Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2023 Inhaltsverzeichnis I. Verfassungsschutz in Sachsen 6 1. Gesetzlicher Auftrag 7 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes 7 1.2 Informationsgewinnung 9 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz 10 2. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 10 3. Kontrolle des Verfassungsschutzes 12 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 15 1. Rechtsextremismus 18 1.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 19 1.2 Personenpotenzial 21 1.3 Parteigebundener Rechtsextremismus 24 1.3.1 DER DRITTE W EG 24 1.3.2 DIE HEIMAT (vormals NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS) 29 1.3.3 FREIE SACHSEN 35 1.3.4 ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND - LANDESVERBAND SACHSEN 44 1.3.5 JUNGE ALTERNATIVE -LANDESVERBAND SACHSEN 51 1.4 Parteiungebundener Rechtsextremismus 56 1.4.1 PEGIDA 56 1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - SACHSENGARDE (vormals 60 REGIONALGRUPPE SACHSEN) 1.4.3 EIN PROZENT E. V. 66 1.4.4 Neonationalsozialistische Gruppierungen 69 1.4.5 Subkulturell geprägtes und unstrukturiertes rechtsextremistisches 75 Personenpotenzial 1.4.6 Rechtsextremistische Musik 81 1.4.7 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 89 1.5 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus 95 1.6 Durch Rechtsextremisten genutzte Immobilien 96 1.7 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit 99 rechtsextremistischem Hintergrund Seite 2 von 242 2. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER 103 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 104 2.2 Strategie 104 2.3 Personenpotenzial 105 2.4 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen 107 3. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 115 4. Linksextremismus 124 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 125 4.2 Personenpotenzial 127 4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen 128 4.3.1 Aktionsfelder 128 4.3.2 Aktionsformen 131 4.4 AUTONOME 132 4.4.1 AUTONOME in Leipzig 137 4.4.2 AUTONOME in Dresden 142 4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 145 4.5 ANARCHISTEN 149 4.5.1 FREIE ARBEITER*INNEN-UNION 149 4.5.2 ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN 152 4.6 DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN 154 4.6.1 Gewaltorientierte DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN 155 4.6.1.1 ROTE W ENDE LEIPZIG 155 4.6.1.2 ROTES DRESDEN 157 4.6.2 Nicht gewaltorientierte DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN 159 4.7 ROTE HILFE E. V. 160 4.8 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem 164 Hintergrund 5. Islamismus 167 5.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 168 5.2 Personenpotenzial 169 5.3 Erscheinungsformen des Islamismus 169 5.3.1 Legalistischer Islamismus 169 5.3.2 Politischer und jihadistischer Salafismus 176 5.3.2.1 Politischer Salafismus 178 Seite 3 von 242 5.3.2.2 Jihadistischer Salafismus 180 6. Auslandsbezogener Extremismus 186 6.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 187 6.2 Personenpotenzial 187 6.3 Strukturen 187 6.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten ausländische Ideologie und 192 religiöse Ideologie III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und 193 Wissenschaft 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten 194 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 195 2.1 Akteure und Schwerpunkte 195 2.1.1 Russische Föderation 195 2.1.2 Volksrepublik China 196 2.1.3 Nachrichtendienste sonstiger Staaten 199 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 199 2.2.1 Beschaffung von öffentlich zugänglichen Informationen 199 2.2.2 Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen 199 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche 202 Entwicklungen 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft 203 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 206 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und 207 Sabotageschutzüberprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen 207 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen 208 2. Materieller Geheimschutz 208 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder 209 Ausschlussgründen Seite 4 von 242 V. Anhang 211 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen 212 im Jahr 2023 Übersicht von Verbotsmaßnahmen durch das Bundesministerium des 216 Innern bzw. durch die Innenministerien/-senate der Länder seit 1992 Glossar 220 Abkürzungsverzeichnis 238 Aussteigerprogramm Sachsen 241 Seite 5 von 242 Deckblatt VS in SN I. Verfassungsschutz in Sachsen Aufgaben und Befugnisse des LfV Sachsen sind gesetzlich geregelt Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Gewinnung von Erkenntnissen zu extremistischen Bestrebungen sowie zu Terrorismus, Spionage und Cyberabwehr Informationsgewinnung durch offene Quellen und den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz: Trennungsgebot, aber kein Kooperationsverbot Das LfV informiert die Öffentlichkeit über erwiesene extremistische Bestrebungen ("Frühwarnsystem") Kontrolle der Arbeit des LfV Sachsen u. a. durch das Sächsische Staatsministerium des Innern und die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages Seite 6 von 242 Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geht vom Grundgedanken einer streitbaren, wehrhaften Demokratie aus. Sie sieht vor, dass Angriffe von Extremisten auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv abgewehrt werden können. So können Parteien vom Bundesverfassungsgericht verboten oder von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden (Artikel 21 Absatz 2 bis 4 GG). Auch Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, können verboten werden (Artikel 9 Absatz 2 GG). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Staat entsprechende Bestrebungen oder Aktivitäten - sie werden als extremistisch oder verfassungsfeindlich bezeichnet - rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als "Frühwarnsystem" zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Die über die extremistischen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen gewonnenen Erkenntnisse werden in den Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen vor allem in Form von Analysen zu extremistischen Organisationen und Gruppierungen dokumentiert. Nur diese werden in der Berichterstattung durch die Schriftart "KAPITÄLCHEN" dargestellt. 1. Gesetzlicher Auftrag 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Erkenntnisse zu extremistischen Bestrebungen sowie zu Terrorismus und Spionage schon weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu gewinnen. Ziel seiner Tätigkeit ist es, rechtzeitig auf Gefahren hinzuweisen, die dem freiheitlichen Rechtsstaat aus diesen Bereichen drohen. Dazu erstellt er Lagebilder und Analysen, Verfassungsschutz in Deutschland die es den Regierungen von Bund und Ländern ermöglichen, In der Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die gibt es Inlandsnachrichtendienste freiheitliche demokratische Grundordnung und die innere sowohl auf Bundesebene (Bundesamt Sicherheit einzuleiten. Dem Verfassungsschutz selbst stehen für Verfassungsschutz) als auch auf keine polizeilichen Befugnisse zu. Jedoch übermittelt er unter Ebene der Länder bestimmten Voraussetzungen seine Erkenntnisse an Polizei (Landesverfassungsschutzbehörden). und Staatsanwaltschaft, um deren Vollzugsmaßnahmen zu Die Behörden arbeiten jeweils unterstützen. selbstständig, sind jedoch gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in diesem Bereich regelt das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG). Aufgaben und Befugnisse des Zudem gibt es für jedes Land ein eigenes Verfassungsschutzes sind gesetzlich Verfassungsschutzgesetz, das die Aufgaben und Befugnisse genau festgelegt. der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde regelt. Die Rechtsgrundlage des Verfassungsschutzes in Sachsen ist das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen" (SächsVSG)1. Für das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen wurden im Haushaltsplan 2023 insgesamt 220 Stellen für Beamte, Tarifbeschäftigte und Anwärter im öffentlichen Dienst ausgewiesen. Das Haushaltsvolumen 2023 betrug rund 20,4 Millionen Euro. Dem LfV Sachsen obliegt die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche 1 Das SächsVSG ist unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. Seite 7 von 242 Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Grundgesetzes, # Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, # fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Extremistische Phänomenbereiche Die Aufgabe der Spionageabwehr umfasst die in Sachsen: Abwehr der Spionage von Nachrichtendiensten fremder Staaten gegen die Bundesrepublik Rechtsextremismus Deutschland. Wesentliche Angriffsziele sind die REICHSBÜRGER und Bereiche Politik, Militär, Forschung und SELBSTVERWALTER Wissenschaft sowie Wirtschaft. Das LfV Sachsen Verfassungsschutzrelevante beobachtet im Bereich Wirtschaftsschutz die Delegitimierung des Staates Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste, um Linksextremismus Islamismus deutsche Unternehmen und Einrichtungen vor Auslandsbezogener Extremismus unberechtigtem Know-howund Informationsabfluss zu schützen. Daneben nimmt das LfV Sachsen auch sog. Mitwirkungsaufgaben wahr, bei denen es als Fachberater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Hierzu gehören der Geheimund der Sabotageschutz. So ist das LfV Sachsen u. a. beteiligt an: # Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, # der Durchführung von technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen. Ebenso bringt das LfV Sachsen seine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsaufgaben ein. So wird es durch andere öffentliche Stellen beteiligt bei # der Überprüfung von Personen, die sich um die Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wenn der Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, # gesetzlich vorgesehenen Überprüfungen von Personen, z. B. nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Atomgesetz, dem Sprengstoffgesetz, dem Waffengesetz, dem Luftsicherheitsgesetz sowie der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Bewachungsverordnung. Die Informationen, die der Verfassungsschutz aufgrund seines gesetzlichen Auftrages sammelt, werden analysiert, d. h. sie werden gesichtet, geprüft und bewertet. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen z. B. zur Einschätzung der Sicherheitslage, zur Vorbereitung von Vereinsund Parteiverboten oder zur Verhinderung bzw. Verfolgung von durch Extremisten, Terroristen und Spione begangene Straftaten. Diese Analysen sind auch Grundlage für die Berichterstattung des LfV Sachsen insbesondere gegenüber # dem Staatsministerium des Innern, Seite 8 von 242 # anderen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, # dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), der die Aufgaben des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der Bundeswehr wahrnimmt, # dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsaufklärung betreibt, # Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften und Polizei), # Behörden, welche die Informationen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung benötigen (z. B. für Versammlungsverbote) und # der Öffentlichkeit (z. B. durch eine entsprechende Presseund Öffentlichkeitsarbeit, Vortragsveranstaltungen oder die Veröffentlichung des jährlichen Verfassungsschutzberichtes sowie von Broschüren). 1.2 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz sammelt einen erheblichen Teil Dabei wird zwischen offenen Quellen seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. und nachrichtendienstlichen Mitteln So werden u. a. Parteiprogramme, Satzungen, unterschieden. Vorrang bei der Publikationen, Flugblätter, Internetseiten, soziale Medien Informationsbeschaffung hat immer oder auch Reden von Funktionären ausgewertet. das mildeste Mittel. Extremisten, Terroristen und fremde Nachrichtendienste arbeiten jedoch häufig sehr konspirativ und legen ihre Ziele nicht offen dar. Dementsprechend ist der Verfassungsschutz gesetzlich ermächtigt, auch sog. nachrichtendienstliche Mittel bei der Informationsgewinnung einzusetzen. Dabei ist er jedoch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, d. h. von den geeigneten und erforderlichen Mitteln ist jeweils das mildeste Mittel zu wählen. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen u. a.: # der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen), d. h. Personen, die dem LfV Sachsen selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern, ohne ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz zu erkennen zu geben, # das verdeckte Beobachten von Personen (Observation), # verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen, # die Nutzung von Tarnmitteln, mit denen die Tätigkeit des Verfassungsschutzes verborgen werden soll (z. B. Tarnkennzeichen), # die Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs sowie # die Wohnraumüberwachung. Die Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs ist besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie ist in einem gesonderten Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" 2 (G 10) genannt wird. Demnach dürfen u. a. der Telekommunikationsverkehr abgehört und aufgezeichnet sowie Briefe geöffnet und gelesen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass bestimmte schwere Straftaten geplant oder begangen werden sollen bzw. wurden. Die Behördenleitung des LfV Sachsen muss hierfür einen entsprechenden Antrag beim Staatsministerium des Innern stellen, über den der Staatsminister des Innern 2 Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen sind unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. Seite 9 von 242 entscheidet. Umgesetzt werden dürfen die Maßnahmen erst, wenn die vom Sächsischen Landtag gewählte G 10-Kommission deren Zulässigkeit und Notwendigkeit bestätigt hat. 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz Polizei und Verfassungsschutz arbeiten beim Schutz von Staat und Verfassung eng zusammen. Sie sind jedoch getrennt voneinander organisiert und mit unterschiedlichen Befugnissen ausgestattet. Dieses Trennungsgebot ist in Artikel 83 Absatz 3 Satz 1 der Sächsischen Verfassung wie auch im SS 1 Absatz 4 SächsVSG verankert. Es besagt insbesondere, dass der Verfassungsschutz keiner Polizeibehörde angegliedert werden darf. Zudem gibt es untereinander keinen unbeschränkten Informationsaustausch. Auch stehen dem Verfassungsschutz Zwangsbefugnisse, wie sie der Polizei eingeräumt werden, nicht zu. Er darf also weder Personen festnehmen, durchsuchen, vorladen oder vernehmen noch Wohnungen durchsuchen oder Gegenstände beschlagnahmen. Er ist auch nicht befugt, Verbote oder Auflagen auszusprechen. Der Verfassungsschutz hat vielmehr lediglich reine Beobachtungsbefugnisse. Hat der Verfassungsschutz jedoch ausreichende Erkenntnisse gewonnen, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er Polizei oder Staatsanwaltschaft, sofern die rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Dort wird dann selbstständig entschieden, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 2. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Der sächsische Verfassungsschutz ist kein "geheimer Gesamtgesellschaftliche Dienst", sondern ein Informationsdienstleister für die Sicherheitsvorsorge Öffentlichkeit. Er informiert demnach nicht nur Politik und Verwaltung, sondern beispielsweise auch Kommunen, # Nachrichtendienste Bundeswehrangehörige, Wissenschaftler sowie die # Polizei Medien und Bürger zu Erkenntnissen über extremistische # Bundeswehr Bestrebungen. # nicht staatliche Akteure # Zivilgesellschaft Das Informationsangebot stellt einen wichtigen Präventionsbeitrag dar und soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus fördern. Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger können sich aktiv für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Unsere Angebote: # Vorträge und Informationsveranstaltungen zu folgenden Themen: Extremismus allgemein Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Lagebilder zu den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER, Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates, Linksextremismus, auslandsbezogener Extremismus und Islamismus islamistische Radikalisierung Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet Gefahren der Wirtschaftsspionage und Proliferation # Beratung kommunaler Entscheidungsträger In Beratungsgesprächen informiert das LfV Sachsen kommunale Entscheidungsträger über regionale extremistische Bestrebungen und Aktivitäten, damit vor Ort Gegenstrategien entwickelt werden können. Hierzu wirkt es auch im Expertennetzwerk gegen Seite 10 von 242 Rechtsextremismus in Sachsen3 sowie bei diversen "KommunalDialogen" mit. Darüber hinaus bringt sich das LfV Sachsen aktiv in die Arbeit des Demokratie-Zentrums Sachsen sowie die Koordinierungsund Beratungsstelle Radikalisierungsprävention (KORA) ein. # Wirtschaftsschutz4 Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. # Information der Medienvertreter Die Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen erfolgt zudem über die Medien. Hierzu veröffentlicht das LfV Sachsen u. a. Medieninformationen, beantwortet Anfragen von Journalisten und informiert in Pressegesprächen und Pressekonferenzen über seine Arbeit bzw. seine Erkenntnisse in den jeweiligen extremistischen Phänomenbereichen. # Internetpräsentation Das Informationsangebot des LfV Sachsen unter der Adresse www.verfassungsschutz.sachsen.de stellt zum einen Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes vor. Zum anderen werden dort auch die Entwicklungen in den einzelnen extremistischen Phänomenbereichen aufgeführt. Der Internetauftritt beinhaltet darüber hinaus Informationen zu aktuellen Lageentwicklungen. Querverweise ermöglichen die Verbindung zu Internetpräsenzen anderer Verfassungsschutzbehörden. Außerdem können vom LfV Sachsen herausgegebene Berichte und Broschüren heruntergeladen werden. Auf der Internetseite befinden sich auch die Kontaktmöglichkeiten zum LfV per Telefon oder Mail. # Sächsischer Verfassungsschutzbericht Der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht informiert die Öffentlichkeit über Ideologien, Personenpotenziale, Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen des Extremismus, über Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden der Spionage sowie über extremistisch motivierte Straftaten und die Funktion des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem. Der Bericht ist als Druckausgabe erhältlich und kann auch im Internet unter www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. # Herausgabe von Broschüren Die präventive Aufklärung der Öffentlichkeit über den Extremismus erfolgt auch durch die Herausgabe entsprechender Publikationen, die teilweise in Zusammenarbeit mit Verfassungsschutzbehörden anderer Länder bzw. des Bundes erstellt und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Sie können als Broschüre bestellt oder im Internet unter www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. Alle Angebote sind kostenfrei. 3 Bei diesem Expertennetzwerk handelt es sich um ein behördliches Kooperationsnetzwerk, das Kommunen beim Umgang mit Rechtsextremismus - vor allem im Hinblick auf die Nutzung von Immobilien und besondere Veranstaltungslagen - berät und unterstützt. Die Geschäftsstelle des Expertennetzwerks ist bei der Landesdirektion Sachsen angesiedelt (www.lds.sachsen.de/expertennetzwerk). 4 vgl. Abschnitt III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Seite 11 von 242 Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60 | 01129 Dresden Tel.: +49 351 8585-0 | Fax: +49 351 8585-500 Mail: verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.sachsen.de 3. Kontrolle des Verfassungsschutzes Das Staatsministerium des Innern (SMI) kontrolliert als Fachaufsichtsbehörde die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung durch das LfV Sachsen. Als Dienstaufsichtsbehörde wacht es zudem über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb. Außerdem finden Kontrollen statt durch: # die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages Sie kontrolliert die Tätigkeit des LfV Sachsen. Auch die Wahrnehmung der Aufsicht des Staatsministeriums des Innern über das LfV Sachsen unterliegt der Kontrolle durch die PKK. # die Kommission nach SS 3 des Sächsischen Artikel 10-Gesetz-Ausführungsgesetzes (SächsAG G 10) des Sächsischen Landtages (G 10-Kommission) Diese Kommission prüft die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10), d. h. von Maßnahmen der Brief-, Postund Telekommunikationsüberwachung. Auch Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsersuchen gegenüber auskunftsverpflichteten Unternehmen nach SS 11a Absatz 2 bis 5 sowie SS 11b SächsVSG unterliegen der Kontrolle der Kommission. Seite 12 von 242 # die Sächsische Datenschutzbeauftragte Kontrolliert wird die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz. Dabei wird geprüft, ob personenbezogene Daten durch das LfV Sachsen rechtmäßig verarbeitet wurden. Jede betroffene Person kann sich an den Datenschutzbeauftragten bzw. die Datenschutzbeauftragte wenden, wenn sie der Ansicht ist, das LfV Sachsen habe sie bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten in ihren Rechten verletzt. # den Sächsischen Rechnungshof Er kontrolliert die Verwendung der Haushaltsmittel des LfV Sachsen. # die Gerichte Jede betroffene Person hat das Recht, gegen sie belastende Maßnahmen des LfV Sachsen das Verwaltungsgericht anzurufen. Außerdem prüft ein Gericht bereits im Vorfeld die Zulässigkeit von Wohnraumüberwachungsmaßnahmen. # die Öffentlichkeit Durch die Medienberichterstattung wird die Tätigkeit des LfV Sachsen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erfährt damit auch auf diese Weise eine Kontrolle. # interne Prüfungen Im LfV Sachsen finden auch interne Kontrollen statt, so z. B. durch die Innenrevision, den behördlichen Datenschutzbeauftragten, den G 10-Aufsichtsbeamten sowie die behördliche Beauftragte für den Haushalt. Seite 13 von 242 Organigramm des LfV Sachsen5 Das LfV Sachsen mit Sitz in Dresden gehört dem Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) an. 5 Stand: 15. März 2024 Seite 14 von 242 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 1. Rechtsextremismus Neue erwiesene extremistische Beobachtungsobjekte des LfV Sachsen: ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND - LANDESVERBAND SACHSEN JUNGE ALTERNATIVE - LANDESVERBAND SACHSEN EIN PROZENT E. V. Personenpotenzial stieg weiter an Rechtsextremisten nutzten erneut Themen mit gesellschaftlichem "Empörungspotenzial" für ihre Zwecke und sickerten mit ihrem verfassungsfeindlichen Gedankengut weiter in die bürgerliche Mitte ein Zunahme der Vernetzungsbestrebungen, insbesondere bei der sog. "Neuen Rechten" hohe Reaktionsund Mobilisierungsgeschwindigkeit über die sozialen Medien Wichtigstes Objekt für rechtsextremistische Konzerte stand nicht mehr zur Verfügung: weniger rechtsextremistische Konzerte, stattdessen mehr Liederabende 2. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER REICHSBÜRGER-Gruppierung KÖNIGREICH DEUTSCHLAND baute Aktivitäten in Sachsen aus, stand aber zugleich im Fokus behördlicher Maßnahmen erneut starker Anstieg des Personenpotenzials Landkreis Bautzen entwickelte sich zum REICHSBÜRGER-Hotspot; die Szene konzentriert sich weiterhin vorrangig im ländlichen Raum Anteil der Rechtsextremisten niedrig weiterhin erhöhtes Gefährdungspotenzial durch einzelne, verschwörungstheoretisch geprägte REICHSBÜRGER hohe Waffenaffinität dieser heterogenen Szene Seite 15 von 242 3. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Neue erwiesene extremistische Beobachtungsobjekte des LfV Sachsen: VOLKSSTIMME BÜRGERBÜNDNIS ZWICKAU ORGANISATIONSTEAM DER MONTAGSDEMONSTRATIONEN IN GÖRLITZ insgesamt niedriges dreistelliges Personenpotenzial im Freistaat Sachsen fortdauernde Instrumentalisierung des Protestgeschehens: Massive Verächtlichmachung des Staates und seiner politischen Entscheidungsträger in der Realwelt sowie in den sozialen Medien Zunehmende inhaltliche Verfestigung und Radikalisierung durch die Erschließung neuer Themen und die Bezugnahme auf Verschwörungsnarrative Deckblatt ... Rechtsextremismus "Vermischung" und Netzwerkbildung der rechtsextremistischen Szene sowie von REICHSBÜRGERN mit bekannten "Delegitimierern" 4. Linksextremismus Neue erwiesene extremistische Beobachtungsobjekte des LfV Sachsen: ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN ROTES DRESDEN erneut leichter Anstieg des Personenpotenzials Leipzig bleibt eine bundesweite Schwerpunktregion der AUTONOMEN SZENE und ein Brennpunkt linksextremistischer Gewalt "Tag X" als dominierendes Thema: Solidaritätsstrukturen, Aktionen, Demonstrationen und Straftaten im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte "Budapest-Komplex" als eindeutiger Beleg für klandestines, professionelles Vorgehen der AUTONOMEN SZENE Linksextremisten instrumentalisierten Themen der Klimaschutzbewegung für ihre eigene verfassungsfeindliche Agenda Seite 16 von 242 5. Islamismus Personenpotenzial bleibt im Bundesvergleich weiterhin auf niedrigem Niveau bewusster Missbrauch der Religion für verfassungsfeindliche Zielsetzungen Schwerpunkte salafistischer Strukturen in Leipzig; Neubau eines Moscheegebäudes der ALRAHMAN-MOSCHEE Legalistischer Islamismus mit "Wolf im Schafspelz"-Strategie konzentriert sich auf Dresden Antiisraelische, antisemitische und den Angriff der HAMAS auf Israel relativierende Reaktionen abstrakte Gefahr von Terroranschlägen 6. Auslandsbezogener Extremismus in Sachsen vorrangig Bestrebungen aus dem Bereich der kurdischen PKK feststellbar Personenpotenzial bei konstant ca. 160 Personen hohes Mobilisierungspotenzial auch im linksextremistischen Spektrum für Demonstrationen und Kundgebungen strukturelle Vernetzung mit Linksextremisten insbesondere in Leipzig und Dresden Aktivitäten der PKK maßgeblich vom Schicksal des inhaftierten PKK-Führers ÖCALAN und den Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet bestimmt Anstieg der Straftaten resultierend aus dem pro-palästinensischen Protestund Demonstrationsgeschehen sowie starker Anstieg der antisemitischen Straftaten vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges Seite 17 von 242 1. Rechtsextremismus Neue erwiesene extremistische Beobachtungsobjekte des LfV Sachsen: ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND - LANDESVERBAND SACHSEN JUNGE ALTERNATIVE - LANDESVERBAND SACHSEN EIN PROZENT E. V. Personenpotenzial stieg weiter an Rechtsextremisten nutzten erneut Themen mit gesellschaftlichem "Empörungspotenzial" für ihre Zwecke und sickerten mit ihrem verfassungsfeindlichen Gedankengut weiter in die bürgerliche Mitte ein Zunahme der Vernetzungsbestrebungen, insbesondere bei der sog. "Neuen Rechten" hohe Reaktionsund Mobilisierungsgeschwindigkeit über die sozialen Medien Wichtigstes Objekt für rechtsextremistische Konzerte stand nicht mehr zur Verfügung: weniger rechtsextremistische Konzerte, stattdessen mehr Liederabende Seite 18 von 242 1.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Rechtsextremisten bekämpfen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel, diese zu beseitigen. Auch wenn es innerhalb des Rechtsextremismus verschiedene ideologische Strömungen und Erscheinungsformen gibt, die nicht selten sogar zueinander in Widerspruch stehen, stimmen sie in folgenden Positionen grundsätzlich überein: # Rassisch definierte "Volksgemeinschaft" bzw. homogene "Kultur" als ein dem Einzelnen übergeordnetes Kollektiv Rechtsextremisten streben einen Staat an, der entweder organisatorischer Ausdruck einer ethnisch-rassisch homogenen "Volksgemeinschaft" ist oder als Wahrer und Verteidiger einer ebenso homogen gedachten "Kultur" innerhalb des Staatsgebietes fungiert. Auf dieser Grundlage wird ein vermeintlich einheitlicher "Volkswille" angenommen, der von staatlichen "Führern" verkörpert und in reale Politik umgesetzt werden soll ("Völkischer Kollektivismus"). In einem solchen Staat würden wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie die Menschenrechte und das Rechtsstaatsprinzip, und damit letztlich auch eine funktionierende demokratische Ordnung fehlen. # Rassismus / Fremdenfeindlichkeit Rassisten sind davon überzeugt, dass Menschen in biologisch definierte "Rassen" mit genetisch bedingten Merkmalen eingeteilt werden können, nach denen sie sich voneinander unterscheiden und hierarchisch in "höhere" und "minderwertige Rassen" einteilen lassen. Diese Merkmale können beispielsweise Herkunft, Ethnie oder Nationalität sein. So werten Rechtsextremisten u. a. die "weiße" bzw. "arische" Rasse auf und alle anderen "Rassen" dementsprechend als minderwertig ab. Auf diese Argumentationslinie bezog sich auch der historische Nationalsozialismus, auf den sich rechtsextremistische Gruppierungen wiederum bis heute berufen. Demnach solle das deutsche Volk vor der Integration "rassisch minderwertiger Ausländer" (davon umfasst sind auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund) und vor einer "Völkervermischung" bzw. einem "Völkeraustausch" bewahrt werden. Es werde befürchtet, dass das deutsche Volk infolge einer "Durchmischung mit fremdem Blut" untergehe. Diese Auffassungen sind mit der verfassungsrechtlich verbürgten Unantastbarkeit der Menschenwürde unvereinbar. Diese gilt bedingungsund voraussetzungslos für jeden Menschen. Rechtsextremisten machen dieses Recht indes von einer biologistischgenetisch definierten Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" abhängig. # Ethnopluralismus Bei dem Begriff Ethnopluralismus handelt es sich um ein Ideologieelement der extremistischen "Neuen Rechten", dem kein einheitlich definiertes Konzept zugrunde liegt. Ethnopluralismus ist ein ausgrenzender "Nationalismus", ein "Rassismus ohne Rassen". Er setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort "ethnos" (Volk) und dem lateinischen Wort "pluralis" (Mehrzahl) und propagiert damit eine "Völkervielfalt". Diese schlägt sich jedoch nach Lesart von Vertretern der "Neuen Rechten" in jeweils ethnisch weitestgehend homogenen Staaten nieder. Im Zentrum dieses Ideologieelementes steht somit die Forderung, dass keine "Durchmischung" der Bewohner verschiedener Kulturräume stattfinden darf, mit dem Ziel, ethnisch reine Gesellschaften zu schaffen und alles "Volksfremde" auszuweisen. Zuwanderung soll demnach vordergründig strikt nach ethnisch-kulturellen, aber im Ergebnis letztlich nach rassistisch-biologistischen Kriterien gesteuert werden. Mit dieser Staatsund Gesellschaftskonzeption werden Menschen vom Staatsvolk ausgeschlossen, die nicht dessen ethnischen Voraussetzungen entsprechen. Folgerichtig ergeben sich auch aus dem Ethnopluralismus traditionelle rechtsextremistische Seite 19 von 242 Forderungen wie "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus". Der Ethnopluralismus ist daher als Begründung für die Ungleichbehandlung Deutscher mit Migrationshintergrund ebenfalls nicht mit der Menschenwürdegarantie vereinbar. # Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit Antisemitismus ist ein Merkmal nahezu aller rechtsextremistischen Strömungen. Seine Erscheinungsformen können religiöser, kultureller sowie rassistischer Ausprägung sein. In der rechtsextremistischen Szene werden Verschwörungstheorien verbreitet, wonach z. B. Umwälzungen im internationalen Finanzsektor oder Einreisen von Migranten im Hintergrund von jüdischen "Strippenziehern" gelenkt würden. Obwohl diese Theorien jeder Faktengrundlage entbehren, tragen sie dazu bei, antisemitische Vorurteile zu schüren. Vielen Rechtsextremisten ist auch eine explizite Muslimfeindlichkeit eigen. Muslime werden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit per se als "gewalttätig" und "kriminell" diffamiert. Eine Daseinsberechtigung in Deutschland wird ihnen deswegen abgesprochen. # Revisionismus und Holocaustleugnung Unter rechtsextremistischem Geschichtsrevisionismus versteht man die Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Holocaust und andere NS-Verbrechen werden durch ihre Gleichsetzung mit Handlungen der Kriegsgegner Deutschlands relativiert. Die Leugnung des an den Juden begangenen Völkermordes erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung (SS 130 StGB). Von extremistisch motiviertem Gebietsrevisionismus spricht man, wenn Rechtsextremisten die deutschen Gebietsverluste als Folge der Weltkriege nicht anerkennen oder sogar - entgegen vertraglicher Verpflichtungen, die Deutschland nach den Weltkriegen eingegangen war - weitere Gebiete für Deutschland beanspruchen. Revisionistische Positionen bilden ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Bestrebungen. # Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus Rechtsextremisten nehmen gegenüber dem historischen Nationalsozialismus häufig verherrlichende Positionen ein. Die Handlungen der Nationalsozialisten werden positiv hervorgehoben und ihre Verbrechen verharmlost. NS-Funktionsträger, wie z. B. Hitlers damaliger Stellvertreter Rudolf Heß, werden als Vorbilder dargestellt, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hingegen diffamiert. Auch in Sprache, Symbolik und Programmatik lehnen sich Rechtsextremisten zum Teil eng an die Zeit von 1933 bis 1945 an. Neuere Strömungen im Rechtsextremismus wenden sich hingegen entschieden vom historischen Nationalsozialismus ab. Hier beruft man sich stattdessen auf die Vordenker des italienischen Faschismus und die Anhänger der "Konservativen Revolution" in der Weimarer Republik. Gleichzeitig relativiert man die NS-Zeit und negiert die Verantwortung, die sich hieraus auch für kommende Generationen in Deutschland ableitet. # Verächtlichmachung von Verantwortungsträgern und Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates (Amtsund Mandatsträger, Medien, Wissenschaft usw.) Unter Rechtsextremisten kommt es vielfach zu herabsetzenden Verunglimpfungen des demokratischen Verfassungsstaates und seiner Repräsentanten. Sie verfolgen dabei das Ziel, den staatlichen Institutionen und deren Repräsentanten ihre Legitimität abzusprechen und das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratischen Institutionen grundlegend zu erschüttern. Politiker werden dabei nicht selten als unfähige und korrupte Handlanger Seite 20 von 242 ausländischer, insbesondere US-amerikanischer bzw. jüdischer Interessen, diffamiert. Rechtsextremisten stellen sich selbst als alleinige Wahrer der Interessen des deutschen Volkes dar und diskreditieren den politischen Gegner als "Verräter". Im Rahmen ihrer wöchentlichen Proteste entmenschlichen Rechtsextremisten politische Entscheidungsträger, verspotten sie und rufen nicht selten zu (Gewalt-)Straftaten gegen sie auf. Mit Begriffen wie "Volksverräter" und "Lügenpresse" werden Amtsund Mandatsträger bzw. Journalisten pauschal herabgewürdigt und diffamiert. Diese Wortwahl entlehnen Rechtsextremisten bewusst den Begrifflichkeiten des Nationalsozialismus. Ebenso leugnen sie wissenschaftliche Fakten, die ihre Auffassungen nicht stützen. # Rechtsextremistischer Antiamerikanismus In der antiliberalen und antipluralistischen Weltsicht der Rechtsextremisten verkörpern die USA ein besonderes Feindbild. Die amerikanische Nation, die - einem "Schmelztiegel" ähnlich - viele Volksgruppen umfasst, steht für Rechtsextremisten in offenem Widerspruch zu ihrem Ideal einer homogenen, "rassisch" definierten "Volksgemeinschaft" bzw. einer homogen gedachten "Kultur". 1.2 Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Sachsen belief sich im Jahr 2023 auf insgesamt 5.750 Personen. Der deutliche Anstieg gegenüber dem Vorjahr resultiert im Wesentlichen aus der Einstufung der Partei ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) - LANDESVERBAND SACHSEN sowie ihrer Jugendorganisation JUNGE ALTERNATIVE (JA) als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen. Die Gesamtzahl ergibt sich rechnerisch unter Abzug von hier bekannten Doppelmitgliedschaften bei den anderen rechtsextremistischen Parteien. Die angegebenen Werte beruhen auf Schätzungen sowie Rundungen und berücksichtigen zudem das sog. Dunkelfeld. Dem LfV Sachsen liegen nicht zu allen in den folgenden Zahlenangaben erfassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Rechtsextremistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen 6.000 5.750 5.500 5.000 4.800 4.350 4.350 4.500 4.000 3.400 3.500 3.000 2.700 2.700 2.800 2.600 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Seite 21 von 242 Das rechtsextremistische Personenpotenzial wird bundesweit nach seinem jeweiligen Organisationsgrad erfasst. Dieses Kategoriensystem untergliedert sich dementsprechend in die Bereiche: 1. parteigebundener Rechtsextremismus, 2. parteiungebundene rechtsextremistische Strukturen und 3. unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Rechtsextremistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen nach Organisationsgrad gegliedert 3.000 2.840 2.500 2.050 2.000 2.000 1.500 1.370 2022 930 910 2023 1.000 500 0 Parteigebundener Parteiungebundene Unstrukturiertes Rechtsextremismus rechtsextr. Strukturen rechtsextr. Personenpotenzial Entwicklung der Gewaltorientierung Von den rund 5.750 Rechtsextremisten werden in Sachsen ca. 1.400 als gewaltorientiert eingestuft (2022: 1.500; 2021: 1.550). Zu den gewaltorientierten Rechtsextremisten zählen Personen, die Gewalt befürworten, die Anwendung von Gewalt unterstützen oder gewaltbereit bzw. als Gewalttäter in Erscheinung getreten sind. Im langfristigen Vergleich ist auch die Anzahl verübter Gewalttaten durch Rechtsextremisten rückläufig (2023: 69, 2022: 58; 2018: 138; 2016: 145; 2015: 201). Seite 22 von 242 Rechtsextremistische Parteiungebundene Unstrukturiertes Parteien6 rechtsextremistische rechtsextremistisches Strukturen8 Personenpotenzial9 2023: ca. 2.8407 2023: ca. 910 2023: ca. 2.000 2022: ca. 1.370 2022: ca. 930 2022: ca. 2.050 ALTERNATIVE FÜR NEONATIONALSOZIALISTEN DEUTSCHLAND (AFD) - 2023: ca. 570 LANDESVERBAND SACHSEN 2022: ca. 600 2023: ca. 1.300 JUNGE ALTERNATIVE (JA) SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN 2023: ca. 100 (in Strukturen) 2023: ca. 260 2022: ca. 260 DIE HEIMAT (vormals NPD) IDENTITÄRE BEWEGUNG - SACHSENGARDE 2023: ca. 180 2022: ca. 180 2023: ca. 50 2022: ca. 50 JUNGE NATIONALISTEN (JN) PEGIDA 2023: ca. 40 2023: ca. 20 2022: ca. 40 2022: ca. 20 DER DRITTE W EG EIN PROZENT 2023: ca. 140 2023: ca. 10 2022: ca. 140 FREIE SACHSEN 2023: ca. 1.200 2022: ca. 1.000 6 Die Parteien DIE RECHTE und NEUE STÄRKE PARTEI verfügen über keine Strukturen im Freistaat Sachsen 7 Aufgrund einer gestiegenen Anzahl an Doppelmitgliedschaften, insbesondere in Bezug auf die Parteien DIE HEIMAT und FREIE SACHSEN, entspricht die Gesamtzahl nicht der Summe der jeweiligen Einzelwerte. 8 Mehrfachmitgliedschaften sind möglich 9 Dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation zugerechnet werden können, wie beispielsweise rechtsextremistische Strafund Gewalttäter. Seite 23 von 242 1.3 Parteigebundener Rechtsextremismus 1.3.1 DER DRITTE WEG (III. WEG) Sitz Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Gründung 28. September 2013 Vorsitz Matthias FISCHER Teil- / Nebenorganisationen In Sachsen: LANDESVERBAND SACHSEN, STÜTZPUNKTE VOGTLAND, WESTSACHSEN, MITTELLAND, MITTELSACHSEN; NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND VOGTLAND, W ESTSACHSEN und MITTELLAND (NRJ) Publikationen Neuerscheinung "Nouvi Arditi - Handbuch der revolutionären Jugend" "Nationalismus. Eine ganzheitliche Betrachtung" "Fackeln in deutscher Nacht" "National, Revolutionär, Sozialistisch", (2. Auflage 2023) "Der Nationalrevolutionär" "Rebellische Herzen" "Wie weiter?" "Theorie & Aktion" #1 und #2 "Fußball & Nationalismus" Internetauftritte Homepage der Partei und Telegram-Kanäle Personenpotenzial / 2023 2022 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 140 ca. 140 bundesweit ca. 700 Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Materialvertrieb Stützpunkte verfügen über eine eigene "Handkasse". Genutzte Immobilien Parteiund Bürgerbüro, Plauen (sog. "Parteizentrale") Objekt der Partei, Zwickau Kurzportrait / Ziele neonationalsozialistische Grundausrichtung agiert ausländerfeindlich und revisionistisch Abschaffung der Demokratie zugunsten einer "kollektiven Volksgemeinschaft" gibt sich elitär Sport und gesunde Lebensführung stehen im Vordergrund ("Leibeserziehung") hat vor allem Jugendliche und junge Erwachsene im Fokus Relevante Ereignisse und Eine der bestimmenden Größen der parteigebundenen, Entwicklungen 2023 rechtsextremistischen Szene in Sachsen Kampagne "Die wahre Krise ist das System" Plauen, "Tag der offenen Tür" zum 1. Mai weiterer Aufbau der NATIONALREVOLUTIONÄREN JUGEND W ESTSACHSEN Ideologie Ideologisch orientiert sich die Partei am historischen Nationalsozialismus. Die Parteiprogramme der Partei DER DRITTE W EG und der NSDAP verbindet der biologistische Volksbegriff. Nach dem NSDAP-Programm konnte nur derjenige "Volksgenosse" sein, der "deutschen Blutes" war. Entsprechend fordert die Partei DER DRITTE W EG in ihrem Programm "die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" sowie die Seite 24 von 242 "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Eine solche ethnisch-homogene Volksgemeinschaft ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Die Partei nimmt in ihren Äußerungen immer wieder Bezug auf den Nationalsozialismus. In ihrer Veröffentlichung "Der Nationalrevolutionär - Handbuch für Aktivisten unserer Bewegung" (2019) werden die ideologischen Grundzüge dargelegt und Handlungsanweisungen zum Umgang mit der politischen Arbeit sowie zum Engagement der jeweiligen Parteimitglieder formuliert. Betont wird in diesem Zusammenhang auch das demokratiefeindliche Selbstverständnis der Partei. So heißt es: "Daher muss unsere nationalrevolutionäre Bewegung vom ersten bis zum letzten Tag stets eine Bewegung von radikalen, politischen Revolutionären sein. Wir erkämpfen unsere Revolution nicht mit dem Bürgertum, sondern auf den Trümmern der morschen Welt und Moralvorstellungen desselben."10 Weiter heißt es: "Unsere Bewegung will Deutschland nationalrevolutionär verändern." Ziel der Partei ist der "fortschrittlich sozialistische und völkische Staat". Man wolle eine "völkisch geprägte Gegenkultur" aufbauen. Dazu soll die Partei nach und nach wachsen, um dann, "wenn die Masse für einen Moment den Glauben an das System [Anm.: d. h. die demokratische Verfasstheit des derzeitigen Staates] verliert, gewappnet zu sein für die Übernahme dieser Menge". Sich selbst gesteht die Partei eine gewisse Gewaltbereitschaft zu: "Wir streben also einen gewaltlosen politisch kulturellen Wechsel an. Allerdings lehnen wir nicht das uns als Vorwurf entgegengebrachte Attribut 'gewaltbereit' ab. Jeder Mensch ist ab einem gewissen Grade 'gewaltbereit', spätestens wenn es um die Verteidigung seiner selbst oder seiner Familie in einer Notwehrsituation geht, muss man bereit sein, Gewalt aus Gründen des Selbstschutzes anzuwenden." Die Partei arbeitet auf den "Tag X" hin und will diesen nicht nur abwarten, sondern aktiv erkämpfen. In den Aussagen zum Selbstverständnis eines Parteimitgliedes finden sich folgende Aussagen: "Deshalb sind wir bewusst politische Soldaten" oder "Daher lautet das Gebot jedes Nationalrevolutionärs: Kämpfe!" Ihre geschichtsrevisionistische Orientierung belegt die Partei u. a. mit Gedenkveranstaltungen für die deutschen Bombenopfer, welche sie zur Verharmlosung der nationalsozialistischen Angriffskriege und Verbrechen instrumentalisiert. Strategie Die Partei versteht sich als "nationale Bewegung" mit "ganzheitlicher Organisation". Sie verfolgt die drei Tätigkeitsfelder "Politischer Kampf", "Kultureller Kampf" sowie "Gemeinschaft". Zum "politischen Kampf" gehören u. a. der Aufbau von Strukturen, die Durchführung von Demonstrationen und Kundgebungen, die Verteilung von Flyern und Informationsmaterial auch zu aktuellen Themen sowie der "Antritt als wahlpolitische Initiative". Um die formalen Voraussetzungen für eine Teilnahme an Landtagsund Bundestagswahlen zu erfüllen, gründete die Partei im Jahr 2020 einen Landesverband Sachsen. Der "kulturelle Kampf" bezieht sich auf die Brauchtumspflege. Der "Kampf um die Gemeinschaft" beinhaltet die Aspekte "gelebte Gemeinschaft", "Nachbarschaftshilfe", "gemeinsame Freizeitgestaltung" und "sportliche Zusammenkünfte". Gleichzeitig ist die Partei bestrebt, durch attraktiv erscheinende Angebote vor allem auf sozialem Gebiet auch Menschen außerhalb der rechtsextremistischen Szene zu erreichen und so in die gesellschaftliche Mitte hineinzuwirken: "Wir kommen unmittelbar an den Bürger heran und können unsere Botschaften direkt und ungefiltert transportieren. Wir machen auf uns aufmerksam (...) und nach innen verstärken wir 10 Schreibweise wie im Original Seite 25 von 242 das Gefühl der Stärke und Geschlossenheit", ist dementsprechend im Handbuch der Partei zu lesen. Demselben Ziel dient auch die Instrumentalisierung des Themas "Umweltschutz". So sieht die Partei in einer umweltfreundlichen Politik eine Notwendigkeit zur Erhaltung der "Substanz" des Volkes. Wesentlicher Teil der Strategie der Partei DER DRITTE W EG ist der Erwerb und der Ausbau von Immobilien. Mit dem Parteiund Bürgerbüro - dem bundesweiten "Vorzeigeobjekt" - auf der Pausaer Str. 130 in Plauen wurde dieses Ziel umgesetzt. Seit der Eröffnung am 1. Mai 2019 fanden dort interne und öffentliche Veranstaltungen der Partei statt. Weitere Büros wurden inzwischen in Ohrdruf (Thüringen), Hilchenbach (Nordrhein-Westfalen) und Schweinfurt (Bayern) etabliert. Die Partei baut damit ihre Aktionsmöglichkeiten auch überregional weiter aus. Struktur Die Bundespartei konnte ihre Strukturen ausbauen. Die vier Landesverbände Sachsen, Brandenburg, Bayern und West verfügen inzwischen über 24 Stützpunkte (22 im Vorjahr). Dem LANDESVERBAND SACHSEN gehören weiterhin die vier STÜTZPUNKTE VOGTLAND, WESTSACHSEN, MITTELLAND und MITTELSACHSEN an. Eigenen Angaben zufolge erstreckt sich der STÜTZPUNKT VOGTLAND auch auf Teile Bayerns und Thüringens. Der STÜTZPUNKT MITTELLAND umfasst die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland. Der STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN schließt das Gebiet Erzgebirge sowie die Städte Zwickau, Chemnitz und deren Umland ein. Der STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN umfasst im Wesentlichen die Städte Mittweida, Döbeln und Freiberg sowie deren Umland. Zudem bestehen innerhalb der Stützpunkte VOGTLAND, W ESTSACHSEN und MITTELLAND die jeweiligen Jugendgruppen der NATIONALREVOLUTIONÄREN JUGEND (NRJ). Die Zahl der Parteimitglieder hat sich im Freistaat Sachsen nicht verändert, bundesweit erhöhte sie sich hingegen geringfügig. Aktivitäten Öffentliche Aktivitäten des Bundesund/oder Landesverbandes Die Partei führte am 1. Mai keine eigene zentrale bundesweite Veranstaltung durch. Stattdessen veranstaltete der sächsische Landesverband einen sog. "Tag der offenen Tür" unter dem Motto "Die wahre Krise ist das System!" in Plauen. Im Berichtsjahr trat die Partei kaum öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Mitglieder führten lediglich eine eigene Spontanversammlung mit Aufzug unter dem Motto "Asylflut stoppen in Paunsdorf" am 22. Oktober in Leipzig mit 21 Teilnehmern durch - ein Beleg für die überaus schwache Mobilisierungskraft der Partei im Berichtsjahr. Darüber hinaus fanden weitere Aktivitäten statt, an denen sich sächsische Parteimitglieder beteiligten: Mitglieder der Partei beteiligten sich am 11. Februar an dem von Rechtsextremisten jährlich organisierten "Gedenkmarsch" in Dresden anlässlich der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 solidarisiert sich die Partei mit der Ukraine und unterstützt die dort kämpfenden Nationalisten. Im Zuge dessen produzierte und veröffentlichte die Partei DER DRITTE W EG die zehn Seite 26 von 242 rechtsextremistische Lieder beinhaltende CD "Europa in Waffen". Mit den Einnahmen sollen Familien "unseres edlen weißen Brudervolkes und seiner russischen Freiwilligen [...] im Dienste einer freien, nationalrevolutionären Ukraine" in der Ukraine unterstützt werden. Die Partei berichtete auf ihrem Telegram-Kanal über "mehrere Lieferungen mit gespendetem Material an die Ukraine". Diese Hilfslieferungen waren das Ergebnis der Erlöse aus den CD-Verkäufen. Das jährliche "Heldengedenken" zum Volkstrauertag ist für die Partei ein wichtiger Termin, der vor allem der Verbreitung ihres revisionistischen und kriegsverherrlichenden Verständnisses der deutschen Geschichte dient. So fanden am Volkstrauertag 2023 Aktionen der einzelnen Stützpunkte, wie Kranzniederlegungen und die Pflege von Gräbern, statt. Nicht öffentliche Veranstaltungen Die Partei richtet regelmäßig Mitgliederversammlungen sowie Schulungsveranstaltungen für Mitglieder und Führungspersonen aus. Diese dienten auch im Berichtsjahr der Festigung der "inneren Gemeinschaft" sowie der Vermittlung der verfassungsfeindlichen Ideologie. Weiterhin bot die schon seit 2018 bestehende Arbeitsgruppe "Körper & Geist" Selbstverteidigungskurse für Parteimitglieder, aber auch für "externe" Kinder, Jugendliche und Frauen an. Die Veranstaltungen fanden in der sog. "Parteizentrale" in Plauen statt. Die Partei bietet überdies mithilfe der parteizugehörigen Jugendgruppen der NATIONALREVOLUTIONÄREN JUGEND (NRJ) ein speziell auf Jugendliche abgestimmtes Programm an. Auf diese Weise sollen Jugendliche und junge Erwachsene früh und auf zunächst unterschwellige Art und Weise in die Parteiarbeit eingebunden und ideologisch indoktriniert werden. Die Spannweite der Veranstaltungen reicht dabei von Wanderungen, Ausflügen, Nachhilfeunterricht, Schulungsveranstaltungen und sportlichen Aktivitäten bis hin zum Nahkampfund Selbstverteidigungstraining. Die NRJ propagiert jungen Menschen die Bedeutung des Widerstandsbzw. Verteidigungskampfes und bietet entsprechende Trainingsmöglichkeiten u. a. in öffentlichen Parks sowie auf Sportplätzen an. Dabei werden den Teilnehmern verschiedene Nahkampfund Selbstverteidigungstechniken beigebracht, welche die grundsätzliche Gewaltbereitschaft insbesondere des Parteinachwuchses abbilden und verfestigen. Die Gewaltbereitschaft ist bei Personen mit regelmäßigem Training perspektivisch ausgeprägter als bei Personen, die diese Kampftechniken nicht erlernt haben bzw. nur in unregelmäßigen Abständen üben. Regionale Ausprägung STÜTZPUNKT VOGTLAND Der STÜTZPUNKT VOGTLAND, gegründet im April 2015, ist im sachsenweiten Vergleich weiterhin der aktivste und mitgliederstärkste Stützpunkt. Das LfV Sachsen geht von ca. 80 Mitgliedern aus (2022: ebenfalls ca. 80 Mitglieder). Mit dem Parteiund Bürgerbüro auf der Pausaer Str. 130 in Plauen wurde die sog. "Parteizentrale" im Mai 2019 installiert. Dort trafen sich seitdem regelmäßig Parteimitglieder und Sympathisanten zu Mitgliederversammlungen, sog. "Aktionstagen", Zeitzeugenvorträgen, Schulungswochenenden, Parteitagen sowie für gemeinsame Aktivitäten mit Jugendlichen, Kindern und Familien. Die Führungsperson der Partei, Tony GENTSCH, vertritt die Partei seit 2019 im Stadtrat in Plauen sowie im Kreistag. Seine Aufgabe sei es, so das Wahlprogramm der Partei, "(...) im regionalen Parlament Stimme und Ohr für unser Volk zu sein" mit dem Ziel "Erst unser Volk, dann all die Anderen". Seite 27 von 242 Im November 2021 wurde die NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND (NRJ) VOGTLAND gegründet. Deren Zielstellung wurde damals im Internet wie folgt umschrieben: "Wir sind bereit, jeden Bruder und jede Schwester unseres Blutes in die Gemeinschaft aufzunehmen, (...), unserer Jugend eine Perspektive zu schaffen (...)." STÜTZPUNKT WESTSACHSEN Der STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN, gegründet im März 2017, ist mit seinen ca. 20 aktiven Mitgliedern fast ausschließlich in Zwickau aktiv. Dieser Stützpunkt trat mehrfach mit Aktivitäten öffentlich in Erscheinung: bei Gedenkveranstaltungen, Flyer-Verteilaktionen und beim jährlich stattfindenden "Tag der Gemeinschaft mit Fußball und Politik". Am 17. Dezember 2022 wurde die NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND W ESTSACHSEN gegründet. Auf der Internetseite der Partei wurde dieser Schritt folgendermaßen begründet: Dies "ist zugleich auch Verpflichtung für die jungen Nationalrevolutionäre, ihrer Verantwortung gewissenhaft nachzukommen und auf dem vor ihnen liegenden Weg zu wachsen. Im Jahr 2023 wird es in Zwickau und Westsachsen heißen: Nationalrevolutionäre Jugend voran!" STÜTZPUNKT MITTELLAND Der im April 2015 gegründete STÜTZPUNKT MITTELLAND ist vor allem im Raum Leipzig und Umgebung aktiv. Im Mai fand eine Veranstaltung zur Mitgliederwerbung in Borna statt. Diese Veranstaltung war nicht öffentlich. Stattdessen konnten Mitglieder Interessenten mitbringen. Die Partei teilte im Nachgang auf Ihrer Internetseite mit, dass man über die Themen "Mitgliedschaft", "Organisationsstruktur" sowie "Sport und Bewegung" referiert habe. Die sog. sportlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit "Wehrhaftigkeit" wurden besonders herausgestellt. Neben den Mitgliederversammlungen standen interne Aktivitäten, wie Gemeinschaftstage oder sportliche Ertüchtigungen, im Vordergrund. Die im Juli 2021 gegründete Gruppe NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND (NRJ) MITTELLAND führte kleinere Aktivitäten, darunter sog. Sporteinheiten oder Flyer-Verteilaktionen, durch. STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN Im Dezember 2015 wurde der STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN gegründet. Es sind im Berichtsjahr dort erneut keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen bekannt geworden. Fazit Die Mitgliederzahlen der Partei stagnieren zwar, aber der Landesverband kann die Strukturen seiner bereits existierenden Stützpunkte trotz Mobilisierungsschwäche und weniger öffentlichkeitswirksamer Aktionen weiterhin aufrechthalten. Zur Gewinnung neuer Mitglieder - vor allem Jugendlicher - wird in der Parteizentrale und den STÜTZPUNKTEN WESTSACHSEN und MITTELLAND verstärkt ein auf Jugendliche zugeschnittenes Programm angeboten. Im September 2023 feierte DER DRITTE W EG sein zehnjähriges Jubiläum. Aber der Partei gelang es nicht, dieses mit öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen gebührend zu "zelebrieren". Immerhin wäre es eine passende Gelegenheit gewesen, um auf die Partei aufmerksam zu machen, für deren Agenda zu werben und neue Mitglieder zu gewinnen. Stattdessen richtete die Partei ihren Fokus auf interne Veranstaltungen bzw. Aktionen. Auffällig ist in diesem Zusammenhang das hohe Aktionspotenzial der NATIONALREVOLUTIONÄREN JUGEND (NRJ), das die Feststellung unterstreicht, wonach der Nachwuchsgewinnung eine hohe strategische Bedeutung beigemessen wird. Eine Zusammenarbeit des DRITTEN W EGES mit anderen Parteien des rechtsextremistischen Spektrums fand auch im Berichtsjahr nicht statt - abgesehen von einzelnen jungen Seite 28 von 242 Mitgliedern, die sich in Dresden mit eigenen Bannern und in Parteikleidung manchmal unter das Protestgeschehen der Partei FREIE SACHSEN mischten. Dies unterstreicht den elitären "Anstrich", den sich die Partei gibt und der sie von den anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen unterscheiden soll. Dies führt gleichzeitig zu einer geringen Anschlussfähigkeit in der gesellschaftlichen Mitte. Gerade in diesem Punkt haben andere rechtsextremistische Akteure, allen voran die FREIEN SACHSEN11, die Partei längst überholt. Für die Entwicklung der Bundespartei und des LANDESVERBANDES SACHSEN spielt das Vorhandensein der sog. "Parteizentrale" in Plauen weiterhin eine entscheidende Rolle. Seit der Eröffnung konzentriert sich das Veranstaltungsgeschehen insbesondere auf dieses Objekt. Es ist damit zu rechnen, dass dort auch zukünftig interne und öffentliche Veranstaltungen - u. a. mit bundesweiter Beteiligung von Parteimitgliedern - stattfinden werden. 1.3.2 DIE HEIMAT (vormals NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS) Gründung / Sitz: 1964 / Berlin Vorsitz Bund: Frank FRANZ Vorsitz Sachsen: Peter SCHREIBER Teil- / Nebenorganisationen: JUNGE NATIONALISTEN (JN) RING NATIONALER FRAUEN (RNF) KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG (KPV) LANDESVERBAND SACHSEN DIE HEIMAT-KREISVERBÄNDE BAUTZEN-GÖRLITZ-NIEDERSCHLESIEN CHEMNITZ-MITTELSACHSEN DRESDEN ERZGEBIRGE LEIPZIG STADT UND LAND MEIßEN NORDSACHSEN SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE ZWICKAU-VOGTLAND Publikationen / Internetauftritte: DEUTSCHE STIMME Homepage des Landesverbandes YouTube-Kanäle des Landesverbandes ("Blickpunkt Sachsen TV") und einzelner Kreisverbände Facebook-Seite des Landesverbandes; Facebook-Seiten der Kreisverbände Instagramund "X"-Accounts (vormals Twitter) des Landesverbandes und einzelner Kreisverbände Telegram-Kanal des Landesverbandes und einzelner Kreisverbände 11 vgl. Beitrag II.1.3.3 FREIE SACHSEN Seite 29 von 242 Personenpotenzial / Mitgliederentwicklung: 2023 2022 Sachsen ca. 180 ca. 180 bundesweit ca. 3.000 Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden genutzte Immobilien DIE HEIMAT-Landesgeschäftsstelle sowie JNBundesund Landesgeschäftsstelle, Riesa (Landkreis Meißen) Büroräume der JN, Döbeln (Landkreis Mittelsachsen) "Haus Montag", Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) Kurzportrait / Ziele DIE HEIMAT ist die älteste aktive rechtsextremistische Partei in Deutschland. Sie will den demokratischen Verfassungsstaat beseitigen und einen Nationalstaat errichten, in dem von ihr so verstandene ethnisch Nichtdeutsche von der politischen Willensbildung ausgeschlossen sind. Eine solche ethnisch definierte "Volksgemeinschaft" verletzt die Menschenwürde. Auch ihre rassistische, revisionistische, antisemitische und fremdenfeindliche Grundhaltung weist eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Bundesparteitag im Juni 2023 in Riesa mit 2023 Beschluss zur Umbenennung der Partei in DIE HEIMAT Umsetzung des "Erneuerungskonzeptes" der Bundespartei im Landesverband Sachsen; Vernetzungsbemühungen mit anderen extremistischen Gruppierungen "JN-Gemeinschaftstag" in Geringswalde OT Arras (Mittelsachsen) im März 2023 "Sommerfest" des DEUTSCHE STIMMEVerlages in Riesa im Juli 2023 Erntedankfest des DEUTSCHE STIMMEVerlages in Riesa im September 2023 Seite 30 von 242 Ideologie Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung über den Antrag eines Parteiverbots vom 17. Januar 2017 die Verfassungsfeindlichkeit der NPD/Partei DIE HEIMAT fest. Demnach verletzt der von der Partei vertretene Volksbegriff die Menschenwürde, indem er den sich hieraus ergebenden Achtungsanspruch der Person negiert und zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle führt, die nicht der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" in ihrem Sinne angehören. Das Politikkonzept der Partei ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Migranten, religiöse und sonstige Minderheiten) gerichtet. Auch missachtet die Partei das Demokratieprinzip. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat in ihrem Sinne ist für eine Beteiligung so verstandener ethnisch Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Die Partei tritt für die Abschaffung des bestehenden parlamentarischrepräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am ehemaligen Deutschen Reich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten orientierten Staat ein. Die Partei weist durch ihr Konzept der "Volksgemeinschaft", ihre antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Hinzu kommen ihr Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der Partei mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Strategie DIE HEIMAT befindet sich in einem bundesweit seit Jahren anhaltenden Abwärtstrend, der sich durch die schlechten Wahlergebnisse der vergangenen Jahre - zuletzt bei der Bundestagswahl 2021 - noch beschleunigt hat. Die innerparteilichen Probleme spiegeln sich wider in einer mangelnden Handlungsund Kampagnenfähigkeit sowie anhaltend rückläufigen personellen und finanziellen Ressourcen. Zudem steht der Partei eine verstärkte Konkurrenz, z. B. durch die Partei DER DRITTE W EG, gegenüber. Der innerparteiliche Unmut über den desolaten Zustand und die Perspektivlosigkeit der Partei hatte einen Diskussionsprozess über Zukunftsstrategien bei den Mitgliedern ausgelöst. Auf dem Bundesparteitag im Juni 2023 in Riesa wurde die bereits seit längerer Zeit geplante Umbenennung der Partei von NPD in DIE HEIMAT beschlossen. Zugleich bekannten sich die Delegierten zu ihrem ursprünglichen Parteiprogramm. Eine Abwendung von ihren Zielen und Grundsätzen ist demzufolge nicht vorgesehen. Die Neuausrichtung der Partei sieht stattdessen vor, unter neuem "Label" als "Anti-Parteien-Bewegung und patriotischer Dienstleister beim Aufbau dieses Netzwerks" aufzutreten. Offenkundig will sich die Partei damit noch stärker für andere, weitaus erfolgreichere rechtsextremistische Akteure öffnen und ihre Vernetzung mit eben diesen vorantreiben. Auf diese Weise hoffen die Parteimitglieder offenbar, den Anschluss nicht zu verlieren und ihrer Bedeutungslosigkeit entgegenwirken zu können. Zugleich wollen sie Einfluss auf nicht extremistische Gruppierungen und Initiativen ausüben, um ihren eigenen Wirkungsradius beispielsweise beim Thema Asyl und Migration zu erweitern. Der Landesverband Sachsen unterstützte das neue Konzept im Berichtsjahr und setzte es bereits um: Die Strukturen der HEIMAT firmieren unter dem neuen Namen, und Seite 31 von 242 Parteifunktionäre engagieren sich insbesondere unter dem Label der rechtsextremistischen Partei FREIE SACHSEN12 beispielsweise als Organisatoren von Protesten. Aktivitäten Sommerfest und Erntedankfest des DEUTSCHE STIMME-Verlages Durch die alljährlichen Feste auf dem Gelände des DEUTSCHE STIMME-Verlages in Riesa und die Teilnahme von Familien versucht die Partei, ein unverfängliches und in der Folge gesellschaftlich anschlussfähiges Bild von sich abzugeben. Nach außen hin soll das Bild eines unpolitischen Familienfestes vermittelt werden, jedoch verdeutlichen im Internet veröffentlichte Fotos durchaus den rechtsextremistischen Kern dieser Feste. So priesen u. a. Verkaufsstände (Informations-)Materialien der Partei DIE HEIMAT sowie von deren Jugendorganisation und rechtsextremistischen Bands an. Außerdem wurden die zunehmenden Vernetzungsbemühungen der Partei dadurch untermauert, dass Funktionäre der FREIEN SACHSEN Reden hielten. Aktivitäten von DIE HEIMAT-Akteuren bei den FREIEN SACHSEN Folgende Akteure haben sich im Berichtsjahr neben ihrer Funktion bei DIE HEIMAT zugleich für die FREIEN SACHSEN engagiert: Name Aktivitäten bei Aktivitäten bei den FREIEN DIE HEIMAT / JN SACHSEN Stefan HARTUNG DIE HEIMAT-Kreisvorsitzender im Stellvertretender Vorsitzender Erzgebirgskreis und Beisitzer im der FREIEN SACHSEN Landesvorstand der sächsischen DIE HEIMAT Max SCHREIBER DIE HEIMAT-Kreisvorsitzender im FREIE SACHSENLandkreis Sächsische SchweizKreisvorsitzender im Landkreis Osterzgebirge Sächsische SchweizOsterzgebirge und Anmelder von zahlreichen Versammlungen der FREIEN SACHSEN im Landkreis Sächsische SchweizOsterzgebirge und in Dresden Peter SCHREIBER Landesvorsitzender DIE HEIMAT Bürgermeisterkandidat der FREIEN SACHSEN 2022 in Strehla und Beisitzer im Vorstand der FREIEN SACHSEN seit September 2022 Stefan DIE HEIMATund JN-Funktionär Mehrfach Anmelder von TRAUTMANN Versammlungen der FREIEN SACHSEN Thomas Beisitzer im Landesvorstand der Beisitzer im FREIE SACHSENSATTELBERG sächsischen DIE HEIMAT KREISVERBAND SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE 12 vgl. Beitrag II.1.3.3 FREIE SACHSEN Seite 32 von 242 Protestveranstaltungen zum Themenfeld "Anti-Asyl" Funktionäre der HEIMAT griffen das Thema "Anti-Asyl" im Berichtsjahr mehrfach auf. So nahmen sie nicht nur an Protestveranstaltungen nicht extremistischer Bündnisse teil, sondern beteiligten sich auch an den Veranstaltungen der Partei FREIE SACHSEN. Anlässe für die Proteste waren meist die Ankündigungen von Kommunen bezüglich der Errichtung von Asylbewerberunterkünften. Sobald entsprechende Pläne bekannt wurden, organisierten rechtsextremistische Akteure umgehend entsprechende Proteste vor Ort. Damit stellten sie sich als "Kümmerer" dar, schürten Ängste und Wut in der Bevölkerung und nutzten diese Emotionen für die Verbreitung ihrer eigenen verfassungsfeindlichen Agenda. Jugendorganisation der Partei DIE HEIMAT: JUNGE NATIONALISTEN (JN) Die Jugendorganisation von DIE HEIMAT gliedert sich in den Bundesverband, in Landesverbände und in einigen Bundesländern überdies in regional und lokal agierende sogenannte Stützpunkte. Die Bundesgeschäftsstelle der JN befindet sich seit dem Jahr 2018 wieder in Riesa (Landkreis Meißen)13. Im Freistaat Sachsen werden den JN ca. 40 Personen zugerechnet (2022: ca. 40). Seit August 2021 existiert mit dem GEBIETSVERBAND MITTE eine zusätzliche länderübergreifende JN-Struktur. Diese umfasst die Länder Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg. Beim Landeskongress dieses Verbandes am 30. September in Riesa wurden die sächsischen JN-Funktionäre wieder in den Vorstand gewählt. Die JN sind bestrebt, eigene Akzente zu setzen sowie entsprechende Kampagnen und öffentlichkeitswirksame Aktionen für die Zielgruppe der Jugendlichen und Erstwähler zu initiieren. Darüber hinaus soll der "Nachwuchs" durch ideologisch geprägte Schulungen gefestigt werden. Die JN sehen sich gemäß ihres Selbstverständnisses eher im "vorpolitischen Raum". Neue Mitglieder rekrutieren die JN insbesondere durch vordergründig unpolitische Aktivitäten (z. B. Sportfeste, Fußballturniere, Wanderungen, Sonnenwendfeiern oder sog. "Leistungsmärsche"). Mit der Kampagne "Jugend packt an" führten die JN Spendenaktionen durch, mit denen sie sich unter dem Motto "Wir helfen, wo der Staat versagt" als "Kümmerer" vor Ort darstellen wollen. Mit ihrem sozialen Engagement wollen sie nicht extremistische Personenkreise erreichen. Auffällig ist auch hier die Unverfänglichkeit der Themen, mit denen Jugendliche angesprochen werden: Kinder, Familien, saubere Städte, Tiersowie Klimaschutz. Die JN setzten ihre Aktionen, Schulungen und Veranstaltungen im Berichtsjahr unter das Leitthema "Freiheitskämpfer damals wie heute - Freikorps, Bauernund Befreiungskriege". Außerdem führten sie im Januar eine Rechtsschulung im DEUTSCHE STIMME-Verlag zum Thema "Umgang mit der Polizei und Justiz" durch. Als Referent trat Michael BRÜCK von der Partei FREIE SACHSEN auf. Damit weisen die Gruppierungen nicht mehr nur personelle Überschneidungen auf, sondern gehen inzwischen auch verstärkt inhaltliche Kooperationen ein. Über den eigenen Onlineversand können Materialien der JN, wie Aufkleber, Banner, Broschüren und Plakate, bezogen werden. 13 Die Bundesgeschäftsstelle der JN war im Jahr 2014 zeitweise nach Lübtheen (MecklenburgVorpommern) verlegt worden. Seite 33 von 242 Regionale Ausprägungen Landeshauptstadt Dresden In Dresden beteiligten sich Mitglieder von DIE HEIMAT und JN an mehreren Gedenkveranstaltungen, wie z. B. anlässlich der Bombardierung der Landeshauptstadt im Zweiten Weltkrieg sowie zum Volkstrauertag. Die JN beteiligten sich mit einem sog. "heimattreuen Jugendblock" außerdem am 17. Juni an einer Demonstration in Dresden anlässlich des 70. Jahrestages des "Volksaufstandes in der DDR". Landkreis Mittelsachsen Im Landkreis Mittelsachsen führte der dortige JN-STÜTZPUNKT Flyer-Verteilaktionen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen durch, nahm mit Transparenten an Protestveranstaltungen teil und führte mehrere Banneraktionen durch, die jedoch teilweise lediglich durch die nachträgliche Veröffentlichung von Beiträgen im Internet bekannt wurden. Im März fand ein sog. "Gemeinschaftstag" der JN in Geringswalde OT Arras mit überregionaler Beteiligung statt. Als Referent trat u. a. der Bundesvorsitzende der JN, Sebastian WEIGLER, auf. Unter dem Motto "Bildung-Aktivismus-Gemeinschaft" versuchen die JN, mit entsprechenden Veranstaltungen Jugendliche und junge Erwachsene für sich zu gewinnen und ideologisch zu schulen. Im Rahmen ihrer Kampagne "Jugend packt an" beteiligten sich die JN im Oktober mit ihrer "Tauschbörse" aus Döbeln an einem dortigen sog. "Bürgerdialog" der Partei FREIE SACHSEN. Dabei wurden gesammelte Kleidung und Spielzeug kostenlos an die Besucher abgegeben. Landkreis Leipzig / Landkreis Nordsachsen Im Landkreis Leipzig und im Landkreis Nordsachsen fiel der dortige JN-STÜTZPUNKT mit mehreren Banneraktionen auf. Themen waren u. a. der "politische Gegner" ("Rotfront zerschlagen" oder "Tag X - Lina lebenslang") bzw. das Thema "Anti-Asyl" ("Jedem Volk sein Land, nicht jedem Volk ein Stück Deutschland" und "Migration tötet"). Landkreis Meißen Der DIE HEIMAT-KREISVERBAND MEISSEN hat - wie auch der Landesverband Sachsen der HEIMAT - seinen Sitz auf dem Gelände des DEUTSCHE STIMME-Verlages in Riesa. Der Kreisverband unterhält unter dem Motto "Deutsche helfen Deutschen" dort einen sog. "Sozialladen". Dort werden Sachund Geldspenden im Rahmen der Kampagne "Jugend packt an" gesammelt. In Meißen fanden im November außerdem Protestveranstaltungen gegen die angekündigte Unterbringung von Asylbewerbern in einem Altenpflegeheim statt. Die Kundgebungen wurden von Peter SCHREIBER, dem Landesvorsitzenden der Partei DIE HEIMAT und gleichzeitigem Vorstandsmitglied der Partei FREIE SACHSEN, in seiner Funktion als Kreisrat unter dem Motto "Den großen Austausch stoppen! Keine Flüchtlinge ins Altenheim!" angemeldet. Bei diesen Protesten zeigten sich die Vernetzungsbestrebungen der Partei DIE HEIMAT zur Partei FREIE SACHSEN. Über die Social-Media-Kanäle beider Parteien wurde für die Proteste geworben und mobilisiert. Fazit Mittels einer strategischen Neuausrichtung soll der Niedergang der Partei gestoppt und wieder mehr Bürgernähe erreicht werden. Der sächsische Landesverband unterstützt die Reformbemühungen des Bundesverbandes. Dieses Konzept war und ist momentan insofern erfolgreich, als DIE HEIMAT-Akteure unter dem "Label" der Partei FREIE SACHSEN nahezu Seite 34 von 242 deckungsgleiche Positionen insbesondere zu den Themen "Anti-Asyl" und "Anti-Migration" bei zeitgleicher Steigerung ihrer Reichweite vertreten können. Der Fokus wird dabei auf die Kommunalwahlen 2024 gelegt. Ob sich mithilfe des strategischen Erneuerungskonzepts und der Umbenennung der Niedergang der Partei perspektivisch aufhalten lässt, ist fraglich und bislang auch nicht absehbar. Klar ist jedoch: Die Partei DIE HEIMAT wird im Alleingang bis auf Weiteres keine relevante Rolle im Freistaat Sachsen spielen und sich im Rahmen ihres politischen Überlebenskampfes deshalb auch künftig mit erfolgreicheren rechtsextremistischen Akteuren, wie beispielsweise den FREIEN SACHSEN, vernetzen müssen. 1.3.3 FREIE SACHSEN Gründung / Sitz: 26. Februar 2021 / Chemnitz, Brauhausstraße 6 Vorsitz: Martin KOHLMANN (Vorsitzender) Stefan HARTUNG (stv. Vorsitzender) Andreas HOFMANN (stv. Vorsitzender) Teil- / Nebenorganisationen: Ratsfraktion PRO CHEMNITZ/FREIE SACHSEN (Stadtratsfraktion Chemnitz)14 KREISVERBAND CHEMNITZ KREISVERBAND ERZGEBIRGE KREISVERBAND SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE mit zwei regionalen Ortsverbänden KREISVERBAND MITTELSACHSEN JUGENDORGANISATION FREIE SÄCHSISCHE JUGEND Publikationen / Internetauftritte: Flugblätter/Infoblätter Publikation "Aufgewacht - Das Politikmagazin für Sachsen" (erscheint zweimonatlich) E-Mail-Rundbrief, Internetseite, Facebook-Seite, ein Telegram-Hauptkanal mit über 146.000 Followern und folgende regionale "Telegram-Ableger": PRO CHEMNITZ/ FREIE SACHSEN FREIE SACHSEN ZWICKAU FREIE SACHSEN DRESDEN FREIE SACHSEN ERZGEBIRGE FREIE SACHSEN MEISSEN FREIE SACHSEN LEIPZIG FREIE SACHSEN LEIPZIGER LAND FREIE SACHSEN MITTELSACHSEN FREIE SACHSEN NORDSACHSEN FREIE SACHSEN OBERLAUSITZ FREIE SACHSEN SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE FREIE SACHSEN VOGTLAND FREIE SACHSEN FREITAL FREIE JUGEND - SACHSEN FREIE SÄCHSISCHE JUGENDINFOKANAL Personenpotenzial / 2023 2022 Mitgliederentwicklung ca. 1.200 ca. 1.000 (Eigenangaben) (Eigenangaben) Finanzierung u. a. Spenden, Mitgliedsbeiträge, Einnahmen aus eigenem Versandshop genutzte Immobilien Bürgerbüro "Sachsentreff zum Kronprinz", Aue-Bad Schlema (Erzgebirgskreis) 14 Die Ratsfraktion benannte sich im Jahr 2021 in PRO CHEMNITZ/FREIE SACHSEN um. Dieser vorausgegangen war die BÜRGERBEWEGUNG PRO CHEMNITZ, die sich bereits im Jahr 2009 gegründet hatte und 2018 vom LfV Sachsen als rechtsextremistisch eingestuft worden war. Seite 35 von 242 Bürgerbüro, Chemnitz "Haus Montag", Pirna (Landkreis Sächsische SchweizOsterzgebirge) Kurzportrait / Ziele Die FREIEN SACHSEN sind eine als Partei organisierte Gruppierung von NEONATIONALSOZIALISTEN, DIE HEIMATFunktionären und weiteren Szeneangehörigen oder -sympathisanten, die sich unter der Ägide von Martin KOHLMANN, Robert ANDRES (beide ehemals PRO CHEMNITZ) sowie Stefan HARTUNG (DIE HEIMAT) gegründet hat. Die Partei wurde vom Bundeswahlleiter formell in das Verzeichnis der Parteien und politischen Vereinigungen aufgenommen. Die FREIEN SACHSEN verstehen sich als Sammlungsbewegung, unter deren Dach verschiedene extremistische und nicht extremistische Akteure zusammenwirken sollen. Die Gruppierung richtet eigene Veranstaltungen aus. Über ihre Wirkkraft in den sozialen Medien wirbt sie aber auch für die Teilnahme an Protestveranstaltungen anderer Akteure und fungiert über ihre Telegram-Plattformen als "Mobilisierungsmaschine" und "Dienstleister" (neben Werbung für Veranstaltungen auch Veröffentlichung von Bildern und Videos zum Protestgeschehen). Relevante Ereignisse Zahlreiche Veranstaltungen im Zusammenhang mit und Entwicklungen 2023 dem Protestgeschehen im Freistaat Sachsen Eröffnung des Bürgerbüros "Sachsentreff zum Kronprinz" in Aue-Bad Schlema Stammtische Wahl eines neuen Landesvorstandes Vorbereitungen für den Antritt zu den Kommunalund Landtagswahlen 2024 "Grenzschutzaktionen" im Rahmen der Kampagne "Heimatschutz" Verächtlichmachung und Bedrohung von Amtsund Mandatsträgern Ideologie Die verfassungsfeindlichen Aktivitäten der Partei FREIE SACHSEN richten sich gegen den Bestand des Bundes. Nach ihrem Parteiprogramm strebt sie mehr Autonomie für den Freistaat Sachsen bzw. sogar den sog. "Säxit" an ("Mehr Autonomie und notfalls der Säxit"). Was dies für die FREIEN SACHSEN bedeutet, präzisierte das Vorstandsmitglied der Partei, Robert ANDRES, in einem Interview mit der Zeitschrift "N.S. Heute" wie folgt: "Das reicht von denjenigen, die im bestehenden Föderalismus lediglich mehr Kompetenzen nach unten verlagern wollen über diejenigen, die eine Autonomie (wie z. B. Südtirol in Italien) anstreben bis zu den Verfechtern eines kompletten Austritts aus der Bundesrepublik, sprich einem eigenen Staat. Anmerken möchte ich, dass wir unter Sachsen nicht den heutigen Freistaat Sachsen verstehen, sondern das traditionelle, dem Königreich Sachsen zugehörige Gebiet. Darunter zählen weite Teile Thüringens, der Osten Sachsen-Anhalts, der Süden Brandenburgs sowie einige heutige polnisch verwaltete Landstriche. (...) Allerdings wurden - nach unserem Verständnis - die Einheitsverträge nicht eingehalten, so dass es überhaupt keinen gültigen Beitritt Sachsens zur Bundesrepublik Deutschland gegeben hat. Wenn es keinen gültigen Beitritt gab, sollte unserem Austritt (oder der Annullierung der Mitgliedschaft in der Bundesrepublik Deutschlands) nichts im Wege stehen." ANDRES beendete dieses Interview mit den Worten "Glück auf und ein donnerndes Heil Kohlmann!". Damit nahm er Bezug auf den Nationalsozialismus. Seite 36 von 242 Im Berichtsjahr machten die FREIEN SACHSEN Flüchtlinge verächtlich und bezeichneten sie pauschal als Kriminelle. Diese rechtsextremistische Agitation verstößt mithin gegen die grundgesetzlich verbriefte Garantie der Menschenwürde. Die nach ihrer Lesart vermeintliche Überflüssigkeit der Demokratie und die Vorzugswürdigkeit diktatorischer Staatsformen verdeutlichten die FREIEN SACHSEN in ihrem damaligen Informationsblatt über die Corona-Politik der Republik Belarus. Darin heißt es, dass es dort "ohne Lockdown ganz wunderbar geht" und "Wenn ein 'Diktator' seinem Volk die Freiheit bewahrt, während uns die 'Demokraten' einsperren - wozu brauchen wir dann solche 'Demokraten'?" Von dieser Aussage distanzierte sich die rechtsextremistische Partei bis heute nicht. Strategie Im Berichtsjahr verfolgten die FREIEN SACHSEN das Ziel, ihre bereits gegründeten regionalen Kreisverbände auszubauen sowie neue regionale Strukturen zu etablieren. So veranstaltete die Partei regionale Stammtische, um sich gezielt zu vernetzen und neue Interessenten aus dem extremistischen und nicht extremistischen Spektrum an sich zu binden. Die "realweltliche" Vernetzung ist wichtig, bedeutender ist aber die Vernetzung in den sozialen Medien, wo die Partei regelmäßig dazu aufruft, sich bei ihr einzubringen, "... um noch effektiver politisch zu wirken". Hierfür verfügt sie inzwischen über eine Reihe von "Kanälen" - sowohl für die Gesamtpartei als auch speziell für einzelne Regionen in Sachsen. Insbesondere über Telegram riefen die FREIEN SACHSEN im Berichtsjahr regelmäßig zur Teilnahme an den sachsenweit stattfindenden Protesten auf. Damit haben sie sich strategisch als effektive "Mobilisierungsmaschine" für extremistische und nicht extremistische Proteste fest etabliert. Dabei scheinen die Themen für die FREIEN SACHSEN in hohem Maße austauschbar zu sein. Waren es in der Vergangenheit Themen mit Bezug zur CoronaPandemie oder dem Ukraine-Krieg mit seinen befürchteten Folgen für die Bevölkerung hierzulande (u. a. steigende Energieund Lebenshaltungskosten, wirtschaftliche Folgen, soziale Abstiegsängste), rückte im Berichtsjahr die Flüchtlingsthematik eindeutig in den Fokus. Die FREIEN SACHSEN besetzen damit seit ihrer Gründung Themen mit gesellschaftlichem "Empörungspotenzial", um das vorhandene Protestmilieu zu aktivieren und möglichst ununterbrochen für realweltliche Proteste zu mobilisieren. Mit diesem Agieren offenbaren die FREIEN SACHSEN ihre wahre Strategie: Ihnen geht es nicht um eine Lösung für die konkreten Sorgen und Nöte der Menschen vor Ort, sondern einzig darum, diese für ihre eigene verfassungsfeindliche Agenda zu instrumentalisieren und mit dieser auf subtile Art und Weise in immer weitere Teile der gesellschaftlichen Mitte einzusickern. Mit dem Thema "Anti-Asyl" besetzen die FREIEN SACHSEN nunmehr ein rechtsextremistisches Kernthema. Aber auch hierbei geht es ihnen vor allem darum, möglichst viele Menschen über die Wirkkraft der sozialen Medien aufzustacheln und auf die Straße zu bringen, die Deutungshoheit über dieses rechtsextremistische Kernthema zu gewinnen bzw. nicht zu verlieren und das Protestgeschehen zu diesem Thema zu orchestrieren. Die FREIEN SACHSEN blieben damit auch im Berichtsjahr ihrer Strategie treu, indem sie in ihrer Agitation zum Thema "Asyl" betonen, dass ein vermeintlich übergriffiger, abgehobener Staat gegen die Interessen seines eigenen Volkes handle, gegen den Widerstand gerechtfertigt sei. Die FREIEN SACHSEN verbreiteten in diesem Zusammenhang deshalb immer wieder die Darstellung einer vom "normalen Volk" entfremdeten politischen Elite. Über die sozialen Medien hetzte die Partei gegen demokratisch legitimierte politische Entscheidungsträger und baute gegenüber ihrer Klientel das Zerrbild von gegenüber dem eigenen Volk feindselig gestimmten Politikern auf. Der sächsische Ministerpräsident stellt hierbei ein besonderes Feindbild dar. Mit dem auch im Berichtsjahr regelmäßig wiederholten Slogan "Kretschmer verhaften!" kriminalisierten sie ihn und suggerierten, dass er Verbrechen begangen habe, für Seite 37 von 242 die er zur Rechenschaft gezogen würde. Gegenüber dem Ministerpräsidenten selbst sollte der Slogan bedrohlich und einschüchternd wirken. Einblick in die Pläne der FREIEN SACHSEN nach einer ihrerseits angestrebten Machtübernahme gab Michael BRÜCK in einem Telegram-Beitrag vom 25. Juni: Aufgabe einer "patriotischen Verwaltungsführung" müsse sein, "Schritt für Schritt die Verwaltung zu säubern", bis in die untersten Ebenen. Es dürfe "bei dieser notwendigen Säuberung [...] keine falsche Nachsicht geben". (Ehemalige) politische Anhänger der "Täter-Parteien" sowie sonstige schuldige Personen müssten entfernt werden. Schuldig seien u. a. diejenigen, die "patriotische Bürger nach Belieben mit Schikanen" überzogen hätten. Durch kommunale Mitarbeit z. B. als Kommunalpolitiker könne man schon im Vorfeld herausfinden, welche Personen das seien. Dass es sich hier nicht nur um eine persönliche Einzelmeinung handelte, sondern um innerparteilichen Grundkonsens, belegte ein Telegram-Beitrag der FREIEN SACHSEN vom 27. Juni: "Der Kommentar von Michael Brück hat ins Schwarze getroffen, der hat gesessen!". Die FREIEN SACHSEN nehmen für sich in Anspruch, den "politischen Diskurs im eigenen Bundesland wie kaum eine andere Kraft zu bestimmen. Dies sei nur durch eine "organisationsübergreifende Zusammenarbeit möglich." So sagte Martin KOHLMANN bei der Landesvorstandswahl am 2. Dezember: "Wir laden jeden zur Zusammenarbeit ein, der auch nur in einem Punkt mit uns übereinstimmt." Ziel sei das "italienische Modell": Mithilfe "patriotischer Initiativen und Wählergruppen" wolle man Mehrheiten gegen "den etablierten Parteienblock" organisieren und die Grundlage dafür schaffen, dass der Freistaat Sachsen "von unten nach oben neu gestaltet" werden könne. Struktur Die FREIEN SACHSEN sind eine als Partei organisierte Gruppierung von NEONATIONALSOZIALISTEN, DIE HEIMAT -Funktionären und weiteren Szeneangehörigen oder -sympathisanten. Nach ihrer Auffassung sei es aber gerade nicht ihr Ziel, "eine weitere politische Organisation als Konkurrenz zu bereits Bestehenden zu sein, sondern allen bestehenden Gruppen und auch einzelnen Aktivisten ein gemeinsames Dach zu bieten, unter dem die Kräfte wirkungsvoll gebündelt und Aktivitäten (z. B. Demonstrationen, Netzund Öffentlichkeitsarbeit) koordiniert werden, ohne dass die Einzelnen sich einer fixen Doktrin unterwerfen müssen." Doppelmitgliedschaften sind für die Partei kein Problem: "Aber: Wer sich anmeldet, kann natürlich besser am langfristigen Strukturaufbau mitwirken, Und der ist gerade in solch bewegten Zeiten dringender denn je. Und: Durch Doppelmitgliedschaften spricht natürlich auch nichts dagegen, sich bei der Sammlungsbewegung anzumelden und noch parallel woanders aktiv zu sein. Im Gegenteil!" Auch wenn die FREIEN SACHSEN im Berichtsjahr keine weiteren Kreisverbände gründeten, festigten sie die bestehenden Strukturen. So wurden in zwei Kreisverbänden neue Vorstände gewählt. In Regionen, wo bislang keine Kreisverbände existieren, versuchte man mit Stammtischen, Interessenten für die Partei zu gewinnen. Es ist damit offensichtlich, dass Martin KOHLMANN unter dem neuen Label FREIE SACHSEN seine bis vor wenigen Jahren auf den Chemnitzer Raum begrenzten Aktivitäten inzwischen auf den gesamten Freistaat ausgedehnt hat. Der Partei kommt dabei zugute, dass sich insbesondere die rechtsextremistische Partei DIE HEIMAT15 in einem desolaten Zustand befindet. Einzelne - auch hochrangige - DIE HEIMAT-Mitglieder haben sich inzwischen unter dem Dach der FREIEN SACHSEN zusammengefunden und bringen ihr personelles und organisatorisches Wissen nunmehr in deren Parteiarbeit ein. 15 vgl. Beitrag II.1.3.2 DIE HEIMAT (vormals NPD) Seite 38 von 242 Aktivitäten Eröffnung eines Bürgerbüros in Aue-Bad Schlema Am 1. Mai eröffnete Stefan HARTUNG ein Bürgerbüro der FREIEN SACHSEN mit dem Namen "Sachsentreff zum Kronprinz" in Aue-Bad Schlema. Die Partei verfügt damit neben dem Bürgerbüro auf der Brauhausstraße 6 in Chemnitz nunmehr über ihr zweites Bürgerbüro im Freistaat. Dass es in Aue-Bad Schlema eröffnet wurde, ist nicht überraschend, da mit dem stellvertretenden Landesvorsitzenden Stefan HARTUNG ein aktives und einflussreiches Parteimitglied dort verortet ist. Die FREIEN SACHSEN nutzten das Objekt im Berichtsjahr u. a. für die Durchführung von Liederabenden und Vortragsveranstaltungen. So gab es am 28. Juli einen Vortrag zum Thema "SÄXIT". Die beiden Bürgerbüros dienen darüber hinaus auch als öffentliche Anlaufstelle für den persönlichen Austausch nach den montäglichen Protestveranstaltungen. Öffentliche Kundgebungen und Aktionen Im Berichtsjahr dominierte das Thema "Asyl" die Aktivitäten der Partei. Im Rahmen von wöchentlichen Protestveranstaltungen im gesamten Freistaat konnte sie damit anhaltend relativ hohe Teilnehmerzahlen mobilisieren. Hierbei kam es auch zu inhaltlichen Schnittmengen mit dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates"16. Lokaler Schwerpunkt ihrer öffentlichen Präsenz ist inzwischen die Landeshauptstadt Dresden. Aber auch andernorts traten sie regelmäßig mit Protestaktionen gegen die Errichtung neuer Asylbewerberunterkünfte in Erscheinung, sobald deren Planung öffentlich bekannt wurde. Dabei suchten sie für ihre Proteste stets gezielt die räumliche und zeitliche Nähe zu kommunalen Informationsveranstaltungen, um das Thema so aktuell und öffentlichkeitswirksam wie möglich für ihre eigenen verfassungsfeindlichen Zwecke instrumentalisieren zu können. Das bislang größte Teilnehmerfeld bei dieser Art der Proteste verzeichneten die FREIEN SACHSEN am 25. September in Berggießhübel (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) mit Polizeiangaben zufolge ca. 3.000 Teilnehmern. Der Rechtsextremist und Beisitzer im Landesvorstand der FREIEN SACHSEN, Max SCHREIBER, meldete die Kundgebung mit Aufzug für ursprünglich ca. 300 Teilnehmer für die Partei an. Der Protest richtete sich gegen die geplante Unterbringung von Asylbewerbern im Schloss Friedrichsthal. Im Nachgang der Veranstaltung veröffentlichten die FREIEN SACHSEN auf ihren Telegram-Kanälen dazu u. a.: "5.000 Bürger in Berggießhübel werden das Asylschloss verhindern: Der heiße Herbst hat in Sachsen begonnen!". Man habe "das geplante Asylheim erfolgreich verhindert", wofür der "Massenprotest" in Berggießhübel verantwortlich gewesen sei. Die FREIEN SACHSEN sprachen vom "Fanal von Berggießhübel". Diese hohe Teilnehmerzahl, mit der die Partei offenbar selbst nicht gerechnet hatte, machte ihre hohe Mobilisierungskraft insbesondere bei diesem Thema deutlich. Darüber hinaus war sie auch ein Beleg für ihre Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte. In einigen Regionen des Freistaates führte die Partei zum Thema "Anti-Asyl" darüber hinaus sog. "Brennpunktproteste" durch, die sich explizit gegen vermeintliche Probleme mit Migranten richteten. 16 vgl. Beitrag II.3 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Seite 39 von 242 "Grenzschutzaktionen" im Rahmen der Kampagne "Heimatschutz" Unter dem Stichwort "Heimatschutz" haben die FREIEN SACHSEN quasi die frühere "Schutzzonen"-Kampagne der Partei DIE HEIMAT übernommen. Statt der damals roten, werden nun grüne Westen getragen. Bei "Streifengängen" wurde dabei u. a. Abwehrspray verteilt. Die erste angemeldete und im Vorfeld öffentlich beworbene "Grenzschutzaktion" der FREIEN SACHSEN fand am 14. Oktober am Grenzübergang in Bad Schandau OT Schmilka (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) statt. In den sozialen Medien waren die Grenzblockaden folgendermaßen angekündigt worden: "Wir blockieren die Grenze - hier kommt kein Schlepper mehr durch." In Richtung der Regierung wolle man damit ein eindeutiges Signal senden: "Wenn ihr nicht handelt, schließen wir die Grenzen selbst!". Unterstützt wurde die Protestveranstaltung auch von Akteuren aus Thüringen, "Ostthüringer Patrioten" reisten mit einem Bus an. "Das kann nur der Anfang sein, mit solchen und ähnlichen Aktionen müssen wir den Druck erhöhen, damit endlich eine Wende in der Asylpolitik stattfindet." Die von den FREIEN SACHSEN so bezeichnete "Grenzschutzaktion" reihte sich damit in die Themenfelder "Anti-Asyl" und "Anti-Migration" ein, welche seitens der Partei im Berichtsjahr intensiv bespielt wurden. Die Aktionsform des "Dicht-Machens" eines Grenzübergangs war indes neu. Das "Team Schreiber" um Max SCHREIBER führte eigenen Angaben zufolge allerdings bereits am Abend des 15. September im tschechischen Grenzgebiet eine Grenzpatrouille "in Zusammenarbeit mit der tschechischen Polizei" durch. In diesem Zusammenhang wurde verkündet, dass der "sächsische Grenzschutz" längst aktiv sei und weiterhin unterstützend in den Nachbarländern agieren wolle. Als Ziel der nächsten "Unterstützungsreise" wurde Polen genannt. Laut einem weiteren Bericht sei das "Team Schreiber" zudem einem Hinweis auf einen "Absetzpunkt" von illegalen Migranten nachgegangen. An diesem Ort seien letztlich "Kleidung, Rucksäcke mit Medikamenten, Ausweisen und Simkarten" gefunden worden. Dem Bericht waren Fotos beigefügt, welche die Funde dokumentieren sollten. Letztlich forderte "Team Schreiber" dazu auf, sich dem "zivilen Grenzschutz" anzuschließen und "vor allem mit auf die Straße" zu gehen, da es Zeit sei "diesem Treiben ein Ende zu setzen". In der November-Ausgabe der DEUTSCHEN STIMME gab Max SCHREIBER unter der Überschrift "Massenunterkünfte können wir nur mit Massenprotesten verhindern!" ein Interview. Bezogen auf die "Grenzschutzaktivitäten" sagte er: "Wir organisieren gemeinsam mit der zivilen Grenzschutzgruppe in Tschechien und Polen auch großflächige Überwachungen von sogenannten 'Grünen Grenzen'. Dabei werden Trampelpfade oder Wälder mittels Stolperdraht und Wärmebildkameras überwacht: Wir installieren dafür die Technik im Wald." Bezogen auf seine "Heimatschutz-Aktionen", die unter anderem auch im Raum Dresden durchgeführt wurden, sagte er: "Außerdem sind wir mit der Initiative 'Heimatschutz' unterwegs in Wohngebieten, welche mittlerweile zu Ghettos verkommen sind, und erhöhen somit aktiv die Sicherheit für die Anwohner." In Mittelsachsen wurden solche Aktionen vom Rechtsextremisten Stefan TRAUTMANN und seinem Umfeld durchgeführt. Auch mit diesen Aktionen wollten die FREIEN SACHSEN staatlichen Institutionen eine vermeintliche Handlungsunfähigkeit beim Thema "Asyl" unterstellen und das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Institutionen untergraben. Sich selbst wollten die FREIEN SACHSEN hingegen als "Problemlöser" vor Ort präsentieren. Seite 40 von 242 Diffamierung und Bedrohung von Amtsund Mandatsträgern Insbesondere Max SCHREIBER arbeitet inzwischen gezielt mit Bedrohungsszenarien, die sich gegen politische Verantwortungsträger richten. So meldete er für die FREIEN SACHSEN für den 14. August in Sebnitz (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) eine Kundgebung an. Die Versammlung stand unter dem Motto "Brennpunkt Sebnitz - eine ganze Stadt schaut nicht mehr weg", richtete sich gegen die aktuelle Migrationspolitik und die damit einhergehende "Überfremdung". In den sozialen Medien veröffentlichte die Partei hierzu u. a.: "Die Überfremdung unserer Heimat schreitet weiter voran. Besonders in großen Wohngebieten fühlt man sich als Deutscher nicht mehr wohl. Es wird Zeit, auch in der Sächsischen Schweiz zu zeigen, dass wir dieser Asylpolitik entgegentreten!". Im Vorfeld der Versammlung forderte Max SCHREIBER den Oberbürgermeister der Stadt auf, vor den Versammlungsteilnehmern öffentlich zu erklären, warum er sich "bewusst für die Gegenveranstaltung entschieden" habe und sich damit "dort Seite an Seite mit den Menschen, die hier im Land eine Migration OHNE Obergrenze fordern", stelle. Diese Forderung untermauerte SCHREIBER mit einem auf dem Telegram-Kanal "Team Schreiber - klagt an" veröffentlichten und dann weiterverbreiteten Video, welches stilistisch Assoziationen an einen Horrorfilm wecken und bedrohlich wirken sollte. Inhaltlich wurde ein "Besuch" beim Oberbürgermeister in der Nacht angekündigt. Als Reaktion hierauf wurde die seitens der Stadt geplante, zivilgesellschaftliche Menschenkette abgesagt und das Friedensgebet in die Kirche verlegt. Die gleichen Videos wurden im Zusammenhang mit zwei weiteren Kundgebungen der FREIEN SACHSEN veröffentlicht: Eines richtete sich gegen den sächsischen Ministerpräsidenten in Bezug auf dessen Besuch am 23. August in Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) und das andere gegen den Gemeinderat der Gemeinde Hermsdorf (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) im Zusammenhang mit einer Gemeinderatssitzung am 19. September. Im Zusammenhang mit einer öffentlichen Stadtratssitzung im Rathaus von Zittau (Landkreis Görlitz) am 30. März meldeten die FREIEN SACHSEN eine Kundgebung unter dem Motto "Kein Asylheim in Hirschfelde" an, die vor der geplanten Stadtratssitzung auf dem Marktplatz stattfand. Neben Michael BRÜCK trat auch Robert ANDRES als Redner auf. Es nahmen ca. 350 Personen teil. Robert ANDRES rief während seines Redebeitrages dazu auf, sich zur öffentlichen Stadtratssitzung ins Rathaus zu begeben, um die Verantwortlichen zur geplanten Asylbewerberunterkunft in Hirschfelde zu befragen. Dieser Aufforderung kam eine Vielzahl von Personen nach, wodurch der Ratssaal und der Zugang zu diesem kurzzeitig überfüllt waren. Die "Gäste" wurden aufgefordert, das Rathaus zu verlassen, um die Fragen anschließend vor dem Rathaus in geordneter Weise vom Oberbürgermeister beantwortet zu bekommen. Dieser Aufforderung kamen die Protestierenden nach. Im Nachgang zur Veranstaltung stellten die FREIEN SACHSEN das Gespräch auf ihren Social-Media-Kanälen allerdings so dar, als seien die Bürger vom Zittauer Oberbürgermeister "verhöhnt" worden. Die FREIEN SACHSEN machten auch nicht Halt vor den Wohnorten von Politikern. So meldete Max SCHREIBER für die FREIEN SACHSEN eine Kundgebung unter dem Motto "Abriss statt Asylheim - Nein zum Heim - JA zur Heimat!" am 22. Oktober in Dresden an. Der Veranstaltungsort befand sich in unmittelbarer Nähre zum Wohnort des sächsischen Ministerpräsidenten. Während der Zwischenkundgebung wurden verschiedene Parolen skandiert, welche sich gegen den Ministerpräsidenten richteten, zum Beispiel "Kretschmer muss weg!" und "Kretschmer der Verbrecher!". Auf dem Telegramkanal "Team Schreiber - klagt an!" wurde Max SCHREIBER aus seiner Rede zitiert: "Politiker dürfen sich auch zuhause nicht mehr wohlfühlen, wenn sie über die Köpfe der Bürger hinweg entscheiden." Weiter hieß es dort: "Und das trifft auch für alle Propaganda-Organe und Gehilfen dieser Regierung zu, wenn sie nicht wahrheitsgemäß berichten!". Thematisierung des Ukraine-Krieges Den Ukraine-Krieg thematisierte die Partei zu Beginn des Berichtsjahres und versuchte, sich damit als "Friedenspartei" zu inszenieren. So wurde in den Abendstunden des 30. Januar im Seite 41 von 242 Dresdner Stadtgebiet ein Kraftfahrzeug festgestellt, welches über seine Lautsprecheranlage u. a. verkündete, dass es sich hierbei um die "Militärpolizei" handele und sich aufgrund der Teilmobilmachung Russlands alle wehrfähigen Männer und Frauen auf der August-BebelStraße 19 in Dresden melden sollen. Bei der genannten Adresse handelt es sich um das Kreiswehrersatzamt. In demselben Kontext reihte sich ein auf den Telegramseiten der FREIEN SACHSEN veröffentlichter "Einberufungsbescheid" ein. So hieß es darin: "Zahlreichen sächsischen Bürgern flattert in diesen Tagen ein Einberufungsbescheid des 'Wehrkreisersatzamtes' ins Haus - was auf den ersten Blick wie eine tatsächliche Generalmobilmachung wirkt, soll tatsächlich ein Alarmsignal darstellen, um den ein oder anderen schlafenden Mitbürger aufzuwecken. Und verhindern, dass die Kriegsmobilisierung weiter geht, damit nicht am Ende ein wirklicher Einberufungsbescheid ins Haus flattert..."17. Das Flugblatt endete wie folgt: "Sie wollen nicht gegen Russland kämpfen? Sie haben genug von der Kriegstreiberei der Regierung? Dann schweigen Sie nicht länger! Gehen Sie auf die Straße und unterstützen Sie den Protest gegen diesen Wahnsinn." Mit dieser Aktion und den "Einberufungsbescheiden" wollten die FREIEN SACHSEN Ängste in der Bevölkerung vor einem Kriegseintritt Deutschlands schüren und die Bundesregierung wegen ihrer militärischen Unterstützung der Ukraine diffamieren. Diese Aktion richtete sich nicht nur an die eigenen Mitglieder und Anhänger, sondern auch an die gesellschaftliche Mitte, die mit dieser öffentlichkeitswirksamen Aktion dazu bewegt werden sollte, die Unterstützung der Ukraine infrage zu stellen und sich den Protesten der FREIEN SACHSEN anzuschließen. Wahl eines neuen Vorstandes Am 2. Dezember wählten die FREIEN SACHSEN einen neuen Landesvorstand. Martin KOHLMANN wurde in seinem Amt als Parteivorsitzender bestätigt, ebenso die beiden Stellvertreter Stefan HARTUNG und Andreas HOFMANN. Neben der Neuwahl des Vorstandes wurden die Kommunalwahlen im Juni 2024 thematisiert. So sei ein Antritt der FREIEN SACHSEN in allen Landkreisen geplant. Finanzierung auch über einen eigenen Online-Shop Seit Ende Juni 2021 betreiben die FREIEN SACHSEN einen eigenen Online-Shop. Wurden anfänglich neben Bannern und Plakaten für Versammlungen auch Schals und Tassen angeboten, erweiterte sich das Angebot im Berichtsjahr. So wurde das Bekleidungssortiment breiter aufgestellt und eine Vielzahl an Kleinprodukten (wie Feuerzeuge, Zollstöcke, Kugelschreiber und Stoffbeutel) neu ins Sortiment aufgenommen. Neben Mitgliedsbeiträgen und Spenden dürfte dieser Online-Shop inzwischen als wichtige Einnahmequelle der FREIEN SACHSEN fungieren. Diese Produkte bieten die FREIEN SACHSEN im Übrigen auch an ihren Informationsständen am Rande von zahlreichen Veranstaltungen zum Kauf an. Darüber hinaus bitten die FREIEN SACHSEN auf ihren Telegramkanälen regelmäßig um finanzielle Unterstützung für die "Konstante der Bürgeropposition in Sachsen" und "einen stetigen Professionalisierungsprozess". Stammtischtreffen Im Berichtsjahr führten die FREIEN SACHSEN in verschiedenen Regionen Stammtischtreffen durch, u. a in den Landkreisen Mittelsachsen, Meißen, Görlitz, Sächsische SchweizOsterzgebirge, Zwickau sowie im Vogtlandkreis. Diese Stammtische dienen der regionalen Vernetzung und der Gewinnung neuer Anhänger aus dem extremistischen und nicht extremistischen Spektrum. So sollen dort "Einzelaktivisten oder andere Bürgerbewegungen" zusammengebracht werden. Bei der Durchführung dieser Treffen wurden die FREIEN SACHSEN teilweise auch von Anhängern und Funktionären der Partei DIE HEIMAT unterstützt. 17 Schreibweise wie im Original Seite 42 von 242 Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten Die FREIEN SACHSEN vernetzten sich im Berichtsjahr nicht nur mit der Partei DIE HEIMAT. So beteiligten sich an ihren Protestveranstaltungen, u. a. am 6. September in DresdenNiedersedlitz, auch Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG18. Sie liefen mit einem Transparent an der Spitze des Protestzuges hinter Max SCHREIBER, der sich nicht von diesem Personenkreis distanzierte. Dies macht deutlich, dass sich Rechtsextremisten unabhängig von ihrer ideologischen Grundausrichtung beim Thema "Anti-Asyl" einig sind, dieses Miteinander öffentlich zur Schau stellen und möglichst selbst vom erheblichen Mobilierungspotenzial der FREIEN SACHSEN profitieren wollen. Die FREIEN SACHSEN verbindet mit dem AFD-LANDESVERBAND SACHSEN19 eine ambivalente Beziehung. Einerseits ist ihr Verhältnis geprägt vom Konkurrenzkampf bei Wahlen sowie bei der Deutungshoheit über das hiesige Protestgeschehen und damit einhergend von gegenseitigen Vorwürfen bezüglich der Spaltung des sog. "patriotischen Lagers". Andererseits waren nach einer Phase der anfänglichen Distanzierung der AFD SACHSEN von den FREIEN SACHSEN im Berichtsjahr zunehmend Kooperationen feststellbar. Landesweit wurden Demonstrationen und Kundgebungen der beiden Parteien bzw. einzelner Vertreter festgestellt, so u. a. am 27. Januar in Kriebethal (Landkreis Mittelsachsen) und am 30. März in Zittau. Nach den im LfV Sachsen vorliegenden Erkenntnissen fand diese Zusammenarbeit bislang ausschließlich auf lokaler Ebene und nicht auf Landesebene statt. Aktivitäten der Jugendorganisation FREIE SÄCHSISCHE JUGEND Die im Jahr 2022 gegründete FREIE SÄCHSISCHE JUGEND war im Berichtszeitraum insbesondere im Raum Dresden und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aktiv. Aktuell werden ihr Mitglieder im niedrigen zweistelligen Bereich zugeordnet. Im Fokus ihrer Aktivitäten stand ebenfalls das Themengebiet "Migration und Asyl". So beteiligte sie sich u. a. am 15. März in Dresden an der Kundgebung "Nein zum Heim - Ja zur Heimat!" und dem Autokorso der FREIEN SACHSEN. Die FREIE SÄCHSISCHE JUGEND führte überdies im Mai eine Veranstaltungsreihe unter dem Motto "Gegen die Missstände unseres Landes!" in Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) durch. Bei der Auftaktveranstaltung am 5. Mai traten u. a. der Rechtsextremist Andreas KALBITZ und der extremistische Sänger Björn WINTER (alias "Björn Banane")20 als Redner vor 53 Teilnehmern auf. Aufgrund sinkender Teilnehmerzahlen wurde die Veranstaltungsreihe jedoch nach nur drei Terminen wieder eingestellt. Nach eigenen Angaben ist Max SCHREIBER "einer der aktiven Unterstützer" der Jugendorganisation. Fazit Die FREIEN SACHSEN zeichneten sich im Berichtsjahr erneut durch ein hohes Aktionsniveau aus. Sie führten eine Vielzahl von eigenen Veranstaltungen durch oder beteiligten sich an Protestveranstaltungen anderer Organisatoren. Die rechtsextremistische Partei versteht es nach wie vor, insbesondere über ihre zahlreichen Telegram-Kanäle zur Teilnahme an den sachsenweit stattfindenden Protesten aufzurufen. Damit hat sie sich als effektive "Mobilisierungsmaschine" für extremistische und nicht extremistische Proteste weiter etabliert. Dabei scheinen die Mobilisierungsthemen in hohem Maße austauschbar zu sein, um das vorhandene Protestmilieu dauerhaft zu "empören" und möglichst ununterbrochen für realweltliche Proteste zu mobilisieren. Der Partei ist es im Berichtsjahr gelungen, ihre Strukturen zu festigen. Immerhin verfolgt sie das Ziel, sich regional noch breiter aufzustellen und somit ihren Bekanntheitsgrad flächendeckend im Freistaat Sachsen zu erhöhen. Die Partei war bereits im Berichtsjahr bemüht, sich perspektivisch für die Kommunalund 18 vgl. Beitrag II.1.3.1 DER DRITTE W EG 19 vgl. Beitrag II.1.3.4 ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND - LANDESVERBAND SACHSEN 20 vgl. Beitrag II.3 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Seite 43 von 242 Landtagswahlen im Jahr 2024 in Stellung zu bringen. Sie will nach Möglichkeit sachsenweit antreten und wirbt auf ihren Telegram-Kanälen um Kandidaten u. a. mit der Aussicht, als Gemeinderat Informationen zu erhalten, die sonst der Öffentlichkeit verheimlicht würden. Außerdem forderte man potenzielle Kandidaten auf, sich als Gemeinderäte Fähigkeiten und Kenntnisse der öffentlichen Verwaltung anzueignen (Haushaltsplanaufstellung, Straßenbaumaßnahmen, usw.), damit bei einer nächsten "Wende" auf Personen mit solchen Kenntnissen zurückgegriffen werden könne. Im gleichen Atemzug bekräftigte Martin KOHLMANN im Berichtsjahr immer wieder, dass man damit nicht "Teil des Systems" werde, denn "wir sind da nicht drin als Freunde und um das Ganze zu unterstützen, sondern um uns da umzusehen, um vom Gegner zu lernen und um ihm das Leben schwerer zu machen." Äußerungen wie diese verdeutlichten auch im Berichtsjahr die verfassungsfeindliche Strategie, mit der die FREIEN SACHSEN neben den Straßen auch die kommunalen Entscheidungsgremien "erobern", mindestens jedoch unterwandern wollen. In den Kommunalwahlen 2024 sehen sie deshalb eine "große Chance für den Widerstand" und fordern zum "Sturm" auf das Rathaus auf. Damit wird deutlich, dass dieser rechtsextremistischen Partei das Protestgeschehen auf den Straßen des Freistaates längst nicht mehr genug ist und sie fest entschlossen sind, die Demokratie zunächst mithilfe von Sitzen in Stadträten von innen "auszuhöhlen", um dann ihre verfassungsfeindliche Agenda umsetzen zu können. Jedoch dürfte ihr das Potenzial für hierfür erforderliche Wahlerfolge fehlen - zu groß ist hier die Konkurrenz durch die AfD. 1.3.4 ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) - LANDESVERBAND SACHSEN Gründung / Sitz: 2013 / Dresden Vorsitz: Jörg URBAN (MdL) Teil- / Nebenorganisationen: - 13 Kreisverbände - Jugendorganisation JUNGE ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (LANDESVERBAND SACHSEN)21 Publikationen / Internetauftritte: - Verteilung gedruckter Broschüren an Haushalte - Veröffentlichung von Online-Informationsmaterial - Homepage sowie diverse Auftritte in den sozialen Medien (u. a. Facebook-, Telegramund Instagramkanäle des LANDESVERBANDES und der KREISVERBÄNDE, Kommunikation über "X" (vormals Twitter) Personenpotenzial / - 2023: ca. 1.30022 / ca. 2.800 Mitgliederentwicklung Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Parteienfinanzierung Kurzportrait / Ziele Der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN ist im Freistaat Sachsen seit der Landtagswahl 2019 die größte Oppositionspartei. Seine Protagonisten verfolgen im Hinblick auf die Zuwanderung beispielsweise in ihren Reden sowie in den sozialen Medien eine Politik des sog. Ethnopluralismus und vertreten in der Migrationsdebatte völkisch-nationalistische Positionen. Insoweit entsprechen sie einer Politik, wie sie von der sog. "Neuen Rechten", einer unstreitig rechtsextremistischen Strömung, verfolgt wird. In diesem Kontext verwendet die AfD ideologische Kampfbegriffe der rechtsextremistischen Szene wie "Der 21 vgl. Beitrag II.1.3.5 JUNGE ALTERNATIVE (JA) - LANDESVERBAND SACHSEN 22 siehe hierzu Erläuterung zum Personenpotenzial im Beitrag II.1.2 Personenpotenzial, S. 21 Seite 44 von 242 Große Austausch", "Umvolkung" oder "Remigration". Dabei spielen in der Agitation führender Parteivertreter auch antisemitische, verschwörungsideologische Positionen eine zentrale Rolle. Außerdem diffamieren führende Parteimitglieder staatliche Institutionen und politische Entscheidungsträger und machen diese durch ihre Äußerungen verächtlich. Darüber hinaus existieren enge strukturelle und strategische Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Akteuren. Der AFD-LANDESVERBAND strebt einen grundlegenden politischen Richtungswechsel an, den er auch selbst als "Systemwechsel" bezeichnet. Ferner setzt sich der Landesverband u. a. für die Stärkung der "traditionellen Familien" und die Kündigung des Rundfunkstaatsvertrages ein. Relevante Ereignisse - größte und relevanteste rechtsextremistische und Entwicklungen 2023 Partei im Freistaat Sachsen - Kampagne "Unser Land zuerst!" - Zusammenarbeit mit anderen, erwiesen extremistischen Bestrebungen - Landesparteitag 2023 - Einstufung durch das LfV Sachsen als gesichert rechtsextremistische Bestrebung am 8. Dezember 2023 Ideologie Der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN verfolgt im Hinblick auf die Zuwanderung eine Politik des sog. Ethnopluralismus23, einem Markenkern des politischen Rechtsextremismus. Danach würde sich der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausschließlich nach ethnischbiologischen bzw. kulturellen Kriterien richten. Ein solches Volksverständnis ist jedoch mit dem Grundgesetz unvereinbar. Mit dem Ethnopluralismus würde zwangsläufig die Herabsetzung, Ausgrenzung und Benachteiligung fremder Völker, also von Migranten und ethnischen Minderheiten, einhergehen. Sie würden als Menschen zweiter Klasse angesehen und pauschal verächtlich gemacht. Eine derart rassistische Ausprägung des Volksbegriffs, wie ihn die AFD SACHSEN öffentlich vertritt, hat seine Wurzeln bereits im historischen Nationalsozialismus. In der Migrationsdebatte vertritt die Partei typische völkisch-nationalistische Positionen. Flüchtlingen werden pauschal negative Charaktereigenschaften zugeschrieben, damit die deutsche Bevölkerung sie als Gefahr wahrnimmt. Der AFD-KREISVERBAND SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE bestätigte beispielsweise am 25. August in einem FacebookKommentar die Meinung eines Nutzers, wonach Ukrainer die Deutschen "ausnehmen" würden, und unterstellte Migranten aus Afrika und dem arabischen Raum Tötungsabsichten gegenüber Deutschen. Führende Vertreter der Landespartei verwenden in diesem Kontext im öffentlichen Diskurs regelmäßig ideologische Kampfbegriffe der rechtsextremistischen Szene, wie "Der Große Austausch", "Umvolkung" oder die Forderung nach "Remigration". Auch diese Begriffe verbergen ihren rassistischen Kern und ihre Urheberschaft im Nationalsozialismus. 23 vgl. Beitrag II.1.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Seite 45 von 242 Die Islamund Muslimfeindlichkeit des AFD-LANDESVERBANDES drückt sich insbesondere dadurch aus, dass männliche Migranten aus dem arabischen Raum mit einer drastischen, angsteinflößenden Wortwahl pauschal als "importierte Killer", "Messer-Migranten", "vergewaltigende, mordende und plündernde Invasoren" oder "Rapefugees" öffentlich diffamiert und diskriminiert werden. Damit schürt der AFD-LANDESVERBAND fortwährend Ängste und Ressentiments gegen Ausländer in der Bevölkerung. Die Religion des Islam wird von führenden Parteifunktionären pauschal als "unfriedlich" und "erobernd" beschrieben. Außerdem sind in diesem Kontext einzelne Aussagen und Forderungen feststellbar, die dem Rechtsstaatsprinzip entgegenstehen. So forderte ein Parteifunktionär im Berichtsjahr zum Beispiel eine Diskussion über die Wiedereinführung der Todesstrafe für "importierte Killer". Ferner bedienen sich führende Vertreter der Partei gängiger antisemitischer, zumeist verschwörungsideologischer Positionen, die regelmäßig von Rechtsextremisten und REICHSBÜRGERN verwendet werden. Antisemitismus wird von diesen zwar nicht direkt geäußert, wohl aber durch sogenannte Codes und Chiffren verschlüsselt, zum Beispiel über die "internationale Finanzelite". So sprach der Landesvorsitzende Jörg URBAN beispielsweise in seiner Sonntagskolumne in den sozialen Medien am 29. April in diesem Zusammenhang von den "tonangebenden Globalisten in Politik, Medien und Konzernen" und bediente damit das verschwörungstheoretische und antisemitische Narrativ einer vermeintlich mächtigen und im Hintergrund agierenden Gruppe, welche die Weltpolitik bestimme, den Nationalstaat abschaffen wolle und gleichzeitig Migration und Kriege fördere. Darüber hinaus agitiert der AFD-LANDESVERBAND gegen die politische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Dabei werden sowohl die staatlichen Institutionen als auch deren Repräsentanten immer wieder öffentlich diffamiert und verächtlich gemacht. Es geht dem AFD-LANDESVERBAND gerade nicht um eine sachliche Auseinandersetzung mit den politischen Verhältnissen, wozu auch Kritik gehören würde, sondern um die generelle Herabwürdigung der Demokratie. Hochrangige Vertreter der Landespartei bedienen in aller Öffentlichkeit Narrative wie "Diktatur", "Unrechtsregime", "postdemokratischer Totalitarismus", "Parteienkartell" sowie "Staatsund Propaganda-Medien". In der Gesamtschau geht es der AFD SACHSEN darum, mit diesem Vokabular das Vertrauen der Bevölkerung in die verfassungsmäßige Ordnung und Funktionsfähigkeit unserer Demokratie von Grund auf zu erschüttern sowie Proteste und Widerstand aus der gesellschaftlichen Mitte heraus zu forcieren. Strategie Der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN nutzte im Berichtsjahr das in der Bevölkerung vorhandene Protestpotenzial im Zusammenhang mit der Migrations-, Energieund Wirtschaftspolitik für die Mobilisierung eigener Anhänger sowie für die Verbreitung seiner verfassungsfeindlichen Agenda bis tief in die gesellschaftliche Mitte hinein. Indem AfD-Funktionäre den regierungstragenden Parteien permanentes Versagen in allen Themenbereichen vorwerfen und deren Zusammenarbeit als "Kartell" abwerten, überhöhen sie gleichzeitig die eigene Partei als einzig wählbare und deutschen Interessen allein dienende Alternative. In diesem Zusammenhang getätigte rechtsextremistische Äußerungen führender Funktionsund Mandatsträger u. a. bei Versammlungen und in den sozialen Medien werden innerparteilich zur Kenntnis genommen, ohne dass es seitens der Landespartei öffentlich zu einer Distanzierung oder zumindest kritischen Auseinandersetzung käme. Die Partei erscheint damit nach außen wie ein "monolithischer Block". Außerdem gibt es zahlreiche Belege für strukturelle und strategische Verbindungen des AFDLANDESVERBANDES zu anderen gesichert extremistischen Akteuren. Hierzu gehören - zumindest punktuell auf lokaler Ebene - die FREIEN SACHSEN, ferner die IDENTITÄRE BEWEGUNG, PEGIDA, das INSTITUT FÜR STAATSPOLITIK und die COMPACT-MAGAZIN GMBH. Seite 46 von 242 Deren Chefredakteur, der Rechtsextremist Jürgen ELSÄSSER, war im Jahr 2023 wiederholt Gastredner bei Veranstaltungen der sächsischen AfD. Immer wieder ist vereinzelt eine offene und formelle Kooperation mit den FREIEN SACHSEN und anderen erwiesenen extremistischen Bestrebungen festzustellen. Diese wird augenscheinlich vom AfD-Landesvorstand selbst vorangetrieben. Sinnbildlich dafür steht die im Gespräch mit dem Chefredakteur des COMPACT-MAGAZINS im März 2023 getätigte Aussage des Landesvorsitzenden URBAN, wonach die AfD alles unterstützen solle, was sich auf der Straße bewege. Dies kann bereits als Kooperationsangebot an die FREIEN SACHSEN verstanden werden, da diese zu diesem Zeitpunkt der "Dirigent" der Proteste im Freistaat Sachsen waren. Die Unvereinbarkeitsliste für eine AfD-Mitgliedschaft, welche u. a. eine zeitgleiche Mitgliedschaft bei den FREIEN SACHSEN ausschließt, kann vor diesem Hintergrund als "Feigenblatt" bezeichnet werden. Würde sich die AfD tatsächlich glaubwürdig, konsequent und nachhaltig von erwiesenen Rechtsextremisten distanzieren, würde sie ein strategisches aktionsbezogenes Zusammengehen mit den FREIEN SACHSEN bei Versammlungen unmissverständlich ebenso ausschließen wie eine Doppel-Mitgliedschaft in dieser Partei. Von ihrer Jugendorganisation, dem sächsischen LANDESVERBAND der JUNGEN ALTERNATIVE (JA), die das LfV Sachsen am 26. April 2023 als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung eingestuft hatte, hat sich die AFD SACHSEN seitdem ebenfalls nicht einmal ansatzweise distanziert. Dieses Vorgehen offenbart eine seitens des AFD-LANDESVERBANDES verfolgte Doppelstrategie: Einerseits gibt er sich nach außen hin mit seinem Parteiprogramm und der Unvereinbarkeitsliste eine gesellschaftlich anschlussfähige, "bürgerliche" Fassade. Andererseits sprechen seine Funktionäre aus der ersten und zweiten Reihe mit ihren bewusst gewählten verfassungsfeindlichen Äußerungen zugleich überzeugte Rechtsextremisten an. Sobald rechtsextremistische Argumentationsmuster führender AfD-Funktionäre beispielsweise von den Medien entlarvt werden, schaltet die Partei in eine strategische OpferRolle um. Aussagen werden umgehend relativiert oder der "Lügenpresse" wird vorgeworfen, Aussagen aus dem Kontext gerissen und falsch dargestellt zu haben. Nicht selten behaupten Parteifunktionäre, verfassungsfeindliche Aussagen seien in einem privaten Kontext getroffen worden und damit nicht der Partei zuzurechnen. Schlussendlich verfolgt der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN als selbsternannte "Fundamentalopposition" nur ein Ziel: möglichst hohe Stimmenanteile bei Wahlen zu generieren und seine verfassungsfeindliche Agenda im Wirkungsradius beispielsweise von Gemeinde-, Stadtund Kreisräten sowie des Sächsischen Landtages umsetzen zu können. Struktur Der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN untergliedert sich in 13 Kreisverbände, die mit den Landkreisen und kreisfreien Städten deckungsgleich sind. Er ist personell und strukturell gefestigt und dominiert durch die sog. solidarisch-patriotische Strömung. Dies zeigte sich unter anderem am stringenten Ablauf des Landesparteitages im März 2023. Der AFD-LANDESVERBAND mag zwar personell heterogen zusammengesetzt sein, inhaltlichprogrammatisch überwiegt jedoch das aus dem früheren "Flügel" hervorgegangene sog. solidarisch-patriotische Lager, dessen geistiger Vater und Anführer der Rechtsextremist Björn HÖCKE24 ist und das inzwischen den Charakter des gesamten Landesverbandes prägt und dominiert. 24 Björn HÖCKE ist der Vorsitzende des AfD-Landesverbandes Thüringen. Seite 47 von 242 Weiterhin ist eine zunehmende Professionalisierung des AFD-LANDESVERBANDES festzustellen. So nutzt er den der Partei nahestehenden und teilweise über öffentliche Gelder finanzierten "Kommunalpolitischen Bildungsverein Sachsen e. V." für die Weiterbildung seiner kommunalen Mandatsträger. Schließlich existieren in allen Landkreisen sowie kreisfreien Städten Fraktionen der AfD in den dortigen Kreistagen bzw. Stadträten mit zum Teil erheblichen politischen Einflussund Gestaltungsmöglichkeiten. Am 17. Dezember konnte darüber hinaus der parteilose, von der AfD aufgestellte Kandidat die Oberbürgermeisterwahl in Pirna (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) für sich entscheiden. Damit gewann in Deutschland erstmals ein AfD-Kandidat eine solche Wahl. Die sächsische AfD verfügt mit der JUNGEN ALTERNATIVE (JA) - LANDESVERBAND SACHSEN außerdem über eine als gesichert rechtsextremistisch bewertete Jugendorganisation, welche die "Mutterpartei" insbesondere in Wahlkämpfen, bei der Durchführung von Veranstaltungen und der Werbung junger Mitglieder unterstützt. Außerdem fungiert die JA mit ihren Veranstaltungen und Auftritten in den sozialen Medien als zentrales Bindeglied zwischen der AfD und der jüngeren Generation. Aktivitäten Kundgebungen, Demonstrationen und Informationsveranstaltungen Im Herbst und Winter 2022/2023 hielten der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN und dessen Kreisverbände zahlreiche Kundgebungen und Aufzüge gegen die Energieund Wirtschaftspolitik der Bundesund Landesregierung ab. In diesem Kontext kam es auch zu Kooperationen mit den erwiesen rechtsextremistischen FREIEN SACHSEN. Nahtlos abgelöst wurde dieses Thema von der grundsätzlichen Kritik am Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland, welches von der AfD seit dem Frühjahr 2023 in das Zentrum ihrer realweltlichen und virtuellen Agitation gestellt wurde. Die Kritik an der Migrationspolitik wurde dabei in einer pauschalisierenden, diskriminierenden und verfassungsfeindlichen Art geäußert. Typisch für die Aktivitäten der sächsischen AfD im Jahr 2023 waren Demonstrationen und Kundgebungen vor geplanten Asylbewerberunterkünften und Rathäusern. Daneben fanden im Berichtszeitraum vereinzelt größere zentrale Kundgebungen mit teilweise bundesweit bekannten Gastrednern statt. Motto der meisten Veranstaltungen der sächsischen AfD war der bundeseinheitliche Slogan "Unser Land zuerst", welcher offensichtlich an die Kampagne "America first" des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump anknüpft. Über Kundgebungen und Demonstrationen hinaus veranstalteten der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN bzw. dessen Kreisverbände zahlreiche Informationsveranstaltungen und offene Stammtische vor allem im ländlichen Raum, zu denen interessierte Bürgerinnen und Bürger eingeladen wurden. Auf diese Weise versuchte die Partei, unter Wahrung einer bürgerlichen Kulisse ihre minderheitenfeindliche Ideologie und verfassungsfeindlichen Zielsetzungen zu verbreiten und Wähler für sich zu gewinnen. Im Rahmen von Informationsveranstaltungen wurde neben dem Thema Migration auch die Kampagne "Vorsicht, Genderwahn im Stundenplan" verbreitet, die sich gegen eine vermeintliche Frühsexualisierung und Werbung für Geschlechtsumwandlungen in Schulen richtet und eine im Kern homound transfeindliche Agitation darstellt. Bei Eltern soll damit die Angst davor geschürt werden, dass ihre Kinder aufgrund einer angeblich "woken" Bildungspolitik der Bundesregierung zur Infragestellung ihrer eigenen Geschlechtszugehörigkeit und schließlich zu Geschlechtsumwandlungen angestiftet werden. Regelmäßig wurden bei Kundgebungen des AFD-LANDESVERBANDES SACHSEN bzw. seiner Untergliederungen rechtsextremistische Verschwörungstheorien eines vermeintlichen "Bevölkerungsaustausches", einer "Umvolkung" oder eines "Great Reset" verbreitet. Eine Kundgebung der Partei in Pirna am 15. Oktober trug bereits in ihrem Motto "Gegen den Großen Austausch!" dieses rechtsextremistische Narrativ. Ein Redner auf dieser Kundgebung sprach Seite 48 von 242 dann unumwunden von einer "Ersetzungsmigration", einem "großen Austausch" und einer "Umvolkung". Durch Einwanderung würde das eigene Volk aussterben und die Heimat verloren gehen, so der Redner. Weiterhin wurden demokratieverächtliche Aussagen in Reden von AfD-Mitgliedern auf deren Kundgebungen festgestellt, so beispielsweise am 2. Dezember auf einer Kundgebung in Plauen. Ein Vorstandsmitglied des AFD-KREISVERBANDES ERZGEBIRGE sprach davon, dass "seit geraumer Zeit [...] ein totalitäres System mit zügigem Schritt um die Ecke gebogen kommt". Der Redner setzte damit die gegenwärtigen politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse mit denen in totalitären Systemen gleich. Landesparteitag Der Landesparteitag 2023 der sächsischen AfD fand am 25. März als Delegiertenparteitag mit ca. 300 Teilnehmern in Glauchau statt. Inhalte des Parteitages waren Satzungsänderungen, die Verabschiedung einer gegenüber Russland unkritischen "Friedensresolution", die Wahl der Delegierten für die Aufstellungsversammlung zur Europawahl sowie die Ausrufung des Landesvorsitzenden Jörg URBAN zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2024. Inhaltliche Differenzen bzw. Lagerstreitigkeiten waren auf dem Parteitag nicht zu vernehmen. Dies und die widerspruchsfreie Ausrufung URBANS zum Spitzenkandidaten verdeutlichte einmal mehr die Geschlossenheit des gesamten AFD-LANDESVERBANDES. Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten Der AfD-Landesvorsitzende Jörg URBAN trat am 24. Februar sowie am 18. Dezember auf der Bühne der erwiesen rechtsextremistischen Bestrebung PEGIDA in Dresden als Redner auf. Am 18. Dezember lobte er PEGIDA und hielt eine islamund migrationsfeindliche Rede. So sei die vermeintliche "Islamisierung" und "Migrantisierung" in Deutschland seit 2014 noch "viel schlimmer" geworden. PEGIDA habe diese Entwicklungen vorhergesagt. URBAN sprach im Zusammenhang mit dem Zuzug von Migranten weiterhin von "hunderttausendfacher importierter Gewalt" und einem vorgeblichen "Bevölkerungsaustausch". Er befeuerte den Sozialneid auf Flüchtlinge, indem er die Kosten für die Unterbringung und Versorgung von Migranten den finanziellen Nöten von Rentnern gegenüberstellte. Den Medien unterstellte er, dass diese die Kriminalität von Migranten bewusst verschweigen würden. Weiter urteilte er über Journalisten, dass diese "die wirklichen Freiheitsfeinde, die uns unserer Kultur berauben wollen" seien und bediente damit ein in rechtsextremistischen Kreisen typisches Narrativ einer elitären und "volksfeindlichen" Medienlandschaft. Der Chefredakteur des COMPACT-MAGAZINS, der Rechtsextremist Jürgen ELSÄSSER, wurde am 21. September vom AFD-KREISVERBAND BAUTZEN als Gastredner zu einer Veranstaltung in Hoyerswerda eingeladen. Am 14. Oktober trat er ebenfalls als Gastredner einer Veranstaltung der AfD in Meißen auf. Er sprach dort unverhohlen von einem "Volksaustausch" und einer "Umvolkung", hinter welcher ein Plan stecke. Deutschen mit Migrationshintergrund sprach er das Deutschsein ab und bezeichnete sie in abwertender Weise als "Ausländer". Seiner Ansicht nach sei "Masseneinwanderung" eine "Messereinwanderung". Aktuell verantwortliche Politiker bezeichnete er als "Volksverräter". Distanzierungen seitens der AfDVeranstalter von diesen rechtsextremistischen Aussagen erfolgten nicht. Die sächsische AfD verbindet mit den FREIEN SACHSEN eine ambivalente Beziehung. Einerseits ist das Verhältnis geprägt von Konkurrenz bei Wahlen und der Deutungshoheit angesichts der Proteste auf den Straßen sowie gegenseitigen Vorwürfen, was eine Spaltung des sogenannten "patriotischen Lagers" betrifft. Andererseits sind nach einer Phase der anfänglichen Distanzierung der AFD SACHSEN von den FREIEN SACHSEN nunmehr zunehmend Kooperationen feststellbar. Landesweit gab es gemeinsame Demonstrationen und Kundgebungen der beiden Parteien bzw. einzelner Vertreter der Parteien, so u. a. am 27. Januar in Kriebstein OT Kriebethal (Landkreis Mittelsachsen) und am 30. März in Zittau (Landkreis Görlitz). Die Bezüge der sächsischen AfD zu den FREIEN SACHSEN gehen jedoch auch über reine, eher spontane Veranstaltungskontakte hinaus. Ein AfD-Funktionär aus dem Seite 49 von 242 KREISVERBAND CHEMNITZ war beispielsweise am 27. Januar in Hartmannsdorf (Landkreis Mittelsachsen) Moderator einer von den FREIEN SACHSEN organisierten Lesung aus dem Buch "Scheindemokratie". Erkenntnissen des LfV Sachsen zufolge findet die Zusammenarbeit zwischen AFD SACHSEN und FREIEN SACHSEN ausschließlich auf lokaler Ebene, nicht jedoch auf der Landesebene, statt. Darüber hinaus nahm der AfD-Landesvorsitzende Jörg URBAN am 25. März an der Jubiläumsfeier der erwiesen rechtsextremistischen Bestrebung INSTITUT FÜR STAATSPOLITIK in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) teil. Sowohl bei internen Veranstaltungen als auch auf einzelnen Kundgebungen der AFD SACHSEN sind die Rechtsextremisten Andreas KALBITZ und Björn HÖCKE gern gesehene Gäste. So traten beide Personen am 4. Februar in Hartmannsdorf (Landkreis Mittelsachsen) zusammen mit dem sächsischen Landesvorsitzenden Jörg URBAN bei einem informellen und landesübergreifenden Treffen von Mitgliedern der AfD und der JUNGEN ALTERNATIVE auf. Weiterhin trat Andreas KALBITZ am 11. Februar und am 3. Juni ebenfalls als Gast bei parteiinternen Treffen auf. Der AFD-KREISVERBAND SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE lud KALBITZ darüber hinaus am 25. August zu seinem Sommerfest ein, und am 16. Dezember war er in Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) als Redner bei einer Kundgebung des AFD-KREISVERBANDES SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE zugegen. Obwohl KALBITZ wegen seiner rechtsextremistischen Vergangenheit aus der AfD ausgeschlossen wurde und im Jahr 2021 seitens des damaligen AfD-Bundesvorstandes ein Auftrittsverbot bei Parteiveranstaltungen gegen ihn verhängt wurde, trat er im Berichtsjahr, wie beschrieben, regelmäßig als Gast und Redner bei der AFD SACHSEN auf. Distanzierungen von KALBITZ bzw. Konsequenzen für die verantwortlichen Kreisverbände waren ausgeblieben. Die vielzähligen Kontakte und Bezüge der AFD SACHSEN zu anderen erwiesen extremistischen Organisationen und Personen belegen, dass der hiesige Landesverband inzwischen bewusst und unverhohlen mit anderen Rechtsextremisten zusammenarbeitet. Die Aussage des Vorsitzenden des AFD-KREISVERBANDES ZWICKAU vom August 2023, wonach es keine roten Linien bezüglich einer Zusammenarbeit mit allen, die "unser Land voranbringen und Deutschland retten wollen" geben dürfe, passt in diese Entwicklung. Fazit Der AFD-LANDESVERBAND SACHSEN nutzt geschickt eine weithin verbreitete politische und gesellschaftliche Krisenstimmung für seine eigenen verfassungsfeindlichen Zielsetzungen aus und zelebriert sich bei den Protestteilnehmern, den Wählern und seinen Followern in den sozialen Medien als "Fundamentalopposition". Er gibt vor, einziges wirkungsvolles "Sprachrohr" der hiesigen Bevölkerung gegen "die da oben" zu sein. Aktuelle Umfragen belegen, dass die AfD längst keine Protestpartei mehr ist, sondern hierzulande inzwischen aus Überzeugung gewählt wird. Im Freistaat Sachsen könnte sie bei den nächsten Landtagswahlen sogar als stärkste politische Kraft hervorgehen. Obwohl die Partei im Laufe der Zeit kaum noch Anstrengungen unternommen hat, sich von ihren rechtsextremistischen Positionen und Kräften deutlich abzugrenzen, derartigen Strömungen vielmehr Tür und Tor geöffnet hat, ist sie in der Bevölkerung offensichtlich populärer denn je. Konkrete Wahlergebnisse belegen, dass dieser rechtsextremistische Kurs in der gesellschaftlichen Mitte auf immer breitere Resonanz stößt, obwohl inzwischen verfassungsfeindliche Positionen mit Nachdruck als Maßstab des politischen Handelns öffentlich gefordert und vertreten werden. Mit ihrem Konzept der Doppelstrategie hat sich die AFD SACHSEN bereits in der hiesigen Wählerschaft fest verankert. Seite 50 von 242 1.3.5 JUNGE ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (JA) - LANDESVERBAND SACHSEN Gründung / Sitz: 2013 / Leipzig Vorsitz: Landesvorstand Teil- / Nebenorganisationen: vier Kreisverbände zwei Bezirksverbände Publikationen / Internetauftritte: Homepage, Webblog sowie verschiedene Auftritte in den sozialen Medien Mitgliedermagazin "Patria" Personenpotenzial / ca. 100 Personen Mitgliederentwicklung Finanzierung Mitgliedsbeiträge Fördermitglieder der AfD Spenden Kurzportrait / Ziele Die JA ist die offizielle Jugendorganisation der Partei Alternative für Deutschland (AfD) und unterstützt die "Mutterpartei" insbesondere im Wahlkampf, bei Veranstaltungen und der Gewinnung junger Mitglieder. Sie ist jedoch keine Partei, sondern als Verein organisiert. Ihre Mitglieder sind nicht automatisch Mitglieder der AfD. Gemäß Vereinssatzung müssen nur der Landesvorstand und bestimmte Funktionäre der Kreisbzw. Bezirksverbände der JA zwingend auch AfD-Mitglieder sein. Die verfassungsfeindliche Agenda der JA ist durch einen ethnisch-homogenen Volksbegriff geprägt. Daneben finden sich islamund muslimfeindliche Einstellungen. Insbesondere über die sozialen Medien werden diese offen kommuniziert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die JA ist darüber hinaus sehr eng mit verschiedenen rechtsextremistischen Akteuren der sog. "Neuen Rechten" vernetzt. Relevante Ereignisse Beteiligung an der JA-Demonstration unter dem und Entwicklungen 2023 Motto "Kriegseintritt verhindern, Souveränität bewahren! Unsere Panzer bleiben hier!" am 10. Februar in Berlin Landeskongress am 22. April in Bischofswerda Einstufung zur gesichert rechtsextremistischen Bestrebung am 26. April durch das LfV Sachsen Aktionen im Rahmen der Kampagne "Stolzmonat" im Juni verschiedene Gedenkveranstaltungen anlässlich des Volkstrauertages am 19. November Beteiligung an verschiedenen ProtestVeranstaltungen in Sachsen Teilnahme an verschiedenen regionalen und überregionalen AfD-Veranstaltungen Teilnahme an bundesweiten JA-Veranstaltungen Seite 51 von 242 Ideologie Die JA propagiert einen ethnisch-homogenen Volksbegriff, der mit dem im Grundgesetz verankerten Prinzip der Menschenwürde nicht vereinbar ist. Angehörige anderer Ethnien werden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer kulturellen Wurzeln abgewertet und als nicht integrierbar dargestellt. Die größte Gefahr stelle laut JA ein vermeintlich gesteuerter Bevölkerungsaustauch dar. Rechtsextremistische Kampfbegriffe wie "Umvolkung", "Großer Austausch" und die Forderung nach "Remigration" finden sich fortwährend in ihrer politischen Agitation wieder. "Zeit für Remigration" und "Deutschland und Europa brauchen konsequente #Remigration (...)" titelte die JA beispielsweise im Herbst über ihre Social-Media-Kanäle. Diese Begriffe verbergen ihren rassistischen Kern und ihre Urheberschaft im Nationalsozialismus. In diesem Zusammenhang agitiert die JA regelmäßig gegen Migrantinnen und Migranten. Insbesondere Zuwanderer mit muslimischem Hintergrund werden pauschal diffamiert. Ihnen werden aufgrund ihrer Herkunft negative Eigenschaften, wie eine starke Neigung zu Gewalt und Kriminalität sowie Rückständigkeit, zugeschrieben. "Stoppt endlich die Messer-Epidemie! Sichere Grenzen und Abschieben retten Leben. Für eine sichere Heimat statt links-grünem MultikultiMesser-Albtraum", heißt es dazu auf der Facebook-Seite der JA. Auch im aktuellen, für alle JA-Landesverbände gültigen Programm "Jugend, die vorangeht! Programm und Leitlinien" kommt die völkisch-nationalistische Haltung der JA zum Ausdruck. Nach der Präambel "Für ein anderes Deutschland" werden darin die folgenden sechs ideologischen Kernthemen der JA inhaltlich ausgeführt: "Wir stehen zum deutschen Vaterland" "Wir stehen zum Schutz von Kulturlandschaft und Natur" "Wir stehen zur traditionellen Familie" "Wir stehen zur deutschen Bildungstradition" "Wir stehen zur sozialen Marktwirtschaft" "Wir stehen zur Freiheit des Einzelnen" Menschen mit Migrationshintergrund werden demnach als Gefahr für den Fortbestand deutscher Werte dargestellt und die Migration als Ursache für eine Verschlechterung des Lebensstandards in der Bundesrepublik Deutschland benannt. In diesem Zusammenhang wird immer wieder Bezug zur Verschwörungstheorie des "Großen Austauschs" genommen. Darüber hinaus finden sich in Äußerungen von JA-Mitgliedern regelmäßig Verstöße gegen das Demokratieprinzip. Eine Vielzahl von Verächtlichmachungen des Staates, seiner Repräsentanten sowie des politischen Gegners sind Ausdruck dessen. So diffamierte die JA beispielsweise die Politiker der Bundesrepublik pauschal als "Klimapsychotiker" und "Einwanderungsjunkies" und sprach in diesem Kontext von den "Altparteien". "Die BRD ist eine Irrenanstalt, in der die Verrückten die Leitung übernommen haben (...)", beschrieb ein Mitglied des JA-Landesvorstands die Lage in Deutschland. Indem er die öffentlich-rechtlichen Medien als "linksaußen Staatsfunk", "zwangsgebührenfinanzierten Rotfunk" oder "linkes Propagandasystem" bezeichnet, schürt der JA-LANDESVERBAND SACHSEN permanentes Misstrauen der Bevölkerung in die Glaubwürdigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und macht diese verächtlich. Strategie Gemäß ihrer Vereinssatzung bezweckt die JA SACHSEN "die Förderung von politischer Bildung, Teilhabe und Willensbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sowie die Förderung von Heimatpflege und Heimatkunde. (...) Sie unterstützt die Partei (...) bei ihrer Seite 52 von 242 politischen Tätigkeit und bringt politische Themen in die innerparteiliche Diskussion und auch nach außen proaktiv ein." Mitglieder der JA nehmen dazu regelmäßig an Parteiveranstaltungen der AfD teil und bringen sich dort aktiv ein. Im Gegenzug dazu werden bedeutende Vertreter des AFDLANDESVERBANDES SACHSEN in Strategie-Veranstaltungen und Kongresse der JA eingebunden. Die enge Zusammenarbeit zwischen "Mutterpartei" und Jugendorganisation wird in den sozialen Medien fortwährend betont. "Gestern waren wir zahlreich auf dem Landesparteitag unserer AfD vertreten. (...) Auf diesem wird über wichtige Zukunftsfragen entschieden, daher ist es eine Selbstverständlichkeit, dass auch die Jugend wahrnehmbar repräsentiert ist. Die JA entwickelt sich gut, ist in den letzten Jahren deutlich gewachsen und wächst weiter. Wir sind ein wichtiger Teil der AfD", erklärte die JA über Facebook einen Tag nach dem AfD-Landesparteitag vom 25. März in Glauchau (Landkreis Zwickau). Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Kommunalwahl 2024 startete die JA im Juni gemeinsam mit der AfD die Kampagne "Hol dir deine Heimat zurück". Die ParteiJugendorganisation bringt sich somit aktiv in die Suche nach Mitstreitern, die auf kommunaler Ebene für die AfD kandidieren wollen, ein. Zur Umsetzung ihrer Ziele setzt die JA intensiv auf die Nutzung der reichweitenstarken sozialen Medien. In den vergangenen Jahren hat sich die mediale Aufbereitung von Veranstaltungen über ihre dortigen Kanäle weiter professionalisiert - vor allem im Hinblick auf ein einheitliches öffentliches Erscheinungsbild. Einprägsame Bilder, Filme und Berichte, welche die verfassungsfeindliche Ideologie der JA widerspiegeln, erreichen auf diese Weise vor allem junge Menschen. Darüber hinaus hat die JA die personelle und strukturelle Vernetzung mit rechtsextremistischen Akteuren der sog. "Neuen Rechten" (IDENTITÄRE BEWEGUNG, EIN PROZENT E. V., INSTITUT FÜR STAATSPOLITIK, COMPACT-MAGAZIN GMBH, PEGIDA) weiter vorangetrieben. Dieses "Netz" unterstützt sich nicht nur bei Versammlungen, sondern auch bezüglich der "Bildung" im Sinne der neurechten Ideologie und bei der medialen Verbreitung eben dieser. Schlussendlich werden darüber auch neue JA-Mitglieder gewonnen. Nach dem JA-Bundeskongress am 15. Oktober 2022 in Apolda (Thüringen), an dem zahlreiche Vertreter des sog. politischen Vorfelds25 teilnahmen, sprach sich die JA SACHSEN für eine enge Kooperation mit diesem aus. "Partei und Vorfeld können gemeinsam viel bewegen. Wer wäre für eine aktive Vernetzung besser geeignet als wir, die aktivistische Jugend?! Deshalb war die Präsenz des patriotischen Vorfeldes (...) ein starkes Zeichen für die gegenseitige Unterstützung." Insbesondere die Rhetorik der IDENTITÄREN BEWEGUNG (IB) findet sich zunehmend im Sprachgebrauch der JA wieder. Begriffe wie "Festung Europa", "Remigration", "Heimat, Freiheit, Tradition" und "Großer Austausch" haben ihren Ursprung dort. Die JA adaptiert die Ideologie, den Lifestyle und aktivistische Elemente der IB und wird somit noch stärker anschlussfähig für junge Menschen. Struktur Formal verfügt der JA-LANDESVERBAND SACHSEN aktuell über die vier KREISVERBÄNDE DRESDEN, LEIPZIG, MITTELSACHSEN und SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE sowie die zwei BEZIRKSVERBÄNDE OBERLAUSITZ und W ESTSACHSEN. In den Landkreisen Leipzig, Meißen und Nordsachsen gibt es derzeit keine festen Strukuren. Für die Belange der JA-Mitglieder aus diesen Regionen ist ein Gebietsverantwortlicher aus dem Landesvorstand zuständig. 25 Es handelt sich dabei um o. g. Akteure der sog. "Neuen Rechten" außerhalb der Strukturen AfD und JA: Verlage, Zeitschriften, Vereine, Einzelautoren, Internetplattformen usw. Seite 53 von 242 Der BEZIRKSVERBAND WESTSACHSEN wurde am 16. Februar auf einem konstituierenden Kongress in Chemnitz gegründet. "Leider sind die Mitgliederzahlen in den beteiligten Gebieten aktuell zu gering, um eigene Verbände gründen zu können. Daher hat sich die Versammlung dazu entschieden, die ,Fantastischen Vier' in einem Verband zusammenzufassen. (...) Ich hoffe, dass durch diese neue Struktur eine rasante Mitgliederentwicklung ermöglicht wird (...)", schrieb der neu gewählte Schatzmeister auf seiner Homepage. Der Verband umfasst die Landkreise Erzgebirge, Zwickau und Vogtlandkreis sowie die kreisfreie Stadt Chemnitz. Der vorherige KREISVERBAND CHEMNITZ-ERZGEBIRGE ging somit im neuen Bezirksverband auf. Auch der zweite Bezirksverband wurde im Berichtsjahr ins Leben gerufen und erstreckt sich seit dem 18. März über die Landkreise Bautzen und Görlitz. "Wir blicken positiv in die Zukunft und wollen der Jugend eine wirkliche Alternative zum linken Mainstream bieten", berichtete der BEZIRKSVERBAND OBERLAUSITZ über Facebook. Der amtierende Landesvorstand Sachsen, der sich aus acht Mitgliedern zusammensetzt, ist gemäß Satzung für ein Jahr im Amt. Die letzte Wahl fand am 22. April auf dem Landeskongress in Bischofswerda statt. An dieser Veranstaltung nahmen neben dem AfDLandesvorsitzenden Jörg URBAN weitere zahlreiche hochrangige AfD-Politiker teil. "Nun gilt es mit voller Kraft an der weiteren Stärkung und Professionalisierung der Jungen Alternative zu arbeiten und damit die Grundlage für erfolgreiche Wahlkämpfe im kommenden Jahr zu legen", teilte die JA SACHSEN über ihren Facebook-Account mit, die sich offenkundig als "Stimmenfänger" für die Mutterpartei betrachtet. Aktivitäten Das zentrale Thema "Migration" prägte ganzjährig die Aktivitäten und Veröffentlichungen der JA in Sachsen. "Sichere Grenzen & Abschieben, Abschieben, Abschieben ist das Gebot der Stunde!", "Remigration" und Slogans wie "#FestungEuropa", "#AbschiebenrettetLeben", "#AbschiebenstattAufnehmen" und "#GrenzschutzistHeimatschutz" fanden sich zuhauf in den sozialen Medien wieder. Mit dem Banner "Unser Land zuerst - Grenzen schützen - konsequent Abschieben" beteiligte sich die JA beispielsweise am Montagsprotest am 9. Januar in Bautzen (Landkreis Bautzen). Wegen der aus ihrer Sicht "weiter stattfindende[n] Massenmigration und [der] Errichtung von Containerdörfern für die zwangsangesiedelten Neuankömmlinge" protestierte die JA bei einer AfD-Kundgebung am 11. Mai in Dresden. "Gestern haben wir (...) deutlich gemacht, dass wir keine Masseneinwanderung in Dresden, Sachsen, Deutschland und Europa haben wollen!", schrieb der Kreisverband Dresden einen Tag später bei Facebook. Bei der Großdemonstration der AfD am 28. Oktober in Erfurt (Thüringen) führte der "JA-Block", darunter auch sächsische JA-Mitglieder, mit einem Frontbanner mit der Aufschrift "Deutsche Jugend fordert Remigration!" den Demonstrationszug an. Zu Jahresbeginn thematisierten JA-Aktionen auch die Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine. Mehrere sächsische JA-Mitglieder nahmen an einer vom Bundesvorstand organisierten Demonstration unter dem Motto "Kriegseintritt verhindern, Souveränität bewahren! Unsere Panzer bleiben hier!" am 10. Februar in Berlin teil. Gemeinsam mit AfD-Politikern demonstrierte die JA am 24. Februar in Dresden bei der von PEGIDA organisierten Kundgebung unter dem Motto "Frieden schaffen ohne Waffen". Die JAAkteure zeigten dabei Plakate mit der Aufschrift "Es ist nicht unser Krieg". Ein weiteres Themenfeld, auf das sich die JA im Berichtsjahr konzentrierte, war die Ablehnung der LGBTQIA+-Szene. In den sozialen Medien äußerte sich die JA mehrfach queerfeindlich, u. a. mit Aussagen wie "Mann bleibt Mann und Frau bleibt Frau. Festgelegt durch Biologie und Gene. Alles andere ist wirre Ideologie". Seite 54 von 242 Im Juni beteiligte sich die JA SACHSEN mit Aktionen an der bundesweiten Kampagne "Stolzmonat", die als patriotische Gegenbewegung zum "Pride Month" von Akteuren der sog. "Neuen Rechten" in Deutschland initiiert wurde. In Wurzen (Landkreis Leipzig) und Dresden hissten JA-Mitglieder in diesem Zusammenhang eine Deutschlandfahne und verbreiteten ein entsprechendes Beweisfoto mit folgendem Text über die sozialen Medien26: "Der frühsommerliche Juni ist der Patrioten-Monat, der Deutschland-Monat, es ist unser #Stolzmonat". Die zunehmende Vernetzung mit der IDENTITÄREN BEWEGUNG (IB) spiegelte sich auch in der Teilnahme mehrerer JA-Mitglieder aus verschiedenen Bundesländern, darunter auch aus Sachsen, an der von der österreichischen IB organisierten "Remigrationsdemo" am 29. Juli in Wien (Österreich) wider. Darüber hinaus waren zahlreiche regionale und überregionale JAAnhänger zu Gast bei der inoffiziellen Eröffnungsfeier des identitären Hausprojekts "Zentrum Chemnitz" der IB27 am 3. November in Chemnitz. Anlässlich des Volkstrauertages am 19. November veranstaltete die JA in verschiedenen sächsischen Regionen kleinere Gedenkveranstaltungen. In und um Bautzen fand beispielsweise eine "Heldenwanderung" statt, um "mehrere deutsche Gefallenendenkmäler" zu besichtigen. Im Erzgebirge pflegten Mitglieder ein Kriegsdenkmal und legten Kränze nieder. Neben politischen Aktivitäten führte die JA zur Mitgliederbindung und der Förderung der Gemeinschaft verschiedene Freizeitaktivitäten und interne Veranstaltungen durch, zu denen auch befreundete Mitglieder anderer JA-Landesverbände eingeladen wurden. Fazit Insbesondere im Wahlkampf für die Kommunal-, Europaund Landtagswahlen im Jahr 2024 wird die JA eine bedeutende Rolle für die "Mutterpartei" AfD einnehmen. Sie versteht sich als "Innovationsmotor" der AfD und hat das Ziel, deren Ideologie zu verbreiten. Abgesehen davon, dass die JA über ihre vielfältigen Aktivitäten in den sozialen Medien neben einer hohen Reichweite auch eine starke Erfolgsquote insbesondere bei jungen Menschen erzielt, werden einzelne JA-Mitglieder (voraussichtlich) auch selbst kandidieren. Dafür spricht die im Juni gemeinsam mit der AfD gestartete Kampagne "Hol dir deine Heimat zurück!". Schon allein der Titel dieser Kampagne lässt den Schluss zu, dass das Thema Migration den inhaltlichen Aktionsschwerpunkt bilden wird, und zwar nicht nur im Rahmen des Wahlkampfs. Nicht nur die "Mutterpartei" AfD, auch die JA hat erkannt, dass kein anderes Thema weite Teile der Gesellschaft so emotionalisiert wie dieses. Darüber lassen sich im Übrigen auch die verfassungsfeindlichen Narrative beider rechtsextremistischen Gruppierungen rund um die Themen innere Sicherheit und soziale Gerechtigkeit vermitteln. Deren rechtsextremistische Interpretationen aktueller politischer Entscheidungen erreichen mittlerweile breite Schichten in der Mitte der Gesellschaft, was sich regelmäßig in steigenden Umfragewerten für die AfD ausdrückt. Insoweit lässt sich feststellen, dass die JA ihre Hausaufgaben für die "Mutterpartei" dahingehend erfolgreich erledigt hat und weiter erledigen wird. Um daran anzuknüpfen, wird die Vernetzung der JA mit rechtsextremistischen Akteuren der sog. "Neuen Rechten" weiter voranschreiten. Insbesondere die Orientierung an der Ideologie und Rhetorik der IDENTITÄREN BEWEGUNG sowie die Teilnahme an deren Veranstaltungen zeigt, dass die JA zunehmend den "Aktionslifestyle" der IB adaptiert. Dies verwundert nicht, da beide extremistische Gruppierungen gleichermaßen Jugendliche und junge Erwachsene 26 Im Jahr 2023 gab es deutschlandweit eine sogenannte "Stolzmonat-Herausforderung", die darin bestand, eine Deutschlandfahne an einem öffentlichen Ort zu platzieren, ein entsprechendes Beweisfoto zu verbreiten und drei weitere Personen oder Gruppen zu nominieren, welche die nächste Aktion durchführen sollten. 27 vgl. Beitrag II.1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - SACHSENGARDE (vormals REGIONALGRUPPE SACHSEN) Seite 55 von 242 erreichen wollen. Die eher aktionistisch orientierte JA SACHSEN bringt junge Sympathisanten letztlich auch der sächsischen AfD näher. 1.4 Parteiungebundener Rechtsextremismus 1.4.1 PEGIDA Gründung / Sitz: Bei der Gruppierung PEGIDA ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes"), die im Oktober 2014 in Dresden gegründet wurde, muss zwischen dem extremistischen Organisationsteam und dem an den Veranstaltungen teilnehmenden extremistischen bzw. nicht extremistischen Personenkreis unterschieden werden. Insbesondere Funktionäre des Organisationsteams, welche zum Teil Vorstandsmitglieder im "PEGIDA Förderverein e. V." sind, nehmen maßgeblich Einfluss auf den Willensbildungsprozess und das Aktivitätsniveau des nachrichtendienstlichen Beobachtungsobjektes PEGIDA. PEGIDA hat seit Mai 2020 einen Ableger in Zittau (Landkreis Görlitz). Der "PEGIDA Förderverein e. V." wurde im März 2015 gegründet und hat seinen Sitz in Dresden. Vorsitz Sachsen: Lutz BACHMANN, Siegfried DÄBRITZ (beide Vorstand im "PEGIDA Förderverein e. V.") Teil- / Nebenorganisationen: FREUNDE VON PEGIDA (kein eingetragener Verein) in Zittau Publikationen / Internetauftritte: Eine Internetseite sowie zwei Telegram-Kanäle; diverse Seiten der Hauptprotagonisten bei "X" (vormals Twitter), vk.com, GETTR und Kanäle bei BitChute und YouTube Personenpotenzial / vier Hauptakteure, Mitgliederentwicklung ca. 20 Personen im Organisationsteam (u. a. auch Ordner), Das Mobilisierungspotenzial für PEGIDAVersammlungen in Dresden liegt im mittleren dreistelligen Bereich. Niedrige vierstellige Teilnehmerzahlen erreicht PEGIDA inzwischen nur noch bei herausgehobenen Veranstaltungen mit überregional bekannten Rednern. Veranstaltungen in Zittau können bis zu 20 Personen mobilisieren, im Regelfall sind es jedoch unter 15 Teilnehmer. Finanzierung Spenden bei Veranstaltungen bzw. über das Bankkonto des "PEGIDA Förderverein e. V." Online-Verkauf von Werbeartikeln Kurzportrait / Ziele PEGIDA versteht sich selbst als "patriotische Bewegung", welche sich gegen eine vermeintliche Islamisierung Europas stark macht. Es werden in Dresden und Zittau Veranstaltungen durchgeführt. Dabei ist PEGIDA auch für andere Rechtsextremisten (ZUKUNFT HEIMAT aus Cottbus, PEGIDA Nürnberg, IDENTITÄRE BEWEGUNG28, die sächsische AfD) und Einzelakteure aus der neurechten Szene eine wichtige Bühne für die Verbreitung ihrer eigenen verfassungsfeindlichen Ziele. PEGIDA ist vernetzt mit Rechtsextremisten im Ausland. In der Gesamtschau ist die 28 vgl. Beitrag II.1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - SACHSENGARDE (vormals REGIONALGRUPPE SACHSEN) Seite 56 von 242 Bestrebung vor allem eine Vernetzungsplattform für die rechtsextremistische Szene in Sachsen. Relevante Ereignisse und Das Veranstaltungsaufkommen ist stark zurückgegangen. Entwicklungen 2023 Insgesamt gab es drei Veranstaltungen in Dresden: am 24. Februar mit Gastredner Jörg URBAN (AfDLandesvorsitzender Sachsen), am 6. November mit einem Gastredner des AfD-Landesvorstandes Thüringen und am 18. Dezember mit Gastredner Jörg URBAN Am 19. März 2015 wurde der Verein "PEGIDA Förderverein e. V." beim Amtsgericht Dresden eingetragen. Er wird vertreten durch den Vorstand, dessen Mitglieder u. a. Lutz BACHMANN und Siegfried DÄBRITZ sind. Zu PEGIDA wird über BACHMANN und DÄBRITZ hinaus unter anderem auch Wolfgang TAUFKIRCH gezählt, der für den Personenzusammenschluss agiert und ihn damit nachdrücklich unterstützt. Hinzu kommt Thomas WALDE, der bei Veranstaltungen in Dresden seit Ende August 2020 mitunter Versammlungsleiter bzw. stellvertretender Versammlungsleiter ist. Des Weiteren organisiert er auch die Veranstaltungen in Zittau. PEGIDA wurde im Mai 2021 durch das LfV Sachsen als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung eingestuft. Ideologie Der Personenzusammenschluss PEGIDA hat sich im Verlauf seines Bestehens eine immer stärkere rechtsextremistische Ausrichtung gegeben. In aller Öffentlichkeit werden unverhohlen rechtsextremistische Positionen propagiert, die mit dem Wertekanon des Grundgesetzes gänzlich unvereinbar sind. Dazu gehört, dass der Parlamentarismus permanent verächtlich gemacht und das Rechtsstaatsprinzip abgelehnt werden. Außerdem finden sich in den Redebeiträgen regelmäßig minderheitenfeindliche und muslimfeindliche Äußerungen. Neben einer fremdenund insbesondere islamfeindlichen Ideologie, die z. B. durch die pauschalisierende Kriminalisierung von Personen mit Migrationshintergrund deutlich wird, werden Beiträge verbreitet, die an die antisemitisch konnotierte Verschwörungstheorie zum "Great Reset" bzw. "Großen Austausch"29 angelehnt sind. Insbesondere in diesem Zusammenhang zeigen sich Verstöße gegen die grundgesetzlich verbriefte Garantie der Menschenwürde. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zeigten sich in Redebeiträgen auf Veranstaltungen sowie in Beiträgen in den sozialen Medien. So schrieb Wolfgang TAUFKIRCH in den sozialen Medien am 19. März Folgendes: "Mit der Zuwanderung aus den für uns kulturfremden Gegenden der ganzen Welt steigt die kriminelle Gewalt und das für einige Gruppen ausgeprägte Selbstverständnis, Konflikte ausschließlich mit dem Messer zu lösen." Zudem erstellte Wolfgang TAUFKIRCH häufig chronologische Darstellungen von Straftaten, die (mutmaßlich) von Personen mit Migrationshintergrund verübt wurden. Dementsprechend wurden in den sozialen Medien auch Statistiken veröffentlicht, welche die "nichtdeutschen" Gewaltdelikte in den Vordergrund rückten. Die pauschalisierende Kriminalisierung und Herabsetzung von Flüchtlingen sowie die Diffamierung von Angehörigen der islamischen Glaubensgemeinschaft sind unvereinbar mit dem grundgesetzlich verankerten Schutz der Menschenwürde (Artikel 1 GG) und der Religionsfreiheit (Artikel 4 Absatz 1 GG). Neben den Themen Ukraine-Krieg und Klimaschutz nahm PEGIDA mit der zunehmenden Asylthematik auch das Thema Migration wieder stärker auf. Sowohl auf Versammlungen als auch in den sozialen Medien wurden demokratische Institutionen und politische Entscheidungsträger in 29 vgl. zu diesen Begriffen den Beitrag II.1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - SACHSENGARDE (vormals REGIONALGRUPPE SACHSEN) Seite 57 von 242 diesem Kontext wiederholt verächtlich gemacht. So wurde in den sozialen Medien am 5. Mai veröffentlicht: "736 Abgeordnete wollen gefahren werden, nichts ist es mit Klimaschonung, wenn man im Zirkus Maximus sitzt! 120 (!) Limousinen mit Chauffeur stehen [...] innerhalb der Stadtgrenzen von Berlin kostenfrei zur Verfügung [...], weil z.B. ein vergesslicher Kanzler den Weg nicht mehr weiß. [...] Für die Grünen natürlich ein Lastenfahrrad. (Für Ricarda [...] dann ein Tieflasten-Fahrrad.)" Diffamierungen bzw. Kriminalisierungen politisch Andersdenkender waren auch im Berichtsjahr Grundbausteine in PEGIDA-Reden und Social-Media-Beiträgen, wobei die Grenze von demokratisch legitimer, scharfer Kritik am Regierungshandeln regelmäßig überschritten wurde. Strategie PEGIDA verfolgt zielgerichtet die Strategie, mit extremistischer Programmatik immer tiefer in die Mitte der Gesellschaft einzudringen und einen ideologischen Schulterschluss zwischen dem rechtsextremistischen Klientel und den politisch indifferenten Teilen der Gesellschaft herbeizuführen. Durch das Bereitstellen der PEGIDA-Bühne für rechtsextremistische (Gast-)Redner fungiert PEGIDA wie ein "Scharnier" zwischen Extremisten und Nichtextemisten. Einer weiteren Entgrenzung des Rechtsextremismus und einem Übergreifen verfassungsfeindlicher Positionen auf die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft wird dadurch Vorschub geleistet. PEGIDA erfüllt eine wichtige Netzwerkfunktion insbesondere in der neurechten Szene. Es bestehen enge Beziehungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen, wie der IDENTITÄREN BEWEGUNG und ZUKUNFT HEIMAT aus Cottbus. Zudem wird offen mit der rechtsextremistischen Partei AfD sympathisiert. Dies wurde auch im Berichtsjahr im Zuge entsprechender Auftritte hochrangiger AfD-Funktionäre bei PEGIDA-Veranstaltungen sichtbar. Der Ausbau dieses überregionalen Beziehungsgeflechts wird auch zukünftig von Relevanz sein, nicht zuletzt um weiterhin die eigene Bedeutung innerhalb des deutlich gestiegenen Angebots an Protestakteuren bzw. Protestveranstaltungen zu bewahren. Insbesondere durch die Übertragung der PEGIDA -Veranstaltungen im Livestream und die spätere Bereitstellung der Videos auf verschiedenen Online-Plattformen wird eine bundesweite Reichweite angestrebt und auch erzielt. Videos von PEGIDA erreichen mitunter 30.000 Aufrufe. Aktivitäten Der Strategiewechsel, die Veranstaltungen von Montag auf Dienstag zu legen, war wenig erfolgreich. Das Jahr 2023 war für PEGIDA wegen einer kaum nennenswerten Anzahl von Veranstaltungen ein Tiefpunkt. Ein ähnliches Bild zeigte das Versammlungsgeschehen in Zittau. Waren zu Beginn des Berichtsjahres Veranstaltungen festzustellen, folgten im Verlauf des Jahres keine weiteren Versammlungen. Im Berichtszeitraum fanden in Dresden drei und in Zittau zwei Veranstaltungen statt: Datum Ort Teilnehmer Aktivitäten 02.02.2023 Zittau 60 Kundgebung unter dem Motto: "Kampf für den Frieden in Europa anlässlich des 80. Jahrestages der Kapitulation der Wehrmacht in Stalingrad" Seite 58 von 242 05.02.2023 Zittau nicht bekannt Kundgebung zum Thema "Wahrung unserer Grundrechte" Redner: Thomas WALDE 24.02.2023 Dresden ca. 2.500 Kundgebung mit Aufzug unter dem Motto "Frieden schaffen ohne Waffen" Redner: u. a. Wolfgang TAUFKIRCH, Lutz BACHMANN, Siegfried DÄBRITZ, Jörg URBAN (AfD) 06.11.2023 Dresden ca. 1.000 Kundgebung mit Aufzug unter dem Motto "Gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden" Redner: Wolfgang TAUFKIRCH, Lutz BACHMANN, Siegfried DÄBRITZ 18.12.2023 Dresden ca. 1.600 Kundgebung mit Aufzug unter dem Motto "Gegen Glaubenskriege auf deutschem Boden" Redner: Wolfgang TAUFKIRCH, Lutz BACHMANN, Jörg URBAN (AfD) Anlässlich des ersten Jahrestages des Ukraine-Krieges veranstaltete das "Breite Europäische Bündnis für Frieden und Völkerverständigung iG" unter dem Motto "Großer Dresdner Friedensspaziergang - Frieden schaffen ohne Waffen" am 24. Februar eine Kundgebung mit Aufzug in Dresden. Hinter dem Veranstalter verbarg sich PEGIDA, da die Versammlung von Lutz BACHMANN angemeldet und von Wolfgang TAUFKIRCH geleitet wurde. Redner waren neben BACHMANN und TAUFKIRCH u. a. Jörg URBAN sowie der Gründer des rechtsextremistischen brandenburgischen Vereins "Zukunft Heimat e. V.", Dr. Christoph BERNDT. Die Versammlung stellte ein Novum dar, da die strategische Zusammenarbeit zwischen PEGIDA und dem AFD-LANDESVERBAND SACHSEN erstmals auch öffentlich sichtbar wurde. Weitere Veranstaltungen dieses Bündnisses in Dresden wurden zwar angekündigt, fanden aber im Berichtsjahr nicht statt. Fazit PEGIDA ist weiterhin ein wichtiger Akteur im Bereich der "Neuen Rechten". Thematisch fokussiert sich diese Gruppierung insbesondere auf die Asylund Migrationspolitik in Deutschland und Europa sowie auf die Folgen des Ukraine-Krieges. Vor allem durch die permanente Verbreitung von Meldungen über Straftaten von Personen mit Migrationshintergrund wird beständig eine feindliche Stimmung gegen diese Personengruppe erzeugt. Außerdem werden politische Institutionen und Entscheidungsträger diffamiert und verächtlich gemacht. Während bei PEGIDA-Veranstaltungen in den ersten Jahren hohe vierstellige Teilnehmerzahlen unter Beteiligung der gesellschaftlichen Mitte erzielt werden konnten, waren die Teilnehmerzahlen mit Beginn der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden staatlichen Maßnahmen rückläufig. Hintergrund dürften zum einen zunehmende konkurrierende Parallelveranstaltungen sowie zum anderen die stärkere verbale Radikalisierung der PEGIDA-Akteure gewesen sein. Mit Zunahme der Asylbewerberzahlen in Sachsen rückte PEGIDA das Thema "Anti-Asyl" erneut stärker in den Fokus seiner virtuellen und realweltlichen Aktivitäten. Jedoch vermochte es diese rechtsextremistische Gruppierung bislang nicht, mit ihrem "Ur-Thema" wieder an die Seite 59 von 242 hohen, wöchentlich generierten Teilnehmerzahlen von mehr als 10.000 Personen in den Anfangsjahren 2014 und 2015 anzuknüpfen. Angesichts der inzwischen zahlreichen Konkurrenzveranstaltungen anderer rechtsextremistischer Gruppierungen zum gleichen Thema erscheint dies auch für die Zukunft nicht realisierbar zu sein. 1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IB) - SACHSENGARDE (vormals REGIONALGRUPPE SACHSEN) Sitz: Salzkotten (Nordrhein-Westfalen) Gründung: Oktober 2012, seit 2014 eingetragener Verein Leitung / Vorsitz: Philip THALER (Sachsen-Anhalt) Teil- / Nebenorganisationen SACHSENGARDE mit regionalen Strukturen in Bautzen, Chemnitz, in Sachsen: Dresden, Görlitz und Leipzig Publikationen: IB-Rundbrief Internetauftritte u. a.: Internetseite der IDENTITÄREN BEWEGUNG DEUTSCHLAND, wechselnde Profile in den sozialen Medien 2023 2022 Personenpotenzial / Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 50 ca. 50 bundesweit ca. 500 Über diese aktiven Mitglieder hinaus verfügt die IB über zahlreiche Unterstützer, insbesondere in den sozialen Medien. Finanzierung: Mitgliedsbeiträge, Spenden Genutzte Immobilien Identitäres Hausprojekt "Zentrum Chemnitz" Kurzportrait / Ziele: Die IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IB) trat erstmals im Oktober 2012 virtuell in Erscheinung. Seit 2014 ist sie ein eingetragener Verein in Deutschland. Sie sieht sich selbst als "außerparlamentarische patriotische Jugendbewegung". Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Vorstellung von einer "ethnokulturellen Identität" der europäischen Völker, die durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht sei. Ein maßgeblicher Indikator des behaupteten "Großen Austauschs" sei die "Islamisierung Europas". Die IB ist daher bestrebt, ein Netzwerk des modernisierten Rechtsextremismus zu schaffen, um mit islamund fremdenfeindlichen Aktionen öffentliche Räume bzw. Debatten zu besetzen. Relevante Ereignisse und ganzjährige Beteiligung an verschiedenen ProtestEntwicklungen 2023: Veranstaltungen in Sachsen Aktion "symbolischer Mauerbau" am 11. Februar in Chemnitz unter dem Motto "Keine Einzelfälle in Einsiedel #Remigration" Aktion unter dem Motto "Achtung, Kulturhauptstadt fördert linksextremen Sondermüll" am 30. April in Chemnitz Banneraktion am 29. Mai in Plauen unter dem Motto "Macht Plauen wieder sicher! #Remigration" Banneraktion am 17. Juli in Görlitz unter dem Motto "Integration ist eine Lüge #Remigration jetzt!" Seite 60 von 242 Teilnahme sächsischer IB-Anhänger am 29. Juli an der Demonstration in Wien unter dem Motto "Remigrationsdemo" Teilnahme sächsischer IB-Anhänger am IB-Bundeslager "Legion Europa" im August Banneraktion "Keine Moschee in DD" am 26. August in Dresden Banneraktion "Linksextreme raus aus der Uni!" am 25. Oktober in Leipzig Banneraktion und Besetzung einer geplanten Flüchtlingsunterkunft unter dem Motto "Kein Raum für Überfremdung #Remigration" am 28. Oktober in Dresden Eröffnungsfeier des identitären Hausprojekts "Zentrum Chemnitz" am 3. November Ideologie "Unser Auftrag als Jugend Europas heißt, das Erbe unserer Vorfahren anzunehmen und fortzusetzen. Wir sind davon überzeugt, dass Europa als Völkerfamilie eine Zukunft verdient hat, in der es auch seine enthnokulturelle Gestalt und Kontinuität erhalten kann." Dieses Konzept des "Ethnopluralismus" ist eine moderne Variante völkischer Ideologie und steht im Zentrum identitärer Propaganda. Hier ist allerdings kein ethnischer Pluralismus innerhalb eines Staates gemeint, sondern eine strikte Trennung der Ethnien in jeweils unterschiedlichen Nationalstaaten. Eine Zuwanderung von "Fremden" wird grundsätzlich abgelehnt. Die von der IB behauptete unkontrollierte Massenzuwanderung führe zu einer Heterogenisierung der Gesellschaft. Fremdenfeindliche Themen, wie der durch Zuwanderung angeblich drohende Verlust der eigenen "ethnokulturellen Identität", die Verschwörungstheorie des "Großen Austausches"30 sowie Forderungen nach "Remigration"31 und "Reconquista"32 sollen die Ideen der IB gesellschaftsfähig machen. Die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer kulturellen Wurzeln ist ein bekanntes Merkmal rechtsextremistischer Ideologie, das mit der Achtung der Menschenwürde - einem wesentlichen Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - nicht vereinbar ist. Strategie Zur Durchsetzung ihrer Ziele beschreitet die IB den Weg einer außerparlamentarischen Opposition, d. h., sie will die Meinungsbildung durch öffentliche und öffentlichkeitswirksame Aktionen beeinflussen. Diese Strategie bezeichnet sie als "Metapolitik"33. Zentrales Element ist die Kampagnenarbeit. Mittels konkreter Aktionen will die IB bestimmte Themen in ihrem Sinne besetzen und ein entsprechendes gesellschaftliches Bewusstsein 30 Das Verschwörungsnarrativ des "Großen Austausches" geht auf den französischen Begriff "Grand Remplacement" zurück und wird von Gruppierungen der "Neuen Rechten" benutzt. Sie unterstellen demokratischen Regierungen, einen geheimen Plan zum Austausch der Mehrheitsbevölkerungen durch vorwiegend muslimische Einwanderer zu verfolgen. 31 "Remigration" meint die Rückführung von Asylbewerbern und auch von Deutschen mit Migrationshintergrund in die Herkunftsländer. 32 Als "Reconquista" (Wiedereroberung) wird in der Neuzeit die militärische Ausdehnung der christlichen Reiche in Spanien und Portugal gegen die muslimischen Herrschaften vom 8. bis 15. Jahrhundert bezeichnet. 33 Der Begriff der "Metapolitik" bezeichnet eine politische Zielrichtung, die darauf ausgerichtet ist, gesellschaftliche Debatten im vorpolitischen Raum zu beeinflussen. Seite 61 von 242 schaffen. Die mediale Aufbereitung ihrer Aktionen über verschiedene Social-Media-Kanäle spielt dabei für die IB eine wichtige Rolle. Auf der Interneteite der IB heißt es dazu: "Wir sehen uns als vordergründig außerparlamentarische Oppositionsbewegung. Wir wirken als patriotischer Akteur an der öffentlichen Meinungsbildung in diesem Land mit und thematisieren durch Aktionen, Kampagnen und politische Bildungsarbeit zentrale Missstände im Rahmen der Identitätsund Einwanderungspolitik." Das Auftreten der IB in der Öffentlichkeit ist dabei sehr vielseitig: "Wir sind auf der Straße und veranstalten Kundgebungen, Demonstrationen und viele weitere Formen des Straßenprotests. Wir organisieren politische Bildungsveranstaltungen, publizieren Aufklärungsbroschüren und platzieren durch spektakuläre Aktionen unsere Themen und Slogans im öffentlichen Raum, um die politischen und medialen Schweigespiralen zu durchbrechen." Ihre Anhänger treten dabei häufig einheitlich mit hohem Wiedererkennungswert (z. B. IB-Fahnen, Banner mit IBLogo, gleiche Kleidung) und häufig vermummt auf, um Outings durch den politischen Gegner und Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren. Mit ihren darüber hinausgehenden Aktionen und Auftritten in den sozialen Medien knüpft die IB bewusst an die Lebenswelt junger Menschen an. Da sie nicht die herkömmlichen rechtsextremistischen Slogans und Symbole einsetzt, ist die verfassungsfeindliche ideologische Ausrichtung für Außenstehende nicht immer gleich erkennbar. So ist es möglich, dass sich auch gesellschaftliche Milieus angesprochen fühlen, die von traditionellen Rechtsextremisten bislang nicht erreicht werden konnten. Aktivitäten der SACHSENGARDE "Wir sind die junge Generation Sachsens, die dem großen Austausch entgegentritt - wir sind die Sachsengarde!". Unter diesem neuen Namen firmiert die IB in Sachsen seit August 2023. "Um unseren Aktivismus zukünftig ebenso effektiv zu betreiben und darüber hinaus noch weiter auszubauen, treten wir von nun an unter neuem Stil auf", kündigte die IB hierzu an. "Die Sachsengarde setzt dabei die Arbeit der Identitären Bewegung Sachsen nahtlos fort." Im Berichtsjahr standen die Aktivitäten der SACHSENGARDE vor allem unter dem Motto "Remigration", ihrem Kernthema. Insbesondere Proteste gegen geplante Asylbewerberunterkünfte und die Teilnahme an Protestveranstaltungen in Sachsen bestimmten die Aktionen der SACHSENGARDE. Zu Jahresbeginn agitierten sächsische Akteure im Rahmen der wöchentlichen Montagsproteste in Chemnitz mehrfach gegen eine geplante Unterbringung ehemaliger afghanischer Ortskräfte der Bundeswehr im Ortsteil Einsiedel. Zeitweise wurde das Format der "Spaziergänge" auch auf den Mittwoch ausgedehnt. Im gleichen Zeitraum kursierte in der Region ein gefälschter Flyer mit dem Titel "Einsiedel - Ein Stadtteil wird bunt" mit vorgeblich städtischem Absender. Obwohl der Urheber nicht genannt wurde, reihte sich diese Aktion thematisch und auch hinsichtlich des Modus Operandi in die Vorgehensweise der IB ein. "Um ein symbolisches Zeichen gegen diesen weiteren Schritt des Bevölkerungsaustausches zu setzen", errichteten IBAnhänger am 11. Februar vor dem Rathaus in Einsiedel eine Mauer mit der Aufschrift "Keine Einzelfälle in Einsiedel #Remigration". In Plauen skandierten Mitglieder der IB am 29. Mai vor dem Rathaus "Festung Europa, macht die Grenzen dicht!", verteilten Flugblätter und hissten ein Banner mit der Forderung "Macht Plauen wieder sicher. #Remigration". Sie wollten damit auf die aus ihrer Sicht eskalierende Gewalt "von migrantischen Parallelgesellschaften und die Islamisierung" in Plauen aufmerksam machen. Seite 62 von 242 Am 17. Juli nutzten sächsische IB-Anhänger den Montagsprotest in Görlitz als Plattform für die Durchführung einer Banneraktion. Unter Einsatz von Pyrotechnik wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Integration ist eine Lüge. Remigration jetzt" von einem Hausdach heruntergelassen. Um gegen eine geplante Asylbewerberunterkunft in Dresden zu protestieren, besetzten IB-Anhänger aus Sachsen und Bayern am 28. Oktober das Dach der Einrichtung, zeigten ein Banner mit dem Titel "Kein Raum für Überfremdung #Remigration" und setzten Pyrotechnik ein. Beim Eintreffen der Polizei flüchtete ein Großteil der Beteiligten. Zwei Mitglieder verblieben auf dem Dach und konnten erst in den späten Abendstunden durch Polizeikräfte von dort heruntergeholt werden. Im Zusammenhang mit dieser Aktion führten die FREIEN SACHSEN eine Spontandemonstration durch und solidarisierten sich mit der IB. Auch dieser Protest reihte sich in die typische Vorgehensweis der IB ein. Neu war hierbei die mediale Inszenierung, die eine professionellere Stufe erreichte. Bereits während der Aktion informierte eine österreichische Internet-Plattform über einen Live-Ticker hierüber. Auch das rechtsextremistische COMPACT TV war mit einem Reporter live vor Ort und sendete einen Beitrag. Diese Aktion war im Berichtsjahr ein Beleg für die starke Vernetzung der IB mit weiteren rechtsextremistischen Akteuren. Einzelne Aktionen der IB orientierten sich nicht an ihrem Kernthema, sondern richteten sich gezielt gegen den politischen Gegner. IB-Anhänger installierten am 30. April vor dem Eingang zum Büro der Kulturhauptstadt Chemnitz GmbH drei orangefarbene Müllfässer mit den Schriftzügen "Antifa", "MultiKulti" und "*innen" sowie ein Plakat mit dem Titel "Achtung, Kulturhauptstadt fördert linksextremen Sondermüll". Dabei waren sie einheitlich mit grünen Basecaps, weißen Schlauchschals und schwarzen Jacken vermummt und setzten Pyrotechnik ein. Mit dieser Aktion diffamierte die IB erstmals öffentlichkeitswirksam die Kulturhauptstadt Chemnitz GmbH. Darüber hinaus wurde sie auf einem Telegram-Kanal der IB als "linksextremer Sumpf" beschimpft, die "Multikulti-Propaganda, Genderwahn und (...) die militante Antifa" finanziere. "Linksextreme raus aus der Uni!" titelte ein IB-Banner am 25. Oktober in Leipzig auf dem Dach der Universität. "Schon seit Jahren werden Linksextreme an der Uni Leipzig geduldet", schrieb die IB im Nachgang dieser Aktion auf Telegram. "Die Leipziger Aktivisten haben genug von diesen Zuständen und setzten ein klares Zeichen gegen Linksextremismus in der Uni und der Stadt." Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls führte die IB auch im Berichtsjahr verschiedene Wanderungen und interne Veranstaltungen durch. Im Juni beteiligte sich die IB mit einzelnen Aktionen in Sachsen an der bundesweiten Kampagne "Stolzmonat", die als patriotische Gegenbewegung zum "Pride Month" von verschiedenen Akteuren der "Neuen Rechten" in Deutschland initiiert wurde. Die sogenannte "Stolzmonat-Herausforderung" bestand darin, eine Deutschlandfahne an einem öffentlichen Ort zu platzieren, ein entsprechendes Beweisfoto über die sozialen Medien zu verbreiten und drei weitere Personen oder Gruppen zu nominieren, die die nächste Aktion durchführen sollten. Darüber hinaus nahmen Mitglieder der SACHSENGARDE an verschiedenen überregionalen IBVeranstaltungen in Deutschland und dem europäischen Ausland teil. Unter anderem reisten sächsische Anhänger am 29. Juli nach Wien zur Demonstration der IB Österreich und schwärmten im Nachgang von "der großartigen Remigrationsdemo". An der Veranstaltung nahmen zahlreiche IB-Akteure aus Seite 63 von 242 Deutschland, Österreich und der Schweiz teil. Darüber hinaus konnten mehrere Teilnehmer aus den Reihen der JUNGEN ALTERNATIVE34 festgestellt werden. Am IB-Bundeslager "Legion Europa" im August beteiligten sich sächsische IBAnhänger. In einem im Nachgang veröffentlichten Beitrag hieß es dazu: "Harter Sport, konzentriertes Arbeiten und kreatives Schaffen - am ersten Tag des Sommerlagers der IB erfuhren angehende Aktivisten bei ihrem jährlichen Lager ein hartes sportliches Programm und aktivistische Bildung. Zwischen Frühappell, Boxtraining und spannenden Vorträgen formt sich die künftige aktivistische Avantgarde." Eröffnung des IB-Hausprojekts "Zentrum Chemnitz" Im November eröffnete in Chemnitz das erste identitäre Hausprojekt in Sachsen. Nach einer inoffiziellen Einweihungsfeier am 3. November, zu der etwa 90 IB-Anhänger und andere Akteure der "Neuen Rechten" aus ganz Deutschland anreisten, folgte Ende November die offizielle Bekanntgabe von Seiten der IB über ihre verschiedenen Social-Media-Kanäle. "In dem neu eröffneten Zentrum Chemnitz werden von nun an regelmäßig öffentlich zugängliche Veranstaltungen stattfinden. Von Stammtischen mit kleinem Vortragsprogramm über Buchvorstellungen neurechter Denker bis hin zu gemütlichen Barabenden wird jedem etwas geboten", hieß es auf dem neu eingerichteten Telegram-Kanal "Zentrum Chemnitz". Organisator der Eröffnungsfeier war der Chemnitzer IB-Akteur Vincenzo RICHTER, der vor etwa einem Jahr gemeinsam mit dem Leiter der IDENTITÄREN BEWEGUNG DEUTSCHLAND, Philip THALER aus Sachsen-Anhalt, eine Immobilienfirma in Chemnitz gründete und über diese die Räume für das Hausprojekt erwarb. Dieses neue Objekt ermöglicht den Akteuren der IB die Organisation interner Veranstaltungen und die Vorbereitung öffentlichkeitswirksamer Aktionen in einem geschützten Raum. Die nunmehr bestehende feste Anlaufstelle dürfte auch die Gewinnung neuer Mitglieder erleichtern. Aufgrund der guten Vernetzung sächsischer IBMitglieder innerhalb der "Neuen Rechten" wird das "Zentrum Chemnitz" zukünftig auch als Anlaufstelle für andere rechtextremistische Akteure dienen. Eine erste Vortragsveranstaltung mit einem Redakteur der COMPACT-MAGAZIN GMBH fand am 8. Dezember statt. "Der gelungene Abend bestand aus interessanten Vorträgen und natürlich einer gemütlichen Zeit zum vernetzen"35, hieß es im Nachgang auf dem entsprechenden Telegram-Beitrag. Regionale Ausprägung Die SACHSENGARDE unterhält kleinere regionale Gruppen in Bautzen, Chemnitz, Dresden, Görlitz und Leipzig, die mit entsprechenden Social-Media-Kanälen im Internet präsent sind. Die Aktivitäten dieser Gruppen sind jedoch nicht strikt an die jeweilige Region gebunden, ihre Mitglieder agieren folglich auch sachsen-, bundesund teilweise europaweit. Landkreis Bautzen Im Zusammenhang mit dem Montagsprotest in Bautzen am 6. Februar sammelten IBAnhänger Spenden und übergaben diese an die Besitzer eines Restaurants in Bautzen, die eine Woche zuvor Opfer eines Angriffs wurden, bei dem erheblicher Sachschaden entstand. "Vergangene Woche attackierten zwei ,Neubürger' ein Restaurant in der Bautzner Innenstadt. (...) Wir wollen nicht, dass unsere Städte zu einem multi-kulturellen Gang-Land werden", hieß es seitens der IB im Nachgang auf Telegram. 34 vgl. Beitrag II.1.3.5 JUNGE ALTERNATIVE - LANDESVERBAND SACHSEN 35 Schreibweise wie im Original Seite 64 von 242 Landkreis Görlitz Über das Telegram-Profil GRENZSTEINIG GÖRLITZ werden regelmäßig Beiträge anderer IBKanäle geteilt und veröffentlicht. Auch über die o. g. Banneraktion vom 17. Juli wurde berichtet. Dazu hieß es: "Von den Linken in Medien und Regierung als zunehmende Diversität gefeiert, ist der Bevölkerungsaustausch in unserem Land bereits bittere Realität. (...) Doch noch ist nicht alles verloren. Noch haben wir die Gelegenheit, gegen dieses Unrecht aufzustehen!" Chemnitz Die Chemnitzer IB-Anhänger, die sich seit August selbst als FESTUNG CHEMNITZ bezeichnen, beteiligten sich regelmäßig an den wöchentlich stattfindenen Montagsprotesten in Chemnitz. "Das Zentrum von Chemnitz veranschaulicht Bevölkerungsaustausch und Ersetzungsmigration auf erschreckende Weise. Doch jeden Montag erhebt sich der Widerstand gegen diese Zustände! Vereint fordern wir Remigration und geschlossene Grenzen!", hieß es dazu im Mai auf ihrem Telegram-Kanal. Darüber hinaus waren sie maßgeblich für die o. g. Protestaktionen in Chemnitz und Plauen verantwortlich, wirkten an einer Vielzahl anderer politscher Aktionen in Sachsen mit und reisten regelmäßig zu überregionalen IB-Veranstaltungen. Auf Initiative der FESTUNG CHEMNITZ wurde im November das o. g. Hausprojekt "Zentrum Chemnitz" gegründet. "In Chemnitz konnte erst vor Kurzem die Eröffnung eines neuen patriotischen Jugendzentrums gefeiert werden. Dahinter stehen die örtlichen Identitären (...), die in der Corona-Zeit auf kaum einer Montagsdemo gefehlt haben und sich immer wieder spektakuläre Aktionen ausdenken", schrieb das rechtsextremistische COMPACT-MAGAZIN in seiner Dezember-Ausgabe. Landeshauptstadt Dresden Die Gruppierung W ERRA ELBFLORENZ nimmt eine Sonderstellung ein. Auch wenn sie nicht als offizielle sächsische IB-Gruppe geführt wird, greift sie weiterhin typische Narrative, Symbolik und Aktionsformen der IB auf. Im Berichtsjahr beteiligten sich ihre Mitglieder auch an vereinzelten IB-Veranstaltungen. So reisten mehrere Mitglieder am 29. Juli zur o. g. "Remigrationsdemo" nach Wien. Gemeinsam mit anderen sächsischen IB-Anhängern führte WERRA ELBLFORENZ am 26. August vor der Semperoper in Dresden eine Banneraktion unter dem Motto "Keine Moschee in DD - Sachsen bleibt stabil" durch. "Die deutsche Jugend wird niemals akzeptieren, dass Dresden zur Multikulti-Hölle wird", hieß es im Nachgang auf der IBInternetplattform "Aktionsmelder". Neben politischen Aktionen führte die Gruppe auch im Berichtsjahr Wanderungen, Gemeinschaftsund Schulungswochenenden sowie Gedenkveranstaltungen in der Region durch. In einem im Internet veröffentlichten Interview mit dem rechtsextremistischen Verein EIN PROZENT vom 31. März erläuterte die Gruppe ihre Ziele: "Für uns ist der Straßenprotest und -aktivismus die eine Seite der Medaille, die andere - eigentlich weitaus wichtigere - ist die Bildung von starken Charakteren in einer organischen Gemeinschaft, das alltägliche Vorleben von Werten, Prinzipien und Idealen, und letztlich die Schaffung eigener Räume im politischen Vorfeld (Kulturkampf von Rechts). Das ist das Hauptziel unserer Jugendgruppe Werra Elbflorenz (...)" Leipzig Im Zuge der Umbenennung der sächsischen IB in SACHSENGARDE erfolgte auch eine stilistische Neuausrichtung der Leipziger Anhänger, die sich seit August als AKTION OST bezeichnen. Sie beteiligten sich regelmäßig am wöchentlichen Montagsprotest in der Stadt und reisten zu überregionalen IB-Veranstaltungen. Mit vereinzelten politischen Aktionen im Stadtgebiet erreichten sie mediale Aufmerksamkeit. Die Themen "Großer Austausch" und Seite 65 von 242 "Linksextremismus" wurden dabei aufgegriffen. "Kein Gebiet spiegelt in Sachsen den großen Austausch so erschreckend wider, wie das um die berüchtigte Eisenbahnstraße in Leipzig", titelte die IB Ende April auf ihrem Telegram-Kanal. "Um die Zustände auf der Eisenbahnstraße endlich beim Namen zu nennen", tauschten Anhänger das alte Straßenschild gegen ein neues mit der Bezeichnung "Straße der Islamisierung" aus und berichteten über die sozialen Medien darüber. Für die Banneraktion "Linksextreme raus aus der Uni!" am 25. Oktober an der Universität Leipzig war die AKTION OST ebenfalls verantwortlich. Fazit Nachdem die IB in Sachsen in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 mit ihren Aktionen vorwiegend gegen die Energieund Sanktionspolitik der Bundesregierung protestierte, kehrte sie im Berichtsjahr wieder zu ihrem Kernthema - der Forderung nach "Remigration" - zurück. Mit ihren vielfältigen Aktionen machte sie sachsenweit medial auf sich aufmerksam und nutzte die Präsenz des Themas Asyl im Rahmen politischer Debatten und medialer Berichterstattung für die Verbreitung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele aus. Neben zahlreichen Aktionen war dabei insbesondere eine Professionalisierung in der Berichterstattung über die sozialen Medien erkennbar. Mit dem neu gegründeten identitären Hausprojekt in Chemnitz gibt es nun einen geschützten Raum, der die Durchführung von eigenen Veranstaltungen und die Vorbereitung politischer Aktionen erleichtern und für die Vernetzung mit anderen rechtsextremistischen Akteuren von großer Bedeutung sein wird. "Es stellt (...) ein wichtiges Infrastrukturprojekt für die gesamte Neue Rechte dar", resümierte ein Autor im Dezember auf einer österreichischen InternetPlattform. Es bleibt abzuwarten, inwiefern dieses Objekt für die Vorbereitung bzw. Durchführung rechtsextremistischer Aktionen im Rahmen der zahlreichen Veranstaltungen in Chemnitz anlässlich des "Kulturhauptstadt 2025"-Jahres genutzt werden wird. Schließlich stehen die mit dem Titel "Kulturhauptstadt Europas" einhergehenden Werte (z. B. Völkerverständigung, kulturelle Vielfalt, Gemeinsamkeiten des kulturellen Erbes in Europa) im diametralen Gegensatz zur verfassungsfeindlichen Agenda der IB. 1.4.3 EIN PROZENT E. V. Gründung / Sitz: Herbst 2015, seit April 2016 eingetragener Verein mit Sitz in Görlitz und Büroadresse in Dresden Vorsitz: Philip STEIN Teil- / Nebenorganisationen: Online-Shop Publikationen / Internetauftritte: Newsletter "Der Rundbrief der Bewegung" Eigene Homepage Homepage "Ein Prozent-Versand" Homepage "Wahlbeobachtung" Homepage "Solifonds" verschiedene Profile in den sozialen Medien verschiedene Podcastund Videoformate Personenpotenzial / zehn Mitglieder Mitgliederentwicklung laut Eigenangaben über 50.000 Unterstützer (bundesweit) Seite 66 von 242 Finanzierung Beiträge von Fördermitgliedern Spenden Materialversand Kurzportrait / Ziele Der Verein ist bundesweit aktiv und beschreibt sich selbst als "Deutschlands größtes Bürgernetzwerk". Mit Spenden, Kampagnen, Werbung und SocialMedia-Aktivitäten unterstützt und fördert er verschiedene Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen der "Neuen Rechten" und vernetzt sie miteinander. Der Name EIN PROZENT soll die eigene Überzeugung widerspiegeln, dass die Unterstützung von einem Prozent der Bevölkerung ausreiche, um die eigenen Ziele erreichen zu können. Relevante Ereignisse und Vielfältige Podcasts und Videoformate, Blogs Entwicklungen 2023 und Veröffentlichungen über eigene Internetauftritte Fortsetzung der Kampagnen "Solifonds" und "Wahlbeobachtung" Intensive Unterstützung und Vernetzung der "Neuen Rechten" Ideologie Der Verein vertritt einen ethnisch-homogenen Volksbegriff, der mit dem Prinzip der Menschenwürde nicht vereinbar ist. Das verschwörungstheoretische Konzept des "Großen Austauschs", eines vermeintlich gesteuerten Bevölkerungsaustausches, wird propagiert. Außereuropäische Flüchtlinge werden pauschal abgewertet und als nicht integrierbar angesehen. Ihnen werden ihre tatsächlichen Fluchtgründe abgesprochen, und sie werden für Missstände in Deutschland verantwortlich gemacht. Dies wird beispielsweise in einem Blogbeitrag unter dem Titel "Asylfakten: Zahlen einer Invasion" vom Juli verdeutlicht: "Während immer mehr ukrainische Kriegsflüchtlinge ins Land kommen, stehen zeitgleich die Grenzen für nichteuropäische Wirtschaftsmigranten weit offen. Die direkten Folgen sind Wohnungsmangel, leere Kassen bei den Kommunen, überforderte Kitas und Schulen, vermehrte Konflikte zwischen Deutschen und Fremden und gestiegene Kriminalität." Insbesondere über die zahlreichen Internetpräsenzen des Vereins werden diese muslimund migrantenfeindlichen Einstellungen offen kommuniziert und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. "Die Flüchtlingsinvasion ist eine Katastrophe für Deutschland und Europa. (...) Wir machen nicht mit! (...)", heißt es auf der Homepage des Vereins. Daneben finden sich vereinzelt auch antisemitische und homophobe Positionen wieder. Strategie EIN PROZENT bezeichnet sich selbst als "professionelle Widerstandsplattform für deutsche Interessen". Die materielle, finanzielle sowie ideelle Unterstützung und Förderung verschiedener Organisationen und Personen der "Neuen Rechten" steht dabei im Vordergrund. "Vernetzung, Finanzierung und Organisation sind somit die wesentlichen Grundpfeiler eines professionellen Widerstandes", schreibt der Verein dazu auf seiner Homepage. "Wir vernetzen Einzelpersonen und Bürgergruppen, die es wagen, in einer alternativlosen Zeit Alternativen zu suchen. Wir vermitteln Kontakte und Ideen für mutige Bürger. Wir betreuen Aktivisten, die sich in erster Reihe engagieren. Wir helfen denen, die keine Lobby haben, aber eine verdient haben. Und: Wir sorgen dafür, dass Hilfe bei denen ankommt, die sie auch brauchen." Seite 67 von 242 Unterstützung erhalten dabei nur solche Organisationen, deren Ziele und ideologischen Hintergründe denen des Vereins auch entsprechen. Zu diesen gehören u. a. die IDENTITÄRE BEWEGUNG, das INSTITUT FÜR STAATSPOLITIK, die JUNGE ALTERNATIVE und die AfD. Mit Hilfe der sozialen Medien, verschiedener Kommunikationsstrategien und überregionaler Kampagnen versucht der Verein, im außerparlamentarischen Raum politisch Einfluss zu nehmen und eine rechtsextremistische "Gegenkultur" zu etablieren. Die verfassungsfeindliche Ideologie ist dabei nicht immer als solche zu erkennen, was den Verein gesellschaftsfähiger machen soll. Aktivitäten Der Verein ist insbesondere im virtuellen Raum aktiv. Mittels vielfältiger Podcastund Videoformate, Blogs und Veröffentlichungen über seine Social-Media-Kanäle besitzt EIN PROZENT umfangreiche Möglichkeiten der Einflussnahme. Darüber hinaus sind Mitglieder und Anhänger von EIN PROZENT mit Informationsständen bei Veranstaltungen präsent oder verteilen dort Werbematerial über ihren Verein und dessen Absichten. Über den eigenen Materialversand werden seit Oktober 2018 darüber hinaus einerseits Info-Flyer zum Verein und andererseits Kleidung mit Vereins-Logo sowie Broschüren, Bücher und Kunst (Drucke, Kalender, Gemälde) von Autoren und Künstlern aus dem neurechten Spektrum vertrieben. Mit der im Herbst 2021 initiierten Kampagne "Solifonds" und der dazu eigens eingerichteten Internetpräsenz sammelt der Verein Spenden, um "Patrioten", die Opfer von "Gewalt, Brandanschläge[n], Farbangriffe[n] und Denunziation[en]" geworden sind, finanziell zu unterstützen. "Damit deine Stimme nicht für die Tonne ist: Wahlbeobachter werden!", titelt EIN PROZENT auf der separaten Webseite zum Thema "Wahlbeobachtung". Der Verein ist der Ansicht, dass in der Bundesrepublik Deutschland flächendeckend Wahlen bewusst von Seiten des Staates zum Nachteil nicht regierungskonformer Parteien manipuliert werden. Um dem entgegenzuwirken, "beobachten wir in Deutschland alle Wahlen ab Landesebene." Deshalb wirbt der Verein um freiwillige Wahlbeobachter und -helfer und bietet diesen Schulungen bzw. Informationsmaterial an. Für das bevorstehende Wahljahr 2024 veröffentlichte der Verein Anfang Dezember einen neuen "Leitfaden für Wahlbeobachter" auf seiner Homepage "Wahlbeobachtung". Im November berichtete EIN PROZENT über das neue Hausprojekt "Zentrum Chemnitz" der IDENTITÄREN BEWEGUNG. In diesem Zusammenhang forderte der Verein auch einen "Freiraum für Patrioten" in Dresden und bat um Mithilfe bei der Suche nach einem geeigneten Objekt. Auch "die Hauptstadt der Gegenkultur" brauche schließlich einen "neue[n] Fels in der Brandung". Fazit Als politische "Vorfeldorganisation" ist der Verein bestrebt, seine Unterstützungs-, Förderund Vernetzungsaktivitäten innerhalb des neurechten Spektrums zu intensivieren, bestehende Kooperationen auszubauen und neue Partner zu gewinnen. "Migration" wird auch künftig der zentrale Themenschwerpunkt im Rahmen der öffentlichen Agitation dieser rechtsextremistischen Bestrebung sein. Darüber hinaus ist insbesondere im Vorfeld der anstehenden Wahlen im Sommer und Herbst 2024 in Ostdeutschland und damit auch im Freistaat Sachsen mit einer intensiven Wahlwerbung für die AfD zu rechnen. Seite 68 von 242 1.4.4 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN Sitz sachsenweit; Schwerpunkte in Bautzen (Landkreis Bautzen), Dresden und Leisnig (Landkreis Mittelsachsen) Gründung / Bestehen seit bundesweit: 1970er Jahre Publikationen bundesweit: u. a. N.S. HEUTE, NORDISCHE ZEITUNG36 Sachsen: keine Internetauftritte wechselnde Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten Personenpotenzial 2023 2022 Sachsen ca. 570 ca. 600 bundesweit37 k. A. k. A. Finanzierung Beiträge der Anhänger, Spenden, Unkostenbeiträge bei Vortragsveranstaltungen, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. ä. Kurzportrait / Ziele NEONATIONALSOZIALISTEN sind vor allem durch eine positive Bezugnahme auf das sog. "Dritte Reich" gekennzeichnet. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene sind sie am stärksten ideologisch geprägt. Organisatorisch sammeln sie sich in "Kameradschaften" oder informellen Gruppen. Die strukturelle Bindung ist jedoch in den vergangenen Jahren zugunsten digitaler Vernetzungen schwächer geworden. Relevante Ereignisse Die ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENSGEMEINSCHAFT und Entwicklungen 2023 WESENSGEMÄßER LEBENSGESTALTUNG E.V. wurde mit Wirkung vom 27. September 2023 verboten. Die einzige Demonstration der NEONATIONAL-SOZIALISTISCHEN SZENE im Freistaat Sachsen mit einer hohen Teilnehmerzahl fand am 11. Februar in Dresden statt. Der 13. Februar als Gedenktag an die Bombardierung der Landeshauptstadt Dresden im Jahr 1945 stellt landesund bundesweit weiterhin das Hauptereignis "historischen Gedenkens" der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE dar. Ideologie Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE ist gekennzeichnet durch eine auf dem historischen Nationalsozialismus fußende Weltanschauung. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind der bei NEONATIONALSOZIALISTEN stärker ausgeprägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes der NEONATIONALSOZIALISTEN. 36 Bis zu deren Verbot im September 2023 gab die ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENSGEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßER LEBENSGESTALTUNG E. V. die NORDISCHE ZEITUNG heraus. 37 Für den Bund wird das Personenpotenzial der neonationalsozialistischen Szene seit dem Jahr 2018 nicht mehr gesondert ausgewiesen. Seite 69 von 242 NEONATIONALSOZIALISTEN stellen mit dieser Orientierung den ideologisch entschiedensten Teil der Szene dar und zählen damit zu den überzeugtesten Gegnern des demokratischen Rechtsstaates innerhalb des Rechtsextremismus. Kern neonationalsozialistischer Überzeugungen sind Geschichtsrevisionismus bis hin zur Holocaustleugnung, Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Diese Ideologieelemente stehen im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für NEONATIONALSOZIALISTEN ist die Demokratie "die Herrschaft der Minderwertigen". Der Staat solle nach ihren Vorstellungen stattdessen autoritär nach dem "Führerprinzip" regiert werden. Die "Volksgemeinschaft" zeichne sich durch die Überlegenheit von "Weißen" - der "arischen Rasse" - aus. Zuwanderung und Integration werden als Angriff auf die "biologische Substanz des deutschen Volkes" gewertet. Gewalt wird als ein legitimes und gebotenes Mittel der politischen Auseinandersetzung angesehen. Strategie Nach den Verboten der NATIONALEN SOZIALISTEN DÖBELN im Jahr 2013 und der NATIONALEN SOZIALISTEN CHEMNITZ (NSC) im Jahr 2014 haben neonationalsozialistische Gruppierungen auch aufgrund einer weiter fortschreitenden Digitalisierung ihre bestehenden Organisationsstrukturen weitgehend aufgegeben. Statt hierarchisch strukturierter Kameradschaften oder Gruppen des "Nationalen Widerstands" dominieren jetzt virtuelle Kennverhältnisse vor Ort. Nur in Einzelfällen gibt man sich nach außen hin noch ein Label - und dies häufig auch nur aus propagandistischen Gründen. Stattdessen strukturiert sich die Szene beispielsweise über Kampagnen und Szeneveranstaltungen. So kann sie die eigene Flexibilität erhöhen und sich gleichzeitig staatlichen Exekutivmaßnahmen leichter entziehen. Einzelne NEONATIONALSOZIALISTEN versuchen darüber hinaus, szeneintern neue Impulse zu setzen und bedienen sich moderner Medien, wie z. B. YouTube, "X" (vormals Twitter), Telegram und Instagram. In den Videos und Podcasts unter Namen wie beispielsweise "Moe's Taverne" wird die rechtsextremistische Ausrichtung der Beiträge unter dem Deckmantel intellektueller Aufarbeitung - oft nur unterschwellig - vermittelt. Dennoch greift die Szene weiterhin auch auf klassische Medien zurück. Die Zeitschrift N.S. HEUTE des Dortmunder Neonationalsozialisten Sascha KROLZIG präsentiert sich diesbezüglich als weltanschaulicher Wegweiser der Szene. Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE konzentriert sich inzwischen auf Aktivitäten im "vorpolitischen und nicht zwingend extremistischen Raum": "Wenn wir nicht anfangen, alle nur denkbaren Bereiche von Sportvereinen, Schützenvereinen, Boxund Kampfsportschulen, staatlichen Strukturen, gegnerischen Strukturen etc. zielgerichtet zu unterwandern, [...] werden wir auch weiterhin marginalisiert bleiben und nichts verändern können." Dementsprechend fokussiert man sich darauf, "Alltagssorgen" der Menschen sowie die öffentliche Diskussion bestimmende Debatten aufzugreifen und für die eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren. Mit den genannten Strategien versuchen NEONATIONALSOZIALISTEN sowohl auf versteckte als auch auf offenkundige Art und Weise innerhalb und außerhalb der rechtsextremistischen Szene ein positives Bild über das sog. "Dritte Reich" zu vermitteln. Sie wollen damit die Geschichte umdeuten bzw. die Verbrechen des NS-Regimes relativieren oder gänzlich leugnen und auch für nicht extremistische Kreise anschlussfähig sein. Seite 70 von 242 Struktur Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE unterscheidet sich vom parteigebundenen Rechtsextremismus hinsichtlich ihrer Organisationsform. So setzte sich der Trend hin zu einer Verringerung fester Strukturen in der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE infolge des Verbots der ARTGEMEINSCHAFT im Berichtsjahr weiter fort. Bereits in den vergangenen Jahren hatten sich vor allem Führungspersonen der Szene häufig für den Eintritt in rechtsextremistische Parteien, wie DIE HEIMAT (vormals NPD), deren Jugendorganisation JUNGE NATIONALISTEN (JN) und DER DRITTE WEG entschieden. Im Berichtsjahr stellte das LfV Sachsen auch Eintritte in die Partei FREIE SACHSEN fest. Auf diese Weise sollen die eigenen Aktivitäten im Schutze des im Grundgesetz festgeschriebenen Parteienprivilegs (Art. 21 GG) unbehelligt fortgeführt werden. Wegen der Auflösung fester Szenestrukturen gewinnen insbesondere bei jüngeren SzeneAnhängern schnell einzurichtende, offene und geschlossene Gruppen oder Foren auf Messenger-Diensten und in den sozialen Medien weiter an Bedeutung. Die virtuellen Vernetzungsmöglichkeiten der Szene ergänzen das Gemeinschaftsgefühl und die Gruppenzugehörigkeit. Weiterhin etabliert sich das Internet in der Szene zunehmend als zentrales Medium, um auch in kurzer Zeit eine große Anzahl von Anhängern zu erreichen und zu mobilisieren. Aus einer virtuellen Vernetzung heraus entstanden in der Vergangenheit auch im Freistaat Sachsen einzelne neonationalsozialistische Gruppierungen mit realweltlichen Aktivitäten. Diese lösten sich jedoch binnen kurzer Zeit wieder auf. Mit Wirkung vom 27. September verbot die Bundesinnenministerin die ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENSGEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßER LEBENSGESTALTUNG E.V. Das Verbot schloss als Teilorganisationen das "Familienwerk e.V." sowie sämtliche als "Gilden", "Gefährtschaften" und "Freundeskreise" organisierten Regionalgruppen mit ein. Von den mit der Umsetzung des Verbots einhergehenden Durchsuchungen in zwölf Bundesländern war auch der Freistaat Sachsen betroffen. Die seit 1951 bestehende ARTGEMEINSCHAFT nahm innerhalb des völkisch-rassistischen Milieus eine Vorreiterrolle ein. Kennzeichnend für die ARTGEMEINSCHAFT war die Anerkennung des Führerprinzips, die Forderung nach Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft wie auch die Verpflichtung zur Reinheit der Rasse bzw. Art. An den "Gemeinschaftstagungen" der Organisation in Ilfeld (Thüringen) nahmen regelmäßig auch Personen aus Sachsen teil. Mit ihren Schriften und Veranstaltungen bot die ARTGEMEINSCHAFT bis zu ihrem Verbot den nötigen Raum, um NEONATIONALSOZIALISTEN und deren Familien an die Szene zu binden und rassistische Überzeugungen weiterzugeben. Für die Betreuung inhaftierter Rechtsextremisten trat im Jahr nach dem 2011 vollzogenen Verbot der HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE UND POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. (HNG) die GEFANGENENHILFE.INFO (GH) in Erscheinung. Die GH ist ein in Schweden eingetragener Verein, dessen Hauptanliegen die finanzielle Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Familien ist ("Gemeinschaft statt Isolation"). Durch diese "Gefangenenbetreuung" sollen die Inhaftierten weiterhin an die rechtsextremistische Szene gebunden werden. Die Hilfsorganisation informiert in Internetkanälen über Gefangene und bietet ein Postfach in Schweden an, über das man an Gefangene oder Anwälte anonym Briefe versenden kann. In den vergangenen Jahren warb die GH auch bei rechtsextremistischen Veranstaltungen im Freistaat Sachsen um Spenden. Seite 71 von 242 Aktivitäten Die politische Betätigung spielt für Angehörige der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE eine wichtige Rolle. Aufgrund der nicht mehr - wie in früheren Jahren - vorhandenen organisatorischen Festigkeit der Szene sind Veranstaltungen als "Sammlungspunkte" wichtig, um über die sozialen Medien hinaus weiterhin miteinander verbunden und handlungsfähig zu bleiben. Demonstrationen Demonstrationen waren für die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE lange Zeit das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich gleichzeitig als Bewegung zu präsentieren. Die Anzahl der Demonstrationen der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE ist in den vergangenen Jahren allerdings stark zurückgegangen. Stattdessen wird die Organisation und Leitung von Versammlungen mittlerweile von den besser strukturierten rechtsextremistischen Parteien übernommen. "Heldengedenken" Von geringerer Reichweite sind traditionell die "Heldengedenken". Dabei werden die in den Weltkriegen Gefallenen als "Helden" und "Kämpfer" im Sinne der rechtsextremistischen Ideologie propagandistisch vereinnahmt. Diese Gedenkveranstaltungen finden vor allem um den "Volkstrauertag" im November statt. Im Berichtsjahr wurden sachsenweit verschiedene kleinere "Gedenkaktionen" auch von NEONATIONALSOZIALISTEN ausgerichtet. Sie werden regelmäßig genutzt, um die Verbrechen des NS-Regimes auszublenden und stattdessen ausschließlich die "Kriegsund Nachkriegsverbrechen der Alliierten" in den Mittelpunkt zu rücken. Sonnenwendfeiern Die Sonnenwendfeiern am 21. Juni und 21. Dezember sind feste Termine in den Kalendern von NEONATIONALSOZIALISTEN. Im Rahmen der Sonnenwendfeiern versuchen sie, verfassungsfeindliche Ideologieelemente mit der "Lagerfeuerromantik" dieser Feier zu verbinden. Sonnenwendfeiern wurden zu Zeiten des Nationalsozialismus als offizieller Feiertag eingeführt. Ziel war es, mit heidnischem Brauchtum christlichen oder anderen religiösen Feiertagen Konkurrenz zu machen. Gegenwärtig dienen die Feiern der Bewahrung dieses "historischen Erbes" und der Pflege des Gemeinschaftsgefühls. Vortragsveranstaltungen Wichtigste Vortragsveranstaltungen der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE waren in der Vergangenheit die zumeist konspirativ organisierten "Zeitzeugenvorträge". Bei diesen traten Personen auf, die in der Zeit des historischen Nationalsozialismus sozialisiert wurden und ihre Lebenserinnerungen schilderten. "Zeitzeugenvorträge" waren ein wichtiges Instrument, um die rechtsextremistische Ideologie und Agitation historisch zu legitimieren. In Sachsen fanden in den vergangenen Jahren mehrere "Zeitzeugenvorträge" mit teilweise einigen hundert Teilnehmern statt. Im Berichtsjahr hingegen organisierte die rechtsextremistische Partei FREIE SACHSEN lediglich einen vom Umfang her wesentlich kleineren sog. "Stammtisch mit Zeitzeugen" in Roßwein (Landkreis Mittelsachsen). Diese Tatsache ist ein weiterer Beleg dafür, dass die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE für die Organisation von relevanten Veranstaltungen inzwischen auf rechtsextremistische Parteien mit entsprechendem Mobilisierungspotenzial angewiesen ist. Darüber hinaus dürfte es für die Szene zunehmend schwieriger werden, Zeitzeugen wegen deren inzwischen hohen Alters oder Todes zu gewinnen. Seite 72 von 242 "Kampfsportveranstaltungen" Das Interesse von NEONATIONALSOZIALISTEN am Kampfsport ist unverändert hoch, wenngleich im Berichtsjahr keine derartigen Veranstaltungen in Sachsen stattfanden. Einzelne Rechtsextremisten aus dem Freistaat nahmen allerdings am 6. Mai an der von deutschen Rechtsextremisten mitorganisierten Kampfsportveranstaltung "European Fight Night" in Ungarn teil. Kampfsport dient im Rahmen entsprechender Events nicht nur dem wettbewerbsmäßigen Kräftemessen sowie der engen Vernetzung und der Kontaktpflege innerhalb der Szene, sondern vor allem dem Training der körperlichen Ertüchtigung für den Kampf gegen den politischen Gegner. Rechtsextremisten nahmen im Berichtsjahr als Kämpfer oder Zuschauer zudem an unpolitischen Kampfsportveranstaltungen teil. Abseits von größeren Veranstaltungen nutzen sie lokale, oft nicht der rechtsextremistischen Szene zugehörige "Gyms" (Sportstudios), um sich verschiedene Kampfsporttechniken anzueignen. Kampfsportveranstaltungen und "Gyms" bieten NEONATIONALSOZIALISTEN auf unkomplizierte Art und Weise die Möglichkeit, mit anderen mit der rechtsextremistischen Szene sympathisierenden Personen Kontakt aufzunehmen und diese für ihre eigenen extremistischen Aktivitäten zu begeistern. Beteiligung an Veranstaltungen im europäischen Ausland Alljährlich im Februar beteiligen sich NEONATIONALSOZIALISTEN aus Sachsen an der rechtsextremistischen Gedenkveranstaltung "Tag der Ehre" und der sich daran anschließenden rund 60 km langen Gedenkund Wandertour "Ausbruch 60" in Ungarn. Ungarische Rechtsextremisten erinnern damit an die Belagerung der Stadt Budapest durch die sowjetische Rote Armee zum Ende des Zweiten Weltkrieges sowie an den Ausbruch von mehr als 40.000 ungarischen und deutschen Soldaten am 11. Februar 1945. Die Gedenkveranstaltung wurde auch im Berichtsjahr von den örtlichen Behörden verboten, fand aber dennoch in einem abgelegenen Wald bei Budapest statt. Diese Veranstaltung bietet deutschen NEONATIONALSOZIALISTEN regelmäßig die Möglichkeit, sich mit Rechtsextremisten aus dem europäischen Ausland zu vernetzen. Regionale Ausprägung Landeshauptstadt Dresden Seit Jahren stellt der 13. Februar als Gedenktag für die Bombardierung der Stadt Dresden im Jahr 1945 landesund bundesweit das Hauptereignis im Rahmen des "historischen Gedenkens" der rechtsextremistischen - vor allem aber der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE - dar. Das Narrativ eines "Bombenholocausts" wird dabei seit Jahren hochgehalten und dient der Relativierung des Holocausts sowie einer Täter-Opfer-Umkehr. Am 11. Februar nahmen ca. 670 Personen an dieser Veranstaltung ("Trauermarsch") teil. Anmelder war erneut der in den Landkreis Mittelsachsen zugezogene Rechtsextremist Lutz GIESEN. Die Organisatoren entschieden sich dabei bewusst für einen Samstag als Veranstaltungstag und mussten damit in Kauf nehmen, dass zeitgleich der oben beschriebene "Tag der Ehre" in Budapest stattfand. Somit verteilte sich das neonationalsozialistische Klientel auf zwei SzeneVeranstaltungen. Einsatzkräfte der Polizei stoppten mehrfach den Aufzug, da Teilnehmer gegen das Vermummungsverbot verstießen sowie Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendeten. Im weiteren Verlauf versuchten Gegendemonstranten wiederholt den Aufzug zu stören. Die Polizei konnte ein Aufeinandertreffen der beiden politischen Lager unterbinden. Nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen beteiligten sich erstmals wieder ausländische Rechtsextremisten an dieser "Gedenkveranstaltung" in der Landeshauptstadt. Seite 73 von 242 Landkreis Bautzen Im Landkreis Bautzen ist die neonationalsozialistische Gruppierung BALACLAVA GRAPHICS aktiv, die durch einen bekannten Rechtsextremisten aus Bautzen angeführt wird. Seit Jahren stellt dieser Online-Plattformen u. a. für die Mobilisierung für Versammlungen zur Verfügung. Zunächst unter der Bezeichnung "Stream BZ", später unter "Balaclava Graphics" wurde auch im Berichtsjahr in den sozialen Medien (Instagram, Telegram, Facebook, "X" (vormals Twitter), YouTube, TikTok) für Veranstaltungen geworben und über diese berichtet. Die Szene wiederum nutzt diese Plattformen für entsprechende Kommentare. Weiterhin bietet der Rechtsextremist überregional die grafische Gestaltung von Werbe-Flyern und Covern an, die u. a. von rechtsextremistischen Bands genutzt werden. BALACLAVA GRAPHICS selbst bezeichnet sich als "Das rechte Medienkollektiv aus der Oberlausitz" und führt zu seinen Aufgaben wie folgt aus: "Wie Ihr schon erwähnt habt, filmen und fotografieren wir Veranstaltungen aus unserem Spektrum. Wir wollen professionelle Bilder liefern. Das ist etwas, was das rechte Spektrum viele Jahre völlig vernachlässigt hat. Zusätzlich bieten wir auch Konzertfotografie, Musikvideos, Trailervideos, grafische Gestaltung von Flyern, CDs, Büchern usw. an. Natürlich kommt auch der Aktivismus nicht zu kurz. Wir alle sind aktiv und begleiten unsere und andere Aktionen mit der Kamera, um sie in Szene zu setzen. Die Nachbereitung im Netz ist bei Aktionen ebenso wichtig wie die Aktion an sich. Gerade durch die Aufarbeitung in sozialen Netzwerken ist man in der Lage, mit seiner Aktion mehrere tausend Menschen zu erreichen. Zudem betreiben wir Recherche über linke Strukturen, deren Veranstaltungen/Demonstrationen wir auch "undercover" besuchen und begleiten." BALACLAVA GRAPHICS begleitete im Berichtsjahr verschiedene rechtsextremistische Veranstaltungen, u. a. den "Trauermarsch" der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN Szene am 11. Februar in Dresden, die "Heldengedenken" am 22. April in Niederkaina bzw. am 19. November in Göda und Königshain und die rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung "European Fight Night" am 6. Mai in Ungarn medial und veröffentlichte entsprechendes Bildund Videomaterial in den sozialen Medien. Zudem wurde auf den Social-Media-Kanälen von BALACLAVA GRAPHICS regelmäßig für die wöchentlichen Protestveranstaltungen in Bautzen geworben und anschließend über das Veranstaltungsgeschehen berichtet sowie Fotos und Videos veröffentlicht. Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE im Raum Bautzen führte auch im Berichtsjahr sog. "Heldengedenken" durch: Am 22. April gedachten in Niederkaina ca. 25 Personen der im Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee getöten Angehörigen des "Volkssturms". Sie begaben sich in Zweierreihen zur Gedenktafel, führten ein Transparent der JUNGEN NATIONALISTEN (JN) mit und legten ein Blumengebinde nieder. In den späten Abendstunden fand in Niederkaina eine weitere, jedoch unangemeldete Gedenkaktion zur gleichen Thematik statt. Wiederum ca. 25 Teilnehmer stellten sich mit Fackeln an der Gedenktafel auf. Die Polizei beendete diese Zusammenkunft. Unter den Teilnehmern befand sich wieder der bekannte Rechtsextremist aus dem Raum Bautzen, der bereits die Veranstaltung am Nachmittag angemeldet hatte. Anlässlich des Volkstrauertages am 19. November gedachten auf dem Soldatenfriedhof in Göda mindestens 60 Personen der deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges. NEONATIONALSOZIALISTEN aus dem Raum Bautzen beteiligten sich zudem an einer weiteren Gedenkveranstaltung am 19. November in Königshain (Landkreis Görlitz). Seite 74 von 242 BALACLAVA GRAPHICS berichtete im Nachgang u. a. auf seinen Social-Media-Kanälen über die Veranstaltungen. Einzelne, der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im ostsächsischen Raum angehörige Personen sind über entsprechende Kennverhältnisse mit der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE in Ostsachsen mehr oder weniger eng vernetzt. So unterstützen sie sich gegenseitig durch die Teilnahme an Veranstaltungen, wie beispielsweise den "Heldengedenken", dem sog. "Trauermarsch" in Dresden anlässlich des 13. Februars oder bei rechtsextremistischen Konzerten. Landkreis Mittelsachsen Durch die gezielte gemeinsame Ansiedlung von Rechtsextremisten im ländlichen Raum wird die Bildung rechtsextremistischer, realweltlicher Netzwerke mit Bezügen u. a. zur NEONATIONALISTISCHEN SZENE begünstigt. Die in der medialen Berichterstattung als "Völkische Siedler" bezeichneten Rechtsextremisten pflegen eine naturorientierte ländliche Lebensweise auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie. In Sachsen ist insbesondere eine Ansiedlung von einzelnen untereinander eng verbundenen Rechtsextremisten mit ihren Familien in Leisnig bekannt. Seit Februar 2020 warben Rechtsextremisten auch unter dem Label "Initiative Zusammenrücken" für weitere Ansiedlungen im mitteldeutschen Raum. Am 28. September gab die Initiative jedoch - mutmaßlich aufgrund des Verbots der ARTGEMEINSCHAFT - die Einstellung ihrer Aktivitäten mit sofortiger Wirkung bekannt. In ihrer hierzu veröffentlichten Erklärung betonte die Initiative, dass sie "in der gegenwärtigen Lage einzig die Strategie der Sammlung für erfolgsversprechend erachte. Und diese Sammlung muss in Mitteldeutschland stattfinden." 1.4.5 Subkulturell geprägtes sowie unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Sitz sachsenweit; Schwerpunkte in der Region Chemnitz und in den Landkreisen Bautzen und Görlitz (u. a. BRIGADE 8 CHAPTER SCHLESIEN, SCHLESISCHE JUNGS NIESKY, NATIONALER JUGENDBLOCK E.V. ZITTAU, DIVISION 45, JUGENDBLOCK BAUTZEN sowie rechtsextremistische Fußballanhänger) Gründung / Bestehen Die Szene ging aus der Ende der 1960er Jahre in Großbritannien entstandenen Skinheadszene hervor und breitete sich in den 1970er Jahren bundesweit auch in Deutschland aus. Publikationen bundesweit: sog. Fanzines mit Artikeln zur überwiegend subkulturell geprägten rechtsextremistischen Musikszene sowie mit Interviews und Konzertberichten Internetauftritte Wechselnde Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten; dort u. a. Bekanntmachungen von Konzerten sowie Veröffentlichungen von Videos Personenpotenzial 2023 2022 Sachsen ca. 2.260 ca. 2.310 Seite 75 von 242 bundesweit38 k. A. k. A. Finanzierung Finanzielle Beiträge der Anhänger, Eintrittsgelder bei Musikveranstaltungen, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. Ä. Kurzportrait / Ziele Eine strategisch ausgerichtete, ideologisch-politische Arbeit wird von SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN GRUPPIERUNGEN nicht betrieben. Gewaltbereitschaft, Kurzschlussreaktionen und impulsgesteuertes Handeln sind für diese Szene charakteristisch. Nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen im Jahr 2022 Relevante Ereignisse und bemühte sich insbesondere die zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN Entwicklungen 2023 RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE gehörende rechtsextremistische Musikszene, ihr Veranstaltungsniveau wieder zu steigern. Jedoch gelang dies aufgrund behördlicher Maßnahmen nicht. Ferner war mit unterschiedlicher lokaler Ausprägung eine regelmäßige Teilnahme von Angehörigen der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE am wöchentlichen Protestgeschehen festzustellen, z. B. in Bautzen. Ideologie Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial teilt die ideologischen Überzeugungen von NEONATIONALSOZIALISTEN.39 Es verfügt über ein ähnliches von Chauvinismus, Antisemitismus, Fremdenhass sowie Rassismus geprägtes Weltbild. Dennoch unterscheidet es sich von NEONATIONALSOZIALISTEN durch die Schwerpunktsetzung auf erlebnisorientierte Veranstaltungen, bei denen nicht die ideologische Propaganda oder die strategische Verfolgung politischer Ziele im Vordergrund stehen, sondern die Erfahrung von gelebter "Gemeinschaft" unter Gleichgesinnten. Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial stellt sich dabei als Mischszene dar und dient den NEONATIONALSOZIALISTEN als "Rekrutierungsmasse" zur Verbreitung ihrer Ideologieelemente. Da diese Personen nicht an ideologischer Vertiefung interessiert sind, beteiligen sie sich weder an politischen Strategiedebatten noch an der Erarbeitung entsprechender Konzepte oder der Verbreitung ausgearbeiteter Stellungnahmen. Strategie Anders als NEONATIONALSOZIALISTEN streben sie keine Wirkung außerhalb der rechtsextremistischen Szene an. Im Vordergrund steht das tägliche, eher unreflektierte Erleben und Ausleben ihrer Gesinnung. Dieser Teil der rechtsextremistischen Szene bildet nicht nur die unverzichtbare "Mobilisierungsmasse" für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer, auch strukturierter 38 Für den Bund wird das Personenpotenzial der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE seit dem Jahr 2018 nicht mehr gesondert ausgewiesen. 39 vgl. Beitrag II.1.4.4 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN Seite 76 von 242 Gruppierungen bzw. rechtsextremistischer Kampagnen, sondern dient auch als Nährboden für die Bildung neuer Gruppierungen. Die Personen handeln impulsiv, situativ bedingt und spontan. So gingen bei den größeren Ereignissen der vergangenen Jahre die Konfrontationen und Gewalttaten beispielsweise gegen Polizisten oder den politischen Gegner zumeist von diesem Personenpotenzial aus. Personenpotenzial / Struktur Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial umfasste im Berichtsjahr etwa 2.260 Personen (2022: 2.310 Personen), wobei etwa 2.000 Personen (2022: ca. 2.050) dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zugeordnet werden. Damit ist ein erheblicher Teil der dem LfV Sachsen bekannten Rechtsextremisten in Sachsen nicht in Parteien oder anderweitigen Strukturen eingebunden, sondern agiert trotz seiner rechtsextremistischen Gesinnung losgelöst von festen Szenegruppierungen. Die SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE weist nicht nur deutliche Bezüge zur rechtsextremistischen Kampfsportszene auf. Ihr werden auch rechtsextremistische Fußballanhänger zugeordnet. Sie sind vor allem in den Großstädten, aber auch in den Landkreisen Bautzen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Leipzig, Nordsachsen, Zwickau und im Erzgebirgskreis ansässig. Die Bildung und Auflösung von rechtsextremistischen Fußballanhängergruppierungen verläuft dem Grundcharakter der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE entsprechend sehr dynamisch: Zahlreiche, in der Vergangenheit aktive Gruppierungen traten im Jahr 2023 nicht mehr in Erscheinung. Zumeist blieb jedoch das hinter den Gruppierungen stehende Personenpotenzial erhalten und agierte auch weiter gemeinsam. Daneben bilden rockerähnliche Strukturen, die vor allem in Ostsachsen beheimatet sind, eine weitere relevante Unterart der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN. In Bruderschaften ahmen Rechtsextremisten den klassischen Rocker-Lifestyle nach. Mitglieder tragen bei Szeneveranstaltungen Lederwesten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen ("Kutten"). Häufig werden die hierarchischen Strukturen der Rocker-Clubs übernommen. Gemeinsam ist allen rechtsextremistischen Bruderschaften, dass sie gemeinschaftliche, öffentliche Auftritte eher meiden. Kutten und sonstige Erkennungsmerkmale werden insbesondere bei internen Veranstaltungen und Konzerten getragen. Auf öffentliche Machtdemonstrationen wird für gewöhnlich verzichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass es den Gruppierungen in Sachsen schlichtweg an "Masse" mangelt. Zum anderen treibt die rechtsextremistischen Bruderschaften die Sorge um, durch ihre Uniformierung zu leicht als "Verein" identifiziert und damit Gegenstand vereinsrechtlicher Exekutivmaßnahmen zu werden. Herausragende Vertreter sind das Chapter der BRIGADE 8 in Mücka (Landkreis Görlitz) und die EASTSIDE ROWDYS aus Leipzig. Darüber hinaus ist das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinsichtlich seiner Größe und der damit verbundenen Kaufkraft ein wichtiger Abnehmer für die rechtsextremistische Konzertund Vertriebsszene. Es bildet das Gros der Konzertteilnehmer und Konsumenten rechtsextremistischer Merchandising-Artikel und lenkt durch sein Nachfrageverhalten auch die Ausrichtung des Angebotes rechtsextremistischer Vertriebe.40 Damit leistet die Szene selbst einen essentiellen Beitrag zur Finanzierung ihrer Strukturen. Die Strukturbildungsprozesse verlaufen sehr unterschiedlich: Ergibt sich die Notwendigkeit, unter einem klaren "Label" aufzutreten, strukturiert sich die Szene etwas fester, besteht hierfür 40 vgl. Beitrag II.1.4.7 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Seite 77 von 242 kein dringender Bedarf mehr, verfallen die gebildeten Strukturen wieder in Inaktivität. Eine wichtige Rolle spielen neben bestehenden Kennverhältnissen das Vorhandensein geeigneten Führungspersonals, einer Treffgelegenheit sowie regelmäßig wiederkehrende Ereignisse, die die beteiligten Personen immer wieder zusammenführen. Im Freistaat Sachsen waren in diesem Zusammenhang folgende extremistische Bestrebungen im Berichtsjahr aktiv: BRIGADE 8 CHAPTER SCHLESIEN DIVISION 45 NATIONALER JUGENDBLOCK E.V. ZITTAU SCHLESISCHE JUNGS NIESKY JUGENDBLOCK BAUTZEN Aktivitäten Angehörige der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE bzw. des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials beteiligten sich im Berichtsjahr insbesondere am sachsenweiten Protestgeschehen zu den Themen Asyl/Migration und Ukraine-Krieg. Nachdem der Trend zu Großund Mischveranstaltungen41, wie beispielsweise dem "Schild und Schwert Festival", auch aufgrund der Corona-Maßnahmen aufgehalten wurde, waren auch im Berichtsjahr keine derartigen Veranstaltungen zu verzeichnen. Großund Mischveranstaltungen stellen grundsätzlich zwar eine relevante Finanzierungsquelle für die Szene dar, bergen jedoch zugleich ein hohes finanzielles Risiko und verlangen eine zeitaufwändige Organisation. Im Berichtszeitraum fanden zudem keine rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen in Sachsen statt. Derartige Veranstaltungen sind in Deutschland wegen des konsequenten Durchgreifens von Behörden mittlerweile einem hohen Verbotsrisiko ausgesetzt, was die Veranstalter offenbar nach wie vor abschreckt. Erwartungsgemäß stellte das LfV Sachsen deshalb im Berichtsjahr fest, dass sich einzelne Szene-Angehörige an rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen im Ausland beteiligten (z. B. an der "European Fight Night" im Mai in Ungarn). Darüber hinaus fanden in Sachsen einige kleinere nicht extremistische kommerzielle Kampfsportveranstaltungen statt, an denen sich auch Rechtsextremisten beteiligten. Inwiefern sich die Teilnahme von Rechtsextremisten als Kämpfer an nicht extremistischen Kampfsportveranstaltungen etabliert, bleibt abzuwarten, wird aber seitens des LfV Sachsen angesichts fehlender rechtsextremistischer Turniere als wahrscheinlich erachtet. Rechtsextremisten sind nach wie vor auch in der sächsischen Fußballfanszene vertreten. Obwohl sie ihre Gesinnung nicht offensiv nach außen tragen, sind sie durchaus bereit, sich eventbezogen zu organisieren und die Öffentlichkeit mit ihrem Auftreten zu provozieren. Die Fußballvereine werden dabei von Rechtsextremisten als Vehikel genutzt, das Fußballstadion als Treffbzw. Demonstrationsort missbraucht und das Treiben vor und nach den Spielen für die öffentlichkeitswirksame Zurschaustellung der verfassungsfeindlichen Ideologie genutzt. Einzelne, der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im ostsächsischen Raum angehörige Personen sind über entsprechende Kennverhältnisse mit der 41 Der Begriff "Mischveranstaltung" bezeichnet ein Veranstaltungsformat, bei dem verschiedene Veranstaltungsbestandteile ausgerichtet werden, die sonst nur in Einzelformaten bedient würden (z. B. Musik und Kampfsport im Rahmen derselben Veranstaltung). Seite 78 von 242 NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE in Ostsachsen mehr oder weniger eng vernetzt. So unterstützen sie sich gegenseitig durch die Teilnahme an Veranstaltungen, wie beispielsweise den "Heldengedenken", dem sog. "Trauermarsch" in Dresden anlässlich des 13. Februars oder bei rechtsextremistischen Konzerten. Regionale Ausprägung Landkreis Görlitz Beim Ableger der rockerähnlichen BRIGADE 8 in Mücka handelt es sich um eines von mehreren "Chaptern" dieser 2012 gegründeten bundesweit bestehenden Gruppierung. Ihre Mitglieder sind gut vernetzt und verfügen über Verbindungen in die bundesweite rechtsextremistische - vor allem NEONATIONALSOZIALISTISCHE - Szene. Die BRIGADE 8 unterhielt im Landkreis das zwischenzeitlich aufgelöste CHAPTER OSTDEUTSCHLAND, das sich auch CHAPTER W EIßWASSER bzw. CHAPTER EASTSIDE nannte. Die Gruppierung entwickelte sich in Bezug auf die Durchführung von Szeneveranstaltungen im Landkreis Görlitz über die Jahre hinweg zu einer festen, überregional aktiven Größe. In der Folge agierte sie zunehmend selbstbewusster. Dies zeigte sich auch in unverhohlen demonstrierten Sympathien für die inzwischen verbotene Gruppierung COMBAT 1842 sowie auch im offen erkennbaren Auftreten während des "Schild und Schwert"-Festivals in Ostritz 2019. Nachdem das 2021 von frühreren Mitgliedern des CHAPTER OSTDEUTSCHLAND nach internen Auseinandersetzungen neu gegründete BRIGADE 8 CHAPTER SCHLESIEN seine Strukturen und Aktivitäten wieder festigen und ausbauen konnte, konnte das LfV Sachsen im Berichtsjahr die Durchführung von Veranstaltungen mit den Auftritten von Liedermachern und Bands - jedoch in deutlich geringerem Umfang als 2022 - im Objekt der Gruppierung in Mücka feststellen. So traten dort beispielsweise am 8. April rechtsextremistische Liedermacher vor ca. 40 Gästen auf. Außerdem veranstaltete die rechtsextremistische Band KATEGORIE C am 16. September dort ein Ersatzkonzert vor ca. 60 Besuchern, nachdem das ursprünglich geplante Konzert in Forst (Brandenburg) im Vorfeld durch die Polizei verhindert wurde. Mit dem Objekt in Mücka existiert somit weiterhin ein festes Anlaufund Veranstaltungsobjekt der rechtextremistischen Szene in Sachsen. Die Mitglieder des CHAPTER SCHLESIEN nahmen außerdem regelmäßig an Veranstaltungen anderer BRIGADE 8 CHAPTER in Sachsen-Anhalt und Brandenburg teil. Am 8. Oktober gab die BRIGADE 8 Deutschland mit ihren Untergruppen Schlesien, Mittel/Elbe und Spreewald über ihren Telegram-Kanal ihre Auflösung bekannt. Diese Erklärung stand vermutlich im Zusammenhang mit einer Reihe von Auflösungserklärungen rechtsextremistischer Gruppierungen infolge der Verbote von HAMMERSKINS DEUTSCHLAND und DIE ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENS-GEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßER LEBENSGESTALTUNG E. V. Mit der Gruppierung SCHLESISCHE JUNGS NIESKY gehört im Landkreis Görlitz eine weitere Gruppierung zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE. Sie nahm am 11. Februar an der Demonstration von Rechtsextremisten in Dresden anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung der Landeshauptstadt am 13. Februar 1945 teil. Außerdem veranstalteten die SCHLESISCHEN JUNGS NIESKY am 4. März ein rechtsextremistisches Konzert mit den Bands BLUTZEUGEN (Sachsen) und "Saubande" (Tschechische Republik) in ihrem Objekt. Die Gäste kamen aus Sachsen, Brandenburg, Polen und der Tschechischen Republik. Es konnten insgesamt ca. 250 Personen und 100 Fahrzeuge 42 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, S. 132 Seite 79 von 242 festgestellt werden. Da das Konzert gegen das Nutzungsrecht für das Objekt verstieß, mussten die Veranstalter es beenden. Ebenfalls zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im Landkreis Görlitz zählt der Verein NATIONALER JUGENDBLOCK E.V. ZITTAU (NJB). Der NJB verfügt seit mehreren Jahren über ein Vereinshaus in Zittau, welches für Treffen und Veranstaltungen genutzt wird. Im Februar 2023 trat die rechtsextremistische Band "Saubande" (Tschechische Republik) dort auf. In der AKTIONSGRUPPE ZITTAU organisierte jugendliche Vereinsmitglieder führten am 30. März anlässlich von Asylprotesten in Zittau eine Banneraktion durch. Während der Kundgebung entrollten sie ein Transparent mit der Aufschrift "Nein zum Heim" an einem Baugerüst und veröffentlichten hierzu entsprechende Beiträge auf ihren Instagramund Telegramkanälen. Zudem wurden im August auf dem Gelände der Oberschule in Dresden OT Weißig Aufkleber der AKTIONSGRUPPE ZITTAU angebracht. Landkreis Bautzen Im Landkreis Bautzen ist mit dem JUGENDBLOCK BAUTZEN eine Gruppierung der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE aktiv. Der JUGENDBLOCK BAUTZEN beteiligte sich im Berichtsjahr regelmäßig am montäglichen Protestgeschehen in Bautzen. Er versuchte dabei offensiv, das Protestgeschehen rechtsextremistisch zu beeinflussen, in nicht extremistische Milieus hineinzuwirken und neue Anhänger zu gewinnen. Dabei führte der JUGENDBLOCK BAUTZEN jeweils ein Transparent mit, welches aktuelle politische Themen aufgriff. Am 31. Juli lautete die Aufschrift beispielsweise "Wir sind die Jugend ohne Migrationshintergrund". Dazu skandierten seine Anhänger immer wieder die Parole "Kriminelle Ausländer raus, raus, raus und die anderen auch". Angehörige des JUGENDBLOCKS BAUTZEN führten darüber hinaus gemeinsam mit weiteren Rechtsextremisten im August und September eine sog. "Kriegsgräberpflege" auf dem Soldatenfriedhof in Göda bei Bautzen durch. Am sog. "Heldengedenken" auf dem gleichen Friedhof anlässlich des Volkstrauertages am 19. November nahmen auch Angehörige des JUGENDBLOCKS BAUTZEN teil. Ferner führte der JUGENDBLOCK BAUTZEN am 16. September eine Wanderung durch die Oberlausitz durch. Das LfV Sachsen geht davon aus, dass dadurch das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppierung gestärkt und die Vernetzung mit anderen Rechtsextremisten gefördert werden sollte. Entsprechende Beiträge über diese Aktivitäten wurden auf den Social-Media-Kanälen des JUGENDBLOCKS BAUTZEN veröffentlicht. Zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im Landkreis Bautzen gehört mit der DIVISION 45 eine Gruppierung, die beispielsweise auch in Niedersachsen Strukturen aufweist. Im Februar 2023 beteiligten sich Angehörige der DIVISION 45 am jährlich in Budapest stattfindenden sog. "Tag der Ehre". Mit dieser Veranstaltung wollen ungarische Rechtsextremisten gemeinsam mit internationalen Gesinnungsgenossen an die Schlacht um Budapest im Zweiten Weltkrieg erinnern. Die Angehörigen der DIVISION 45 trugen dabei einheitliche Jacken, die ihre Gruppenzugehörigkeit veranschaulichten. Nach den Verboten von HAMMERSKINS DEUTSCHLAND und DIE ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENS-GEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßER LEBENSGESTALTUNG E.V. haben Ende September eine Reihe von rechtsextremistischen Gruppierungen ihre Auflösung bekannt gegeben, darunter auch die DIVISION 45. Seite 80 von 242 1.4.6 Rechtsextremistische Musik Die Musik sowie die Szenekonzerte sind unverändert wichtige Instrumente für die Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie und damit eine zentrale, identitätsstiftende Basis für die Szene. Gemeinsame Konzertbesuche stärken das Gemeinschaftsgefühl und tragen dazu bei, dass Kontakte zwischen den verschiedenen regionalen Szenen geknüpft und aufrechterhalten werden. Szenemitglieder haben bei Konzerten darüber hinaus die Möglichkeit, ihre Ideologie in der "geschlossenen Konzertgemeinschaft" auszuleben. So sind dort mitunter gemeinschaftlich begangene strafbare Handlungen, wie der Hitlergruß oder "Sieg Heil"-Rufe, festzustellen. Die Szene selbst spricht hier von "abhitlern". Rechtsextremisten vermitteln ihre verfassungsfeindliche Ideologie über die Texte ihrer Musikdarbietungen, wobei dazu passende Melodien und Rhythmen einen wesentlich verstärkenden Faktor im emotionalen Empfinden des Empfängers auslösen. Insofern ist die Musik vor allem für Jugendliche ein Einfallstor in die rechtsextremistische Szene. Darüber hinaus spielen kommerzielle Gesichtspunkte bei der Veranstaltung von Konzerten und vor allem bei den Szenevertrieben eine herausragende Rolle. Beides sind unverzichtbare finanzielle Einnahmequellen, die ganz wesentlich zur Existenz der rechtsextremistischen Szene beitragen. Die SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE43 bevorzugt Musikstilrichtungen wie "R.A.C."44 und "Hardcore"45 bzw. "Hatecore"46. Dieser "Rechtsrock" ist geprägt von aggressiven Texten und zumeist hämmernden Rhythmen. In den Liedern werden Rassismus und Gewalt propagiert, das NS-Regime verherrlicht und der Kampf gegen das verhasste demokratische System thematisiert. In den Texten wird zum Teil auch einem Germanenund Wikingerkult gehuldigt. Politische Inhalte werden zudem auch im Balladenstil vorgetragen. Eine in der Szene beliebte Musikstilrichtung ist der sog. "NSBM"47. Diese von der Black-MetalMusik abgeleitete Stilrichtung bezieht sich in ihrer Ausrichtung auf den historischen Nationalsozialismus. Mit der Gründung der Firma NDS RECORDS UNTERNEHMENSGESELLSCHAFT48 etablierte sich im Freistaat Sachsen im Jahr 2021 zudem ein Musiklabel, dessen Musiker vor allem die Stilrichtungen "Rap" und "Hip Hop" vertreten. Interpreten dieses Labels verstehen sich als echte deutsche Rapper und waren bzw. sind dem Umfeld der IDENTITÄREN BEWEGUNG zuzurechnen. Die von NDS RECORDS produzierte Musik enthält teilweise gewaltaffine, rassistische Elemente und richtet sich mitunter gegen den politischen Gegner sowie das Gesellschaftssystem der Bundesrepublik Deutschland. Die Vernetzung der NDS RECORDSAkteure innerhalb der rechtsextremistischen Szene zeigt sich sowohl in der Zusammenarbeit mit deren Strukturen, Bands und Interpreten als auch durch Auftritte bei Veranstaltungen. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen im Jahr 2023 in Sachsen Die rechtsextremistische Musikszene im Freistaat Sachsen war im Berichtsjahr bestrebt, die Anzahl der Veranstaltungen auf das Niveau der Zeit vor der Corona-Pandemie anzuheben. Allerdings konnten dank erfolgreicher behördlicher Maßnahmen Konzerte verhindert werden, so dass die Szene ihr Ziel nicht erreichte. Nachdem Veranstaltungen im Szeneobjekt in Torgau OT Staupitz wegen eines Gewerbeverbots vorübergehend nicht mehr stattfinden konnten und 43 vgl. Beitrag II.1.4.5 subkulturell geprägtes und unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 44 "Rock against Communism" - Rock gegen Kommunismus 45 US-amerikanische Weiterentwicklung der "Punk"-Musik - im Stil schnell und hart 46 wie "Hardcore", jedoch mit härteren, hasserfüllten Texten. Der Begriff "Hatecore" war ursprünglich nicht rechtsextremistisch ausgerichtet, wird aber mittlerweile in erster Linie von rechtsextremistischen Bands besetzt. 47 "NSBM" steht für NS-Black Metal und bezeichnet den Teil der Metal-Szene, der sich in seiner Musik und seiner Ausrichtung auf den historischen Nationalsozialismus bezieht. 48 vgl. Beitrag II.1.4.7 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Seite 81 von 242 auch an anderen Orten Konzerte aufgelöst bzw. verhindert worden sind, versuchte die Szene, in umliegende Bundesländer bzw. in das Ausland auszuweichen. Letztendlich konnten im Berichtsjahr insgesamt zehn Konzerte im Freistaat Sachsen festgestellt werden (2022: 12), wovon zwei von der Polizei aufgelöst wurden. Drei weitere Konzerte waren geplant und verboten worden. Die Anzahl der Liederabende und sonstigen Musikveranstaltungen erhöhte sich im Berichtsjahr von 24 (2022) auf 39. Ein Liederabend sowie eine sonstige Musikveranstaltung wurden verboten. Durchgeführte rechtsextremistische Konzerte in Sachsen 30 25 24 24 25 20 17 15 14 14 12 10 10 9 5 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Die nachfolgenden Tabellen informieren über rechtsextremistische Konzertveranstaltungen, Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen, welche für das Berichtsjahr öffentlich genannt werden können: Konzertveranstaltungen Datum Ort KonzertBemerkung besucher (ca.) 1 4. Februar Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 230 2 18. Februar Zittau (Lkr. Görlitz) nicht bekannt 3 4. März Niesky (Lkr. Bautzen) 250 aufgelöst 4 1. April Vierkirchen OT Arnsdorf (Lkr. Görlitz) 500 aufgelöst 5 29. April Bautzen (Lkr. Bautzen) 50 6 16. September Mücka (Lkr. Görlitz) 60 Am 1. und 22. April plante die Szene zwei Konzerte, welche in Torgau OT Staupitz stattfinden sollten. Beide Veranstaltungen wurden verboten. Die Polizei verhinderte am 16. September in Dresden ein weiteres Konzert. Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen Datum Ort Veranstaltung 1 11. März Landkreis Nordsachsen Auftritt eines Liedermachers 2 11. März Landkreis Mittelsachsen Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI (Sachsen)49 3 19. März Zwickau (Landkreis Zwickau) Auftritt eines Liedermachers 49 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 78 Seite 82 von 242 4 25. März Landkreis Mittelsachsen Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 5 25. März Ostsachsen Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 6 26. Mai Landkreis Nordsachsen Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 7 2. Juni Raum Chemnitz Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 8 3. Juni Plauen (Vogtlandkreis) Auftritt der Liedermacher BRÜDER ZUR FREIHEIT50 (Sachsen) und "Wegbereiter"51 (BadenWürttemberg)52 bei einer Veranstaltung der Partei DER DRITTE W EG 9 3. Juni Aue-Bad Schlema Auftritt des Liedermachers Frank (Erzgebirgskreis) RENNICKE53 (Bayern) 10 10. Juni Raum Chemnitz Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 11 1. Juli Riesa (Landkreis Meißen) Auftritt der Liedermacher KAVALIER54 (Sachsen) und Benjamin GRUHN55 (Sachsen) bei einer Veranstaltung der Partei DIE HEIMAT 12 21. Juli Raum Ostsachsen Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 13 22. Juli Erzgebirgskreis Auftritt des Liedermachers "Heureka"(Baden-Württemberg)56 14 29. Juli Erzgebirgskreis Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 15 9. September bei Pirna (Landkreis Sächsische Auftritt des Liedermachers Frank Schweiz-Osterzgebirge) RENNICKE 16 September Chemnitz Aufritt eines Liedermachers 17 30. September Sachsen Auftritt u. a. der Liedermacher FREILICHFREI, RAC'N'ROLL-TEUFEL57 (Sachsen) und Benjamin GRUHN (Sachsen) 18 30. September Riesa Auftritt des Liedermachers KAVALIER und der Band "Unbeliebte Jungs" (Thüringen)58 bei einer Veranstaltung der Partei DIE HEIMAT 19 3. Oktober Hermsdorf (Landkreis Sächsische Auftritt des Liedermachers KAVALIER Schweiz-Osterzgebirge) bei einer Kundgebung der Partei FREIE SACHSEN 20 7. Oktober Pirna Auftritt der Band "Katastrof" (Italien) bei einem "Oktoberfest" von Rechtsextremisten 21 Oktober Chemnitz Auftritt eines Liedermachers 22 28. Oktober Mittelsachsen Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI 50 vgl. Abschnitt "Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen" 51 vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2019, Seite 156 52 vgl. Landtag Baden-Württemberg, Drs. Nr. 17/5678, Seite 3 53 vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern 2019, Seite 156 54 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2022, Seite 97 55 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2020, Seite 78 56 vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2021, Seite 5-56 57 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 85-86 58 vgl. Landtag Thüringen, Drs. Nr. 7/5254, Anlage 1 Seite 83 von 242 23 30. Oktober Plauen Auftritt des Sängers "Lunikoff"59 (Berlin) bei einer Veranstaltung der Partei DER DRITTE W EG 24 11. November Aue-Bad Schlema Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI bei einer Veranstaltung der Partei FREIE SACHSEN Ein geplanter Liederabend am 11. Februar in Pirna wurde verboten. Einen weiteren Liederabend löste die Polizei am 4. November in Pegau (Landkreis Leipzig) noch vor dessen Beginn auf. Konzertgeschehen in Sachsen - Wegfall des Veranstaltungsobjektes in Torgau OT Staupitz Im wohl bisher wichtigsten Konzertobjekt der sächsischen rechtsextremistischen Szene, dem ehemaligen Gasthof in Torgau OT Staupitz (Landkreis Nordsachsen), konnten Rechtsextremisten im Berichtsjahr nur noch eine Veranstaltung60 durchführen. Im Februar wurde dem Inhaber das Gewerbe der Durchführung von Konzertveranstaltungen verboten. Nach diesem Verbot versuchten Rechtsextremisten, im April noch zwei Veranstaltungen in diesem Objekt zu organisieren. Als erkennbar war, dass die am 1. April geplante Veranstaltung in Staupitz nicht stattfinden konnte, organisierten die Rechtsextremisten kurzerhand in Vierkirchen OT Arnsdorf (Landkreis Görlitz) eine Ersatzveranstaltung. Die Polizei stellte bei der Auflösung dieser Ersatzveranstaltung rund 500 Personen fest. Bei der am 22. April in Staupitz geplanten Veranstaltung versuchten die Organisatoren, eine Rechtsextremistin als Veranstalterin einzusetzen, die bisher noch nicht als solche in Erscheinung getreten war. Auch dieses Konzert untersagte die Ordnungsbehörde, weil diese Ersatzperson nicht die erforderliche Zuverlässigkeit nachweisen konnte. Seitdem wich die rechtsextremistische Szene verstärkt auf kleinere, konspirativ organisierte Konzertveranstaltungen in Sachsen sowie den umliegenden Bundesländern aus. Der ehemalige Betreiber des Konzertobjektes legte gegen die Gewerbeuntersagung Rechtsmittel ein. Ein Eilantrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid wurde im März 2023 vom Verwaltungsgericht Leipzig überwiegend abgelehnt. Gegen diese Entscheidung legte der Betreiber Beschwerde beim Sächsischen Oberverwaltungsgericht ein. Dieses Gericht stellte in einer Entscheidung vom 4. Dezember 2023 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her. Zwischenzeitlich fand zudem ein Eigentümerund Betreiberwechsel im Gasthof statt. Rechtsextremistische Konzerte wurden in Staupitz nicht mehr festgestellt. Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen - Anstieg in Sachsen Im Unterschied zu Konzertveranstaltungen mit Bandauftritten stieg im Freistaat Sachsen die Anzahl von Veranstaltungen, bei denen Solointerpreten auftraten oder musikalische Darbietungen nur eine Nebenrolle einnahmen, an. Diese Entwicklung war auch in einigen anderen Bundesländern feststellbar. Hier war vor allem der Liedermacher FREILICHFREI sehr aktiv. Während dieser vorwiegend bei parteiungebundenen Veranstaltungen der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE auftrat, spielten die sächsischen 59 vgl. Broschüre "Rechtsextremistische Musik", Berlin, Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz, 2016, S. 7, 21-25; Verfassungsschutzbericht Berlin 2018, S. 115-116 60 Im Gasthof "Staupitz" waren bisher behördlicherseits zehn Konzerte jährlich erlaubt. Diese zogen in der Vergangenheit jeweils ca. 230 Rechtsextremisten an. Seite 84 von 242 Liedermacher KAVALIER und Benjamin GRUHN auch bei Veranstaltungen der Partei DIE HEIMAT. Auf einer Veranstaltung der Partei DER DRITTE W EG in Plauen spielte am 3. Juni der Liedermacher "Wegbereiter" aus Baden-Württemberg. Zudem trat ein aus Sachsen stammender Funktionär dieser Partei unter der Bezeichnung BRÜDER ZUR FREIHEIT als Solointerpret auf. Am 4. November sollte in Pegau eine rechtsextremistische Musikveranstaltung stattfinden. Die Polizei konnte den konkreten Veranstaltungsort lokalisieren und stellte dort 113 Personen fest, darunter den Frontsänger der Band "Spreegeschwader"61 aus Bayern. Das Konzert hatte noch nicht begonnen, jedoch war die Technik bereits aufgebaut. Während die Einsatzkräfte die Veranstaltung auflösten, konnten sie feststellen, dass 38 Personen einen Reichsadler mit Hakenkreuz auf ihren Armen bzw. Händen trugen, was offenbar als Eintrittsstempel dienen sollte. Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher Im Freistaat Sachsen waren im Berichtsjahr und damit analog zum Vorjahr 26 rechtsextremistische Musikgruppen, Liedermacher und Solointerpreten aktiv. Die Musiker beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten im Inund Ausland bzw. Liederabenden, traten bei Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen auf oder arbeiteten an neuen Tonträgern bzw. gaben diese heraus. Sie beteiligten sich mit Liedbeiträgen an vier Samplern und gaben sechs Tonträger heraus. Einige Musikgruppen gaben lediglich über ihre Internetpräsenzen "Lebenszeichen" von sich. Nachfolgend werden die im Freistaat Sachsen im Jahr 2023 auffälligsten Entwicklungen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Musikern und Musikgruppen beschrieben: Auslandsauftritte sächsischer Musikgruppen bzw. Interpreten Nachdem deutsche Musikgruppen in der Vergangenheit aufgrund von Ausreisebeschränkungen nicht im Ausland auftreten konnten, änderte die rechtsextremistische Szene ihre Informationspolitik. Im Internet wurden fortan nur noch Konzertflyer veröffentlicht, auf denen u. a. Musikgruppen anonym als "special guest" aus Europa angekündigt wurden. Die Band BLUTZEUGEN62 ist eine jener sächsischen Musikgruppen, die oft für Auftritte im Ausland engagiert werden, so beispielsweise am 14. Januar in Vilnius (Litauen) und am 22. April in Valladolid (Spanien). Diese Auftritte wurden dem neuen Modus Operandi entsprechend im Vorfeld nicht öffentlich bekannt, sondern nur konspirativ beworben. Die Bands HEILIGER KRIEG63 und FRONT 77664 traten am 14. Oktober bei einer Konzertveranstaltung unter dem Motto "Reconquering Europe" in Sofia (Bulgarien) auf, die von der rechtsextremistischen Gruppierung "Blood & Honour Hungaria" organisiert wurde. Die Band ODESSA65 outete sich nach einem Konzert als der angekündigte "special guest" eines "Sommerfestes" von Rechtsextremisten, das am 17. Juni in Budapest (Ungarn) stattfand. 61 vgl. Verfassungsschutzbericht Bayern, 2022, Seite 197 62 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 75-76 63 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 79-80 64 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2020, Seite 76 65 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2021, Seite 90-91 Seite 85 von 242 Auch die NSBM-Band STAHLFRONT66 wollte im Ausland auftreten, und zwar am 25. Februar in Frankreich. Die Behörden verboten jedoch dieses Konzert. Nicht nur sächsische Bands, sondern auch Liedermacher zog es im Berichtsjahr ins Ausland. So berichtete der Liedermacher FREILICHFREI in seinem "Jahresrückblick" u. a. von einer Veranstaltung am 29. Juli in der Schweiz. Der Liedermacher KAVALIER trat am 5. September bei einer Veranstaltung der 'neofaschistischen' Bewegung "CasaPound Italia" in Grosseto (Italien) auf. Band STURMKRIEGER wieder aktiv Nach einer langen inaktiven Zeit gab die sächsische Band STURMKRIEGER beim rechtsextremistischen Musiklabel "Rebel Records"67 (Brandenburg) ein Album heraus, welches bei "Froinden des klassischen Rechtsrock runtergehen [würde] wie Öl"68. In einer Rezension auf der Telegram-Seite des Online-Szenefanzines "Viva Saxonia Skinzine" wird erwähnt, dass die Band aus sechs Mitgliedern bestehe, darunter zwei aus Chemnitz stammende Personen aus der ursprünglichen Besetzung. Die Band STURMKRIEGER war bereits von etwa 2007 bis 2013 aktiv. Sie gab damals eine "Demo CD" heraus und trat bei verschiedenen rechtsextremistischen Konzerten auf. Die "Demo CD" wurde am 12. November 2010 indiziert, weil die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien damals feststellte: "Die Lieder enthalten vielfältige direkte und indirekte lobpreisende Bezugnahmen auf die Rassenund Kriegsführungsideologie des Nationalsozialismus sowie auf Adolf Hitler persönlich. Die germanische Rasse, arisches Blut sowie der kriegerische Kampf dafür werden den Gegnern, sprich den Linken, Juden, Ausländern und dem ganzen bestehenden Staatssystem, feindselig entgegengestellt. Es wird zum gewalttätigen Widerstand und zur Aktion gegen diese aufgefordert."69 Die Produktion des aktuellen Tonträgers bei einem rechtsextremistischen Musiklabel unter Beteiligung der rechtsextremistischen Band HEILIGE JUGEND70 und die Liedertexte belegen die Verfassungsfeindlichkeit dieser Band. So wird im Lied "Bannerschaft" eine Fahne (Banner) beschrieben, zu der die Kameraden stehen sollten: "Die Flagge war rot, und die Flagge war weiß und das Zeichen schwarz in der Mitte". Diese Beschreibung lässt den Schluss zu, dass hier die Hakenkreuzfahne glorifiziert wird. Dies sah im Jahr 2010 auch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien so. Sie betrachtete dieses Lied von STURMKRIEGER, das bereits auf dem "Sachsensampler Vol. 2" aus dem Jahr 2011 enthalten war, als indizierungsrelevant. Band SYMPHONIE DES BLUTES gibt erstmals Tonträger heraus Im Berichtsjahr gab eine Band mit der Bezeichnung SYMPHONIE DES BLUTES und Bezug nach Sachsen erstmals ein Album heraus. Der Tonträger mit der Bezeichnung "Das letzte Gefecht" erschien beim rechtsextremistischen Musiklabel "Rebel Records" (Brandenburg). In der CD-Beschreibung wurde angeführt, dass auf dem Tonträger auch Lieder des rechtsextremistischen Musikers "Uwocaust"71 (Brandenburg) und der Band PIONIER72 (Sachsen) enthalten seien. 66 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 89-90 67 vgl. Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2022, Seite 68 68 vgl. Internetseite des Musiklabels (Stand 07.12.2023); Schreibweise wie im Original 69 Auszug aus der Indizierungsentscheidung 70 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 79 71 vgl. Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2022, Seite 65 72 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 84-85 Seite 86 von 242 Inhaltlich beschwören die Lieder die gewalttätige Überwindung des Gesellschaftssystems der Bundesrepublik Deutschland. So übt "Uwocaust" im Lied "Sie" Fundamentalkritik am angeblichen "Zeitgeist", der "neuen Ordnung" sowie am "kranken System". Die "Vernichtung von Traditionen", das "Gleichmachen" und "Gendern" werden ebenso beklagt wie die "Verleugnung der Vergangenheit und Schändung der Stammbäume". Letztendlich ruft "Uwocaust" zum Kampf auf: "Die neue Ordnung zeigt ihre Macht, gestört und grenzenlos. Männlich, weiblich und divers, des Teufels letzter Pakt [...] Wirre Gestalten, egal wohin ich seh. Das ist das Resultat ihres kranken Systems! [...] Sie gendern und fleddern, sie lügen und schüren. Ihre Ziele sind durchdacht und widerlich. Folgt mir in die Schlacht, lauschet meinen Klängen. [...] Ich spiele Euch des Blutes Symphonie, des Blutes Symphonie." An diese letzte Zeile anknüpfend wird im nachfolgenden Lied "Symphonie des Blutes" in gewaltverherrlichenden Worten der Kampf beschrieben: "Wir schlagen uns durch die Reihen, auf blutgetränktem Boden. Schwerter gleiten durch das Fleisch, bis zum Siege oder Tode. Die Knochen brechen im Leibe, es ist des Blutes Symphonie. [...] Schauet sie stehen im Lande, Feinde in Scharen, einer teuflischen Bande. Die Männer sind zum Aufbruch bereit, sie singen ein Lied von Sieg und Leid." Im Lied "Wenn wir schweigen" wiederholt sich das Motiv eines angeblich notwendigen Widerstandkampfs gegen ein angeblich unterdrückendes und unfrei machendes "System". Man selber sei "frei im Bunde" (mit Gleichgesinnten) und müsse bereit zur "Schlacht" gegen das System sein. Zudem wird der (deutschen) Bevölkerung vorgeworfen, sich nicht mehr an ihre Vergangenheit zu erinnern, sondern nur noch "den Dreck von den Heuchlern dieser Zeit zu konsumieren". "Und heute seid ihr blind, leugnet die Opfer der Vergangenheit. Konsumiert jeden Dreck von den Heuchlern dieser Zeit. Ihr spendet euer Geld, ihr spendet euch selber ein. Ihr hasst die eigene Art, stets bemüht Sklave zu sein. [...] Die Freiheit ist nicht umsonst, jede Generation muss sie erstreiten. [..] Wir sitzen in fester Runde, das letzte Feuer brennt. Der Kampf der Freiheit naht, ich spüre es in jedem Moment." Im Titel "Fight the system" sind eindeutige rechtsextremistische Narrative über den notwendigen Kampf gegen das demokratische System, für das "Vaterland" und das "eigene Blut" enthalten. Der englische Text ruft dazu auf, sich mit Gewalt gegen das System aufzulehnen und "Gesicht zu zeigen" gegen Lüge und Korruption. Dafür müsse der Kampf für "unser Land, den Sieg und für unsere Blutsbande" geführt werden. Fortschreitende Radikalisierung von NDS RECORDS73 Beim Rapper-Musiklabel NDS RECORDS konnte im Berichtsjahr eine zunehmende Radikalisierung festgestellt werden, die insbesondere auf dessen Zusammenarbeit mit dem Rapper MAKSS DAMAGE74 aus Thüringen zurückzuführen ist. Dieser vertritt die Position, dass sich ein Label zum Nationalismus bekennen und sich nicht lediglich als patriotisch beschreiben sollte. Der Song "Arminius" von PROTOTYP75 sei für MAKSS DAMAGE schließlich der Anlass gewesen, sich dem Label NDS RECORDS anzuschließen76. Im Song beschreibt PROTOTYP tatsächlich "Nationalismus" als "natürliches Rückgrat" und fordert, dass "damals wie heute Europa erwache". Mit "damals" bezieht er sich offenkundig auf die Zeit des Nationalsozialismus, denn im Lied heißt es weiter "für Heimat und Volk griff der Opa zur 73 vgl. Kapitel II.1.4.7 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 74 vgl. Verfassungsschutzbericht Thüringen 2016, Seite 68f 75 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2022, Seite 92 76 vgl. Artikel "Kampf auf allen Plattformen", www.zeit.de (Stand: 8.12.2023) Seite 87 von 242 Waffe". Im Lied wird der Zuzug von Migranten nach Deutschland als Angriff gewertet und in kriegerischer, appellierender Rhetorik gefordert: "Kämpf für die Heimat!", denn "Wir sind längst im Krieg". Beide Rapper produzierten im Berichtsjahr gemeinsam das Musikvideo "mwk", wobei die Abkürzung für "männlich, weiß, kampfbereit" steht. Im Video wirken Strukturen der rechtsextremistischen Partei DER DRITTE W EG und des Kampfsport-Formats "Kampf der Nibelungen" (KdN) mit. Dargestellt wird in martialischer Art und Weise die Verfolgung von Rappern bzw. politischen Gegnern. Sich selbst definieren die Interpreten dabei als "Deutschrap", der "weiß, männlich, kampfbereit" sei und keine Gnade kenne gegen "schwule Drogenrapper". MAKSS DAMAGE sei ein "Synonym für Entsetzen", seine "Fans sind rechts [...] keiner schockt so hart auf Deutsch, wie der preußisch [...] Rapper auf der Brust mit dem schwarzen Kreuz". Im Lied ist deutlich eine rassistische Komponente zu erkennen, da sich die Rapper selbst immer wieder als "weiße, männliche, starke bzw. harte Deutschrapper" bezeichnen, während der Gegner als schwacher "Drogenrapper", "Kloaken Rapper" und "crackrappender Penner" diffamiert wird. Das Video endet mit einer Szene, in welcher der im Video verfolgte gegnerische Rapper vor die Füße der Interpreten geschleift wird und vor ihnen knien muss. Im Video "Hard Knock Life" bringen PROTOTYP, MAKSS DAMAGE und die seit 2022 beim Label mitwirkende ALVA (Sachsen) ihren Rassismus noch deutlicher zum Ausdruck und bezeichnen die freiheitliche demokratische Grundordnung als "Nuttokratie" eines "bunten Regimes": "Um hier zu überleben, wirst du abgefuckt, das ist Kanack-Attacke, entweder du wirst Kanack wie sie oder machst 'nen Spießrutenlauf mit, aber wir stabil [...] Ich bin ein Bleichgesicht, schwarze Regeln intressier'n einen Weißen nicht. [...] Ich fick das bunte Regime. Ich spiel' nicht mit und schon versuchen sie mich runterzuzieh'n. Sie spucken auf mich und ich spucke auf sie. Kein Respekt vor den Gesetzen der Nuttokratie." Für ALVA ist die Anwendung von Gewalt offenkundig notwendiges Mittel des politischen Kampfes. Im zuvor genannten Lied singt sie: "Ne weiße Frau rockt das Mic, kein Opfer-Style, meine Antwort Gewalt. Immer vorn, wenn es knallt, nicht mal, weil ich's will." Gemeinsam mit PROTOTYP gab ALVA das Album "Kompass" heraus. Zum Lied "Wendezeit" aus diesem Album produzierte NDS RECORDS ein martialisch wirkendes Video, in welchem die rechtsextremistische Gruppierung "Pforzheim Revolte"77 mitwirkte. ALVA singt: "Wir sind eisern wie Stahlträger. Fühlt euch mal geil [...] Ich bin die, die nie die Flinte ins Korn wirft. Egal, was für einen Mist man mir vorwirft. Wer hätte noch gedacht, man kann mit Wörtern etwas ändern, aber wir bleiben tief im Ohr wie Hörgeräte bei Rentnern. [...] Wenn die Messerschatten wieder mal am [...] kleben, ist es Hitchcock, wenn wir Euch den Blutadler78 geben. In den Songs "Wölfin" und "Es ist aus" beruft sie sich auf das Faustrecht: "Eure Szene hat Angst vor der völkischen Braut. Was zur Hölle, ihr glaubt unser Label ist tot. Unser Sampler ist da und die Faser sie tobt. [...] Ich bin Deutsche, werde nicht vor'm Sternbanner wimmern. Ja die Zeiten sind hart, doch sie werden noch schlimmer. Kann mich 2015 an Merkel erinnern. Wir gehen raus auf die Straße, Hand in Hand, denn da draußen steht längst unser Land in Brand. Für das Vaterland kämpfen wir aufrecht, Alva [...], denn ab heut gilt das Faustrecht. [...] Für alles was deutsch denkt oder handelt. Scheiß auf die Bonzen und scheiß auf die Ampel, germanisches Blut unser Gut ist die Eintracht, Alva, die Wölfin das Rudel erweitert". 77 vgl. Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2022, Seite 69 78 Mit der Formulierung "den Blutadler geben" wird auf eine (wissenschaftlich umstrittene) Form der Folter und Hinrichtung angespielt, welche einigen altnordischen Sagen zufolge bei den Wikingern praktiziert worden sei. Seite 88 von 242 "Hier haben Frauen noch Frauennamen, wir sind NDS, wir bleiben autark. Hoch hinaus wie ein Baukran fürs ganze Volk kein Frauenkram. [...] Konsequent verlautbare ich: Alva wird euer Trauma. Ihr Orks wollt unser Auenland. OK - unser Schwert bleibt der Faustpfand. Denn es ist Alva, die die Talfahrt beendet. Erhobene Faust, keine gefalteten Hände." Textpassagen im Lied "Niemals" verdeutlichen ebenfalls die verfassungsfeindliche Einstellung von ALVA und PROTOTYP: ALVA: "Bin ein toxisches Genie, und ich plane meinen Staatsstreich. Ihr bleibt auf der Stelle, doch redet was von fastlife. Zahlreich sind die Feinde, die man in unser Land schickt, weißt du was ich meine, sie machen das mit Absicht. Taktik bleibt mal wieder "Teile und Herrsche", praktisch, so kann man dich leichter beherrschen. Sie sagen ich mach Fehler - ich öffne mich nach rechts - doch ich weiche keinen Meter bei den Göttern ich zerbrech. Hier kommt die Wölfin ins Gefecht. Ich war zwischendurch mal netter, aber jetzt gibt es keine Gnade mehr für Missgeburtenrapper. PROTOTYP: "Ich durchbrech den Palisadenturm. Wir entfesseln voller Hass den Alemannensturm. Wewelsburg, Trinität, schau mal auf den Grundriss, immer noch Bestand, obwohl man unser Volk zu Grund riss. Buntes Pack, hier regiert die Scheiße - doch wir werden niemals weichen." Fazit Das Aktionsniveau der rechtsextremistischen Musikszene im Freistaat Sachsen entsprach in etwa dem Vorjahr. Durch behördliche Maßnahmen konnte das rechtsextremistische Konzertgeschehen jedoch deutlich geschwächt werden. Es fiel der Szene wegen des intensiven Zusammenwirkens u. a. des LfV Sachsen und der Polizei zunehmend schwer, geplante Konzerte tatsächlich durchzuführen. Dadurch musste die Szene im Berichtsjahr kurzfristig auch finanzielle Einnahmen einbüßen, die ihr in den Vorjahren sicher waren. Mit Videoproduktionen, neuen Tonträgern und der Einbindung weiterer Interpreten zeigte sich das Label NDS RECORDS im Berichtsjahr sehr aktiv. Hier konnte eine Tendenz zur Radikalisierung festgestellt werden - eine Entwicklung, die auch darauf zurückzuführen ist, dass sich inzwischen Musiker mit einer "klassisch" rechtsextremistischen und gewaltorientierten Einstellung für dieses Unternehmen interessieren. Offenbar zeigt man sich aber auch bei NDS RECORDS selbst bestrebt, nicht nur Fans in "Randbereichen" der rechtsextremistischen Szene bzw. im ausschließlich "patriotischen Lager" zu bedienen. Offenkundig will das Label auch "klassische Rechtsextremisten" ansprechen, die sich bisher nicht für die NDS-Rapper interessiert haben. Diese Ausweitungsbestrebungen müssen für NDS RECORDS nicht zwingend nur ideologische Gründe haben, sondern können vielmehr auch dem Zweck dienen, aus rein wirtschaftlichen Aspekten den Spielraum für finanzielle Einnahmen zu erweitern, indem man mit seinen Liedern weitaus mehr Fans erreicht als bisher. Neben aktiven Musikgruppen, die jährlich auftreten bzw. an neuen Tonträgern arbeiten, existieren im Freistaat Sachsen nach wie vor auch Bands, die nur gelegentlich ein "Lebenszeichen" von sich geben. 1.4.7 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Die rechtsextremistische Vertriebsszene hat ihren Ursprung in der Skinheadszene, die als Jugendsubkultur in den 1980er und 1990er Jahren u. a. eine starke Nachfrage nach eigenen Musikstilen aufwies, welche damals im kommerziellen Handel nicht erhältlich waren. Die entstandenen Unternehmen richteten ihr Sortiment daher an den Bedürfnissen dieser Subkultur aus. So wurden und werden Textilien mit szenetypischen Aufdrucken (z. B. "I HTLR", "Adolf war der Beste"), Tonträger rechtsextremistischer Bands bzw. Liedermacher Seite 89 von 242 sowie andere szenerelevante Utensilien, wie z. B. Anstecker, Fahnen, Aufkleber und Plakate angeboten. Diese werden häufig mit rechtsextremistischen Symbolen gestaltet.79 Im Unterschied zu Vertrieben, deren Angebote überwiegend auf die Interessen der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE ausgerichtet sind, spricht das Sortiment einiger Unternehmen wiederum ausdrücklich die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE an. Das Produktangebot dieser Vertriebe beinhaltet demnach größtenteils Publikationen bzw. Artikel mit explizit positivem Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus. Um den kommerziellen Erfolg ihrer Tonträger nicht zu gefährden, sind die Produzenten in Bezug auf Liedtexte und CD-Gestaltung bestrebt, nicht gegen strafund jugendschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen. So lassen sie Tonträger vor der Veröffentlichung häufig juristisch prüfen und entsprechende Gutachten erstellen. Jedoch entschied der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit im Falle eines damals bedeutenden Produzenten rechtsextremistischer Musik, dass von szenenahen Anwälten erstellte "Gefälligkeitsgutachten" keinen Freibrief darstellen und nicht vor strafrechtlicher Verfolgung schützen. In indizierten Tonträgern sind demnach gewaltbefürwortende und fremdenfeindlich/rassistisch geprägte Aussagen zu finden. Darüber hinaus enthalten Textpassagen oft einen positiven Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus. So werden darin beispielsweise Institutionen und Funktionsträger dieser Zeit glorifiziert. Seit 2004 - damals existierten noch 22 Unternehmen - konnte ein permanenter Rückgang rechtsextremistischer Vertriebsunternehmen im Freistaat Sachsen festgestellt werden. Wesentliche Strukturveränderungen konnten im Jahr 2023 nicht festgestellt werden. Lediglich der ehemals in Leipzig ansässige Vertrieb LOKIS TRUHE80 ist nicht mehr erreichbar. Dessen Betreiber ist Angeklagter in einem Ermittlungsverfahren der Generalbundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Neben den bekannten Musiklabels FEINDKONTAKT-PRODUKTION und PC-RECORDS hat sich in Ostsachsen mit NDS RECORDS eine dritte rechtsextremistische Vertriebsorganisation in Sachsen etabliert, die selbst Tonträger produziert. Akteure von NDS RECORDS weisen Bezüge zur IDENTITÄREN BEWEGUNG (IB)81 auf. Während die beiden zuerst genannten Labels auf die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene ausgerichtet sind, dürfte das Zielpublikum von NDS RECORDS eher im Spektrum der "Neuen Rechten" zu finden sein und bis in die gesellschaftliche Mitte hineinreichen. NDS RECORDS spricht vom sog. "patriotischen Lager" als Zielgruppe. Dazu zählt unter anderem die Protestszene, die sich mit Beginn der Asylkrise im Jahr 2015 im Freistaat Sachsen etabliert und im Zuge der Corona-Pandemie sowie der aktuellen Proteste im Zusammenhang mit der Migrationsund Asylpolitik ausgeweitet hat. Allerdings konnte im Jahr 2023 anhand der Musikproduktionen und der Zusammenarbeit des Labels mit anderen rechtsextremistischen Strukturen bzw. Personen festgestellt werden, dass das Angebot nunmehr auch auf die SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE ausgerichtet ist. Im Berichtsjahr zeigten insgesamt sieben rechtsextremistische Vertriebe und zwei Verlage eine erkennbare Handelstätigkeit. 79 Das LfV Sachsen hat hierzu eine Broschüre herausgegeben (Titel: "Rechtsextremistische Symbole: Augen auf! Sehen - Erkennen - Handeln"). Sie kann über die Internetseite www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. 80 vgl. Verfassungsschutzbericht Sachsen 2022, S. 98-99. 81 vgl. Beitrag II.1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - SACHSENGARDE (vormals REGIONALGRUPPE SACHSEN) Seite 90 von 242 Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen im Freistaat Sachsen Die aktivsten Versandhändler für rechtsextremistische bzw. szenetypische Produkte im Freistaat Sachsen Name: PC-RECORDS Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Ladengeschäft, Online-Versand und Tonträger-Label Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz aktiv seit: 2000 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger, mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien Der Vertrieb PC-RECORDS, der aus einem Ladengeschäft, einem Internet-Versand und einem Tonträger-Label besteht, ist in Sachsen der bedeutendste Produzent für rechtsextremistische Musikgruppen. Durchschnittlich stellt dieses Unternehmen etwa 20 neue Tonträger sowie ReEditionen pro Jahr her. Für das Berichtsjahr konnten 24 Produktionen festgestellt werden. Seite 91 von 242 Mehr als 380 Tonträger produzierte dieses Unternehmen bisher. Von diesen Produktionen hat die Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (BzKJ) 93 Tonträger sowie zwei Filmproduktionen indiziert. Die im Jahr 2023 indizierte CD mit dem Titel "Phonophobie" enthält nach der Beurteilung der BzKJ beispielsweise Titel, die zu Gewalt und Rassenhass aufrufen. Ein Lied verherrlichte den Nationalsozialismus. Der Inhalt eines weiteren Titels verstößt nach Einschätzung der BzKJ gegen den SS 130 Abs. 1 StGB (Volksverhetzung). Das von PC-RECORDS produzierte Sortiment umfasst neben Tonträgern von Bands aus Sachsen sowie anderen Bundesländern auch Produktionen renommierter rechtsextremistischer Musikgruppen aus dem Ausland. So produzierte der Vertrieb im Jahr 2023 mit dem Album "Patriotic Tunes - Volume 3" ein Album des Sängers der finnischen Band "Mistreat". Neben dem Internetshop für frei verkäufliche Tonträger werden von PC-RECORDS auf einer separaten Internetseite unter der Bezeichnung "Hits vom Index" auch indizierte Produktionen angeboten. Nicht nur durch die Produktion neuer Tonträger unterstützt PC-RECORDS aktiv die rechtsextremistische Szene. Auch durch die Förderung und Organisation beispielsweise von Konzerten leistet dieser Vertrieb einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer aktiven rechtsextremistischen Szene im Freistaat Sachsen. Diese Unterstützung macht sich offenkundig auch in finanzieller Hinsicht bemerkbar. Die Band ODESSA82 schrieb dazu im Booklet ihres im Jahr 2022 von PC-RECORDS produzierten Tonträgers mit dem Titel "Eiserner Wille & Stolzes Herz - Eine Zeitreise", dass "gerade PC-Records dafür bekannt ist, erhebliche Gewinne in den politischen Kampf zurück zu führen". Der Vertrieb organisierte im Jahr 2023 außerdem zwei Verkaufsveranstaltungen in Chemnitz, die von je rund 100 Rechtsextremisten aus Sachsen sowie anderen Bundesländern besucht wurden: Sowohl anlässlich des "Sonderverkaufs" am 9. September als auch beim "Weihnachtlichen Jahresabschluss mit Prozenten und Plätzchen" am 9. Dezember boten neben PC-RECORDS weitere Vertriebe und Textilmarken ihre Produkte an. Name: FEINDKONTAKT PRODUKTION Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Online-Versand und Tonträger-Label Sitz bzw. Herkunft / Inhaber: Lengenfeld (Vogtlandkreis) aktiv seit: 2015 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger eigener und fremder Produktion, Textilien mit Werbeaufdruck für rechtsextremistische Bands sowie weitere szenetypische Materialien 82 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2021, Seite 96-97 Seite 92 von 242 Das von Plauen nach Lengenfeld umgezogene und im Gegensatz zu PC-RECORDS ausschließlich regional bedeutende Vertriebsunternehmen FEINDKONTAKT PRODUKTION produziert Tonträger für die rechtsextremistische Szene. Das Onlineangebot des Unternehmens umfasst ein dementsprechendes Angebot. Im Berichtsjahr erschienen insgesamt sechs Tonträger, darunter auch Musik der rechtsextremistischen Band "Berlin Breed"83. Wegen des 2021 von dieser Band herausgegebenen Tonträgers "Wir haben's gewagt" geriet der Vertrieb in das Visier der Berliner Staatsanwaltschaft. Im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren durchsuchten Polizeibeamte im September 2023 deshalb auch die Räumlichkeiten von FEINDKONTAKT PRODUKTION wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Name: NDS RECORDS Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Online-Versand und Tonträger-Label Sitz bzw. Herkunft / Inhaber: Steinigtwolmsdorf OT Weifa (Landkreis Bautzen) aktiv seit: 2021 Sortiment: Tonträger eigener Produktion, Textilien mit Werbeaufdruck für das eigene Label Mit dem Umzug des Rappers PROTOTYP nach Sachsen etablierte sich hierzulande ein Musikstil, der innerhalb der rechtsextremistischen Szene im Freistaat bisher nicht festgestellt werden konnte und der insbesondere auch junge Menschen anspricht. Abweichend von der klassischen rechtsextremistischen Musikszene, die seit Jahren auf die Produktion und den Vertrieb von Tonträgern wie CDs, Schallplatten oder (eher selten) Kassetten setzt, sind die Musiker von NDS RECORDS überwiegend online aktiv. Auf Telegram-, Facebook-, YouTubeund Instagram-Kanälen werben die Musiker für ihre Produktionen. Sie produzieren begleitend zu ihren Alben Musikvideos, die über besagte Portale abrufbar sind, und bieten ihre Musik auch bei namhaften Online-Musikanbietern zum kostenpflichtigen Download an. Dadurch erzielen sie eine größere Reichweite. Zu NDS RECORDS gehören mindestens sechs Personen. Der Liedermacher KAVALIER, der sich politisch in die IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) einbringt, wirkte bereits in verschiedenen Musikvideos von NDS RECORDS mit und trat im Berichtsjahr bundesweit und auch im Ausland bei Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene auf. Außerdem etablierte sich die Rapperin ALVA84 bei NDS RECORDS. Sie wirkte bereits im Jahr 2022 am "NDS-Sampler Vol. 1" mit und gab zusammen mit PROTOTYP im Jahr 2023 den Tonträger "Kompass" heraus. Im Berichtsjahr arbeitete das Label bei der Produktion von Musikvideos und Tonträgern mit weiteren rechtsextremistischen Interpreten zusammen. Auf dem Tonträger "MWK - männlich, weiß, kampfbereit" ist neben PROTOTYP der aus Thüringen stammende rechtsextremistische 83 vgl. Verfassungsschutzbericht 2022 des Landes Berlin, Seite 31 84 vgl. Beitrag II.1.4.6 Rechtsextremistische Musik Seite 93 von 242 Rapper MAKSS DAMAGE85 zu hören. Im gleichnamigen Musikvideo traten Mitglieder der rechtsextremistischen Partei DER DRITTE W EG in Erscheinung. NDS RECORDS produzierte bisher sieben Tonträger und veröffentlichte mehrere Musikvideos auf YouTube. Name: NATION UND WISSEN Typ: Verlag mit angeschlossenem Vertrieb Sitz bzw. Herkunft / Inhaber: Riesa aktiv seit: 2011 Sortiment: umfangreiches Büchersortiment insbesondere mit Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus; Tonträger von rechtsextremistischen Musikgruppen Mit dem der Partei DIE HEIMAT (vormals NPD) zuzurechnenden DEUTSCHE STIMME VERLAG86 und dem Verlag NATION UND W ISSEN existieren im Freistaat Sachsen zwei rechtsextremistische Verlage. Während sich der DEUTSCHE STIMME VERLAG überwiegend mit der Erstellung des Parteiorgans DEUTSCHE STIMME befasst, produziert der Verlag NATION UND WISSEN u. a. zahlreiche Bücher, die inhaltliche Bezüge zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges aufweisen. Diese Bücher werden über den angeschlossenen OnlineVertrieb zum Kauf angeboten. Name: KL-AUSLIEFERUNG / KL-MILITARIA VERSAND Typ: Gewerblicher Online-Versand Sitz bzw. Herkunft: Zwickau aktiv seit: 2022 Sortiment: umfangreiches Büchersortiment insbesondere mit Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus; Angebot von antiquarischen Schriften aus der Zeit des "Dritten Reiches" Im August 2022 meldete ein bekannter Rechtsextremist in Zwickau ein Gewerbe mit der Bezeichnung KL-AUSLIEFERUNG an. Der Vertrieb bietet im Internet u. a. unter der Bezeichnung 85 vgl. Jahresbericht 2016 des Landes Thüringen, Seite 68 86 vgl. Beitrag II.1.3.2 DIE HEIMAT (vormals NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS) Seite 94 von 242 KL-MILITARIA auf zwei Shop-Seiten Bücher und Schriften, die überwiegend einen Bezug zum Nationalsozialismus haben, sowie vereinzelt Hiebund Stichwaffen an. Dabei werden strafrechtlich relevante Symbole (wie Hakenkreuze) auf den Angebotsbildern verdeckt. Der Vertrieb verkauft nicht nur antiquarische Schriften aus der Zeit des "Dritten Reiches", sondern bietet auch Nachdrucke derartiger Schriften, wie beispielsweise die Bücher "Die S.A. erobert Berlin" oder "SS-Kavallerie im Osten" an. Neben den zwei Shop-Seiten werden die Waren auch über verschiedene Telegram-Accounts angeboten. Die Gesamtschau verdeutlicht, dass sich das Angebot an die neonationalsozialistische Szene richtet. Die Beteuerung des Vertriebes, dass die angebotenen Waren aus der Zeit des Nationalsozialismus "nur zu Zwecken der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger und verfassungsfeindlicher Bestrebungen sowie zur wissenschaftlichen und kunsthistorischen Forschung" ausgeliefert würden, dürfte angesichts des rechtsextremistischen Hintergrunds des Betreibers wohl vielmehr dessen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung dienen. 1.5 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Im Berichtsjahr sind rechtsextremistisch motivierte Anschläge ausgeblieben. Dennoch besteht nach wie vor eine abstrakte Gefährdungslage. Rechtsextremistische Ideologieelemente, darunter Verschwörungstheorien und Vernichtungsfantasien in Bezug auf andere Ethnien, spielen auch bei Akteuren im Freistaat Sachsen eine wichtige Rolle und können unter Umständen einen Nährboden für Gewalt und Terror bilden. Rechtsextremisten finden dabei im Internet verschiedene Aspekte, die sie unreflektiert zu ihrer eigenen verfassungsfeindlichen Agenda zusammensetzen können. Als Quintessenz steht oft das proklamierte Recht auf Widerstand und der Anspruch, stellvertretend für einen großen, ungehörten Teil der Bevölkerung zu handeln. Hinzu kommt eine hohe Waffenaffinität von Rechtsextremisten. Des Weiteren wird Militanz gegen den vermeintlichen politischen Gegner innerhalb der rechtsextremistischen Szene nach wie vor als legitimes Mittel zur Durchsetzung der politischen Ziele propagiert. Eine große Rolle bei militanten Rechtsextremisten spielten in der Vergangenheit in Deutschland zudem öffentlichkeitswirksame Kampfsportveranstaltungen, beispielsweise der "Kampf der Nibelungen". Dessen Austragung wurde zuletzt von der Stadt Ostritz (Landkreis Görlitz) im Jahr 2019 verboten. Nach der gerichtlichen Bestätigung dieses Verbots im Jahr 2022 wurden im Freistaat Sachsen keine rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen durchgeführt. Das Verwaltungsgericht Dresden urteilte damals, dass Kampfertüchtigung dem Einstieg in den politischen Kampf diene, um auf diese Weise politische Ziele gewaltsam durchsetzen zu können. Das aus Nordrhein-Westfalen stammende Kampfsportformat "Kampf der Nibelungen" ziele darauf ab, dem Besucherkreis Gewaltkompetenzen zur Überwindung des politischen Systems zu vermitteln. Das Interesse an Kampfsport ist in der Szene jedoch unverändert hoch, weswegen sächsische Rechtsextremisten oft in "unpolitischen" Gyms (Fitnessstudios) trainieren. Vereinzelt beteiligen sie sich - auch als Kämpfer - an "unpolitischen" Kampfsportveranstaltungen im Freistaat Sachsen. Da die rechtsextremistische Kampfsportszene international gut vernetzt ist, geht das LfV Sachsen davon aus, dass weiterhin entsprechende Großveranstaltungen analog zum Berichtsjahr im Ausland stattfinden werden. So nahmen sächsische Rechtsextremisten am 6. Mai an der in Ungarn durchgeführten internationalen Kampfsportveranstaltung "European Fight Night" teil. Als Organisator trat dabei wiederum das rechtsextremistische Kampfsportformat "Kampf der Nibelungen" neben ungarischen und französischen Seite 95 von 242 Rechtsextremisten in Erscheinung. Am Beispiel dieser Veranstaltung zeigte sich die internationale Vernetzung der rechtsextremistischen Kampfsportszene. Weiterhin ist nicht auszuschließen, dass die rechtsextremistische Kampfsportszene möglicherweise künftig auch auf klandestin organisierte Veranstaltungen im kleineren Rahmen ausweichen wird. 1.6 Durch Rechtsextremisten genutzte Immobilien87 Immobilien haben eine essentielle Bedeutung für die rechtsextremistische Szene. Entweder stehen die Objekte im Eigentum von Rechtsextremisten, oder aber diese schließen Mietverträge für eine langfristige Nutzung von Immobilien ab. In den "eigenen vier Wänden" leben sie ihre verfassungsfeindliche Ideologie ungestört aus, können auf unkomplizierte Weise regelmäßig zusammenkommen und Veranstaltungen, wie beispielsweise Konzerte, ausrichten. Immobilien sind somit "Rückzugsorte" für Rechtsextremisten, können aber auch offensiv genutzt werden. So dienen zentral gelegene Büros rechtsextremistischer Parteien dazu, im öffentlichen Raum auf die Partei aufmerksam zu machen und eine feste Anlaufstelle für Mitglieder und Interessenten zu sein. Für die Partei DER DRITTE W EG ist es z. B. wichtig, mittels ihres Parteiund Bürgerbüros im Zentrum von Plauen Interessenten anzulocken und für ihre verfassungsfeindliche Agenda zu werben. Außerdem bietet die komfortable Lage in der Innenstadt die Möglichkeit, das Image des "netten Kümmerers" einer breiten Öffentlichkeit publik zu machen. Grundsätzlich sind Rechtsextremisten aber bestrebt, Immobilien nach Möglichkeit außerhalb urbaner Zentren zu erwerben. Vor allem in Ostdeutschland und demzufolge auch im Freistaat Sachsen finden sie nicht selten langjährig leerstehende Gebäude in ländlicher Abgeschiedenheit, die sie unter Umständen über Strohmänner von privater Hand preiswert erwerben, herrichten und dann entsprechend ihrer verfassungsfeindlichen Agenda nutzen. Da in den meisten Mietund Kaufobjekten diverse interne oder externe Veranstaltungen stattfinden, dienen Immobilien insbesondere der Finanzierung der Szene. Der Immobilienbesitz ist nicht nur ein Statussymbol, sondern auch ein fester Bestandteil eines szeneinternen Finanzund Wirtschaftskreislaufs, ohne den Rechtsextremisten entweder gar nicht oder nur sehr eingeschränkt in die Gesellschaft hineinwirken könnten. Durch interne Veranstaltungen binden Rechtsextremisten Mitglieder und Anhänger, die Beiträge oder ggf. Spenden entrichten, an sich. Damit ist langfristig für regelmäßige Einnahmen gesorgt. Bei externen Veranstaltungen - beispielsweise Konzerten - müssen Besucher nicht nur Eintrittsgelder entrichten. Zumeist werden in den Objekten Tonträger und MerchandisingArtikel verkauft. Die erzielten Einnahmen sorgen ebenfalls für einen beständigen Geldfluss innerhalb der rechtsextremistischen Szene. 87 Entsprechend einer bundesweit im Verfassungsschutzverbund abgestimmten verbindlichen Definition gelten diejenigen Immobilien als "rechtsextremistisch genutzte Immobilien", bei denen eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit durch Eigentumsoder Besitzverhältnis oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen besteht. Voraussetzung ist zudem eine politisch zielund zweckgerichtete wiederkehrende Nutzung. Seite 96 von 242 Landkreis / Anzahl88 der Sitz der Objekte Nutzung der Objekte im Kreisfreie dort Jahr 2023 Stadt vorhandenen Objekte89 Landkreis 3 Bautzen: Clubhaus der ARYAN dauerhafte Nutzung Bautzen BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) Hoyerswerda: Objekt der BLACK dauerhafte Nutzung DEVILS Steinigtwolmsdorf, OT Weifa: Sitz dauerhafte Nutzung, von NDS RECORDS Privatobjekt mit Tonstudio Landkreis 3 Zittau: Vereinshaus des dauerhafte Nutzung, Görlitz NATIONALEN JUGENDBLOCKS E.V. Nutzung für Musikveranstaltung in 2023 Mücka: Objekt der BRIGADE 8 dauerhafte Nutzung Niesky: Objekt der SCHLESISCHEN dauerhafte Nutzung, JUNGS Nutzung für Musikveranstaltung in 2023 Landkreis 1 Riesa: Sitz der DEUTSCHE STIMME dauerhafte Nutzung Meißen VERLAGSGESELLSCHAFT MBH, der Landesgeschäftsstelle der Partei DIE HEIMAT, der JNBundesgeschäftsstelle und der JNLandesgeschäftsstelle Landkreis 5 Döbeln: Büroräume der JUNGEN dauerhafte Nutzung Mittelsachsen NATIONALISTEN (JN) anlassbezogene Hartmannsdorf Nutzung eines Objekts für Veranstaltungen, u. a. Bundeskongress der JN in 2023 anlassbezogene Geringswalde OT Arras Nutzung eines Objektes, JN-Gemeinschaftstag in 2023 88 Aus Gründen des Geheimschutzes dürfen nicht alle dem LfV Sachsen einschlägig bekannt gewordenen Immobilien öffentlich konkret benannt werden. Die in der entsprechenden Spalte genannte Gesamtzahl der Immobilien eines Landkreises bzw. einer kreisfreien Stadt kann daher von der nebenstehenden Spalte "Sitz der Objekte" abweichen. In Einzelfällen wird aus demselben Grund auf die Nennung des konkreten Ortes einer Immobilie oder der Details zur Nutzung verzichtet. 89 Darüber hinaus nutzten Rechtsextremisten anlassbezogen öffentliche Gaststätten für Treffen und Vortragsveranstaltungen. Seite 97 von 242 Landkreis / Anzahl88 der Sitz der Objekte Nutzung der Objekte im Kreisfreie dort Jahr 2023 Stadt vorhandenen Objekte89 Landkreis 4 Pirna: "Haus Montag" dauerhafte Nutzung Sächsische SchweizOsterzgebirge Pirna: "Klub 451" Februar 2023: Nutzungsuntersagung u. a. für öffentliche Veranstaltungen Altenberg OT Liebenau anlassbezogene Nutzung Erzgebirgskreis 3 Oelsnitz/Erzgeb. Schwarzenberg/Erzgeb. OT Bermsgrün Aue-Bad Schlema: anlassbezogene "Sachsentreff zum Kronprinz" Nutzung u. a. durch FREIE SACHSEN sowie für Musikveranstaltungen Landkreis 3 Grimma, OT Roda anlassbezogene Leipzig Nutzung Landkreis 1 Torgau, OT Staupitz Objekt wurde bis zur Nordsachsen Gewerbeuntersagung im Februar 2023 durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Musikveranstaltungen genutzt. Vogtlandkreis 1 Plauen: dauerhafte Nutzung Büro der Partei DER DRITTE W EG Landkreis 1 Zwickau: dauerhafte Nutzung Zwickau Objekt der Partei DER DRITTE W EG Seite 98 von 242 Landkreis / Anzahl88 der Sitz der Objekte Nutzung der Objekte im Kreisfreie dort Jahr 2023 Stadt vorhandenen Objekte89 Stadt Chemnitz 5 Sitz eines Vertriebsunternehmens dauerhafte Nutzung mit Szeneladen Bürgerbüro von PRO CHEMNITZ / Sitz der Partei FREIE SACHSEN dauerhafte Nutzung Wohnund Treffobjekt dauerhafte Nutzung durch parteiungebundene Rechtsextremisten IB-Zentrum Chemnitz dauerhafte Nutzung Stadt Dresden 3 Wohnund Treffobjekt dauerhafte Nutzung durch parteiungebundene Rechtsextremisten Gewerbeobjekt anlassbezogene Nutzung für Veranstaltungen / Treffen Stadt Leipzig 2 Veranstaltungsobjekt / Nutzung u. a. durch Gewerbeobjekt parteiungebundene Rechtsextremisten 1.7 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund Rechtsextremistische Straftaten insgesamt 3000 2566 2500 2199 2198 2070 2000 1816 1709 Straftaten, davon: 1500 gegen den polit. Gegner 1000 712 fremdenfeindlich 571 464 445 396 394 500 214 252 222 117 124 97 0 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Seite 99 von 242 Die Anzahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund ist im Berichtsjahr sprunghaft auf einen neuen Höchstwert angestiegen. Insbesondere die darin enthaltene Zahl der Straftaten gegen den politischen Gegner stieg nach dem Absinken im Jahr 2022 wieder in etwa auf das Niveau des Jahres 2021 an. Die Anzahl der fremdenfeindlichen Straftaten erreichte den höchsten Stand seit dem Jahr 2015. Damals wurden 784 solcher Straftaten verzeichnet. Der überproportionale Anstieg der Straftaten in dieser Kategorie machte mehr als ein Drittel des Zuwachses aller rechtsextremistischen Straftaten aus. Zudem stiegen Propagandadelikte, wie beispielsweise das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, und Volksverhetzungsdelikte gegenüber dem Vorjahr deutlich an und machten mit 73 % (1.873 Straftaten) wie in den Vorjahren den weit überwiegenden Teil der rechtsextremistischen Straftaten aus (2022: 86 %, 1.472 Straftaten). Vor dem Hintergrund des Nahostkonflikts nahmen die antisemitischen Straftaten mit Extremismusbezug im Bereich Rechtsextremismus von 132 im Jahr 2022 auf 199 im Jahr 2023 deutlich zu. Im Berichtsjahr waren als besonders schwerwiegend zwei mutmaßlich rechtsextremistisch motivierte Brandanschläge auf eine geplante Asylbewerberunterkunft in Dresden zu verzeichnen. Die strafrechtlichen Ermittlungsverfahren dazu sind noch nicht abgeschlossen. Rechtsextremistische Gewalttaten90 als Teilmenge der Straftaten 160 138 140 120 100 96 81 Gewalttaten, davon: 80 73 66 69 gegen den polit. Gegner 58 fremdenfeindlich 60 49 41 40 33 33 29 23 21 16 18 19 20 11 0 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten ist im Vergleich zum Vorjahr um etwa 19 % gestiegen. 90 Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist die Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität (PMK), die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt. Sie umfasst u. a. Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch und Widerstandsdelikte; siehe hierzu auch unter www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts/PMKrechts_node.html (Stand: 12. März 2024) Seite 100 von 242 Der prozentuale Anteil der Gewalttaten am Gesamtaufkommen der rechtsextremistischen Straftaten belief sich auf 2,7 % und hat sich damit verringert (2020: 3,5 %, 2021: 4,5 %, 2022: 3,4 %). Da die Asylthematik für Rechtsextremisten unverändert eine hohe Bedeutung hat und im Berichtsjahr aufgrund der erneut gestiegenen Asylbewerberzahlen eine zentrale Rolle in der Szene spielte, stieg auch die Zahl der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten an. Deren Anteil an allen Gewaltstraftaten wuchs weiter auf über 59 % (2021: 41 %, 2022: 57 %). Der Anstieg der fremdenfeindlichen rechtsextremistischen Gewalttaten ist nahezu allein für den Zuwachs sämtlicher rechtsextremistischer Gewalttaten verantwortlich. Rechtsextremistische Aggression entlädt sich primär durch körperliche Gewalt gegen andere Menschen, überproportional gegenüber ausländischen bzw. als "nichtdeutsch" wahrgenommenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Aufteilung nach Landkreisen und kreisfreien Städten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2021 2022 2023 2021 2022 2023 Leipzig (Stadt) 246 228 347 15 12 16 Dresden (Stadt) 237 245 378 11 14 17 Chemnitz (Stadt) 154 116 183 3 5 7 Vogtlandkreis 84 97 108 3 1 0 Lkr. Zwickau 169 164 275 7 4 8 Erzgebirgskreis 125 118 156 11 0 3 Lkr. Mittelsachsen 114 100 180 3 1 2 Lkr. Meißen 55 81 109 2 2 1 Lkr. Sächs. Schweiz72 111 122 4 2 2 Osterzgebirge Lkr. Bautzen 129 139 194 3 10 3 Lkr. Görlitz 122 88 154 0 1 0 Seite 101 von 242 Lkr. Leipzig 206 120 188 12 1 6 Lkr. Nordsachsen 103 102 172 7 5 4 Freistaat Sachsen 1.816 1.709 2.566 81 58 69 Seite 102 von 242 2. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER REICHSBÜRGER-Gruppierung KÖNIGREICH DEUTSCHLAND baute Aktivitäten in Sachsen aus, stand aber zugleich im Fokus behördlicher Maßnahmen erneut starker Anstieg des Personenpotenzials Landkreis Bautzen entwickelte sich zum REICHSBÜRGER-Hotspot; die Szene konzentriert sich weiterhin vorrangig im ländlichen Raum Anteil der Rechtsextremisten niedrig weiterhin erhöhtes Gefährdungspotenzial durch einzelne, verschwörungstheoretisch geprägte REICHSBÜRGER hohe Waffenaffinität dieser heterogenen Szene Seite 103 von 242 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER91 sind seit dem 1. Dezember 2016 ein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes und damit auch des LfV Sachsen. Sie lehnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Institutionen und ihres Rechtssystems ab. Folglich sprechen sie den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder negieren die geltende Rechtsordnung. Neben den sog. REICHSBÜRGERN, die sich dem "Deutschen Reich" zugehörig fühlen, gibt es auch Personen, die sich als SELBSTVERWALTER bezeichnen und aus anderen Gründen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Typisch für sie sind z. B. selbst erklärte "Austritte" aus der Bundesrepublik Deutschland, verbunden mit der Erklärung der administrativen und rechtlichen Autonomie. So definieren SELBSTVERWALTER z. B. ihr Grundstück oder ihr Haus als souveränes Staatsgebiet und markieren es durch eine (Grenz-) Linie. Die ausgesprochen heterogene Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER handelt aus sehr unterschiedlicher Motivation. Dementsprechend variieren auch die jeweiligen Rechtfertigungsmuster. Teile der Szene berufen sich auf das historische Deutsche Reich, andere hängen Verschwörungstheorien an oder machen ein selbst definiertes Naturrecht geltend. Wiederum andere sehen ihre ehemalige DDR-Staatsbürgerschaft als nach wie vor gültig an. Wenngleich Ähnlichkeiten mit Argumentationsmustern von Rechtsextremisten bestehen, ist bei Weitem nicht jeder REICHSBÜRGER oder SELBSTVERWALTER ein Rechtsextremist. Mit Blick auf den vorhandenen Geschichtsrevisionismus werden aber bestimmte szeneübergreifende Ideologiebestandteile sichtbar, wie Antisemitismus, Antiamerikanismus oder Nationalismus. Die Szene zeichnet sich mitunter auch durch eine hohe Waffenaffinität aus und trat in den vergangenen Jahren u. a. mit (gewalttätigen) Aktionen gegen Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher in Erscheinung. 2.2 Strategie REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER suchen regelmäßig die Auseinandersetzung mit der öffentlichen Verwaltung und versuchen, das Verwaltungshandeln der Bundesrepublik, deren Existenz sie negieren, zu behindern. Dabei "fluten" sie Behörden und Gerichte mit umfangreichen Schreiben, die sie sich häufig aus dem Internet beschaffen. Im Falle der persönlichen Begegnung schrecken sie nicht vor Beleidigungen, Bedrohungen und Handgreiflichkeiten zurück. Folgende grundsätzlich übereinstimmende Argumentationsmuster und strategische Vorgehensweisen lassen sich identifizieren: 1. Sie gründen Fantasiestaaten und proklamieren ihre Selbstverwaltung. Mit der Abgabe des Personalausweises bringen sie zum Ausdruck, dass sie die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Vielmehr handele es sich dabei um eine "BRD-GmbH", und die Bevölkerung sei deren "Personal". 91 SELBSTVERWALTER sind Personen, die sich als "staatenlos" definieren und auf dieser Grundlage die Zuständigkeit der staatlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland bestreiten. Oft gründen sie eigene Pseudo-Staaten, die sie dann als "souveräne" Subjekte des Völkerrechts darstellen, über welche sie "auf Augenhöhe" mit anderen Staaten, wie der Bundesrepublik Deutschland, in politische Beziehungen treten könnten. Seite 104 von 242 2. Häufig wird auf die angeblich rein privatrechtliche Beziehung zwischen Bürger und Behörde verwiesen. Daher sei eine einseitige "Kündigung" jederzeit möglich und legitim. 3. Die Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises ("Gelber Schein") mit Verweis auf das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) sowie auf die angebliche Abstammung aus einem ehemaligen Gliedstaat des Deutschen Reiches (Bundesstaat Sachsen, Königreich Preußen etc.) ist ein zentrales Anliegen vieler REICHSBÜRGER. Sie sind der Auffassung, dass alle Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht seit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. im Jahr 1918 keinen Bestand hätten, da von diesem Zeitpunkt an kein rechtmäßiger Staat mehr existiert habe. Insoweit beruft man sich in Argumentationen immer noch auf die Reichsverfassung von 1871. 4. Andere stellen eine offizielle Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Abrede. So habe es lediglich eine Kapitulation der deutschen Wehrmacht, jedoch keine offizielle des Deutschen Reiches gegeben. Außerdem werden verschiedenste internationale Dokumente angeführt, die entweder gegen ihren eigentlichen Aussagesinn gedeutet oder in einen anderen, vollkommen sachfremden Zusammenhang gestellt werden. 5. Die deutsche Wiedervereinigung habe ebenfalls keine Gültigkeit, da das Grundgesetz nicht dem deutschen Volk zur Abstimmung vorgelegt worden sei. Der "Zwei plus Vier"Vertrag sei deswegen unrechtmäßig, so dass nach wie vor Besatzungsrecht gelte. 6. Häufig werden auch Ansprüche nach Artikel 55 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) geltend gemacht. Zwischen 1907 und 1910 seien mit der HLKO letztmalig die Regeln des Krieges und der Besatzung durch souveräne Staaten festgelegt worden. Weil daraufhin aber immer mehr Staaten vom Staatsin das Handelsrecht (im Falle Deutschlands nach 1945 angeblich vertreten durch die "BRD-GmbH") gewechselt seien und ein Frieden nur von souveränen Staaten ausgehandelt werden könne, gelte nach wie vor die HLKO. Mit dieser Begründung werden in der Regel unverhältnismäßig hohe finanzielle "Schadensersatzansprüche" geltend gemacht. 7. Gängig ist auch die Erklärung zur "Natürlichen Person", die nicht mehr Teil der "Staatskonstrukte" sei. Dies drückt sich beispielsweise in der Verwendung von Namenseinschüben, wie Gert "aus der Familie" Mustermann, aus. 2.3 Personenpotenzial Der sehr heterogenen Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER im Freistaat Sachsen wurden im Berichtsjahr 3.000 Personen zugerechnet. Das sind 500 Personen mehr als im Berichtsjahr 2022. Der Anteil der Rechtsextremisten innerhalb dieses Spektrums betrug 2,9 Prozent und ist damit im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant geblieben (2022: 2,8 Prozent). Das LfV Sachsen hat im Jahr 2023 in 68 Fällen Erkenntnisse zu REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN an die Waffenbehörden übermittelt. Im Berichtszeitraum nahm die Zahl der Personen, die der Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER zugerechnet werden, erneut stark zu. Dieser erneute Anstieg ist eng mit der Ansiedlung bzw. der weiteren Ausbreitung des KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND im Freistaat Sachsen verknüpft. Im Zuge der intensiven Zusammenarbeit zwischen dem LfV Sachsen und Behörden in den Kommunen sowie auf Landesund Bundesebene wird die Aufklärung der Szene fortwährend verbessert und das Dunkelfeld dadurch zunehmend erhellt. Seite 105 von 242 Die soziodemographische Struktur der Szene weist im Vergleich zu anderen extremistischen Phänomenbereichen Besonderheiten auf. So ist der Frauenanteil mit ca. 27 Prozent verhältnismäßig hoch. Wegen des deutlich höheren Altersdurchschnitts von rund 50 Jahren wird bei REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN auch von einer "Radikalisierung in der zweiten Lebenshälfte" gesprochen. Die Beweggründe von Menschen, sich den REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN anzuschließen, sind sehr unterschiedlich. Für manche liegt die Ursache beispielsweise in Problemen mit den Behörden und daraus folgenden finanziellen Zwangssituationen. In der Folge negieren sie die Legitimität ihres Gegenübers und versuchen so, einer Zwangsvollstreckung oder anderen staatlichen Maßnahmen zu entgehen. Für andere geht es aber auch um das eigene Selbstbild. Viele REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER werten sich selbst durch fiktive Titel wie "König" oder "Reichskanzler" auf. Bei der Flutung von Behörden mit reichsbürgertypischen Schreiben, in denen behördliche Befugnisse - z. B. wegen vermeintlicher Nichtexistenz der Bundesrepublik - negiert werden, geht es oft nicht darum, sein Gegenüber mit Argumenten zu überzeugen, sondern um das starke Bedürfnis nach Selbstdarstellung und Selbstidentifikation. Es handelt sich vorliegend also um ein sehr heterogenes Personenpotenzial, das sich aus unterschiedlichen Gründen vom Verfassungsstaat abwendet. Verteilung nach Landkreisen und kreisfreien Städten92 92 Diese Graphik beinhaltet nicht das Personenpotenzial von REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN, welches sich ausschließlich in überregionalen Chatgruppen in den sozialen Medien darstellt. Seite 106 von 242 2.4 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen Grundsätzlich sind REICHSBÜRGER weniger in Strukturen organisiert, sondern agieren als Einzelpersonen. Im Verfassungsschutzbericht 2022 ist festgestellt worden, dass sich die Landeshauptstadt Dresden zu einem "REICHSBÜRGER-Hotspot" entwickelt hat. Für das Berichtsjahr 2023 kann erstmalig auch der Landkreis Bautzen als ein solcher bezeichnet werden. Ohnehin konzentriert sich die Szene vorrangig im ländlichen Raum. Lediglich im Landkreis Nordsachsen sowie in der kreisfreien Stadt Chemnitz sind REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER weniger verbreitet. Die nachfolgende Aufführung berücksichtigt die im Freistaat Sachsen im Berichtsjahr aktiv gewesenen Reichsbürgergruppierungen: KÖNIGREICH DEUTSCHLAND (KRD) Sitz / Verbreitung Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) Wolfsgrüner Schlösschen in Eibenstock OT Wolfsgrün (Erzgebirgskreis) Schloss Bärwalde in Boxberg OT Bärwalde (Landkreis Görlitz) Kanzleilehngut Halsbrücke (Landkreis Mittelsachsen) Gründung Im Jahr 2009 gründete Peter FITZEK den Verein "NeuDeutschland". Er tritt seit 2012 als "König" des KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND (KRD) in Erscheinung. In Sachsen ist das KRD seit April 2021 aktiv. Vorsitz Peter FITZEK Internetauftritte Internetseite des KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND Social-Media-Kanäle (YOUTUBE, TELEGRAM, EIGENER KANAL "KRDTUBE") Personenpotenzial / 2023 2022 Mitgliederentwicklung ca. 5000 (Eigenangaben) In Sachsen ca. 150 bis 200 ca. 4.000 Mitglieder (Eigenangaben) Kurzportrait / Ziele Gemeinsam mit seinen Anhängern leugnet Peter FITZEK die geltende Rechtsund Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Er bezeichnet diese Ordnung als "destruktiv". Das KRD will insbesondere mit seinen sog. "Gemeinwohldörfern" pseudo-legitimierte Parallelstrukturen zu den staatlichen und wirtschaftlichen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland aufbauen. So sollen sog. "GemeinwohlKassen" beispielsweise das Bankensystem ersetzen und sog. "GesundheitsKassen" als Krankenkassen in der Parallelwelt des KRD fungieren. Zugleich dienen diese "Institutionen" maßgeblich der Finanzierung des KRD. Seite 107 von 242 Ziel des KRD ist die Loslösung von dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Steuerund Finanzwesen bzw. dem sozialen Sicherungssystem sowie die Errichtung eines eigenen Staatsgebietes. Um seine Ziele zu erreichen, ist Peter FITZEK auf die Ersparnisse bzw. Finanzeinlagen der KRD-Mitglieder und/oder Bewohner der "Gemeinwohldörfer" angewiesen. Relevante Ereignisse und Die im April 2021 in einer Bäckereifiliale gegründete GEMEINWOHLKASSE DRESDEN wurde am 23. Februar Entwicklungen 2023 von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) geschlossen. Am 21. Februar erfolgte die sog. "Zustiftung", d. h. die Aufnahme der Liegenschaft des "Wolfsgrüner Schlösschens" in Eibenstock (Erzgebirgskreis) in das KRD. FITZEK und seine Anhänger haben diese ortsprägende Immobilie auch im Berichtsjahr mithilfe der finanziellen Unterstützung von Mitgliedern und Anhängern zu einem esoterisch geprägten Schulungsund Gesundheitszentrum ausgebaut. Am 16. und 17. September wurden die Feierlichkeiten zu "100-Jahre Schloss Bärwalde und 11 Jahre KRD" im Schloss Bärwalde in Boxberg OT Bärwalde (Landkreis Görlitz) verhindert. Am 19. Dezember erfolgte die "Zustiftung" des Schlosses Bärwalde in Boxberg OT Bärwalde (Landkreis Görlitz) in das KRD. Zugleich wurde die Fahne des "Königreichs" gehisst. Im Mai folgte der Kauf des Kanzleilehngutes in Halsbrücke (Landkreis Mittelsachsen). Allerdings übten die Gemeinde Halsbrücke und die Stadt Freiberg (Landkreis Mittelsachsen) am 7. Dezember ihre Vorkaufsrechte für einen Teil der Liegenschaft aus. In einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Dresden fanden am 29. November in acht Objekten in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Hessen Exekutivmaßnahmen statt. Das Ermittlungsverfahren richtet sich gegen eine Vielzahl von Beschuldigten. Ihnen wird vorgeworfen, eine Krankenkasse gegründet und seit mindestens 2021 betrieben zu haben, ohne über die dazu erforderliche aufsichtsrechtliche Genehmigung zu verfügen. Außerdem sollen sie unerlaubte Bankgeschäfte getätigt haben. In diesem Zusammenhang wurden u. a. die Schlösser des KRD im Freistaat Sachsen durchsucht. KÖNIGLICH SÄCHSISCHER GEMEINDEVERBAND (KSGV) Sitz Hainichen (Landkreis Mittelsachsen) Gründung 2017 (nach eigenen Aussagen: am 15. Oktober 2017) Seite 108 von 242 Vorsitz Person aus Hainichen Teil- / Nebenorganisationen 54 Gemeinden, die dem Gemeindeverband "KS-Gemeinden" angehören Internetauftritte / Internet: Homepage des KÖNIGLICH SÄCHSISCHEN GEMEINDEVERBANDES Publikationen Soziale Medien: Telegram-Kanal Personenpotenzial / 2023 2022 Mitgliederentwicklung im einstelligen Bereich im einstelligen Bereich Kurzportrait / Ziele Der KSGV stellt die sächsische Vertretung der überregionalen Gruppierung FREIE W ÄHLERVEREINIGUNG dar. Als solche stellt sie die Staatseigenschaft der Bundesrepublik Deutschland und deren völkerrechtliche Souveränität in Abrede. Relevante Ereignisse und Durchführung von Mitgliederund Verbandsversammlungen Entwicklungen 2023 Veröffentlichung von Publikationen zur Entstehung des Gemeindeverbandes, Ahnenforschung sowie zum Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 in den sozialen Medien; außerdem Bereitstellung von Vordrucken zum Download (z. B. Mitgliedsanträge, Musterschreiben zur Ablehnung behördlicher Maßnahmen) VATERLÄNDISCHER HILFSDIENST (VHD) Gründung 2020 Vorsitz Person Person nicht bekannt aus Dresden aus Leipzig Teil- / ARMEEKORPSBEZIRK ARMEEKORPSBEZIRK ARMEEKORPSBEZIRK Nebenorganisationen (AKB) XII DRESDEN (AKB) XIX LEIPZIG (AKB) V POSEN Internetauftritte Homepage des VATERLÄNDISCHEN HILFSDIENSTES Personenpotenzial / 2023: ca. 115 2023: ca. 80 2023: ca. 5 Mitgliederentwicklung (2022: ca. 115) (2022: ca. 60) (2022: ca. 15) Kurzportrait / Ziele Der VHD ist eine überregionale Gruppierung und Teilorganisation des EWIGEN BUNDES93. Laut Darstellung auf der Webseite wurde der VHD "per Gesetz am 5. Dezember 1916 als zivile Institution gesetzlich eingerichtet. Mit der Hilfsdienstpflicht wurde eine zivile Ergänzung zur Wehrpflicht geschaffen. Alle deutschen Männer zwischen 17 und 59 Jahren sind für die Dauer des Krieges zum Hilfsdienst unter der Leitung 93 Im August 2018 gründete sich die Gruppierung "Bismarcks Erben", die auch unter dem Namen "Ewiger Bund" oder "Preußisches Institut" firmiert. Seite 109 von 242 des Kriegsamtes und damit unter dem Oberbefehl des deutschen Kaisers verpflichtet." Die Organisationsstruktur gliedert sich in 24 Armeekorpsbezirke des Deutschen Reiches. Im Bereich des jeweiligen Armeekorpsbezirks gibt es Leiter von Gebieten, Regionen und Verwaltungsbezirken. Den auf der Webseite eingestellten Bildern ist zu entnehmen, dass viele Armeekorpsbezirke tatsächlich aktiv sind und unterschiedlich große Personenpotenziale zu verzeichnen haben. Relevante Ereignisse AKB DRESDEN: AKB LEIPZIG: AKB POSEN: und Kontinuierliche Kontinuierliche Vor allem Teilnahme Entwicklungen 2023 mitgliederinterne mitgliederinterne an Treffen anderer Treffen, auch mit Treffen, auch mit AKB Mitgliedern anderer Mitgliedern anderer AKB AKB REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN Sitz Leisnig Gründung Vermutlich 2009 Internetauftritte Homepage des REICHSVERBANDS DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN Kurzportrait / Ziele Der REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN gründete sich laut eigener Homepage am 27. September 2009. Seine Mitglieder bzw. Anhänger fordern die Wiedereinsetzung der deutschen Grenzen vom 31. Juli 1914, die Wiedereinführung der Reichsgesetze und der geltenden Reichsverfassung aus dem Jahre 1871. Der REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN vertritt seine "Mandanten" in rechtlichen Angelegenheiten, indem er in Schreiben an politische Institutionen und Behörden auf die Legitimation der Reichsgesetze verweist sowie u. a. auch "Haftstrafen" gegen Behördenmitarbeiter verhängt. So soll der "Gerechtigkeit und Rechtspflege in Deutschland" Rechnung getragen werden. "Gerichtliche" Vertretung von Personen aus Sachsen, indem Vertreter der Gruppierung als sog. "Recht-Konsulenten" auftreten. Im Jahr 2021 errichtete diese Gruppierung "Volksbüros" in Freital (Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) und Riesa (Landkreis Meißen). Seite 110 von 242 Relevante Ereignisse und Im November wurden zwei Personen aus Sachsen wegen versuchter Erpressung und Nötigung angeklagt. Dies war das Entwicklungen 2023 Ergebnis polizeilicher Durchsuchungsmaßnahmen, die im Jahr 2022 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Dresden in den Wohnungen mehrerer Personen durchgeführt wurden. Auslöser für die Ermittlungen waren eine Vielzahl von reichsbürgertypischen Schreiben an Behörden und Gerichte. INDIGENES VOLK GERMANITEN Sitz Kein fester Hauptsitz, aber mehrere Missionen und das Hotel "Ahornberg" in Seiffen (Erzgebirgskreis) als Schulungsort Gründung 2010 Internetauftritte Homepage des INDIGENEN VOLK GERMANITEN Personenpotenzial / Der bundesweit aktiven Gruppierung werden im Freistaat Sachsen Mitgliederentwicklung ca. 15 Personen zugeordnet. Kurzportrait / Ziele Die Gruppierung bezeichnet sich selbst als "Staat, der nach völkerrechtlichen Abkommen ordnungsgemäß und rechtssicher gegründet wurde und das Gebiet von Gesamtdeutschland in den Grenzen von 1937 für sich deklariert hat." Als ihre politischen Ziele bezeichnet die Organisation ein "Friedliches Zusammenleben und Miteinander der Völker aller Staaten" sowie die "Achtung und Förderung der Menschenrechte". Die "Einhaltung der Menschenrechte" stellt Eigenangaben zufolge das Hauptanliegen dar und sei von "elementarer Bedeutung". Auch verfüge die Organisation über "zahlreiche Instrumente, um die Menschenrechte zu stärken" und "den massiven Menschenrechtsverletzungen wirkungsvoll entgegenzutreten". Anhänger der Organisation bezeichnen sich als "Nachkommen der germanischen Völker/Stämme" bzw. als "autochthon-indigen". Relevante Ereignisse und Im Berichtsjahr fanden mehrere Vortragsveranstaltungen u. a. zum Thema "Rechte indigener Menschen und Völker in Entwicklungen 2023 Menschenrechtssystemen" statt. Im Juli kauften fünf, nicht in Sachsen gemeldete Personen, die dem INDIGENEN VOLK GERMANITEN angehören sollen, ein Grundstück mit Hotel und Campingplatz in Seiffen. Die Gruppierung stellt auf ihrer Internetseite Musterschreiben beispielsweise zur Ablehnung behördlicher Maßnahmen bereit. Seite 111 von 242 Aktivitäten Durch die weiterhin verstärkten Aktivitäten von Personenzusammenschlüssen, wie beispielsweise dem KÖNIGREICH DEUTSCHLAND sowie dem INDIGENEN VOLK GERMANITEN, konnten im Berichtsjahr weitere Erkenntnisse über die heterogene Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER gewonnen werden. Die Betätigungsfelder könnten bei diesen Extremisten unterschiedlicher kaum sein. Sie alle eint allerdings das Ziel, den Staat Bundesrepublik Deutschland und seine Verfassungsordnung überwinden und beseitigen zu wollen. Den Schwerpunkt machten unverändert Schreiben aus, die in einem szenetypischen Duktus verfasst und zumeist an Behörden gerichtet waren und z. B. die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugneten. Deren Anzahl stieg im Berichtszeitraum nochmal deutlich an. Darüber hinaus mischten sich erneut einzelne REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER unter das wöchentliche Protestgeschehen rund um die Themen Ukraine-Krieg, Energiekosten und Inflation sowie Migration. Einige Gruppierungen zeigten die für REICHSBÜRGER typischen Verhaltensweisen: Beispiele hierfür waren die pseudojuristische Vertretung von Mandanten gegenüber staatlichen Institutionen durch den REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN und die Etablierung von Strukturen parallel zu realweltlichen staatlichen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen. Exemplarisch sei hier das KÖNIGREICH DEUTSCHLAND genannt. Es gelang dem selbsternannten "König" Peter FITZEK abermals, eine ortsprägende Immobilie im ländlichen Raum zu kaufen bzw. zu nutzen. Das Kanzleilehngut in Halsbrücke soll ein "erstes professionelles Autarkie-Projekt" werden. So soll die Liegenschaft primär landwirtschaftlich genutzt werden, um die KRD-Mitglieder zu versorgen und mit dem Verkauf der Erzeugnisse auf dem "KadaRi-Marktplatz" ("Kauf das Richtige") finanzielle Einnahmen zu erzielen. Gleichzeitig sollen auf dem Areal mehrere sog. "tiny houses" errichtet werden. Außerdem sind dort Seminare zum Thema "Selbstversorgung" geplant. Gemeinsam mit seinen Anhängern aus Sachsen und dem gesamten Bundesgebiet sanierte FITZEK die bereits erworbenen Immobilien mit dem unveränderten Ziel, "Staatskonstrukte" parallel zur geltenden Verfassungsund Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland aufzubauen und sich in der Folge mit seinen verfassungsfeindlichen, sektenähnlichen Aktivitäten im Freistaat Sachsen weiter auszudehnen. Im Schloss Bärwalde soll nach Aussagen von FITZEK das erste sog. "Gemeinwohldorf" des KRD errichtet werden. Im Berichtsjahr fanden umfangreiche Arbeitseinsätze im Schloss sowie in dessen Außenbereich statt. Hierzu reisten pro Einsatz in der Regel ca. 100 Personen aus dem Bundesgebiet an. Einige Personen sollen sich inzwischen ins KRD "eingekauft" und sich im "Gemeinwohldorf" niedergelassen haben. Mehrere Unternehmen gehören eigenen Angaben zufolge inzwischen ebenfalls dem KRD an. Am 16. und 17. September wollte FITZEK mit Gästen aus dem gesamten Bundesgebiet "100 Jahre Schloss Bärwalde und 11 Jahre KRD" öffentlichkeitswirksam feiern. Durch die intensive Zusammenarbeit des Expertennetzwerks Rechtsextremismus94, in das sich auch das LfV Sachsen aktiv einbringt, mit der Kommune und dem Landkreis Görlitz konnte diese Veranstaltung untersagt werden. Die von FITZEK infolgedessen kurzerhand geplante Ausweichveranstaltung auf dem Kanzleilehngut in Halsbrücke konnte schlussendlich nur wenige Teilnehmer anziehen. Wegen des Verdachts, dass Mitglieder des KRD rechtswidrig Versicherungsgeschäfte betreiben, fanden am 29. November in Sachsen, Brandenburg, Hessen und Sachsen-Anhalt 94 Das Expertennetzwerk Rechtsextremismus ist ein behördliches Kooperations-Netzwerk, das Kommunen beim Umgang mit Rechtsextremismus - vor allem im Hinblick auf Immobiliennutzungen und besondere Veranstaltungslagen - berät und unterstützt. Die Geschäftsstelle des Netzwerks ist bei der Landesdirektion Sachsen angesiedelt. Seite 112 von 242 Durchsuchungen und Beschlagnahmungen in verschiedenen Liegenschaften des KRD statt. Betroffen davon war auch das "Wolfsgrüner Schlösschen", wo im Berichtsjahr mehrere Seminare u. a. zu den Themenbereichen Gesundheit, Entgiftung und zur Geisterwelt Gottes stattfanden. Diese entrichteten hohe Teilnahmegebühren. Das Schloss wurde im Zuge der Exekutivmaßnahmen beschlagnahmt und inklusive aller Nebengelasse versiegelt, so dass es nicht mehr vom KRD genutzt werden kann. In Eibenstock verfügt das KRD noch über zwei weitere Immobilien, die von Mitgliedern erworben wurden. Der sog. "Leucht-Turm", der Veranstaltungen zur Mitgliedergewinnung für das KRD organisiert, hat dort seine "Regionalstelle Erzgebirge" angesiedelt. Bereits am 14. April leitete die Staatsanwaltschaft Chemnitz ein Ermittlungsverfahren gegen Peter FITZEK wegen Volksverhetzung ein. Straftaten Typischerweise begingen REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER überwiegend die Straftat der Nötigung nach SS 240 StGB. Tätliche Angriffe auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach SS 114 Abs. 2 in Verbindung mit SS 113 StGB machten hingegen den Großteil der Gewaltdelikte aus. Von den in der Graphik aufgeführten 111 Straftaten waren 52 Straftaten extremistisch, bei den Gewalttaten hatten zwei von insgesamt drei Taten einen solchen Hintergrund. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER 120 111 100 100 90 80 69 65 60 60 54 40 20 8 8 7 6 6 3 1 0 2017 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Straftaten Gewalttaten Fazit Das Personenpotenzial der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER ist im Vergleich zum Vorjahr erneut stark angestiegen. Dies lag zum einen an der fortwährenden Aufklärung der Szene durch die Zusammenarbeit von Behörden auf Bundesund Landesebene sowie im kommunalen Bereich. Zum anderen erhalten die REICHSBÜRGER-Gruppierungen im Freistaat Sachsen Zulauf an Mitgliedern. In qualitativer Hinsicht ist innerhalb der Szene jedoch eine deutliche Ausdifferenzierung zwischen Mitläufern und ideologisch überzeugten Szeneangehörigen festzustellen. Wenngleich sie unterschiedliche Ziele verfolgen, war im Berichtsjahr eine weiter zunehmende, auch überregionale Vernetzung von REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN zu beobachten. Mitunter gehen sie dabei sehr konspirative Verbindungen ein. Neben einer großen Zahl von Einzelpersonen sowie konkreten Organisationen mit mehr oder weniger gefestigten Strukturen sind auch Kleingruppen, die aus persönlichen Kennverhältnissen heraus entstehen, festzustellen. Gewaltbereite, waffenaffine REICHSBÜRGER stehen ebenso verstärkt im Fokus Seite 113 von 242 des LfV Sachsen wie die Frage nach ihrer zunehmenden Vernetzung mit Rechtsextremisten. Diese Entwicklungen zu analysieren, wird ein Arbeitsschwerpunkt der nachrichtendienstlichen Arbeit des LfV Sachsen bleiben. Außerdem wollen diese Extremisten Vorräte anlegen und "Rückzugsräume" (Immobilien) schaffen; sie proklamieren sich und ihren Privatbesitz als exterritorial. Im Hinblick auf diese Zielstellung sind weitere Aktivitäten des KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND zu erwarten, da Peter FITZEK trotz erfolgreicher rechtsstaatlicher Maßnahmen gegen sein verfassungsfeindliches Agieren weiter an der Ausdehnung seines "Königreichs" im Freistaat Sachsen arbeitet. Seite 114 von 242 3. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Neue erwiesene extremistische Beobachtungsobjekte des LfV Sachsen: VOLKSSTIMME BÜRGERBÜNDNIS ZWICKAU ORGANISATIONSTEAM DER MONTAGSDEMONSTRATIONEN IN GÖRLITZ insgesamt niedriges dreistelliges Personenpotenzial im Freistaat Sachsen fortdauernde Instrumentalisierung des Protestgeschehens: Massive Verächtlichmachung des Staates und seiner politischen Entscheidungsträger in der Realwelt sowie in den sozialen Medien Zunehmende inhaltliche Verfestigung und Radikalisierung durch die Erschließung neuer Themen und die Bezugnahme auf Verschwörungsnarrative "Vermischung" und Netzwerkbildung der rechtsextremistischen Szene sowie von REICHSBÜRGERN mit bekannten "Delegitimierern" Seite 115 von 242 3. Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" (DEL) Begründung für die Einrichtung dieses Phänomenbereichs Die deutschen Verfassungsschutzbehörden haben die Aufgabe, Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder der Länder oder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gerichtet sind, aufzuklären und als "Frühwarnsystem" auch vor neuen Entwicklungen in diesem Zusammenhang zu warnen. Dementsprechend wurde im April 2021 der Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" mit dem zugeordneten Beobachtungsobjekt DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtet. Hintergrund dieses Schrittes war die Feststellung, dass eine Zuordnung von im Rahmen des Corona-Protestgeschehens neu aufgekommenen extremistischen Personenzusammenschlüssen oder Einzelpersonen zu bereits bestehenden Beobachtungsobjekten und Phänomenbereichen nicht immer möglich war. Es handelte sich insoweit um eine neue Ausprägung des politischen Extremismus, der während der damaligen Proteste erstmals auffiel. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es aber gerade nicht, alle Teilnehmer und Organisatoren von Protestveranstaltungen zu erfassen. Friedlicher Protest und freie Meinungsäußerungen sind vom Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes explizit nicht umfasst. Die Herausforderung für die Verfassungsschutzbehörden liegt demzufolge darin, den hohen verfassungsrechtlichen Rang der Meinungsfreiheit zu achten sowie gleichzeitig gezielt und restriktiv einzig und allein den Extremismus im Protestgeschehen zu detektieren und dementsprechende Bestrebungen in ihrer Rolle als "Frühwarnsystem" zu beobachten. Kriterien für eine Qualifizierung als Delegitimierung Kennzeichnend für das Sammel-Beobachtungsobjekt DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES ist der Rückgriff auf diverse Verschwörungserzählungen sowie die grundsätzliche Ablehnung von demokratischen Entscheidungsfindungsmechanismen. Exemplarisch wird u. a. Regierungsverantwortlichen und staatlichen Institutionen pauschal und diffamierend unterstellt, sie missbrauchten gesellschaftliche Rahmenbedingungen - wie die Corona-Pandemie -, um die Bürger zu entrechten und / oder eine Diktatur zu etablieren. Relevant im Sinne des Phänomenbereiches sind Agitationen, die den Staat massiv verächtlich machen mit dem Ziel, das Vertrauen der Bevölkerung in die demokratische und rechtsstaatliche Verfasstheit des Staates von Grund auf zu erschüttern. In diesem Sinne beabsichtigen sog. "Delegitimierer" in ihrer Agitation eben keine kritische und sachliche Auseinandersetzung im Rahmen des demokratisch legitimierten Meinungsdiskurses. Stattdessen zielen sie ganz bewusst darauf ab, die Bevölkerung in Bezug auf politische Entscheidungen zu verunsichern und ihr Misstrauen in die Funktionsweise staatlicher Institutionen zu schüren. Die Abgrenzung gegenüber einer legitimen Meinungsäußerung ergibt sich bei sog. "Delegitimierern" demnach vor allem aus dem Ziel, das sie mit ihrer hervorgebrachten Kritik verfolgen. Ebenso verfassungsschutzrelevant ist aber auch die Rhetorik, die diese Extremisten beispielsweise in ihren Reden anwenden, um ihren verfassungsfeindlichen Zielen öffentlichkeitswirksam Nachdruck zu verleihen. Mit Blick auf den hohen Stellenwert der freien Meinungsäußerung in einer Demokratie ist dabei eine Verfassungsschutzrelevanz bei bloßer Schmähkritik nicht gegeben, da diese zumindest im Kern immer noch auf eine Auseinandersetzung in der Sache abzielt und von der Seite 116 von 242 Meinungsfreiheit gedeckt ist. Die Verächtlichmachung muss vielmehr so massiv sein, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung insgesamt und nachhaltig erschüttert werden kann. Anknüpfungspunkte für eine solche Erheblichkeit können beispielsweise sein: Der Rekurs auf ein vermeintliches "Widerstandsrecht", mit dem bewusst die Hemmschwelle Dritter abgesenkt und tatsächlich nicht legitimierte Widerstandshandlungen dieser Dritten befördert werden sollen. Der Aufruf zu Blockadeund Sabotageaktionen gegen staatliche Einrichtungen oder gegen lebenswichtige Infrastrukturund Versorgungseinrichtungen (z. B. Anschläge auf Impfzentren während der Corona-Pandemie). Gewaltandrohungen und der Aufruf zu Gewalt gegen Funktions-, Amtsund Mandatsträger. Der Rückgriff auf Verschwörungsnarrative ist ebenfalls ein gewichtiges Indiz für die Erheblichkeit der Verleumdung oder Delegitimierung. In Abgrenzung zu Rechtsextremisten oder REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN ist bei Akteuren der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" grundsätzlich kein ideologischer Hintergrund feststellbar, der den bisherigen etablierten Phänomenbereichen zugeschrieben werden kann. Ihre Agitation zielt einzig und allein auf die Überwindung der gegenwärtigen staatlichen Ordnung ab. Eine Fixierung auf die eigene ethnokulturelle Identität ist bei diesen Akteuren ebenfalls nicht festzustellen. Ideologie Im Berichtszeitraum konnte eine zunehmende inhaltliche Verfestigung und Radikalisierung innerhalb der Szene festgestellt werden. Es wurde deutlich, dass einzelne Akteure ihre während der Corona-Pandemie begonnene Agitation gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht mehr nur von einem einzigen Thema abhängig machen. Stattdessen suchten sie mit dem Auslaufen sämtlicher Corona-Maßnahmen gezielt nach neuen Themen mit gesellschaftlichem "Empörungspotenzial", um weiterhin als relevanter Akteur im andauernden Protestgeschehen im Freistaat Sachsen mitzuwirken. Sie entwickelten demzufolge eine grundlegende Systemablehnung, ohne jedoch selbst eine Systemalternative aufzuzeigen. Dabei benutzen sie entsprechende Themen, um mit ihrer verfassungsfeindlichen Agenda möglichst weit in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen. Einfallstore für entsprechende Verschwörungsnarrative waren im Berichtsjahr neben Corona u. a. die Themen Migration, Energie, Inflation und der Ukraine-Krieg. In diesem Zusammenhang zielten sog. "Delegitimierer" bewusst darauf ab, ihre Anhänger davon zu überzeugen, dass der angebliche "Unrechtsstaat" selbst das Problem sei und seine politischen Entscheidungsträger gegen die eigene Bevölkerung gerichtete Intentionen verfolgten. Gepaart mit der Tatsache, dass sog. "Delegitimierer" und ihre Anhänger ihre Nachrichten vornehmlich aus alternativen Medien beziehen, entfaltete sich in den vergangenen Jahren eine aus ihrer Sicht notwendige "Widerstandsbewegung". Die ihr innewohnende Dynamik ließ sich im Berichtsjahr Woche für Woche im Freistaat Sachsen beobachten. Auf diese Weise konnte sich bei ihnen die Annahme verfestigen, in einer Diktatur zu leben, gegen die Widerstand legitim und notwendig sei. In der Folge wurden ihre Forderungen nach der Abschaffung des Systems immer deutlicher verfassungsschutzrelevant. Eine zentrale ideologische Gemeinsamkeit der "Delegitimierer" ist noch immer das Rekurrieren auf Verschwörungserzählungen als Zentrum ihrer inhaltlichen Ausrichtung. Hier ist insbesondere die Verschwörungstheorie des "Great Reset" zu erwähnen. Mit diesem Narrativ wird behauptet, dass eine "globale Elite" in Politik und Wirtschaft infolge der Corona-Pandemie eine globalisierte Diktatur anstrebe. Ursprünglich stammt die Formulierung "Great Reset" von einer Initiative des Weltwirtschaftsforums, die insbesondere auf ökonomische Reformen für Seite 117 von 242 mehr Nachhaltigkeit und soziale Partizipation setzt. Daran knüpft die Verschwörungstheorie der "Plandemie" an, die wiederum die Corona-Impfungen mit dieser Verschwörungstheorie verbindet. Demnach sei die Corona-Pandemie eine von "globalen Eliten" geplante Inszenierung gewesen mit dem Ziel, die Bevölkerung durch die Nebenwirkungen der CoronaImpfungen vorsätzlich zu dezimieren. Aus diesem Grunde fordern "Delegitimierer" bis heute die politische Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen sowie die strafrechtliche Verfolgung und "Bestrafung" der für diese Maßnahmen verantwortlichen politischen Entscheidungsträger. Abgesehen davon zeichnen sie sich durch eine thematische Heterogenität aus, mit der sie jeweils die Delegitimierung des Staates herleiten. Diese Verfassungsfeinde lassen keine geeinte positive Idee für einen ihrer Lesart zufolge "demokratischen Staat" erkennen. Ihr Ziel ist die Überwindung des gegenwärtigen Systems. Nur dann könne wieder Politik für "das Volk" gemacht werden und "Menschlichkeit", "echte Freiheit", "Frieden" und "Selbstbestimmung" wieder Einzug in die Gesellschaft halten. Jedoch unterlassen "Delegitimierer" es zumeist, diese Zielvorstellungen mit konkreten Inhalten auszufüllen. Im Berichtsjahr auffällig war die zunehmende Annäherung der Phänomenbereiche Rechtsextremismus, REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER und "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Es war zu beobachten, dass deren jeweilige ideologische Ausrichtung eher in den Hintergrund rückte zugunsten des gemeinsamen Ziels: den Sturz des gegenwärtigen politischen Systems herbeiführen zu wollen. Insofern konnte ein "Schulterschluss" verschiedener extremistischer Akteure im Protestgeschehen des Freistaates Sachsen festgestellt werden, wobei der Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" ein ganz entscheidendes Bindeglied darstellte. Strategie Die Strategien der dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zugeordneten Akteure wurden im Berichtszeitraum evidenter. Durch das Abklingen der Corona-Pandemie als alles überschattendes Thema waren die "Delegitimierer" gezwungen, sich strategisch neu zu erfinden. In der Folge stellten sie sich vor allem inhaltlich breiter auf, um weiterhin vom anhaltenden Protestgeschehen profitieren zu können. Sie argumentieren, dass Corona nur die ohnehin "faschistischen" und "korrupten" Strukturen des Staates offengelegt habe, diese offenkundige Tatsache sich auch bei allen anderen Themen widerspiegle und es deshalb unverändert legitim sei, gegen diesen Staat zu demonstrieren. Durch die Äußerung unkonkreter Ziele geben sich die Akteure nach außen hin oft ein zunächst unverfängliches Antlitz. Damit soll unzufriedenen Bürgern der Einstieg in die Szene so einfach wie möglich gemacht werden. Dies hat zudem den Effekt, dass sich die Protagonisten selbst als "Freiheitskämpfer" oder "Friedensbotschafter" initiieren können. Dahinter steht regelmäßig die These, als "Revolutionäre" ein angeblich "diktatorisches" und "korruptes" Regime stürzen zu wollen. Dabei werden oft Vergleiche zur Friedlichen Revolution von 1989 gezogen. Zudem wird an den "Freiheitsdrang" der Protestierenden appelliert, die mitunter bereits mithilfe von Montagsdemonstrationen in der Endphase der damaligen DDR eine Diktatur gestürzt hätten. Gegenwärtig sei eine erneute "Revolution" erforderlich, mit der man gemeinsam erneut zu etwas Historischem beitragen könne. Aktivitäten Die Aktivitäten der sog. "Delegitimierer" wurden im Berichtszeitraum vielfältiger und intensiver. Die klassischen, sich zur festen Routine entwickelten Montagsdemonstrationen bildeten dabei die Basis und haben eine nicht zu unterschätzende Gruppendynamik entfaltet. Seite 118 von 242 Als hervorzuhebende Großveranstaltungen der Szene im Berichtszeitraum gelten die vom Extremisten Marcus FUCHS veranstalteten Demonstrationen. Der "Tag für Frieden und Freiheit" wurde am 17. Juni mit ca. 2.350 Teilnehmern in Dresden durchgeführt. Die zweite derartige Veranstaltung zog am 28. Oktober ca. 2.100 Teilnehmer auf den Theaterplatz in der Landeshauptstadt. Mit diesen Großveranstaltungen gelang es FUCHS und seinen Unterstützern, die bundesweit vernetzte "Delegitimierer"-Szene wirkungsvoll an einem Ort zu vereinen. Bekannte "Szenegrößen" äußerten sich dabei u. a. wie folgt: "In einem solchen Staat, in diesem Staat, in dieser Berliner Republik sind die geschriebenen Ideale unseres Grundgesetzes nichts Anderes mehr als eine Farce. Die Wahrheit dieses Staates, die Wahrheit dieser Berliner Republik, sie ist so klar zu sehen, wie sie zu riechen ist. Sie liegt als Leichengestank in der Luft! Diese Berliner Republik ist tot!" Zudem fiel bei beiden Großveranstaltungen die nahezu selbstverständlich gewordene Kooperation mit Rechtsextremisten auf. So blieb eine Distanzierung von den offen auftretenden FREIEN SACHSEN95 bis zum Ende des Berichtszeitraumes aus, womit bilanzierend ein ausgeprägtes Miteinander von Rechtsextremisten und bekannten "Delegitimierern" konstatiert werden konnte. Eine neue Entwicklung im Berichtszeitraum war die Durchführung von Filmabenden. Dabei wurde der Film "Plötzlich & unerwartet" gezeigt. Es handelt sich dabei um die deutsche Fassung des Originalfilms "Died Suddenly". Der Film greift die Folgen der Corona-Impfungen und den angeblich dahinterstehenden "Great Reset" auf. Damit sollen die Zuschauer in Angst versetzt und von dieser Verschwörungstheorie überzeugt werden. Darüber hinaus spielte im Berichtsjahr auch die Musik eine Rolle. Während der Montagsproteste wurden beispielsweise regelmäßig Lieder einschlägiger Szenegrößen, wie etwa von Björn WINTER ("Björn Banane") gespielt - teilweise sogar live. Außerdem gab dieser zwei Konzerte in einem privaten Szeneobjekt. Zwei weitere Konzerte konnten dort verhindert werden. Derartige Szenetreffen sollen das Gemeinschaftsgefühl stärken und auf die verfassungsfeindliche Ideologie bzw. das gemeinsame Feindbild einschwören. Personenpotenzial Das LfV Sachsen analysiert im Hinblick auf diesen neuen Phänomenbereich fortwährend jeden Einzelfall und prüft, ob tatsächliche Anhaltspunkte für eine DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES vorliegen. Gegenwärtig werden diesem Beobachtungsobjekt in Sachsen etwas mehr als 200 Personen zugeordnet. Diese sind entweder einem konkreten Personenzusammenschluss zuzuordnen oder erfüllen als Einzelperson die Kriterien für eine Zuordnung. Es war ein Anstieg des Personenpotenzials gegenüber dem Vorjahr zu beobachten. Noch immer spielen Internetaktivitäten auf Messenger-Diensten, wie insbesondere auf Telegram, eine wichtige Rolle. So fallen beispielsweise Einzelpersonen in diesen Phänomenbereich, die auf diesen Plattformen offen zu Angriffen auf Politiker oder zum gewaltorientierten Systemsturz aufrufen. Wieder andere versuchen, Amtsund Mandatsträgern per Direktnachricht mit unmittelbarer Gewalt zu drohen und dadurch in Angst zu versetzen bzw. zu beeinträchtigen. Es haben sich bei Einzelpersonen demnach gewisse 95 vgl. Beitrag II.1.3.3 FREIE SACHSEN Seite 119 von 242 Fallgruppen gebildet, welche die verschiedenen Agitationsformen des Delegitimierungsextremismus in der Realwelt und auch in der virtuellen Welt widerspiegeln. Regionale Ausprägungen VOLKSSTIMME BÜRGERBÜNDNIS ZWICKAU (VBZ) Gründung April 2021, eigenständig seit September 2022 Teil- / Nebenorganisationen keine Publikationen / Internetauftritte Telegram-Kanal (ca. 260 Abonnenten) und TelegramGruppe Personenpotenzial ca. sechs Personen Finanzierung nicht bekannt In Zwickau (Landkreis Zwickau) hat sich die Kurzportrait VOLKSSTIMME BÜRGERBÜNDNIS ZWICKAU (VBZ) als lokaler Montagsprotestveranstalter etabliert. Dabei äußern sich Repräsentanten des Personenzusammenschlusses während der Kundgebungen verfassungsfeindlich. Zudem ist ein ausgeprägtes Miteinander mit den FREIEN SACHSEN festzustellen. Die Demonstrationen zielen darauf ab, das Vertrauen der Teilnehmer in den Staat von Grund auf zu erschüttern. Relevante Ereignisse und Etablierung der wöchentlichen Montagsveranstaltungen Entwicklungen 2023: mit jeweils ca. 100 Teilnehmern Ideologie Die VBZ zielt darauf ab, wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip, zu beseitigen. Darüber hinaus spricht sie politischen Entscheidungsträgern die Menschenwürde ab. Das Bürgerbündnis stilisiert die staatlichen Entscheidungsträger zum klaren Feindbild und überschreitet damit die in der politischen Auseinandersetzung zulässigen 'roten Linien'. Soweit die VBZ auf ihren Protestveranstaltungen demokratisch legitimierte Entscheidungsträger massiv diffamiert und staatliche Institutionen wie Legislative, Exekutive und Judikative verächtlich macht, bewegt sie sich bereits außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das Bündnis besetzt insbesondere die Themen Energiepolitik, Frieden und Waffenlieferungen sowie Migration und stützt sich in der öffentlichen Argumentation auf Verschwörungstheorien. Dabei attestiert es den demokratisch gewählten Regierungsmitgliedern ein grundlegendes Versagen und unterstellt ihnen "böse", gegen das eigene Volk gerichtete Absichten. Die VBZ ruft die Protestteilnehmer zu Selbstjustiz, aktivem Widerstand und Bestrafung der Politiker auf, denen sie eine rechtswidrige Amtsführung pauschal unterstellt. Diese verfassungsfeindliche Agenda des VBZ ist geeignet, Umsturzphantasien bei Protestteilnehmern zu nähren. Aktivitäten Die VOLKSSTIMME BÜRGERBÜNDNIS ZWICKAU (VBZ) fiel im April 2021 erstmals im Protestgeschehen auf. Zunächst führte sie gemeinsam mit anderen Akteuren Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen durch. Seit September 2022 organisiert sie selbst Montagsdemonstrationen in Zwickau. Seite 120 von 242 Die Demonstrationen werden unter dem Label "VBZ" angemeldet und veranstaltet. Bei den Kundgebungen fielen ihre Akteure mehrfach durch extremistische Redebeiträge auf, beispielsweise wie folgt: "So, Polizei: Genau hinhören... Was muss denn noch geschehen, damit diese Täter und deren Helfershelfer zur Rechenschaft gezogen werden? Hängt Sie! ... äh, Moment... ab, die Bilder die in der Galerie der Volksbetrüger sind und stellt sie mit dem Gesicht zur Wand, damit wir sie nicht mehr sehen müssen." Im Umgang mit der Versammlungsbehörde und der Polizei betonte die VBZ im Berichtsjahr mehrfach, dass sich ihre Versammlungen explizit gegen das "System" richten würden. Besonders deutlich wurde dies durch die Ausführungen des auch den FREIEN SACHSEN nahestehenden Gastredners Wolfgang SCHMIDL. Er bezeichnete politische Entscheidungsträger als Kriegstreiber und kritisierte u. a. die Waffenlieferungen an die Ukraine: "Man hört sie förmlich rufen: 'Wir wollen den totalen Krieg!' Diejenigen, die das zu verantworten haben, müssen schnellstens vor Gericht gestellt werden! Die dürfen nicht einfach so davonkommen! Schnappen wir sie uns!" Die enge personelle und organisatorische Verflechtung der VBZ mit den FREIEN SACHSEN wurde durch die gemeinsame Agitation im Rahmen der Proteste gegen die geplante Errichtung einer Asylbewerberunterkunft in Zwickau-Eckersbach deutlich, so beispielsweise am 19. April. Weder das Auftreten der VBZ noch deren Einstufung als erwiesene extremistische Bestrebung durch das LfV Sachsen scheinen die Anhänger der VBZ abzuschrecken. Die Montagsproteste sind inzwischen fest etabliert und ziehen Woche für Woche konstant immerhin ca. 100 Teilnehmer an. ORGANISATIONSTEAM DER MONTAGSDEMONSTRATIONEN IN GÖRLITZ Gründung / Sitz Anfang 2020 / Görlitz (Landkreis Görlitz) Teil- / Nebenorganisationen keine Publikationen / Internetauftritte Verbreitung der Publikation "Aufgewacht!" der FREIEN SACHSEN / Aktivitäten in den sozialen Medien Personenpotenzial Vier Organisatoren, die regelmäßig die Montagsdemonstrationen anmelden Finanzierung nicht bekannt Kurzportrait In Görlitz finden seit dem Beginn der Corona-Proteste jede Woche Montagsdemonstrationen auf dem Postplatz statt. Im Laufe des Berichtsjahres verfestigte sich die Einschätzung, dass die Demonstrationen eine "delegitimierende" Grundausrichtung haben und verfassungsfeindliche Ziele verfolgen. Regelmäßig wird der freiheitliche demokratische Staat teils massiv verächtlich gemacht. Zudem treten weitere Extremisten regelmäßig bei den Montagsdemonstrationen als Redner auf. Die Demonstrationen sind in der Lage, das Vertrauen der Teilnehmer in den Staat grundlegend zu erschüttern. Seite 121 von 242 Relevante Ereignisse und Etablierung der wöchentlichen Montagsveranstaltungen Entwicklungen 2023: mit jeweils ca. 300 Teilnehmern Ideologie Die Gruppierung verfolgt das Ziel, die Protesthaltung in der Bevölkerung zu kanalisieren und Interessierten aus der Region regelmäßig montags eine Protestplattform zu bieten. Die staatlichen Entscheidungsträger werden über die in der politischen Auseinandersetzung übliche Kritik hinaus zum klaren Feindbild stilisiert; zugleich wird die grundlegende Ablehnung der gegenwärtigen politischen Entscheidungsfindung zum Ausdruck gebracht. Die Organisatoren des Protestes verbreiten bei ihren Montagsdemonstrationen entweder durch eigene Beiträge oder durch Gastredner Thesen und Narrative, die im Phänomenbereich der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" beheimatet sind. Diese werden zum Anlass genommen, den demokratisch gewählten Regierungsmitgliedern ein grundlegendes Versagen zu attestieren und ihnen zudem "böse" Absichten zu unterstellen. Auch durch Gastredner werden bei den Montagsveranstaltungen in Görlitz zudem prorussische Positionen verbreitet, welche die NATO als klares Feindbild stilisieren. Dazu wird regelmäßig das Mittel der Desinformation herangezogen. So warf ein der extremistischen Szene zuzurechnender Gastredner beispielsweise dem Westen vor, gezielt einen Weltkrieg vorzubereiten. Im gleichen Atemzug bezeichnete er den russischen Überfall auf die Ukraine als "Lüge". Zudem bezog er sich in Bezug auf das Thema Corona auf die Verschwörungstheorie der "Plandemie". Der Hauptredner seitens des Organisationsteams fordert nach wie vor Konsequenzen für die angeblichen "Corona-Verbrechen" sowie die juristische Verurteilung führender Politiker, insbesondere des amtierenden sächsischen Ministerpräsidenten. Dadurch entzieht das Organisationsteam den demokratisch legitimierten Regierungsmitgliedern und deren politischen Entscheidungen sämtliche Legitimität und richtet sich in der Konsequenz gegen das Demokratieprinzip. Ähnlich argumentierte der "Kopf" des Organisationsteams in seiner Rede im Mai 2023, als er auch Richtern eine rechtmäßige Amtsführung absprach und ihnen unterstellte - in Bezug auf den Umgang mit dem Versammlungsrecht während der Corona-Pandemie -, bewusst Unrecht walten gelassen zu haben. Dadurch machte er auch die Rechtsstaatlichkeit in der Bundesrepublik Deutschland verächtlich. Aktivitäten Das ORGANISATIONSTEAM DER MONTAGSDEMONSTRATIONEN IN GÖRLITZ organisierte auf dem Postplatz die lokalen Proteste. Diese wurden unter dem Motto "Wahrung unserer Grundrechte - gegen Politfaschismus!" angemeldet. Die Redner attestierten dem Staat und seinen Institutionen immer wieder eine nahezu faschistoide Grundausrichtung, so beispielsweise während einer Montagskundgebung im Mai 2023 in Bezug auf den Ukraine-Krieg: "Der Faschismus, mit seiner Kontrollsucht, seiner nach innen, aber auch nach außen gerichteten Aggressivität tritt immer unverhohlener zum Vorschein: von Barbarossa, über Vergeltungswaffen, Kriegswirtschaft, bis hin zum Volkssturm, wird alles wieder auf dem Versuchsfeld der Ukraine zelebriert." Zudem zeichnet sich das ORGANISATIONSTEAM DER MONTAGSDEMONSTRATIONEN IN GÖRLITZ durch eine ausgeprägte Vernetzung mit weiteren Extremisten - beispielsweise den FREIEN SACHSEN - aus. Regelmäßig traten im Berichtsjahr nachrichtendienstlich bekannte Akteure als Gastredner bei den Montagsdemonstrationen auf. Seite 122 von 242 Außerdem werden bei den Kundgebungen die jeweils neuesten Ausgaben der Zeitschrift "Aufgewacht" der FREIEN SACHSEN vorgestellt. Durchgängig waren wöchentlich ca. 300 Teilnehmer oder mehr bei den Montagsdemonstrationen festzustellen. Dadurch erreichte das Organisationsteam nachhaltig eine feste Stammklientel, welche auch nach dessen Einstufung durch das LfV Sachsen als gesichert extremistische Bestrebung am 13. Oktober 2023 erhalten blieb. Fazit Die Ausführungen zeigen, dass sich sowohl die VBZ in Zwickau als auch das Organisationsteam der Montagsdemonstrationen in Görlitz trotz oder gerade wegen der vom LfV Sachsen vorgenommenen Einstufung zu erwiesenen extremistischen Bestrebungen fest etabliert haben. Es gelang den Organisatoren, eine feste Stammklientel an sich zu binden. Dadurch entwickelten sich die Demonstrationen zu Szeneveranstaltungen, die unter Umständen geeignet sein können, Protestteilnehmer zu radikalisieren. Schlussendlich handelt es sich bei diesen Protestgruppen um Personen, die offenkundig der Wirkungsweise der Demokratie in keinster Weise mehr vertrauen und für Argumente der Politik, der Wissenschaft oder der Medien nicht mehr zu erreichen sind. Durch verschiedene thematische Anknüpfungspunkte und eine entsprechende Rhetorik wird versucht, den Teilnehmern stetig bewusst zu machen, dass das gesamte "System" abzulehnen und Widerstand gegen eben dieses legitim sei. Aus diesem Grund sind diese Demonstrationen ein Multiplikator für extremistisches Gedankengut. Es kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass aus dieser "Widerstandsrhetorik" heraus unter Umständen auch einmal Taten entstehen. Seite 123 von 242 4. Linksextremismus Neue erwiesene extremistische Beobachtungsobjekte des LfV Sachsen: ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN ROTES DRESDEN erneut leichter Anstieg des Personenpotenzials Leipzig bleibt eine bundesweite Schwerpunktregion der AUTONOMEN SZENE und ein Brennpunkt linksextremistischer Gewalt "Tag X" als dominierendes Thema: Solidaritätsstrukturen, Aktionen, Demonstrationen und Straftaten im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte "Budapest-Komplex" als eindeutiger Beleg für klandestines, professionelles Vorgehen der AUTONOMEN SZENE Linksextremisten instrumentalisierten Themen der Klimaschutzbewegung für ihre eigene verfassungsfeindliche Agenda Seite 124 von 242 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Linksextremisten streben die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. An deren Stelle wollen sie eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft etablieren. Ihr politisches Handeln richten sie dementsprechend an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Damit treten sie entweder für eine Diktatur ein, die auch mit einer Entrechtung Andersdenkender einhergeht, oder für eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung. Die von Linksextremisten häufig instrumentalisierten Begriffe "Gleichheit", "Freiheit" und "Gerechtigkeit" stellen sich bei genauer Betrachtung als Synonyme für die Abschaffung demokratischer Errungenschaften (z. B. der Gewaltenteilung) und die Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte (z. B. die Beseitigung des Rechts auf Eigentum) dar. Auch wenn das Grundziel - die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie - alle linksextremistischen Bestrebungen eint, bestehen hinsichtlich der Vorstellungen zur letztlich angestrebten Ordnung, des dorthin führenden Weges und der anzuwendenden Mittel erhebliche Differenzen. Das Ziel AUTONOMER beispielsweise ist ein Gemeinwesen, das sich an anarchistischen und kommunistischen Ideologiefragmenten orientiert. Zu dessen Durchsetzung spielt die Anwendung von Gewalt eine zentrale Rolle. Im Gegensatz hierzu streben orthodoxe Parteien die Errichtung eines zentralistisch geleiteten kommunistischen Staatswesens an. Ein solches soll durch Klassenkampf und die Diktatur des Proletariats erreicht werden. Im Unterschied zu den AUTONOMEN halten orthodoxe Linksextremisten die Anwendung von Gewalt erst in einer revolutionären Situation für legitim und unvermeidbar. Die verfassungsfeindlichen Zielsetzungen ergeben sich aus den folgenden ideologischen Hauptströmungen des Linksextremismus: Marxismus Die Lehren von Karl Marx (1818 - 1883) und Friedrich Engels (1820 - 1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln vieler Linksextremisten. Die marxistische Lehre ist sowohl wissenschaftliche Theorie als auch praktisch-politische Handlungsanleitung für die Revolution. Ihr zufolge vollzieht sich die Menschheitsgeschichte in gesetzmäßigen Entwicklungsstufen. Dem Endziel der geschichtlichen Entwicklung, der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, geht die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems voraus. Im Kapitalismus stehen sich die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten - die Eigentümer an den Produktionsmitteln - und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft - die sog. Proletarier - gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft geschaffene Mehrwert eines erstellten Produktes geht nach der marxistischen Lehre in den Besitz der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, Verarmung und schließlich Verelendung des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. Seite 125 von 242 Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das freiheitlicher Demokratien. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grundund Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen. Marxismus-Leninismus Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870 - 1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden. Auch nach marxistischleninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im sog. Imperialismus. Demnach trachte der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Machtund Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führe. Um das zu ändern, müsse auf den Kapitalismus eine neue Gesellschaftsordnung folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung. Allerdings verfügt die Arbeiterklasse Lenin zufolge nicht über das notwendige politischrevolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Partei sind gemäß dem Grundsatz des "demokratischen Zentralismus" keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt. Stalinismus Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878 - 1953) theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum diktatorisch-bürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum ("Bourgeoisie") eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Aufund Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden u. a. die "stalinistischen Säuberungen" legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen. Trotzkismus Trotzkismus ist eine auf den russischen Revolutionär Leo Trotzki (1879 - 1940) zurückgehende Ausprägung des Marxismus-Leninismus. Wesentlich ist die Idee einer weltweiten und "permanenten" sozialistischen Revolution unter Führung von Arbeiterräten. Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h. der Versuch, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet die Ideologie der Trotzkisten Verbreitung über die unterwanderte Organisation. Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893 - 1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft als Träger des politischen Umsturzes. Die Weltrevolution sollte in einem Land der Dritten Seite 126 von 242 Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen ("Kulturrevolution") versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft gemäß den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen "Säuberungsaktionen" forderten Millionen Tote. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968er-Bewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (sog. K-Gruppen). Anarchismus Zum Anarchismus werden Ordnungsvorstellungen und Bestrebungen gerechnet, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Er gilt nach anarchistischem Verständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. Einer der bekanntesten Vordenker des Anarchismus ist der russische Revolutionär und Anarchist Michail Bakunin (1814 - 1876). Aus den Ideen Bakunins entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts der sog. "Anarcho-Syndikalismus", ein System, in dem Gewerkschaften die Arbeiterschaft unabhängig von Staat oder Industriellen dezentral organisieren. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges, der kommunistischen Revolution in Russland, dem Aufstieg des Faschismus in Italien und auch während des Zweiten Weltkrieges verlor der Anarchismus zunehmend an Bedeutung. Einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte er dann wieder im Rahmen der "68er"-Studentenbewegung, die sich in ihrer Forderung nach totaler Freiheit auch auf den Anarchismus berief. 4.2 Personenpotenzial Linksextremistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen im Jahr 2023 1000 905 890 850 800 800 760 600 400 200 0 2019 2020 2021 2022 2023 Seite 127 von 242 Anzahl der Linksextremisten im Freistaat Sachsen insgesamt: ca. 905 Nicht gewaltorientierte Gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten96 Linksextremisten 2023: ca. 665 und sonstige 2022: ca. 650 Linksextremisten97 2023: ca. 240 2022: ca. 240 davon AUTONOME 2023: ca. 450 2022: ca. 520 Anarchisten 2023: ca. 150 2022: ca. 80 Dogmatische Linksextremisten 2023: ca. 65 2022: ca. 50 In den Großstädten Leipzig und Dresden sind unverändert die weitaus meisten Linksextremisten aktiv. 4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Die von Linksextremisten besetzten Aktionsfelder hängen von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und aktuellen politischen Debatten ab98. So waren auch im Berichtsjahr vor allem die Themenfelder "Antirepression", "Antifaschismus" und der Kampf um "Freiräume" und damit einhergehend gegen "Gentrifizierung" bestimmend. 4.3.1 Aktionsfelder "Antifaschismus" Für die linksextremistische Szene ist der "Antifaschismus" zentrales Dogma. Hier sieht man sich in der Traditionslinie mit den Gegnern des historischen Nationalsozialismus in Deutschland. Dass der Faschismus in der heutigen Gesellschaft fest verankert sei, verdeutliche sich nach Auffassung der Szene durch die Mordserie des rechtsterroristischen NSU sowie durch Proteste im Zusammenhang mit dem Thema Zuwanderung in den Jahren 96 ohne Mehrfachmitgliedschaften 97 ohne Mehrfachmitgliedschaften 98Im Berichtsjahr beteiligten sich Linksextremisten aus dem orthodoxen dogmatischen Spektrum mitunter an pro-palästinensischen Kundgebungen. Siehe hierzu Absatz "Exkurs zum Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 zusammengefasst für die Phänomenbereiche Islamismus und Auslandsbezogener Extremismus" im Beitrag II.5.3 Erscheinungsformen des Islamismus Seite 128 von 242 2015 und 2016. Die Anschläge in Halle (Sachsen-Anhalt, 2019)99, das Attentat eines hessischen Rechtsextremisten auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Jahr 2019 sowie der von einem Rassisten in Hanau (Hessen) im Februar 2020 verübte Mord an neun Personen mit Migrationshintergrund bestätigten diese Wahrnehmung zusätzlich. Aus Sicht der linksextremistischen Szene hat in den vergangenen Jahren ein "Rechtsruck" in der Gesellschaft stattgefunden, der rechtsextremistische und rassistische Positionen in einem "ungeahnten Ausmaß" gesellschaftsfähig gemacht habe. Demnach fänden sich derartige Einstellungen nicht mehr allein bei Neonationalsozialisten, sondern vor allem auch bei der "Neuen Rechten". In diesem Kontext wurde insbesondere auch die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) als "faschistische" und "rassistische" Partei wahrgenommen. Linksextremisten beteiligten sich deshalb in den vergangenen Jahren regelmäßig an Protestaktionen gegen diese Partei und verübten Angriffe auf Parteibüros, Geschäftsstellen, Privatfahrzeuge und Wohnhäuser. Immer wieder kam es aber auch zu direkten Angriffen auf Mitglieder oder Sympathisanten der Partei. "Antirassismus / Asyl" Der von AUTONOMEN verwendete Begriff "Antirassismus" steht in engem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Themenfeld "Antifaschismus". Mit antirassistischen Positionen von Linksextremisten ist stets auch eine fundamentale Kritik am demokratischen Rechtsstaat und dessen Institutionen verbunden. Staatlichen Akteuren wird z. B. mit Blick auf die deutsche und europäische Asylpolitik, zu der auch Abschiebungen gehören, ein systemimmanenter "institutioneller Rassismus" unterstellt. "Antirepression" Der "Kampf gegen staatliche Repression" ist ein klassisches Aktionsfeld von Linksextremisten, mit dem der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden soll. Dieser Kampf wird als ein gerechtfertigtes Mittel verstanden, um die angeblich herrschende "Gewalt des Systems" aufzubrechen. Als Repressionsorgane werden alle Institutionen betrachtet, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen und damit aus Sicht von Linksextremisten die Aufrechterhaltung des "herrschenden Systems" sicherstellen. "Kampf um Freiräume" und gegen "Gentrifizierung" Im Berichtsjahr war der Kampf um "selbstbestimmte Freiräume" und gegen soziale Verdrängungsprozesse in Städten ebenfalls ein Themenfeld der linksextremistischen Szene. In "Freiräumen", wie etwa besetzten Häusern oder Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff entzogen und "selbstverwaltet" werden sollen, wollen die Akteure ihre Vorstellungen von einem "besseren" Leben umsetzen. Dort werden die für die politische Arbeit unerlässliche Infrastruktur bereitgestellt und der Informationsaustausch innerhalb der Szene unterstützt. Solche "Freiräume" stellen für sie einen ersten Schritt zur Etablierung der von ihnen angestrebten "herrschaftsfreien" Gesellschaft dar. Insofern werten sie Einschränkungen stets als Angriff gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen. Linksextremisten beanspruchen eine Hegemonie in "ihrem Viertel", welche häufig in eine Ausgrenzung von Personen mündet, deren Wertvorstellungen nicht mit ihren eigenen übereinstimmen. Auch auf behördliche Maßnahmen, die sich gegen ihre "Freiräume" richten, reagieren sie umgehend und aggressiv. 99 Im Oktober 2019 versuchte der Rechtsextremist Stephan B. in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt schwer bewaffnet in eine Synagoge einzudringen. Am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur wollte er dort offenbar ein Massaker anrichten, scheiterte jedoch an der verriegelten Eingangstür. Daraufhin tötete er außerhalb der Synagoge zwei Menschen und verletzte bei seiner Flucht zwei weitere. Seite 129 von 242 Recherchetätigkeit und "Outing"-Aktivitäten Die AUTONOME SZENE strebt eine flächendeckende Aufklärung der Strukturen des politischen Gegners an. Zur personellen Identifikation wird gezielt Recherche, vornehmlich ausgehend von öffentlich zugänglichen Veranstaltungen unter Beteiligung vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtsextremisten, betrieben. Die Datenerhebung kann sich anschließend auf Namen, Lichtbilder, Wohnorte und Gewohnheiten der vom "Outing" Betroffenen erstrecken. Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen durch Linksextremisten sollen die Betroffenen sozial geächtet und in ihrer beruflichen Laufbahn beeinträchtigt werden. Gewaltbereiten Linksextremisten werden damit mögliche Zielobjekte vorgegeben, insbesondere, wenn das "Outing" mit eindeutigen Hinweisen oder Appellen verknüpft wird. Diese Aktionsform wird vornehmlich von der autonomen "Antifa" praktiziert, um Personen, die aus autonomer Sicht "rechts" sind, in ihrem Wohnund Arbeitsumfeld zu denunzieren, bloßzustellen und zu bekämpfen. Beim "Nazi-Outing" publizieren Mitglieder der Antifa private Informationen der betroffenen Personen. Dies geschieht entweder mittels Flugblättern, die in der privaten oder beruflichen Umgebung der Betroffenen verteilt werden, oder über die Verbreitung dieser Informationen auf Internetplattformen. Den Betroffenen werden elementare Persönlichkeitsrechte bereits aufgrund der ihnen unterstellten Gesinnung abgesprochen. Nach Auffassung AUTONOMER stellt "Faschismus" keine Meinung, sondern ein Verbrechen dar. Straftaten gegen die "geouteten" Personen - auch Gewalttaten - werden billigend in Kauf genommen. "Antikapitalismus" / "Antiglobalisierung" Die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung stellt für Linksextremisten ein grundlegendes Ziel dar, das inhaltlich mit allen anderen Themenfeldern verknüpft werden kann. Die fundamentale Kritik am Kapitalismus ist für sich allein genommen jedoch nicht extremistisch. Der zentrale Unterschied zwischen einer radikalen und einer extremistischen Auffassung besteht nicht in der Ablehnung eines Wirtschaftssystems, sondern im Streben nach einer revolutionären Überwindung des demokratischen Rechtsstaates, der mit seinen "Repressionsorganen" als Garant kapitalistischer Eigentumsund Produktionsverhältnisse verstanden wird. Die Verknüpfung von kapitalistischem Wirtschaftssystem und politischer Ordnung beruht auf marxistischen Faschismustheorien. Demnach münde in ökonomischen Krisen das Zusammenspiel von Finanzkapital und Staatsapparat zwangsläufig in einen Faschismus, der als "radikalste Form bürgerlicher Klassenherrschaft" definiert wird. Umwelt und Klima Das Thema Klima ist für Linksextremisten strategisch wichtig, weil es eine hohe Anschlussfähigkeit an das nicht extremistische Spektrum bietet. So instrumentalisieren Linksextremisten den Protest gegen die Nutzung fossiler Brennstoffe für ihre eigenen Zwecke. Sie wollen als Bündnispartner wahrgenommen werden, um über die Umweltproblematik ihre eigenen extremistischen Ziele - die Überwindung von "Kapitalismus und bürgerlichem Staat" - einzubringen. Seite 130 von 242 4.3.2 Aktionsformen Öffentliche Aktionen von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen Die Darstellung ihrer politischen Positionen in der Öffentlichkeit hat für Linksextremisten große 60 57 Bedeutung. Deshalb bleibt auch die Beteiligung an 53 bzw. die Durchführung von Demonstrationen, Kundgebungen, Aufzügen oder Gegenprotesten für 40 die linksextremistische Szene besonders wichtig. Sächsische Linksextremisten nahmen im 20 Berichtsjahr auch an überregionalen und bundesweiten Veranstaltungen teil. 0 Im Jahr 2023 wurden 110 öffentliche Aktionen von 1. Halbjahr 2023 2. Halbjahr 2023 oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen registriert. Im Vorjahr war das Niveau mit 96 Aktionen niedriger. Unter Aktionen werden neben Demonstrationen und Kundgebungen auch Mobilisierungs-, Informationsoder Vortragsveranstaltungen des gesamten linksextremistischen Spektrums zusammengefasst. Bei öffentlichen Demonstrationen ist zwischen angemeldeten und nicht angemeldeten Demonstrationen zu unterscheiden. Angemeldete Demonstrationen werden in der Regel in strategischen Bündnissen mit Nichtextremisten geplant und durchgeführt. Sie dienen zugleich der Werbung von Sympathisanten. Meist ordnen sich Linksextremisten in diesen Aufzügen weitgehend in das friedliche Demonstrationsverhalten zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Ob es im Rahmen angemeldeter Demonstrationen zu Ausschreitungen kommt, hängt vom Kräfteverhältnis zur Polizei ab, aber auch davon, inwieweit die Anwendung von Gewalt vom bürgerlichen Spektrum toleriert wird. Im Gegensatz hierzu zeigen nicht angemeldete Demonstrationen eine hohe Eigendynamik, die häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen führt. Zu einer erhöhten Zahl linksextremistischer Strafund Gewalttaten, die aus dem Demonstrationsgeschehen heraus begangen werden, kommt es vor allem dann, wenn gesellschaftlich relevante Themen, die den Kernbereich linksextremistischer Ideologie treffen, im Mittelpunkt stehen. Dies gilt auch, wenn der politische Gegner im öffentlichen Raum direkt angegriffen werden kann. Gewalttätige Aktionen Die Anwendung von Gewalt ist in Teilen der linksextremistischen Szene - vor allem bei den AUTONOMEN - allgemein akzeptierter Grundkonsens. Dies wird dabei im Wesentlichen zweifach legitimiert: Zum einen handele es sich um Gegengewalt, mit der man sich gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung des Staates wehre. Denn dieser übe seinerseits mittels seiner Institutionen und Machtverhältnisse eine "strukturelle" Gewalt gegenüber Menschen aus. Zum anderen gebe es politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt schon grundsätzlich rechtfertigten. Diese Gewalt richtet sich im Wesentlichen gegen Sachen, hat aber zunehmend auch Personen, wie tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Polizeibeamte und Repräsentanten beispielsweise von Parteien (vornehmlich der AfD), zum Ziel. Seite 131 von 242 Linksextremistisch motivierte Gewaltaktionen gehen vornehmlich von der AUTONOMEN SZENE aus. Autonome Militanz zeigte sich in Form gewalttätiger Proteste aus Demonstrationen heraus sowie in Form klandestiner100 und offen militanter Aktionen. Taktisch nutzen die Akteure bei klandestinen Aktionen das Überraschungsmoment und die Anonymität. Dadurch wird für sie gleichzeitig das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Klandestine Aktionen sind häufig mit einem hohen Sachschaden verbunden. Für Linksextremisten stellen sie deshalb eine geeignete Aktionsform dar, um dem Staat oder dem politischen Gegner erheblich zu schaden. Üblicherweise enthalten Tatbekenntnisse Angaben zur verfolgten Absicht der Täter, um auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erreichen sowie politischen Einfluss auszuüben. Die Anzahl klandestiner Aktionen bewegte sich gegenüber dem Vorjahr auf einem gleichbleibenden Niveau. Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 40 28 26 20 0 2022 2023 Klandestine Aktionen richteten sich vorrangig gegen den "Repressionsapparat", gegen den politischen Gegner sowie gegen Firmen, die mit der Sanierung von Wohnhäusern oder dem Bau von Behördengebäuden, wie Polizeirevieren oder Justizvollzugsanstalten, beauftragt sind. Umfasst sind dabei auch tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Ziele sind aber ebenso Vertreter und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates, wie Polizei, Gerichte, Justizvollzug sowie Einrichtungen politischer Parteien. Sie verkörpern für AUTONOME das staatliche Gewaltmonopol und gelten als Vertreter des ihnen verhassten Staates. Feindbilder werden dabei insgesamt sehr weit gefasst, was die breite Fächerung der Anschlagsziele zeigt. Schwerpunkt der klandestinen Aktionen war auch im Berichtsjahr eindeutig die Stadt Leipzig. 4.4 AUTONOME Struktur und politische Zielsetzung Die AUTONOME SZENE ist eine äußerst heterogene Strömung innerhalb des Linksextremismus, der es an einer Organisation mit klaren Strukturen sowie einer einheitlichen ideologischen 100 Klandestine Aktionen: Im Schutz der Anonymität und unter Wahrung eines hohen Konspirationsgrades führen Kleingruppen Aktionen zum Schaden des politischen Gegners bzw. gegen Einrichtungen des "Repressionsapparates" durch. Seite 132 von 242 Basis fehlt. Zersplittert in unzählige Kleingruppen steht das Individuum und seine Selbstverwirklichung im Zentrum autonomer Politik. Weltanschaulich-politisch verfolgt diese Szene keine dogmatische Linie, sondern versteht sich als Fundamentalopposition und Basisbewegung. Ihrem Selbstverständnis entsprechend orientieren sich AUTONOME an anarchistischen Ideologiefragmenten und wenden sich von diesem Ansatz ausgehend gegen jegliche Form von Herrschaft, Organisation und Hierarchie. Demzufolge lehnen sie die Gewaltenteilung und einen Staat ab, in dem eine demokratisch legitimierte Mehrheit regiert und Rechte auch des politischen Gegners (z. B. das Recht auf Versammlungsfreiheit) geachtet werden. Angestrebt wird die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. AUTONOME bekämpfen auch die von ihnen als "kapitalistisch" bezeichnete Gesellschaftsordnung. Ihnen geht es dabei nicht um eine fundamentale Kapitalismuskritik, sondern vielmehr um eine revolutionäre Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung. Ihr Weltbild und ihre Weltanschauung sind in erster Linie von einer destruktiven Anti-Haltung (antistaatlich, antiautoritär) geprägt. Jenseits von Forderungen nach "Selbstbestimmung" und "herrschaftsfreien Verhältnissen" verbindet die AUTONOMEN ihre Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und das Bekenntnis zu "revolutionärer Gewalt", die überwiegend in Form von Sachbeschädigungen und Brandanschlägen ausgeübt wird. Neben den "klassischen" AUTONOMEN etablierten sich sowohl bundesweit als auch in Sachsen sog. Postautonome. Diese präsentieren sich moderater und streben eine Zusammenarbeit in überregionalen Bündnissen an, denen sowohl andere linksextremistische Organisationen als auch Nichtextremisten angehören können. Bündnisse sollen eine kontinuierlichere politische Arbeit mit dem Ziel der Schaffung einer breiten Massenbasis sicherstellen. Postautonome Gruppen sprechen sich für die Beibehaltung militanter Konzepte aus, legen allerdings Wert auf deren Vermittelbarkeit außerhalb der eigenen Klientel. Rolle der Gewalt Für AUTONOME ist Gewaltausübung zur Durchsetzung politischer Ziele und als Symbolhandeln zentral. Gewaltbereitschaft ist ein identitätsstiftender und prägender Bestandteil der AUTONOMEN SZENE. Straftaten werden in Strategiepapieren und Diskussionen gerechtfertigt. Durch ihre Gewaltgeneigtheit unterscheiden sich die AUTONOMEN von anderen Linksextremisten. AUTONOME sehen sich zum einen als Opfer von Gewalt sowohl von staatlicher Seite als auch von Seiten des politischen Gegners. Insofern halten sie ihre eigene Gewaltausübung gegen Sachen und Personen für legitim. Zum anderen gibt es aus ihrer Sicht bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt generell rechtfertigen. Prägend für die AUTONOME SZENE sind unterschiedliche Auffassungen über die Bestimmung der Ziele und die Angemessenheit der gewaltsamen Mittel, die in wiederkehrenden "Militanzdebatten" sichtbar werden. Ereignisgeschehen zum "Tag X" im Nachgang des Prozesses gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte Im Berichtsjahr hatte das Ende des am 8. September 2021 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Dresden (OLG Dresden) begonnenen erstinstanzlichen Strafprozesses gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte für die bundesweite linksextremistische Szene eine herausragende Bedeutung. Das Strafverfahren gegen vier Angeklagte, denen mitgliedschaftliche Beteiligung an einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung sowie die damit verbundene Begehung mehrerer gefährlicher Körperverletzungen und weiterer Straftaten zur Last gelegt wird, endete am 31. Mai des Berichtsjahres mit der Verurteilung aller Angeklagten aufgrund verschiedener Anklagepunkte zu mehrjährigen Haftstrafen. Das Urteil Seite 133 von 242 ist noch nicht rechtskräftig. Die bis zur Urteilsverkündung in der JVA Chemnitz inhaftierte Lina E. wurde unter Auflagen entlassen. Der Prozess wurde bundesweit von der linksextremistischen Szene als Zeichen einer sich verstärkenden "Repression" des Staates ("Verfolgungswelle") gegen linke Strukturen wahrgenommen. Polizei und Justiz verfolgten demnach eine politische Agenda und würden mit ihren Ermittlungen das Narrativ einer "gefährlichen Linken" bzw. eines "linken Terrorismus" heraufbeschwören. Im Zusammenhang mit dem Prozess bildeten sich in der linksextremistischen Szene Solidaritätsstrukturen. Darüber hinaus fanden in diesem Kontext zahlreiche Demonstrationen, Solidaritätsaktionen und politisch motivierte Straftaten statt. Auf verschiedenen Kanälen in den sozialen Medien, darunter auf der linksextremistischen Onlineplattform DE.INDYMEDIA.ORG, mobilisierte die AUTONOME SZENE für Versammlungen in Leipzig am sogenannten "Tag X", dem Samstag nach der Urteilsverkündung. Aktivitäten von Linksextremisten am 31. Mai: Tag der Urteilsverkündung Die Prozessbegleitung zur Unterstützung der Angeklagten war bereits für die Dauer des Verfahrens u. a. durch regelmäßige Berichterstattung über die Inhalte der Verhandlung auf der Internetseite "soli-antifa-ost.org" gewährleistet. Für den Tag der Urteilsverkündung wurde zu einer Kundgebung vor dem OLG Dresden aufgerufen, an der 75 Personen teilnahmen, darunter Linksextremisten. Aus der Versammlung heraus wurden mehrere Banner gezeigt, darunter mit der Aufschrift "Liebe für das Leben heißt Hass auf euren Staat, wir bleiben militant". Die linksextremistische Gruppe UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) publizierte auf ihrer Internetseite einen Beitrag, in dem sie sich zum Urteil positionierte: "Das Urteil ist ein Angriff auf antifaschistische Arbeit im Allgemeinen, ein Angriff auf alle Antifaschist*innen [...] und ein Türöffner für politische Verfahren gegen alle möglichen missliebigen Aktivist*innen".101 Für den Abend der Urteilsverkündung wurde zudem für eine Demonstration unter dem Motto "Unsere Solidarität gegen staatliche Repression - Antifaschismus lässt sich nicht verbieten" in die Dresdner Innenstadt mobilisiert. An der Veranstaltung nahmen ca. 450 Personen teil, darunter etwa 70 Personen, welche sich größtenteils in einem schwarzen Block hinter Regenschirmen und Transparenten verbargen. Aus diesem Aufzugsteil heraus wurde mehrfach Pyrotechnik gezündet. Im Alaunpark in der Dresdner Neustadt wurde vor der Abschlusskundgebung ein Böller auf die eingesetzten Polizeikräfte geworfen. Die Transparente der Gruppierung URA DRESDEN zeigten Aufschriften wie "Solidarity forever! Freiheit für alle Antifas"102. In Leipzig versammelten sich am gleichen Abend etwa 800 überwiegend schwarz gekleidete Personen, um unter dem Motto "Free them all" zu demonstrieren. Die Teilnehmer, darunter etwa 500 AUTONOME, zeigten ein Fronttransparent mit der Aufschrift "Free All Antifas - Soko LinX und VS Auflösen - Defund the Police" und skandierten u. a. "Hass, Hass, Hass wie noch nie", "All Cops are Targets ACAT" und "Gib dem Bullen was er braucht - 9mm in den Bauch". Nach Kundgebungsende gruppierten sich die Versammlungsteilnehmer im Lene-Voigt-Park und brannten mehrfach Pyrotechnik ab. Sie bewarfen Polizeikräfte massiv mit Flaschen, Steinen und Pyrotechnik. Abschließend wurden ein Container und ein PKW in Brand gesetzt. Aktivitäten von Linksextremisten am 1. Juni: Tag nach der Urteilsverkündung In Leipzig nahmen an der Demonstration "Tag der Jugend" ca. 170 Personen, darunter Linksextremisten, teil. Es wurde Pyrotechnik gezündet und Rufe wie "Mörder", "Bullenschweine", "Tod und Hass der Soko LinX" und "Gebt dem Bullen was er braucht, 9 mm in den Bauch" aus der Versammlung heraus skandiert. Im Verlauf der Veranstaltung wurden mehrere Strafanzeigen, u. a. wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, gestellt. Die 101 Schreibweise wie im Original 102 Schreibweise wie im Original Seite 134 von 242 linksextremistischen Gruppierungen ROTES DRESDEN103 und JUGEND IM KAMPF104 beteiligten sich mit Transparenten, erstere mit der Aufschrift "Krieg den deutschen Zuständen" und letztere mit "Für eine revolutionäre Jugendbewegung - Für eine Jugend im Kampf". Aktivitäten von Linksextremisten am 2. Juni: Tag vor dem "Tag X" Zu einer nicht angezeigten Versammlung unter dem Motto "Gegen Demoverbote - Für die Freiheit aller verfolgten Antifaschist*innen und einen Solidarischen Kiez" gruppierten sich ca. 750 Personen, darunter Linksextremisten, in Leipzig-Connewitz. Der Großteil der Personen führte diverse Wurfgegenstände (Pflastersteine, etc.) mit. In den Nachtstunden wurden im Bereich des Connewitzer Kreuzes immer wieder Barrikaden errichtet und entzündet sowie Mülltonnen und Verkehrseinrichtungen in Brand gesetzt. Einsatzkräfte und Fahrzeuge der Polizei waren einem massiven Bewurf ausgesetzt, außerdem wurde ein Laserpointer gegen den Piloten eines Polizeihubschraubers eingesetzt. Aktivitäten von Linksextremisten am 3. Juni: "Tag X" Für das Ereignisgeschehen "Tag X" hatte die Stadt Leipzig Versammlungen mit direktem Bezug zum Prozess verboten. In der Leipziger Südvorstadt sammelten sich am 3. Juni zur angemeldeten Versammlung "Die Versammlungsfreiheit gilt auch in Leipzig" über 1.500 Personen, darunter mehrere Hundert Linksextremisten.105 Aufgrund von Angriffen gegen Polizeibeamte durch Bewurf mit Steinen und Pyrotechnik wurde die Versammlung durch den Versammlungsleiter vorzeitig beendet. In der Folge wurden kontinuierlich weitere Straftaten verübt, indem die polizeilichen Einsatzkräfte und Dienstfahrzeuge mittels eines Brandsatzes, Pyrotechnik und Steinen beworfen wurden. Am Abend wurde gegen die an den gewalttätigen Ausschreitungen mutmaßlich beteiligten Personen ein Ermittlungsverfahren u. a. wegen des Anfangsverdachts des Landfriedensbruchs in einem besonders schweren Fall eingeleitet. Zu diesem Zweck wurde durch den vor Ort anwesenden Staatsanwalt die Identitätsfeststellung von über 1.300 Personen angeordnet. Aktivitäten von Linksextremisten als Reaktion auf den "Tag X" Die linksextremistische Szene reflektierte das Ereignisgeschehen im Nachgang. Seither wurde mehrfach bei Veranstaltungen und in Internetpublikationen auf die Folgen der staatlichen Maßnahmen an diesem Tag eingegangen. Am 4. und 5. Juni wurde der diesbezügliche Protest bei Veranstaltungen in Leipzig deutlich. Der linksextremistische ROTE HILFE E.V.106 beschäftigte sich damit, den von der "staatlichen Repression" betroffenen Personen (Identitätsfeststellungen, Inhaftierungen) Rechtsbeistände zu vermitteln und die konfiszierten Telefone zurück zu erhalten. Im Juli, September und Oktober wurden öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zur moralischen und finanziellen Unterstützung der Betroffenen unter Beteiligung von Linksextremisten in Leipzig fortgesetzt. Ereignisgeschehen anlässlich von Körperverletzungsdelikten am "Tag der Ehre" in Budapest (Ungarn) Vom 9. bis 11. Februar kam es in Budapest abseits der für europäische Rechtsextremisten relevanten Versammlungslage "Tag der Ehre" zu mehreren mutmaßlich linksextremistisch motivierten Körperverletzungsdelikten zum Nachteil vermeintlicher Veranstaltungsteilnehmer. 103 vgl. Beitrag II.4.6.1.2 ROTES DRESDEN 104 vgl. Beitrag II.4.6.1.1 ROTE W ENDE LEIPZIG 105 In der Erstveröffentlichung des Verfassungsschutzberichtes 2023 vom 28. Mai 2024 hat das LfV Sachsen versehentlich eine falsche Teilnehmerzahl (ca. 1.000 Personen) angegeben. Nach einem entsprechenden Hinweis hat das LfV Sachsen diese Zahl umgehend berichtigt. 106 vgl. Beitrag II.4.7 ROTE HILFE E. V. Seite 135 von 242 Bei einem Großteil der identifizierten Tatverdächtigen handelt es sich um deutsche Staatsangehörige, welche sich seither der Feststellung durch Sicherheitsbehörden zu entziehen versuchten. Dennoch mündeten die polizeilichen Ermittlungen in der Festnahme mehrerer Tatverdächtiger. Am 11. Dezember wurde in Deutschland ein Haftbefehl gegen einen der Tatverdächtigen vollstreckt und dessen Untersuchungshaft in der JVA Dresden angeordnet. Am 14. Dezember wurde unter Beteiligung von Linksextremisten eine Kundgebung vor der JVA Dresden anlässlich des Geburtstages des Inhaftierten veranstaltet. Die linksextremistische Szene kritisierte im Berichtsjahr das polizeiliche Agieren und den ungarischen Staat in diesem Kontext vehement und zeigte sich solidarisch mit den "untergetauchten" Tatverdächtigen. ROTES DRESDEN forderte beispielsweise auf der SocialMedia-Plattform "X" (vormals Twitter): "Stoppt den Staatsterror! Solidarität mit allen Untergetauchten!", während die ORTSGRUPPE LEIPZIG der ROTEN HILFE in einem Aufruf auf "X" verdeutlichte: "Wir werden die Jagd der Behörden auf unsere Leute nicht still und heimlich erdulden. Der Antifaschismus ist so notwendig wie eh und je, und er lässt sich nicht verbieten und nicht einsperren!" AUTONOME SZENEN im Freistaat Sachsen Die AUTONOME SZENE dominiert den Linksextremismus im Freistaat Sachsen deutlich. Ihr gehörten im Berichtsjahr ca. 450 Personen an (2022: ca. 520 Personen)107. Dies entspricht einem Anteil von etwa 50 Prozent an allen linksextremistischen Bestrebungen in Sachsen. Regional und bundesweit bleibt die AUTONOME SZENE LEIPZIG neben den Szenen in den Städten Berlin und Hamburg ein Schwerpunkt autonomer Aktivitäten. Wesentlich stärker als in der Vergangenheit beruft sich die Szene auf anarchistische Wurzeln, ohne dabei grundlegende autonome Aktionsfelder aufzugeben. Die Grenzen zwischen autonomen und anarchistischen Strömungen verschwimmen zunehmend. Diese Tendenz machte sich vor allem bei Demonstrationen bemerkbar. Dort zeigten sich anstelle von "autonomen Blöcken" vermehrt "anarchistische Blöcke", die u. a. mit entsprechenden Transparenten auf sich aufmerksam machten. Durch diese breitere ideologische Basis soll das Fundament für weitreichende regionale, überregionale und internationale Vernetzungen gelegt werden. Fazit Die Stadt Leipzig ist und bleibt ein Schwerpunkt der AUTONOMEN SZENE Deutschlands. Diese Szene betrachtet die Begehung schwerster Straftaten weiterhin als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Typische Angriffsziele sind nicht nur der Staat und seine Einrichtungen, sondern auch Privatunternehmen und Privatpersonen, die man dem gegnerischen politischen Lager zurechnet. Dabei stellen Angehörige der Polizei, aber auch anderer Sicherheitsbehörden sowie der Justizbehörden als Repräsentanten des verhassten "Unterdrückungsapparates" ein explizites Feindbild dar. Strafund Gewalttaten werden häufig als strategisch geplante, klandestine Kleingruppenaktionen durchgeführt. Die untergetauchten Linksextremisten im "Budapest-Komplex" hatten vor dem Hintergrund des noch laufenden Prozesses gegen Lina E. und weitere Angeklagte sowie laufender Fahndungsmaßnahmen der Polizei keine Hemmungen, in die ungarische Hauptstadt zu reisen und dort mit äußerster Brutalität gegen politisch Andersdenkende vorzugehen. Dies war im Es handelt sich hierbei um keinen Rückgang im linksextremistischen Personenpotenzial, sondern um 107 das Ergebnis einer bundesweiten, im Verfassungsschutzverbund vorgenommenen Neuklassifizierung und der damit verbundenen Neuunterteilung in AUTONOME und ANARCHISTEN (vgl. Beitrag II.4.2 Personenpotenzial). Demnach ist ein Teil der ehemals als AUTONOME klassifizierten Linksextremisten in ANARCHISTEN übertragen worden. Seite 136 von 242 Berichtsjahr ein eindeutiger Beleg für das klandestine, professionelle Vorgehen und die hohe Gewaltbereitschaft der AUTONOMEN SZENE. Hierbei erfolgte eine Verlagerung der politischen Auseinandersetzung ins Ausland und die billigende Inkaufnahme von schwersten Körperverletzungen. Das LfV Sachsen stellte im Berichtsjahr fest, dass die AUTONOME SZENE zunehmend versucht, Aufmerksamkeit mit Themen der Klimaschutzbewegung zu erlangen und diese für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren. Die grundsätzlich legitime, nicht extremistische Kapitalismuskritik bietet dafür den entscheidenden Nenner. So sehen Linksextremisten den Kapitalismus als Nährboden für Faschismus und mitunter klimaschädliche Eigentumsund Produktionsverhältnisse, die es zu überwinden gilt. Eine Verfassungsschutzrelevanz ergibt sich, weil die Ablehnung des Wirtschaftssystems mit dem Streben nach der revolutionären Überwindung des demokratischen Rechtsstaates einhergeht. Insgesamt stagniert die Anzahl AUTONOMER im Freistaat Sachsen ohne signifikante regionale Veränderungen. Dabei lässt sich feststellen, dass sich die AUTONOME SZENE im Freistaat Sachsen stetig verjüngt. Die Protagonisten sind aber nicht weniger gewaltbereit und risikofreudig, während "ältere" AUTONOME zurückhaltender werden. Die Feindbilder sind allerdings die gleichen. 4.4.1 AUTONOME in Leipzig Personenpotenzial Die sächsische AUTONOME SZENE konzentriert sich nach wie vor eindeutig in der Stadt Leipzig. Ihr werden dort ca. 290 Personen (2022: 350 Personen) zugerechnet. Die Messestadt blieb damit im Berichtsjahr zugleich auch der Brennpunkt linksextremistischer Gewalt in Sachsen. Im bundesweiten Vergleich ist Leipzig nach Berlin und Hamburg zugleich ein Schwerpunkt der AUTONOMEN SZENE in Deutschland. Strukturen der Leipziger AUTONOMEN SZENE Nach eigenem Selbstverständnis lehnen AUTONOME jegliche Form einer dauerhaften Organisation ab. Ganz ohne Strukturen kommt aber auch die AUTONOME SZENE Leipzig nicht aus. Gerade bei Aktionen gegen den politischen Gegner, gegen Angehörige des von ihnen so verstandenen "Repressionsapparates" oder Wirtschaftsunternehmen ist ein Mindestmaß an Koordinierung erforderlich. Daher entwickelten AUTONOME das sog. "dezentrale Konzept". Dessen Ziel ist es, Veranstaltungen des politischen Gegners in Kleingruppen anzugreifen bzw. deren Teilnehmer an der Anoder Abreise zu hindern. Das abgeschottete und kampfsporterprobte Milieu der Kleingruppen wird zudem bei klandestinen Aktionen108 aktiv. In einer Kleingruppe finden sich in der Regel etwa fünf bis zehn miteinander vertraute Personen zusammen, um gemeinsam Aktionen gegen den politischen Gegner zu planen und durchzuführen. AUTONOME SZENE in Leipzig Im Jahr 2023 wurde die Entwicklung in Leipzig durch folgende Faktoren geprägt: Leipzig ist weiter attraktiv für linksextremistische Szeneangehörige aus anderen Bundesländern; auch Teilnehmer an Veranstaltungen konnten aus dem gesamten Bundesgebiet festgestellt werden. 108 vgl. zu diesem Begriff: Beitrag II.4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Seite 137 von 242 Der Prozess gegen Lina E.109 und weitere Angeklagte wurde in der Szene intensiv verfolgt. Abschottungstendenzen einzelner Kleingruppen der gewaltbereiten AUTONOMEN SZENE setzten sich fort. Die Themenfelder "Antirepression" und "Antifaschismus" waren im Berichtsjahr von herausragender Bedeutung. Insbesondere Proteste gegen staatliche Repressionsorgane zogen sich erneut wie ein roter Faden durch das ganze Jahr. Dies zeigte sich auch im Hinblick auf die Angriffsziele bei linksextremistisch motivierten Straftaten. Jüngere Szeneangehörige interessieren sich verstärkt für anarchistische Ideologiefragmente (Lebenshaltung einer permanenten Attacke gegen den Staat, kompromissloser Kampf für Freiräume) und entfernen sich ideologisch von vorwiegend antifaschistisch orientierten AUTONOMEN. Öffentliche Aktionen Das öffentliche Aktionsniveau - die Qualität und Quantität von Aktionen - der Leipziger AUTONOMEN war im Vergleich zum Vorjahr höher, erreichte jedoch nicht den Wert von 2021. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN in Leipzig 80 74 60 60 53 47 45 40 20 0 2019 2020 2021 2022 2023 Der Rückgang im Vergleich zum Jahr 2021 ist auf die gesunkene Beteiligung AUTONOMER an Protesten gegen sog. "Querdenker"-Demonstrationen zurückzuführen. An den zumeist von nicht extremistischen Kampagnen und Bündnissen im Berichtsjahr regelmäßig angemeldeten Protesten gegen den politischen Gegner und den Staat beteiligten sich vereinzelt AUTONOME. Ein weiterer Erklärungsansatz sind die wiederholten polizeilichen Exekutivmaßnahmen gegen Angehörige der Leipziger AUTONOMEN SZENE, die offenbar zu einer anhaltenden Verunsicherung in Teilen dieser Szene geführt haben. 109 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME Seite 138 von 242 AUTONOME aus Leipzig waren, wie schon in den Vorjahren, überregional aktiv. Sie mobilisierten zu bundesweiten Veranstaltungen oder beteiligten sich an Demonstrationen und Kundgebungen in der Region. Beispielhaft dafür steht der nicht extremistische "Antifaschistische Jugendkongress" in Chemnitz.110 Antirepressionsdemonstrationen Im Januar ereignete sich beispielsweise eine Reihe von Aktionen, welche sich gegen die Räumung des Dorfes Lützerath (Nordrhein-Westfalen) richteten111. Am 11. Januar verlief eine diesbezügliche linksextremistische Spontandemonstration im Leipziger Osten unfriedlich. Die ca. 40 vermummten Versammlungsteilnehmer entzündeten Pyrotechnik und Bengalos, warfen Steine durch die Fensterscheiben eines Abgeordnetenund eines Versicherungsbüros, skandierten polizeifeindliche Parolen und brachten ein Transparent an einem Baugerüst in der Kohlgartenstraße mit dem Schriftzug "Nazis jagen, Bullen stressen" an. In einem anschließend auf der auch von Linksextremisten genutzten Internetseite "knack.news" veröffentlichten Beitrag wurden die Aktionen als "richtige Initiative" gelobt und der Bezug zu Lützerath verdeutlicht: "Nehmt ihr uns die Dörfer ab, machen wir die City platt!" Ab März richteten sich Aktionen der linksextremistischen Szene auch gegen den geplanten Polizeistandort auf der Eisenbahnstraße im Leipziger Osten. Dabei wurden auch Straftaten verübt. Im Rahmen einer linksextremistischen Spontandemonstration am 22. Mai setzten mehrere der insgesamt ca. 30 Teilnehmer Mülltonnen in Brand, bewarfen das Gebäude mit Steinen und Farbe, zündeten Pyrotechnik und sprühten ein Graffiti ("No Cops") an das Objekt. Bezüglich der linksextremistischen Aktionen der LEIPZIGER AUTONOMEN im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte sowie "Tag X" wird auf die Darstellung im Beitrag AUTONOME112 verwiesen. Aktivitäten gegen den politischen Gegner Für die AUTONOME SZENE LEIPZIG ist der Kampf gegen den Faschismus und gegen Personen, die der linksextremistischen ideologischen Weltanschauung zufolge als "faschistisch" angesehen werden, untrennbarer Bestandteil ihres Selbstverständnisses. "Outings"113 setzten sich als Mittel der öffentlichen Einschüchterung des politischen Gegners unter Nennung von personenbezogenen Daten, wie Vorund Zunamen, Lichtbildern und Wohnadressen, fort. Beispielhaft zeigen dies folgende Ereignisse im Berichtsjahr: Am 5. Januar wurde in einer Veröffentlichung auf der auch von Linksextremisten genutzten Internetseite "inventati.org" unter der Überschrift "'Ostdeutschland kämpft': Neonazis, Hooligans und rechte Rocker zu Kampfsportevent bei Leipzig erwartet" über das Leben mehrerer Teilnehmer berichtet und deren Beteiligung an Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene ausführlich skizziert. Am 14. Juni wurde in einer Veröffentlichung auf dem linksextremistischen Onlineportal DE.INDYMEDIA.ORG unter der Überschrift "[Leipzig] Nazis um den "Tag X" und in Connewitz" auf "Nazischweine" im Stadtteil hingewiesen. Am 31. August wurde in einer Veröffentlichung auf dem linksextremistischen Onlineportal DE.INDYMEDIA.ORG unter der Überschrift "Rechter Streamer in Leipzig 110 vgl. Beitrag II.4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 111 Die Räumung erfolgte zum Zwecke der Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II. 112 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME 113 vgl. Beitrag II.4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Seite 139 von 242 unterwegs" ausführlich über dessen (mediale) Aktivitäten und Verbindungen zur rechtsextremistischen Szene berichtet. Dabei wurden seine personenbezogenen Daten, einschließlich des Kennzeichens und Modells seines Privatfahrzeuges, bekannt gegeben. Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Themenfeld "Freiräume" Die Schaffung eigener "Freiräume" ist für AUTONOME in Leipzig nach wie vor ein wichtiges Thema. Dabei geht es zum einen um Hausbesetzungen und zum anderen um Widerstand gegen die als "Gentrifizierung" bezeichneten sozialen Umstrukturierungsprozesse in Wohngegenden. Im Berichtsjahr kam es zu mehreren Hausbesetzungen, die jedoch mit dem Aktionsniveau im Zusammenhang mit früheren Hausbesetzungen nicht vergleichbar waren. * Am 29. April drangen mehrere Personen in ein leerstehendes Haus im Leipziger Stadtteil Kleinzschocher ein, befestigten Transparente mit den Aufschriften "Besetzt" und "Wohnraum für alle" und zündeten Pyrotechnik. In einem später veröffentlichten Beitrag auf DE.INDYMEDIA.ORG wurde die Aktion mit Bildern des besetzten Gebäudes untersetzt und gerechtfertigt: "Immer und Immer wieder werden die Cops, den Befehlen des Kapitals folgend, uns angreifen und versuchen, uns zu zerschlagen. Doch jeder verlorene Kampf und jeder Gerichtsprozess machen uns nur noch entschlossener. [...] Mit jedem neu besetzten Haus, jedem Freiraum, um den gekämpft wird, kommen wir näher an eine lebenswerte, bunte Stadt für alle Menschen. Zeigt diesem menschenfeindlichen kapitalistischen System seine Grenzen auf." Am gleichen Abend demonstrierten Angehörige der AUTONOMEN SZENE in einer nicht extremistischen "Kiezdemo" unter dem Motto "Miethaie trockenlegen: Gegen Gentrifizierung in Lindenau, Plagwitz und überall!", wobei die Demonstrationsroute an ehemals besetzten Objekten vorbeiführte. Am 23. September besetzten mehrere Personen widerrechtlich ein Haus im Leipziger Stadtteil Volkmarsdorf. In einem Bekennerschreiben auf der auch von Linksextremisten genutzten Internetseite "knack.news" hieß es dazu: "Um uns herum werden alle unkommerziellen Kulturorte verdrängt, und unsere Nachbarschaft wird immer mehr zu einer Konsummeile. [...] Wir haben das Gefühl, unser Viertel verschwindet vor unseren Augen. Niemand hört die Warnungen, die seit Jahren angebracht werden. Deshalb war es an der Zeit, sich Gehör zu verschaffen!" Nach der Räumung am 25. September kam es am 26. September als Reaktion darauf im gleichen Stadtteil zu einem sog. "Massencornern" mit Ausschreitungen. Neben dem Skandieren der szenetypischen Parole "Hass, Hass, Hass wie noch nie - All Cops Are Targets" wurden Barrikaden errichtet und in Brand gesetzt sowie entzündete Pyrotechnik gegen Polizeibeamte eingesetzt. Im weiteren Verlauf erfolgte eine weitere Besetzung eines leerstehenden Gebäudes, auf die durch Zünden von Pyrotechnik und das Anbringen von Bannern aufmerksam gemacht wurde. Gewaltaktionen, vor allem klandestine Aktivitäten sowie Spontanaktionen Leipziger Linksextremisten setzten auch im Berichtsjahr wieder auf klandestine Aktionen. Allerdings bewegte sich diese Aktionsform mit 20 Aktivitäten (2022: 18) deutlich unter dem Niveau der Jahre 2020 und 2021 und unterstrich damit das insgesamt gesunkene Aktionsniveau der AUTONOMEN SZENE. Seite 140 von 242 Anzahl klandestiner Aktionen in Leipzig 60 51 50 50 40 2020 2021 30 2022 20 20 18 2023 10 0 Leipzig Es ist aufgrund wiederholter polizeilicher Exekutivmaßnahmen gegen Angehörige der Leipziger AUTONOMEN SZENE von einem nachlassenden Aktionsniveau klandestiner Kleingruppen auszugehen, was jedoch nicht mit einem Rückgang des entsprechenden Personenpotenzials oder gar dessen grundsätzlicher Gewaltbereitschaft einhergeht. Aktionen im Themenfeld "Antifaschismus" Über das gesamte Berichtsjahr hinweg verübten Linksextremisten Straftaten im Themenfeld "Antifaschismus". Es wurde versucht, den politischen Gegner unter Anwendung physischer Gewalt einzuschüchtern. Folgende Aktionen verdeutlichen das Aggressionsniveau: Am 21. Januar sprühten mehrere Personen dem Geschädigten Pfefferspray ins Gesicht. Die Kleidung des Geschädigten wurde mit der rechten Szene in Verbindung gebracht. Am 12. Februar wurde ein Stadtrat der Partei AfD aus einer Gruppe heraus zunächst verbal und im weiteren Verlauf körperlich angegriffen. Am 26. November griff eine Gruppe aus ca. zehn schwarz gekleideten und vermummten Tatverdächtigen drei Personen körperlich an. Einer der Geschädigten hatte eine Tätowierung, die auf einen vermeintlichen Bezug zur rechten Szene schließen ließ. Bezüglich der linksextremistischen Aktionen u. a. der LEIPZIGER AUTONOMEN im Zusammenhang mit dem sog. "Budapest-Komplex" wird auf die ausführliche Darstellung im Kapitel AUTONOME114 verwiesen. Aktionen im Themenfeld "Antirepression" Aktionen von Linksextremisten richteten sich auch im Berichtsjahr regelmäßig gegen Angehörige und logistische Unterstützer des von ihnen so verstandenen 114 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME Seite 141 von 242 "Repressionsapparates". Ziel war hauptsächlich die Polizei. Dies zeigen beispielhaft folgende Vorkommnisse: Im Innenhof des Polizeireviers Leipzig-Südwest wurden am 15. März, dem jährlich von der linksextremistischen Szene thematisierten "Internationalen Tag gegen Polizeigewalt", drei Einsatzfahrzeuge in Brand gesetzt und dadurch ein weiteres beschädigt. Die Aktion wurde in einem auf DE.INDYMEDIA.ORG publizierten Selbstbezichtigungsschreiben wie folgt gerechtfertigt: "Die Polizei ist und bleibt ein legitimes Angriffsziel". Am 23. März wurden in Leipzig 19 Fahrzeuge eines Skoda-Autohändlers in Brand gesetzt, von denen zwölf vollständig ausbrannten. Das Unternehmen wurde laut einem auf DE.INDYMEDIA.ORG veröffentlichten Bekennerschreiben wegen seiner wirtschaftlichen Verbindungen zur Polizei als Ziel der Brandstiftung ausgewählt. Die Firma sei "seit Jahrzehnten an der Ausrüstung von Repressionsorganen in aller Welt" beteiligt. Die Verfasser nahmen zudem Bezug auf den "Tag X" ("Wir freuen uns schon darauf, mit euch am Tag-X im Antifa Ost-Verfahren kämpferisch zusammen zu kommen und der aktuellen Repressionswelle kollektiv entgegenzutreten") und von Ermittlungsverfahren betroffene Linksextremisten ("Freiheit und Glück für alle verfolgten Antifaschist_innen, ob in Haft oder auf der Flucht! [...] Für die Revolte!"). Unbekannte Täter beschädigten am 1. November die Schaufensterscheibe und ein Firmenfahrzeug eines Leipziger Schlüsseldienstes. In einem auf DE.INDYMEDIA.ORG publizierten Selbstbezichtigungsschreiben wird die Tat entsprechend gerechtfertigt: "Die [...] Firma beteiligt sich seit Längerem immer wieder an Hausdurchsuchungen der Soko Linx des LKA Sachsen und bricht regelmäßig die Wohnungstüren von Genoss*innen auf. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Einschüchterung und Kriminalisierung von Antifas durch Polizei und Justiz". Der Sachschaden betrug ca. 27.000 Euro. Aktionen im Themenfeld "Anti-Gentrifizierung" Linksextremisten sehen sich durch soziale und bauliche Aufwertungsund Verdrängungsprozesse zunehmend in ihren Freiräumen bedroht. Straftaten in diesem Sachzusammenhang gegen aus ihrer Sicht verantwortliche Bauunternehmen und beauftragte Baufirmen waren im Berichtsjahr seltener. Jedoch setzten beispielsweise am 1. Oktober unbekannte Täter ein Wohnund Geschäftshaus im Leipziger Stadtteil Connewitz bis in das erste Obergeschoss unter Wasser, indem Wasserhähne aufgedreht und mehrere Abflussrohre verstopft wurden. Es entstand ein Sachschaden in Millionenhöhe. Bei dem Gebäude handelte es sich um einen kurz zuvor fertiggestellten Neubau im Stadtteil, weshalb die Tat dem Aktionsfeld "Anti-Gentrifizierung" zugerechnet und eine linksextremistische Motivation zugrunde gelegt werden konnte. 4.4.2 AUTONOME in Dresden Personenpotenzial Das Personenpotenzial der AUTONOMEN SZENE DRESDEN stagniert seit 2014 bei etwa 60 Personen. Ihr Aktionsniveau und ihre Bedeutung fallen gegenüber der Leipziger Szene deutlich ab. Seite 142 von 242 Strukturen der Dresdner AUTONOMEN SZENE Die UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) ist nach wie vor die aktivste linksextremistische Gruppe in Dresden. Sie ist Teil des bundesweiten linksextremistischen "... UMS GANZE - KOMMUNISTISCHES BÜNDNIS!" (UG)115. Bei UG handelt es sich um einen Zusammenschluss eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der bundesweiten AUTONOMEN SZENE, die ihre Kräfte bündeln, um überregional handlungsfähig zu sein. Lokal treten die Mitgliedsgruppen autark auf, während sie in Aktionsbündnissen und bei Großveranstaltungen unter dem Label UG fungieren. Außerdem ist das ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN (ART DRESDEN) in der Landeshauptstadt aktiv. Das ART DRESDEN widmet sich seit jeher intensiv der "Recherchearbeit" vor allem über tatsächliche bzw. vermeintliche Rechtsextremisten und veröffentlicht in diesem Zusammenhang entsprechende Outings. Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen beteiligt sich das ART DRESDEN aktiv an einer wesentlichen Aktionsform der AUTONOMEN SZENE. Outing-Aktionen dienen der linksextremistischen Szene als Mittel zur Bekämpfung politischer Gegner.116 Aktivitäten der URA DRESDEN und des ART DRESDEN Die URA DRESDEN führte im Berichtsjahr ihre intensive Öffentlichkeitsarbeit der vergangenen Jahre fort. Sie veröffentlichte zahlreiche Meldungen und Beiträge auf ihrer Internetseite und in den sozialen Medien. Dabei verbreitete die URA DRESDEN in den sozialen Medien regelmäßig Hassbotschaften. So bezeichnete sie in den letzten Jahren auf ihrem "X"-Account (vormals Twitter) Polizisten regelmäßig als "DrecksCops" und "Bullenschweine". Mit Beiträgen wie diesen delegitimiert die URA DRESDEN den demokratischen Rechtsstaat und verdeutlicht, dass sie das staatliche Gewaltmonopol ablehnt. Folgende Beispiele aus dem Berichtsjahr belegen zudem, dass die URA DRESDEN die Anwendung von Gewalt als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung für legitim hält: Im Februar solidarisierte sie sich mit jenen Linksextremisten, die in Budapest (Ungarn) tatsächliche bzw. vermeintliche Rechtsextremisten koordiniert und unter Einsatz massiver Gewalt angriffen117. Sie verharmloste und rechtfertigte die Gewalt mit der Aussage: "Da kaum wer berichtet, wer denn da in Budapest zusammengefaltet wurde, hier ein paar Infos zum 'Tag der Ehre' (...)." Im Oktober bezeichnete sie einen wegen zahlreicher gewalttätiger Übergriffe vom Landeskriminalamt Sachsen per Öffentlichkeitsfahndung gesuchten und untergetauchten Linksextremisten als "Genossen". Zudem rief sie dazu auf: "Wenn ihr die Scheiße in der Stadt seht [Anm.: gemeint sind die Fahndungsplakate der Polizei], entfernt diese bitte umgehend!" Die Outing-Kampagne der Vorjahre118 gegen ein Restaurant in Dresden-Neustadt setzte die URA DRESDEN im Berichtszeitraum fort. Das Restaurant und deren Inhaberin wurden auf den Social-Media-Kanälen der URA DRESDEN sowie des ART DRESDEN bereits mehrfach thematisiert und als ein "(...) rechter Drecksladen & Schnittstelle regionaler völkischer Siedlungsprojekte & der Anastasia-Bewegung" bezeichnet. 115 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern und für Heimat 2022, S. 162 116 vgl. Beitrag II.4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen 117 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME 118 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2021, S. 153 sowie Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2022, S. 148 Seite 143 von 242 Wie schon in den Vorjahren war die URA DRESDEN auch im Berichtszeitraum in und außerhalb Sachsens aktiv. So beteiligte sie sich im April an den teils gewalttätigen Protestaktionen gegen die "Europäische Gaskonferenz" in Wien (Österreich) sowie am "System Change Camp" im August in Hannover (Niedersachsen). Ebenso war sie im August 2023 wiederum an der Organisation und Durchführung des 8. "Antifaschistischen Jugendkongresses" (Juko) in Chemnitz beteiligt.119 Das Aktionsniveau des ART DRESDEN entsprach dem des Vorjahres. So berichtete die Gruppierung beispielsweise über Akteure und Strukturen der Dresdner bzw. regionalen rechtsextremistischen Szene und über überregionale Aktivitäten von Rechtsextremisten. Dabei veröffentlichte das ART DRESDEN im Internet abermals zahlreiche Fotos, Namen und weitere Angaben von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten aus der Region Dresden. Die Gruppe beteiligte sich zudem an Aktionen gegen eine Versammlung von Rechtsextremisten am 13. Februar anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg. Entwicklung des Aktionsniveaus120 Die Anzahl der öffentlichen Aktionen im Berichtsjahr ging weiter zurück und bewegte sich auf einem insgesamt niedrigen Niveau. Sowohl die Intensität der Aktionen als auch die Zahl der daran beteiligten Linksextremisten blieben zumeist gering. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN in Dresden 80 60 45 40 35 34 33 27 20 0 2019 2020 2021 2022 2023 Ein Hauptaktionsfeld Dresdner AUTONOMER waren im Berichtszeitraum wiederum Solidarisierungsaktionen mit Lina E.121 und drei weiteren Angeklagten vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 StGB. Anlässlich der Urteilsverkündung am 31. Mai beteiligten sich zahlreiche Linksextremisten zum einen an einer Kundgebung vor dem Oberlandesgericht Dresden. Zum anderen fand am Abend eine unangemeldete Demonstration statt, bei der ein Teil der Teilnehmer einen schwarzen Block mit Regenschirmen und Transparenten bildete. 119 vgl. Beitrag II.4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 120 Das Aktionsniveau beschreibt die Qualität und Quantität von Aktionen. 121 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME Seite 144 von 242 Bezüglich der linksextremistischen Aktionen der DRESDNER AUTONOMEN im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte sowie "Tag X" wird auf die Darstellung im Beitrag AUTONOME122 verwiesen. Darüber hinaus beteiligten sich Dresdner AUTONOME an zahlreichen Aktionen gegen den politischen Gegner sowie Anfang des Jahres an Solidaritätsaktionen mit der im Februar 2023 von der Polizei vorgenommenen Räumung des besetzten Waldes "Heibo" nahe OttendorfOkrilla (Landkreis Bautzen). 123 Klandestine Aktionen Die Anzahl klandestiner Aktionen124 sank im Berichtsjahr weiter. Unabhängig von dieser Entwicklung spielt diese Protestform für die Dresdner AUTONOME SZENE aber nach wie vor eine Rolle in der politischen Auseinandersetzung. Anzahl klandestiner Aktionen in Dresden 30 26 22 20 2019 2020 12 2021 10 2022 7 2023 1 0 Dresden 4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden Außerhalb der beiden Zentren der AUTONOMEN SZENE, Leipzig und Dresden, besteht in Sachsen nur ein geringes autonomes Personenpotenzial. Dementsprechend sind dort die Strukturen und Aktivitäten weit weniger ausgeprägt. Das öffentliche Aktionsniveau - sowohl Qualität als auch Quantität der Aktionen - lag auf dem niedrigen Niveau des Vorjahres. 122 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME 123 vgl. Beitrag II.4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden; 124 vgl. zur Erläuterung dieser Aktionsform: Beitrag II.4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Seite 145 von 242 Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN außerhalb von Leipzig und Dresden 30 24 20 17 15 11 10 10 7 0 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Auch die Anzahl der klandestinen Aktionen bewegte sich im Berichtsjahr auf einem niedrigen Niveau. Dennoch spielt diese Aktionsform weiterhin eine wichtige Rolle in der politischen Auseinandersetzung. Anzahl klandestiner Aktionen außerhalb von Leipzig und Dresden 20 13 2019 12 2020 10 2021 2022 6 5 2023 3 0 andere Regionen Stadt Chemnitz Wegen der bis 31. Mai in der JVA Chemnitz inhaftierten Linksextremistin Lina E., mit der sich die linksextremistische Szene besonders solidarisiert, fanden im Berichtsjahr auch in Chemnitz im unmittelbaren Umfeld der JVA öffentlichkeitswirksame nicht extremistische Aktionen zum Themenfeld "Antirepression" mit Beteiligung von Linksextremisten statt. Dazu zählen exemplarisch folgende Veranstaltungen, für die allerdings nur eine geringe Teilnehmerzahl mobilisiert werden konnte: Seite 146 von 242 20. Februar: Kundgebung für die inhaftierte Lina E., 4. März: jährlich stattfindende Kundgebung anlässlich des "Internationalen Frauentages", die sich nach Ansicht der Akteure gegen das "Knastsystem" richtete und für die symbolische Unterstützung Inhaftierter stand. Outing-Aktionen zum Nachteil des politischen Gegners waren ebenfalls Teil des Aktionsrepertoires der Chemnitzer Szene. Im Fokus standen dabei einerseits Personen und ihre Aktivitäten u. a. in den Bereichen Kampfsport und Sicherheitsgewerbe und andererseits die Veröffentlichung der Anschriften von Immobilien und Trefforten, die von mutmaßlichen oder tatsächlichen Rechtsextremisten genutzt werden. Dazu zählten beispielsweise folgende Veröffentlichungen: 27. Februar: namentliche Nennung von zwei Chemnitzer Protagonisten der SACHSENGARDE (vormals IDENTITÄRE BEWEGUNG - REGIONALGRUPPE SACHSEN) auf DE.INDYMEDIA.ORG und 26. November: Mitglieder und eine Immobilie der SACHSENGARDE wurden auf dem Social-Media-Kanal "@naziwatchemnitz" auf der Plattform "X" (vormals Twitter) und der Internetseite "chemnitz.noblogs.org" bekannt gemacht. "Antifaschistischer Jugendkongress" Vom 25. bis 27. August fand der achte nicht extremistische "Antifaschistische Jugendkongress" (Juko) unter dem Motto "Antifa International" im "Alternativen Jugendzentrum Chemnitz" statt. Neben Nichtextremisten waren auch in diesem Jahr linksextremistische Gruppen in die Organisation und Durchführung der Veranstaltungen eingebunden. PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) und UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) mobilisierten wie in den vergangenen Jahren für eine Teilnahme am Kongress. Dem Motto des Kongresses entsprechend, standen inhaltlich die "antifaschistischen Kämpfe in anderen Ländern" im Vordergrund. So behandelten die Workshops und Vorträge u. a. die Themen "Faschismus und Faschisten in Rumänien", "Zur Geschichte des 'militant Antifascism' in den USA" und "Russian World oder wie Putin 'Antifaschismus' vereinnahmt hat". Ebenso fand eine Veranstaltung zum Thema "Anarchie! Wenn aus Spaß ernst wird..." statt, die grundsätzliche Inhalte zu einem klassischen linksextremistischen Themenfeld vermittelte. Der Kongress diente einerseits dem Erfahrungsaustausch und andererseits der Stärkung des Zusammenhalts linksextremistischer Gruppen untereinander sowie zwischen nicht extremistischen und linksextremistischen Akteuren. Ein wesentliches Ziel war zudem die Stärkung von Strukturen außerhalb der urbanen Zentren der AUTONOMEN SZENE. Erst durch derartige regelmäßige Treffen werden die hierfür notwendigen, mobilisierungsrelevanten Vernetzungen linksextremistischer Gruppen geschaffen. AUTONOME in den sächsischen Landkreisen In den Landkreisen des Freistaates Sachsen waren auch im Berichtsjahr lediglich Einzelpersonen der linksextremistischen Szene zuzurechnen. Relevante Aktivitäten wurden - mit Ausnahme der nachfolgend dargestellten - nicht bekannt. Im September 2021 wurde ein Waldstück in der Nähe von Ottendorf-Okrilla (Landkreis Bautzen) unter dem Motto "Heibo bleibt" besetzt. Sowohl in diesem Rahmen als auch bei der im Februar 2023 erfolgten Räumung durch die Polizei waren linksextremistische Bezüge erkennbar. In der Gesamtschau konnte bilanziert werden, dass die symbolträchtige Besetzung Seite 147 von 242 des "Heibo" als weiterer Ausdruck des Aktionspotenzials der Klimaschutzbewegung nicht die hohe Öffentlichkeitswirkung erzielte wie vorausgegangene Dorfund Waldbesetzungen. Überregionale Anreisen von Linksextremisten in größerer Zahl, wie in Lützerath, im "Hambi" (Hambacher Forst, beides Nordrhein-Westfalen) sowie im "Danni" (Danneröder Forst, Hessen) waren beim "Heibo" nicht zu verzeichnen. Dafür war der Ort offenbar zu abgelegen und demzufolge zu schwer zu erreichen. Außerdem stießen die "Heibo"-Aktivisten - anders als teilweise im Kohlerevier NRW - nur auf wenig positive Resonanz in der Bevölkerung. Gleichwohl solidarisierten sich Linksextremisten schon früh mit den "Heibo"-Besetzern. Mit zunehmender zeitlicher Nähe zur Räumung verstärkten sich die polizeifeindlichen sowie kapitalismuskritischen Äußerungen der Aktivisten aus dem "Heibo" selbst. Zugleich verdichteten sich die Hinweise auf eine Einbindung linksextremistischer Akteure aus der Region u. a. in Bezug auf die Belieferung mit Material sowie die Vermittlung von Kletterfähigkeiten bzw. Rechtshilfe. Die Besetzer errichteten Baumhäuser, Plattformen und Bodenstrukturen. Um den Behörden eine Räumung zu erschweren, wurden zudem zahlreiche Blockaden, wie z. B Gräben, Holzsperren und sog. Tripods gebaut. Im Zuge der Räumung wurden die Einsatzkräfte aus einigen Baumhäusern heraus mit Ästen und Werkzeugen beworfen. Außerdem wurden zwei Nebeltöpfe gezündet. Am 15. Februar, dem ersten Tag der Räumung, riefen die URA DRESDEN und ANARCHISTEN über die sozialen Medien zu einer spontanen Demonstration in Dresden auf, mit der sich diese Linksextremisten solidarisch mit den "Heibo"-Besetzern zeigten. Aus der Menge heraus wurden neben Ausrufen wie "A.C.A.B." auch Pyrotechnik in Form von drei Rauchkörpern gezündet. Ein Transparent hatte die Aufschrift "Heibo bleibt" mit einem Anarcho-A. Während sich die Redebeiträge anfangs noch auf das Thema Klimaschutz bezogen, rückte dieses im Verlauf der Versammlung immer weiter in den Hintergrund, bis ausschließlich die Ablehnung der polizeilichen Maßnahmen Themenschwerpunkt war. Am 16. Februar setzten unbekannte Täter in Leipzig-Connewitz vier Fahrzeuge des Sachsenforstes in Brand. In einem Selbstbezichtigungsschreiben bekannten sich unbekannte Verfasser zu der Tat. Unter der Überschrift "Fahrzeuge vom Sachsenforst angezündet - Heibo Bleibt!" hieß es: "Wir haben uns entschieden, den Sachsenforst als Hauptverantwortlichen für die Räumung und Rodung anzugreifen." Der Sachschaden belief sich auf über 100.000 Euro. Das LfV Sachsen geht wegen des Modus Operandi von einer Beteiligung von Linksextremisten an dieser Straftat aus. Die Räumung des "Heibo" wurde von der linksextremistischen Szene im Freistaat Sachsen insgesamt scharf verurteilt. URA DRESDEN, PRISMA, REVOLUTION und JUGEND IM KAMPF solidarisierten sich mit den Besetzern und kritisierten die Polizeimaßnahmen entsprechend ihres Aktionsfeldes "Antirepression". Zudem veröffentlichten anonyme Autoren auf der linksextremistischen Onlineplattform DE.INDYMEDIA.ORG Aufrufe, welche die Verübung von Straftaten als legitime Reaktion auf die Räumung ansahen. Es wurde im Berichtsjahr allerdings erneut deutlich, dass die AUTONOME SZENE in den Landkreisen weder über entsprechende Personennoch über relevante Aktionspotenziale verfügt. Mobilisierungen und linksextremistische Aktivitäten rund um den "Heibo" wurden ausschließlich von den Szene-Strukturen in Leipzig und Dresden organisiert, durchgeführt und in den sozialen Medien dargestellt. Die einzelnen, in den Landkreisen lebenden Linksextremisten, wären hierzu nicht in der Lage gewesen, haben sich aber an den Aktionen mutmaßlich beteiligt. Seite 148 von 242 4.5 ANARCHISTISCHE GRUPPIERUNGEN Struktur und politische Zielsetzung Die ANARCHISTISCHEN GRUPPIERUNGEN in Sachsen fordern die Auflösung des demokratischen Rechtsstaates zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft. In ideologischer Hinsicht sind bei ihnen fließende Übergänge zu ähnlichen oder verwandten linksextremistischen Gruppierungen, wie den AUTONOMEN, feststellbar. Insbesondere der Anarchosyndikalismus weist im Gegensatz zu den AUTONOMEN einige spezielle Merkmale, wie einen höheren Organisationsgrad, auf. Allein schon dadurch können sich ANARCHISTISCHE GRUPPIERUNGEN deutlich von den AUTONOMEN unterscheiden. Organisationsgebundene und -ungebundene ANARCHISTEN sind im Freistaat Sachsen hauptsächlich in Dresden und Leipzig vertreten. Rolle der Gewalt ANARCHISTEN sehen sich analog zu AUTONOMEN als Opfer von staatlicher Gewalt, ausgeübt durch die sog. "Repressionsorgane" Polizei und Justiz. Eigene Gewaltausübung halten sie deshalb für ein legitimes Mittel der politischen Meinungsäußerung. Aus ihrer Sicht gibt es bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt ausdrücklich rechtfertigen. Im Nachgang zu einer Brandstiftung an einem Fahrzeug des Unternehmens "Spie" am 26. April in Leipzig schrieben selbsternannte "anarchist:innen" in einem Bekennerschreiben auf der auch von Linksextremisten genutzten Internetplattform "knack.news": "Aus Solidarität mit allen Personen, die im Gefängnis oder auf der Straße kämpfen haben wir heute Nacht ein Auto der Knastbaufirma Spie abgefackelt. [...] Nichts bringt unsere Herrschaftsfeindlichkeit so zum Ausdruck [...], wie eine ihrer Maschinen in Flammen!"125 Darüber hinaus drückt sich die Gewaltbefürwortung der ANARCHISTEN im Versammlungsgeschehen aus. So hieß es in einem auf der Internetseite des ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN (ABC DRESDEN) veröffentlichten Redebeitrag anlässlich des "Anarchistischen 1. Mai" in Dresden wie folgt: "Und wenn die Bedingungen es erfordern, werden die Anarchist*innen zu den Waffen greifen, so wie es die Generationen vor uns getan haben." Demgegenüber lässt die organisationsgebundene anarchistische Gruppierung FREIE ARBEITER*INNEN-UNION (FAU) die Frage nach der Anwendung von Gewalt als legitimem Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele offen. 4.5.1 FREIE ARBEITER*INNEN-UNION (FAU) Sitz Krefeld (Nordrhein-Westfalen) Geschäftskommission der FAU Gründung 1977 Hauptorganisation / FREIE ARBEITER*INNEN-UNION (FAU) übergeordnete Gruppierung 125 Schreibweise wie im Original Seite 149 von 242 Teilorganisationen in Sachsen * ALLGEMEINES SYNDIKAT DRESDEN DER FAU (FAU DRESDEN) * FAU SEKTION ERZGEBIRGSKREIS (FAU ERZ, Teil der FAU DRESDEN) * FAU SEKTION FREIBERG (Teil der FAU DRESDEN) * FAU SEKTION CHEMNITZ (FAU CHEMNITZ, Teil der FAU DRESDEN) * ALLGEMEINES SYNDIKAT LEIPZIG DER FAU (FAU LEIPZIG) * FAU PLAUEN Internetseiten sowie Profile der vorgenannten Internetauftritte sächsischen Syndikate in den sozialen Medien "Direkte Aktion" (Onlinezeitung, unregelmäßig) Publikation Personenpotenzial / 2023 2022 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 80 ca. 80 bundesweit ca. 1.400 Finanzierung Mitgliedsbeiträge Kurzportrait / Ziele Die FAU versteht sich als ein Zusammenschluss von lokalen, unabhängigen, basisdemokratischen Gewerkschaften, den Syndikaten. Sie bezeichnet sich selbst als "klassenkämpferische Gewerkschaftsföderation". Die in der FAU vereinten Syndikate bilden die mitgliederstärkste anarchistische Organisation in Deutschland. In Sachsen ist sie spätestens seit Mitte der 1990er Jahre aktiv. Im Unterschied zum Anarchismusverständnis AUTONOMER, die eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung favorisieren, verfügt die FAU über eine feste theoretische und organisatorische Basis. Ereignisse / Entwicklungen 2023 FAU LEIPZIG und FAU DRESDEN sind die aktivsten sächsischen Syndikate. FAU PLAUEN etablierte sich im Oktober als eigenständiges Syndikat. Organisation eigener Kundgebungen und Beteiligung an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Seite 150 von 242 Ideologie Das Ziel der FAU ist die Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. In ihrer Zeitschrift "Direkte Aktion", die sich nach eigenen Angaben "auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt", heißt es dazu unmissverständlich: "Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. [...] Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab." Mit diesem Selbstverständnis steht die FAU im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In ihrem Grundlagentext "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der FREIEN ARBEITER*INNENUNION (FAU)" wird das Ziel der "Überwindung des Kapitalismus" manifestiert, da dieser "auf der Ausbeutung durch diejenigen beruht, die über die Produktionsmittel verfügen". Außerdem zielt die FAU darauf ab, den Staat zu zerschlagen und an dessen Stelle eine "Föderation der Syndikate" (basisdemokratische Gewerkschaften) treten zu lassen. Das "Syndikat" wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes in einer anarchistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung angesehen, die im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Strategie Vor allem im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure, ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Außerdem nimmt das Themenfeld "Antirepression" bei Anarchisten der FAU einen hohen Stellenwert ein, indem beispielsweise das "Knastsystem" der Bundesrepublik Deutschland in Frage gestellt wird. Struktur und Aktivitäten der Syndikate in Sachsen Die FAU SEKTIONEN ERZGEBIRGSKREIS, CHEMNITZ und FREIBERG gehörten im Berichtsjahr weiterhin organisatorisch dem Dresdner Syndikat an. Die FAU PLAUEN, welche zuvor organisatorisch der FAU JENA angeschlossen war, erreichte im Herbst des Berichtsjahres den Status eines eigenen Syndikates. Die Mitgliederzahlen blieben auch im Berichtsjahr konstant. Anarchosyndikalistische Gruppen treten im Freistaat Sachsen mit eigenen Aktionen öffentlich auf oder beteiligen sich an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Dabei zeigten sich im Berichtsjahr jedoch regionale Unterschiede zwischen den FAU-Akteuren, was sowohl den Umfang und die Intensität von Aktionen als auch die Wahl der Mittel betraf. Seite 151 von 242 Räumliche Schwerpunkte: Dresden Einen Schwerpunkt der FAU in Sachsen bildet das mitgliederstarke ALLGEMEINE SYNDIKAT DRESDEN DER FAU (FAU DRESDEN). Dessen Präsenz spiegelte sich im Berichtsjahr auch in den sozialen Medien wider. Um ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen, beteiligte sich die FAU DRESDEN an sozialkritischen, nicht extremistischen Protesten unter Einsatz ihrer schwarz-roten Fahnen sowie von Transparenten. Beispielhaft dafür standen die Aktivitäten der FAU DRESDEN am 1. Mai. Anlässlich des jährlichen Versammlungsgeschehens gab es unter dem Motto "Anarchistischer 1. Mai" nach einer Demonstration mehrere Informationsstände ANARCHISTISCHER GRUPPIERUNGEN, darunter der FAU DRESDEN. Diese Präsenz soll der Gruppierung Eigenangaben zufolge einen Mitgliederzuwachs beschert haben. Außerdem bot die FAU DRESDEN Unterstützung bei arbeitsrechtlichen Konflikten an. Diese äußerte sich in regelmäßig stattfindenden Sprechstunden sowie in der Organisation juristischen Beistands für Betroffene bei Arbeitskämpfen und durch eine Kundgebung anlässlich des Verfahrens eines FAUMitglieds gegen einen Lieferdienst vor dem Arbeitsgericht Dresden. Leipzig Im Berichtszeitraum führte die FAU LEIPZIG öffentlichkeitswirksame Aktionen für eigene Mitglieder durch. Wie in den Vorjahren unterstützte sie im Rahmen von Kundgebungen Arbeitskämpfe ihrer Mitglieder beispielsweise im Sportgewerbe (Fitnessstudio) und berichtete zudem in den sozialen Medien ausführlich über anhängige bzw. abgeschlossene Verfahren bei Arbeitsgerichten. Um ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit weiter zu erhöhen, setzt die FAU LEIPZIG bewusst auf die Nutzung verschiedener Kanäle in den sozialen Medien und bietet regelmäßige Beratungen in ihrem Büro an. Die FAU LEIPZIG ist der FAU DRESDEN hinsichtlich ihres Aktionsund Mitgliederpotenzials ebenbürtig. Fazit Unverändert macht die FAU insbesondere durch die Unterstützung lokaler Arbeitskämpfe sowie die Mobilisierung für und Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, wie am 4. März vor der JVA Chemnitz anlässlich des "feministischen Kampftages im Knast" oder am 1. Mai, auf sich aufmerksam. Ihr Personenpotenzial ist stabil, konzentriert sich aber weiter vorrangig auf die urbanen Zentren. Dort sind die Syndikate schwerpunktmäßig mit Beratungen und Versammlungen im Bereich prekärer Beschäftigungsverhältnisse aktiv, was ihrem Verständnis von anarchosyndikalistischer "Basisarbeit" entspricht. 4.5.2 ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN (ABC DRESDEN) Sitz Dresden Gründung seit 2014 aktiv; im Jahr 2023 vom LfV Sachsen als erwiesene linksextremistische Bestrebung eingestuft Hauptorganisation / ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN (ABC DRESDEN) übergeordnete Gruppierung Internetseite sowie Profile in den sozialen Medien Internetauftritte Seite 152 von 242 nicht bekannt Publikation Personenpotenzial / 2023 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 10 (Dresden) Finanzierung nicht bekannt Kurzportrait / Ziele Das ABC DRESDEN versteht sich als ein Rechtshilfeund Gefangenenunterstützungskollektiv für "anarchistische und antiautoritäre Aktivist\*innen, deren Ideen anarchistische Grundsätze nicht wiedersprechen."126 Ziel ist die Abschaffung des demokratischen Rechtsstaates: "Der Staat ist unser Feind und unsere tägliche politische Arbeit richtet sich voll und ganz gegen ihn." Der Fokus liegt verstärkt auf der Ablehnung des "Bestrafungsund Justizsystems" Ereignisse / Entwicklungen 2023 Öffentlichkeitswirksame Versammlungen vor Justizvollzugsanstalten, Spendensammlungen und dem gemeinschaftlichen Verfassen von Briefen an Gefangene dienende Treffen Seit Kriegsbeginn Veranstaltungen und Spendensammlungen zur Unterstützung von "anarchistischen/antiautoritären" Kräften in der Ukraine Ideologie ABC DRESDEN lehnt das Gewaltmonopol des demokratischen Rechtsstaates, insbesondere seiner Sicherheitsund Justizbehörden, ab. Ziel ist deren Überwindung zur Erreichung einer anarchistischen Gesellschaft. Im Fokus des Kampfes gegen "staatliche Repression" stehen Haftanstalten. Die Erreichung des Endziels, einer "Gesellschaft ohne Knäste", begründet ABC DRESDEN wie folgt: "Diejenigen, die durch Strafe und Gefängnis diszipliniert werden sollen, sind jene Menschen, die schon vorher aufgrund ihrer Klasse, politischen Überzeugung, Ethnizität, Religion, äußerlichen Merkmale (bspw. Hautfarbe) oder Geschlecht durch Regierungen, Institutionen und die Gesellschaft unterdrückt sind. Das macht den Gefängniskomplex zu einer politischen Angelegenheit an sich. [...] So richtet sich unsere Knastkritik gegen das System an sich, und wir vertreten die Meinung, dass jegliche Zwangsanstalten - alle Knäste, Abschiebeknäste, Zwangspsychiatrien - besser Baulücken sein sollten."127 Strategie Im Rahmen öffentlicher Aktionen versucht diese ANARCHISTISCHE GRUPPIERUNG, ihre linksextremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich das ABC DRESDEN vordergründig als Gruppe für die Gefangenenhilfe ausgibt, verschleiert sie, 126 Schreibweise wie im Original 127 Schreibweise wie im Original Seite 153 von 242 dass sie grundsätzlich die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Wegen der intrinsischen Verknüpfung zum Themenfeld "Antirepression" bestehen viele Verbindungen zur AUTONOMEN SZENE und anderen anarchistischen Akteuren wie der FAU. Überschneidungen im Personenund Aktionspotenzial gelten daher als wahrscheinlich. Aktivitäten Um ihren politischen Zielsetzungen im Bereich "Antirepression" Nachdruck zu verleihen, wurden im Berichtsjahr sowohl öffentlichkeitswirksame Versammlungen als auch Hilfen für von der Szene akzeptierte Gefangene organisiert. Aktivitäten in diesem Zusammenhang waren Demonstrationen gegen Gefängnisse am 4. März vor der JVA Chemnitz und am 31. Dezember vor der JVA Dresden, Spendensammlungen und das Schreiben von Briefen an Gefangene. In einem auf der linksextremistischen Online-Plattform DE.INDYMEDIA.ORG und der eigenen Internetseite publizierten Aufruf erklärte die Gruppe: "Das Briefeschreiben sollte zu einem der Rituale werden, die in der revolutionären Bewegung immer präsent sind." Sogenannte Brieffreundschaften gelten innerhalb der Szene als essenziell, um den Kontakt zu anarchistischen Gefangenen aufzubauen und diese zu unterstützen. Inhaftierte werden auf eine Art glorifiziert und unterstützt, dass ihnen möglicherweise beabsichtigte Szene-Ausstiege und Resozialisierungsbemühungen erschwert werden. Seit Beginn des Ukraine-Krieges erschloss sich das ABC DRESDEN mit seinen Aktivitäten zur Unterstützung von Anarchisten in der Ukraine ein Hauptaktionsfeld. Dies offenbarte sich durch die Initiierung von Spendensammlungen und öffentlichen Veranstaltungen, beispielsweise am 24. Februar unter dem Motto "Bis der Kreml niederbrennt!". In Beiträgen auf ihrer Internetseite informiert die Gruppierung detailliert über die angebliche Höhe eingegangener Spenden und deren konkrete Verwendungszwecke. Demnach seien im April 2023 bereits über 300.000 Euro eingegangen, die u. a. für den Erwerb von Schutzausrüstung und sonstigem Equipment für "anarchistische/antiautoritäre" Einheiten verwendet wurden. Insgesamt ist beim ABC DRESDEN eine starke internationale Ausrichtung erkennbar. So beteiligte sich die Gruppe u. a. am sog. "anti-autoritären Treffen Anarchy 2023" in Saint-Imier (Schweiz), das der internationalen Vernetzung Gleichgesinnter dient. Fazit Das ABC DRESDEN stößt mit seinen Aktionen auf eine Akzeptanz sowohl bei anderen ANARCHISTEN als auch bei der AUTONOMEN SZENE. So unterstützen sich diese Linksextremisten beispielsweise gegenseitig bei der Organisation von und der Mobilisierung für Versammlungen. Dies ist durch ihre Verknüpfung zum Aktionsfeld "Antirepression" mit einhergehender Ablehnung der "Repressionsorgane" Polizei und Justiz möglich. Ein gleichbleibendes Aktionsund Mobilisierungsniveau des ABC DRESDEN auch im nächsten Jahr erscheint vor diesem Hintergrund realistisch. 4.6 DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN Unter dem Oberbegriff DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN werden jene Bestrebungen zusammengefasst, die sich zu den Theorien von Marx, Engels und Lenin, der These vom Klassenkampf sowie zur Diktatur des Proletariats bekennen. Gemeinsamer weltanschaulichpolitischer Nenner dieser orthodox-kommunistischen Gruppierungen ist die Ablehnung der Seite 154 von 242 Grundlagen und Wertvorstellungen des demokratischen Verfassungsstaates. Ziel ist die Auflösung der Institutionen der parlamentarischen und rechtsstaatlichen Demokratie. Dem Beobachtungsobjekt DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN werden demnach Personenzusammenschlüsse in Sachsen zugerechnet, die sich ideologisch zum Kommunismus bekennen. Darunter befinden sich sowohl gewaltorientierte als auch nicht gewaltorientierte Organisationen. Erstere schließen den Einsatz von Gewalt als strategisches Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele explizit nicht aus. 4.6.1 Gewaltorientierte DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN 4.6.1.1 ROTE WENDE LEIPZIG Sitz Leipzig Gründung 2016 Hauptorganisation / ROTE W ENDE LEIPZIG übergeordnete Gruppierung Teilorganisationen in Sachsen REVOLUTIONÄRE FRAUEN LEIPZIG JUGEND IM KAMPF Finanzierung nicht bekannt Internetauftritte Internetseite sowie Profile in den Sozialen Medien Publikation nicht bekannt Personenpotenzial / 2023 2022 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 50 ca. 50 (Leipzig) Kurzportrait / Ziele Die ROTE W ENDE LEIPZIG bezeichnet sich als kommunistische Gruppe. Politisches Ziel ist die Etablierung einer aus marxistischer Sicht klassenlosen Gesellschaft in Leipzig. Gewaltanwendung wird als legitimes Mittel zum Zweck betrachtet. Ereignisse / Entwicklungen 2023 Ereignisgeschehen u. a. anlässlich der Aktionsschwerpunkte: "Antikapitalismus": "Unsere Politik, unsere Kämpfe und unsere Ziele sind nicht vereinbar mit dem kapitalistischen System in welchem wir aktuell leben.", "Antifaschismus": "Wir stehen hinter einem militanten Antifaschismus, der den Gegnern einer befreiten Gesellschaft ordentlich Konter gibt! Ein Seite 155 von 242 militanter Antifaschismus, der Bullen, Bonzen und Nazis zeigt, wo der Hammer hängt!", "Antirepression": "Unsere Solidarität gegen ihre Repression! [...] Auch dieses Jahr war wieder einmal stark geprägt von staatlichen Repressionen. Repressionen gegen AntifaschistInnen, KlimaaktivistInnen und allen, die sich gegen dieses ausbeuterische und unterdrückende System zur Wehr setzen."128,"Umwelt und Klima": "Es gibt keinen grünen Kapitalismus! Klimakampf heißt Klassenkampf" Ideologie Die ROTE W ENDE LEIPZIG versteht sich als "traditionell kommunistische" Gruppierung und lehnt die grundgesetzliche Ordnung ab. Ihr Selbstverständnis von der notwendigen Umwälzung der bestehenden Eigentumsund Produktionsverhältnisse, einhergehend mit der Abschaffung des bürgerlichen Staates, manifestiert die Gruppe regelmäßig in Beiträgen auf ihrer Internetseite sowie ihren Profilen in den sozialen Medien. Der bürgerliche Staat und seine politische Ordnung werden als Instrument des Kapitalismus zur Unterdrückung der Arbeiterklasse verstanden. Stattdessen propagiert die ROTE WENDE LEIPZIG eine "befreite, klassenlose Gesellschaft". Das Eintreten der ROTEN W ENDE LEIPZIG für einen gewalttätigen Antifaschismus und gegen Exekutivmaßnahmen der Polizei richtet sich gegen das Gewaltmonopol des Staates und das Recht auf körperliche Unversehrtheit einer jeden Person. In Reaktion auf das Urteil im Prozess gegen Lina E. und die Mitangeklagten äußerte sich die Gruppierung am 31. Mai auf der Plattform "X" (vormals Twitter) wie folgt: "Antifaschismus ist in einem Staat, welcher sich dezidiert als antikommunistisch versteht, selbstverständlich kriminell - Deutschland muss sterben, damit wir leben können!" Strategie Die Gruppe ist in den sozialen Medien präsent, baut regional und überregional Kontakte zu anderen linksextremistischen Gruppen und Bündnissen auf und zeigt sich regelmäßig bei öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen, Kundgebungen, Gedenkund Solidaritätsveranstaltungen. Die ROTE W ENDE LEIPZIG besetzt inhaltlich grundsätzlich anschlussfähige Themen wie Antikapitalismus, Antimilitarismus, Antirepression oder Klimaschutz. Ziel ist es, mit ihren Positionen Sympathisanten zu politisieren, zu organisieren und zu mobilisieren. Dabei wendet sie sich auch gezielt an Jugendliche und Heranwachsende. Aktivitäten Neben der Präsenz in verschiedenen sozialen Medien nahmen die ROTE WENDE LEIPZIG, die REVOLUTIONÄREN FRAUEN LEIPZIG und die JUGEND IM KAMPF im Berichtsjahr regelmäßig an sowohl nicht extremistischen als auch extremistischen öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen, Kundgebungen, Gedenkund Solidaritätsveranstaltungen teil. Dabei wurden ihrer Strategie entsprechend die o. g. Themen besetzt. Beispielsweise beteiligten sich ROTE W ENDE LEIPZIG und REVOLUTIONÄRE FRAUEN LEIPZIG an der Demonstration zum 1. Mai 128 Schreibweise wie im Original Seite 156 von 242 unter dem Motto "Arbeitskämpfe sichtbar machen - Für die soziale Revolution!" in Leipzig. Die Gruppierungen traten hier als geschlossener Block mit eigenen Transparenten (u. a. "Den Klassenkampf organisieren!") auf; die Mitglieder führten rote Stockfahnen und rote Schlauchschals mit. Zum Jahresende beteiligte sich die ROTE W ENDE LEIPZIG am 31. Dezember an einer Kundgebung vor der JVA Leipzig. Ihren auch auf der Homepage veröffentlichten Redebeitrag beendete die Gruppe mit der eindeutigen Positionierung: "Kriminell ist dieses System! Kampf der Klassenjustiz! Knastkampf heißt Klassenkampf!" 4.6.1.2 ROTES DRESDEN Sitz Dresden Gründung 2021; im Jahr 2023 vom LfV Sachsen als linksextremistische Bestrebung eingestuft Hauptorganisation / ROTES DRESDEN übergeordnete Gruppierung Teilorganisationen in Sachsen nicht bekannt Finanzierung nicht bekannt Internetauftritte Internetseite sowie Profile in den soziale Medien Publikation nicht bekannt Personenpotenzial / 2023 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 15 (Dresden) Kurzportrait / Ziele ROTES DRESDEN bezeichnet sich als kommunistische Gruppe. Politisches Ziel ist die Etablierung des Kommunismus: "Es gibt kein Ende der Geschichte für den Kommunismus!". Gewaltanwendung wird als legitimes Mittel zum Zweck betrachtet ("Aufbau einer revolutionären Gegenmacht"). ideologische Nähe und anlassbezogene Kooperation mit der ROTEN W ENDE LEIPZIG und ihren Unterorganisationen Ereignisse / Entwicklungen 2023 Ereignisgeschehen u. a. anlässlich der Aktionsschwerpunkte: "Antikapitalismus": "Die Befreiung der Arbeiter*innen benötigt den Sturz des kapitalistischen Systems", "Antifaschismus": "Wir sind solidarisch mit den verurteilten Antifaschist*innen [Lina E. Seite 157 von 242 u. a.] und werden es auch mit den nächsten sein!", "Antirepression": "Liebe für das Leben heißt Hass auf euren Staat! Wir bleiben militant!", "Umwelt und Klima": "Klimakampf braucht Klassenkampf!" Ideologie ROTES DRESDEN bezeichnet sich als "kommunistische Jugendgruppe aus Dresden". Ideologische Basis der Gruppe sind die Theorien von Karl Marx und Friedrich Engels. Denen zufolge sei die gesamte Menschheitsgeschichte eine Geschichte von Klassenkämpfen. Zwischen diesen Klassen, den "Kapitalist*innen und Arbeiter*innen", existiere ein Widerspruch, welcher letztlich nur durch eine Revolution aufgelöst werden könne. Dies impliziert die Forderung nach der Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere der Elemente der Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsgemäße Ordnung, des Wahlrechts sowie der Ablösbarkeit der Regierung und des Mehrparteienprinzips: "Wir setzen also nicht auf eine Lösung durch Reformen und lehnen es ab, unsere Hoffnungen in bürgerliche Parteien zu setzen. Die Befreiung der Arbeiter*innen benötigt den Sturz des kapitalistischen Systems und die Schaffung "eines Vereins freier Menschen": des Kommunismus." Auch beim Aktionsfeld "Antifaschismus" werden Militanz und Gewaltorientierung der Gruppierung deutlich. "Revolutionärer Antifaschismus" bedeutet für ROTES DRESDEN, "dass man faschistische Umtriebe nicht losgelöst von den aktuellen Verhältnissen betrachten und erst recht nicht bekämpfen kann." Vielmehr würden "Kapitalismus und die bürgerliche Gesellschaft" den Nährboden für Faschismus in der heutigen Gesellschaft bilden. Faschistische Bewegungen würden zudem weltweit an Zulauf gewinnen, weshalb Antifaschismus notwendig sei. "Um so wichtiger ist es, Antifaschismus nicht losgelöst von einer revolutionären Politik zu betrachten, sondern als unverzichtbares Mittel zum Aufbau einer revolutionären Bewegung zu sehen. Reaktionäre bis faschistische Organisationen müssen nicht nur direkt zum Ziel werden, sondern wir haben auch die gesellschaftliche Hegemonie als soziales Verhältnis durch klassenkämpferische Politik und damit Staat, Nation und Kapital direkt anzugreifen".129 Strategie ROTES DRESDEN ist in den sozialen Medien präsent, hält Kontakte zu anderen linksextremistischen Gruppen und Bündnissen und nimmt regelmäßig an öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen, Kundgebungen, Gedenkund Solidaritätsveranstaltungen teil. Inhaltlich beschäftigen sich diese Linksextremisten ebenfalls mit den Themen Antikapitalismus, Antimilitarismus, Antirepression oder Klimaschutz. Ziel ist es, mit ihren Positionen Sympathisanten zu politisieren, zu organisieren und zu mobilisieren. Aktivitäten ROTES DRESDEN hat im Berichtsjahr an zahlreichen Demonstrationen, Kundgebungen und Protestaktionen teilgenommen. Die Veranstaltungen umfassten die gesamte für Linksextremisten relevante Themenbreite von "Antikapitalismus", "Antifaschismus", "Kampf gegen das Patriarchat", "Antirepression" bis zum "Klimakampf". Nach eigener Aussage im 129 Schreibweise wie im Original Seite 158 von 242 Jahresrückblick auf der Plattform "Instagram" beteiligte sich die Gruppe auch an militanten Aktionen, wie beispielsweise an Blockaden im Zusammenhang mit Protesten gegen die IAA130 in München (Banner mit der Aufschrift "Wir hassen Autos und die Bullen - Den automobilen Kapitalismus angreifen!"). Bei einigen Demonstrationen zeigte ROTES DRESDEN eigene Banner und Transparente (z. B. mit der Aufschrift "Krieg den Deutschen Zuständen" auf der Demonstration "Tag der Jugend" am 1. Juni in Leipzig). Die Gruppe ist in den sozialen Medien vertreten und berichtete dort über ihre Aktivitäten. So veröffentlichte sie auf ihrem InstagramKanal beispielsweise einen Jahresrückblick, der verschiedene Beiträge aus 2023 zusammenfasste und mit entsprechenden (Symbol-)Bildern (u. a. Einsatz von Bengalos, Feuerwerkskörper treffen Polizeifahrzeuge oder brennende Kfz im Zusammenhang mit der IAA) unterlegte. Ideologische und organisatorische Verbindungen bestehen zur ROTEN WENDE LEIPZIG und deren Unterorganisationen, weshalb auch gemeinsame Veranstaltungen durchgeführt wurden. Am 8. März reiste ROTES DRESDEN beispielsweise "zu unseren Genoss*innen von den Revolutionären Frauen Leipzig", um in der Messestadt gemeinsam an einer Demonstration teilzunehmen. Fazit ROTE WENDE LEIPZIG und ROTES DRESDEN Binnen weniger Jahre entstanden mit ROTE W ENDE LEIPZIG und nun auch mit ROTES DRESDEN kommunistisch ausgerichtete linksextremistische Gruppierungen jenseits der "verkrusteten" Strukturen der orthodox-kommunistischen Parteien. Offenbar gab es auch in Dresden das Bedürfnis, sich kommunistischen Ideologien auf "moderne" Art und Weise, d. h. mit Auftritten in den sozialen Medien, entsprechenden Themen bzw. Aktionen unter dem Motto "Revolution" und der immer wieder betonten grundsätzlichen Gewaltorientierung, zu öffnen. Somit erleben diese linksextremistischen Ideologieelemente gegenwärtig eine "Renaissance" innerhalb der Szenen in Leipzig und Dresden sowie eine Anschlussfähigkeit für junge, kommunistisch ausgerichtete Menschen. Da Themen wie Inflation, Klimawandel, Streiks, bezahlbarer Wohnraum und soziale Gerechtigkeit im öffentlichen Diskurs sehr präsent sind, dürften sich DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN wie ROTE W ENDE LEIPZIG und ROTES DRESDEN in ihrer ideologischen Ausrichtung bestätigt fühlen und unter Umständen sogar auch eine gewisse gesellschaftliche Akzeptanz hinsichtlich ihrer gewaltfreien Aktionen erfahren. Gegenwärtig kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die grundsätzliche Gewaltorientierung künftig auch einmal in tatsächliche Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner umschlägt. 4.6.2 Nicht gewaltorientierte DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN Zu den nicht gewaltorientierten orthodox-kommunistischen DOGMATISCHEN LINKSEXTREMISTEN zählen die KOMMUNISTISCHE PLATTFORM der Partei "Die Linke" (KPF), die DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) inklusive ihrer Nachwuchsorganisation SOZIALISTISCHE DEUTSCHE ARBEITERJUGEND (SDAJ) und die MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD). Ideologie und Strategie Die DKP und die KPF bekennen sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin. Die Errichtung des Sozialismus soll demnach auf revolutionärem Wege durch die Beseitigung der 130 Die "Internationale Automobil-Ausstellung" gehört zu den größten und international bedeutendsten Automobilfachmessen. Proteste gegen die Veranstaltung aus Umweltschutzgründen begleiteten die Austragung der Messe im Jahr 2023. Seite 159 von 242 bestehenden Gesellschaftsordnung und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erfolgen. So heißt es im nach wie vor aktuellen Programm der DKP: "Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tiefgreifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse erreicht werden." Die Präambel der MLPD weist in dieselbe Richtung: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der Sturz der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Deutschland als Teil der internationalen sozialistischen Revolution." Im Unterschied zu anderen orthodox-kommunistischen Gruppierungen, die sich kaum noch offen auf Stalin oder Mao Tse-tung beziehen, ist bei der MLPD hingegen ein offensives Bekenntnis zu diesen Diktatoren festzustellen. Dies zeigt, dass die MLPD im Gegensatz zur DKP oder KPF nicht nur marxistisch-leninistisch, sondern auch stalinistisch und maoistisch ausgerichtet ist. Mit ihrem ausgeprägten ideologischen Dogmatismus und dem exklusiven Anspruch auf den "wahren Sozialismus" stößt die MLPD jedoch ebenso wie die eng am orthodoxen Marxismus orientierten Gruppierungen DKP und KPF selbst im orthodox-kommunistischen Spektrum auf geringe Akzeptanz. Sie ist auch deswegen weitgehend isoliert. Personenpotenzial Orthodoxe linksextremistische Gruppierungen verfügen im Freistaat Sachsen über ein Potenzial von ca. 80 Personen. Diese haben allerdings nur einen marginalen Einfluss auf den Linksextremismus in Sachsen. Aktivitäten Aufgrund ihres insgesamt geringen Personenpotenzials, aber auch wegen ihrer strukturellen Schwächen, beschränken sich Aktionen dieser Gruppierungen überwiegend auf interne Treffen, Vortragsveranstaltungen und Veröffentlichungen im Internet. Gelegentlich treten orthodoxe linksextremistische Organisationen mit eigenen Kundgebungen oder Informationsständen öffentlich auf oder beteiligen sich an nicht extremistischen Versammlungen. Fazit Orthodox-kommunistische Parteien oder Gruppierungen sind aufgrund ihres inhaltlichen Dogmatismus sowie ihrer autoritär-zentralistischen Strukturen innerhalb der linksextremistischen Szene weitgehend isoliert. Aufgrund des überwiegend hohen Alters ihrer Mitglieder sind sie auch nicht im Bereich des aktionsorientierten Linksextremismus vertreten. Mit ihren Aktivitäten erreichen sie nur wenige Personen. 4.7 ROTE HILFE E.V. (RH) Sitz Göttingen (Niedersachsen) Bundesgeschäftsstelle Gründung 1975 Seite 160 von 242 Hauptorganisation / ROTE HILFE E.V. übergeordnete Gruppierung Teilorganisationen in Sachsen RH ORTSGRUPPE LEIPZIG RH ORTSGRUPPE DRESDEN RH REGIONALGRUPPE SÜDWESTSACHSEN (ORTSGRUPPEN CHEMNITZ UND PLAUEN) Finanzierung Mitgliedsbeiträge anlassbezogene Spendenaktionen Internetauftritte Internetseiten sowie Profile sächsischer Ortsund Regionalgruppen und der Bundesorganisation auf "X" (vormals Twitter) Publikation "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich und als Online-Magazin) Personenpotenzial / 2023 2022 Mitgliederentwicklung 131 Sachsen ca. 575 ca. 132 550 bundesweit 13.100 Kurzportrait / Ziele Ziel des Vereins ist die juristische und finanzielle Unterstützung von Strafund Gewalttätern des "linken" Spektrums, z. B. bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten. Die Funktion des Vereins besteht darin, den inneren Zusammenhalt im Linksextremismus zu stärken und seine Strukturen aktionsfähig zu halten. Neben Linksextremisten gehören auch Nichtextremisten zu den Vereinsmitgliedern. Ereignisse / Entwicklungen 2023 steigende Mitgliederzahlen in Sachsen Aktionsschwerpunkt "Antirepressionsarbeit 131 Schätzung des LfV Sachsen (mit Mehrfachmitgliedschaften, also Mitgliedschaft einer Person in mehreren extremistischen Gruppierungen/Organisationen gleichzeitig) 132 Schätzung des LfV Sachsen (mit Mehrfachmitgliedschaften) Seite 161 von 242 Ideologie Die RH wird von Linksextremisten unterschiedlicher ideologisch-politischer Ausrichtung getragen. Sie versteht sich laut ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die sich im "Kampf gegen die staatliche Repression" und "die politische Justiz" engagiert. Die RH versteht Maßnahmen der Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs als Mittel der Machthaber zur Herrschaftssicherung und zielt damit auf eine Diskreditierung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Institutionen ab. Deren Handeln sei rein politisch motiviert, willkürlich sowie grundund menschenrechtswidrig. So deutet die RH z. B. die AntiTerror-Gesetze als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr gelten" würden. Vordergründiges Anliegen der RH ist die finanzielle und politische Unterstützung von Strafund Gewalttätern des "linken" Spektrums, "die in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden". Die RH unterstützt sie in Strafverfahren mit Geldbeträgen und sichert ihnen Solidarität zu. Außerdem betreut sie "politische Häftlinge", um deren Bindung an die linksextremistische Szene während der Haft und darüber hinaus zu erhalten. Strategie Die RH unterstützt einen politisch motivierten Straftäter nur dann, wenn er auch weiterhin zu seiner Tat steht. Eine Zusammenarbeit mit Behörden, z. B. zur Verringerung des zu erwartenden Strafmaßes, wertet die RH als Preisgabe der politischen Positionen und als Verrat an der gemeinsamen Sache. So wird das Bestreiten eines Tatvorwurfes vom Bundesvorstand "[...] als Distanzierung von der politischen Aktion bewertet und die beantragte Unterstützung nicht bewilligt." Dies gilt auch für Fälle, bei denen die Tat "entpolitisiert" wird, indem diese beispielsweise verharmlosend als "Jugendsünde" dargestellt wird. Bereits bei Tätigung entsprechender Aussagen des Betroffenen vor Gericht kürzt die RH ihren Unterstützungssatz. Auch mittels öffentlichkeitswirksamer Informationsveranstaltungen oder veröffentlichter Stellungnahmen versucht die RH, den Rechtsstaat zu diskreditieren, der aus ihrer Sicht vor allem daran arbeite, "linken Protest zu kriminalisieren" bzw. "Widerstand" zu "diffamieren". Personenpotenzial Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Mitgliederzahl der RH in Sachsen auf einen neuen Höchststand von ca. 575 Personen an und folgt damit dem bundesweiten Trend, der einen anhaltenden Wachstumsprozess abbildet. Die Mitgliederzahlen der RH wirken sich allerdings nicht auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksextremisten aus, da die Mitglieder der RH häufig zugleich Mitglied in anderen linksextremistischen Bestrebungen sind und andererseits nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgen. Seite 162 von 242 Strukturen Örtlich gliedert sich die RH in selbstständig arbeitende Ortsbzw. Regionalgruppen. In Sachsen sind dies die ORTSGRUPPEN LEIPZIG, DRESDEN sowie die REGIONALGRUPPE SÜDWESTSACHSEN mit den ORTSGRUPPEN CHEMNITZ und PLAUEN. Organe sind die Bundesdelegiertenversammlung und der Bundesvorstand. Die vom Bundesvorstand gefassten Beschlüsse setzen die Ortsgruppen eigenverantwortlich um. Sie sind gegenüber dem Bundesvorstand rechenschaftspflichtig. Aktivitäten Aktionsschwerpunkt der RH ist die Antirepressionsarbeit. Sie stellt Broschüren und Flyer wie zum Beispiel "Rote Hilfe Info zu Strafbefehlen " und "Was tun wenn's brennt?!" oder die sog. "Aussageverweigerungsbroschüre" zur Verfügung. Weiterhin beschreibt sie die Arbeit der staatlichen Behörden und gibt Verhaltensrichtlinien gegen die von ihr empfundene staatliche "Repression" heraus, beispielsweise in einem im Internet veröffentlichten Beitrag namens "Anna und Arthur halten die Augen offen!". Die Unterstützung der Angeklagten im Prozess gegen Lina E. und drei weitere Personen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden133 wurde bis Prozessende fortgeführt. Übereinstimmend dazu ergaben die Vorwürfe gegen Beschuldigte im sog. "Budapest-Komplex"134 ein weiteres Betätigungsfeld im Berichtsjahr. Im Dezember wurde diesbezüglich ein mutmaßlich Tatverdächtiger in Berlin verhaftet, was auch durch die RH aufgegriffen wurde. Die RH ORTGRUPPE LEIPZIG schrieb dazu auf der Plattform "X" (vormals Twitter): "Wir werden die Jagd der Behörden auf unsere Leute nicht still und heimlich erdulden. Der Antifaschismus ist so notwendig wie eh und je und er lässt sich nicht verbieten und nicht einsperren!"135 In ihren Ortsgruppen führt die RH regelmäßig Rechtsberatungen zu Themen wie "Umgang mit Staatspost, Polizeiübergriffen und anderweitiger Repression" durch. Mit Hinweisen zum Schutz vor Strafverfolgung sowie dem Angebot politischer und materieller Hilfe mindert sie die abschreckende Wirkung strafrechtlicher Sanktionen. Sie flankiert die von ihr als besonders spektakulär empfundenen Fälle von "Repression" durch entsprechende Kampagnen, Presseerklärungen oder Solidaritätskundgebungen. So mobilisierte sie wegen des erwarteten Protestgeschehens im Nachgang zur Urteilsverkündung im Prozess gegen Lina E., dem sog. "Tag X", zu verschiedenen Informationsveranstaltungen. Dazu gehörte beispielsweise die Veranstaltung "Staying clean - Repression bei Demos vermeiden" am 20. April in Leipzig. Im Zuge der nachträglichen Aufarbeitung des "Tag X"-Protestgeschehens stellte die RH umfangreiches Informationsmaterial für "Repressionsbetroffene" bereit und bot Rechtsberatungen an. Die RH äußerte sich zum Verfahren gegen Lina E. und die weiteren Angeklagten wie folgt: "Man kann der Meinung sein, dass Gewalt im Kampf gegen Nazis mehr Schaden als Nutzen hervorbringt [...]. Aber man muss sich auch ins Bewusstsein rufen: Es gibt Nazis und Faschist*innen. Wenn die ungestört machen können, was sie wollen, besteht diese Welt nur noch aus Stacheldraht, Gewalt und den Leichen ihrer Opfer. Und es gibt Menschen, die beschlossen haben, dass sie dem faschistischen Treiben nicht tatenlos zusehen oder sich darauf verlassen werden, dass irgendwer anders irgendwann schon irgendwas unternehmen wird. [...] Antifa heißt mehr als Nazis jagen, Antifa heißt das Ganze hinterfragen." Damit brachte die RH zum Ausdruck, dass Faschismus nur durch Militanz und nicht durch den Rechtsstaat zu bekämpfen sei. Dieser ist der Lesart von Linksextremisten zufolge ebenfalls 133 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME 134 vgl. Beitrag II.4.4 AUTONOME 135 Schreibweise wie im Original Seite 163 von 242 von "Faschisten" durchsetzt, weshalb es notwendig sei, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Hinsichtlich ihres Aktionsniveaus galt die RH ORTSGRUPPE LEIPZIG im Berichtsjahr erneut als aktivste sächsische Ortsgruppe der RH. Fazit Die Antirepressionsarbeit bleibt das zentrale Aktionsfeld der RH. Während des Berichtszeitraums standen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Lina E. und drei weitere Angeklagte erneut deutlich im Vordergrund. Die in diesem Zusammenhang erfolgten Aktivitäten ermöglichten der RH, für ihr "Leistungsportfolio" zu werben und durch dessen gezielte Anwendung Wirkung zu entfalten. Im Ergebnis konnte diese linksextremistische Gruppierung auch im Freistaat Sachsen ihre Mitgliederzahl steigern. 4.8 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund Im Freistaat Sachsen ist die Gesamtzahl der linksextremistischen Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um ca. acht Prozent gestiegen. Parallel dazu stieg die Anzahl der Gewaltdelikte136 im Vergleich zum Vorjahr um ca. neun Prozent. Der Anteil der Gewalttaten am gesamten linksextremistischen Straftatenaufkommen lag im Berichtsjahr bei ca. 24 Prozent und erreichte damit im Vergleich zu den Vorjahren einen neuen Höchststand. Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund 1500 1286 1084 1003 1000 804 linksextremistische Straftaten 742 insgesamt davon Gewalttaten 500 230 174 191 117 114 0 2019 2020 2021 2022 2023 136 Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist die Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität (PMK), die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt. Sie umfasst u. a. Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch und Widerstandsdelikte; siehe hierzu auch unter www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts/PMKrechts.html (Stand: 7. Juni 2021) Seite 164 von 242 Wie schon in den Vorjahren wurden die meisten linksextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten in den Städten Leipzig und Dresden - den Zentren der AUTONOMEN SZENE in Sachsen - verübt. Dabei ist festzustellen, dass sich in Leipzig die Anzahl der Straftaten insgesamt kaum signifikant veränderte, während die Zahl der Gewalttaten deutlich über dem Niveau des Vorjahres lag. Dresden und Chemnitz steigerten sich in Bezug auf die Anzahl der Straftaten, verzeichneten dagegen jedoch einen Rückgang bei den verübten Gewalttaten. In den Landkreisen lag das Straftatenaufkommen weiterhin auf niedrigem Niveau, wobei die Landkreise Zwickau, Bautzen und Görlitz erhebliche Anstiege gegenüber den Vorjahren verzeichneten. Diese Entwicklung war zurückzuführen auf aktionsorientierte linksextremistische Einzelpersonen. In den drei Großstädten wurden etwa 77 Prozent aller linksextremistischen Straftaten begangen (2022: ca. 82 Prozent). Bei den Gewalttaten ist die unterschiedliche Verteilung zwischen Großstädten und dem ländlichen Raum noch deutlicher. So wurden ca. 91 Prozent aller Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund in Leipzig, Dresden und Chemnitz registriert (2022: ca. 95 Prozent). Das Gewalttatenaufkommen entwickelte sich in den Großstädten dabei unterschiedlich. Während in Leipzig ein Anstieg um ca. 17 Prozent zu verzeichnen war, blieben die Gewalttaten in Dresden und Chemnitz hingegen auf dem niedrigen Niveau des Vorjahres. Verantwortlich für die Entwicklung der Gesamtzahl dürfte einerseits das Ereignisgeschehen um den "Tag X" gewesen sein137, das Linksextremisten den Anlass für die Begehung schwerer Strafund Gewalttaten gab. Andererseits agierten Teile der linksextremistischen Szene aufgrund der Ermittlungstätigkeiten und Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden zurückhaltender. Dies dürfte ein Grund dafür sein, dass das Niveau der Gewalttaten nicht noch stärker anstieg. Allerdings traf diese Zurückhaltung nur bedingt auf die Szene in Leipzig zu. Gemessen am Straftatenaufkommen zeigten sich die dort ansässigen Linksextremisten weitestgehend unbeeindruckt von Exekutivmaßnahmen. Der Anstieg der Gewaltdelikte im Berichtsjahr ist ein Indiz dafür, dass für Linksextremisten die Anwendung von Gewalt weiterhin ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist, mit dem Ziel, den politischen Willensbildungsprozess in ihrem Sinne zu beeinflussen. Beispielgebend für diese Einschätzung sind vor allem folgende, mutmaßlich linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten: Am 12. Januar setzten unbekannte Täter in Leipzig sechs Fahrzeuge in Brand, welche auf dem umfriedeten Gelände einer Autovermietung standen. Gemäß dem auf der linksextremistischen Online-Plattform DE.INDYMEDIA.ORG veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben wurde die Autovermietung als Angriffsziel ausgewählt, weil sie "mit den Feinden unserer Freiheit [kooperiert] und dafür zahlen [muss]." Die Verfasser des Schreibens identifizierten sich als "Anarchist:innen" und widmeten die Gewalttat "allen anarchistischen Gefangenen, die vom Staat inhaftiert sind und für all die anderen, die draußen weiter kämpfen. [...] Für eine internationale Solidarität voll Hass und Leidenschaft!". Am 16. Januar setzten unbekannte Täter fünf Fahrzeuge der Deutschen Post bzw. von DHL in Leipzig in Brand. Dem Tatbekenntnis auf DE.INDYMEDIA.ORG zufolge reagierten die Akteure damit auf eine Hausdurchsuchung in Connewitz: "[wir] schlagen vor, (weiterhin) jede Hausdurchsuchung mit nächtlichen Aktionen zu rächen und haben selber mal mit über 100.000 EUR Schaden vorgelegt. Solidarische Grüße an alle ungehorsamen Klimaaktivistis [...] Solidarische Grüße an alle Menschen im Knast. Die Flammen waren auch für euch!" Am 30. Januar übergossen unbekannte Täter in Leipzig vier Fahrzeuge mit einer unbekannten braunen Substanz und zerstachen zusätzlich alle Reifen. In einem Selbstbezichtigungsschreiben auf der auch von Linksextremisten genutzten 137 vgl. Kapitel II.4.4 AUTONOME Seite 165 von 242 Internetseite "knack.news" begründeten selbsternannte "Anarchist:innen", dass man gezielt Fahrzeuge der Stadt Leipzig ausgewählt habe, um auf die von staatlichen Institutionen ausgehende "Unterdrückung" hinzuweisen: "Seien es die städtischen Mitarbeiter:innen, die als vermeintlich neutrale Beobachter:innen bei Hausdurchsuchungen eingesetzt werden, das rassistische System der Ausländerbehörden, die Bevölkerungskontrolle der Meldeämter, die Hilfsbullen der Polizeibehörden oder die repressiven Versammlungsbehörden. [...] sie alle sind in kommunaler Hand und reproduzieren die autoritären und rassistischen gesellschaftlichen Verhältnisse." Aufteilung nach Landkreisen und kreisfreien Städten linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2021 2022 2023 2021 2022 2023 Leipzig (Stadt) 327 445 437 80 133 156 Dresden (Stadt) 386 135 148 24 26 17 Chemnitz (Stadt) 45 30 35 1 7 1 Vogtlandkreis 21 5 10 0 1 0 Lkr. Zwickau 32 16 41 0 2 3 Erzgebirgskreis 36 6 10 0 0 1 Lkr. Mittelsachsen 41 36 24 2 0 5 Lkr. Meißen 14 18 23 0 1 1 Lkr. Sächs. Schweiz20 15 13 0 1 0 Osterzgebirge Lkr. Bautzen 13 14 22 1 1 5 Lkr. Görlitz 25 5 20 0 0 1 Lkr. Leipzig 28 12 12 2 2 1 Lkr. Nordsachsen 15 5 9 4 0 0 Freistaat Sachsen 1003 742 804 114 174 191 Seite 166 von 242 5. Islamismus Personenpotenzial bleibt im Bundesvergleich weiterhin auf niedrigem Niveau bewusster Missbrauch der Religion für verfassungsfeindliche Zielsetzungen Schwerpunkte salafistischer Strukturen in Leipzig; Neubau eines Moscheegebäudes der AL-RAHMAN-MOSCHEE Legalistischer Islamismus mit "Wolf im Schafspelz"-Strategie konzentriert sich auf Dresden Antiisraelische, antisemitische und den Angriff der HAMAS auf Israel relativierende Reaktionen abstrakte Gefahr von Terroranschlägen Seite 167 von 242 5.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Der Islam als Religion und seine Ausübung werden nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Dem gesellschaftlichen Beobachtungsauftrag unterliegen jedoch islamisch-extremistische, d. h. religiös-politisch motivierte Organisationen und Einzelpersonen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Die Begriffe "Islam" und "Islamismus" sind deshalb deutlich voneinander zu unterscheiden. Islamismus beginnt dort, wo islamische Gebote und Normen für politische Handlungsanweisungen instrumentalisiert werden. Sämtliche Strömungen des Islamismus, so etwa der Salafismus, missbrauchen die Religion bewusst für ihre politischen Zielsetzungen. Dabei werden lediglich solche Teile der religiösen Überlieferungen zitiert und häufig auch passend umgedeutet, welche extremistische Narrative stützen. Islamisten sehen im Islam nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche - angefangen von der Staatsorganisation über zwischenmenschliche Beziehungen bis hin zu Vorgaben für das Privatleben jedes Einzelnen. Die von ihnen propagierte Existenz einer von Gott gewollten und demzufolge "wahren" und absoluten Ordnung steht hiernach über den von Menschen gemachten Regeln und Gesetzen. Unter Berufung auf die Religion streben Islamisten somit die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an und wollen diese durch ein ausschließlich auf Koran, Sunna138 und Scharia139 basierendes Gesellschaftssystem ersetzen bzw. umgestalten. Damit stehen Islamisten insbesondere im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der Trennung von Staat und Religion, der freien Meinungsäußerung und der allgemeinen Gleichberechtigung. 138 Sunna ("gewohnte Handlung, eingeführter Brauch") bezeichnet im Islam die Tradition bzw. die Handlungsweisen des Propheten Muhammad, die in der islamischen Glaubensund Pflichtenlehre die zweite Quelle religiöser Normen nach dem Koran darstellen. 139 Als Scharia wird das gesamte islamische Rechtsund Wertesystem bezeichnet. Seite 168 von 242 5.2 Personenpotenzial Islamistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen140 Wie in den Vorjahren bewegt sich das islamistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen im Bundesvergleich auf niedrigem Niveau (450 Personen). Dies gilt auch für das salafistische Personenpotenzial als Teilmenge des islamistischen Personenpotenzials, das im Freistaat Sachsen im Jahr 2023 leicht zurückging und etwa 250 Personen ausmachte. Es umfasst sowohl politische als auch jihadistische Salafisten. Im Berichtsjahr gingen im LfV Sachsen erneut zahlreiche Hinweise auf salafistische Sachverhalte ein. Die Spannweite reichte hierbei von Verleumdungen bis hin zu wertigen und relevanten Informationen. Die hohe Anzahl dieser Meldungen ist u. a. auf die stärkere Sensibilisierung deutscher Behörden wie auch der Gesellschaft zurückzuführen. 5.3 Erscheinungsformen des Islamismus 5.3.1 Legalistischer Islamismus Definition Sog. legalistische islamistische Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb einer bestehenden Rechtsordnung. Sie bestehen auf einer strikten Auslegung des Korans, die nach ihrer Auffassung unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei. Eine unmittelbare Gefährdung geht von diesen Gruppierungen nicht aus, da sie nicht gewaltorientiert sind. Ideologie Ideologische Richtschnur für legalistische islamistische Gruppierungen sind die Weisungen der Scharia. Nach ihrer Auffassung darf die Scharia als islamische Rechtsund 140 Das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen wird erst seit dem Jahr 2014 gesondert erhoben, so dass für die Jahre zuvor diesbezüglich keine Werte vorliegen. Seite 169 von 242 Lebensordnung nicht relativiert werden. Ein Großteil ihrer ideologischen Grundsätze ist jedoch unvereinbar mit den im Grundgesetz verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaates, der Religionsfreiheit und einer auf der Menschenwürde, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Volkssouveränität basierenden politischen Ordnung. Ziel legalistischer Islamisten ist es, zunächst nur Teilbereiche der Gesellschaft zu manipulieren und zu ideologisieren, wie z. B. durch direkte Einflussnahme im Bildungswesen. Langfristig streben sie aber die Umformung des demokratischen Rechtsstaates in einen islamistischen Staat an. Strategie Legalistische Islamisten verfolgen eine Doppelstrategie ("Wolf im Schafspelz"): Sie sind bestrebt, mittels Lobbyarbeit ihre auf islamistischer Ideologie basierenden Vorstellungen zum gesellschaftlichen und individuellen Leben auf legalem Weg sowie unter Ausnutzung der Möglichkeiten des deutschen Rechtsstaates durchzusetzen. Repräsentanten dieser Organisationen geben sich in der Öffentlichkeit offen, tolerant und dialogbereit. Unter Vortäuschung demokratischer Absichten versuchen sie, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu erlangen. Nach innen bzw. in den Gemeinden sind sie jedoch bestrebt, insbesondere junge Muslime von ihren islamistischen Positionen für ein Scharia-konformes Leben zu überzeugen. Dabei werden auch solche Prinzipien und Werte vermittelt, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind und darüber hinaus die Entwicklung islamistisch geprägter Parallelgesellschaften unterstützen. In Deutschland und damit auch im Freistaat Sachsen werden legalistische Islamisten hauptsächlich in drei Bereichen aktiv: Einflussnahme auf die Politik, Mitgliedergewinnung und Bildungsarbeit. Dabei sind sie oftmals in übergeordneten muslimischen Verbänden organisiert. Mittels dieses "Sprachrohrs" versuchen sie, bestimmte gesellschaftliche Themen, wie die staatliche Imam-Ausbildung oder den islamischen Religionsunterricht, zu beeinflussen und sich dem Staat als Ansprechpartner für die Belange von Muslimen anzubieten. Zudem versuchen sie, für ihre jeweilige Organisation und im Sinne der Ideologieverbreitung neue Mitglieder zu werben. Hierzu unterhalten sie Moscheeund Kulturvereine oder organisieren Vorträge und andere Veranstaltungen. Auch die Jugendund Bildungsarbeit ist ein wichtiger Bereich, in dem sie aktiv sind. Es werden Koranund Sommerschulen sowie zielgruppenorientierte Schulungsund Freizeitaktivitäten in Deutschland organisiert. Die Jugendund Bildungsarbeit dient vor allem dem Zweck, die eigene Islaminterpretation zu verbreiten, um damit geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren.141 Strukturen o MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) Gründung 1928 in Ägypten von Hassan AL-BANNA Leitung Muhammad BADI Publikationen / Medien "Risalat al-Ikhwan" (Zeitschrift) Personenpotenzial / 2023 2022 Sachsen 30 30 Mitgliederentwicklung bundesweit 1.450 141 vgl. Broschüre "Islamismus: Entstehung und Erscheinungsformen", Bundesamt für Verfassungsschutz, September 2013, S. 21-23 Seite 170 von 242 Kurzportrait / Ziele weltweit älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung nach eigenen Angaben in mehr als 70 Ländern in unterschiedlicher Ausprägung vertreten Ziele: - Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Scharia - Keine Trennung zwischen Staat und Religion Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Ziel der MB ist die Errichtung eines politischen und gesellschaftlichen Systems auf der Grundlage der Scharia. Eine Trennung von Religion und Staat ist nach ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie demnach nicht denkbar. Ein säkularer Staat wird gemäß dem Leitspruch "Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser Wunsch" ausdrücklich abgelehnt. Diese Ideologie sowie die von der MB angestrebte islamistische Staatsform sind nicht mit demokratischen Grundprinzipien, wie dem Recht auf freie Wahlen, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie der Meinungsund Religionsfreiheit, vereinbar. Zahlreiche islamistische, zum Teil auch terroristische Organisationen, wie die palästinensische HAMAS, sind aus der MB hervorgegangen. Seit den 1970er Jahren spricht sich die MB für den Verzicht auf Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele aus. Davon ausgenommen ist jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter vor allem Israel verstanden wird. Die "Wolf im Schafspelz"-Strategie legalistischer Islamisten wurde in Ägypten während des sog. "Arabischen Frühlings" besonders deutlich. So stellte die MB von 2011 bis 2013 nicht nur die stärkste Fraktion im Parlament, sondern mit Mohammed MURSI von 2012 bis 2013 auch den Staatspräsidenten. In dieser Zeit zeigte sich, dass die Muslimbrüder nicht Teil eines demokratischen Systems sind, sondern dass sie demokratische Wahlen als Sprungbrett nutzen wollten, um ihre Vorstellung von einem islamistisch geprägten politischen System durchzusetzen. Dies wurde zum Beispiel am ersten Entwurf für eine neue Verfassung, der ausschließlich von Muslimbrüdern und salafistischen Gruppierungen erarbeitet wurde, deutlich. Er sah neben einer massiven Beschneidung von Frauenrechten die Pflicht zur Überprüfung jedes neuen Gesetzes durch islamistische Gelehrte auf seine Islamkonformität vor.142 Nach der Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär unter Präsident Abdel FATTAH-ALSISI im Juli 2013 wurde die MB in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft. Aktivitäten In Deutschland tritt die MB zwar nicht offen in Erscheinung, wird aber von Organisationen wie der DEUTSCHEN MUSLIMISCHEN GEMEINSCHAFT (DMG) als Teil einer weltweiten "islamischen Bewegung" angesehen. Eine weitere Organisation aus dem Spektrum der MB ist der MARWA ELSHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. (MKBD) im Freistaat Sachsen. o DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E.V. (DMG) Sitz Berlin (vormals Köln) 142 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2020, S. 246 Seite 171 von 242 Gründung 1960 Vorsitz Khallad SWAID (seit 2017) Mitglieder / Anhänger: siehe Personenpotenzial zur MB Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Die DMG ist die wichtigste und zentrale Organisation der Anhänger der MB in Deutschland. In Sachsen ist sie jedoch nicht offiziell vertreten. Bis September 2018 nannte sie sich ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND. Die Umbenennung in DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT soll die Verbundenheit ihrer Mitglieder mit Deutschland suggerieren. Die DMG tritt gegenüber Politik, Behörden und zivilgesellschaftlichen Partnern als dialogbereiter Vertreter eines gemäßigten, weltoffenen Islam auf. Sie verfolgt eine gewaltfreie, an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich, vermeidet bei öffentlichen Auftritten bewusst verfassungsfeindliche Äußerungen und jedwedes Bekenntnis zur MB. Zahlreiche, nach außen hin verschleierte Verbindungen zwischen hochrangigen DMG-Funktionären und namhaften ausländischen Muslimbrüdern verdeutlichen jedoch die Zugehörigkeit der DMG zum weltweiten MBNetzwerk.143 Mit dieser Taktik verfolgt die DMG das Ziel, mittelbis langfristig eine führende und im Sinne islamistischer Zielvorstellungen relevante Einflussgröße zu werden. Die DMG richtet sich somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Aktivitäten Die DMG unterhält eigene Moscheen und Gemeindezentren und koordiniert darüber hinaus nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten mit über 100 weiteren islamischen Gemeinden in ganz Deutschland.144 o MARWA ELSHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. (MKBD) Sitz Dresden Gründung 2009 Vorsitz Dr. Saad ELGAZAR Internetauftritt / Soziale Medien Internetseite, Facebook Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Vorstand und somit Entscheidungsträger des MKBD ist Dr. Saad ELGAZAR, welcher der MB zuzuordnen ist. Auch liegen Anhaltspunkte für Kontakte des MKBD zu den extremistischen Gruppierungen MB bzw. DMG vor. Der Verein MKBD zielt nach außen hin u. a. auf die Förderung der Kultur, der Religion und der Integration von Migranten in die hiesige Gesellschaft ab und betont dabei die Bedeutung des Gedankens der Völkerverständigung sowie der Toleranz gegenüber anderen Kulturen und Religionen. Getarnt unter diesem Deckmantel ist das MKBD jedoch vielmehr bestrebt, den hier lebenden Muslimen die extremistische Ideologie der MB bzw. der DMG nahe zu bringen und zu verbreiten. 143 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern und für Heimat 2022, S. 226 144 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern und für Heimat 2022, S. 226 Seite 172 von 242 Aktivitäten Über einen Zeitraum von einigen Jahren hat Dr. Saad ELGAZAR im Internet in öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken zahlreiche Beiträge veröffentlicht, mit denen er ein eindeutiges und offenes Bekenntnis zur extremistischen MB abgab, ihre Aktivitäten begrüßte und darüber hinaus auch eine antisemitische Weltanschauung erkennen ließ. So verbreitete ELGAZAR im Internet Beiträge von führenden und einflussreichen MB-Vertretern bzw. berichtete über diese, so auch über Yusuf AL-QARADAWI (inoffizielle Leitfigur und Chefideologe der MB), Hassan AL-BANNA (Gründer der MB), und Sayyid QUTB (einstiger Hauptideologe der MB). In seinen Äußerungen und Kommentaren unterstrich er die religiösen Leistungen dieser Personen für die MB und rief die Muslime dazu auf, den wahren Kern des Islam zu leben. Gemeint ist in diesem Zusammenhang das Islamverständnis der zitierten MBIdeologen. ELGAZAR verfasste darüber hinaus auch Artikel, z. B. unter der Überschrift "Die Lösung ist die Muslimbruderschaft", welche die MB als beste Lösung für alle Probleme in Ägypten präsentierten. Einige seiner Äußerungen in sozialen Netzwerken spiegelten zudem eine antisemitische Grundeinstellung wider: So teilte ELGAZAR im September 2016 ein Video, in welchem eine Landkarte Palästinas ohne Israel gezeigt wurde. Zudem wurde der Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete, Mahmud ABBAS, als Verräter bezeichnet. ELGAZAR kommentierte das Video wie folgt: "Es gab für uns ein Land mit dem Namen Palästina - und wird es (wieder) werden."145 Dieses Video steht im Einklang mit der Ideologie der MB und der HAMAS, dem palästinensischen Arm der MB. ELGAZAR stellte sich damit sowohl durch das Teilen des Beitrages als auch mit seinem Kommentar eindeutig auf die Seite dieser verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Seine antisemitische und israelfeindliche Einstellung gab ELGAZAR im Berichtsjahr im Kontext des Angriffs der HAMAS auf Israel am 7. Oktober erneut preis. Auf seinem privaten Facebook-Account zitierte er u. a. den Koranvers "...Da gab ihnen ihr Herr (als Offenbarung) ein: Ganz gewiss werden wir die Ungerechten vernichten...". Zudem likte er ein Bild auf der Facebook-Seite eines Freundes. Es zeigte jenen Moment, als die Terroristen der HAMAS auf Motorrädern am 7. Oktober die Grenze Israels stürmten. Aller Wahrscheinlichkeit nach handelte es sich hierbei um HAMAS-Propaganda. Mit seinem "Like" drückte ELGAZAR eindeutig seine Befürwortung dieses Angriffs aus. Ein weiterer einschlägiger Post von ELGAZAR lautete wie folgt: "...Erhebe dich vor dem Maskierten und erweise ihm Verehrung! Der Maskierte weigerte sich, in Demütigung zu leben..." Bei "dem Maskierten" handelt es sich um den offiziellen Sprecher der al-QassamBrigaden (militärischer Flügel der HAMAS), Abu OBAIDA. Dieser wurde in den arabischsprachigen sozialen Medien als "der Maskierte" bezeichnet, da er im Nahost-Konflikt während seiner Reden mehrfach maskiert in den Medien auftrat. Mit diesem Post wurde deutlich, dass ELGAZAR die HAMAS offenkundig verehrt. Aber nicht nur bei Facebook ließ ELGAZAR seine islamistische Einstellung erkennen. Auch als alleiniger offizieller Geschäftsführer und regelmäßiger Prediger im MKBD verbreitete er verfassungsfeindliche Inhalte oder unterließ es, andere Personen an der Äußerung derartiger Botschaften zu hindern. So wurden die Freitagsgebete am 7. und 21. Juli von einem Scheich aus Schweden als Gastimam sowie im Beisein von ELGAZAR geleitet. Dieser ging u. a. auf das Thema "Eroberung von Jerusalem" ein und äußerte in einem Bittgebet folgenden Wunsch: "...Wir bitten Allah den Allmächtigen, es (Jerusalem) bald zu erobern. Sagt Amen!...". Der Gastimam erklärte zudem, dass "die Befreiung der al-Aqsa Moschee nicht mehr weit entfernt ist". Im Kontext der gesamten Predigt konnte die Verwendung von Worten wie "erobern" und "befreien" im Sinne einer gewaltsamen Lösung verstanden werden. 145 Schreibweise wie im Original Seite 173 von 242 Der Facebook-Account des schwedischen Scheichs weist deutliche Sympathiebekundungen für die MB auf. Beispielsweise zeigte ein Bild den Gastimam am Grab des im September 2022 verstorbenen muslimischen Rechtsgelehrten und ideologischen Führers der MB, Dr. Yusuf ALQARADAWI, in Katar mit folgendem Kommentar: "Ein Besuch am Grab unseres geliebten Sheikhs, des Islams der Mäßigung in der heutigen Ära, des verstorbenen Gelehrten...." Auf der offiziellen Facebook-Seite der MB "ikhwanonline.com" wurde ein Artikel vom 11. Februar veröffentlicht, in dem der besagte Sheikh darauf hinwies, dass es die Pflicht der Imame sei, die Menschen zur Befreiung von al-Aqsa zu führen. In einer Predigt am 8. Dezember thematisierte ELGAZAR den Nahost-Konflikt und bezeichnete das Geschehen als "Töten ohne Kontrollen und Bedingungen". Dabei fragte er u. a., wann "diese Farce", "dieses Morden" und diese "Verbrennungsanlage" aufhören würden. Für Letzteres benutzte er das arabische Wort "al-Mahraqa", das auch mit den Begriffen Holocaust oder Krematorium übersetzt wird. Im Anschluss an die Predigt äußerte er sich im Bittgebet wie folgt: "...Wir haben keine andere Wahl, als uns anhand des Bittgebets gegen diese Mörder und Usurpatoren an Allah zu wenden, so dass Allah ihren Stachel (gemeint ihre Macht) brechen möge. Oh Allah, brich ihren Stachel, senke ihre Fahnen, demütige ihre Anführer, zerstöre ihr Ansehen und erfülle in ihnen deine Vorbestimmung, Oh Herr der Welten..." Anschließend hieß es im Bittgebet weiter: "Oh Allah, richte ihre Schüsse, heile ihre Brüche, räche dich an denjenigen, die sie unterdrückt haben, versorge sie mit Wasser, Licht und Heilung und erhöre unser Bittgebet für sie". Aus dem Kontext ergibt sich die Schlussfolgerung, dass damit die Kämpfer der HAMAS gemeint gewesen sein dürften. Damit brachte er erneut seine anti-israelische Grundhaltung zum Ausdruck und zeigte seine Sympathie für die Terrororganisation. Fazit Solange das MKBD durch ELGAZAR geführt wird, ist davon auszugehen, dass seine Aktivitäten - verfassungskonform verschleiert - in Wahrheit solche der MB sind und antiisraelische bzw. antisemitische Einstellungen situativ geäußert und verbreitet werden Exkurs zum Terrorangriff der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 zusammengefasst für die Phänomenbereiche Islamismus und Auslandsbezogener Extremismus146 HAMAS Sitz Palästinensische Autonomiegebiete, Gaza-Streifen Gründung Ende 1987 aus dem palästinensischen Zweig der MB Leitung Isma'il HANIYA Publikationen / Medien "al-Aqsa TV" (Fernsehen) Errichtung eines islamistischen Staates auf dem Gebiet Ziel "Palästinas" und die Vernichtung des Staates Israel Anhänger bundesweit Betätigungsverbot seit November 2023 Am 7. Oktober, einem jüdischen Feiertag, wurden durch einen Angriff der Terrororganisation HAMAS auf Kibbuzim und kleine Orte in Grenznähe des Gaza-Streifens ungefähr 1.200 Israelis - die meisten davon Zivilisten - getötet. Als Reaktion auf die darauf gefolgten und andauernden Verteidigungsmaßnahmen des Staates Israel, die gravierende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung in Gaza hatten, erfolgte auch in Deutschland eine starke 146 vgl. Kapitel II.6 Auslandsbezogener Extremismus Seite 174 von 242 Emotionalisierung bei mehrheitlich arabischstämmigen Personen. Diese Emotionalisierung äußerte sich u. a. im Rahmen von Demonstrationen. In Sachsen fanden diese mehrheitlich in den Großstädten Dresden, Chemnitz und Leipzig statt. Bei diesen Demonstrationen bzw. im Umfeld pro-israelischer Veranstaltungen wurden immer wieder antisemitische Inhalte geäußert und antisemitische Straftaten begangen. Bereits vor Beginn der Bodenoffensive der israelischen Armee in Gaza wurde z. B. ein Angehöriger der jüdischen Gemeinde in Chemnitz bei einer Israel-Solidaritätskundgebung am 11. Oktober verbal mit dem Tode bedroht. Zudem wurde einer Frau eine Israel-Fahne entrissen sowie in diesem Zusammenhang ein Mann von drei Personen umgerannt und dann - am Boden liegend - getreten. Extremistisch zu bewertende Aussprüche und Parolen wurden beispielsweise am 14. Oktober bei einer Demonstration in Dresden skandiert. Unter anderem ertönten auf Arabisch die Rufe (dt.): "Chaibar Chaibar oh Juden, das Heer Muhammads wird zurückkehren!" Dieser Spruch bezieht sich auf einen Feldzug Muhammads im Jahr 628 n. Chr. gegen eine von Juden bewohnte Oase. In dieser Schlacht wurden laut islamischer Geschichtsschreibung viele Juden getötet. Der Ruf kann als explizite antisemitische Drohung verstanden werden und offenbart eine tiefliegende antisemitische Grundeinstellung bei jenen, die ihn benutzen. Auf Arabisch wurde des Weiteren skandiert: "Wir sind die Männer von Muhammad Deif...!". Bei Muhammad Deif handelt es sich um den obersten militärischen Befehlshaber der AL-QASSAM Brigaden, des militärischen Flügels der Terrororganisation HAMAS. Diese rief in ihrer Charta von 1988 zur Vernichtung Israels und Tötung von Juden auf. Das Skandieren dieser Parole ist daher als Sympathiebekundung für die HAMAS, deren antisemitische Ideologie sowie die von ihr verübten Terrorakte zu interpretieren. Ein weiterer Slogan, der im Berichtsjahr bei anti-israelischen Veranstaltungen vor allem in Leipzig und Dresden gerufen wurde, lautete "From the river to the sea". Diese Parole wurde laut Medienberichten auch am 18. Oktober auf Schildern und Redebeiträgen einer propalästinensischen Demonstration in Leipzig verbreitet. Zum Teil wurde dieser Ausspruch in weitgehend harmlos klingende Kontexte eingebettet, um einer möglichen Strafverfolgung zu entgehen. Der Spruch "From the river to the sea" kann als Betonung des palästinensischen Anspruchs auf das gesamte Territorium zwischen Jordan und Mittelmeer verstanden werden. Dieser erhobene Anspruch geht jedoch zwingend mit der Aberkennung des Existenzrechts Israels als jüdischer Staat einher. Er ist deshalb in dem von der Bundesinnenministerin ausgesprochenen Betätigungsverbot für die HAMAS vom 2. November 2023 enthalten. Im Kontext von pro-palästinensischen Demonstrationen traten im Freistaat Sachsen nicht nur extremistische Einzelpersonen in Erscheinung, sondern auch Gruppierungen. Unter den Teilnehmern in Leipzig stellte das LfV Sachsen z. B. Anhänger von YOUNG STRUGGLE LEIPZIG fest, die Fahnen der Gruppierung YOUNG STRUGGLE (YS) schwenkten. YS wird hier dem auslandsbezogenen Extremismus zugerechnet. Dabei handelt es sich um die europäische Jugendorganisation der ideologisch linksextremistisch geprägten türkischen MARXISTISCHEN LENINISTISCHEN KOMMUNISTISCHEN PARTEI (MLKP).147 Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) führte in seiner Medieninformation vom 29. November 2023 u. a. zum Aktionspotenzial linksextremistisch geprägter Akteure im auslandsbezogenen Extremismus wie folgt aus: "Auch wenn es sich bei der Mehrheit der Teilnehmenden an pro-palästinensischen Demonstrationen nicht um Extremisten handelt, bewegen sich diese unter ihnen, verbreiten unwidersprochen ihre Hassbotschaften und schaffen es zum Teil, die Versammlungen zu emotionalisieren, zu radikalisieren und in der Folge zu eskalieren." Im Internet wurde der Terrorangriff der HAMAS bereits am 7. Oktober noch vor einer militärischen Reaktion Israels im Gaza-Streifen, u. a. als "legitimer Widerstand" bejubelt und 147 vgl. hierzu auch Verfassungsschutzbericht 2022 des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, S. 270 Seite 175 von 242 verharmlost. In der Folgezeit erschienen in den sozialen Medien zahlreiche Beiträge, welche Israel dämonisierten und Sympathien für den Terrorangriff bekundeten. 5.3.2 Politischer und jihadistischer Salafismus Einleitung Die Sicherheitsbehörden unterscheiden grundsätzlich zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. Während beide Strömungen auf der gleichen ideologischen Grundlage beruhen, unterscheiden sie sich jedoch in der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre Ziele verwirklichen wollen. Dennoch besitzen beide Ausprägungen eine immanente Gewaltorientierung. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Übergang vom politischen zum jihadistischen Salafismus fließend ist und sich beide Richtungen mitunter nicht klar voneinander abgrenzen lassen. Vertreter des politischen Salafismus betonen den friedlichen Charakter des Islam und positionieren sich teilweise ausdrücklich gegen Terrorismus. Dennoch wird die Anwendung von Gewalt - ausgehend von einer subjektiv konstruierten Bedrohungslage - auch von Vertretern des politischen Salafismus in bestimmten Fällen für zulässig erklärt. Von jihadistischem Salafismus als einem Teilbereich des islamistischen Terrorismus sprechen die Sicherheitsbehörden dagegen, wenn die Anwendung terroristischer Gewalt von vornherein ideologisch legitimiert wird und der bewaffnete Kampf gegen "Ungläubige" als zentrales Mittel gesehen wird, um das eigene Islamverständnis zu "verteidigen" und zu verbreiten bzw. um politische Macht zu erlangen. Personenpotenzial Wie in den Vorjahren bewegt sich das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen, welches sowohl politische wie jihadistische Salafisten umfasst, auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Es ist im Vergleich zu den Vorjahren leicht gesunken und liegt aktuell bei ca. 250 Personen (2022: ca. 270 Personen). Ideologie Salafisten orientieren sich am Leben der ersten drei Generationen von Muslimen, welche auch als "Altvordere" (arab. as-salaf as-salih) bezeichnet werden und im 7./8. Jahrhundert lebten. Nach Ansicht der Salafisten führten nur diese Generationen ein gottgefälliges Leben, da sie es ausschließlich am Koran und dem Leben des Propheten Mohammed (Sunna) ausrichteten. Salafisten orientieren sich nicht nur inhaltlich an den Vorstellungen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit, sondern auch an der damaligen Werteordnung. Sie streben eine Rechtsordnung an, die ausschließlich auf Koran und Sunna basiert. Die Einführung einer solchen Ordnung wird auch für westliche Länder, in denen Muslime leben, angestrebt. Insofern liegt eine politische Bestimmtheit vor, die über eine reine Glaubensausübung hinausgeht. Aus der buchstabengetreuen Auslegung von Koran und Sunna leitet sich das zentrale salafistische Glaubensverständnis ab. Hierzu gehört die Überzeugung, dass Gott der einzige legitime Souverän und Gesetzgeber sei. Kennzeichnende Merkmale für die salafistische Ideologie sind die Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat, der absolute Geltungsanspruch der Scharia als allumfassende Lebensordnung, die Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau und Abgrenzungsmechanismen gegenüber anderen Religionen bzw. vermeintlich Ungläubigen. Salafisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gänze ab und sehen sich als die einzig "wahren" Muslime. Seite 176 von 242 o Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat Nach salafistischer Auslegung wird der Islam als allumfassender politischer Gegenentwurf zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung begriffen und öffentlich propagiert. So ist die Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung nach salafistischer Auffassung nicht die Selbstbestimmung des Volkes, sondern der Wille Gottes. Demokratische Prozesse werden als Verletzung der Souveränität Gottes und deshalb als illegitim angesehen. In Anlehnung an die islamische Frühzeit wird die Schaffung einer vermeintlich idealen islamischen Gesellschaft, in welcher Staat und Religion eine Einheit bilden (d. h. eine Theokratie), angestrebt. Sämtliche religiöse Neuerungen oder gar eine Fortentwicklung der Religion im Sinne einer Anpassung an bestehende Verhältnisse werden dagegen strikt abgelehnt. Dementsprechend greifen Salafisten auf Regeln und Rechtsnormen zurück, die mit einem modernen demokratischen Rechtsstaat unvereinbar sind. o Absoluter Geltungsanspruch der salafistischen Rechtsordnung ("Scharia") Als Basis ihrer religiös begründeten rechtlichen, sozialen und politischen Ordnungsund Herrschaftsvorstellungen ziehen Salafisten die Scharia als Ausdruck des göttlichen Willens heran. Nach ihrem Verständnis bezeichnet der Begriff "Scharia" zusammengefasst sämtliche vom Koran und der Prophetenüberlieferung (Sunna) abgeleiteten religiösen und weltlichen Rechtsvorschriften. Jeder Muslim hat nach salafistischem Verständnis die Normen der Scharia als gottgewollt zu befolgen. Andere politische und rechtliche Modelle werden entweder als zweitrangig verstanden oder grundsätzlich abgelehnt. o Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau Salafisten weisen der Frau ein Rollenbild zu, das sie auf ihre häuslichen Aufgaben beschränkt und ihre öffentliche Betätigung (wie z. B. ein politisches Engagement) ausschließt. Der Ehemann besitzt nach salafistischer Auslegung des Korans ein Züchtigungsrecht zur Erziehung und Disziplinierung seiner Ehefrau. Die von Salafisten so verstandene gottgegebene Überordnung des Mannes im Verhältnis zur Frau verstößt gegen den in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes garantierten Grundsatz der Gleichberechtigung. o Feindbilder Die salafistische Ideologie ist insbesondere durch zahlreiche Abgrenzungsmechanismen geprägt. Die Verbreitung von Bildern muslimischer wie nicht muslimischer Feinde soll zur Stärkung einer eindeutigen salafistischen Identität beitragen. Andersdenkende werden selbst dann, wenn sie einer Religionsgemeinschaft angehören, mit diffamierenden Begriffen wie "Kuffar" ("Ungläubige") bezeichnet. Dementsprechend sollen Salafisten ausschließlich mit ihresgleichen verkehren und sämtliche Beziehungen zu "Ungläubigen", einschließlich nicht salafistischen Muslimen, unterlassen. Salafisten verstehen sich als Opfer in der nicht muslimischen Mehrheitsgesellschaft. Dazu werden Szenarien von Bedrohungen und Angriffen gegen den Islam und die Muslime gezeichnet, die weltpolitische Ereignisse, wie den palästinensisch-israelischen Konflikt, die Konflikte in Syrien, im Irak oder in Afghanistan, aber auch eine vermeintliche Diskriminierung in westlichen Ländern verarbeiten. Derartige Szenarien sind elementar für die Rekrutierung von Anhängern und haben Einfluss auf das Mobilisierungspotenzial. Die Menschen sollen auf verschiedene Weise vom so verstandenen "richtigen" Islam überzeugt werden bzw. zum Islam konvertieren. Das entsprechend verbreitete Gedankengut ist geeignet, den ideologischen Nährboden für eine islamistische Radikalisierung zu bilden und steht damit einer Integration entgegen. Seite 177 von 242 Strategie Politische Salafisten verbreiten ihre islamistische, fundamentalistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten, die sog. "Missionierung" (Dawa). Große Teile dieser propagandistischen Arbeit finden in den sozialen Medien statt. Jedoch hat der politische Salafismus inzwischen an Dynamik verloren. Die Rekrutierung neuer Anhänger verläuft deutlich zurückhaltender als noch in den zurückliegenden Jahren. Öffentliche "Straßenmissionierungen" ("Street Dawa") finden im Bundesgebiet nicht mehr in dem Umfang statt wie früher. Die "Dawa"-Aktivitäten verlagerten sich zunehmend in den privaten Bereich. Indoktrinierung und Radikalisierung finden daher inzwischen weniger in Moscheen, sondern vielmehr in kleinen konspirativen Zirkeln sowie vermehrt im Internet statt. Die salafistische Ideologie wird im Rahmen von Vortragsveranstaltungen und "Islamseminaren" in salafistischen Moscheen verbreitet. Mit deren Übertragung ins Internet wird ein unüberschaubarer Personenkreis erreicht. Die Propagandaaktivitäten von politischen Salafisten treffen nach wie vor auf eine entsprechende Anhängerschaft, was sich in der Entwicklung des Personenpotenzials widerspiegelt. Während politische Salafisten ihre Propagandaarbeit strategisch als "Missionierung" oder "Einladung zum Islam" bezeichnen, handelt es sich tatsächlich um eine systematische Indoktrinierung, nicht selten mit dem Ziel einer Radikalisierung. Besonders hervorzuheben ist der radikalisierende Einfluss salafistischer Propaganda auf Jugendliche, die sich in einer Identitätsfindungsphase befinden und daher als besonders anfällig für salafistische Missionierungsund Indoktrinierungsversuche der oftmals charismatischen und redegewandten salafistischen Prediger gelten. Der jihadistische Salafismus baut in vielen Fällen auf die bereits geleistete strategische und ideologische Vorarbeit des politischen Salafismus auf. Zusätzlich wird hier jedoch die einschlägige jihadistische Ideologie über persönliche Kontakte in der Realwelt oder in sozialen Medien und Kommunikationsplattformen verbreitet. Das Propagandamaterial wird hierbei z. B. aus den offiziellen bzw. halboffiziellen Medienportalen des ISLAMISCHEN STAATES, wie beispielsweise dem "Al-Hajat Media Center" und dem "Al-Furqan Institute for Media Production", bezogen und dann von IS-nahen Kanälen und Gruppierungen z. B. über Messenger-Dienste aufgegriffen, kommentiert und verbreitet. Ziel des jihadistischen Salafismus ist es, mit seiner Ideologie Personen zu beeinflussen und schließlich für die Unterstützung des weltweiten Jihads zu gewinnen. 5.3.2.1 Politischer Salafismus Strukturen im Freistaat Sachsen Die salafistische Szene in Deutschland ist meist nur lose organisiert. Feste und formale Organisationsstrukturen sind weitgehend nicht vorhanden. Eine Ausnahme bilden örtliche salafistische Vereine, die als Träger salafistisch geprägter Moscheen tätig sind. o ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E.V. Sitz Leipzig Gründung 1995 Vorsitz Hassan DABBAGH Besucherzahlen ca. 1.000 (wobei die Mehrheit nicht dem salafistischen Spektrum angehört) Seite 178 von 242 Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Den Schwerpunkt salafistischer Strukturen im Freistaat Sachsen bildet seit Jahren der Verein ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE in Leipzig. Der Imam dieser Moschee, Hassan DABBAGH, ist ein überregional bekannter Multiplikator des politischen Salafismus in Deutschland. Trotz DABBAGHs Distanzierung von religiös motivierten Terrorakten sind seine Äußerungen geeignet, die Bildung von Parallelgesellschaften außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu fördern und mittelbar Hass und Gewalt zu schüren. Seine Freitagspredigten beinhalteten auch im Berichtsjahr die üblichen wiederkehrenden Themen, wie z. B. Hetze gegen den deutschen Staat und Ungläubige, welche Muslime angeblich unterdrücken und den Islam vernichten wollen sowie die staatliche Beeinflussung der Medien. Außerdem glorifizierte er den Islam der Frühzeit: "...Und solange die Muslime nach dem Buch Allahs und nach der Sunna des Propheten Mohammed...gehandelt haben, waren sie spitze in allen Themen. ..." Gemäß der salafistischen Ideologie kann nur bei einer Rückbesinnung zum salafistischen Islam (Urislam) die einst empfundene Vormachtstellung der Muslime wieder erreicht werden. Ein weiteres gern bedientes Thema ist die Opferrolle der Muslime, die unter der Bedrohung durch "Nichtmuslime" leiden und sogar getötet würden. Folgender Auszug aus einer Predigt im Kontext des 7. Oktobers macht diese Opferhaltung deutlich: "...Die haben das bombardiert. Und immer hat man gesagt das sind die Muslime. Da kann man mit ihnen alles machen. Die sind Terroristen. Egal Kinder, Frauen töten - kein Problem. Hauptsächlich, die sind die Guten und die Muslime sind schlecht. Denn Allah, das geht um lailaha-ill-allah. Das geht darum, dass wir Muslime sind. Und das haben sie überall gemacht... Und wir sehen das alle...Aber wo sind die Muslime? Warum sind wir so, dass wir nicht verstehen, wenn wir nicht zurückkehren zu unserem Buch, zum Buch Allahs, zur Sunna des Propheten..., wenn wir Allah nicht fürchten, dann werden sie mit uns alles machen, bis wir die Religion verlassen. ..." Weiterhin bediente sich DABBAGH unabhängig vom Terrorangriff der HAMAS auf Israel antisemitischer Narrative. So nannte er in seiner Freitagspredigt am 5. Mai einige Gründe für die Schwächen der islamischen Nation. In diesem Zusammenhang erwähnte er u. a. die "Feinde der Nation", den äußeren und den inneren Feind. "...Ein Feind in der Umma148 rein und das sind die Heuchler. Die Heuchler und ihre Anhänger. Und die Feinde von außen, die sind die Feinde, die keine Muslime, die sich nicht als Muslime begeben, sondern die wollen den Islam vernichten. Allah...sagt [...] Die Juden, die Christen werden mit dir niemals zufrieden sein, bis du ihre Religion annimmst. Und Allah...sagt: Sie werden alles versuchen, dass ihr eure Religion verlasst. Und Allah...hat gesagt, sie werden stets gegen euch kämpfen, bis ihr wie sie kuffar (Ungläubige) werdet, weil sie Neid auf euch haben. ..." Der innere Feind sind seiner Meinung nach "Heuchler" - arabische Säkulare und meist arabische Herrscher. "...Aber innen gibt es Heuchler und ihre Anhänger und ihre Unterstützer. Und diese Leute, was machen sie? Die...greifen die Muslime an. Die greifen Qur'an und Sunna an. Die greifen die Gelehrten des Islam an. Die greifen alles, was bei Muslimen sind. Und die sagen, diese Säkularen...habt ihr irgendein, ...irgendein von ihnen gehört, gesehen? Hat er etwas geschrieben, dass er etwas bei den Christen oder im Christentum kritisiert? Nein. Kritisiert er etwas bei Juden? Auf keinen Fall. Aber gegen den Islam, gegen Hijab, gegen Qur'an, gegen..., gegen Sunna, gegen ... Muslim, gegen die Sahaba149 ..." 148 Gemeinschaft der Muslime, die im Idealfall eine Einheit bilden sollen. 149 Gefährten des Propheten Seite 179 von 242 Auch auf den Nahost-Konflikt reagierte DABBAGH in seinen Freitagspredigten. So zitierte er am 13. Oktober beispielsweise erneut den Koranvers "Juden und Christen werden mit dir niemals zufrieden seien, bis du ihre Religion annimmst und bis du ihnen folgst." Er machte deutlich, dass dies nicht seine persönliche Meinung sei, sondern dies durch Allah offenbart worden sei. DABBAGHS religiös begründeter Antisemitismus und seine anti-israelische Haltung belegte folgendes Zitat: "Und das Problem von Palästina ist nicht für Palästinenser, sondern für alle Muslime. Für alle Muslime...Weil Palästina allen Muslimen gehört." Damit negierte er das Existenzrecht Israels als jüdischer Staat. Aktivitäten Propagandaaktivitäten sind in Sachsen, ebenso wie im übrigen Bundesgebiet, das Hauptaktionsfeld der politischen Salafisten. In seiner Funktion als Imam und Prediger verbreitete DABBAGH im Berichtsjahr abermals die salafistische Ideologie u. a. in seinen Freitagspredigten und während des täglich stattfindenden Koranunterrichts in den Räumlichkeiten der Moschee. Als Redner nutzte DABBAGH ebenfalls bundesweite Vortragsveranstaltungen und Seminare in salafistischen Moscheen, u. a. in Erfurt, Braunschweig und Bremen, für die Vermittlung seiner verfassungsfeindlichen Agenda. Durch die Veröffentlichung seiner Freitagspredigten und Koranunterrichtsstunden sowie seiner Reden bei Vortragsveranstaltungen und Seminaren in den sozialen Medien und auf verschiedenen Internetportalen erhöhte er die Reichweite für seine verfassungsfeindlichen Aussagen und entfaltete eine stärkere Öffentlichkeitswirkung. Mit Bescheid vom 30. Juni erhielt die ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMANMOSCHEE E. V., vertreten durch den Imam Hassan DABBAGH, die Genehmigung für das umfangreiche Bauprojekt "Ersatzneubau Kulturhaus an der Parthe". Dieses umfasst ein Kulturhaus als Versammlungsstätte zur Religionsausübung, ein Vereinshaus, eine Verkaufseinrichtung und ein Bürogebäude mit großer Inhaberwohnung. Beim geplanten "Kulturhaus" handelt es sich um das neue Moscheegebäude der AL-RAHMAN-MOSCHEE. Informationen des LfV Sachsen zufolge soll der Neubau die derzeit genutzte Moschee ablösen. Das "Kulturhaus"/Moschee hat eine geplante Grundfläche von 1.050 m2 mit drei Etagen und ist für ungefähr 2.000 Gläubige konzipiert. Das neue Gebäude wird demnach größer als die bisher genutzte Moschee. Baubeginn war Mitte Juli. 5.3.2.2 Jihadistischer Salafismus Außerhalb Europas Die wichtigste Organisation, welche zurzeit den jihadistischen Salafismus beeinflusst, ist der sog. ISLAMISCHE STAAT (IS). Ursprünglich aus der Terrororganisation AL-QAIDA hervorgegangen, gelang es dem IS im Jahr 2014 unter seinem damaligen Anführer ALBAGHDADI, ein ausgedehntes Territorium mit einer Millionenbevölkerung zu erobern, welches weite Gebiete im Irak und Syrien umfasste. Darüber hinaus wurden IS-Splittergruppen u. a. auf dem Sinai, in Pakistan und Afghanistan sowie in Libyen gegründet. Mit der Rückeroberung der irakischen Großstadt Mossul durch irakische Sicherheitskräfte im Juli 2017 verlor der IS schrittweise seine wichtigsten organisatorischen Zentren und Gebiete. In der Schlacht von Baghuz im März 2019 musste der IS das letzte von ihm kontrollierte Territorium aufgeben. Das territoriale Kalifat in Syrien und im Irak wurde damit besiegt. Jedoch verfügt die Terrororganisation im Irak und in Syrien weiterhin über Stützpunkte im Untergrund sowie über Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten. Dieses "Netz" besteht fort, obwohl der IS gerade im Berichtsjahr eine Vielzahl von Verlusten innerhalb seiner Führung kompensieren musste. Dennoch ist der IS aktuell weit davon entfernt, größere zusammenhängende Territorien zu kontrollieren. Auch die weiterhin rückläufigen Ausreisezahlen potenzieller Unterstützer in die Seite 180 von 242 ehemaligen Kampfgebiete des Mittleren Ostens zeigen, dass diese Terrororganisation viel von ihrer früheren Sogwirkung verloren hat. Dass der IS bzw. dessen Unterstützer und Sympathisanten jedoch auch außerhalb Syriens bzw. des Iraks willens und in der Lage waren, Anschläge auszuführen, wurde auch im Berichtsjahr deutlich. Vor allem Ableger des IS führten in einer Vielzahl von Ländern mit schwacher Staatlichkeit, wie z. B. in Mali und Nigeria, Anschläge mit hohen Opferzahlen durch. Trotz der Rückschläge des Kern-IS in Syrien und im Irak hat keiner seiner regionalen Ableger den Treueeid auf den IS widerrufen. Stattdessen werden gerade in diesen Ländern neue Generationen jihadistisch motivierter Terroristen ausgebildet und führen verheerende Anschläge aus. Der ISLAMISCHE STAAT PROVINZ KHORASAN (ISPK) Für die Gefährdungslage im Berichtsjahr besonders relevant war der im Jahr 2014 gegründete und in Afghanistan beheimatete IS-Ableger ISLAMISCHER STAAT PROVINZ KHORASAN (ISPK). Seit dem Jahr 2016 gewinnt diese Gruppierung trotz ihrer Bekämpfung durch die Taliban sowie die damalige afghanische Regierung immer mehr an Bedeutung und konnte zwischenzeitlich ganze Ortschaften besetzen. Nach langwierigen Kämpfen schien der ISPK jedoch im März 2020 besiegt worden zu sein, nachdem seine letzten Rückzugsorte durch die Taliban erobert wurden. Seit der Machtübernahme durch die Taliban im Sommer 2021 eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen den Taliban und dem ISPK aufgrund der bestehenden ideologischen wie machtpolitischen Differenzen erneut. Anschläge und Kämpfe führten seitdem zu einer Vielzahl von Toten, darunter viele Zivilisten. Beispielhaft hervorgehoben sei an dieser Stelle der Anschlag auf den Flughafen in Kabul am 26. August 2021. Während der Evakuierungsflüge infolge der Eroberung Kabuls durch die Taliban gelang es dem ISPK, durch einen Selbstmordattentäter mindestens 183 Menschen zu töten, darunter 13 US-Soldaten. Die Taliban, die zu diesem Zeitpunkt für die Sicherheit des Umfeldes der Evakuierungsflüge verantwortlich waren, wurden hierbei durch den ISPK gedemütigt. Mithilfe seiner professionellen und wirkmächtigen Rekrutierungspropaganda sowie des Anschlusses anderer regionaler Terrorgruppen gelang es dem ISPK seither, sein Personenpotenzial weiter auszubauen. Es umfasst neben Afghanen und Pakistanern auch Zentralasiaten. Obwohl das Hauptziel des ISPK war und weiterhin ist, ein auf seiner Ideologie basierendes Kalifat in Zentralasien zu errichten, gab es bereits im Jahr 2017 erste Hinweise darauf, dass der ISPK zugleich daran interessiert war, sein Aktionsfeld zur Stärkung seiner Reputation innerhalb der jihadistischen Szene bis nach Europa auszuweiten. Dies geschah z. B. durch die Entsendung von rekrutierten Jihadisten aus Zentralasien nach Europa mit dem Ziel, hier Anschläge zu verüben. In Deutschland war der ISPK im Berichtsjahr ebenfalls aktiv, um Terroranschläge zu planen und umzusetzen. Jihadistische Terrororganisationen und die Ereignisse nach dem 7. Oktober Der Hass auf Juden und Israel ist ein fester Bestandteil der jihadistischen Ideologie und Propaganda. Trotzdem waren der IS wie auch AL-QAIDA (AQ) nach dem Terroranschlag der HAMAS gegen Israel am 7. Oktober vorerst zurückhaltend. Dies lag u. a. daran, dass insbesondere der IS das Islamverständnis der HAMAS als "unislamisch" ablehnt. In der Vergangenheit hatte der IS die Terrororganisation HAMAS bzw. ihre Kämpfer und Anhänger aus diesem Grund sowie wegen ihrer "nationalistischen" Agenda wiederholt als "Apostaten", d. h. als vom Islam Abgefallene, bezeichnet. Zudem gilt die HAMAS als Verbündete des schiitischen iranischen Regimes, eines zentralen Feindbildes des ISLAMISCHEN STAATES. Am 19. Oktober bezog der IS in seinem wöchentlichen Online-Magazin "Al-Naba" erstmals offiziell Stellung zum Nahost-Konflikt. So wurde der Kampf gegen Juden dahingehend propagiert, dass der IS die einzige Gruppierung sei, die sich in der Region ernsthaft und effektiv für die Palästinenser einsetze. Gezielt erfolgte darüber hinaus eine Medienkampagne, die bei Seite 181 von 242 gleichzeitiger Kritik an der HAMAS verstärkt zum Jihad gegen Israel und westliche Staaten aufrief. Am 26. Oktober wurden in der englischen Online-Ausgabe des "Al-Naba"-Magazins praktische Ratschläge erteilt, um "die Muslime in Palästina zu unterstützen". Diese Unterstützung könne sich u. a. in Angriffen gegen Juden und Synagogen, der Verbreitung von Informationen über die wahre Natur der Juden und ihren Kampf gegen die Muslime sowie in Bittgebeten niederschlagen. Auch die Terrororganisation AQ rief mit Verweis auf die Opfer in Gaza mit Nachdruck dazu auf, jüdische Frauen und Kinder weltweit anzugreifen und zu töten. Zudem seien staatliche Einrichtungen der "Kreuzzügler" legitime Ziele, wobei hier Kinder soweit wie möglich verschont werden sollten. Europa Europa als Teil des "Westens" blieb im Berichtsjahr ebenfalls nicht von mutmaßlich jihadistisch motivierten Anschlägen verschont. Dies war der weiterhin u. a. im Internet auffindbaren und weitverbreiteten IS-Propaganda geschuldet. Diese griff aktuelle Ereignisse, wie die Koranschändungen und -verbrennungen in Schweden auf, um durch Darstellungen, Verurteilungen und Aufrufe zu Anschlägen die Leser zu emotionalisieren und zu radikalisieren. Die Verbreitung erfolgte hierbei durch verschiedene IS-nahe Medienkanäle oder engagierte Anhänger der jhadistischen Ideologie. Die Auswirkungen dieser IS-Propaganda zeigten sich u. a. konkret am Morgen des 13. Oktober an einer Schule in Arras (Frankreich). Der bei den französischen Sicherheitsbehörden bereits als radikalisierte Person erfasste ehemalige Schüler Mukhammed M., der in der Russischen Föderation geboren wurde und als Kind nach Frankreich gekommen war, tötete mit einem Messer einen Lehrer und verletzte drei weitere Personen schwer. Er selbst konnte festgenommen werden. Bei der Durchsicht seines Telefons fand sich ein vor dem Angriff aufgenommenes Video, in welchem Mukhammed angab, diesen Terroranschlag im Namen des IS verübt zu haben. Eine Reklamation dieser Tat durch den IS erfolgte jedoch nicht. Als Reaktion auf diesen Anschlag verhängte Frankreich die höchste Terrorwarnstufe. Obwohl keine unmittelbaren Bezüge zum IS erkennbar waren, wurde im Berichtsjahr auch ein Messerangriff in Hartlepool (England) am 15. Oktober als islamistisch motiviert eingestuft. Der im Jahr 2020 aus Nordafrika eingereiste Täter Ahmed Awlad A. erstach an diesem Tag eine Person mit einem Messer und verletzte eine weitere Person schwer. Er habe ursprünglich eine (halb-)automatische Waffe besorgen wollen, um noch mehr Opfer zu töten, gab Ahmed Awlad A. nach seiner Festnahme an. Konkrete Bezüge zum IS und dessen Propaganda hatte der Anschlag in Brüssel am 16. Oktober. Der tunesische Staatsangehörige Abdesalem L. eröffnete im Rahmen des EMQualifikationsspiels zwischen Belgien und Schweden mit einem Gewehr gezielt das Feuer auf schwedische Fußballfans und tötete zwei von ihnen. Dieser Terroranschlag stand mutmaßlich in Bezug zu den Koranverbrennungen in Schweden. Abdesalem L. konnte zunächst entkommen, wurde jedoch wenige Stunden später bei einem Festnahmeversuch infolge eines Schusswechsels tödlich getroffen. Im Nachgang zur Tat hatte Abdesalem L. ein Video veröffentlicht, das auch auf Youtube verbreitet wurde. Darin behauptete er, die Tat im Namen des IS ausgeführt zu haben. In einem weiteren Video leistete er einen Treueeid auf den Anführer des IS, ABU HAFS AL-HASHIMI AL-QURASHI. Durch seine offizielle Medienstelle "Amaq News" reklamierte der IS am 17. Oktober den Anschlag für sich. Zuletzt tat er dies in Bezug auf den Terroranschlag in Wien am 2. November 2020. Der damals zwanzigjährige Attentäter hatte vier Menschen erschossen, bevor er selbst erschossen worden war. Seite 182 von 242 Deutschland Wegen des verstärkten Agierens des ISPK in Europa sowie der hohen Emotionalisierungen infolge des Nahost-Konflikts war die Gefährdungslage in Deutschland insbesondere im letzten Quartal des Berichtsjahres besonders angespannt. In einer Medieninformation vom 29. November warnte das BfV vor einer "Sogwirkung der Hamas und des Gaza-Krieges" über die regionalen terroristischen Organisationen hinaus auf Einzelpersonen, welche der jihadistischen Ideologie nahestehen. "Die Dimension des HAMAS-Angriffs und die damit verbundene, weltweite Öffentlichkeitswirkung motivieren den IS und 'Al Qaida' daher zu Unterstützungsbekundungen, die zuvor kaum denkbar erschienen. Das Gefahrenpotenzial für mögliche Terroranschläge gegen jüdische und israelische Personen und Einrichtungen sowie gegen 'den Westen' insgesamt ist in der Folge deutlich angestiegen. Terrorpropaganda, die bereits die Koranverbrennungen in Schweden zum Anlass für eine Aufstachelung der jihadistischen Szene gegen alles 'Westliche' nutzte, bedient nunmehr aktiv das Narrativ des vermeintlich nötigen 'Schutzes der Al Aqsa-Moschee' in Jerusalem und den Kampf gegen Israel und das Judentum", so das BfV. Die verstärkte Bedrohungslage durch den ISPK wurde am 6. Juli deutlich: Nach Hinweisen des BfV wurden sieben Personen mit zentralasiatischem Migrationshintergrund an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen festgenommen. Dies geschah in Koordination mit Ermittlungsbehörden in den Niederlanden, wo es zeitgleich zur Festnahme zweier weiterer Personen kam. Laut Bundesanwaltschaft waren die Personen miteinander bekannt und teilten radikal-islamische Einstellungen. Sie waren im Frühjahr 2022 kurz nach dem Beginn des Ukraine-Krieges zeitgleich in Deutschland eingereist. Jihadistisch motiviert schlossen sie sich zusammen, um terroristisch motivierte Anschläge im Sinne des IS zu begehen. Sie hatten bereits mögliche Anschlagsziele ausgekundschaftet und versucht, sich Waffen zu beschaffen. Hierbei stand die Vereinigung in Kontakt mit außerhalb Deutschlands aufhältigen Mitgliedern des ISPK. Auch gegen den syrischen Staatsangehörigen Maan D. wurde am 30. August durch die Bundesanwaltschaft Anklage wegen Mordes sowie versuchten Mordes in drei Fällen erhoben. Maan D. hatte am 9. April einen zufällig angetroffenen Mann in der Duisburger Altstadt mit einer Vielzahl von Messerstichen getötet. Neun Tage später betrat er ein Fitnessstudio in Duisburg und verletzte drei weitere Personen schwer, bevor er festgenommen werden konnte. Maan D. hatte sich im Sinne der Ideologie des IS radikalisiert und aus eigenem Bestreben den Entschluss gefasst, durch das Töten von "Ungläubigen" seinen Beitrag zum weltweiten Jihad leisten zu wollen. Konkret wurde die Gefährdungslage auch in der Vorweihnachtszeit. So erfolgte am 29. November die Festnahme des 15-jährigen Deutsch-Afghanen Edris D. sowie des 16-jährigen Russen tschetschenischer Herkunft, Rasul M. Laut Medienberichten hatten die beiden fabuliert, einen mit Explosivstoffen beladenen Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt in Leverkusen zu steuern und dort in die Luft zu sprengen. Deutschland ist für potenzielle jihadistische Terroristen nicht nur Anschlagsziel, sondern dient auch als Raum, in welchem Unterstützungsleistungen für den IS erbracht werden. In diesem Zusammenhang erhob die Bundesanwaltschaft am 28. Dezember Anklage gegen fünf von sieben im Mai festgenommene mutmaßliche Unterstützer. Diese wurden hinreichend verdächtigt, zwischen 2020 und 2022 im Auftrag von zwei in Syrien aufhältigen IS-Mitgliedern Geldbeträge in Höhe von insgesamt über 250.000 Euro bei Einzelpersonen eingesammelt zu haben. Damit sollten Angehörige des IS in Syrien unterstützt bzw. in den kurdisch geführten Gefangenenlagern "Al-Hol" und "Roj" inhaftierte Personen freigekauft werden. Seite 183 von 242 Sachsen Wie in den Jahren zuvor, erhielt das LfV Sachsen auch im Berichtsjahr eine Vielzahl von Hinweisen mit Bezug zum jihadistischen Salafismus. Die Spannweite reichte hierbei von nicht plausiblen Beschuldigungen bis hin zu wertigen Sachverhalten. Die Bearbeitung der Hinweise erfolgte in engem Austausch mit dem Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowie über das BfV mit internationalen Sicherheitsbehörden. In Sachsen ereigneten sich im Berichtsjahr keine islamistisch motivierten Anschläge. Am 13. November ließ jedoch die Bundesanwaltschaft den irakischen Staatsangehörigen Iyad A.J. in Freiberg (Landkreis Mittelsachsen) durch Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) festnehmen. Iyad A.-J. wird der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland dringend verdächtigt. So soll er sich im Herbst 2013 im Irak dem IS angeschlossen und für die Gruppierung gekämpft haben. Zudem soll er in der Verwaltung des IS im Bereich Sicherheit tätig gewesen sein. Bis zum Urteil wurde der Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet. Jihadisten im Gefängnis Deutschlandweit, unter anderem im Freistaat Sachsen, befinden sich jihadistisch ideologisierte Personen in Haft. Hierbei handelt es sich z. B. um jihadistisch motivierte Personen, die in die IS-Gebiete ausgereist waren, dort aufgegriffen und nach Deutschland überstellt wurden, um hier Haftstrafen zu verbüßen. Eine weitere Gruppe sind Jihadisten, die sich in Deutschland radikalisierten und wegen Staatsschutzdelikten verurteilt wurden. Wie der Anschlag in Dresden am 4. Oktober 2020 zeigte, kann von diesen Personen auch nach ihrer Haftentlassung im Einzelfall eine hohe Gefahr für die Gesellschaft ausgehen. Rückkehrer nach Deutschland aus den Jihad-Gebieten in Syrien und dem Irak Nach dem Verlust des Herrschaftsgebietes des IS liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen vor, die sich aktuell in Syrien oder im Irak in Haft bzw. in Gewahrsam befinden. Zur Mehrheit dieser Personen wurde bekannt, dass sie beabsichtigen, nach Deutschland zurückzukehren. Rückkehrer aus den jihadistischen Kampfgebieten stellen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar. Von besonderer Relevanz sind hierbei Personen, von denen bekannt ist, dass sie ideologisch indoktriniert sind, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden und/oder Kampferfahrungen sammeln konnten. Grundsätzlich könnten diese Rückkehrer als "Veteranen des Kalifats" eine neue Dynamik in der salafistischen Szene in Deutschland auslösen. Einzelfallspezifisch werden von den beteiligten Behörden in Betracht kommende Maßnahmen erörtert und abgestimmt. Diese schließen eine strafrechtliche Verfolgung ebenso ein wie Maßnahmen zur Deradikalisierung und schließlich zur gesellschaftlichen Reintegration. Ziel ist insoweit ein ganzheitlicher Ansatz. Hierbei ist die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und der Polizei sowie beispielsweise mit den Jugend-, Sozial-, Schulund Gesundheitsbehörden von besonderer Bedeutung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die heterogene Zusammensetzung der Rückkehrer, zu denen beispielsweise auch Minderjährige und Frauen gehören. Seite 184 von 242 Rückkehrer nach Sachsen Im Berichtsjahr kam es weder zu Rückführungen noch zu Rückreisen von Personen aus Sachsen, die mit dem IS sympathisierten, in Kriegsbzw. Kampfgebiete ausgereist waren und sich dem IS angeschlossen haben. Fazit Aus den dargelegten Berichten wird deutlich, dass Akteure des legalistischen Islamismus sowie des politischen Salafismus unverändert auch im Freistaat Sachsen aktiv sind. Zudem liegen dem LfV Hinweise zu Personen vor, die mit der jihadistischen Ideologie sympathisieren bzw. sympathisiert haben. Wie in den Vorjahren bewegt sich dabei das hiesige Personenpotenzial im bundesweiten Vergleich auf niedrigem Niveau. Gerade der politische Salafismus bietet mit seiner Ideologie einen gefährlichen Nährboden, der unter Umständen zur Radikalisierung von Personen führen und damit auch als "Durchlauferhitzer" bzw. Katalysator bezüglich einer jihadistischen Islamauslegung dienen kann. Die Aktionspotenziale im Bereich des jihadistischen Salafismus sind in Deutschland stark von globalen Aspekten beeinflusst und eng verknüpft mit der Handlungsfähigkeit des IS. Die Gefährdungslage war im Berichtsjahr aufgrund des Erstarkens des ISPK und dessen vermehrt überregionaler Agenda sowie wegen der starken Emotionalisierungen infolge des NahostKonflikts besonders angespannt. In diesem Kontext spielten auch die im Frühsommer erfolgten Koranverbrennungen in Schweden eine wichtige Rolle. Wie verhinderte aber auch durchgeführte Anschläge im Berichtsjahr zeigten, ging in Europa und damit auch in Deutschland weiterhin vor allem von radikalisierten Einzeltätern eine hohe abstrakte Gefahr aus, die sich in Anschlägen bzw. diesbezüglichen Vorbereitungen konkretisiert hatten. Bei diesen Einzeltätern handelte es sich um Sympathisanten und Anhänger der jihadistischen Ideologie bzw. jihadistischer Terrororganisationen. Diese aktuell abstrakt hohe Gefährdungslage besteht unverändert auch für das Jahr 2024 fort. Wie in den Vorjahren geht die größte Gefahr vor allem von durch den IS und AL-QAIDA inspirierten Einzeltätern aus, die gemäß der Terrorpropaganda mit leicht zu beschaffenden Tatmitteln möglichst viele Menschen töten möchten. Zudem ist auch die Durchführung von direkt durch den IS, ISPK oder AQ gesteuerten, komplexen und groß angelegten Terroranschlägen weiterhin ganz im Sinne der jihadistischen Ideologie. Insbesondere der Nahost-Konflikt mit seinen fortwährenden antisemitischen und anti-israelischen Narrativen sowie die Darstellungen muslimischer "Opfermythen" gegen den "Westen" bieten das nötige Propagandamaterial für Emotionalisierungen und Radikalisierungen. In diesem Zusammenhang bleiben auch Großereignisse, wie die in Deutschland stattfindende FußballEuropameisterschaft oder die Olympischen Sommerspiele in Paris grundsätzlich ein mögliches, symbolträchtiges Anschlagsziel für jihadistisch motivierte Terroristen. Seite 185 von 242 6. Auslandsbezogener Extremismus in Sachsen vorrangig Bestrebungen aus dem Bereich der kurdischen PKK feststellbar Personenpotenzial bei konstant ca. 160 Personen hohes Mobilisierungspotenzial auch im linksextremistischen Spektrum für Demonstrationen und Kundgebungen strukturelle Vernetzung mit Linksextremisten insbesondere in Leipzig und Dresden Aktivitäten der PKK maßgeblich vom Schicksal des inhaftierten PKK-Führers ÖCALAN und den Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet bestimmt Anstieg der Straftaten resultierend aus dem pro-palästinensischen Protestund Demonstrationsgeschehen sowie starker Anstieg der antisemitischen Straftaten vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges Seite 186 von 242 6.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Die auslandsbezogenen extremistischen Bestrebungen richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden z. B. durch die Begehung von Straftaten und die fortwährende Bereitschaft zu aktionsorientiertem und gewaltbereitem Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Dabei handelt es sich um kein einheitliches Spektrum. Politik, Strategie und Aktionen der nicht islamistischen extremistischen Organisationen in Deutschland werden ganz entscheidend von den Entwicklungen - insbesondere Veränderungen der allgemeinen politischen Lage, aber auch durch bedeutsame Einzelereignisse in den jeweiligen Herkunftsländern - bestimmt. Linksextremistisch-separatistische Organisationen, wie die auch im Freistaat Sachsen aktive ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK), streben die revolutionäre Beseitigung der jeweiligen Staatsordnung in ihren Herkunftsländern und die Errichtung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems an. 6.2 Personenpotenzial In Sachsen konnten auslandsbezogene extremistische Bestrebungen vorrangig aus dem Bereich der kurdischen PKK, also dem linksextremistisch-separatistischen Bereich, festgestellt werden. Ihr Potenzial bewegt sich seit Jahren - so auch im Jahr 2023 - bei konstant ca. 160 Personen. Auch Mitglieder und Anhänger der Nachfolgeund Nebenorganisationen der PKK zählen darunter. Jedoch kann das Mobilisierungspotenzial der PKK, das insbesondere abhängig von den politischen Entwicklungen in der Türkei ist, die oben aufgeführte tatsächliche Anhängerzahl der PKK deutlich überschreiten. Zum Kreis der Mobilisierten zählen beispielsweise regelmäßig auch Personen aus dem deutschen linksextremistischen Spektrum. 6.3 Strukturen ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) Sitz Nord-Irak (Kandil-Gebirge) Gründung 1978 Vorsitz Abdullah ÖCALAN Teil- / - KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT Nebenorganisationen KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) als PKK-Europaführung - KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E. V. (KON-MED) als Dachverband der PKKnahen Vereine in Deutschland - Massenorganisationen wie TEVGERA CIWANEN SORESGER (TCS) als Dachverband jugendlicher PKK-Anhänger und der DACHVERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN (YXK) Publikationen "SERXWEBUN" (Unabhängigkeit), Seite 187 von 242 "YENI ÖZGÜR POLITIKA" (Neue Freie Politik) Personenpotenzial / 2018 2019 2020 2021 2022 2023 Mitgliederentwicklung Sachsen 160 160 160 160 160 160 Finanzierung Spendensammlungen bei den Anhängern der PKK, Eintrittsgelder bei Großveranstaltungen Kurzportrait / Ziele Die PKK strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nordirak, Teile des westlichen Irans und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Im Jahr 1993 erließ das Bundesministerium des Innern ein Betätigungsverbot für die PKK und ihre Nebenorganisationen. Die PKK ist zudem auf der EU-Terrorliste verzeichnet. Die PKK hat Deutschland in Regionen und Gebiete eingeteilt. Für die Umsetzung zentraler Vorgaben nutzt sie überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Relevante Ereignisse Die Aktivitäten der PKK in Sachsen wurden im Jahr 2023 und Entwicklungen maßgeblich vom Schicksal ihres in der Türkei inhaftierten 2023 Anführers Abdullah ÖCALAN und vom militärischen Vorgehen der Türkei in den kurdischen Siedlungsgebieten bestimmt. Außerdem wurde die Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots verstärkt in die Öffentlichkeit getragen. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entfaltete die PKK in Dresden und Leipzig in Form von Kundgebungen und Demonstrationen, an denen sich auch deutsche Linksextremisten beteiligten. Geschichte der PKK Die ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) wurde im Jahr 1978 gegründet. Ursprüngliches Ziel war die Schaffung eines autonomen, sozialistisch orientierten Kurdenstaates. Zu den Gründern gehörte Abdullah ÖCALAN. Er übte von Beginn an die Funktion des Generalsekretärs aus. Seine bis heute unangefochtene Führungsposition setzte er gegen interne Widerstände durch und behielt diese auch nach seiner Inhaftierung und Verurteilung im Jahr 1999. Zur Durchsetzung ihrer Ziele nahm die PKK im Jahr 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. Sie entwickelte sich seitdem zur anhängerstärksten und militantesten Kurdenorganisation. Ihr militärischer Arm, die VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HEZEN PARASTINA GEL-HPG), ist für tausende Todesopfer verantwortlich, auch unter Touristen und der Seite 188 von 242 Zivilbevölkerung. Seit dem Jahr 2002 sind die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen von der Europäischen Union als terroristische Organisationen gelistet.150 Zwischen 2013 und 2015 schien sich bei der PKK eine neue Entwicklung abzuzeichnen. Die türkische Regierung führte Verhandlungen mit Abdullah ÖCALAN. Damit sollten Waffenniederlegung und Gewaltverzicht der PKK erreicht werden. Im Gegenzug erwartete die PKK-Führung die Erfüllung ihrer Forderungen nach Verankerung politischer und kultureller Rechte für die Kurden in einer neuen Verfassung der Türkei. Nach dem Scheitern der Verhandlungen begann Mitte 2015 eine neue Ära der terroristischen Anschläge durch militante Kräfte der PKK. Für einen Anschlag durch den ISLAMISCHEN STAAT (IS) im Juli 2015 auf eine Veranstaltung kurdischer Jugendlicher in Suruc im Südosten der Türkei schrieb die PKK der türkischen Regierung die mittelbare Schuld zu. Die daraufhin einsetzende Spirale der Gewalt ebbte 2017 wieder ab. Es wurden der PKK allerdings auch danach vereinzelte Anschläge auf türkische Polizisten und Militärangehörige sowie Zivilisten zugerechnet. Am 1. Oktober 2023 erfolgte ein Sprengstoffanschlag in der Nähe des türkischen Innenministeriums in Ankara. Von der zunehmenden Verfolgung regimekritischer Personen in der Türkei sind nicht zuletzt auch Kurden betroffen. Jedwede Parteinahme für sie wird dort als Unterstützung einer Terrororganisation geahndet. Strukturen der PKK im Freistaat Sachsen Folgende der in Sachsen ansässigen und der PKK zugehörigen Organisationen zeigten auch im Jahr 2023 mit der Durchführung von Kundgebungen, Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen Präsenz: DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. und UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V. Ideologie Die Geschichte der PKK ist eng mit der Person ihres Gründers Abdullah ÖCALAN verbunden. Bereits während des Studiums der Politikwissenschaften beeinflussten ihn linksextremistische Organisationen. Auf dem PKK-Gründungskongress im Jahr 1978 verabschiedeten ÖCALAN und weitere Funktionäre ein von marxistisch-leninistischen sowie nationalen Grundsätzen geprägtes Manifest. Darin präsentierte sich die PKK als revolutionäre Partei des Proletariats und der Bauern auf Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus. Bereits in diesem ersten Manifest rief die PKK dazu auf, "Kurdistan vom imperialistischen und kolonialistischen System zu befreien und in einem einheitlichen Kurdistan eine demokratische Volksdiktatur zu gründen". Damit war der sog. nationale Befreiungskampf für eine universale klassenlose Gesellschaft in einem unabhängigen, sozialistischen Kurdistan erklärtes Ziel der PKK. Hauptgegner ist der türkische Staat. Der militärische Arm der PKK begann im August 1984 im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg, um die Vision eines unabhängigen Kurdenstaates gewaltsam umzusetzen. Über zwei Jahrzehnte lang verübte die PKK terroristische Anschläge in der Türkei, auch gegen die Zivilbevölkerung und ausländische Touristen. Bis heute stellt die Verhaftung ÖCALANS am 15. Februar 1999 durch den türkischen Geheimdienst in Kenia einen gravierenden Einschnitt in der Geschichte der PKK dar. Unter 150 Siehe u. a. hier: https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017D1426&from=DE Seite 189 von 242 dem Druck eines drohenden Todesurteils nahm ÖCALAN mit einem zweiten Manifest Abstand von der Bildung eines eigenständigen Kurdenstaates mithilfe des bewaffneten Kampfes. Im August 1999 erklärte er den bewaffneten Kampf der PKK schließlich für beendet. Daraufhin zogen sich die meisten PKK-Guerillaeinheiten nach und nach aus der Türkei zurück. Sie halten sich seitdem überwiegend in von Kurden autonom verwalteten Gebieten im benachbarten Nordirak auf. Von dort dringen sie immer wieder in türkisches Staatsgebiet ein und provozieren dadurch bewaffnete Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee, obwohl die PKK im Jahr 2000 die Grundsätze ihres zweiten Manifests bestätigt hatte. Die Beschlüsse sahen eine "Demokratisierung" innerhalb der PKK und die Wandlung hin zu einer "legalen Organisation" vor. Strategie Die PKK verfolgt bei ihren Aktivitäten weiterhin eine Doppelstrategie. Während sie auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt und Anhänger für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat mobilisiert, nutzt sie Europa vorrangig als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Die PKK und ihr Unterstützerkreis in Deutschland stellen sich als in der Türkei zu Unrecht verfolgte Regimegegner dar und versuchen so, ihr Ansehen zu verbessern und ihren Einfluss zu erhöhen. Strategie und Aktionen der PKK zielen auf eine radikale Veränderung der politischen Verhältnisse im Heimatland ab und werden demzufolge entscheidend von der Situation in den kurdischen Siedlungsgebieten und den dortigen zentralen Organisationseinheiten geprägt. Aktivitäten Im Jahr 2023 bestimmten folgende Faktoren maßgeblich die Aktivitäten der PKK in Deutschland und somit auch im Freistaat Sachsen: das Schicksal, insbesondere die Haftbedingungen ihres in der Türkei inhaftierten Anführers Abdullah ÖCALAN und das militärische Vorgehen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten. Bei den Aktivitäten wird regelmäßig die Forderung nach Aufhebung des im Jahr 1993 für die PKK in Deutschland erlassenen Betätigungsverbots verstärkt in die Öffentlichkeit getragen. Schwerpunkte der Aktivitäten in Deutschland und Europa waren dabei Demonstrationen, Kundgebungen und Informationsstände. Der PKK gelang es regelmäßig, ihre Anhängerschaft auch im Freistaat Sachsen zu mobilisieren, die den zentralen Aufrufen des KONGRESSES DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E), der KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E. V. (KON-MED) und der KURDISCHEN FRAUENBEWEGUNG IN EUROPA (TJK-E) folgten. Unterstützt wurden die Aktivitäten durch deutsche Linksextremisten im Rahmen der "Kurdistansolidarität" mittels Hilfe bei der Mobilisierung für Veranstaltungen, der Teilnahme daran und der Berichterstattung im Internet. Vor allem in den Großstädten Dresden und Leipzig kann eine strukturelle Vernetzung der PKK mit deutschen Linksextremisten festgestellt werden. Europaweit wurde im Januar des Berichtsjahres dreier am 9. Januar 2013 in Paris ermordeter kurdischer PKK-Revolutionärinnen sowie dreier kurdischer Opfer eines Schusswaffenattentats am 23. Dezember 2022 in Paris gedacht. Am 14. Januar fand dazu im DRESDNER VEREIN DEUTSCH-KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. eine Veranstaltung zum Märtyrergedenken statt, die vom UTA FRAUENRAT E. V. organisiert wurde. Der Raum war mit Bildnissen weiterer PKKMärtyrer, einem Bild von Abdullah ÖCALAN und der Fahne der Seite 190 von 242 FRAUENVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YPJ) geschmückt. Eine PKK-nahe Nachrichtenagentur berichtete über das Ereignis mit einem Artikel und einem Video. Auch bundesweite Ereignisse sind für die PKK-Strukturen in Sachsen relevant. So fand das 31. Internationale Kurdische Kulturfestival am 9. September mit ca. 12.000 Teilnehmern unter dem Motto "100 Jahre nach dem Vertrag von Lausanne: Lösung der kurdischen Frage, Freiheit für Öcalan, Status für Kurdistan" in Frankfurt/Main statt. Zu dieser Veranstaltung reisten auch Personen aus Sachsen an. Öffentliche Wahrnehmung und Ideologieverbreitung wurden mit den Kurdistantagen vom 2. bis 13. August in Leipzig erzielt. In Filmvorführungen wurde eine feministische Sicht auf Kurdinnen im Zusammenhang mit ihrem Alltag als Guerillakämpferinnen abgebildet. Mittels verschiedener Veranstaltungsformate wurden zudem Netzwerkmöglichkeiten zwischen der linksextremistischen Szene und der PKK geschaffen. Abschließend fand am 13. August in Leipzig ein Aufzug mit Kundgebung unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - Frieden in Kurdistan" statt. An der Veranstaltung nahmen 80 Personen teil. Berichten einer PKK-nahen Nachrichtenagentur zufolge hätten sich angeblich sogar etwa 100 Personen beteiligt. In Redebeiträgen wurde auf die Haftsituation ÖCALANS aufmerksam gemacht. Es wurden Fahnen mit dessen Abbild sowie ein großes Transparent mit der Aufschrift "Die Zeit ist gekommen - Freiheit für Öcalan" mitgeführt. Die zentrale Forderung nach Freilassung des PKK-Gründers eint im Übrigen gleichermaßen Linksextremisten und Personen, die dem Auslandsbezogenen Extremismus zugerechnet werden. So wurden bei der Demonstration neben Fahnen der KURDISCHEN FRAUENBEWEGUNG IN EUROPA (TJK-E) auch Antifa-Fahnen festgestellt. Diskussionen um die Aufhebung des PKK-Verbots wurden genutzt, um ein verzerrtes, verharmlosendes Bild einer "friedlichen PKK" zu zeichnen. Dabei wird verkannt, dass der Gewaltverzicht in Europa eine Vorgabe der PKK-Führung ist, die im Übrigen zur Durchsetzung ihrer Ziele aber auf den bewaffneten Kampf setzt. Mit dem regelmäßigen öffentlichen Zeigen der Fahnen der YPG sowie der YPJ wird auch in Sachsen Unterstützung und Sympathie für die bewaffneten kurdischen Milizen und deren Guerillakampf zum Ausdruck gebracht. Darüber hinaus waren im Berichtsjahr auch abseits vom Versammlungsgeschehen Sympathiebekundungen für die Ideologie und die Ziele der PKK vereinzelt feststellbar. So wurde im Oktober der Schriftzug "Free Rojava from Turkey" an ein Objekt der TU Bergakademie Freiberg gesprüht. Auch andere propagandistische Mittel, wie das öffentlichkeitwirksame Anbringen von Plakaten mit der Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots, wurden festgestellt. Fazit Aufgrund des im Bundesvergleich geringen und seit Jahren stagnierenden Anhängerpotenzials ist eine signifikante Beeinträchtigung der Sicherheit des Freistaates Sachsen in absehbarer Zeit durch die hier ansässigen PKK-nahen Vereine nicht zu erwarten. Da die PKK jedoch hierzulande häufig auf aktuelle Ereignisse in der Türkei und Nordsyrien reagiert, muss situationsbedingt auch künftig mit extremistischen Aktivitäten und damit einhergehend mit der Mobilisierung größerer Personenpotenziale gerechnet werden. Dabei können wegen der Kooperation der PKK mit Linksextremisten weiterhin mitunter weit über dem PKK-Personenpotenzial von 160 Personen liegende Teilnehmerzahlen generiert werden. Somit wird die Unterstützung solcher Aktivitäten durch Linksextremisten, vor allem in Leipzig und Dresden, weiterhin eine bedeutende Rolle für die Szene spielen. Seite 191 von 242 6.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten ausländische Ideologie und religiöse Ideologie Der seit dem Jahr 2017 als "ausländische Ideologie"151 und "religiöse Ideologie"152 bezeichnete Teilbereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) ist im Vergleich zu den Strafund Gewalttaten in den anderen extremistischen Phänomenbereichen im Freistaat Sachsen nur von marginaler Bedeutung. So machte er im Berichtsjahr etwas mehr als zwei Prozent des Gesamtaufkommens extremistischer Straftaten aus. Im Jahr 2023 stieg die Anzahl der Straftaten im Bereich ausländische und religiöse Ideologie auf mehr als das Doppelte (83 Straftaten) an. Die Zahl der Gewaltdelikte (neun) lag zwar über dem Niveau des Vorjahres (2022: vier), bewegte sich aber immer noch unter dem Niveau der Vorjahre. Der deutliche Anstieg der Straftaten resultierte im Berichtsjahr aus dem pro-palästinensischen Protestund Demonstrationsgeschehen, das sich nach dem HAMAS-Überfall auf Israel am 7. Oktober entwickelte. Der Gaza-Krieg war auch ursächlich für den starken Anstieg der antisemitischen Straftaten mit Extremismusbezug von acht im Jahr 2022 auf 43 Straftaten im Berichtsjahr. 45 42 42 40 35 32 31 30 24 Straftaten ausl. Ideologie 25 23 23 Gewalttaten ausl. Ideologie 20 Straftaten relig. Ideologie 15 Gewalttaten relig. Ideologie 10 8 8 7 6 6 5 4 4 3 0 0 2020 2021 2022 2023 151 Die Kategorie "PMK - ausländische Ideologie" bildet ab, inwieweit im Ausland begründete nicht religiöse Ideologien nach Deutschland hereingetragen werden und hier den Hintergrund für Straftaten bilden. Hiervon sind aus dem Ausland stammende, separatistische, rechte und linke Ideologien, also sämtliche ausländische nicht religiöse Ideologien, umfasst. Die Staatsangehörigkeit der Täter ist hierbei unerheblich (vgl. auch Internetseite des Bundeskriminalamtes: www.bka.de) 152 Der Kategorie "PMK - religiöse Ideologie" werden Straftaten zugerechnet, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine religiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war und die Religion zur Begründung der Tat instrumentalisiert wird (vgl. auch Internetseite des Bundeskriminalamtes: www.bka.de). Seite 192 von 242 III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Russische und chinesische Nachrichtendienste bleiben Hauptakteure im Freistaat Sachsen Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht sind insbesondere vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges ein wichtiges Tätigkeitsfeld des LfV Russland führt einen hybriden "Informationskrieg" mithilfe professioneller Desinformationskampagnen gegen den "Westen" Ziel von Cyberangriffen ist zunehmend die Kritische Infrastruktur (KRITIS) der westlichen Welt Das LfV informiert Interessenten und Multiplikatoren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schnell und gezielt u. a. über elektronische Angriffskampagnen und bietet Unterstützung bei Abwehrmaßnahmen an Seite 193 von 242 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten Ein funktionierendes Staatswesen und eine funktionierende Wirtschaft sind eine wesentliche Grundlage für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Die Abwehr von hiergegen gerichteten Spionageund Sabotageaktivitäten ist deshalb ein wichtiges Aufgabenfeld der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht waren auch im Jahr 2023, insbesondere vor dem Hintergrund des fortdauernden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, ein wichtiges Bearbeitungsgebiet des Verfassungsschutzes. Die gesetzliche Grundlage für das Tätigwerden des LfV Sachsen in diesem Bereich ist SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sächsisches Verfassungsschutzgesetz (SächsVSG). Von zentraler Bedeutung war erneut die staatlich gelenkte Spionage, also die nachrichtendienstlich organisierte Beschaffung von Informationen. Die spionagerelevanten Aufklärungsinteressen gegnerischer Nachrichtendienste sind vielfältig und betreffen u. a. das politische Geschehen (Politikspionage) oder aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen in Wirtschaft und Wissenschaft (Wirtschaftsspionage). Als Spezialfall der Wirtschaftsspionage sind die nach wie vor festzustellenden Proliferationsbestrebungen fremder Mächte anzusehen. Dabei geht es neben der Aufklärung der entsprechenden Technologie auch um die vollständige oder partielle Beschaffung und Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen. Neben der Spionage erfordert die staatlich gelenkte Sabotage ein besonderes Augenmerk. Das sind vor allem elektronische Angriffe, die nicht mehr nur der Informationsgewinnung, sondern auch der Informationsbeeinträchtigung dienen und somit den drei primären Schutzzielen der Informationssicherheit (Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit von Informationen) entgegenwirken. Die Fälle von Cyberangriffen werden der Cyberspionage, Cybersabotage sowie cybergestützten Einflussnahmeaktionen zugeordnet. Dabei gibt es auch Überschneidungen mit der Cyberkriminalität, z. B. Ransomware-Angriffe auf öffentliche Einrichtungen und Behörden, die mit Geldforderungen verbunden sind. Ransomware-Angriffe können aber auch zur Verschleierung anderer Angriffsarten genutzt werden oder reinen Sabotagezwecken ohne finanzielle Forderungen dienen. Ziel dieser gegnerischen Cyberaktivitäten ist seit Beginn des Ukraine-Krieges anhaltend die Kritische Infrastruktur (KRITIS) der westlichen Welt. Politikspionage richtet sich in erster Linie gegen Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen sowie gegen Mandatsträger politischer Parteien und deren unmittelbare Mitarbeiter. Darüber hinaus können auch Mitglieder von Oppositionsbewegungen aus dem Ausland, die in Deutschland leben, von den Maßnahmen des jeweiligen Herkunftsstaates betroffen sein. Bei der Wirtschaftsspionage stehen vor allem Technologieunternehmen und Forschungseinrichtungen im Fokus. Staat und Verwaltung, insbesondere Universitäten und technische Hochschulen, können ebenfalls berührt sein. Die politische Bedeutung sowie die wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsund Innovationskraft Deutschlands und somit auch des Freistaates Sachsen begründen ein intensives Aufklärungsund Beeinflussungsinteresse fremder Mächte. Die aufgrund von Spionage eintretenden Schäden sind schwerwiegend. Im Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft besteht die Gefahr empfindlicher Forschungsoder Auftragsverluste. Untersuchungen153 aus dem Jahr 2023 gehen davon aus, dass in Deutschland im Jahr 2023 80 Prozent der Unternehmen von Datendiebstählen, Industriespionage oder Sabotage betroffen oder vermutlich betroffen waren. Dabei ging man im Untersuchungszeitraum von einem jährlichen Gesamtschaden in Höhe von über 200 Milliarden Euro aus. Insgesamt 153 Studie Wirtschaftsschutz 2023, www.bitkom.org Seite 194 von 242 können Spionage und Sabotage auf Dauer spürbare Auswirkungen auf Staat und Wirtschaft haben. 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 2.1 Akteure und Schwerpunkte Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sind zahlreiche ausländische Nachrichtendienste mit ganz unterschiedlichen Interessen aktiv. Hoch entwickelte Staaten wollen mithilfe ihrer Nachrichtendienste vor allem im politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb weiter Schritt halten und Wettbewerbsvorteile erzielen. Krisenländern geht es beim Einsatz ihrer Nachrichtendienste in politischer Hinsicht um die Aufklärung und Unterwanderung von Oppositionsgruppen, deren Mitglieder in Deutschland leben. In wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht entwickeln diese Länder vor allem proliferationsrelevante154 Aktivitäten. 2.1.1 Russische Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation waren im Jahr 2023 weiterhin von großer Bedeutung für die russische Staatsführung. Ihre Bemühungen erstreckten sich sowohl auf gesellschaftliche und politische als auch auf wirtschaftliche und wissenschaftliche Bereiche. Der fortdauernde Angriffskrieg gegen die Ukraine hat konkrete Auswirkungen auf die russischen Nachrichtendienste und für deren Aufklärungsaktivitäten in Deutschland. Aufgrund des Informationsdefizits, das Russland im Rahmen der umfangreichen Sanktionen des Westens auf dem Gebiet der internationalen diplomatischen Beziehungen bzw. Präsenz entstanden ist, sehen sich die russischen Nachrichtendienste umso mehr einem hohen Aufklärungsdruck ausgesetzt. Seit April 2022 wurden 40 russische Diplomaten, welche einem russischen Nachrichtendienst zuzuordnen waren, aus Deutschland ausgewiesen. Außerdem wurde das Russische Generalkonsulat in Leipzig Ende Dezember 2023 geschlossen. Die russischen Nachrichtendienste können somit nur noch wenig bis gar nicht auf die vormals stark ausgeprägte geheimdienstliche Infrastruktur ihrer Legalresidenturen155 zurückgreifen. Es ist demzufolge davon auszugehen, dass russische Nachrichtendienste verstärkt auf altbewährte Methoden, wie z. B. Non Official Cover156, Reise-Agenten157 oder Illegale158 zurückgreifen. Um die durch die umfangreichen Sanktionen entstandenen Zugangsund Beschaffungshemmnisse zumindest teilweise und möglichst kurzfristig zu kompensieren, wichen die russischen Nachrichtendienste ebenso erfolgreich auf offensivere Spionageaktivitäten im IT-Bereich aus und weiteten die Instrumente der Hybriden Kriegsführung aus. In diesem Zusammenhang spielte auch die Verbreitung von Desinformationen insbesondere über die sozialen Medien eine entscheidende Rolle. In Windeseile können Desinformationen über diese Kanäle verbreitet werden, eine hohe Reichweite erzielen und unter Umständen dazu beitragen, Gesellschaften in ihrer Meinungsfindung zu beeinflussen bzw. zu spalten. Schlussendlich zielen derartige 154 Die Weiterverbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABCWaffen) beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Güter und Technologien sowie entsprechender Waffenträgersysteme (z. B. Raketen und Drohnen) einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows wird als Proliferation bezeichnet. 155 Legalresidentur - Getarnter Stützpunkt eines ausländischen Nachrichtendienstes im Operationsgebiet, der sich in einer offiziellen oder halboffiziellen Vertretung (z. B. Botschaft, Konsulat, Handelsvertretung, staatliche Fluggesellschaft) befinden kann. 156 "Non Offical Cover" bedeutet, dass der Einsatz ohne offizielle Abdeckung des entsendenden Staates erfolgt. 157 Von "Reise-Agenten" spricht man, wenn der Einsatz mit gefälschter Identität und meist nur zur Erledigung eines bestimmten Auftrags erfolgt. 158 Von "Illegalen" spricht man, wenn die Person sich mit gefälschtem Lebenslauf einschließlich gefälschter Identität im Operationsgebiet aufhält. Seite 195 von 242 Kampagnen mitteloder langfristig darauf ab, politische Systeme im "Westen" zu destabilisieren.159 Vor allem der russische zivile Auslandsnachrichtendienst SWR160, der militärische Auslandsnachrichtendienst GRU161 und der Inlandsnachrichtendienst FSB162 waren gegen Deutschland aktiv. Aufklärungsschwerpunkte sind dabei die deutsche Haltung zu Fragen der Außenund Sicherheitspolitik sowie der Finanzund Energiepolitik, aber auch die Rolle Deutschlands in der NATO. Im Fokus der Aufklärungsmaßnahmen standen, neben sog. Denkfabriken, Nichtregierungsorganisationen und Vereinen mit Bezügen zu Russland oder anderen osteuropäischen Staaten, insbesondere politische Mandatsträger. Dies spiegelt sich in der anhaltenden Cyberangriffskampagne "Ghostwriter" wider, welche dem russischen Militärgeheimdienst GRU zugeschrieben wird. Die russische Wirtschaft trotz umfangreicher Sanktionen u. a. mit neuem Know-how zu versorgen, ist ein weiteres Betätigungsfeld russischer Nachrichtendienste oder mutmaßlich in deren Auftrag handelnder Akteure. Viele in Deutschland produzierte Hochtechnologieprodukte sind militärisch wie auch zivil nutzbar. Es handelt sich dabei um sog. Dual-Use-Güter, das heißt, hier kann ein militärischer Verwendungszweck nicht ausgeschlossen werden. Nachdem der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden am 15. Juli 2022 einen sächsischen Geschäftsmann wegen der gewerbsmäßigen Ausfuhr von Dual-Use-Gütern163 ohne Genehmigung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten164 verurteilte, waren im aktuellen Berichtszeitraum keine vergleichbaren strafprozessualen Verfahren zu verzeichnen. Dennoch gab es auch 2023 proliferationsrelevante Hinweise mit Bezug nach Sachsen im einstelligen Bereich, denen das LfV Sachsen auch in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz nachging. 2.1.2 Volksrepublik China Die Volksrepublik China betreibt ein umfassendes System des Know-howund Technologietransfers, mit dem die zivile und militärische Entwicklung des Landes vorangetrieben werden soll. Dabei verfolgt die politische Führung eine ganzheitliche und gesamtgesellschaftliche Strategie. Bis zum Jahr 2025 zielt der chinesische Staat darauf ab, China - mit allen Mitteln einer staatlich gelenkten Wirtschaft - in die stärkste Wirtschaftsmacht der Welt zu transformieren. Um die ambitionierten Ziele, u. a. dargelegt in dem Masterplan "Made in China 2025" sowie in den Fünf-Jahres-Plänen, zu erreichen, setzt die Volksrepublik ihre Nachrichtendienste zur Informationsgewinnung in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft ein. Mit der Beschaffung sensibler Informationen aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, sollen bestehende Lücken geschlossen, strategische Vorteile gewonnen und eigene wirtschaftliche Interessen gefördert werden. 159 Vgl. zum Thema "Desinformation" auch die übergreifende Betrachtung zum Thema "Mission abstreiten, verzerren, ablenken und verunsichern - Russische Desinformationskampagnen im Kontext des Krieges in der Ukraine", Verfassungsschutzbericht 2022 des Freistaates Sachsen, S. 22-29. 160 Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation 161 Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation 162 Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation 163 Dual-Use-Güter sind Güter mit doppeltem Verwendungszweck, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können (z. B. Laborausrüstungen). 164 https://www.justiz.sachsen.de/olg Seite 196 von 242 Der Schwerpunkt chinesischer Interessen liegt auf den zehn Zukunftsbranchen, in denen China die globale Marktund Technologieführerschaft anstrebt: Meerestechnik und Schifffahrt, Schienenverkehrstechnik und Medizintechnik, elektrische Ausrüstung, Industrierobotik und Roboterbau, neue Informationstechnologien sowie Luftund Raumfahrttechnik. Im Bereich der wissenschaftlichen Forschung sind vor allem die Gebiete der Mikroelektronik, der Biotechnologie, der Umwelttechnologie und der erneuerbaren Energien von großer Bedeutung. Wenngleich die zehn Zukunftsbranchen im besonderen Fokus der Volksrepublik China stehen, ist aus chinesischer Sicht im Grunde genommen jede Information wichtig, die dem Land einen Vorteil bringt. Der "chinatalenttracker" des "Centers for Security and Emerging Technology" (CSET) der Universität von Georgetown (USA) zeigt die von der chinesischen Partei und dem Staat geförderten Initiativen, die darauf abzielen, den inländischen Talentpool Chinas zur Unterstützung der strategischen zivilen und militärischen Ziele Chinas fortzuentwickeln. Von Peking als entscheidend für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Chinas angesehen, zielen Talentprogramme darauf ab, grundsätzlich jeden vom Experten bis zum Studenten zu rekrutieren, der perspektivisch in Betracht kommt, wichtige Positionen in Regierung, Industrie, Verteidigung und Wissenschaft zu besetzen, um Innovationen sowie Wachstum des Landes voranzutreiben und damit dem Wohle des Staates zu dienen. Der Know-how-Bedarf ist nicht zuletzt durch die Sanktionen der USA gegenüber China gestiegen. Umso mehr stehen vor allem innovative deutsche - und somit auch sächsische - Unternehmen und Hochschuleinrichtungen mit ihren Spitzentechnologien im Blickfeld chinesischer Nachrichtendienste. Vor diesem Hintergrund bemüht sich China immer intensiver um Zugänge zu Unternehmen, Forschungsund Wissenschaftseinrichtungen. Chinesische Studenten, Doktoranden und (wissenschaftliche) Arbeitskräfte werden ganz gezielt mit Ausforschungsund Beschaffungsaufträgen betraut, um in Unternehmen und an Universitäten oder Forschungseinrichtungen im Ausland Wissen abzuschöpfen und dieses (illegal) nach China zu transferieren. Insbesondere Programme, wie der "Tausend-Talente-Plan", sorgen dafür, dass chinesische Wissenschaftler ihre Expertise im Sinne der Volksrepublik einsetzen und so dem Land zum Aufstieg zur globalen Wirtschaftsmacht verhelfen. China macht sich dabei die Offenheit der westlichen Länder zunutze und profitiert von Schwachstellen und Unkenntnis auf Seiten seiner Aufklärungsziele in Kommunen, Hochschulen und Industriebetrieben. Informationsdefizite, mangelnde China-Kompetenzen, das Konkurrieren um chinesische Investitionen, fehlendes Problembewusstsein und unzureichende soziale Kontrolle ermöglichen chinesischen Akteuren die Abschöpfung von Informationen oder gar den Erwerb von Industriebeteiligungen sowie die Übernahme von Unternehmen. Deutlich wird das Streben der chinesischen Staatsund Parteiführung nach Wissensbeschaffung zum Zwecke des Machtzuwachses auch in der Strategie der "zivilmilitärischen Fusion". Das Konzept sieht vor, nicht nur zivile Akteure im Sinne der Wissensbeschaffung einzusetzen, sondern parallel auch die militärische Komponente zur Absicherung der chinesischen Interessen zu stärken. Hierfür benötigt China modernste Technologien, die das Land kurzund mittelfristig nicht selbst entwickeln kann, sondern diesbezüglich auf die Beschaffung im Ausland angewiesen ist. Neben den chinesischen Nachrichtendiensten spielen parallel immer häufiger auch andere Akteure, wie z. B. Unternehmensvertreter im Ausland, in Deutschland tätige chinesische Auslandskorrespondenten oder chinesische Cybergruppierungen, eine wichtige Rolle. Diese Personen unterstützen die Nachrichtendienste bei ihren Ausforschungsund Beschaffungsbemühungen. Weiterhin investiert China in den Ausbau einer flächendeckenden Kommunikationsund Internetüberwachung. Für die erforderlichen Maßnahmen verfügen die chinesischen Seite 197 von 242 Nachrichtendienste über eine starke Personalausstattung und umfangreiche rechtliche Befugnisse. Die verschiedenen nachrichtendienstlichen Maßnahmen werden durch das Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS) organisiert. Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste sind auch an den amtlichen chinesischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Legalresidenturen) abgetarnt tätig. Ein weiteres Betätigungsfeld chinesischer Nachrichtendienste ist die Ausspähung und Bekämpfung in Deutschland lebender Oppositioneller, die aus Sicht der chinesischen Staatsund Parteiführung das Machtmonopol der Kommunistischen Partei Chinas infrage stellen und die "nationale Einheit" bedrohen. Dazu gehören neben nach Deutschland geflohenen Regimekritikern auch Angehörige der von chinesischen Behörden als "Fünf Gifte" bezeichneten Bewegungen. Zu den "Fünf Giften" zählen die nach Unabhängigkeit strebenden ethnischen Minderheiten der Uiguren und Tibeter, die regimekritische Falun-Gong-Bewegung, die Demokratiebewegung und die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit der Insel Taiwan. So werden in Deutschland ansässige Personen, die den "Fünf Giften" zugeordnet werden, von staatlichen chinesischen Akteuren verfolgt. Mit offenen und verdeckten Mitteln versucht China somit, Einfluss auf oppositionelle Aktivitäten zu nehmen und relevante Personen zu kontrollieren, diskreditieren, einzuschüchtern und zur Zusammenarbeit bei der Beschaffung von Informationen zu bewegen. Innerstaatliche Konflikte mit Oppositionellen und nationalen Minderheiten in einigen Provinzen in China werden als wachsende Bedrohung der staatlichen Sicherheit wahrgenommen. Aufgrund des daraus folgenden hohen Aufklärungsbedarfs, ist davon auszugehen, dass chinesische Nachrichtendienste entsprechende Aktivitäten auch gegen im Freistaat Sachsen lebende chinesische Oppositionelle entfalten, wenngleich es für den Berichtszeitraum keinen konkreten Hinweis gab. In den vergangenen Jahren hat die chinesische Führungsspitze auch ihre Bemühungen zur Beschaffung hochwertiger politischer Informationen sowie zur Beeinflussung von Entscheidungsprozessen im Ausland deutlich erhöht. Hierzu hat sich die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ein weltweites Kontaktnetzwerk aufgebaut und ist stetig bestrebt, dieses zu erweitern. Eine zentrale Rolle spielt dabei das dem Zentralkomitee der KPCh untergeordnete International Department of the Central Commitee of the Communist Party of China (IDCPC). Das IDCPC unterhält zahlreiche Tarnposten innerhalb des Regierungsapparates und entsendet Mitarbeiter an diplomatische Vertretungen im Ausland. Ziel des IDCPC ist es, einflussreiche Personen zu Äußerungen und Handlungen im Sinne der Interessen der KPCh zu bewegen und ein Netzwerk zu knüpfen, das die politische Agenda der KPCh unterstützt und verbreitet. In Deutschland besteht die zentrale Aufgabe der IDCPCAngehörigen im Aufbau und in der Pflege von Kontakten zu Parteien und Abgeordneten. Diese werben bei Parlamentariern aller Parteien um Verständnis für "chinesische Werte". Dazu werden z. B. deutsche amtierende oder ehemalige Abgeordnete, die gegenüber der chinesischen Regierung eine vergleichsweise unkritische Haltung vertreten, nach China eingeladen, um deren China-Bild im Sinne der Agenda der KPCh zu beeinflussen bzw. positiv zu verändern. Seite 198 von 242 2.1.3 Nachrichtendienste sonstiger Staaten Im Rahmen einer sog. "360deg-Bearbeitung" in der Spionageabwehr wird allen tatsächlichen Anhaltspunkten für sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht nachgegangen. So ist für den türkischen Inund Auslandsnachrichtendienst Milli Istihbarat Teskilati (MIT) Deutschland eines der vorrangigen Ausforschungsziele außerhalb der Türkei. Ein erhebliches nachrichtendienstliches Interesse besteht an Organisationen, die in der Türkei als extremistisch oder terroristisch eingestuft sind, sowie an Vereinigungen und Einzelpersonen (z. B. türkische Einwanderer oder hier lebende Flüchtlinge), die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Insoweit besteht der Verdacht, dass der türkische Nachrichtendienst auch im Freistaat Sachsen aktiv ist, wenngleich es im Berichtszeitraum keine konkreten Hinweise auf eine tatsächliche Betroffenheit gab. Einen Schwerpunkt der Aktivitäten iranischer Nachrichtendienste stellt die Beschaffung von Informationen und Produkten aus den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft dar. Im Rahmen der Proliferationsbekämpfung geht der Verfassungsschutzverbund entsprechenden Hinweisen nach, eine sächsische Betroffenheit war im Berichtszeitraum nicht zu verzeichnen. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der iranischen Nachrichtendienste ist die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen und Akteure im Inund Ausland. 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 2.2.1 Beschaffung von öffentlich zugänglichen Informationen Ausländische Nachrichtendienste können einen großen Teil ihrer Informationen bereits aus offen zugänglichen Quellen gewinnen, etwa beim Besuch öffentlicher Tagungen, Vortragsveranstaltungen oder Messen, aus den sozialen Medien, bei der Lektüre von Werbebroschüren oder Tageszeitungen sowie aus Radio und Fernsehen. Selbst brisante Informationen sind oft ohne Weiteres und legal zugänglich, etwa über Fachzeitschriften und -bücher, über Bachelor-, Masteroder Diplomarbeiten sowie über Dissertationsoder Habilitationsschriften, für die im Regelfall sogar eine Veröffentlichungspflicht besteht. Nicht zuletzt erweitert die rasante technische Entwicklung im Bereich der Digitalisierung das Spektrum frei zugänglicher Informationen in einem stetig wachsenden Ausmaß. Das reguläre Informationsangebot der digitalen Medien bietet fremden Nachrichtendiensten zahlreiche Informationen, die als Grundlage und Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten von erheblicher Bedeutung sein können. 2.2.2 Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen Die Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen gehört zu den grundlegenden Aufgaben ausländischer Nachrichtendienste. Die konspirative Informationsbeschaffung erfolgt über den Einsatz menschlicher Quellen, durch technische Mittel oder durch eine Kombination beider Wege. Einsatz menschlicher Quellen Als menschliche Quelle kommt in Betracht, wer über nachrichtendienstlich relevante Informationen verfügt oder solche Informationen gewinnen kann. Der möglichen Bandbreite sind hierbei keine Grenzen gesetzt. Sie reicht von einflussreichen Politikern oder Wirtschaftslenkern über Wissenschaftler, Großund Kleinunternehmer, leitende Beamte und Seite 199 von 242 Offiziere bis hin zu Angestellten, Studenten und Praktikanten. Jede "hierarchische" Position ist geeignet, Ausgangspunkt oder Ziel einer Ausspähung zu sein. Beispiele aus der Vergangenheit belegen, dass langjährige persönliche Kontakte in relevanten Bereichen zur Gewinnung menschlicher Quellen genutzt werden. Menschliche Schwächen spielen dabei eine herausragende Rolle. Fremde Nachrichtendienste greifen dabei immer wieder gern auf die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beeinflussung zurück, um Informationen zu erhalten. Dabei werden menschliche Eigenschaften wie Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft, Habgier, Autoritätshörigkeit, Geltungssucht oder Unsicherheit ausgenutzt, um Zugang zu sensiblen Daten zu erhalten. Dieses Vorgehen ist auch als "Social Engineering" bekannt. Einsatz technischer Mittel, insbesondere elektronischer Angriffe Die Informationsbeschaffung ausländischer Nachrichtendienste durch den Einsatz technischer Mittel, insbesondere über moderne Kommunikationsmedien, gehört zum Alltag. Dies gilt umso mehr, als auch nicht öffentlich zugängliche Informationen in Zeiten zunehmender Digitalisierung oft leicht und ohne größere Risiken erreichbar sind. Vor allem elektronische Angriffe, also gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen, sind ein probates und wichtiges Mittel der Informationsgewinnung und -beeinträchtigung. Die Möglichkeiten reichen vom Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten (z. B. von Kundenlisten oder Strategiepapieren) über den Missbrauch von Identitäten bis hin zur Übernahme und Sabotage von Produktionsund Steuerungseinrichtungen. Das Risiko, von Cyberangriffen betroffen zu sein, betrifft generell neben dem wirtschaftlichen und wissenschaftlichen auch den politischen Bereich als klassischem Betätigungsfeld von Nachrichtendiensten. Derartige technische Maßnahmen können zügig erfolgen, sind kostengünstig und weitgehend risikoarm, auch wenn eine Identifizierung der Urheber durchaus möglich ist. Im Zusammenhang mit Cybersabotage ist an dieser Stelle die Ransomware-Gruppe "RagnarLocker" zu erwähnen, die Daten verschlüsselte und im Falle der Verweigerung von Lösegeldzahlungen mit deren Veröffentlichung drohte. Erste Hinweise zu dieser international aktiven Gruppe gab es im April 2020. Mit ihren Angriffen auf die kritische Infrastruktur schädigte sie mehrere deutsche Unternehmen bzw. Organisationen. Unter den Angriffszielen befanden sich auch sächsische Firmen. Der Verfassungsschutzverbund - und somit auch die Spionageabwehr des LfV Sachsen - gaben Anfang 2022 einen Warnhinweis zur "RagnarLocker-Ransomware" für KRITIS-Unternehmen heraus. Die Unternehmen wurden dabei über die damals bekannten Kompromittierungsindikatoren, einschließlich einer entsprechenden Warnung des FBI, informiert und entsprechend sensibilisiert. Vom 16. bis 20. Oktober 2023 gingen Strafverfolgungsund Justizbehörden mehrerer Länder gegen die "RagnarLocker"-Gruppe in einer international koordinierten Exekutivmaßnahme vor und versetzten damit einem der gefährlichsten Ransomware-Akteure der vergangenen Jahre einen schweren Schlag. Es wurden Durchsuchungen in mehreren europäischen Ländern durchgeführt, wobei wesentliche Teile der Infrastruktur in Deutschland beschlagnahmt werden konnten. Der Haupttäter wurde festgenommen. Die Infrastruktur der "RagnarLockerRansomware" und die zugehörige Datenleck-Website wurden gelöscht. Neben der sogenannten Ransomware werden im Rahmen von Cyberangriffen u. a. klassische Trojaner-E-Mails165 oder Wasserloch-Angriffe166 mit Drive-By-Infektionen167 eingesetzt. 165 Als Trojaner-E-Mails gelten hier E-Mails, die zumeist im Anhang eine Schadsoftware enthalten. Diese als nützliche Datei getarnte Schadsoftware wird beim Öffnen der Datei aktiviert, um den betroffenen Rechner dann im Hintergrund zu manipulieren. 166 Bei Wasserloch-Angriffen (Watering-Hole-Attacks) manipuliert der Angreifer bestimmte Webseiten, bei denen er mit einem Aufruf durch das Opfer rechnen darf. Die Manipulation entfaltet im Regelfall erst dann ihre Wirkung, wenn das Opfer die Seite aufruft. 167 Eine Drive-By-Infektion ist die Infektion eines Rechners mit Schadsoftware allein durch das Aufrufen einer mit Schadsoftware manipulierten Webseite. Die Manipulation kann ohne Wissen und Wollen des Betreibers geschehen sein. Drive-By-Infektionen sollen nach Meinung von Experten in den letzten Seite 200 von 242 Ausgangspunkt ist auch hier oft ein ausgefeiltes "Social Engineering". Insbesondere Phishingbzw. Spear-Phishing-Angriffe168 sind für die potenziellen Opfer nur schwer zu identifizieren und stellen einen der Hauptangriffsvektoren dar. Ein Beispiel hierfür sind die anhaltenden Aktivitäten des Cyberakteurs "Ghostwriter" im politischen Raum. Das Sächsische Verwaltungsnetz169 ist nachweislich seit Jahren und mit steigender Tendenz Ziel zahlreicher Cyberangriffe170, bei denen ein nachrichtendienstlicher Hintergrund nicht auszuschließen ist. Sie geben Anlass zu größter Wachsamkeit. Die Jahresberichte des Beauftragten für die Informationssicherheit des Freistaates Sachsen (zuletzt aus dem Jahr 2022) führen exemplarisch Angriffsmethoden und Angriffsmittel auf. Obwohl vergleichbare Erhebungen zu elektronischen Angriffen außerhalb der Verwaltung in Sachsen noch fehlen, besteht Grund zu der Annahme, dass Wirtschaft und Wissenschaft in vergleichbarem Ausmaß betroffen sind. Bekanntermaßen haben die Nachrichtendienste Russlands in den vergangenen Jahren zunehmend Möglichkeiten zur Überwachung und Beeinflussung des Internetverkehrs erhalten, etwa durch Zugriffsmöglichkeiten auf IPund E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Daten aus sozialen Netzwerken. Sie gelten als Initiatoren verbreiteter und berüchtigter Angriffskampagnen, wie Sofacy171, Sandworm172, Snake173 und Energetic Bear174. Solche hochkomplexen und mit hoher Professionalität geführten Kampagnen können über Jahre verborgen bleiben. Die Angreifer ändern immer wieder einzelne technische Komponenten, so dass sie die Kampagnen in abgewandelter Form auch weiterhin einsetzen können. Es zeigt sich deutlich, dass sich ein elektronischer Angriff keineswegs in einer einmaligen, punktuellen Maßnahme erschöpfen muss, sondern zu einer länger andauernden, komplexen, herausfordernden und mit großem Aufwand betriebenen Bedrohung heranwachsen kann (sog. Advanced Persistent Threat [APT]). Der am 24. Februar 2022 durch die Russische Föderation begonnene und fortdauernde völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine wird begleitet durch das Agieren Russlands im Cyberraum. Desinformationsund Propagandakampagnen stellen die NATO und den Westen dabei als eigentliche Aggressoren dar. Das Bedrohungspotenzial und mögliche Auswirkungen des Krieges auf Deutschland sind auch im Cyberraum erheblich. Durch eine Vielzahl von beteiligten Akteuren entwickelte sich die Cyberlage sehr dynamisch und unübersichtlich. Neben Phishing-Kampagnen von APT29175 gegen europäische Außenministerien ist auch der bereits bekannte Akteur "Ghostwriter" weiterhin aktiv. Dieser ist in Deutschland seit 2021 bekannt und richtet sich vorrangig gegen Politiker. Grundsätzlich Jahren weiter an Bedeutung gewonnen und die E-Mail als Hauptverbreitungsweg für Schadsoftware abgelöst haben. 168 Spear-Phishing (dt. Speerfischen) ist eine Variante des Phishings, die insbesondere bei APT's verwendet wird. Dabei wird die Phishing-Mail für einen kleinen Kreis von Empfängern oder sogar nur eine Einzelperson maßgeschneidert. Ziel dabei ist es, durch vorangegangene Recherche und Insiderwissen täuschend echte Phishing-Mails zu versenden, um an vertrauliche Daten zu gelangen oder ein bestimmtes Verhalten auszulösen. Der Empfänger oder die Empfängerin qualifiziert sich dabei in der Regel durch eine Schlüsselposition im Unternehmen oder in der Organisation, die das eigentliche Ziel der Angreifenden darstellen. 169 Das Sächsische Verwaltungsnetz ist die Kommunikationsinfrastruktur des Freistaates Sachsen. Es versorgt die Behörden und Einrichtungen des Freistaates Sachsen flächendeckend mit hochleistungsfähiger und sicherer Sprachund Datenkommunikation für ein modernes Verwaltungshandeln; siehe www.egovernment.sachsen.de 170 vgl. Jahresbericht Informationssicherheit 2022 des Beauftragten für Informationssicherheit des Freistaates Sachsen, Hrsg. Sächsische Staatskanzlei, Berichtszeitraum August 2021 - Juli 2022, S. 6 ff. 171 Auch bekannt als APT 28, Sofacy, Pawn Storm, Sednit, Group 74, Tsar Team, Fancy Bear oder Strontium. 172 Auch bekannt als Sandworm Team, TEMP.Noble, Electrum oder TeleBots. 173 Auch bekannt als Uroburos, Turla Group, Turla Team, Venomous Bear, Group 88, Waterbug oder Krypton. 174 Auch bekannt als Dragonfly, Crouching Yeti, Group 24, Koala Team, Berserk Bear oder Anger Bear. 175 Auch bekannt als Dukes, Group 100, Cozy Duke, EuroAPT, Cozy Bear Seite 201 von 242 kann aber auch jeder Bürger dessen Opfer werden. Im Berichtsjahr wurden erneut Hinweise auf Angriffe von "Ghostwriter" gegen deutsche E-Mail-Adressen des Providers "T-Online" bekannt. In Sachsen richteten sie sich gegen E-Mail-Accounts im niedrigen einstelligen Bereich. Die Nutzer wurden vom LfV Sachsen informiert und entsprechend sensibilisiert. Eine tatsächliche Betroffenheit bestätigte sich in der Folge nicht. Darüber hinaus sind insbesondere Unternehmen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) durch Cyberangriffe russischer APT's bedroht. Im Verfassungsschutzverbund wurden umgehend Maßnahmen getroffen, um potenzielle Opfer zu kontaktieren und zu sensibilisieren. Im Verfassungsschutzverbund werden kontinuierlich technische Indikatoren, sogenannte Indicators of Compromise (IoC), analysiert und an die entsprechenden Bedarfsträger, insbesondere Unternehmen der KRITIS, zur Stärkung ihrer Resilienz übermittelt. Tatsächliche Anhaltspunkte für ein schädigendes Ereignis im Zusammenhang mit russischen APT's liegen für den Freistaat Sachsen bislang nicht vor. Chinesische Nachrichtendienste stehen gleichfalls im Verdacht, elektronische Angriffe gegen Einrichtungen in Deutschland initiiert zu haben. Im Jahr 2023 gab es Hinweise zu Aktivitäten der Cyberspionagegruppierung APT15176 und APT 31177. Die Cyberangriffe richteten sich dabei gegen Heimnetzwerkbzw. Small Office/Home Office (SOHO)-Endgeräte. Diese Endgeräte, die für den Einsatz in Unternehmen geringerer Größe oder von Privatanwendern konzipiert sind, werden in wachsender Anzahl durch Cyberangreifer übernommen und in der Folge in Cyberangriffskampagnen durch die APT-Gruppierungen APT 15 und APT 31 gegen staatliche und politische Stellen genutzt. Sensibilisierungsmaßnahmen erbrachten keine Hinweise auf eine tatsächliche sächsische Betroffenheit. Mit den Auslandsaktivitäten chinesischer Nachrichtendienste im Internet korrespondiert die Errichtung einer immer stärkeren elektronischen Mauer zur Abschottung des Internets in China. Weitere Akteure auf dem Feld der elektronischen Angriffe sind Angreifer aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Südostasien. Die Angreifer-Gruppierung Lazarus Group, der Verbindungen nach Nordkorea nachgesagt werden, richtete ihre Angriffe weltweit gegen zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen, so auch in Deutschland. Sensibilisierungsmaßnahmen ergaben keine Betroffenheit sächsischer Einrichtungen. Besondere Brisanz erhalten elektronische Angriffe dadurch, dass sie selbst bei ausgeprägtem Sicherheitsbewusstsein der Betroffenen und trotz Nutzung aktueller Schutzprogramme gegen Schadsoftware oft über längere Zeit unbemerkt bleiben können. Deshalb wendet sich das LfV Sachsen regelmäßig mit Warnmeldungen an potenzielle Opfer, um diese zu sensibilisieren. 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte galten auch im Berichtsjahr der Beeinflussung gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen in Deutschland. Bereits in der Vergangenheit war zu verzeichnen, dass Russland mit zunehmender Intensität versuchte, die politische und öffentliche Meinung in Deutschland u. a. durch die mediale Verbreitung von Propaganda und Desinformationen in seinem Sinne zu beeinflussen. Als Mittel zum Zweck dienen dabei neben den sozialen Medien die russischen Staatsmedien. So verbreiten weltweit sendende TV-, Radiound Internetkanäle gezielt Narrative im Sinne der russischen Führung. Einhergehend mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine setzt Russland seine Bemühungen fort, zentrale Narrative über seine Staatsmedien, sozialen Medien und Einflussakteure zu verbreiten. 176 Auch bekannt als "Mirage", "Ke3Chang" oder "Playful Dragon" 177 Auch bekannt als "Hurricane Panda" Seite 202 von 242 Das Portfolio eingesetzter Mittel ist vielfältig und kann von dem bereits aus der Vergangenheit bekannten Einsatz von Einflussagenten über den zielgerichteten Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft, über regelrechte Propagandaoffensiven und dem damit verbundenen Versuch der Instrumentalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen bis hin zu Einflussnahmeaktivitäten in der Wirtschaft reichen. Die russischen Aktivitäten im Bereich der Propaganda und Desinformation bewegen sich weiterhin auf einem hohen Niveau. Dazu können auch Telefonoder Videoanrufe der medial bekannten russischen "Prankster" Vladimir KUZNETSOV und Aleksey STOLYAROV, alias "Vovan und Lexus", gezählt werden. Beide rufen seit längerem unter falscher Identität Politikerinnen und Politiker sowie Personen des öffentlichen Lebens in westlichen Staaten an. Die "Pranks"178 werden anschließend im Internet veröffentlicht und propagandistisch genutzt. Ausweislich entsprechender Medienberichte waren in Deutschland bereits mehrere aktive und ehemalige Politikerinnen und Politiker von solchen Anrufen betroffen. Um das Risiko zu minimieren, selbst Opfer einer solchen Desinformations-/Einflussoperation zu werden, sensibilisierte das LfV Sachsen beispielsweise die Mitglieder des Sächsischen Landtages und der Staatsregierung sowie den Sächsischen Städteund Gemeindetag in einem Schreiben für folgende Maßnahmen im Kommunikationsverhalten sowie für Verabredungen zu Videooder Telefonanrufen: * Vergewissern Sie sich bezüglich der Identität des Kontakts durch Nutzung bereits bekannter Erreichbarkeiten und bekannter Kontakte. * Gleichen Sie die Kontaktdaten Ihres Kommunikationspartners genau mit bereits bekannten authentischen Erreichbarkeiten ab, um die Imitierung authentischer Erreichbarkeiten, etwa durch leicht abgewandelte E-Mail-Adressen, erkennen zu können. * Sofern bei Ihnen keine zur Verifizierung nutzbaren Kontakte vorliegen, binden Sie andere Stellen mit ein, die über solche Kontakte verfügen könnten. * Sehen Sie von der Durchführung von Videooder Telefongesprächen im Zweifelsfall ab, wenn sich die Authentizität des Gegenübers nicht verifizieren lässt. Chinesische Versuche der Einflussnahme zielen auf die deutsche Wirtschaft, insbesondere durch Direktinvestitionen. Gezielte chinesische Firmenbeteiligungen in ausgewählten Schlüsselbranchen im Ausland sind erklärter Bestandteil der Industriestrategie "Made in China 2025" und machen auch vor dem Freistaat Sachsen keinen Halt. 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft Eine effektive Prävention ist die wichtigste Abwehrmaßnahme gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte. Sowohl Staat und Verwaltung als auch Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgerufen, sich und ihre Umgebung bereits im Vorfeld vor solchen Tätigkeiten hinreichend zu schützen. Prävention heißt vor diesem Hintergrund, Sicherheit zur Chefsache zu machen, sich regelmäßig über Angriffsmethoden und -ziele fremder Nachrichtendienste zu informieren, die eigenen Einrichtungen und deren Umgebung auf spionagerelevante Schwachstellen systematisch zu analysieren, passgenaue Abwehrlösungen zu entwickeln, 178 Umgangssprachlich bedeutet dieses englische Wort "Streich". Geprankt werden bedeutet somit, auf einen Scherz oder Streich hereinfallen. Häufig wird von einem "Prank" gesprochen, wenn jemand durch falsche Aussagen in die Irre geführt wird. Seite 203 von 242 die Entwicklungen auf dem "Spionagemarkt" fortlaufend zu beobachten und Verdachtsfällen nachzugehen. Zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Herausforderungen sieht sich das LfV Sachsen als Sicherheitspartner für alle sächsischen Behörden, Verbände, Vereinigungen, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das LfV Sachsen geht zu diesem Zweck aktiv auf potenziell gefährdete Institutionen zu. Bestandteil einer Sicherheitspartnerschaft können Vorträge, Individualberatungen, Onlineangebote und Broschüren sein. Darüber hinaus unterstützt das LfV Sachsen alle Interessenten bei der Analyse ihrer Einrichtungen auf spionagerelevante Schwachstellen, bei der Entwicklung individueller Abwehrlösungen und bei der Aufklärung von Verdachtsfällen. Die vertrauliche Behandlung der jeweiligen Sicherheitspartnerschaft und ihres Inhaltes ist dabei selbstverständlich. Bei alldem kann das LfV Sachsen auf starke Partner zurückgreifen. Dazu gehören das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die weiteren 15 Landesbehörden für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Nationale Cyber-Abwehrzentrum, die Polizei und viele andere Sicherheitsbehörden. Unabhängig davon engagiert sich das LfV Sachsen gemeinsam mit der Sächsischen Polizei und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) Sachsen e. V. im Präventionsangebot "Sicheres Unternehmen", einem ebenfalls kostenlosen Beratungsangebot zum Schutz der äußeren und inneren Sicherheit von Unternehmen. Unterstützt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA), betreut das LfV Sachsen außerdem Unternehmen mit geheimhaltungsbedürftigen Aufträgen. Des Weiteren hat der Verfassungsschutzverbund gemeinsam mit anderen Behörden und Wirtschaftsverbänden die "Initiative Wirtschaftsschutz"179 weiterentwickelt. Ziel ist es, die deutsche Wirtschaft und Wissenschaft mittels eines umfassenden Schutzkonzeptes noch effektiver vor Spionageaktivitäten zu bewahren. Im Jahr 2023 führte das LfV Sachsen Individualberatungen durch. Daneben lag der Schwerpunkt der Arbeit darauf, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden in anlassbezogenen Rundschreiben Informationen über aktuelle elektronische Angriffskampagnen zukommen zu lassen, verbunden mit konkreten Handreichungen für Abwehrmaßnahmen. Die vielfältigen Präventionsmaßnahmen zeigen Wirkung: Auch im Berichtsjahr gab es mehrfach Hinweise auf mögliche spionagerelevante Sachverhalte, denen das LfV Sachsen nachging. Darüber hinaus konnte es zahlreiche potenzielle Adressaten auf die Möglichkeit elektronischer Angriffe hinweisen und sie so beim Schließen von Sicherheitslücken unterstützen. 179 www.wirtschaftsschutz.info Seite 204 von 242 Landesamt für Verfassungsschutz Neuländer Str. 60 01129 Dresden Telefon: 0351/8585-0 und -5333 (Wirtschaftsschutz) Fax: 0351/8585-500 E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.wirtschaftsschutz.info Seite 205 von 242 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben Geheimschutz: Geheimhaltungsgrade von Verschlusssachen - STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH Das LfV nimmt neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr 88.015 Mitwirkungsanfragen im Jahr 2023 (2022: 90.856 Anfragen) Seite 206 von 242 Allgemein Der Geheimschutz gewährleistet, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen in Verschlusssachen geheim bleiben und nicht an Unbefugte gelangen. Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Die Einstufung als Verschlusssache ist unabhängig von der Form, in der die geheimhaltungsbedürftige Information vorliegt. Das Spektrum der Verschlusssachen reicht vom gesprochenen Wort über Schriftstücke und Zeichnungen bis zu elektronischen Datenträgern und technischen Einrichtungen. Sie werden je nach dem erforderlichen Schutz in die Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft. Ihre Bearbeitung wird als sicherheitsempfindliche Tätigkeit bezeichnet. Der Zugang zu Verschlusssachen und der Umgang mit ihnen sowie die Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SächsSÜG) vom 19. Februar 2004 und in der Verwaltungsvorschrift der Sächsischen Staatsregierung über die Behandlung von Verschlusssachen (Verschlusssachenanweisung - VSA) vom 4. Januar 2008 geregelt. 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüberprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben sollen, müssen sich zuvor einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Dabei wird ermittelt, ob bei der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das dem Zugang zu Verschlusssachen bzw. der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Nach der gesetzlichen Regelung (SS 5 Abs. 1 SächsSÜG) liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste oder 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Ein derartiges Sicherheitsrisiko in Bezug auf die zu überprüfende Person kann sich auch ergeben, wenn entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte zu anderen Personen, insbesondere Ehegatten, Lebenspartnern oder Lebensgefährten, vorliegen. Werden bei einer Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse - z. B. Straftaten, Hinweise auf übermäßigen Alkoholgenuss, Überschuldung oder Hinweise auf eine Seite 207 von 242 Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - bekannt, wird geprüft, ob sich daraus ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. Zuständig für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung ist die Behörde, bei der die sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auch für Personen in Wirtschaftsunternehmen, die im Rahmen von staatlichen Aufträgen sächsischer Behörden mit Verschlusssachen umgehen, werden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. In diesen Fällen ist die Landesdirektion Sachsen zuständig. Die Sicherheitsüberprüfung wird erst nach schriftlicher Zustimmung des Betroffenen eingeleitet. Das LfV Sachsen wirkt im Auftrag der zuständigen Stelle bei der Sicherheitsüberprüfung mit. Es überprüft die Personen und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt. In Abhängigkeit von der auszuübenden sicherheitsempfindlichen Tätigkeit gibt es verschiedene Stufen der Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 bis Ü 3). 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen Der Sabotageschutz dient dem Schutz der für das Gemeinwesen lebenswichtigen Einrichtungen. In der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur Feststellung lebenswichtiger Einrichtungen im Freistaat Sachsen (Sächsische Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung) vom 22. September 2010 (SächsGVBl. 2010 Nr. 12, S. 271) werden lebenswichtige Einrichtungen im Sinne des Sabotageschutzes benannt. Personen, die an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer lebenswichtigen Einrichtung beschäftigt werden, üben eine sog. sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach dem SächsSÜG aus und müssen sich daher einer einfachen Sicherheitsüberprüfung Ü1 unterziehen. 2. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen und gewährleistet die Einhaltung der Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung. Dazu zählen die rechtlichen Maßgaben zur Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen sowie Regelungen zu Aufbewahrung, Verwaltung, Transport und Vernichtung von Verschlusssachen. Wird ein Geheimnisverrat bekannt, ist das LfV Sachsen zu beteiligen. Das LfV Sachsen berät und unterstützt die Behörden des Freistaates Sachsen in Fragen des materiellen Geheimschutzes, damit Verschlusssachen sicher erstellt, bearbeitet und aufbewahrt werden können. Bei Wirtschaftsunternehmen, die im Auftrag sächsischer Landesbehörden tätig sind und dabei Zugriff auf Verschlusssachen haben, führt die Landesdirektion Sachsen als zuständige Stelle unter Mitwirkung des LfV Sachsen ein Geheimschutzverfahren durch. Dabei werden Sicherheitsstandards geschaffen, um die Kenntnisnahme von Verschlusssachen durch Unbefugte zu verhindern. Im Rahmen dieses Verfahrens berät das LfV Sachsen die Unternehmen. Seite 208 von 242 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder Ausschlussgründen Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr. Auf Anfrage der zuständigen Behörden wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse zu den angefragten Personen vorliegen und ob diese gemäß den gesetzlichen Regelungen mitgeteilt werden dürfen. Im Jahr 2023 wurden vom LfV Sachsen 88.015 solcher Mitwirkungsanfragen bearbeitet. Im Einzelnen unterstützte das LfV Sachsen die Behörden bei folgenden Überprüfungen: Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) für Personen, die zum sicherheitsempfindlichen Bereich des Luftverkehrs Zutritt haben sollen 8.458 Anfragen Beteiligung nach dem Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet - Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vor Erteilung oder bei Verlängerung von Aufenthaltstiteln 50.154 Anfragen Beteiligung nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) bei Einbürgerungen 2.936 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe - Sprengstoffgesetz (SprengG) für Personen, die gewerbsmäßig, selbstständig im Rahmen eines wirtschaftlichen Unternehmens oder eines landoder forstwirtschaftlichen Betriebes oder bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen betreiben wollen 441 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über die friedliche Verwendung von Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG) für Personen, die beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder bei der Beförderung von radioaktiven Stoffen oder bei der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen tätig sind 225 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz (WaffG) Die Waffenbehörden sind verpflichtet, im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen auch eine Auskunft der zuständigen Verfassungsschutzbehörde einzuholen (Regelanfrage). Damit soll erreicht werden, dass Extremisten von vornherein nicht in den Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis gelangen. Zudem müssen die Verfassungsschutzbehörden auch im Nachhinein bekannt gewordene Erkenntnisse übermitteln (Nachberichtspflicht). Aufgrund dieser Regelanfrage gingen beim LfV Sachsen im Jahr 2023 insgesamt 21.958 Anfragen ein. Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach der Gewerbeordnung (GewO) in Verbindung mit der Verordnung über das Bewachungsgewerbe - Bewachungsverordnung (BewachV) Seite 209 von 242 Die Gewerbebehörden sind verpflichtet, im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Wachpersonen, die mit Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei Objekten, von denen im Falle eines kriminellen Eingriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann, eine Stellungnahme der zuständigen Landesbehörde für Verfassungsschutz einzuholen (Regelabfrage). Dasselbe gilt im Falle von Wachpersonen, die mit der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende oder mit der Bewachung von zugangsgeschützten Großveranstaltungen beauftragt werden sollen. Weiterhin ist die zuständige Landesbehörde für Verfassungsschutz verpflichtet, Informationen, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Wachpersonen von Bedeutung sind und die ihr erst im Nachhinein bekannt werden, an die zuständige Behörde zu übermitteln (Nachberichtspflicht). Im Jahr 2023 gingen beim LfV Sachsen insgesamt 3.843 Anfragen ein. Seite 210 von 242 V. Anhang Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen Übersicht von Verbotsmaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern bzw. durch die Innenministerien/-senate der Länder seit 1992 Glossar Abkürzungsverzeichnis Aussteigerprogramm Sachsen Seite 211 von 242 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen im Jahr 2023180 Rechtsextremismus ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AFD) - LANDESVERBAND SACHSEN ALVA (Rapperin) ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) BALACLAVA GRAPHICS BAUTZEN BENJAMIN GRUHN (Liedermacher) BLACK DEVILS BLUTZEUGEN (Band) BRIGADE 8 CHAPTER SCHLESIEN BRÜDER ZUR FREIHEIT (Liedermacher) COMBAT 18 (Nachfolgebestrebungen des am 23.01.2020 vom BMI verbotenen deutschen Vereins) COMPACT-MAGAZIN GMBH DER DRITTE W EG (III. W EG) DER SCHELM (Verlag) DER TOD UND DIE LANDSKNECHTE (Band) DEUTSCHE STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT MBH DIE HEIMAT (vormals NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS) DIVISION 45 EASTSIDE ROWDYS EINZELKÄMPFER (Liedermacher) EIN PROZENT E. V. ETHOS (Band) FEINDKONTAKT PRODUKTION (Vertrieb) FEINDNAH (Band) FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FREIE SACHSEN (einschließlich RATSFRAKTION PRO CHEMNITZ/FREIE SACHSEN) FREIE SÄCHSISCHE JUGEND FREILICHFREI (Liedermacher) FRONT776 (Band) FULL OF HATE (Band) GEFANGENENHILFE.INFO (GH) HEILIGE JUGEND (Band) HEILIGER KRIEG (Band) HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. (HNG) (Nachfolgebestrebungen des am 21. September 2011 verbotenen Vereins); einschließlich GEFANGENENHILFE.INFO (GH) HOPE FOR THE WEAK (BAND) IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IB) - SACHSENGARDE (VORMALS REGIONALGRUPPE SACHSEN) JUGENDBLOCK BAUTZEN 180 Diese Liste führt der Vollständigkeit halber sämtliche dem LfV Sachsen bekannten erwiesenen extremistischen Bestrebungen gemäß SSSS 2 und 15 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes auf. Sie führt damit auch solche Beobachtungsobjekte auf, die im Berichtsjahr nicht oder nur sporadisch aktiv waren, so dass eine Erwähnung im Jahresbericht 2023 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt wäre. Im Hinblick auf den originär politikberatenden Ansatz des Verfassungsschutzberichtes beschränkt sich das LfV Sachsen auf die Darstellung der für das jeweilige Berichtsjahr politisch relevanten Ereignisse und Tendenzen in den einzelnen Phänomenbereichen. Es liegt im Ermessen des LfV Sachsen, hier entsprechende Prioritäten zu setzen und den Fokus auf die Beschreibung wesentlicher Beobachtungsobjekte zu richten. Seite 212 von 242 JUNGE ALTERNATIVE (JA) - LANDESVERBAND SACHSEN JUNGE NATIONALISTEN (JN) KAMERADSCHAFT TREUE EHRE (Band) KAVALIER (Liedermacher) KILLUMINATI (Band) KL-AUSLIEFERUNG / KL-MILITARIA VERSAND KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG (KPV, siehe DIE HEIMAT) LARS (Liedermacher - auch SONDERKOMMANDO ELBE) LEICHENZUG (Band) LETZTE RETTUNG GERMANIA LOKIS TRUHE (Vertrieb) NATION UND W ISSEN (Verlag / Vertrieb) NATIONALER JUGENDBLOCK ZITTAU E. V.(NJB) NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND (NRJ) NDS RECORDS (Vertrieb) NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE NEUBEGINN (Band) ODESSA (Band) OTWIN (Liedermacher) PC-RECORDS (Vertrieb) PEGIDA PIONIER (Band) PROTOTYP (Rapper) RAC'N'ROLL-TEUFEL (Liedermacher, auch SCHRATT) RING NATIONALER FRAUEN (RNF, siehe DIE HEIMAT) RUNA (Musikerin) SACHSENGARDE (vormals IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN) SACHSONIA (Band) SCHLESISCHE JUNGS NIESKY SCHRATT (Liedermacher, auch RAC'N'ROLL-TEUFEL) SELBSTSTELLER (Band) SONDERKOMMANDO ELBE (Liedermacher, auch LARS) STAHLFRONT (Band) STAHLWERK (Band) STURMKRIEGER (Band) SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE SYMPHONIE DES BLUTES (Band) THEMATIK 25 (Band) TIWAZ-GEMEINSCHAFT TRUE AGGRESSION (Band) ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND (Band) VOLKSNAH (Band) REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER GEEINTE DEUTSCHE VÖLKER UND STÄMME (NACHFOLGEORGANISATION) KÖNIGLICH-SÄCHSISCHER GEMEINDEVERBAND (KSGV) mit W AHLKOMMISSION SACHSEN (ehemals FREIE W ÄHLERVEREINIGUNG EINIGES DEUTSCHLAND) KÖNIGREICH DEUTSCHLAND (KRD) INDIGENES VOLK GERMANITEN (IVG) REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN VATERLÄNDISCHER HILFSDIENST (VHD) mit ARMEEKORPSBEZIRKEN (AKB) V, XII UND XIX Seite 213 von 242 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES ORGANISATIONSTEAM DER MONTAGSDEMONSTRATIONEN IN GÖRLITZ VOLKSSTIMME BÜRGERBÜNDNIS ZWICKAU (VBZ) Linksextremismus ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN (ABC DRESDEN) ANARCHISTEN ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN (ART DRESDEN) AUTONOME DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) mit der JUGENDORGANISATION SOZIALISTISCHE DEUTSCHE ARBEITERJUGEND (SDAJ) DOGMATISCHE LINKSEXTREMISTEN DE.INDYMEDIA.ORG FREIE ARBEITER*INNEN-UNION (FAU) KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (KPD) KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI "Die Linke" (KPF) MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD) PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) ROTES DRESDEN REVOLUTION (REVO) ROTE HILFE e.V. (RH) ROTE W ENDE LEIPZIG mit Unterorganisationen REVOLUTIONÄRE FRAUEN LEIPZIG und JUGEND IM KAMPF ...UMS GANZE! UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) Islamismus Jihadistischer Terrorismus, insbesondere AL-QAIDA (AQ) und ISLAMISCHER STAAT (IS) inkl. Ableger ISLAMISCHER STAAT PROVINZ KHORASAN (ISPK) MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) mit ihrer Deutschlandvertretung DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V. (DMG), insbesondere: # MARWA EL-SHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. (MKBD) # SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE UND DIENSTLEISTUNGEN UNTERNEHMERGESELLSCHAFT (HAFTUNGSBESCHRÄNKT) (SBD) HAMAS HIZBALLAH SALAFISTISCHE BESTREBUNGEN, insbesondere: # ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E. V. in Leipzig # VOGTLÄNDISCH-ISLAMISCHES ZENTRUM AL-MUHADJIRIN E. V. in Plauen (AL-MUHADJIRINMOSCHEE) Auslandsbezogener Extremismus ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. JXK/YXK (STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN / VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN) Seite 214 von 242 KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E. V. (KON-MED) KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) KURDISCHE FRAUENBEWEGUNG IN EUROPA (TJK-E) PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION (PYD) TEVGERA CIWANEN SORESGER (TCS) (Jugendorganisation der PKK) TEVGERA CIWANEN SORESGER DRESDEN (TCS) UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V. VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YPG) VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN DER FRAUEN (YPJ) VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HPG) YOUNG STRUGGLE LEIPZIG Seite 215 von 242 Übersicht von Verbotsmaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern bzw. durch die Innenministerien/-senate der Länder seit 1992 Bereich Rechtsextremismus Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Nationalistische Front" (NF) 27.11.1992 BMI "Deutsche Alternative" (DA) 10.12.1992 BMI "Deutscher Kameradschaftsbund Wilhelmshaven" 21.12.1992 NI (DKB) "Nationale Offensive" (NO) 22.12.1992 BMI "Nationaler Block" (NB) 11.06.1993 BY "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD) 14.07.1993 BW "Freundeskreis Freiheit für Deutschland" (FFD) 02.09.1993 NW "Wiking-Jugend e.V." (WJ) 10.11.1994 BMI "Nationale Liste" (NL) 24.02.1995 HH "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) 24.02.1995 BMI "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" (JF) 05.05.1995 BB "Skinheads Allgäu" 30.07.1996 BY "Kameradschaft Oberhavel" 15.08.1997 BB "Heide-Heim e.V." (Hamburg) mit "Heideheim 11.02.1998 NI e.V." (Buchholz) "Hamburger Sturm" 11.08.2000 HH "Blood & Honour Division Deutschland" mit 14.09.2000 BMI "White Youth" "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) 05.04.2001 SN "Bündnis nationaler Sozialisten für Lübeck" (BNS) 07.03.2003 SH "Fränkische Aktionsfront" (F.A.F.) 22.01.2004 BY "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) 09.03.2005 BR "Kameradschaft Tor Berlin" (inkl. "Mädelgruppe") 09.03.2005 BR Kameradschaft "Hauptvolk" (inkl. "Sturm 27") 12.04.2005 BB "Alternative Nationale Strausberger Dart-, 14.07.2005 BB Piercingund Tattoo Offensive" (ANSDAPO) "Schutzbund Deutschland" 04.07.2006 BB "Sturm 34" 26.04.2007 SN "Collegium Humanum" (CH) mit "Bauernhilfe e.V." 07.05.2008 BMI Seite 216 von 242 Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens 07.05.2008 BMI des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) "Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum 31.03.2009 BMI Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) "Mecklenburgische Aktionsfront" (MAF) 28.05.2009 MV "Frontbann 24" 05.11.2009 BR "Freie Kräfte Teltow-Fläming" (FKTF) 11.04.2011 BB "Hilfsorganisation für nationale politische 21.09.2011 BMI Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) "Kameradschaft Walter Spangenberg" 10.05.2012 NW "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" 19.06.2012 BB "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) 23.08.2012 NW "Nationaler Widerstand Dortmund" (NWDO) 23.08.2012 NW "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm) 23.08.2012 NW "Besseres Hannover" 25.09.2012 NI "Nationale Sozialisten Döbeln" 18.02.2013 SN "Nationale Sozialisten Chemnitz" (NSC) 28.03.2014 SN "Freies Netz Süd" (FNS) 23.07.2014 BY "Autonome Nationalisten Göppingen" 18.12.2014 BW (AN Göppingen) "Sturm 18 e.V." 29.10.2015 HE "Altermedia Deutschland" 27.01.2016 BMI (Internet-Plattform) "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT) 16.03.2016 BMI "Phalanx 18" 20.11.2019 HB "Combat 18 Deutschland" 23.01.2020 BMI "Nordadler" 23.06.2020 BMI "Sturm-/Wolfsbrigade 44" 01.12.2020 BMI "Nationale Sozialisten Rostock" (NSR) 24.06.2021 MV einschließlich der Teilorganisation "Baltik Korps" "Hammerskins Deutschland" 19.09.2023 BMI "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens27.09.2023 BMI Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." Seite 217 von 242 Bereich Reichsbürger und Selbstverwalter Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) 19.03.2020 BMI Bereich Linksextremismus Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "linksunten.indymedia" 14.08.2017 BMI Bereich Auslandsbezogener Extremismus Organisation Verbot (Vollzug) Behörde am: "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) und Teilorganisationen, "Föderation der patriotischen 22.11.1993 BMI Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V." (FEYKAKurdistan), "Kurdistan-Komitee e. V." "Kurdistan Informationsbüro" (KIB) alias "Kurdistan 20.02.1995 BMI Informationsbüro in Deutschland" "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" 06.08.1998 BMI (DHKP-C) "Türkische Volksbefreiungspartei-Front" (THKP/-C) 06.08.1998 BMI "Mesopotamia Broadcast A/S", "Roj TV A/S" 13.06.2008 BMI "VIKO Fernseh Produktion GmbH" (Teilorganisation von Roj TV A/S) "Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH"181 01.02.2019 BMI "MIR Multimedia GmbH"182 01.02.2019 BMI "Samidoun - Palestinian Prisoner Solidarity 02.11.2023 BMI Network" Bereich Islamismus "Kalifatsstaat" und 35 Teilorganisationen 08.12.2001 BMI 14.12.2001 181 Die Vereinigung wurde mit Wirkung zum 12. Februar 2019 vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat verboten und aufgelöst. Gegen die Verbotsverfügung wurde Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben. Das Verbot ist daher bisher nicht bestandskräftig. 182 dito Seite 218 von 242 13.05.2002 16.09.2002 "al-Aqsa e. V." 31.07.2002 BMI "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 10.01.2003 BMI "Yeni Akit GmbH" 22.02.2005 BMI Verlegerin der Europa-Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung "Anadolu'da Vakit" "YATIM-Kinderhilfe e.V." 30.08.2005 BMI "al-Manar TV" 29.10.2008 BMI "Internationale Humanitäre Hilfsorganisationen 23.06.2010 BMI e. V." (IHH) "Millatu Ibrahim" 29.05.2012 BMI "Dawa FFM" einschl. der Teilorganisationen 25.02.2013 BMI "Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e. V." "an-Nussrah" 25.02.2013 BMI "DawaTeam Islamische Audios" 25.02.2013 BMI "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP) 02.04.2014 BMI (Umbenennung in "Farben für Waisenkinder e. V." am 16.10.2014) "Islamischer Staat" (IS) alias "Islamischer Staat im 12.09.2014 BMI Irak" alias "Islamischer Staat im Irak und in GroßSyrien" "Tauhid Germany" (TG) 26.02.2015 BMI "Die wahre Religion" (DWR) 25.10.2016 BMI "Hizb Allah" 26.03.2020 BMI "Ansaar International e. V." und acht 05.05.2021 BMI Teilorganisationen "Deutsche Libanesische Familie e. V." 19.05.2021 BMI "Menschen für Menschen e. V." "Gib Frieden e. V."183 "HAMAS" 02.11.2023 BMI Anmerkung: 1. "Bremer Hilfswerk e.V." - Selbstauflösung mit Wirkung vom 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005. Das Bundesministerium des Innern hatte am 03.12.2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen den Verein eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 183 Die Vereine waren Ersatzorganisationen des "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP). Seite 219 von 242 Glossar Antifa Der "antifaschistische Kampf" ist ein Hauptagitationsfeld von AUTONOMEN. Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen "Faschisten" und "Rassisten" in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden. Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonationalsozialisten in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt, die auch militante Aktionsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners. Als Gegner werden dabei auch Angehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antifaschismus Der Begriff "Antifaschismus" wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Antisemitismus Antisemitismus im Rechtsextremismus Antisemitismus ist ein zentrales Ideologieelement des Rechtsextremismus und in allen seinen Äußerungsformen virulent, seien sie publizistisch, parlamentarisch oder auch aktionistisch orientiert. Antisemitismus zielt auf die Diffamierung und Diskriminierung einer behaupteten Gesamtheit "der Juden" ab. Der rechtsextremistische Antisemitismus baut insbesondere auf dem rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus auf, der das Judentum als "nichtdeutsche, fremde Rasse" definierte und diesen "Feind der eigenen Rasse" "ausmerzen" wollte. Nicht zuletzt aufgrund der strafrechtlichen Konsequenzen meiden Rechtsextremisten mittlerweile in ihrer Propaganda offenen, rassistisch motivierten Antisemitismus. Vielmehr weichen sie auf einen angedeuteten Antisemitismus aus, insbesondere durch die Behauptung eines übermäßigen politischen Einflusses von Juden (politischer Antisemitismus). Auch religiös begründeter Antisemitismus ist gelegentlich zu beobachten. Oftmals findet antisemitische Propaganda nur unterschwellig statt, u. a. durch subtil judenfeindlich gefärbte Zeitungsartikel oder Anspielungen. Rechtsextremisten nutzen die im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an der Politik Israels, um das Existenzrecht des Staates Israel in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels basiert auf der prinzipiellen Ablehnung des Judentums. Gleichsetzungen der israelischen Politik mit den Verbrechen an Juden im Nationalsozialismus sind ebenfalls ein gängiges Muster des antizionistischen Antisemitismus. Seite 220 von 242 Im Rahmen des sekundären Antisemitismus wird den Juden vorgeworfen, sie benutzten die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust als Mittel der Erpressung, um finanzielle und politische Forderungen durchzusetzen. Antisemitischen Verschwörungstheorien zufolge wird Deutschland im Rahmen einer planvollen Konspiration instrumentalisiert, um den "jüdischen Einfluss" zu vergrößern oder das Ziel der jüdischen Weltherrschaft zu erreichen. Häufig wird ein "jüdischer Einfluss" auf politische Entscheidungen der Regierungsverantwortlichen behauptet. Antisemitismus im Islamismus Zu den Feindbildern islamistischer Organisationen gehören prinzipiell der Staat Israel bzw. "die Zionisten", denen - je nach Standort im islamistischen Spektrum mehr oder weniger offen - die verschwörerische Manipulation westlicher Staaten, vor allem der USA, unterstellt wird. Die jüdische Einwanderung in Palästina, die Entstehung des Staates Israel und der seither ungelöste Nahost-Konflikt waren Auslöser für die Entstehung eines islamistischen Antizionismus. Dieser war und ist stark antijüdisch gefärbt, insofern als auch auf die prinzipielle, nach Auffassung von Islamisten im Koran belegte und durch die islamistische Geschichtsauffassung gestützte ewige Feindschaft "der Juden" gegen die Muslime/den Islam Bezug genommen wird. Im Rahmen ihrer antiisraelischen und antisemitischen Propaganda rufen vereinzelte islamistische Organisationen im Kontext des Nahost-Konflikts immer wieder zur Vernichtung Israels auf. Ein gängiger Slogan, der diese Absicht transportiert, lautet "From the river to the sea, Palestine will be free". Diese Formulierung bezieht sich auf das Gebiet zwischen dem Fluss Jordan und dem Mittelmeer und spricht dem dort ebenfalls ansässigen Staat Israel folglich das Existenzrecht ab. Darstellungen des Gebietes, in denen das Staatsgebiet Israels entfernt und als palästinensisch markiert wurde, gehören ebenfalls zu dieser Art der Propaganda. Im Unterschied zum Antisemitismus deutscher Rechtsextremisten ist der islamistische Antisemitismus nicht rassistisch begründet. Auskunftsanspruch Jeder kann gemäß SS9 Abs.1 SächsVSG Auskunft über seine beim Landesamt für Verfassungsschutz zu seiner Person gespeicherten Daten erhalten. Der Auskunftsanspruch wird unter folgenden Voraussetzungen, die in SS9 Abs.2 SächsVSG geregelt sind, eingeschränkt: Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung, Gefährdung von Quellen, Ausforschung des Erkenntnisstandes bzw. der Arbeitsweise des LfV, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. dem Wohl des Bundes oder eines Landes würden Nachteile bereitet, Geheimhaltungsbedürftigkeit der Daten. Ein Recht auf Akteneinsicht besteht nicht. Auslandsbezogener Extremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Dabei handelt es sich um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte ARBEITERPARTEI KURDISTANS. Seite 221 von 242 Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie z. B. versuchen, hier eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden und sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Cyberangriff Mit dem Begriff "Cyberangriff" werden gezielt durchgeführte Maßnahmen mit und gegen Infrastrukturen der Informationstechnologie (IT) bezeichnet. Sie richten sich gegen staatliche Stellen oder die Privatwirtschaft und dienen entweder der Informationsbeschaffung oder sollen das angegriffene IT-System schädigen oder sabotieren. Datenschutz Zweck des Datenschutzes ist, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Der Verfassungsschutz hat daher bei seiner Aufgabenerfüllung grundsätzlich die besonderen datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Verfassungsschutzgesetze sowie - gegebenenfalls ergänzend - der allgemeinen Datenschutzgesetze zu beachten. Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird fortlaufend vom Bundesbzw. den Landesbeauftragten für den Datenschutz unabhängig geprüft. Hierzu erhalten die Beauftragten u. a. weitgehende Akteneinsicht. Mit regelmäßig erscheinenden Tätigkeitsberichten werden die parlamentarischen Vertreter und die Öffentlichkeit über das Ergebnis ihrer Überprüfungen informiert. Desinformation Desinformation ist die gezielte Verbreitung falscher bzw. irreführender Informationen in Form von Texten, Bildern oder Videos mit dem Ziel, Menschen zu manipulieren. Der Urheber erstellt und verbreitet in diesen Fällen also bewusst Nachrichten, die nach objektiven Maßstäben inhaltlich falsch oder sinnentstellend sind. Diese Täuschungsabsicht unterscheidet Desinformationen von sog. Fehlinformationen, also falschen bzw. irreführenden Informationen, die versehentlich oder irrtümlich verbreitet wurden. Seriös arbeitende Medien und Journalisten korrigieren solche Falschmeldungen in der Regel umgehend nach deren Feststellung transparent. Desinformationskampagnen sind ein Aufgabenfeld fremder Nachrichtendienste und anderer staatlicher und staatsnaher Akteure, deren Staaten ihre strategischen Ziele auch mit unzulässigen Mitteln verfolgen. Sie unterstützen so ihre Regierungen dabei, deren politische, wirtschaftliche oder strategische Machtposition auszubauen und die eigene Weltsicht über Staatsgrenzen hinaus zu verbreiten. Diese illegitime Einflussnahme befeuert Polarisierungsprozesse in offenen Gesellschaften und ist dazu geeignet, die politischen Meinungsund Willensbildungsprozesse in demokratischen Staaten nachhaltig zu beeinflussen. Seite 222 von 242 Ethnopluralismus Bei dem Begriff Ethnopluralismus handelt es sich um ein Ideologieelement der extremistischen "Neuen Rechten", dem kein einheitliches Konzept zugrunde liegt. Ethnopluralismus ist ein ausgrenzender "Nationalismus", ein "Rassismus ohne Rassen". Er setzt sich zusammen aus dem griechischen Wort "ethnos" (Volk) und dem lateinischen Wort "pluralis" (Mehrzahl) und propagiert damit eine Völkervielfalt. Diese schlägt sich jedoch nach Lesart von Vertretern der "Neuen Rechten" in jeweils ethnisch weitestgehend homogenen Staaten nieder. Im Zentrum dieses Ideologieelementes steht somit die Forderung, dass keine "Durchmischung" der Bewohner verschiedener Kulturräume stattfinden darf, mit dem Ziel, ethnisch reine Gesellschaften zu schaffen und alles "Volksfremde" auszuweisen. Zuwanderung soll demnach vordergründig strikt nach ethnisch-kulturellen, aber im Ergebnis letztlich nach rassischbiologischen Kriterien gesteuert werden. Mit dieser Staatsund Gesellschaftskonzeption werden Menschen vom Staatsvolk ausgeschlossen, die nicht dessen ethnischen Voraussetzungen entsprechen. Folgerichtig ergeben sich auch aus dem Ethnopluralismus traditionelle rechtsextremistische Forderungen wie "Deutschland den Deutschen - Ausländer raus". Der Ethnopluralismus ist daher Der Ethnopluralismus ist daher als Begründung für die Ungleichbehandlung Deutscher mit Migrationshintergrund ebenfalls nicht mit der Menschenwürdegarantie vereinbar. Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus" (s. dort). Als extremistisch werden Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Die Begriffe "extrem" (radikal) und "extremistisch" (verfassungsfeindlich) sind demnach keine Synonyme. Extremistisch beeinflusste Organisationen Extremistisch beeinflusste Organisationen sind Vereinigungen, die von Extremisten oder auf deren Initiative hin gegründet oder von Extremisten unterwandert und erheblich beeinflusst sind, wobei der Grad der Beeinflussung unterschiedlich ist. Sie verfolgen bestimmte politische Ziele, die mit denen der Kernorganisation ganz oder teilweise übereinstimmen. Sie unterstützen die Bestrebungen der Kernorganisation dadurch: dass sie bestimmte politische Ziele verfolgen, die mit denen der Kernorganisation ganz oder teilweise übereinstimmen, und dass sie dadurch die Bestrebungen der Kernorganisation unterstützen, dass ihre Funktionäre zu einem größeren oder kleineren Teil Mitglieder oder Anhänger der Kernorganisation sind, dass ihnen auch Personen angehören, die zwar keine Extremisten sind, aber Teilziele der Organisation verfolgen und dabei entweder den erheblichen extremistischen Einfluss nicht erkennen, oder ihn zwar erkennen, aber in Kauf nehmen, bzw. in Einzelfällen diesen Einfluss sogar zurückdrängen wollen. Extremistische Bestrebungen Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichtete Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes und Seite 223 von 242 Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder eines Landesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen. Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet in der Regel subkulturelle Publikationen. In der rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Einzelpersonen und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres Gedankengutes. Das Medium verlor mit der Verlagerung der Kommunikation in das Internet sehr stark an Bedeutung. Zwar erscheinen weiterhin Fanzines, herausgegeben von zumeist langjährigen Szeneangehörigen, diese Publikationen haben jedoch eher traditionellen, nostalgischen Charakter, als dass sie der Information breiter Szenekreise dienen. Freiheitliche demokratische Grundordnung Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und Seite 224 von 242 die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. In seinem Urteil zum Verfahren über das Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) im Januar 2017 hat das Bundesverfassungsgericht den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung weitgehend präzisiert. Im Zentrum stehen für das Gericht die Würde des Menschen, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. G10-Maßnahme Nach dem "Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses" (Artikel 10-Gesetz) ist dem LfV der Eingriff in das Grundrecht nur unter folgenden engen Voraussetzungen möglich: Die Überwachung ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Planung oder Begehung bestimmter, schwerwiegender Straftaten - z. B. Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung - vorliegen. Ebenfalls zulässig ist eine Überwachung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand Mitglied einer Vereinigung ist, deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Zudem muss die Überwachung erforderlich sein, d. h. die Erforschung des Sachverhalts muss auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Die Überwachung wird nicht vom LfV angeordnet, sondern auf dessen Antrag durch den Staatsminister des Innern. Vor dem Vollzug der Anordnung muss die sog. G10-Kommission über die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahme entscheiden. Geheimschutz Der Geheimschutz umfasst alle personellen und materiellen (organisatorischen, baulichen und technischen) Maßnahmen zum Schutz von im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Unterlagen, Maßnahmen und Objekten. Der Geheimschutz sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Personeller Geheimschutz Die Verfassungsschutzbehörden wirken mit bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben, weil sie Zugang zu Verschlusssachen (VS) haben. Die Sicherheitsüberprüfung soll solche Personen aus sensiblen Bereichen fernhalten, die Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit oder an ihrem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geben oder für Ansprachen anderer Nachrichtendienste gefährdet erscheinen. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz beinhaltet organisatorische, bauliche, mechanische, elektrotechnische und informationstechnische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen (unabhängig von ihrer Darstellungsform) und von räumlichen Sicherheitsbereichen. Einer der Schwerpunkte ist die Sicherheit beim Umgang mit Informationen, die im staatlichen Interesse Unbefugten nicht zur Kenntnis gelangen dürfen. Dazu gehören insbesondere die richtige Einstufung von Dokumenten als Verschlusssachen Seite 225 von 242 (VS-Nur für den Dienstgebrauch, VS-Vertraulich, GEHEIM und Streng GEHEIM) sowie deren Herstellung, Aufbewahrung/Speicherung, Vervielfältigung, Weitergabe/Übermittlung und Aussonderung/Archivierung bzw. Vernichtung/Löschung. Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ wurde im November 2012 zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus, der Spionage sowie der Proliferation eingerichtet. Im Rahmen des Gremiums tauschen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern Informationen zu den genannten Phänomenbereichen aus. Dabei soll die Fachexpertise der Sicherheitsbehörden gebündelt und ein möglichst lückenloser Informationsfluss gewährleitet werden. Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Im GIZ beobachten seit 2007 sprachkundige Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder das Internet hinsichtlich islamistischer und islamistisch-terroristischer Inhalte. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das im Jahr 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in BerlinTreptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst (BAMAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird durch die dortige Zusammenarbeit erleichtert und beschleunigt. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Seite 226 von 242 Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Unter "Homegrown"-Terrorismus sind islamistische Strukturen oder Strukturansätze zu verstehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen sind zumeist in europäischen Ländern geboren und/ oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung einer islamistischen Gesellschaftsordnung für erstrebenswert. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen macht sich islamistisches Gedankengut zu eigen und engagiert sich für islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in islamistischen / islamistisch-terroristischen Strukturen erklärt sich u. a. aus der Motivation, sich gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sogenannter großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf / "heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. Klandestine Aktionen Diese Aktionsform findet unabhängig vom Demonstrationsgeschehen Anwendung. Es handelt sich um Aktionen, bei denen es entweder zum Einsatz von Gewalt kommt bzw. es sich um herausgehobene Zielobjekte des politischen Gegners bzw. Einrichtungen des "Repressionsapparates" handelt. Taktisch setzt man dabei auf das Überraschungsmoment und die Anonymität der Akteure. Dadurch wird für die Handelnden das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Voraussetzung dafür ist allerdings ein kleiner, aber fester Personenkreis mit hohem Konspirationsgrad. Es sollen hierdurch politische Aufmerksamkeit erreicht und politischer Einfluss ausgeübt werden. Daher werden die Aktionen in der Regel auch durch Bekennerschreiben flankiert. Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte des Bürgers sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit der Bürger darauf vertrauen kann, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit Seite 227 von 242 geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen. s.a. Parlamentarische Kontrollgremien, Datenschutz Legende "Legende" bezeichnet im Sprachgebrauch der Nachrichtendienste die Verwendung ganz oder teilweise erfundener oder geänderter biographischer Daten, um den Auftrag der Nachrichtendienste zu erfüllen und für sie tätige Personen gegenüber Dritten zu schützen. Im Rahmen einer Legende werden Tarnmittel eingesetzt, insbesondere Tarnadressen, Tarnausweise und Kfz-Tarn-Kennzeichen. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao und andere, Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, AUTONOME, ANARCHISTEN und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. Mujahidin Als Mujahidin (Plural für: "Kämpfer im Jihad") werden Islamisten bezeichnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich am "gewaltsamen Jihad" selbst beteiligen oder beteiligt haben oder für die Teilnahme am "gewaltsamen Jihad" ausbilden lassen oder bereits haben ausbilden lassen oder am "gewaltsamen Jihad" beteiligen werden, z. B. aufgrund entsprechender Äußerungen. Arabische Muslime verschiedener Nationalität stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. Nachrichtendienste Nachrichtendienste sammeln Informationen über die die innere oder äußere Sicherheit eines Staates gefährdende Bestrebungen und werten sie aus. Hierbei können die Nachrichtendienste verdeckt arbeiten (vgl. nachrichtendienstliche Mittel). Die Ergebnisse der Seite 228 von 242 Analyse werden in Berichtsform zusammengefasst und den politischen Entscheidungsträgern sowie den Kontrollgremien zur Verfügung gestellt. Nachrichtendienste in Deutschland In der Bundesrepublik Deutschland existieren drei Nachrichtendienste: Inlandsnachrichtendienst (Verfassungsschutzbehörden: Bundesamt für Verfassungsschutz und Landesämter für Verfassungsschutz) Auslandsnachrichtendienst (BND) Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Sie arbeiten gemäß dem Bundesverfassungsschutzgesetz bzw. den Landesverfassungsschutzgesetzen in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammen. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder können entweder als Abteilung unmittelbar im jeweiligen Innenministerium angesiedelt oder als eigenständige Landesoberbehörde dem jeweiligen Innenministerium nachgeordnet sein. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist der Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland. Er hat die Aufgabe, im Ausland Informationen zu sammeln, die von außenoder sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind. Er wertet diese Informationen selbst aus. Neben den Kernaufgaben der Auslandsaufklärung übernimmt der BND auch Aufgaben in der Beobachtung der international operierenden Organisierten Kriminalität, insbesondere auf den Gebieten Waffenund Technologietransfer, Geldwäsche, Menschenhandel und Rauschgiftschmuggel. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), eine Dienststelle des Bundesverteidigungsministeriums, ist der Nachrichtendienst der Bundeswehr. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat er die Aufgabe, extremistische, sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Bestrebungen und Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr zu beobachten. Die Hauptaufgaben des BAMAD liegen dabei in der Abwehr von Spionageaktivitäten sowie im Aufspüren verfassungsfeindlicher Bestrebungen innerhalb der Truppe. Das BAMAD ist auch für die Sicherheit von Bundeswehrliegenschaften zuständig. Nachrichtendienste fremder Staaten In der Bundesrepublik Deutschland agieren Nachrichtendienste fremder Staaten, um Informationen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewinnen (politische, wirtschaftliche, militärische Entwicklungen und Entscheidungen). Hinsichtlich ihrer Organisation und ihrer Befugnisse sind diese Dienste in den verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgestaltet Nachrichtendienstliche Mittel Mit nachrichtendienstlichen Mitteln als Oberbegriff werden technische Mittel und Arbeitsmethoden der geheimen Nachrichtenbeschaffung bezeichnet. So darf das LfV nach SS 5 Abs. 1 SächsVSG Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dem LfV ist unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (nach SS 5 Abs. 2 Satz 2 SächsVSG) die Erhebung personenbezogener Daten und sonstiger Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln insbesondere dann gestattet, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder Seite 229 von 242 dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder eines Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. NADIS Das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS) ist ein Datenverbund des Bundesamtes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz. NADIS ist eine Hinweisdatei, d.h. sie dient zur Identifizierung einer Person, Organisation oder eines Sachverhaltes und dem Auffinden von Aktenfundstellen. Eine Speicherung im NADIS darf nur aufgrund der in den Verfassungsschutzgesetzen definierten gesetzlichen Regelungen erfolgen. Neue Rechte Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um ein informelles Netzwerk verschiedener Organisationen und Gruppierungen, in welchem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken. Diese nehmen innerhalb dieses Geflechts unterschiedliche Funktionen wahr. Sie sind aktionsorientiert (IDENTITÄRE BEWEGUNG), unterstützen finanziell (EIN PROZENT E.V.), fördern die Theoriebildung (INSTITUT FÜR STAATSPOLITIK), sind vorwiegend journalistisch tätig (COMPACT MAGAZIN GMBH) oder gehören dem Parteienspektrum an (ALTERNATIVE FÜR DEUTSCHLAND (AfD) - LANDESVERBAND SACHSEN, JUNGE ALTERNATIVE). Mittels unterschiedlicher Strategien sollen antidemokratische Positionen in Politik und Gesellschaft durchgesetzt werden. Das gemeinsame Ziel ist eine "Kulturrevolution von rechts". Opportunitätsprinzip / Legalitätsprinzip Während die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) nach der Strafprozessordnung grundsätzlich verpflichtet sind, bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen einzuschreiten (Legalitätsprinzip), gilt für die Verfassungsschutzbehörden das Opportunitätsprinzip. Hiernach steht die Entscheidung, ob wegen einer Straftat eingeschritten werden soll, im Ermessen. So kann der Verfassungsschutz wegen einer zu erwartenden relevanten Erkenntnissteigerung auf ein unmittelbares Einschreiten verzichten. Das Opportunitätsprinzip ist Grundlage für (oftmals jahrelang) wachsende Vertrauensverhältnisse. Diese ermöglichen dem Verfassungsschutz einen exklusiven Zugang zu Informationsquellen, seien es V-Leute oder auch Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste. Damit dies so bleibt, müssen Nachrichtendienste einen besonderen Wert auf Quellenschutz legen. Hinweisgeber sind nicht selten Straftäter oder Opfer, die Sanktionen der Täter befürchten. Im Zweifel kann ein mögliches Strafverfolgungsinteresse dem Schutz der Quelle untergeordnet werden. Dadurch, dass der Verfassungsschutz vom Strafverfolgungszwang losgelöst ist, kann er weitergehend operieren, etwa, um eine extremistische bzw. terroristische Szene näher aufzuklären oder eine Gefahrensituation zu entschärfen, indem er versucht, einzelne Täter aus der Szene herauszulösen und als Informanten zu gewinnen. Auf diese Weise können unter Umständen auch die Strukturen der Bestrebung geschwächt werden. Ohne Strafverfolgungszwang hat der Verfassungsschutz Raum für umfassende Analysen und Methodik. Im Gegensatz zur Polizei kann er "flächendeckende" Strukturerkenntnisse sammeln. Personenbezogene Daten Hierunter versteht man alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen. Als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind. Seite 230 von 242 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, sowie Straftaten, bei denen in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt. Die Straftaten werden folgenden Bereichen zugeordnet: politisch motivierte Kriminalität - rechts, politisch motivierte Kriminalität - links, politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie / religiöse Ideologie184, sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichen Knowhows. Quelle / Quellenschutz Im nachrichtendienstlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff "Quelle" die Herkunft einer Information. Quellen können Personen (z. B. V-Leute), aber auch Medien (z. B. Internet, Druckerzeugnisse) oder andere Behörden sein. Unter "Quellenschutz" versteht man alle Maßnahmen, die erforderlich und geeignet sind, eine nachrichtendienstliche Quelle vor einer Enttarnung und deren Folgen zu schützen. Radikalismus Dabei handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum Extremismus (s. dort) sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale bzw. "extreme" politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle 184 Seit 2018 werden die Strafund Gewalttaten nach ausländischer (d. h. politischer) und religiöser Ideologie unterschieden. Vorher nannte sich die Rubrik "Politisch motivierte Ausländerkriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund". Auch Straftaten aus dem Phänomenbereich "Islamismus" wurden darunter registriert. Seite 231 von 242 Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus ist eine rechtsextremistisch motivierte Form der Gewaltkriminalität, die durch Androhung und Anwendung von Gewalt gegen staatliche oder gesellschaftliche Funktionsträger oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter im Rahmen längerfristiger Strategien das Ziel verfolgt, mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken bestehende Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern oder das Ziel einer ethnisch und politisch homogenen Gesellschaft durchzusetzen. Revisionismus, rechtsextremistischer Der das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von Erkenntnissen beschreibende Begriff "Revisionismus" wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Vergangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektive Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbildes, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen und Methoden. So beinhaltet die Leugnung des "Holocaust", das Ausmaß der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch das NS-Regime zu verharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente auf unseriöse Weise fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung der Ereignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutig belegen, dass die "Endlösung der Judenfrage" unzweifelhaft stattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert. Sabotageschutz Unter den Begriff fallen alle Maßnahmen zur Abwehr von Sabotage. Als Sabotage bezeichnet man die Beeinträchtigung, Beschädigung oder Zerstörung lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen wie z. B. Kraftwerke, Verkehrsverbindungen oder Kommunikationsanlagen. Die absichtliche Störung eines wirtschaftlichen oder militärischen Ablaufs dient der Erreichung eines bestimmten, oft politischen, Ziels. Vergehen werden gemäß SSSS 87, 88 des Strafgesetzbuches (StGB) geahndet. Ziel des Sabotageschutzes ist es, Einrichtungen, deren Ausfall oder Zerstörung die Gesundheit oder das Leben von großen Teilen der Bevölkerung erheblich bedrohen oder die für das Gemeinwesen unverzichtbar sind, vor möglichen Innentätern zu schützen. Unabhängig von der jeweiligen Organisationsform sollen daher besonders sicherheitsempfindliche Teile von Einrichtungen geschützt werden, die z. B. der Energieversorgung der Bevölkerung dienen oder für das Funktionieren des Gemeinwesens - z. B. Telekommunikation, Bahn, Post - notwendig sind. Das Gleiche gilt für Beeinträchtigungen von Einrichtungen, die der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte dienen. Seite 232 von 242 Salafismus Die salafistische Bewegung strebt eine Rückkehr zum Vorbild der "lauteren Vorfahren" (asSalaf as-salih) und damit zu einem fiktiven "Urislam" an. Zentrale Merkmale dieser Religionsinterpretation sind die strikte Konzentration auf Koran und Prophetentradition (Sunna) als handlungsweisende Texte, die Ablehnung aller Neuerungen, die als unvereinbar mit dem "wahren islamischen Geist" gelten, das unbedingte Bekenntnis zur Einheit Gottes (Tauhid), die Durchsetzung des religiösen Gesetzes (Scharia) sowie eine Vielzahl an Kleidungsund Verhaltensvorschriften. Viele der dabei vertretenen Ansichten sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Schwarzer Block Der sog. "Schwarze Block", vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleich der "Schwarze Block" überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme eines "Schwarzen Blocks" an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus. Hierdurch sollen Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste gewonnen werden. Die Spionageabwehr gehört von Gesetzes wegen zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Seite 233 von 242 Terrorismusbekämpfungsgesetze Durch die Anschläge des 11. September 2001 wurden neue Bekämpfungsansätze erforderlich. Mit einem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz (TBG)) wurden Anfang 2002 zahlreiche Sicherheitsgesetze der neuen Bedrohungslage angepasst. So erhielt der Verfassungsschutz das Recht, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, da diese Bestrebungen ein gefährlicher Nährboden für den wachsenden Terrorismus sind. Zur Erforschung von Geldströmen und Kontobewegungen von Organisationen und Personen, die extremistischer Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten verdächtigt werden, erhielt der Verfassungsschutz die Befugnis, bei Banken und Geldinstituten Informationen über Konten einzuholen. Ferner wurden Auskunftspflichten für Postdienstleister, Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsund Teledienstleister vorgesehen. Mit der Neufassung und Ausweitung der Vereinsverbotsgründe durch Änderung des Vereinsgesetzes wurden die staatlichen Handlungsoptionen zur Bekämpfung extremistischer Vereinigungen mit Auslandsbezug ergänzt, so dass für Ausländervereine und ausländische Vereine z. B. verhindert werden kann, dass gewalttätige oder terroristische Organisationen von Ausländervereinen in Deutschland unterstützt werden. Mit einem Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (TBEG) von Anfang 2007 wurden weitere Verbesserungen bei der Terrorismusbekämpfung geschaffen. So wurden die Auskunftsbefugnisse des Verfassungsschutzes gegenüber Banken, Geldinstituten, Postdienstleistern, Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsund Teledienstleistern praxisorientiert fortentwickelt und ergänzt. Die bewährten Befugnisse wurden erstreckt auf die Aufklärung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Inland, die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern. Die durch den Wegfall der Binnengrenzkontrollen eingeschränkte Möglichkeit der Grenzfahndung wird nunmehr kompensiert durch eine Ausschreibungsmöglichkeit im Schengener Informationssystem und eine damit notwendig verbundene Ausschreibung im nationalen polizeilichen Informationssystem INPOL, um den besonderen Gefahren internationaler extremistischer Bestrebungen und Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste zu begegnen. Des Weiteren erhielten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND) die Möglichkeit, Auskünfte über Fahrzeugund Halterdaten aus dem Zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) auch im automatisierten Abrufverfahren einzuholen. Trennungsgebot Durch das Trennungsgebot wird eine organisatorische und funktionelle Trennung von Verfassungsschutz und Polizei/Staatsschutz vorgegeben. Dies ist für das Landesamt für Verfassungsschutz in SS 1 Abs. 4 und SS 4 Abs. 3 SächsVSG geregelt. Eine solche Trennung gebietet zwar eine Beschränkung des Informationsautauschs zwischen Verfassungsschutz und Polizei, verbietet ihn jedoch nicht grundsätzlich. Dieser ist vielmehr notwendig, um trotz der Trennung effektiv arbeiten zu können. Nur durch eine Vernetzung von Nachrichtendiensten und Polizei ist es möglich, die in der jeweiligen Rechtssphäre gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen und zu analysieren. Dem Verfassungsschutz selbst stehen lediglich reine Beobachtungsbefugnisse zu; wenn er jedoch ausreichende Erkenntnisse gewonnen hat, die den Eingriff einer Polizeibzw. Sicherheitsbehörde erfordern, darf er unterbestimmten Voraussetzungen Polizei oder Staatsanwaltschaft unterrichten. Seite 234 von 242 Verfassungsfeindlich Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. "Verfassungsfeindlichkeit" ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der "Verfassungswidrigkeit" (siehe unten). Verfassungsschutzbehörden Das Bundesverfassungsschutzgesetz verpflichtet Bund und Länder, eigene Verfassungsschutzbehörden aufzubauen. Der Bund kam dieser Pflicht durch Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 7. November 1950 nach. Die Länder folgten alsbald. Auch in den neuen Bundesländern wurden nach der Wiedervereinigung Deutschlands schrittweise Behörden für Verfassungsschutz aufgebaut, so dass es nun 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz in Deutschland gibt. Einige Länder errichteten eigenständige Verfassungsschutzbehörden, andere wiesen die Aufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes einer Abteilung ihres Innenministeriums/-senats zu. Hierfür gelten die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Kennzeichnend für diese relativ neue Ausprägung des politischen Extremismus DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES ist der Rückgriff auf diverse Verschwörungserzählungen sowie die grundsätzliche Ablehnung von demokratischen Entscheidungsfindungsmechanismen. "Delegitimierer" zielen ganz bewusst darauf ab, das Misstrauen der Bevölkerung in die Funktionsweise staatlicher Institutionen zu schüren. Zugleich versuchen sie ihre Anhänger davon zu überzeugen, in einer Diktatur zu leben, gegen die Widerstand legitim und notwendig sei. Dem Sammel-Beobachtungsobjekt werden Akteure zugeordnet, bei denen kein ideologischer Hintergrund feststellbar ist, der den bisherigen etablierten Phänomenbereichen (Rechtsextremisten oder REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN) zugeschrieben werden kann. Angesichts des gemeinsamen Ziels, den Sturz des gegenwärtigen politischen Systems herbeiführen zu wollen, ist allerdings eine zunehmende Annäherung dieser Phänomenbereiche festzustellen. Verfassungswidrig Umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktivkämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, forderte das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von einer Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen (so z. B. die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, oder die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu Seite 235 von 242 verschaffen) oder konkrete Anhaltspunkte von Gewicht für ein deutliches Überschreiten der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes. Verschwörungsnarrative Als Verschwörungsnarrative bzw. -theorien werden generell Gedankenmodelle bezeichnet, die davon ausgehen, dass sich eine Personengruppe im Geheimen zusammentut, um politische und kulturelle Ereignisse zu steuern oder gar zu erschaffen. Diese Verschwörungstheorien haben, so die Behauptung, gemein, dass sie den Interessen oder der Bereicherung der "Verschwörer" dienen und zu Lasten des Großteils der Bevölkerung gehen. Der Inhalt solcher "Theorien" ist keiner Wahrheitsprüfung zugänglich. Viele Experten lehnen den Begriff der Verschwörungstheorie deshalb ab, da eine Theorie im wissenschaftlichen Sinne immer so aufgebaut werden muss, dass sie auch widerlegt werden kann. Stattdessen werden Begriffe wie Verschwörungserzählung empfohlen.185 Ein von der "Neuen Rechten" verbreitetes Verschwörungsnarrativ ist der sog. "Große Austausch". Dieses geht auf den französischen Begriff "Grand Remplacement zurück und unterstellt demokratischen Regierungen, einen geheimen Plan zum Austausch der Mehrheitsbevölkerung durch vorwiegend muslimische Einwanderer zu verfolgen. Oftmals werden Begriffe wie "Bevölkerungsaustausch" oder "Ersetzungsmigration" synonym verwendet, während die synonym verwendete Formulierung "Umvolkung" eine direkte Referenz auf den gleichlautenden nationalsozialistischen Terminus darstellt. V-Leute Vertrauensleute, sogenannte V-Leute, sind Personen, die planvoll und systematisch zur Gewinnung von Informationen über extremistische Bestrebungen eingesetzt werden. Sie sind keine Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Für ihre Informationen werden sie in der Regel entlohnt. Die Identität von Vertrauensleuten wird besonders geschützt (siehe auch Quellenschutz). Bei dem Einsatz von V-Leuten handelt sich um ein nachrichtendienstliches Mittel/Instrument. Volksverteidigungskräfte / Volksverteidigungseinheiten Die ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PARTIYA KARKEREN KURDISTAN - PKK) führt seit dem Jahr 1984 einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat zur Durchsetzung ihrer Ziele. Ihr bewaffneter Arm, die VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HEZEN PARASTINA GEL - HPG), ist für tausende Todesopfer verantwortlich, auch unter Touristen und der Zivilbevölkerung. Im Jahr 1993 erließ das Bundesministerium des Innern ein Betätigungsverbot für die PKK und ihre Nebenorganisationen, seit 2002 wird sie von der Europäischen Union (EU) als terroristische Organisation gelistet. Die Schwesterorganisation der PKK in Syrien, die syrisch-kurdische PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION (PARTIYA YEKITIYA DEMOKRAT - PYD), verfügt mit den VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YEKINEYEN PARASTINA GEL - YPG) ebenfalls über einen bewaffneten Arm. Teil dieser Kampfverbände sind auch die FRAUENVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YEKINEYEN PARASTINA JIN - YPJ). Die Logos der PYD und ihrer Volksverteidigungseinheiten verwenden ähnliche Symbole wie die PKK und ihr bewaffneter Arm. Auf allen Logos ist ein roter Stern zu sehen, je nach Organisation mit gelbem, grünem und/oder rotem Hintergrund. Anders als die PKK und deren Symbole sind die PYD und YPG in Deutschland nicht explizit verboten. Die Bundesregierung verfügte 2017 jedoch, dass PYDund YPG-Symbole verboten werden können, wenn sie als Ersatz für die Symbolik der PKK gezeigt werden. 185 vgl. "Verschwörungstheorien - Verstehen und der richtige Umgang", Sächsische Landeszentrale für politische Bildung, Stand: 08.04.2024 (https://www.slpb.de/themen/gesellschaft/verschwoerungstheorien) Seite 236 von 242 Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Knowhow-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage beinhaltet die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. Seite 237 von 242 Abkürzungsverzeichnis A ABC DRESDEN ANARCHIST BLACK CROSS DRESDEN ABE ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE AfD Alternative für Deutschland AQ AL-QAIDA ART DRESDEN ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN B BAMAD Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BKA Bundeskriminalamt BND Bundesnachrichtendienst BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BzKJ Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz D DKP DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI DMG DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E.V. F FAU FREIE ARBEITER*INNEN-UNION FKD FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FKMO FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN G G 10 Artikel 10-Gesetz GH GEFANGENENHILFE.INFO H HPG VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE HNG HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. I IB IDENTITÄRE BEWEGUNG IL INTERVENTIONISTISCHE LINKE IS ISLAMISCHER STAAT ISPK ISLAMISCHER STAAT PROVINZ KHORASAN IVG INDIGENES VOLK GERMANITEN J JA JUNGE ALTERNATIVE JN JUNGE NATIONALISTEN Juko "Antifaschistischer Jugendkongress" Seite 238 von 242 JXK/YXK STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN/VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN K KCDK-E KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA KdN Kampf der Nibelungen KON-MED KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E.V. KPD KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS KPF KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI "Die Linke" KPV KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG der Partei DIE HEIMAT KRD KÖNIGREICH DEUTSCHLAND KRITIS Kritische Infrastrukturen KSGV KÖNIGLICH SÄCHSISCHER GEMEINDEVERBAND L LfV Landesamt für Verfassungsschutz LKA Landeskriminalamt M MB MUSLIMBRUDERSCHAFT MKBD MARWA EL-SHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. MLPD MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS N NJB NATIONALER JUGENDBLOCK ZITTAU E. V. NPD NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS NRJ NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND NS Nationalsozialismus (hist.) NSBM NS-Black Metal NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSU Nationalsozialistischer Untergrund P PKK ARBEITERPARTEI KURDISTANS PKK Parlamentarische Kontrollkommission PMK Politisch motivierte Kriminalität PYD PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION R R.A.C. Rock Against Communism REVO REVOLUTION RH ROTE HILFE E.V. RNF RING NATIONALER FRAUEN S SächsVSG Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen SBD SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE UND DIENSTLEISTUNGEN UNTERNEHMERGESELLSCHAFT (HAFTUNGSBESCHRÄNKT) Seite 239 von 242 SDAJ SOZIALISTISCHE DEUTSCHE ARBEITERJUGEND StGB Strafgesetzbuch T TCS TEVGERA CIWANEN SORESGER TJK-E KURDISCHE FRAUENBEWEGUNG IN EUROPA U URA DRESDEN UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN V V-Person Vertrauensperson VBZ VOLKSSTIMME BÜRGERBÜNDNIS ZWICKAU VHD VATERLÄNDISCHER HILFSDIENST Y YPG/YPJ VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN YS YOUNG STRUGGLE Seite 240 von 242 Aussteigerprogramm Sachsen Das Aussteigerprogramm Sachsen unterstützt Personen, die sich im Einflussbereich extremistischer Gruppen oder Handlungszusammenhänge befinden, sich aus diesen lösen wollen und hierfür Unterstützung benötigen. Ziel ist es, Aussteigerinnen und Aussteigern einen Neustart in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das Aussteigerprogramm Sachsen berät und begleitet darüber hinaus beispielsweise auch Familienangehörige, Freunde und Fachkräfte im Umgang mit Krisenund Konfliktsituationen. Das Aussteigerprogramm Sachsen arbeitet dabei phänomenübergreifend. Die Leistungen sind kostenfrei, anonym und vertraulich. Weitere Informationen und Kontakt: Aussteigerprogramm Sachsen Postfach 30 11 25 04251 Leipzig Tel.: 0173-9617643 E-Mail: kontakt@steig-aus.de Internet: www.steig-aus.de Seite 241 von 242 Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium des Innern und Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Redaktionsschluss: 2. Mai 2024 Bezug: Diese Druckschrift kann kostenfrei bezogen werden beim: Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60, 01129 Dresden Telefon: +49 351 85850 Telefax: +49 351 8585500 E-Mail: verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de Verteilerhinweis: Diese Informationsschrift wird von der Sächsischen Staatsregierung im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zur Verwendung bei der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, diese Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden. Copyright Diese Veröffentlichung ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die des Nachdruckes von Auszügen und der fotomechanischen Wiedergabe, sind dem Herausgeber vorbehalten. Seite 242 von 242