die ,,Entfernung" dieser Ausländergruppen. 1.5 Nutzung der modernen Informationstechnik Mit der Perfektionierung der Informationstechnik entstanden für die neonazistische und die übrige rechtsextremistische Szene neue Möglichkeiten der Strukturierung durch informationeile Vernetzung, die auch als Steuerungsmittel wirksam nutzbar sind. Diese besonders für einen überregionalen Informationsaustausch einsetzbaren Kommunikationswege haben die Rechtsextremisten wie zuvor die Linksextremisten inzwischen voll in ihr logistisches Konzept aufgenommen. Das steigert die Gefährlichkeit dieses Personenkreises, der dadurch die "Szene" kurzfristig mobilisieren, größere Aktionen steuern und auf Maßnahmen der Sicherheitsbehörden flexibel reagieren kann. Nachdem auch die rechten Parteien die Vorteile der modernen Informationstechnik erkannt haben, sind sie zunehmend bemüht, eigene Kornmunikationswege aufzubauen. 1.5.1 Mailboxen Mailboxen 2 sind elektronische Informationsverteilungsstellen, die jedermann, der das erforderliche technische Gerät besitzt, zur Verfügung stehen. Mindestausstattung fiir den Betrieb und die Kommunikation mit einer Mailbox ist ein PC, eine entsprechende MailboxSoftware, ein Modem 3 sowie ein Fernsprechanschluß. Die Mailbox bietet dem SYSOP4 die Möglichkeit, Informationen selektiert an lediglich durch ihn berechtigte Informationssuchende (POINT, USER und GUEST) abzugeben. Als Betreiber der Mailbox hat der SYSOP höchste Priorität ftir alle Vorgänge. Das bedeutet, daß er sich jederzeit in die Verbindung zwischen dem Informationssuchenden und seiner Mailbox einschalten und den Informationsaustausch kontrollieren und protokollieren kann. 2 Übersetzt etwa elektronische Briefkästen. 3 Kunstwort, Zusammensetzung aus Modulator-Demodulator. 4 Abkürzung für Systemoperator = Betreiberund Verantwortlicher der Mailbox. "Zentralbox" Sysop-Boxen Point, User oder Guest Das System mehrerermiteinander verbundener Mailboxenist oben schematisch darge- = stellt. In einem Mailbox-Netz übernimmtdie "Zentralbox" (Mailbox I) die Aufgabe, deg' nach einemfestgelegtenZeitplan Informationenvon den ansieangeschlossenen!Mailboxen 2-7 (SYSOP-Boxen) abzufragen und diesen im Austausch eigene aktuelle Informationen zu übermitteln. Nach demselben Verfahren tauschen dann die SYSOP-Boxen .: DatenmitdenansieangeschlossenenPoints,UsernundGuests(8-12)aus.Durchdiesen "Schneeballeffekt"werden Informationen schnell und weit verbreitet. . Ä DadieInformationennichtnurüberdas TelefonnetzderTelekom,sondernauch'über | Mobilfunknetze übermittelt werden können, sind Mailboxen nichtunbedingt standortgebunden. Siekönnenalsotheoretisch auchimAuto oder im ii Zugbetriebenwerden.DerDatenaustausch über Mobilfunknetze bietet zwar den Vorteil der Abhörsicherheit, führtdeg aber wegen häufig auftretender Störungen der Mobilfunkverbindung oft zu 1 Datenver-2 lusten. Die moderneInformationstechnikmachtes jederzeitmöglich, dasMailbox-Netznnenzu. Strukturierenund eine andereMailbox zur "Zentralbox" zu bestimmen. Den Überblick = über den Aufbau des Netzeshat in der Regel nur der Betreiber der Zentralbox. deg 9 Auf der niedrigsten - der Allgemeinheit zugänglichen - Berechtigungsstufe kann die Mailbox ähnlich einem Info-Telefon genutzt werden. Höhere Berechtigungsstufen schaffen die Möglichkeit, sensible Informationen nur dem fiir die jeweilige Stufe Legitimierten abrufbar vorzuhalten. Der Zugang zu diesen Bereichen ist nur über Password und Registrierung von Name und Telefonnummer zu erreichen. Bei Festlegung unterschiedlich berechtigter Nutzer der Mailboxen durch deren Betreiber bietet dieses Kommunikationsmittel variable Einsatzmöglichkeiten. Zuerst bedienten sich die Linksextremisten der modernen Kommunikationstechniken, insbesondere der Mailboxen. Sie nutzen sie zur Agitation, zum Informationsaustausch und zur Mobilisierung ihrer Kräfte. Seit Januar 1991 bauten vor allem Personen des RAP-Umfeldes den bundesweiten Mailboxverbund "Spinnen Netz" auf. Die Setreiber - inzwischen als "Verein zur Förderung politischer Kultur durch Kommunikation e. V." organisiert - arbeiten mit Info-Läden, Antifa-Gruppen, freien Radios und Zeitungsprojekten der linksextremistischen Szene zusammen. Über ein "European Counter Network" (ECN) ist der Mailboxverbund "Spinnen Netz" in den internationalen Nachrichtenaustausch eingebunden. Im Herbst 1992 wurden erstmals zwei dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnende Mailboxen bekannt. Nach dem Vorbild "linker" Netze wurde von einer dritten Mailbox in weniger als einem Jahr eine Vernetzung aufgebaut. Diesem zunächst als "Deutsches Nationales Netz", später als "THULE-Network" bezeichneten Verbund traten bis heute noch mindestens neun weitereMailboxen bei. Führende Kraft im "THULE-Network" ist die Mailbox "Widerstand" in Erlangen. Außerdem zählen dazu u.a. die Mailboxen "Gennania" (Bonn), "Rechtsweg" (Frankfurt a. M.), "Propaganda" (Karlsruhe), "Kraftwerk" (Weißenbrunn!Niederbayern), "Elias" (Rhein-NeckarRaum) und "Empire" (Winnenden). Obwohl die Mailboxbetreiber häufig dem neonazistischen Spektrum angehören, sind die Mailboxen des "THULE-Network" grundsätzlich organisationsübergreifend, d. h. sie können in der Regel nicht einer bestimmten rechtsextremistischen Organisation zugeordnet werden. 10 Im "THULE-Network" können Texte und Informationen zu Themen wie ANTI-ANTIFA, Konservative Revolution, Europäischer Nationalismus, Gesellschaft, Kultur oder Zeitgeschichte eingestellt oder abgerufen werden. Von der Mailbox "Widerstand" wurden folgende Ziele für das "THULE-Network" formuliert: Kontakte zwischen "nationalen Gruppen" herzustellen und zu verfestigen, eine Datenbank mit "Informationen für Nationale Aktivisten" zu entwickeln und die Bereitstellung eines "nicht oder nur mit erheblichem technischen Aufwand" auszuspähenden Kommunikationssystems, um so den " Verfolgungsdruck durch das System" zu mindern. Letztendlich soll durch die informationeile Vemetzung eine "befreite Zone" im Mailbox-Bereich geschaffen werden. Hierunter verstehen die Mailbox-Betreiber einen Freiraum für politische Aktivisten oder Aktivitäten nach dem Motto: "Wir sind drinnen, der Staat bleibt draußen". In der zweiten Ausgabe des "THULE-Joumals" wird zum einen beklagt, daß der Verfolgungsdruck des Staates auch in den neuen Bundesländern zugenommen habe und zum andern der Informationsaustausch von Nationalisten aus den alten Bundesländern zu den Nationalisten in "Mitte/deutschland" noch nicht auf dem Stand sei, den die Technik zuließe. In den alten Bundesländern gebe es eine große Menge an Führungskräften, denen aber die breite Basis für die Umsetzung ihrer Ideen fehle. Das Gegenteil sei in den neuen Bundesländern festzustellen. Dort gebe es viele Aktivisten, aber zu wenige Führungskräfte. Daraus folgert der Autor, daß diese ungleiche Zusammensetzung sich durch eine Vemetzung zwischen den Kaderfunktionären in den alten Bundesländern und den Aktivisten aus den neuen Bundesländern lösen ließe. Dazu sei das "THULE-Network" am geeignetsten, denn im Gegensatz zu den Info-Telefonen sei dort ein Informations- 11 Das 'Tl "Netz em: Bs nn WIDERSTAND.BBS Be So BS ESGAR ANUS.BBS 12 austausch von beiden Seiten gewährleistet. Außerdem sei ein Zugriff von Unbefugten bei Einhaltung von Sicherheitsbestimmungen ausgeschlossen. Weiter heißt es dann: "Es muß vorher in Mitteldeutschland zu einer großen Aufklärung in bestimmten Punkten kommen, wie zum Beispiel 'Verhalten gegenüber Polizei und Justiz' sowie 'Umgang mit Mai/boxen'. Der Mangel von Wissen auf diesem Gebiet bringt uns Monat für Monat eine stätig wachsende Gefangenenliste ein und wäre eine Gefahr für die bis jetzt schon bestehende Vernetzung durch Mai/boxen. Wir sollten aber auch für eine Integration der Kameraden in Mitteldeutschland an Projekten die 'bundesweite' Bedeutung haben sorgen. Das Potential der Aktivisten wird noch nicht genug gefördert und ausgeschöpft. Es wäre vor allem sehr wirksam wenn in Mitteldeutschland an jeden Punkt wo es eine handvoll Kameraden gibt, auch die Benutzung von Mai/boxen favorisiert , und vorangetrieben wird. Damit wäre eine kurzfristige Mobilisierung möglich, sowie eine Absprache von Aktionen die sich auf ein bestimmtes Gebiet beziehen nicht mehr auszuschließen. Wir sollten auch den regionalen Nationalismus fördern, weil dadurch eine breite Masse angesprochen werden kann. ... Auf jedenfall handelt es sich bei Mitteldeutschland um die größte Herausforderung die wir seit Kriegsende zu bewältigen und zu lösen haben". (Fehler im Original übernommen) In Sachsen-Anhalt ist bislang noch keine rechtsextremistische Mailbox bekannt geworden. Es sind jedoch Bemühungen feststellbar, geeignete Aktivisten als Mailbox-Betreiber zu gewinnen. 1.5.2 "Nationale Info-Telefone" (NIT) Neben Mailboxen werden im linksextremistischen Spektrum wie im neonazistischen Bereich Anrufbeantworter, "Info-Telefone" oder sogenannte "Nationale Info-Telefone" als jedermann zugänglicher, automatisierter Informationspool betrieben. Sie dienen der Bündelung und Koordinierung von meist logistischen Informationen, da sie eine breite Informationsstreuung gewährleisten. Über den Anrufbeantworter werden allen Interessenten kurzfristig Meldungen zugänglich gemacht. So dient er der linken Szene vornehmlich zur schnellen Übermittlung aktueller Infonnationen und als Mittel zur schnellen Mobili- 13 sierung zu spontanen Aktionen und Demonstrationen. Bei den Rechtsextremisten werden insbesondere Veranstaltungshinweise aus dem "Nationalen Lager", Informationen über Exekutivmaßnahmen und Hinweise auf mögliche Aktionen politischer Gegner verbreitet. Zusätzlich wird Mitgliederwerbung für rechtsextremistische Organisationen betrieben, und für Interessierte werden Kontaktadressen und Rufnummern bekanntgegeben. Nach dem Ende des Ansagetextes wird dem Anrufer die Möglichkeit zur Aufsprache eines eigenen Textes eingeräumt. Das Info-Telefon der FAP verkündet in seiner Ansage vom 13. Juni 1994, daß zur Zeit bundesweit sechs "Nationale Info-Telefone" installiert seien, nämlich in Hamburg, Schleswig-Holstein, Berlin, Rheinland, Nürnberg und Schwaben. Die Ansage beschreibt die InfoTelefone als "Institution der nationalen Bewegung und als "Symbol H für eine sich vereinigende Rechte". Die von Neonazis betriebenen Info-Telefone tragen partei-und organisationsübergreifend zu einer hohen Mobilisierung des gesamten rechtsextremistischen Spektrums bei. Besondere Bedeutung kommt dem Einsatz der NIT bei der Koordinierung von größeren Veranstaltungen des rechtsextremistischen Lagers zu. So wurde bei den alljährlich Mitte August von Rechtsextremisten durchgeführten "RudolfHess-Gedenkveranstaltungen" über die NIT im Vorfeld zur Teilnahme aufgerufen. Dabei kamen 1994 auch zwei Telefone in den Niederlanden als Ausweichnummern der NIT Rheinland und Schleswig-Holstein zum Einsatz. Die Betreiber der NIT sind sich durchaus bewußt, daß der politische Gegner - womit sowohl das linke Spektrum als auch staatliche Stellen gemeint sind - die Informationen ebenfalls ohne. Aufwand abrufen kann. Daher werden neben den NIT zunehmend weitere moderne Kommunikationsmittel wie Mobilfunk und Mailboxen zur logistischen Vorbereitung und Durchführung von Veranstaltungen genutzt. Die Betreiber der NIT sind bemüht, die Ansagetexte so zu formulieren, daß die rechtsextremistische Grundeinstellung zwar erkennbar ist, jedoch möglichst keine Angriffsfläche filr eine strafrechtliche Verfolgung geboten wird. Dennoch wurden in der Vergangenheit wiederholt 14 Info-Telefonezum Teil nur vorübergehendstillgelegt, da Passagen der Ansagetexte gegen strafrechtliche Bestimmungen verstießen. So kam es am 25. März 1994 beim NIT Harnburg zu einer Hausdurchsuchung wegen des Verdachts der üblen Nachrede(SS 186 StGB). Der Verdacht gründete sich auf den Ansagetext vom 22. März 1994, in dem zu dem Spielberg-Film "Schindlers Liste" Stellung bezogen wurde: "Wie nicht anders zu envarten war, ist die Hollywood-Seifenoper des Juden Steven Spielberg 'Schindlers Liste' mit Oscar-Auszeichnungen überhäuft worden. Ein Film von Spielberg erhält grundsätzlich einen Oscar, richtet er sich gegen Nazi-Deutschland, kommen weitere dazu, und hält er den Auschwitz-Mythos am Leben, wird er mit sieben Oscars zum Film des Jahres". Der Anrufbeantworter, schriftliche Unterlagen, ein PC sowie Disketten wurden aufgrund dessen beschlagnahmt. Die nächste Ansage erfolgte jedoch bereits am 28. März 1994. Um einer möglichen Strafverfolgung zu entgehen, werden oftmals Ironie und Zynismus als Hilfsmittel verwendet: "Der Ausflug von 22 Skinheads nach Buchenwald, bei dem einige Fensterscheiben zu Bruch gingen, hat wieder einmal gezeigt, wie hysterisch Altparteien und Medien auf Tabuverletzungen reagieren .... " (Ansagetext des NIT Harnburg vom 29. Juli 1994) Das NIT Rheinland neigt hingegen durch provokante Ausdrucksweise zur Verbannlosung von Gewalt von rechts und somit indirekt zur Billigung von Gewalt. "In Tangermünde hatten fünf mit finster aussehenden Tarnanzügen bekleidete Jugendliche einen sanften Vietnamesen überfallen und beraubt. Sie bedrohten ihr armes Opfer mit einem üblen Sportgewehr~ Gegen zwei wurde natürlich sofort Haftbefehl beantragt. " "Geschickter stellten es etwa 15 Jugendliche in Waschkow bei Cottbus an. Sie griffen ein von 20 Rumänen, also Zigeunern, bewohntes Haus an und verschwanden später unerkannt. " (NIT Rheinland vom 19. Juli 1994) 15 In Sachsen-Anhalt wurde kein Info-Telefon betrieben. Die Installation eines NIT in Magdeburg wurde jedoch bereits für April 1995 angekündigt. 1.5.3 Mobiltelefone Von zunehmender Bedeutung ist auch der Einsatz von Mobiltelefonen des C- und D-Netzes. Sie sind bereits bei mehreren Großkundgebungen von rechtsextremistischen Gruppen zum Einsatz gekommen. Im Vorfeld von Aufmärschen und sonstigen Veranstaltungen wurde über Info-Telefone zur Verwendung von C- und D-Netz-Geräten aufgefordert. Über diese wurde dann - nach Nennung des entsprechenden Codewortes - eine erste Anlaufstelle weitergegeben. Damit soll erreicht werden, daß die in getrennten Fahrzeugkolonnen anreisenden Teilnehmer - bei bereits ausgesprochenem oder erwartetem Verbot der Veranstaltung - zentral (ohne Zugriffsmöglichkeit der Polizei) zu Ausweichveranstaltungen dirigiert werden können. Einzelne führende Neonazis nutzen C- oder D-Netz-Geräte, um so ständig für ihre Anhänger erreichbar zu sein. Außerdem hoffen sie, damit einer befürchteten Telefonüberwachung erfolgreich entgegenwirken zu können. 1.5.4 Mobilfunk, CB-Funk und FAX Führungspersonen neonazisfiseher Gruppen verfügen desweiteren über Scanners , Mobilund CB-Funk sowie FAX-Geräte. So wurde bei den Ausschreitungen in Rostock 1992 der Polizeifunk abgehört und CB-Funk zur Verständigung genutzt. Als im gleichen Jahr Ende September in Hoyerswerda eine Demonstration der "Linken" stattfand, hatten sich die Rechtsextremisten - wohl aus Angst vor Übergriffen - gewappnet und einen gut durchorganisierten CB-Funkverkehr beinahe professionell geführt. FAX-Geräte wurden u.a. eingesetzt, um Berichte über durchgeführte Veranstaltungen oder Aktionen an Redaktionen rechtsextremistischer Publikationen oder Info-Telefone zur weiteren Verbreitung zu übermitteln. Die Bedeutung der vorgenannten Kommunikationsmittel ist gegenüber Mailboxen, Infound Mobiltelefonen nachrangig und dürfte es auf die absehbare Zukunft auch bleiben. 5 scan = suchen; vollautomatisches Frequenzsuchgerät, u.a. zum Abhören von CBund Polizeifunk geeignet. 16 1.5.5 Gegenmaßnahmen Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden gegen den Mißbrauch moderner Kommunikationsmittel sind nur dann möglich, wenn die Ansagetexte der Info-Telefone oder die in den Mailboxen eingestellten Infonnationen Straftatbestände erfiillen. In diesen Fällen können gegen die Setreiber exekutive Maßnahmen zum Zwecke der Strafverfolgung ergriffen werden. Bei Mailboxen, deren Informationsfluß insbesondere bei Beteiligung ausländischer Mailboxen für die Sicherheitsbehörden schwer nachvollziehbar ist, gestaltet sich bereits der Zugang problematisch, da sie hierarchisch aufgebaut sind. Darüber hinaus erschwert der Gebrauch von Passwörtern als Voraussetzung für den Einstieg in eine Mailbox den Zugriff auf die gespeicherten Informationen. Schließlich können mit Hilfe von Verschlüsselungsprogrammen, die zunehmend von Mailboxbetreibern genutzt werden, sensible Nachrichten kodiert werden. Die strafrechtliche Verfolgung eines Mailbox-Betreibers stößt nicht zuletzt auf die Schwierigkeit des Nachweises, daß der Text, der Strafgesetze verletzt, von ihm selbst und nicht von außen in die Mailbox eingestellt worden ist. 1.6 Revisionismus-Kampagne 1.6.1 Ziele und Methoden Revisionismus bedeutet allgemein das Streben nach Änderung eines politischen Zustandes oder Programms. Von Rechtsextremisten wird darunter das Bestreben verstanden, die angeblich in der Nachkriegszeit falsch dargestellte Geschichte der Weltkriege und des Dritten Reiches zugunsten des Nationalsozialismus zu korrigieren. Das rechtsextremistische Lager ist sich weitgehend darin einig, daß das deutsche Volk in wesentlichen Fragen seiner jüngeren Geschichte rehabilitiert werden muß. Als Revisionismus im engeren Sinne wird die Leugnung des "Holocaust" bezeichnet. Das Thema Revisionismus erfährt damit eine deutliche Einengung auf den Teilaspekt der Judenverfolgung im Dritten Reich, nämlich die von Rechtsextremisten vehement bestrittene massenhafte Ermordung europäischer Juden in 17 Gaskammern deutscher Konzentrationslager während des Zweiten Weltkrieges. In der Verfolgung ihres Ziels, das nationalsozialistische Unrechtsregime aufzuwerten, müssen die rechtsextremistischen Revisionisten freilich Regeln der kritischen Geschichtswissenschaft mißachten und Forschungsergebnisse negieren, die nicht ihrem vorgefaßten Geschichtsbild entsprechen. Ihre Argumentation liegt damit zwangsläufig neben der historischen Realität und führt zu falschen Ergebnissen. Diese Art von "Geschichtsrevision" ist also weder Selbstzweck, noch politisch neutral, noch der historischen Wahrheit verpflichtet, sondern soll als Mittel dienen, sich von einem vermeintlich aufgezwungenen "Schuldkomplex" zu befreien. Nationalismus und Antisemitismus bilden die Wurzeln dieses Revisionismus, der letztlich die Opfer zu Tätern und die Täter zu Opfern einer angeblich falschen Geschichtsschreibung machen will. 1.6.2 Entwicklung Revisionismus war von Anfang an keine deutsche, sondern eine internationale Erscheinung. Ursprünglich ging es den rechtsextremistischen Revisionisten vor allem darum, HITLERs alleinige Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu leugnen. Alsbald mußten sie aber feststellen, daß sämtliche Versuche, den Nationalsozialismus mit einer nur auf die "Kriegsschuldlüge" gestützten Agitation zu rechtfertigen, regelmäßig scheiterten, solange es nicht zugleich gelingen würde, die millionenfache Ermordung von Juden durch die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit scheinbar plausiblen Argumenten zu bestreiten. Dies gab den Anstoß zu der zunächst von Frankreich und den USA ausgehenden rechtsextremistischen Propaganda unter dem Schlagwort ,,Auschwitzlüge". Ab Mitte der 60er Jahre erschien eine große Anzahl von Büchern, die den "historischen" Nachweis führen wollten, daß es keine Tötung von Juden in Gaskammern gegeben habe. Die maßgeblichen Autoren waren keine Historiker. So war der Autor der Schrift "Es gab keine Gaskammern", Robert FAURISSON, Dozent für französische Literatur des 20. Jahrhunderts. Der deutsche Agrarjournalist Thies CHRISTOPHERSEN und der Jurist Wilhelm STÄGLICH verfaßten die Schrift "Die Auschwitz-Lüge" und das Buch "Der Auschwitz-Mythos". 18 Seit den Jahren 1988/89 ist eine verstärkte Revisionsmus-Kampagne festzustellen. Sie wurde ausgelöst durch einen Strafprozeß, der 1988 vor dem Bezirksgericht Toronto gegen den in Kanada lebenden deutschen Revisionisten Ernst ZÜNDEL anhängig war. ZÜNDEL war wegen wissentlicher Verbreitung "falscher Nachrichten durch Leug- H nung des "Holocaust" angeklagt. Er legte zu seiner Entlastung ein auf Robert FAURISSONs Initiative von Fred LEUCHTER aus Boston verfaßtes technisches "Gutachten" vor, wonach es in Auschwitz und einigen anderen Konzentrationslagern aufgrund der technischen Gegebenheiten nicht möglich gewesen sei, Menschen in Gaskammern zu töten. Obwohl dieses als "LEUCHTER-Bericht" bekanntgewordene "Gutachten" nichts anderes als eine pseudowissenschaftliche, ziemlich plump gemachte NS-apologetische Propagandaschrift darstellt, wird es von europäischen Revisionisten als Beweis für ihre Thesen verwandt. Die in zweiter Instanz gegen ZÜNDEL verhängte Freiheitsstrafe wurde nicht rechtskräftig, da das Berufungsurteil im Sommer 1992 aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben wurde. 1.6.3 Träger der Revisionismus-Kampagne Der wohl bekannteste Vertreter des Revisionismus ist der international agierende britische Schriftsteller David IRVING, der sich nach eigenen Angaben durch den "LEUCHTER-Bericht" "überzeugen" ließ, daß der Holocaust nur eine Propagandalüge der Sieger des Zweiten Weltkrieges sei. Seitdem vertritt er diese These in bezahlten Vortragsveranstaltungen in verschiedenen Staaten Europas und Amerikas. IRVING war zur Zurückweisung an der deutschen Grenze ausgeschrieben~ trotzdem gelang es ihm immer wieder, in die Bundesrepublik Deutschland einzureisen. Auch in anderen Staaten, besonders in den USA, sind zunehmend Revisionisten tätig. Artbur BUTZ veröffentlichte bereits 1976 das Buch "Der JahrhundertbetrugH, welches das Produkt eines Kreises war, der sich in Kalifornien als "Institute of Historical Review" zusammenfand. Diese Institution ist mittlerweile mit aktiven Revisionisten wie beispielsweise dem bereits erwähnten, in Kanada lebenden Ernst ZÜNDEL, dem zur Zeit in Dänemark wohnhaften Thies CHRISTOPHERSEN, dem Hamburger Rechtsanwalt Jürgen RIEGER u. a. 19 verbunden und gibt die Zeitschrift " The Journal of Historical Review" heraus. Wegen drohender strafrechtlicher Verfolgung werden auch andere revisionistische Publikationen wie "Die Bauernschaft" CHRISTOPHERSENs, das von Ernst ZÜNDEL herausgegebene Blatt "germania", der "Deutschlandreport" des in Spanien lebenden Alt-Nazis Otto Ernst REMER6 im Ausland hergestellt und von dort über Kontaktnetze bis in den letzten Winkel der rechtsextremistischen Szene verteilt. Der Revisionismus hat insgesamt gesehen über sämtliche Organisationsgrenzen hinweg eine ideologische Klammerfunktion. Er wird von Rechtsextremisten als wichtigstes politisches Thema zur Einigung des nationalen Lagers und zur gemeinsamen Mobilisierung gegen den Rechtsstaat eingesetzt. Auch in Sachsen-Anhalt ist zunehmend zu beobachten, daß sich Angehörige der rechtsextremistischen Szene mit dem Revisionismus gezielt auseinandersetzen und vor allen Dingen regelmäßig revisionistisches Propagandamaterial bestellen und auch beziehen. Im Berichtszeitraum sind ferner wiederholt Publikationen und Flugblätter mit revisionistischem Inhalt unaufgefordert an Firmen, Institutionen und Privatpersonen versandt worden. 1.7 Auslandskontakte deutscher Rechtsextremisten Kontakte deutscher Neonazis zu Gesinnungsgenossen im Ausland bestehen bereits seit vielen Jahren, insbesondere in die USA, nach Kanada, Dänemark, Österreich, Belgien, Frankreich, Schweiz, Spanien sowie in die Niederlande und neuerdings auch in die osteuropäischen Staaten. Die teilweise intensiven Kontakte bestanden auch 1994 fort, da die Neonazis ihren Verbindungen ins Ausland große Bedeutung zumessen. Persönliche Verbindungen werden ergänzt durch einen 6 Generalmajor der Wehrmacht, trug als Kommandeur des Wachbataillons in Berlin entscheidend zur Niederschlagung des Aufstandes gegen Hitler arn 20.07.1944 bei. 20 'breitgefächerten ,Publikationsaustausch und internationale Kontakte über moderne Kommunikationsmittel sowie durch Treffen auf internationaler Ebene. Im Ausland werden - meist straffrei - verschiedene neonazistische Schriften hergestellt und auf konspirativen Wegen in die Bundesrepublik Deutschland gebracht, wo sie dann in der Szene vertrieben werden. Mit diesen Schriften soll der Boden für eine "Renaissance des Nationalismus" in der Bundesrepublik bereitet werden. Durch die in Sachsen-Anhalt zunehmende Verbreitung dieser neonazistischen, revisionistischen und antisemitischen Zeitschriften, Rundbriefe, Flugblätter und Aufkleber hat sich der damit transportierte geflihrliche Einfluß aus dem Ausland hier deutlich verstärkt. 1.7.1 Neonazistische Propaganda aus dem Ausland * "NS-Kampfruf~ Zu den bekanntesten, gleichzeitig aber auch übelsten und geflihrlichsten Zeitschriften in der deutschen Neonazi-Szene zählt der seit April 1973 von dem US-Bürger Gary Rex LAUCK aus Lincoln/Nebraska (USA) herausgegebene "NS-Kampfruf' der "Nationalsozialistischen Deutschen ArbeiterparteilAuslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO). In der Bundesrepublik Deutschland verfügt die NSDAP/AO, die sich selbst als "größte nationalsozialistische Untergrundorganisation im heutigen Deutschland" bezeichnet, über zahlreiche, meist nur aus Einzelaktivisten bestehende Stützpunkte. Diese werden von der ,,Auslandszentrale" in Lincoln/Nebraska konspirativ mit nationalsozialistischem Propagandamaterial versorgt. Die in den USA straffrei hergestellten Schriften, Aufkleber und Handzettel werden von den deutschen Gesinnungsgenossen bei ihren Schmier-, Klebeund Verteilaktionen verwendet. Dies konnte im Berichtszeitraum auch in Sachsen-Anhalt wiederholt festgestellt werden. Ihre Geflihrlichkeit offenbart die NSDAP/AO in einem demaskierenden Artikel, der in Fortsetzungen in mehreren Ausgaben des "NSKampfruf' unter der Überschrift: "Eine Bewegung in Waffen: Massenpsychologie, Propaganda und Revolution" erschienen ist. In des- 21 sen Teil2 (abgedruckt im "NS-Kampfruf' von März/Aprill994) wird dem Leser unter der Teilüberschrift "Der verdeckte Kampf' die Strategie des revolutionären Kleinkrieges erläutert: "Für uns jedenfalls gilt die Werwolf-Proklamation Dr. Goebbels' vom 1. April1945 sinngemäß noch immer: Haß ist unser Gebet und Rache unser Feldgeschrei! Der 'Werwolf' ist eine aus nationalsozialistischem Geist geborene Organisation. Er hält sich nicht an die Beschränkungen, die dem innerhalb regulärer Streitkräfte Kämpfenden auferlegt sind. ... Das Wesen der verdeckten Phase des Werwolfs ist der beginnende bewaffnete Kampf Dieser verfolgt zwei Ziele: a) der Gegner soll auf der moralischen Ebene größtmöglich geschwächt werden, gleichzeitig soll ihm ein materieller Schaden größtmöglichen Ausmaßes zugefügt werden; b) die Bevölkerung soll vom System psychologisch isoliert werden. " Im Teil 3 (abgedruckt im "NS-Kampfruf' von Januar/Februar 1993 7 ) - "Die nationalsozialistische Revolution" - heißt es unter anderem: "Alles Zersetzende und Volksschädigende wird aus der Volksgemeinschaft ausgeschlossen, um im Gegenteil alles zu fördern, was unserem Volk nützt, allem voran das Wesen der deutschen Familie. Deutschland wird wieder sauber, - aber nicht von uns, wie der Jid anstrebt, sondern durch uns." Aufgrund des angeblichen "Meinungsund Polizeistaatsterrors" deutscher Behörden schließt der "NS-Kampfruf' (Ausgabe Juli/August 7 Der Teil 3 ist zeitlich vor Teil 2 abgedruckt worden. 22 1994) in einem mit Pseudonym gezeichneten Beitrag die Möglichkeiten eines rechten Terrorismus nicht aus: "Bewaffnete militante Aktionen werden ... dann wohl ein Mittel der politischen Artikulation werden, wenn die Herrschenden in diesem System der politischen Meinungsäußerung von Nationalsozialisten und Nationalisten keinen Raum mehr lassen und die Unterdrükkungsmaßnahmen immer unerträglicher werden. " Die Antworten der Nationalsozialisten werden sichso der Autoran den weiteren Handlungen des Staates orientieren. Gleichzeitig rät er denjenigen, die ,,Aktionen" unternehmen, zu strikter konspirativer Planung und Vermittelbarkeit. Der Abdruck der Schrift "Eine Bewegung in Wa.ffenH (,,Strategie und revolutionärer KleinkriegH) in derselben Ausgabe der Zeitung kann in diesem Zusammenhang als Anleitung zum Handeln verstanden werden. Durch solche und ähnliche Artikel werden Jugendliche zu kriminellen Aktivitäten ermutigt. In der September/Oktober-Ausgabe des "NS-Kampfrufes" nimmt der Herausgeber LAUCK die Äußerungen tendenziell zurück. Der bewaffnete Kampf erscheine ihm "aus logistischen Gründen nicht erfolg- H versprechend. Er fordert stattdessen einen "massenweisen und verdammt auffälligen HEinsatz von NS-Propagandamaterial. * "Die Bauernschaft" Die Publikation "Die Bauernschaft" wird vierteljährlich von dem in Dänemark lebenden Thies CHRISTOPHERSEN, einem maßgeblichen Leugner des Holocaust, herausgegeben. Die in einer Auflage von 4.000 Exemplaren vom "Nordwind-Verlag" in Kollund (Dänemark) verbreitete Publikation veröffentlicht neonazistische und antisemitische Artikel. Außerdem werden regelmäßig revisionistische Schriften und Videofilme zum Kauf angeboten. In seinen Artikeln leugnet CHRISTOPHERSEN, ehemaliger SS-Sonderoffizier und Aufseher im Konzentrationslager Auschwitz, die Massentötungen von Juden in Konzentrationslagern im Dritten Reich und spricht den Opfern das Verfolgungsschicksal ab. Die grausame Lagerwirklichkeit wird von ihm geradezu als Idylle ohne Massenmorde dargestellt. Die dortigen 23 Toten werden als "Opfer widriger hygienischer Umstände" bezeichnet. In "Die Bauernschaft" 3/93 hat er seine Wahrheit über Auschwitz so verbreitet "Ich glaube nicht an die Gaskammern. Ich weiß, in Auschwitz sind Leute gestorben(. ..). Wir hatten Typhus und ich weiß, daß die Läuse bekämpft wurden, nicht durch Hitze, sondern mit Zyklon B, damit sind die Läuse totgemacht worden. Außerdem war für mich Auschwitz kein Konzentrationslager sondern ein Internierungslager." Für CHRISTOPHERSEN war, ist und bleibt HITLER der Größte, den die Geschichte je hervorgebracht hat. So ist es auch nur logisch, daß er sich in seinen Publikationen eindeutig zu HITLER bekennt. Um die weitere Verbreitung der neonazistischen Publikation "Die Bauernschaft" zu unterbinden, wurden bereits im Dezember 1993 der überwiegende Teil der Ausgabe 4/93 sowie zahlreiche Bücher und Videokassetten beschlagnahmt. Der Erfolg des Vorjahres konnte am 20. September 1994 mit einer Beschlagnahme von etwa rund 4.000 Exemplaren wiederholt werden. Damit ist dem finanziell angeschlagenen CHRISTOPHERSEN ein so schwerer Schlag versetzt worden, daß er mittlerweile davon spricht, die Herausgabe seiner Publikation einzustellen und in die Bundesrepublik Deutschland, wo er seit 1986 mit Haftbefehl gesucht wird, zurückzukehren. Durch die 1993 und 1994 durchgefiihrten Exekutivmaßnahmen sind auch 23 Bezieher der Publikation "Die Bauernschaft" aus SachsenAnhalt bekanntgeworden. 1. 7.2 Internationale Treffen * Belgien Im Rahmen der alljährlich im August stattfindenden sogenannten Yser-Wallfahrt ("Ijezbedevaart") im belgiseben Diksmuide (Provinz Westflandern) versammeln sich regelmäßig Zehntausende von Flamen 24 am Denkmal für die im Ersten Weltkrieg gefallenen flämischen Soldaten. Rechtsextremistische flämische Organisationen nutzen diesen Anlaß, sich mit Gleichgesinnten aus dem Ausland zu treffen. An der bedeutendsten dieser Veranstaltungen, dem Treffen der "Voorpost" am Rande der Yser-Wallfahrt, nahmen am 27. August 1994 rund 200 Personen teil (1993: 500 bis 600), darunter auch Anhänger der "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP), der "Jungen Nationaldemokraten" (JN), Mitglieder der zwischenzeitlich verbotenen "WikingJugend" (WJ), Angehörige der rechtsextremistischen "British Natio- . nal Party" (BNP) und Skinheads aus Westund Osteuropa. An diesem Treffen der europäischen Autonomisten und Nationalisten nahmen erstmals auch zehn FAP-Anhänger aus Sachsen-Anhalt teil. Außerdem war Steffen HUPKA, der Herausgeber der Publikation "Umbruch", dort mit einem Info-Stand vertreten. Nach eigenen Angaben konnte er neue Kontakte knüpfen. Die bisher erschienenen Ausgaben des "Umbruch" sollen nach seiner Darstellung auf reges Interesse gestoßen sein, auch bei "Kameraden" aus dem Ausland. * Frankreich Am 25. Juni 1994 nahmen deutsche Neonazis, darunter zehn Teilnehmer aus Sachsen-Anhalt, an einer Sonnenwendfeier in Saint Genix sur Guiers teil. Die von der französischen neonazistischen Gruppierung "Parti Nationaliste Fran9ais et Europeen" (PNFE) ausgerichtete Feier diente als Vorbereitung einer Rudolf-Hess-Veranstaltung. Während des Treffens wurde das Marschieren und Zeigen von "KeltenkreuzFahnen" geübt. Im weiteren Verlauf wurden an besonders belebten Orten Schilder mit der Aufschrift "Rudolf-Hess-Piatz" angebracht. Die PNFE, die über gute Kontakte zur FAP verfUgt, war 1992 am "Rudolf-Hess-Gedächtnismarsch" in Rudolstadt beteiligt. * Spanien Jedes Jahr, an einem Wochenende um den 20. November, treffen sich Neonazis, Skinheads und "ältere Kämpfer" in Madrid, um der Todestage von Jose Antonio Primo DE RIVERA (20. November 1936) und des Diktators Francisco FRANCO (20. November 1975) zu gedenken. Aus ganz Europa, vor allem Belgien, Deutschland, Frankreich und Italien, aber auch aus Übersee reisen FRANCO-Nostalgiker an. Im 25 Rahmen dieses Treffens wird auch der Kämpfer der "Division Azul" gedacht, die mit der deutschen Wehrmacht an der Ostfront kämpften. Daneben wird fiir die Gefallenen der im spanischen Bürgerkrieg ein.gesetzten deutschen "Legion Condor" eine Gedenkfeier abgehalten. Verbunden ist der jährliche Aufmarsch in Madrid, an dem in der Vergangenheit Mitglieder der FAP, der inzwischen verbotenen "Wiking Jugend" und der ehemaligen Waffen-SS teilgenommen haben, mit Ausflügen in das "Valle de Los Caidos" {Tal der Gefallenen) in der Sierra de Guadarrama, wo Generalissimo Francisco FRANCO in einer Krypta beerdigt liegt. Dort werden - zurückgehend auf Vorstellungen von FRANCO - Kämpfer geehrt, die ihr Leben "für ein vom Bolschewismus befreites Spanien und die Neuordnung Europas" ließen. An dem im Berichtszeitraum vom 18. November bis 21. November 1994 durchgefiihrten Treffen in Madrid nahmen insgesamt etwa 30 Deutsche teil. Die deutschen Teilnehmer gehörten mehrheitlich der FAP an. Unter ihnen war erstmals auch ein FAP-Anhänger aus Sachsen-Anhalt. Der gesamte Einsatz der deutschen Teilnehmer, wie auch die Aktion im "Tal der Gefallenen" am 19. November 1994, stand unter der Leitung eines FAP-Funktionärs. Nachdem man sich vor der Kathedrale mit fiinf FAP-Fahnen und einer Reichskriegsflagge formiert hatte, fiihrte der FAP-Funktionär die "Ehrenformation" zu den Gräbern von DE RIVERA und FRANCO. Dem Fahnenappell an den Gräbern folgte der Aufmarsch, der von vielen Spaniern mit Beifall bedacht wurde. Die deutsche Gruppe nahm auch an der Abschlußkundgebung am 20. November 1994 auf dem "Plaza de Oriente" in Madrid teil. Während der Abschlußkundgebung hatten viele Teilnehmer und Zuschauer die Hand zum "Hitlergruß" erhoben. 26 2. Militanter Rechtsextremismus Das größte und gefährlichste Gewaltpotential bilden weiterhin die militanten Rechtsextremisten, insbesondere rechtsextremistische Skinheads. Allerdings ist ihre Gesamtzahl im Bundesgebiet im Berichtszeitraum von 5.600 auf 5.400 zurückgegangen. Allerdings ist der auf die neuen Bundesländer bezogene Anteil von 2.600 auf 2.900 angestiegen. In Sachsen-Anhalt beträgt ihre Anzahl wie im Vorjahr rund 600. Trotzdem konnten Veränderungen festgestellt werden: Lose Personenzusammenschlüsse, die in den letzten Jahren besonders militant in Erscheinung getreten waren, haben sich aufgrund von Verurteilungen führender Aktivisten aufgelöst oder aus der Szene zurückgezogen. Einige haben sich nach dem Zerfall ihrer Gruppe neonazistischen Zirkeln angeschlossen. Andererseits sind aber neue Gruppen mit einer großen Anzahl von Kindem und Jugendlichen unter 16 Jahren entstanden. Wesensmerkmal rechtsextremistischer Militanz ist das Fehlen fester Organisationsstrukturen, was sich insbesondere darin zeigt, daß die meisten Gewalttaten spontan begangen werden und eine organisierte, von langer Hand vorbereitete Vorgehensweise die Ausnahme darstellt. Die Straftaten werden in aller Regel ungesteuert aus der örtlichen Szene verübt, überwiegend von Jugendlichen, Skinheads, aber auch von Personen, die bisher nicht als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten sind. Zwar fehlte den meisten ein geschlossenes politisches Konzept, gleichwohl liegen dem Handeln rechtsextremistische Überzeugungen zugrunde. 2.1 Erscheinungsformen Bei militanten Rechtsextremisten ist zu unterscheiden zwischen Skinheads einerseits und sonstigen Gewalttätern andererseits. 2.1.1 Skinheads Die gesamte Skinhead-Szene ist weitgehend als ein ungegliedertes Gebilde ohne übergreifende Strukturen zu bezeichnen. Sie setzt sich 27 aus einer Vielzahl loser regionaler oder lokaler Gruppen zusammen, die sich zumeist an bestimmten Trefforten bilden. Verbindende Elemente waren bis Mitte 1993 - bisher einzigartig im politischen Extremismus - ein einheitliches äußeres Erscheinungsbild, das jugendliche Alter und eine meist durch soziale Konflikte verursachte Orientierungslosigkeit. Aus Angst, zu leicht von der Polizei und dem politischen Gegner aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes erkannt zu werden, geben Skinheads diese typischen äußeren Erkennungsmerkmale zunehmend auf und praktizieren somit ein "optisches Abtauchen". Daraus hat sich eine Art "Feierabend-Skin" entwickelt, eine Figur, die bereits aus dem Bereich des Linksextremismus als "Feierabend-Terrorist" bekannt ist. Insbesondere die Orientierungslosigkeit führt zur Ausbildung eines Feindbildes: ,,Die Fremden" werden als die am Schicksal der Skinheads Schuldigen angesehen und deshalb zur Zielscheibe ihrer Unzufriedenheit erklärt. Diese Fremdenfeindlichkeit bildet den Ausgangspunkt ihrer politischen Polarisierung und der Übernahme nationalsozialistischer Gedanken und Ausdrucksformen, die in aktuellen Parolen wie ,,Deutschland den Deutschen", ,,Nieder mit allem Fremden" sowie in den Texten ihrer Musik und in zahlreichen Skinhead-Magazinen (sogenannten Fanzines) am deutlichsten sichtbar werden. Während sich die Hinwendung der - in ihrem Ursprung eher unpolitischen - Skinheads zum rechtsextremistischen Gedankengut in den alten Bundesländern erst seit einigen Jahren allmählich vollzieht, ist die neonationalsozialistische Einstellung bei den Skins in den neuen Ländern stärker ausgebildet. Schon zu DDR-Zeiten haben sich ostdeutsche Skins oft als nationalsozialistische Opposition gegen den kommunistischen Parteiund Staatsapparat verstanden. Ihre Ziele verfechten die Skinheads nicht im politischen Meinungskampf, sondern in gewalttätigen Aktionen gegen Ausländer und Asylbewerber - insbesondere Andersfarbige und Personen von südländischem Aussehen - aber auch gegen "links orientierte " Deutsche, Homosexuelle, Prostituierte und Stadtstreicher wegen deren angeblich undeutschen Wesens. Diese Gewaltgeneigtheit spiegelt sich bereits im eigenen Szenejargon wider: Skins sprechen davon, daß "Türken plattgemacht" oder ,,Fidschis geklatscht" werden. Bei Angriffen gegen die ,,Linken" (Anarchos, Autonome, Punks usw.) treten Skins mit Parolen 28 29 wie ,,Rotfront verrecke" auf. Skinhead-Magazine enthalten Hetzparolen gegen Juden, Asylbewerber werden hierin als ,,Asylantenpack" oder ,,Ausländische Schmarotzer" bezeichnet. Gewaltmotivierend und zugleich integrierend wirkt die szeneeigene Musik, die im Hardrockstil zu rechtsextremistischen Liedertexten gespielt wird. Konzertveranstaltungen von Skin-Bands bieten die bedeutendsten Gelegenheiten fiir überregionale Zusammenkünfte von Skinheads. Bei Skin-Konzerten wird die Stimmung nicht selten durch die einpeitschenden Rhythmen in Verbindung mit brutalen Texten und die besondere Art des Auftretens der Bands (zum Beispiel: ,,SiegHeif'-Rufe, ,,Hitlergruß") sowie durch erheblichen Alkoholkonsum so aufgeheizt, daß sie schnell in gewalttätige Aktionen umschlagen kann. Die besondere Gefährlichkeit gewaltgeneigter Skinheads zeigt sich darin, daß sie sich spontan und zumeist nach Alkoholexzessen zu Gewalttaten entschließen, die dann in zufälliger Zusammensetzung ("Wer Lust hat") begangen werden (siehe Abbildung auf Seite 28). Bei den Gewalttaten gegen Personen setzen sie u.a. die zum Symbol gewordenen Baseballschläger und Messer ein oder mißhandeln ihre Opfer mit Stiefeltritten und Faustschlägen. In Sachsen-Anhalt gibt es überwiegend strukturlose Skinheadzusammenschlüsse auf regionaler und lokaler Ebene. Größere Gruppierungen existieren in den Städten Magdeburg und Halle, daneben in der Harzregion um Wernigerode und Quedlinburg, weiterhin im Raum Merseburg, W eißenfels, Bad Lauchstädt sowie in der Altmark um Gardelegen und Klötze. Ihre Treffpunkte sind überwiegend Jugendclubs, aber auch Imbißstände oder örtliche Gaststätten sowie Freizeitund Einkaufsparks oder leerstehende Häuser. 2.1.2 Andere militante Rechtsextremisten Nach bisherigen Erkenntnissen handelt es sich bei den sonstigen militanten Rechtsextremisten überwiegend um Einzeltäter, die sich aus dumpfem Ausländerhaß spontan zu einer Gewalttat hinreißen ließen. 30 2.2 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Im Berichtszeitraum haben nur wenige größere organisierte SkinheadTreffen in Sachsen-Anhalt stattgefunden. Vom 20. bis 22. Mai 1994 veranstalteten etwa 50 Magdeburger Skinheads ein Zeltlager auf einem Campingplatz in Gerwisch, LandkreisJerichower Land. Sie hißten am 22. Mai 1994 die Reichskriegsflagge und grölten nazistische Parolen. Aus diesem Grunde wurde das Treffen am gleichen Tag von der Polizei aufgelöst, und 33 Skinheads wurden vorläufig festgenommen. Dabei sind Luftdruckwaffen, Gasrevolver, Baseballschläger, Buschmesser, eine Präzisionsschleuder, eine Reichskriegsflagge, T -Shirts mit Hitlerbildnissen und Tonträger rechtsextremistischer Skinbands sichergestellt worden. Vom 19. bis 21. August 1994 nahmen zeitweilig bis zu 150 Skinheads aus der Altmark sowie aus Magdeburg, Schönebeck/Elbe, Braunschweig, Stuttgart und Reuttingen an einer als Geburtstagsfeier bezeichneten Skin-Party in Parey, Landkreis Jerichower Land, teil. Während des Treffens auf einem Privatgrundstück sind Kassetten von rechtsextremistischen Skin-Bands und Kampflieder aus der Zeit des Dritten Reiches gespielt worden. Außerdem wurden fremdenfeindliche Parolen wie "Ausländerpack raus, Deutschland lebe hoch und Deutschland den Deutschen" gebrüllt. Daneben wurden Skin-Treffen im kleineren Rahmen an öffentlichen Seen und in Privatgärten durchgeführt. Skinheads aus Sachsen-Anhalt nahmen auch mehrfach an überregionalen Treffen in anderen Ländern teil. Die aus Magdeburg stammenden Skin-Bands "Elbsturm" und "Doitsche Patrioten" haben zusammen mit anderen Bands an Konzerten in Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen teilgenommen. Größere Auftritte dieser Gruppen in Sachsen-Anhalt fanden nicht statt. Als Geburtstagsfeier getarnt sollte am 7. Mai 1994 in einer Gaststätte in Cobbel, Landkreis Stendal, ein Skin-Konzert stattfinden. Dabei wollten neben "Elbsturm" und "Doitsche Patrioten" die Skin-Bands "Boots Brothers" aus Delmenhorst, "Sturmgesang" 31 "Stunngesang" aus Leipzig und "Rheinwacht" aus DUsseldorf auftreten. Das Konzert wurde durch polizeilich ausgesprochene Platzverweise am vorgesehenen Veranstaltungsort verhindert. Die etwa 80 angereisten "Geburtstagsgäste" mußten sich deshalb mit Disco-Musik begnügen. Ein für den 22. Oktober 1994 in Magdeburg geplantes Konzert, an dem neben "Eibstunn" auch die Skin-Bands "Triebtäter" aus Mutlangen (Baden-Württemberg) sowie "Razors Edge" und "Celtic Warrior" aus England teilnehmen wollten, wurde am 14. Oktober 1994 verboten. Aus diesem Grunde führten am 21. Oktober 1994 etwa 30 Jugendliche eine Protestdemonstration mit einer kurzfristigen Straßenblockade in Magdeburg durch. Die Demonstration verlief ohne gewalttätige Ausschreitungen. Ein anläßlich des dreijährigen Bestehens eines Magdeburger Jugendclubs am 17. Dezember 1994 geplantes Konzert mit den Gruppen "Elbsturm" und "Doitsche Patrioten" wurde ebenfalls durch die zuständige Behörde verboten. Ein Demo-Tape, das die Band "Doitsche Patrioten" 1994 aufnahm, wurde aufgrund einer Textauswertung des Landesamtes für Verfassungsschutz am 13. September 1994 durch die BundesprOfstelle für jugendgefährdende Schriften indiziert. In der Begründung heißt es u.a.: Der für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in führender Funktion verantwortliche Rudolf HESS werde in einem der Lieder glorifiziert. Verschwiegen werde bei diesem Loblied auf HESS der totalitäre Charakter der nationalsozialistischen Ideologie, ebenso die geschichtliche Realität. Die Botschaft des Liedes, bei HESS handele es sich um einen ehrenwerten Mann, der sich für das Vaterland aufgeopfert habe, sei geeignet, Jugendlichen ein falsches Bild über den Charakter des Nationalsozialismus und die ihn tragenden Führungspersönlichkeiten zu vermitteln. Die anderen Lieder auf diesem Tape enthalten eine Überhöhung des Deutschtums. Überdies sind in den Texten feindliche Tendenzen gegenüber Ausländern und anderen Minderheiten sichtbar: Passagen wie "Zuhälter, Ausländer und viel mehr, dagegen das deutsche Arbeitslosenheer" treffen Schuldzuweisungen, die zu nichts anderem dienen, 33 ----- < - / .: :_ ------"**- I / / *<} * ~~-....,-.-. -** ............ . ". -'-~.:*. /' ~ .-:-~--*. ~~~ ~-~:~-:-...~:.'~~~~~;~'~;-- . 34 als eine Rechtfertigungsgrundlage ftir eine Art "Gegenwehr" zu bilden, die prompt im Lied "Für Doitschland" ihren Ausdruck findet: "Jetzt wird aufgeräumt in jeder Stadt, wir haben schon lang die Asylanten satt". Das Lied "Schwule " hetzt gegen Homosexuelle auf. Außerdem haben die Gruppen "Elbsturm" und "Doitsche Patrioten" im Berichtszeitraum gemeinsam eine Musikkassette unter dem Namen "Volxsturm" produziert, die über Skinhead-Fanzines und -Verlage bestellt werden kann. 2.2.1 Übersicht über die Strafund Gewalttaten Im Berichtszeitraum wurden 777 Straftaten mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation erfaßt, davon 108 Gewalttaten und 669 sonstige Straftaten. Der Vergleich zum Vorjahr zeigt eine Zunahme der Straftaten insgesamt sowie eine Verminderung der Gewalttaten: 1994 1993 1992 Straftaten insgesamt& 777 328 448 Gewalttaten 108 132 303 sonstige Straftaten 669 196 145 Der Anstieg der sonstigen Straftaten um über 240 %ist im wesentlichen auf die Zunahme von sogenannten Propagandadelikten (u. a. Schmier-, Klebe-, Plakat-, Flugblattaktionen, Zeigen des Hitlergrußes) zurückzufUhren (siehe Abbildungen auf Seite 32 und 33). Diese haben auch bundesweit erheblich zugenommen. 8 Die Angaben über Straftaten stammen vom Landeskriminalamt von Sachsen-Anhalt (Stand: Anfang März 1995). Die Zahlen für 1994 können sich durch Nachmeldungen noch geringfügig ändem 35 Übersicht der Brandanschläge im Land Sachsen-Anhalt . .. / _) (."'-- ) j j; ~ /~ ' ~ Wanzleben ir ~agdeburg -J/~ .... "lo/ emigerode Ir" Quedlinburg ..... Bitterfeld . . . . . . . .. .* .. ~ ir / -~ Halle Brandanschläge 36 Die Gewalttaten gliedern sich wie folgt: 1994 1993 Tötungsdelikte(-versuche) 1 2 Brandanschläge 8 13 Landfriedensbrüche 15 25 Körperverletzungen 62 48 Sachbeschädigungen9 22 44 108 132 * Fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten Von den 108 Gewalttaten waren 54, also jede zweite Gewalttat, fremdenfeindlich motiviert. Sie sind damit gegenüber dem Vorjahr (41) um fast 32 % gestiegen, bundesweit sind sie jedoch zurückgegangen. Diese Gewalttaten gliedern sich wie folgt (siehe auch die Übersicht auf Seite 3 7): 1994 1993 1992 Tötungsdelikte (-versuche) 1 1 0 Brandanschläge 7 9 53 Landfriedensbrüche 4 7 39 Körperverletzungen 34 8 56 Sachbeschädigungen 8 16 67 54 41 215 Hatten im Vorjahr die Sachbeschädigungen den höchsten Anteil an den fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten, so stehen im Berichtszeitraum die Körperverletzungen mit einem Anteil von fast 63 % eindeutig im Vordergrund. Daran ist erkennbar, daß nicht mehr die Asylbewerberheime und das Eigentum der "Fremden'~ Ziel der Angriffe sind, sondern vielmehr die "Fremden" selbst. Sie werden damit persönlich fiir tatsächliche oder vermeintliche gesellschaftliche, wirtschaftliche oder soziale Probleme der Täter verantwortlich gemacht, da sie es in deren Augen "auf Kosten Deutschlands gut haben wollen Die fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten, an denen große H. Tätergruppen beteiligt waren, bildeten die Ausnahme. Meist - Aus- 9 Gezählt werden nur Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung. 37 Gewalttaten mit fremdenfeindlicher Motivation 1992 1983 1984 * Totungsdelikt * Korperverletzung * Brandanschlag Cl Landfriedensbruch Cl Sachbeschadigung 10~------------------------------------------------------------------~ ' * 7 s 5 2 0~~~~~---r~~~--~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~ .Januar Februar Marz Apnl Mao Juno Juli Monatliche Verteilung der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten 38 nahme waren aber z. B. die Ereignisse am Himmelfahrtstag -wurden sie von Einzeltätern oder Kleingruppen begangen. Folgende Gewalttaten sind hervorzuheben: Halle, 01.03.1994 Drei rechtsorientierte Jugendliche beleidigen und beschimpfen in der Straßenbahn einen Schwarzafrikaner. Sie schlagen und treten ihn mit solcher Brutalität, daß er durch eine Seitenscheibe der fahrenden Bahn hinaus auf die Straße stürzt. Burg, Landkreis Jerichower Land, 01.04.1994 Ein Asylbewerber wird in einem Jugendclub von rechten Jugendlichen zusammengeschlagen und durch dem Schuß einer Gasdruckwaffe am Auge verletzt. Magdeburg, 12.05.1994 Am frühen Nachmittag verfolgt eine Gruppe von 30 bis 40 Jugendlichen vier bis fünf Schwarzafrikaner durch die Fußgängerzone der Innenstadt. Als sich die Schwarzafrikaner in ein Cafe retten, zertrümmert die verfolgende Gruppe sämtliche Scheiben des Cafes mittels Stühlen und Bänken. Im Ionern des Cafes kommt es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Verfolgern und anderen dort anwesenden Ausländern. Im Verlauf der Feindseligkeiten wird ein benachbarter türkischer Imbiß ebenfalls Zielscheibe der Ausschreitungen. Bei den nachfolgenden Ausschreitungen im Stadtgebiet wird ein Algerier von Jugendlichen angegriffen und mit einer Stange niedergeschlagen. Außerdem kommt es zu weiteren Sachbeschädigungen und zu mehreren Straftaten nach SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). Nach erneuten Störungen im Stadtgebiet kommt es am Abend im Bereich der Leiterstraße nochmals zu einer grö- 39 ßeren Auseinandersetzung zwischen etwa 40 Randalierern, linksorientierten Jugendlichen, Ausländern und dem Personal des Kabaretts "Kugelblitze". Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen werden Fensterscheiben zertrümmert und sieben Personen zum Teil schwer verletzt. An diesem Tag hat die Polizei insgesamt 49 Personen vorläufig festgenommen, darunter 35 Deutsche und 14 Ausländer. Unter den festgenommenen deutschen Randalierern befinden sich vier Jugendliche, die bereits als Skinheads im Zusammenhang mit Straftaten in Erscheinung getreten sind. Bei den übrigen handelt es sich überwiegend um Hooligans. Von diesen sind die Auseinandersetzungen begonnen worden. Im weiteren Verlauf haben sich dann auch Skinheads, die anderorts "gefeiert" hatten, beteiligt. Halle, 22.05.1994 Fünf rechtsorientierte Jugendliche schlagen vor einer Disco brutal auf einen Afrikaner aus Zaire ein. Dabei rufen sie "Sieg Heil, macht den Neger platt!". Dessau, 31.05.1994 Zwei rechtsorientierte Jugendliche schlagen einem deutschstämmigen Aussiedler im Berufsbildungszentrum mit der Faust ins Gesicht und rufen dabei, "Ausländer raus, Russen raus, ab geht 's nach Rußland!". Halberstadt, 13.08.1994 Rechtsorientierte Jugendliche schlagen auf vier italienische Gastarbeiter mit Fäusten und einem Baseballschläger ein. 1 agdeburg, 09.10.1994 Vier Asylbewerber werden grundlos von fünf rechten Jugendlichen mit folgenden Worten belästigt: " Was macht ihr in Deutschland, raus aus unserem Land, Ausländer raus!". Als die Asylbewerber daraufhin die Flucht ergreifen wollen, wird ein Ausländer von einem rechten Jugendlichen durch eine zerschlagene Flasche verletzt. 40 Tangerhütte, Landkreis Stendal, 10.11.1994 Auf dem Bahnhofsvorplatz wird ein älterer Bürger von sieben rechtsorientierten Jugendlichen, die ihn für einen Ausländer halten, besinnungslos geschlagen. * Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten Während der ,,Kampf gegen Rechts" für Linksextremisten, insbesondere für die Autonomen, seit Jahren zum festen Bestandteil ihrer Aktivitäten gehört, ist die Formierung von Neonazis als ANTI-ANTIFA gegen Linksextremisten relativ neu. Die Praxis der Linksextremisten, die Personendaten von ,,Faschos" zusammenzutragen und zu veröffentlichen, wird mittlerweile von Neonazigruppen auch den "linken Zecken" gegenüber angewendet (siehe hierzu unten 3.1.3). Damit hat sich die Gefahr gegenseitiger Angriffe erheblich gesteigert. Von den 108 erfaßten Gewalttaten richteten sich 28 (25,93 %) gegen ,,Linke " und ihre Trefforte. Damit sind die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten gegenüber dem Vorjahr um 60% zurückgegangen. Wie in den Vorjahren überwiegen die Körperverletzungen mit einem Anteil von über 57 % an den erfaßten Gewalttaten. Oft wurden die Angriffe gegen "Linke" von größeren Gewalttätergruppen ausgeführt. Erschreckend ist die dabei gezeigte Brutalität, wobei auf beiden Seiten schwerste Verletzungen und der Tod des Gegners in Kauf genommen werden. Die Gewalttaten gliedern sich wie folgt: 1994 1993 1992 Brandanschläge 5 3 1 Landfriedensbrüche 2 17 9 Körperverletzungen 16 30 20 Sachbeschädigung10 _5 20 __2 28 70 35 IO Gezählt werden nur Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung. 41 Ge,valttaten "Rechts" gegen "Links" 30 1992 1993 1994 ll Korperverletzung 0 Landfriedensbruch * Brandanschlag 1!1 Sachbeschädigung Vergleich 199: 93 194 42 Folgende Gewalttaten sind hervorzuheben: Schwanebeck, Landkreis Halberstadt, 15.01.1994 Mehrere rechte Jugendliche schlagen auf einen "Linken" ein, sprühen ihm Reizgas ins Gesicht und rufen dabei mehrfach" Sieg heil, Rotfront verrecke!". Klötze, Altmarkkreis Salzwedel, 20.01.1994 Sieben Jugendliche der örtlichen rechten Jugendszene dringen in eine Wohnung, die als Treffort der linken Szene bekannt ist, ein und schlagen mit Stuhlund Tischbeinen auf die anwesenden linken Jugendlichen ein. Landsberg, Saalkreis, 14.05.1994 Vermeintlich linke Jugendliche werden in einer Discothek von etwa 25 rechtsorientierten Jugendlichen geschlagen, getreten und mit den Worten: " Wenn ihr eure Meinung nicht ändert, dann seid ihr tot!" bedroht. Halberstadt, 11.10.1994 Zehn rechtsextremistische, vermummte Jugendliche schlagen auf vermeintlich "Linke" mit Baseballschlägern ein und beschädigen mehrere PKW. Ballenstedt, Landkreis Quedlinburg, 04.11.1994 Etwa 60 rechte Jugendliche mit Baseballschlägern zerschlagen die Eingangstür einer Gaststätte und feuern Leuchtgeschosse ab, weil sie dort linke Jugendliche vermuten. * Antisemitische Vorfälle Die Gesetzesverletzungen mit antisemitischer Motivation sind in Sachsen-Anhalt - wie auch bundesweit - erheblich gestiegen. 41 Straftaten (im Vorjahr drei) von 777 (= 5,28 %) hatten eine antisemitische Zielrichtung, davon fiinf Gewalttaten. Bei den meisten antisemitischen Straftaten handelte es sich um Schmieraktionen sowie verbale und schriftliche Volksverhetzungen. Zu dem Anstieg dieser Straftaten 43 könnte die Vorfiihrung des Films "Schindlers Liste" beigetragen haben, denn auf ihn nahmen die Täter oft Bezug. So ging zum Beispiel der jüdischen Gemeinde in Magdeburg am 18. April 1994 ein Brief mit folgendem Inhalt zu: "Schindlers Liste ist ein Affront gegen die Würde aller Deutschen dafür nehmen wir Rache an euch Juden in Deutschland an lgnatz Bubis weitergeben mein Hund rufen wir auch mit Ignatz an bewacht eure Juden Synagoge". (Fehler im Original übernommen) Die Zunahme der bekanntgewordenen antisemitischen Straftaten dürfte auch auf eine gestiegene Sensibilität in der Öffentlichkeit und ein durch sie verändertes Anzeigeverhalten der Bevölkerung zurückzuführen sein. Folgende Gewalttaten sind bekanntgeworden: Wolmirstedt, Ohre-Kreis, 22.01.1994 Auf einem jüdischen Friedhof werden Grabsteine gewaltsam umgestoßen und zerstört. Harzgerode, Landkreis Quedlinburg, 29.03.1994 In der Gedenkstätte der jüdischen Gemeinde werden Gedenksteine gewaltsam zerstört. Holzweißg, Landkreis Bitterfeld, 10.09.1994 Vor einer Diskothek schlagen 15 militante Rechtsextremisten brutal auf zwei Jugendliche ein und rufen dabei: "Judenschweine, schlagt sie tot, schlagt ihnen den Schä,~ I . .!" . ue ezn Stendal, Landkreis Stendal, 09.11.1994 Auf einem jüdischen Friedhof wird ein Davidstern zerstört, der zum Gedenken an die Pogromnacht aufgestellt worden war. 44 Haldensleben, Ohre-Kreis, 01.12.1994 Ein Ehepaar wird während eines Spazierganges von vier einschlägig bekannten rechtsorientierten Jugendlichen durch Schläge und Tritte verletzt und anschließend mit den Worten: "Du Judensau, HitZer ist unser Führer!" beschimpft. * Altersstruktur der nzutmaßlichen Täter Die Altersstruktur der mutmaßlichen Täter ergibt folgendes Bild: 1994 1993 1992 16-17 Jahre 16,83 deg/o 9,05deg/o 37,26% 18-20 Jahre 40,12 deg/o 47,74deg/o 38,74% 21 -24 Jahre 27,20% 35,67% 18,32% 25-29 Jahre 9,79% 4,52% 5,05% 30 Jahre und älter 6,06% 3,02% 0,63% Der Anteil der Jugendlichen und Heranwachsenden an der Gesamtzahl der mutmaßlichen Täter beträgt wie im Vorjahr rund 57%. Der größte Teil der Täter gehört mit rund 67 % der Altersgruppe der 18bis 24jährigen an (1993: fast 84 %). Eine szenetypische Besonderheit ist das jugendliche Alter der Skinheads, das oft unter 16 Jahren, manchmal sogar unter 14 Jahren liegt. Im Berichtszeitraum waren von 619 bekannten Tätern 108 (17,45 %) unter 16 Jahre alt. Die Altersgruppe der unter 16jährigen wird jedoch nicht erfaßt (siehe Übersicht auf Seite 45). Bezogen auf 511 Straftäter lag der Frauenanteil bei 29 (5,68 %). Von den erfaßten Straftätern sind acht im Jahre 1994 mehrfach in Erscheinung getreten. Zwanzig fielen bereits 1993 durch rechtsextremistische Straftaten auf. 2.2.2 Gerichtsurteile Es hat sich gezeigt, daß auch Straftäter im politischen Bereich und die Szene, der sie angehören, dann durch Verurteilungen nachhaltig beeindruckt werden, wenn diese möglichst zeitnah auf die Tat folgen. 45 Altersstruktur von 511 Tatverdächtigen 17o/o 40o/o Altersstruktur von 291 Neonazis 11o/o 11o/o 7o/o 36o/o 35o/o * 16-17 1118-20 * 21-24 D 25-29 D 30+ Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre 46 So hat im Berichtszeitraum die Justiz in den folgenden drei Beispielsfällen sehr zügig reagiert: Das Amtsgericht Klötze verurteilte am 19. April 1994 vier rechtsorientierte junge Männer wegen gefährlicher Körperverletzung zu Haftstrafen von drei Jahren, zu zwei Jahren acht Monaten und zu zwei Jahren sechs Monaten sowie zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Drei der vier Männer im Alter zwischen 22 und 27 Jahren waren bereits vier bis zehnmal vorbestraft. Die Männer hatten am 20. Januar 1994 in Klötze, Altmarkkreis Salzwedel, mit Schlagwerkzeugen bewaffnet, eine Wohnung von vermeintlich "Linken" gestürmt und anschließend auf die Anwesenden brutal eingeschlagen. Wegen schwerer Körperverletzung an einem Schwarzafrikaner aus Ghana verurteilte das Landgericht Halle am 20. September 1994 drei rechtsgerichtete, zum Teil achtmal vorbestrafte junge Männer im Alter zwischen 22 und 28 Jahren zu Haftstrafen von drei Jahren und neun Monaten bzw. drei Jahren und zwei Monaten sowie zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren. Diesen Verurteilungen lagen die auf Seite 38 geschilderten Ereignisse zugrunde. Gegen neun der insgesamt 17 Angeklagten im sogenannten "Himmelfahrtsprozeß" sind zwischen dem 22. Juli 1994 und dem 12. Dezember 1994 die Urteile vom Amtsbzw. Landgericht Magdeburg gesprochen worden. Das Strafmaß liegt zwischen einem Jahr sechs Monaten Freiheitsstrafe (ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung) und drei Jahren Freiheitsentzug. Von den erwähnten neun Hauptangeklagten im Alter zwischen 19 und 24 Jahren war lediglich einer bereits vor den Ereignissen des 12. Mai 1994 strafrechtlich in Erscheinung getreten. Diesen Verurteilungen lagen die auf Seite 38 geschilderten Ereignisse zugrunde. 47 2.2.3 Kein Rechtsterrorismus in Sachsen-Anhalt Die Auswertung der bisher bekanntgewordenen Gewalttaten militanter Rechtsextremisten hat auch im Berichtszeitraum zu dem Ergebnis geführt, daß diese keinen rechtsterroristischen Hintergrund hatten. Nach den Regeln des Strafrechts macht sich derjenige der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a Absatz I StOB strafbar, der eine Vereinigung gründet oder sich an ihr als Mitglied beteiligt, deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung der im Gesetz aufgeführten Katalogstraftaten (schwerste Straftaten) gerichtet ist. Zur Ausfüllung der einzelnen Tatbestandsmerkmale sind von der höchstrichterlichen Rechtsprechung verschiedene Kriterien verbindlich festgelegt worden, deren Vorliegen bei den ermittelten Gewalttaten militanter Rechtsextremisten bislang noch nicht nachgewiesen werden konnte. Zum einen konnte bei den bekanntgewordenen Gewalttätergruppen der zur Annahme einer terroristischen Vereinigung erforderliche Organisationsgrad nicht festgestellt werden. Zum anderen fehlte es in sämtlichen der bekanntgewordenen Fälle nach dem bisherigen Erkenntnisstand den "Gemeinschaften" bereits an einem auf gewisse Dauer angelegten und zu einem gemeinsamen Zweck erfolgten Zusammenschluß mit fester Zusammengehörigkeit der Tatbeteiligten. Schließlich konnte auch nicht festgestellt werden, daß sich die Tatbeteiligten verbindlichen Regeln über die Willensbildung unterworfen hatten. 3. Neonazistische Organisationen und Parteien 3.1 Allgemeines Der "Neonazismus" umfaßt diejenigen politischen Bestrebungen, die sich auf die Zeit des Dritten Reiches, d. h. auf die Programmatik der NSDAP und den diktatorischen Führungsanspruch ihrer Vertreter zurückführen lassen. Die Forderungen der Neonazis entsprechen im wesentlichen dem Parteiprogramm der NSDAP aus dem Jahre 1920. Ziel 48 des Neonazismus ist die Errichtung eines totalitären Staates auf der Grundlage des Eliteund Führerprinzips. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es keinen einheitlichen Neonazismus, weder als bundesweit übergreifende Organisation noch als ideologische Bewegung. Diese Zerrissenheit, die im Grunde genommen :filr den gesamten Rechtsextremismus symptomatisch ist, hat mehrere Gründe. Dem Neonazismus fehlt es an einem langfristig angelegten realistischen Programm mit Handlungsanweisungen :filr die sich rasch verändernde moderne Gesellschaft, das zur Schulung und politischen Festigung der Anhänger und als permanente Aktionsgrundlage dienen könnte. Es gibt zuwenig Personen, die einerseits in der Lage sind, systematische politische Schulungen durchzufUhren und andererseits die Fähigkeiten oder das Interesse haben, sich intensiv für politische Dinge zu interessieren und die politischen Inhalte zu verinnerlichen. Die meisten Neonazis, aber auch andere Rechtsextremisten, sind in geringem Maß politisierte Mitläufer, die dadurch jedoch nicht minder gefährlich sind. Das Funktionieren des Systems des Neonazismus hängt von der Existenz einer herausragenden, unumstrittenen Führungsperson ab, die das blinde Vertrauen ihrer Anhänger genießt und ein richtungweisendes Programm vorweisen kann. Eine derartige Führungsperson fehlt in der Bundesrepublik Deutschland. Statt dessen fühlt sich eine Reihe von Aktivisten zum "Führer" berufen und sorgt so für Konkurrenzkämpfe, Abgrenzungen und Spaltungen innerhalb des neonazistischen Lagers. In einem Punkt sind sich jedoch alle Neonazis einig: Sie bekämpfen die demokratische Staatsform der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel ihrer Vernichtung und knüpfen mit ihren Vorstellungen an Weltanschauung, Programm und Machtanspruch des Nationalsozialismus an. Es haben sich zahlreiche neonazistische Gruppen und Parteien in der Bundesrepublik Deutschland gebildet, von denen ~inige ihre Aktivitäten auch nach Sachsen-Anhalt ausgedehnt haben. 3.1.1 Ideologisch-politischer Standort Der Neonazismus umfaßt alle Aktivitäten und Bestrebungen, die ein offenes Bekenntnis zur Ideologie des Nationalsozialismus ablegen 49 und auf die Errichtung eines vom Führerprinzip bestimmten autoritären oder totalitären Staates gerichtet sind. Auffällig bei den Neonazis ist ihre hemmungslose Agitation, die sich eindeutig gegen die vom Grundgesetz garantierte Menschenwürde, das Demokratieprinzip und den Gleichheitsgrundsatz richtet. Sie propagieren die Wiedereinfiihrung des NS-Systems und äußern unverhohlenen Antisemitismus und sonstigen Rassismus. Die NS-Verbrechen werden verharmlost und geleugnet sowie die Institutionen und Personen der Hitler-Diktatur verherrlicht. Teilweise ist eine Orientierung an der nationalrevolutionären FrOhform des Nationalsozialismus zu beobachten. Eine geistige Durchdringung der eigenen Ziele und Methoden findet kaum statt. Die Auseinandersetzung mit den bestehenden politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen beschränkt sich meist auf die kritiklose Übernahme von Parolen und symbolischen Elementen der ehemaligen NSDAP, insbesondere das Hakenkreuz. Wegen der verschärften Anwendung der einschlägigen strafrechtlichen Bestimmung werden diese Symbole und Hinweise auf das politische Ziel zumeist nur noch anonym ohne mögliche Zuordnung zu einer Organisation verwendet. Gewalt wird sowohl emotional bejaht als auch angewandt. Die neonazistischen Aktivitäten gehen zumeist von jungen Menschen aus, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren sind und den Nationalsozialismus selbst nicht erlebt haben. Häufig sind auch militante Rechtsextremisten, vor allem Skinheads, in neonazistische Aktivitäten eingebunden. An einer Mitgliedschaft und kontinuierlichen Mitarbeit in Neonazi-Parteien sowie Gruppen zeigt die Skinheadszene jedoch kein Interesse. 3.1.2 Organisation Die Gesamtzahl der Neonazis im Bundesgebiet ist gegenüber dem Vorjahr von rund 2.450 auf 3.740 gestiegen. Davon sind etwa 1.150 (1993: rund 950) nicht organisierte Neonazis, und etwa 2.590 (1993: rund 1.500) gehören den neonazistischen Parteien und Personenzusammenschlüssen als Mitglieder an. Die Anzahl der neonazistischen Parteien und Personenzusammenschlüsse hat sich bundesweit von 27 auf 33 erhöht. 50 Bei diesen Personenzusammenschlüssen handelt es sich zum Teil um lose Gesinnungsund Kampfkader auf regionaler und lokaler Ebene, deren Anhänger sich teilweise auch in anderen Gruppen engagieren. Klare organisatorische Strukturen sind oft nicht mehr erkennbar; regelmäßig dominiert jedoch ein "Führer", von dem auch der Bestand der Gruppe abhängt. In Sachsen-Anhalt ist die Anzahl der Neonazis von rund 100 im Jahre 1993 auf nunmehr rund 320 angewachsen. Davon sind jedoch nur etwa 60 als Mitglieder neonazistischer Parteien anzusehen. Bei den übrigen handelt es sich um Unorganisierte und um Sympathisanten neonazistischer Parteien sowie um Anhänger neonazistischer Personenzusammenschlüsse ohne feste Mitgliedschaften. Die enorme Zunahme von Neonazis in Sachsen-Anhalt hat zahlreiche Gründe. So sind die massiven Mitgliederwerbungen und zahlreichen Schulungen der neonazistischen Parteien, insbesondere der FAP 11 , nicht ohne Wirkung auf die mit ihrer Lebenssituation unzufriedenen Jugendlichen geblieben. Für einen Teil der Jugendlichen, der sich enttäuscht von den ihrer Meinung nach "lahmen" rechtsextremistischen Parteien abwandte, boten die sich kämpferischer gebenden Neonazis eine ihren Vorstellungen entsprechende "revolutionäre" Alternative. Auch aus der Subkultur der rechtsextremistischen Skinheads und militanten Rechtsextremisten, die eine kontinuierliche, vor allem organisationsgebundene politische Arbeit in hierarchischen Strukturen nach wie vor abschreckt, konnten die auf lokaler Ebene neu entstandenen strukturlosen neonazistischen Personenzusammenschlüsse neue Anhänger gewinnen. Der im Berichtszeitraum beobachtete Trend der Neonazis, weg von parteiförmig strukturierten hin zu aktionsund themenbezogenen, organisationsübergreifenden Zusammenschlüssen ohne feste Mitgliedschaft und Parteidisziplin, ermöglichte der rechtsextremistischen Subkultur eine zwanglose, dennoch ungebundene Mitarbeit. Das dabei von den neonazistischen "Ideologen" verfolgte Ziel ist ein weitgefächertes Netzwerk von Initiativen, Zellen, "Kameradschaften" und Aktionsbündnissen, eine "Volksfront von rechts", eine "nationale Bewegung", die ein über den Neonazismus hinausreichendes Potential von Rechtsextremisten einschließt. 11 Die F AP wurde bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts arn 22. Februar 1995 von den Sicherheitsbehörden als Partei betrachtet. 51 Die zunächst beeindruckende Verdreifachung des neonazistischen Spektrums in Sachsen-Anhalt ist jedoch weniger politisch, sondern mehr aufgrund der Gewaltbereitschaft bedeutsam. So waren im Berichtszeitraum zwölf Neonazis, davon zwei zweimal, an sieben Gewalttaten beteiligt. Die Altersstruktur der mit Geburtsdatum bekannten Neonazis (291 von 320) ergibt folgendes Bild: 1617 Jahre 7% 18-20 Jahre 35% 21 - 24 Jahre 36% 25 - 29 Jahre 11 % 30 Jahre und älter 11 %. Der weitaus größte Teil der Neonazis gehört mit 71 % der Altergruppe der 18bis 24jährigen an (siehe Übersicht auf Seite 45). Unter den insgesamt 320 Neonazis befinden sich 24 Frauen. Dies entspricht einem Anteil von 7,5 %. 3.1.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt * Vernetzungsansätze Die bereits im letzten Berichtszeitraum festgestellten informationeilen Vemetzungsansätze zwischen Neonazis, militanten Rechtsextremisten und rechtsextremistischen Parteien stellten auch diesmal wieder einen Schwerpunkt der Beobachtung dar. Die von den Neonazis seit 1993 entwickelten Aktivitäten im Hinblick auf eine überregionale Vemetzung werden kontinuierlich und zielstrebig ausgeweitet. Insbesondere die planmäßige Vorbereitung und Mobilisierung zu überregionalen Aktionen unter Einsatz modernster Kommunikationsmittel, wie beispielsweise von CE-Funkgeräten, Mobiltelefonen, sowie durch Bildung von Telefonketten und Info-Telefonen deuten auf eine gestiegene Organisierung, Technisierung und internationale Vemetzung der Szene hin. In der Intensivierung der Vernetzungsbestrebungen sehen die Neonazis eine Möglichkeit, den ver- 52 schärften staatlichen Repressionsmaßnahmen zu begegnen. Die gegen neonazistische Organisationen ausgesprochenen Verbote, insbesondere die sich daraus ergebenden strafrechtlichen Möglichkeiten, eine Fortführung der politischen Arbeit dieser verbotenen Organisationen zu unterbinden, zwangen die betroffenen Rechtsextremisten zu neuen Organisationsund Aktionsmodellen, um die tatsächlichen Aktivitäten vor den Sicherheitsbehörden zu verschleiern. Da die bloße Gründung direkter Nachfolgeorganisationen wenig Erfolg versprach, wurden neue Fonnen organisationsübergreifender Zusammenarbeit entwickelt. Beweggründe dafür waren hauptsächlich das Unterlaufen vollzogener und künftiger Organisationsbzw. Parteiverbote, das Überwinden der bisherigen Zersplitterung im Interesse einer größeren politischen und medienbezogenen Wirksamkeit sowie das Vorantreiben einer neonazistischen Vemetzung durch Organisierung ohne Organisation nach dem Vorbild der linksextremistischen autonomen Szene. Träger der beginnenden Umstrukturierung und Neufonnierung der Neonaziszene sind einzelne Führer und Funktionäre verbotener oder vom Verbot bedrohter Organisationen. Als maßgeblicher Ideengeber tritt dabei der Hamburger Neonazi Christian WORCH in Erscheinung. Zur Thematisierung der "totalen Vemetzung" sowie zum Ausloten der Übereinstimmungen für das Projekt der "nationalen Bewegung" finden seit Ende 1993 regelmäßig Treffen der neonazistischen Führer statt. Die Basis der neonazistischen Organisationen ist bisher noch nicht in diese Strategiediskussion mit einbezogen. Aus einem Strategiepapier des FAP-Funktionärs Andre GOERTZ lassen sich folgende Ziele der Neonaziführer ableiten: Fonnierung der nationalen Rechten durch "totale Vemetzung" einer Vielzahl von rechtsextremistischen Gruppen, Parteien und Initiativen, Ablehnung einer einheitlichen rechtsextremistischen Partei, Schaffung einer integrierten "nationalen Bewegung" durch Stützpunkte auf Ortsebene, Räte von anerkannten Führern auf regiona- 53 ler Ebene, einen bundesweiten Ältestenrat als "Elite der nationalen Bewegung", Verzicht auf Konkurrenz von Organisationen auf Ortsebene und Einrichtung von "Nationalen Info-Telefonen" und Mailboxen als technische Mittel zur Vemetzung, zumindest auf nationaler Ebene. In Sachsen-Anhalt ist die Umstrukturierung der Neonaziszene im wesentlichen von Aktivisten der "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" (JF) betrieben worden (siehe hierzu 3.3.2 und 3.3.3). Nach der angeblichen Selbstauflösung der JF-Strukturen sind im Bereich des Ostharzes autonome Gruppen ohne Satzung, Kasse und feste Mitgliedschaftell geschaffen worden. Diese Gruppen sind über einen regionalen Führer aus dem SrA12/JF-Kader miteinander vemetzt, der die politische Arbeit der Gruppen leitet und die Anhänger motiviert. Durch die Umstrukturierung konnte die vom Verbot bedrohte JF einerseits ihre politische Arbeit fortsetzen und andererseits mit den neugeschaffenen autonomen Strukturen die Aufklärung und mögliche Verbote erschweren. Ein weiteres Beispiel fiir die Vemetzung und Verflechtung auf lokaler Ebene ist der in1 Berichtszeitraum gegründete "Deutscher Freundeskreis Nordharz" (DFN)~ siehe hierzu 3.4.2. Das dürftige Programm des DFN stellt dabei einen Minimalkonsens für die Zusammenarbeit von Mitgliedern rechter Parteien, neonazistischer Gruppen und Einzelaktivisten dar. Der aus dem "Nationalen Gesprächskreis Nordharz" hervorgegangene DFN dürfte damit Modellcharakter für andere "Nationale Gesprächskreise" bzw. sogenannte "Nationale Stammtische" haben. Die örtliche Zusammenarbeit rechtsextremistischer Organisationen wird auch durch das regionale Zeitungsprojekt "Nordharz InfoDienst" des DFN unterstützt. In den Themenbeiträgen mit regionalen Bezügen wird versucht, das gesamte "nationa1e Spektrum" einzube12 SrA steht fur die Sozialrevolutionäre Arbeiterfront, siehe 3.3.2 und 3.3.3. 54 ziehen. Daneben werden ideologische und strategische Grundsatzdiskussionen geführt. Aufgrund des erhöhten staatlichen Verfolgungsdrucks dürften die Neonazis weiterhin bemüht sein, eine Fülle regionaler Gruppen unterschiedlichster Organisationsformen zu bilden, die als eingetragene oder nichteingetragene Vereine, als Parteien, als Gruppen mit neutralem Namen, die nicht ohne weiteres als Rechtsextremisten zu erkennen sind, als autonome Kameradschatten oder Leserkreise auftreten können. * ANTI-ANTIFA Eine weitere Erscheinungsform der fortschreitenden organisationsübergreifenden informationeilen Vemetzung ist die 1992 von den Neonazis als aktionistischer Personenzusammenschluß geschaffene ANTI-ANTIFA. Ursprüngliches Ziel der ANTI-ANTIFA-Arbeit war vor allem eine "bessere Aufklärung der feindlichen Aktivitäten, ihrer Drahtzieher und Anführer". Inzwischen dient sie hauptsächlich dazu, die vorhandene Zersplitterung sowie die unter dem Druck der staatlichen Abwehrund Bekämpfungsmaßnahmen entstandene Verunsicherung zu überwinden und die Zusammenarbeit zu verstärken. Nach der Vorstellung ihrer Initiatoren verfolgt die ANTI-ANTIFA folgende Ziele: Sie soll ein Instrument der Ver:flechtung zwischen den rechtsextremistischen Vereinigungen, insbesondere den neonazistieben Organisationen sein. Damit soll die durch die staatlichen Verbote geschwächte neonazistische Szene aktionsfähig gehalten, zusammengeführt und auch erweitert werden. Sie soll der "Feindaujklärung" dienen, d. h.: Durch die Ausspähung und Verbreitung von Personendaten sowie durch die Ermunterung zu ,,Aktionen" sollen die politischen Feinde verunsichert und geschwächt werden. 55 Verflechtung und Feindaufklärung sollen nicht von herkömmlichen organisatorischen Strukturen geleistet werden, sondern durch organisationsübergreifende informationelle Vernetzung, d. h. durch den Einsatz moderner elektronischer Techniken. Dadurch sollen konventionelle und strukturelle Elemente wegen ihrer Verbotsanfälligkeit letztlich überflüssig gemacht werden. Der mit diesen Perspektiven ausgestattete ANTI-ANTIFA-Aktionismus erhöht das Selbstwertgefühl der Rechtsextremisten. Im Kampf gegen den politischen Gegner erkennen die Neonazis die Klammer für eine organisationsunabhängige bzw. -übergreifende Zusammenarbeit. Die ANTI-ANTIFA findet zunehmend Akzeptanz auch im übrigen Rechtsextremismus, wie beispielsweise bei der NPD und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN). Damit ist die ANTI-ANTIFA zu einem ausschlaggebenden Part einer tiefgreifenden, maßgeblich logistischen Umorientierung des rechtsextremistischen Lagers geworden. Dazu mußten interne Differenzen zugunsten einer gemeinsamen komplexen Aktionsplanung zurückgestellt und die bundesweiten Kontakte auf der neonazistischen Führungsebene erheblich intensiviert werden. Getragen wird die ANTI-ANTIFA-Arbeit jedoch von regionalen Gruppen. Diese informellen Gruppen, ohne formale Mitgliedschaft und Vorstand, werden von regional anerkannten Führungsfiguren, die untereinander in Kontakt stehen, angeleitet. Es sei "keine feste zusammengehörige Organisation" geplant, die "leicht zu verfolgen, zu verbieten und aufzulösen" sei, heißt es dazu in einem ANTI-ANTIFA-Flugblatt. WORCH spricht von einer "sehr lose strukturierten Szene". Welche Anforderungen an die Aktivisten zu stellen sind, verrät ein "Manifest des revolutionären nationalistischen Befreiungskampfes", das im Rahmen einer Exekutivmaßnahme im Land Brandenburg sichergestellt werden konnte: Entsprechend ihrer konspirativen Vorgehensweise soll sich die örtliche ANTI-ANTIFA-Arbeit vorwiegend auf Personen stützen, die nicht als "Nationalisten" erkennbar und dem politischen Gegner und den Staatsschutzorganen nicht bekannt sein sollen. Es müßten nach außen unauffällige "Kameraden" sein: "Nationalisten, die den feindlichen Spähern und Lauschern bisher 56 noch nicht aufgefallen sind". Sie sollten sich von den bekannten rechten Gruppierungen prinzipiell fernhalten und jede Zuordnung zum "nationalen Spektrum" unmöglich machen; sie müßten "strengste Zurückhaltung" üben, ggf. sollten sie eine "Ausbildung bei Bundeswehr oder Polizei in Erwägung ziehen mit dem Ziel, sich in besonders qualifizierten Spezialeinheiten das nötige Wissen und Können anzueignen". Die Aufgabe des "revolutionären Kämpfers" liege nicht in der programmatischen Arbeit, sondern "allein im militärischen Kampf'. Mit diesen Aktivisten versucht die ANTI-ANTIFA, die gegnerischen politischen Organisationen zu infiltrieren, um an deren interne Informationen zu gelangen. Außerdem werden sie bei Gegendemonstrationen verdeckt in den gegnerischen Reihen zur "Feindaufk]ärung" eingesetzt. Der a11umfassende Ansatz, Andersdenkende und politische Gegner nachrichtendienstlich auszuspähen, schließt auch den Einsatz von Observationsund Nachrichtentechnik ein. Nach der spektakulären Herausgabe des "Einblick" Ende 1993, mit der die Neonazis eine beachtliche Publizität erreichten, sind lediglich einige ANTI-ANTIFA-Schriften in Erstausgabe erschienen. Andere rechtsextremistische Publikationen veröffentlichten in unterschiedlichem Ausmaß ANTI-ANTIFA-Informationen. Dort und in einer Vielzahl von Flugblättern wurden Namen und Anschriften, teilweise auch Fotos von politischen Gegnern und deren Organisationen publiziert. In der von der "Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front" (GdNF) herausgegebenen Publikation "Die Neue Front" vom April 1994 ist unter der Überschrift "ANTI-ANTIFA-Meldung" ein Foto des Generalbundesanwalts abgebildet. Auf die Stirn ist ein Maschinengewehr gerichtet: "Herr Genera/bundesanwalt. Herzlich willkommen an der Front!" Daneben enthält die Schrift eine Auflistung der angeblich vom Bundeskriminalamt benutzten Kennzeichen. Danach bedankt sich "Die Neue Front" bei der linkautonomen Szenepublikation "Interim", die die Liste im April erstmals veröffentlicht hatte: "Weiter so Jungs! Gemeinsam gegen das System". Nur ein Teil der Publikationen, die über die ANTI-ANTIFA-Arbeit berichten, veröffentlichen ähnlich subtile Bedrohungstexte wie der 57 "Einblick". Diese Fonnen der Gewaltandrohung sind den Herausgebern der Schrift "NaturSchutz-Denkzettel" ("NS-Denkzettel") nicht genug. Diese Zeitschrift der Berliner Gruppe "Weißer Arischer Widerstand" enthält einen Mordaufruf: "Die Veröffentlichung einer erfolgreichen Recherche eines terroristischen Gegners sollte erst dann erfolgen, wenn sich ein dicker Strick außenherum befindet!!! Nicht schreiben, sondern machen heißt die Devise!". Immerhin, so der "NS-Denkzettel", müßten die "Einblick"-Herausgeber mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Bei solchen Konsequenzen aber müsse sich die Sache "rentiert" haben. "Telefonische Bedrohungen und kleine Sachbeschädigungen" rechtfertigten diese Opfer jedenfalls nicht. Auch diejenigen innerhalb der ANTI-ANTIFA, die - zumindest verbal - Gewalttaten ablehnen oder kundtun, sie nicht selbst durchfUhren zu wollen, gehen mit ihrer Veröffentlichung davon aus, daß andere gewalttätige Handlungen gegen die von ihnen benannten Angriffsziele durchfUhren. Die Bedrohungstexte umfassen alle gesellschaftlichen und politischen Bereiche, die in Gegnerschaft zum Rechtsextremismus stehen. Obwohl in einigen Druckschriften offen zur Gewalt aufgefordert wird, liegen den Sicherheitsbehörden bis heute nur wenige Anzeigen Betroffener wegen telefonischer oder schriftlicher Belästigungen und Bedrohungen vor. Gewalttaten gegen Zielpersonen/-objekte, die bislang in ANTI-ANTIFA-Publikationen veröffentlicht wurden, sind nicht bekanntgeworden. Ob und gegebenenfalls inwieweit sich in der ANTI-ANTIFA rechtsterroristische Strukturen entwickeln, wird ein wichtiger Aspekt künftiger Beobachtung sein. 3.2 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 3.2.1 Ideologisch-politischer Standort In ihrem Programm "Unser Weg in das neue Jahrtausend" propagiert die FAP den "völkischen Sozialismus". Sie orientiert sich mit Parolen 58 wie ,,Europäischer Gemeinnutz geht vor europäischem Eigennutz" in kaum verhüllter Weise an Grundzügen des NSDAP-Programms vom 24. Februar 1920. Diese fiir das Gesamterscheinungsbild der Partei typische, die Verfassungsfeindlichkeit begründende Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus zeigt sich in zahlreichen weiteren Aussagen der Partei. So fordert sie eine ,,gesetzliche Kontrolle der Zinswirtschaft ", um das "mühelose Einkommen" der Unternehmer, Aktionäre und Banken zu begrenzen und vertritt die Auffassung, der ,,Schaffende" als "wichtigster Faktor innerhalb der Volkswirtschaft" verdiene mehr Anerkennung. Soziale Probleme sollen nach Vorstellung der FAP durch "Gemeinsinn statt Klassenkampf und Ausbeutung", insbesondere durch eine ,Nitbeteiligung des Arbeiters" am Betriebskapital und den Produktionsmitteln, gelöst werden; "Gemeinschaftsschädlinge" seien "nötigenfalls durch Enteignung" zur Verantwortung zu ziehen. Der Arbeitslosigkeit will die FAP mit einem ,,Arbeitsund Sozialdienst" und der Forderung "deutsche Arbeitsplätze für deutsche Arbeiter" begegnen. Ferner wendet sie sich gegen eine angeblich drohende "massive Völkervermischung" und tritt fiir eine ,,Ausländerrückführung nach Volksabstimmung" sowie fiir einen strikten ,,Einwanderungsstop für Ausländer" ein. Die Stunde habe geschlagen, da "das gesamte schaffende Deutschland die marxistischen Lumpen und Gauner sowie die Unterwerfungslakaien und Verfassungsverräter aller Schattierungen von sich schütteln" und sich wieder in der" Volksgemeinschaft eines freiheitlichen, antiimperialistischen und klassenlosen Volksstaates" zusammenfinden müsse. Die inhaltlichen Schwerpunkte der FAP-Agitation betreffen im wesentlichen Ablehnung der demokratischen Grundordnung, Ablehnung einer "Überfremdung" des deutschen Volkes, Ablehnung von "Scheinasylanten", Ablehnung der Europäischen Union sowie Aufhebung des NSDAP-Verbotes. Das Hauptgewicht der Agitation nimmt die Thematik Ausländer und Asylbewerber ein. Sehr deutlich kommt dies in einem Artikel in ihrer Publikation "Standarte" vom Januar 1994 unter der Überschrift: "Sterben wir Deutschen aus?" zum Ausdruck: "Wie der Umgang mit Kindern und Familien in der Bundesrepublik beweist, haben die sogenannten Volks- 59 vertreterwenig bis gar kein Interesse daran, daß deutsche Volk und die deutsche Kultur zu erhalten. " ... Und die Beiträge in die Sozialkassen leisten nur die arbeitenden Menschen: Das Heer der Analphabeten und Habenichtsen aus Afrika und Asien hingegen, würde lediglich die Zahl der hiesigen Arbeitslosen vergrößern." (Fehler im Original übernommen) In den Äußerungen führender Funktionäre der FAP wird dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten entsprechend eine ,,Machtübernahme" angekündigt. Politisch Andersdenkende werden als ,,Feinde" der FAP bezeichnet, die nach der ,,Machtübernahme" zu erschießen seien. Auf diese Weise werden bei Mitgliedern und Anhängern der FAP Ressentiments erzeugt und Haßgefühle aufgebaut. So erklärte der FAP-Vorsitzende BUSSE anläßtich des außerordentlichen Bundesparteitages der FAP in Reifenstein/Thüringen am 10. Juli 1993: "... Endziel der Partei ... " sei es, "... die gesamte Macht in Deutschland... " zu übernehmen. In diesem Fall gebe es "... Arbeitslager, wo die Feinde des deutschen Volkes und vor allem die Ausländer nutzbringende Arbeit verrichten ... " sollen. Weiterhin ist er der Auffassung, daß ,,Feinde" der Partei, wie beispielsweise Polizeipräsidenten, die jemals eine Veranstaltung der FAP verboten hätten und Zeitungsverleger, wie die Verleger der Bildzeitung, die gegen rechte Parteien hetzten und die multikulturelle Gesellschaft propagierten, nach der Machtübernahme mit dem Tod durch Erschießen rechnen müßten. Diese Geisteshaltung machte BUSSE auf einer FAP-Arbeitstagung am 26. November 1994 in Berlin wieder deutlich. In einer Anmerkung zur aktuellen politischen Entwicklung wies er darauf hin, daß "der Staat am Ende ist. Das sieht man daran, daß die CDU/CSU so schamlos ist, sich den GRÜNEN anzubiedern. Für uns und alle 'nationalen Dissidenten' bedeutet das zwangsläufig die Ausweitung und 60 verstärkte Einrichtung von 'Anhalte lagern', man kann auch sagen KZ." Der Bundesminister des lnnern hat im Namen der Bundesregierung am 16. September 1993 einen Verbotsantrag gegen die FAP beim Bundesverfassungsgericht gestellt. Kurz danach stellte auch der Bundesrat einen entsprechenden Verbotsantrag 13 * Auf diese Anträge reagierte die FAP, indem sie u.a. in ihrer Publikation "Standarte" versuchte, sich als Opfer staatlicher Repression darzustellen. Unter der Überschrift "Politische Verfolgung in der Bundesrepublik" führte sie aus: " ... selbst vor undemokratischer Betätigung schrecken einige 'Paten/demokraten' nicht mehr zurück. " In der gleichen Ausgabe schrieb die Redaktion in einem Aufruf:" Unsere Arbeit geht trotz Gewalt gegen uns und politischer Verfolgung natürlich unvermindert weiter. Wenn die Guten nicht kämpfen, siegen die Schlechten!" In ihrer Publikation ,,Aufbruch" spricht die FAP von einer immer brutaler werdenden " Verfolgung nationaldenkender Deutscher": " Widerstand" sei zur "ersten Bürgerpflicht" geworden. Die "Demokratie sei längst zu einer Diktatur gegen das eigene Volk geworden". Es würden "Gräber von der Polizei geschändet, deutsche Patrioten brutal von diesen Staatsdienern auf Befehl von oben zusammengeschlagen." 3.2.2 Organisation Die 1979 von Martin PAPE gegründete FAP war bis 1983 eine völlig unbedeutende Partei. Anfang 1984 begannen Anhänger der im Dezember 1983 verbotenen Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA), die FAP zu unterwandern und für ihre Ziele umzufunktionieren. Die Partei nahm seit 1986 eine von heftigen internen Auseinandersetzungen gekennzeichnete Entwicklung. Aus den Flügelkämpfen zwischen Anhängern des seit 1988 amtierenden FAP-Vorsitzenden Friedhelm BUSSE und seinem internen Widersacher Jürgen MOSLER ging BUSSE im März 1990 als Sieger hervor. Nach der Wiedervereinigung konnte die FAP die Zahl ihrer 13 Da das Bundesverfassungsgericht die Anträge der Bundesregierung und des Bundesrates auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der FAP mangels Parteieigenschaft als unzulässig zurückgewiesen hat, ist die FAP arn 24. Februar 1995 vom Bundesminister des lnnem als Verein nach SS 3 Vereinsgesetz verboten worden. 61 Mitglieder zunächst erhöhen. Der Partei gehören inzwischen bundesweit etwa 430 Mitglieder an. Die innerparteiliche Diskussion über die Art und Weise der weiteren politischen Arbeit nach einem erwarteten Verbot der FAP durch das Bundesverfassungsgericht brachte bisher noch kein mehrheitsfähiges Ergebnis. Alternativ stehen sich folgende Vorschläge gegenüber: Aufbau autonomer Strukturen bei gleichzeitiger Vernetzung mit anderen Gesinnungsgenossen und Übertritt nach dem Verbot in eine bestehende Partei, beispielsweise in die NPD. Bisher hat nur der FAP-Landesverband Nordrhein-Westfalen seine Organisationsstruktur aufgegeben und die Parteigliederungen in die Autonomie entlassen. Mit Beschluß vom 14. Mai 1994 hat er alle Kreisverbände aufgelöst und zu Stützpunkten einzelner FAP-Aktivisten ohne Satzung, Kasse oder formelle Mitgliedschaft umgewandelt. In Sachsen-Anhalt ist die Zahl der Parteianhänger (=Mitglieder und Sympathisanten) landesweit von etwa 60 im Vorjahr auf etwa 180 angewachsen. Besondere Schwerpunkte bilden der Landkreis Wernigerode mit 121 Anhängern und erstmals Magdeburg mit 21 Anhängern. Der FAP gelang es damit offensichtlich, eine weitere Struktur aufzubauen. Bezogen auf die landesweit etwa 180 Anhänger ist die Anzahl der Mitglieder - derzeit etwa 30 - relativ gering. Das große Potential der Sympathisanten konnte die FAP unter den militanten Rechtsextremisten und Skinheads gewinnen. Dieser Personenkreis zeigt naturgemäß wenig Neigung, sich fest in eine Parteistruktur einzuordnen. Die geringe Mitgliederzahl mag auch ein Grund dafiir sein, daß der bereits mehrfach angekündigte Landesverband Sachsen-Anhalt noch nicht gegründet wurde. Nach wie vor werden die Anhänger und Parteistrukturen vom FAP-Landesverband Niedersachsen mit betreut. Am 24. Mai 1994, zu einem Zeitpunkt, als sich in Nordrhein-Westfalen alle Kreisverbände auflösten, wurde in Wernigerode der erste Kreisverband der FAP in Sachsen-Anhalt gegründet. Bis zu diesem 62 Zeitpunkt firmierte der FAP-Stützpunkt als "FAP-Kameradschaft Wernigerode". Bei der Kreisverbandsgründung wurde die Kameradschaft tatkräftig von FAP-Funktionären aus Niedersachsen unterstützt. Im Juni 1994 trat der FAP-Kreisverband dann mit einer eigenen Publikation an die Öffentlichkeit. Für das von ihm herausgegebene Informationsblatt "Der Kamerad" zeichnet der Vorsitzende des FAP-Landesverbandes Niedersachsen, Thorsten HEISE, verantwortlich. Ermutigt durch die erfolgreiche Kreisverbandsgründung in Wernigerode sollte nach den Vorstellungen der niedersächsischen Parteifunktionäre auch eine FAP-Struktur in der Landeshauptstadt Magdeburg aufgebaut werden. Ab Juli 1994 setzte eine massive Mitgliederwerbung in Magdeburg ein. Diese wurde hauptsächlich von Funktionären aus Niedersachsen mit Unterstützung aus Wernigerode betrieben. Innerhalb weniger Monate konnten die bereits erwähnten Anhänger gewonnen werden. Neben der zweimonatlich erscheinenden Schrift "Standarte" mit einer Auflage von etwa 1.000 Exemplaren bringt die FAP sporadisch etwa 500 Exemplare der Publikation "Neue Nation" heraus. Außerdem gibt der FAP-Landesverband Berlin unregelmäßig ein "Informationsblatt für Mitteldeutschland" mit dem Namen ,,Aufbruch" in einer Auflage von rund 300 Exemplaren heraus. 3.2.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Als Ersatz für die ursprünglich zum Jahreswechsel 1993/1994 geplante FAP-Werbewoche fand am 14. Januar 1994 in einer Gaststätte in Reddeber, Landkreis Wernigerode, eine Informationsveranstaltung statt, an der etwa 80 Personen aus Niedersachsen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern teilnahmen. Die ,,FAPKameradschaft Wernigerode" und Mitglieder der NPD aus Wernigerode waren mit rund 30 Personen vertreten. Unter den Gästen befanden sich BUSSE und HEISE. Die Gesprächsleitung wurde von BUSSE übernommen. Hauptthema seiner Rede war das Wahljahr 1994 und die Teilnahme seiner Partei an den anstehenden Wahlen, für die er die FAP als eine "Partei der Zukunft" empfahl. Dazu erklärte er, in 63 der FAP sitze die junge Generation, die etablierten Parteien bestünden aus mumifizierten Parteimitgliedern. Im Rahmen der Veranstaltung wurden bereits Unterstützungsunterschriften filr den Europawahlkampf der FAP geleistet. BUSSE rief dazu auf, 5.000 Unterstützungsunterschriften zu sammeln und an der Wahl teilzunehmen. HElSE informierte die Teilnehmer darüber, daß er zu den Buropawahlen auch filr den Bereich Sachsen-Anhalt kandidieren werde. Anschließend tagten die politischen Leiter der FAP am 15. Januar 1994 in Northeim/Niedersachsen. Dort wurde vorgeschlagen, den FAP-Landesverband Sachsen-Anhalt 1994 zu gründen und an der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt zunächst in einem Wahlkreis teilzunehmen. In der Folgezeit versuchte die FAP-Kameradschaft im Landkreis Wernigerode, die notwendigen Unterstützungsunterschriften filr die Teilnahme an den Kommunalwahlen am 12. Juni 1994 zu sammeln. Da dies scheiterte, unternahm sie keine Anstrengungen mehr, an den übrigen Wahlen teilzunehmen. Anhänger des am 24. Mai 1994 gegründeten Kreisverbandes Wernigerode und des Stützpunktes Magdeburg nahmen vom 3. bis 5. Juni 1994 an einem FAP-Treffen in Northeim/Niedersachsen teil. Zu diesem Treffen hatte der zwischenzeitlich inhaftierte REISE eingeladen. Hintergrund des Treffens war eine von der Antifa angemeldete Demonstration vor seinem Anwesen. In Abwesenheit von REISE wurde die Veranstaltung von BUSSE geleitet. Er rief dazu auf, sich friedlich zu verhalten und die "Linken" nicht außerhalb des Grundstücks zu provozieren. An der Zusammenkunft, die friedlich verlief, nahmen 150 FAP-Mitglieder und Sympathisanten aus dem ganzen Bundesgebiet teil, darunter 15 aus Wernigerode. Am 23. Juli 1994 veranstalteten die Anhänger des FAP-Stützpunktes Magdeburg mit Gleichgesinnten aus Niedersachsen eine Geburtstagsfeier in einem Magdeburger Jugendclub. Im Anschluß daran wollten sie sich an einer von Skinheads durchgefilhrten Grillparty beteiligen. Dies wurde von den Skinheads jedoch abgelehnt. Als Grund gaben sie an, sie hätten erfahren, daß BUSSE während des FAP-Treffens vom 3. bis 5. Juni 1994 in Northeim folgende Aussage gemacht habe: "Man 64 '. .. *.* ... Wir fordern: Verbot aller kommunistischen Organisationen! ~~~d -er ntcrmatior:sttatt des FAP-Kr~ertardes Werrit;erode @@QDVOOC(~Ltit~~@* *- --@OC~C@ ~&'iJI]c:Jß:&C~@ -_ ___ ~IId 1.. a. wm.......__u-. " ........",..._ w.,...__.. .- 'WIR _" _... r~t~ O...t-=:rwt Ar'Dell.".tM(F/11). SIND **-Ueft 305 ~- T'ar11on - * , . . 305.w-auf EIN VOLK! Ostdeutschland : Breslau * Königsberg * Stettin * i In eigener Sache! sind deutsche S t i d t (r) wie Berlin! - I IC.arn.er~nnan u:n.ct Jr:.arnar-.ni Wir wehren uns - für Oeutsc:.iland! fAP ~r= ~~c~,..=:w._os*-=--~ Ueo::l1 ver Euc:'>. Wir -ol~ ~ ~t *t.n*n Ca-tel tn::...rl:>Uc:Joc ~ ~..n pcuu..cnarn %1sle t.zr'\d. u::n.sers Arl:lelt -ouen - u euer. Ul:er Akttonen von oe~ freiheitliclu Deutrehe Brb~tt~rpartei ,,., * ., ** ..,.. . " ll1. )1146 ........... ... anderen Verl:>el.nden. Zettun.;r.-us.::nzune Clder ~:ertc:nten. Sc:n.Jckt Leser.t:onere uruo c.:x:.r ----------------------------------------------X Et.:cn '-U"'1CC. cu.e nauona~.e :s:z.eno a.n. Reoglon. Um d . . tnzorrna~" at.rc:h ~ S'I.D'IIIIZ' "...... 8:~~ ~~~; ;;;: o::rt::-u~ .."" ~~;::;*.:*~~;~:* ~-:*~*~::~~~~. ~ . ~;':~:;:~,:* 1J:: *~ ....:., Freu.nd~ t..z::r"\C\l 8elcann.ten.kz'e1.8 ....,.rt.Uen. .u konnen. ha.t:ot D"u" ctle MI:>Q"U.C:n>coru. gr.,_. Mengen da von Z'T..I bez::Le!"\lft'1.. '"''Ir;*** 10 StUc:loC - S.-DM Be::::uQS!!!!Ildr~ FA.P. ~rac:n :aca. 3EIIEI4e w .. ~....,MU d~ Z::.OS,en Cn..&A Dte Sc:nruu..uunq 65 brauche die Skinheads, um an die Macht zu kommen. Danach wären sie die ersten, die ins KZ marschieren würden. " Daher wird insbesondere von den älteren Skinheads aus Magdeburg eine Zusammenarbeit mit der FAP strikt abgelehnt. Am 12. August 1994 führte der FAP-Kreisverband Wernigerode ein Vorbereitungstreffen für den "Rudolf-Hess-Marsch 1994" durch. Neben 25 FAP-Anhängern aus dem Landkreis Wernigerode beteiligten sich daran sieben aus Magdeburg, fünf aus Hannover und drei aus Northeim. Im Anschluß an die Veranstaltung klebten einige FAP-Anhänger im Stadtgebiet von Wernigerode FAP-Werbeplakate und Plakate mit der Aufschrift "Rudolf Hess Märtyrer für den Frieden" an Säulen und Wände. Am 13. August 1994 gegen 01.00 Uhr konnte die Polizei fünf Plakatekleber festnehmen. Im Verlauf des gleichen Tages wurden zwei weitere FAP-Anhänger festgenommen, die Plakate mit der Aufschrift "FAP für Deutschland" aufgeklebt hatten. Da sich unter den festgenommenen FAP-Anhängern auch der maßgebliche Organisator befand, stellten die verbliebenen Parteianhänger ihre Vorbereitungen für die Teilnahme am "Rudolf-Hess-Marsch 1994" ein und reisten ab. An einem Treffen der europäischen Autonomisten und Nationalisten am 27. August 1994 im belgiseben Diksmuide nahmen zehn FAP-Anhänger des Kreisverbandes Wernigerode teil (siehe hierzu 3.1.2). FAP-Anhänger aus Wernigerode und Magdeburg beteiligten sich am 24. September 1994 in Allenbüttel bei Wolfsburg am Landesparteitag der FAP Niedersachsen. Der Parteitag stand unter dem Motto "Landesparteitag des Widerstandes". Auf der Veranstaltung wurde ein Grußwort des trotz seiner Inhaftierung weiter amtierenden REISE verlesen, der den Landesverband aufforderte, verstärkt. weiterzuarbeiten. Der Kreisverband Wernigerode hatte für den 12. November 1994 zu einer ANTI-ANTIFA-Demo unter dem Motto "Stop dem linken Straßenterror I Stop den Lügen! Stop der Gewalt und Kriminalität in unserer Stadt! Für ein friedliches Miteinander, nicht gegeneinander!" aufgerufen. Zu dieser Demonstration erwartete der Kreisverband etwa 350 Teilnehmer. Der Aufruf erfolgte, weil die Antifa Wernigerode am gleichen Tag eine Demonstration gegen "Rechts" angemeldet hatte. 66 Im Gegensatz zur angemeldeten und durchgeführten Antifa-Demonstration fand die angekündigte Demonstration des Kreisverbandes nicht statt. Der FAP-Kreisvorstand Wernigerode ist aufgrund von Differenzen über politische Inhalte zerstritten. Dies wirkt sich auch auf seine Aktivitäten aus. Im übrigen nehmen nur noch wenige Mitglieder und Sympathisanten am Parteileben teil. Ein Grund für den Streit und den spürbaren Sympathieverlust des Kreisverbandes kann in der Inhaftierung von REISE gesehen werden, dem bis seiner Verhaftung die politische Schulung des Kreisverbandes Wernigerode oblag. Im Berichtszeitraum waren FAP-Anhänger aus Wernigerode an folgenden Gewalttaten beteiligt: Am 2. März 1994 drangen FAP-Sympathisanten in einen vornehmlich von linksorientierten Jugendlichen besuchten Jugendclub in Wernigerode ein, um an die Mitgliederkartei zu gelangen. Zur Verwischung ihrer Spuren legten sie anschließend Feuer im Gebäude. Am 31. Dezember 1994 randalierten etwa 40 militante Rechtsextremisten, darunter Mitglieder und Sympathisanten der FAP, auf dem Marktplatz in Wernigerode. Nach dem Eintreffen der Polizei wurde diese mit Baseballschlägern, Latten und anderen Schlagwerkzeugen angegriffen. 3.3 Direkte Aktion/Mitteldeutschland (JF) 3.3.1 Ideologisch-politischer Standort Aus ihren Publikationen ergibt sich, daß die JF in Programm, Vorstellungsweit und Gesamtstil eine Wesensverwandschaft mit dem Nationalsozialismus aufweist. Dort finden sich nationalsozialistischer Sprachgebrauch, das Bekenntnis zu maßgeblichen Repräsentanten des Nationalsozialismus, Antisemitismus und Rassismus sowie Propaganda für die Überwindung des gegenwärtigen staatlichen "Systems" nach dem Vorbild der NSDAP. 67 Ihre Veröffentlichungen belegen aber auch, in welcher kämpferischaggressiven Form sie ihre neonazistischen Zielsetzungen verfolgt. Im ,,Angriff' Nr. 1 wird zum Beispiel in einer Anleitung mit Verhaltensregeln fiir den politischen Kampf auf der Straße das GOEBBELs-Zitat "Rache muß kalt genossen werden" angefiihrt. Dieses Heft enthält auch revisionistische Darstellungen, wie aus dem Artikel " Gaskammern, gab es sie wirklich" hervorgeht. Ihre ausgeprägte antisemitische Grundhaltung zeigt u.a. ein Artikel im ,,Angriff' Nr. 4. Dort heißt es: " ... Dieser durch die parasitäre Ausnutzung der Völker hervorgebrachte Reichtum ermöglicht es den Juden in einem Zeitalter wie dem unseren, wo Geldreichtum entscheidet, einen außergewöhnlich weitreichenden Einfluß auszuüben ... ". Rassistische Aussagen belegt ein Artikel im ,,Angriff' Nr. 5 unter der Überschrift "In eigener Sache! I". Dort heißt es: "Wer hier jetzt 'nen Aufruf erwartet: 'Der Angriff distanziert sich von den schrecklich bösen Taten gegenüber Ausländern' oder 'Ein Bedauer-Rundschreiben' ... der hat sich getäuscht!". Weiter heißt es dann: "Außerdem haben wir schon in Ausgabe Nr. 1 geschrieben, wie wir das so sehen mit den Kanakenheimen und so. Auch schreiben und sagen wir nicht: 'Mordbrenner ihr gehört nicht zu uns'. ... Keiner kann uns erzählen, daß er sich nicht gefreut hat, als es in Rostock/Lichtenhagen los ging, wie überall 'Protest' laut wurde. Ja das ist es was sie brauchen ... ". Außerdem läßt die JF in einem fiktiven Gespräch eine Person die Meinung äußern, gingen die Ausländer nicht von alleine, müsse nachgeholfen werden; dies aber "nicht in Asylheimen, sondern auch und vor allem an den richtigen Stellen". Protestieren müsse man bei Bürgermeistern, Ausländerbeauftragten und lnnenministern. Abschließend heißt es: "Wie? Ihr wißt nicht wo die Leute wohnen? Auf Kameraden, die A"rsche hoch. Schreibstift und Fotoapparat in der Tasche. Organi~ siert den nationalen Widerstand!". Mit dem Namen ihrer Publikation ,,Angriff' versuchen die Herausgeber offensichtlich eine Beziehung zur gleichnamigen Schrift der ehemaligen NSDAP herzustellen. Mit dem in ihren Beiträgen verbreiteten "nationalrevolutionären" Gedankengut beweisen die Verfasser, daß sie aus der verbotenen NF hervorgegangen sind. Diese hatte ebenfalls einen ,,Angriff' herausgegeben. 68 Seit April 1994 verbreitet die in Quedlinburg erscheinende Publikation "Umbruch" die gleichen nationalrevolutionären Theorien, die auch von der SrA/JF vertreten werden. Die JF wirbt zwar in ihrer Publikation ,,Angriff' fiir den "Umbruch", bekennt sich aber nicht zu "ihrer" Schrift. Auch der Herausgeber, der der SrA/JF zuzurechnen ist, verschleiert die Verbindung zur JF und bezeichnet das Blatt als "völlig organisationsunabhängig". Selbst wenn unterstellt wird, daß er das Blatt tatsächlich in eigener Regie herausgibt, ist doch erkennbar, daß er damit die gleichen neonazistischen Zielsetzungen wie die JF verfolgt. Ein weiterer Beleg fiir die Verbindung des "Umbruch" zur SrA/JF ist eine Veröffentlichung in der Ausgabe 9/101994 der französischen Publikation "Lutte du Peuple". Die von der nationalrevolutionären Gruppierung "Nouvelle Resistance" herausgegebene Publikation stellt dies wie folgt dar: "In Deutschland haben die Kameraden der SrA eine verlegerische Arbeit geleistet, die sehr interessant ist. In der Region erregt die 'Berlin-Brandenburger Zeitung' großes Aufsehen. (...) Gleichzeitig gibt sie die Zeitung 'Umbruch' für die Kader sowie für die Jugend den 'Angriff' heraus. " Danach dürfte es legitim sein, den "Umbruch" als Ersatz für das im ersten Quartal 1994 letztmalig erschienene Mitteilungsblatt "In Aktion" zu betrachten, zumal in einer Anzeige im "Nordharz InfoDienst" der ,,Angriff', der "Umbruch" und die "Berlin-Brandenburger-Zeitung" über dieselbe Postfach-Adresse in Berlin (Redaktionsanschrift des ,,Angriff') angeboten werden. 3.3.2 Organisation "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" (JF) ist die seit Spätsommer 1993 benutzte aktuelle Bezeichnung für das bereits mehrmals umbenannte neonazistische "Förderwerk Mitteldeutsche Jugend" (FMJ). Bei dem Begriff "Direkte Aktion" handelt es sich um einen von Anarchisten übernommenen Kampfbegriff. Das FMJ ist im Juli 1992 nach eigenen Angaben als ,Nassenbzw. Umfeldorganisation" gegründet worden, "um neben der Kaderund Elitepartei 'Nationalistische Front' (NF) 14 *** nationaldenkende Jugendliche zu mobilisieren und zu organisieren". Nach der Spaltung der NF im Spätsommer 1992 hat sich 14 Die NF wurde am 27. November 1992 vorn Bundesminister des Innern verboten. 69 die Gruppierung, die sich von dem einstigen Bundesvorsitzenden der NF, Meinolf SCHÖNBORN, getrennt und um den damaligen stellvertretenden Vorsitzenden der NF, Andreas POHL, geschart hat, den Namen "Sozialrevolutionäre Arbeiterfront" (SrA) gegeben. In ihrer Kampfschrift ,,Angriff' stellt sie die SrA als ,,Kaderund Elitepartei'', das FMJ als ,)fassenorganisation" dar. Die JF verfügt über eine abgestufte Mitgliedschaft. So gibt es einfache Mitglieder, Kaderanwärter und Kaderverbandsmitglieder. An die Kaderanwärter werden "militärisch harte Bedingungen" gestellt. Der Kaderverband wird als "eigentliche Kampforganisation" der Bewegung dargestellt. Die JF hatte bis zum Januar 1994 ihren Sitz in Berlin und verfügte bis zu diesem Zeitpunkt über Ortsgruppen bzw. Stützpunkte in Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommem, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. In der Ausgabe Januar/Februar 1994 der "BerlinBrandenburger-Zeitung" der neonazistischen Vereinigung "Die Nationalen" wird ein "Info" der "Direkten Aktion" zitiert, in dem diese als Reaktion auf die vom Bundesminister des Innem angeordnete Durchsuchung am 20. Januar 1994 ihre Selbstauflösung erklärt. Weiter heißt es in dem Info: " Wir stellen es unseren ehemaligen Aktivisten, Gruppen und Stützpunkten frei sich in 'legalen, zugelassenen und eingetragenen' Vereinen und Parteien zu integrieren ... Dies bedeutet freilich nicht die Aufgabe einer einheitlichen Organisationsform unseres Kampfes. Wir sind aber sicher, auf diesem Weg noch mehr erreichen zu können. Denn wir werden nicht aufhören, für sozialgerechte Verhältnisse in Deutschland zu kämpfen. " In der letzten Ausgabe ihrer Zeitschrift "In Aktion" veröffentlichte die JF Anfang 1994 unter der Überschrift "Die Zeit ist reif' folgende Erklärung: " Wir lösten mit Wirkung vom 20.01.1994 sämtliche Vereinsnamen, Symbolik und kameradschaftsübergreifende Strukturen auf Die Stützpunkte werden in die vollständige Autonomie entlassen. (...) Ein Auftreten unter dem Namen FMJIJF ist zu unterlassen, eine ständig wechselnde Bezeichnung wird den Gruppen für die Zukunft angeraten. Außerdem sollte alles vermieden werden, was "einen überregionalen Zusammenschluß dokumentiert". Weiter heißt es dann: "Wir betrachten die Arbeit der Vorfeldorganisationen für abgeschlossen und halten die Kampfform der unzähligen Kadergemeinschaften, Zellen und Strukturen (in Eigenregie!) vor Ort, in seiner 70 Gesamtheit als für das System unangreifbar und für die Erringung des politischen Erfolges für absolut. " Die Autoren dieser Erklärung halten eine Steuerung dieser Gruppe durch die "Kameradschaftsführer", die untereinander in Verbindung stünden, weiterhin für notwendig. Im Juni/Juli 1994, also nach der angeblichen Selbstauflösung der JF, erschien der ,,Angriff' Nr. 6 mit neuer Redaktionsanschrift Darin behauptet die Redaktion, daß der ,,Angriff' in allen mitteldeutschen Ländern und in Niedersachsen in "Szeneläden" erhältlich sei. Neben dem als "Massenblatt" mit einer angeblichen Auflage von 15.000 Exemplaren konzipierten ,,Angriff' empfiehlt die Redaktion: "Dem interessierten Leser wollen wir deshalb die Schriften 'Umbruch-Blatt für Ideologie und Strategie' sowie die 'Berlin-Brandenburger-Zeitung' (BBZ), welche tagespolitische Ereignisse aus unserer Sicht kommentiert, ans Herz legen". Neben diesen beiden Blättern wird in dieser Ausgabe des ,,Angriff' u.a. auch für den "Nordharz InfoDienst" der Gruppe "Deutscher Freundeskreis Nordharz" geworben. 3.3.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt * Umund Neustrukturierung Die 1993 festgestellten Stützpunkte und Kameradschaften in SachsenAnhalt haben im Berichtszeitraum keine Aktivitäten mehr entfaltet. Oberflächlich betrachtet kann gesagt werden, daß sich die JF-Gruppen in Sachsen-Anhalt aufgelöst haben. Bei genauerer Betrachtung fällt jedoch auf, daß sich in den Harz-Orten, in denen früher JF-Strukturen bestanden, neue Gruppen gebildet haben. Mit unterschiedlichen Gruppennamen wie z. B. "Harzfront", "Unabhängiger Arbeitskreis", ,,Harzer Heimatschutz" und ,,Aufbruch" wird versucht, den bestehenden JF-Zusammenhang zu verschleiern. Damit wird deutlich, daß sich die ehemaligen JF-Strukturen genau an die propagierte Verschleierungstaktik halten. Für die JF ist es ein Erfolg, daß die nach dem Kaderprinzip strukturierten "autonomen Gruppen" nur sehr schwer aufgeklärt werden können. Die Führungspersonen der JF werden noch bei Schulungen und bei der Organisation von größeren überörtlichen Veranstaltungen tätig. 71 Für die tatsächliche Weiterführung der JF-Strukturen unter verschiedenen neuen Namen spricht auch, daß ihre Führungspersonen in den neu gegründeten Gruppen wieder eine maßgebliche Rolle spielen. Eine übergeordnete Steuerung der bereits genannten "autonomen Gruppen" wird durch einen "Szenebericht" mit dem Untertitel "'Harzfront' im Einsatz" in der Publikation ,,Nordharz Info-Dienst" belegt. Dort heißt es: "Es haben sich verschiedene lokale Gruppen und Einzelpersonen zu einem regionalen Verband zusammengeschlossen, der den Namen 'Harzfront' trägt. Vorher schon bestehende Initiativen und Gruppen wie 'Unabhängiger Arbeitskreis' (Qued/inburg), 'Harzer Heimatschutz' (Fhale), 'Aufbruch' (Blankenburg), u.a. arbeiten natürlich in ihrem Rahmen weiter, sind aber auch über die 'Harzfront' zu erreichen. Um das kritische Bewußtsein der Bürger etwas zu fordern, wurden bereits einige tausend Flugblätter verteilt und anderes Material verbreitet". Dem Bericht zufolge erstrecken sich die Aktivitäten der "Harzfront" nicht nur auf den politischen Bereich, sondern "auf fast jede Art von Unternehmungen". Außerdem wird behauptet, daß "Arbeitsgruppen" im Aufbau seien, die verschiedene Bereiche in Eigenregie organisieren sollen. So sei auch ein "Mädelund Frauenkreis" im Entstehen begriffen. * "Arbeitstagung Unzbruch" Vom 22. bis 24. April 1994 führte ein aus Niedersachsen stammender Neonazi, Steffen HUPKA, im Jugendgästehaus in Blankenburg die von ihm initiierte ,,Arbeitstagung Umbruch" durch. Zu dieser Veranstaltung hatte er ausgesuchte Rechtsextremisten eingeladen. Zur Tarnung hatte er die Räumlichkeiten im Jugendgästehaus für den "Bund für Kulturund Heimatpflege e. V." reservieren lassen. An dieser Veranstaltung nahmen 13 Rechtsextremisten, insbesondere Neonazis, aus mehreren Bundesländern teil. Die Tagesordnung der Veranstaltung sah u. a. folgende Themen vor: Bundesweites informelles Kadernetz, Informationsfluß (Tele-Systeme, Mailbox, eigener Postdienst), Mobilisierung, Koordinierung und Projekte (Schülerzeitung, Musikbereich, allgem. Agitation). 72 * Herausgabe der Publikation "Umbruch" Die erste in Sachsen-Anhalt herausgegebene neonazistische Publikation, die Schrift "Umbruch", erschien erstmals im April 1994. Im Impressum kündigte der Herausgeber, Steffen HUPKA, regelmäßiges Erscheinen in Abständen von zwei Monaten an. Seit dem sind fünf Ausgaben, die letzte im Dezember 1994, erschienen. HUPKA vertreibt die Schrift über eine Postfachadresse an seinem Wohnort Quedlinburg. Als ehemaliges Mitglied der inzwischen verbotenen NP verfügt er über einschlägige Erfahrungen, da er während seiner NPMitgliedschaft Schulungen geleitet und für den Inhalt der NPPublikation ,,Aufbruch"verantwortlich war. Nach der von ihm in der ersten Ausgabe geäußerten Zielstellung soll der "Umbruch" ein Schulungsorgan für Strategie, Taktik, Politik und Weltanschauung sein. Aufgabe des Organs sei es, dem politischen Führer, Unterführer und dem bewährten Einzelkämpfer Material an die Hand zu geben, das geeignet ist, sein Wissen zu vertiefen oder es im Rahmen eigener Schulungen zu verwenden. Die revolutionäre Bewegung habe trotz einiger Lernerfolge immer noch einen großen Nachholbedarf an weltanschaulicher und politischer Ausrichtung. Der stark zunehmende Verfolgungsdruck des Systems zwinge dazu, auf die Repressionsmechanismen schnell zu reagieren und taktischstrategische Methoden anzuwenden, mit denen der politische Angriff weiterhin offensiv und erfolgreich geführt werden könne. Ferner soll die Schrift dazu dienen, die Verbesserung der taktischen und strategischen Fähigkeiten lokaler und regionaler Gruppen herbeizuführen. Hierbei geht es HUPKA auch darum, die Verflechtung der einzelnen Gruppen weiter voranzutreiben. Die Publikation soll zunehmend über sogenannte Bereichsund Ortsgruppenleiter an untergeordnete Gruppen und Einzelaktivisten durch eigene Verteilerkreise weitergeleitet werden, um "hierdurch dem Gegner den Zugriff erheblich zu erschweren". Außerdem will HUPKA mit Hilfe der Leser regelmäßig - mindestens zweimal im Jahr - bundesweite Lesertreffen organisieren, die sich über mehrere Tage erstrecken und der gruppenübergreifenden Vernetzung dienen sollen. 73 E DAS VATERLAN JEDES OPFER FORDERN "AMiEN R DARF ne CEEE. T BEBEEEE at NORADELE NORDHARZ zer] dies' Überperunlsch - Umismngng Jeutscher Freundeskreis Nordharz naturliedend - Hemaluerdungen - konseqgueni - uberpäartellich DPN Postfach 22 33871 Ieeaburg "Takes Id 2 Lem warte wurden. la "Ich mc uh gern Oeupr sah 5 mau Verzutar den DFN en Nr. oo "Ich minute cu mas Veransatung den DFN unugubtelen werden "> Ta minbte unge Sram karn des iz eulnagablartan *Marder Beil S > Iniulense" nygmctsar bekzuumen, die ua 'u eunuem Ansiumkres vertmium won den 3.DM a U das Ken habe ch ba guisee. -- -- WIR HABEN SCHON Su MANCHEN AUF DEN RECHTEN WEG GEBRACHT ' 3.4798 74 In der zweiten Ausgabe seiner "revolutionären" Publikation nennt er die Zielgruppen für die von ihm beschriebene "nationalistische Basisgruppenarbeit". Eine der wichtigsten Zielgruppen sei die Schülerschaft, insbesondere die der Oberschulen und ihrer Oberklassen. Dort müsse die "nationalistische Bewegung" mit ihrer Arbeit ansetzen, um "die zweite Generation der unzufriedenen Jugend in den Griff zu bekommen". Als weitere wichtige Zielgruppen stellt er die Lehrlinge, Jungarbeiter und die Landjugend dar. Außerdem solle "der sogenannte Mittelstand, also das freiberufliche Bürgertum" als Zielgruppe nicht vergessen werden. In dieser Schicht sei die Fähigkeit zur politischen Meinungsbildung ziemlich weit ausgeprägt. Die existentielle Gefährdung dieser Bevölkerungsgruppe böte darüber hinaus gute Ansatzpunkte für die politische Arbeit. Das von der SrA/JF praktizierte Kaderprinzip wird von HUPKA in seiner Publikation besonders herausgestellt. Für ihn hat der "Aufbau einer überregionalen Kaderstruktur grundsätzlich Vorrang vor wahlpolitischen Experimenten". Deshalb tritt er dafür ein, alle Möglichkeiten für die "Errichtung eines überregionalen Kadernetzes" zu nutzen. Die von ihm dargestellte "revolutionäre Organisation" besteht aus zwei Teilen; einem engen Kreis ständiger leitender Kräfte, dem Kader und aus einer großen Zahl von Mitgliedern, die in einem verzweigten N eiz peripherer Organisationen (Vorfeldorganisationen) gebunden sind. 3.4 Deutscher Freundeskreis Nordharz (DFN) 3.4.1 Ideologisch-politischer Standort Die 13 Punkte umfassende Satzung des DFN enthältabgesehen von der recht vagen Formulierung" unterstützt solche Parteien und Organisationen, die Deutschland als Land der Deutschen erhalten wollen " - keine Hinweise auf verfassungsfeindliche Ziele. Die Mitgliedschaft im DFN ist aufDeutsche beschränkt. Das zwölf Zielsetzungen umfassende "Minimal"-Programm des DFN ist bewußt allgemein und zurückhaltend formuliert. Dennoch finden sich einige "klassische" Themengebiete rechtsextremistischer - insbe- 75 sondere neonazistischer - Agitation. Diese tauchen - teilweise in modifizierter Formin nahezu allen Programmen neonazistischer Gruppen auf. Insbesondere gehören dazu folgende Forderungen: "Der DFN trittfür eine Geschichtsschreibung ein, die der Wahrheit entspricht und sich nicht für Kollektivschuldthesen und andere politische Manipulation mißbrauchen läßt. " "Wir lehnen Gleichmacherei (und) Überfremdung ... ab." "Deutschland hat Anspruch auf Wiederherstellung seiner völkerrechtlichen Grenzen. " "Das Ansehen und die Ehre des deutschen Soldaten sind unter strafrechtlichen Schutz zu stellen. Wer Leistung und Leiden der Frontgeneration leugnet und verächtlich macht, versündigt sich am Andenken der Gefallenen. " In seinen Flugschriften beweist der DFN eine nationalistische und betont feindselige Haltung gegenüber Ausländern, insbesondere Asylbewerbern. Mit dieser gezielten Agitation will er bei der deutschen Bevölkerung Ängste mit dem Ziel erzeugen, bei ihr rassistisch motivierte Abwehrreaktionen zu erzielen. Die deutschen Politiker werden in diesem Zusammenhang als" Verfechter der multikulturellen Wahnidee" und" über/remdungssüchtige Bußund Abbitteapostel" diffamiert. In den Flugblättern klingen auch revisionistische Bezüge an. So wird die "verlogene Geschichtsdarstellung" und die "verlogene Kriegsund Greuelhetze" kritisiert. 3.4.2 Organisation Der DFN ist im September 1994 im Landkreis Goslar gegründet worden. Dazu heißt es in einer Selbstdarstellung: " Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die in den verschiedenen rechten Parteien und Gruppen aktiven Menschen in unserer Region zu vernetzen und darüber hinaus eine überparteiliche Plattform im DFN zu bieten. (...) Im DFN ist das gesamte Spektrum, vom gemäßigt-patriotisch bis zum radikal-nationalistisch gesinnten Menschen, vertreten. " Er bezeich- 76 net sich als überregional aktiv; seine Arbeit konzentriert sich jedoch schwerpunktmäßig auf die Landkreise Goslar und Wernigerode. Der DFN stellt eine zukunftsträchtige neue Organisationsund Aktionsform auf lokaler Ebene dar, denn in ihm haben sich Mitglieder der FAP, JF, DLVH, JN sowie neonazistische Einzelgänger und Skinheads zusammengefunden. Damit folgen sie der "Strategie der Vereinheitlichung des nationalen Lagers", die seit längerem von einigen neonazistischen "Chefideologen" propagiert wird. Das Hamburger Nationale Info-Telefon der FAP meldete dazu am 2. Dezember 1994: " Überall in der Bundesrepublik ist der Aufbruch zu spüren. Immer neue Gruppen und Bewegungen entstehen, die die Zersplitterung der ~nationalen Rechte' überwinden wollen. In vielen Städten gibt es schon ~Runde Tische ', an denen Aktivisten der verschiedensten nationalen Parteien mitwirken. Sichtbare Ergebnisse gibt es ... zunehmend auch im Harz. Mehrere nationale Gruppierungen haben sich organisiert zm ~Deutschen Freundeskreis Nordharz '". Diese neue Organisationsform nach dem Motto: "Jeder arbeitet mit jedem zusammen" funktioniert auf Dauer jedoch nur, wenn die Gruppenmitglieder ihre organisationsspezifischen Egoismen überwinden. Eine weitere Problematik ergibt sich möglicherweise insofern, als erstmals in einem lokalen neonazistischen Personenzusammenschluß Personen aus den alten und neuen Bundesländern eng zusammenarbeiten. Zur Zeit befinden sich die DFN-Anhänger aus Sachsen-Anhalt in dieser Gruppierung noch in der Minderheit. Der DFN gibt die Publikation "Nordharz Info-Dienst" heraus. Diese Schrift erscheint nach eigenen Angaben in einer Auflage von 700 Exemplaren. 3.4.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Die Aktivitäten des DFN konzentrieren sich bisher hauptsächlich auf den Landkreis Goslar. Lediglich die von ihm herausgegebene Publi- 77 kation "Nordharz Info-Dienst" wird über eine Postfach-Adresse in Ilsenburg, Landkreis Wernigerode, vertrieben. Auch die Zusammenkünfte des DFN fanden im Berichtszeitraum in Goslar und Bad Harzburg statt. Der DFN beteiligt sich, wie auch andere neonazistische Personenzusammenschlüsse, aktiv an der ANTI-ANTIFA-Kampagne. So veröffentlicht er in der Ausgabe 3 + 4/94 seiner Publikation auf einer ,,Anti-Antifa"-Seite die Anschrift der linksextremistischen Organisation ,,Antifaschistische Jugend/Bundesweiter Zusammenschluß" (AJ/BZ). Die Verbreitung von Infonnationen über den politischen Gegner, d. h. die "Feindaujklärung", gehört zu den wichtigsten Aufgaben der ANTI-ANTIFA-Arbeit. Anläßtich des dreijährigen Bestehens des "Nationalen Gesprächskreises Nordharz" fiihrte der DFN am 2. Dezember 1994 in Bad Harzburg eine überregionale Vortragsveranstaltung durch. Der angekündigte Vortrag wurde von Dr. Rigolf HENNIG, Mitglied des Parteivorstandes und stellvertretender Vorsitzender der DLVH, gehalten. An dieser Veranstaltung nahmen insgesamt etwa 50 Personen aus Niedersachsen und Sachsen-Anhalt teil. Mitglieder des DFN haben am 10. Dezember 1994 an einem hauptsächlich von den JN veranstalteten "1. Europäischen Kongreß der Jugend" in Klingenberg/Bayern teilgenommen. Neben den Teilnehmern der JN und des DFN waren dort auch Mitglieder der FAP und JF vertreten. Außerdem waren Delegierte aus Belgien (Flandern), Luxemburg, Frankreich, Österreich, Kroatien, Bulgarien und den Niederlanden angereist. Insgesamt nahmen über 200 Personen teil. In dem Kongreßaufruf forderte die JN die Bildung einer "grenzübergreifenden nationalistischen Einheitsfront ... die sich gemeinsam der Unterdrückung der europäischen Völker durch imperiale Großmächte, falsche Ideologien und dem Wirtschaftsimperialismus multikultureller Konzerne widersetzt". Das von dem Kongreß beschlossene "Europäische Jugendmanifest" kündigt wechselseitige Besuche bei Kongressen und Veranstaltungen an, "verbunden mit dem künftigen Ziel gemeinschaftlicher Aktionen gegen den zentralistischen europäischen Einheitsstaat". Der "Euro- 78 päische Kongreß der Jugend" soll künftigjährlich stattfinden, 1995 in einem nicht näher bezeichneten Land Mitteleuropas. 3.5 HUfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) 3.5.1 Ideologisch-politischer Standort Die HNG ist eine der mitgliederstärksten neonazistischen Organisationen, die ihre Anhänger aus vielen neonazistischen Vereinigungen rekrutiert. Nach eigener Aussage versteht sie sich als "Sammelbecken für Neonazis aller Richtungen". Neben ihrem satzungsgemäßen Ziel, "nationale politische Gefangene" zu betreuen, ist die HNG bestrebt, aus der Haft entlassene Gesinnungsgenossen wieder in die neonazistische Szene zurückzufiihren. Eine weitere Aufgabe sieht sie in der Aufklärung über die "wachsende Repression des herrschenden Systems gegen volksfreue Kräfte des rechten 'ultra-militanten' Lagers". In Berichten über inhaftierte Neonazis werden regelmäßig staatliche Institutionen diffamiert. Weiterhin werden Mitteilungen von Rechtsextremisten an die Staatsanwaltschaften abgedruckt. Dabei werden der Name des Staatsanwaltes und die Dienstanschrift veröffentlicht. Bereits 1993 forderte die HNG ihre Anhänger zur Sammlung von Namen und Adressen von "Schergen des herrschenden Systems" auf, um diesen Personenkreis öffentlich anzuprangern. Außerdem unterstützt die HNG in ihrer Publikation "Nachrichten der HNG" auch die ANTI-ANTIFA-Aktivitäten. So veröffentlichte sie unter der Überschrift "ANTIFA Gewalttäter des Überfalls auf Kamerad Thomas KUBIAK enttarnt" eine Liste mit 13 Namen von Personen, die als "mutmaßliche linke Gewalttäter" bezeichnet wurden. 3.5.2 Organisation Die HNG wurde im September 1979 gegründet. Bundesweit verfiigt die von der Mainzer NS-Aktivistin Ursula MÜLLER geleitete Organisation über 300 Mitglieder, darunter elf aus Sachsen-Anhalt. Ihre Pu- 79 blikation "Nachrichten der HNG" erscheint monatlich in einer Auflage von etwa 400 Exemplaren. 3.5.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt An der am 16. April 1994 durchgeführten Jahreshauptversammlung der HNG in Butzbach/Hessen nahmen etwa 90 Personen, überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum, teil, darunter sechs HNGMitglieder aus Sachsen-Anhalt. 3.6 Internationales HUfskomitee für nationale politische Verfolgte und deren Angehörige e. V. (IHV) 3.6.1 Ideologisch-politischer Standort Laut Satzung ist es das Ziel des IHV "weltweit für die Unterstützung nationaler politischer Verfolgter einzutreten". Hauptaufgabe ist die Betreuung der Kameraden in Haft. "Schwerpunkt ist hierbei das Durchbrechen der Kontaktsperre, die von manchen Gefängnisleitungen über politische Gefangene, die es in der BRD nicht gibt, verhängt wird". Die konkrete Betreuung der "inhaftierten Nationalisten" obliegt in den einzelnen Ländern sogenannten IHV-Bezirksführern. Eine weitere Aufgabe sieht das IHV in der Betreuung noch nicht einsitzender Mitglieder durch Rechtsberatung und Empfehlung von Rechtsanwälten, um so einer Inhaftierung vorzubeugen. 3.6.2 Organisation Das IHV wurde am 20. Juni 1987 als Konkurrenzorganisation zur HNG von dem bekannten Neonazi Ernst TAG gegründet. Bundesweit verfügt es über 20 Mitglieder. Das IHV gibt monatlich seine Mitteilungen "IHV e. V.Für Recht und Wahrheit" heraus. 80 3.6.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Die wenigen, im wesentlichen von Ernst TAG ausgehenden Aktivitäten beschränkten sich auf die Herausgabe und Versendung der lliVMitteilungen. In dieser Publikation und Ober sein eigenes "InfoTelefon" betreibt TAG intensiv Werbung ftir das lliV. Dieses versucht, vor allem in den neuen Ländern inhaftierte Gesinnungsgenossen als Mitglieder zu gewinnen. In Sachsen-Anhalt betreute es vier inhaftierte militante Rechtsextremisten. 3.7 Die Nationalen e. V. 3. 7.1 Ideologisch-politischer Standort Die Nationalen e. V. sind ursprünglich mit dem Ziel angetreten, integrativ auf die Einheit der "nationalen Kräfte" hinzuarbeiten. Sie verstanden sich dabei nicht als Konkurrenz zu bestehenden rechtsextremistischen Parteien und Gruppierungen, sondern als "weltanschaulich - nationale" Zweckgemeinschaft mit der Absicht, an Wahlen teilzunehmen. In ihrer Satzung bezeichnen sie sich als eine von bestehenden Parteien enttäuschte Gemeinschaft deutscher Wähler im Land Brandenburg und in Berlin. Von den seinerzeitigen Zielen ist der Verein heute weit entfernt. Nachdem der Verein immer mehr in das neonazistische Lager abdriftete, zogen sich die Mitglieder der rechtsextremistischen Parteien, bis auf einige DLVH-Mitglieder, aus seiner politischen Arbeit zurück. Heute ist der Verein ein Sammelbecken ftir Neonazis. In ihm haben Neonazis aus verbotenen Organisationen wie der "Deutschen Alternative" (DA) und der NF genauso eine neue Heimat gefunden wie ehemalige Mitglieder der angeblich aufgelösten JF. Die derzeitige Vereinsftihrung setzt sich Oberwiegend aus Neonazis zusammen. Wie auch andere neonazistische Personenzusammenschlüsse und rechtsextremistische Parteien vertreten Die Nationalen e. V. die Meinung, daß in der Nachkriegszeit die Geschichte der Weltkriege und des Dritten Reichs falsch dargestellt wurde. Aus diesem Grunde meldeten sie ftir den 9. November 1994 (Jahrestag der Reichspogromnacht) eine Mahnwache und Lichterkette vor dem Gelände des ehe- 81 maligen Konzentrationslagers in Oranienburg!Brandenburg an. Die Veranstaltung sollte unter dem Motto "Für Wahrheit und Recht in der deutschen Geschichtsschreibung - Gegen die Geschichtsklitterung der herrschenden Klasse" zusammen mit den Deonazistischen Organisationen "Deutsche Nationalisten" (DN) und dem "Völkischen Freundeskreis Berlin" sowie der DLVH durchgeführt werden. Die Militanz des Vereins belegt ein in kämpferisch-aggressiver Form abgefaßter Faxbrief an die PDS-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung Guben/Brandenburg. In dem vom Vereinsvorsitzenden Frank SCHWERDT Ende Oktober 1994 übermittelten Schreiben wird die PDS vor Störaktionen gegen eine Versammlung der Die N ationalen e. V. am 5. November 1994 in Guben gewarnt:" Vor dem Hintergrund vergangener Störaktionen Ihrerseits und der damit in direktem Zusammenhang stehenden Gewalttaten von Seiten der von Ihnen alimentierten 'Antifa' wenden wir uns auf diesem Wege direkt an Sie . ... Sollte noch irgendjemand in der Stadt aufgrundseiner politischen Einstellung von Ihren Leuten traktiert, geschlagen oder sonstwie genötigt werden, sehen wir uns gezwungen, aktiv und wirksam Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Autonome Gruppen der nationalen Szene aus ganz Deutschland haben sich bereit erklärt, künftige Gewalt Ihrerseits im Keim ersticken zu helfen. Auch Sie haben Familien, denken Sie daran! Wir hoffen, Sie zeigen sich vernünftig und einsichtig und sehen in Zukunft von Ihrer Gewalthetze ab". Über sein Publikationsorgan "Berlin-Brandenburger Zeitung" (BBZ) und die Mailbox-Adresse "Kommando F" im "THULE"-Netz betreibt der Verein eine planmäßige Verunglimpfung der bestehenden Staatsform und ihrer Repräsentanten in der Absicht, die Demokratie in den Augen der Bevölkerung als Wert zu erschüttern. So heißt es in einem mit "Kommando F" gezeichneten Beitrag vom 14. Oktober 1994 unter der Überschrift "Herzog in Polen: Herr Präsident sorgt für einen Eklat in Warschau ": Symptomatisch für die heutige "Ochlokratie" {Pöbelherrschaft) seien personelle Neubesetzungen von Staatsämtem. Es werde auf immer niedrigere unqualifizierte Chargen in der Parteihierarchie zurückgegriffen. Ein Beispiel sei der neue Bundespräsident. Der Auftritt "dieses Menschen" in Warschau habe bei jedem aufrechten Deutschen Ekel, Abscheu und Verachtung erzeugt. In unterwürfiger, würdeloser Pose habe der Bundespräsident die Polen um Vergebung für deutsche Verbrechen angefleht. Von einem neuerli- 82 eben Kniefall habe er wohl nur wegen seiner Fettleibigkeit und Behäbigkeit abgesehen. Von den Vertreibungsverbrechen an Millionen unschuldiger Deutscher sei hingegen nicht die Rede gewesen. Der "Redaktionsstab Kommando F" hat sich in der BBZ vom Juli/August 1994 wie folgt vorgestellt: Das "Kommando Fu setze sich aus "mitteldeutschen" Jugendlichen zusammen, welche unterschiedlichen nationalen Jugendszenen angehörten. Gemeinsam sei ihnen der revolutionäre Aspekt innerhalb ihres Kampfes. Nur durch die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsform könnten ein Leben in Glück und Freiheit und lebenswürdige Umstände garantiert werden. Nach der Diktion der Selbstdarstellung und der bisher veröffentlichten Artikel dürfte es sich bei dem "Redaktionsstab Kommando F" um ehemalige Mitglieder der angeblich aufgelösten JF handeln. Schon früher belegten zahlreiche BBZ-Artikel über das "Förderwerk Mitteldeutsche Jugend" (FMJ) und über die daraus hervorgegangene JF die enge Zusammenarbeit. Die angebliche Selbstauflösung des FMJ mit dem gleichzeitigen Versprechen, daß die politische Arbeit unabhängig vom Namen weitergehe, kommentierte das Vereinsorgan BBZ: "Das sind Idealisten, die weitermachen ... Dementsprechend legen die H. JF-Schriften ,,Angriff' und "Umbruch" ihren Lesern die BBZ, "welche tagespolitische Ereignisse aus unserer Sicht kommentiertu, ans Herz. Darüber hinaus werden in einer Anzeige im "Nordharz InfoDienst" die Publikationen ,,Angriff', "Umbruch" und BBZ über dieselbe Postfach-Adresse in Berlin angeboten. Die Nationalen e. V. unterhalten aber auch zu weiteren neonazistischen Personenzusammenschlüssen enge Kontakte. Symptomatisch dafür sind die zusammen mit anderen neonazistischen Organisationen sowie rechtsextremistischen Parteien durchgeführten Veranstaltungen. Neben ,jungen Aktivisten" aus der Neonazi-Szene versucht der Vereinsvorsitzende SCHWERDT, auch Mitglieder rechtsextremistischer Parteien fiir eine Zusammenarbeit mit seinem Verein zu gewinnen. Das nach dem Parteiaustritt von Frank SCHWERDT aus der DLVH abgekühlte Verhältnis des Vereins Die Nationalen e. V. zur DLVH hat sich inzwischen wieder verbessert. So sind Ende 1994 einige Ver- 83 anstaltungen gemeinsam unter der Bezeichnung "Vereinigte RechteDeutsche Liga I Die Nationalen" durchgefiihrt worden. 3. 7.2 Organisation Die Nationalen e. V. wurden am 3. September 1991 von Angehörigen der NPD, der DLVH, der FAP sowie ehemaligen Mitgliedern der Partei "Die Republikaner" unter dem Namen "Freiheitliche Wählergemeinschaft'Wir sind das Volk"' (WSDV) gegründet, um an den Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) am 24. Mai 1992 teilzunehmen. Anlaßlieh der BVV-Wahlen erhielt die Wählergemeinschaft in den einzelnen Bezirken zwischen 0,16 % und 0,69 %. Trotz des enttäuschenden Wahlergebnisses wurde die Wählergemeinschaft am 28. August 1992 als Verein Die Nationalen e. V. mit Sitz in Berlin gegründet. Der damalige Vereinsvorstand setzte sich aus Mitgliedern und Anhängern der DLVH, der NPD und ihrer Jugendorganisation, den "Jungen Nationaldemokraten" sowie Neonazis zusammen. Nachdem sich die Gründungsmitglieder aus der NPD und der Partei "Die Republikaner" wegen der zunehmenden neonazistischen Orientierung aus dem Verein zurückgezogen haben, überwiegen heute im Vorstand Neonazis und Anhänger der DLVH. Der Landesverband "Die Nationalen e. V. Berlin-Brandenburg" mit etwa 80 Mitgliedern gliedert sich in den Verband Land Brandenburg mit drei Kreisverbänden und den Stadtverband Berlin mit ebenfalls drei Kreisverbänden. Vorsitzender des Landesverbandes ist seit Februar 1993 Frank SCHWERDT. Mit der Verabschiedung einerneuen Satzung Mitte 1993 wurden die Voraussetzungen fiir den Aufbau von organisatorischen Strukturen auch außerhalb von Berlin und Brandenburg geschaffen. Seit etwa Mitte 1993 existierte in der Lutherstadt Wittenberg eine sogenannte "Kameradschaft Wittenberg im Freundeskreis Sachsen-Anhalt des Vereins Die Nationalen e. V." ("Kameradschaft Wittenberg"). Die "Kameradschaft Wittenberg" hat sich in der ersten Novemberhälfte 1994 aufgelöst. Ein Grund fiir die Selbstauflösung dürfte in den am 84 10. November 1994 vollzogenen Durchsuchungen bei Mitgliedern dieser Kameradschaft und der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB zu sehen sein. Bereits am 19. November 1994 haben sich Mitglieder der aufgelösten Kameradschaft zu einer neuen Gruppierung zusammengeschlossen, die den Namen "Kameradschaft Ostelbe" trägt. Bei dieser Zusammenkunft wurden sieben Funktionäre eingesetzt, weitere sieben Personen sind fest in die "Kameradschaft Ostelbe" eingebunden. Darüber hinaus sind etwa 20 Mitläufer Ober sogenannte "Ortsgruppenfiihrer" mit ihr verbunden. Die Mitglieder und Anhänger stammen hauptsächlich aus Wittenberg, Coswig, Roßlau und Dessau. Im Berichtszeitraum gründeten Die Nationalen e. V. die Jugendorganisation "Junges Nationales Spektrum" (JNS). Die erste JNS-Struktur wurde in Sachsen aufgebaut. Danach folgten weitere in Brandenburg. In dem JNS haben sich u.a. ehemalige Mitglieder und Aktivisten der DA und der JF zusammengefunden. In Sachsen-Anhalt ist Ende 1994 die erste JNS-Struktur in Zahna, Landkreis Wittenberg, bekanntgeworden. Die Nationalen e. V. geben die "Berlin-Brandenburger Zeitung" mit einer angeblichen Auflage von 18.500 Exemplaren heraus. Daneben werden seit Oktober 1994 Berichte im "THULE"-Netz über die Berliner Mailbox "Kommando F" verbreitet. 3.7.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Einzelne Mitglieder der "Kameradschaft Wittenberg" nahmen an Veranstaltungen und Wehrsportobungen der verbotenen NF in NordrheinWestfalen teil. Außerdem wurden WehrsportObungen im Raum Kropstädt, Landkreis Wittenberg, und auf einem verwilderten Gelände einer ehemaligen Fabrik der Lutherstadt Wirtenberg durchgefiihrt. Am 5. Februar 1994 detonierte in der Wohnung eines Mitglieds der "Kameradschaft Wittenberg" ein selbsthergestellter Sprengsatz. Dabei wurde ein Kameradschaftsmitglied leicht verletzt und die Wohnung erheblich beschädigt. Bei der polizeilichen Vernehmung gaben die Tatverdächtigen an, daß der Sprengsatz perFernzündungwährend ei- 85 ner PDS-Veranstaltung zur Explosion gebracht werden sollte. Diese Aussage wurde später von den Beschuldigten widerrufen. Die polizeilichen Ermittlungen wegen des Verdachts der Herbeifiihrung einer Sprengstoffexplosion ergaben, daß ein Mitglied der Kameradschaft über einen längeren Zeitraum Chemikalien beschaffi hatte. Daraus stellte er mit einem weiteren Kameradschaftsmitglied den Sprengsatz her. Dieser wurde nach erheblichem Alkoholkonsum durch ein Versehen gezündet. Am 5. September 1994 nahmen 19 Mitglieder sowie Anhänger der "Kameradschaft Wittenberg" an einer Veranstaltung der Nationalen e. V. in Göhlen/Brandenburg teil. Aufgrund einer Verbotsverfiigung wurde die Versammlung von Polizeikräften aufgelöst. Bei der Überprüfung der Versammlungsteilnehmer wurden drei Messer, eine Schreckschußpistole, ein Baseballschläger, Reizgas, eine Reichskriegsflagge und ein Koppelschloß mit Hakenkreuz sichergestellt. Die "Kameradschaft Ostelbe" veranstaltete am 21. Dezember 1994 in einem Waldgrundstück im Raum Kropstädt, Landkreis Wittenberg, eine sogenannte Wintersonnenwendfeier. Neben den Mitgliedern der Kameradschaft beteiligten sich auch FAP-Mitglieder aus Berlin sowie Berliner Mitglieder der Die Nationalen e. V .. Unter den insgesamt 25 Teilnehmern befanden sich auch der Berliner FAP-Landesvorsitzende Lars BURMEISTER und der Vorsitzende der Die Nationalen e. V. Frank SCHWERDT. Bereits vor Erreichen der fiir die Feier vorgesehenen Waldlichtung wurden Fackeln entzündet und mit dem "feierlichen Trommeln" begonnen. Auf der Lichtung wurden dann drei Hakenkreuze aufgestellt. Nach dem Entzünden des Feuers wurde eine Rede über die Tradition der Sonnenwendfeiern gehalten. Im weiteren Verlauf der Feier wurden verschiedene rechtsextremistische Lieder gesungen und Marschmusik von Tonträgem abgespielt. Im Dezember 1994 haben Mitglieder und Anhänger des Jugendverbandes JNS an den Schulen im Landkreis Wirtenberg Flugblätter mit dem Titel: "Den Marxismus an den Schulen stoppen! verteilt. Darin H wird behauptet, die gesamte Lehrerschaft sei "durchsetzt von einer Clique marxistischer Ideologen Der Unterricht, insbesondere in den H. meinungsbildenden Fächern sei die "pure politische BeeinflussungH. Deshalb fordern sie: "Schluß mit den Geschichtslügen und der poli- 86 fischen Beeinflussung! Sofortige Entlassung aller linksradikalen Lehrerinnen und Lehrer! Für ein selbstbestimmtes und freies Lernen! Zerschlagung der linksradikalen Jugendbanden!u. Mit der Verteilung dieser Flugblätter sind die Anhänger des JNS in Sachsen-Anhalt erstmals in Erscheinung getreten. Durnt 2 |8Leift ". D a. "RechterTerror"LügeundWahrhet " i TSES ih . Werden die Deutschen getäuscht , . .- " sa SZ Beufäeid Teurnr. v 2 wa u ri Mm mean Fe War Wr Amp Cu Tem au mumesre, r 0u G * f #5 ai GE He a " E ill dersimerurine: m MnnfHihe SanS ammne m "nn un a 6 mn al anne U 0 m en an ae au au mm den. - "ur. 88 * 4. Rechtsextremistische Parteien und Organisationen 4.1 Partei "Die Republikaner" (REP) Bereits im Dezember 1992 hatten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder gemeinsam festgestellt, daß bei der Partei "Die Republikaner" tatsächliche Anhaltspunkte fiir Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. Sie vereinbarten daraufhin, über diese Partei gezielt Infonnationen zu beschaffen und auszuwerten, um den Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen bestätigen oder ausschließen zu können. Dieser Verdacht hat sich zwischenzeitlich soweit verfestigt, daß die Mehrheit der Verfassungsschutzbehörden der Länder das Vorliegen solcher Bestrebungen bejaht. Daraufhin haben die Innenminister in zwölf*s Ländern "Die Republikaner" als rechtsextremistische Partei eingestuft. Gegen ihre Beobachtung mit nachrichtendienstliehen Mitteln haben die REP in einigen Ländern die Verwaltungsgerichte angerufen. Bis auf Niedersachsen wurden ihre Anträge abgewiesen 16 , soweit sie diese nicht selbst zurückgenommen hatten. Damit wurde die Vorgehensweise der Verfassungsschutzbehörden gerichtlich bestätigt und auf die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beurteilung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwiesen. Danach reicht ein "rein formales Bekenntnis" zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht aus, um den "wirklichen politischen Standort der Partei zu kennzeichnen", und ein "bewußt vorsichtig gehaltenes Programm" beweist nicht die wahren Ziele. Das Wesen und der Sinn eröffnen sich erst, wenn die "Fülle der Einzelheiten, die Worte und Taten der Führenden und ihrer Anhänger sowie das verwendete Schulungsund Propagandamaterial" zusammenhängend geprüft sind. Auch wenn radikale Äußerungen vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt werden, kann ihre "Zusammenschau" lS Nach Ablauf des Berichtszeitraums hat sich diese Anzahl auf 14 erhöht. 16 Am 9. Januar 1995 hat das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht wegen eines Formfehlers aufgehoben und zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Das Oberverwaltungsgericht hatte im Berufungsverfahren die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover bestätigt, das die Unzulässigkeil der nachrichtendienstliehen Beobachtung durch die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde nach dem niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz festgestellt hatte. 89 sehr wohl den Verdacht der Gefahrdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung begründen. Weiterhin muß sich eine Bundespartei das diesbezügliche Fehlverhalten eines ihrer Landesverbände zurechnen lassen und umgekehrt. 4.1.1 Ideologisch-politischer Standort Die REP haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend zu einer rechtspopulistischen Partei entwickelt, deren Agitation in der politischen Zielsetzung, im Inhalt und in der Diktion mit den rechtsextremistischen Parteien wie NPD und DVU weitgehend übereinstimmt. Obwohl sich aus dem Wortlaut ihrer Satzung und ihres Parteiprogramms keine verfassungsfeindliche Zielstellung ergibt, sind dennoch rechtsextremistische Bestrebungen festzustellen, die sich in folgenden Äußerungen und Handlungsweisen manifestieren: (1) Die REP versuchen, die Geschichte umzuschreiben. Die negative Wertschätzung des Dritten Reiches und der DDR in der Geschichtswissenschaft und im öffentlichen Bewußtsein wird zunächst übernommen. Durch die Übertragung der Kritik an den beiden Diktaturen auf bundesrepublikanische Verhältnisse werden die Unrechtsregime indirekt jedoch wieder aufgewertet. Dagegen wird der Rechtsstaat abgewertet. (2) Gleichsetzungen von Institutionen und Handlungen der Bundesrepublik Deutschland mit solchen des Dritten Reiches oder auch der DDR sowie die Übertragung von NSund realsozialistischer Tenninologie auf bundesrepublikanische Verhältnisse dienen dazu, rechtsstaatliche Konturen zu verwischen und die freiheitliche demokratische Grundordnung zu diskreditieren. (3) Die REP leugnen eigene Fremdenfeindlichkeit und lehnen formal Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ab. Damit wollen sie ihren politischen Gegnern möglichst wenig Angriffsfläche bieten und als Partei der "Biedennänner" auftreten. Tatsächlich schüren sie jedoch Fremdenhaß und sprechen damit die bestehenden Ressentiments ihrer Mitglieder an. Auch ist 90 das Leugnen der eigenen Fremdenfeindlichkeit angesichts des von der Partei erhobenen Exklusivitätsanspruchs "Deutschland den Deutschen" leicht als Tarnungsmanöver zu durchschauen. (4) Die drängenden gesellschaftlichen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot und Umweltschutz werden im Kontext mit der Asylbewerberproblematik erwähnt. Auch das Kriminalitätsproblem wird in seiner Komplexität bewußt vereinfacht dargestellt und die hohe Kriminalität den Ausländern angelastet. Die REP fordern "die sofortige Beendigung der Masseneinwanderung nach Deutschland" und sehen "die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen" des deutschen Volkes in Gefahr. Daneben machen sie den Liberalismus filr gesellschaftliche Mißstände verantwortlich. (5) Die REP stellen in ihren Reden und Schriften das deutsche Volk als eine von Kollektivismus getragene "Solidargemeinschaft" dar, die sich deutlich von den in Deutschland lebenden Ausländern und Asylbewerbern abgrenzt. Mit dem Hinweis auf eine drohende "Überfremdung" lehnen die REP eine multikulturelle Gesellschaft strikt ab. (6) Die REP erkennen die Oder-Neiße-Grenze nicht an, sondern fordern die "Vollendung der deutschien Einheit unter Einbezug Ostdeutschlands" in den Grenzen von 193 7. So ist das Gebiet der DDR nach republikanischem Verständnis nicht Ostdeutschland, sondern wird als "Mitteldeutschland" bezeichnet. (7) Der Antisemitismus wird von den REP vor allem im Zusammenhang mit jüdischen Restitutionsansprüchen hemmungslos filr ihre politischen Zwecke geschürt. Gerade mit antisemitischen Äußerungen ist der langjährige Parteivorsitzende Pranz SCHÖNHUBER immer wieder aufgefallen. Negativer Höhepunkt solchen Ausflusses waren seine Attacken gegen den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz BUBIS, Ende März 1994. Nach dem Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge hatte der Zentralratsvorsitzende die rechtsextremistischen Parteien als "geistige Brandstifter" filr den gesellschaftlichen Hintergrund sol- 91 eher Anschläge mitverantwortlich gemacht. Daraufhin bezeichnete SCHÖNHUBER den Zentralratsvorsitzenden BUBIS als "einen der schlimmsten Volksverhetzer Deutschlands". Er sei derjenige, der in Deutschland ftir den Antisemitismus sorge. Diese Äußerung rief bundesweite Empörung hervor. Die REP hatten mit ihren "Ruhstorfer Beschlüssen" die Zusammenarbeit mit anderen rechten Parteien abgelehnt, um die ideologische Nähe zu diesen Parteien zu kaschieren. Gleichwohl zeigte das Zusammentreffen von SCHÖNHUBER mit dem DVU-Vorsitzenden Dr. FREY im August 1994, welchen weiteren Weg SCHÖNHUBER mit "seiner" Partei einzuschlagen beabsichtigte. 4.1.2 Organisation "Die Republikaner" wurden 1983 in München von den beiden ehemaligen CSU-Bundestagsabgeordneten Franz HANDLOS und Eckehard VOIGT sowie Franz SCHÖNHUBER gegründet. Die Partei zählt bundesweit rund 20.000 Mitglieder. Von 1985 bis 1994 war SCHÖNHUBER fast ununterbrochen Vorsitzender der Partei mit Bundesgeschäftsstelle in Bonn. Der autoritäre und selbstherrliche Führungsstil SCHÖNHUBERs ftihrte zu Flügelbildungen und Machtkämpfen innerhalb der Führungsspitze bis hinunter in die Landesverbände. Die Differenzen der Parteikader untereinander wurden zunehmend in der Öffentlichkeit ausgetragen. Nach dem ftir die Partei durchweg enttäuschenden Ausgang der Wahlen im Berichtszeitraum und den Parteiaustritten fUhrender Funktionäre, wie der Bundesschriftftihrerin Martina ROSENEERGER und des Bundesorganisationsleiters Udo BÖSCH wuchs die innerparteiliche Kritik am Bundesvorsitzenden. Der spontane Alleingang SCHÖNHUBERs beim Treffen mit dem DVU-Vorsitzenden Dr. FREY stieß bei den meisten Landesverbänden auf Ablehnung und hat zur weiteren Polarisierung innerhalb der Partei geftihrt. 92 Auf dem Bundesparteitag im Dezember 1994 erfolgte dann der Machtund Generationswechsel. Dr. Rolf SCHLIERER, einer der ehemaligen Stellvertreter SCHÖNHUBERs, wurde zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Dr. SCHLIERER galt längere Zeit als "Kronprinz" SCHÖNHUBERs. Einer der Stellvertreter Dr. SCHLIERERs wurde der Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen-Anhalt, Dr. Rudolf KRAUSE, der dem "ultrarechten" SCHÖNHUBER-Flügel der Partei zuzuordnen ist. Von Dr. KRAUSE ist weiter bekannt, daß er einen autoritären und selbstherrlichen Führungsstil wie SCHÖNHUBER praktiziert. Der von ihm geleitete Landesverband hatte sich seit seiner Gründung 1990 stetig entwickelt und wies noch 1993 über 800 Mitglieder aus. Zwischenzeitlich ist diese Mitgliederzahl rückläufig und lag Ende 1994 deutlich unter 500 Personen. Der REP-Landesverband in Sachsen-Anhalt gliedert sich flächendeckend in 19 Kreisverbände, von denen die in Magdeburg, Halle, Oschersleben und Zerbst besonders aktiv waren. Die Finanzlage der Partei ist äußerst angespannt, da die Verwaltung des Deutschen Bundestages den REP die Schlußzahlung der der Partei fiir 1994 nach dem Parteienfinanzierungsgesetz noch zustehenden staatlichen Mittel in Höhe von DM 900.000 verweigert. Rund 2,8 Mio. DM, die bereits gezahlt wurden, soll die Partei darüberhinaus zurückzahlen, weil sie keinen fristgerechten Antrag auf Festsetzung der staatlichen Teilfinanzierung gestellt habe. Das monatlich erscheinende Presseorgan "Der Republikaner" hatte im Berichtszeitraum eine Auflagenstärke von 80.000 (1993: 135.000) Exemplaren. 4.1.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Unter Führung von Dr. KRAUSE hat sich bei der Partei in SachsenAnhalt offensichtlich ein "Rechtsruck" vollzogen. Das geschah so deutlich und von Dr. KRAUSE geprägt, daß die von den REP in Sachsen-Anhalt ausgegangenen und bekannt gewordenen Aktivitäten nicht losgelöst von seiner Person zu sehen sind. Nach Äußerungen von REP-Mitgliedem soll es dem Landesvorsitzenden durch Intrigen, 93 Manipulationen und Parteiausschlußverfahren gelungen sein, eine ihm genehme Zusammensetzung des Landesvorstandes durchzusetzen. Dabei soll der wegen seines autoritären Führungsstils bekannte Dr. KRAUSE bewußt Prinzipien der innerparteilichen Demokratie verletzt und Abweichungen von Parteibeschlüssen zugelassen haben. Es ist bezeichnend, wie Martina ROSENBERGER, ehemalige Bundesschriftführerin, den Landesvorsitzenden charakterisiert: "KRAUSE ist einer der größten Rechtsextremisten, den ich je in meinem Leben kennengelernt habe. ... Die Mitglieder kommen mitKRAUSE einfach nicht zurecht. Mit seiner diktatorischen Art verängstigt er seine eigenen Parteifreunde und setzt sie psychisch unter Druck". Wie weit "rechts" Dr. KRAUSE steht, wurde deutlich, als er sich als derjenige zu erkennen gab, der das Treffen SCHÖNHUBERs mit Dr. FREY persönlich arrangierte. Im Mai 1994 organisierte Dr. KRAUSE als Mitglied des Bundestages den Besuch von 50 Mitgliedern seines Landesverbandes in Bonn. Die auf Kosten der Steuerzahler Eingeladenen gebärdeten sich skandalös. Im Bistro des Bundesministeriums für Jugend und Frauen äußerten sie gegenüber dem Wirt: "Ihr lebt hier wie die Maden im Speck!" Auf dessen Hinweis zum Rauchverbot reagierten sie so: " Uns wurde 40 Jahre alles verboten. Jetzt ist es Zeit, daß hier andere Saiten aufgezogen werden. Wir sind nämlich Republikaner, daß Sie es wissen!". Dann beschimpften sie ausländische Gartenarbeiter: "Ihr gehört in einen Viehwagen und dann ab ins Lager!" Eindeutiger Schwerpunkt der Parteiarbeit im "Superwahljahr" war die Teilnahme an den Wahlen. Zur Kandidatenaufstellung der Landesliste für die Landtagsund die Bundestagswahl fanden Landesparteitage im März 1994 in Halle und im Juni 1994 in Neuwegersteben statt. An ihnen nahmen jeweils etwa 100 Delegierte teil. Zu den Gästen der Veranstaltung in Halle gehörte der Bundesvorsitzende SCHÖNHUBER. Zur Wahlvorbereitung gab es eine Vielzahl von Mitgliederversammlungen, Landesvorstandssitzungen, Delegiertenversammlungen und Wahlplakatierungen sowie Postwurfsendungen an Haushalte. 94 In einigen Fällen erfüllten die REP die Zulassungsvoraussetzungen zur Wahl nicht. So wurden zum einen die geforderten Unterstützerunterschriften nicht beigebracht und zum anderen Abgabefristen für Bewerbungen versäumt. Im Vorfeld der Landtagswahlen verweigerte der Landeswahlausschuß der Partei die Zulassung zur Wahl wegen Fonnfehlem bei der Kandidatenaufstellung. Die REP hatten auf der Einladung zu ihrer Delegiertenversammlung nur einen Treffpunkt, nicht aber den Tagungsort angegeben. Die Entscheidung des Wahlausschusses wurde später revidiert und die Partei zur Landtagswahl zugelassen. Zu den Kommunalwahlen am 12. Juni 1994 trat die Partei in sechs Landkreisen und einer kreisfreien Stadt mit insgesamt 51 Bewerbern an. Im Ergebnis der Wahlen konnten die REP lediglich 0,3 % der Wählerstimmen erreichen. Trotz dieses geringen landesweiten Stimmenanteils wurden in einigen Orten "Republikaner" gewählt. So erhielten acht ihrer Kandidaten Gemeindebzw. Stadtratsmandate in Bonese, Haldensleben, Halle, Naumburg, Oschersleben (2 Mandate), Stendal und Zerbst. Ein Kandidat der REP wurde in den Kreistag des Landkreises Östliche Altmark gewählt. Bei den ebenfalls am 12. Juni 1994 stattgefundenen Wahlen der Abgeordneten des europäischen Parlaments traten zehn REP auf einer gemeinsamen Liste für alle Länder an. Aus Sachsen-Anhalt kandidierten Dr. Rudolf KRAUSE aus Bonese auf Listenplatz zwei und Marita SCHWARZE aus Jessen auf Listenplatz zehn. Auch bei den Buropawahlen mußten die REP eine herbe Niederlage einstecken. Während die Partei bei der Buropawahl 1989 bundesweit noch 7,1 % der gültigen Stimmen erringen konnte, waren es 1994 nur noch 3,9 %. In Sachsen-Anhalt erreichte die Partei lediglich 2,8 % der gültigen Stimmen. Mit diesem Wahlergebnis büßten die REP ihre bisher sechs Sitze im europäischen Parlament ein und sind dort nicht mehr vertreten. Auch die Landtagswahlen am 26. Juni 1994 verliefen für die Partei erfolglos. Im Ergebnis dieser Wahlen erreichten die REP 1,4 % der gültigen Stimmen. Damit gelang es keinem ihrer 25 Kandidaten, einen Sitz im Landtag zu erringen. " 95 . Eine weitere Wahlniederlage erlebten die REP bei der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag im Oktober 1994. Auch hier konnte keiner ihrer bundesweit immerhin 325 Kandidaten, Sachsen-Anhalt stellte 14 Kandidaten, einen Sitz erlangen. Der Landesvorsitzende der REP in Sachsen-Anhalt, Dr. KRAUSE, schied aus dem Bundestag aus, dessen Mitglied er 1990 als gewählter Vertreter der CDU geworden war. Im Dezember 1994 nahmen Delegierte des Landesverbandes SachsenAnhalt am Bundesparteitag der REP in Sindelflogen teil. Auf diesem Parteitag wurde Dr. KRAUSE zu einem der Stellvertreter des neuen Bundesvorsitzenden Dr. SCHLIERER gewählt. Zuvor hatte er in einer Rede vor den Delegierten gefordert, daß die REP "hartgesottene Männer" um sich scharen müßten. Die Wahl zum Stellvertreter bedeutete eine Stärkung der Position Dr. KRAUSEs sowohl auf Bundesebene als auch innerhalb des Landesverbandes in Sachsen-Anhalt. Das gab ihm die Möglichkeit, seinen Kurs der Annäherung an die DVU und andere rechtsextremistische Organisationen zielgerichtet fortzusetzen. Dabei hatte Dr. KRAUSE auch die Unterstützung der Mehrzahl der Funktionäre im Landesverband. 4.2 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 4.2.1 Ideologisch-politischer Standort Obwohl die NPD in ihrem Parteiprogramm betont, sie trete filr die freiheitliche demokratische Grundordnung ein, lehnt sie wesentliche Prinzipien dieser Grundordnung ab. Trotz ihres Lippenbekenntnisses zum Grundgesetz strebt die NPD in Wirklichkeit einen Volksstaat mit einer von völkisch-kollektivistischen Strukturen bestimmten Volksgemeinschaft an, in dem die Interessen des Volksganzen und des Volkswohles Vorrang vor den Freiheitsrechten des einzelnen haben. Damit knüpft sie an ein Leitbild an, das wesentlicher Bestandteil der nationalsozialistischen Ideologie war. In ihren Propagandaschriften, zu denen maßgeblich die Parteizeitung "Deutsche Stimme" mit einer Auflage von 45.000 Exemplaren zählt, werden die in Teilen der Bevölkerung vorhandenen Vorbehalte gegen * 96 ein weiteres Anwachsen der Zahl in der Bundesrepublik Deutschland lebender Ausländer und Asylbewerber von der NPD genutzt, um ausländerfeindliche Agitation zu betreiben. Die Ursachen filr Arbeitslosigkeit, Wohnraummangel und Kriminalität sind danach angeblich allein in der Anwesenheit der Ausländer zu sehen. Die rassistisch unterlegte Agitation gegen Fremde stützt die NPD auf die These von der biologischen Ungleichheit der Menschen. Die NPD, maßgeblich ihr Bundesvorsitzender DECKERT, setzt sich in zunehmenden Maße filr eine rechtsextremistisch geprägte "objektive Geschichtsschreibung" ein und bekennt sich offen zum Revisionismus. Ein gemeinsamer Auftritt mit dem US-Amerikaner und Holocaust-Leugner Fred LEUCHTER, dessen Vortrag DECKERT ins Deutsche übersetzte und zustimmend kommentierte, fiihrte zu Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Während LEUCHTER in die USA flüchten konnte, wurde DECKERT wegen Volksverhetzung angeklagt und verurteilt. Die Begründung des milden Urteils der Mannheimer Richter sorgte für einen Skandal in der Öffentlichkeit. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben. 4.2.2 Organisation Die NPD wurde 1964 in Hannover mit dem Ziel gegründet, die rechte Opposition in einerneuen Partei zu sammeln und in die bundesdeutschen Parlamente zu bringen. Die NPD hat ihren Sitz in Stuttgart. Ihr Bundesvorsitzender ist seit Juni 1991 Günter DECKERT. Die NPD verfUgt über 15 Landesverbände, die je nach Mitgliederstärke in Bezirks-, Kreisund Ortsverbände untergliedert sind. Dem Landesverband Sachsen-Anhalt mit Sitz in Magdeburg sind zehn Kreisverbände zugeordnet. 97 .. als Gn.m . den J Ote Fam*he 1n ~~~e.._.,.._.,. ____ ....... __ ....... , *--- 98 Die Anzahl der NPD-Mitglieder ist gegenüber 1993 deutlich gesunken. Bundesweit ist von etwa 4.500 Mitgliedern auszugehen, im Vorjahr waren es noch rund 5.000 Mitglieder. In Sachsen-Anhalt war eine vergleichbare Tendenz zu beobachten. Der Mitgliederbestand des Landesverbandes ging von zuvor 140 Personen auf etwa 80 Personen zurück. Auffallend hoch ist der Anteil jüngerer Parteimitglieder in Sachsen-Anhalt. Weniger als ein Drittel der Parteimitglieder ist älter als 40 Jahre. Bei sinkenden Mitgliederzahlen und fehlenden finanziellen Mitteln ist es der NPD in Sachsen-Anhalt nicht gelungen, die Arbeitsfähigkeit der bestehenden Kreisverbände voll aufrecht zu erhalten. Lediglich der Kreisverband Saale-Unstrut mit Sitz in Naumburg kann als funktionierend eingeschätzt werden. Der NPD-Landesvorstand selbst bezeichnet den Zustand der Partei in Sachsen-Anhalt als "desolat" und kritisiert die mangelnde Einsatzbereitschaft seiner Mitglieder. Strukturen der NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) sind in Sachsen-Anhalt bisher nicht zu erkennen. Gleichwohl sind hier Mitglieder bekannt geworden, die an "Nationalen Stammtischen" in Niedersachsen teilnahmen. JN-Funktionäre aus Niedersachsen unterhalten Kontakte zum hiesigen NPD-Landesverband und nahmen an NPD-Veranstaltungen in Sachsen-Anhalt teil. Der Vorsitzende des JN-Landesverbandes Niedersachsen hat seinen Wohnsitz im Landkreis Wernigerode (Ostharz). 4.2.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Der durch sinkende Mitgliederzahlen und unzureichend funktionierende Organisationsstrukturen gekennzeichnete Gesamtzustand der NPD in Sachsen-Anhalt wirkt sich lähmend auf die Aktivitäten der Partei aus. So war die NPD hier kaum in der Lage, Informationsund Werbematerial zu finanzieren und zu verteilen, um ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und neue Mitglieder zu gewinnen. Allerdings wurden die bereits zuvor bekannten "Nationalen Stammtische" auch im Berichtszeitraum fortgesetzt. Sie waren hauptsächlich auf Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliedergewinnung gerichtet. Daneben fanden "Kameradschaftstreffen" im Kreisverband Saale-Unstrut statt. 99 Bei den 1994 durchgefiihrten Wahlen blieb die NPD in Sachsen-Anhalt bedeutungslos. Bei den Kommunalwahlen am 12. Juni 1994 kandidierte der NPD-Bundesvorsitzende DECKERT als Oberbürgermeisterkandidat für Halle. Er erhielt nur 0,35% der gültigen Wählerstimmen. Zuvor kam es anläßlich der Vorstellung der Oberbürgermeisterkandidaten bei einer Veranstaltung im Hallischen Kongreßund Kulturzentrum zu massiven Störungen, als Jugendliche aus der autonomen Szene gegen den Auftritt DECKERTs protestierten. Am 3. September 1994 fand in Bad Kösen der Landesparteitag der NPD statt. An dieser Veranstaltung nahmen etwa 35 Parteimitglieder teil. Bei der Neuwahl des Landesvorstandes wurde der bisherige Landesvorsitzende Waldemar MAlER wegen angeblicher Inaktivität abgewählt. Zum neuen Landesvorsitzenden wurde der Vorsitzende des Kreisverbandes Saale-Unstrut, Meinhard MÖCKEL, gewählt. Aufsehen erregte die Partei, als bekannt wurde, daß ihr Bundesvorstand eine Immobilie in Siedentramm, Altmarkkreis Salzwedel, erworben hat. Der seit längerem geplante Kauf war zustande gekommen, ohne daß die NPD als Käuferin in Erscheinung trat. Diese Strategie fortsetzend gibt sich als offizieller Nutzer des Objektes ein ,,Altmärkischer Verein für Tradition und Begegnung e. V." aus, der zunächst keinen Bezug zur NPD erkennen läßt, tatsächlich aber NPDgesteuert agiert. Mit dem Objekt ,,Altmark" soll langfristig das Problem von Räumlichkeiten fiir Veranstaltungen und parteiinterne Schulungen bundesweit gelöst werden. Damit könnten sich künftig im Land Sachsen-Anhalt Aktivitäten der NPD verstärken und konzentrieren. 4.3 Deutsche Volksunion (DVU) 4.3.1 Ideologisch-politischer Standort Das Programm der DVU ist, wie bei anderen rechtsextremistischen Parteien, bewußt allgemein und zurückhaltend formuliert, um verfassungsfeindliche Ziele und Ansätze möglichst zu verschleiern. Die DVU hat sich das Ziel gesetzt, den "Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden". Ihr ,.ganzes Streben gilt 100 der Durchsetzung von Recht und Freiheit für das deutsche Volk und Vaterland, eines gleichen Rechtsfür alle Deutschen". Ferner verbreitet die DVU Parolen wie "Deutschland soll deutsch bleiben", "Deutschland zuerst" und "Gleichberechtigung für das deutsche Volk". Sie setzt sich dafiir ein, den Ausländeranteil zu begrenzen, den "zunehmenden Ausländerzustrom" in das Bundesgebiet zu stoppen und die "Zuweisung von Kollektivschuld und Kollektivverantwortung an die Deutschen" einzustellen. Diese und ähnliche deutseh-nationale Parolen werden begleitet von ausländerfeindlicher Agitation verschiedener DVU-Funktionäre. Die großflächige Verbreitung rechtsextremistischen Gedankengutes erfolgt durch die vom Parteigründer und Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard FREY als Verleger herausgegebenen Wochenzeitungen "Deutsche Wochenzeitung/Deutscher Anzeiger" und "Deutsche Nationalzeitung" mit einer Gesamtauflage von 67.000 (1993: 80.000) Exemplaren. Auch die herabsetzende Art und Weise, in der gegen Asylbewerber gehetzt wird, insbesondere der diskriminierende Unterton, ist als Angriff auf die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde zu werten. Die Tatsache, daß das Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16a des Grundgesetzes teilweise auch von Menschen in Anspruch genommen wird, die aus wirtschaftlichen Gründen in die Bundesrepublik Deutschland gekommen sind, wird von der DVU zum Anlaß genommen, die hier lebenden Ausländer in ihrer Gesamtheit durch eine übertriebene Darstellung und verzerrende Wertung der tatsächlichen Verhältnisse pauschal als "Schmarotzer" hinzustellen. Neben diesen ausländerfeindlichen Angriffen wird auch heftig gegen die in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Juden und ihre Repräsentanten agitiert. Die Politik des Staates Israel ist hierbei ständiges Ziel publizistischer Attacken des Dr. FREY. Diese sind geprägt durch eine unverkennbare Parteinahme fiir die arabischen Nachbarn Israels sowie das einseitige negative Herausstellen israelischer Verhaltensweisen. Einen besonderen Stellenwert in den Publikationen des Dr. FREY nimmt außerdem die Verharmlosung der Verbrechen des Dritten Rei- 101 ches ein. Ob es . dabei um die Judenverfolgung oder die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges geht, immer relativiert Dr. FREY diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch die Gegenüberstellung und Aufrechnung mit den Verbrechen anderer kriegftihrender Völker. Angriffsziel der DVU sind auch die Repräsentanten und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates. Die in den Publikationen der Partei . und den Reden ihrer Funktionare geftihrten Attacken zeichnen sich durch erhebliche Begründungsdefizite und unsachliche Kritik, insbesondere durch drastische Formulierungen aus. Die engen Beziehungen Dr. FREYs zum Führer der "Liberal-Demokratischen-Partei-Rußlands" (LDPR), SCHIRINOWSKIJ, sind be.kannt. Von diesen Kontakten erhoffie sich Dr. FREY eine Aufwertung seiner Person auf nationaler und internationaler Ebene und konnte als Verleger sogar wirtschaftliche Vorteile daraus ziehen. Die militärische Intervention Rußlands im Kaukasus zwingt Dr. FREY nunmehr, die Kontakte zunächst auszusetzen, weil das russische Vorgehen in der deutschen Öffentlichkeit auf Ablehnung stößt, während *gleichzeitig SCHIRINOWSKIJ diesen Krieg verschärfen will. 4.3.2 Organisation *Die DVU wurde 1987 in München aufinitiative des Münchener Verlegers Dr. Gerhard FREY gegründet. Die Partei hat etwa 20.000 Mitgliederl7 und verfügt über Landesverbände in allen Ländern. Dem Führerprinzip der NSDAP folgend richtet Dr. FREY die DVU zentralistisch ganz auf seine Person aus. Mit seinem diktatorischen Führungsstil unterdrückt er jeden Ansatz von Demokratie in "seiner" Partei. Auch den Bundesvorstand dominiert er, bei dem die Beitragshoheit ftir Mitgliedsbeiträge liegt. Die Landesverbände haben keinerlei Mitwirkungsrechte an der Verteilung des Beitragsaufkommens. Die DVU verstößt damit gegen Artikel21 Abs. 1 Satz 3 Grundgesetz, der besagt, daß die innere Ordnung der Parteien demokratischen Grundsätzen entsprechen muß. 17 Dr. FREY nennt höhere Mitgliederzahlen. 102 Der Landesverband Sachsen-Anhalt wurde 1991 in Magdeburg gegründet. Von Beginn an behinderten Streitigkeiten zwischen dem Landesverband und dem Bundesvorsitzenden die Parteiarbeit Es gab zahlreiche Parteiausschlüsse, Amtsenthebungen und Rücktritte inner.halb des Landesverbandes sowie Parteiübertritte zu anderen rechtsextremistischen Organisationen. Das hatte erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung der Mitgliederzahl und hemmte den Aufbau von Kreisverbänden . .*. Die Anzahl der Mitglieder des Landesverbandes der DVU in Sachsen,: Anhalt ist gegenüber 1993 (etwa I 00 Personen) um die Hälfte gesunken. Es ist nicht erkennbar, ob es sich um eingetragene Mitglieder oder Parteifreunde ohne feste Mitgliedschaft handelt. Die rund 50 Mitglieder und Sympathisanten der DVU in Sachsen-Anhalt wurden in der letzten Zeit durch den Landesverband Sachsen mit- . betreut. Gleichzeitig fungierte das Mitglied des Landesvorstandes der ., DVU in Thüringen, Dr. Dieter HAUBACH, als kommissarischer Vor~: sitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt. 4.3.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt * Die eher unbedeutende Rolle der DVU in Sachsen-Anhalt zeigte sich auch daran, daß die Partei hier kaum öffentlichkeitswirksam in Erscheinung trat. Die bestehenden Defizite bei den Organisationsstrukturen im Land hindem sie, größere Veranstaltungen durchzuführen. Bei den Wahlen 1994 beteiligte sich die DVU in Sachsen-Anhalt le- . diglich an der Oberbürgermeisterwahl in Halle. Ihr Kandidat, Holger ; KEILHOLZ, scheiterte mit 0,25 % der Wählerstimmen. :- ~ *~ 4.4 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 4.4.1 Ideologisch-politischer Standort Das bewußt zurückhaltend formulierte Parteiprogramm enthält Anhaltspunkte für eine nationalistische, rassistische und völkisch-kollektivistische Grundhaltung. So lehnt die DLVH "Gleichmacherei, 103 ,, Oberfremdung und Bevormundungu ab, bekennt sich zur Völkervielfalt und betont die" Eingebundenheit des Menschen in Volk und Heimalu sowie die "Unterschiedlichkeil der Menschen und Nationen". Nach Auffassung der DLVH hat der Staat die Freiheit des einzelnen dort zu begrenzen, wo "die Rechte anderer und der Bestand der Gemeinschaft gefährdet sind". Der zunehmende Mangel an Wertvorstellungen und moralischen Grundsätzen verursache Schäden am "Gemeinschaftsbewußtsein ". Außerdem fordert die DLVH eine wahrheitsgemäße Geschichtsschreibung, die sich nicht für "Kol/ektivschuldthesen und andere politische Manipulationen mißbrauchen" lasse sowie eine Vergangenheitsbewältigung und Wiedergutmachung, die nicht zur "politischen Erpressung" führen dürfe. 4.4.2 Organisation Die DLVH wurde 1991 von ehemaligen Mitgliedern der REP, DVU und NPD gegründet. Hervorgegangen ist sie aus dem Verein "Deutsche Allianz - Vereinigte Rechte" und versteht sich seither als Sammlungsbewegung des "rechten Lagers". Diesem Anspruch wird die Partei bisher nicht gerecht. Vielmehr wird die DLVH von der DVU, NPD und den REP als weitere Zersplitterung des "rechten Lagers" angesehen und deswegen von diesen abgelehnt. Gleichwohl gibt es auf lokaler Ebene Kontakte zu Funktionären dieser Parteien. So sind Absprachen zur Unterstützung der REP bei den Wahlen bekannntgeworden. Auf dem letzten Bundesparteitag der DLVH im Oktober 1993 wurden drei ehemalige Funktionäre von REP, NPD und DVU als gleichbe- * rechtigte Vorsitzende der Partei gewählt: Harald NEUBAUER, ehe- - maliges Bundesvorstandsmitglied der REP, Jürgen SCHÜTZINGER, ehemaliges Bundesvorstandsmitglied der NPD und lngo STAWITZ, ehemaliger Fraktionsvorsitzender der DVU im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Dem Vorstand gehören weitere ehemals fUhrende Repräsentanten von rechtsextremistischen Gruppierungen an. Die DLVH hat bundesweit rund 900 Mitglieder. Bisher ist es der Partei nicht gelungen, in allen Ländern Organisationsstrukturen aufzu- 104 bauen. Mitgliederstärkste Landesverbände sind die in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen. In Sachsen-Anhalt wurde im Januar 1993 in HaUe der Landesverband Sachsen-Anhalt der . DLVH gegründet. Ihm gehören etwa 70 Mitglieder (1993: 90 Mitglieder) an. Landesvorsitzender der Partei ist der HaUenser Andreas MERKEL. Der DLVH in Sachsen-Anhalt ist es auch im Berichtszeitraum offen- . sichtlich nicht gelungen, funktionierende Kreisverbände aufzubauen. f 4.4.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Anfang 1994 fand in HaUe der Landesparteitag der DLVH statt. An dieser Veranstaltung nahmen etwa 70 Personen teil, darunter auch der .; .Landesvorsitzende der DLVH Niedersachsen, Dr. Rigolf HENNIG, und der Vorsitzende des Landesverbandes Berlin!Brandenburg der ~: Vereinigung "Die Nationalen e. V." Frank SCHWERDT. Wichtigste . Themen des Landesparteitages waren die Wahlen 1994 und die Wahl des neuen Landesvorstandes der DLVH in Sachsen-Anhalt. Dabei wurde der bisherige Landesvorsitzende Andreas MERKEL in seinem Amt bestätigt. Der Landesparteitag war begleitet von Protesten durch etwa 40 zum Teil vermummte Personen der autonomen Szene. Es kam zu Ausschreitungen, in deren Folge die Polizei eingreifen mußte. -.,Des weiteren fanden im Berichtszeitraum Mitgliederversammlungen, Landesvorstandssitzungen und Kameradschaftsabende statt. Die Aktivitäten konzentrierten sich im wesentlichen auf die Stadt HaUe, weil rund die Hälfte der Mitglieder im Raum HaUe wohnt. ,_-t An den Landtagsund Kommunalwahlen des Jahres 1994 nahm die ,. DLVH nicht teil. Die fiir die Teilnahme erforderliche Anzahl Unterstützerunterschriften konnte nicht erbracht werden~ Auch rechnete der Landesvorstand mit geringen Erfolgsaussichten bei den Wahlen und empfahl statt dessen seinen Mitgliedern, die Partei "Die Republikaner" zu wählen, um einer weiteren Zersplitterung des "rechten Lagers" vorzubeugen. 105 4.5 * Wiking-Jugend (WJ) Der Bundesminister des Innern hat am 10. November 1994 die "Wiking-Jugend" (WJ) bundesweit mit sofortiger Wirkung verboten und erklärt: "Die wehrhafte Demokratie wird nicht hinnehmen, daß Neonationalsozialisten durch ihre Propaganda und sonstige politische Tätigkeit die freiheitliche demokratische Grundordnung unter- . graben. " Weiter führte er dazu aus, daß derartige Vereinigungen, die Rassismus und Antisemitismus verbreiten und junge Menschen zu Gewaltbereitschaft, Intoleranz und Haß auf die Demokratie erzögen, aus dem öffentlichen Leben ausgeschaltet werden müßten. Die 1952 gegründete "Wiking-Jugend" war eine nach dem elitären Führerprinzip ausgerichtete Jugendorganisation mit zuletzt bundes- . weit rund 400 Mitgliedern. An der Spitze der in "Gaue" und "Horste" gegliederten Organisation standen der "Bundesführer" Wolfram NAHRATHund die "Bundesmädelfiihrerin" Susann GESTRICH. Unübersehbar in der Tradition der ehemaligen "Hitlerjugend" stehend war die Vereinigung von einer völkisch-nationalistischen "NordlandIdeologie" getragen und ließ in Programm, Vorstellungswelt und Gesamtstil eine Wesensverwandtschaft mit der früheren NSDAP erken... nen. Die WJ trat stets als entschiedener Gegner der parlamentarischen Demokratie auf und diffamierte die Bundesrepublik Deutschland als ,_"Verbrecherund Lumpenstaat". Das erklärte Ziel der Wiking-Ju*gend war die erneute Errichtung eines nationalsozialistischen Staates in Deutschland. Unmittelbar nach Zustellung der Verbotsverfügung wurden in insgesamt zehn Ländern zeitgleich zahlreiche Wohnungen, Büros und La- . ger der WJ durchsucht und dabei Uniformen, Zelte, Fahnen und Propagandamaterial sowie das Vereinsvermögen beschlagnahmt. Von den Exekutivmaßnahmen war Sachsen-Anhalt nicht betroffen. In Sachsen-Anhalt verfügte die Wiking-Jugend nur über wenige Mitglieder, die an deren Aktivitäten außerhalb Sachsen-Anhalts teilgenommen haben. Bekannt geworden ist die Teilnahme am Pfingsttreffen der WJ im Mai 1994 in Hetendorf/Niedersachsen sowie am Winterlager der WJ im Dezember 1994 in Mutzschen/Sachsen. -'. ., 107 111. Linksextremismus 1. Allgemeines :Als linksextremistisch werden Bestrebungen und Tätigkeiten verstanden, die auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grund*ordnung gerichtet sind, um an ihre Stelle ein totalitäres, sozialistischkommunistisches oder anarchistisches System zu setzen. " Der Linksextremismus wird im wesentlichen durch zwei Geistesströ"mungen repräsentiert, den Marxismus-Leninismus und den Anarchismus. Die Propagierung der sozialistischen Revolution und der Diktatur des Proletariats sowie ihre Umsetzung in die Praxis als Kernelemente der *marxistisch-leninistischen Weltanschauung verstoßen gegen elementare Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, vor allem gegen das vom Grundgesetz garantierte Mehrparteienprinzip, die Prinzipien der Gewaltenteilung, der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Unabhängigkeit der Gerichte sowie gegen den Gleichheitsgrundsatz . .Der Grundgedanke des Anarchismus ist die freie, herrschaftslose Gesellschaft, die jede Art von Autorität (Staat, Kirche) ablehnt. Folglich lehnen die Anarchisten auch den demokratischen Staat Bundesrepublik Deutschland ab. Im Bereich des Linksextremismus sind seit mehr als 20 Jahren terro- ~ ristische Aktivitäten zu verzeichnen. Unter Terrorismus wird der sy- . stematische, aus dem Verborgenen geführte Kampf für politische Ziele mittels Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie inSS 129a StGB genannt sind, verstanden. Er zielt darauf ab, eine gesellschaftliche . oder politische Veränderung herbeizuführen. 108 2. Autonome 2.1 Ideologisch-politischer Standort Die sogenannten Autonomen entstanden in der Bundesrepublik Deutschland Anfang der 80er Jahre. Sie lehnten insbesondere die stark ausgeprägte Hierarchie in den marxistisch-leninistisch ausgerichteten Gruppierungen jener Zeit ab. Die Autonomen begreifen ihr , Zusammenwirken weniger als Organisations-, sondern eher als Le*~ bensform. Sie wollen im Sinne des Wortes "autonom" selbstbestimmt leben und für sich und die Gruppen, zu denen sie sich zusammenschließen, einen "Freiraum" erkämpfen. Bevorzugte "Lebensform" ist das Wohnen im besetzten Haus (entweder mit oder ohne Zustimmung des Eigentümers), das, wenn nötig, auch durch Anwendung von Ge*:, walt gegen Eingriffe des Staates (d. h. die Räumung zwecks Rückga,.be an den Eigentümer) verteidigt wird . *.,. ; Autonome "Ideologie" folgt am ehesten verschwommenen anarchistischen Vorstellungen, die durch einen stark ausgeprägten Haß auf die bürgerliche Gesellschaft, ihre Normen und Lebensformen Ausdruck . findet. Die Autonomen selbst definieren sich als antikapitalistisch, antiimperialistisch, antipatriarchalisch und antirassistisch. Diese Eigen- . schaften sprechen sie dem Staat Bundesrepublik Deutschland ab und . erachten es deshalb für gerechtfertigt und notwendig, ihn zu bekämpfen. Diese Ablehnung jeglicher staatlichen Ordnung bedeutet auch eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Sie ist für die autonome Szene . typisch. ,. Einigkeit unter den Autonomen besteht eher in der Ablehnung des .. Vorhandenen als in der Formulierung eigener Ansätze. "Einig sind wir uns darüber, daß wir den Staat nur zerstören und uns ihm gegenüber nicht konstruktiv formulieren wollen. u 109 *Vergangenheit und Gegenwart haben gezeigt, daß die Autonomen in der Bundesrepublik Deutschland gewaltbejahend, in der Regel sogar militant eingestellt sind. 2.2 Aktionsformen militanter Autonomer Militante Autonome begnügen sich nicht mit legalen Aktionen wie dem Verteilen von Flugblättern und der bloßen Teilnahme an angemeldeten Demonstrationen. Sie propagieren in ihren Schriften vielmehr die Anwendung von Gewalt und werden bei Auseinandersetzungen auf der Straße auch oftmals gewalttätig. Dabei legen sie weniger Wert auf die Artikulierung und Verbreitung politischer Ziele, als vielmehr auf die gewaltsame Konfrontation mit dem Staat. Willkommenen Anlaß bieten Demonstrationen, die die Autonomen entweder *selber durchführen oder an denen sie teilnehmen. Sie versuchen, aus dem Demonstrationszug heraus Straßenkrawalle mit der Polizei zu provozieren und dabei friedliche Demonstrationsteilnehmer miteinzu- . beziehen. Es werden aber auch Demonstrationen der politischen Gegner - insbesondere von Rechtsextremisten - gewaltsam angegriffen. Diese Aktionsform* wird insbesondere deshalb gern gewählt, weil sie sich gegen den politischen Gegner und die Polizei gleichermaßen richtet. Während gegen die Demonstranten gewaltsam vorgegangen * wird, veranlassen die Autonomen die Polizei, den Demontrationszug *~zu schützen, wozu diese gesetzlich verpflichet ist, um die Polizei dann ~als "Beschützer der Faschisten" 18 zu diffamieren. Neben der Gewalt im Zusammenhang mit Demonstrationen, die sich zumeist erst spontan entwickelt, gehen Autonome auch gezielt gegen *Sachen und Personen vor. Diese Aktionsform wird gewählt, um besonders ausgesuchte Gegner einzuschüchtern. So werden Autos "abgefackelt", Fensterscheiben eingeschlagen, Sprengsätze gezündet und Anschläge auf Leben und Gesundheit verübt, um die Zielperson für *,ihre angeblich gesellschaftsschädigende Tätigkeit zu "bestrafen". Solche Bestrafungsaktionen waren ursprünglich "nur" auf die Verletzung des Körpers gerichtet. Jedoch führte im Jahre 1991 eine solche *Bestrafungsaktion zum Tode der Zielperson: Am 12. Juni 1991 wurde 18 Faschismus ist historisch die von Benito MUSSOLINI in Italien in den 20iger Jahren begründete politische Bewegung. Später wird der Begriff undifferenziert für alle extremistischen nationalistischen Bestrebungen benutzt, die antiliberale und antimarxistische Züge aufweisen. 110 der Referatsleiter des Berliner Senators fiir Bauund Wohnungswesen, Hanno KLEIN, durch eine Briefbombe getötet. Nach dieser Aktion setzte unter den Autonomengruppen eine anhaltende Diskussion darüber ein, ob auch der politische Mord ein geeignetes Mittel im Kampf gegen das "System~~ darstellt. Seitdem ist strittig, ob der Anschlag auf das Leben des politischen Gegners als eine zulässige Aktionsform anzusehen ist. Für Teile der autonomen Szene muß jede Aktion "begründbar ~~ sein und positive Breitenwirkung erzielen können, d. h. die Gesellschaft muß von dem Nutzen solcher Bestrafungsaktionen überzeugt sein. Hierzu soll vor einer Aktion * geprüft werden, ob durch die Gesamtheit der Aktionen die "Massenmilitanz ~~ erreicht werden kann, die fiir einen revolutionären Sturz des "Systems~~ notwendig wäre. Nachdem jedoch eine "Grundentscheidung" über den verwerflichen Charakter des politischen Mordes im autonomen Lager nicht getroffen wurde, muß auch weiterhin mit At_***tentaten autonomer Gruppierungen gerechnet werden. 2.3 Gegenwärtige Situation innerhalb der autonomen Szene Die gegenwärtige Situation der autonomen Szene ist im Vergleich zum Jahr 1993 deutlich weniger von Gewalttaten geprägti9. Derzeit . befinden sich die Autonomen in einer Phase der geistigen und politi'::. sehen Orientierung. In zahlreichen Schriften und Diskussionen wird . . -darüber nachgedacht, wie autonome Politik genau aussehen soll. Um eine "Einigung" in dieser Frage auf möglichst breiter Basis zu erreichen, soll im Jahr 1995 ein bundesweiter "Autonomen-Kongreß" unter dem Motto ,,Autonome auf dem Weg ins 21. Jahrhundert" in Ber- . lin abgehalten werden, der gegenwärtig auf "Vorbereitungstreffen" ..., organisiert wird. Ein solches Treffen fand im Mai 1994 unter Mitwir- - kung der autonomen Szene Sachsen-Anhalts in Halle statt. Obwohl auch auf dem geplanten "Autonomen-Kongreß~~ weiterhin die Vernetzung der einzelnen Gruppen im Vordergrund der Dis~s , sion stehen wird, gibt es grundsätzlich zwei verschiedene Denkansät-ze: Die Mehrheit der " West-Autonomen" vertritt die Auffassung, daß innerhalb der autonomen Szene eine gemeinsame, verbindliche Struk19 siebe auch unter Nummer 2.6. 111 tur mit dem Ziel der Ballung der Kräfte herbeigefUhrt werden kann. Dementgegen steht der Wunsch der meisten "Ost-Autonomen" nach mehr Eigenständigkeit und das Recht auf Entwicklung einer eigenen "autonomen Kultur", woraus auch der Wunsch nach einer "Ost-Verne tzung" resultiert. "Diese Unterschiede sollten herausgearbeitet werden und begründet werden, um sich selbst, aber auch die Westlerinnen einer begründeten Kritik unterziehen zu können, um gemeinsame Handlungswege zu finden, aber auch Akzeptanz zu erreichen, daß nicht alles und überall so wie im Westen gewohnt abläuft. "2o > Aufgrund dieser unterschiedlichen Betrachtungsweisen von Ostund West-Autonomen wird derzeit darüber nachgedacht, getrennte Vorbereitungen zum "Autonomen-Kongreß" durchzuführen. Neuester Vorschlag im Rahmen der Bemühungen zu einer "OstVernetzung" ist das sogenannte "K.O.M.P.L.O.T.T'': Ein "Konstruktives Offenes Munteres Politisches Links-radikales Ost-Thematisches Treffen", das ein "solidarisches Mitund Nebeneinander" der verschiedenen Gruppen erreichen soll. Insofern zeigt sich, wie gegensätzlich die Interessen der Autonomen in bezug auf Selbstbestimmtheit und Eigenheit auf der einen Seite und das Streben nach effektiver Arbeit durch Organisierung auf der anderen Seite sind. Diese Gratwanderung prägt die gegenwärtige Organisationsdebatte unter den Autonomen und ist Kennzeichen fiir die Instabilität autonomer Organisierung schlechthin. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die geschilderten Differenzen nur dann zutage treten, wenn die Organisierung abstrakt diskutiert wird. In bezug auf konkrete Aktionen funktioniert die Abstimmung zwischen den verschiedenen Autonomengruppen (auch zwischen "Ost" und "West") sehr wohl. , Jüngstes Beispiel dafiir war die linksextremistische Kampagne ,,Aktion '94", in deren Rahmen auch die unter maßgeblicher Beteiligung von Autonomen aus Magdeburg organisierte Demonstration am 13. August 1994 in Wernigerode stattfand. Dort versammelten sich etwa 2o ,.Interim" Nummer 293 vom 30. Juni 1994, Seite 11. 112 300 Personen zum ,,Antifa-Aktionstag Ostharz". Die überregionale Bedeutung dieser Aktion wird durch die Teilnahme eines Vertreters der französischen Antifa-Gruppe "S.C.A.L.P." deutlich, der eine Grußbotschaft verlas. Zu den Intentionen der ,,Aktion '94" führte die ,,Antifaschistische Koordination Rhein/Main" aus: " Wir streben nicht nur eine Vernetzung unter den einzelnen Antifa-Gruppen an, sondern eine allgemein bessere Zusammenarbeit zwischen linksradikalen Grup- " pen. Denn die Bekämpfung von Faschismus kann nicht isoliert werden vom Kampf gegen andere Unterdrükkungsmechanismen, vom Kampf gegen das Patriarchat, gegen Kapitalismus und Rassismus. Denn Kampf gegen Faschismus ist Kampffür eine freie Gesellschaft ohne die angeführten Herrschaftsverhältnisse." * 2.4 Strukturen in Sachsen-Anhalt ..; Autonome Strukturen sind in den meisten größeren Städten in unterschiedlicher Ausprägung und Stärke vorhanden. Indikator für die Bedeutung der autonomen Szene einer Stadt ist de- . ren Einbindung in überregionale, d. h. in der Regel länderübergrei-* fende Zusammenhänge. Insofern sind die wichtigsten Zentren der in Sachsen-Anhalt etwa 350 Personen zählenden autonomen Szene in Halle und Magdeburg zu finden. So wird zum Beispiel das autonome Zentrum ,,Kellnerstraße I Oa"21 in Halle in den international bekannten . Szenepublikationen "Clash" und "radikal" in einer Liste der wichtigf. sten Autonomenzentren geführt. Die Hallenser Autonomenszene hat sich inzwischen weiter konsolidiert. In Halle erscheint nach wie vor die für Sachsen-Anhalt wichtigste Szenepublikation "Subbotnik in L.A.". In ihr werden neben politischen Nachrichten und Analysen auch die für die linksextremistische Szene von Halle und Umgebung relevanten Termine, wie Bekanntma21 Seit 1. Oktober 1994 besteht für das Gebäude kein Mietvertrag mehr. Da ein neues Objekt bisher nicht zur VerfUgung steht. wird die weitere Nutzungjedoch geduldet. 113 chungen zu Veranstaltungen oder Demonstrationsaufrufe, veröffent*licht. Eine weitere Szenepublikation aus Halle erschien im Berichtszeitraum erstmalig. Die ,,Zweite Zeitung der Besetzten Zone"22 ist Nachfolger- . in der Publikation "Besetzte Zone" und soll als überregionales "Ostinfo" fungieren. Geplant sind sechs Ausgaben jährlich. Demgegenüber hat sich die autonome Szene Magdeburgs erst mit Gründung der ,,Antifaschistischen Gruppe Bandiera Rossa23", die sich ;* auch nur "Bandiera Rossa" nennt, im Januar 1994 fester formiert und * auf nationaler Ebene etabliert. "Bandiera Rossa" und weitere Gruppen wie ,,Autonomer Antifaschistischer Zusammenschluß" (AAZ), ,,Antifa-Jugendfront Nord" (AJF), "Edelweißpiratlnnen" (epis) und "Unabhängige Infogruppe" nutzen gemeinsam das von ihnen gegründete "Jugendzentrum" in der Uhlandstraße 8 ("U8"), von dem in der Vergangenheit bereits mehrmals gemeinsame Aktivitäten ausgingen. Somit ist die Magdeburger Szene, zumindest was ihre wichtigste Gruppe "Bandiera Rossa" und deren Organisationsgrad betriffi, mit der Hallenser Autonomenszene vergleichbar. Mit Halle und Magdeburg existieren in Sachsen-Anhalt zwei gut funktionierende und in überregionale Strukturen eingebundene Zentren, was auch verstärkende und kumulierende Wirkung in denjenigen Regionen SachsenAnhalts hat, in denen bisher schon kleinere Autonomengruppen vorhanden waren. Diese Wirkung ist in den letzten Monaten besonders anband der Bildung von Strukturen im Ostharz deutlich geworden. Dort haben sich Autonome aus den Bereichen Halberstadt und Quedlinburg zu einer ,,Antifa-Ha/Qu" zusammengeschlossen. 22 siehe Abbildungen auf Seite 114. 23 italienisch für ,,Rote Fahne". Yun . Ve Szencepublikation"Zwene Zeitung der Besetzten Zune"(BZ) aus Halle EZ Zn we yr Zweite Zeit | SIEWENN KÖNNEN SIESICH EINIGESWERDEN. POLIZIST/AN ERSPAREN, ung der Besetzten Zone Erste Ausgabe: JellAagesl "U Kost Behiaftuneh Zum Beispiel, ewig im Schattenandererzu stehen, Bei uns können Sie selbst eine führende Rollo ae be A} N | Ten N POLIZEI THÜRINGEN Were Sin sich fiir den Pofirelberuf Interessieren, so nen Sie einfach an. Telefon: 0961 / 6620 Fo Informationen much bei jeder Pohsckionststefle In Thirinmen Titelblatt der ersten Ausgabe Diffamicrung von Staatsorganen "in linksextremistischen Publikationen am Beispicl der "BZ" 115 Am Beispiel der ,,Antifa-Ha/Qu" und anderer Gruppen aus dem Ostharz kann auch eine in der letzten Zeit immer häufiger zu beobachtende anlaßbezogene Bildung von Zweckgemeinschaften deutlich ge- : macht werden. Hierbei werden zugunsten eines gemeinsamen Ziels *unter bewußter Außerachtlassung ideologischer Differenzen Bündnisse mit anderen extremistischen Organisationen und darüber hinaus mit demokratischen Organisationen eingegangen. Die Verbindung zu letzteren wird in der Regel ausgenutzt, um zum einen in der Öffentlichkeit einen seriöseren Eindruck zu erwecken, zum anderen wird die bei Beteiligung von demokratischen Organisationen gebotene Zurückhaltung des Staates ins Kalkül gezogen, um auf diese Weise etwaige extremistische Motivationen verschleiern zu können. Jüngstes Beispiel für die Zusammenarbeit von Autonomen und anderen extremistischen Gruppen mit demokratischen Organisationen *ist das "Bündnis gegen faschistische Strukturen im Ostharz", das sich gegen die Etablierung und Festigung der dortigen Neonaziszene und ihren Anführer Steffen HUPKA richtet. Das "Bündnis" besteht neben mehreren Antifa-Gruppen aus den extremistischen Organisationen "Internationale Jugend" und "Bund der Antifaschisten" (BdA) sowie aus demokratischen Parteien und Organisationen. 2.5 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt * Die wichtigsten Aktivitäten gingen im Berichtszeitraum von den neugegründeten Magdeburger Gruppen aus. Eine der bedeutendsten Veranstaltungen war die zuvor erwähnte Demonstration am 13. August 1994 in Wernigerode. Im Vorfeld dieser ***Aktion organisierte "Bandiera Rossa" zwei Informationsund Werbeveranstaltungen sowie den Bustransfer. Es nahmen allein 35 Autonome aus Magdeburg teil, weitere Autonome kamen aus Halle und Göttingen. Zusammen mit anderen Gruppen aus dem Treffzentrum "U8" veranstaltete "Bandiera Rossa" in der Zeit vom 1. bis 9. Mai 1994 zur " Vermittlung linker Werte" und als "Massenwirksame Aktion gegen Nazis" sogenannte "Tage des Widerstands" in Magdeburg. Hierbei 116 kam es neben Fest-, Diskussionsund Filmveranstaltungen auch zu demonstrativen Aktionen in der Innenstadt Magdeburgs. Als Reaktion auf den Übergriff von Rechtsextremisten auf Ausländer vom 12. Mai 1994 ("Herrentag") organisierten Kräfte des linksextremistischen Spektrums, maßgeblich unter Beteiligung von "Bandiera Rossa", am 14. und 16. Mai 1994 gewaltfrei verlaufende Demonstrationen. Es konnte festgestellt werden, daß für die vorgenannten Demonstrationen . auch Autonome aus Berlin sowie Mitglieder und Sympathisanten extremistischer Parteien und Gruppierungen, zum Beispiel der "Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands" (SpAD), der "Türkischen Kommu- . nistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/M-L) und der "Nationalen Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK)24 , einer Teilorganisation der verbotenen ,,Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) mobilisiert werden konnten. Am 29. September und 29. Oktober 1994 wurden in Magdeburg Demonstrationen unter Beteiligung von Angehörigen der linken Szene * gegen die Unterdrückung der Kurden in der Türkei durchgeführt. Außerdem wurde am 9. November 1994 aus Anlaß des 76. Jahrestages der Novemberrevolution und des 56. Jahrestages der Reichspogromnacht von "Bandiera Rossa" eine Demonstration unter dem Motto "9. November - Die Geschichte begreifen - Widerstand organisieren" durchgeführt. * *Eine von "Bandiera Rossa" und ,,Antifa-Jugendfront" organisierte und unter Beteiligung von etwa 200 Personen durchgeführte Demonstration2s am 17. Dezember 1994 richtete sich gegen einen Auftritt 24 Bei Verbot einer Organisation sind sämtliche Teilund Nebenorganisationen ebenfalls verboten. 2S Abbildungen der Plakatierungen zu den Demonstrationen siehe Seite 117. 117 Poliz.ei * * - mus .aus dem DGB_! -*-*-.. -~ -----. ***- I -SmRTAKI J I I Fahne der ERNK, einer Spartakist-Arbeiterpartei ... Teilorganisation der PKK Deutschlands (SpAD) 118 der rechtsextremen Band "Elbsturm" im öffentlich gef(}rderten Jugendklub "Brunnenhof'. In diesem Zusammenhang dürfte auch ein mit ,,Autonome antifaschistische Gruppen" unterzeichneter und an die Evangelische Hoffnungsgemeinde Magdeburg gerichteter Drohbrief zu sehen sein. Der Gemeinde, die den Jugendklub angeblich finanziell unterstützt, wird angedroht, daß "Sodom und Gomorrha über das Anwesen~~ komme. Außerdem heißt es wörtlich: " Wer Gewalt sät, wird durch Gewalt umkommen. " Am 14. September 1994 veranstaltete "Bandiera Rossa" eine Demonstration unter dem Motto "Gegen die Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstandes" und beteiligte sich damit an den bundesweit laufenden Aktionen aus Anlaß der Eröffnung eines Mordprozesses gegen ausländische ,,Antifas" vor einem Berliner Gericht (sogenannter "Mordfall Kaindl"26). Als flankierende Maßnahmen erfolgten zu allen Veranstaltungen umfangreiche Plakatierungen und der Aushang von Transparenten. Zur Koordination und Planung solcher Aktionen dient u.a. das von "Bandiera Rossa" im September 1994 ins Leben gerufene "Offene Antifaschistische Plenum". Dort will man nach eigenen Aussagen "Informationen austauschen, Aktionen vorbereiten, Transparente malen, gemeinsam feiern, Plakate kleben (und) zu Demos fahren." Des weiteren ist zu erwähnen, daß Autonome aus Sachsen-Anhalt nach wie vor in die "Wunsiedel-Aktionen" eingebunden sind. Zweck ist die Verhinderung von rechtsextremistischen Aufinärschen zum Todesta~7 des Rudolf HESS, der 1987 in Wunsiedel (Bayern) beigesetzt : wurde. Autonome aus Halle stellten eine der "lnformationszentralen" zur Steuerung dieser Aktionen. In diesem Zusammenhang kam es in Sachsen-Anhalt, wie schon im Vorjahr, zu anonymen Drohschreiben an Busuntemehmen, um die Bef(}rderung von Rechtsextremisten zu deren zentralen Aktionen zu verhindern. Abschließend ist zu erwähnen, daß Autonome sich erstmalig an Wahlen beteiligten. Auf einer bundesweiten Liste "Die Unregierbaren - Autonome Liste" kandidier26 Gerhard KAINDL, Funktionär der rechtsex1remistischen ,.Deutschen Liga fiir Volk und Heimat", wurde am 4. April1992 in Berlin bei einem Überfalllinksextremistischer Gewalttäter erstochen. 27 17. August 1987. WIEN T: "SOFORTIGEFREILASSUNGALLER INHAFTIERTEN ANTIFASCHISTINNEN Die faschistischen Strukturen aufdecken und angreifen! ..:IMFALL KAINDLI DemonstrationzurVertinderungdes "Eibeturm"Konzertesim Brunnentof a (c) DIE FASCHISTISCHEN ing STRUK TUREN AuFDECKENBANGREIEN ... " " Sonnabend, 17.12..'94 In Berlin der Parefl rl - TRUTH ran DaehrenEnDER 92 D e 15. 00 Uhr ", September' ermeediet Dinsee Prorefl rl der geftiin Schenn . SergreenArttenchneheunnachdan?Waltrug 9 ZentralerPlatz % 17.00 Uhr u UnaareDearam Mir LammahSud Zentraler Platz ' 2.. mu.delldindmtsche rate wirleralrvnelmi dam Faachen Hart in Harl erorliet, un une gu Iririnatinie KEESIEIRSNE " ton und Leufe von une, win I dinanm Fall ale bei 4m, SCHLUS MT DER KAIMINALISIERUNG UND Hetrkampengn,m uraneeround har ZanI VERFOLGUNG VON ANTIFASCHISTINNENI Sollparty Inder UB KnastverschwindenIasannkart mit Volxküche NEEIMDE:NCHTHRDEARSIEFRLRCHVORANTTITASCHESTIER und Mucke Fran, POWERDURCHDIEMAUER-BISSIE. BRICHT! x ANTIFA-AKTIONSBÜNDNIS Kundgebungam 19.09.1994 Demonstration am 17.12.1994 in Magdeburg in Magdeburg SELL 120 ten sechs Angehörige der autonomen Szene Wuppertal/Solingen für die Wahl zum Buropaparlament am 12. Juni 1994. Diese Liste erzielte in Sachsen-Anhalt bemerkenswerte Ergebnisse. Sie erreichten in Salzwedel und Gardelegen 0,3 % und in Dessau/Stadt, Halberstadt, Haldensieben und Burg 0,2 % der abgegebenen Stimmen. Die Liste "Die Urnegierbaren -Autonome Liste" hatte vor der Wahl offen erklärt, den Parlamentarismus abzulehnen und die Konstituierung als Partei lediglich als "Mittel" zum Zweck betrieben zu haben. Es gehe darum, die Möglichkeiten des Wahlkampfes fiir autonome/antifaschistische Agitation zu nutzen und den Herrschenden "legal auf der Nase rumzutanzen~~. ** * * 2.6 Ubers1cht In Zahlen Im Berichtszeitraum wurden in Sachsen-Anhalt 32 (13)28 Demonstrationen von Linksextremisten (in der Regel Autonomen) durchgefiihrt, an denen zusammengenommen über 6.000 (2.000) Personen teilnahmen. Bei vier Demonstrationen kam es zu Ausschreitungen. Insgesamt wurden im Berichtszeitraum durch Linksextremisten in Sachsen-Anhalt 8229 (128) Straftaten verübt, davon 21 (89)30 unter erheblicher Gewaltanwendung. In 10 (34) Fällen kam es zu Körperverletzungen. 27 (64) Straftaten richteten sich gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten, davon allein 9 (31) Körperverletzungen. 28 Die Angaben in Klammem beziehen sich auf 1993. 29 Die Angaben über Straftaten stammen vom Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt (Stand Anfang März 1995). Die Zahlen fiir 1994 können sich durch Nachmeldungen noch geringfügig ändern. 30 Der auffiUlige Rückgang der Gewalttaten gegenüber 1993 ist auch aufBundesebene zu verzeichnen. Linksextremistisch motivierte Gewalttaten 11 R1993 01994 11 14 12 10 * I 4 2 0 Januw Febru* Mirz April M.. Juni Juli August September Oktober November Dezember ~ f\) Vergleich 1993/94 ~ 122 3. Parteien, Organisationen und sonstige Gruppierungen Die von Karl LIEBKNECHT und Rosa LUXEMBURG 1918 gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) erstrebte die "Diktatur des Proletariats" durch eine "proletarische Revolution". Nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus verboten und aufgelöst, . wurde sie nach 1945 wieder aktiv. In der damaligen sowjetischen Besatzungszone verschmolz die KPD 1946 mit der SPD durch Zwangs.~. vereinigung zur SED. ' In der Bundesrepublik Deutschland wurde die KPD 1956 filr verfas- - sungswidrig erklärt und aufgelöst. Beginnend mit dem Jahr 1968 bildeten sich eine Vielzahl kommunistischer Gruppierungen. Zu ihnen gehört auch die einstmals 30.000 Mitglieder zählende Deutsche Kommunistische Partei (DKP), in die viele ehemalige KPD-Mitglieder gingen, und die Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten (KPDIML). * Die DKP orientierte sich am Marxismus-Leninismus, wie ihn die KPdSU und die SED lehrten und praktizierten. Die KPDIML ließ sich in ihrer gesamten Tätigkeit von der Theorie von MARX, ENGELS, LENIN, STALIN und MAO TSE-TUNG leiten. 1986 schloß sich die KPDIML mit der trotzkistischen "Gruppe Inter- . nationale Marxisten" (GIM) zur "Vereinigten Sozialistischen Partei" (VSP) zusammen. Diese Fusion wurde von zahlreichen KPDIML Mit- , gliedern aus ideologischen Gründen nicht akzeptiert. Es entstanden . KPD-Gruppen um Diethard MÖLLER, Wolfgang EGGERS und Michael KOTH, die für sich jeweils in Anspruch nahmen, die "rechtmäßige" KPD zu sein. Auch die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands {MLPD), die '!. 1982 aus dem Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands (KABD) .** hervorging, entstammt dieser Tradition. Noch während des Bestehens der DDR gründete sich im Januar 1990 in Berlin (Ost) aus Mitgliedern der SED eine weitere Splittergruppe, die sich auch KPD nannte (KPD-Ost). Sie sieht sich als direkte Nachfolgerin der 1918 entstandenen Partei Karl LIEBKNECHTs und Rosa ., LUXEMBURGs. 123 3. 1 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 3.1.1 Ideologisch-politischer Standort Die MLPD bekennt sich zum Marxismus-Leninismus in seiner Weiterentwicklung durch STALIN und MAO TSE-TUNG. Das Scheitern der KPdSU ist fiir sie eine Folge der Verfälschung des Marxismus-Le.* ninismus in der Sowjetunion. Sie versteht sich selbst als "Vorhutorganisation der Arbeiterklasse". Ihr erklärtes Ziel ist der ,,revolutionäre Sturz_ der Monopolkapitalisten" und die Errichtung einer ,,Diktatur des Proletariats". 3.1.2 Organisation . Die MLPD wurde 1982 in Bochum gegründet und umfaßt etwa 2.300 ' Mitglieder bundesweit. Seit 1992 betreibt sie einen ,,gesamtnationalen Parteiaufbau ". Dafiir gründete sie Initiativund Ortsgruppen. In diesem Zusammenhang gibt es eine "Ortsadresse" in Halle. 3.1.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt ~*'Die MLPD gibt als bundesweites Mitteilungsblatt die Zeitung ,,Rote *Fahne" heraus, in der auch von Zeit zu Zeit Aktionen angekündigt werden, die in Sachsen-Anhalt stattfinden, wie z.B. Schulungen in Bitterfeld und Vorträge in Halle. Die Ereignisse am 12. Mai 1994 *("Herrentag") in Magdeburg nahm das Magazin zum Anlaß, einen Ar'*tikel zu veröffentlichen, in dem der sofortige Rücktritt des Ministers -*,des Inneren gefordert wurde, weil er ebenso wie der Polizeipräsident den ,,neofaschistischen Terror" beschönigt habe. Zu den Bundestagswahlen präsentierte die Partei eine Landesliste, auf der von fünf Kandidaten immerhin vier aus den alten Bundesländern kamen. Es gelang ihr jedoch als nichtetablierter Partei, dem Landes*wahlleiter die fiir ihre Landesliste erforderlichen 2.000 Unterstüt- . Zerunterschriften vorzulegen. Sie erzielte am 16. Oktober 1994 landesweit 395, bundesweit 10.254 Zweitstimmen. Obwohl die MLPD den Marxismus-Leninismus sehr eng und dogmatisch auslegt, scheint der Aktionismus der wenigen Mitglieder bei an- 124 deren linksextremistischen Organisationen einen gewissen Eindruck nicht verfehlt zu haben. Im November 1994 fand auf Einladung der KPF31 ein "Roter Runder Tisch" statt, zu dem sich Vertreter der MLPD wie auch der DKP, KPD und KPF einfanden. 3.2 Kommunistische Partei Deutschlands, Sitz Berlin (KPD-Ost) 3.2.1 Ideologisch-politischer Standort Die KPD-Ost bekennt sich zu den Prinzipien des Marxismus-Leninismus, den sie als "lebendige Anleitung zum Handeln" betrachtet. Ihr Ziel ist die ,,Aufhebung der alten, auf Klassengegensätzen beruhen- . den Gesellschaft durch die Revolution des Volkes und die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft". Sie bezeichnet sich selbst als revolutionäre Partei, die die ,,sozialistische Idee bei den kapitalismuserfahrenen Werktätigen auf demokratische Weise reifen läßt, bis diese Idee zur materiellen Gewalt wird, indem sie die Massen ergreift". Sie will nicht zu dem "bereits real existent gewesenen Sozialismus zurückkehren, wohl aber dessen reichen Erfahrungsfundus in positiver wie in negativer Hinsicht für neue Politikansätze nutzen". Die Wiederherstellung einer einheitlichen kommunistischen Partei stellt das Nahziel ihrer derzeitigen Politik dar. 3.2.2 Organisation Die KPD-Ost gliedert sich in Zellen, Ortsund Landesorganisationen. * * In Sachsen-Anhalt bestehen seit dem Landesparteitag am 28. Mai 1994 drei Gebietsorganisationen. Ihre Mitglieder entstammen vorwiegend der SED. Die ohnehin geringe Mitgliederzahl - etwa 400 bundesweit - hat die Partei bewogen zuzugeben, daß sie keine Aussicht hat, zu einer Massenpartei zu werden. Sie sei deshalb "im wesentlichen eine Kaderpartei, die entsprechend organisiert und geleitet werden muß". Die innerparteiliche Demokratie hat sie in der Weise gestaltet, daß zwar "alle gewählten Organe der Ebene rechenschafts31 Kommunistische Plattform in der POS, siehe auch Nummer 3.5. g111g<1ie KPÖ;~;*it-~t~i'spi)JI'~Ö~1d~-~li'~~~~~ in der SED au[ Den Aufbau des Sozialisflireincei':'~'J~eitÜ~he g~;~'i~;~~~~uls~l;~ "om- 1 Unsere Partei, die Kommunistische Partei munistische Partei ein. Enlsprechend ihrer mus in der DDR verbanden die deutschen Deutschlands (KPD), wurde 1918/19 im Tradition kämpft die KPD insbesondcrl! Kommunisten mit dem Ziel einer gerechVerlaufe der deutschen Novemberrevofürdie sozialen und politischen Rechte der ten. von Ausbeutung freien Gesellschaft. lution gegrilndet. Zu ihren Mitbegrilndem Arbeitenden und aller vom Kapitalismus Auch wenn es im ersten Anlauf nicht gegehören Kar ILiebknecht und Rosa LuxemAusgebeuteten und Benachteiligten. Entlang. den Sozialismus zu einer dauerhaften burg. schieden wendet sich die KPD gegen die Altemative gegenOber dem Kapitalismus zu entwickeln, blieben die Kommunisten Verfolgung und Diskriminienmg von DeDie historischen Wurzeln der KPD reichen mokraten in der BRD, nicht zuletzt gegen zurück bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. ihrer Idee treu. Oie KPD hat Schlußfolgenmgen aus der zeitweiligen Niederlage den Rachefeldzuggegen ehemalige DDRdem Bund der Kommunisten und ihre proBürger. grammatische Grundlage entspringt dem gezogen und setzt entschlossen den Kampf Kommunistischen Manifest, der Theorie für Sozialismus und Freiheit fort. Die KPD unterhält intensive Beziehungen des Marxismus-Leninismus. Sie vereint in Nachdem sich 1990 die SED-PDS vom zu verbündeten Kommunistischen Parteisich die Erfahrungen der deutschen und Marxismus und Sozialismus lossagte und en in aller Welt. Sie tritt ein für ein neues internationalen Arbeiterbewegung und die in Ostdeutschland eine neue SPD gegrünintemationales Bündnis und koordinierdes Aufbaus des ersten Sozialismus. det wurde, wurde folgerichtig im Januar tes Handeln der kommunistischen 1990 die KPD wiedergcgrllndet. Sie ist die Weltbewegung. ln den Klassenkämpfen der 20er und 30er Jahrewuchsdie KPDzueinerMassea11>artei legale und legitime Nachfolgerin und Erbin DieKPDgibtalstraditionellesZentralorgan der Arbeiter. deren Interessen die KPD am der KJ>D Liebknechts. Thälmanns und die Zeitung **Die Rote Falme.. konsequentesten verfocht. hn antifaschiPiecks: Seit ihrer Wiedergründung setzt weitere Publikationen heraus. stischen Widerstandskampf brachte unsich die KPD nachdlilcklich für ein umfasIhren Sitz hat die KPD in Berlin. sere l1 aa1ei die größte:1 Opfer. Nach I sendes ßllnnigerode ein Flugblatt verteilt, in welchem die ,,Politikerangeführt vom Kanzlerboß -" als ,,Dienstleistungskräfte, die für die deutschen Geldsäcke arbeiten," bezeichnet wurden. Weiter heißt es: ,,Laßt uns gemeinsam das ganze Pack eines Tages verjagen. Kohl speziell nach 129 _,Chile verfrachten!" Ebenfalls zum Thema Bundestagswahl wurde in einem Infoblatt zu einer Fahrraddemonstration im Stadtgebiet von Magdeburg aufgerufen, um "einige Aktionen gegen die Wahlpropaganda (zu) starten". Ziel der Aktion war, Wahlplakate demokratischer Parteien unleserlich zu machen. Am 8. Oktober 1994 kam es zu diesem Fahrradkorso, an dem etwa 30 Personen teilnahmen. Weitere Aktionen der "Internationalen Jugend" richteten sich gegen den Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften , die in ihren Augen als "faschistisch" anzusehen sind. So wurden vor einem Kaufhaus in Magdeburg ein Transparent mit der Aufschrift "Karstadt unterstützt Faschisten" gezeigt und Flugblätter mit der Überschrift "Nazipropaganda bei Karstadt" verteilt. 3.5 Kommunistische Plattform in der PDS (KPF) 3.5.1 Ideologisch-politischer Standort Im Februar 1994 erschien im Monatsblatt der KPF, den "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform in der PDS", ein Thesenpapier mit dem Titel ,,Zur Progr~matik von Kommunistinnen und Kommunisten in der PDS. Ein Angebot zur Diskussion." Es enthält grundsätzliche politische Äußerungen zu den Anschauungen und Zielen der KPF. Diese sieht den revolutionären Marxismus, den sie auch als "Wissenschaftlichen Kommunismus" bezeichnet, als Leitlinie zur Überwindung der gegenwärtigen Klassengesellschaft an und erstrebt eine ,,revolutionäre Transformation" in eine "neue, klassenlose Gesellschaft'. Eine "revolutionäre Überwindung des Kapitalismus" sei unumgänglich. Dazu sei der herrschenden Klasse die Macht zu entreißen, und die Eigentumsverhältnisse an Produktionsmitteln seien grundlegend umzugestalten. Der politische Übergang zur klassenlosen Gesellschaft kann nach Ansicht der KPF vielflUtige Formen annehmen; den Einsatz von Gewalt schließt sie dabei nicht aus. Ihr aktuelles Anliegen, den ,,Klassenkampf um demokratische Strukturen" möchte sie nicht mit bürgerlicher Demokratie, etwa der repräsentativen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, gleichgesetzt 130 sehen: " Unser Verständnis von Demokratie führt jedoch weit über die bürgerlichen Formen der parlamentarischen Demokratie hinaus." Die "bürgerliche Demokratie" bleibe "in ihrer Dialektik zugleich eine antidemokratische Diktatur des Kapitals". Der Begriff der demokratischen Mehrheit wird von der KPF auf die ,,Mehrheit der Ausgebeuteten" reduziert, wobei unklar bleibt, wer ausgebeutet ist. Ein sachsenanhaltisches Mitglied der KPF forderte in einem Artikel die Weiterentwicklung der ,,gegenwärtigen parlamentarischen Repräsentationsdemokratie" in eine ,.plebiszitäre Demokratie der Volksmassen". Das , Volk müsse die Macht handhaben können, um die Staatsordnungen ,I grundsätzlich bis zu ihrer Auflösung zu demokratisieren. 3.5.2 Organisation Die KPF stellt einen kleinen, aber aktiven Teil der PDS dar. Sie ist auf allen Ebenen mit Ausnahme des Bundesvorstandes der Partei vertreten. Als oberstes Gremium fungiert der Bundeskoordinierungsrat zusammen mit dem Bundessprecherlnnenrat. Dem entspricht auf der Ebene der Landesorganisation der Landessprecherrat In Zeitz, Halberstadt und Halle verfügt die KPF über ,feste Stützpunkte". In Havelberg, Sangerhausen und Weißenfels wurde im Berichtszeitraum noch an festeren Strukturen gearbeitet. In Magdeburg konstituierte sich eine "Initiativgruppe der KPF im Stadtverband der PDS". Die bundesweite Mitgliederzahl beträgt nach eigenen Angaben etwa 5000; von der KPF wird behauptet, es gebe weitaus mehr Sympathisanten. 3.5.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Neben der Mitarbeit in den Gremien der PDS beschränkten sich die Aktivitäten der KPF auf das Eingreifen in die parteiinterne Diskussion durch Artikel in den "Mitteilungen" und auf Beiträge filr die Mitgliederzeitschrift der PDS "Disput". Auch in den Tageszeitungen "Neues Deutschland" und ,junge Welt" ergriffen KPF-Mitglieder wiederholt* das Wort, um vor der "Rechtsdrift" der Gesamtpartei zu warnen. 131 Im Raum Zeitz arbeiteten sie im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes mit der KPD-Ost zusammen. 3.6 Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD) 3.6.1 Ideologisch-politischer Standort :Die Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands ist eine trotzkistische * Kernorganisation, die auf der Tradition der Lehren TROTZK.Is und seiner 1938 gegründeten "IV. Internationale" aufbaut. 3.6.2 Organisation "Anfang 1990 ging die SpAD aus der "Trotzkistischen Liga Deutsch-Iands" (TLD) und den neugegründeten "Spartakist-Gruppen" in der * DDR hervor. Von der "Internationalen Kommünistischen Liga (IV. Internationale)" wird sie als sympathisierende Organisation anerkannt. Sitz der SpAD ist Berlin. Monatlich gibt sie die Zeitung "Spartakist" heraus. 3.6.3 Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Die SpAD verfUgt über eine Kontaktadresse in Halle. Sie ist in Sachsen-Anhalt durch Schulungsreihen in Halle in Erscheinung getreten. , Behandelt wurden Themen wie: - ,,Stalinismus - Totengräber der Revolution. Der Kampf der Spartakisten gegen die kapitalistische Wiedervereinigung" - "Brecht mit der Sozialdemokratie! Für eine Arbeiterregierung!" - "Für die Wiederschmiedung der IV. Internationale!". Als Reaktion auf die Ereignisse am 12. Mai 1994 ("Herrentag") in Magdeburg riefen Antifaund Friedensgruppen zu einem Schweigemarsch durch die Magdeburger Innenstadt auf. Diese Veranstaltung 133 4. Linksextremistischer Terrorismus Im Bereich des linksextremistischen Terrorismus sind in Sachsen-An- , halt bislang keine Aktivitäten zu verzeichnen. Es muß jedoch die Gesamtentwicklung der terroristischen Szene betrachtet werden, um rechtzeitig Tendenzen zu erkennen, die sich möglicherweise auch in Sachsen-Anhalt auswirken können. 4.1 Rote Armee Fraktion (RAF) Bundesweit kam es innerhalb der RAF -Szene zu einer Spaltung. Bis * zum April 1992 wies das bisherige RAF -Gesamtgefilge eine fest umrissene hierarchische Struktur auf. Seither verzichtet die Kommandoebene der RAF auf die Avantgarde-Rolle. Die neue RAF-Politik ist * durch eine Abkehr vom bisherigen Konzept des bewaffneten Kampfes * gekennzeichnet. Sie will den bewaffneten Kampf neu definieren, bei' müht sich um eine Neuorientierung in ihrer revolutionären Politik und * eine Organisierung der "Gegenmacht von unten~', wobei gezielte Aktionen gegen die Spitzen in Politik und Wirtschaft eingeschlossen sind. Diese Wandlung filhrte innerhalb des Unterstützerspektrums im Herbst 1993 zu einer Spaltung in Befilrworter und Ablehner der neuen RAF-Politik sowie in eine Gruppe Unentschlossener. Zu den Befilrwortem gehören in erster Linie die Inhaftierten DELLWO, FOLKERTS, TAUFER, HOGEFELD und der kleinere Teil des früheren RAF-Umfeldes. Weiterhin sind den Beftlrwortem Personen und Gruppen aus dem autonomen und sozialrevolutionären Spektrum zuzuordnen, deren Grundkonzeption der neuen RAF-Politik entgegenkommt, sowie Personen, die eine politische Lösung der Gefangenenfrage anstreben. Am 15. November 1994 äußerte sich Birgit RüGEFELD in ihrer Prozeßerklärung dahingehend, daß es ,,keine Rückkehr zur alten Strategie als politisches Konzept u geben werde, aber das ,,Recht aufSelbstverteidigung". Zu den Ablehnern gehören Personen und Gruppen des harten Kerns des früheren RAP-orientierten antiimperialistischen Spektrums, die zunächst von der Gefangenenmehrheit um POHL und MOHNHAUPT angefilhrt wurden. Diese lehnen die neue RAF-Politik ab, weil diese 134 nicht mehr die ihrer Meinung nach unverzichtbar erscheinenden Elemente revolutionärer Politik enthält, insbesondere das AvantgardePrinzip und den bewaffneten Kampf im Sinne der alten RAP-Konzeption. ~Die zweite größere Kategorie der Ablehner sind antiimperialistisch-feministische Gruppen und Einzelpersonen, die ihre Schwerpunkte bei , der revolutionären Neuorientierung im Bereich des Kampfes gegen .*Patriarchat und fiir Feminismus sehen. Ihrer Meinung nach müsse das ',derzeit bestehende "imperialistische Patriarchalu im Rahmen eines internationalistischen revolutionären Befreiungskampfes gewaltsam überwunden werden. Dem Spektrum der Ablehner gehören ferner Personen mit kommunistischer Orientierung an, die versuchen, die autonome, antiimperialistische und radikal-feministische Szene zu beeinflussen. Sie gehen . davon aus, daß die sozialistische Revolution nicht von einigen weni- . gen zu bewirken sei, sondern immer von den unterdrückten Klassen getragen werden müsse. Ihre vorrangige Aufgabe sehen sie darin, die bestehenden Widersprüche zu analysieren und den "Unterdrückten" das fehlende Klassenbewußtsein zu vermitteln. In Sachsen-Anhalt gibt es keine RAF-Unterstützerszene. Trotzdem 'kam es zu vereinzelten Aktionen, die eine eindeutige Sympathie fiir die Inhaftierten der RAF widerspiegeln. Hier zeigt sich, daß der von Teilen der RAF -Szene geforderte Aufbau einer "Gegenmacht von unten u zunehmend von autonomen Strukturen angenommen wird. Seit Beginn des Jahres 1994 lassen sich mehr und mehr Farbschmierereien .und Spruchbänder der linksextremistischen Szene mit RAF-Bezug ~.feststellen. So wurde am 26. Februar 1994 in Magdeburg das Trans~'parent einer "Bewegung 25. Februar" zum Thema Freilassung von lrmgard MÖLLER aufgefunden, das vermutlich im Zusammenhang mit dem bundesweiten Protesttag zur Freilassung MÖLLERs am 26. Februar 1994 stand. Am 26. Juni 1994 wurde am Magdeburger Abendgymnasium ein Handzettel der "Initiative für die Freilassung von Irmgard MÖLLER" festgestellt. Aus Anlaß eines Hungerstreiks von zwölf in Justizvollzugsanstalten einsitzenden RAP-Gefangenen kam es zu bundesweiten Protestaktionen der RAF-Unterstützer. Auch in Magdeburg wurden am 30. Juli 1994 Transparente aufgefunden mit 135 den Aufschriften: "Solidarität mit den politischen Gefangenen" und "lrmgard M. muß raus! Sofort und bedingungslos". Einen Tag später wurde in Halle ein Plakat mit der Aufschrift: "Solidarität mit den *Hungerstreikenden aus der RAF! Freiheit für lrmgard MÖLLER: 4 AUTONOME ANTIFAS." festgestellt. Am 23. September 1994 versuchte ein Jugendlicher in Magdeburg, ein Transparent zur Freilassung von lrmgard MÖLLER an einer BrOcke anzubringen; am 24. Oktober 1994 erfolgten weitere Plakatierungen in Magdeburg. Eben"falls RAF-Bezug zeigten die am 27. Juni 1994 in Halle aufgefundenen . Plakate mit dem Text "Wir gedenken Wolfgang GRAMS - Ermordet . am 27.06.1993 von der GSG 9" und die am 21. November 1994 in . Magdeburg erfolgte Plakatierung zum Prozeßbeginn gegen Birgit HOGEFELD. * 4.2 Antiimperialistische Zelle (AIZ) ';Als wichtigste Gruppe des Ablehnerspektrums der neuen RAP-Politik . ist die ,,Antiimperialistische Zelle" (AIZ) vormals ,,Antiimperialistische Widerstandszelle N adia SHEHADAH" zu nennen. Auf sie treffen die Kriterien einer terroristischen Vereinigung im Sinne des SS 129a Abs. 1 StGB zu. Die AIZ ist u. a. für die Sprengstoffanschläge auf die Kreisgeschäftsstelle der CDU in Dosseidorf (5. Juni 1994) und ~auf die Landesgeschäftsstelle der FDP in Bremen (26. September * 1994) verantwortlich. In einem Grundsatzpapier vom 7. November 1994 verkündete die AIZ, daß sie mit den Anschlägen dazu beitragen will, daß sich "der militante widerstand, ausgehend von den politischen inhalten der ,militanten/bewaffneten aktionen der roten armee fraktion (14.5. 70 - ,t 01.04.91) in der brd weiterentwickelt. wir verstehen militanten widerstand nicht als eine angelegenheil von wenigen, sondern als sache von allen, die ihre herzen und hirne nicht in einen knast von resignation, entpolitisierung und apathie eingesperrt haben. ". Ziel der vorgenannten Sprengstoffanschläge war eine "thematisierung der politik der regierungsparfeien cdu undfdp". Die AIZ hält die "militante .causeinandersetzung mit der politik des herrschenden parteienblocks csulcdu/fdplgrüne/spdfür wichtig". 136 Hauptthemen der AIZ im Grundsatzpapier sind die EU-Politik der Bundesrepublik Deutschland und die Flüchtlingsbzw. Abschiebungsproblematik Ihr Aktionsfeld und die anzuwendenden Mittel beschreibt die AIZ wie folgt: "unsere einzigen rechte, um uns gegen sie, ihre gesetze, das system und seine konformismen, gegen den staat, gegen diesen alllag von ausbeutung und erniedrigung zu verteidigen, sind das recht auf revolte, auf aujlehnung, auf emanzipation, sind *. das recht, das wort zu ergreifen, die wa.ffen in die hand zu nehmen, *zu kritisieren, sich zu organisieren, zu kämpfen, sich zu erheben und *,~ sie zu bekämpfen bis zum ende, überall, pausenlos "32 * Im Gegensatz zur neuen RAF-Politik setzt die AIZ auf die Fortführung terroristischer Zielsetzungen aus den 70er und 80er Jahren: "unsere politik wird dahin gelzend orientiert sein, dort militant/bewaffnet anzugreifen, wo die hrd-eliten ihre arheitsplätze hzw. ihre wohnsitze haben. 1'l3. Die AIZ sieht sich somit als ,,Nachfolgeorganisation" der RAF alter Prägung. Es liegt filr die Bereiche Politik, Wirtschaft, Militär und "Repressionsapparat" ein erhebliches Gefährdungspotential im gesamten Bundesgebiet vor, das auch filr Sachsen-Anhalt nicht ausgeschlossen werden kann. Daß die Ankündigungen der AIZ sehr ernstzunehmen sind, beweist der im Januar 1995 erfolgte Sprengstoffanschlag auf das Wohnhaus des ehemaligen *CDU-Bundestagsabgeordneten Dr. Volkmar KÖHLER in Wolfsburg. 32 Zitat von "Joelle, Nathalie und Jean-Marc"Inhaftierte Militante aus der Action Directe, vom 2. Mai 1994. 33 Im Original nicht hervorgehobea 137 IV. Fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungund Abwehr dienste der DDR Seit der Wiedervereinigung treffen und organisieren sich in einigen Zirkeln Bedienstete des ehemaligen MfS - zum Teil zur Bewältigung oder auch Rechtfertigung ihrer Vergangenheit oder aber aus alter Ver*~ bundenheit. Mitunter vertreten sie dort auch politische Anliegen und beginnen, sie in die Praxis umzusetzen. Bisher sind zwei Organisationen an die Öffentlichkeit getreten, die sich in besonderer Weise der Interessen ehemaliger Angehöriger des _. MfS annehmen. 'lDie "Initiativgemeinschaft zum Schutz der sozialen Rechte ehemaliger Angehöriger bewaffneter Organe und der Zollverwaltung *.der DDR" (ISOR) wurde im Juni 1991 gegründet. Die Satzung nennt als Zweck der Organisation u. a. die Interessenvertretung der Mitglieder in der Öffentlichkeit und vor parlamentarischen und außerparlamentarischen Gremien sowie die Unterestützung ihrer Mitglieder vor Gericht, insbesondere in rentenrechtlichen und krankenversicherungsrechtlichen Angelegenheiten. Gegen das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) hat die ISOR Verfassungsbeschwerde eingelegt. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus. Ehemalige Angehörige des MfS gründeten im März 1992 das "Insider-Komitee zur Aufarbeitung der Geschichte des MfS". Laut Angaben der Initiatoren des Komitees soll die Geschichte aufgearbeitet, gleichzeitig aber "entschlossen gegen alle ungerechtfertigten Anschuldigungen, gegen Pauschalierungen oder Verleumdungen" angegangen werden. In Sachsen-Anhalt konnten auch im Berichtszeitraum keine Aktivitäten der genannten Organisationen oder anderer Zirkel festgestellt werden, die ein Tätigwerden des Landesamtes für Verfassungsschutz erfordern. 138 *V. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 1. Allgemeines * Aktivitäten von Ausländern, die sich nicht in deutschen linksoder :*, rechtsextremistischen Gruppen betätigen, werden dann vom Verfassungsschutz beobachtet, wenn es sich bei ihrer Tätigkeit um Bestrebungen handelt, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange die Bundesrepublik Deutschland gefährden. Das ist immer der Fall, wenn Auslän.. der terroristische Aktivitäten in ihrem Heimatland vom Boden der * Bundesrepublik Deutschland aus vorbereiten oder steuern wollen. Ihre Beobachtung ist aber auch erforderlich, wenn sie terroristische Auseinandersetzungen aus ihren Heimatländern in die Bundesrepublik . Deutschland hineintragen. Die Nichterwähnung des Begriffs ,,Auslän- , der" in der gesetzlichen Aufgabenzuweisung des SS 4 Abs. 1 Nr. 4 . VerfSchG - LSA gründet sich auf die Erkenntnis, daß auch Deutsche allein oder im Zusammenwirken mit Ausländern auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden können. Allerdings ist die Zahl der in diesem Zusammenhang tätigen Deutschen gering. Die Beobachtung konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Ausländern. Nach den bisherigen Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörden sind von den etwa sieben Millionen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern rund 45.600 Mitglieder in Gruppen, von denen sicherheitsgefährdende Bestrebungen ausgehen. Hierzu zählen insbesondere Organisationen wie die ,,Bewaffnete Islamische Gruppe" (GIA), bewaffneter Arm der "Islamischen Heilsfront" (FIS) und islamische Gruppen wie die Terrorbewegung "Islamischer Dschihad", die weltweit immer wieder durch terroristische Anschläge in Erscheinung treten. In der Bundesrepublik Deutschland hat in den letzten Jahren hauptsächlich die kurdische Organisation ,,Arbeiterpartei Kurdistans" 139 (PKK) mit ihren Tarnund Nebenorganisationen, auch nach ihrem Verbot im Dezember 1993 Aufsehen erregt. Diese Gruppierung begeht zwar in erster Linie terroristische Anschläge in der Türkei, hat aber ihre Aktivitäten auch auf das Gebiet der Bundesrepublik . Deutschland ausgedehnt. 2. Aktivitäten in Sachsen-Anhalt Im Berichtszeitraum waren politisch-propagandistische Aktivitäten *~ (Plakatierungen und Farbsprühschriften) filr die ,,Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) und ein "Komitee gegen Hinrichtung ohne Gerichtsurteil" festzustellen. Die ausführenden Personen, Türken kurdischer Nationalität, waren Bewohner von Asylbewerberunterkünften. Die Plakatierungen und Farbsprühschriften waren fast immer ereignisbezogen: In Hannover kam im Juni 1994 ein junger Kurde durch einen Polizisten zu Tode. Dieses Ereignis löste umfangreiche Plaka- . tierungen in Magdeburg und anderen Städten Sachsen-Anhalts aus. Forderungen für eine Aufhebung des Verbots der PKK und für ein freies Kurdistan wurden an verschiedenen Stellen Magdeburgs und anderen Orten Sachsen-Anhalts durch das Anbringen von Farbsprühschriften gestellt. -. 140 . VI. Spionageabwehr *1. Allgemeiner Uberblick .. Auch im vierten Jahr nach Herstellung der staatlichen Einheit . Deutschlands war die Spionageabwehr mit der Aufarbeitung der Hin.terlassenschaft ehemaliger DDR-Nachrichtendienste befaßt. Dabei ist nach wie vor von Bedeutung, daß die Aufklärungsdienste der ehema- ~ Iigen UdSSR und anderer ehemaliger Warschauer-Pakt-Staaten durch *ihre 40jährige Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) über ein umfangreiches Potential an nachrichtendienstlich nutzbaren Erkenntnissen verfügen, auf das vornehmlich die aus dem KGB entstandenen Nachfolgedienste der Russischen Föderation und . der übrigen GUS-Staaten zurückgreifen können. Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer politischen und wirt- . : schaftliehen Bedeutung sowie aufgrund ihrer zentralen Lage in Europa weiterhin bevorzugtes Ausspähungsziel fremder Nachrichtendienste. Ein neuer Tätigkeitsschwerpunkt der Spionageabwehr hat sich hinsichtlich der Aktivitäten von Nachrichtendiensten des Nahen und . Mittleren Ostens entwickelt, die zunehmend Anstrengungen zur illegalen Beschaffung embargogeschütztef34 Technologie unternehmen. 2. Ehemalige DDR-Nachrichtendienste *,'Durch die Aufklärung der Strukturen der ehemaligen DDR-Nach- . richtendienste und vornehmlich durch die damit verbundene Enttarnung und Identifizierung bislang unentdeckt gebl~ebener MfS-Agenten soll eine Fortfilhrung der nachrichtendienstliehen Tätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland durch andere Dienste unterbunden werden, die über die nachrichtendienstliche Verstrickung dieses Personenkreises Kenntnis haben und dieses Wissen als Druckmittel verwenden können. 34 Von einem Ausfuhrverbot betroffene Gegenstände und Dienstleistungen. 141 In diesem Zusammenhang wurden nach Hinweisen der hiesigen Spionageabwehr an die jeweils zuständigen Behörden mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit eingeleitet. 3. Nachrichtendienste der Russischen Föderation und der übrigen GUS-Staaten * Auch nach dem Abzug der auf dem Gebiet der DDR stationierten rus- . sischen Streitkräfte und dem damit verbundenen Wegfall von nachrichtendienstliehen Stützpunkten im August 1994 sind die Aufklärungsdienste - insbesondere die der Russischen Föderation - weiterhin bestrebt, Informationen aus den klassischen Bereichen Außenund Sicherheitspolitik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik zu beschaffen. *:-Unabhängig von den Umbesetzungen an der Führungsspitze versu;: chen*sowohl der zivile Aufklärungsdienst der Russischen Föderation SWR als auch der militärische Aufklärungsdienst GRU, sich nach.richtendienstliche Zugangsmöglichkeiten u. a. über abgetamte Positionen in JOINT VENTURES 3s zu verschaffen.