Seite 1 von 255 Inhaltsverzeichnis I. Verfassungsschutz in Sachsen 7 1. Gesetzlicher Auftrag 8 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes 8 1.2 Informationsgewinnung 10 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz 11 2. Kontrolle des Verfassungsschutzes 11 3. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 13 II. Aktuelle Entwicklungen in den 17 Extremismusbereichen 1. Übergreifende Betrachtung: 20 Die Entstehung der FREIEN SACHSEN im Kontext der CoronaPandemie 2. Rechtsextremismus 30 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 31 2.2 Personenpotenzial 33 2.3 Rechtsextremistische Parteien 38 2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) 38 2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 44 2.3.3 FREIE SACHSEN / Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ 54 Seite 2 von 255 2.4 Parteiungebundene Strukturen 61 2.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 61 2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN 67 2.4.3 PEGIDA 75 2.4.4 Subkulturell geprägtes und unstrukturiertes rechtsextremistisches 82 Personenpotenzial 2.4.5 Rechtsextremistische Musik 88 2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 96 2.5 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus 100 2.6 Von Rechtsextremisten genutzte Immobilien 102 2.7 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit 105 rechtsextremistischem Hintergrund 2.8 Ausblick 108 3. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER 111 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 112 3.2 Strategie 112 3.3 Personenpotenzial 114 3.4 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen 115 3.5 Ausblick 121 4. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 123 Seite 3 von 255 5. Linksextremismus 129 5.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 130 5.2 Personenpotenzial 132 5.3 Aktionsfelder und Aktionsformen 135 5.3.1 Aktionsfelder 135 5.3.2 Aktionsformen 138 5.4 AUTONOME 141 5.4.1 AUTONOME in Leipzig 146 5.4.2 AUTONOME in Dresden 152 5.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 159 5.5 Anarchistische Gruppierungen 162 5.6 ROTE HILFE e.V. 166 5.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen 171 5.8 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit 172 linksextremistischem Hintergrund 5.9 Ausblick 176 6. Islamismus 178 6.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 179 6.2 Personenpotenzial 180 6.3 Erscheinungsformen des Islamismus 181 6.4 Ausblick 196 Seite 4 von 255 7. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von 199 Gruppierungen mit Auslandsbezug 7.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 200 7.2 Personenpotenzial 200 7.3 Strukturen 200 7.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten mit 205 ausländerextremistischem bzw. islamistischem Hintergrund 7.5 Ausblick 206 III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und 207 Wissenschaft 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten 208 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 209 2.1 Akteure und Schwerpunkte 209 2.1.1 Russische Föderation 209 2.1.2 Volksrepublik China 210 2.1.3 Nachrichtendienste sonstiger Staaten 211 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 211 2.2.1 Beschaffung von öffentlich zugänglichen Informationen 211 2.2.2 Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen 211 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche 214 Entwicklungen 2.2.4 Spionagerelevante Sachverhalte im Zusammenhang mit der Corona214 Pandemie 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft 214 Seite 5 von 255 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 217 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und 218 Sabotageschutzüberprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen 218 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen 219 2. Materieller Geheimschutz 219 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder 220 Ausschlussgründen V. Anhang 222 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen 223 Glossar 227 Vereinsverbote bundesweit 246 Abkürzungsverzeichnis 251 Aussteigerprogramm Sachsen 254 Seite 6 von 255 I. Verfassungsschutz in Sachsen Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung Extremismus in Sachsen: Die Entstehung der FREIEN SACHSEN im Kontext der CoronaPandemie Rechtsextremismus REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Linksextremismus Islamismus Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Information und Prävention Seite 7 von 255 Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geht vom Grundgedanken einer streitbaren, wehrhaften Demokratie aus. Sie sieht vor, dass Angriffe von Extremisten auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv abgewehrt werden können. So können Parteien vom Bundesverfassungsgericht verboten oder von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden (Artikel 21 Absatz 2 bis 4 GG). Auch Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, können verboten werden (Artikel 9 Absatz 2 GG). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Staat entsprechende Bestrebungen oder Aktivitäten - sie werden als extremistisch oder verfassungsfeindlich bezeichnet - rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als "Frühwarnsystem" zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Die zu den extremistischen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen gewonnenen Erkenntnisse werden in den Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen vor allem in Form von Analysen zu extremistischen Organisationen und Gruppierungen dokumentiert. Nur diese werden in der Berichterstattung durch die Schriftart "KAPITÄLCHEN" dargestellt. 1. Gesetzlicher Auftrag 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Erkenntnisse zu extremistischen Bestrebungen sowie zu Terrorismus und Spionage schon weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu gewinnen. Ziel seiner Tätigkeit ist es, rechtzeitig auf Gefahren hinzuweisen, die dem freiheitlichen Rechtsstaat aus diesen Bereichen drohen. Dazu erstellt er Lagebilder und Analysen, die es den Regierungen von Bund und Ländern ermöglichen, rechtzeitig Maßnahmen Verfassungsschutz in Deutschland zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische In der Bundesrepublik Deutschland Grundordnung und die innere Sicherheit einzuleiten. Dem Vergibt es Inlandsnachrichtendienste fassungsschutz selbst stehen keine polizeilichen Befugnisse sowohl auf Bundesebene (Bundesamt zu. Jedoch übermittelt er unter bestimmten Voraussetzungen für Verfassungsschutz) als auch auf seine Erkenntnisse an Polizei und Staatsanwaltschaft, um deEbene der Länder ren Vollzugsmaßnahmen zu unterstützen. (Landesverfassungsschutzbehörden). Die Behörden arbeiten jeweils selbstständig, sind jedoch gesetzlich Die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in diesem Bereich zur Zusammenarbeit verpflichtet. regelt das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG). ZuAufgaben und Befugnisse des dem gibt es für jedes Land ein eigenes VerfassungsschutzgeVerfassungsschutzes sind gesetzlich setz, das die Aufgaben und Befugnisse der jeweiligen Landesgenau festgelegt. verfassungsschutzbehörde regelt. Die Rechtsgrundlage des Verfassungsschutzes in Sachsen ist das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen" (SächsVSG)1. Dem LfV Sachsen obliegt demnach die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1 Das SächsVSG ist unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. Seite 8 von 255 # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, # Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, # fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Extremistische Phänomenbereiche in Die Aufgabe der Spionageabwehr umfasst die Abwehr der Sachsen: Spionage von Nachrichtendiensten fremder Staaten gegen Rechtsextremismus die Bundesrepublik Deutschland. Wesentliche AngriffsREICHSBÜRGER und ziele sind die Bereiche Politik, Militär, Forschung und WisSELBSTVERWALTER senschaft sowie Wirtschaft. Das LfV Sachsen beobachtet Verfassungsschutzrelevante im Bereich Wirtschaftsschutz die Aktivitäten ausländischer Delegitimierung des Staates Nachrichtendienste, um deutsche Unternehmen und EinLinksextremismus richtungen vor unberechtigtem Know-howund InformatiIslamismus onsabfluss zu schützen. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Daneben nimmt das LfV Sachsen auch sog. Mitwirkungsaufgaben wahr, bei denen es als Fachberater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Hierzu gehören der Geheimund der Sabotageschutz. So ist das LfV Sachsen u. a. beteiligt an: # Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, # der Durchführung von technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen. Ebenso bringt das LfV Sachsen seine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsaufgaben ein. So wird es durch andere öffentliche Stellen beteiligt bei # der Überprüfung von Personen, die sich um die Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wenn der Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, # gesetzlich vorgesehenen Überprüfungen von Personen, z. B. nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Atomgesetz, dem Sprengstoffgesetz, dem Luftsicherheitsgesetz sowie der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Bewachungsverordnung. Seite 9 von 255 Die Informationen, die der Verfassungsschutz aufgrund seines gesetzlichen Auftrages sammelt, werden analysiert, d. h. sie werden gesichtet, geprüft und bewertet. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen z. B. zur Einschätzung der Sicherheitslage, zur Vorbereitung von Vereinsund Parteiverboten oder zur Verhinderung bzw. Verfolgung von durch Extremisten, Terroristen und Spione begangenen Straftaten. Diese Analysen sind auch Grundlage für die Berichterstattung des LfV Sachsen gegenüber # dem Staatsministerium des Innern, # anderen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, # dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), der die Aufgaben des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der Bundeswehr wahrnimmt, # dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsaufklärung betreibt, # Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften und Polizei), # Behörden, welche die Informationen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung benötigen (z. B. für Versammlungsverbote) und # der Öffentlichkeit (z. B. durch eine entsprechende Presseund Öffentlichkeitsarbeit, Vortragsveranstaltungen oder die Veröffentlichung des jährlichen Verfassungsschutzberichtes sowie von Broschüren). 1.2 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz sammelt einen erheblichen Teil Dabei wird zwischen offenen Quellen seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. und nachrichtendienstlichen Mitteln So werden u. a. Parteiprogramme, Satzungen, Publikatiounterschieden. Vorrang bei der nen, Flugblätter, Internetseiten, soziale Medien oder auch Informationsbeschaffung hat immer Reden von Funktionären ausgewertet. das mildeste Mittel. Extremisten, Terroristen und fremde Nachrichtendienste arbeiten jedoch häufig sehr konspirativ und legen ihre Ziele nicht offen dar. Dementsprechend ist der Verfassungsschutz gesetzlich ermächtigt, auch sog. nachrichtendienstliche Mittel bei der Informationsgewinnung einzusetzen. Dabei ist er jedoch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, d. h. von den geeigneten und erforderlichen Mitteln ist jeweils das mildeste Mittel zu wählen. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen u. a.: # der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen), d. h. Personen, die dem LfV Sachsen selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern ohne ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz erkennen zu geben, # das verdeckte Beobachten von Personen (Observation), # verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen, # die Nutzung von Tarnmitteln, mit denen die Tätigkeit des Verfassungsschutzes verborgen werden soll (z. B. Tarnkennzeichen), Seite 10 von 255 # die Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs sowie # die Wohnraumüberwachung. Die Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs ist besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie ist in einem gesonderten Gesetz geregelt, das nach dem 2 Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G 10) genannt wird. Demnach dürfen u. a. der Telekommunikationsverkehr abgehört und aufgezeichnet sowie Briefe geöffnet und gelesen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass bestimmte schwere Straftaten geplant oder begangen werden bzw. wurden. Die Behördenleitung des LfV Sachsen muss hierfür einen entsprechenden Antrag beim Staatsministerium des Innern stellen. Wenn die vom Sächsischen Landtag gewählte G 10-Kommission Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahme bestätigt hat, wird sie vom Staatsminister des Innern angeordnet. 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz Polizei und Verfassungsschutz arbeiten beim Schutz von Staat und Verfassung eng zusammen. Sie sind jedoch getrennt voneinander organisiert und mit unterschiedlichen Befugnissen ausgestattet. Dieses Trennungsgebot ist in Artikel 83 Absatz 3 Satz 1 der Sächsischen Verfassung wie auch im SS 1 Absatz 4 SächsVSG verankert. Es besagt insbesondere, dass der Verfassungsschutz keiner Polizeibehörde angegliedert werden darf. Zudem gibt es untereinander keinen unbeschränkten Informationsaustausch. Auch stehen dem Verfassungsschutz Zwangsbefugnisse, wie sie der Polizei eingeräumt werden, nicht zu. Er darf also weder Personen festnehmen, durchsuchen, vorladen, vernehmen noch Wohnungen durchsuchen oder Gegenstände beschlagnahmen. Er ist auch nicht befugt, Verbote oder Auflagen auszusprechen. Der Verfassungsschutz hat vielmehr lediglich reine Beobachtungsbefugnisse. Hat der Verfassungsschutz jedoch ausreichende Erkenntnisse gewonnen, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er Polizei oder Staatsanwaltschaft, sofern die rechtlichen Voraussetzungen hierfür vorliegen. Dort wird dann selbstständig entschieden, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 2. Kontrolle des Verfassungsschutzes Das Staatsministerium des Innern (SMI) kontrolliert als Fachaufsichtsbehörde die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung durch das LfV Sachsen. Als Dienstaufsichtsbehörde wacht es zudem über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb. 2 Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen sind unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. Seite 11 von 255 Außerdem finden Kontrollen statt durch: # die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages Sie kontrolliert die Tätigkeit des LfV Sachsen. Auch die Wahrnehmung der Aufsicht des Staatsministeriums des Innern über das LfV Sachsen unterliegt der Kontrolle durch die PKK. # die Kommission nach SS 3 des Sächsischen Artikel 10-Gesetz-Ausführungsgesetzes (SächsAG G 10) des Sächsischen Landtages (G 10-Kommission) Diese Kommission prüft die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10), d. h. von Maßnahmen der Brief-, Postund Telekommunikationsüberwachung. Auch Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsersuchen gegenüber auskunftsverpflichteten Unternehmen nach SS 11a Absatz 2 bis 5 sowie SS 11b SächsVSG unterliegen der Kontrolle der Kommission. # den Sächsischen Datenschutzbeauftragten bzw. die Sächsische Datenschutzbeauftragte Kontrolliert wird die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz. Dabei wird geprüft, ob personenbezogene Daten durch das LfV Sachsen rechtmäßig verarbeitet wurden. Jede betroffene Person kann sich an den Datenschutzbeauftragten bzw. die Datenschutzbeauftragte wenden, wenn sie der Ansicht ist, das LfV Sachsen habe sie bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten in ihren Rechten verletzt. # den Sächsischen Rechnungshof Er kontrolliert die Verwendung der Haushaltsmittel des LfV Sachsen. Seite 12 von 255 # die Gerichte Jede betroffene Person hat das Recht, gegen sie belastende Maßnahmen des LfV Sachsen das Verwaltungsgericht anzurufen. Außerdem prüft ein Gericht bereits im Vorfeld die Zulässigkeit von Wohnraumüberwachungsmaßnahmen. # die Öffentlichkeit Durch die Medienberichterstattung wird die Tätigkeit des LfV Sachsen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erfährt damit auch auf diese Weise eine Kontrolle. # interne Prüfungen Im LfV Sachsen finden auch interne Kontrollen statt, so z. B. durch die Innenrevision, den behördlichen Datenschutzbeauftragten, den G 10-Aufsichtsbeamten sowie den behördlichen Beauftragten für den Haushalt. 3. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Der sächsische Verfassungsschutz ist kein "geheimer Dienst", Gesamtgesellschaftliche sondern ein Informationsdienstleister für die Öffentlichkeit. Er inSicherheitsvorsorge formiert demnach nicht nur Polizei, Justiz und Verwaltung, sondern beispielsweise auch Kommunen, Bundeswehrangehörige, # Nachrichtendienste Wissenschaftler sowie die Medien und Bürger über Erkenntnisse # Polizei über extremistische Bestrebungen. # Militär # nicht staatliche Akteure Das Informationsangebot stellt einen wichtigen Präventionsbei- # Zivilgesellschaft trag dar und soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus fördern. Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger können sich aktiv für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Unsere Angebote: # Vorträge und Informationsveranstaltungen zu folgenden Themen: Extremismus allgemein Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Lagebilder zu Rechtsextremismus, REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN, Linksextremismus und Islamismus islamistische Radikalisierung Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet Gefahren der Wirtschaftsspionage und Proliferation Seite 13 von 255 # Beratung kommunaler Entscheidungsträger In Beratungsgesprächen informiert das LfV Sachsen kommunale Entscheidungsträger über regionale extremistische Bestrebungen und Aktivitäten, damit Gegenstrategien entwickelt werden können. # FORUM STARKE DEMOKRATIE Ziel des organisatorisch beim LfV Sachsen angesiedelten Forums ist die Unterstützung vor allem örtlicher staatlicher und kommunaler Entscheidungsträger bei der Bekämpfung des Extremismus. Sie sollen in die Lage versetzt werden, extremistische Bestrebungen frühzeitig und möglichst sicher zu erkennen und diesen mit den gebotenen, rechtlich zulässigen Maßnahmen zu begegnen. Zudem fördert das Forum die engere Zusammenarbeit von staatlichen bzw. kommunalen und nicht staatlichen Trägern der Extremismusprävention. # Wirtschaftsschutz3 Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. # Information der Medienvertreter Die Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen erfolgt zudem über die Medien. Hierzu veröffentlicht das LfV Sachsen u. a. Medieninformationen, beantwortet Anfragen von Journalisten und informiert in Pressegesprächen und Pressekonferenzen über seine Arbeit bzw. seine Erkenntnisse in den jeweiligen extremistischen Phänomenbereichen. # Internetpräsentation Das Informationsangebot des LfV Sachsen unter der Adresse www.verfassungsschutz.sachsen.de stellt zum einen Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes vor. Zum anderen werden dort auch die Entwicklungen in den einzelnen extremistischen Phänomenbereichen aufgeführt. Der Internetauftritt beinhaltet darüber hinaus Informationen zu aktuellen Lageentwicklungen. Querverweise ermöglichen die Verbindung zu Internetpräsenzen anderer Verfassungsschutzbehörden. Außerdem können vom LfV Sachsen herausgegebene Berichte und Broschüren heruntergeladen werden. Es besteht auch die Möglichkeit, per E-Mail Kontakt mit dem LfV Sachsen aufzunehmen (verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de). # Sächsischer Verfassungsschutzbericht Der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht informiert die Öffentlichkeit über Ideologien, Personenpotenziale, Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen des Extremismus, über Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden der Spionage sowie über extremistisch motivierte Straftaten und die Funktion des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem. Der Bericht ist als Druckausgabe erhältlich und kann auch im Internet unter www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. 3 vgl. Abschnitt III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Seite 14 von 255 # Herausgabe von Broschüren Die präventive Aufklärung der Öffentlichkeit über den Extremismus erfolgt auch durch die Herausgabe entsprechender Publikationen, die teilweise in Zusammenarbeit mit Verfassungsschutzbehörden anderer Länder erstellt und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Sie können als Broschüre bestellt oder im Internet unter www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. Alle Angebote sind kostenfrei. Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60 | 01129 Dresden Tel.: +49 351 8585-0 | Fax: +49 351 8585-500 verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de Seite 15 von 255 Organigramm des LfV Sachsen4 Das LfV Sachsen mit Sitz in Dresden gehört dem Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) an. 4 Stand: 1. Oktober 2021 Seite 16 von 255 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 1. Übergreifende Betrachtung: Die Entstehung der FREIEN SACHSEN im Kontext der Corona-Pandemie Extremisten instrumentalisierten das dynamische und heterogene Protestgeschehen für ihre eigene verfassungsfeindliche Agenda. Antisemitische Verschwörungstheorien verstärkten "Opfer-Mythos" der Corona-Gegner: Einfallstor für Rechtsextremisten Nutzung des Messengerdienstes Telegram ("Digitaler Extremismus"): Enorme Wirkkraft der sozialen Medien bietet Extremisten "Bühne" im virtuellen Raum. FREIE SACHSEN schwingen sich zur "Mobilisierungsmaschine" auf. Kein Zurückschrecken vor Gewaltund Systemsturzphantasien Beabsichtigter Machtund Strukturausbau der FREIEN SACHSEN u.a. durch die Teilnahme an Kommunalwahlen 2022 2. Rechtsextremismus Partei FREIE SACHSEN als neues Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes Erneut Höchststand beim Personenpotenzial Im Zuge des Corona-Protestgeschehens: weiteres "Einsickern" rechtsextremistischer Ideologieelemente in nicht-extremistische Milieus Weiter zunehmende Kommunikation über die sozialen Medien und hierdurch: Ausbau überregionaler Vernetzungen sowie hohe Reaktionsund Mobilisierungsgeschwindigkeit Leichter Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten Seite 17 von 255 3. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER Starker Anstieg des Personenpotenzials Anteil der Rechtsextremisten leicht gesunken Neue Gruppierung in Dresden: GEMEINWOHLKASSE DES KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND Weiterhin erhöhtes Gefährdungspotenzial durch einzelne, verschwörungstheoretisch geprägte Reichsbürger Hohe Waffenaffinität dieser heterogenen Szene Anlegen von Vorräten und Schaffung von "Rückzugsräumen" in Erwartung des baldigen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung 4. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Instrumentalisierung des Corona-Protestgeschehens: Verächtlichmachung des Staates und seiner politischen Entscheidungsträger Errichtung des neuen Phänomenbereichs als Folge der Zunahme verbaler Angriffe auf die Grundpfeiler unser freiheitlichen demokratischen Grundordnung Falschbehauptungen und Desinformation mit dem Ziel, das Vertrauen der Bürger in den Staat zu erschüttern Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen: BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 5. Linksextremismus Erneut leichter Anstieg des Personenpotenzials Leipzig bleibt eine bundesweite Schwerpunktregion der AUTONOMEN SZENE und ein Brennpunkt linksextremistischer Gewalt Anhaltend hohes Niveau klandestiner Aktionen gegen Sachen und Personen Konzentration auf die Themenfelder "Antirepression", "Antifaschismus" und "Antigentrifizierung" Solidaritätsbekundungen im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Lina E. Proteste gegen den politischen Gegner bei Anti-Corona-Versammlungen Schnelle Mobilisierung und bundesweite Unterstützungsnetzwerke Seite 18 von 255 6. Islamismus Personenpotenzial bleibt im Bundesvergleich weiterhin auf niedrigem Niveau Bewusster Missbrauch der Religion für verfassungsfeindliche Zielsetzungen Schwerpunkte salafistischer Strukturen in Leipzig und Plauen "Wolf im Schafspelz"-Strategie legalistischer Islamisten Abstrakte Gefahr von Terroranschlägen 7. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug In Sachsen ausschließlich Bestrebungen aus dem Bereich der kurdischen PKK feststellbar Personenpotenzial bei konstant ca. 160 Personen Hohes Mobilisierungspotenzial auch im linksextremistischen Spektrum Strukturelle Vernetzung mit Linksextremisten insbesondere in Leipzig und Dresden Aktivitäten der PKK maßgeblich vom Schicksal des inhaftierten PKK-Führers ÖCALAN und den Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet bestimmt Herausragendes Einzelereignis: Selbstverbrennung eines PKK-Anhängers in Dresden Seite 19 von 255 1. Übergreifende Betrachtungen Extremisten instrumentalisierten das dynamische und heterogene Protestgeschehen für ihre eigene verfassungsfeindliche Agenda. Antisemitische Verschwörungstheorien verstärkten "Opfer-Mythos" der Corona-Gegner: Einfallstor für Rechtsextremisten Nutzung des Messengerdienstes Telegram ("Digitaler Extremismus"): Enorme Wirkkraft der sozialen Medien bietet Extremisten "Bühne" im virtuellen Raum. FREIE SACHSEN schwingen sich zur "Mobilisierungsmaschine" auf. Kein Zurückschrecken vor Gewaltund Systemsturzphantasien Beabsichtigter Machtund Strukturausbau der FREIEN SACHSEN u.a. durch die Teilnahme an Kommunalwahlen 2022 Seite 20 von 255 Die Entstehung der FREIEN SACHSEN5 im Kontext der Corona-Pandemie Ausgangslage Die im Freistaat Sachsen geltenden Corona-Verordnungen untersagten im Berichtsjahr große Menschenansammlungen bei Demonstrationen und Kundgebungen. Zeitweise waren ausschließlich stationäre Kundgebungen mit maximal zehn Personen erlaubt. Die grundrechtlich verbriefte Versammlungsfreiheit ist somit zugunsten des gesamtgesellschaftlich notwendigen Infektionsschutzes temporär stark eingeschränkt worden. Gleichwohl fanden insbesondere im letzten Quartal des Jahres 2021 nahezu täglich sachsenweit nicht angemeldete sog. Protestspaziergänge gegen die CoronaVerordnungen statt. Dabei wurde der Begriff "Spaziergang" von den Teilnehmern ganz neu interpretiert. Zahlreiche "Spaziergänger" wähnten sich in einer (Impf-)Diktatur, die ihre Freiheitsrechte unter dem Vorwand der Eindämmung eines harmlosen Virus einschränken würde. Deswegen sei man berechtigt, sich zur Wehr zu setzen und sein "Recht auf Bewegung an der frischen Luft" wahrzunehmen. Mit der Diskussion um die Einführung einer einrichtungsbezogenen bzw. allgemeinen Impfpflicht sahen die protestierenden Menschen ihr Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit einmal mehr in Gefahr und sich selbst einem angeblich gesundheitsgefährdenden - wenn nicht gar tödlichen - Impfstoff aufgrund einer unterstellten staatlichen Willkür hilflos ausgesetzt. Insbesondere Extremisten machten sich diese Stimmungslage im vierten Quartal des Berichtsjahres zunutze, wenngleich ausdrücklich betont werden muss: Das Protestgeschehen in seiner Gesamtheit war auch 2021 aufgrund seiner Dynamik und Heterogenität ganz überwiegend nicht-extremistisch geprägt. Es hätte das Protestverhalten eines Teils der Bevölkerung auch ohne das Agieren der Extremisten gegeben. Diese haben jedoch von Anfang an gezielt versucht, die Proteste für ihre eigene verfassungsfeindliche Agenda zu instrumentalisieren. Antisemitische Verschwörungstheorien verstärkten "Opfer-Mythos" der Corona-Gegner Mit Beginn der staatlichen Corona-Maßnahmen wurden auch antisemitische Verschwörungstheorien in der gesellschaftlichen Mitte verbreitet - sowohl in der "virtuellen" als auch in der "realen Welt". Einzelne Teilnehmer von Kundgebungen trugen Plakate mit der Aufschrift "Impfen macht frei" oder gelbe Sterne, in denen das Wort "Jude" durch das Wort "ungeimpft" ersetzt worden war. Gegner der Corona-Maßnahmen stellten sich demzufolge ganz bewusst auf eine Stufe mit den im Nationalsozialismus verfolgten Jüdinnen und Juden und stilisierten sich gar selbst als Widerstandskämpfer gegen eine angeblich undemokratische Regierung. Die Feindbilder waren neben Bill Gates auch "globale, jüdische Eliten", zu denen Personen wie die Familie Rothschild gerechnet werden. Man fürchtete auch vermeintlich geheime Organisationen, die Politiker wie ihre Marionetten behandeln würden und Drahtzieher bzw. Pandemie-Profiteure seien. Gegen diese Entwicklungen verwahrte sich der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, bereits im November 2020: "Solche Verharmlosungen des Nationalsozialismus und seiner tatsächlichen Opfer erodieren nicht nur unsere hart erkämpfte Erinnerungskultur und verhöhnen die tatsächlichen Opfer. Sie zeugen auch von einer perfiden bewussten Strategie und einem Mangel an Empathie und Bildung auf vielen Ebenen." 6 5 vgl. Beitrag II.2.3.3 FREIE SACHSEN 6 Felix Klein im Deutschlandfunk am 24. November 2020 (www.deutschlandfunk.de). Seite 21 von 255 Darüber hinaus führte er aus, dass eine solche Täter-Opfer-Umkehr - mithin das Selbstbild als verfolgtes Opfer - ein zentrales Element antisemitischer Einstellungen sei. Judenhass sei im Zuge der Corona-Pandemie weiter angestiegen und in vielen Kreisen wieder gesellschaftsfähig geworden. Klein weiter: "Und er verbindet bei den Protesten gegen die Infektionsschutzmaßnahmen politische Milieus, die vorher wenige oder gar keine Berührungspunkte hatten. Und das ist wirklich neu." 7 So wurden im Freistaat Sachsen im Berichtsjahr insgesamt 38 antisemitische Straftaten im konkreten Zusammenhang mit der Corona-Pandemie polizeilich erfasst (2020: acht Straftaten). Davon konnte die Hälfte der Politisch motivierten Kriminalität -rechtszugeordnet werden (2020: sechs Straftaten). Bei den Delikten handelte es sich um Volksverhetzungen, Sachbeschädigungen und Beleidigungen. Corona-Proteste, "Opfer-Mythen" und Verschwörungstheorien als Einfallstor für Rechtsextremisten Die Corona-Pandemie bot Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen im Berichtsjahr einen regelrechten Auftrieb - und dies mit einer vergleichsweise einfachen Methode: Man nehme ein Thema mit erheblichem Empörungspotenzial, das von gesamtgesellschaftlicher Relevanz ist. Man heize bestehende Emotionen und das Protestgeschehen zu diesem Thema insbesondere über die enorme Wirkkraft der sozialen Medien massiv an, pflege die Opfer-Rolle der Protestierenden, nähre deren Feindbilder bzw. deren Glauben an Verschwörungstheorien und biete den wütenden Menschen insbesondere mithilfe des Messengerdienstes Telegram ein Ventil, über das alle - noch so abwegigen - Gedanken frei und ungefiltert in die "virtuelle Welt" getragen werden können. Damit gibt man diesen Menschen schließlich das einigende Gefühl, Recht zu haben und in ihrem Widerstandskampf gegen das verhasste politische "Establishment" nicht alleine zu sein. Ganz im Gegenteil: Rechtsextremisten wie die Partei FREIE SACHSEN gaben gegenüber der protestierenden Minderheit in der "virtuellen" und "realen" Welt die sinnbildliche Losung aus: "WIR gegen DIE im Kampf für unsere Freiheit - notfalls mit Gewalt!". Wie groß der konkrete Anteil von Verfassungsfeinden an den Protesten auf den Straßen des Freistaates im Berichtsjahr war, lässt sich hingegen nicht exakt quantifizieren. Rechtsextremisten und REICHSBÜRGER, aber auch Extremisten aus dem neuen Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates müssen sich nicht mehr sichtbar an den realweltlichen Protesten beteiligen. Vereinzelt sind sie zwar präsent - als Versammlungsleiter, Teilnehmer oder Redner. Ihre eigentliche "Bühne" ist aber der virtuelle Raum. Hierüber lassen sich Informationen im Zeitalter der Digitalisierung schneller und wirksamer verbreiten. Sie erreichen zudem eine höhere Anzahl an Followern als bei Protesten auf den Straßen. Außerdem werden beispielsweise auf dem Telegram-Kanal der FREIEN SACHSEN regelmäßig die aktuellen Termine bzw. Orte für die täglichen Proteste veröffentlicht (u. a. "Das Widerstandswochenende bricht an: Eine Übersicht von Terminen in königlich-sächsischen Gebieten und der näheren Umgebung!", "Der Bürgerprotest am Wochenende: Wo ist etwas los?") oder es wird Bildund Videomaterial über die jeweiligen Veranstaltungen umgehend öffentlichkeitswirksam auf den eigenen Social-Media-Kanälen bzw. der Internetseite eingestellt. Obwohl erst wenige Monate "alt", entwickelten sich die FREIEN SACHSEN im Berichtsjahr über ihre Telegram-Kanäle in Rekordzeit zur "Mobilisierungsmaschine" für den virtuellen und realweltlichen Protest gegen die Corona-Maßnahmen. Kein anderer rechtsextremistischer Akteur im Freistaat Sachsen verstand es wie diese junge Partei, über ihre SocialMedia-Kanäle Widerstandsgedanken 7 Felix Klein im Deutschlandfunk am 24. November 2020 (www.deutschlandfunk.de). Seite 22 von 255 bei ihren Followern anzuheizen sowie Parteien, Politiker und Wissenschaftler als Feindbilder aufzubauen. Folgten den FREIEN SACHSEN im August 2021 noch 48.000 Personen, waren es zu Jahresende bereits über 120.000 Follower - Tendenz steigend. Der Vorsitzende der FREIEN SACHSEN, Martin KOHLMANN, spricht selbst von einer "Marktlücke", die seine Partei geschlossen habe. "Nämlich das Thema Corona zentral in die Hand zu nehmen." Man habe den Trend gesetzt, nun vernetze man die Bewegung. 8 Marktplätze, Stammtische und Parteibüros braucht der "digitale Extremismus" vor diesem Hintergrund also nicht. Das "System" FREIE SACHSEN funktioniert verblüffend einfach: So posten sie selbst lediglich Nachrichten rund um das Thema Corona mit garantiertem Empörungspotenzial in wenigen Sätzen oder Bildern, beispielsweise behördliche Medieninformationen, vermeintliche Einzelschicksale als Folgen des "behördlichen und polizeilichen Terrors" oder einfach nur die Termine bzw. Orte der bevorstehenden Proteste. Insofern arbeiten die FREIEN SACHSEN selbst wie ein vermeintlich gesetzeskonformer Informationsund Nachrichtenkanal abseits der "Lügenpresse". Sobald sie eine mutmaßlich "ungefährliche" Nachricht gepostet haben, erfolgen die Kommentare der Follower in Windeseile, man bestätigt einander auch in Gewaltphantasien gegen die politischen Entscheidungsträger und die Polizei: "Nur Bastarde und Verbrecher in diesem Nazi-Regime. An den Galgen mit ihnen", "Zusammenhalten und diese Corona-Staatspolizei rausprügeln" Auch werden Widerstandsgedanken befeuert: "Wir werden gegen den Faschismus gemeinsam Widerstand leisten!", "Grundsätzlich nur noch Geschäfte besuchen, die eindeutig regimekonträr handeln" Und selbst vor Systemsturzphantasien schreckt man nicht zurück: "BRD muss weg!" "Was wäre, wenn wir unsere Orte für Spaziergänge gezielt wählen? Was wäre, wenn wir unsere Spaziergänge vor Häusern kleiner Politiker in kleinen Ortschaften und Dörfern beginnen? Was wäre, wenn wir den Politiker den ganzen Tag wie Schatten begleiten? Was wäre, wenn wir Spaziergänger dabei gruselige Masken tragen, die den Wahnsinn spiegeln, auch Politiker haben Familien. Was wäre, wenn wir das auf kleinere Städte und dann auf größere Städte ausweiten? Was wäre, wenn immer mehr mitmachen und in ganz Deutschland solche Spaziergänge stattfinden? Was wäre, wenn sich das wie ein Lauffeuer weltweit verbreitet? Was wäre, wenn das funktioniert?" Kommentare wie diese sind das einigende Band der "Anti-Corona-Community"; sie formen sie zu einer Widerstandsgemeinschaft und dienen dem ideologischen Zusammenhalt. Mithilfe dieser Kommentare schweißen sich die Follower unter dem Dach einer rechtsextremistischen Sammlungsbewegung in ihrer ganz eigenen Gedankenwelt zusammen. Häufig konsumieren sie keine anderen Nachrichten mehr als jene aus den unwidersprochenen und unmoderierten "Echokammern" der digitalen Medien. In der Folge sind sie dort massiven Desinformationskampagnen und Verschwörungstheorien ausgesetzt. Ein Beispiel soll dies bzw. das subtile Vorgehen dieser rechtsextremistischen Bestrebung verdeutlichen: Die von den FREIEN SACHSEN am 1. Dezember gepostete "harmlose" Nachricht "Paukenschlag im Weißwasser Stadtrat: Lokalpolitiker bleiben parteiübergreifend der Sitzung aus Protest gegen Testpflicht fern - Abbruch!" zog binnen kurzer Zeit allein rund 100 Kommentare der "Community" nach sich. Diese sahen in dieser Nachricht einen "Beweis" für eine zunehmende Ablehnung der Corona-Maßnahmen selbst in Politikerkreisen. Kommentare riefen deshalb zu zivilem Ungehorsam und notfalls gewalttätigem Widerstand gegen die "faschistische Impfdiktatur" auf: 8 Steffen Winter: "Kretschmer verhaften!", in: DER SPIEGEL, 29. Januar 2022, S. 50-51. Seite 23 von 255 "Überall platzt der Knoten! Sogar die Polizeigewerkschaft in Berlin wehrt sich gegen die Zwangsimpfung. Hat lange gedauert, aber nun kippt überall die Stimmung. JETZT IST SCHLUSS" "Meine Hoffnung, dass die Diktatur beendet wird, behalte ich bis zuletzt. In Österreich ruft die Armee zu Protesten auf, wobei ich nicht weiß, ob das so eine reine Söldnertruppe ist wie die Bundeswehr. Wer weiß, ob sich bereits ein Stauffenberg darauf vorbereitet, die Diktatur zu beseitigen und das Grundgesetz wiederherzustellen" "Merkt Euch das Pack, welches weiterhin mitmacht. Es werden später die Wendehälse... doch es kann auch einmal körperlich genommen werden" Fast schon gewohnheitsmäßig veranlasste die o. g. von den FREIEN SACHSEN gepostete Nachricht die "Community" auch wieder zur Verächtlichmachung sowie zu verbalen Angriffen gegen das politische Haupt-Feindbild, den sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer: "Der rote Kobold gehört ausgewiesen nach Berlin! Was sollen wir mit dem Knaller hier oben? Von den Gestalten haben wir hier reichlich. In der Oberlausitz gibt's so schöne Steinbrüche...da gehört der hin" "Da gibt es ein richtiges Revier auf der Festung Königstein, da kann er brüllen und tun, essen gibt es über 'ne Rutsche...dort gehört er hin." Im Laufe des Jahres wurden die Kommentare immer feindseliger, hasserfüllter und radikaler: Ministerpräsident Michael Kretschmer wird zum "Tyrann" und die Polizei zu "Kretschmers Söldnertruppe im Blutrausch!" sowie zur "CoStaPo (Corona-Staatspolizei)" erklärt. Schlagwörter, wie "Coronadiktatur", "Testpflicht-Terror" und "Impfwahnsinn", beherrschten die Kommentare auf dem TelegramKanal der FREIEN SACHSEN. Bezogen auf den virtuellen Raum war damit im Verlauf des Berichtsjahres aus einem Nebeneinander von Extremisten und Bürgern aus der gesellschaftlichen Mitte längst ein Miteinander geworden. Diese zunehmende Radikalität sowie das gemeinsame Agieren von Rechtsextremisten und NichtExtremisten spiegelten sich seit Dezember schließlich auch in der Realwelt wider. Mit dem Fackelmarsch vor das Wohnhaus der Sächsischen Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, Petra Köpping, wurden unmissverständlich rote Linien überschritten. Ohne Respekt vor der Privatsphäre stellten die Protestierenden eine Drohkulisse dar, welche die für das Gesundheitswesen zuständige Ministerin einschüchtern sollte. Die sinnbildliche Botschaft war, dass man um den Wohnort der Ministerin und ihrer Familie wisse. Die FREIEN SACHSEN hatten zwar selbst nicht zu diesem Fackelmarsch aufgerufen, luden das Video im Nachgang aber auf ihrem TelegramKanal hoch - die Bilder passten exakt in ihr Freund-Feind-Denken. Protestierende Menschen in der Realwelt, Polizisten im Einsatz gegen Protestierende ("Kretschmers Söldner", "Corona-Staatspolizei") und Angriffe von Protestierenden auf Polizisten sind für Rechtsextremisten das probate Mittel zum Zweck, dienen die virtuellen Bilder vom realweltlichen Protestgeschehen letztendlich doch dazu, die "Anti-Corona-Community" weiter anzustacheln. Die FREIEN SACHSEN treten bei Protesten und Demonstrationen nur selten als Initiatoren auf. Umso mehr galt es im Berichtsjahr hinzuhören, wenn ihr Vorsitzender Martin KOHLMANN eine seiner seltenen Reden bei den Protesten hielt. So agitierte er am 7. November in Schneeberg (Erzgebirgskreis) unter dem Beifall zahlreicher Nicht-Extremisten gegen die Regierung, die ihre Bürger jede Woche mit anderen Meldungen zur Pandemiebewältigung schikaniere, in Dauerstress versetze und ihre Versprechen gegenüber der Bevölkerung breche. Seite 24 von 255 "Diesem Wahnsinn werden wir nur entgegentreten, indem wir uns immer bewusst machen, dass wir die Normalen sind. Wir akzeptieren nicht, dass das Normale böse ist und das Unnormale das Gute; akzeptieren auch nicht, dass diese unnormale Regierung normal sein soll." Nicht nur, dass er in dieser Rede ganz klar das Feindbild demokratisch gewählter Politiker schürt, er geht noch weiter, indem er die Regierung bzw. das System mit einem "faulen Baum" vergleicht und Umsturzgedanken preisgibt: "Der faule Baum, der uns täglich faule Früchte zum Fressen gibt, gehört deshalb nicht bloß zurechtgeschnitten, sondern gefällt." Und weiter: "Der faule Baum ist teuflisch und betrügt uns, indem er uns falsche Hoffnungen macht. Deshalb müssen wir zurück in die Souveränität jedes Einzelnen und die Souveränität unseres sächsischen Vaterlandes. Solange das nicht der Fall ist, leisten wir Widerstand und diesem System so wenig wie möglich Gehorsam." Die FREIEN SACHSEN stellten diese Rede am Tag darauf mit folgendem Begleittext auf ihre Homepage: "Am 7. November 2021 sprach Martin Kohlmann über den Betrug, den die Regierung am Volk begeht und wie sie gezielt Angst schürt um ihren Machtapparat auszubauen." In seiner ebenfalls im Internet abrufbaren Neujahrsansprache verglich KOHLMANN die Regierung kurze Zeit später mit einem Terrorregime und betonte, dass die FREIEN SACHSEN und die Protestierenden "auf den Terror nicht mit Terror antworten, auf die Lüge mit Wahrheit", dass man Solidarität mit denen zeige, die aufgrund staatlichen Terrors bedroht seien. Schließlich rief er dazu auf, "montags noch mehr Menschen zu mobilisieren und damit zu zeigen, dass weiterer Impfzwang mit uns nicht zu machen ist." Mit Reden wie diesen gossen die FREIEN SACHSEN Öl ins Feuer und trugen dazu bei, dass die Lücke zwischen Politik und Protest größer wurde und die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt gegen Polizisten und Journalisten sank. Virtuell wie realweltlich war dies das Erfolgsrezept der FREIEN SACHSEN und eine geeignete Ausgangslage für die Erzeugung einer immer größeren Widerstandssehnsucht in der "virtuellen Community". Der in der Wortwahl KOHLMANNS verwendete beständige Dualismus, der durch den Gegensatz von "normal" und "unnormal" geprägt ist, wird in der Extremismusforschung als "dualistischer Rigorismus"9 bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine Einstellung, die ihren Ausdruck in ausgeprägten Polarisierungskategorien findet. Damit sind rigorose Wertungen wie beispielsweise Freund-Feind oder Gut-Böse gemeint. Die eigenen Auffassungen werden dadurch als allein richtig und verteidigungswert aufgefasst, anderslautende Meinungen hingegen als falsch und verwerflich diffamiert. Es werden dämonisierende Feindbilder geschaffen, "die im Abgelehnten das Böse und Verwerfliche schlechthin sehen, wobei auch die Neigung zu verschwörungsideologischen Zerrbildern besteht. Es geht demnach nicht um die bloße Differenzierung von politischen Freunden und Gegnern, sondern um die Rigorosität einer Verdammung. Kommunikation und Kompromisse gelten dabei als Verrat."10 Diese Art der Kommunikation bildete den Nährboden für die Mordpläne gegen den sächsischen Ministerpräsidenten, zu denen jedoch ausdrücklich nicht die FREIEN SACHSEN aufgerufen hatten. Diese Mordpläne wurden in der Telegram-Gruppe "Dresden-Offline-Vernetzung" verbreitet. 9 Armin Pfahl-Traughber, Extremismus aus politikwissenschaftlicher Sicht, in: Hendrik Hansen/Armin PfahlTraughber (Hrsg.), Jahrbuch für Extremismusund Terrorismusforschung 2019/20 (I), Brühl 2021, S. 8-72, hier S. 50 10 ebda. Seite 25 von 255 Das Unsagbare scheint damit längst sagbar geworden zu sein. Dabei sind sich Rechtsextremisten der Wirkung ihrer Worte und Posts sehr wohl bewusst, wissen wiederum aber genau, wo die Grenzen des (juristisch) Sagbaren in der Öffentlichkeit sind. So sprach ein SPIEGEL-Redakteur Martin KOHLMANN auf einen Telegram-Eintrag vom 17. Juni an: Anlässlich des Gedenktages an den DDR-Volksaufstand von 1953 hatten die FREIEN SACHSEN an die Erstürmung von Verwaltungseinrichtungen erinnert und sodann Parallelen in die Gegenwart gezogen und "Nieder mit der Regierung!" gepostet. Auf die Frage des Redakteurs, ob dies ebenfalls durch die gewaltsame Erstürmung von Regierungseinrichtungen erreicht werden solle, antwortete KOHLMANN, dass das doch damals alles spontan passiert sei. "Warum sollte man heute eine Verwaltung stürmen? Höchstens ein Gesundheitsamt."11 "Digitaler Extremismus" - Soziale Medien und ihre Funktionsweisen Fokussierte sich die Darstellung extremistischer Erscheinungsformen in der Vergangenheit vornehmlich auf die Realwelt, wird mit der zunehmenden Digitalisierung deutlich, dass die virtuellen Rahmenbedingungen sozialer Interaktionen und die hiermit verbundenen Wechselwirkungen bei der Bewertung extremistischer Aktivitäten immer zentraler werden. Weil der "digitale Extremismus" nicht in herkömmlichen extremistischen Strukturen verläuft, sind die Verfassungsschutzbehörden besonders herausgefordert, "zumal sich extremistische Bestrebungen durch digitale Vernetzungsprozesse immer weniger abgrenzen lassen."12 Extremisten mischen sich bewusst oder unbewusst in der Anonymität der digitalen Welt mit Nicht-Extremisten. Letzteren fällt häufig gar nicht auf, mit welchem Klientel sie sich gerade in den sozialen Medien austauschen und gemein machen. Andererseits treten rechtsextremistische Gruppierungen, wie die FREIEN SACHSEN, ganz bewusst mit eigenen Kanälen in den sozialen Medien auf. Grundsätzlich entstehen dadurch "heterogen zusammengesetzte Spektren, in denen zum Teil Tausende politische Beiträge zusammengetragen und entsprechende Themenfelder angereichert werden."13 Jeder Konsument sozialer Medien - der Nicht-Extremist wie der Extremist - unterliegt deren Funktionsweise: Man schließt sich aus bestimmten Gründen gezielt solchen Gruppen und Kanälen an, welche die eigene Meinung zu einem bestimmten Thema widerspiegeln. Man postet selbst Beiträge, teilt Beiträge mit gleichgesinnten Personen, kommentiert oder "liked" Posts Anderer. Das ist die reaktive Seite der Medaille. Die aktive Seite merkt sich das Verhalten des jeweiligen Users und bietet ihm fortan Gruppen, Kanäle und Beiträge an, die ihm ebenfalls gefallen könnten. Nutzer bewegen sich aufgrund dieses Wechselspiels zunehmend in sog. "Echokammern" und "Filterblasen", da ihnen aufgrund ihrer Interaktionen und personellen Verbindungen mittels Algorithmen fast ausschließlich nur solche weitergehenden Informationen angeboten werden, welche die bisherigen Inhalte noch weiter verdichten. Man kann sich diese "Echokammern" oder "Filterblasen" ähnlich einer virtuellen Tageszeitung abseits der sog. "Lügenpresse" vorstellen, welche durch den Nutzer selbst und täglich mit aktuellen Inhalten bestückt wird. Bezogen auf das Thema Pandemie könnte dies dann für einen Gegner der Corona-Beschränkungen - stark vereinfacht dargestellt - möglicherweise wie folgt aussehen: 11 Steffen Winter: "Kretschmer verhaften!", in: DER SPIEGEL, 29. Januar 2022, S. 50-51. 12 Michael Adelmund, Radikalisierung im Zeitalter der Digitalisierung. Datenwissenschaftliche Ansätze zur effektiven Bekämpfung extremistischer Gefahrenpotentiale aus sozialen Medien, in: Hendrik Hansen/Armin Pfahl-Traughber (Hrsg.), Jahrbuch für Extremismusund Terrorismusforschung 2019/20 (I), Brühl 2021, S. 127-169, hier S. 127. 13 ebda. Seite 26 von 255 Er füllt seine "virtuelle" Tageszeitung ausschließlich mit Verlautbarungen (z. B. Pressemitteilungen, Zusammenfassungen von Reden) von Parteien, welche die sofortige Beendigung der Maßnahmen und die Wiederherstellung individueller Freiheitsrechte fordern. Zum Thema Impfpflicht abonniert er Kanäle, auf denen über sog. Impfdurchbrüche und schlimmste Nebenwirkungen der Impfung bis hin zu Todesfällen berichtet wird. Dann wird ihm über eine im Hintergrund laufende automatisierte Informationssteuerung der Artikel eines Wissenschaftlers vorgeschlagen, der sich über den angeblich nicht ausreichenden Forschungsstand zur Corona-Impfung auslässt. Der Corona-Gegner "liked" diesen Beitrag. Die Kommentare dazu kommen u. a. von Ärzten, Pflegern und Heilpraktikern, die den Ansichten des Wissenschaftlers zustimmen und bekräftigen, dass sie sich niemals mit diesem "Gift" impfen lassen werden. Ein Jurist stellt in seinem Kommentar zudem klar, dass die Einführung einer Impfpflicht ein rechtlich nicht vertretbarer Eingriff in das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sei. Ein weiterer Kommentator erwähnt, dass Corona eine von Juden inszenierte Lüge sei, mit der man die Welt in Panik versetzen und schließlich am Impfstoff verdienen wolle. Da diese Darlegung über die wahren Profiteure der Pandemie sehr plausibel für den Corona-Leugner klingt, schaut er sich das SocialMedia-Profil dieses Kommentators genauer an, taucht darüber immer mehr in die Welt der Verschwörungstheorien ein. Über diesen Nutzer erfährt er von Terminen für "Spaziergänge" und ihm wird empfohlen, sich auf dem Telegram-Kanal der FREIEN SACHSEN zur Einstimmung Bildmaterial von zurückliegenden Spaziergängen anzuschauen. Diese hätten der Regierung den Kampf angesagt und seien die Einzigen, die diesem Corona-Wahnsinn die Stirn böten. Fortan ist der Corona-Gegner einer der Follower der FREIEN SACHSEN, nutzt deren Telegram-Kanal - neben den o. g. Kanälen möglicherweise als einzige Informationsquelle - und ist künftig in dieser "Echokammer" gefangen. Extremisten wie die FREIEN SACHSEN wissen um die Wirkung von Emotionen, wie (Existenz-) Ängsten, Wut, Hass auf Politiker und demokratische Institutionen, tiefsitzendem Misstrauen gegenüber politischen Entscheidungen und dem Gefühl der Hilflosigkeit. Sie sorgen mit ihren Aktionen für eine verzerrte Wahrnehmung des politischen Tagesgeschehens, wirken wie "Brandbeschleuniger" für die Verbreitung von Emotionen sowie für Radikalisierungen. Aufgrund dieser Selektion von zahlreichen, einander ähnelnden Inhalten können Bewertungen zu entsprechenden politischen Themen (z. B. Corona) auf Feindbilder gelenkt werden, "aus denen Beeinträchtigungen des modernen Demokratieverständnisses erwachsen können."14 Die Radikalisierungsspirale muss demzufolge nicht zwingend durch extremistische Propaganda in Gang gesetzt werden. Vielmehr entscheiden Emotionen darüber, welche Inhalte als gut oder schlecht bewertet werden und welches Abbild, Teilbild bzw. Zerrbild der Realität sich beim Nutzer sozialer Medien manifestiert. Dabei gilt: "was wir für wahr halten, muss nicht wahr sein, sondern sich wahr anfühlen".15 Beiträge in den sozialen Medien zu politischen Themen beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit empfundenen Sorgen, Ungerechtigkeiten, Konflikten oder Gefahren, die beseitigt werden sollen. Deshalb werden Nutzern mittels automatisierter Prozesse der Informationssteuerung aktiv eher politische Beiträge angeboten, welche diese Gefühle "pflegen" und gerade nicht sachliche bzw. konstruktive Konzepte, Kompromisse oder Problemlösungen. Je länger sich Nutzer ausschließlich in den "Echokammern" bzw. "Filterblasen" bewegen und diesen einseitigen Informationen ausgeliefert sind, entsteht eine Diskrepanz zwischen dieser 'gefühlten Wahrheit' und einem Mainstreamdiskurs, der an überprüfbaren Fakten orientiert ist. Hierin liegt u. a. die Ursache für die wachsende Politik14 ebda., S. 128. 15 ebda. Seite 27 von 255 bzw. Parteienverdrossenheit und die Establishment-Vorbehalte. "Betroffene sehen sich auf der Grundlage einer Vielzahl von Einzelsachverhalten einer strukturellen Bedrohung gegenüber und entwickeln Unbehagen und Skepsis gegenüber vermeintlichen Verursachern ('Lügenpresse', 'Altparteien', 'Systemlinge')."16 Diese verzerrte subjektive Realitätswahrnehmung als Ergebnis eines emotionalisierten Konsums gleichgelagerter Beiträge nährt Feindbildstereotype und Bedrohungsszenarien in den sozialen Medien. Ohnmachtsgefühle und eine gesteigerte Gewaltakzeptanz können die Folge sein. Rechtsextremisten wie die FREIEN SACHSEN sind der Verstärker für diese diffusen Wahrnehmungen und benutzen die durch ihr Agieren angeheizten Emotionen ihrer Follower lediglich als "Spielball" für den Ausbau ihrer Reichweiten in den sozialen Medien sowie dafür, andere rechtsextremistische Akteure unter dem Dach ihrer Sammlungsbewegung zu vereinen. Fazit Die FREIEN SACHSEN werden auch weiterhin die unangefochtene "Anti-Corona-Mobilisierungsmaschine" in den sozialen Medien bleiben. Sie lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und wollen sie überwinden. Politische Entscheidungsträger auf Landesund Bundesebene werden durch Martin KOHLMANN, Stefan HARTUNG und die weiteren Vorstandsmitglieder dieser Partei auch künftig diffamiert und verächtlich dargestellt werden - in der virtuellen wie der realen Welt. Durch ihre verfassungsfeindliche Propaganda höhlen sie das Vertrauen ihrer Mitglieder, Anhänger und Follower in den Staat und seine Institutionen aus, lassen die Kluft zwischen "echter" und "gefühlter" Wahrheit immer größer werden. Die FREIEN SACHSEN wollen aber nicht auf der Stelle verharren, sondern ihre Macht über die Wirkkraft sozialer Medien hinaus ausbauen. So streben sie bei den im Jahr 2022 anstehenden Kommunalwahlen Erfolge an und werden deshalb neben Landratskandidaten auch Bürgermeisterkandidaten aufstellen. Interessant wird sein, ob die Kandidaten als jene der FREIEN SACHSEN oder versteckt als parteilose Kandidaten antreten und erst nach den Wahlen ihre Maske fallen lassen. Der Verfassungsschutz wird hier genau hinschauen und seine Funktion als "Frühwarnsystem" wahrnehmen. Die FREIEN SACHSEN wollen aus dem politischen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland "austreten" ("Säxit") und lehnen überdies die Demokratie als Staatsform ab. Letztlich stehen die Bürger selbst in der Pflicht, sich genau anzusehen, welchen Kanälen sie in den sozialen Medien folgen, wessen Aussagen sie "liken", wem sie beim realweltlichen Protestgeschehen Beifall klatschen und bei Wahlen ihre Stimme geben - kurzum: wem sie in einer repräsentativ angelegten Demokratie ihr Vertrauen schenken. Die Erosion der politischen Mitte beginnt genau dann, wenn die Staatsund Politikverdrossenheit dominiert und es den Menschen egal ist, mit wem sie sich in der virtuellen und realen Welt politisch gemein machen, wenn es den protestierenden Menschen gleichgültig ist, dass neben ihnen Extremisten "spazieren" - wenn aus einem "Nebeneinander" ein "Miteinander" mit Verfassungsfeinden wird. Für Rechtsextremisten wie die FREIEN SACHSEN sind die politisch indifferenten Teile der hiesigen Gesellschaft nur Mittel zum Zweck. Themen mit dem nötigen gesellschaftlichen "Empörungspotenzial" wird es für Rechtsextremisten auch nach Abklingen der Corona-Thematik geben. Wie stark sie diese realweltlich besetzen und in 16 ebda., S. 141. Seite 28 von 255 der virtuellen Welt orchestrieren können, liegt in der Hand bzw. in der Verantwortung eines jeden Bürgers. "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir." (Immanuel Kant) Seite 29 von 255 2. Rechtsextremismus Partei FREIE SACHSEN als neues Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes Erneut Höchststand beim Personenpotenzial Im Zuge des Corona-Protestgeschehens: Weiteres "Einsickern" rechtsextremistischer Ideologieelemente in nicht-extremistische Milieus Weiter zunehmende Kommunikation über die sozialen Medien und hierdurch: Ausbau überregionaler Vernetzungen sowie hohe Reaktionsund Mobilisierungsgeschwindigkeit Leichter Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten Seite 30 von 255 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Auch wenn es innerhalb des Rechtsextremismus verschiedene ideologische Strömungen und Erscheinungsformen gibt, die nicht selten sogar zueinander in Widerspruch stehen, stimmen sie in folgenden Positionen grundsätzlich überein: # Rassisch definierte "Volksgemeinschaft" bzw. homogene "Kultur" als ein dem einzelnen übergeordnetes Kollektiv Rechtsextremisten streben einen Staat an, der entweder organisatorischer Ausdruck einer ethnisch-rassisch homogenen "Volksgemeinschaft" ist oder als Wahrer und Verteidiger einer ebenso homogen gedachten "Kultur" innerhalb des Staatsgebietes fungiert. Auf dieser Grundlage wird ein vermeintlich einheitlicher "Volkswille" angenommen, der von staatlichen "Führern" verkörpert und in reale Politik umgesetzt werden soll ("Völkischer Kollektivismus"). In einem solchen Staat würden wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie die Menschenrechte und das Rechtsstaatsprinzip, und damit letztlich auch eine funktionierende demokratische Ordnung fehlen. # Rassismus und Fremdenfeindlichkeit In der rechtsextremistischen Szene bestehen zwei Grundmuster einer rassistischen Argumentation: Die eine Argumentationslinie bezieht sich auf den historischen Nationalsozialismus. Danach soll das deutsche Volk vor der Integration "rassisch minderwertiger Ausländer" (davon umfasst sind auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund) und vor einer "Völkervermischung" bzw. einem "Völkeraustausch" bewahrt werden. Es wird befürchtet, dass das deutsche Volk infolge einer "Durchmischung mit fremdem Blut" untergehe. Ein zweites Argumentationsmuster soll der Verschleierung der eigenen rassistischen Überzeugungen dienen. Man grenzt sich hier teilweise entschieden vom historischen Nationalsozialismus ab und äußert Ablehnung in Bezug auf fremde, angeblich rückständige Kulturen. Eine "eigene Identität" sei zu bewahren. Die historischen, rassisch definierten Begrifflichkeiten werden dabei ersetzt durch Worte wie "Identität", "Heimat", "Kultur" etc. Eine solche kulturrassistische Zielrichtung verfolgt insbesondere der von der IDENTITÄREN BEWEGUNG vertretene "Ethnopluralismus"17. Auch dieser führt in letzter Konsequenz zu Abwertung, Ausgrenzung und Entrechtung von Menschen. Diese Auffassungen sind mit der verfassungsrechtlich verbürgten Menschenwürde unvereinbar. Diese kommt bedingungsund voraussetzungslos jedem Menschen zu. Rechtsextremisten machen dieses Recht indes von einer biologistisch-genetisch definierten Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" oder einer bestimmten kulturellen Herkunft abhängig. # Antisemitismus und Muslimfeindlichkeit Antisemitismus ist ein Merkmal nahezu aller rechtsextremistischen Strömungen. Seine Erscheinungsformen können religiöser, kultureller sowie rassistischer Ausprägung sein. Auch in der rechtsextremistischen Szene werden Verschwörungstheorien verbreitet, wonach z. B. die Umwälzungen im internationalen Finanzsektor oder auch die Einreise von Migranten im 17 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN Seite 31 von 255 Hintergrund von jüdischen "Strippenziehern" gelenkt würden. Obwohl diese Theorien jeder Faktengrundlage entbehren, tragen sie dazu bei, antisemitische Vorurteile zu schüren. Für Rechtsterroristen sind sie Anlass, jüdische Mitbürger als mit allen Mitteln zu bekämpfende Feinde zu sehen. Vielen Rechtsextremisten ist auch eine explizite Muslimfeindlichkeit eigen. Muslime werden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als per se "gewalttätig" und "kriminell" diffamiert. Eine Daseinsberechtigung in Deutschland wird ihnen deswegen abgesprochen. # Revisionismus und Holocaustleugnung Unter rechtsextremistischem Geschichtsrevisionismus versteht man die Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Holocaust und andere NS-Verbrechen werden durch eine Gleichsetzung mit Handlungen der Kriegsgegner Deutschlands relativiert. Die Leugnung des an den Juden begangenen Völkermordes erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung (SS 130 StGB). Von extremistisch motiviertem Gebietsrevisionismus spricht man, wenn Rechtsextremisten die deutschen Gebietsverluste als Folge der Weltkriege nicht anerkennen oder sogar - entgegen vertraglicher Verpflichtungen, die Deutschland nach den Weltkriegen eingegangen ist - weitere Gebiete für Deutschland beanspruchen. Revisionistische Positionen bilden ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Bestrebungen. # Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus Rechtsextremisten nehmen zum historischen Nationalsozialismus häufig verherrlichende Positionen ein. Die Handlungen der Nationalsozialisten werden positiv hervorgehoben und deren Verbrechen verharmlost. NS-Funktionsträger, wie z. B. Rudolf Heß, der damalige Stellvertreter Adolf Hitlers, werden als Vorbilder dargestellt, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hingegen diffamiert. Auch in Sprache, Symbolik und Programmatik lehnen sich Rechtsextremisten zum Teil eng an die Zeit von 1933 bis 1945 an. Neuere Strömungen des Rechtsextremismus wenden sich hingegen entschieden vom historischen Nationalsozialismus ab. Hier beruft man sich auf die Vordenker des italienischen Faschismus und die Anhänger der "Konservativen Revolution" in der Weimarer Republik. Gleichzeitig relativiert man die NS-Zeit und negiert die Verantwortung, die sich hieraus auch für kommende Generationen in Deutschland ableitet. # Versuch der Delegitimierung von Verantwortungsträgern und Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates (Amtsund Mandatsträger, Medien, Wissenschaft etc.) Unter Rechtsextremisten kommt es vielfach zu herabsetzenden Verunglimpfungen des demokratischen Verfassungsstaates und seiner Repräsentanten. Sie verfolgen dabei das Ziel, den staatlichen Institutionen und deren Repräsentanten ihre Legitimität abzusprechen. Politiker werden dabei als unfähige und korrupte Handlanger ausländischer, insbesondere US-amerikanischer bzw. jüdischer Interessen, diffamiert. Rechtsextremisten stellen sich selbst als alleinige Wahrer der Interessen des deutschen Volkes dar und diskreditieren den politischen Gegner als "Verräter". Mit Begriffen wie "Lügenpresse" und "Volksverräter" werden Amtsund Mandatsträger bzw. Journalisten pauschal herabgewürdigt und diffamiert. Diese Wortwahl entlehnen Rechtsextremisten Seite 32 von 255 bewusst den Begrifflichkeiten des Nationalsozialismus. Ebenso leugnen sie wissenschaftliche Fakten, die ihre Auffassungen nicht stützen. # Rechtsextremistischer Antiamerikanismus In der antiliberalen und antipluralistischen Weltsicht der Rechtsextremisten verkörpern die USA ein besonderes Feindbild. Die amerikanische Nation, die - einem "Schmelztiegel" ähnlich - viele Volksgruppen umfasst, steht für Rechtsextremisten in offenem Widerspruch zu ihrem Ideal einer homogenen, "rassisch" definierten "Volksgemeinschaft" bzw. einer homogen gedachten "Kultur". 2.2 Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Sachsen belief sich im Jahr 2021 auf insgesamt 4.350 Personen. Es fällt damit im Vergleich zum Vorjahr deutlich ab (2020: 4.800). Hintergrund dafür ist eine Gerichtsentscheidung aus dem Jahr 2022 hinsichtlich der Beobachtung eines Personenzusammenschlusses innerhalb einer Partei. Dass die Zahl dadurch nicht deutlicher gesunken ist, liegt insbesonderean der hohen Anzahl von Anhängern der rechtsextremistischen Partei FREIE SACHSEN18. Diese Gruppierung wurde im Berichtsjahr neues Beobachtungsobjekt des Landesamtes für Verfassungsschutz. Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen 6.000 5.500 5.000 4.800 4.350 4.500 4.000 3.400 3.500 3.000 2.700 2.700 2.800 2.500 2.600 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 18 Hinsichtlich der Mitgliederzahlen der Partei FREIE SACHSEN ist es wahrscheinlich, dass Mehrfachmitgliedschaften zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien bestehen. Diese konnten für das Berichtsjahr nicht ausdifferenziert berücksichtigt werden. Seite 33 von 255 Das rechtsextremistische Personenpotenzial wird bundesweit nach seinem jeweiligen Organisationsgrad erfasst. Dieses Kategoriensystem untergliedert sich dementsprechend in die Bereiche: 1. parteigebundener Rechtsextremismus, 2. parteiungebundene rechtsextremistische Strukturen und 3. unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen nach Organisationsgrad gegliedert 2.500 2.000 2.000 2.000 1.830 1.420 1.500 2020 970 930 1.000 2021 500 0 Parteigebundener Parteiungebundene Unstrukturiertes Rechtsextremismus rechtsextr. Strukturen rechtsextr. Personenpotenzial Von den rund 4.350 Rechtsextremisten werden in Sachsen ca. 1.550 als gewaltorientiert eingestuft (2020: 1.700; 2019: 2.000). Zu den gewaltorientierten Rechtsextremisten zählen Personen, die Gewalt befürworten, die Anwendung von Gewalt unterstützen oder gewaltbereit bzw. als Gewalttäter in Erscheinung getreten sind. Hintergrund des Rückgangs ist die im langfristigen Vergleich weiterhin sinkende Zahl der von Rechtsextremisten in Sachsen verübten Gewalttaten. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass auch das Berichtsjahr 2021 durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie wesentlich geprägt war. So fanden Großereignisse, welche regelmäßig rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten nach sich ziehen, nicht oder jedenfalls nicht im üblichen Umfang statt. Auch dieser Umstand wirkt sich auf die Gesamtzahl der von Rechtsextremisten in Sachsen verübten Gewalttaten aus, ohne dass von ihm generell auf eine Verringerung der Gewaltbereitschaft geschlossen werden kann. Zum einen begehen Rechtsextremisten nach wie vor Gewalttaten und es sind auch weiterhin Strukturen gewaltbereiter Rechtsextremisten festzustellen. Zum anderen muss konstatiert werden, dass viele Gewalttaten, die im Zusammenhang mit Anti-Corona-Demonstrationen zu verzeichnen waren, bislang keinem Phänomenbereich zugeordnet werden konnten. Die Bedeutung dieser Veranstaltungen für die rechtsextremistische Szene und ggf. stattfindende Radikalisierungsverläufe, auch in den Rechtsextremismus hinein, werden sich erst mittelfristig zeigen. Gleichwohl ist aber im langfristigen Trend seit dem Jahr 2015 eine rückläufige Entwicklung der von Rechtsextremisten in Sachsen verübten Gewalttaten feststellbar, welche nicht auf pandemiebedingte Auswirkungen zurückgeführt werden kann (2021: 81, 2020: 73; 2019: 67; 2018: 138; 2017: 95; 2016: 145; 2015: 201). Seite 34 von 255 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten in absoluten Zahlen19 19 Ohne Anhänger der Partei FREIE SACHSEN; eine Zuordnung der Anhänger dieser Gruppierung zu den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städte war strukturell nicht darstellbar. Seite 35 von 255 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten je 10.000 Einwohner20 20 Ohne Anhänger der Partei FREIE SACHSEN Seite 36 von 255 Rechtsextremistische Parteiungebundene Unstrukturiertes Parteien21 rechtsextremistische rechtsextremistisches Strukturen22 Personenpotenzial23 2021: ca. 1.420 2021: ca. 930 2021: ca. 2.000 2020: ca. 1.830 2020: ca. 970 2020: ca. 2.000 DER FLÜGEL24 NEONATIONALSOZIALISTEN 2020: ca.1.400 2021: ca. 600 2020: ca. 600 NATIONALDEMOKRATISCHE SUBKULTURELL GEPRÄGTE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) RECHTSEXTREMISTEN (in Strukturen) 2021: ca. 240 2020: ca. 250 2021: ca. 260 2020: ca. 310 JUNGE NATIONALISTEN (JN) IDENTITÄRE BEWEGUNG 2021: ca. 40 2021: ca. 50 2020: ca. 40 2020: ca. 40 DER DRITTE W EG PEGIDA 2021: ca. 20 2021: ca. 140 2020: ca. 140 FREIE SACHSEN 2021: ca. 1.000 21 Die Partei DIE RECHTE verfügt über keine Strukturen im Freistaat Sachsen. Mehrfachmitgliedschaften sind möglich 22 Mehrfachmitgliedschaften sind möglich 23 Dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation zugerechnet werden können, wie beispielsweise rechtsextremistische Strafund Gewalttäter. 24 Der FLÜGEL war im Berichtsjahr 2020 bis einschließlich 30. April 2020 eine erwiesene extremistische Bestrebung. Seite 37 von 255 2.3 Rechtsextremistische Parteien 2.3.1 DER DRITTE WEG (III. WEG) Sitz Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Gründung 28. September 2013 Vorsitz Matthias FISCHER Teil-/ Nebenorganisationen In Sachsen: LANDESVERBAND SACHSEN, STÜTZPUNKTE: VOGTLAND, W ESTSACHSEN, MITTELLAND, MITTELSACHSEN Publikationen "National, Revolutionär, Sozialistisch" "Der Nationalrevolutionär" "Rebellische Herzen" "Wie weiter?" Internetauftritte Homepage der Partei III. Weg und Telegram-Kanal Personenpotenzial / Mitgliederentwick2021 2020 lung Sachsen ca. 140 ca. 140 Finanzierung Parteibeiträge, Spenden, Materialvertrieb Stützpunkte verfügen über eine eigene "Handkasse". Kurzportrait / Ziele neonationalsozialistische Grundausrichtung agiert ausländerfeindlich und revisionistisch Abschaffung der Demokratie zugunsten einer "kollektiven Volksgemeinschaft" Relevante Ereignisse und bestimmende Größe der parteigebundenen, Entwicklungen 2021 rechtsextremistischen Szene in Sachsen Teilnahme des Landesverbandes Sachsen an der Bundestagswahl am 26. September Plakataktion mit dem Slogan "Hängt die Grünen!" Landesund Bundesparteitag Kampagnen u. a. "Werde Grenzgänger", "Deutsche Winterhilfe" Gründung der Arbeitsgruppen "Nationalrevolutionäre Jugend Vogtland und Mittelland" erstmalige Beteiligung an der Kundgebung am 13. Februar in Dresden Beteiligung an den in ihrer Gesamtheit nicht extremistischen "Spaziergängen" im Rahmen der Corona-Proteste Ideologie Ideologisch orientiert sich die Partei am historischen Nationalsozialismus. Die Parteiprogramme der Partei DER DRITTE W EG und der NSDAP verbindet der biologistische Volksbegriff. Nach dem NSDAP-Programm konnte nur derjenige "Volksgenosse" sein, der "deutschen Blutes" war. Seite 38 von 255 Entsprechend fordert die Partei DER DRITTE W EG in ihrem Programm "die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" sowie die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Eine solche ethnisch-homogene Volksgemeinschaft ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Die Partei nimmt in ihren Äußerungen immer wieder Bezug auf den Nationalsozialismus. In ihrer Veröffentlichung "Der Nationalrevolutionär - Handbuch für Aktivisten unserer Bewegung" (2019) werden die ideologischen Grundzüge dargelegt und Handlungsanweisungen zum Umgang mit der politischen Arbeit sowie zum Engagement der jeweiligen Parteimitglieder formuliert. Betont wird in diesem Zusammenhang auch das demokratiefeindliche Selbstverständnis der Partei. So heißt es: "Daher muss unsere nationalrevolutionäre Bewegung vom ersten bis zum letzten Tag stets eine Bewegung von radikalen, politischen Revolutionären sein. Wir erkämpfen unsere Revolution nicht mit dem Bürgertum, sondern auf den Trümmern der morschen Welt und Moralvorstellungen desselben."25 Weiter heißt es: "Unsere Bewegung will Deutschland nationalrevolutionär verändern." Ziel der Partei ist der "fortschrittlich sozialistische und völkische Staat". Man wolle eine "völkisch geprägte Gegenkultur" aufbauen. Dazu soll die Partei nach und nach wachsen, um dann, "wenn die Masse für einen Moment den Glauben an das System [Anm.: d. h. die demokratische Verfasstheit des derzeitigen Staates] verliert, gewappnet zu sein für die Übernahme dieser Menge". Sich selbst gesteht die Partei eine gewisse Gewaltbereitschaft zu: "Wir streben also einen gewaltlosen politisch kulturellen Wechsel an. Allerdings lehnen wir nicht das uns als Vorwurf entgegengebrachte Attribut 'gewaltbereit' ab. Jeder Mensch ist ab einem gewissen Grade 'gewaltbereit', spätestens wenn es um die Verteidigung seiner selbst oder seiner Familie in einer Notwehrsituation geht, muss man bereit sein, Gewalt aus Gründen des Selbstschutzes anzuwenden." Die Partei arbeite auf den "Tag X" hin und will diesen nicht nur abwarten, sondern aktiv erkämpfen. In den Aussagen zum Selbstverständnis eines Parteimitgliedes finden sich folgende Aussagen: "Deshalb sind wir bewusst politische Soldaten" oder "Daher lautet das Gebot jedes Nationalrevolutionärs: Kämpfe!" Ihre geschichtsrevisionistische Orientierung belegt die Partei u. a. mit Gedenkveranstaltungen für die deutschen Bombenopfer, welche zur Verharmlosung der nationalsozialistischen Angriffskriege und Verbrechen instrumentalisiert werden. Strategie Die Partei versteht sich als "nationale Bewegung" mit "ganzheitliche(r) Organisation". Sie verfolgt die drei Tätigkeitsfelder "Politischer Kampf", "Kultureller Kampf" sowie "Gemeinschaft". Zum "politischen Kampf" gehören u. a. der Aufbau von Strukturen, die Durchführung von Demonstrationen und Kundgebungen, die Verteilung von Flyern und Informationsmaterial auch zu aktuellen Themen sowie der "Antritt als wahlpolitische Initiative". Um die formalen Voraussetzungen für eine Teilnahme an Landtagsund Bundestagswahlen zu erfüllen, gründete die Partei im Jahr 2020 einen Landesverband Sachsen. Der "kulturelle Kampf" bezieht sich auf die Brauchtumspflege. Der "Kampf um die Gemeinschaft" beinhaltet die Aspekte "gelebte Gemeinschaft", "Nachbarschaftshilfe", "gemeinsame Freizeitgestaltung" und "sportliche Zusammenkünfte". Gleichzeitig ist die Partei bestrebt, durch attraktiv erscheinende Angebote vor allem auf sozialem Gebiet auch Menschen außerhalb der rechtsextremistischen Szene zu erreichen und so in die gesellschaftliche Mitte hineinzuwirken: 25 Schreibweise wie im Original Seite 39 von 255 "Wir kommen unmittelbar an den Bürger heran und können unsere Botschaften direkt und ungefiltert transportieren. Wir machen auf uns aufmerksam (...) und nach innen verstärken wir das Gefühl der Stärke und Geschlossenheit", ist dementsprechend im Handbuch der Partei zu lesen. Demselben Ziel dient auch die Instrumentalisierung des Themas "Umweltschutz". So sieht die Partei in einer umweltfreundlichen Politik eine Notwendigkeit zur Erhaltung der "Substanz" des Volkes. Wesentlicher Teil der Strategie der Partei DER DRITTE W EG ist der Erwerb und der Ausbau von Immobilien. Mit dem "Parteiund Bürgerbüro" auf der Pausaer Str. 130 in Plauen wurde dieses Ziel umgesetzt. Seit dessen Eröffnung am 1. Mai 2019 fanden dort interne und öffentliche Veranstaltungen der Partei statt. Sie baut damit ihre Aktionsmöglichkeiten im Freistaat Sachsen und auch bundesweit weiter aus. Struktur Es gelang der Partei bundesweit nicht, ihre Strukturen weiter auszubauen. Die drei Landesverbände (Sachsen, Bayern und West) haben insgesamt nach wie vor 20 Stützpunkte. Dem LANDESVERBAND SACHSEN gehören weiterhin die vier sächsischen STÜTZPUNKTE VOGTLAND, W ESTSACHSEN, MITTELLAND und MITTELSACHSEN an. Nach eigenen Angaben erstreckt sich der STÜTZPUNKT VOGTLAND auch auf Teile Bayerns und Thüringens. Der STÜTZPUNKT MITTELLAND umfasst die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland. Der STÜTZPUNKT WESTSACHSEN als Aktionsraum schließt das Gebiet Erzgebirge sowie die Städte Zwickau, Chemnitz und deren Umland ein. Der STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN umfasst das Gebiet Mittelsachsen. Die Zahl der Parteimitglieder hat sich im Freistaat Sachen nicht und bundesweit nur geringfügig erhöht. Aktivitäten Antritt zur Bundestagswahl am 26. September 2021 Mit der Gründung des LANDESVERBANDES SACHSEN im Jahr 2020 schaffte die Partei die erforderlichen strukturellen Voraussetzungen, um an der Bundestagswahl am 26. September 2021 teilnehmen zu können. Auf dem Landesparteitag im Januar wurden die Kandidaten gewählt und im Zeitraum von Februar bis Mai 2021 die für den Wahlantritt erforderlichen 500 Unterstützungsunterschriften in ganz Sachsen gesammelt. Im August begann der unter dem Motto "Freiheit statt CoronaDiktatur" stehende Wahlkampf u. a. mit Flyer-Aktionen, Informationsständen und Plakatierungen. Parteimitglieder hängten im Gebiet der Stadt Zwickau u. a. auch grünfarbige Plakate mit dem provokanten bzw. doppeldeutigen Slogan "Hängt die Grünen!" auf. Damit erhielt der sächsische Landesverband der Partei DER DRITTE W EG nicht nur regionale, sondern auch bundesweite mediale und politische Aufmerksamkeit. Lediglich in sehr kleiner Schrift fand sich auf diesen Plakaten auch der Satz "Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt." Das Sächsische Oberverwaltungsgericht sah am 21. September in diesen Plakaten schließlich den objektiven Tatbestand der Volksverhetzung als erfüllt an. So beziehe sich die Aussage "Hängt die Grünen!" vor dem Hintergrund des Bundestagswahlkampfes auf die Mitglieder der Partei "Bündnis 90/Die Grünen". Der Textteil in deutlich kleinerer Schriftgröße könne oder würde von der Mehrheit Seite 40 von 255 der Betrachter nicht wahrgenommen werden entschied das Gericht.26 Die Plakate mussten in der Folge abgehängt werden. Mit dem Antritt zur Bundestagswahl strebte die Partei nicht einen Wahlerfolg, sondern vielmehr den Erhalt ihres Parteienstatus' und die bundesweite Erhöhung ihres Bekanntheitsgrades an. Letzteres gelang ihr u. a. durch die oben beschriebene Plakatkampagne; der Wahlerfolg blieb indes aus. So erhielt die Partei DER DRITTE W EG bei der Bundestagswahl lediglich 0,2 % der Wählerstimmen (4.288 Zweitstimmen) im Freistaat Sachsen. Daneben gaben 515 Wahlberechtigte dieser Partei ihre Erststimme. Sie ist damit eine Kleinstpartei am äußerst rechten Parteienrand. Öffentliche Veranstaltungen Der Landesverband der Partei DER DRITTE W EG wollte im Berichtsjahr das Corona-Protestgeschehen für seine verfassungsfeindliche Agenda missbrauchen, indem er versuchte, hierüber in nicht extremistische Kreise der Bevölkerung vorzudringen. So nahmen vereinzelte Parteimitglieder an den sog. "Spaziergängen" u. a. in Plauen und Zwickau teil. Außerdem erstellte die Partei unter der Überschrift "Es wird Zeit für politische Alternativen, denn Fakt ist: Das System ist gefährlicher als Corona!" ein eigenes "10-Punkte Programm" zur Bewältigung der Corona-Pandemie. Dessen zentrale Forderungen waren u. a. die Aufhebung der Einschränkung der Freiheitsrechte sowie die Verstaatlichung des Gesundheitswesens. Die Partei stellte die von der Pandemie ausgehenden Gefahren für die Bevölkerung infrage und als bloße Hysterie dar. Sie äußerte sich außerdem verächtlich über die von politischen Entscheidungsträgern auf Bundesund Landesebene getroffenen Corona-Maßnahmen und sprach in diesem Zusammenhang von "Staatsversagen". Alternativ zum verhassten "System" inszenierte sich DER DRITTE W EG auch im Zuge der Pandemie als "Kümmerer von Nebenan", der mit einem eigenen Programm vermeintlich Lösungswege aus der Pandemie aufzeigte. Eine Kundgebung des DRITTEN W EGES unter dem Motto "Freiheit statt Impfzwang!" am 1. Mai in Plauen fand mit nur ca. 25 Teilnehmern statt, obwohl die Corona-Regelungen eine Teilnahme von maximal 125 Teilnehmern mit Wohnsitz im Vogtlandkreis erlaubt hätten. Die Organisatoren dürften - auch im Hinblick auf die Veranstaltungen der Partei anlässlich des 1. Mai in den vergangenen Jahren - mit dieser geringen Teilnehmerzahl nicht zufrieden gewesen sein. Immerhin nahmen im Jahr 2019 noch 500 Personen an der Veranstaltung zum 1. Mai in Plauen teil. Ebenso blieb die öffentliche Wahrnehmung dieser Veranstaltung im Berichtsjahr weit hinter jener der vergangenen Jahre zurück. Darüber hinaus fanden weitere öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, wie Kundgebungen, Informationsstände und Verteilaktionen statt Sie dienten vor allem der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der Mitglieder und Anhänger. Dabei legte die Partei stets Wert auf die formal korrekte Durchführung ihrer Aktionen. Erstmals beteiligten sich Parteimitglieder an der von Rechtsextremisten durchgeführten "Gedenkveranstaltung" in Dresden anlässlich der Zerstörung der Stadt am 13. Februar 1945. Diese Veranstaltung fand nicht als Gedenkmarsch, sondern als stationäre Kundgebung statt. In den vergangenen Jahren hatte die Partei eine eigene Veranstaltung unter dem Motto "Ein Licht für Dresden" durchgeführt. Diese unterblieb im Berichtsjahr zugunsten der rechtsextremistischen Veranstaltung am Dresdner Hauptbahnhof. 26 vgl. SächsOVG, Beschluss vom 21. September 2021 - 6 B 360/21. Seite 41 von 255 Aufruf auf der Partei-Homepage zur Teilnahme an der Aktion "Werde Grenzgänger - Schütze Deine Heimat vor illegal einreisenden Ausländern!". Am 23. Oktober beteiligten sich auch sächsische Parteimitglieder an einer Aktion ihrer brandenburgischen Parteifreunde im deutsch-polnischen Grenzgebiet um die Stadt Guben (Brandenburg). Damit wollte die Partei auf die illegale Migration aus Belarus über Polen nach Deutschland aufmerksam machen und damit eines ihrer zentralen Themen wieder in den Fokus ihrer Arbeit rücken. Andere bundesweit organisierte soziale Kampagnen (z. B. "Deutsche Winterhilfe", "Kein Applaus für Tierquälerei!" und "Tierfutter statt Böller") haben das Ziel, die Partei bekannter zu machen und neue Mitglieder zu werben. Auch möchte sich die Partei durch solche - vorgeblich soziale - Aktivitäten ein Image als "Kümmerer" geben und von ihrer neonationalsozialistischen Grundhaltung ablenken. Das jährliche "Heldengedenken" zum Volkstrauertag ist für die Partei ein wichtiger Termin, der vor allem der Verbreitung ihres revisionistischen und kriegsverherrlichenden Verständnisses der deutschen Geschichte dient. So fand am Volkstrauertag 2021 unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden!" Aktionen der einzelnen Stützpunkte, wie Kranzniederlegungen und die Pflege von Gräbern, statt. Nicht öffentliche Veranstaltungen Anlass für den Landesparteitag am 17. Januar war die Neuwahl des Landesvorstandes und die Aufstellung der Kanditatenliste für die Bundestagswahl im September 2021. Tony GENTSCH wurde als Landesvorsitzender wiedergewählt und auch auf Platz 1 der Kandidatenliste gesetzt. Am 13. November fand der 7. Bundesparteitag des DRITTEN W EGES statt. In dessen Rahmen wurde der Bundesvorstand neu gewählt. Die Teilnehmer wählten den bisherigen stellvertretenden Bundesvorsitzenden Matthias FISCHER zum Vorsitzenden. Die Partei organisierte darüber hinaus interne, gemeinschaftsbezogene Veranstaltungen. Sie dienten der Festigung der "inneren Gemeinschaft", aber auch der Propagierung der parteieigenen Ideologie. So richtete die Partei regelmäßig Mitgliederversammlungen sowie Schulungsveranstaltungen für Mitglieder und Führungspersonen aus. Weiterhin bot die schon seit 2018 bestehende Arbeitsgruppe "Körper & Geist" Selbstverteidigungskurse für Parteimitglieder, aber auch für "externe" Kinder, Jugendliche und Frauen an. Um gezielt Jugendliche für die Partei zu gewinnen, wurden im Vogtland und Mittelland entsprechende Jugendgruppen gegründet. Diese zielen darauf ab, mit einem speziell zugeschnittenen Programm interessierte Jugendliche möglichst früh in die Parteiarbeit einzubinden und ideologisch zu indoktrinieren. Die Spannweite der Veranstaltungen reichte dabei von Wanderungen, über sog. "Waldund Wiesentage", Ausflüge und sportliche Aktivitäten bis hin zu Selbstverteidigungskursen, Nachhilfeunterricht und Schulungsveranstaltungen. Tendenzen und Bewertung Als neuer Bundesvorsitzender formuliert Matthias FISCHER die Ziele der Partei im Jahr 2022 auf der Homepage wie folgt: "Eine grundsätzliche Erneuerung, eine nationale Revolution ist nicht nur nötig, sondern auch machbar, wenn wir Nationalrevolutionäre unsere Hausaufgaben machen (...), um uns in Stellung zu bringen, (...) neue Anlaufpunkte schaffen, (...) die nationale Revolution vorantreiben (...). Freiheit wird einem nicht geschenkt, die muss erkämpft werden. (...) Auf zur Revolution!" Seite 42 von 255 Um diese Ziele zu erreichen bzw. umsetzen zu können, bedarf es neuer, aktiver Mitglieder sowie der Gründung neuer Stützpunkte auch in Sachsen. Für das hochgesteckte Ziel einer "nationalen Revolution" sieht die Partei den gemeinsamen Schulterschluss mit der gesellschaftlichen Mitte als zentrale Voraussetzung. Die Partei DER DRITTE WEG ist im Hinblick auf ihr Aktionsniveau in der Realwelt - nicht jedoch im Internet - weiterhin die aktivste erwiesene rechtsextremistische Parteistruktur in Sachsen. Ihr Ziel, die Strukturen weiter auszubauen, wurde im Berichtsjahr allerdings verfehlt. Ob es der Partei angesichts stagnierender Mitgliederzahlen gelingt, die Mitgliederzahlen der sächsischen Stützpunkte künftig nennenswert zu erhöhen, ist zweifelhaft. Im Jahr 2021 konnten wegen der Corona-Maßnahmen nur wenige der eigentlich geplanten Parteiveranstaltungen stattfinden. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Partei nach dem Wegfall der Corona-Maßnahmen wieder eine Vielzahl von Veranstaltungen durchführen wird, beispielsweise eine Demonstration am 1. Mai. Öffentlichkeitswirksame Aktionen wie diese sind für die Partei von zentraler Bedeutung im Hinblick auf den Ausbau ihrer Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte. Außerdem wird sie auch künftig mit Sozialaktivitäten und Jugendarbeit um neue Mitglieder und Akzeptanz in der Bevölkerung werben. Die unter dem Blickwinkel der Corona-Maßnahmen zu betrachtende Anzahl der öffentlichen Veranstaltungen und die dabei erreichten Teilnehmerzahlen spiegeln im Berichtsjahr allerdings nicht die darüber hinausgehende große Bedeutung der Partei für die rechtsextremistische Szene im Freistaat Sachsen wider. Da sich das Vorzeigeobjekt der Partei, die sog. Parteizentrale "P130"27, in Sachsen befindet, haben die sächsischen Stützpunkte und ihre Mitglieder auch bundesweit ein hohes Gewicht. Regionale Ausprägung Die Partei DER DRITTE WEG hat seit ihrer Gründung vier Stützpunkte in Sachsen (siehe hierzu auch den Abschnitt "Struktur"). Der STÜTZPUNKT VOGTLAND, gegründet im April 2015, ist im sachsenweiten Vergleich weiterhin der aktivste und mitgliederstärkste Stützpunkt. Mit dem Parteiund Bürgerbüro auf der Pausaer Str. 130 in Plauen wurde die sog. "Parteizentrale" im Mai 2019 installiert. Dort trafen sich auch im Berichtsjahr unter Beachtung der Corona-Auflagen regelmäßig eine Vielzahl von Parteimitgliedern und Sympathisanten zu Mitgliederversammlungen, sog. "Aktionstagen", Zeitzeugenvorträgen, Schulungswochenenden, Parteitagen sowie für gemeinsame Aktivitäten mit Jugendlichen, Kindern und Familien. Mitglieder des STÜTZPUNKTES VOGTLAND nahmen im Berichtsjahr in Plauen, Zwickau und Chemnitz auch an Veranstaltungen der neu gegründeten Partei FREIE SACHSEN28 teil. Der Landesvorsitzende der Partei DRITTER W EG, Tony GENTSCH, vertritt die Partei seit 2019 im Stadtrat in Plauen sowie im Kreistag. Seine Aufgabe sei es, so das Wahlprogramm der Partei, "(...) im regionalen Parlament, Stimme und Ohr für unser Volk zu sein" mit dem Ziel "Erst unser Volk, dann all die Anderen". Die Mitgliederzahl konnte trotz der aktiven Mitgliederwerbung nicht nennenswert erhöht werden. Das LfV Sachsen geht von ca. 90 Mitgliedern (2020: ca. 80 Mitglieder) aus. Zur Gewinnung neuer Mitglieder - vor allem Jugendlicher - wird in der Parteizentrale in Plauen schon länger verstärkt auf ein 27 "P130" steht für Pausaer Straße 130 in Plauen, die Anschrift des Parteiund Bürgerbüros. 28 vgl. Beitrag II. 2.3.3 FREIE SACHSEN / Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ Seite 43 von 255 auf Jugendliche zugeschnittenes Programm, beispielsweise mit Sport-, Ausflugsund Nachhilfeangeboten, gesetzt. Der STÜTZPUNKT VOGTLAND hat im Berichtsjahr die Jugendorganisation NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND VOGTLAND (NRJ) gegründet. Die Zielstellung dieser Arbeitsgruppe wird im Internet wie folgt umschrieben: "Wir sind bereit, jeden Bruder und jede Schwester unseres Blutes in die Gemeinschaft aufzunehmen, (...), unserer Jugend eine Perspektive zu schaffen (...).". Im November führten NRJMitglieder unter dem Motto "Jugend voran" Verteilaktionen von sog. "Infokarten" vor Schulen in Plauen durch. Ziel war die Gewinnung neuer, vor allem jugendlicher Parteimitglieder. Der STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN, gegründet im März 2017, ist mit seinen ca. zehn aktiven Mitgliedern fast ausschließlich in Zwickau aktiv. Dieser Stützpunkt trat auch im Jahr 2021 mehrfach mit Aktivitäten öffentlich in Erscheinung, so mit einem Informationsstand unter dem Motto "Gegen Überfremdung und Ausländerkriminalität", Gedenkveranstaltungen, Flyer-Verteilaktionen, Herbstfest, Sonnenwendfeier, sog. "Winterhilfe" und dem jährlich stattfinden "Tag der Gemeinschaft mit Fußball und Politik". Dagegen führt der STÜTZPUNKT MITTELLAND, gegründet im April 2015, keine nennenswerten öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Sachsen durch. Diese finden eher in Sachsen-Anhalt statt. Neben den Mitgliederversammlungen stehen interne gemeinschaftliche Aktivitäten im Mittelpunkt. Am 11. September fand in Torgau ein Informationsstand im Rahmen des Bundestagswahlkampfes statt. Seitens der im Juli gegründeten Gruppe NATIONALREVOLUTIONÄRE JUGEND MITTELLAND wurden im Berichtsjahr noch keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten bekannt. Im Dezember 2015 wurde der STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN gegründet. Es sind im Berichtsjahr keine durch diesen Stützpunkt angemeldeten öffentlichkeitswirksamen Aktionen bekannt geworden. Wegen des Zuzuges einer ehemaligen Führungsperson der Partei aus Rheinland-Pfalz nach Mittelsachsen, geht das LfV für das Jahr 2022 wieder von einer Zunahme interner, aber auch öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten dieses Stützpunktes aus. 2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Gründung / Sitz: 1964 / Berlin Vorsitz Bund: Frank FRANZ Vorsitz Sachsen: Peter SCHREIBER Teil-/ Nebenorganisationen: JUNGE NATIONALISTEN (JN) RING NATIONALER FRAUEN (RNF) KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG DER NPD (KPV) LANDESVERBAND SACHSEN NPD-KREISVERBÄNDE BAUTZEN-GÖRLITZ-NIEDERSCHLESIEN CHEMNITZ-MITTELSACHSEN DRESDEN ERZGEBIRGE LEIPZIG STADT UND LAND MEIßEN NORDSACHSEN SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE Seite 44 von 255 ZWICKAU-VOGTLAND Publikationen / Internetauftritte: DEUTSCHE STIMME Homepage des LANDESVERBANDES YouTube-Kanäle des LANDESVERBANDES ("Blickpunkt Sachsen TV") und einzelner KREISVERBÄNDE Facebook-Seite des LANDESVERBANDES Facebook-Seiten der KREISVERBÄNDE Instagram und Twitter Accounts des LANDESVERBANDES und einzelner KREISVERBÄNDE Telegram-Kanal des LANDESVERBANDES Personenpotenzial / Mitgliederentwicklung: 2021 2020 Sachsen ca. 250 ca. 250 Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Parteienfinanzierung Kurzportrait / Ziele Die NPD ist die älteste aktive rechtsextremistische Partei. Sie will die Demokratie beseitigen und einen Nationalstaat errichten, in welchem von ihr so verstandene ethnisch Nichtdeutsche von der politischen Willensbildung ausgeschlossen sind. Eine solche ethnisch definierte "Volksgemeinschaft" verletzt die Menschenwürde. Auch ihre rassistische, revisionistische, antisemitische und fremdenfeindliche Grundhaltung weist eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Verlagerung der Parteiaktivitäten in die so2021 zialen Medien aufgrund der Corona-Beschränkungen Landesparteitag im März 2021 Kundgebung "Linksterror stoppen - Antifa verbieten" im April 2021 Veranstaltungen gegen Corona-Beschränkungen Sommerfest der NPD in Riesa Kampagnen "Schafft Schutzzonen" und "Nein zur Impfpflicht! Finger weg von unseren Kindern!" mit Aktionsschwerpunkt im Landkreis Mittelsachsen Ideologie Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung über den Antrag eines Parteiverbots vom 17. Januar 2017 die Verfassungsfeindlichkeit der NPD fest. Seite 45 von 255 Danach verletzt der von der NPD vertretene Volksbegriff die Menschenwürde, indem er den sich hieraus ergebenden Achtungsanspruch der Person negiert und zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle führt, die nicht der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" in ihrem Sinne angehören. Das Politikkonzept der NPD ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Migranten, religiöse und sonstige Minderheiten) gerichtet. Auch missachtet die NPD das Demokratieprinzip. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat in ihrem Sinne ist für eine Beteiligung so verstandener ethnisch Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Die NPD tritt für die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am ehemaligen Deutschen Reich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten orientierten Staat ein. Die Partei weist durch ihr Konzept der "Volksgemeinschaft", ihre antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Hinzu kommen ihr Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der Partei mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Vorstellung einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" - unvereinbar mit Grundrechten Drehund Angelpunkt der Ideologie der NPD ist ein ethnischer Volksbegriff, welcher auf der Herstellung der "nationalen Identität" in Form eines ethnisch homogenen Volkes - als "Volksgemeinschaft" bezeichnet - basiert. In einem in der DEUTSCHEN STIMME (November 2019) verbreiteten Positionspapier des Parteivorstandes wird dazu ausgeführt: "Daß der thematische Markenkern der NPD, also der aus unserem ethnischen Volksverständnis resultierende Kampf gegen Überfremdung und Heimatverlust, auch unter einen neuen Namen weiterzuführen ist, muß hoffentlich nicht extra betont werden."29 Die NPD verwendet den Begriff "Volksgemeinschaft" im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Die historischen Nationalsozialisten definierten ihn als "die auf blutmäßiger Verbundenheit, auf gemeinsamem Schicksal und auf gemeinsamem politischem Glauben beruhende Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassenund Standesgegensätze wesensfremd sind". Die NPD versteht diese "Volksgemeinschaft" als eine annähernd "ethnisch homogene" Gruppe von Menschen, die aufgrund "gemeinsamer Sprache, Geschichte, Kultur, Schicksal etc." entstehe. Ausgrenzender Charakter der "Volksgemeinschaft" - Missachtung des Demokratieprinzips Die Partei fordert einen durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat. Die "Volksgemeinschaft" sei eine Voraussetzung für die "Volksherrschaft", in welcher eine Beteiligung von "Nichtdeutschen" am politischen Willensbildungsprozess ausgeschlossen sei. Der sächsische NPD-Funktionär Jürgen GANSEL bestätigte in der mündlichen Verhandlung während des 29 Schreibweise wie im Original Seite 46 von 255 Verfahrens zum Antrag auf ein Verbot der Partei, dass die "Volksherrschaft" an das ethnische Staatsvolk gebunden sei. Im Parteiprogramm der NPD heißt es dazu: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit; diese endet dort, wo die Gemeinschaft Schaden nimmt. Der Staat hat die Fürsorgepflicht für alle Deutschen." Dies bedeutet, dass nur derjenige, welcher nach dem ethnischen Verständnis der NPD der "Volksgemeinschaft" zugehörig ist, in den Genuss der Grundrechte und des Schutzes des Staates kommt. Der ausschließende Charakter einer solchen "Volksgemeinschaft" führt zu einer mit Art. 20 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz unvereinbaren ethnischen Verengung des Anspruchs auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung. Ausgrenzung, Verächtlichmachung von gesellschaftlichen Gruppen - Verletzung der Menschenwürde Nach Vorstellung der NPD bestimmt sich der Wert eines Menschen nach seiner Zugehörigkeit zu einer Ethnie bzw. Rasse. Die pauschalen Diffamierungen von Flüchtlingen als "Kriminelle", "Asylbetrüger", "Sozialschmarotzer", "Scheinflüchtlinge" und "Invasoren" sowie die Darstellung eines "Volkstodes" durch "Masseneinwanderung" zeigen, dass Angehörige anderer Völker als minderwertig sowie als Bedrohung für die Existenz des deutschen Volkes eingeschätzt werden. "Für den Widerstand gegen die Massenzuwanderung gibt es viele rationale Gründe. Zu nennen sind der drohende Heimatverlust durch die Landnahme fremder Menschenmassen, die Ausnutzung des Sozialstaates [...], der massive Gewaltund Kriminalitätsimport [...]", so der sächsische NPDFunktionär Jürgen GANSEL. Auch andere Aussagen spiegeln die in der NPD verbreitete Darstellung von Ausländern als minderwertig und der eigenen Ethnie als angebliche "Elite" wider: "Die Grundlagen unserer ethnischen Exklusivität, unseres geistig-kulturellen Erbes, aber auch unserer wissenschaftlich-technischen und damit wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind in Gefahr [...] Die Leistungsgesellschaft braucht Leistungsträger. Leistungsträger finden sich aber vermehrt in den zentraleuropäischen Völkern, nicht bei den afrikanischen Hottentotten. Begabungen und Intelligenz sind nun einmal ungleich verteilt - und das deutsche Volk ist eines der begabtesten Völker in der Welt. Für unsere Begabungen haben wir uns auch nicht zu schämen! Im Gegenteil! Deshalb darf es keine Zuwanderung von Dummen und Primitiven in unser Land geben [...]." Auch die gesellschaftliche Rolle von Frauen wird vor diesem Hintergrund definiert: "Die Frau sieht ihre Selbstverwirklichung darin, Schicksalsgefährtin des Mannes, Hüterin des Heimes, der Sitte und der Kultur und Bewahrerin des rassischen Erbes zu sein. Das darf man heute ja da schon wieder nicht sagen mit dem rassischen Erbe, weil ja Multi-Kulti heute propagiert wird, aber deswegen ist es für uns ganz besonders wichtig, unser Blut rein zu halten." Den im Grundgesetz verankerten Grundrechten der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz setzt die Partei mit ihrem Verlangen nach "Reinhaltung der Rasse" zum Schutze der "deutschen Volkssubstanz" rassistisch geprägte Forderungen entgegen. Damit wird Bezug auf das rassistische Weltbild des historischen Nationalsozialismus genommen. Seite 47 von 255 Historischer Nationalsozialismus als Ideal der NPD Die NPD verharmlost und rechtfertigt Geschehnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus und sieht ein Vorbild in der NSDAP. So leugnet sie die Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Angriff auf Polen habe "auf jeden Fall der Abwehr einer deutlich angezeigten militärischen Bedrohung gegen das Reich" gedient. Hinsichtlich des millionenfachen Massenmordes an den europäischen Juden spricht die NPD in ihrem Zentralorgan verharmlosend von "Fehlentwicklungen" im sog. "Dritten Reich". Der damalige stellvertretende Bundesvorsitzende Karl RICHTER rühmte in einem Thesenpapier zur künftigen Positionierung der NPD aus dem Jahr 2011 die NSDAP: "Im Gegensatz zu uns war die NSDAP in Stil, Auftreten und Methoden eine ultramoderne Massenpartei, die es damit konkurrenzlos erfolgreich in die Mitte des Volkes schaffte. Dort müssen wir auch hin!" Die NSDAP hat damit nicht nur in Bezug auf ihre Ideologie, sondern auch in strategisch-taktischen Fragen offenkundig eine Vorbildfunktion für die NPD. So zeigen die Parallelen zur NSDAPProgrammatik, wie das Streben nach einer "Volksgemeinschaft" und die positive Bezugnahme auf die NS-Herrschaft, dass sich die NPD am sog. "Dritten Reich" orientiert. Ergänzend zu den o. g. Darlegungen des Bundesverfassungsgerichtes30 wird somit die Orientierung am historischen Nationalsozialismus auch bei anderen Aktivitäten der NPD deutlich. Strategie Die NPD sah sich Ende 2019 gezwungen, auf einem Bundesparteitag in Riesa eine Entscheidung über ihre weitere strategische und thematische Ausrichtung zu fällen. Der neu gewählte Bundesvorstand, welcher sich nicht wesentlich personell veränderte, wurde beauftragt, ein Konzept für die strategische Neuausrichtung der Partei zu erarbeiten. Dieses sollte neben thematischen und strategischen Neujustierungen auch die Frage nach einer Umbenennung beinhalten. Diese stieß jedoch bei den Mitgliedern auf Widerstand. Lediglich die angekündigten Neuerungen zum medialen Erscheinungsbild der Partei wurden umgesetzt. Die Parteizeitung DEUTSCHE STIMME (DS) wird seit April 2020 als Magazin veröffentlicht, zuvor erschien sie nur im Zeitungsformat. Ebenfalls wurde in 2021 ein Studio von DS-TV eingerichtet. Dort werden nach eigener Aussage "deutlich professioneller bestimmte Formate wie moderierte Reportagen sowie Interviewund Diskussionssendungen" produziert. Im Berichtsjahr wurde das mediale Angebot noch um einen Podcast erweitert. Die NPD befindet sich bundesweit nach wie vor im Niedergang, der sich durch die schlechten Wahlergebnisse der vergangenen Jahre - zuletzt bei der Bundestagswahl 2021 - noch beschleunigt hat. Die innerparteilichen Probleme spiegeln sich wider in Form mangelnder Handlungsund Kampagnenfähigkeit sowie anhaltender, rückläufiger, personeller und finanzieller Ressourcen. Zudem steht der Partei eine verstärkte Konkurrenz, z. B. durch die Partei DER DRITTE W EG gegenüber. Der innerparteiliche Unmut über den desolaten Zustand und die Perspektivlosigkeit der Partei hat einen Diskussionsprozess über Zukunftsstrategien bei den Mitgliedern ausgelöst. Im Freistaat Sachsen kämpft die NPD seit ihrem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag im Jahr 2014 um ihre politische Existenz. Die Wahlergebnisse zur Kommunalund Landtagswahl in Sachsen im Jahr 2019 entsprachen nicht den Erwartungen der Parteifunktionäre. So erreichte die Partei bei der Landtagswahl 2019 gerade einmal 0,6 % der Stimmen und lag damit sogar unter der Hürde der Wahlkampfkostenerstattung. Außerdem reduzierte sich ihre kommunalpolitische Präsenz im Ergebnis der Kommunalwahlen 2019 von 62 auf 16 Mandate. Bei der Bundestagswahl im Berichtsjahr fuhr sie bundesweit und auch in Sachsen Verluste ein: mit 7.469 Zweitstimmen in 30 Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13 Seite 48 von 255 Sachsen erzielte sie gerade einmal 0,3 % der Stimmen und damit 0,8 Prozentpunkte weniger als bei der Bundestagswahl 2017. Aktivitäten Landesparteitag der NPD Sachsen Am 27. März fand in Riesa der NPD-Landesparteitag statt, auf dem die Landesliste für die Bundestagswahl am 26. September gewählt wurde. Spitzenkandidat wurde dabei schließlich der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD, Maik MÜLLER. Der Landesvorsitzende der NPD Sachsen blieb weiterhin Peter SCHREIBER. Kundgebung "Linksterror stoppen - Antifa verbieten" Aufgrund der Corona-Maßnahmen war die NPD auch im Berichtsjahr in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Es fanden jedoch einzelne größere Veranstaltungen statt. So führte die NPD gemeinsam mit den JN am 18. April in Dresden eine Kundgebung mit 45 Teilnehmern unter dem Motto "Linksterror stoppen - Antifa verbieten" durch. Die Veranstaltung fand vor dem Hintergrund des Überfalls auf den Bundesvorsitzenden der JN, Paul RZEHACZEK, am 11. März durch mutmaßlich linksextremistische Täter statt. Die Versammlung reihte sich damit in zahlreiche, in der rechtsextremistischen Szene erfolgte Solidaritätsbekundungen zu RZEHACZEK ein. Sie sollte ein "klares Zeichen gegen linksextremistische Umtriebe" setzen, so die JN in den sozialen Netzwerken. Ein Kamerateam von DS-TV interviewte verschiedene Teilnehmer. Sommerfest der NPD Sachsen Das alljährliche Sommerfest der NPD fand am 3. Juli in Riesa auf dem Gelände der DEUTSCHEN STIMME VERLAGS GMBH statt und war durch die Teilnahme von Familien mit Kindern und Musikdarbietungen vordergründig sozial geprägt. Gleichwohl wurden durch Parteifunktionäre auch politisch intendierte Reden gehalten. Demnach traten als Redner der NPD-Landesvorsitzende Peter SCHREIBER, dessen Stellvertreter Mario LÖFFLER und die Vorsitzende des NPD KREISVERBANDES MEIßEN, Ines SCHREIBER, auf. An der Veranstaltung nahmen ca. 100 Personen teil. Im Vorfeld des Sommerfestes führten die JN eine ideologische Schulung für Anwärter aus Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt durch. Anschließend beteiligten sich die Teilnehmer ebenfalls am Sommerfest der NPD SACHSEN. Hilfsaktion für Opfer der Flutkatastrophe Die NPD SACHSEN organisierte gemeinsam mit den JN die Hilfsaktion "Fluthilfe '21" für die Opfer der Flutkatastrophe im Sommer. Dabei wurden Hilfsgüter gesammelt und ein Spendenkonto eingerichtet. Die Hilfsgüter wurden schließlich von JN-Aktivisten mit fünf Transportern in die Region Ahrtal gefahren. Mit dabei war ein Team der DEUTSCHEN STIMME, das über die Aktion berichtete. Aktionsgeschehen gegen Corona-Beschränkungen Das Aktionsgeschehen der NPD im Berichtsjahr fokussierte sich, wie bereits im Vorjahr, im Wesentlichen auf Veranstaltungen gegen die Corona-Beschränkungen. Die Corona-Krise wird dabei zur offenen Agitation gegen die Maßnahmen von Politik und Verwaltung aber auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung genutzt. Gleichzeitig wurde seitens der NPD sowohl bei den eigenen Anhängern als auch in Teilen der gesellschaftlichen Mitte ein Klima der Angst vor übermäßigen staatlichen Eingriffen sowie vor den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Seite 49 von 255 Maßnahmen geschürt. Mit dieser Agitation zielte die NPD darauf ab, ihre aus der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 herrührende Annäherung an bzw. ihre Kooperation mit nichtextremistischen Milieus und Gruppierungen fortzusetzen. Gleichzeitig versuchte sie, die Maßnahmen der Exekutive zur Eindämmung der Pandemie mit ihrer rechtsextremistischen, verfassungsfeindlichen Ideologie zu verurteilen und diese damit auf subtile Art und Weise bei der protestierenden Bevölkerung zu verbreiten. Den Protagonisten der NPD gelang es damit durchaus, die in Teilen der Bevölkerung vorherrschende Skepsis gegenüber den Corona-Beschränkungen für ihre verfassungsfeindlichen Zielsetzungen zu missbrauchen. Kampagnen Die NPD initiierte bereits im Jahr 2018 die bundesweite Kampagne "Schafft Schutzzonen". Dabei gehen Anhänger bzw. Mitglieder der NPD und ihrer Jugendorganisation in kleinen Gruppen und ausgestattet mit einer roten Weste als "Streife" durch die Städte und verteilen dabei auch Propagandamaterial. Mit diesen auch "Sicherheitsstreifen" genannten Aktionen suggerierten die Mitglieder der NPD auch im Berichtsjahr öffentlichen Aktionismus und wollten offenkundig vom gegenwärtig schwierigen Zustand der Partei und der kaum vorhandenen Mobilisierungsfähigkeit der eigenen Anhängerschaft ablenken. In Sachsen wurde die Kampagne im Berichtsjahr schwerpunktmäßig im Landkreis Mittelsachsen durchgeführt. Mit der Kampagne "Schafft Schutzzonen" stellt die NPD das Gewaltmonopol des Staates infrage, diffamiert das Handeln der Sicherheitsbehörden und agitiert gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Nach Lesart der NPD sind diese kriminell und damit Grund für das mangelnde Sicherheitsgefühl der Deutschen. Unter dem Deckmantel der "Selbstverteidigung" versucht die NPD, bei der Bevölkerung den Eindruck zu verbreiten, dass der Staat versagt habe und die Strafverfolgung und Gefahrenabwehr nunmehr von einzelnen Bürgern übernommen werden müsse. Mit diesen "Präsenzaktionen" an vermeintlichen Kriminalitätsbrennpunkten verfolgt die NPD das strategische Ziel, bei der Bevölkerung eine gegen Menschen mit Migrationshintergrund gerichtete "Angstkultur" zu erzeugen. Diese Aktionen können schlimmstenfalls dazu führen, dass sich gewaltbereite Rechtsextremisten animiert fühlen, den Gedanken der angeblich legitimen "Selbstverteidigung" aufzugreifen und - etwa ausgelöst durch ein öffentlichkeitsrelevantes Einzelereignis - in gewaltsame Aktionen gegen Ausländer umzumünzen. Im Dezember 2021 rief der DEUTSCHE STIMME VERLAG eine neue Kampagne unter der Überschrift "Nein zur Impfpflicht! Finger weg von unseren Kindern!" ins Leben. Zu dieser Kampagne gehört u. a. eine sich an Bundestagsabgeordnete richtende Online-Petition. Mit über den Verlag zu beziehenden Flyern, Aufklebern und Transparenten sollen im Rahmen der Kampagne Aktionen unter Verwendung dieser Materialien durchgeführt werden. Diese sollen darüber hinaus dokumentiert und veröffentlicht werden. Außerdem wurde für die Kampagne ein Spendenaufruf gestartet. JUNGE NATIONALISTEN (JN) Die Jugendorganisation der NPD gliedert sich in den Bundesverband, in Landesverbände und in einigen Bundesländern in regional und lokal agierende sog. Stützpunkte. Am 7. August wurde während des Landeskongresses der JN SACHSEN in Chemnitz eine zusätzliche länderübergreifende JN-Struktur namens "Gebietsverband Mitte" gegründet. Diese umfasst die Länder Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin und Brandenburg. Die Bundesgeschäftsstelle der JN befindet sich Seite 50 von 255 seit dem Jahr 2018 wieder in Riesa (Landkreis Meißen)31. Im Freistaat Sachsen wurden der JN auch im Berichtsjahr ca. 40 Personen zugerechnet (2020: ca. 40). Der Bundesvorsitzende der JN ist nach wie vor Paul RZEHACZEK; als stellvertretender Bundesvorsitzender fungiert der Landesvorsitzende der JN Sachsen, Maik MÜLLER. Beide sind langjährige und sehr engagierte Szeneaktivisten, die auch außerhalb der JN über eine entsprechende Reputation verfügen. Mit dieser personellen Besetzung haben sächsische JN-Protagonisten folglich einen hohen Einfluss auf den Bundesverband. Die JN ist bestrebt, eigene Akzente und Agitationsschwerpunkte zu setzen sowie entsprechende Kampagnen und öffentlichkeitswirksame Aktionen für die Zielgruppe der Jugendlichen und Erstwähler zu initiieren. Darüber hinaus sollen diese perspektivisch durch ideologische Schulungen an die verfassungsfeindliche Ideologie gebunden werden. Während sich die "Mutterpartei" NPD als parlamentarischer Arm der "nationalen Opposition" versteht, sehen sich die JN gemäß ihres eigenen Selbstverständnisses und Anspruchs noch eher im "vorpolitischen Raum". Neue Mitglieder versuchen die JN über Aktivitäten, wie z. B. Sportfeste, Fußballturniere, Wanderungen, Sonnenwendfeiern oder sog. "Leistungsmärsche" zu gewinnen. Diese sind vordergründig unpolitisch ausgerichtet, d. h. die rechtsextremistische Zielsetzung steht zunächst im Hintergrund. Dabei dienen diese Aktivitäten der Ausprägung eines "Zusammengehörigkeitsgefühls" und damit vor allem der Rekrutierung potenziellen Nachwuchses. Als Beispiel für eine solche "Gemeinschaftsveranstaltung" stand im Berichtsjahr eine bundesweite Aktion der JN zum Tag der Deutschen Einheit. Dabei führten sie am 3. Oktober unter dem Motto "Deutschland, Deiner Festung zur Wehr - 31 Jahre Wiedervereinigung" Wanderungen zu Burgen in Deutschland durch. Auf der Homepage der JN wurden im Nachgang neben einem Bericht diverse Bilder der einzelnen bundesweiten Aktionen veröffentlicht. Dem Bericht zufolge betrachten die JN die Burg als Sinnbild für die Heimat und wollten mit den Wanderungen auf deren Gefährdung aufmerksam machen. Weiter heißt es dazu u. a.: "Eine Zukunft für uns kann es mit den Herrschenden nicht mehr geben. Genauso, wie die Menschen vor über dreißig Jahren eine Wende herbeiführten, wollen wir uns dieses Systems entledigen!" (...) "Anstelle einer materialistischen Weltordnung, die den Profit in den Mittelpunkt allen Handelns stellt, stehen wir für eine eigenständige Volksgemeinschaft." Damit bekannten sich die JN einmal mehr zu ihrem rechtsextremistischen Weltbild, dessen ideologisches Kernelement die Idee einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und die Forderung nach einer Abschaffung der bestehenden politischen Ordnung ist. Mit der Aktion verfolgten die JN das Ziel, ihre Attraktivität für neue Anhänger und potenzielle neue Mitglieder zu erhöhen. Der Beitrag endete mit der Aufforderung: "In unserer Gemeinschaft kann jeder Deutsche seine Heimat finden, wenn er die Identität sucht, wenn er sich selbst sucht." An der Aktion beteiligten sich auch sächsische Stützpunkte: Der JN-STÜTZPUNKT LEIPZIG wanderte zur Burg Gnandstein bei Frohburg, und der JN-STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN besuchte die Burg Kriebstein bei Waldheim. Darüber hinaus führten die JN verschiedene Kampagnen durch, um neue Anhänger zu erreichen. Über die Kampagne "Schülersprecher.info" wurde früher die sog. "Schulhof-CD" an Kinder und Jugendliche vor Schulen verteilt. Heute wird diese auf der Internetseite der Kampagne zum Download angeboten. Der rechtsextremistische Hintergrund dieser Kampagne ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich, lediglich aus dem Impressum ergibt sich der Bezug zu den JN. Auf der Homepage wird u. a. zum Kampf gegen Kapitalismus und Globalisierung aufgerufen und für den Klimaschutz geworben. 31 Die Bundesgeschäftsstelle der NPD war im Jahr 2014 zeitweise nach Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern) verlagert worden. Seite 51 von 255 Mit der Kampagne "Jugend packt an" führten die JN auch im Berichtsjahr Spendenaktionen durch, mit denen sie versuchten, sich unter dem Motto "Wir helfen, wo der Staat versagt" ein Image als "Kümmerer" zu verleihen. Dieses "Kümmerer"-Konzept praktizieren die JN bereits seit geraumer Zeit. Mit ihrem sozialen Engagement, beispielsweise für Kinder, Familien, saubere Städte und den Tierschutz, wollen sie nicht-extremistische Personenkreise ansprechen, die ein derartiges Engagement für die Umwelt und die Schwächsten der Gesellschaft bei den etablierten Parteien vermissen. Durch die Kampagne "Jugend packt an" wird auch das Thema Umweltschutz aufgegriffen, um für "jugendliche Klimaschützer" aus der gesellschaftlichen Mitte attraktiv zu sein. Dabei werden unter dem Motto "Die #Grünen reden immer nur von #Umweltschutz, ohne groß aktiv zu werden! Wir handeln und packen an!" Aktionen durchgeführt und darüber in den sozialen Medien berichtet. Bei den jeweiligen Veröffentlichungen in den sozialen Medien werden z. B. die Hashtags "#heimatschutz" und "#jugendzuuns" verwendet. Im Dezember 2021 wurde der Onlineversand "Der Frontdienst" der JN wieder aktiviert. Dieser war seit 2020 nicht mehr erreichbar. Über diesen Versand können Materialien der JN, wie Aufkleber, Banner, Broschüren und Plakate, bezogen werden. Regionale Ausprägung Die NPD war mit ihren KREISVERBÄNDEN vor allem in den Landkreisen Mittelsachsen und Meißen, in der Stadt Dresden und im Raum Leipzig aktiv. NPD-Mitglieder beteiligten sich regelmäßig an Protestveranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen (u. a. in Döbeln, Grimma und Riesa). In Döbeln wurde darüber hinaus auch Veranstaltungstechnik von der NPD zur Verfügung gestellt. Am 16. Mai und 6. Juni führten Mitglieder des NPD-KREISVERBANDES MITTELSACHSEN eigene Versammlungen gegen die Corona-Maßnahmen in Döbeln durch. In Riesa unterstützte die Vorsitzende des NPD-KREISVERBANDES MEIßEN als stellvertretende Versammlungsleiterin regelmäßig die örtlichen, nicht-extremistischen Corona-Proteste. Im Landkreis Mittelsachsen wurden wiederholt Aktionen im Rahmen der Kampagne "Schafft Schutzzonen" durchgeführt (in Döbeln, Geithain und Freiberg). Am 14. August protestierten darüber hinaus einzelne NPD-Mitglieder gegen eine "antifaschistische Versammlung" in Freiberg. Für die JN-Kampagne "Jugend packt an" sammelten "Aktivisten" in Döbeln Spenden für Kinder, Hilfsbedürftige, Tierheime und für Opfer der Flutkatastrophe. Organisiert wurden diese Aktionen über die sogenannte "Tauschbörse D-32" in Döbeln. Darüber hinaus wurden die ersten Flyer der Kampagne "Nein zur Impfpflicht! Finger weg von unseren Kindern!" im Landkreis Mittelsachsen verteilt. Der NPD-KREISVERBAND DRESDEN veranstaltete am 17. Juni eine unter dem Motto "Damals wie heute: Freiheit lässt sich nicht verbieten!" stehende Mahnwache anlässlich des Jahrestages des Volksaufstandes in der ehemaligen DDR im Jahr 1953. Außerdem fanden in der Landeshauptstadt mehrere Gedenkveranstaltungen zu unterschiedlichen Themen, wie z. B. zum 13. Februar anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung von Dresden sowie zum Volkstrauertag statt. Im Raum Leipzig führte der dortige NPD-KREISVERBAND Stammtische durch, an denen sich auch JN-Mitglieder beteiligten. Der JN-STÜTZPUNKT LEIPZIG stellte sich und seine Aktivitäten darüber hinaus mit einem Beitrag auf der Homepage der Bundes-JN vor und warb um Mitstreiter. In einem weiteren Online-Beitrag wurde auf die regelmäßige Teilnahme an den Corona-Protesten in Leipzig verwiesen. Bei einer dieser Veranstaltungen am 25. Oktober, trat der Bundesvorsitzende Paul RZEHACZEK als Redner auf. Seite 52 von 255 Der NPD-KREISVERBAND MEIßEN hat, wie auch der LANDESVERBAND DER NPD SACHSEN, seinen Sitz auf dem Gelände des DEUTSCHEN STIMME VERLAGES in Riesa. Neben dem Sommerfest am 3. Juli fand dort im Oktober ein Erntedankfest statt. Der Kreisverband unterhält unter dem Motto "Deutsche helfen Deutschen" auf dem Gelände auch einen sog. "Sozialladen" Dieser sammelt Sachund Geldspenden im Rahmen der Kampagne "Jugend packt an" und verteilt diese an Bedürftige. Bewertung / Tendenzen Die NPD verliert zunehmend an politischer Bedeutung. Ob die vom Bundesvorstand schon seit 2019 angekündigte strategische Neuausrichtung der Partei letztlich zu einer Umkehr dieser Entwicklung führen wird, ist ungewiss. Vor allem dürften die hierfür notwendigen organisatorischen, finanziellen und personellen Ressourcen nicht ausreichend sein. Auch seitens des sächsischen NPDLANDESVERBANDES konnten im Berichtsjahr erneut keine neuen und nachhaltigen Impulse gesetzt werden, die diese Entwicklung hätten umkehren können. Trotz aller damit verbundenen Einschränkungen für die Ausrichtung eigener Veranstaltungen und Aktionen, verhalf die Corona-Pandemie und das damit einhergehende Protestgeschehen der Partei im Berichtsjahr zu einer gewissen öffentlichen Präsenz. Perspektivisch - insbesondere mit Abklingen der Pandemie - wird sich die NPD in Sachsen voraussichtlich weiter auf "soziale Kampagnen" sowie auf ihre "Schutzzonen"-Kampagne konzentrieren und so ihr Image als "Kümmerer" vor Ort pflegen. Der Bundesvorsitzende der NPD mahnte vor diesem Hintergrund im Oktober 2021 an, dass es zu grundlegenden Veränderungen innerhalb der NPD kommen müsse. Dabei regte er auch eine künftige Zusammenarbeit bzw. Fusion mit "Kräften aus Ostdeutschland" an, die in den Parteigremien diskutiert werden müsse. Bereits vor dieser Aussage zeichnete sich diese Tendenz ab. NPDFunktionäre, wie Stefan HARTUNG in Sachsen, wirkten bei der im Berichtsjahr neu gegründeten Partei FREIE SACHSEN32 mit, welche bei den Anti-Corona-Protesten in Sachsen eine zentrale Rolle spielte. Inwieweit die NPD die angekündigten Veränderungen umsetzen wird, werden die Ergebnisse des nächsten Bundesparteitages zeigen, der in den Jahren 2020 und 2021 coronabedingt nicht stattfinden konnte. Wie die NPD insgesamt, haben auch die JN in den vergangenen Jahren sehr unter dem Erstarken anderer rechtsextremistischer Akteure, wie z. B. der IDENTITÄREN BEWEGUNG, gelitten. Auch diese richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene, geben dabei aber nach außen hin ein moderneres und aktionsorientierteres Bild ab als die JN. Nur vereinzelt und regional begrenzt, insbesondere auf die Stadt Leipzig, versuchten Akteure der JN, vom Corona-Protestgeschehen zu profitieren und sich über dieses Thema ins "Gedächtnis" ihrer Klientel zu rufen. Sie organisierten jedoch keine eigenen Veranstaltungen, sondern mobilisierten in geringem Maße für die Protestveranstaltungen, so auch für die der FREIEN SACHSEN. An deren Mobilisierungsund Aktionsniveau in den sozialen Medien konnten weder die NPD noch die JN auch nur annähernd anknüpfen. Gleichwohl lässt sich im Berichtsjahr noch nicht von einem Konkurrenzverhältnis zwischen diesen rechtsextremistischen Akteuren sprechen. Künftig sind Kooperationen oder Bündnisabsprachen zwischen diesen Parteien durchaus denkbar. Der Einfluss sächsischer JN-Mitglieder auf die Bundes-JN wird mit dem Eilenburger Paul RZEHACZEK als Bundesvorsitzenden und dem Dresdner Maik MÜLLER als stellvertretendem Bundesvorsitzenden weiter steigen. Sie werden ferner versuchen, die Jugendorganisation wieder 32 vgl. Beitrag II.2.3.3 FREIE SACHSEN / Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ Seite 53 von 255 aktiver und attraktiver für junge Menschen zu gestalten. Die Organisation der einzelnen JN-Aktivitäten obliegt im Freistaat Sachsen jedoch weiterhin nur wenigen aktiven Mitgliedern. In zahlreichen Regionen fehlten den JN auch im Jahr 2021 geeignete Führungspersonen, die neue Aktionsbzw. Veranstaltungsformate hätten initiieren können. Eine langfristige Bindung neuer Anhänger an die Jugendorganisation blieb dadurch bislang aus. 2.3.3 FREIE SACHSEN / Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ PRO CHEMNITZ Gründung / Sitz: 2009 / Chemnitz, Brauhausstraße 6 Vorsitz Sachsen: Martin KOHLMANN, Robert ANDRES Teil-/ Nebenorganisationen: Fraktion im Stadtrat von Chemnitz Publikationen / Internetauftritte: Flugblatt/Infoblatt Internetseite, Facebook-Seite, Telegram-Kanal Personenpotenzial / Mitgliederentwicklung 2021 2020 ca. 20 (bis ca. 20 02/2021)33 Finanzierung u. a. Spenden Kurzportrait / Ziele PRO CHEMNITZ ist eine Wählervereinigung, die vor allem von den bekannten Neonationalsozialisten Martin KOHLMANN und Robert ANDRES geführt wird. Ihre Akteure veranstalteten im Nachgang zu dem von einem Migranten im August 2018 begangenen Tötungsdelikt in Chemnitz zahlreiche rechtsextremistische Aktivitäten, insbesondere asylfeindliche Demonstrationen, oder beteiligten sich an solchen anderer Akteure in der Region Chemnitz-Erzgebirge. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Neugründung der Partei FREIE SACH2021 SEN Umbenennung der Chemnitzer Stadtratsfraktion in PRO CHEMNITZ/FREIE SACHSEN Partei FREIE SACHSEN Gründung / Sitz: 2021 / Chemnitz, Brauhausstraße 6 Vorsitz Sachsen: Martin KOHLMANN (Vorsitzender) Stefan HARTUNG (stv. Vorsitzender) Teil- / Nebenorganisationen: PRO CHEMNITZ/FREIE SACHSEN FREIE SACHSEN VOGTLAND FREIE SACHSEN MITTELSACHSEN FREIE SACHSEN ELBFLORENZ/DRESDEN FREIE SACHSEN LEIPZIG/NORDSACHSEN FREIE SACHSEN ERZGEBIRGE FREIE SACHSEN MEIßEN FREIE SACHSEN OSTSACHSEN/LAUSITZ 33 Das Personenpotenzial von PRO CHEMNITZ wurde ab März 2021 der Partei FREIE SACHSEN zugerechnet. Seite 54 von 255 FREIE SACHSEN ZWICKAU Publikationen / Internetauftritte: Flugblatt/Infoblatt Internetseite, Facebook-Seite, elf Telegram-Kanäle und über 120.000 Follower Personenpotenzial / Mitgliederentwicklung 2021 ca. 1.000 (Eigenangaben) Finanzierung u. a. Spenden, Mitgliedsbeiträge, Einnahmen aus eigenem Versandshop Kurzportrait / Ziele Die FREIEN SACHSEN sind eine als Partei organisierte Gruppierung von Neonationalsozialisten, NPD-Funktionären und weiteren Szeneangehörigen oder -sympathisanten, die sich unter der Ägide von Martin KOHLMANN, Robert ANDRES (beide PRO CHEMNITZ) sowie Stefan HARTUNG (NPD) gegründet haben. Die Partei wurde vom Bundeswahlleiter formell in das Verzeichnis der Parteien und politischen Vereinigungen aufgenommen. Insbesondere im Zuge des Bundestagswahlkampfes fielen die FREIEN SACHSEN durch Störund Protestaktionen sowie durch Bedrohungen von Politikern auf. Neben dem Abhalten eigener Veranstaltungen dienen die FREIEN SACHSEN insbesondere als Plattform in sozialen Medien. Vor allem in Telegram-Kanälen bewerben sie täglich sog. "Anti-Corona-Spaziergänge" an verschiedenen Orten in Sachsen und fungieren über die Wirkkraft der sozialen Medien als "Mobilisierungsmaschine". Im Nachgang veröffentlicht die Gruppierung Videos der Protestgeschehen, welche sie vermutlich von Sympathisanten erhält. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Neugründung der Partei FREIE SACH2021 SEN Wenige eigene Veranstaltungen zur Anti-Corona-Thematik; stattdessen Thematisierung des Protestgeschehens in den sozialen Medien Stammtische Antritt zu Kommunalwahlen in Plauen Seite 55 von 255 Ideologie Die FREIEN SACHSEN sind eine als Partei organisierte Gruppierung von Neonationalsozialisten, NPDFunktionären und weiteren Szeneangehörigen oder -sympathisanten. Sie verfügen über keine nennenswerten Organisationsstrukturen und Personalressourcen, entfalten aber durch den gezielten Einsatz der sozialen Medien eine enorme Wirkungsmacht. Die Aktivitäten der FREIEN SACHSEN richten sich gegen den Bestand des Bundes. So streben sie mehr Autonomie für Sachsen an und wollen notfalls den "Säxit". Ihr Ziel sei es gerade nicht, "eine weitere politische Organisation als Konkurrenz zu bereits Bestehenden zu sein, sondern allen bestehenden Gruppen und auch einzelnen Aktivisten ein gemeinsames Dach zu bieten, unter dem die Kräfte wirkungsvoll gebündelt und Aktivitäten (z. B. Demonstrationen, Netzund Öffentlichkeitsarbeit) koordiniert werden, ohne dass die Einzelnen sich einer fixen Doktrin unterwerfen müssen." So fordert die Partei FREIE SACHSEN in ihrem Programm: "Mehr Autonomie und notfalls der Säxit". Die Überflüssigkeit der Demokratie und die Vorzugswürdigkeit diktatorischer Staatsformen suggeriert die Partei FREIE SACHSEN in ihrem Infoblatt über die Corona-Politik der Republik Belarus. So heißt es darin, dass es dort "ohne Lockdown ganz wunderbar geht" und stellt fest "Wenn ein 'Diktator' seinem Volk die Freiheit bewahrt, während uns die 'Demokraten' einsperren - wozu brauchen wir dann solche 'Demokraten'?" Strategie Ziel der FREIEN SACHSEN ist es derzeit, den Aufund Ausbau regionaler Strukturen im gesamten Freistaat Sachsen voranzutreiben. Sie veranstalteten zu diesem Zweck im Berichtsjahr regionale Stammtische, um sich gezielt zu vernetzen und neue Interessenten - aus dem extremistischen und dem nicht-extremistischen Spektrum - an sich zu binden. Neben dieser "realweltlichen" Vernetzung steht aber insbesondere die Vernetzung im Internet im Vordergrund. So verfügen die FREIEN SACHSEN inzwischen über einen Hauptund mehrere regionale TelegramKanäle sowie über jeweils einen Instagram-, Facebookund Twitteraccount. Die Gruppierung platzierte dort - zumindest vordergründig - aktuelle politische Themen. Insbesondere auf den verschiedenen Telegramkanälen wurde regelmäßig zur Teilnahme an den sachsenweit stattfindenden Anti-Corona-Veranstaltungen aufgerufen. Die Partei FREIE SACHSEN hat sich damit als Mobilisierungsplattform in den sozialen Medien für extremistische und nichtextremistische sog. "Anti-Corona-Spaziergänge" etabliert. Damit beförderte sie die fortschreitende Erosion der Abgrenzung zwischen Rechtsextremisten und gesellschaftlicher Mitte im Freistaat Sachsen maßgeblich. Im Berichtsjahr dominierte das Thema Corona das Aktionsgeschehen der FREIEN SACHSEN. Dennoch: klassisch rechtsextremistische Narrative prägten ebenfalls ihre politischen Bestrebungen. So griffen sie mit einer klar rechtsextremistischen Stoßrichtung auch die Migrationslage an der deutsch-polnischen Grenze auf. Organisatorisch war eine zunehmende Vernetzung mit weiteren rechtsextremistischen Akteuren feststellbar, denn die Partei FREIE SACHSEN versteht sich primär als eine Vernetzungsplattform für Rechtsextremisten. So äußerte Stefan HARTUNG in einem Interview: "...man wolle nicht mit der NPD oder dem 'III. Weg' konkurrieren, sondern verschiedene lokale und regionale Gruppen bündeln und einen 'sachsenweiten Dachverband' schaffen, um gemeinsame politische Ziele vorantreiben zu können. Weiter plane man, auf kommunaler Ebene in Stadträte und Kreistage einzuziehen." Seite 56 von 255 Weiter heißt es: "...man sei oft auf Demonstrationen unterwegs, um die dort vertretenen Gruppen zu bündeln und perspektivisch nicht nur auf der Straße, sondern auch auf politischer Ebene zu fördern und es dem politischen Gegner so möglichst schwer zu machen. Sich auf den Marktplätzen der Gemeinden zu versammeln und Spaziergänge durchzuführen habe sich mittlerweile etabliert." Die FREIEN SACHSEN weiteten ihren Aktionsradius noch im Gründungsjahr aus. Neben "Stammtischen" u. a in Döbeln (Mittelsachsen) und Leipzig gibt es auch Bestrebungen in Dresden, Sympathisanten von PEGIDA anzusprechen. Es ist damit offensichtlich, dass Martin KOHLMANN unter dem neuen Label FREIE SACHSEN seine bislang auf den Chemnitzer Raum begrenzten Aktivitäten auf den gesamten Freistaat ausweiten will. Den FREIEN SACHSEN kommt es zugute, dass sich insbesondere die NPD in einem desolaten Zustand befindet. Diese Rechtsextremisten können sich bei den FREIEN SACHSEN unter einem zunächst unverfänglichen Label neu zusammenfinden und ihre Schlagkraft erneut ausbauen. Das temporär arbeitsteilige Vorgehen der Partei FREIE SACHSEN mit der Partei DER DRITTE W EG im Vogtlandkreis spricht dafür, dass auch Teile des DRITTEN W EGES mit den FREIEN SACHSEN sympathisieren. Es gibt zudem Anhaltspunkte, dass sich Teile sowohl der NPD als auch der Partei DER DRITTE W EG in Sachsen mit den FREIEN SACHSEN zusammenschließen wollen. Das Wirken der FREIEN SACHSEN strahlt inzwischen auch auf andere Bundesländer aus. So verweisen die FREIEN SACHSEN auf ähnliche Telegram-Kanäle mit Bezügen zu anderen Regionen Deutschlands sowie auch auf "Spaziergänge" in Sachsen-Anhalt, Thüringen und weiteren Bundesländern. Aktivitäten Gründungsveranstaltung und Mitgliederversammlung Die FREIEN SACHSEN gründeten sich am 26. Februar 2021 in Schwarzenberg (Erzgebirgskreis). In Führungsfunktionen wurden die bekannten Rechtsextremisten Robert ANDRES (Chemnitz) und Stefan HARTUNG (Erzgebirgskreis) gewählt. Martin KOHLMANN übernahm den Vorsitz. So soll die Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ, deren Vorsitzender KOHLMANN ebenfalls ist, weiterhin auf die Stadt Chemnitz ausgerichtet sein. Die FREIEN SACHSEN verstehen sich hingegen als ein auf ganz Sachsen ausgerichteter Zusammenschluss. Ein erstmaliges öffentliches Nennen der BÜRGERBEWEGUNG PRO CHEMNITZ gemeinsam mit den FREIEN SACHSEN erfolgte im Rahmen einer Kranzniederlegung am 5. März zum Gedenken an die Bombardierung von Chemnitz im Zweiten Weltkrieg. Der niedergelegte Kranz zeigte die Aufschrift "Ratsfraktion PRO CHEMNITZ/FREIE SACHSEN". Die gleiche Bezeichnung trägt inzwischen auch die Fraktion im Stadtrat von Chemnitz, die insgesamt sechs Mitglieder umfasst. Die erste Landesmitgliederversammlung der FREIEN SACHSEN fand am 5. September mit mindestens 40 Teilnehmern in Bernsdorf (Landkreis Zwickau) statt. Öffentliche Kundgebungen Die erste von den FREIEN SACHSEN angemeldete Kundgebung fand am 20. März in Aue-Bad Schlema (Erzgebirgskreis) statt. Diese stand unter dem Motto "Maßnahmen-Wahnsinn beenden! Polit-Schwindler absetzen" und wurde von Stefan HARTUNG angemeldet. Dabei fanden sich deutlich mehr Personen ein als in der Versammlungsanmeldung benannt wurden. Die Polizei beabsichtigte, die zusätzlichen Personen mit Absperrgittern von der angemeldeten Veranstaltung fernzuhalten. Ein Teil der überzähligen Anwesenden akzeptierte diese polizeiliche Maßnahme Seite 57 von 255 jedoch nicht und überwand bzw. durchbrach die Absperrungen, um sich unter die anderen Teilnehmer zu mischen. Der Versammlungsleiter kam der Aufforderung der Polizei nach, die Veranstaltung zu beenden. Dessen ungeachtet führten die Teilnehmer im Anschluss an die Kundgebung eine nicht genehmigte Demonstration durch die Innenstadt von Aue-Bad Schlema durch. Mit der Kundgebung ist es der Partei FREIE SACHSEN innerhalb kürzester Zeit nach ihrer Gründung gelungen, bis zu 1.000 Personen, darunter auch Angehörige der rechtsextremistischen Partei DER DRITTE W EG, zu mobilisieren. Aufgrund des Demonstrationsgeschehens im Mai in Zwönitz und den damit einhergehenden gewalttätigen Ausschreitungen kam es am 21. Mai zu einem Besuch und einem Gespräch des Ministerpräsidenten mit Bürgern. Stefan HARTUNG meldete für die FREIEN SACHSEN am selben Tag eine Versammlung an. Bereits im Vorfeld hatte er den Ministerpräsidenten zu einem Gespräch aufgefordert. So hieß es: "In dem Wissen, dass wir die besseren Argumente zu bieten haben, wollen wir auch mit denen ins Gespräch kommen, die das anders sehen. Nur so kann eine freiheitliche Gesellschaft auch wirklich funktionieren. Wir hoffen daher sehr darauf, dass wir folgende eingeladene Mitdiskutanten auf dem Marktplatz zum gemeinsamen argumentativen Schlagabtausch begrüßen werden dürfen [...] Bereits um 15:30 soll der MP Michael Kretschmer zu Gast in dem Brauereigasthof sein, wo er auf exklusiv auserwähltes Publikum treffen und mit ihnen 'sprechen' wird. Wir sagen ganz klar: Ein richtiger und glaubwürdiger Ministerpräsident hätte den Schneid, vor allen seinen Bürgern in der Öffentlichkeit zu sprechen!" Zu einem Aufeinandertreffen von HARTUNG mit dem sächsischen Ministerpräsidenten kam es nicht. Auf der Versammlung, an der ca. 350 Personen teilnahmen, hielten Stefan HARTUNG, Martin KOHLMANN und ein Rechtsextremist aus Sachsen-Anhalt Reden. Am 13. September kam es zu einer von den FREIEN SACHSEN angemeldeten Kundgebung in Dresden, die mit einer PEGIDA-Kundgebung in örtlichem Zusammenhang stand. So hatten die FREIEN SACHSEN ebenfalls auf dem Wiener Platz einen Informationstisch aufgebaut. Ihre Vertreter nahmen im Anschluss vereinzelt an der PEGIDA-Veranstaltung teil. Ein geschlossenes und öffentlichkeitswirksames Zusammengehen oder Solidaritätsbekundungen seitens der FREIEN SACHSEN mit PEGIDA waren indes zu diesem Zeitpunkt nicht feststellbar. Anlässlich des 7. Jahrestages von PEGIDA am 17. Oktober waren die FREIEN SACHSEN am Rande der PEGIDA-Versammlungsfläche ebenfalls mit einem Informationsstand präsent. Anhänger der FREIEN SACHSEN und etwaige Interessenten begaben sich vereinzelt zur PEGIDA-Veranstaltung. Eine weitere als Demonstration geplante Veranstaltung fand am 7. November in Schneeberg statt. An der als stationäre Kundgebung genehmigten Veranstaltung beteiligten sich mehr als 800 Personen. Als Redner traten der Anmelder Stefan HARTUNG sowie der Vorsitzende der Partei FREIE SACHSEN, Martin KOHLMANN, auf. Die Rede KOHLMANNs hatte eine eindeutig rechtsextremistische Stoßrichtung. KOHLMANN griff - wie bereits in früheren Reden - auf eine sehr bildhafte Sprache zurück. So setzte er die politischen Institutionen und deren Vertreter mit einem "faulen Baum" und deren Politik mit "faule(n) Früchte(n)" gleich, welche man hier jeden Tag "fressen" müsse. Die anwesenden Teilnehmer goutierten diese Ausführungen lautstark. KOHLMANN zeichnete dieses Bild weiter und äußerte lautstark, dass man diesen Baum nicht stutzen könne: "Dieser Baum gehört gefällt! [...] Um das muss es gehen und nicht weniger". KOHLMANN machte mittels dieses Vergleiches klar, dass es ihm nicht um einzelne Politiker oder Programme geht, die er in seiner Rede kritisieren wollte. Vielmehr zielte er damit auf das "System" als solches ab, das er "'überwinden' wolle. Seine mit Gewaltbezügen versetzte Sprache lässt vermuten, dass er auch den Einsatz gewalttätiger Mittel zumindest nicht ausschließen will. In seiner Rede griff KOHLMANN nicht zuletzt auch auf Elemente von Verschwörungstheorien zurück. So Seite 58 von 255 forderte er die "Zurückgewinnung" politischer Souveränität und rief zum "Widerstand" gegen das "verbrecherische System" auf. Verschwörungstheorien mit ihrer katalysatorischen Wirkung sind fester Bestandteil in der Agitation von Verfassungsfeinden. Wie bereits im Jahr 2018 im Anschluss an ein Tötungsdelikt in Chemnitz, schaffte es KOHLMANN auch in dieser aktuellen Situation, die Ängste der Zuhörerschaft zu bedienen und diese durch rechtsextremistische Stereotype und Verschwörungstheorien zu katalysieren. Dabei gelang es ihm, auch zahlreiche nicht-extremistische Zuhörer erfolgreich anzusprechen. Eine erkennbare Distanzierung der Protestteilnehmer vom Redeinhalt des Rechtsextremisten KOHLMANN fand an diesem Abend nicht statt, was als ein Beleg für die Erosion der Abgrenzung eines Teils der gesellschaftlichen Mitte vom Rechtsextremismus gewertet werden kann. Eine Vielzahl der Aktivitäten stand im Kontext der Corona-Maßnahmen. So sahen die FREIEN SACHSEN in den sog. "Montagsprotesten" "...Orte der Vernetzung des Bürgerprotestes und ein Zeichen einer kontinuierlichen 'Grundunruhe', die in Sachsen (spätestens seit dem Jahr 2015) [herrsche] und aus der heraus jederzeit wieder große Massenmobilisierungen entstehen können. Die Protestbewegung muss flexibler werden, um über den Montag hinaus kurzfristig und anlassbezogen zu mobilisieren." Protestgeschehen im Zusammenhang mit der Migrationsthematik Zu den von Rechtsextremisten organisierten "Bürgerstreifen" an der deutsch-polnischen Grenze äußerten sich die FREIEN SACHSEN in den sozialen Medien positiv. Am 29. Oktober planten sie zudem eine Versammlung auf der Bundesautobahn A4 bei Görlitz unter dem Motto "A4 als Schleuserroute stoppen". Die Veranstaltung wurde von der Versammlungsbehörde untersagt. Das Verwaltungsgericht Dresden und das Oberverwaltungsgericht Bautzen bestätigten das Verbot. Die FREIEN SACHSEN bewerteten die abgesagte Aktion dennoch als Erfolg. So hieß es in den sozialen Medien: "Unser Ziel, Aufmerksamkeit für die ungebremste Asyleinwanderungswelle zu schaffen, haben wir durch die zahlreichen Medienberichte bereits jetzt erreicht. Dennoch muss Widerstand auch praktisch bleiben: Seit Tagen gibt es zahlreiche Grenzstreifen von verschiedensten Initiativen, z. B. der @aktionsgruppezittau, der @ibsachsen oder @infosachsen ... Jeder sollte die Aktivisten an der Grenze unterstützen und selbst tätig werden." Stammtischtreffen Seit August 2021 führen die FREIEN SACHSEN in unterschiedlichen sächsischen Kommunen und Regionen sog. Stammtische durch, u. a in Leipzig, Döbeln, Freiberg, der Lausitz und der Sächsischen Schweiz. Diese Stammtische dienen der regionalen Vernetzung und einer künftigen Zusammenarbeit. So sollen dort "Einzelaktivisten oder andere Bürgerbewegungen" zusammengebracht werden. Bei der Durchführung dieser Treffen wurden die FREIEN SACHSEN teilweise auch von "Aktivisten" der NPD unterstützt. Antritt zu Kommunalwahlen Zur Oberbürgermeisterwahl in Plauen trat - mit mäßigem Erfolg - erstmals ein eigener Wahlkandidat für die Partei FREIE SACHSEN an. Als Wahlkandidat zur Landratswahl im Erzgebirgskreis am 12. Juni 2022 soll Stefan HARTUNG antreten. Seite 59 von 255 Es wird im Jahr 2022 verstärkt damit zu rechnen sein, dass bei den anstehenden Bürgermeisterwahlen auch in kleineren Ortschaften Kandidaten für die FREIEN SACHSEN antreten werden. So veröffentlichten sie auf ihrem Telegramkanal eine Art Leitfaden für eine Kandidatur bei Bürgermeisterwahlen und boten eine aktive Unterstützung der Wahlkandidaten an. "Die Bürgermeister... sind das Fußvolk der Regierung. (...) Deshalb ist es wichtig, dass einfache Bürger diese Ämter übernehmen. Die Chancen stehen gut, denn der Rückhalt der Blockparteien bröckelt immer weiter." Finanzierung auch über einen eigenen Online-Shop Ende Juni 2021 stellten die FREIEN SACHSEN einen eigenen Online-Shop im Internet bereit. In diesem werden neben Bannern und Plakaten für Versammlungen auch Schals und Tassen angeboten. Neben Mitgliedsbeiträgen und Spenden dürfte dieser Online-Shop als Einnahmequelle der FREIEN SACHSEN dienen. Darüber hinaus bitten die FREIEN SACHSEN auf ihren Telegramkanälen regelmäßig um finanzielle Unterstützung für die "Konstante der Bürgeropposition in Sachsen" und "einen stetigen Professionalisierungsprozess". Regionale Ausprägung Ihren Ursprung haben die FREIEN SACHSEN im Raum Chemnitz/Erzgebirge, wo der Schwerpunkt ihrer Aktivitäten liegt und sie gut vernetzt sind. Regional bemühten sie sich im Berichtsjahr um den Ausbau ihrer Strukturen. Zwar existieren flächendeckend eigene regionale Telegramkanäle, eine vergleichbare personelle Untersetzung dieser regionalen Strukturen in der "Realwelt" ist indes bislang nicht festzustellen. Bewertung / Tendenzen Die FREIEN SACHSEN verstehen sich seit ihrer Gründung als "Sammlungsbecken aus verschiedensten freiheitlichen und patriotischen Initiativen". Es ist der Partei innerhalb kürzester Zeit gelungen, neben verschiedenen extremistischen Akteuren auch die gesellschaftliche Mitte zu erreichen. Über die Anti-Corona-Proteste, die Asylthematik und schlussendlich jedes beliebige Thema mit Empörungspotenzial (z. B. Klimapolitik) könnten sich die FREIEN SACHSEN dauerhaft als mobilisierungsstarkes Sammelbecken für die verbliebenen Mitglieder und Sympathisanten der NPD oder anderer rechtsextremistischer Gruppierungen herauskristallisieren sowie auch nichtextremistische Personenkreise dauerhaft ansprechen. Angesichts der fortdauernden Pandemielage und der Diskussion über die Einführung einer Impfpflicht muss mit einer weiteren Zunahme des Protestgeschehens und dessen zunehmender Radikalisierung sowie mit der anhaltenden Instrumentalisierung dieses Themas durch Rechtsextremisten gerechnet werden. Wenn auch nicht zwingend auf der Straße, so sind die FREIEN SACHSEN jedenfalls in den sozialen Medien immer deutlicher der Treiber des hiesigen Protestgeschehens und werden dies auch künftig sein. Des Weiteren werden sie ihren Fokus darauf legen, ihre Strukturen sachsenweit auszubauen sowie die bestehenden Strukturen zu festigen. Seite 60 von 255 2.4 Parteiungebundene Strukturen 2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE ist gekennzeichnet durch eine auf dem historischen Nationalsozialismus fußende Weltanschauung. Sie unterscheidet sich vom parteigebundenen Rechtsextremismus in der Organisationsform. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind der bei NEONATIONALSOZIALISTEN stärker ausgeprägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes der NEONATIONALSOZIALISTEN. Sitz sachsenweit; Schwerpunkte in den Regionen Chemnitz, Dresden und Leipzig Gründung / Bestehen seit bundesweit: 1970er Jahre Publikationen bundesweit: u. a. N.S. HEUTE, NORDISCHE ZEITUNG Sachsen: keine Internetauftritte wechselnde Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und MessengerDiensten Personenpotenzial 2021 2020 Sachsen 600 600 Finanzierung Beiträge der Anhänger, Spenden, Unkostenbeiträge bei Vortragsveranstaltungen, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. ä. Kurzportrait / Ziele NEONATIONALSOZIALISTEN sind vor allem durch eine positive Bezugnahme auf das sog. "Dritte Reich" gekennzeichnet. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene sind sie am stärksten ideologisch geprägt. Organisatorisch sammeln sie sich in "Kameradschaften" oder informellen Gruppen. Die strukturelle Bindung ist jedoch in den vergangenen Jahren zugunsten digitaler Vernetzungen schwächer geworden. Seite 61 von 255 Relevante Ereignisse und Entwicklungen Öffentlichkeitswirksame Aktionen waren 2021 durch die Corona-Beschränkungen nur begrenzt möglich. Die einzige Demonstration der neonationalsozialistischen Szene im Freistaat Sachsen mit einer hohen Teilnehmerzahl fand am 13. Februar in Dresden statt. NEONATIONALSOZIALISTEN beteiligten sich gemeinsam mit Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien an verschiedenen Protestversammlungen i. Z. m. der Corona-Pandemie. Ideologie NEONATIONALSOZIALISTEN orientieren sich ideologisch maßgeblich an der Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus und stellen den ideologisch sehr gefestigten Teil der rechtsextremistischen Szene dar. Kern neonationalsozialistischer Überzeugungen sind Geschichtsrevisionismus bis hin zur Holocaustleugnung, Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Diese Ideologieelemente stehen im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für NEONATIONALSOZIALISTEN ist die Demokratie "die Herrschaft der Minderwertigen". Der Staat soll nach ihren Vorstellungen stattdessen autoritär nach dem "Führerprinzip" regiert werden. Die "Volksgemeinschaft" zeichne sich durch die Überlegenheit von "Weißen" - der "arischen Rasse" - aus. Zuwanderung und Integration werden von NEONATIONALSOZIALISTEN als Angriff auf die "biologische Substanz des deutschen Volkes" gewertet. Gewalt wird als ein legitimes und gebotenes Mittel der politischen Auseinandersetzung angesehen. NEONATIONALSOZIALISTEN stellen mit ihrer Orientierung am historischen Nationalsozialismus den ideologisch entschiedensten Teil der Szene dar und zählen damit zu den überzeugtesten Gegnern des demokratischen Rechtstaates innerhalb des Rechtsextremismus. Strategie Nach den Verboten der NATIONALEN SOZIALISTEN DÖBELN im Jahr 2013 und den NATIONALEN SOZIALISTEN CHEMNITZ (NSC) im Jahr 2014 haben neonationalsozialistische Gruppierungen aufgrund einer weiter fortschreitenden Digitalisierung ihre bestehenden Organisationsstrukturen weitgehend aufgegeben. Statt hierarchisch strukturierter Kameradschaften oder Gruppen des "Nationalen Widerstands" dominieren jetzt virtuelle Kennverhältnisse vor Ort. Nur in Einzelfällen gibt man sich nach außen hin noch ein Label - und dies häufig auch nur aus propagandistischen Gründen. Stattdessen strukturiert sich die Szene beispielsweise über Kampagnen und Szeneveranstaltungen. So kann sie die eigene Flexibilität erhöhen und sich gleichzeitig staatlichen Exekutivmaßnahmen leichter entziehen. Einzelne NEONATIONALSOZIALISTEN versuchen darüber hinaus, szeneintern neue Impulse zu setzen und bedienen sich moderner Medien, wie z. B. YouTube, Twitter, Telegram und Instagram. In den Videos und Podcasts unter Namen wie "Der Dritte Blickwinkel" oder "Avantura" wird die rechtsextremistische Ausrichtung der Beiträge - unter dem Deckmantel intellektueller Aufarbeitung - oft nur unterschwellig vermittelt. Dennoch greift die Szene weiterhin auch auf klassische Medien zurück. Die Zeitschrift N.S. HEUTE des Dortmunder Neonationalsozialisten Sascha KROLZIG präsentiert sich diesbezüglich als weltanschaulicher Wegweiser der Szene. Seite 62 von 255 Im Rahmen einer im Jahr 2019 begonnenen Strategiedebatte diskutierte die Szene, ob sie bei ihrem außenwirksamen Auftreten künftig mehr auf ihre ideologische Anschlussfähigkeit auch bei NichtExtremisten achten solle oder ob die "reine Gesinnung" höchster Wert bleiben müsse. Im Sinne des erstgenannten Ansatzes konzentrierte sich die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE fortan auf Aktivitäten im "vorpolitischen und nicht zwingend extremistischen Raum": "Wenn wir nicht anfangen, alle nur denkbaren Bereiche von Sportvereinen, Schützenvereinen, Boxund Kampfsportschulen, staatlichen Strukturen, gegnerischen Strukturen etc. zielgerichtet zu unterwandern, [...] werden wir auch weiterhin marginalisiert bleiben und nichts verändern können." Dementsprechend haben sich NEONATIONALSOZIALISTEN - ebenso wie andere rechtsextremistische Gruppierungen - darauf fokussiert, "Alltagssorgen" der Menschen sowie die öffentliche Diskussion bestimmende Debatten aufzugreifen und für die eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren. Angestrebt wird die Gründung nicht-extremistischer Strukturen (z. B. Vereine) eigens für ein bestimmtes Thema von gesellschaftlicher Relevanz, wie Asyl, Drogenkonsum, innere Sicherheit oder bestimmte regionale Themen. Auf diese Weise sollen extremistische Ansichten in die Mitte der Gesellschaft transportiert werden. Die genannten Themen sind für weite Teile der Bevölkerung von großem Interesse und bieten Rechtsextremisten eine passende Bühne für die mitunter subtile Verbreitung ihrer Ziele. So sollen die jeweiligen rechtsextremistischen Akteure vor allem bei der örtlichen Bevölkerung Akzeptanz erlangen und durch die "Einsickerungsbemühungen" neue Kreise der Gesellschaft für ihre verfassungsfeindlichen Anliegen erschließen. Mit Beginn der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Alltagseinschränkungen für die Bevölkerung instrumentalisierten auch NEONATIONALSOZIALISTEN diese Entwicklungen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele und stellten sich als sog. "Kümmerer" und Kämpfer für "Freiheit" sowie gegen "Diktatur" dar. Mit den genannten Strategien versuchen NEONATIONALSOZIALISTEN sowohl auf versteckte als auch auf offenkundige Art und Weise innerhalb und außerhalb der rechtsextremistischen Szene ein positives Bild über das sog. "Dritte Reich" zu vermitteln. Sie wollen damit die Geschichte umdeuten bzw. die Verbrechen des NS-Regimes relativieren oder gänzlich leugnen und auch für nicht extremistische Kreise anschlussfähig sein. Strukturen Der oben beschriebene Trend der Verringerung fester Strukturen in der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE hält weiter an. Gleichzeitig entschieden sich in den vergangenen Jahren vor allem Führungspersonen der Szene häufig für den Eintritt in eine rechtsextremistische Partei, wie in die NPD bzw. in deren Jugendorganisation JN oder in die Partei DER DRITTE WEG, um im Schutze des im Grundgesetz festgeschriebenen Parteienprivilegs (Art. 21 GG) die eigenen Aktivitäten fortzuführen. Im Zuge der aufbrechenden, festen Szenestrukturen gewinnen schnell einzurichtende offene und geschlossene Gruppen und Foren in internetbasierten Messenger-Diensten und sozialen Medien aus den oben dargestellten Gründen weiter an Bedeutung. Die virtuellen Vernetzungsmöglichkeiten der Szene ergänzen das Gemeinschaftsgefühl und die Gruppenzugehörigkeit. Weiterhin etabliert sich das Internet in der Szene zunehmend als zentrales Medium, um auch in kurzer Zeit eine große Anzahl von Anhängern zu erreichen und zu mobilisieren. In der Realwelt blieben dagegen nur wenige der in Sachsen neu gegründeten neonationalsozialistischen Strukturen auch öffentlich sichtbar aktiv. Die Mitte 2019 von einem im Landkreis Zwickau Seite 63 von 255 bekannten und aktiven Rechtsextremisten zunächst als Medienprojekt gestartete JUNGE REVOLUTION sowie andere Strukturen wie KOPFSTEINPFLASTER oder die ERZLICHTER traten bereits nach kurzer Zeit nicht mehr in Erscheinung. Oftmals bestimmen persönliche Kennverhältnisse der Aktivisten untereinander die Aktionen, ohne dass diese in einen festen, dauerhaften Personenzusammenschluss münden. Teilweise konzentrieren sich Szeneanhänger dabei auf bestimmte Plattformen in sozialen Netzwerken, wie es etwa bei "Balaclava Graphics" aus dem Landkreis Bautzen der Fall ist. Auch im Rahmen regelmäßiger Veranstaltungsreihen können sich feste Personenkreise bilden, die immer wieder in Erscheinung treten. Rechtsextremistische Netzwerke mit Bezügen u. a. zur NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE werden zudem durch die gezielte gemeinsame Ansiedlung von Rechtsextremisten im ländlichen Raum gebildet. Die in der medialen Berichterstattung als "Völkische Siedler" bezeichneten Rechtsextremisten pflegen eine naturorientierte ländliche Lebensweise auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie. In Sachsen ist insbesondere eine Ansiedlung von einzelnen untereinander eng verbundenen Rechtsextremisten mit ihren Familien im Landkreis Mittelsachsen bekannt. Seit Februar 2020 werben Rechtsextremisten auch unter dem Label "Initiative Zusammenrücken" für weitere Ansiedlungen im mitteldeutschen Raum. Innerhalb dieses völkisch-rassistischen Milieus erhebt die seit 1951 bestehende ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENSGEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßER LEBENSGESTALTUNG E.V. (Sitz: Berlin) einen Führungsanspruch. Kennzeichnend für die ARTGEMEINSCHAFT ist die Anerkennung des Führerprinzips, die Forderung nach Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft wie auch die Verpflichtung zur Reinheit der Rasse bzw. Art. An den in Ilfeld (Thüringen) stattfindenden "Gemeinschaftstagungen" der Organisation nehmen regelmäßig auch Personen aus Sachsen teil. Mit ihren Schriften und Veranstaltungen bietet die ARTGEMEINSCHAFT den nötigen Raum, um NEONATIONALSOZIALISTEN und deren Familien an die Szene zu binden und rassistische Überzeugungen weiterzugeben. Für die Betreuung inhaftierter Rechtsextremisten trat im Jahr nach dem im Jahr 2011 vollzogenen Verbot der HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE UND POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. (HNG) die GEFANGENENHILFE (GH) in Erscheinung. Die GH ist ein in Schweden eingetragener Verein, dessen Hauptanliegen die finanzielle Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Familien ist ("Gemeinschaft statt Isolation"). Durch diese "Gefangenenbetreuung" sollen die Inhaftierten weiterhin an die rechtsextremistische Szene gebunden werden. Die Hilfsorganisation informiert in Internetkanälen über Gefangene und bietet ein Postfach in Schweden an, über das man an Gefangene oder Anwälte anonym Briefe versenden kann. In Sachsen werben Mitglieder der Organisation insbesondere bei szeneinternen Veranstaltungen um Spenden. So beteiligte sich diese Organisation am 3. Juli mit einem Informationsstand am Sommerfest der NPD in Riesa. Aktivitäten Die politische Betätigung spielt für Angehörige der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE eine wichtige Rolle. Ihr klassisches Aktionsportfolio umfasst Demonstrationen, Kundgebungen, interne Szeneveranstaltungen und Propagandaaktionen (z. B. Propagandastraftaten und die Verteilung von Flyern). Diese Aktionsformen werden je nach Anlass thematisch eingesetzt und ggf. miteinander kombiniert. Aufgrund der nicht mehr - wie in früheren Jahren - vorhandenen organisatorischen Festigkeit der Szene sind diese Veranstaltungen als "Sammlungspunkte" wichtig, um über die sozialen Medien hinaus weiterhin miteinander verbunden und handlungsfähig zu bleiben. Seite 64 von 255 Demonstrationen Demonstrationen waren für die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE lange Zeit das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich gleichzeitig als Bewegung zu präsentieren. Hinsichtlich ihrer Größe und Bedeutung herausragend sind die jährlichen "Trauermärsche" anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung der Stadt Dresden am 13. Februar 1945. Allerdings ist festzustellen, dass die Anzahl der Demonstrationen der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE in den vergangenen Jahren stark zurückgegangen ist. Der Rückgang im Jahr 2021 ist dabei auch auf die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zurückzuführen. NEONATIONALSOZIALISTEN beteiligten sich aber dennoch gemeinsam mit einzelnen Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien an verschiedenen Versammlungen im Zusammenhang mit den CoronaProtesten. Veranstaltungen im Zusammenhang mit den "Corona-Protesten" NEONATIONALSOZIALISTEN fielen in der Öffentlichkeit regelmäßig durch die Beteiligung an diversen Corona-Protestveranstaltungen in verschiedenen sächsischen Orten auf. Dies wurde beispielsweise bei den Veranstaltungen am 1. Februar in Oelsnitz, am 20. Februar in Annaberg-Buchholz und bei weiteren regelmäßig stattfindenden Protestaktionen im Freistaat deutlich. Diese Veranstaltungen wurden zwar meist von nicht-extremistischen Akteuren organisiert, doch das Berichtsjahr zeigte, dass Rechtsextremisten die Corona-Pandemie auch für ihre verfassungsfeindliche Agenda nutzten und sich entsprechend an den Protesten beteiligten. "Heldengedenken" 2021 Oft kleiner angelegt sind traditionell die "Heldengedenken". Dabei werden die in den Weltkriegen Gefallenen als "Helden" und "Kämpfer" im Sinne der rechtsextremistischen Ideologie propagandistisch vereinnahmt. Diese Gedenkveranstaltungen finden vor allem um den "Volkstrauertag" im November statt. Im Berichtsjahr wurden sachsenweit verschiedene kleinere "Gedenkaktionen" von NEONATIONALSOZIALISTEN, der Partei DER DRITTE W EG, der NPD sowie deren Jugendorganisation JN ausgerichtet. Dabei handelte es sich meist um Propagandaaktionen an verschiedenen Denkmälern, an denen Personenpotenziale im einstelligen bis unteren zweistelligen Bereich zu verzeichnen waren. Eine größere Veranstaltung mit bis zu 100 Teilnehmern fand im November in Göda (Landkreis Bautzen) statt. Diese "Gedenkveranstaltungen" werden regelmäßig genutzt, um die Verbrechen der Nationalsozialisten zu verharmlosen und die damaligen Kriegsgegner zu diffamieren. Dabei werden die Verbrechen des NS-Regimes ausgeblendet und stattdessen ausschließlich die "alliierten Kriegsund Nachkriegsverbrechen" in den Mittelpunkt gerückt. Diese Aktivitäten gehören damit zu den revisionistischen Ideologieelementen der regionalen NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE. Sie sind für deren Zusammenhalt von besonderer Bedeutung. "Zeitzeugenvorträge" "Zeitzeugenvorträge", bei denen Personen auftreten, die in der Zeit des historischen Nationalsozialismus sozialisiert wurden und ihre Lebenserinnerungen schildern, sind ein wichtiges Instrument, um die rechtsextremistische Ideologie und Agitation historisch zu legitimieren. In Sachsen fanden in den vergangenen Jahren einige "Zeitzeugenvorträge" statt. Im Berichtsjahr wurden hingegen keine derartigen Veranstaltungen öffentlich bekannt. Obwohl die Vorträge weitgehend nur szeneintern beworben werden, ziehen sie Besucherzahlen im unteren dreistelligen Bereich an. Die Veranstaltungen, an denen Rechtsextremisten aus den verschiedenen Spektren teilnehmen, bieten zudem Gelegenheit, Kennverhältnisse herauszubilden oder auszubauen und damit die Vernetzung der Szene zu Seite 65 von 255 verbessern. Da aus der sog. "Erlebnisgeneration" der NS-Zeit heute nur noch wenige "Zeitzeugen" als Vortragende bei rechtsextremistischen Veranstaltungen aktiv sind, treten inzwischen auch deutschlandweit bekannte Rechtsextremisten aus der "ersten Generation" der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE mit teils erheblicher militanter Vergangenheit als Vortragende auf. Kampfsportveranstaltungen Das Interesse von NEONATIONALSOZIALISTEN am Kampfsport ist unverändert hoch. KampfsportEvents werden immer häufiger professionell veranstaltet und führen durch die Teilnahme ausländischer Kämpfer zu einer europaweiten Szenevernetzung. Hinter den Veranstaltungen ("TIWAZ - Kampf der freien Männer" und "Kampf der Nibelungen") steht ein sich teilweise überschneidendes, überregionales und teils international agierendes Personengeflecht von Organisatoren aus der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE, aber auch aus anderen Spektren des Rechtsextremismus.34 Kampfsport dient im Rahmen entsprechender Events jedoch nicht nur dem wettbewerbsmäßigen Kräftemessen sowie der engen Vernetzung und der Kontaktpflege innerhalb der Szene, sondern grundsätzlich insbesondere dem körperlichen Training und der Ertüchtigung für den Kampf gegen den politischen Gegner. Im Berichtsjahr wurden aufgrund der Corona-Beschränkungen keine rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen durchgeführt. Regionale Ausprägung Seit Jahren stellt der 13. Februar als Gedenktag für die Bombardierung der Stadt Dresden im Jahr 1945 landesund bundesweit das Hauptereignis im Rahmen des "historischen Gedenkens" der rechtsextremistischen - vor allem aber der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE - dar. Aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Beschränkungen war die Versammlung im Berichtsjahr nur als stationäre Kundgebung genehmigt worden. Trotz der Planungsunsicherheit und einer im Vergleich zu den beiden Vorjahren geringeren Mobilisierung nahmen ca. 790 Teilnehmer (2019: 1.500; 2020: 1.300) an der Veranstaltung teil. Die relativ hohe Teilnehmerzahl ist auf die erstmalige Beteiligung der Partei DER DRITTE WEG zurückzuführen, die mit 170 Personen vor Ort war. In den vergangenen Jahren hatte DER DRITTE WEG jeweils zu einer eigenen Veranstaltung unter dem Motto "Ein Licht für Dresden" mobilisiert. Zu den Rednern während der Veranstaltung am 13. Februar in Dresden gehörten neben dem Versammlungsleiter Maik MÜLLER u. a. der Bundesvorsitzende der JUNGEN NATIONALISTEN (JN), Paul RZEHACZEK, sowie der Vorsitzende der Partei DER DRITTE W EG, Klaus ARMSTROFF. Des Weiteren wurden Grußworte von europäischen Rechtsextremisten verlesen. Die Redner forderten einen offiziellen Gedenktag für die Opfer des Bombenangriffs. Der 13. Februar bleibt trotz der Einschränkungen durch die Corona-Maßnahmen im Berichtsjahr das Hauptereignis "historischen Gedenkens" der rechtsextremistischen Szene in Sachsen mit bundesweiter Beteiligung. Hervorzuheben ist die erstmalige Beteiligung der Partei DER DRITTE W EG an dieser Veranstaltung der NEONATIONALSOZIALSTEN in Dresden. Hier hat offensichtlich ein Umdenken seitens des Veranstalters stattgefunden, der in den zurückliegenden Jahren die Beteiligung der Partei ablehnte. Die NEONATIONALSOZIALISITISCHE SZENE im Landkreis Bautzen verfügt über Strukturen in Bautzen und Hoyerswerda. Maßgeblich beeinflusst wird sie durch einen bekannten Rechtsextremisten aus dem Raum Bautzen, der seit mehreren Jahren Online-Plattformen u. a. für die Mobilisierung zu Aktivitäten zur Verfügung stellt. Erst unter der Bezeichnung "Stream BZ", später unter "Balaclava 34 vgl. Beitrag II.2.5 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Seite 66 von 255 Graphics" wurde auch im Berichtsjahr in den sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram, YouTube) für Veranstaltungen geworben und über diese berichtet. Die Szene nutzt die Plattformen für entsprechende Kommentare. Weiterhin bietet der Rechtsextremist überregional die grafische Gestaltung von Werbe-Flyern und Covern an, die u. a. von rechtsextremistischen Bands genutzt werden. Im Berichtsjahr teilte "Balaclava Graphics" über ihren eigenen Telegramkanal den Aufruf für den alljährlichen Trauermarsch am 13. Februar in Dresden. Auch für die regelmäßig durchgeführten Corona-Proteste in Bautzen, beispielsweise im Dezember 2021, wurde im Vorfeld mobilisiert und anschließend über das Veranstaltungsgeschehen mit Bildund Videomaterial bei Telegram berichtet. Diese Mobilisierungsaufrufe zeigen, dass Rechtsextremisten auch 2021 versuchten, das nicht-extremistische Versammlungsgeschehen für die Verbreitung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele zu missbrauchen Weiterhin führte die NEONATIONALSOZIALISITISCHE SZENE im Raum Bautzen auch im Berichtsjahr eine sog. "Gedenkveranstaltung" durch, an der bis zu 100 Personen teilnahmen. Diese fand am Volkstrauertag auf dem Soldatenfriedhof in Göda statt. Im Landkreis Mittelsachsen führten seit dem 12. April bekannte Rechtsextremisten regelmäßig montags die Veranstaltung "Wir wollen leben" in Leisnig durch. Ziel war es, gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu protestieren. Mit dieser "Veranstaltungsreihe" traten der Veranstalter sowie der Versammlungsleiter erstmals seit ihrem Zuzug aus Westdeutschland öffentlich in dieser Region in Erscheinung. Aufgrund von sinkenden Teilnehmerzahlen infolge der Lockerungen der von den Veranstaltern kritisierten CoronaMaßnahmen entschied man sich, letztmalig eine Abschlussveranstaltung am 13. Juni durchzuführen. 2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IB) - REGIONALGRUPPE SACHSEN Sitz: Salzkotten (Nordrhein-Westfalen) Gründung: Oktober 2012, seit 2014 eingetragener Verein Leitung / Vorsitz: Philip THALER (Sachsen-Anhalt) Teil-/ Nebenorganisationen REGIONALGRUPPE SACHSEN mit den ORTSGRUPPEN BAUTZEN, in Sachsen: CHEMNITZ, DRESDEN, GÖRLITZ und LEIPZIG Publikationen: IB-Rundbrief Internetauftritte u. a.: Internetseite der IDENTITÄREN BEWEGUNG DEUTSCHLAND, wechselnde Profile in den sozialen Medien Seite 67 von 255 Personenpotenzial / 2021 2020 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 50 ca. 40 Über diese aktiven Mitglieder hinaus verfügt die IB über zahlreiche Unterstützer, insbesondere in den sozialen Medien. Finanzierung: Mitgliedsbeiträge, Spenden Kurzportrait / Ziele: Die IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IB) trat erstmals im Oktober 2012 virtuell in Erscheinung. Seit 2014 ist sie ein eingetragener Verein in Deutschland. Sie sieht sich selbst als "außerparlamentarische patriotische Jugendbewegung". Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Vorstellung einer "ethnokulturellen Identität" der europäischen Völker, die durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht sei. Ein maßgeblicher Indikator des behaupteten "Großen Austauschs" sei die "Islamisierung Europas". Die IB ist daher bestrebt, ein Netzwerk des modernisierten Rechtsextremismus zu schaffen, um mit islamund fremdenfeindlichen Aktionen öffentliche Räume bzw. Debatten zu besetzen. Relevante Ereignisse und regelmäßige Teilnahme von IB-Anhängern an PEGIDA-VerEntwicklungen 2021: anstaltungen in Dresden (ganzjährig) Teilnahme sächsischer IB-Anhänger an der Demonstration "Pour la Liberte" der französischen Bewegung "Generation Identitaire" am 20. Februar in Paris Plakataktion im Rahmen der bundesweiten IB-Kampagne "Gedankenverbrecher" am 15. Juni in Mittweida Gründung einer weiteren ORTSGRUPPE in Dresden im September Beteiligung an verschiedenen Corona-Protest-Veranstaltungen in Sachsen (ganzjährig) "Identitäre Grenzgänge" am 23. und 25. Oktober sowie am 6. November in Görlitz Ideologie Gemäß ihrer Satzung verfolgt die IB das Ziel, "die Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern". Das Verwaltungsgericht München stellte in seinem Beschluss vom 27. Juli 201735 bei der IB eine offenkundige fremdenfeindliche Tendenz und eine Nähe zur Programmatik der "Konservativen 35 Beschluss des Verwaltungsgerichts München, Az.: M 22 E 17.1861 Seite 68 von 255 Revolution"36 fest, welche in Teilen auch völkische Thesen vertrat. Leitmotive ihrer Öffentlichkeitsarbeit sind die Schlagworte "Remigration", "Bevölkerungsaustausch stoppen" und "Reconquista"37. Auch lässt sich eine Nähe zum Volksbegriff-Konzept "altrechter" Parteien wie der NPD erkennen. So sind Menschen auch für die IB mit einer festen, unabänderlichen Prägung (Identität) ausgestattet. Sie betont jedoch das Konzept des "Ethnopluralismus". Hier ist allerdings kein ethnischer Pluralismus innerhalb eines Landes gemeint, sondern eine strikte und damit unter Verletzung von Grundrechten autoritär durchzusetzende strikte Trennung der Ethnien in jeweils unterschiedlichen Nationalstaaten: "Unter Ethnopluralismus verstehen wir die Vielfalt der Völker, wie sie sich über Jahrtausende entwickelt hat. Wir setzen diesen Begriff bewusst als positiven Gegenentwurf zur heutigen OneWorld-Doktrin ein, um zu verdeutlichen, dass eine rücksichtslose globalistische Entgrenzung diese Vielfalt bedroht. Es gibt ein Recht auf Verschiedenheit. Jede Ethnie hat das Recht, ihre Kultur, ihre Bräuche und Traditionen, also ihre ethnokulturelle Identität, zu erhalten. Wir treten für diesen Erhalt ein, hierzulande und in der Welt." Der Demokratiebegriff der IB stützt sich stark auf antiliberale und "identitäre Demokratiemodelle"38. So halten die Vordenker der IB die pluralistische Demokratie, die auf Interessenausgleich und Minderheitenschutz ausgelegt ist, für ein Zerrbild "echter" Demokratie. Eine Demokratie sei nur dann legitim, wenn das Volk als Souverän eine homogene Zusammensetzung aufweise. "Wir wollen die ethnokulturelle Identität im Grundgesetz verankern. Dies sehen wir als eine der Voraussetzungen für die in unserer Verfassung festgeschriebenen staatlichen Prinzipien; denn Demokratie, Rechtsund Sozialstaat sind im Rahmen des Nationalstaates entstanden und können nur durch diesen garantiert werden. Unsere Forderung muss also nicht von außen hinzugefügt werden, sondern erklärt lediglich genauer, was eigentlich im Grundgesetz steht. Ein Staat besteht nach klassischer Lehre aus drei Bestandteilen: einem Staatsgebiet, einer Staatsführung (Regierung) und einem Staatsvolk. Zu der Zeit, als unser Grundgesetz beschlossen wurde, war vollkommen selbstverständlich, dass ein Staatsvolk - als Kultur-, Abstammungsund Solidargemeinschaft - nicht beliebig austauschbar, sondern durch eine ethnokulturelle Kontinuität bedingt ist. Im Zeitalter von Massenmigration, Globalisierung und One-World-Propaganda scheint dies nicht mehr jedem Bürger bewusst zu sein. Deshalb wollen wir, dass dies explizit in die Verfassung aufgenommen wird, um zu verdeutlichen, dass davon nichts Geringeres als der Erhalt unseres Staates abhängt." Der Demokratie und dem Parlamentarismus bundesrepublikanischer Prägung hafte dagegen der Makel an, dass lediglich Partikularinteressen verfolgt würden, statt den "wahren Volkswillen" abzubilden und umzusetzen. Zur ideologischen Begründung bezieht sich die IB vor allem auf Vordenker des Nationalsozialismus wie Carl SCHMITT oder des italienischen Faschismus wie Julius EVOLA. 36 Die "Konservative Revolution" bezeichnet eine intellektuelle Strömung mit antidemokratischem und insbesondere antiegalitärem Charakter in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland. 37 Als "Reconquista" (Wiedereroberung) wird in der Neuzeit die militärische Ausdehnung der christlichen Reiche in Spanien und Portugal gegen die muslimischen Herrschaften vom 8. bis 15. Jahrhundert bezeichnet. 38 "Identitäre Demokratiemodelle" unterstellen eine Identität zwischen Regierenden und Regierten in Denken und Handeln. Diese Identität wird meist mit einer "Gleichartigkeit" in Herkunft oder Wesen begründet. Auf Grundlage dieser Argumentation wird dann z. B. die Notwendigkeit von Wahlen bestritten, da "der Führer bereits denke und fühle, was das Volk wolle". Eine andere Spielart dieser Modelle fordert zwingend die tatsächliche Identität von Regierenden und Regierten. Konkretes Modell dieser Überlegungen ist z. B. eine "Rätedemokratie". Seite 69 von 255 Wie "klassische Rassisten" unterstellen jedoch auch "Ethnopluralisten", es gebe grundsätzliche und unveränderliche Eigenschaften von Menschengruppen. Jede Gruppe sei umso besser und stärker, je ähnlicher sich ihre jeweiligen Angehörigen seien. Die IB definiert das vermeintlich "Fremde" anhand von Merkmalen wie Kultur oder Religion und zieht daraus die Konsequenz einer erforderlichen Trennung verschiedener Ethnien bzw. Religionsgemeinschaften. Ihre Idealvorstellung einer staatlichen bzw. gesellschaftlichen Ordnung besteht demzufolge aus ethnisch und kulturell homogenen Staaten. "Fremde" werden unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft als Störfaktor und als Bedrohung für die eigene Nation wahrgenommen. Ihnen sollen daher nicht die gleichen Rechte zugestanden werden wie der kulturell homogenen "Restbevölkerung". Fremdenfeindliche Themen, wie der Verlust der eigenen "ethnokulturellen Identität", die Verschwörungstheorie des "Großen Austausches"39 sowie Forderungen nach einer "Remigration"40 sollen die Überzeugungen der IB gesellschaftsfähig machen. Die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer kulturellen Wurzeln ist ein bekanntes Merkmal rechtsextremistischer Ideologie, das mit der Achtung der Menschenwürde - einem wesentlichen Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - nicht vereinbar ist. Die Fokussierung auf die ethnokulturelle Identität als zentralem Zugehörigkeitsmerkmal zur Gemeinschaft steht im Widerspruch zum freiheitlichen Wesen des Grundgesetzes, das die Menschenwürde als Fixpunkt definiert. Auch der Attentäter von Christchurch/Neuseeland verwendete den Begriff "Großer Austausch" (englisch: The Great Replacement) als Titel für sein in den sozialen Medien veröffentlichtes Bekennerschreiben und bezog sich zur Begründung seiner Handlungen wesentlich auf diese Verschwörungstheorie. Zudem entlarvte er sich durch seine Spende an die Führungsperson der IB Österreich, Martin SELLNER, als Unterstützer der IB. Strategie Zur Durchsetzung ihrer Ziele beabsichtigt die IB, den Weg einer außerparlamentarischen Opposition zu beschreiten sowie die Meinungsbildung durch öffentliche und medienwirksame Aktionen zu beeinflussen. Diese Strategie bezeichnet sie als "Metapolitik"41. Auf der Internetseite der IB heißt es dazu: "(...) politische Macht stützt sich nicht nur auf Gesetze und Institutionen, sondern maßgeblich auf gesellschaftliche ,Normalität' (...). Unser Ziel ist die Schaffung einer patriotischen Zivilgesellschaft (...) Wir schaffen Berührungsflächen und gegenkulturelle Angebote für patriotische Jugendliche, die sich für ihr Land und ihre Heimat engagieren wollen. (...)" Im "Identitären Jahresrückblick" 2020 hieß es dazu: "Unsere Aufgabe ist keine geringe, unsere Fähigkeiten und unser Einsatz werden gebraucht. Wir sind die Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene ,mit Temperaturerhöhung', die in der Politik nicht eine Karrierebereicherung, sondern eine historische Aufgabe sehen. Wir halten Stand und werden Europa nicht aufgeben!"42 39 Das Verschwörungsnarrativ des "Großen Austausches" geht auf den französischen Begriff "Grand Remplacement" zurück und wird von Gruppierungen der Neuen Rechten benutzt. Sie unterstellen demokratischen Regierungen mit dieser Theorie, dass sie einen geheimen Plan verfolgen, wonach die weißen Mehrheitsbevölkerungen gegen muslimische oder nicht-weiße Einwanderer ausgetauscht werden sollen und ein Untergang Europas die Folge dieses "Großen Austausches" wäre. 40 Remigration im Sinne einer Rückführung von Asylbewerbern und auch von Deutschen mit Migrationshintergrund in die Herkunftsländer. 41 Der Begriff der "Metapolitik" bezeichnet eine politische Zielrichtung, die darauf ausgerichtet ist, gesellschaftliche Debatten im vorpolitischen Raum zu beeinflussen. 42 Schreibweise wie im Original Seite 70 von 255 Zentrales Element dieser Aufgabe ist die Kampagnenarbeit. Mittels konkreter Aktionen will die IB bestimmte Themen in ihrem Sinne besetzen und ein entsprechendes gesellschaftliches Bewusstsein schaffen: "Durch mutigen, kreativen und frechen Aktivismus wollen wir auf gesellschaftliche Misstände hinweisen und die linksliberale Hegemonie in Frage stellen. Es geht um die Präsenz von patriotischen Positionen im öffentlichen Raum und in den gesellschaftlichen Debatten." Die mediale Aufbereitung ihrer Aktionen spielt für die IB eine wesentliche Rolle: "Wir befinden uns in einem medialen Informationskrieg, in dem wir die Sicht der patriotischen Jugend repräsentieren wollen. Dabei setzten wir auf eigene Kanäle und Informationsplattformen, durch die wir schrittweise eine identitäre Gegenöffentlichkeit aufbauen (...)." Aktivitäten Mit den Worten "Die Aktion, die Gegenkultur und die Charakterbildung. Der Aufbau eigener Freiräume, die Schulung, der Sport und die Gemeinschaftsbildung sind der Nährboden für eine rechte Gegenkultur (...)", werden die Aufgaben der IB in einem Artikel zusammenfassend beschrieben. Das Auftreten der IB in der Öffentlichkeit ist dabei insgesamt sehr vielfältig. Sie führt Versammlungen, Flugblattverteilungen, Sprüh-, Klebeund Plakataktionen durch, zeigt Transparente an Brücken und öffenlichen Gebäuden, teilweise unter Einsatz von Farbund Raucheffekten. Vorwiegend zielen diese Aktionen darauf ab, das demokratische Regierungssystem zu diffamieren und ein islamfeindliches Klima zu schaffen. Darüber hinaus legt die IB großen Wert auf interne Schulungen ihrer Mitglieder und organisiert Veranstaltungen zur Stärkung der Gemeinschaft, "(...) die unserer Jugend wieder ein Bewusstsein für das Eigene vermitteln (...)". Im Berichtsjahr führten sächsische IB-Anhänger diverse Aktivitäten durch bzw. beteiligten sich an regionalen und überregionalen Aktionen. So fand in Paris am 20. Februar eine Großdemonstration unter dem Motto "Pour la Liberte" statt. Damit sollte gegen das Vorhaben der französischen Regierung, die "Generation Identitaire", aus welcher die IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND hervorging, protestiert werden. Aus Solidarität mobilisierten IB-Anhänger aus ganz Europa zur Teilnahme. Auch sächsische IB-Anhänger nahmen am Protestgeschehen teil.43 Mitglieder der IB beteiligten sich auch im Berichtsjahr regelmäßig mit schwarz-gelben LambdaFahnen an verschiedenen Veranstaltungen von PEGIDA in Dresden, u. a. auch am siebenjährigen PEGIDA-Jubiläum am 17. Oktober. Zum Jahrestag der "Freunde von PEGIDA" am 24. Mai in Zittau (Landkreis Görlitz) trat der sächsische IB-Anhänger Maximilian THORN als Gastredner auf und dankte PEGIDA für deren "Standhaftigkeit". Sächsische IB-Mitglieder nahmen mehrfach an verschiedenen Corona-Protesten im Freistaat teil. Die IB versuchte dabei, ihre eigene Verschwörungstheorie des "Großen Austausches" mit derjenigen des "Great Reset"44 zu verschmelzen. Regelmäßig waren bei den Veranstaltungen 43 Am 3. März 2021 verbot Frankreichs Innenminister die "Generation Identitaire". 44 Der "Great Reset" ("Der große Neustart" oder "Der große Umbruch") ist eine Initiative des Weltwirtschaftsforums (WWF) aus dem Jahr 2020, welche die Corona-Pandemie als Anlass zur Neugestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft sieht. In der Protestszene, welche die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen kritisiert, existieren hierzu verschiedene verschwörungstheoretische Interpretationen. So wird die Corona-Pandemie als Teil Seite 71 von 255 deshalb Banner mit der Aufschrift "Großer Austausch, Great Reset - Stoppt den Globalistendreck" zu sehen, so z. B. am 6. Februar und 26. Juli in Chemnitz, am 13. März in Dresden, am 6. Mai in Geringswalde (Landkreis Mittelsachsen) und am 15. November in Zwönitz (Erzgebirgskreis). Am 19. November fand erneut ein unangemeldeter Protestaufzug durch Zwönitz statt, für den auch über die Social-Media-Kanäle der IB im Vorfeld mobilisiert wurde. Während des Protests trugen IBAnhänger mehrere Minuten lang ein Banner mit dem Lambda-Symbol und der Aufschrift "Wir sind das Volk" durch die Straßen. Am Folgetag hieß es hierzu auf dem Telegram-Kanal der IB: "An der Spitze schritten unsere Aktivisten voran und zeigten, dass sich Sachsen und besonders Zwönitz nicht so einfach unterkriegen lässt." Im Zusammenhang mit der deutschlandweiten IB-Kampagne "Gedankenverbrecher"45 fand am 15. Juni eine Aktion in Mittweida statt, die sich thematisch in das Corona-Protestgeschehen einreihte. An der Fassade der Hochschule Mittweida wurde ein Banner mit der Aufschrift "Heute kein Test, keine Bildung. Morgen keine Impfung, keine Rechte!" angebracht. Weiterhin wurden Flyer sowie drei "Guy-Fawkes-Masken"46 hinterlassen. Über die Aktion wurde am selben Tag u. a. auf den SocialMedia-Profilen der IB Sachsen und IB Chemnitz berichtet. "(...) Wir wehren uns gegen ein System, welches uns Grundrechte als Privilegien vorenthalten will. Wir wehren uns gegen Propaganda und gegen Unterdrückung. Wir wehren uns gegen den Great Reset. (...)". Aufgrund der illegalen Migration an der deutsch-polnischen Grenze im Herbst führten IB-Anhänger aus Sachsen Ende Oktober und Anfang November an der Grenze in Görlitz eigenmächtig "identitäre Grenzgänge" durch. "Eins ist klar, jeder illegale Grenzübertritt wird dokumentiert und den Behörden gemeldet!", hieß es dazu seitens der IB in den sozialen Medien. Am 6. November untermauerten IBAnhänger ihre Absichten zusätzlich mit einem Banner mit der Aufschrift "You shall not pass". Regionale Ausprägung Die IB Sachsen unterhält kleinere Ortsgruppen in Bautzen, Chemnitz, Dresden, Görlitz und Leipzig, die größtenteils unter eigenen Namen auftreten und mit entsprechenden Social-Media-Kanälen im Internet präsent sind. Die Aktivitäten dieser Gruppen sind jedoch nicht strikt an die jeweilige Region gebunden. Deren Anhänger agieren folglich auch sachsen-, bundesund teilweise europaweit. Medienwirksame Aktivitäten der IB-ORTSGRUPPE BAUTZEN (ALTSTADTREVOLTE) blieben in diesem Jahr aus. Lediglich ihr Mitglied Maximilian THORN beteiligte sich regelmäßig an unterschiedlichen IB-Aktionen. So nahm er am 13. März mit einem IB-Banner an einem Corona-Protest-Aufzug in Dresden, beim PEGIDA-Jahrestag im Oktober in Dresden und bei "Grenzgänger"-Aktivitäten in Görlitz teil. Die IB-ORTSGRUPPE CHEMNITZ (PATRIOTISCHES BOLLWERK), die sich im Spätsommer 2020 gründete, war über das gesamte Berichtsjahr öffentlich präsent. Bereits Anfang Januar fand eine erste Aufkleberaktion in Chemnitz statt, die mit folgenden Worten kommentiert wurde: "Das neue eines Plans zur Zerstörung traditioneller Strukturen dargestellt. Der Vorsitzende der WWF wird als Feindbild angesehen. 45 Im Frühjahr 2021 fanden bereits entsprechende Aktionen in Berlin, Bonn, Düsseldorf und Hannover statt. 46 Die "Guy-Fawkes-Maske" stammt aus der Graphic Novel "V wie Vendetta". Die Titelfigur V trägt darin eine Maske der historischen Figur Guy Fawkes (gescheitertes Sprengstoffattentat auf das englische Parlament im Jahr 1605) und bäumt sich in einer dystopischen Welt gegen die regierende Partei auf. Die Maske dient im Comic als Symbol für die Idee der Revolution. In der Realwelt wird diese Maske von verschiedenen Akteuren/Protestbewegungen genutzt, darunter insbesondere das Kollektiv Anonymous. Die Maske dient dabei der Anonymität und Gemeinschaft zugleich. Seite 72 von 255 Jahr hat begonnen, und wir setzen unseren Aktivismus natürlich allen Widrigkeiten zum Trotz fort. Unterstützer und Sympathisanten dürfen sich in der kommenden Zeit aber auch auf viele Aktionen über den Basisaktivismus hinaus in Chemnitz (SN) freuen. 2021 wird ein spannendes Jahr!" Weitere Klebe-, Plakatund Flyerverteilaktionen folgten. Darüber hinaus beteiligten sich Mitglieder der Ortsgruppe an PEGIDA-Veranstaltungen, Corona-Protesten und den identitären "Grenzgängen". Anlässlich des einjährigen Bestehens der Ortsgruppe "(...) ließen patriotische Aktivisten heute [22. September] vor dem Chemnitzer Rathaus eine große Lambdafahne mit Heliumballons an einer Laterne aufsteigen." Am 21. Oktober folgte eine "IB-Zone" in der Chemnitzer Innenstadt, um "(...) auf den Straßen unserer Heimat Informationsund Kampagnenarbeit zu leisten. Wir haben erkannt, dass authentische Alternativen nicht einfach aus dem Nichts entstehen und dass realpolitische Veränderungen nicht durch kurze Empörungswellen nach den nächsten Migranten-Verbrechen stattfinden. Wir lehnen die negativen Entwicklungen in unserem Land mit aller Entschlossenheit ab und sind nicht bereit, unsere Traditionen und Werte aufzugeben." Mit den Worten "Vernetzt euch, Organisiert euch, bildet Banden. Raus aus der Komfortzone!", kündigte die IB-ORTSGRUPPE DRESDEN (WERRA ELBFLORENZ) gleich im Januar ihre Strategie für das Jahr an. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten standen Wanderungen, Gemeinschaftsund Schulungswochenenden, Gedenkveranstaltungen sowie verschiedene politische Aktionen. Mit dem Banner "Die Idee bleibt unbesiegt!" setzte die Gruppierung am 25. Juni ein politisches Statement, um staatliche Repressionen gegen Rechtsextremismus in Deutschland und Österreich anzuprangern. "Ob des drohenden Verbotes des Lambda in Österreich (...) oder das gestrige Vereinsverbot in Mecklenburg-Vorpommern, diese Maßnahmen sind an Lächerlichkeit nicht mehr zu überbieten. Die Feinde der europäischen Völker werden es nicht lassen (...) uns mundtod und unsichtbar zu machen. (...) Sie können weder unsere Ideale noch unsere Ideen jemals verbieten (...)"47 Auch das Thema "Corona" griff W ERRA ELBFLORENZ im Berichtsjahr auf. Mit dem Anbringen des Transparents "COVID 198448Big Brother is watching you" an einer Autobahnbrücke in Dresden am 24. September bediente die Gruppierung die Verschwörungstheorie, dass "(...) sich hinter Covid19(84) die Versuchung verbirgt, das deutsche Volk und die europäischen Völker zu entwurzeln, um den Great Reset herbeizuführen." Um auf die Flüchtlingssituation an der Grenze zwischen Polen und Belarus aufmerksam zu machen und sich mit der polnischen Regierung zu solidarisieren, erfolgte am 13. November in der Dresdner Innenstadt eine Plakataktion unter dem Motto "Verteidiger Europas". Ende September gründete sich in Dresden eine weitere IB-Ortsgruppe mit dem Namen RECONQUISTA DRESDEN. Auf dem entsprechenden Social-Media-Kanal hieß es einen Tag nach der PEGIDA-Kundgebung vom 27. September: "Dresden bleibt Standhaft! Gestern (...) war Pegida. Wir die Patriotische Jugend aus Dresden, gingen für unsere Zukunft auf die Straße. Man trifft uns jetzt immer bei Pegida. Ihr könnt uns nicht brechen! Wir bleiben Standhaft! für Heimat! Freiheit! Tradition! Folgt unbedingt unserer neuen Ortsgruppe (...), um keine Aktionen aus Dresden zu verpassen!". Einen knappen Monat später erfolgte eine erste Flyerverteilaktion im Stadtgebiet. Ende November war RECONQUISTA DRESDEN gemeinsam mit Leipziger IB-Anhängern in der Messestadt unterwegs, um gegen die aus ihrer Sicht bestehende "Coronadiktatur" des Staates zu protestieren. 47 Schreibweise wie im Original 48 Das Transparent ist eine Anspielung auf den Roman "1984" von George Orwell, einer Dystopie über einen totalitären Überwachungsstaat. "Big brother is watching you" ist ein Propaganda-Slogan aus dem Buch. Dieser Roman wird oft herangezogen, wenn staatliche Maßnahmen dahingehend kritisiert werden, dass durch diese nach extremistischer Lesart ein totalitärer Überwachungsstaat etabliert werden soll. Seite 73 von 255 Die Aktionen der IB-ORTSGRUPPE GÖRLITZ (GRENZSTEINIG GÖRLITZ) waren im Berichtsjahr eher verhalten. Es wurde vorwiegend für Aktionen anderer IB-Gruppen in den sozialen Medien mobilisiert oder deren Beiträge geteilt. Eigene öffentliche Auftritte der Ortsgruppe konnten kaum festgestellt werden. Es ist jedoch davon auszugehen, dass sich zumindest an den o. g. "identitären Grenzgängen" in Görlitz auch Anhänger aus der Region beteiligten. Ende November veröffentlichte die Gruppierung auf ihrem Telegram-Kanal einen Beitrag, mit welchem sie ihre Zustimmung mit der restriktiven polnischen Flüchtlingspolitik zum Ausdruck brachte: "Es freut uns, dass unsere polnischen Nachbarn, im Gegensatz zu deutschen Behörden geltendes Recht umsetzen und direkt eine Abschiebung einleiten. Während unsere Polizei faktisch zum Migrantentaxi umfunktioniert wurde, bleiben polnische Behörden standhaft und beschützen ihre Familie und Europa. Nein zur Ersetzungsmigration!" Die IB-ORTSGRUPPE LEIPZIG entfaltete ihre öffentlichen Aktivitäten erst in der zweiten Jahreshälfte. Am 15. Juli organisierte sie beispielsweise eine Banneraktion unter dem Motto "Europas Identitäten bewahren - Great Reset stoppen". "Noch gibt es eine Jugend, die nicht bereit ist, ihre Heimat für die geisteskranken Pläne der globalisierten Eliten aufzugeben", kommentierten sie die Aktion anschließend auf ihrem Social-Media-Kanal. Gemeinsam mit IB-Anhängern aus Chemnitz verteilte die Ortsgruppe Ende September Flyer im Stadtgebiet von Leipzig und beteiligte sich mit Dresdner Anhängern Ende November an CoronaProtesten in der Messestadt. Mediale Aufmerksamkeit erreichte eine Aktion unter dem Motto "Linksextremismus raus aus der Uni" am 18. Oktober auf dem Augustusplatz. Mit einem großen Transparent, Megafon und farbigem Rauch bekundeten mehrere vermummte Anhänger lautstark ihren Unmut über die Initiative "Wir sind alle LinX". Diese rief am 12. Oktober in einem Hörsaal der Universität im Rahmen der vom Studentenrat veranstalteten "Kritischen Einführungswochen" zur Unterstützung für eine Linksextremistin auf. "Gegen diese Verstrickung von Universität und Linksterrorismus richtet sich die heutige Aktion." Bewertung / Tendenzen Mit ihren Aktionen und Auftritten in den sozialen Medien knüpft die IB bewusst an die Lebenswelt junger Menschen an. Da sie nicht die herkömmlichen rechtsextremistischen Slogans und Symbole einsetzt, ist ihre verfassungsfeindliche, ideologische Ausrichtung nicht immer sofort erkennbar. Demzufolge ist es möglich, dass sich auch gesellschaftliche Milieus angesprochen fühlen, die von traditionellen Rechtsextremisten bislang nicht erreicht werden konnten. Die IB wird weiterhin versuchen, insbesondere das Corona-Protestgeschehen in Sachsen sowie PEGIDA-Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam für die Verbreitung ihrer verfassungsfeindlichen Agenda auszunutzen. Die Vernetzung mit rechtsextremistischen Akteuren vor Ort spielt dabei eine wichtige Rolle. In einem Beitrag mit dem Titel "Identitäre Bewegung: Rückblick, Kritik und Ausblick" aus dem Spätsommer gewährt die IB nach knapp 10-jährigem Bestehen Einblicke in die Bewegung und übt auch Selbstkritik. Der Autor ist der Meinung, dass die "bedeutendste patriotische Jugendbewegung in Westeuropa" ihr Potenzial aktuell nicht ausschöpfe und es einer taktischen Neuausrichtung bedürfe. Das bisher propagierte offene, transparente Auftreten in der Öffentllichkeit führte insbesondere in Österreich zu verschiedenen staatlichen Repressionen. "Eine dezentrale Struktur und eine Neubewertung der Taktik ,Gesicht zeigen' sind daher die ersten überfälligen Schritte, damit der Aufbruch der IB in neuer Form weitergehen und die große Mission - Organisation und Perfektion des jungen patriotischen Widerstands - fortgesetzt werden kann." Seite 74 von 255 Um Outings des politischen Gegners und Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren, sollten die Anhänger zukünftig einheitlich mit hohem Wiedererkennungswert, aber maskiert als anonyme Masse agieren. Darüber hinaus wird in dem Beitrag die Auflösung zentraler Strukturen und "durchnummerierte[r] Ortsgruppen" gefordert. "Lokale Bewegungen können sich eigene Namen geben oder, im besten Fall, aktivistisch ohne jede konkrete Gruppenidentität auftreten." Aktionen sollen sich auf "dezentralen, anonymen Aktionsblogs" wiederfinden. Erste Anzeichen dieser neuen Ausrichtung zeigten sich bereits am Jahresende auch in Sachsen. Im Dezember etablierten sich beispielsweise einige Social-Media-Profile, die nicht mehr eindeutig einer IB-Struktur zuzurechnen sind. Im Herbst wurden erste Aktionen, wie die o. g. am 18. Oktober in Leipzig, durch vermummte Anhänger durchgeführt. Es ist zu erwarten, dass dieser Trend sich zukünftig fortsetzen und verstärken wird. 2.4.3 PEGIDA Gründung / Sitz: 10/2014, seit 05/2020: Ableger in Zittau Das Beobachtungsobjekt PEGIDA ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") hat keinen offiziellen Sitz. Der "PEGIDA Förderverein e.V." wiederum hat seinen Sitz in Dresden. Das vom LfV Sachsen eingestufte Beobachtungsobjekt PEGIDA ist nicht deckungsgleich mit diesen Strukturen (vgl. Personenpotenzial). Vorsitz Sachsen: Lutz BACHMANN, Siegfried DÄBRITZ (beide Vorstand im "PEGIDA Förderverein e. V.") Teil-/ Nebenorganisationen: "Freunde von PEGIDA" (kein eingetragener Verein) in Zittau Publikationen / Internetauftritte: Eine Internetseite sowie zwei Telegram-Kanäle; diverse Seiten der Hauptprotagonisten bei twitter, vk.com, gettr.com und Kanäle bei bitchute.com und YouTube.com Personenpotenzial / Mitgliederentwicklung vier Hauptakteure, 15-20 Personen im Organisationsteam (auch Ordner u. ä.), Das Mobilisierungspotenzial für PEGIDAVersammlungen in Dresden liegt im niedrigen vierstelligen Bereich, welches inzwischen aber nur noch bei herausgehobenen Veranstaltungen (Jahrestag, Weihnachtsliedersingen, herausgehobene Gäste) erreicht wird. Regelmäßig stattfindende PEGIDA-Versammlungen erreichen Teilnehmerzahlen im mittleren bis hohen dreistelligen Bereich. Seite 75 von 255 Veranstaltungen in Zittau können bis zu 50 Personen mobilisieren, im Regelfall sind es jedoch unter 30 Teilnehmer. Finanzierung Spenden bei Veranstaltungen bzw. über das Bankkonto des "PEGIDA Förderverein e. V." Verkauf von Werbeartikeln über die genannte Internetseite Kurzportrait / Ziele PEGIDA entstand im Oktober 2014 als Reaktion auf eine Solidaritätskundgebung von PKKAnhängern und Linksextremisten in Dresden für die in Deutschland verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). "Pegida versteht sich als politische Bewegung, welche ideologiefrei die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit aufgreift und gemeinsam mit der Bevölkerung Lösungen finden und umsetzen will." PEGIDA sieht sich als patriotische Bewegung, welche sich gegen eine vermeintliche Islamisierung Europas stark macht. Es werden in regelmäßigem Wechsel in Dresden und Zittau Veranstaltungen durchgeführt. Dabei ist PEGIDA auch für andere Rechtsextremisten (ZUKUNFT HEIMAT aus Cottbus, PEGIDA Nürnberg, IDENTITÄRE BEWEGUNG49) und Einzelakteure aus der neurechten Szene eine wichtige Bühne für die Verbreitung ihrer eigenen verfassungsfeindlichen Ziele. PEGIDA unterhält überdies auch Kontakte zu Rechtsextremisten im Ausland. In der Gesamtschau ist die Bewegung vor allem eine Vernetzungsplattform für die rechtsextremistische Szene in Sachsen. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Einstufung von PEGIDA als erwiesene 2021 extremistische Bestrebung im Mai 2021 durch das LfV Sachsen Versammlung am 13. September in Dresden mit Gastredner Björn HÖCKE im Vorfeld der Bundestagswahl Veranstaltung am 17. Oktober in Dresden anlässlich des 7. Jahrestages der Gründung von PEGIDA in Dresden mit überregionalen Gastrednern Seit dem Herbst sinkende Teilnehmerzahlen und Ende des Jahres Absage von Veranstaltungen in Dresden (jedoch nicht in Zittau) 49 vgl.Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN Seite 76 von 255 Am 19. März 2015 wurde der Verein "PEGIDA Förderverein e.V." beim Amtsgericht Dresden eingetragen. Er wird vertreten durch den Vorstand, dessen Mitglieder u. a. Lutz BACHMANN und Siegfried DÄBRITZ sind. Zum Personenzusammenschluss PEGIDA wird über BACHMANN und DÄBRITZ hinaus unter anderen auch Wolfgang TAUFKIRCH gezählt, der für den Personenzusammenschluss agiert und ihn damit nachdrücklich unterstützt. Hinzu kommt Thomas WALDE, der bei Veranstaltungen in Dresden seit Ende August 2020 Versammlungsleiter bzw. stellvertretender Versammlungsleiter ist und durch die Veranstaltungen führt. Des Weiteren organisiert er auch die Veranstaltungen in Zittau, die in der Regel 14-tägig im Wechsel mit den Versammlungen in Dresden stattfinden. Ideologie Neben einer fremdenund insbesondere islamfeindlichen Ideologie, die z. B. durch die Pauschalisierung von Straftaten von Personen mit Migrationshintergrund deutlich wird, werden Beiträge verbreitet, die an die antisemitisch konnotierte Verschwörungstheorie zum "Great Reset" bzw. "Großen Austausch"50 angelehnt sind. Im Berichtsjahr stand die Kritik an den staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie im Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang unterstellte PEGIDA, dass Deutschland zu einer Diktatur geworden sei. Sowohl auf Veranstaltungen als auch in den sozialen Medien wurden demokratische Institutionen und politische Entscheidungsträger permanent verächtlich gemacht. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zeigten sich in diversen Reden auf Veranstaltungen sowie in entsprechenden Beiträgen in den sozialen Medien nicht nur unterschwellig, sondern auch ganz offen. So bezeichnete Lutz BACHMANN die Vizepräsidentin der USA in einem Video als "Quotenn...rin" (das Wort wird genannt). Auch Thomas WALDE verwendete in seinen Reden in Zittau rassistische Begriffe und fremdenfeindliche Argumentationen, so etwa am 24. Mai: "Mit der fortgesetzten Einschleusung von islamistischen Invasoren wird die Situation der unter uns lebenden Juden weiter verschlimmert. Den typischen Moslems ist der anerzogene Judenhass nicht mit einer Aufenthaltsgenehmigung abzugewöhnen." Ein weiteres Beispiel zeigte seine Rede am 21. Juni: "Warum sollen wir Leute füttern, die nur darauf warten, bis sie uns, nach Ablauf der heiligen Monate, die Köpfe abschlagen sollen?" Grundtenor der PEGIDA-Redebeiträge sind diffamierende Aussagen über politisch Verantwortliche. PEGIDA-Funktionsträger stellen die Bundesrepublik Deutschland außerdem mit Diktaturen wie dem Nationalsozialismus oder der DDR gleich. Durch ständige Wiederholungen sind solche Gleichstellungen inzwischen zum festen Narrativ von PEGIDA avanciert. Beispielhaft deutlich wird dies an der Verwendung des Begriffs "Gauleiter" für den sächsischen Ministerpräsidenten und Gleichsetzungen der Gesetzgebung im Rahmen der pandemischen Notlage mit dem Ermächtigungsgesetz im Nationalsozialismus. So stellte BACHMANN auf seinem Telegram-Kanal am 6. Dezember eine Bildmontage ein, bei der ein SS-Offizier und ein deutscher Polizist mit der Bildbeschriftung "Ich führe nur Befehle aus" und dem Kommentar "Alles schon mal dagewesen!" hälftig nebeneinandergestellt sind. Gleiches gilt für einen Eintrag von TAUFKIRCH bei Telegram vom 24. November mit dem Text: "Die gefühlte Inzidenz beträgt aktuell 1933." Diffamierungen politisch Andersdenkender sind Grundbausteine von PEGIDA-Reden. Beispielhaft sei hier ein Statement von BACHMANN zur "Fridays for Future"-Bewegung genannt, in dem er diese 50 vgl. zu diesen Begriffen den Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG Deutschland (IB) - Regionalgruppe Sachsen Seite 77 von 255 als "terroristische Vereinigung" eines "Suffkindes mit fetalem Alkoholsyndrom", welche von einer "pädophilen Partei" gesteuert werde, bezeichnet. Ferner stellt PEGIDA unaufhörlich die Unabhängigkeit der öffentlich-rechtlichen Medien und damit die im Grundgesetz verankerte Pressefreiheit in Frage ("Systemmedien", "Lügenpresse", "immer fein regierungstreu berichten", "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist für mich strukturell unterwandert mittlerweile von Grünfaschisten und Kommunisten. Der gesamte Abschaum des Journalismus hat eine Heimat in diesen Anstalten gefunden."). Strategie PEGIDA selbst hat sich im Verlauf ihres Bestehens eine immer stärkere rechtsextremistische Ausrichtung gegeben. In aller Öffentlichkeit werden unverhohlen Positionen propagiert, die mit dem Wertekanon des Grundgesetzes unvereinbar sind. Dazu gehört, dass der Parlamentarismus permanent verächtlich gemacht und das Rechtsstaatsprinzip abgelehnt werden. Außerdem finden sich in den Redebeiträgen regelmäßig minderheitenfeindliche und muslimfeindliche Äußerungen. PEGIDA verfolgt dabei zielgerichtet die Strategie, mit extremistischer Programmatik immer tiefer in die Mitte der Gesellschaft einzudringen und einen ideologischen Schulterschluss zwischen der rechtsextremistischen Klientel und den politisch indifferenten Teilen der Gesellschaft herbeizuführen. Dabei orientieren sich die maßgeblichen PEGIDA-Akteure an einem bewährten Verhaltensmuster: Politische Ereignisse mit Empörungspotenzial dienen als Initialzündung für Großveranstaltungen, mit denen vor allem Personen aus der Mitte der Gesellschaft erreicht werden sollen. Insbesondere durch das Bereitstellen der PEGIDA-Bühne für rechtsextremistische (Gast-)Redner fungiert PEGIDA wie ein "Scharnier" zwischen Extremisten und Nicht-Extemisten. Einer weiteren Entgrenzung des Rechtsextremismus und einem Übergreifen verfassungsfeindlicher Positionen auf die bürgerliche Mehrheitsgesellschaft wird dadurch Vorschub geleistet. Eine wichtige Rolle spielt PEGIDA inzwischen bei der Vernetzung der neurechten Szene. Das veranschaulicht mit Jürgen ELSÄSSER, dem Chefredakteur des COMPACT-MAGAZINS ein zentraler neurechter Akteur in seiner Rede vom 17. Oktober in Dresden. In seinen Augen müssten AfD51, PEGIDA, COMPACT, IDENTITÄRE BEWEGUNG und der "Corona-Widerstand"52 enger zusammenrücken. Weiter führte er dazu aus: "Das sind fünf Finger. Jeden dieser Finger kann man brechen. Aber fünf Finger sind auch eine Faust!" Durch die Bereitstellung ihrer Bühne für die bundesweit bekannten Politiker Björn HÖCKE, Andreas KALBITZ und Jens MAIER sowie deren (Gast-)Auftritte wurde zudem die wechselseitige Unterstützung im Bundestagswahlkampf offensichtlich. Ein Treffen von Lutz BACHMANN mit Björn HÖCKE und Andreas KALBITZ am 15. Mai in Niederbobritzsch (Landkreis Mittelsachsen), über das BACHMANN auch auf der darauffolgenden PEGIDA-Veranstaltung berichtete, bestätigt die wechselseitige Unterstützung zwischen diesen Politikern und PEGIDA. Die Vernetzung mit einer anderen rechtsextremistischen Bewegung wurde durch die wechselseitigen Auftritte bei Veranstaltungen von PEGIDA und der Bewegung ZUKUNFT HEIMAT in Cottbus53 deutlich. So konnte sich PEGIDA zu einem wesentlichen Akteur des Netzwerkes der "Neuen Rechten" etablieren. 51 Keine erwiesene extremistische Bestrebung 52 Keine erwiesene extremistische Bestrebung 53 Der Vorsitzende von ZUKUNFT HEIMAT, Dr. Christoph BERNDT, trat 2021 bei vier Veranstaltungen in Dresden auf. Seite 78 von 255 Insbesondere durch die Übertragung der PEGIDA-Veranstaltungen im Livestream und die spätere Bereitstellung der Videos auf den o. g. Plattformen wird eine bundesweite Reichweite angestrebt und auch erzielt. Videos von PEGIDA erreichen mitunter 30.000 Aufrufe. Aktivitäten Herausragende Einzelereignisse im Berichtsjahr: Datum Ort Teilnehmerzahl Aktivitäten 15.05.2021 Niederbobritzsch entfällt Lutz BACHMANN trifft sich mit Andreas KALBITZ und Björn HÖCKE 24.05.2021 Zittau ca. 85 Veranstaltung zum 1. Jahrestag "Freunde von PEGIDA" in Zittau, Gastredner: Maximilian THORN (IDENTITÄRE BEWEGUNG) 31.05.2021 Dresden ca. 1.000 232. PEGIDA-Veranstaltung in Dresden; Gastredner: Andreas KALBITZ, Jens MAIER, Jürgen ELSÄSSER (COMPACT-MAGAZIN) 13.09.2021 Dresden ca. 1.400 237. PEGIDA-Veranstaltung in Dresden; Gastredner: Björn HÖCKE, Jens MAIER 17.10.2021 Dresden ca. 1.100 239. PEGIDA-Veranstaltung in Dresden, 7. Jahrestag; Gastredner u. a. Jürgen ELSÄSSER, Dr. Christoph BERNDT (MdL BB), Kai und Ramona NAGGERT ("Prototyp" und "Runa NDS") PEGIDA führte regelmäßig Versammlungen in Dresden und Zittau durch. Die Veranstaltungen in Dresden wurden durch den "PEGIDA-Förderverein e. V." angemeldet und fanden immer montags statt. Über die Veranstaltungen in Dresden wurde per Livestream berichtet und die Videos stellte PEGIDA anschließend im Internet (u. a. YouTube, Twitter, Telegram) frei zugänglich zur Verfügung. In Zittau sind die "Freunde von PEGIDA" Anmelder der Versammlungen. Diese fanden immer montags statt, wenn in Dresden keine PEGIDA-Veranstaltung durchgeführt wurde. Anschließend wurden in der Telegram-Gruppe "freundevonpegida" zumeist entsprechende Videos eingestellt. In der Regel setzten sich PEGIDA-Veranstaltungen sowohl in Dresden als auch in Zittau aus Redebeiträgen und einer als "Spaziergang" bezeichneten Demonstration zusammen. Im Berichtszeitraum fanden in Dresden 15 (davon neun nach öffentlicher Bekanntgabe der Einstufung als erwiesene extremistische Bestrebung) und in Zittau 28 (davon 18 nach dieser Bekanntgabe) Veranstaltungen statt. Neben den Hauptakteuren Lutz BACHMANN und Wolfgang TAUFKIRCH traten mit Björn HÖCKE, Andreas KALBITZ und Jens MAIER auch weitere PEGIDA-Unterstützer als (Gast-)Redner auf. Mit Dr. Christoph BERNDT aus Brandenburg stand zudem der Vorsitzende des Vereins "ZUKUNFT HEIMAT" (Cottbus) mehrfach als Redner auf der PEGIDA-Bühne in Dresden. Insbesondere die Rede von Björn HÖCKE am 13. September kurz vor der Bundestagswahl ist in diesem Zusammenhang von herausgehobener Bedeutung. Er stellte darin die moralische Pflicht, "das Land wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen" heraus und unterstellte, Deutschland sei keine Seite 79 von 255 Demokratie mehr, sondern würde sich im Übergangsstadium zum Totalitarismus befinden; ein Überwachungsstaat werde aufgebaut. In diesem Zusammenhang sagte er auch, es habe nie eine epidemische Lage von nationaler Tragweite gegeben. Dies sei vielmehr eine Lüge, ein harmloses Virus werde zum Killervirus aufgeblasen. Weiter konstruierte HÖCKE bezüglich der mit dem Rückzug internationaler Kräfte aus Afghanistan einhergehenden Migrationsbewegungen Parallelen zur Flüchtlingswelle von 2015 und forderte eine "Festung Europa", um eine "kulturelle Kernschmelze" zu verhindern. Der Europäischen Union schrieb er folgende Negativrolle zu: "Die EU muss sterben, damit Europa leben kann." Dieselbe Veranstaltung wurde auch von Jens MAIER als Wahlkampfbühne für die Bundestagswahl 2021 genutzt. Im Zusammenhang mit dem Prozess gegen die Linksextremistin Lina E. äußerte er, dass der Anschlag mit einem selbstgebauten Sprengsatz auf eine Dresdner Moschee im Jahr 2016 für ihn das "Zünden eines Polen-Böllers" gewesen sei und verharmloste damit rechtsmotivierte Gewalt, die sich in diesem Fall gegen eine islamische Einrichtung richtete. Auch Wolfgang TAUFKIRCH fiel am 12. Oktober 2020, bezugnehmend auf den Anschlag auf die Synagoge in Halle, mit ähnlich verharmlosenden Aussagen auf. Zum 7. Jahrestag von PEGIDA am 17. Oktober wurden seitens der Veranstalter bis zu 5.000 Teilnehmer erwartet. Insbesondere durch die Teilnahme des ehemaligen Vizekanzlers der Republik Österreich als Redner sollte diese hohe Mobilisierung erreicht werden. Mithilfe von Musikbeiträgen sollte das Interesse eines jüngeren Publikums geweckt werden. Die tatsächliche Teilnehmerzahl von etwa 1.100 dürfte die Erwartungen der Veranstalter deshalb keineswegs erfüllt haben. Es fanden seitdem keine weiteren PEGIDA-Veranstaltungen in Dresden statt - dies auch vor dem Hintergrund verschärfter Versammlungsauflagen und der pandemiebedingten Beschränkung der Teilnehmerzahl zeitweise auf zehn Personen. Bereits geplante PEGIDA-Veranstaltungen wurden mit Verweis auf diese Beschränkungen abgesagt. PEGIDA-Anhänger wurden aufgefordert, sich stattdessen am allgemeinen Corona-Protestgeschehen zu beteiligen, ohne dass konkrete Veranstaltungen benannt wurden. Zum Jahresende berichtete PEGIDA in den sozialen Medien verstärkt über diese Protestaktionen. In Zittau fanden vom 25. Oktober bis 13. Dezember montags wöchentliche "Mahnwachen" und am 24. Dezember eine "Weihnachtskundgebung" der "Freunde von PEGIDA" statt. Die Teilnehmerzahl lag anfangs bei bis zu 20 Personen, wurde dann aber coronabedingt auf zehn Teilnehmer beschränkt. Neben den Live-Übertragungen von PEGIDA-Veranstaltungen auf YouTube und ähnlichen Portalen teilten u. a. PEGIDA-Protagonisten in sozialen Netzwerken, vorrangig bei Telegram und GETTR, Meldungen, welche die These einer Bedrohung durch den Islam aus ihrer Sicht stützten und auf so empfundene Missstände in der Bundesund Landespolitik hinwiesen. Insbesondere in GETTR sah vor allem Lutz BACHMANN im Berichtsjahr ein Medium, über das er sich unzensiert mit PEGIDAAnhängern bzw. -Sympathisanten austauschen und auch international vernetzen konnte. Bewertung / Tendenzen PEGIDA ist weiterhin eine wirkmächtige Protestinitiative insbesondere gegen die Asylund Migrationspolitik in Deutschland und Europa. Vor allem durch die Verbreitung von Meldungen über Straftaten von Personen mit Migrationshintergrund, insbesondere von Asylbewerbern, in sozialen Netzwerken und auf PEGIDA-Veranstaltungen wird beständig eine feindliche Stimmung gegen diese Personengruppen erzeugt. Außerdem werden politische Institutionen und Entscheidungsträger diffamiert und verächtlich gemacht. Während bei PEGIDA-Veranstaltungen in den ersten Jahren hohe vierstellige Teilnehmerzahlen unter Beteiligung der gesellschaftlichen Mitte erzielt werden konnten, waren die Teilnehmerzahlen mit der zunehmenden verbalen Radikalisierung der Bewegung rückläufig. Seite 80 von 255 Die eigentliche Thematik von PEGIDA trat im Berichtsjahr - wie bereits 2020 - in den Hintergrund, da sie durch das Thema Corona verdrängt wurde. Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wurden instrumentalisiert, um demokratische Werte, den Rechtsstaat und den Parlamentarismus verächtlich zu machen. So setzte PEGIDA die Bundesrepublik Deutschland immer wieder mit den Diktaturen des Nationalsozialismus und der DDR gleich. PEGIDA bleibt eine Plattform für überregional aktive Rechtsextremisten, die über diese Bühne in weite Teile der Gesellschaft hineinzuwirken versuchen. Sie erfüllt damit eine wichtige Netzwerkfunktion im Rechtsextremismus. Im Rahmen des Bundestagswahlkampfes bot PEGIDA beispielsweise verschiedenen Politikern eine Plattform für Wahlkampfzwecke. Es bestehen darüber hinaus enge Beziehungen zu anderen rechtsextremistischen Initiativen wie der IDENTITÄREN BEWEGUNG und ZUKUNFT HEIMAT aus Cottbus, die im Zuge wechselseitiger Gastauftritte bei Veranstaltungen sichtbar werden. Das Ziel einer Vernetzung der neurechten Szene wurde insbesondere bei den Vorbereitungen und der Durchführung des 7. Jahrestages von PEGIDA deutlich und wird von den Akteuren auch weiterhin verfolgt werden. Die Teilnehmerzahlen bei PEGIDA-Veranstaltungen variierten im Berichtsjahr: Erreichten sie bei regulären Veranstaltungen zu Beginn des Jahres bis zu 1.000 Personen, reduzierten sich die Teilnehmerzahlen im Laufe des Jahres bis gegen Ende des dritten Quartals auf einen mittleren dreistelligen Bereich. Wie bereits in den Vorjahren, konnten aber für Veranstaltungen mit überregional bekannten Rednern - wie beispielsweise mit Björn HÖCKE am 13. September - durchaus wieder mehr Personen mobilisiert werden. Im Hinblick auf die Gesamtentwicklung von PEGIDA kann festgestellt werden, dass sowohl die Teilnehmerzahlen als auch die Anzahl der durchgeführten Veranstaltungen im direkten Vergleich zum Vorjahr rückläufig sind. So konnten selbst prominente Redner anlässlich des 7. Jahrestages von PEGIDA am 17. Oktober im Vergleich zum Vorjahr keine hohen Teilnehmerzahlen generieren. Die Veranstaltungen der "Freunde von PEGIDA" in Zittau werden vom Hauptakteur Thomas WALDE und einer weiteren Protagonistin initiiert. Das Mobilisierungspotenzial dort ist im Vergleich zum Vorjahr ebenso rückläufig und liegt im unteren zweistelligen Bereich. Vor dem Hintergrund, dass nach dem 17. Oktober aufgrund der Corona-Maßnahmen keine PEGIDAVeranstaltungen mehr stattfanden, lässt sich die weitere Entwicklung dieser Protestbewegung schwer prognostizieren. Das insbesondere im vierten Quartal in der rechtsextremistischen Szene dominierende Thema Corona konnten die Akteure in Ermangelung eigener Veranstaltungen nicht für sich nutzen. Der thematische Fokus dieser extremistischen Gruppierung liegt jedoch unverändert auf den Themen Migrationsoder Asylpolitik. Sollten die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gegenstandslos werden und die vorgenannten Themen ggf. anlassbezogen mehr Bedeutung im politischen und öffentlichen Diskurs erhalten, erscheint es nicht unrealistisch, dass PEGIDA umgehend wieder eigene Veranstaltungen organisiert und durch eine wieder an Fahrt aufnehmende Mobilisierung ein Teilnehmerpotenzial im unteren vierstelligen Bereich erreicht. Seite 81 von 255 2.4.4 Subkulturell geprägtes sowie unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial umfasste im Berichtsjahr etwa 2.260 Personen (2020: etwa 2.310 Personen), wobei etwa 2.000 Personen (2020: ebenso ca. 2.000) dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zugeordnet werden. Damit ist ein erheblicher Teil der dem LfV Sachsen bekannten Rechtsextremisten in Sachsen nicht in Parteien oder anderweitigen Strukturen eingebunden, sondern agiert trotz seiner rechtsextremistischen Gesinnung losgelöst von festen Szenegruppierungen. Ideologie und Strategie Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial teilt die ideologischen Überzeugungen von NEONALTIONALSOZIALISTEN.54 Es verfügt über ein ähnliches von Chauvinismus, Antisemitismus, Fremdenhass sowie Rassismus geprägtes Weltbild. Dennoch unterscheidet es sich von NEONATIONALSOZIALISTEN durch die Schwerpunktsetzung auf erlebnisorientierte Veranstaltungen, bei denen nicht die ideologische Propaganda oder die strategische Verfolgung politischer Ziele im Vordergrund stehen, sondern die Erfahrung von gelebter "Gemeinschaft" unter Gleichgesinnten. Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial stellt sich dabei als Mischszene dar und dient den NEONATIONALSOZIALISTEN als "Rekrutierungsmasse" zur Verbreitung ihrer Ideologieelemente. Beim unstrukturierten, rechtsextremistischen Personenpotenzial handelt es sich mehrheitlich um Personen, die als rechtsextremistische Straftäter - auch mit Gewaltbezug - bekannt sind oder, ebenso wie die SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN, an rechtsextremistischen Szeneveranstaltungen, wie beispielsweise Konzerten55, teilnehmen. Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial ist auch Teil der rechtsextremistischen, gewaltorientierten Fußballund Kampfsportszene.56 Es eint eine hohe Mobilisierungskraft vor allem im Zusammenhang mit überregionalen Musik-, Kampfsportoder sonstigen für die Szene relevanten Veranstaltungen. Innerhalb des subkulturell geprägten sowie unstrukturierten Personenpotenzials ist der Kampfsport sehr beliebt. Abseits von größeren Veranstaltungen nutzen Rechtsextremisten lokale, oft nicht der Szene zugehörige "Gyms" (Sportstudios), um sich verschiedene Kampfsporttechniken anzueignen. Kampfsportveranstaltungen und "Gyms" bieten rechtsextremistischen Parteien und vor allem NEONATIONALSOZIALISTEN auf unkomplizierte Art und Weise die Möglichkeit, Kontakt mit rechtsextremistischen Personen aufzunehmen und diese für ihre eigenen extremistischen Aktivitäten zu begeistern. Darüber hinaus ist das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinsichtlich seiner Größe und der damit verbundenen Kaufkraft ein wichtiger Abnehmer für die rechtsextremistische Konzertund Vertriebsszene. Es bildet das Gros der Konzertteilnehmer und Konsumenten rechtsextremistischer Merchandising-Artikel und lenkt durch sein Nachfrageverhalten auch die Ausrichtung des Angebotes rechtsextremistischer Vertriebe.57 54 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 55 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 56 vgl. Beitrag II.2.5 Militanter Rechtsextremismus 57 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Seite 82 von 255 Dieser Teil der rechtsextremistischen Szene bildet jedoch nicht nur die unverzichtbare "Mobilisierungsmasse" für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer, auch strukturierter Gruppierungen bzw. rechtsextremistischer Kampagnen, sondert dient auch als Nährboden für die Bildung neuer Gruppierungen. Die Angehörigen des subkulturell geprägten sowie unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials handeln impulsiv, situativ bedingt und spontan. Diesem Handeln liegen, anders als bei Mitgliedern rechtsextremistischer Gruppierungen, in der Regel keine ausdifferenzierten ideologischen und strategischen Überlegungen zugrunde. So gingen bei den größeren Ereignissen der letzten Jahre die Konfrontationen und Gewalttaten gegen Sicherheitskräfte und den politischen Gegner zumeist von diesem Personenpotenzial aus. Aufgrund der coronabedingten Ausgangsund Kontaktbeschränkungen fanden seit 2020 deutlich weniger für diesen Personenkreis interessante Ereignisse statt, weshalb eine Vielzahl von Aktivitäten ins Internet verlagert wurde. Die Corona-Thematik war für dieses Personenspektrum bestens geeignet, Verschwörungstheorien im Internet und den Sozialen Medien zu verbreiten und damit rechtsextremistische Ideologie-Narrative zu bedienen. Es ist damit mitverantwortlich für das vermehrte Einsickern extremistischer Ansichten in die Mitte der Gesellschaft. Die Corona-Thematik begünstigte damit die Bildung sog. "Mischszenen" aus ganz unterschiedlich motivierten und sozialisierten Menschen - vom Impfgegner über den Esoteriker bis hin zum gewaltorientierten Rechtsextremisten. Das subkulturell geprägte sowie unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial neigt beim Aufeinandertreffen mit politischen Gegnern oder Menschen, die in der rechtsextremistischen Szene als "Feindbilder" angesehen werden, zu spontanen Gewalttaten. Diese Rechtsextremisten sind trotz ihrer weltanschaulichen Ausrichtung kaum an ideologischer Vertiefung, z. B. durch entsprechende Schulungen, interessiert. Daher beteiligen sie sich weder an politischen Strategiedebatten noch an der Erarbeitung entsprechender Konzepte oder der Verbreitung ausgearbeiteter Stellungnahmen. Anders als NEONATIONALSOZIALISTEN streben sie keine Wirkung außerhalb der rechtsextremistischen Szene an. Im Vordergrund steht das tägliche, eher unreflektierte Erleben und Ausleben ihrer Gesinnung. Strukturen SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Sitz sachsenweit; Schwerpunkte in der Region Chemnitz und im Landkreis Görlitz Gründung / Bestehen Die Szene ging aus der Ende der 1960er Jahre in Großbritannien entstandenen Skinheadszene hervor und breitete sich in den 1970er Jahren bundesweit auch in Deutschland aus. Publikationen bundesweit: sog. Fanzines mit Artikeln zur überwiegend subkulturell geprägten rechtsextremistischen Musikszene sowie mit Interviews und Konzertberichten Sachsen: "Waffenbrüder" Seite 83 von 255 Internetauftritte Wechselnde Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten; dort u. a. Bekanntmachungen von Konzerten sowie Veröffentlichungen von Videos Personenpotenzial 2021 2020 Sachsen ca. 260 ca. 310 Finanzierung Finanzielle Beiträge der Anhänger, Eintrittsgelder bei Musikveranstaltungen, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. Ä. Kurzportrait / Ziele Eine strategisch ausgerichtete, ideologischpolitische Arbeit wird von SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN GRUPPIERUNGEN nicht betrieben. Gewaltbereitschaft, Kurzschlussreaktionen und impulsgesteuertes Handeln sind für diese Szene charakteristisch. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Die subkulturelle Musikszene ist weiterhin 2021 ein zentrales Element des Rechtsextremismus, wie die unverändert hohe Anzahl von Bands und CD-Produktionen zeigt. Aufgrund der Corona-Beschränkungen waren die Aktivitäten SUBKULTURELL GEPRÄGTER RECHTSEXTREMISTISCHER GRUPPIERUNGEN im Vergleich zum Vorjahr jedoch rückläufig. Subkulturell geprägte Strukturen sind sehr wandelbar und können unter Umständen auch sehr schnell entstehen. Dabei kommt es nicht zwangsläufig zu festen Strukturen, wie Kameradschaften und ähnlichen Verbänden. Zumeist handelt es sich um sich verfestigende konkrete Personenkreise, die wegen der Nutzung sozialer Medien kaum ein Bedürfnis nach weiterer Organisation empfinden. Daher verlaufen die Strukturbildungsprozesse sehr unterschiedlich: Ergibt sich die Notwendigkeit, unter einem klaren "Label" aufzutreten, strukturiert sich die Szene etwas fester, besteht hierfür kein Seite 84 von 255 dringender Bedarf mehr, verfallen die gebildeten Strukturen wieder in Inaktivität. Eine wichtige Rolle spielen neben bestehenden Kennverhältnissen das Vorhandensein geeigneten Führungspersonals, einer Treffgelegenheit sowie regelmäßig wiederkehrende Ereignisse, die die beteiligten Personen immer wieder zusammenführen. Die Konzertund Vertriebsszene hat für SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN eine hohe - auch bundesweite - Bedeutung. Sie umfasst die zahlreichen sächsischen rechtsextremistischen Musikgruppen und Liedermacher sowie die aktiven Vertriebsunternehmen.58 Es handelt sich bei diesen Vertrieben um weitverzweigte Unternehmen, die teilweise international agieren. Sie stellen die ältesten und etabliertesten Netzwerke innerhalb der Szene dar. Mit dem erwirtschafteten Geld wurden u. a. Immobilien gekauft oder gemietet und Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene in Sachsen finanziell unterstützt. Die Vertriebe bilden ein wichtiges Rückgrat für die gesamte Szene. Sie stellen aber nicht nur Finanzmittel, sondern auch Räumlichkeiten, Logistik und erfahrene Veranstaltungsorganisatoren zur Verfügung. Mit PC-RECORDS59 (Chemnitz) agiert einer der bundesweit bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebe in Sachsen. Anders als früher wird der subkulturell geprägte Rechtsextremismus nicht mehr von rechtsextremistischen Skinheads, sondern von rechtsextremistischen Fußballanhängern dominiert. Sie sind vor allem in den Großstädten, aber auch in den Landkreisen Bautzen, Meißen, Sächsische SchweizOsterzgebirge, Leipzig, Nordsachsen, Zwickau und im Erzgebirgskreis ansässig. In den vergangenen Jahren sammelten sie sich u. a. in zwei bestehenden rechtsextremistischen Fußballfangruppierungen: KAOTIC CHEMNITZ und BLACK DEVILS (Hoyerswerda, Landkreis Bautzen). Im Berichtsjahr fielen keine Erkenntnisse zu den Gruppierungen an, was durch die pandemiebedingten Auflagen und Beeinträchtigungen des Spielbetriebs zu erklären sein könnte. Beide Gruppierungen bestehen im Kern aus einem niedrigen zweistelligen Personenpotenzial. Die Bildung und Auflösung von rechtsextremistischen Fußballanhängergruppierungen verläuft dem Grundcharakter der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene entsprechend sehr dynamisch: Zahlreiche in der Vergangenheit aktive Gruppierungen traten in den letzten Jahren nicht mehr in Erscheinung oder lösten sich aus strategischen Gründen formell auf. Zumeist blieb jedoch das hinter den Gruppierungen stehende Personenpotenzial erhalten und agierte auch weiter gemeinsam. Daneben bilden die rockerähnlichen Strukturen, die vor allem in Ostsachsen beheimatet sind, eine weitere relevante Unterart der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN. In Bruderschaften ahmen Rechtsextremisten den klassischen Rocker-Lifestyle nach. Mitglieder tragen bei Szeneveranstaltungen Lederkutten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen. Häufig werden die hierarchischen Strukturen der Rocker-Clubs übernommen. Gemeinsam ist allen rechtsextremistischen Bruderschaften, dass sie gemeinschaftliche, öffentliche Auftritte eher meiden. Kutten und sonstige Erkennungsmerkmale werden insbesondere bei internen Veranstaltungen und Konzerten getragen. Auf öffentliche Machtdemonstrationen wird für gewöhnlich verzichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass es den Gruppierungen in Sachsen schlichtweg an "Masse" mangelt. Zum anderen treibt die rechtsextremistischen Bruderschaften die Sorge um, durch ihre Uniformierung zu leicht als "Verein" identifiziert und damit Gegenstand vereinsrechtlicher Exekutivmaßnahmen zu werden. Herausragende Vertreter sind die BRIGADE 8 aus Mücka (Landkreis Görlitz) und die ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) aus Bautzen (Landkreis Bautzen). 58 vgl. Beiträge II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik und II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 59 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Seite 85 von 255 Beim Ableger der BRIGADE 8 in Mücka handelt es sich um eines von mehreren "Chaptern" dieser 2012 gegründeten bundesweit bestehenden Gruppierung. Ihre Mitglieder sind gut vernetzt und verfügen über Verbindungen in die bundesweite rechtsextremistische - vor allem NEONATIONALSOZIALISTISCHE - Szene. Insbesondere kam es zur veranstaltungsbezogenen Kooperation mit Angehörigen der Gruppierung COMBAT 1860 bis zu deren Verbot am 23. Januar 2020. Personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene bestehen in Sachsen hingegen nur vereinzelt. Diese gehen meist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurück. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihres vergleichsweise hohen Anteils von Migranten ab. Aktivitäten Aufgrund der Corona-Beschränkungen waren die Aktivitäten subkulturell geprägter rechtsextremistischer Gruppierungen sowie des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials auch im Berichtsjahr weiter eingeschränkt. Der seit 2018 bestehende Trend zu Großkonzerten und sog. Mischveranstaltungen61 konnte, wie bereits 2020, auch im Berichtszeitraum aufgrund der CoronaBeschränkungen nicht fortgesetzt werden. Ursprünglich sollte ein im Jahr 2020 aufgrund der Corona-Maßnahmen abgesagtes "Schild und Schwert Festival" zunächst auf das Frühjahr des Folgejahres verschoben werden. Durch den Veranstalter wurde jedoch dann mitgeteilt, dass auch in 2021 aufgrund der "Corona-Krise" kein "Schild und Schwert Festival" stattfinden würde. Subkulturell geprägten Rechtsextremisten bzw. dem unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial fehlte ohne diese Großbzw. Mischveranstaltungen ein entscheidendes Podium für die öffentliche Präsenz und Provokation. Der Nachholbedarf zeigte sich im Zuge der Lockerungen der staatlichen Corona-Maßnahmen. So war von Juli bis Oktober 2021 ein Anstieg rechtsextremistischer Konzerte zu verzeichnen. Allerdings fanden diese aufgrund fortbestehender Corona-Einschränkungen mit verminderter Teilnehmerzahl statt. Als im Herbst neue staatliche Corona-Maßnahmen in Kraft traten, kam das Konzertgeschehen in der sächsischen rechtsextremistischen Szene weitgehend zum Erliegen. Überregional bedeutende Aktivitäten von rechtsextremistischen Fußballanhängern Zu einem Testspiel des Chemnitzer FC gegen den tschechischen Fußballclub "FK Banik Most" am 26. Juni in Most reisten u. a. mindestens zehn rechtsextremistische Fußballfans des Chemnitzer FC an. Diese liefen an der Spitze einer Fangruppe durch Most und sangen lauthals mindestens einen Teil eines indizierten Liedes der rechtsextremistischen und verbotenen Band LANDSER. Zudem skandierten sie abschließend laut u. a. den Hitlergruß. Der Verein distanzierte sich in der Folge öffentlich von dem Verhalten dieser Personen und erteilte zehn Anhängern zeitlich unbegrenzte Hausverbote. Der Chemnitzer FC geht im Rahmen seiner Präventionsarbeit bereits seit längerem konsequent gegen rechtsextremistische Umtriebe in den Reihen seiner Fans und Spieler vor. Der Vorfall verdeutlichte jedoch, dass Rechtsextremisten nach wie vor in der sächsischen Fußballfanszene vertreten sind und ihre Gesinnung offensiv bzw. selbstbewusst nach außen tragen. 60 vgl. Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2018, S. 132 sowie Verfassungsschutzbericht Hessen 2018, S. 77. COMBAT 18 wurde am 23. Januar 2020 durch den Bundesinnenminister verboten. 61 Der Begriff "Mischveranstaltung" bezeichnet ein Veranstaltungsformat, bei dem verschiedene Veranstaltungsbestandteile ausgerichtet werden, die sonst nur in Einzelformaten bedient würden (z. B. Musik und Kampfsport im Rahmen einer Veranstaltung). Seite 86 von 255 Insbesondere die Durchführung dieser Aktion im benachbarten Ausland belegt, dass subkulturell geprägte Rechtsextremisten durchaus willens und in der Lage sind, sich eventbezogen zu organisieren und die Öffentlichkeit mit ihrem Auftreten zu provozieren. Die Fußballvereine werden dabei von Rechtsextremisten als Vehikel genutzt: Das Fußballstadion wird als Treffbzw. Demonstrationsort missbraucht und das Treiben vor und nach den Spielen für die öffentlichkeitswirksame Zurschaustellung der verfassungsfeindlichen Ideologie. Das grundsätzliche gemeinsame Interesse am Fußballsport ist schlussendlich das verbindende Element innerhalb der Szeneangehörigen, welches sie immer wieder zusammenkommen lässt. Zudem beteiligten sich Angehörige der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE bzw. des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials an den sachsenweiten CoronaProtesten. Hierbei mischten sich beispielsweise rechtsextremistische Fußballfans und/oder Kampfsportler unter die nicht extremistischen Teilnehmer aus der gesellschaftlichen Mitte. Teilweise traten die Rechtsextremisten in kleinen Gruppen provokant und aggressiv gegenüber den eingesetzten Polizisten auf. Regionale Ausprägung Landkreis Görlitz Zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im Landkreis Görlitz zählt u. a. die Gruppierung BRIGADE 8 aus Mücka , die in Hierarchie und Auftreten mit einheitlichen Lederkutten dem Erscheinungsbild von Rockergruppierungen ähnelt. Sie unterhielt im Landkreis das CHAPTER OSTDEUTSCHLAND, das sich auch CHAPTER W EIßWASSER bzw. CHAPTER EASTSIDE nannte. In der Vergangenheit führte sie regelmäßig Veranstaltungen durch, bei denen auch rechtsextremistische Bands und Liedermacher auftraten. Die BRIGADE 8 entwickelte sich in Bezug auf die Durchführung von Szeneveranstaltungen im Landkreis Görlitz über die Jahre zu einer festen, überregional aktiven Größe. In der Folge agierte sie zunehmend selbstbewusster. Dies zeigte sich auch in unverhohlen demonstrierten Sympathien für COMBAT 1862 (bis zu deren Verbot) sowie auch im offen erkennbaren Auftreten während des "Schild und Schwert"-Festivals in Ostritz 2019. Die Anzahl der Veranstaltungen in Mücka ist im Berichtsjahr - wie bereits 2020 - weiter deutlich zurückgegangen. Gründe für diese Entwicklung sind zum einen die Corona-Beschränkungen, zum anderen sind auch interne Auseinandersetzungen ausschlaggebend für diese Entwicklung gewesen. Dennoch beteiligten sich Angehörige des CHAPTERS OSTDEUTSCHLAND im Februar - analog der Vorjahre - am jährlichen Gedenken der rechtsextremistischen Szene anlässlich der Bombardierung Dresdens 1945. Im Frühjahr kam es dann allerdings zu Zerwürfnissen innerhalb der bundesweiten BRIGADE 8-Strukturen, in deren Folge dynamische strukturelle Entwicklungen innerhalb des CHAPTERS OSTDEUTSCHLAND der BRIGADE 8 in Mücka zu verzeichnen waren. Das Chapter wurde nach der Absetzung des Präsidenten und dessen Ausschluss aus der BRIGADE 8 im Frühjahr aufgelöst. Ein aus dem ehemaligen Präsidenten und dessen Unterstützern bestehender Teil des früheren CHAPTERS OSTDEUTSCHLAND plante die Gründung einer neuen Gruppierung na62 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, S. 132 Seite 87 von 255 mens BRIGADE 8 OUTLAWS - CHAPTER W EIßWASSER. Dieses Ansinnen fand unter den übrigen Chaptern der BRIGADE 8 allerdings keinen Anklang. Anfang Juli wurde der ehemalige Präsident des CHAPTERS OSTDEUTSCHLAND überfallen. Seine "Kutte" wurde ihm dabei entwendet. Einige Mitglieder des ehemaligen CHAPTERS OSTDEUTSCHLAND beteiligten sich seit dessen Auflösung an Veranstaltungen anderer BRIGADE 8 - Chapter beispielsweise in Brandenburg und Sachsen-Anhalt. Nach der Gründung einer neuen Struktur mit der Bezeichnung CHAPTER SCHLESIEN durch ehemalige Mitglieder des CHAPTERS OSTDEUTSCHLAND dient das Objekt in Mücka weiterhin als Anlaufstelle der BRIGADE 8. Mit der Gruppierung SCHLESISCHE JUNGS NIESKY gehört im Landkreis Görlitz eine weitere Gruppierung zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE. Einem im August im Internet veröffentlichten Foto zufolge trugen mehrere Mitglieder der SCHLESISCHEN JUNGS NIESKY während eines Treffens T-Shirts, die ihre Gruppenzugehörigkeit demonstrierten, bzw. zeigten ihr Banner. In der Vergangenheit beteiligte sich diese rechtsextremistische Gruppierung auch an bekannten Szene-Veranstaltungen, wie dem "Schild und Schwert"-Festival in Ostritz. Landkreis Sächsischen Schweiz-Osterzgebirge Im Landkreis Sächsische Schweiz - Osterzgebirge ist mit der Gruppierung PECKERWOOD BROTHERHOOD eine Gruppierung der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im Raum Pirna aktiv63. Sie gehört zum Umfeld der Szeneobjekte "Haus Montag" und "Klub 451". Im Januar des Berichtsjahres veröffentlichte die Gruppierung auf ihrer Facebookseite nach längerer Zeit der Inaktivität einen Beitrag über eine Banneraktion unter dem Motto "Risikogebiet Pirna", welche sich inhaltlich gegen die geltenden Corona-Maßnahmen richtete. 2.4.5 Rechtsextremistische Musik Die Musik sowie die Szene-Konzerte sind unverändert wichtige Instrumente für die Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie und damit eine zentrale, identitätsstiftende Basis für die Szene. Gemeinsame Konzertbesuche stärken das Gemeinschaftsgefühl und tragen dazu bei, dass Kontakte zwischen den verschiedenen regionalen Szenen geknüpft und aufrechterhalten werden. Szenemitglieder haben bei Konzerten darüber hinaus die Möglichkeit, ihre Ideologie in der "geschlossenen Konzertgemeinschaft" auszuleben. So sind dort mitunter gemeinschaftlich begangene strafbare Handlungen, wie der Hitlergruß oder "Sieg Heil-Rufe", festzustellen. Die Szene selbst spricht hier von "abhitlern". Rechtsextremisten können ihre verfassungsfeindliche Ideologie sehr gut über die Texte ihrer Musikdarbietungen vermitteln, wobei dazu passende Melodien und Rhythmen einen wesentlich verstärkenden Faktor im emotionalen Empfinden des Empfängers auslösen. Insofern ist die Musik vor allem für Jugendliche ein Einfallstor in die rechtsextremistische Szene. Nicht zuletzt spielen kommerzielle Gesichtspunkte bei der Veranstaltung von Konzerten und vor allem bei den Szene-Vertrieben eine nicht zu unterschätzende Rolle. Beides sind wichtige finanzielle Einnahmequellen für Rechtsextremisten. 63 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2020, S. 135 Seite 88 von 255 Die SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE bevorzugt Musikstilrichtungen wie "R.A.C."64 und "Hardcore"65 bzw. "Hatecore"66. Dieser "Rechtsrock" ist geprägt von aggressiven Texten und zumeist hämmernden Rhythmen. In den Liedern werden Rassismus und Gewalt propagiert, das NS-Regime verherrlicht und der Kampf gegen das verhasste demokratische System beschrieben. In den Texten wird zum Teil auch einem Germanenund Wikingerkult gehuldigt. Politische Inhalte werden zudem auch im Balladenstil vorgetragen. Eine in der Szene beliebte Musikstilrichtung ist der sog. "NSBM"67. Diese von der Black-Metal-Musik abgeleitete Stilrichtung bezieht sich in ihrer Ausrichtung auf den historischen Nationalsozialismus. Mit dem Umzug der beiden rechtsextremistischen Musiker PROTOTYP und PRIMUS nach Sachsen agieren seit 2020 zudem zwei Vertreter der Musikstilrichtung "Rapmusik" im Freistaat. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen im Jahr 2021 in Sachsen Die Entwicklung der rechtsextremistischen Musikszene im Freistaat Sachsen war im Berichtsjahr maßgeblich durch die Corona-Beschränkungen beeinträchtigt. Wie im Jahr zuvor wurden geplante Konzerte entweder abgesagt oder fanden unter entsprechenden Einschränkungen mit reduzierter Teilnehmerzahl statt. Darüber hinaus konnten einzelne konspirativ organisierte Konzerte bzw. Liederabende festgestellt werden. So hat sich im Berichtsjahr coronabedingt mit insgesamt neun Konzerten (2020: 14) und 16 Liederabenden bzw. sonstigen Musikveranstaltungen (2020: 22) die Anzahl rechtsextremistischer Musikveranstaltungen im Freistaat Sachsen weiter verringert. Durchgeführte rechtsextremistische Konzerte in Sachsen 30 25 25 24 24 20 17 15 15 14 14 14 10 9 5 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 64 "Rock against Communism" - Rock gegen Kommunismus 65 US-amerikanische Weiterentwicklung der "Punk"-Musik - im Stil schnell und hart 66 wie "Hardcore", jedoch mit härteren, hasserfüllten Texten. Der Begriff "Hatecore" war ursprünglich nicht rechtsexextremistisch ausgerichtet, wird aber mittlerweile in erster Linie von rechtsextremistischen Bands besetzt. 67 "NSBM" steht für NS-Black Metal und bezeichnet den Teil der Metal-Szene, der sich in seiner Musik und seiner Ausrichtung auf den historischen Nationalsozialismus bezieht. Seite 89 von 255 Die nachfolgenden Tabellen beinhalten Übersichten über rechtsextremistische Konzertveranstaltungen, Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen, welche für das Berichtsjahr öffentlich genannt werden können. Konzertveranstaltungen Datum Ort Konzertbesucher (ca.) 1 17. Juli Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 230 2 7. August Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 100 3 13. August Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 220 4 3. September Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 100 5 11. September Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 170 6 2. Oktober Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 230 7 9. Oktober Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) 160 Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen Datum Ort Veranstaltung 1 3. Juli Riesa Sommerfest der NPD mit Auftritt von Liedermachern wie Benjamin GRUHN68. 2 24. Juli Pirna Vortragsveranstaltung der NPD mit Auftritt des Liedermachers BIENENMANN69 (Thüringen). 3 4. September Frankenberg Sog. "Schuleinführungsveranstaltung" mit Live-Musik. Die Veranstaltung wurde von der Polizei aufgelöst. Dabei wurde ein Musiker der Band KATEGORIE C70 (Bremen) festgestellt. 4 vermutlich 2. Riesa Erntedankfest der NPD mit Auftritt Oktober des Liedermachers Benjamin GRUHN. 5 17. Oktober Dresden Auftritt einer Musikerin bei einer Kundgebung von PEGIDA 6 18. Dezember Zwickau Auftritt eines Liedermachers bei einer Veranstaltung der Partei DER DRITTE W EG Im wohl wichtigsten Konzertobjekt der sächsischen rechtsextremistischen Szene, dem ehemaligen Gasthof in Torgau, OT Staupitz (Landkreis Nordsachsen), fanden insgesamt sieben von zehn möglichen, behördlich71 genehmigten Konzertveranstaltungen statt. Die Organisatoren versuchten nach 68 Verfassungsschutzbericht Sachsen 2020, Seite 81 69 Antwort auf kleine parlamentarische Anfrage Drs. 7/3887 Landtag Thüringen vom 5. August 2021 70 vgl. Verfassungsschutzbericht 2020, Landesamt für Verfassungsschutz Bremen, S. 45 71 Unabhängig von Corona-Maßnahmen dürfen in dem Gasthof in Torgau, OT Staupitz jährlich nur zehn Konzerte stattfinden. Seite 90 von 255 Abklingen der "Corona-Welle" die maximale Anzahl an möglichen Konzerten zu erreichen, scheiterten jedoch an der erneuten Zunahme der Infektionszahlen gegen Ende des Jahres und den damit verbundenen neuerlichen Einschränkungen. Ebenso nahm der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE im Berichtsjahr coronabedingt davon Abstand, in der Liegenschaft des Hotels "Neißeblick" in Ostritz (Landkreis Görlitz) die szenebekannte Großveranstaltung "Schild und Schwert"-Festival durchzuführen. Damit entfielen auch dort die Auftritte verschiedener rechtsextremistischer Bands. Die aus Bremen stammende rechtsextremistische Musikgruppe KATEGORIE C72 war für ein Konzert am 28. August im Raum Zwickau angekündigt gewesen. Die Veranstaltung wurde jedoch verboten. Durch Aufklärungsarbeit der Polizei konnte am 4. September festgestellt werden, dass Lieder dieser Band auf einer als "Schuleinführungsfeier" getarnten Veranstaltung in Frankenberg (Landkreis Mittelsachsen) vor ca. 60 Teilnehmern live gespielt wurden. Nachdem die eingesetzten Beamten erfuhren, dass auch indizierte Lieder der verbotenen Musikgruppe LANDSER73 nachgespielt wurden, löste die Polizei die Veranstaltung auf. Unter den festgestellten Teilnehmern befand sich auch ein Mitglied der Band KATEGORIE C. Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher Im Berichtsjahr konnten ungeachtet der Corona-Beschränkungen Aktivitäten von insgesamt 29 rechtsextremistischen Musikgruppen, Liedermachern bzw. Einzelinterpreten mit Bezug zu Sachsen festgestellt werden. Die Musiker beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten bzw. Liederabenden, traten bei Veranstaltungen bzw. öffentlichen Versammlungen von rechtsextremistischen Organisationen auf oder arbeiteten an neuen Tonträgern. Sie beteiligten sich mit Liedbeiträgen an zwei Samplern, gaben 14 Alben heraus, wirkten an drei Split-CDs mit oder arbeiteten mit anderen Bands im Rahmen von Musikprojekten zusammen. Im Berichtsjahr traten einige seit geraumer Zeit als inaktiv geltende Musikgruppen wieder in Erscheinung. So produzierten insgesamt sechs Bands nach mehr oder weniger langen Phasen der Inaktivität wieder Tonträger oder beteiligten sich mit Liedgut an Samplern. Das Ensemble der rechtsextremistischen Liedermacher in Sachsen wurde um einen Musiker ergänzt, der im Berichtsjahr mehrere Musikvideos und ein Album produzierte. Nachfolgend werden die im Freistaat Sachsen im Jahr 2021 auffälligsten Entwicklungen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Musikern und Musikgruppen beschrieben: Band ODESSA Die aus Leipzig stammende rechtsextremistische Band ODESSA trat 1997 erstmals auf. Der Name ODESSA stand für "Organisation der ehemaligen SS Angehörigen". Im Jahr 2008 nannte sich die Band in SHED NO TEARS um. Sie war bis zum Jahr 2011 aktiv. Ihr erster Tonträger - eine Eigenproduktion mit der Bezeichnung "Die Jung's von .... !!!" - wurde im Jahr 2011 von der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" indiziert. Der Tonträger wies eindeutig positive Bezüge zur Zeit des Nationalsozialismus auf. So war auf dem Cover der Ausschnitt eines Plakates der Waffen-SS abgebildet. Im Lied "Bastard" heißt es: "Doch einst, da kommt unser Tag, ihr werdet es schon sehen. Die 72 vgl. Verfassungsschutzbericht 2020, Landesamt für Verfassungsschutz Bremen, S. 45. 73 Broschüre "Rechtsextremistische Musik", Berlin, Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz, 2016, S. 21 Seite 91 von 255 SS wird wieder durch unsere Straße gehen. Keine Bullen mehr, die auf unsere Köpfe schlagen! Keine Bullenschweine, die stolze Deutsche jagen." Auch der 2002 produzierte Tonträger "Eiserner Wille und stolzes Herz" wurde indiziert. Er enthielt Liedtexte, welche zum Rassenhass anreizten. So heißt es im Lied "Nationalisten": "Der Abschaum reicht sich hier täglich die Hand. Sie unterwandern unser Volk und verderben unser Land. Politiker, die unser Vaterland verraten, doch nicht ungestraft bleiben ihre Taten. Sie zerstören unsere Rasse, also damit die oberste Klasse. Darum Nationalisten aller Herren Länder, steht auf und kämpft gemeinsam gegen Volksverräter. Unser Tag wird kommen, an dem Europa befreit und alle weißen Völker leben in Zufriedenheit." Im April 2021 konnte auf Telegram ein Account mit der Bezeichnung "Odessa" festgestellt werden. Unter der Überschrift "Von Odessa zu shedNOtears und zurück oder..." sowie "Vorwärts auf Null!!" wurde ein Neustart der Band ODESSA unter diesem ursprünglichen Namen verkündet. Die Musikgruppe trat erstmals am 11. September 2021 bei einem rechtsextremistischen Konzert in Torgau OT Staupitz auf. Das bei diesem Auftritt angekündigte Liedgut der Band enthielt auch drei Titel der Band aus den Alben "Eiserner Wille und stolzes Herz" sowie "Organized Noise". Darunter befand sich auch der indizierungsrelevante Titel "Nur die Stärkeren". Im November 2021 verkündete die Musikgruppe schließlich, dass sie zusammen mit PC-RECORDS74 an einem neuen Album arbeite. Band FULL OF HATE Nach Jahren der Inaktivität (2008 erschien ein erstes Album) produzierte die rechtsextremistische Musikgruppe FULL OF HATE im Jahr 2021 das Album "MMXXI" bei dem aus Brandenburg stammenden rechtsextremistischen Label OPOS-RECORDS75 und beteiligte sich am Anfang 2022 erschienenen Tonträger "Rock Hate Sampler Vol. 1". Bei der Musikgruppe handelt es sich um ein im Jahr 2006 entstandenes Projekt zweier Musiker, die auch aus anderen rechtsextremistischen Musikgruppen, wie z. B. BLITZKRIEG76, bekannt waren. Die Musik dieser Band ist den Stilrichtungen "Hate-Core" und "RAC" zurechenbar. In den Liedtexten ist Hass gegen den poltischen Gegner erkennbar. Auch wird das gesellschaftliche System verächtlich und diffamierend dargestellt. Unterschwellig ist ein positiver Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus zu finden. Im Lied "Eine alte Division" aus dem 2008 erschienenen Album "National Streetcore" lassen Formulierungen darauf schließen, dass ein neues Reich nach nationalsozialistischem Vorbild angestrebt wird. "Und werden die Zeiten auch härter - aufgeben werden wir nicht, gegen diesen Dreck zu kämpfen, bleibt immer oberste Pflicht! [...] So kommen wir wieder im schwarzen Gewand, denn unseren Glauben niemand verbannt! [...] Lass sie weiter reden, lass sie weiter schreien, bald kommt über sie einschwarzer Sturm und dann ist es vorbei! Eine alte Division im neuen Gewand, aus der Asche unserer Ahnen von dieser Zeit verbannt! Ein längst vergangener Glaube lebt wieder auf, die Augen stets nach vorn und zu allem bereit! Eine schwarze Uniform auf dem Leib, eine Reise in die Vergangenheit! Die Sehnsucht nach dem Reich, sie wird nie vergehen!!! In unseren Herzen wir schon lange ein anderes Land sehen! Noch voller Stolz und Reinheit! Ein Volk aus anderem Holz, das sich nicht fügt und aufsteht!" Die Beschreibung einer "schwarzen Uniform", eines "schwarzen Gewandes" in dem man wieder kommen will und eines 74 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 75 vgl. Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2020, S. 70. 76 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2018, S. 79 Seite 92 von 255 "schwarzen Sturmes" im Zusammenhang mit einer "alten Division" liefert ein Bild mit Bezug zur schwarz uniformierten Waffen-SS. Im Lied "Full of Hate" bringt die Musikgruppe ihren Hass auf das "System" zu Ausdruck. Im Album "National Streetcore" heißt es: "Noten voller Hass gegen dieses scheiß System, knallharte Musik, wir bleiben unbequem! Kein Gewissen und mit dem Kopf durch die Wand, wir rocken das System außer Rand und Band!" Auch im aktuellen Album ist ein Lied mit dem gleichen Titel enthalten. Dort heißt es: "Full of Hate, niemals gehen wir in die Knie! Full of Hate, der Untergang für das System! Full of Hate, die Stimme aus dem Untergrund!". Die Gesellschaft wird im Lied "Produkt dieser Zeit" aus dem Album "MMXXI" verächtlich als "Zuchtanstalt für Willenlose", als "Imperium voller Lügen" diffamiert, in der "Krankheiten antrainiert" werden. Im Lied "Du nicht" bringt die Band ihren Hass auf den politischen Gegner zum Ausdruck, in dem sie ihn als "Abfall" und "Sklave des Systems" diffamiert und androht: "Auge um Auge, Zahn um Zahn! Du wirst es sehen, es wird geschehen. Dann werden wir uns gegenüber stehen. Dann hilft kein Jammern und kein Betteln und kein Flehen. Jetzt endlich sind deine Tage gezählt!" Band KAMERADSCHAFT TREUE EHRE (K.T.E.) Im Jahr 2003 wurde die aus Sachsen stammende Band KAMERADSCHAFT TREUE EHRE im Zusammenhang mit Auftritten bei rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen bekannt. Diese aus Mittweida stammende Band ließ in ihren Liedern auf ihrer ersten, selbst produzierten Demo-CD einen Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus erkennen. Im Lied "Der Sturm" heißt es "Ein Sturm zieht auf über unser Land, habt ihr die Klagen noch nicht erkannt? In jedem Gesicht, Stadt, Dorf und jeder Aue, Dreck überfüllt unsere deutschen Gaue. Lasst sie marschieren wie in alten Zeiten. Sauberkeit und Ordnung in unserem Land verbreiten. Schwarze Männer mit dem doppelten Blitz. In jedem kleinen Dorf ist ein Anti-Kommisitz." Bei PC-RECORDS produzierte die Band im Jahr 2008 ihren zweiten Tonträger "Es wird passieren" und beteiligte sich am Sampler "Stimmen der Revolution". Auch das Album "Es wird passieren" enthält das Lied "Der Sturm". Im Titel "Es wird passieren" kündigt die Band einen Sturz des "Systems" an: "Doch eines Tages wird es passieren. In diesem Land wird es eskalieren Doch darauf warten wir nur, denn Rache ist unser Schwur. Die Fahne wird wieder wehen, stärker als je zuvor." Nachdem diese Tonträger produziert und veröffentlicht waren, wurden über lange Zeit keine Aktivitäten dieser Musikgruppe mehr verzeichnet. Anfang 2022 wurde dann bekannt, dass sich die Musikgruppe im Berichtsjahr an der Produktion des Tonträgers "Rock Hate Sampler Vol. 1" beteiligt hatte. Auf diesem Tonträger ist die Band K.T.E mit drei Liedern vertreten. Unterstützt wurde die Band dabei von Musikern der sächsischen Bands PIONIER77 und HEILIGE JUGEND78. Band SCHWARZE DIVISION SACHSEN Das rechtsextremistische Musiklabel FRONTMUSIK79 produzierte im Jahr 2021 den Tonträger "Glatzen aus Sachsen & Vandalen aus Westfalen". Als Band spielte ein Musikprojekt mit der Bezeichnung "Zoigen RaHoWas". In einer Rezension zu diesem Tonträger hieß es: "Dieses Mal hat man sich Unterstützung dazu geholt, und dabei handelt es sich um die Untergrundkapelle SCHWARZE DIVISION SACHSEN. [...] Wenn einem die letzte Kapelle nichts sagt, dann liegt es wohl daran, dass die Band 77 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 84 f. 78 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, S. 79 79 ehemals in Sachsen ansässiger rechtsextremistischer Vertrieb, vgl. Sächsische Verfassungsschutzberichte 2019, Seite 100 sowie 2020, Seite 84 Seite 93 von 255 symbolisch für den Untergrund der rechtspolitischen Musikszene steht und noch nie etwas ins Leben gerufen hat(te), das irgendwie auch nur ansatzweise für den deutschen Markt zugänglich war." Damit ist gemeint, dass die Band SCHWARZE DIVISION SACHSEN bisher zwei Tonträger produziert hat, die Beschlagnahmebeschlüssen unterliegen. Im Jahr 2010 erschien der Tonträger "Holocaust 2010", zwei Jahre später wurde der Tonträger "Juden sind hier unerwünscht" indiziert. Beide Alben enthalten Liedgut, das zum Rassenhass anreizt, den Nationalsozialismus sowie Gewalt verherrlicht bzw. verharmlost und zutiefst antisemitische Inhalte verbreitet. Das Cover der CD "Holocaust 2010" zeigt aufgetürmte Leichen von Opfern des Holocausts vor der Aufschrift "Holocaust 2010" und eine Fotografie des Eingangs zum Konzentrationslager Auschwitz. Hakenkreuz und der Reichsadler mit Hakenkreuz sind mehrfach abgebildet. Im Lied "Highway to Auschwitz" heißt es: "Kleine Filzlaus mit der langen Nas, wir begleiten dich ein Stück auf dem Weg ins Gas, wir sehen dich betteln um Gnade flehen, doch ein judenfreies Deutschland ist, was wir uns ersehnen." Ihr Weltbild beschreibt die Band im Lied "SDS": Wir sind nicht von dieser Welt, sind Terroristen und tun was uns gefällt. Wir sind Anti-Zionisten, hassen Nigger, sind Nazis und Rassisten. Wir feiern uns so lange es uns gibt, bis der Verfassungsschutz uns kriegt. In ihren Liedern "Zyklon B" und "Ab in den Ofen" beschreibt die Band in menschenverachtender Art und Weise ihr Feindbild "Jude" und die Anwendung von Gewalt als probates Mittel: Juden kommen aus einem Rattennest und verbreiten Judenseuch' und Pest. Sie wollen unsere Rasse ausmerzen [...] Scheiße aus dem Leib geprügelt wie es sich gehört. Wie ein Judenschlächter, der euch traktiert. Messer rein, Messer raus, Messer rot, Judentod." Auf dem neuen Tonträger aus dem Jahr 2021 ist die Band mit den bisher unbekannten Titeln "Sieg" und "Dilemma" vertreten. Darüber hinaus wirkte sie mit beim Lied "Alte Garde" - einer Coverversion des Liedes einer anderen Band. Band SELBSTSTELLER Fast hatte es den Anschein, dass die Band SELBSTSTELLER80 nicht mehr existiert, zumal ein Bandmitglied seine musikalischen Aktivitäten in die seit 2016 aktive Band T RUE AGGRESSION81 einbringt. SELBSTSTELLER hatte zuletzt 2019 einen Auftritt bei einem Konzert in Torgau OT Staupitz. Lediglich die Facebookseite der Band wies auf den Fortbestand von SELBSTSTELLER hin. Am 20. Dezember 2021 verkündete die Band auf Facebook, dass man "mal wieder Studioluft geschnuppert hat". SELBSTSTELLER beteiligte sich an dem vom sächsischen rechtsextremistischen Label FEINDKONTAKT PRODUKTION herausgegebenen Sampler "Schlachtrufe BRD X". Band HOPE FOR THE WEAK Bei der Band HOPE FOR THE WEAK handelt es sich um eine seit 2011 aktive rechtsextremistische Musikgruppe, deren Mitglieder aus Sachsen (Raum Dresden) und Brandenburg stammen. Die Band ist dem rechtsextremistischen Vertrieb und Label OPOS-RECORDS aus Brandenburg zurechenbar. Der Inhaber dieses Vertriebes ist zugleich als Bandmitglied bekannt. Das Liedgut dieser Musikgruppe ist überwiegend in englischer Sprache verfasst. Das im Jahr 2011 von OPOS-RECORDS produzierte Album "The Underdogs call" wurde von der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" indiziert. Eine Bewertung der zum Teil englischsprachigen Lieder ließ erkennen, dass die Band den Nationalsozialismus verherrlicht (Titel "Land meiner Väter"). Auch im Titel "Aufruf zur Revolte" wurde nach Bewertung der Bundesprüfstelle der Nationalsozialismus glorifiziert und als bevorzugte Systemalternative zur gegenwärtigen Verfassung der Bundesrepublik Deutschland angepriesen. 80 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 88 81 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, Seite 92 Seite 94 von 255 Auch diese Musikgruppe war über lange Zeit inaktiv. Zuletzt wurde ein Auftritt bei einem Konzert in Griechenland im Jahr 2016 bekannt. Im Jahr zuvor beteiligte sich die Band zusammen mit der Band SELBSTSTELLER an einer Split-CD. Im Jahr 2021 erschien nach dieser inaktiven Phase schließlich das Album "Honour Bound". Liedermacher EINZELKÄMPFER Im Jahr 2021 wurde über verschiedene Internetplattformen, wie Facebook, Instagram und YouTube, der aus Schwarzenberg (Erzgebirgskreis) stammende Liedermacher EINZELKÄMPFER bekannt. Auf YouTube veröffentlichte er mehrere Lieder, so auch einen Cover-Song der ehemaligen, als rechtsextremistisch eingestuften Band JUNGSTURM82 aus dem Saarland. EINZELKÄMPFER veröffentlichte 2021 sein Debüt-Album "Reconquista". Im Liedgut dieses Tonträgers ist seine politische Verortung in der rechtsextremistischen Szene erkennbar. So gedenkt er im Lied "Kameraden" nicht nur den im Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten, sondern auch den verurteilten nationalsozialistischen Kriegsverbrechern: "Tausende, die ihr Leben ließen, im Feindesland verscharrt oder in Gefangenschaft in Scharen zu den Galgen gekarrt. Als Sklaven und Opfer der Siegermächte, begleitet von Tod und Leid, gab ihnen nur die Sehnsucht Kraft, nach Heimat Kind und Weib." Im Lied "Für immer Einzelkämpfer" positioniert sich der Liedermacher deutlich in der rechtsextremistischen Szene: "Wir lassen uns nicht biegen und stehen Stolz zu unseren Ahnen. Heimattreue, Loyalität und im Wind die Schwarz-Weiß-Roten Fahnen". Im Lied "Reconquista" verwendet der Liedermacher die von der rechtsextremistischen Szene oft verwendete Formulierung "Reconquista, wir holen unser Land zurück". Auch in diesem Lied erwähnt der Liedermacher eine Fahne, die verboten ist: "Täglich neue Lügen, sie wollen uns kontrollieren, unsere Fahne verboten, und um uns einzusperren schießen sie mit Viren." Er identifiziert sich damit mit einem von der rechtsextremistischen Szene verwendeten Symbol, wobei offenbleibt, ob damit die verbotene Hakenkreuzflagge oder die in der Szene oft verwendete Reichskriegsflagge gemeint ist. Im Lied "Kämpfer" bezeichnet sich der Liedermacher als "Kämpfer für die alte Fahne": "Stolz und ungebrochen, die letzte Schlacht beginnt. Für die Werte unserer Ahnen - Für das Reich, das Deutsche Reich". Analyse Obwohl die rechtsextremistische Musikszene im Freistaat Sachsen ihre Konzertaktivitäten im Berichtsjahr aufgrund der Beschränkungen im Rahmen der Corona-Pandemie weiter zurückgefahren hat, ist die Produktion neuer Tonträger, insbesondere die Reaktivierung von sechs Musikgruppen, sowie die hohe Zahl an insgesamt aktiven Bands ein Beleg für die ungebrochene Bedeutung von Musik für die rechtsextremistische Szene und die Agilität der hiesigen Bands, Liedermacher und Labels. Möglicherweise führten gerade die Corona-Pandemie sowie finanzielle Aspekte dazu, dass lange inaktive Musikgruppen durch die Produktion von neuem Liedgut auf Tonträgern fernab von gefüllten Konzerträumen wieder auf sich aufmerksam machten und Einnahmen generierten. 82 vgl. Lagebild Verfassungsschutz Saarland 2017, Seite 34 Seite 95 von 255 Es bleibt an dieser Stelle aber auch festzuhalten, dass die rechtsextremistische Szene im Freistaat Sachsen mit ihrem steigenden Personenpotenzial ein für Szene-Musiker attraktiver (Absatz-)Markt ist, den es aus ihrer Sicht zu pflegen und auszubauen gilt - insbesondere auch in finanzieller Hinsicht. Die Organisation und Durchführung von Konzertveranstaltungen ist und bleibt für rechtsextremistische Labels ein wichtiges Mittel für kommerzielle Erfolge. Zum einen fließen den Veranstaltern bzw. den bei den Konzerten vertretenen Labels Einnahmen aus dem Kartenverkauf bzw. dem Verkauf von Tonträgern und Merchandise-Artikeln zu. Zum anderen dienen die Veranstaltungen auch der Werbung für Produktionen der auftretenden Bands. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass die Einnahmen aus Konzerten auch zur Querfinanzierung z. B. anderer szenerelevanter Veranstaltungen genutzt werden. Es ist deshalb nach Abklingen der Pandemie zu erwarten, dass die rechtsextremistische Musikszene ihre Aktivitäten insgesamt wieder steigern wird. 2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Die rechtsextremistische Vertriebsszene hat ihren Ursprung in der Skinheadszene, die als Jugendsubkultur in den 1980er und 1990er Jahren u. a. eine starke Nachfrage nach eigenen Musikstilen aufwies, welche damals im kommerziellen Handel nicht erhältlich waren. Die entstandenen Unternehmen richteten ihr Sortiment daher an den Bedürfnissen dieser Subkultur aus. So wurden und werden Textilien mit szenetypischen Aufdrucken (z. B. "I HTLR", "Adolf war der Beste"), Tonträger rechtsextremistischer Bands bzw. Liedermacher sowie andere szenerelevante Utensilien, wie z. B. Anstecker, Fahnen, Aufkleber und Plakate angeboten. Diese werden häufig mit rechtsextremistischen Symbolen gestaltet.83 Im Unterschied zu Vertrieben, deren Angebote überwiegend auf die Interessen der subkulturellen rechtsextremistischen Szene ausgerichtet sind, spricht das Sortiment einiger Unternehmen ausdrücklich die neonationalsozialistische Szene an. Das Produktangebot dieser Vertriebe beinhaltet demnach größtenteils Publikationen bzw. Artikel mit explizit positivem Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus. Um den kommerziellen Erfolg ihrer Tonträger nicht zu gefährden, sind die Produzenten in Bezug auf Liedtexte und CD-Gestaltung bestrebt, nicht gegen strafund jugendschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen. So lassen sie Tonträger vor der Veröffentlichung juristisch prüfen und entsprechende Gutachten erstellen. Jedoch entschied der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit im Falle eines damals bedeutenden Produzenten rechtsextremistischer Musik, dass von szenenahen Anwälten erstellte "Gefälligkeitsgutachten" keinen Freibrief darstellen und nicht vor strafrechtlicher Verfolgung schützen. In den indizierten Tonträgern sind gewaltbefürwortende und fremdenfeindlich/rassistisch geprägte Aussagen zu finden. Darüber hinaus enthalten Textpassagen oft einen positiven Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus. So werden darin beispielsweise Institutionen und Funktionsträger dieser Zeit glorifiziert. Seit 2004 - damals existierten noch 22 Unternehmen - konnte ein permanenter Rückgang rechtsextremistischer Vertriebsunternehmen im Freistaat Sachsen festgestellt werden. Dieser Trend setzte sich auch im Jahr 2021 fort. Weder die Shop-Seite des Vertriebes DRYVE BY SUIZHYDE aus Dresden als auch die des ebenfalls in Dresden ansässigen NATIONALEN VERSANDHAUSES, das im 83 Das LfV Sachsen hat hierzu eine Broschüre herausgegeben (Titel: "Rechtsextremistische Symbole: Augen auf! Sehen - Erkennen - Handeln"). Sie kann über die Website www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. Seite 96 von 255 Jahr 2020 bereits seine Online-Plattformen reduzierte, waren im Berichtsjahr noch erreichbar. Auch auf das Shop-Angebot des Leipziger HERMANNSLAND-VERSANDES konnte nicht mehr zugegriffen werden. Waren im Jahr 2020 noch neun rechtsextremistische Vertriebsunternehmen im Freistaat Sachsen aktiv, zeigten im Berichtsjahr nur noch sechs Unternehmen eine erkennbare Handelstätigkeit. Offenbar ist der Markt im Freistaat Sachsen mit der aktuellen Anzahl an Vertriebsunternehmen und deren Angeboten bereits gesättigt. Darüber hinaus hat die sächsische Vertriebsszene augenscheinlich ihre frühere Innovationskraft verloren. Hauptgrund hierfür dürfte der mangelnde Wettbewerb sein, da PC-RECORDS den sächsischen Markt dominiert. Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen im Freistaat Sachsen Die aktivsten Versandhändler für rechtsextremistische bzw. szenetypische Produkte im Freistaat Sachsen Name: PC-RECORDS Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Ladengeschäft, Online-Versand und Tonträger-Label Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz Seite 97 von 255 aktiv seit: 2000 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger, mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien Der Vertrieb PC-RECORDS, der aus einem Ladengeschäft, einem Internet-Versand und einem Tonträger-Label besteht, ist in Sachsen der bedeutendste Produzent für rechtsextremistische Musikgruppen. Mehr als 330 Tonträger sind von diesem Unternehmen bisher produziert worden, davon hat die Bundeszentrale für Kinderund Jugendmedienschutz (BzKJ) bisher 87 indiziert. Im Berichtsjahr erschienen unter dem Label insgesamt 24 Tonträger. Das von PC-RECORDS produzierte Sortiment umfasst neben Tonträgern von Bands aus Sachsen sowie anderen Bundesländern auch Produktionen renommierter rechtsextremistischer Musikgruppen aus dem Ausland. So produzierte der Vertrieb im Jahr 2021 eine Neuauflage des Albums "Hail Victory" der ehemaligen englischen Band "Skrewdriver", die eine der renommiertesten Szene-Bands war. Der Umsatz dieses Vertriebes wird auf mehrere hunderttausend Euro jährlich geschätzt. Nicht nur durch die Produktion neuer Tonträger unterstützt PC-RECORDS aktiv die rechtsextremistische Szene. Auch durch die Förderung und Organisation beispielsweise von Konzerten leistet dieser Vertrieb einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer aktiven rechtsextremistischen Szene im Freistaat Sachsen. Name: FEINDKONTAKT PRODUKTION Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Online-Versand und Tonträger-Label Sitz bzw. Herkunft / Inhaber: Plauen aktiv seit: 2015 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger eigener und fremder Produktion, Textilien mit Werbeaufdruck für rechtsextremistische Bands sowie weitere szenetypische Materialien Das in Plauen ansässige und im Gegensatz zu PC-RECORDS ausschließlich regional bedeutende Vertriebsunternehmen FEINDKONTAKT PRODUKTION produziert Tonträger für die rechtsextremistische Szene. Das Onlineangebot des Unternehmens umfasst ein dementsprechendes Angebot. Im Berichtsjahr erschienen elf Tonträger. Seite 98 von 255 Name: NATION UND WISSEN Typ: Verlag mit angeschlossenem Vertrieb Sitz bzw. Herkunft / Inhaber: Riesa aktiv seit: 2011 Sortiment: umfangreiches Büchersortiment insbesondere mit Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus; Tonträger von rechtsextremistischen Musikgruppen Mit dem der NPD zuzurechnenden DEUTSCHE STIMME VERLAG84 und dem Verlag NATION UND W ISSEN existieren im Freistaat Sachsen zwei rechtsextremistische Verlage. Während sich der DEUTSCHE STIMME VERLAG überwiegend mit der Erstellung des NPD-Parteiorgans DEUTSCHE STIMME befasst, produziert der Verlag NATION UND W ISSEN u. a. zahlreiche Bücher, die inhaltlich Bezüge zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges aufweisen. Diese Bücher werden über den angeschlossenen Online-Vertrieb zum Kauf angeboten. Name: LOKIS TRUHE Typ: Gewerblicher Online-Versand Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2017 Sortiment: mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien Der von einem ehemaligen NPD-Funktionär betriebene Online-Versand LOKIS TRUHE ist weiterhin Bestandteil der rechtsextremistischen Vertriebsszene im Freistaat Sachsen. Sein Sortiment ist ausschließlich auf die rechtsextremistische Szene ausgerichtet und beinhaltet Artikel mit Bezügen zur germanischen bzw. nordischen Mythologie sowie zur Zeit des Nationalsozialismus. 84 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS Seite 99 von 255 2.5 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Aktuelle Entwicklungen und Strafverfahren Nach den Anschlägen von 2019 und 2020 in Hessen85 konnten auch aufgrund des hohen Verfolgungsdrucks der Sicherheitsbehörden im Berichtsjahr rechtsextremistisch motivierte Anschläge verhindert werden. Auch wenn keine konkreten Taten erfolgten, ist die abstrakte Gefährdungslage insbesondere vor dem Hintergrund der Corona-Problematik jedoch weiterhin als signifikant zu bewerten. Rechtsextremistische Ideologieelemente, darunter Verschwörungstheorien und Vernichtungsfantasien in Bezug auf andere Ethnien, spielen auch bei Akteuren im Freistaat Sachsen eine wichtige Rolle und können unter Umständen auch hier einen Nährboden für Gewalt und Terror bilden. Rechtsextremisten finden dabei im Internet verschiedene Aspekte, die sie unreflektiert zu ihrer eigenen verfassungsfeindlichen Agenda zusammensetzen können. Als Quintessenz steht oft das proklamierte Recht auf Widerstand und der Anspruch, stellvertretend für einen großen, ungehörten Teil der Bevölkerung zu handeln. Diese Überzeugung fand sich vereinzelt auch bei Rechtsextremisten, die - zusammen mit NichtExtremisten - im weiterhin von der Corona-Krise geprägten Berichtsjahr gegen die vom Staat beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie protestierten. Dabei blieben politische Erfolge der Rechtsextremisten, die einen revolutionären Umsturz anstrebten, aus. Dieses Ausbleiben kann grundsätzlich geeignet sein, Radikalisierungsprozesse innerhalb der rechtsextremistischen Szene auszulösen und der Bildung neuer konspirativ agierender Gruppierungen Vorschub zu leisten. Exemplarisch ist dabei der Vorgang um die Telegram-Gruppe "Dresden OfflineVernetzung", welche gegen Ende des Berichtsjahres durch eine mediale Berichterstattung bekannt wurde. Ursprünglich gegründet als Gruppe mit dem Hauptaugenmerk auf Versorgung und Survival, sog. Prepping86, zeigte sich im Verlauf der Pandemie, dass sich diese Gruppierung zunehmend radikalisierte. Dies geschah vor allem durch die Verwendung einer Vielzahl von Verschwörungstheorien, welche sich um die Entstehung bzw. Ausbreitung des Corona-Virus sowie die entsprechenden Impfungen ebenso rankten wie um gängige, rechtsextremistische Narrative bedienende Theorien und Mythen (u. a. Antisemitismus, Rückkehr zu einem "richtigen Deutschtum", Revisionismus). Im Ergebnis dieser verbalen Radikalisierung im Rahmen der Telegram-Gruppe tauschten sich einzelne Mitglieder der Gruppierung immer offensiver zu möglichen "realweltlichen" Widerstandshandlungen bis hin zu Phantasien in Bezug auf die Ermordung des sächsischen Ministerpräsidenten aus. Durch eine umfassende Zusammenarbeit der sächsischen Polizei und des Landesamtes für Verfassungsschutz wurden schließlich Exekutivmaßnahmen bei sechs Beschuldigten durchgeführt. Dabei konnten u. a. teilweise illegale Waffen, NS-Devotionalien und Ausgangsstoffe für Explosivstoffe sichergestellt werden. Ähnliche Radikalisierungen von Gruppen waren in Sachsen bereits in den Jahren 2015 und 2018 feststellbar. Während der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 mit zahlreichen Protesten und Ausschreitungen in Sachsen, fühlten sich der sog. "Gruppe Freital" sowie mutmaßlich Mitglieder der FREIEN KAMERADSCHAFT DRESDEN (FKD) legitimiert, Gewaltakte gegen Asylbewerber zu verüben. 85 Tötungsdelikt zum Nachteil des Kasseler Regierungspräsidenten in 2019 sowie Anschlag von Hanau in 2020, bei welchem elf Menschen getötet wurden. 86 Der Begriff stammt aus dem Englischen "to be prepared". Man möchte sich bspw. durch das Anlegen von Vorräten, Werkzeugen und Schutzeinrichtungen auf jegliche Art von Katastrophen vorbereiten. Seite 100 von 255 Mit dem Ziel, ein Klima der Angst und Einschüchterung zu erzeugen, begingen mutmaßlich Mitglieder der FKD Sprengstoffanschläge auf eine Asylbewerberunterkunft sowie auf ein Büro der Partei "Die Linke" und auf ein Fahrzeug, das einem Mitglied der Partei "Die Linke" gehörte - also dem politischen Gegner. Kampfsport Mit Blick auf die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten in Sachsen ist auch die zunehmende Bedeutung des Kampfsports für die rechtsextremistische Szene besorgniserregend. Auf diese Weise befähigt man sich, unter Umständen schwere bis schwerste Körperverletzungen beispielsweise gegen politische Gegner oder Menschen mit Migrationshintergrund ausüben zu können. Zu diesem Zweck gründen Rechtsextremisten - auch in Sachsen - Kampfsportgruppen und bemühen sich, professionelle Strukturen für ihr Training zu schaffen. Dabei sind teilweise Überschneidungen zur rechtsextremistischen Fußballszene festzustellen. Die Betätigung als Kampfsportler dient dabei demzufolge nicht nur der Gesunderhaltung bzw. körperlichen Fitness, sondern vorrangig der Vorbereitung auf Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner. Zudem haben gemeinsames Kampfsporttraining und eventartige Kampfsportveranstaltungen ihre Bedeutung als Instrumente zur gegenseitigen Vernetzung, zum Ausleben ideologischer Verbundenheit und zur Rekrutierung von "Szene-Nachwuchs". Eine große Rolle spielen in Deutschland auch öffentlichkeitswirksame Kampfsportveranstaltungen, wie der "Kampf der Nibelungen" und "TIWAZ - Kampf der freien Männer". Der "Kampf der Nibelungen" ist ein seit 2013 jährlich stattfindendes Highlight sowohl der nationalen als auch internationalen rechtsextremistischen Kampfsportszene. Die Organisatoren dieser Veranstaltung sind in Nordrhein-Westfalen ansässig. Im Jahr 2019 wurde die Durchführung der Kampfsportveranstaltung "Kampf der Nibelungen" in Ostritz (Landkreis Görlitz) zunächst geplant, dann jedoch behördlicherseits untersagt. Auch die 2020 im Raum Magdeburg (Sachsen-Anhalt) geplante gleichnamige Veranstaltung wurde durch die Polizei aufgelöst und verhindert. Der Organisator ging gegen beide Entscheidungen gerichtlich vor. Ein abschließendes Urteil hierzu steht noch aus. Im Berichtsjahr fand deutschlandweit keine Veranstaltung dieser Art statt. Eine weitere regelmäßig stattfindende Veranstaltung der rechtsextremistischen Kampfsportszene ist "TIWAZ - Kampf der freien Männer". Dieses Event wurde 2018 und 2019 von der aus Sachsen stammenden TIWAZ-GEMEINSCHAFT geplant und durchgeführt. Im Juni 2018 fand die Kampfsportveranstaltung mit ca. 450 Teilnehmern in Grünhain-Beierfeld (Erzgebirgskreis) im Raum Chemnitz statt und beinhaltete auch einen Zeitzeugenvortrag. Im Juni 2019 diente Zwickau als Ort der Veranstaltung, zu der ca. 400 Personen - auch von außerhalb Sachsens - anreisten. In den vergangenen zwei Jahren wurde keine Kampfsportveranstaltung dieser Art durchgeführt, was insbesondere durch die Corona-Maßnahmen und das behördliche Einschreiten begründet sein dürfte. Seite 101 von 255 2.6 Rechtsextremistisch genutzte Immobilien87 Landkreis / Anzahl88 Sitz der Objekte Nutzung der Objekte Kreisfreie der dort im Jahr 2021 Stadt vorhandenen Objekte89 Landkreis 3 Bautzen: Clubhaus der ARYAN keine Nutzung für Bautzen BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) Veranstaltungen in 2021 festgestellt Hoyerswerda: Objekt der BLACK dauerhafte Nutzung für DEVILS Treffen und als Probenraum Privatobjekt mit Steinigtwolmsdorf, OT Weifa Tonstudio 87 Entsprechend einer bundesweit im Verfassungsschutzverbund abgestimmten verbindlichen Definition gelten diejenigen Immobilien als "rechtsextremistisch genutzte Immobilien", bei denen eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit durch Eigentumsoder Besitzverhältnis oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen besteht. Voraussetzung ist zudem eine politisch zielund zweckgerichtete wiederkehrende Nutzung. 88 Aus Gründen des Geheimschutzes dürfen nicht alle dem LfV Sachsen einschlägig bekannt gewordenen Immobilien öffentlich konkret benannt werden. Die in der entsprechenden Spalte genannte Gesamtzahl der Immobilien eines Landkreises bzw. einer kreisfreien Stadt kann daher von der nebenstehenden Spalte "Sitz der Objekte" abweichen. In Einzelfällen wird aus demselben Grund auf die Nennung des konkreten Ortes einer Immobilie oder der Details zur Nutzung verzichtet. 89 Darüber hinaus nutzten Rechtsextremisten anlassbezogen öffentliche Gaststätten für Treffen und Vortragsveranstaltungen. Seite 102 von 255 Landkreis / Anzahl88 Sitz der Objekte Nutzung der Objekte Kreisfreie der dort im Jahr 2021 Stadt vorhandenen Objekte89 Landkreis 3 Zittau: Vereinshaus des NATIONALEN dauerhafte Nutzung, Görlitz JUGENDBLOCKS E.V. jedoch keine Nutzung für Veranstaltungen in 2021 festgestellt Ostritz: Liegenschaft des anlassbezogene ehemaligen Hotels "Neißeblick'" Nutzung durch parteigebundene und parteiungebundene Rechtsextremisten; Großveranstaltungen konnten auch 2021 aufgrund der CoronaBeschränkungen nicht durchgeführt werden Mücka: Objekt der BRIGADE 8 dauerhafte Nutzung für Konzerte, Liederabende, Partys, Treffen Landkreis 1 Riesa: Sitz der DEUTSCHE STIMME dauerhafte Nutzung Meißen VERLAGSGESELLSCHAFT MBH, der NPD-Landesgeschäftsstelle, der JNBundesgeschäftsstelle und der JNLandesgeschäftsstelle Landkreis 1 Döbeln: Büroräume der JUNGEN dauerhafte Nutzung, Mittelsachsen NATIONALISTEN (JN) Tauschbörse Landkreis 3 Pirna: "Haus Montag" dauerhafte Nutzung der Sächsische NPD/JN für Treffen und Schweiz / Parteiveranstaltungen Osterzgebirge Pirna: "Klub 451" NPD/JN - seit 2020 Veranstaltungsverbot Bad Gottleuba-Berggießhübel anlassbezogene Nutzung eines Objekts durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Musikveranstaltungen, keine Nutzung 2021 Seite 103 von 255 Landkreis / Anzahl88 Sitz der Objekte Nutzung der Objekte Kreisfreie der dort im Jahr 2021 Stadt vorhandenen Objekte89 Erzgebirgskreis 1 Oelsnitz Objekt wird anlassbezogen durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Vortragsveranstaltungen genutzt Landkreis 2 Grimma, OT Roda Ein Objekt wird Leipzig anlassbezogen durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Musikveranstaltungen genutzt; 2021 aufgrund der Corona-Beschränkungen keine Nutzung für Veranstaltungen festgestellt Landkreis 1 Torgau, OT Staupitz Objekt wird durch Nordsachsen parteiungebundene Rechtsextremisten für Musikveranstaltungen genutzt Vogtlandkreis 1 Plauen: dauerhafte Nutzung Büro der PARTEI DER DRITTE W EG u. a. für Vortragsveranstaltungen und Treffen Landkreis 1 Zwickau Stadt Chemnitz 3 Sitz Vertriebsunternehmen mit dauerhafte Nutzung Szeneladen, JN CHEMNITZ u. a. für Vortragsveranstaltungen und Treffen Bürgerbüro von PRO CHEMNITZ / Sitz dauerhafte Nutzung der Partei FREIE SACHSEN dauerhafte Nutzung Wohnund Treffobjekt durch parteiungebundene Rechtsextremisten Seite 104 von 255 Landkreis / Anzahl88 Sitz der Objekte Nutzung der Objekte Kreisfreie der dort im Jahr 2021 Stadt vorhandenen Objekte89 Stadt Dresden 3 Wohnund Veranstaltungsobjekt anlassbezogene Nutzung durch die IDENTITÄRE BEWEGUNG Wohnund Treffobjekt dauerhafte Nutzung durch parteiungebundene Rechtsextremisten Stadt Leipzig 3 Veranstaltungsobjekt / Nutzung u. a. durch Gewerbeobjekt parteiungebundene Rechtsextremisten 2.7 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund Rechtsextremistische Straftaten insgesamt 2500 2380 2199 2198 2070 1959 2000 1816 1500 Straftaten, davon: gegen den polit. Gegner 1000 692 fremdenfeindlich 571 442 464 445 396 500 252 168 139 214 117 124 0 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Die Anzahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund war im Berichtsjahr weiterhin rückläufig. Im Wahljahr 2021 erreichten die Straftaten gegen den politischen Gegner nicht nur den bisherigen Höchststand des Jahres 2019 (Wahlen zum Sächsischen Landtag), sondern überstiegen diese Zahl noch einmal um ca. 18 %. Die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten sank in 2021 erneut um elf Prozent und lag damit erstmals seit langem unter der Marke von 400. Seite 105 von 255 Propagandadelikte, wie Volksverhetzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, machten mit 69 % wie in den Vorjahren den weit überwiegenden Teil der rechtsextremistischen Straftaten aus (2020: 76 %). Im Berichtsjahr war zudem eine mutmaßlich als terroristisch qualifizierte Straftat im Bereich des Rechtsextremismus zu verzeichnen. Es läuft insoweit ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gemäß SS 89a StGB wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, das noch nicht abgeschlossen ist. Dabei schlossen sich mehrere Personen in der Telegram-Gruppe "Dresden OfflineVernetzung" zusammen und tauschten sich zu "realweltlichen Widerstandshandlungen" bis hin zu Phantasien in Bezug auf die Ermordung des Sächsischen Ministerpräsidenten aus.90 Rechtsextremistische Gewalttaten91 als Teilmenge der Straftaten 160 145 138 140 120 99 96 100 95 81 Gewalttaten, davon: 80 70 73 66 gegen den polit. Gegner 60 fremdenfeindlich 49 40 33 29 23 21 19 16 20 14 11 0 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten ist im Vergleich zum Vorjahr erneut leicht gestiegen. Der Anteil der Gewalttaten am Gesamtaufkommen der Straftaten hat sich mit 4,5 % ebenfalls erneut leicht erhöht (2020: 3,5 %). Damit war bereits wieder die Hälfte des zu Spitzenzeiten im Jahr 2015 bei neun Prozent liegenden Anteils erreicht. Obwohl die Asylthematik für Rechtsextremisten weiterhin eine hohe Bedeutung hat und im Berichtsjahr durch die über die Belarus-Route nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge erneut auf der Tagesordnung stand, blieb der Anteil der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten bei ca. 40 % aller Gewaltstraftaten (vor 2020: 60 bis 75 %). 90 vgl. Beitrag II.2.5 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus 91 Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist die Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität (PMK), die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt. Sie umfasst u. a. Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch und Widerstandsdelikte; siehe hierzu auch unter www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts/PMKrechts.html (Stand: 7. Juni 2021) Seite 106 von 255 Der in den Vorjahren hohe Anstieg des Anteils rechtsextremistischer Gewalttaten gegen Polizisten (von ca. 7,5 % in 2019 auf ca. 29 % in 2020) konsolidierte sich im Berichtsjahr und lag nunmehr bei 32 %. Die insoweit ähnliche Lage wie in 2020 dürfte erneut mit dem Corona-Protestgeschehen zusammenhängen. Unter den Gewalttaten befanden sich 50 (2020: 48) Delikte der einfachen und gefährlichen Körperverletzung. Dieser wiederum hohe Anteil zeigt, dass sich rechtsextremistische Aggression primär durch körperliche Gewalt gegen andere Menschen entlädt. Regionale Verteilung Die regionale Verteilung der politisch motivierten Strafund Gewalttaten stellte sich im Jahr 2021 wie folgt dar: rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2019 2020 2021 2019 2020 2021 Leipzig (Stadt) 251 277 246 7 18 15 Dresden (Stadt) 366 294 237 16 19 11 Region Westsachsen Chemnitz-Stadt 171 150 154 8 6 3 Vogtlandkreis 97 90 84 2 1 3 Lkr. Zwickau 127 163 169 5 6 7 Erzgebirgskreis 120 148 125 2 2 11 Region Mittelsachsen Lkr. Mittelsachsen 150 100 114 5 2 3 Lkr. Meißen 94 89 55 0 0 2 Lkr. Sächs. Schweiz115 131 72 5 7 4 Osterzgebirge Region Ostsachsen Lkr. Bautzen 187 165 129 4 2 3 Lkr. Görlitz 197 165 122 2 4 0 Seite 107 von 255 Region Nordsachsen Lkr. Leipzig 183 185 206 6 4 12 Lkr. Nordsachsen 140 113 103 5 2 7 Freistaat Sachsen 2.198 2.070 1.816 67 73 81 2.8 Ausblick Vom Rechtsextremismus wird weiterhin bundesweit und insbesondere auch im Freistaat Sachsen die größte Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Die bereits im Verfassungsschutzbericht 2020 prognostizierte verstärkte Nutzung sozialer Medien sowie von Messenger-Diensten und die damit einhergehenden überregionalen Szene-Vernetzungen haben sich auch im Berichtsjahr weiter fortgesetzt und werden aufgrund der Reichweite und Wirkmacht des virtuellen Raumes ("Digitaler Extremismus") weiter zunehmen. Rechtsextremisten wissen längst, diesen Raum erfolgreich für die Verbreitung ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie zu nutzen. Das Gefährliche am "digitalen Extremismus" ist die Geschwindigkeit, mit der Menschen in extremistische Szenen eintauchen können. Diese vernetzen sich in Kanälen und Chatgruppen von MessengerDiensten, wo sie ihre Propaganda - ohne jedes inhaltliches Korrektiv - verbreiten können. Dadurch entsteht die Gefahr, dass sich Einzeltäter unbemerkt von den Sicherheitsbehörden in den digitalen Echokammern radikalisieren. Angesichts der bisherigen mit der Corona-Pandemie einhergehenden Entwicklungen muss auch für 2022 damit gerechnet werden, dass Rechtsextremisten einerseits versuchen werden, diese Thematik weiterhin für sich und ihre verfassungsfeindlichen Zwecke zu instrumentalisieren. Andererseits werden in diesem Zusammenhang gewaltbereite Kleingruppen oder sich ggf. im "stillen Kämmerlein" über die Wirkkraft der sozialen Medien radikalisierende Einzeltäter ohne Bindung an feste rechtsextremistische Strukturen weiterhin eine enorme Herausforderung für den Verfassungsschutz und die Polizei darstellen. Es ist darüber hinaus davon auszugehen, dass Rechtsextremisten versuchen werden, neue und an die gesellschaftliche Mitte anschlussfähige Themenkomplexe zu erschließen. Das Jahr 2021 zeigte schließlich einmal mehr die Fähigkeit von rechtsextremistischen Akteuren und Gruppierungen auf, relativ zeitnah kontrovers diskutierte gesellschaftspolitische Themen wirksam und reichweitenstark aufgreifen und für die eigenen verfassungsfeindlichen Ziele erfolgreich instrumentalisieren zu können. In Bezug auf die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts, die Einstiegsmöglichkeiten in die rechtsextremistische Szene und den Ausbau überregionaler bis internationaler Vernetzungen wird die rechtsextremistische Musikszene weiterhin eine bedeutende Rolle einnehmen. Im Berichtsjahr führte die rechtsextremistische Szene im Zuge der Lockerungen der Corona-Beschränkungen aufgrund des hohen Nachholbedarfs umgehend wieder Konzerte und Liederabende durch. Für Großveranstaltungen fehlte es wegen der Corona-Beschränkungen allerdings an der notwendigen Planungssicherheit. Das mögliche Zeitfenster für die Organisation solcher überregional, mitunter sogar international bedeutender Events, war schlicht zu kurz. Sobald mit der Corona-Pandemie einhergehende Beschränkungen wegfallen und größere Veranstaltungen wieder erlaubt sind, ist jedoch wieder mit größeren Musikveranstaltungen mit "EventSeite 108 von 255 Charakter" zu rechnen. Schließlich sind insbesondere Veranstaltungen mit großen Teilnehmerzahlen für die Pflege rechtsextremistischer Netzwerke, die "Rekrutierung" neuer Personenkreise sowie für die Finanzierung der rechtsextremistischen Szene von Bedeutung. Gleiches gilt auch für Kampfsportveranstaltungen, die weiterhin eine große Bedeutung für die rechtsextremistische Szene haben. Sobald die Pandemie-Entwicklung es langfristig zulässt, ist auch hier mit einer Wiederaufnahme der Planung und Durchführung kleinerer und größerer Events zu rechnen. Voraussetzung für die Durchführung solcher Veranstaltungen ist das Vorhandensein von Immobilienobjekten, wie beispielsweise das auch im Berichtsjahr für rechtsextremistische Konzerte genutzte Objekt in Torgau, OT Staupitz (Landkreis Nordsachsen) sowie das in der Vergangenheit für Großveranstaltungen genutzte Objekt in Ostritz (Landkreis Görlitz). Strategie des LfV Sachsen und der Landesdirektion Sachsen ist es, durch eine gemeinsame aktive Prävention Kommunen, Landkreise, Vermieter und Eigentümer von Immobilien zu sensibilisieren, bevor sie - größtenteils ahnungslos - ihre Räumlichkeiten der rechtsextremistischen Szene zur Verfügung stellen. Die Landesdirektion Sachsen hat den Kommunen des Freistaates Sachsen deshalb eine Handreichung für die verwaltungsbehördliche Prüfung extremistischer Szeneobjekte zur Verfügung gestellt. Für die Kommunen des Freistaates Sachsen steht zudem seit dem Jahr 2020 ein von der Landesdirektion Sachsen koordinierter Expertenpool als Ansprechpartner zur Verfügung. Die darin Mitwirkenden - z. B. das LfV Sachsen - erörtern beispielsweise, wie mithilfe von behördlichen Auflagen (z. B. Aspekte des Brandschutzes und der baulichen Sicherheit) die Nutzung von sich bereits im Eigentum von Rechtsextremisten befindenden Immobilien für deren Veranstaltungen erschwert und so unattraktiv wie möglich gestaltet werden kann. Im Bereich des parteigebundenen Spektrums fällt auf, dass sich im Berichtsjahr die Partei FREIE SACHSEN insbesondere in den sozialen Medien als "Mobilisierungsmaschine" für die Anti-CoronaVeranstaltungen fest etabliert hat. Während die Partei DER DRITTE W EG zum Ende des Berichtsjahres hin die Anti-Corona-Proteste stärker für eigene Zwecke zu nutzen versuchte, ist dies der NPD nicht in erkennbarem Maße gelungen. Innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums wurde im Berichtszeitraum im Hinblick auf das Corona-Protestgeschehen eine intensive Diskussion darüber geführt, inwiefern klassische Parteistrukturen noch zeitgemäß für das Aufgreifen des aktuellen Protestgeschehens seien. Während eine Öffnung der Partei DER DRITTE W EG aufgrund ihres avantgardistischen Selbstverständnisses92 unwahrscheinlich ist, könnte eine verstärkte Zusammenarbeit der sächsischen NPD mit jüngeren Initiativen und Gruppierungen (z. B. FREIE SACHSEN) eine naheliegende Folge ihrer schwindenden Mitgliederzahlen und ausbleibenden Wahlerfolge sein. Bei allen rechtsextremistischen Kräften, die sich bereits 2021 erfolgreich unter das in seiner Gesamtheit nichtextremistische Protestgeschehen gemischt haben, ist es im Falle eines Rückgangs bzw. Wegfalls der Anti-Corona-Proteste naheliegend, dass sie wiederum andere gesellschaftlich kontrovers diskutierte Themen (Migration, Klimaschutz, steigende Energiepreise etc.) erfolgreich aufgreifen und vor allem über die enorme Wirkkraft der sozialen Medien für die eigenen verfassungsfeindlichen Ziele instrumentalisieren werden. 92 DER DRITTE W EG hat ein revolutionäres, fortschrittliches Selbstverständnis und sieht sich deshalb im Vergleich zu anderen rechtsextremistischen Parteien und Personenzusammenschlüssen als elitär an. Seite 109 von 255 Im Bereich der "Neuen Rechten", der sich als Teilbereich des Rechtsextremismus in Sachsen etabliert hat, werden auch zukünftig die IDENTITÄRE BEWEGUNG sowie PEGIDA von zentraler Bedeutung sein. Bei der IDENTITÄREN BEWEGUNG werden Aktivitäten weiterhin von regionalen Untergruppen ausgehen, wobei diese auf die Initiative von Einzelpersonen angewiesen sind. Aufgrund der im Juni 2022 anstehenden Bürgermeisterund Landratswahlen in Sachsen wird insbesondere mit Wahlkampfaktivitäten von Anhängern der FREIEN SACHSEN zu rechnen sein. Inwiefern letztere weiterhin als "Mobilisierungsmaschine" im virtuellen Raum in Bezug auf das CoronaProtestgeschehen als ihrem zentralen Thema fungieren, wird maßgeblich vom weiteren Verlauf der Pandemie abhängen. Entscheidend für Aktionen auf dem quantitativen Niveau des Berichtsjahres dürfte bei Abklingen des Themas Corona das umgehende Generieren eines neuen Themas mit gesellschaftlichem Empörungspotenzial seitens der FREIEN SACHSEN sein. Obwohl PEGIDA seit Mitte Oktober coronabedingt keine eigenen Veranstaltungen mehr durchführte, wird auch diese Gruppierung analog den FREIEN SACHSEN weiterhin als "Scharnier" zwischen Extremisten und Nicht-Extremisten fungieren. Aber auch bei PEGIDA hängen Aktionsund Mobilisierungsniveau maßgeblich von jenen Themen ab, die den politischen und gesellschaftlichen Diskurs bestimmen. Kann PEGIDA diese für ihre verfassungsfeindlichen Ziele nutzen, bleibt diese Gruppierung weiterhin ein wichtiger rechtsextremistischer Akteur im Freistaat Sachsen. Von zentraler Bedeutung sind für PEGIDA weiterhin die Themen Asyl und Migration. Der langfristige Erfolg von neueren rechtsextremistischen Akteuren wie PEGIDA und FREIE SACHSEN hängt folglich ganz entscheidend von Themen ab, welche sie in geeigneter Weise für die subtile oder offensichtliche Verbreitung ihrer verfassungsfeindlichen Agenda nutzen können sowie neuerdings auch vom Verhalten der gesellschaftlichen Mitte gegenüber diesen rechtsextremistischen Akteuren u. a. in den sozialen Medien. Nicht zuletzt steht hinsichtlich ihrer Erfolgsaussichten auch weiterhin die Frage im Raum, wie sich Rechtsextremisten aus "alten" parteigebundenen wie parteiungebundenen Strukturen gegenüber diesen neueren Akteuren positionieren. Das Berichtsjahr verdeutlichte: Je mehr ein Akteur wie die FREIEN SACHSEN ein Thema mit Empörungspotenzial und Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte für sich nutzen konnte, desto stärker versuchten andere rechtsextremistische Akteure, sich unter das "Dach" beispielsweise dieser Kleinstpartei zu stellen, um mehr oder weniger von deren Arbeit und Strahlkraft in nichtextremistische gesellschaftliche Kreise zu profitieren. Seite 110 von 255 3. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER Starker Anstieg des Personenpotenzials Anteil der Rechtsextremisten leicht gesunken Neue Gruppierung in Dresden: GEMEINWOHLKASSE DES KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND Weiterhin erhöhtes Gefährdungspotenzial durch einzelne, verschwörungstheoretisch geprägte REICHSBÜRGER Hohe Waffenaffinität dieser heterogenen Szene Anlegen von Vorräten und Schaffung von "Rückzugsräumen" in Erwartung des baldigen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung Seite 111 von 255 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER93 lehnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Institutionen und ihres Rechtssystems ab. Folglich sprechen sie den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder negieren die geltende Rechtsordnung. Neben den sog. REICHSBÜRGERN, die sich dem "Deutschen Reich" zugehörig fühlen, gibt es auch Personen, die sich als SELBSTVERWALTER bezeichnen und aus anderen Gründen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Typisch für sie sind z. B. selbst erklärte "Austritte" aus der Bundesrepublik Deutschland, verbunden mit der Erklärung der administrativen und rechtlichen Autonomie. So definieren SELBSTVERWALTER z. B. ihr Grundstück oder ihr Haus als souveränes Staatsgebiet und markieren es durch eine (Grenz-)Linie. Die ausgesprochen heterogene Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER handelt aus sehr unterschiedlicher Motivation. Dementsprechend variieren auch die jeweiligen Rechtfertigungsmuster. Teile der Szene berufen sich auf das historische Deutsche Reich, andere hängen Verschwörungstheorien an oder machen ein selbst definiertes Naturrecht geltend. Wiederum andere sehen neuerdings ihre ehemalige DDR-Staatsbürgerschaft als nach wie vor gültig an. Die REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER sind seit dem 1. Dezember 2016 ein Beobachtungsobjekt auch des LfV Sachsen. Wenngleich Ähnlichkeiten mit Argumentationsmustern von Rechtsextremisten bestehen, ist bei Weitem nicht jeder REICHSBÜRGER oder SELBSTVERWALTER ein Rechtsextremist. Mit Blick auf den vorhandenen Geschichtsrevisionismus werden aber bestimmte szeneübergreifende Ideologiebestandteile sichtbar, wie Antisemitismus, Antiamerikanismus oder Nationalismus. Die Szene zeichnet sich mitunter auch durch eine hohe Waffenaffinität aus. Sie trat in den vergangenen Jahren vor allem mit (gewalttätigen) Aktionen gegen Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher in Erscheinung. 3.2 Strategie REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER suchen regelmäßig die Auseinandersetzung mit der öffentlichen Verwaltung und versuchen, das Verwaltungshandeln der Bundesrepublik, deren Existenz sie negieren, zu behindern. Dabei "fluten" sie Behörden und Gerichte mit umfangreichen Schreiben, die sie sich häufig aus dem Internet beschaffen. Im Falle der persönlichen Begegnung schrecken sie nicht vor Beleidigungen, Bedrohungen und Handgreiflichkeiten zurück. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER griffen in den Jahren 2020 und 2021 auch die CoronaThematik auf und beteiligten sich an entsprechenden Versammlungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Im Berichtsjahr wurde bekannt, dass REICHSBÜRGER in Einzelfällen ihre Kinder von den Schulen abmeldeten und stattdessen "Lerngruppen" gründeten. In diesen werden die Kinder von SzeneAngehörigen außerhalb des staatlichen Schulsystems unterrichtet. 93 "Selbstverwalter" sind Personen, die sich als "staatenlos" definieren und auf dieser Grundlage die Zuständigkeit der staatlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland bestreiten. Oft gründen sie eigene Pseudo-Staaten, die sie dann als "souveräne" Subjekte des Völkerrechts darstellen, über die sie "auf Augenhöhe" mit anderen Staaten, wie der Bundesrepublik Deutschland, in politische Beziehungen treten könnten. Seite 112 von 255 Folgende grundsätzlich übereinstimmende Argumentationsmuster und strategische Vorgehensweisen lassen sich identifizieren: 1. Sie gründen Fantasiestaaten und proklamieren ihre Selbstverwaltung. Mit der Abgabe des Personalausweises bringen sie zum Ausdruck, dass sie die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Vielmehr handele es sich dabei um eine "BRD-GmbH", und die Bevölkerung sei deren "Personal". 2. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER verweisen häufig auf die angeblich rein privatrechtliche Beziehung zwischen Bürger und Behörde. Daher sei eine einseitige "Kündigung" jederzeit möglich und legitim. 3. Die Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises ("Gelber Schein") mit Verweis auf das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) sowie auf die angebliche Abstammung aus einem ehemaligen Gliedstaat des Deutschen Reiches (Bundesstaat Sachsen, Königreich Preußen etc.) ist ein zentrales Anliegen vieler REICHSBÜRGER. Sie sind der Auffassung, dass alle Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht seit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. im Jahr 1918 keinen Bestand hätten, da von diesem Zeitpunkt an kein rechtmäßiger Staat mehr existiert habe. 4. Andere stellen eine offizielle Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Abrede. So habe es lediglich eine Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, jedoch keine offizielle des Deutschen Reiches gegeben. Außerdem werden verschiedenste internationale Dokumente angeführt, die entweder gegen ihren eigentlichen Aussagesinn gedeutet oder in einen anderen, vollkommen sachfremden Zusammenhang gestellt werden. 5. Die deutsche Wiedervereinigung habe ebenfalls keine Gültigkeit, da das Grundgesetz nicht dem deutschen Volk zur Abstimmung vorgelegt worden sei. Der "Zwei plus Vier"-Vertrag sei deswegen unrechtmäßig, sodass nach wie vor Besatzungsrecht gelte. 6. Häufig werden auch Ansprüche nach Artikel 55 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) geltend gemacht. Zwischen 1907 und 1910 seien mit der HLKO letztmalig die Regeln des Krieges und der Besatzung durch souveräne Staaten festgelegt worden. Weil daraufhin aber immer mehr Staaten vom Staatsin das Handelsrecht (im Falle Deutschlands nach 1945 angeblich vertreten durch die "BRD-GmbH") gewechselt seien und ein Frieden nur von souveränen Staaten ausgehandelt werden könne, gelte nach wie vor die HLKO. Mit dieser Begründung werden in der Regel unverhältnismäßig hohe finanzielle "Schadensersatzansprüche" geltend gemacht. 7. Gängig ist auch die Erklärung zur "Natürlichen Person", die nicht mehr Teil der "Staatskonstrukte" sei. Dies drückt sich beispielsweise in der Verwendung von Namenseinschüben, wie Gert "aus der Familie" Mustermann, aus. Seite 113 von 255 3.3 Personenpotenzial Der sehr heterogenen Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER im Freistaat Sachsen wurden im Berichtsjahr rund 1.900 Personen zugerechnet. Das sind etwa 850 Personen mehr als im Berichtsjahr 2020. Der Anteil der Rechtsextremisten innerhalb dieses Spektrums betrug rund fünf Prozent und ist damit leicht rückläufig, der Anteil der Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse beläuft sich auf 0,73 % (2020: 1,0 %). Seit dem 1. Dezember 2016 wurden REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN - auch auf Grundlage der Erkenntnisse des LfV Sachsen - insgesamt 104 waffenrechtliche Erlaubnisse durch die Behörden entzogen. Im Berichtszeitraum nahm die Zahl der Personen, die der Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER zugerechnet werden, stark zu. Dieser Anstieg ist vor allem im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu betrachten. Die fortlaufenden Corona-Beschränkungen boten Verschwörungstheoretikern - darunter häufig auch REICHSBÜRGER - im Berichtsjahr einen ergiebigen Rahmen für das Ausleben ihrer kruden Theorien sowie für deren Verbreitung insbesondere auch in den sozialen Medien. Zudem wird die Aufklärung der Szene durch die intensive Zusammenarbeit zwischen Landesund Bundesbehörden fortwährend verbessert und das Dunkelfeld dadurch zunehmend erhellt. Die soziodemographische Struktur der Szene weist im Vergleich zu anderen extremistischen Phänomenbereichen Besonderheiten auf. So ist der Frauenanteil mit rund 30 % verhältnismäßig hoch. Wegen des deutlich höheren Altersdurchschnitts von rund 50 Jahren wird bei REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN auch von einer "Radikalisierung in der zweiten Lebenshälfte" gesprochen. Seite 114 von 255 Verteilung nach Landkreisen94 3.4 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen BUNDESSTAAT SACHSEN Sitz Dresden Gründung 2016 Vorsitz Katrin ACKERMANN, Claus-Dieter CLAUßNITZER u. a. Internetauftritte Homepage des BUNDESSTAATES SACHSEN Personenpotenzial / 2021 2020 Mitgliederentwicklung ca. 67 ca. 67 Kurzportrait / Ziele Mitglieder des BUNDESSTAATES SACHSEN wenden sich mit öffentlichen Schreiben in Form von offenen Briefen, "Anordnungen", "öffentlichen Bekanntmachungen" oder 94 Diese Graphik beinhaltet nicht das Personenpotenzial von REICHSBÜRGERN UND SELBSTVERWALTERN, welches sich ausschließlich in überregionalen Chatgruppen in den sozialen Medien darstellt. Seite 115 von 255 "Amtsblättern" an die Öffentlichkeit bzw. gezielt an Behörden des Freistaates Sachsen oder an sächsische Kommunen. Darin vertreten sie die Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht existiere und fordern die Wiederherstellung des angeblich seit 1871 existierenden Staatenbundes Deutsches Reich innerhalb der Reichsgrenzen von 1914. Das "Deutsche Reich" habe den Zusammenbruch von 1945 überdauert und sei weder durch Kapitulation noch durch die von Alliierten in Deutschland ausgeübte fremde Staatsgewalt untergegangen. Die Gliedstaaten, u. a. der BUNDESSTAAT SACHSEN, befänden sich bereits in Reorganisation, um Menschen ihre tatsächliche Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Bodenund Menschenrechte zurückzugeben. KÖNIGLICH SÄCHSISCHER GEMEINDEVERBUND (KSGV) Sitz Chemnitz Gründung 2017 (nach eigenen Aussagen: am 15. Oktober 2017) Vorsitz Person aus Chemnitz Teil-/Nebenorganisationen 54 Gemeinden, die dem Gemeindeverband "KSGemeinden" angehören Internetauftritte / Internet: Homepage der Staatlichen Wahlkommission des Publikationen KÖNIGLICH SÄCHSISCHEN GEMEINDEVERBUNDES Soziale Medien: Telegram-Kanal Personenpotenzial / 2021 2020 Mitgliederentwicklung im einstelligen Bereich im einstelligen Bereich Kurzportrait / Ziele Der KSGV stellt die sächsische Vertretung der überregionalen Gruppierung FREIE W ÄHLERVEREINIGUNG dar. Als solche stellt sie die Staatseigenschaft der Bundesrepublik Deutschland und deren völkerrechtliche Souveränität in Abrede. Relevante Ereignisse und 16. April: Bekanntmachung über die Gemeindebzw. Entwicklungen 2021 Siegelrechte und die Verweserwahl 2021 in Sachsen; Missbrauch öffentlicher Anschlagstafeln in zahlreichen sächsischen Gemeinden für diese Bekanntmachungen. 31. Juli: Bekanntmachung über die Fristverlängerung zur Offenhaltung der Wahllisten Seite 116 von 255 Plakatierung der Bekanntmachung "Eröffnung der Wahllisten" in allen Landkreisen des Freistaates Sachsen Ausgabe des Extrablattes Nr. 4 vom 5. Februar: " Ist hier jemand Arzt? Dringend Heilkundige gesucht!" Ausgabe des Extrablattes Nr. 5 vom 8. März: "Die Partei, die Partei, die hat immer Recht?" Ausgabe des Extrablattes Nr. 6 vom 25. April: "Wahlhelfer für die Sachsenwahl 2021 gesucht" VATERLÄNDISCHER HILFSDIENST (VHD) Gründung 2020 Vorsitz Person Person Person aus Dresden aus Leipzig aus Kreba (Landkreis Görlitz) Teil-/Nebenorganisationen Armeekorpsbezirk Armeekorpsbezirk Armeekorpsbezirk (AKB) XII (AKB) XIX Leipzig (AKB) V Posen Dresden Internetauftritte Homepage des VATERLÄNDISCHEN HILFSDIENSTES Personenpotenzial / ca. 115 ca. 50 ca. 15 Mitgliederentwicklung Kurzportrait / Ziele Der VHD ist eine überregionale Gruppierung und Teilorganisation des EWIGEN BUNDES95. Laut Darstellung auf der Webseite wurde der VHD "per Gesetz am 5. Dezember 1916 als zivile Institution gesetzlich eingerichtet. Mit der Hilfsdienstpflicht wurde eine zivile Ergänzung zur Wehrpflicht geschaffen. Alle deutschen Männer zwischen 17 und 59 Jahren sind für die Dauer des Krieges zum Hilfsdienst unter der Leitung des Kriegsamtes und damit unter dem Oberbefehl des deutschen Kaisers verpflichtet." Die Organisationsstruktur gliedert sich in 24 Armeekorpsbezirke des Deutschen Reiches. Im Bereich des jeweiligen Armeekorpsbezirks gibt es Leiter von Gebieten, Regionen und Verwaltungsbezirken. Den auf der Webseite eingestellten Bildern ist zu entnehmen, dass viele der Armeekorpsbezirke tatsächlich aktiv sind und über unterschiedlich große Personenpotenziale zu verfügen scheinen. 95 Im August 2018 gründete sich die Gruppierung "Bismarcks Erben", die auch unter dem Namen "Ewiger Bund" oder "Preußisches Institut" firmiert. Seite 117 von 255 Relevante Ereignisse und Kontinuierliche Kontinuierliche Kontinuierliche Entwicklungen 2021 mitgliederinterne mitgliederinterne mitgliederinterne Treffen, auch mit Treffen, auch mit Treffen, auch mit Mitgliedern Mitgliedern anderer Mitgliedern anderer AKB AKB anderer AKB "Lerngruppentreffen" am 25. August in Neugersdorf "Lerngruppentreffen" am 2. September in Cunewalde "Lerngruppentreffen" am 15. September in Neuschmölln Wegen der Aufhebung der Schulpflicht im Rahmen der Corona-Pandemie wurden dem LfV Sachsen erstmals sog. "Lerngruppen" bekannt. Der Zweck dieser Gruppen besteht offenkundig darin, Kinder dem staatlichen Schulsystem zu entziehen und im Sinne der verfassungsfeindlichen Reichsbürger-Ideologie zu unterrichten. STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E.V. Sitz Berlin Gründung 2008 Personenpotenzial / 2021 2020 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 4 ca. 10 Kurzportrait / Ziele STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. spricht der Bundesrepublik Deutschland die staatliche Souveränität ab, u. a. weil nach dem Zweiten Weltkrieg kein Friedensvertrag geschlossen und das nach wie vor besetzte Deutschland zwischenzeitlich privatisiert worden sei. GEMEINWOHLKASSE DES KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND Sitz Dresden, Österreicher Str. 21 Gründung 2021 Internetauftritte Homepage des KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND Kurzportrait / Ziele Die GEMEINWOHLKASSE Dresden wurde von Peter FITZEK, Gründer der Reichsbürgergruppierung KÖNIGREICH DEUTSCHLAND96, im April 2021 in der Filiale einer Dresdner Bäckerei eröffnet. Es handelte sich um die erste Aktivität, die das KÖNIGREICH DEUTSCHLAND im Freistaat Sachsen entfaltete. Nach dessen Auffassung stehe "das althergebrachte Bankensystem" vor seinem Ende. Die GEMEINWOHLKASSE Dresden solle als eine Alternative zu den nach Lesart des 96 Bezüglich des KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND wird auf den Verfassungsschutzbericht 2020 des Landes Sachsen-Anhalt (www.mi.sachsen-anhalt.de), S. 123 f. verwiesen. Seite 118 von 255 KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND ausgedienten Banken "freiheitsbewegten Menschen", die dem KÖNIGREICH angehören, zur "wirtschaftlichen und finanziellen Unabhängigkeit" verhelfen. Die bundesweite Einrichtung von sog. GEMEINWOHLKASSEN parallel zum regulären Bankenund Finanzsystem Deutschlands stellt eine von vielen Aktivitäten des KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND dar. Sie ist ein Baustein des von FITZEK und seinen Anhängern verfolgten, verfassungsfeindlichen Ziels, ein außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland stehendes "Staatskonstrukt" zu etablieren. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat dem selbsternannten "König" FITZEK mehrfach untersagt, diese unerlaubten Bankgeschäfte weiter zu betreiben. Gemeinsam mit seinen Anhängern leugnet FITZEK die geltende Rechtsund Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland. GEMEINWOHLLOBBY SACHSEN Gründung Vermutlich 2021 Vorsitz Personen aus Dresden, Bautzen und Görlitz Internetauftritte Soziale Medien: Telegram-Kanal Personenpotenzial / ca. 80 Mitgliederentwicklung Kurzportrait / Ziele Das Ziel der GEMEINW OHLLOBBY SACHSEN ist die Einrichtung und Durchsetzung einer sog. "Verfassunggebenden Versammlung". In einem Schreiben vom März 2021 teilte die Gruppierung dem Präsidenten des Sächsischen Landtages mit, dass Deutschland seit dem 24. November 2020 eine verfassunggebende Versammlung habe und dadurch "nach dem Völkerrecht alle bestehenden und vorherigen Rechtssysteme sowie Staatsgebilde erloschen" seien. Seit diesem Tag bestünde deshalb für die aktuellen Staatsorgane keine Berechtigung mehr für die Ausübung ihrer Tätigkeiten. In diesem Schreiben wurde die Gültigkeit des Grundgesetzes negiert. Die Bundesrepublik Deutschland wird außerdem als nicht rechtmäßig verfasst betrachtet, das Handeln von politischen Entscheidungsträgern sowie von Behörden in der Folge nicht akzeptiert. Seite 119 von 255 REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN Sitz Leisnig Gründung Vermutlich 2009 Internetauftritte Homepage REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHTKONSULENTEN Kurzportrait / Ziele Der REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN gründete sich laut eigener Homepage am 27. September 2009. Seine Mitglieder bzw. Anhänger fordern die Wiedereinsetzung der deutschen Grenzen vom 31. Juli 1914, die Wiedereinführung der Reichsgesetze und der geltenden Reichsverfassung aus dem Jahre 1871. Der REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN vertritt seine "Mandanten" in rechtlichen Angelegenheiten, indem er in Schreiben an politische Institutionen und Behörden auf die Legitimation der Reichsgesetze verweist sowie u. a. auch "Haftstrafen" gegen Behördenmitarbeiter verhängt. So soll der "Gerechtigkeit und Rechtspflege in Deutschland" Rechnung getragen werden. Relevante Ereignisse und Errichtung von "Volksbüros" in Freital und Riesa Entwicklungen 2021 "Gerichtliche" Vertretung von Personen aus Sachsen, indem Vertreter der Gruppierung als sog. "Recht-Konsulenten" auftreten. Aktivitäten Durch die bekannt gewordenen Aktivitäten des VATERLÄNDISCHEN HILFSDIENSTES sowie neuer Personenzusammenschlüsse sind die öffentlichen Aktivitäten von REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN im Berichtsjahr insgesamt weiter angestiegen. Dazu zählten sowohl ihre Beteiligung am Corona-Protestgeschehen als auch reichsbürgertypische Verhaltensweisen. Beispiele hierfür waren die pseudo-juristische Vertretung von Mandanten gegenüber staatlichen Institutionen durch den REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN und die Etablierung von Strukturen parallel zu real-existierenden staatlichen und privatwirtschaftlichen Einrichtungen. Exemplarisch sei hier die Eröffnung der GEMEINWOHLKASSE DES KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND in Dresden genannt. Damit entfaltete die ursprünglich in Sachsen-Anhalt beheimatete Gruppierung KÖNIGREICH DEUTSCHLAND im Berichtsjahr erstmals Aktivitäten auch in Sachsen. Es bleibt abzuwarten, ob es der Gruppierung gelingt, weitere Anhänger in Sachsen zu rekrutieren und sich hier weiter auszudehnen. Grundsätzlich war in 2021 eine zunehmende Vernetzung von Anhängern der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER in Sachsen festzustellen. Dies galt vorrangig für Chatgruppen im virtuellen Raum, in denen sich REICHSBÜRGER austauschten und auch Verschwörungserzählungen teilten. Allerdings waren zunehmend auch realweltliche Anlaufpunkte und Veranstaltungen festzustellen. Beispielhaft seien hier die sog. "Hilfsdiensttreffen" des VATERLÄNDISCHEN HILFSDIENSTES oder auch die sog. "Lerngruppentreffen" zu nennen. Den Schwerpunkt der Aktivitäten dieses Phänomenbereiches machten allerdings weiter reichsbürgertypische Schreiben aus, die zumeist an Behörden gerichtet waren und z. B. die Existenz Seite 120 von 255 der Bundesrepublik Deutschland leugneten. Deren Anzahl stieg im Berichtszeitraum deutlich an. Grund hierfür könnte Unmut über die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der CoronaPandemie gewesen sein, der verhältnismäßig viele REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER dazu verleitete, sich in Form szenetypischer Schreiben zu beschweren. Straftaten Typischerweise begingen REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER überwiegend die Straftat der Nötigung nach SS 240 StGB. Tätliche Angriffe auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach SSSS 114 Abs. 2 in Verbindung mit SS113 StGB machten hingegen den Großteil der Gewaltdelikte aus. Straftaten REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER 120 100 100 80 69 65 60 60 54 40 20 7 6 6 8 1 0 2017 2018 2019 2020 2021 Straftaten Gewalttaten 3.5 Ausblick Da insbesondere Verschwörungstheorien und einschlägige Aussagen im Zuge der CoronaPandemie Hochkonjunktur hatten und weiterhin haben werden, ist auch künftig mit einer ansteigenden Zahl der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER zu rechnen. In qualitativer Hinsicht ist innerhalb der Szene aufgrund behördlicher Maßnahmen jedoch eine deutliche Ausdifferenzierung zwischen Mitläufern und ideologisch überzeugten Szeneangehörigen festzustellen. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen. Das Straftatenniveau wird weiterhin niedrig bleiben. Gleichwohl können die Szene aufbringende Einzelfallkonstellationen das Risiko schwerer Gewalttaten mit sich bringen. Insbesondere die bundesweit festzustellende Waffenaffinität dieses Milieus spielt für die Bewertung von Gefährdungslagen eine zentrale Rolle. Auch von einzelnen, verschwörungstheoretisch geprägten REICHSBÜRGERN kann unter Umständen ein erhöhtes Gefährdungspotenzial ausgehen. Behördenmitarbeiter, Gerichtsvollzieher und Polizeibeamte sind in besonderem Maße betroffen. Im Jahr 2021 nahm das qualitative und quantitative Organisationsniveau der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER in Sachsen deutlich zu. Es wird abzuwarten sein, inwiefern sich die neuen Strukturen auch nachhaltig etablieren und ob sich weitere organisatorische Strukturen bilden Seite 121 von 255 werden. Zu einem landesweit koordinierten Vorgehen von REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN dürfte es jedoch auch künftig nicht kommen. Außerdem streben diese Personen weiterhin die Anlage von Vorräten und die Schaffung von "Rückzugsräumen" (Immobilien) an. Dahinter steht die Erwartung des baldigen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung in Deutschland. Seite 122 von 255 4. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Instrumentalisierung des Corona-Protests: Verächtlichmachung des Staates und seiner politischen Entscheidungsträger Errichtung des neuen Phänomenbereichs als Folge der Zunahme verbaler Angriffe auf die Grundpfeiler unser freiheitlichen demokratischen Grundordnung Falschbehauptungen und Desinformation mit dem Ziel, das Vertrauen der Bürger in den Staat zu erschüttern Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen: BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 Seite 123 von 255 Einrichtung eines neuen Phänomenbereiches Die deutschen Verfassungsschutzbehörden haben die Aufgabe, Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder der Länder oder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik gerichtet sind, aufzuklären und als "Frühwarnsystem" auch vor neuen Entwicklungen in diesem Zusammenhang zu warnen. Die Corona-Pandemie stellt auch den Freistaat Sachsen seit Anfang des Jahres 2020 vor enorme Herausforderungen. Zu diesen gehört die Instrumentalisierung der Pandemie und der damit einhergehenden staatlichen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung. Diese Alltagseinschränkungen für die Bevölkerung wurden im Berichtsjahr von Extremisten im Sinne ihrer verfassungsfeindlichen Agenda interpretiert und missbraucht. In der Folge wurden insbesondere seit Frühjahr 2021 demokratische Entscheidungsfindungsprozesse und Institutionen bzw. Repräsentanten der Legislative, Exekutive und Judikative zielgerichet massiv verächtlich gemacht. Diese Aktionsform der Delegitimierung ist neu und Ausdruck einer verfassungsfeindlichen Einstellung, weil sie dem Ziel dient, die bestehende verfassungsmäßige Ordnung zu beseitigen. Wegen der Zunahme derartiger verbaler Angriffe auf die Grundpfeiler unser freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtete das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) im April 2021 als Konsequenz daraus den "neuen" Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" mit dem zugeordneten Beobachtungsobjekt DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES ein. Hintergrund dieses Schrittes war die Feststellung im Verfassungsschutzverbund, dass eine Zuordnung maßgeblicher, im Zuge des Corona-Protestgeschehens auftretender extremistischer Personenzusammenschlüsse oder Einzelpersonen zu bereits bestehenden Beobachtungsobjekten und Phänomenbereichen nicht immer möglich war. Es handelt sich insoweit um eine neue Art des politischen Extremismus. Ein typisches Beispiel hierfür war der mit Fackeln gesäumte Protestmarsch von ca. 30 Personen vor das private Wohnhaus der Sächsischen Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, an dem auch einzelne Rechtsextremisten teilnahmen. Die Personengruppe bediente sich der nationalsozialistischen Bildsprache, wodurch die Versammlung bewusst einen einschüchternden und bedrohlichen Charakter annehmen sollte. Mit dieser Aktion sind eindeutig "rote Linien" überschritten worden, weil die Privatsphäre einer Politikerin erneut bewusst missachtet wurde. Dieses Ereignis verdeutlichte, dass eine aktionsorientierte Schnittmenge zwischen sog. Delegitimierern und Rechtsextremisten besteht. Der Staat und seine politischen Repräsentanten waren auch in diesem Fall das gemeinsame Feindbild, das zu einem Schulterschluss zwischen Akteuren beider Phänomenbereiche führte. Durch die Einführung des neuen Phänomenbereichs ist eine genaue Einordnung und Abgrenzung derunterschiedlichen Extremismusformen möglich. Denn der Großteil der Beteiligten am Protestzug verfolgte extremistische Betrebungen im Sinne des neuen Phänomenbereichs und war gerade nicht rechtsextremistisch geprägt. Diese Unterschiede in Motivation und Zielsetzungen können durch den neuen Phänomenbereich gezielt erkannt und herausgestellt werden. Seite 124 von 255 Kriterien für eine Zuordnung Relevant im Sinne des "neuen" Phänomenbereiches sind alle Handlungen im Sinne einer massiven Verächtlichmachung des Staates und einer fortwährenden Agitation gegen diesen. Mit Blick auf den hohen Stellenwert der freien Meinungsäußerung in einer Demokratie ist dabei eine Verfassungsschutzrelevanz bei bloßer Schmähkritik nicht gegeben, da diese zumindest im Kern immer noch auf eine Auseinandersetzung in der Sache abzielt und von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Aber auch unsachliche Schmähungen, Falschbehauptungen und Desinformationen sind nur dann verfassungsschutzrelevant, wenn sie mit dem Ziel verbreitet werden, das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat von Grund auf zu erschüttern und/oder diesen in seiner Funktionsweise zu beeinträchtigen. Die Verächtlichmachung muss zudem so massiv sein, dass das Vertrauen der Bevölkerung in die Kernelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung insgesamt und nachhaltig erschüttert werden kann. Anknüpfungspunkte für eine solche Erheblichkeit können bspw. sein: Der Rekurs auf ein vermeintliches "Widerstandsrecht", mit dem bewusst die Hemmschwelle Dritter abgesenkt und tatsächlich nicht legitimierte Widerstandshandlungen dieser Dritten befördert werden sollen Der Aufruf zu Blockadeund Sabotageaktionen gegen staatliche Einrichtungen sowie gegen lebenswichtige, staatliche Infrastrukturund Versorgungseinrichtungen (z. B. Anschläge auf Impfzentren) Gewaltandrohungen und der Aufruf zur Gewalt gegen Funktions-, Amtsund Mandatsträger des Staates Der Rückgriff auf Verschwörungsnarrative ist ebenfalls ein gewichtiges Indiz für die Erheblichkeit der Verleumdung oder Delegitimierung. In Abgrenzung zu Rechtsextremisten oder REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN ist bei Akteuren der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" grundsätzlich kein ideologischer Hintergrund und keine ausgrenzende Fixierung auf die eigene ethnokulturelle Identität festzustellen. Personenpotenzial Das LfV Sachsen analysiert im Hinblick auf diesen neuen Phänomenbereich fortwährend jeden Einzelfall und prüft, ob tatsächliche Anhaltspunkte für eine DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES vorliegen. Das Personenpotenzial ließ sich in diesem neuen Phänomenbereich für das Berichtsjahr nur schwer quantifizieren. Da eine Zuordnung nur unter restriktiver Anwendung der oben genannten Kriterien zulässig ist, konnte diesem Phänomenbereich mit Stand 31. Dezember 2021 zunächst nur eine mittlere zweistellige Anzahl von Personen zugeordnet werden. Diesem bisher ermittelten "harten Kern" ist ein noch nicht prognostizierbares "Dunkelfeld" für das Berichtsjahr zuzurechnen, welches das LfV Sachsen sukzessive erhellt. Die Summe aus bisherigem "harten Kern" und noch zu erhellendem "Dunkelfeld" könnte das Personenpotenzial künftig valide darstellen. Aufgrund einer insgesamt dynamischen Entwicklung hinsichtlich des Protestgeschehens sowie einer sich weiter drehenden Radikalisierungsspirale und der damit einhergehenden Zunahme von Radikalisierungsverläufen insbesondere in den sozialen Medien und Messenger-Diensten, ist jedoch von einem Anstieg dieser Zahl im Jahr 2022 auszugehen. Hingegen ist es aber gerade nicht die Aufgabe des Verfassungsschutzes, alle Teilnehmer und Organisatoren von sog. "Anti-Corona-Demonstrationen" zu erfassen. Friedlicher Protest und freie Meinungsäußerungen sind vom Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes nicht umfasst. Seite 125 von 255 Regionale Ausprägungen Am 2. Dezember wurde die Gruppierung BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 202197 dem Beobachtungsobjekt DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES zugeordnet, nachdem dieser Personenzusammenschluss aufgrund erster Hinweise zunächst dem Beobachtungsobjekt REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER zugerechnet worden war. Darüber hinaus gab es im Berichtszeitraum zahlreiche Corona-Protestveranstaltungen weiterer Personenzusammenschlüsse und Einzelpersonen, an denen sich auch Rechtsextremisten und Angehörige der Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER regelmäßig beteiligten. Dies war vor allem in Leipzig und in Dresden der Fall. BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 Gründung / Sitz: April 2021 Vorsitz Sachsen: nicht bekannt bzw. keine offizielle Hierarchie Teil- / Nebenorganisationen: keine Publikationen / Internetauftritte: Telegram-Kanal mit über 2.000 Nutzern Personenpotenzial: mind. drei aktive Hauptakteure Mobilisierungspotenzial von bis zu 100 Personen auf den entsprechenden Demonstrationen Finanzierung nicht bekannt Kurzportrait / Ziele Die Gruppierung ruft auf ihrem Telegram-Kanal zu einem "Systemumsturz" auf, ohne jedoch selbst eine Systemalternative aufzuzeigen. Sie verwendet in ihren Veröffentlichungen eine menschenverachtende Sprache, bedient sich einer zum Teil reichsbürgertypischen Argumentation und bezieht sich dabei regelmäßig auf Verschwörungstheorien. In der "Realwelt" führte sie im Berichtszeitraum regelmäßig Montagsdemonstrationen in Leipzig durch. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Einstufung als gesichert extremistische Be2021 strebung (zuvor dem Phänomenbereich REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER zugeordnet) Durchführung montäglicher Demonstrationen bis Mitte November 2021 Beteiligung an nicht extremistischen Demonstrationen Auf ihrem Telegram-Kanal betreibt die Gruppierung Desinformation und verbreitet ideologische Narrative aus der Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER. Von April 2021 bis Mitte November 2021 führte die Gruppierung regelmäßig montägliche Demonstrationen mit bis zu 100 Teilnehmern in Leipzig durch. Aufgrund der geltenden Sächsischen Corona-Notfallverordnung wurden angesichts drohender Auflagen ab Mitte November 2021 keine Demonstrationen mehr durchgeführt. 97 Nicht zu verwechseln mit Gruppierungen ähnlichen Namens. Seite 126 von 255 Ideologie Extremisten des neuen Phänomenbereichs Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates ist zu eigen, dass deren Aktivitäten darauf abzielen, das Vertrauen der Bevölkerung in den demokratischen Rechtsstaat zu erschüttern, indem sie sich auf ein vermeintliches Widerstandsrecht berufen, mit dem bewusst die Hemmschwelle Dritter abgesenkt und tatsächlich nicht legitimierte Widerstandshandlungen dieser Dritten befördert werden sollen, sie Amtsund Mandatsträgern zumindest indirekt Gewalt androhen, sich auf Verschwörungstheorien berufen, sie den Sturz des Systems herbeiführen wollen und sich dabei nicht eindeutig einem anderen Phänomenbereich zuordnen lassen. Dies trifft auch auf die im April 2021 gegründete Gruppierung BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 zu. Mit ihrem Namen bezieht sich die Gruppierung auf den friedlichen Protest der Leipziger Bürger im Herbst 1989. Damit - und mit einer Vielzahl von Veröffentlichungen auf ihrem Telegram-Kanal - stellt sie die Bundesrepublik Deutschland mit dem DDR-Regime auf eine Stufe und ruft zum revolutionären Umbruch ("Systemwechsel") auf. Im Gegensatz zur Friedlichen Revolution im Jahr 1989 greift die BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 aber - zumindest indirekt - im Rahmen ihrer Internetveröffentlichungen auch Aufrufe zur Gewalt auf. Darüber hinaus bezeichnet sie Politiker, deren getroffene Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise sie ablehnen, mitunter menschenverachtend als "Parasit" oder "korrupt, saudumm, unfähig". Amtsträger werden durch sie einer "Politikerkaste" zugeordnet, die "aufmüpfige Bürger" "drangsalieren und mit Schikanen überziehen" möchte. Auch wenn die BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 auf ihrem Telegram-Kanal gelegentlich reichsbürgertypische Argumentationsmuster - wonach etwa nach wie vor Kriegsrecht herrsche oder Deutschland nach wie vor besetzt sei - sowie verschwörungsideologische Chiffren verwendet, verfolgt sie jedoch kein gefestigtes ideologisches Ziel. Strategie Insbesondere im Rahmen ihres Online-Auftrittes nutzt die Gruppierung das Stilmittel der Emotionalisierung. Durch die Verbreitung von Desinformationen zur Corona-Pandemie sowie zu den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung dieser und insbesondere zur Coronaschutzimpfung instrumentalisiert und schürt die BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 die Ängste und Verunsicherung der Menschen, um ihr Ziel zu erreichen, die freiheitliche demokratische Grundordnung und die Institutionen des Staates verächtlich zu machen und dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in den demokratischen Rechtsstaat von Grund auf zu erschüttern. Unter dem "Deckmantel" des proklamierten Schutzes der Kinder mobilisierte die BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 für eine Versammlung am 20. September, dem Weltkindertag: "Jedem, dem etwas an Kindern in der Welt liegt, wird morgen am Start sein." Des Weiteren verbreitete die Gruppe das Video eines angeblich zehn Jahre alten Kindes, welches aufgrund der staatlichen Corona-Maßnahmen selbstmordgefährdet sein soll mit dem ebenfalls weiterverbreiteten Kommentar: "10 jähriges Kind will nicht mehr leben. Sie müssen alle hingerichtet werden, diese Verbrecher." In einem eigenen Beitrag vom 28. Mai wird die Instrumentalisierung dieser Thematik für das eigentliche Ziel, die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, bereits deutlich: "Stoppen wir dieses System, und unsere Kinder sind gerettet." Die Beiträge der Gruppierung sind von einer durchgängigen Widerstandsrhetorik gekennzeichnet. So wird etwa zum "Widerstand gegen die Diktatur" aufgerufen. Insbesondere Aufrufe zu den montäglichen Versammlungen erfolgen in diesem Sinne: "Widerstand auf die Straßen". Seite 127 von 255 Mit ihrer Strategie beabsichtigt die BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 zum einen, die eigene Gruppierung und die entsprechenden Veranstaltungen zu bewerben. Des Weiteren reiht sie sich in die Endlosschleife vielfältiger Falschmeldungen, Verleumdungen und Beleidigungen ein, die zahlreiche User im Rahmen des Corona-Protestgeschehens im Jahr 2021 im Internet erzeugten. Damit agitierten sie nicht nur gegen die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, sondern gegen das demokratische Fundament der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Aktivitäten Das zentrale Publikationsorgan der Gruppierung stellt der zu ihr gehörende Telegram-Kanal mit seinen ca. 2.000 Abonnenten (Stand: Dezember 2021) dar. Auf diesem werden täglich mitunter Dutzende Nachrichten abgesetzt oder Veröffentlichungen anderer Plattformen weitergeleitet. Außerdem führte die Gruppierung während des Großteils des Jahres 2021 montägliche Versammlungen mit bis zu ca. 100 Teilnehmern in Leipzig durch. Zu besonderen Anlässen fanden auch an anderen Wochentagen entsprechende Veranstaltungen statt. Darüber hinaus dockte die BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 an Versammlungen anderer Organisationen an, die den staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung ebenfalls kritisch gegenüberstanden. Die Mobilisierung für die eigenen Versammlungen erfolgte dabei meist vergleichsweise kurzfristig über den Telegram-Kanal. Über diesen Kanal wurde auch für andere "corona-kritische" Versammlungen - auch in anderen Bundesländern - geworben. So verbreitete die Gruppierung auch regelmäßig Veröffentlichungen der rechtsextremistischen Partei FREIE SACHSEN98. Bewertung / Tendenzen Im Gegensatz zu vielen im Jahr 2021 neu entstandenen Plattformen, die sich feindlich bis aufrührerisch über die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung äußerten, ist die BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 kein reines Internetphänomen geblieben. Bis zur Einstellung ihrer Demonstrationen Mitte November 2021 schaffte sie es konstant, realweltliche Aktivitäten zu entfalten und ein Stammklientel an sich zu binden. Sie ist Bestandteil einer bundesweiten Protestszene, die Ängste sowie Wut und Frust von Teilen der Gesellschaft ausnutzt, um Desinformation zu verbreiten und insbesondere auch das Einsickern von extremistischen Ideologieelementen, darunter Verschwörungserzählungen, in nicht extremistische Gesellschaftskreise in der virtuellen und der realen Welt zu fördern. Halten die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung an oder werden verschärft, wird mit weiter zunehmenden Aktivitäten von Akteuren und Personenzusammenschlüssen des Phänomenbereiches Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates und somit auch der BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 zu rechnen sein. 98 vgl. Beitrag II.2.3.3 FREIE SACHSEN / Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ Seite 128 von 255 5. Linksextremismus Erneut leichter Anstieg des Personenpotenzials Leipzig bleibt eine bundesweite Schwerpunktregion der AUTONOMEN SZENE und ein Brennpunkt linksextremistischer Gewalt Anhaltend hohes Niveau klandestiner Aktionen gegen Sachen und Personen Konzentration auf die Themenfelder "Antirepression", "Antifaschismus" und "Antigentrifizierung" Solidaritätsbekundungen im Zusammenhang mit dem Prozess gegen Lina E. Proteste gegen den politischen Gegner bei Anti-CoronaVersammlungen Schnelle Mobilisierung und bundesweite Unterstützungsnetzwerke Seite 129 von 255 5.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Linksextremisten streben die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Stattdessen wollen sie eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft etablieren. Ihr politisches Handeln richten sie dementsprechend an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Damit treten sie entweder für eine Diktatur ein, die auch mit einer Entrechtung Andersdenkender einhergeht, oder für eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung. Die von Linksextremisten häufig instrumentalisierten Begriffe "Gleichheit", "Freiheit" und "Gerechtigkeit" stellen sich bei genauer Betrachtung als Synonyme für die Abschaffung demokratischer Errungenschaften (z. B. der Gewaltenteilung) und die Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte dar (z. B. die Beseitigung des Rechts auf Eigentum). Auch wenn das Grundziel - die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie - alle linksextremistischen Bestrebungen eint, bestehen hinsichtlich der Vorstellungen zur letztlich angestrebten Ordnung, des dorthin führenden Wegs und der anzuwendenden Mittel erhebliche Differenzen. Das Ziel AUTONOMER ist beispielsweise ein Gemeinwesen, das sich an anarchistischen und kommunistischen Ideologiefragmenten orientiert. Zu dessen Durchsetzung spielt die Anwendung von Gewalt eine zentrale Rolle. Im Gegensatz hierzu streben orthodoxe Parteien die Errichtung eines zentralistisch geleiteten kommunistischen Staatswesens an. Ein solches soll durch Klassenkampf und die Diktatur des Proletariats erreicht werden. Im Unterschied zu den AUTONOMEN halten orthodoxe Linksextremisten die Anwendung von Gewalt erst in einer revolutionären Situation für legitim und unvermeidbar. Die verfassungsfeindlichen Zielsetzungen ergeben sich aus den folgenden ideologischen Hauptströmungen des Linksextremismus: Marxismus Die Lehren von Karl Marx (1818 - 1883) und Friedrich Engels (1820 - 1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln vieler Linksextremisten. Die marxistische Lehre ist sowohl wissenschaftliche Theorie als auch praktisch-politische Handlungsanleitung für die Revolution. Ihr zufolge vollzieht sich die Menschheitsgeschichte in gesetzmäßigen Entwicklungsstufen. Dem Endziel der geschichtlichen Entwicklung, der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, geht die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems voraus. Im Kapitalismus stehen sich die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten - die Eigentümer an den Produktionsmitteln - und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft - die sog. Proletarier - gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft geschaffene Mehrwert eines erstellten Produktes geht nach der marxistischen Lehre in den Besitz der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, Verarmung und schließlich Verelendung des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Seite 130 von 255 Gesellschaft. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das freiheitlicher Demokratien. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grundund Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen. Marxismus-Leninismus Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870 - 1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden. Auch nach marxistisch-leninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im sog. Imperialismus. Demnach trachte der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Machtund Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führe. Auf den Kapitalismus müsse also eine neue Gesellschaftsordnung folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung. Allerdings verfügt die Arbeiterklasse Lenin zufolge nicht über das notwendige politisch-revolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Partei sind gemäß dem Grundsatz des "demokratischen Zentralismus" keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt. Stalinismus Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878 - 1953) theoretische Weiterentwicklung des MarxismusLeninismus zum diktatorisch-bürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum ("Bourgeoisie") eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Aufund Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden u. a. die "stalinistischen Säuberungen" legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen. Trotzkismus Trotzkismus ist eine auf den russischen Revolutionär Leo Trotzki (1879 - 1940) zurückgehende Ausprägung des Marxismus-Leninismus. Wesentlich ist die Idee einer weltweiten und "permanenten" sozialistischen Revolution unter Führung von Arbeiterräten. Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h. der Versuch, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet die Ideologie der Trotzkisten Verbreitung über die unterwanderte Organisation. Seite 131 von 255 Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893 - 1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft als Träger des politischen Umsturzes. Die Weltrevolution sollte in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen ("Kulturrevolution") versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft gemäß den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen "Säuberungsaktionen" forderten Millionen Tote. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968er-Bewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (sog. K-Gruppen). Anarchismus Zum Anarchismus werden Ordnungsvorstellungen und Bestrebungen gerechnet, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Er gilt nach anarchistischem Verständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. Einer der bekanntesten Vordenker des Anarchismus ist der russische Revolutionär und Anarchist Michail Bakunin (1814 - 1876). Aus den Ideen Bakunins entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts der sog. "Anarcho-Syndikalismus", ein System, in dem Gewerkschaften die Arbeiterschaft unabhängig von Staat oder Industriellen dezentral organisieren. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges, der kommunistischen Revolution in Russland, dem Aufstieg des Faschismus in Italien und auch während des Zweiten Weltkriegs verlor der Anarchismus zunehmend an Bedeutung. Einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte er dann wieder im Rahmen der "68er"-Studentenbewegung, die sich in ihrer Forderung nach totaler Freiheit auch auf den Anarchismus berief. 5.2 Personenpotenzial Linksextremisten im Freistaat Sachsen im Jahr 2021 1000 850 775 785 760 800 800 600 400 200 0 2017 2018 2019 2020 2021 Seite 132 von 255 Anzahl der Linksextremisten im Freistaat Sachsen insgesamt: ca. 850 (2020: ca. 800) Gewaltorientierte LinksextreANARCHISTEN und sonstige Orthodoxe linksextremistimisten / linksextremistische sche Parteien und OrganisatiAUTONOME Gruppierungen onen 2021: ca. 520 2021: ca. 24099 2021: ca. 90 2020: ca. 465 2020: ca. 225100 2020: ca. 110 davon u. a. ANARCHISTEN 2021: ca. 80 2020: ca. 65 ROTE HILFE e. V. (RH) 2021: ca. 550101 2020: ca. 500102 In den Großstädten Leipzig und Dresden sind nach wie vor die weitaus meisten Linksextremisten aktiv. 99 ohne Mehrfachmitgliedschaften 100 ohne Mehrfachmitgliedschaften 101 Mit Mehrfachmitgliedschaften; Das bedeutet die Mitgliedschaft einer Person in mehreren extremistischen Gruppierungen/Organisationen gleichzeitig. 102 mit Mehrfachmitgliedschaften Seite 133 von 255 Linksextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten in absoluten Zahlen Seite 134 von 255 Linksextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten je 10.000 Einwohner 5.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Die von Linksextremisten besetzten Aktionsfelder hängen von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und aktuellen politischen Debatten ab. So waren auch im Berichtsjahr vor allem die Themenfelder "Antirepression", "Antifaschismus" und der Kampf gegen "Gentrifizierung" und damit einhergehend um "Freiräume" bestimmend. 5.3.1 Aktionsfelder "Antifaschismus" Für die linksextremistische Szene ist der "Antifaschismus" zentrales Dogma. Hier sieht man sich in der Traditionslinie mit den Gegnern des historischen Nationalsozialismus in Deutschland. Dass der Faschismus in der heutigen Gesellschaft fest verankert ist, verdeutlichte sich für die Szene durch die Mordserie des rechtsterroristischen NSU sowie den Protesten im Zusammenhang mit dem Thema Zuwanderung in den Jahren 2015 und 2016. Die Anschläge in Halle und Hanau sowie das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bestätigten die Szene zusätzlich in dieser Wahrnehmung. Seite 135 von 255 Aus Sicht der linksextremistischen Szene hat in den vergangenen Jahren ein "Rechtsruck" in der Gesellschaft stattgefunden, der rechtsextremistische und rassistische Positionen in einem "ungeahnten Ausmaß" gesellschaftsfähig gemacht habe. Demnach fänden sich derartige Einstellungen nicht mehr allein bei den Neonationalsozialisten, sondern vor allem auch bei der Neuen Rechten. In diesem Kontext wurde insbesondere auch die Partei Alternative für Deutschland (AfD) als "faschistische" und "rassistische" Partei wahrgenommen. Linksextremisten beteiligten sich deshalb in den vergangenen Jahren regelmäßig an Protestaktionen gegen diese Partei und verübten Angriffe auf Parteibüros, Geschäftsstellen, Privatfahrzeuge und Wohnhäuser. Immer wieder kam es aber auch zu unmittelbaren Angriffen auf Mitglieder oder Sympathisanten der Partei. "Antirassismus / Asyl" Der von AUTONOMEN verwendete Begriff "Antirassismus" steht in engem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Themenfeld "Antifaschismus". Mit antirassistischen Positionen von Linksextremisten ist stets auch eine fundamentale Kritik am demokratischen Rechtsstaat und dessen Institutionen verbunden. Staatlichen Akteuren wird z. B. mit Blick auf die deutsche und europäische Asylpolitik, zu der auch Abschiebungen gehören, ein systemimmanenter "institutioneller Rassismus" unterstellt. "Antirepression" Der "Kampf gegen staatliche Repression" ist ein klassisches Aktionsfeld von Linksextremisten, mit dem der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden soll. Dieser Kampf wird als ein gerechtfertigtes Mittel verstanden, um die angeblich herrschende "Gewalt des Systems" aufzubrechen. Als Repressionsorgane werden alle Institutionen betrachtet, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen und damit aus Sicht von Linksextremisten die Aufrechterhaltung des "herrschenden Systems" sicherstellen. Im Berichtsjahr hatte in diesem Aktionsfeld der Prozess gegen Lina E. für die bundesweite linksextremistische Szene eine herausragende Bedeutung. Das Strafverfahren gegen die vier Angeklagten wurde als Zeichen einer sich verstärkenden Repression des Staates ("Verfolgungswelle") gegen linke Strukturen wahrgenommen. Polizei und Justiz verfolgten demnach eine politische Agenda und würden mit ihren Ermittlungen das Narrativ einer "gefährlichen Linken" bzw. eines "linken Terrorismus" heraufbeschwören. Im Zusammenhang mit dem Prozess bildeten sich in der linksextremistischen Szene Solidaritätsstrukturen. Darüber hinaus fanden in diesem Kontext zahlreiche Demonstrationen, Solidaritätsaktionen und politisch motivierte Straftaten statt. "Kampf um Freiräume" und gegen "Gentrifizierung" Im Berichtsjahr gehörte der Kampf um "selbstbestimmte Freiräume" und gegen soziale Verdrängungsprozesse in Städten zu den bestimmenden Themenfeldern der linksextremistischen Szene. In "Freiräumen", wie etwa besetzten Häusern oder Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff entzogen sind und "selbstverwaltet" werden, wollen sie ihre Vorstellungen von einem "besseren" Leben umsetzen. Dort wird die für die politische Arbeit unerlässliche Infrastruktur bereitgestellt und der Informationsaustausch innerhalb der Szene unterstützt. Solche "Freiräume" stellen für sie einen ersten Schritt zur Etablierung der von ihnen angestrebten "herrschaftsfreien" Gesellschaft dar. Insofern werten sie deren Einschränkung stets als einen Angriff gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen. Linksextremisten beanspruchen eine Hegemonie in "ihrem Viertel", welche häufig in eine Ausgrenzung von Personen mündet, deren Wertvorstellungen nicht mit ihren eigenen übereinstimmen. Auch Seite 136 von 255 auf behördliche Maßnahmen, die sich gegen ihre "Freiräume" richten, reagieren sie umgehend und aggressiv. Im Berichtsjahr fanden neben mehreren Besetzungsaktionen in Leipzig, Dresden und Chemnitz auch zahlreiche Solidaritätsaktionen mit von Räumung bedrohten Szeneobjekten in Berlin und Athen statt. Die Besetzungen stellten den fortgesetzten Versuch dar, autonome Freiräume zu schaffen und zu etablieren. Corona-Pandemie Linksextremisten befassten sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie intensiv mit dem Infektionsgeschehen, dessen sozialen Auswirkungen und den politischen Regulierungen. Dabei befanden sie sich in einer schwierigen Situation. Es gelang ihnen über das gesamte Jahr erkennbar nicht, anschlussfähige eigene Positionen gegen die Corona-Maßnahmen zu entwickeln. Sie reagierten zwar kritisch auf die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen, hielten sich aber mehrheitlich an die Corona-Maßnahmen. Mit Blick auf die zahlreichen, von Linksextremisten organisierten Proteste gegen "Corona-Leugner" und "Querdenker" haben sich deren szenetypischen Agitationsfelder und Aktionsformen sowie Angriffsziele nicht wesentlich geändert. Mit der Corona-Pandemie ergab sich lediglich ein weiterer Begründungszusammenhang, mit welchem Straftaten gerechtfertigt und Forderungen untermauert werden sollten. In diesem Kontext stand auch die Mobilisierung gewaltorientierter Linksextremisten, welche gezielt im Umfeld oder im Nachgang zu den Anti-Corona-Demonstrationen die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, der Polizei oder tatsächlichen wie vermuteten Rechtsextremisten suchten. Recherchetätigkeit und "Outing"-Aktivitäten Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen sollen aus Sicht der Linksextremisten die vom Outing betroffenen vermeintlichen und tatsächlichen Rechtsextremisten sozial geächtet und in ihrer beruflichen Laufbahn beeinträchtigt werden. Gewaltbereiten Linksextremisten werden so mögliche Zielobjekte vorgegeben, insbesondere wenn das Outing mit eindeutigen Hinweisen oder Appellen verknüpft wird. Diese Aktionsform wird vornehmlich von der autonomen "Antifa" angewendet, um Personen, die aus autonomer Sicht "rechts" sind, in ihrem Wohnund Arbeitsumfeld zu denunzieren, bloßzustellen und zu bekämpfen. Beim "Nazi-Outing" publizieren Mitglieder der Antifa private Informationen der betroffenen Personen. Dies geschieht entweder mittels Flugblättern, die in der privaten oder beruflichen Umgebung der Betroffenen verteilt werden, oder über die Verbreitung dieser Informationen auf Internetplattformen. Den Betroffenen werden elementare Persönlichkeitsrechte bereits aufgrund der ihnen unterstellten Gesinnung abgesprochen, da nach Auffassung AUTONOMER "Faschismus" keine Meinung, sondern ein Verbrechen darstelle. Straftaten gegen die "geouteten" Personen - auch Gewalttaten - werden billigend in Kauf genommen. "Antikapitalismus" / "Antiglobalisierung" Die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung stellt für Linksextremisten ein grundlegendes Ziel dar, das inhaltlich mit allen anderen Themenfeldern verknüpft werden kann. Die fundamentale Kritik am Kapitalismus ist für sich allein jedoch nicht extremistisch. Der Seite 137 von 255 zentrale Unterschied zwischen einer radikalen und einer extremistischen Auffassung besteht nicht in der Ablehnung eines Wirtschaftssystems, sondern im Streben nach einer revolutionären Überwindung des demokratischen Rechtsstaates, der mit seinen "Repressionsorganen" als Garant kapitalistischer Eigentumsund Produktionsverhältnisse verstanden wird. Die Verknüpfung von kapitalistischem Wirtschaftssystem und politischer Ordnung beruht auf marxistischen Faschismustheorien. Demnach münde in ökonomischen Krisen das Zusammenspiel von Finanzkapital und Staatsapparat zwangsläufig im Faschismus, der als "radikalste Form bürgerlicher Klassenherrschaft" definiert wird. Umwelt und Klima Das Thema Klima ist für Linksextremisten strategisch wichtig, weil es eine hohe Anschlussfähigkeit an das nicht-extremistische Spektrum bietet. So instrumentalisieren Linksextremisten den Protest gegen die Nutzung fossiler Brennstoffe für ihre eigenen Zwecke. Sie wollen als Bündnispartner wahrgenommen werden, um über die Umweltproblematik ihre eigenen extremistischen Ziele - die Überwindung von "Kapitalismus und bürgerlichem Staat" - einzubringen. 5.3.2 Aktionsformen Öffentliche Aktionen von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen Die Darstellung ihrer politischen Positionen in der Öffent80 74 lichkeit hat für Linksextremisten große Bedeutung. Deshalb bleibt auch die Beteiligung an bzw. die Durchführung 60 53 von Demonstrationen, Kundgebungen, Aufzügen oder Gegenprotesten für die linksextremistische Szene besonders 40 wichtig. Sächsische Linksextremisten nahmen im Berichtsjahr auch an überregionalen und bundesweiten Veranstal20 tungen teil. Im Jahr 2021 wurden 127 öffentliche Aktionen von oder mit 0 Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen re1. Halbjahr 2021 2. Halbjahr 2021 gistriert. Davon umfasst sind neben Demonstrationen und Kundgebungen auch Mobilisierungs-, Informationsoder Vortragsveranstaltungen des gesamten linksextremistischen Spektrums. Infolge der fortdauernden Auswirkungen der Corona-Pandemie blieb das Aktionsniveau im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant (2020: 121 Aktionen). Es lag damit aber erneut deutlich unter dem Niveau der Jahre vor der Pandemie. In der zweiten Jahreshälfte ging die Zahl der öffentlichen Aktionen deutlich zurück. Ursächlich hierfür waren insbesondere folgende Faktoren: Der "Lockdown" zu Beginn des Jahres hatte kaum dämpfenden Einfluss auf das öffentliche Veranstaltungsgeschehen, da Demonstrationen und Kundgebungen auch weiterhin möglich waren. Im ersten Halbjahr beteiligten sich Linksextremisten an zahlreichen Protesten gegen Aktivitäten von "Corona-Leugnern" bzw. "Querdenkern", was zu einem spürbaren Anstieg des Aktionsniveaus beitrug. Seite 138 von 255 Die im Zuge der Prozesseröffnung gegen Lina E. und weitere Angeklagte103 ab September durchgeführten Solidaritätsaktionen wirkten sich nicht nennenswert auf das linksextremistische Aktionsniveau aus. Die Bundestagswahl im September veranlasste Linksextremisten lediglich zu vereinzelten öffentlichen Aktionen. Das Verbot mehrerer für den 23. Oktober geplanten Versammlungen durch die Stadt Leipzig führte zu einer erheblichen Verunsicherung innerhalb der linksextremistischen Szene, die insgesamt zu einem deutlichen Rückgang des öffentlichen Demonstrationsgeschehens beigetragen haben könnte. Bei öffentlichen Demonstrationen ist zwischen angemeldeten und nicht angemeldeten Demonstrationen zu unterscheiden. Angemeldete Demonstrationen werden in der Regel in strategischen Bündnissen mit Nicht-Extremisten geplant und durchgeführt. Sie dienen zugleich der Werbung von Sympathisanten. Meist ordnen sich Linksextremisten in diesen Aufzügen weitgehend in das friedliche Demonstrationsverhalten zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Ob es im Rahmen angemeldeter Demonstrationen zu Ausschreitungen kommt, hängt vom Kräfteverhältnis zur Polizei ab, aber auch davon, inwieweit die Anwendung von Gewalt vom bürgerlichen Spektrum toleriert wird. Im Gegensatz hierzu zeigen nicht angemeldete Demonstrationen eine hohe Eigendynamik, die häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen führt. Zu einer erhöhten Zahl linksextremistischer Strafund Gewalttaten, die aus dem Demonstrationsgeschehen heraus begangen werden, kommt es vor allem dann, wenn gesellschaftlich relevante Themen, die den Kernbereich linksextremistischer Ideologie treffen, im Mittelpunkt stehen. Dies gilt auch, wenn der politische Gegner im öffentlichen Raum direkt angegriffen werden kann. Gewalttätige Aktionen Die Anwendung von Gewalt ist in Teilen der linksextremistischen Szene - vor allem bei den AUTONOMEN - allgemein akzeptierter Grundkonsens. Dies wird dabei im Wesentlichen zweifach legitimiert: Zum einen handele es sich um Gegengewalt, mit der man sich gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung des Staates wehre. Denn dieser übe seinerseits mittels seiner Institutionen und Machtverhältnisse eine "strukturelle" Gewalt gegenüber Menschen aus. Zum anderen gebe es politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt schon grundsätzlich rechtfertigten. Diese Gewalt richtet sich im Wesentlichen gegen Sachen, kann aber zunehmend auch Personen, wie tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Polizeibeamte und Repräsentanten beispielsweise von Parteien (vornehmlich der AfD), zum Ziel haben. 103 vgl. Beitrag II.5.4.1 AUTONOME in Leipzig Seite 139 von 255 Linksextremistisch motivierte Gewaltaktionen gehen vornehmlich von der AUTONOMEN SZENE aus. Autonome Militanz zeigte sich in Form gewalttätiger Proteste aus Demonstrationen heraus sowie in Form klandestiner104 und offen militanter Aktionen. Taktisch nutzen die Akteure bei klandestinen Aktionen das Überraschungsmoment und die Anonymität. Dadurch wird für sie gleichzeitig das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Klandestine Aktionen sind häufig mit einem hohen Sachschaden verbunden. Für Linksextremisten stellen sie deshalb eine geeignete Aktionsform dar, um dem Staat oder dem politischen Gegner erheblich zu schaden. Üblicherweise enthalten Tatbekenntnisse Angaben zur verfolgten Absicht der Täter, um auf diese Weise politische Aufmerksamkeit zu erreichen sowie politischen Einfluss auszuüben. Die Anzahl klandestiner Aktionen blieb gegenüber dem Vorjahr weitgehend konstant und bewegt sich damit nach wie vor auf hohem Niveau. Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 100 85 82 80 66 60 40 20 0 2019 2020 2021 Klandestine Aktionen richteten sich vorrangig gegen den "Repressionsapparat", gegen den politischen Gegner sowie gegen Firmen, die mit der Sanierung von Wohnhäusern oder dem Bau von Behördengebäuden, wie Polizeirevieren oder Justizvollzugsanstalten, beauftragt sind. Umfasst sind dabei auch tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Ziele sind aber auch Vertreter und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates, wie Polizei, Gerichte, Justizvollzug sowie Einrichtungen politischer Parteien. Sie verkörpern für AUTONOME das staatliche Gewaltmonopol und gelten als Vertreter des ihnen verhassten Staates. Feindbilder werden dabei insgesamt sehr weit gefasst, was die breite Fächerung der Anschlagsziele zeigt. Schwerpunkt der klandestinen Aktionen war auch im Berichtsjahr eindeutig die Stadt Leipzig: 104 Klandestine Aktionen: Im Schutz der Anonymität und unter Wahrung eines hohen Konspirationsgrades führen Kleingruppen Aktionen zum Schaden des politischen Gegners bzw. gegen Einrichtungen des "Repressionsapparates" durch. Seite 140 von 255 60 51 50 50 41 40 2019 30 26 2020 22 2021 20 12 13 12 10 6 0 Leipzig Dresden andere Regionen 5.4 AUTONOME Struktur und politische Zielsetzung Die AUTONOME SZENE ist eine äußerst heterogene Strömung innerhalb des Linksextremismus, der es an einer Organisation mit klaren Strukturen sowie einer einheitlichen ideologischen Basis fehlt. Zersplittert in unzählige Kleingruppen steht das Individuum und seine Selbstverwirklichung im Zentrum autonomer Politik. Weltanschaulich-politisch verfolgt diese Szene keine dogmatische Linie, sondern versteht sich als Fundamentalopposition und Basisbewegung. Ihrem Selbstverständnis entsprechend orientieren sich AUTONOME an anarchistischen Ideologiefragmenten und wenden sich von diesem Ansatz ausgehend gegen jegliche Form von Herrschaft, Organisation und Hierarchie. Demzufolge lehnen sie die Gewaltenteilung und einen Staat ab, in dem eine demokratisch legitimierte Mehrheit regiert und Rechte auch des politischen Gegners (z. B. das Recht auf Versammlungsfreiheit) geachtet werden. Angestrebt wird die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. AUTONOME bekämpfen auch die von ihnen als "kapitalistisch" bezeichnete Gesellschaftsordnung. Ihnen geht es dabei nicht um eine fundamentale Kapitalismuskritik, sondern vielmehr um eine revolutionäre Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung. Ihr Weltbild und ihre Weltanschauung sind in erster Linie von einer destruktiven Anti-Haltung (antistaatlich, antiautoritär) geprägt. Jenseits von Forderungen nach "Selbstbestimmung" und "herrschaftsfreien Verhältnissen" verbindet die AUTONOMEN ihre Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und das Bekenntnis zu "revolutionärer Gewalt", die überwiegend in Form von Sachbeschädigungen und Brandanschlägen ausgeübt wird. Neben den "klassischen" AUTONOMEN etablierten sich sowohl bundesweit als auch in Sachsen sog. Postautonome. Diese präsentieren sich moderater und streben eine Zusammenarbeit in überregionalen Bündnissen an, denen sowohl andere linksextremistische Organisationen als auch Nicht-Extremisten angehören können. Bündnisse sollen eine kontinuierlichere politische Arbeit mit dem Ziel der Schaffung einer breiten Massenbasis sicherstellen. Postautonome Gruppen sprechen sich für die Beibehaltung militanter Konzepte aus, legen allerdings Wert auf deren Vermittelbarkeit außerhalb der eigenen Klientel. Seite 141 von 255 Rolle der Gewalt Für AUTONOME ist Gewaltausübung zur Durchsetzung politischer Ziele und als Symbolhandeln zentral. Gewaltbereitschaft ist ein identitätsstiftender und prägender Bestandteil der AUTONOMEN SZENE. Straftaten werden in Strategiepapieren und Diskussionen gerechtfertigt. Durch ihre Gewaltgeneigtheit unterscheiden sich die AUTONOMEN von anderen Linksextremisten. AUTONOME sehen sich zum einen als Opfer von Gewalt sowohl von staatlicher Seite als auch von Seiten des politischen Gegners. Insofern halten sie ihre eigene Gewaltausübung für legitim. Zum anderen gibt es aus ihrer Sicht bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt generell rechtfertigen. Prägend für die AUTONOME SZENE sind unterschiedliche Auffassungen über die Bestimmung der Ziele und die Angemessenheit der gewaltsamen Mittel, die in wiederkehrenden "Militanzdebatten" sichtbar werden. AUTONOME SZENEN im Freistaat Sachsen Die AUTONOME SZENE dominiert den Linksextremismus im Freistaat Sachsen deutlich. Ihr gehörten im Berichtsjahr ca. 520 Personen an (2020: ca. 465 Personen). Dies entspricht einem Anteil von über 60 % an allen linksextremistischen Bestrebungen in Sachsen. Dieser deutliche Anstieg resultiert aus einem Zuwachs des Personenpotenzials in den Städten Leipzig und Chemnitz. In den anderen Regionen blieb das jeweilige Personenpotenzial konstant. Entwicklung der Anzahl AUTONOMER im Freistaat Sachsen 600 520 465 415 425 415 400 200 0 2017 2018 2019 2020 2021 Deutlicher regionaler Schwerpunkt der sächsischen AUTONOMEN SZENE bleibt die Stadt Leipzig.105 Mit mittlerweile rund 350 Personen gehörten zwei Drittel der sächsischen AUTONOMEN der Leipziger Szene an, sodass sich dort auch das stärkste gewaltbereite Potenzial konzentrierte. Leipzig hat sich damit neben Berlin und Hamburg als ein Schwerpunkt der AUTONOMEN SZENE in Deutschland fest etabliert. Indikatoren für die Bedeutung der Leipziger Szene sind das weiter wachsende Personenpotenzial mit Zuzügen aus ganz Deutschland, die kontinuierlich hohe Zahl an Strafund Gewalttaten sowie die gestiegene Bedeutung von Veranstaltungen in Leipzig für auswärtige Szeneangehörige. 105 vgl. Beitrag II.5.4.1 AUTONOME in Leipzig Seite 142 von 255 Die Dresdner Szene106 ist als zweiter Schwerpunkt wesentlich kleiner. Wie bereits in den beiden Vorjahren war hier kein personeller Zuwachs zu verzeichnen. Die AUTONOME SZENE in Chemnitz107 ist nochmals kleiner und weniger strukturiert, verzeichnete aber im Berichtsjahr einen Zulauf. Kleinere autonome Gruppen und Einzelpersonen waren u. a. im Erzgebirgskreis und im Landkreis Mittelsachsen aktiv. 106 vgl. Beitrag II.5.4.2 AUTONOME in Dresden 107 vgl. Beitrag II.5.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden Seite 143 von 255 Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN im Freistaat Sachsen 250 200 150 123 106 112 100 87 90 50 0 2017 2018 2019 2020 2021 Grundlegende Entwicklungstendenzen der AUTONOMEN SZENE im Freistaat Sachsen Ähnlich wie im Vorjahr war das Berichtsjahr durch ein insgesamt hohes Aktionsniveau und eine hohe Aktionsintensität der AUTONOMEN SZENE gekennzeichnet. Das Themenfeld "Antirepression", insbesondere der Prozess gegen Lina E.108, besaß 2021 für die bundesweite AUTONOME SZENE eine herausragende Bedeutung und führte zu zahlreichen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in Sachsen. Der Prozess gegen die vier Angeklagten wird in der bundesweiten AUTONOMEN SZENE als Zeichen einer sich verstärkenden Repression des Staates ("Verfolgungswelle") gegen linke Strukturen wahrgenommen. Für das Berichtsjahr bleibt es bei der Einschätzung der Vorjahre, wonach sich ein Teil der linksextremistischen Szene, der sich insbesondere im Bereich der AUTONOMEN ANARCHISTEN in Leipzig verorten lässt, radikalisiert hat. Es ist von einem sich über einen längeren Zeitraum erstreckenden Prozess der Radikalisierung auszugehen, der nicht alle Personen und Strukturen der AUTONOMEN SZENE gleichermaßen betrifft und der innerhalb der Szene vorhandene Spaltungstendenzen, z. B. zwischen "Altautonomen" und jüngeren zugezogenen Szeneangehörigen, verstärkt. Jüngere Szeneangehörige interessieren sich verstärkt für anarchistische Ideologiefragmente. Darunter sind insbesondere eine Lebenshaltung der "permanenten Attacke" gegen den Staat sowie ein kompromissloser Kampf für Freiräume zu verstehen. Sie entfernen sich damit ideologisch und aufgrund ihrer hohen Gewaltbereitschaft von älteren, vorwiegend antifaschistisch orientierten AUTONOMEN. Die Loslösung einzelner Personen von etablierten Strukturen der AUTONOMEN SZENE birgt weiter die Gefahr, dass diese sich an keinerlei Absprachen mehr gebunden fühlen und kaum noch für Überlegungen, wie z. B. zur Vermittelbarkeit von Positionen oder der Zielgerichtetheit von militanten Aktionen, zu erreichen sind. Ehemals akzeptierte Führungspersonen verlieren Einfluss auf diese Gruppen, die sich kaum noch politisch einbinden lassen und taktische Erwägungen in der 108 vgl. Beitrag II.5.4.1 AUTONOME in Leipzig Seite 144 von 255 Militanzfrage ablehnen. Beispielhaft dafür stehen Auseinandersetzungen über den gewalttätigen Verlauf der Demonstration am 18. September in Leipzig.109 Ein weiteres zentrales Themenfeld für AUTONOME in allen urbanen Zentren des Landes bleibt der Kampf gegen die sog. Gentrifizierung. Leipziger AUTONOME verkündeten einen "Sommer der Besetzungen", der aber trotz zahlreicher Besetzungsversuche in Leipzig, Dresden und Chemnitz weder zu einer dauerhaften Besetzung eines Objektes noch zu nennenswerten Aktivitäten im Zuge von Räumungen ("Tag X"-Demonstrationen) führte. Das Themenfeld bleibt aber absehbar insbesondere für jüngere Szeneangehörige von besonderer Bedeutung. Insgesamt scheinen durch das Ereignisgeschehen jene Kräfte innerhalb der AUTONOMEN SZENE gestärkt worden zu sein, die der Überzeugung sind, der "strukturellen Gewalt" von Staat und Kapital mit Gegengewalt begegnen zu müssen. Nur mittels Gewalt hätte aus deren Sicht z. B. das Thema Mietsteigerungen auf die politische Agenda gebracht werden können. Der Staat sei demnach auch weder willens noch in der Lage, rechtsextremistischer Gewalt, wie zum Beispiel im Rahmen der "Querdenker"-Demonstrationen, wirksam zu begegnen. Die "Faschisierung" der Gesellschaft nehme "extreme Ausmaße" an, was sich u. a. an "faschistischen Vernetzungen" innerhalb der Sicherheitsbehörden des Staates zeige. So habe der Staat mit zahlreichen polizeilichen Ermittlungsverfahren, Durchsuchungsmaßnahmen und Festnahmen stärker als bislang die "radikale Linke" bekämpft, hingegen im Bereich des gewalttätigen Rechtsextremismus nahezu keine Aktivitäten entfaltet. Diese sich "zuspitzende Repression" rechtfertige Militanz und "antifaschistischen Selbstschutz". Für AUTONOME bleibt die Ausübung von Gewalt sowohl zur Durchsetzung politischer Ziele als auch als Symbolhandeln zentral. Sie geht mit einer sinkenden Hemmschwelle einher, Gewalt nicht nur gegen Sachen, sondern auch gezielt gegen Menschen auszuüben. Die linksextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten blieben im Berichtszeitraum weiterhin auf hohem Niveau. Schwerpunkte des linksextremistischen Straftatenaufkommens sind nach wie vor die beiden Großstädte Leipzig und Dresden. Während sich in Dresden Straftaten auffällig häufig gegen Fahrzeuge des Immobilienkonzerns Vonovia richteten, waren in Leipzig vor allem Einrichtungen, Fahrzeuge und Beamte der Polizei betroffen. Wie in den Vorjahren gab es jedoch auch zahlreiche Brandstiftungen an Fahrzeugen von Bau-, Immobilienund Dienstleistungsunternehmen (u. a. Wachund Sicherheitsdienstleistungen). Die Serie von Übergriffen auf vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten, die mit massiver Gewalt attackiert wurden, setzte sich nicht im gleichen Maße fort. Gleichwohl waren mitunter auch schwere Angriffe auf den politischen Gegner festzustellen. Besonders hervorzuheben ist dabei ein Angriff am 11. März in Eilenburg (Landkreis Nordsachsen).110 Trotz eines insgesamt hohen Straftatenaufkommens waren in der Gesamtschau zuletzt keine qualitativen Veränderungen bei der Begehung von linksextremistischen Straftaten festzustellen. Die zu beobachtenden Handlungsweisen der Kleingruppen entsprachen grundsätzlich den bekannten Aktionsformen der AUTONOMEN SZENE. 109 vgl. Beitrag II.5.4.1 AUTONOME in Leipzig 110 vgl. Beitrag II.5.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden Seite 145 von 255 5.4.1 AUTONOME in Leipzig Personenpotenzial Die sächsische autonome Szene konzentriert sich nach wie vor eindeutig in der Stadt Leipzig. Die Messestadt blieb damit im Berichtsjahr zugleich auch der Brennpunkt linksextremistischer Gewalt in Sachsen. Im bundesweiten Vergleich ist Leipzig nach Berlin und Hamburg zugleich ein Schwerpunkt der autonomen Szene in Deutschland. Strukturen der Leipziger AUTONOMEN SZENE Nach dem eigenen Selbstverständnis lehnen AUTONOME jegliche Form einer dauerhaften Organisation ab. Ganz ohne Strukturen kommt aber auch die AUTONOME SZENE Leipzig nicht aus. Gerade bei Aktionen gegen den politischen Gegner, gegen Angehörige des "Repressionsapparates" oder Wirtschaftsunternehmen ist ein Mindestmaß an Koordinierung erforderlich. Daher entwickelten AUTONOME das sog. "dezentrale Konzept". Dessen Ziel ist es, Veranstaltungen des politischen Gegners in Kleingruppen anzugreifen bzw. deren Teilnehmer an der Anoder Abreise zu hindern. Das abgeschottete und kampfsporterprobte Milieu der Kleingruppen wird zudem bei klandestinen Aktionen111 aktiv. In einer Kleingruppe finden sich in der Regel etwa fünf bis zehn miteinander vertraute Personen zusammen, um gemeinsam Aktionen gegen den politischen Gegner zu planen und durchzuführen. AUTONOME SZENE in Leipzig Im Jahr 2021 wurde die Entwicklung in Leipzig durch folgende Faktoren geprägt: Leipzig erfuhr zunehmend Aufmerksamkeit durch etablierte AUTONOMEN SZENEN in der Bundesrepublik. Indikatoren für den Bedeutungszuwachs der Leipziger Szene sind das weiter wachsende Personenpotenzial durch Zuzüge aus ganz Deutschland, die kontinuierlich hohe Zahl an Strafund Gewalttaten sowie die gestiegene Bedeutung von Veranstaltungen in Leipzig für auswärtige Szeneangehörige. Abschottungstendenzen einzelner Kleingruppen der gewaltbereiten AUTONOMEN SZENE setzten sich fort. Ehemals akzeptierte Führungspersonen verlieren Einfluss auf diese Gruppen, die sich kaum noch politisch einbinden lassen und taktische Erwägungen in der Militanzfrage ablehnen. Personalisierte Gewalt bzw. Gewaltdrohungen verschärfen die bestehenden Konflikte innerhalb der AUTONOMEN SZENE und damit ihre Spaltung. Der Kampf um selbstverwaltete Freiräume und gegen Gentrifizierung war weiter von hoher Bedeutung. Jüngere Szeneangehörige interessieren sich verstärkt für anarchistische Ideologiefragmente (Lebenshaltung der permanenten Attacke gegen den Staat, kompromissloser Kampf für Freiräume) und entfernen sich ideologisch von älteren, vorwiegend antifaschistisch orientierten AUTONOMEN. Proteste gegen die sog. "Querdenker" nahmen aufgrund ihrer Regelmäßigkeit einen hohen Anteil bei den Aktivitäten von AUTONOMEN ein. Intensität und Schärfe der Aktionen gegen "Querdenker" waren im Vergleich zu den regelmäßigen Protesten gegen LEGIDA im Jahr 2015 jedoch deutlich geringer. 111 vgl. zu diesem Begriff: Beitrag II.5.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Seite 146 von 255 Öffentliche Aktionen Das öffentliche Aktionsniveau - also die Qualität und Quantität von Aktionen - der Leipziger AUTONOMEN stieg im Berichtsjahr trotz der coronabedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens deutlich an. Damit setzte sich der Trend der Vorjahre weiter fort. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN in Leipzig 80 74 60 60 47 40 40 30 20 0 2017 2018 2019 2020 2021 Mit fast der Hälfte aller Ereignisse (36) nimmt der Protest gegen sog. "Querdenker" im Berichtsjahr einen hohen Anteil an den öffentlichen Aktionen ein. AUTONOME beteiligten sich an den regelmäßigen Gegenveranstaltungen, die meist von nicht-extremistischen Kampagnen und Bündnissen angemeldet wurden. Überwiegend verliefen diese Proteste friedlich, die Anzahl der daran beteiligten Linksextremisten war zumeist jedoch niedrig. Die Themenfelder "Antirepression" und "Freiräume" waren im Berichtsjahr von herausragender Bedeutung. Insbesondere Proteste gegen vermeintliche staatliche Repression zogen sich wie ein roter Faden durch das ganze Jahr. Auffällig war eine im Vergleich zu den Vorjahren insgesamt niedrigere Teilnehmerzahl bei Kundgebungen und Aufzügen, die sich gegen polizeiliche Maßnahmen in Szenevierteln oder soziale Verdrängungsprozesse richteten. Damit im Zusammenhang steht auch eine insgesamt niedrigere Aktionsintensität. Bei einer geringen Zahl an Versammlungsteilnehmern erhöht sich wiederum die Gefahr einer polizeilichen Identitätsfeststellung nach einem unfriedlichen Versammlungsverlauf. Insbesondere im Nachgang des Verbots von drei unter dem Motto "Alle zusammen - autonom, widerständig, unversöhnlich" angemeldeten Demonstrationszügen am 23. Oktober durch die Stadt Leipzig zeigte sich die AUTONOME SZENE mobilisierungsschwach. Erklärungsansätze für diese Entwicklung waren einerseits gewiss die Einschränkungen aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie sowie andererseits die wiederholten polizeilichen Exekutivmaßnahmen gegen Angehörige der Leipziger AUTONOMEN SZENE, die mutmaßlich zu einer Verunsicherung in Teilen dieser Szene führten. AUTONOME aus Leipzig waren, wie in den Vorjahren auch, überregional aktiv. Sie beteiligten sich u. a. am 31. Juli in Zwönitz (Erzgebirgskreis) sowie am 7. August in Weimar (Thüringen) an Aufzügen, die sich gegen Aktivitäten von Rechtsextremisten richteten. Seite 147 von 255 Antirepressionsdemonstrationen im Zusammenhang mit dem Verfahren gegen Lina E. und weitere Angeklagte gemäß SS 129 StGB Am 8. September begann am Oberlandesgericht (OLG) Dresden der Prozess gegen vier Angeklagte, darunter Lina E., wegen des Verdachts der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB). Die Vereinigung wird verdächtigt, Angriffe gegen Personen durchgeführt zu haben, die der "rechten Szene" angehören. Dabei soll Lina E. eine herausgehobene Stellung innerhalb der Vereinigung eingenommen haben. Sie war bereits am 5. November 2020 im Zusammenhang mit Exekutivmaßnahmen in Leipzig festgenommen worden. Der Prozess und weitere staatliche Maßnahmen gegen Angehörige der linksextremistischen Szene in Leipzig wurden in der AUTONOMEN SZENE als Zeichen einer sich verstärkenden Repression des Staates wahrgenommen. Am 8. Mai und am 12. Juni beteiligten sich überwiegend Leipziger AUTONOME an störungsfrei verlaufenen Protestdemonstrationen mit mehreren Hundert Teilnehmern in der Messestadt. In Redebeiträgen und auf Transparenten forderten die Demonstranten die sofortige Freilassung von Lina E. Für den 18. September wurde für eine bundesweite Demonstration unter dem Motto "Wir sind alle Antifaschist:innen - Wir sind alle LinX" in Leipzig mobilisiert. Der Demonstrationsaufruf für den "Antifa-Block" zielte sowohl mit Aussagen wie "Wir bleiben militant" als auch mit entsprechend beigefügten Bildern (gezündete Pyrotechnik, brennende Barrikade) auf ein radikaleres Teilnehmerspektrum aus der AUTONOMEN SZENE. Insgesamt beteiligten sich an der Demonstration etwa 3.500 Personen, darunter mindestens 1.000 AUTONOME. Aus der Versammlung heraus kam es mehrfach zum Abbrennen von Pyrotechnik. Das Gebäude der Polizeidirektion Leipzig sowie Bankfilialen wurden mit Flaschen, Steinen und Farbbeuteln beworfen. Teilnehmer zeigten in Anspielung auf die Gruppe um Lina E. ein Transparent mit der Aufschrift "Hammerbande Erfolgreich-Offensiv-Militant". Nach dem offiziellen Ende der Demonstration errichteten einige Versammlungsteilnehmer Barrikaden und entzündeten diese. Einsatzkräfte und deren Fahrzeuge wurden massiv angegriffen und mit Steinen beworfen. Weitere Antirepressionsdemonstrationen Auf vermeintliche staatliche Repressionen außerhalb Sachsens reagierte die Szene mit öffentlichen Solidaritätsbekundungen und Angriffen gegen hiesige staatliche Institutionen. Dies zeigte sich im Berichtsjahr anlässlich eines Hungerstreiks des inhaftierten griechischen Linksterroristen Dimitris Koufontinas. Etwa 80 Personen schlossen sich am 2. März zu einer unangemeldeten Demonstration unter dem Motto "In Solidarität mit Dimitris Koufontinas und allen politischen Gefangenen" zusammen. In deren Verlauf kam es zu sog. "Riots". In einem im Nachgang zur Aktion veröffentlichten Bericht hieß es: "Zeigen wir ihm unsere Solidarität, denn sie ist unsere stärkste Waffe im Kampf gegen dieses System!" Eine für den 23. Oktober geplante bundesweite Demonstration unter dem Motto "Alle zusammen - autonom, widerständig, unversöhnlich" wurde durch die Stadt Leipzig verboten. Aufgrund der Mobilisierung hätte mit Anreisen von Teilnehmern überwiegend aus dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum aus ganz Deutschland sowie mit einem unfriedlichen Verlauf gerechnet werden müssen. Das Verbot und die polizeilichen Kontrollmaßnahmen führten dazu, dass insgesamt nur wenige Anreisebewegungen und Aktivitäten von Linksextremisten festgestellt wurden. Seite 148 von 255 Etwa 40 AUTONOME veranstalteten eine Spontandemonstration, zündeten Pyrotechnik und bewarfen eine Bankfiliale mit Steinen und Farbe. In einem Selbstbezichtigungsschreiben riefen die Verfasser zu "militanten Momenten" in der Stadt auf. Wie in den Vorjahren nahmen AUTONOME den 13. Dezember erneut zum Anlass, um die Polizei zu diffamieren. Die Datumszahlen des Tages "13.12." stehen dabei für die polizeifeindliche Buchstabenkombination "A.C.A.B." (All Cops Are Bastards). In Leipzig führten ca. 80 AUTONOME im Leipziger Osten eine unangemeldete Demonstration durch. Die Teilnehmer liefen vermummt u. a. die Eisenbahnstraße entlang und zündeten Pyrotechnik. Sie beschädigten fünf Fahrzeuge durch Flaschenwürfe und versuchten, ein weiteres in Brand zu setzen. Teilnehmer bewarfen einen Streifenwagen der Polizei mit Steinen und Farbbeuteln. Im Verlauf des Aufzuges wurde darüber hinaus die DITIB-Moschee beschädigt. Insgesamt entstand ein Sachschaden von rund 30.000 Euro. Während der Demonstration wurden Parolen mit linksextremistischem Bezug skandiert, u. a. "Hass, Hass, Hass der Polizei" und "Freiheit für Lina". Im Nachgang zu dieser Demonstration wurde eine szeneinterne Debatte ausgelöst, welche unterschiedliche Auffassungen zur Anwendung von Militanz im politischen Kampf deutlich werden ließ. So verteidigten einige AUTONOME das "Chaos der (willkürlichen) Zerstörung" als ihre Aktionsform: "Eine Sponti zum 13.12. ist nichts anderes als ein Selbstzweck". Weiter heißt es: "Solidarität bedeutet nämlich nicht, das (wenn auch marginale) Eigentum eines revolutionären Subjekts zu schützen, sondern anzugreifen und dafür zu sorgen, dass sich die Revolte ausbreitet und Situationen entstehen, in denen die Herrschaft in Bedrängnis gerät". Andere AUTONOME wiederum, "die die Sponti nach kürzester Zeit angepisst verlassen haben", sahen diese Militanz als kontraproduktiv an, da sie nicht in ein politisches Konzept eingebunden gewesen und somit nicht vermittelbar sei. Formen der spontanen Empörung und Auflehnung sowie "Militanz als notwendiger Teil linker Praxis" wurden aber grundsätzlich gutgeheißen. Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Themenfeld "Freiräume" Die Schaffung eigener "Freiräume" ist für AUTONOME in Leipzig nach wie vor ein wichtiges Thema. Dabei geht es zum einen um Hausbesetzungen und zum anderen um Widerstand gegen als "Gentrifizierung" bezeichnete soziale Umstrukturierungsprozesse in Wohngegenden. Im April veröffentlichte die nicht-extremistische Freiraum-Kampagne "Leipzig besetzen", die auch für AUTONOME mobilisierungsrelevant ist, unter der Überschrift "Sommer der Besetzungen" einen Aufruf, in dem sie sich positiv auf Hausbesetzungen im Jahr 2020 bezog und schlussfolgerte: "Hausbesetzungen sind also auch in der heutigen Zeit ein effektives politisches Mittel, um gegen den Mietenwahnsinn und Gentrifizierung zu protestieren". Unter dieser Prämisse riefen sie auf: "Dieser Sommer soll geprägt davon sein, dass durch dezentrale und koordinierte Aktionen auf die gentrifizierte Wohnund Lebenssituation in unseren Kiezen aufmerksam gemacht wird und neue Freiräume erstritten werden!" Der Kampagne konnten im Berichtsjahr folgende Aktionen zugerechnet werden: In der Nacht zum 10. Mai kam es in zwei leerstehenden Gebäuden und einem neu gebauten Mehrfamilienhaus zu Scheinbesetzungen in Leipzig Neustadt-Neuschönefeld und Schönefeld. Dabei wurden an den Gebäuden Transparente angebracht. Seite 149 von 255 Am 11. Juni besetzten mehrere Personen ein leerstehendes Wohnhaus auf der Tiefe Straße in Leipzig-Anger-Crottendorf. Zur Unterstützung versammelten sich vor dem Gebäude in der Spitze bis zu 200 Personen, darunter auch AUTONOME. Aus Protest gegen die Räumung des Objektes kam es am 12. und 19. Juni zu unangemeldeten Versammlungen mit etwa 250 bzw. 50 Teilnehmern. Während der Veranstaltung am 19. Juni führten die Teilnehmer ein Fronttransparent mit der Aufschrift "Tiefe 3 - Ewiger Hass der Polizei" mit und begingen Sachbeschädigungen. In einer im Internet veröffentlichten Stellungnahme hieß es, dass man es bereits am Tag X+1 "knallen lassen" wollte, dies habe aber das Kräfteverhältnis mit der Polizei nicht zugelassen. Vorbild für die Aktion seien die Besetzer der "Rigaer94" in Berlin: "Euer Kampf hat uns inspiriert und zeigt, dass militante Verteidigungen möglich sind." Am 27. August wurde das leerstehende Gebäude des ehemaligen S-Bahnhofes in LeipzigStötteritz besetzt und anarchistische Symbolik gezeigt. Zwei schwarz gekleidete und vermummte Personen zündeten Pyrotechnik und hielten diese aus dem Fenster. Vor dem Gebäude befanden sich ca. 30 Personen, die spontan eine Versammlung anzeigten. Gewaltaktionen, vor allem klandestine Aktivitäten sowie Spontanaktionen Leipziger Linksextremisten setzten im Berichtsjahr wieder verstärkt auf klandestine Aktionen. Diese Aktionsform lag mit 50 Aktionen (2020: 51) auf dem Vorjahresniveau. Anzahl klandestiner Aktionen in Leipzig 60 51 50 50 41 40 2019 30 2020 2021 20 10 0 Leipzig Die Angriffsziele bei linksextremistisch motivierten Straftaten zeigen, dass die Themenfelder "Antifaschismus", "Antirepression" und "Gentrifizierung" auch im Berichtsjahr von anhaltend großer Bedeutung für die AUTONOME SZENE Leipzig waren. Aktionen im Themenfeld Antifaschismus Über das gesamte Berichtsjahr hinweg verübten Linksextremisten Straftaten im Themenfeld "Antifaschismus". Es wurde versucht, den politischen Gegner einzuschüchtern. Mitglieder der AfD wurden dabei als "Schweine" diffamiert. Vereinzelt kam es auch zu Straftaten im Zusammenhang Seite 150 von 255 mit den Protesten gegen sog. "Querdenker". Folgende Aktionen verdeutlichen das Aggressionsniveau: Bei Protesten gegen den Autokorso der "Querdenker"-Bewegung am 6. März in Leipzig umringten einige Motorradfahrer ein zum Korso gehörendes Fahrzeug und entfernten gegen den Willen des Fahrers am Fahrzeug befestigte Transparente. Ein Kradfahrer versuchte den Fahrer zu schlagen und trat gegen das Fahrzeug. Am 18. März wurde das Fahrzeug eines Vorstandsmitgliedes des Leipziger AfD-Kreisverbandes in Brand gesetzt. Die Verfasser eines Selbstbezichtigungsschreibens bekannten sich zu der Tat an dem "Privatwagen" und begründeten sie damit, dass es Mitglieder der AfD "verdient" hätten, denn "AfD sein" heiße "Probleme kriegen". Abschließend wurde ausgeführt, dass: "die rassistenschweine (...) damit rechnen [sollen], dass wir sie zuhause besuchen kommen."112 Aktionen im Themenfeld Antirepression Aktionen von Linksextremisten richteten sich regelmäßig gegen Angehörige des sog. "Repressionsapparates". Hierzu zählen beispielsweise: Nach einer Spontandemonstration am 2. März bewarfen zehn Personen den Polizeiposten in der Leipziger Wiedebachpassage im Stadtteil Connewitz und weitere Gebäude mit Pflastersteinen. Am 18. September zeigten Teilnehmer des "Antifa-Blocks" bei der oben bereits geschilderten Antirepressionsdemonstration ein Transparent mit dem Schriftzug "Bald ist er aus Dein Traum, dann liegst Du im Kofferraum", der sich gegen den Leiter der Staatsschutz-Abteilung des Landeskriminalamtes (LKA) Sachsen richtete. Auf dem Transparent wurde dieser direkt namentlich aufgeführt. Mit dem Transparent wurde auf die Morde der "Roten Armee Fraktion" (RAF) Bezug genommen - konkret auf den Mord am ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Dessen Leiche wurde seinerzeit im Kofferraum eines Autos aufgefunden. Im Nachgang zu dieser Demonstration wurde der LKA-Abteilungsleiter nochmals persönlich bedroht. So wurden u. a. zwei Graffiti mit den Schriftzügen "[Name genannt] töten" und "Knieschuss [Name genannt]" an Hauswände gesprüht. Aktionen im Themenfeld Gentrifizierung Linksextremisten sehen sich durch soziale Aufwertungsund Verdrängungsprozesse zunehmend in ihren Freiräumen bedroht. Straftaten in diesem Sachzusammenhang richteten sich dabei auch im Berichtsjahr gegen aus ihrer Sicht verantwortliche Immobilienunternehmen und beauftragte Baufirmen: Am 4. März setzten unbekannte Täter einen Bagger der Gröner-Gruppe in Leipzig in Brand. In einem Selbstbezichtigungsschreiben wurde auf das räumungsbedrohte Hausprojekt "Rigaer94" in Berlin als "einen der letzten selbstorganisierten Räume, der sich staatlicher Kontrolle entzieht" Bezug genommen. Die Gröner-Gruppe gilt AUTONOMEN in Berlin und Leipzig als ein wesentlicher Akteur von sozialen Verdrängungsprozessen, da durch die Firmengruppe zahlreiche neue - vorwiegend hochpreisige - Immobilien in diesen Städten gebaut wurden. 112 Schreibweise wie im Original Seite 151 von 255 Am 27. März wurden auf dem Firmengelände der Leipziger Wohnungsund Baugesellschaft (LWB) drei Transporter und zwei Pkw in Brand gesetzt. Dem Tatbekenntnis zufolge handelte es sich bei der Aktion um einen "Akt notwendiger Gegengewalt", mit dem man gegen die Räumung des Szeneobjektes "Meuterei" in Berlin und gegen allgemeine Mieterhöhungen protestierte. 5.4.2 AUTONOME in Dresden Personenpotenzial Das Personenpotenzial der AUTONOMEN SZENE DRESDEN stagniert seit 2014 bei etwa 70 Personen. Aktionsniveau und Bedeutung der Dresdner AUTONOMEN fallen gegenüber der Leipziger Szene jedoch deutlich ab. Strukturen der Dresdner AUTONOMEN SZENE Die UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) ist nach wie vor die aktivste linksextremistische Gruppe in Dresden. Sie bildet mit drei weiteren Gruppen, die selbst bislang nicht mit linksextremistischen Aktivitäten in Erscheinung getreten sind, die Dresdner Föderation "Critique'n'act". Diese wiederum ist Teil des bundesweiten linksextremistischen Bündnisses "... UMS GANZE!" (UG). Bei UG handelt es sich um einen Zusammenschluss eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der bundesweiten autonomen Szene, die ihre Kräfte bündeln, um überregional handlungsfähig zu sein. Lokal treten die Mitgliedsgruppen autark auf, während sie in Aktionsbündnissen und bei Großveranstaltungen unter dem Label UG fungieren. Das Bündnis umfasst bundesweit etwa 300 Personen. Es bezeichnet sich selbst als "kommunistisches Bündnis" und beschreibt damit seinen ideologischen Hintergrund: Der Kapitalismus sei nicht reformierbar, bedingungslos zu bekämpfen und mitsamt seinem Staatssystem durch eine Revolution zu überwinden.113 Dazu befürwortet UG Militanz und Straßengewalt. In diesem Sinne betreibt das Bündnis linksextremistische Kampagnenarbeit, bei der es in der Vergangenheit vielfach zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. Außerdem ist das ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN (ART DRESDEN) in der Stadt aktiv. Das ART DRESDEN widmet sich seit jeher intensiv der "Recherchearbeit" vor allem über tatsächliche bzw. vermeintliche Rechtsextremisten und veröffentlicht in diesem Zusammenhang entsprechende Outings. Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen beteiligt sich das ART DRESDEN aktiv an einer wesentlichen Aktionsform der AUTONOMEN SZENE. Outing-Aktionen dienen der linksextremistischen Szene als Mittel zur Bekämpfung politischer Gegner.114 Aktivitäten Die URA DRESDEN führte ihre intensive Öffentlichkeitsarbeit der vergangenen Jahre fort. Sie veröffentlichte im Berichtsjahr zahlreiche Meldungen und Beiträge auf ihrer Internetseite und in den sozialen Medien. Dabei verbreitete die URA DRESDEN in sozialen Medien regelmäßig Hass-Botschaften. So bezeichnete sie auf ihrem Twitter-Account Polizisten als "SchweineBullen". Mit Beiträgen wie 113 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2020, S. 159 114 vgl. Beitrag II.5.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Seite 152 von 255 diesem delegitimiert die URA DRESDEN den demokratischen Rechtsstaat und verdeutlicht, dass sie das staatliche Gewaltmonopol ablehnt. Folgende Beispiele verdeutlichen zudem, dass die URA DRESDEN die Anwendung von Gewalt als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung für legitim hält: Im Zusammenhang mit einer Demonstration der rechtsextremistischen NPD am 18. April in Dresden und dem brutalen Angriff auf den Bundesvorsitzenden der rechtsextremistischen JUNGEN NATIONALDEMOKRATEN (JN) in dessen Wohnung in Eilenburg (Nordsachsen) am 11. März 2021 sowie weiteren überregional erfolgten Angriffen auf Personen und Objekte der rechtsextremistischen Szene nahm die Gruppe auf ihrem Twitter-Account Stellung. Die URA verharmloste und rechtfertigte dort die Angriffe und beschrieb die Thematisierung dieses Angriffs durch die Teilnehmer der NPD-Kundgebung als: "(...) Bejammern nahezu gefallener Kameraden, die aufgrund ihrer mörderischen Ideologie den antifaschistischen Selbstschutz zu spüren bekamen". Sie versah diese Aussage zudem mit dem Twitter-Hashtag "#AntifaBleibtHandarbeit". Damit werden von der URA DRESDEN schwerste Angriffe und Straftaten gegen Personen und Objekte legitimiert, gerechtfertigt und weiterhin als notwendig erachtet. Im Berichtszeitraum bestätigte sich erneut, dass gewaltbereiten Linksextremisten mit Outings durchaus bewusst mögliche Zielobjekte vorgegeben werden, insbesondere wenn das Outing mit eindeutigen Hinweisen oder Appellen verknüpft wird. So outete die URA DRESDEN im November 2020 auf ihrer Homepage ein Paar aus Dresden mit dem Aufruf "Schlagt die Faschist:innen wo ihr sie trefft". Im Januar 2021 wurde deren Wohnhaus zunächst großflächig mit Parolen beschmiert. Am 18. März beschädigten schließlich unbekannte Täter mittels Nothammer eine Scheibe der Erdgeschosswohnung, in der die als "Nazis" betitelten Personen wohnten. Im Mai 2021 rühmten sich dann unbekannte Autoren: "Nach vielfältigen Aktionen (...) ist es gelungen, das Nazi-Paar (...) zum Wegzug aus der Neustadt zu bewegen". Am 9. November erfolgte ein weiteres Outing durch die URA DRESDEN und das ART DRESDEN. In den Social-Media-Accounts der Gruppen wurden ein Restaurant in Dresden-Neustadt und deren Inhaberin als "(...) rechter Drecksladen & Schnittstelle regionaler völkischer Siedlungsprojekte & der Anastasia-Bewegung" bezeichnet. "Die Bücher [Anm.: der AnastasiaReihe] sind unter völkischen Siedlern und rechten Esoteriker:innen sehr beliebt." Die URA DRESDEN veröffentlichte später auf ihrer Internetseite einen umfangreichen Beitrag zur Inhaberin sowie der Anastasia-Bewegung. Dieses Outing führte im Ergebnis zu zwei Sachbeschädigungen mit linksextremistischem Hintergrund. Noch am Tag der Veröffentlichung des Outings kam es am 9. November vor dem Restaurant zu einer Sachbeschädigung in Tateinheit mit Beleidigung mit linksextremistischem Hintergrund. Dabei wurde die Geschädigte als "antisemitisches Schwein" bezeichnet. In der Zeit vom 27. bis 29. November beschädigten unbekannte Täter den Eingangsbereich des Restaurants mit Farbbeuteln. Ein korrespondierendes Bekennerschreiben wurde auf der linksextremistischen Internetplattform DE.INDYMEDIA.ORG veröffentlicht. Nach dortigen Angaben wurde das Restaurant am 28. November Ziel eines Angriffs. "Die Aktion (...) soll daran erinnern, dass Verbreitung antisemitischer, antifeministischer und völkisch rechter Inhalte nicht unwidersprochen bleibt. Dieser Laden gehört auch in Zukunft gestört!" Wie schon in den Vorjahren war die URA DRESDEN auch im Berichtszeitraum überregional in Sachsen aktiv. So beteiligte sie sich an mehreren Protestaktionen, u. a. am 31. Juli in Zwönitz (Erzgebirgskreis), am 14. August in Freiberg (Landkreis Mittelsachsen) und am 18. September in Leipzig, bzw. rief zur Teilnahme an solchen auf. Sie war ebenfalls an der Organisation und Seite 153 von 255 Durchführung des sechsten "Antifaschistischen Jugendkongresses" (Juko) in Chemnitz beteiligt.115 Die URA DRESDEN zeigte sich auch solidarisch mit linken Szeneobjekten in Berlin. So rief sie zur Verteidigung des "KÖPI"-Wagenplatzes in Berlin auf, der am 15. Oktober geräumt wurde. Das Aktionsniveau des ART DRESDEN entsprach dem des Vorjahres. So berichtete die Gruppierung beispielsweise über Akteure und Strukturen der Dresdner bzw. regionalen rechtsextremistischen Szene und über überregionale Aktivitäten von Rechtsextremisten. Dabei veröffentlichte das ART DRESDEN im Internet abermals zahlreiche Fotos, Namen und weitere Angaben von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten aus der Region Dresden. Auch wies es auf eine OnlineVeröffentlichung hin, auf der ausführlich über "Rechte Orte in Sachsen" berichtet wird. Die Gruppe beteiligte sich zudem an Aktionen gegen eine Versammlung von Rechtsextremisten am 13. Februar anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg. Entwicklung des Aktionsniveaus116 Die Anzahl der öffentlichen Aktionen im Berichtsjahr ging zurück und bewegte sich auf dem Niveau der Jahre 2018 und 2019. Sowohl die Intensität der Aktionen als auch die Zahl der daran beteiligten Linksextremisten blieb zumeist niedrig. Die Dresdner AUTONOMEN sind bereits seit geraumer Zeit kaum noch in der Lage, eine spürbare überregionale Mobilisierung zu initiieren. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN in Dresden 80 60 46 45 40 33 35 34 20 0 2017 2018 2019 2020 2021 Weitere öffentliche Aktionen Ein Hauptaktionsfeld Dresdner AUTONOMER waren im Berichtszeitraum Solidarisierungsaktionen aus Anlass der Eröffnung der Hauptverhandlung gegen Lina E. und weitere Angeklagte vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß SS129 StGB117: 115 vgl. Beitrag II.5.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 116 Das Aktionsniveau beschreibt die Qualität und Quantität von Aktionen. 117 vgl. Beitrag II.5.4.1 AUTONOME in Leipzig Seite 154 von 255 Am 3. Juli beteiligten sich rund 120 Personen, darunter etwa 30 Linksextremisten, an einer Demonstration unter dem Motto "Freiheit für Lina - Feuer und Flamme der Repression" in der Innenstadt von Dresden. Unbekannte Teilnehmer der Versammlung zündeten dabei Nebeltöpfe. Weitere Störungen wurden nicht bekannt. Die URA DRESDEN berichtete auf ihrem Twitter-Account live von dem Aufzug. Die für Linksextremisten mobilisierungsrelevante nicht-extremistische Gruppe HOPE sowie der Twitter-Account "Antifaschistisches Kollektiv Dresden" berichteten ebenfalls über die Veranstaltung. Am 7. September fand in der Dresdner Neustadt eine kurze unangemeldete Spontanversammlung statt. Etwa 20 mit Masken und Kapuzen vermummte Linksextremisten zogen fußläufig unter Zünden von Pyrotechnik vom Martin-Luther-Platz zur Rothenburger Straße. Darunter befanden sich auch Mitglieder der URA DRESDEN, die in sozialen Medien sowie auf DE.INDYMEDIA.ORG Soli-Einträge veröffentlichten. Nachdem sich die Gruppe aufgelöst hatte, entfernten sich die Teilnehmer in unterschiedliche Richtungen. Polizeibeamte machten einzelne Beteiligte in der näheren Umgebung ausfindig und stellten die Identitäten fest. Am 8. September beteiligten sich anlässlich des Prozessbeginns etwa 115 Personen, darunter zahlreiche Linksextremisten, an einer Soli-Kundgebung unter dem Motto "Für einen starken und konsequenten Antifaschismus, das Ende der Kriminalisierung und die sofortige Freilassung von Lina" im Bereich des OLG Dresden. Störungen wurden nicht bekannt. Die URA DRESDEN hatte zur Kundgebung aufgerufen und berichtete auf ihrem Twitter-Account live von der Versammlung. Aufgrund der herausgehobenen Bedeutung des Prozesses für die bundesweite linksextremistische Szene beteiligten sich Linksextremisten aus Sachsen und anderen Bundesländern an der Kundgebung. Der Bundesvorstand der linksextremistischen ROTEN HILFE E. V. veröffentlichte anlässlich des Prozessbeginns eine "Solidaritätserklärung", in der er u. a. darauf hinwies, dass sich das "Solidaritätsbündnis Antifa Ost" gegründet habe. Dieses Bündnis, zu dem auch die URA DRESDEN gehört, veröffentlichte eine "Stellungnahme", in der die den Angeklagten vorgeworfenen Angriffe und Straftaten legitimiert, gerechtfertigt und weiterhin als notwendig erachtet werden. So hieß es: "Nicht die Faschisten und ihre Terrorpläne werden öffentlich problematisiert, sondern jene, denen vorgeworfen wird, sich gegen diese eingesetzt zu haben, werden als Terroristen dargestellt. [...] Konsequenter Antifaschismus ist kein Verbrechen, sondern legitim und notwendig." Auch die bundesweite linksextremistische INTERVENTIONISTISCHE LINKE (IL) wies auf die Versammlung hin. Mehrere Beiträge auf DE.INDYMEDIA.ORG mobilisierten zum Prozessbeginn. Vor dem Hintergrund der herausgehobenen Bedeutung dieses Gerichtsverfahrens und der starken Solidarisierung innerhalb der bundesweiten linksextremistischen Szene war die Resonanz auf Versammlungsaufrufe in Dresden bislang überraschend gering. Damit zeigt sich erneut, dass es der hiesigen Szene nur in geringem Maße gelingt, überregional nach Dresden zu mobilisieren und eigene Anliegen einem breiteren Teilnehmerkreis zu vermitteln. Sie bleibt weitgehend isoliert und damit in ihren Handlungsmöglichkeiten beschränkt. Für das vergleichsweise geringe linksextremistische Personenpotenzial in Dresden ist es eine große Herausforderung und Belastung, die erforderlichen Solidaritätsstrukturen aufzubauen und über die Dauer des Prozesses hinweg aufrecht zu erhalten. Auffällig für die AUTONOME SZENE in Dresden war die Durchführung einer Spontandemonstration am 29. April anlässlich einer Durchsuchungsmaßnahme am Vortag in Leipzig. Etwa 40 vermummte Personen zündeten Pyrotechnik, blockierten eine Straße mit Baustellenutensilien, behinderten einen Streifenwagen und bewarfen diesen mit Steinen. In einem nachfolgend veröffentlichten Seite 155 von 255 Selbstbezichtigungsschreiben stellten anonyme Autoren fest, dass "auch Dresdner Cops lernen, dass sie Widerstand rechnen müssen, wenn sie unsere Veranstaltungen stören"118. Am 13. Dezember fand in Dresden-Löbtau eine unangemeldete Demonstration von ca. 50 Linksextremisten unter dem Motto "Kein Viertel für Nazis" statt. Dabei wurde Pyrotechnik gezündet, deren Reste Einsatzkräfte der Polizei feststellen konnten. Über den Twitter-Account @ProtestFotoDD, der bereits öfter über unangemeldete Demonstrationen von Linksextremisten in Dresden berichtet hatte, wurden im Nachgang Bilder und thematische Inhalte zur Aktion veröffentlicht. Den mitgeführten Transparenten zufolge war einer der Organisatoren die URA DRESDEN. Anlass für die Demonstration waren demnach tatsächliche bzw. vermeintliche Aktivitäten von Rechtsextremisten im Dresdner Stadtteil Löbtau sowie aktuelle Aktionen der sog. "Querdenker": "Diesen Zuständen wollte die Demonstration heute ein kämpferisches Signal entgegensetzen." Man wolle für einen rebellischen, solidarischen und selbstorganisierten Kiez einstehen (...) Klandestine Aktionen Die Anzahl der klandestinen Aktionen119 stieg im Berichtsjahr erneut an. Dies verdeutlicht, dass diese Protestform für die Dresdner AUTONOME SZENE eine wachsende Rolle in der politischen Auseinandersetzung spielt. Anzahl klandestiner Aktionen in Dresden 30 26 22 20 2019 12 2020 10 2021 0 Dresden Bestimmend bei den klandestinen Aktionen waren insbesondere die Themenfelder Gentrifizierung, Antifaschismus und Antirepression. Hierzu zählen u. a. folgende Vorkommnisse: Am 1. April setzten unbekannte Täter in Dresden ein im öffentlichen Raum geparktes Fahrzeug in Brand. Der Geschädigte ist Listenabgeordneter der AfD-Fraktion im Sächsischen Landtag. In einem auf DE.INDYMEDIA.ORG veröffentlichten Tatbekenntnis heißt es dazu: "Egal wie viele Kameras ihr aufstellt, egal ob die Bullen auf euch aufpassen, wir werden euch weiter 118 Schreibweise wie im Original 119 vgl. zur Erläuterung dieser Aktionsform: Beitrag II.5.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Seite 156 von 255 angreifen. Auf einen heißen Sommer". Das Tabakgeschäft des Geschädigten war in der Vergangenheit bereits mehrfach Ziel von Sachbeschädigungen. Es befindet sich in dem als "Szeneviertel" verstandenen Stadtteil Dresden-Neustadt. Am 10. April bewarfen etwa 20 schwarz gekleidete und vermummte Personen eine Gaststätte in der Dresdner Neustadt mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik. Innerhalb der linksextremistischen Szene ist das Objekt als Treffpunkt der rechten Szene bekannt und war bereits 2019 Ziel eines Angriffs. Am gleichen Tag waren Protestaktionen der AUTONOMEN SZENE gegen den Bundesparteitag der Partei AfD in Dresden durchgeführt worden. Im Rahmen von "Feministischen Besetzungstagen" kam es zwischen dem 26. und 29. Juli zu tatsächlichen bzw. vermeintlichen Hausbesetzungen120 in Dresden, an denen sich auch Linksextremisten beteiligten. Im Unterschied zu ähnlichen Aktionen in Leipzig war die Zahl der Unterstützer zwar insgesamt gering und es kam auch nicht zu militanten "Tag X"-Spontandemonstrationen nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen. Dennoch konnte damit die Dresdner Hausbesetzerszene ein Achtungszeichen setzen, das überregional anerkannt wurde. - Am 26. Juli besetzten mehrere Personen ein leerstehendes Gebäude in Dresden und brachten diverse Transparente (u. a. mit der Aufschrift "Dieser Staat ist kriminell SS 129") an der Fassade an. Etwa 20 Personen hielten sich vor dem Objekt auf, um sich mit den Besetzern zu solidarisieren. Die URA DRESDEN, das "Anarchistische Netzwerk Dresden", Personen der Kampagne "#leipzigbesetzen" und "#besetzen" aus Berlin sowie die "Rote Flora" aus Hamburg solidarisierten sich in den sozialen Medien ebenfalls mit den Besetzern. Einer Fristsetzung zum Verlassen des Gebäudes wurde nicht nachgekommen. Das Objekt wurde am 28. Juli 2021 polizeilich geräumt und gesichert. Es konnten zu diesem Zeitpunkt keine Personen im Gebäude festgestellt werden. - Am 29. Juli kam es zu einer weiteren Hausbesetzung mit nachfolgender Spontandemonstration, an der sich auch Linksextremisten beteiligten. Im Haus befanden sich eine unbekannte Anzahl von Personen. Auf dem Dach des Objektes zündeten drei weibliche Personen medienwirksam Pyrotechnik. Vor dem Objekt wurde zwar eine Spontanversammlung angemeldet, die Kommunikation mit der Polizei aber abgelehnt. Am Abend wurde das Objekt polizeilich betreten und die drei weiblichen Personen polizeilichen Maßnahmen zugeführt. Hierbei behinderten ca. 60 Personen die polizeilichen Maßnahmen erheblich. Am 17. September wurde ein Ingenieurbüro in Dresden attackiert. Drei unbekannte, schwarz gekleidete Personen schlugen mit Pflastersteinen zwei Fensterscheiben ein und warfen Brandsätze in das Gebäudeinnere. Ein Brandsatz erlosch von allein, der andere wurde durch einen hinzueilenden Zeugen mittels Feuerlöscher gelöscht. Weiterhin wurde ein PKW, welcher auf dem Parkplatz geparkt war, mittels Brandsatz vermutlich durch die gleichen Tatverdächtigen in Brand gesetzt. Ermittlungen der Polizei ergaben, dass die geschädigte Firma Planungen für sensible öffentliche Auftraggeber (u. a. Justizbehörden) übernimmt und 120 Bei einer vermeintlichen Hausbesetzung werden öffentlichkeitswirksam beispielsweise Transparente an ein leerstehendes Objekt angebracht, ohne dass das Objekt tatsächlich von Personen besetzt wird. Durch die Schriftzüge auf den Transparenten, die in der Regel auf Mietsteigerungen und Leerstände in Ballungszentren aufmerksam machen, wird lediglich der Anschein einer tatsächlichen Hausbesetzung erweckt. Zumeist werden vermeintliche Hausbesetzungen ebenfalls aktiv über entsprechende szenerelevante SocialMedia-Kanäle publik gemacht. Seite 157 von 255 auch Aufträge für den BOS-Funk (für Justiz und Polizei) bearbeitet. Der Firma obliegt außerdem die Planung für den Neubau der Justizvollzugsanstalt Zwickau. Die Tat ragt im Vergleich zu klandestinen Aktionen der linksextremistischen Szene der vergangenen Jahre angesichts der Vorgehensweise und der Schadenshöhe für die Region Dresden heraus. Am 18. September wurde hierzu ein Selbstbezichtigungsschreiben von den Autoren "Einige Autonome" unter dem Titel "[DD] Büro von Knastprofiteuren angezündet - Freiheit für Lina!" veröffentlicht. Als ein Grund für die Tat wurde darin angegeben: "(...) motivierte uns zu dieser Aktion vor allem die immer noch andauernde Inhaftierung von Lina und der Prozessbeginn gegen sie und weitere Gefährt*innen (...)". Anschließend wurden die den Angeklagten vorgeworfenen Angriffe und Straftaten legitimiert, gerechtfertigt und weiterhin als notwendig erachtet. So heißt es: "Da der Staat die Grundlage des Faschismus ist, kann der Kampf gegen den Faschismus sich nicht auf die vom Staat zugelassenen Mittel beschränken. Faschisten müssen auch militant angegriffen werden, sie müssen sich fürchten noch weiterhin aktiv zu sein (...). Wir danken den Genoss*innen, die Faschisten verprügeln!" Ein weiterer Begründungszusammenhang ist die behauptete Beteiligung des Ingenieurbüros am "Knastbau in Zwickau". Sie schreiben: "Wir hoffen, dass durch den Brand der reibungslose Ablauf weiterer Knastplanungen gestört werden konnte und die Firma versteht: Wer am Bau von Knästen verdient, wird die Konsequenzen tragen müssen!" Die Brandstiftung am Kfz wird so beschrieben: "Auf dem Gelände fanden wir zusätzlich noch einen Bonzenschlitten, wir setzten ihn kurzerhand in Brand." Zudem findet sich eine Anleitung der Tatausführung mit Tipps und "(...) Möglichkeiten (...), sich (...) zu wehren." Schließlich grüßten die anonymen Autoren abschließend die inhaftierten "Lina E.", "Ella" (inhaftierte Waldbesetzerin aus dem "Danneröder Forst" in Hessen) und "Boris" (inhaftierter französischer Anarchist). Das szenetypische Handlungsfeld der "Antiknastarbeit" ist insbesondere für Personen von hoher Bedeutung, die den autonomen Anarchisten zugeordnet werden können. Brandanschläge und Sachbeschädigungen werden als legitime Mittel zur Bekämpfung von "Profiteuren" des Gefängnissystems betrachtet. Dabei waren bereits Firmen in ganz Sachsen, die am Bau der JVA Zwickau beteiligt sind, das Ziel von Attacken der linksextremistischen Szene. In der Gesamtschau zeigt sich, dass auch in Dresden Szeneangehörige bereit sind, regelmäßig die Schwelle zur Gewaltanwendung zu überschreiten. Auffällig waren über einen längeren Zeitraum hinweg Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an Fahrzeugen des Immobilienkonzerns Vonovia. Derartige Handlungen benötigen keinen längeren Planungsvorlauf, feste Strukturen bzw. größere Personenkreise oder aufwändige Vorbereitungen. Das Risiko einer Tataufklärung ist hierbei vergleichsweise gering. Seite 158 von 255 5.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden Außerhalb der beiden Zentren der AUTONOMEN SZENE, Leipzig und Dresden, besteht in Sachsen nur ein geringeres autonomes Personenpotenzial, das allenfalls im oberen zweistelligen Bereich liegt. Dementsprechend sind dort die Strukturen und Aktivitäten weit weniger ausgeprägt. Trotz der Corona-Beschränkungen verdoppelte sich jedoch das öffentliche Aktionsniveau - also die Qualität und Quantität von Aktionen - im Vergleich zum Vorjahr. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN außerhalb von Leipzig und Dresden 100 80 60 40 24 20 17 15 11 7 0 2017 2018 2019 2020 2021 Die Zahl der klandestinen Aktionen halbierte sich im Berichtsjahr. Dennoch spielt diese Aktionsform auch für die AUTONOME SZENE außerhalb von Leipzig und Dresden weiterhin eine wichtige Rolle in der politischen Auseinandersetzung. Seite 159 von 255 Anzahl klandestiner Aktionen außerhalb von Leipzig und Dresden 20 13 12 2019 10 2020 2021 6 0 andere Regionen Region Westsachsen Die Region Westsachsen umfasst die Stadt Chemnitz, den Vogtlandkreis, den Landkreis Zwickau sowie den Erzgebirgskreis. Dort existieren im Vergleich zu Leipzig und Dresden lediglich kleine, weitgehend unstrukturierte AUTONOME SZENEN mit wenigen Personen. Diese konzentrieren sich im Wesentlichen auf die Stadt Chemnitz. Dabei agieren AUTONOME in dieser Region jeweils ohne eigene lokale Gruppenbezeichnung. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten blieben pandemiebedingt hinter denen der Vorjahre zurück. Insgesamt waren vor allem in Chemnitz und im Erzgebirgskreis Veranstaltungen mit linksextremistischen Bezügen feststellbar. Chemnitz Die AUTONOME SZENE Chemnitz bildet hinsichtlich linksextremistischer Aktivitäten mit deutlichem Abstand hinter der Leipziger und Dresdner Szene einen dritten Schwerpunkt in Sachsen. Einerseits sind dort weiterhin Einflussnahmen aus Leipzig und Dresden erkennbar, andererseits werden zunehmend eigene szenetypische Aktionen, wie Scheinbesetzungen oder Spontandemonstrationen, durchgeführt. Neben dem fest etablierten "Antifaschistischen Jugendkongress" (Juko) waren insbesondere Outing-Aktionen zum Nachteil des politischen Gegners für Chemnitz bestimmend. Trotz ihres niedrigen Personenpotenzials ist die Chemnitzer Szene aktiv und gut vernetzt. "Antifaschistischer Jugendkongress" Vom 6. bis 8. August fand der sechste "Antifaschistische Jugendkongress" (Juko) unter dem Motto "Antifa and Beyond" im "Alternativen Jugendzentrum Chemnitz" (AJZ) statt. Neben Nichtextremisten waren auch in diesem Jahr linksextremistische Gruppen aus Leipzig und Dresden in die Organisation und Durchführung der Veranstaltung eingebunden. Der Kongress, an dem ca. 150 Personen teilnahmen, diente dazu, Erfahrungen zur Planung und Durchführung linksextremistischer Aktivitäten auszutauschen und die Zusammenarbeit zwischen linksextremistischen Gruppen sowie zwischen Nichtextremisten und Linksextremisten zu stärken. Linksextremistische Gruppen boten eigene Workshops an und warben intern und über ihre Social-Media-Kanäle vor allem um junge Teilnehmer. Dazu zählten die Gruppen UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) Seite 160 von 255 und die ROTE HILFE LEIPZIG (RH LEIPZIG), welche praxisorientierte Vorträge und Workshops während des Kongresses angekündigt hatten. Die ROTE HILFE E. V. lud beispielsweise zum Thema "Polizeiliche Datenbanken" ein. Ebenfalls Bestandteil des Kongressprogramms waren mehrere Workshops, die inhaltliche Überschneidungen zu Themenfeldern und Aktionsformen der AUTONOMEN SZENE aufwiesen ("Kritik der Politik und autonome Politik im Anarchismus", "How to Bezugsgruppe"). Über einen Twitter-Kanal wurde am 7. August ein Bild aus dem Innenhof des Veranstaltungsobjektes veröffentlicht, auf dem Teilnehmer des Juko mit einem Transparent (Aufschrift: "Nazigruppen zerschlagen!! Den Antifaschistischen Widerstand organisieren") ihre Solidarität mit der am selben Tag durchgeführten Versammlung in Weimar gegen einen Aufzug von Rechtsextremisten zum Ausdruck brachten. Auf dem gleichen Twitter-Kanal zeigten sich die Organisatoren im Nachgang zufrieden mit dem Verlauf des Kongresses. Gepostet wurden der Aufruf "Our struggle will never stop - it's time to act" und das Graffito mit den Aufschriften "JuKo, Antifa and beyond" sowie "No Nazis No Cops". Bereits in den Vorjahren fand die Veranstaltung mit ähnlicher thematischer Ausrichtung in Chemnitz statt. Durch regelmäßige Treffen linksextremistischer Gruppierungen wie beim Juko werden entsprechende Kontakte auch über Sachsen hinaus geknüpft. Diese Kennverhältnisse machen eine breite und mitunter bundesweite Mobilisierung autonomer Gruppierungen zu bestimmten Versammlungen, Protesten und Aktionen erst möglich. So kann der Juko mittlerweile als szeneinterner Mobilisierungsmotor verstanden werden. In diesem "Mobilisierungskontext" ist auch die Teilnahme auswärtiger Linksextremisten an den Demonstrationen am 14. August in Freiberg und am 28. August in Chemnitz zu bewerten. Der Jugendkongress hat sich über die Jahre fest in Chemnitz etabliert und dient außerdem als Plattform zur Rekrutierung neuen Personals durch linksextremistische Gruppierungen. Demonstration am 28. August unter dem Motto "Nazis nicht in Ruhe lassen - wir klingeln euch raus!" Linksextremisten aus Chemnitz, Leipzig und Dresden beteiligten sich an der Demonstration eines nicht-extremistischen Veranstalters, bei der man "bedeutsame [...] Stationen der neonazistischen Szene" besuchen wollte. Die Teilnehmer führten u. a. Transparente mit den Aufschriften "Nazigruppen zerschlagen!! Den antifaschistischen Widerstand organisieren" sowie "Bringin it down! Beständig und konsequent gegen rechte Strukturen" mit sich. Für die AUTONOME SZENE hatte die Versammlung besondere Bedeutung. Ein solcher Aufzug, der unmittelbar entlang von Wohnsitzen bzw. Treffobjekten von durch Linksextremisten geouteten Rechtsextremisten führte, stellte ein Novum für Chemnitz dar. Mit der Aktionsform des "Outings" wollen Linksextremisten Personen, die aus autonomer Sicht "rechts" sind, in ihrem Wohnund Arbeitsumfeld denunzieren, bloßstellen und bekämpfen, um sie aus ihrer "Wohlfühlatmosphäre" zu vertreiben. Region Mittelsachsen Zur Region Mittelsachsen gehören die Landkreise Mittelsachsen und Meißen sowie der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Der seit 2016 feststellbare Rückgang linksextremistischer Aktivitäten im Landkreis Mittelsachsen setzte sich im Berichtsjahr fort. Das Aktionsniveau der AUTONOMEN SZENE war dort sehr gering. Seite 161 von 255 Am 14. August nahmen zugereiste Linksextremisten aus Leipzig, Dresden und der Region Chemnitz an einer Demonstration unter dem Motto "Schicht im Schacht - Rechte Hegemonien durchbrechen! Kritik an Coronamaßnahmen bleibt antifaschistisch/antikapitalistisch" in Freiberg teil. Der Aufzug war als "Antifaschistische Demonstration" beworben worden und bildete den zweiten Teil der thematischen Veranstaltungsreihe "Schicht im Schacht", mit denen u. a. Linksextremisten auf die "CoronaSpaziergänge" vor Ort reagieren wollten. Die erste Versammlung fand bereits am 31. Juli in Zwönitz (Erzgebirgskreis) mit linksextremistischer Beteiligung statt. Neben vereinzelten Demonstrationen waren im Berichtszeitraum in der Region auch wiederholt Sachbeschädigungen an Büros der Partei Alternative für Deutschland (AfD) festzustellen. In den Landkreisen Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge waren im Berichtsjahr lediglich Einzelpersonen der linksextremistischen Szene zuzurechnen. Relevante Aktivitäten wurden nicht bekannt. Region Ostsachsen Die Region Ostsachsen umfasst die Landkreise Bautzen und Görlitz. In beiden Landkreisen liegt die Anzahl der AUTONOMEN jeweils im einstelligen Bereich. Dort existieren keine Strukturen der AUTONOMEN SZENE. Im Berichtsjahr blieb das Aktionsniveau weiter gering. Region Nordsachsen In den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen gab es im Berichtsjahr keine aktive AUTONOME SZENE. Entsprechende Aktionen gehen aufgrund der örtlichen Nähe zu Leipzig vor allem auf Aktivitäten dortiger linksextremistischer Gruppierungen und Einzelpersonen zurück. Im Berichtsjahr war lediglich eine Aktivität im Themenfeld "Antifaschismus" zu verzeichnen: Am 11. März griffen fünf unbekannte Täter den Bundesvorsitzenden der JUNGEN NATIONALISTEN (JN) in dessen Wohnung in Eilenburg (Landkreis Nordsachsen) tätlich an. Die Täter trugen dabei Westen mit der Aufschrift "Polizei" und Sturmhauben. Sie drangen in die Wohnung des Geschädigten ein und versprühten eine große Menge Pfefferspray. Dem Geschädigten wurde mit einem Hammer auf die Sprunggelenke und den Kopf geschlagen. Er erlitt dadurch schwere Verletzungen. 5.5 ANARCHISTISCHE GRUPPIERUNGEN Die anarchistischen Gruppierungen in Sachsen vertreten Positionen des Anarchosyndikalismus. Dabei sind fließende Übergänge zu ähnlichen oder verwandten Bewegungen oder Gruppen - wie den AUTONOMEN - feststellbar. Dennoch weist der Anarchosyndikalismus einige spezielle Merkmale wie einen höheren Organisationsgrad auf, durch die sich entsprechende Gruppen auch deutlich von den AUTONOMEN unterscheiden. Seite 162 von 255 FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU) Sitz Berlin Gründung 1977 Hauptorganisation / übergeordFREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU) nete Gruppierung Teilorganisationen in Sachsen * ALLGEMEINES SYNDIKAT DRESDEN DER FAU (FAU DRESDEN) * FAU SEKTION CHEMNITZ (FAU CHEMNITZ) * FAU SEKTION ERZGEBIRGSKREIS (FAU ERZ) * ALLGEMEINES SYNDIKAT LEIPZIG DER FAU (FAU LEIPZIG) * FAU PLAUEN (organisatorisch der FAU Jena angeschlossen) Internetseiten sowie Profile auf Facebook, Twitter Internetauftritte und Instagram der vorgenannten sächsischen Syndikate "Direkte Aktion" (Onlinezeitung, unregelmäßig) Publikation Personenpotenzial/ 2021 2020 Mitgliederentwicklung Sachsen ca. 80 ca. 60 Kurzporträt / Ziele Die FAU versteht sich als ein Zusammenschluss von lokalen, unabhängigen, basisdemokratischen Gewerkschaften, den Syndikaten. Sie bezeichnet sich selbst als "klassenkämpferische Gewerkschaftsföderation". Die in der FAU vereinten Syndikate bilden die mitgliederstärkste anarchistische Organisation in Deutschland. In Sachsen ist sie spätestens seit Mitte der 1990er Jahre aktiv. Ideologisch ist die FAU dem Anarchosyndikalismus zuzuordnen, einer Ausprägung des Anarchismus. Ziel ist die Kollektivierung der Produktionsmittel und die Errichtung einer herrschaftslosen Gesellschaft. Die staatlichen Funktionen Seite 163 von 255 soll eine "Föderation der Syndikate" übernehmen. Ihr Programm findet sich in dem strategischen Grundlagentext "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der FREIEN ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU)". Im Unterschied zum Anarchismusverständnis AUTONOMER, die eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung favorisieren, verfügt die FAU über eine feste theoretische und organisatorische Basis. Ihre Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge. Ereignisse / Entwicklungen 2021 Die sächsischen Syndikate weisen steigende Mitgliederzahlen auf. Die FAU DRESDEN ist vor der FAU LEIPZIG weiterhin das aktivste sächsische Syndikat. Neu hinzu kam die FAU PLAUEN. Die FAU organisierte eigene Kundgebungen und beteiligte sich an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Ideologie und Strategie Das Ziel der FAU ist die Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. In ihrer Zeitschrift "Direkte Aktion", die sich nach eigenen Angaben "auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt", heißt es dazu unmissverständlich: "Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. [...] Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der Direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab." Mit diesem Selbstverständnis, welches die Anwendung sämtlicher Mittel zur Beseitigung der parlamentarischen Demokratie propagiert, steht die FAU im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In ihrem Grundlagentext "Prinzipienerklärung" wird das Ziel der "Überwindung des Kapitalismus" manifestiert, da dieser "auf der Ausbeutung durch diejenigen beruht, die über die Produktionsmittel verfügen". In der Erklärung werden umfangreiche Reformen in Erwägung gezogen. Allerdings heißt es auch: "Wir lehnen jedoch Reformismus als eine Haltung ab, die nicht versucht, die bestehenden Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse grundlegend zu ändern, sondern sie stattdessen stabilisiert." Die Übernahme der Produktionsmittel durch Arbeiterassoziationen umfasst die Idee einer gewerkschaftlichen Berufsgenossenschaft, die eine Kollektivierung der Produktionsmittel anstrebt. Der Staat soll zerschlagen werden und an dessen Stelle eine "Föderation der Syndikate" (basisdemokratische Gewerkschaften) treten. Das "Syndikat" wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes in einer anarchistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung angesehen, die im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Seite 164 von 255 Besonders im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Potenzial, Struktur und Aktivitäten der Syndikate in Sachsen Wie bereits in den Jahren zuvor, traten anarchosyndikalistische Gruppen im Freistaat Sachsen mit eigenen Aktionen öffentlich auf oder beteiligten sich an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Dabei zeigten sich jedoch Unterschiede zwischen den in Dresden, Chemnitz, Leipzig und im Erzgebirgskreis ansässigen FAU-Akteuren, was sowohl den Umfang und die Intensität von Aktionen als auch die Wahl der Mittel betraf. Die im Jahr 2015 aus der FAU INITIATIVE CHEMNITZ hervorgegangene FAU SEKTION CHEMNITZ konnte weiterhin nicht die Anforderungen an die Errichtung eines eigenständigen "Syndikats" erfüllen und gehört, wie die 2020 hinzugekommene FAU SEKTION ERZGEBIRGSKREIS (FAU ERZ), dem Dresdner Syndikat an. Im Berichtsjahr neu hinzugekommen ist die FAU PLAUEN, die organisatorisch der FAU JENA angeschlossen ist. Am 4. September eröffnete die FAU in der Plauener Innenstadt ein Gewerkschaftslokal. Dieser Schritt dürfte auch eine unmittelbare Folge des Mitgliederzuwachses der FAU in Sachsen sein. Zuvor hatte es in Plauen lediglich eine Kontaktanschrift der FAU gegeben. Dresden Die nach wie vor aktivste und zugleich mitgliederstärkste Gruppe ist das ALLGEMEINE SYNDIKAT DRESDEN DER FAU (FAU DRESDEN). Durch die verstärkte Präsenz in sozialen Medien, die Verteilung von Flugblättern, die Beteiligung an sozialkritischen, nicht extremistischen Protestdemonstrationen unter Einsatz ihrer schwarz-roten Fahnen sowie Transparente versuchte die FAU DRESDEN, ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Dazu zählten im Berichtsjahr u. a. folgende Aktivitäten: 7. März: Beteiligung an einer sog. "Feministischen Antiknastdemonstration" in Chemnitz. Unter dem Motto "Solidarität mit den Gefangenen-Gewerkschafterinnen der JVA Chemnitz!" stellten die rund 230 Teilnehmer u. a. das "Strafsystem" der Bundesrepublik Deutschland infrage, welches Inhaftierte nicht "resozialisieren" würde. Der "Knast" sei "ein Mittel des Staates" und diene lediglich der "Herrschaftssicherung". 15. März: Beteiligung an der Kundgebung "Internationaler Tag gegen Polizeigewalt" in Dresden, 10. April: Teilnahme an Protesten gegen den Bundesparteitag der AfD in Dresden, 1. Mai: Beteiligung an der Kundgebung "Anarchistischer 1. Mai" in Dresden, 31. Juli: Beteiligung an und Redebeitrag der FAU ERZ bei einer "Antifaschistischen Demonstration" in Zwönitz (Erzgebirgskreis) gegen die dortigen "Corona-Spaziergänge", die für Rechtsextremisten anschlussfähig und bereits zur "faschistischen Kontinuität" geworden seien. Leipzig Im Berichtszeitraum führte die FAU LEIPZIG öffentlichkeitswirksame Aktionen für eigene Mitglieder durch. So organisierte sie am 3. September in Leipzig eine Kundgebung vor einem Cafe, dessen Seite 165 von 255 Inhaber mit einem Mitglied der FAU einen beim Arbeitsgericht anhängigen Rechtsstreit führte. Am 7. November protestierte die FAU LEIPZIG gegen Arbeitsbedingungen bei einem örtlichen Pizzaservice. Auch nutzte sie bewusst Kanäle in den Sozialen Medien, um ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen. So veröffentlichte sie beispielsweise einen Tweet anlässlich des einjährigen Bestehens ihres Gewerkschaftslokals, in dem es hieß: "Nicht nur unsre Mitgliederzahlen befinden sich in einem kontinuierlichen Wachstum, auch die anstehenden Arbeitskonflikte werden immer schneller bearbeitet - und erfreulicherweise auch regelmäßig gewonnen!" Aufgrund der Einschränkungen des öffentlichen Lebens während der Corona-Pandemie wurden auch seitens der FAU LEIPZIG Beratungsangebote und Vorträge vielfach digital angeboten. Darüber hinaus beteiligten sich Mitglieder der FAU LEIPZIG am bundesweiten Aktionstag "Wir können uns die Reichen nicht mehr leisten" eines nicht extremistischen Bündnisses am 21. August in Leipzig. 5.6 ROTE HILFE E.V. (RH) Sitz Göttingen (Niedersachsen) Bundesgeschäftsstelle Gründung 1975 Hauptorganisation / übergeordnete Gruppierung ROTE HILFE E.V. Teilorganisationen in Sachsen RH ORTSGRUPPE LEIPZIG RH ORTSGRUPPE DRESDEN RH REGIONALGRUPPE SÜDWESTSACHSEN Finanzierung zum Großteil Mitgliedsbeiträge und Spenden Nachlässe Literaturvertrieb Internetauftritte Internetseiten sowie Profile auf Twitter sächsischer Ortsund Regionalgruppen und der Bundesorganisation 121 Publikation "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich und als Onlinemagazin) 121 Auflage: 14.000 Exemplare, Ausgabe 4.2021, Impressum S. 63 Seite 166 von 255 Personenpotenzial/Mitgliederentwicklung 2021 2020 122 123 Sachsen ca. 550 ca. 500 Kurzporträt/Ziele mitgliederstärkste bundesweite Gruppierung des deutschen Linksextremismus und damit zentraler Bestandteil der linksextremistischen Szene versteht sich gemäß Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifend linke Schutzund Solidaritätsorganisation" neben Linksextremisten gehören auch Nichtextremisten zu den Vereinsmitgliedern Ziel des Vereins ist die juristische und finanzielle Unterstützung von Strafund Gewalttätern des "linken" Spektrums, z. B. bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten organisiert Informationsund Diskussionsveranstaltungen vornehmlich im Themenfeld "staatliche Repression" und ruft zu Spenden auf Ereignisse / Entwicklungen 2021 weiter steigende Mitgliederzahlen hohes Aktivitätsniveau der ORTSGRUPPE LEIPZIG weitgehend eingestellte Aktivitäten der ORTSGRUPPE DRESDEN Aktionsschwerpunkt "Antirepressionsarbeit", insb. Prozess gegen Lina E.124 Die ROTE HILFE E.V. (RH) ist ein zentraler Bestandteil der linksextremistischen Szene und betätigt sich im Themenfeld "Antirepression". Ihre Funktion besteht darin, den inneren Zusammenhalt im Linksextremismus zu stärken und seine Strukturen aktionsfähig zu halten. 122 Schätzung des LfV Sachsen (mit Mehrfachmitgliedschaften, also Mitgliedschaft einer Person in mehreren extremistischen Gruppierungen/Organisationen gleichzeitig) 123 Schätzung des LfV Sachsen (mit Mehrfachmitgliedschaften) 124 vgl. Beitrag II.5.4.1 AUTONOME in Leipzig Seite 167 von 255 Ideologie und Strategie Die RH wird von Linksextremisten unterschiedlicher ideologisch-politischer Ausrichtung getragen. Sie versteht sich laut ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die sich im "Kampf gegen die staatliche Repression" und "die politische Justiz" engagiert. Ihr vordergründiges Anliegen ist die finanzielle und politische Unterstützung von Strafund Gewalttätern des "linken" Spektrums, "die in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden". Die RH unterstützt sie in Strafverfahren mit Geldbeträgen und sichert ihnen Solidarität zu. Außerdem betreut sie "politische Häftlinge", um deren Bindung an die linksextremistische Szene während der Haft und darüber hinaus zu erhalten. Die RH unterstützt einen politisch motivierten Straftäter nur dann, wenn er auch weiterhin zu seiner Tat steht. Eine Zusammenarbeit mit Behörden z. B. zur Verringerung des zu erwartenden Strafmaßes wertet die RH als Preisgabe der politischen Positionen und als Verrat an der gemeinsamen Sache. So wird das Bestreiten eines Tatvorwurfes vom Bundesvorstand "[...] als Distanzierung von der politischen Aktion bewertet und die beantragte Unterstützung nicht bewilligt." Dies gilt auch für Fälle, bei denen die Tat "entpolitisiert" wird, indem diese beispielsweise verharmlosend als "Jugendsünde" dargestellt wird. Bereits bei Tätigung entsprechender Aussagen des Betroffenen vor Gericht kürzt die RH ihren Unterstützungssatz. Die RH versteht Maßnahmen der Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs als Mittel der Machthaber zur Herrschaftssicherung und zielt damit auf eine Diskreditierung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Institutionen ab. Deren Handeln sei rein politisch motiviert, willkürlich sowie grundund menschenrechtswidrig. So deutet die RH z.B. die der Bekämpfung des Terrorismus dienenden AntiTerror-Gesetze als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr gelten" würden. Nach ihrer Auffassung dienen diese Gesetze vornehmlich dazu, jegliche "Politische Aktivität[en] gegen die herrschenden Zustände unmöglich zu machen". Die als Repression verstandenen Gesetze seien demnach nicht zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten beschlossen worden, sondern würden durch "die Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt [dazu benutzt], um Menschen gefügig zu machen". Auch mittels öffentlichkeitswirksamer Informationsveranstaltungen oder veröffentlichter Stellungnahmen versucht die RH, den Rechtsstaat zu diskreditieren, der aus ihrer Sicht vor allem daran arbeite, "linken Protest zu kriminalisieren" bzw. "Widerstand" zu "diffamieren". Personenpotenzial Die RH zählt zu den mitgliederstärksten linksextremistischen Gruppierungen in Sachsen. Gegenüber dem Vorjahr erhöhte sich die Mitgliederzahl von etwa 500 auf ca. 550 Personen und erreichte damit einen neuen Höchststand. Folgende Gründe sind für den Anstieg verantwortlich: Die Zunahme der Mitgliederzahl in Sachsen entspricht der bundesweiten Entwicklung, wonach sich die RH in einem seit mehreren Jahren anhaltenden Wachstumsprozess befindet. Seite 168 von 255 Die Anklageerhebung gegen Lina E. und drei weitere mutmaßliche Linksextremisten durch die Bundesanwaltschaft im Mai 2021125 und der Beginn der Hauptverhandlung vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Dresden im September 2021 trugen zu Neueintritten bei. Regelmäßige Berichte im Rahmen der öffentlichen Prozessbegleitung, in denen auch Methoden der Polizeiarbeit analysiert und offengelegt wurden, hatten zu verstärkten Nachfragen nach Beratungsund Hilfsangeboten bei der RH geführt. Die aktivste sächsische Ortsgruppe der RH in Leipzig trug wesentlich zum Anstieg bei. Durch die bereits bestehende personelle Konzentration sächsischer Mitglieder in Leipzig sowie durch das hohe linksextremistische Personenpotenzial in der Messestadt konnte die Ortsgruppe im Berichtsjahr an das hohe Aktivitätsniveau des Vorjahres anschließen und zusätzliche Personen gewinnen. Der Anstieg der Mitgliederzahlen der RH wirkte sich nicht auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksextremisten aus, da die Mitglieder der RH häufig zugleich Mitglied in anderen linksextremistischen Bestrebungen sind und andererseits nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgen. Strukturen Örtlich gliedert sich die RH in selbstständig arbeitende Ortsbzw. Regionalgruppen. Organe sind die Bundesdelegiertenversammlung und der Bundesvorstand. Die Bundesdelegiertenversammlung tritt alle zwei Jahre zusammen, entscheidet über grundsätzliche Vereinsangelegenheiten und wählt den Bundesvorstand. Die dabei gefassten Beschlüsse setzen die Ortsgruppen eigenverantwortlich um. Sie sind gegenüber dem Bundesvorstand rechenschaftspflichtig. Die RH finanziert sich größtenteils über Mitgliedsbeiträge, "Solibeiträge" sowie durch den Verkauf ihrer vierteljährlich erscheinenden überregionalen linksextremistischen Zeitung "Die Rote Hilfe" sowie von Broschüren und Flyern. Dazu zählen die Flyer "Rote Hilfe Info zu Strafbefehlen" und "Was tun wenn's brennt?!" oder die sog. "Aussageverweigerungsbroschüre". Ferner werden themenspezifische Spendenaktionen durchgeführt. Aktivitäten Aktionsschwerpunkt der ROTEN HILFE war im Berichtszeitraum die Antirepressionsarbeit, insbesondere die Unterstützung der Angeklagten im Prozess gegen Lina E. und drei weitere Personen vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Dresden. Der GBA legt den Angeklagten die mitgliedschaftliche Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung gem. SS 129 Abs. 1 StGB sowie die damit verbundene Begehung mehrerer gefährlicher Körperverletzungen und anderer begleitender Straftaten zur Last. Vor diesem Hintergrund bildeten sich zunächst auf lokaler Ebene Solidaritätsstrukturen für Lina E., die im Juni 2021 unter der Federführung des linksextremistischen ROTE HILFE E.V. auf bundesweiter Ebene unter Einbeziehung weiterer Solidaritätskampagnen zusammengeführt wurden. Die nicht extremistische Leipziger Kampagne "Wir sind alle LinX!", an der sich Linksextremisten beteiligen, agierte bündnisorientiert und versuchte, einen möglichst breiten Unterstützungskreis für eine 125 Pressemitteilung Nr. 25, Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof, Karlsruhe vom 28. Mai 2021 Seite 169 von 255 bundesweite Großdemonstration am 18. September in Leipzig zu organisieren.126 In diesem Zusammenhang und anlässlich des Prozessbeginns veröffentlichte der Bundesvorstand der RH eine "Solidaritätserklärung", in der es hieß: "Zusätzlich zur bereits laufenden Kampagne der Roten Hilfe e.V. 'Wir sind alle Antifa - Wir sind alle LinX', die laufende Verfahren und staatliche Repressionsangriffe gegen Antifas zusammenfasst, hat sich nun das Solidaritätsbündnis Antifa Ost gegründet. Mit der Homepage [...] und Demonstrationen rund um den Prozessauftakt zeigt sie den Angeklagten, dass sie nicht allein sind." In ihren Ortsgruppen führt die RH regelmäßig Rechtsberatungen zu Themen wie "Umgang mit Staatspost, Polizeiübergriffen und anderweitiger Repression" durch. Mit Hinweisen zum Schutz vor Strafverfolgung sowie dem Angebot politischer und materieller Hilfe mindert sie die abschreckende Wirkung strafrechtlicher Sanktionen. Sie flankiert die von ihr als besonders spektakulär empfundenen Fälle von "Repression" durch Kampagnen, Presseerklärungen oder Solidaritätskundgebungen. Die RH stellt für konfrontativ ausgerichtete Veranstaltungen, wie Demonstrationen des "linken" Spektrums, häufig sog. Ermittlungsausschüsse (EA) zur Verfügung. Dabei handelt es sich um während des Demonstrationsgeschehens und danach telefonisch erreichbare Ansprechpartner. Diese beraten Personen, die in Konflikt mit der Polizei geraten sind, und vermitteln bei Bedarf einen Anwalt. Aktivitäten der RH ORTSGRUPPE LEIPZIG Die RH ORTSGRUPPE LEIPZIG war auch im Berichtsjahr die aktivste und mitgliederstärkste sächsische Ortsgruppe der RH. Wie im Vorjahr fanden in Leipzig unter der Bezeichnung "Antirepressions-Veranstaltungen" regelmäßig Informationsabende und Diskussionsrunden statt. Coronabedingt setzte die Ortsgruppe vor allem auf Online-Angebote. Im Vergleich zu den Vorjahren wurden insbesondere wegen des Gerichtsverfahrens gegen Lina E. deutlich mehr Stellungnahmen zu Gerichtsprozessen und Aufrufe zur solidarischen Prozessbegleitung veröffentlicht. Die Ortgruppe bot regelmäßige Sprechstunden an und präsentierte sich auf Veranstaltungen, an denen Linksextremisten teilnahmen. Exemplarisch dafür stehen folgende Aktivitäten: 17./18. Juli: Betreiben eines Informationsstandes im Rahmen der Anarchistischen Buchmesse "Radical Bookfair" in Leipzig", 7. August: Vortragsveranstaltung zum Thema "Polizeiliche Datenbanken" im Rahmen des "6. Antifaschistischen Jugendkongresses" (JuKo) unter dem Motto "Antifa and Beyond" in Chemnitz. Aktivitäten der RH ORTSGRUPPE DRESDEN Die ORTSGRUPPE DRESDEN hat aufgrund einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Bundesvorstand im Jahr 2016 ihre Arbeit nach eigenen Angaben weitgehend zurückgefahren. Anlass waren damals Veröffentlichungen in der vom Bundesvorstand herausgegebenen Mitgliederzeitung "Die Rote Hilfe". Deren Autoren hätten sich aus Sicht der Dresdner Mitglieder mit dem "bevormundenden 127 und unterdrückenden" System des "Kasernenhofsozialismus" in der DDR kritiklos solidarisiert. Die regelmäßige Sprechstunde übernahm daraufhin der Ermittlungsausschuss Dresden. Dessen Internetseite verweist auf Publikationen der RH und stellt weitere Informationen zum Themenfeld Antirepression zur Verfügung. 126 vgl. Beitrag II.5.4.1 AUTONOME in Leipzig 127 Zur ausführlichen Erläuterung der Auseinandersetzung siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2017, S. 231. Seite 170 von 255 Aktivitäten der RH ORTSGRUPPE SÜDWESTSACHSEN Die RH REGIONALGRUPPE SÜDWESTSACHSEN mit Sitz in Chemnitz setzt sich aus den Ortsgruppen Chemnitz und Plauen zusammen. Aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl entfaltet sie kaum öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten. 5.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen Unter diesem Oberbegriff werden jene Bestrebungen zusammengefasst, die sich zu den Theorien von Marx, Engels und Lenin, der These vom Klassenkampf sowie zur Diktatur des Proletariats bekennen. Gemeinsamer weltanschaulich-politischer Nenner dieser orthodox-kommunistischen Gruppierungen ist die Ablehnung der Grundlagen und Wertvorstellungen des demokratischen Verfassungsstaates. Ziel ist die Auflösung der Institutionen der parlamentarischen und rechtsstaatlichen Demokratie. Zu den orthodoxen Gruppierungen zählen z. B. die KOMMUNISTISCHE PLATTFORM der Partei "Die Linke" (KPF), die DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) und die MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD). Die orthodoxen Gruppierungen weisen unter allen linksextremistischen Bestrebungen das prägnanteste weltanschauliche und theoretische Fundament auf, welches zudem mit einer deutlichen Pro128 grammatik und klar konturierten Zielvorstellungen verbunden ist. Ideologie und Strategie Die Gruppierungen unterscheiden sich in ihrer ideologischen Ausrichtung. Die DKP und die KPF bekennen sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und lehnen einen reformerischen Ansatz zugunsten eines revolutionären Weges zum Sozialismus ab. So heißt es im nach wie vor aktuellen Programm der DKP: "Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tiefgreifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse erreicht werden." Die geltende Gesellschaftsordnung und die freiheitliche demokratische Grundordnung können nach dieser Sichtweise nur auf revolutionärem Wege beseitigt werden. Die Präambel der MLPD weist in dieselbe Richtung: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der Sturz der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Deutschland als Teil der internationalen sozialistischen Revolution." Im Unterschied zu anderen orthodox-kommunistischen Gruppierungen, die sich kaum noch offen auf Stalin oder Mao Tse-tung beziehen, ist bei der MLPD ein offensives Bekenntnis zu diesen Diktatoren festzustellen. Dies zeigt, dass die MLPD im Gegensatz zur DKP oder KPF nicht nur marxistisch-leninistisch, sondern auch stalinistisch und maoistisch ausgerichtet ist. 128 vgl. Beitrag II.5.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Seite 171 von 255 Mit ihrem ausgeprägten ideologischen Dogmatismus und dem exklusiven Anspruch auf den "wahren Sozialismus" stößt die MLPD jedoch ebenso wie die eng am orthodoxen Marxismus orientierten Gruppierungen DKP und KPF selbst im orthodox-kommunistischen Spektrum auf geringe Akzeptanz. Sie ist deswegen isoliert und befördert damit dessen weitere Zersplitterung. Personenpotenzial Orthodoxe Gruppierungen verfügen im Freistaat Sachsen über ein Potenzial von ca. 90 Personen. Diese haben allerdings nur einen marginalen Einfluss auf den Linksextremismus in Sachsen. Aktivitäten Aufgrund ihres insgesamt geringen Personenpotenzials, aber auch wegen ihrer strukturellen Schwächen beschränken sich Aktionen dieser Gruppierungen überwiegend auf interne Treffen, Vortragsveranstaltungen und Veröffentlichungen im Internet. Gelegentlich treten orthodoxe linksextremistische Organisationen mit eigenen Kundgebungen oder Infoständen öffentlich auf oder beteiligen sich an nicht-extremistischen Versammlungen. 5.8 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund Im Freistaat Sachsen sind im Jahr 2021 sowohl die Gesamtzahl der linksextremistischen Straftaten als auch die darin enthaltenen Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Deren Anteil am gesamten linksextremistischen Straftatenaufkommen verringerte sich im Berichtsjahr damit auf etwa elf Prozent (2020: ca. 21 %). Seite 172 von 255 Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund 1500 1286 1084 1003 1000 linksextremistische Straftaten insgesamt 628 592 davon Gewalttaten 500 230 101 115 117 114 0 2017 2018 2019 2020 2021 Wie schon in den Vorjahren wurden die meisten der linksextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten in den Städten Leipzig und Dresden - den Zentren der AUTONOMEN SZENE in Sachsen - verübt. Dabei ist festzustellen, dass von diesen Städten nur Leipzig dem sachsenweiten Trend folgte: Dort war ein deutlicher Rückgang der Strafund Gewalttaten gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen. Für Dresden ergibt sich hingegen ein uneinheitliches Bild. Während die Zahl der Gewalttaten ebenfalls sank, stiegen die linksextremistischen Straftaten an und lagen damit 2021 über dem Straftatenaufkommen in Leipzig. In den Landkreisen lag das Straftatenaufkommen weiterhin auf niedrigem Niveau. In den drei Großstädten wurden etwa 76 % aller linksextremistischen Straftaten begangen (2020: ca. 82 %). Hauptsächlich handelte es sich hierbei um Sachbeschädigungen. Verantwortlich für diese rückläufige Entwicklung waren mutmaßlich die coronabedingten Einschränkungen sowie zahlreiche, als "Repression" empfundene Maßnahmen der Polizei insbesondere in Leipzig. Das Gewalttatenaufkommen entwickelte sich in den Großstädten unterschiedlich. In Leipzig und Dresden war jeweils ein Rückgang zu verzeichnen. In Chemnitz blieb die Zahl hingegen auf dem niedrigen Niveau des Vorjahres. Insgesamt 92 % aller Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund wurden in Leipzig, Dresden und Chemnitz registriert (2020: ca. 96 %). Die meisten dieser Gewaltdelikte richteten sich gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole sowie gegen den politischen Gegner. Obwohl die Anzahl der Gewaltdelikte insgesamt zurückgegangen ist, bleiben die begangenen Taten ein Indiz dafür, dass für Linksextremisten Gewalt weiterhin ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist, mit dem Ziel, den politischen Willensbildungsprozess in ihrem Sinne zu beeinflussen. Maßgeblich für diese Einschätzung sind vor allem folgende, mutmaßlich linksextremistisch motivierte Gewalttaten: Seite 173 von 255 Unbekannte Täter, die Sturmhauben und Westen mit der Aufschrift "Polizei" trugen, verschafften sich am 11. März in Eilenburg (Nordsachsen) Zugang zum Wohnhaus des Bundesvorsitzenden der JUNGEN NATIONALISTEN (JN). Sie drangen in die Wohnung des Geschädigten ein und versprühten in großer Menge Pfefferspray. Dem Geschädigten wurde mit einem Hammer auf die Sprunggelenke und den Kopf geschlagen. Am 27. März wurden in Leipzig auf dem Firmengelände der Leipziger Wohnungsund Baugesellschaft (LWB) drei Transporter und zwei Personenkraftwagen in Brand gesetzt. Ein mehrstöckiges Firmengebäude wurde dadurch beschädigt. Dem Tatbekenntnis zufolge nutzten die Akteure den bundesweiten "Housing Action Day", um sich mit dem "Kneipenkollektiv" des geräumten Berliner Szeneobjektes "Meuterei" zu solidarisieren und "für deren Räumung Rache [zu] üben". Demnach handelte es sich bei dieser Aktion um einen "Akt notweniger Gegengewalt", um gegen Mieterhöhungen zu protestieren. Dazu wird wie folgt ausgeführt: "Jeder Mensch der Miete von Menschen verlangt, beutet diese aus und wir wünschen und dass ihre Autos und Büros in Flammen aufgehen."129 In Leipzig wurden am 17. Juni im Eingangsbereich des "Haus des Jugendrechts" Autoreifen in Brand gesetzt. Ein vor dem Gebäude geparktes Fahrzeug wurde dadurch beschädigt. Die Verfasser des Tatbekenntnisses, die sich selbst "jugendliche Intensivstraftäter*innen" nannten, erklärten die Auswahl des Angriffsziels und ihre Solidarität mit "den mutigen Kämpfer*innen der autonomen Zone Rigaer Straße". Außerdem sei das Objekt ein "Akteur zur Befriedung aufständiger Individuen", in dem "Bullenschweine und Staatsanwaltschaft Hand in Hand" arbeiten. Am 17. September wurden in einem Dresdner Gewerbegebiet ein PKW der Marke DaimlerBenz in Brand gesetzt sowie bei einem nahegelegenen Ingenieurbüro Fensterscheiben eingeschlagen und Brandsätze in die Büroräume geworfen. Die geschädigte Firma bearbeitet u. a. Aufträge für den BOS-Funk für Polizei und Justiz. Motiv für die Aktion war dem Tatbekenntnis zufolge "vor allem die immer noch andauernde Inhaftierung von Lina und der Prozessbeginn gegen sie und weitere Gefährt*innen". Anschließend wurden die den Angeklagten vorgeworfenen Angriffe und Straftaten gerechtfertigt und weiterhin als notwendig erachtet. So hieß es: "Da der Staat die Grundlage des Faschismus ist, kann der Kampf gegen den Faschismus sich nicht auf die vom Staat zugelassenen Mittel beschränken. Faschisten müssen auch militant angegriffen werden, sie müssen sich fürchten noch weiterhin aktiv zu sein (...). Wir danken den Genoss*innen, die Faschisten verprügeln!". Ein weiterer Begründungszusammenhang ist die behauptete Beteiligung des Ingenieurbüros am "Knastbau in Zwickau". Sie schreiben: "Wir hoffen, dass durch den Brand der reibungslose Ablauf weiterer Knastplanungen gestört werden konnte und die Firma versteht: Wer am Bau von Knästen verdient, wird die Konsequenzen tragen müssen!". Die Brandstiftung am Kfz wird so kommentiert: "Auf dem Gelände fanden wir zusätzlich noch einen Bonzenschlitten, wir setzten ihn kurzerhand in Brand." 129 Schreibweise wie im Original Seite 174 von 255 Straftaten, Aufteilung nach Regionen linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2019 2020 2021 2019 2020 2021 Leipzig (Stadt) 356 472 327 57 165 80 Dresden (Stadt) 348 335 386 33 53 24 Region Westsachsen Chemnitz-Stadt 86 78 45 10 0 1 Vogtlandkreis 30 12 21 2 2 0 Lkr. Zwickau 57 32 32 3 0 0 Erzgebirgskreis 24 14 36 0 0 0 Region Mittelsachsen Lkr. Mittelsachsen 74 30 41 2 1 2 Lkr. Meißen 77 16 14 2 0 0 Lkr. Sächs. Schweiz34 4 20 0 0 0 Osterzgebirge Region Ostsachsen Lkr. Bautzen 49 29 13 3 1 1 Lkr. Görlitz 65 20 25 0 1 0 Region Nordsachsen Lkr. Leipzig 52 30 28 4 6 2 Lkr. Nordsachsen 34 12 15 1 1 4 Freistaat Sachsen 1268 1084 1003 117 230 114 Seite 175 von 255 5.9 Ausblick Die für das Berichtsjahr prägenden Entwicklungen im Bereich Linksextremismus, wie die hohe Gewaltbereitschaft insbesondere in Teilen der Leipziger Szene und das anhaltend hohe Niveau klandestiner Aktionen in den sächsischen Großstädten Leipzig und Dresden, werden mit großer Wahrscheinlichkeit auch im Jahr 2022 bestimmend für das Handeln der linksextremistischen Szene in Sachsen sein. Dies gilt ebenfalls für die Konzentration der politischen Arbeit auf die Themenfelder "Antirepression", "Antifaschismus" und "Antigentrifizierung". Überragende Bedeutung wird 2022 der Fortgang des Prozesses gegen die Angeklagten im Verfahren des Generalbundesanwaltes wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (SS 129 Abs. 1 StGB) haben. Angehörige der AUTONOMEN SZENE werden sich weiter mit Solidaritätsbekundungen, Spenden und einer kontinuierlichen Prozessbegleitung für die aus ihrer Sicht "politische Gefangene" Lina E. einsetzen. Sie werden zudem weiter versuchen, die am Prozess beteiligten Ermittlungsbehörden zu delegitimieren und den Prozess als deren "politisch motivierten" Kampf gegen die "antifaschistische Bewegung" darzustellen. Im Zusammenhang mit der Urteilsverkündung ist erneut mit einer bundesweit beworbenen Großdemonstration zu rechnen, die nicht zwangsläufig unfriedlich verlaufen muss, aber - abhängig vom Ausgang des Verfahrens - Eskalationspotenzial bieten wird. Abhängig von der politischen Ereignislage wird der Kampf gegen den politischen Gegner auch weiterhin Szeneangehörige der autonomen Antifa inund außerhalb der Großstädte mobilisieren können. Die AUTONOME SZENE hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie bei Aufzügen, Übergriffen oder Anschlägen durch Rechtsextremisten schnell mit Protestaktionen reagieren und dabei auf bundesweite Unterstützungsnetzwerke zurückgreifen kann. Dementsprechend wird es von der öffentlichen Präsenz des politischen Gegners in Sachsen abhängen, wie häufig und in welcher Größenordnung AUTONOME sich an Protestveranstaltungen gegen den politischen Gegner beteiligen. Im Blickfeld der AUTONOMEN SZENE bleiben aufgrund der aktuellen Lage vor allem sog. "Querdenker" und ihre Verbindungen zu Rechtsextremisten und REICHSBÜRGERN. In diesem Zusammenhang ist es für die AUTONOMEN SZENE eine andauernde Herausforderung, sich mit Forderungen nach einem stärkeren Einschreiten des Staates gegen Impfgegner und "Corona-Spaziergänger" auseinanderzusetzen. Einige eher anarchistisch geprägte Szeneangehörige lehnen derartige Stellungnahmen als Äußerungen einer "staatstreuen Linken" oder "Wohlstandslinken" ab. Für sie stellt es ein anhaltendes "Versagen" einer sich selbst als "antiautoritär" bezeichnenden Szene dar. Für das kommende Jahr ist daher vermutlich weiter mit einer uneinheitlichen - und damit insgesamt eher schwachen - Reaktion auf das Versammlungsgeschehen der "Corona-Spaziergänge" zu rechnen. Die AUTONOME SZENE LEIPZIG wird innerhalb des Freistaates Sachsen weiter eine herausragende Bedeutung besitzen und der Schwerpunkt linksextremistischer Gewalt bleiben. Sie verfügt mittlerweile auch bundesweit über eine Anziehungskraft, die zu weiteren Zuzügen von auswärtigen Szeneangehörigen und entsprechenden Anreisebewegungen bei Veranstaltungen führen wird. Für 2022 sind in Leipzig jedoch auch aufgrund der pandemischen Lage bislang keine Großereignisse absehbar, die eine hohe regionale und überregionale Mobilisierungswirkung für AUTONOME entfalten könnten. Hervorzuheben ist hingegen der im Juni 2022 in Bayern auf Schloss Elmau stattfindende G7-Gipfel. Derartige Gipfelereignisse wurden in der Vergangenheit durch teils gewalttätig verlaufende Proteste begleitet, an denen sich AUTONOME aus der gesamten Bundesrepublik beteiligten. Es ist daher zum einen mit Anreisen sächsischer AUTONOMER nach Bayern zu rechnen, zum anderen sind auch dezentrale Proteste gegen das Gipfeltreffen in sächsischen Städten vorstellbar. Absehbar handelt es Seite 176 von 255 sich beim G7-Gipfel um das mobilisierungsstärkste Großereignis 2022, zu dem unterschiedliche Gruppen aus den Schwerpunktregionen der AUTONOMEN SZENE in Deutschland und aus anderen europäischen Ländern zusammenkommen werden. Seite 177 von 255 6. Islamismus Personenpotenzial im Bundesvergleich weiterhin auf niedrigem Niveau Bewusster Missbrauch der Religion für verfassungsfeindliche Zielsetzungen Schwerpunkte salafistischer Strukturen in Leipzig und Plauen "Wolf im Schafspelz"-Strategie legalistischer Islamisten Abstrakte Gefahr von Terroranschlägen Seite 178 von 255 6.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine Form des religiös motivierten politischen Extremismus. Islamismus beginnt dort, wo islamische Gebote und Normen für politische Handlungsanweisungen instrumentalisiert werden. Sämtliche Strömungen des Islamismus missbrauchen die Religion bewusst für ihre politischen Zielsetzungen. Die Begriffe "Islam" und "Islamismus" sind deshalb deutlich voneinander zu unterscheiden. Der Verfassungsschutz differenziert zwischen der politischen Ideologie und der durch das Grundgesetz geschützten Ausübung der Religion des Islam. Islamisten sehen im Islam nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche - von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben jedes Einzelnen. Unter Berufung auf die Religion streben Islamisten die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland an und wollen diese durch ein ausschließlich auf Koran, Sunna130 und Scharia131 basierendes Gesellschaftssystem ersetzen bzw. umgestalten. Nach den Vorstellungen islamistischer Organisationen regelt der Islam alle gesellschaftlichen Lebensbereiche. Die von ihnen propagierte Existenz einer von Gott gewollten und demzufolge "wahren" und absoluten Ordnung steht über den von Menschen gemachten Regeln und Gesetzen. Damit stehen Islamisten insbesondere im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der Trennung von Staat und Religion, der freien Meinungsäußerung und der allgemeinen Gleichberechtigung. 130 Sunna ("gewohnte Handlung, eingeführter Brauch") bezeichnet im Islam die Tradition bzw. Handlungsweisen des Propheten Muhammad, die in der islamischen Glaubensund Pflichtenlehre die zweite Quelle religiöser Normen nach dem Koran darstellen. 131 Als Scharia wird das gesamte islamische Rechtsund Wertesystem bezeichnet. Seite 179 von 255 6.2 Personenpotenzial Anzahl der Islamisten im Freistaat Sachsen132 Wie in den Vorjahren bewegt sich das islamistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen im Bundesvergleich auf niedrigem Niveau. Verglichen mit 2020 ergab sich im Berichtsjahr eine Reduzierung auf etwa 450 Personen. Dieser Rückgang lässt sich u. a. mit den pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen und einem damit einhergehenden geringeren Erkenntnisaufkommen erklären. Das salafistische Personenpotenzial als Teilmenge des islamistischen Personenpotenzials stagnierte im Freistaat Sachsen mit etwa 270 Personen auf vergleichsweise geringem Niveau. Es umfasst sowohl politische als auch jihadistische Salafisten. Im Berichtsjahr gingen im LfV Sachsen weiterhin zahlreiche Hinweise auf salafistische Sachverhalte ein. Die Spannweite reichte hierbei von Verleumdungen bis hin zu wertigen und relevanten Informationen. Die hohe Anzahl dieser Meldungen ist u. a. auf die stärkere Sensibilisierung deutscher Behörden wie auch der Gesellschaft im Allgemeinen zurückzuführen. 132 Das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen wird erst seit dem Jahr 2014 gesondert erhoben, sodass für die Jahre zuvor diesbezüglich keine Werte vorliegen. Seite 180 von 255 6.3 Erscheinungsformen des Islamismus Legalistischer Islamismus Definition Sog. legalistische islamistische Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb einer bestehenden Rechtsordnung. Sie bestehen auf einer strikten Auslegung des Korans, die nach ihrer Auffassung unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei. Eine unmittelbare Gefährdung geht von diesen Gruppierungen nicht aus, da sie nicht gewaltorientiert sind. Ideologie Ideologische Richtschnur für legalistische islamistische Gruppierungen sind die Weisungen der Scharia. Nach ihrer Auffassung darf die Scharia als islamische Rechtsund Lebensordnung nicht relativiert werden. Ein Großteil ihrer ideologischen Grundsätze ist jedoch unvereinbar mit den im Grundgesetz verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaates, der Religionsfreiheit und einer auf der Menschenwürde, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und der Volkssouveränität basierenden politischen Ordnung. Ziel legalistischer Islamisten ist es, zunächst nur Teilbereiche der Gesellschaft zu manipulieren und zu ideologisieren, wie z. B. durch direkte Einflussnahme im Bildungswesen. Langfristig streben sie aber die Umformung des demokratischen Rechtsstaates in einen islamistischen Staat an. Strategie Legalistische Islamisten verfolgen eine Doppelstrategie ("Wolf im Schafspelz"): Sie sind bestrebt, mittels Lobbyarbeit ihre auf islamistischer Ideologie basierenden Vorstellungen zum gesellschaftlichen und individuellen Leben auf legalem Weg sowie unter Ausnutzung der Möglichkeiten des deutschen Rechtsstaates durchzusetzen. Repräsentanten dieser Organisationen geben sich in der Öffentlichkeit offen, tolerant und dialogbereit. Unter Vortäuschung demokratischer Absichten versuchen sie, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu erlangen. Nach innen bzw. in den Gemeinden sind sie jedoch bestrebt, insbesondere junge Muslime von ihren islamistischen Positionen für ein Scharia-konformes Leben zu überzeugen. Dabei werden auch solche Prinzipien und Werte vermittelt, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind und darüber hinaus die Entwicklung islamistisch geprägter Parallelgesellschaften unterstützen. In Deutschland und damit auch im Freistaat Sachsen werden legalistische Islamisten hauptsächlich in drei Bereichen aktiv: Einflussnahme auf die Politik, Mitgliedergewinnung und Bildungsarbeit. Dabei sind sie oftmals in übergeordneten muslimischen Verbänden organisiert. Mittels dieses "Sprachrohrs" versuchen sie, bestimmte gesellschaftliche Themen, wie die staatliche Imam-Ausbildung oder den islamischen Religionsunterricht, zu beeinflussen und sich dem Staat als Ansprechpartner für die Belange von Muslimen anzubieten. Zudem versuchen sie, für ihre jeweilige Organisation und im Sinne der Ideologieverbreitung neue Mitglieder zu werben. Hierzu unterhalten sie Moscheeund Kulturvereine oder organisieren Vorträge und andere Veranstaltungen. Auch die Jugendund Bildungsarbeit ist ein wichtiger Bereich, in dem sie aktiv sind. Es werden Koranund Seite 181 von 255 Sommerschulen sowie zielgruppenorientierte Schulungsund Freizeitaktivitäten in Deutschland organisiert. Die Jugendund Bildungsarbeit dient vor allem dem Zweck, die eigene Islaminterpretation zu verbreiten, um damit geeigneten Nachwuchs zu rekrutieren.133 Strukturen MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) Gründung 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna Leitung Muhammad BADI Publikationen / Medien "Risalat al-Ikhwan" (Zeitschrift) Personenpotenzial 2021 2020 Sachsen 30 25 Kurzportrait / Ziele weltweit älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung nach eigenen Angaben in mehr als 70 Ländern in unterschiedlicher Ausprägung vertreten Ziele: - Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Scharia - Keine Trennung zwischen Staat und Religion Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Ziel der MB ist die Errichtung eines politischen und gesellschaftlichen Systems auf der Grundlage der Scharia. Eine Trennung von Religion und Staat ist nach ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie demnach nicht denkbar. Ein säkularer Staat wird gemäß dem Leitspruch "Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser Wunsch" ausdrücklich abgelehnt. Diese Ideologie sowie die von der MB angestrebte islamistische Staatsform sind nicht mit demokratischen Grundprinzipien, wie dem Recht auf freie Wahlen, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie der Meinungsund Religionsfreiheit, vereinbar. Zahlreiche islamistische, zum Teil auch terroristische Organisationen, wie die palästinensische HAMAS, sind aus der MB hervorgegangen. Seit den 1970er-Jahren spricht sich die MB für den Verzicht auf Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele aus. Davon ausgenommen ist jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter vor allem Israel verstanden wird. 133 vgl. Broschüre "Islamismus: Entstehung und Erscheinungsformen", Bundesamt für Verfassungsschutz, September 2013, S. 21-23 Seite 182 von 255 Die "Wolf im Schafspelz"-Strategie legalistischer Islamisten wurde in Ägypten während des sog. Arabischen Frühlings besonders deutlich. So stellte die MB von 2011 bis 2013 nicht nur die stärkste Fraktion im Parlament, sondern mit Mohammed Mursi von 2012 bis 2013 auch den Staatspräsidenten. In dieser Zeit zeigte sich, dass die Muslimbrüder nicht Teil eines demokratischen Systems sein, sondern dass sie demokratische Wahlen als Sprungbrett nutzen wollten, um ihre Vorstellung von einem islamistisch geprägten politischen System durchzusetzen. Dies wurde zum Beispiel am ersten Entwurf für eine neue Verfassung, der ausschließlich von Muslimbrüdern und salafistischen Gruppierungen erarbeitet wurde, deutlich. Er sah neben einer massiven Beschneidung von Frauenrechten die Pflicht zur Überprüfung jedes neuen Gesetzes durch islamistische Gelehrte auf seine Islamkonformität vor.134 Nach der Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär unter Präsident Abdel Fattah al-Sisi im Juli 2013 wurde die MB in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft. Aktivitäten im Freistaat Sachsen In Deutschland - und damit auch im Freistaat Sachsen - tritt die MB nicht offen in Erscheinung, wird aber von Organisationen wie der DEUTSCHEN MUSLIMISCHEN GEMEINSCHAFT (DMG) als Teil einer weltweiten "islamischen Bewegung" angesehen. Eine weitere Organisation aus dem Spektrum der MB ist die SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE (SBS). Auch in Europa ist die MB mit einer Vielzahl von Organisationen vertreten, wie z. B. - der "Föderation der Islamischen Organisationen in Europa" (FIOE) mit Sitz in Brüssel und - dem "Europäischen Fatwa-Rat" (ECFR) mit Sitz in Dublin. DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E.V. (DMG) Sitz Berlin (vormals Köln) Gründung 1960 Vorsitz Khallad SWAID (seit 2017) Mitglieder/Anhänger: siehe Personenpotenzial zur MB Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Die DMG ist die wichtigste und zentrale Organisation der Anhänger der MB in Deutschland. Bis September 2018 nannte sie sich ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND. Die Umbenennung in DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT soll die Verbundenheit ihrer Mitglieder mit Deutschland suggerieren. Die DMG tritt gegenüber Politik, Behörden und zivilgesellschaftlichen Partnern als dialogbereiter Vertreter eines gemäßigten, weltoffenen Islam auf. Sie verfolgt eine gewaltfreie, an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich, vermeidet bei öffentlichen Auftritten bewusst verfassungsfeindliche Äußerungen und jedwedes 134 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2020, S. 246 Seite 183 von 255 Bekenntnis zur MB. Zahlreiche nach außen hin verschleierte Verbindungen zwischen hochrangigen DMG-Funktionären und namhaften ausländischen Muslimbrüdern verdeutlichen jedoch die Zugehörigkeit der DMG zum weltweiten MB-Netzwerk.135 Mit dieser Taktik verfolgt die DMG das Ziel, mittelbis langfristig eine führende und im Sinne islamistischer Zielvorstellungen relevante Einflussgröße zu werden. Die DMG richtet sich somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Aktivitäten Die DMG unterhält eigene Moscheen und Gemeindezentren und koordiniert darüber hinaus nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten mit über 100 weiteren islamischen Gemeinden in ganz Deutschland.136 In Sachsen ist die DMG nicht offiziell vertreten. SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT (SBS) Sitz Dresden Gründung 2016 Vorsitz Dr. Saad ELGAZAR Internetauftritt Internetseite Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Vorstand, allein vertretungsbefugter Geschäftsführer und somit Entscheidungsträger der SBS ist Dr. Saad ELGAZAR. Er ist der MB zuzuordnen. Die SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GUG (SBS) hat ihren Hauptsitz unter der gleichen Anschrift in Dresden wie das MARWA ELSHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E.V. (MKBD), dessen Vorsitzender ebenfalls Dr. Saad ELGAZAR ist. Es liegen daher Anhaltspunkte für Kontakte der SBS zu den extremistischen Gruppierungen MB bzw. DMG vor. Die SBS versteht sich als "multikulturelle und religionsübergreifende Einrichtung" sowie als Bindeglied zwischen sächsischer Bevölkerung und "muslimischen Einwanderern". Mit ihrer Hilfe soll diesen Migranten die Integration erleichtert werden. Durch zunächst seriös wirkende Angebote für Muslime versuchte die SBS in den vergangenen Jahren, insbesondere im ländlichen Raum extremistischen Einfluss auf die islamische Gemeinschaft zu erlangen und die mit der Doppelstrategie der MB oder der DMG einhergehenden extremistischen Ziele umzusetzen. 135 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2020, S. 247 136 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2020, S. 247 Seite 184 von 255 Aktivitäten Über einen Zeitraum von einigen Jahren hat Dr. Saad ELGAZAR im Internet in öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken zahlreiche Beiträge veröffentlicht, mit denen er ein eindeutiges und offenes Bekenntnis zur extremistischen MB abgab, ihre Aktivitäten begrüßte und darüber hinaus auch eine antisemitische Weltanschauung erkennen ließ. So verbreitete ELGAZAR im Internet Beiträge von führenden und einflussreichen MB-Vertretern bzw. berichtete über diese, so auch über Yusuf AL-QARADAWI (inoffizielle Leitfigur und Chefideologe der MB), Hassan alBANNA (Gründer der MB), und Sayyid QUTB (einstiger Hauptideologe der MB). In seinen Äußerungen und Kommentaren unterstrich er die religiösen Leistungen dieser Personen für die MB und rief die Muslime dazu auf, den wahren Kern des Islam zu leben. Gemeint ist in diesem Zusammenhang das Islamverständnis der zitierten MB-Ideologen. ELGAZAR verfasste darüber hinaus auch Artikel, z. B. unter der Überschrift "Die Lösung ist die Muslimbruderschaft", welche die MB als beste Lösung für alle aktuellen Probleme in Ägypten präsentieren. Einige seiner Äußerungen in sozialen Netzwerken spiegelten zudem eine antisemitische Grundeinstellung wider: So teilte ELGAZAR im September 2016 ein Video, in welchem eine Landkarte Palästinas ohne Israel gezeigt wird. Zudem wird im Video der Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete, Mahmud ABBAS, als Verräter bezeichnet. ELGAZAR kommentierte das Video mit: "Es gab für uns ein Land mit dem Namen Palästina - und wird es (wieder) werden."137 Dieses Video steht im Einklang mit der Ideologie der MB und der HAMAS, dem palästinensischen Zweig der MB. ELGAZAR stellte sich damit sowohl durch das Teilen des Beitrages als auch mit seinem Kommentar eindeutig auf deren Seite. Seine Nähe zur MB bzw. zur HAMAS stellte er auch im Jahr 2020 unter Beweis. So verfasste und veröffentlichte er auf seiner Facebook-Seite einen anti-israelischen Artikel. Anlass dafür war zum einen der Gedenktag zur - laut islamischer Überlieferung - Änderung der Gebetsrichtung bzw. der Gebetsnische von der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zur Kaaba in Mekka im Jahr 624. Zum anderen thematisierte ELGAZAR die durch die Corona-Pandemie bedingte vorübergehende Schließung der al-Aqsa-Moschee im März 2020 durch israelische Behörden. ELGAZAR nutzte diese Ereignisse, um unter seiner Anhängerschaft eine antiisraelische Stimmung zu erzeugen. Die Schließung der Moschee sei "eine einmalige Gelegenheit für die Regierung der zionistischen Entität, um ihren verbrecherischen Willen... durchzusetzen, während sich die ganze Welt mit den Nachrichten über die wilde Pandemie beschäftigt...". Des Weiteren leide die al-Aqsa "nicht nur unter der Corona-Pandemie, sondern auch unter mehreren aufeinanderfolgenden Epidemien, wie die Epidemie der Siedler, die mit Hilfe der Besatzungsspeere nicht aufhören, sie (die Moschee) zu stürmen...". Auffällig ist, dass ELGAZAR in seinem gesamten Artikel nicht von "Israel" oder "israelischer Regierung" schreibt, sondern ausschließlich Begriffe wie "die zionistische Entität", "Regierung der zionistischen Entität mit ihrem verbrecherischen Willen" oder "Siedler" verwendet. Dieses Vokabular wird u. a. auch in der HAMAS-Gründungscharta von 1988 bzw. der HAMAS-Charta von 2017 verwendet. Es zielt darauf ab, die Existenz Israels zu leugnen sowie Hass auf Israel zu schüren. 137 Schreibweise wie im Original Seite 185 von 255 In einem früheren von ihm veröffentlichten Beitrag brachte ELGAZAR u. a. den Gedanken einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung ins Spiel. So stand am Ende des Beitrages ein selbstkritischer Aufruf an sich selbst und den Leser, die eigene Disziplin anzupassen, da ansonsten wieder 60 Jahre Gefängnis drohten: "Wenn die neue Generation (der Muslimbrüder) nicht anders agiert und wieder 60 Jahre im Gefängnis sitzt, werden unsere Feinde keine Araber mehr in Kairo platzieren, sondern Juden, die über den Nil (Ägypten) herrschen, nachdem sie die Unterwerfung des Euphrats abgeschlossen haben." Solche Veröffentlichungen tragen zur Verbreitung der ideologischen Grundsätze der MB bei und sind als Bekenntnis ELGAZARS zur MB zu werten. Sie unterstreichen auch seine Verbundenheit mit deren Führungspersönlichkeiten. In seiner Funktion als Imam thematisierte ELGAZAR in einer seiner Predigten u. a. die Hochwasserkatastrophe im Sommer 2021. Er nahm diese zum Anlass, um die Ursachen für Überschwemmungen aus der religiösen Perspektive heraus zu erläutern und führte dabei einige Beispiele aus dem islamischen Erbe an. Den verheerenden Regen und die Überschwemmungen bezeichnete er dabei selbst mehrmals als "Soldaten Allahs". Die Funktion der verheerenden Regenfälle und des Hochwassers bestehe schließlich darin, diejenigen zu bestrafen, die gegen Allahs Gebote verstoßen. Auch wenn eine solche Auffassung dem Grunde nach nicht extremistisch ist, so ist sie aus religiöser Sicht dennoch als fundamentalistisch zu betrachten. In keinem Fall entspricht sie jedoch den Vorstellungen eines modernen Islam, welcher von Toleranz und Weltoffenheit geprägt ist. Außerdem führte ELGAZAR auch im Jahr 2021 wieder vielfältige Gespräche mit Vertretern des öffentlichen Lebens, um diese von der Friedfertigkeit des Islam zu überzeugen. Zu Beginn des Jahres 2019 verkündete die SBS offiziell auf ihrer Website, dass sie das selbstgesteckte Ziel einer flächendeckenden Schaffung von Gebetsstätten erreicht und alle Aktivitäten eingestellt habe. Ob die MB-nahe SBS in Sachsen aber tatsächlich ihre Aktivitäten eingestellt hat, ist fraglich. Es ist nicht auszuschließen, dass die handelnden Personen unter anderen Strukturbezeichnungen weiter agieren, was wiederum der traditionellen Verschleierungsstrategie der MB entspräche. Lediglich der Standort Pirna sowie der SBS-Hauptsitz Dresden, der gleichzeitig Standort des MKBD ist, existieren noch. Zumindest für den Standort Pirna scheint ELGAZAR sogar eine neue Verwendung gefunden zu haben. So gründete er im November 2021 die Firma "Almarwa Bestattungen und Seelsorge GmbH", deren Gesellschafter er gleichzeitig ist. Als Firmenadressen wurden der SBS-Standort Pirna ebenso angegeben wie die Anschrift des MKBD. Wie es unter Berücksichtigung dieser Firmengründung mit den beiden Standorten in Pirna und Dresden perspektivisch weitergeht, bleibt zunächst abzuwarten. Solange das MKBD durch ELGAZAR geführt wird, ist davon auszugehen, dass seine Aktivitäten - verfassungskonform verschleiert - in Wahrheit solche der MB sind. Seite 186 von 255 Politischer und jihadistischer Salafismus Einleitung Die Sicherheitsbehörden unterscheiden grundsätzlich zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. Während beide Strömungen auf der gleichen ideologischen Grundlage beruhen, unterscheiden sie sich jedoch in der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre Ziele verwirklichen wollen. Dennoch besitzen beide Ausprägungen eine immanente Gewaltorientierung. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Übergang vom politischen zum jihadistischen Salafismus fließend ist und sich beide Richtungen mitunter nicht klar voneinander abgrenzen lassen. Vertreter des politischen Salafismus betonen den friedlichen Charakter des Islam und positionieren sich teilweise ausdrücklich gegen Terrorismus. Dennoch wird die Anwendung von Gewalt - ausgehend von einer subjektiv konstruierten Bedrohungslage - auch von Vertretern des politischen Salafismus in bestimmten Fällen für zulässig erklärt. Von jihadistischem Salafismus als einem Teilbereich des islamistischen Terrorismus sprechen die Sicherheitsbehörden dagegen, wenn die Anwendung terroristischer Gewalt von vornherein ideologisch legitimiert wird und der bewaffnete Kampf gegen "Ungläubige" als zentrales Mittel gesehen wird, um das eigene Islamverständnis zu "verteidigen" und zu verbreiten bzw. um politische Macht zu erlangen. Personenpotenzial Wie in den Vorjahren bewegt sich das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen, welches sowohl politische wie jihadistische Salafisten umfasst, auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Es stagnierte bei ca. 270 Personen. Ideologie Salafisten orientieren sich am Leben der ersten drei Generationen von Muslimen, welche auch als "Altvordere" (arab. as-salaf as-salih) bezeichnet werden und im 7./8. Jahrhundert lebten. Nach Ansicht der Salafisten führten nur diese Generationen ein gottgefälliges Leben, da sie es ausschließlich am Koran und dem Leben des Propheten Mohammed (Sunna) ausrichteten. Salafisten orientieren sich nicht nur inhaltlich an den Vorstellungen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit, sondern auch an der damaligen Werteordnung. Sie streben eine Rechtsordnung an, die ausschließlich auf Koran und Sunna basiert. Die Einführung einer solchen Ordnung wird auch für westliche Länder, in denen Muslime leben, angestrebt. Insofern liegt eine politische Bestimmtheit vor, die über eine reine Glaubensausübung hinausgeht. Aus der buchstabengetreuen Auslegung von Koran und Sunna leitet sich das zentrale salafistische Glaubensverständnis ab. Hierzu gehört die Überzeugung, dass Gott der einzige legitime Souverän und Gesetzgeber sei. Kennzeichnende Merkmale für die salafistische Ideologie sind die Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat, der absolute Geltungsanspruch der Scharia als allumfassende Lebensordnung, die Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau und Abgrenzungsmechanismen gegenüber anderen Religionen bzw. vermeintlich Ungläubigen. Salafisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gänze ab und sehen sich als die einzigen "wahren" Muslime. Seite 187 von 255 Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat Nach salafistischer Auslegung wird der Islam als allumfassender politischer Gegenentwurf zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung begriffen und öffentlich propagiert. So ist die Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung nach salafistischer Auffassung nicht die Selbstbestimmung des Volkes, sondern der Wille Gottes. Demokratische Prozesse werden als Verletzung der Souveränität Gottes und deshalb als illegitim angesehen. In Anlehnung an die islamische Frühzeit wird die Schaffung einer vermeintlich idealen islamischen Gesellschaft, in welcher Staat und Religion eine Einheit bilden (d. h. eine Theokratie), angestrebt. Sämtliche religiöse Neuerungen oder gar eine Fortentwicklung der Religion im Sinne einer Anpassung an bestehende Verhältnisse werden dagegen strikt abgelehnt. Dementsprechend greifen Salafisten auf Regeln und Rechtsnormen zurück, die mit einem modernen demokratischen Rechtsstaat unvereinbar sind. Absoluter Geltungsanspruch der salafistischen Rechtsordnung ("Scharia") Als Basis ihrer religiös begründeten rechtlichen, sozialen und politischen Ordnungsund Herrschaftsvorstellungen ziehen Salafisten die Scharia als Ausdruck des göttlichen Willens heran. Nach ihrem Verständnis bezeichnet der Begriff "Scharia" zusammengefasst sämtliche vom Koran und der Prophetenüberlieferung (Sunna) abgeleiteten religiösen und weltlichen Rechtsvorschriften. Jeder Muslim hat nach salafistischem Verständnis die Normen der Scharia als gottgewollt zu befolgen. Andere politische und rechtliche Modelle werden entweder als zweitrangig verstanden oder grundsätzlich abgelehnt. Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau Salafisten weisen der Frau ein Rollenbild zu, das sie auf ihre häuslichen Aufgaben beschränkt und ihre öffentliche Betätigung (wie z. B. ein politisches Engagement) ausschließt. Der Ehemann besitzt nach salafistischer Auslegung des Korans ein Züchtigungsrecht zur Erziehung und Disziplinierung seiner Ehefrau. Die von Salafisten so verstandene gottgegebene Überordnung des Mannes im Verhältnis zur Frau verstößt gegen den in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes garantierten Grundsatz der Gleichberechtigung. Feindbilder Die salafistische Ideologie ist insbesondere durch zahlreiche Abgrenzungsmechanismen geprägt. Die Verbreitung von Bildern muslimischer wie nicht muslimischer Feinde soll zur Stärkung einer eindeutigen salafistischen Identität beitragen. Andersdenkende werden selbst dann, wenn sie einer Religionsgemeinschaft angehören, mit diffamierenden Begriffen wie "Kuffar" ("Ungläubige") bezeichnet. Dementsprechend sollen Salafisten ausschließlich mit ihresgleichen verkehren und sämtliche Beziehungen zu "Ungläubigen", einschließlich nicht salafistischen Muslimen, unterlassen. Salafisten verstehen sich als Opfer in der nicht muslimischen Mehrheitsgesellschaft. Dazu werden Szenarien von Bedrohungen und Angriffen gegen den Islam und die Muslime gezeichnet, die weltpolitische Ereignisse, wie die Konflikte in Syrien, im Irak oder in Afghanistan, aber auch eine vermeintliche Diskriminierung in westlichen Ländern verarbeiten. Derartige Szenarien sind elementar für die Rekrutierung von Anhängern und haben Einfluss auf das Mobilisierungspotenzial. Die Menschen sollen auf verschiedene Weise vom so verstandenen "richtigen" Islam überzeugt werden bzw. zum Islam konvertieren. Das entsprechend verbreitete Gedankengut ist geeignet, den ideologischen Nährboden für eine islamistische Radikalisierung zu bilden und steht damit einer Integration entgegen. Seite 188 von 255 Strategie Politische Salafisten verbreiten ihre islamistische, fundamentalistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten, die sog. "Missionierung" (Dawa). Große Teile dieser propagandistischen Arbeit finden in den sozialen Netzwerken statt. Jedoch hat der politische Salafismus inzwischen an Dynamik verloren. Die Rekrutierung neuer Anhänger verläuft deutlich zurückhaltender als noch in den zurückliegenden Jahren. Öffentliche "Straßenmissionierungen" ("Street Dawa") finden im Bundesgebiet nur noch selten statt. In diesem Zusammenhang war die Koranverteilaktion "Lies!" besonders bedeutsam. Der Bundesinnenminister verfügte im November 2016 das Verbot der Vereinigung "Die wahre Religion", welche diese KoranKampagne initiiert hatte. Er begründete diesen Schritt damit, dass sie den bewaffneten Jihad befürworte bzw. propagiere und somit ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungsund Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstelle, welche aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten. Diese Begründung verdeutlicht einmal mehr die enge Verzahnung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. Nach diesem einschlägigen Verbot verlor die "Street-Dawa" immer mehr an Bedeutung. Die "Dawa"Aktivitäten verlagerten sich zunehmend in den privaten Bereich. Indoktrinierung und Radikalisierung finden daher inzwischen weniger in Moscheen, sondern vielmehr in kleinen konspirativen Zirkeln sowie im Internet statt. Die salafistische Ideologie wird im Rahmen von Vortragsveranstaltungen und "Islamseminaren" in salafistischen Moscheen verbreitet. Mit deren Übertragung ins Internet wird ein unüberschaubarer Personenkreis erreicht. Die Propagandaaktivitäten von politischen Salafisten treffen nach wie vor auf eine entsprechende Anhängerschaft, was sich in der Entwicklung des Personenpotenzials widerspiegelt. Während politische Salafisten ihre Propagandaarbeit strategisch als "Missionierung" oder "Einladung zum Islam" bezeichnen, handelt es sich tatsächlich um eine systematische Indoktrinierung, nicht selten mit dem Ziel einer Radikalisierung. Besonders hervorzuheben ist der radikalisierende Einfluss salafistischer Propaganda auf Jugendliche, die sich in einer Identitätsfindungsphase befinden und daher als besonders anfällig für salafistische Missionierungsund Indoktrinierungsversuche der oftmals charismatischen und redegewandten salafistischen Prediger gelten. Der jihadistische Salafismus baut in vielen Fällen auf die bereits geleistete strategische und ideologische Vorarbeit des politischen Salafismus auf. Zusätzlich wird hier jedoch die einschlägige jihadistische Ideologie über persönliche Kontakte in der Realwelt oder in Sozialen Medien und Kommunikationsplattformen verbreitet. Das Propagandamaterial wird hierbei z. B. aus den offiziellen bzw. halboffiziellen Medienportalen des ISLAMISCHEN STAATES, wie beispielsweise dem "Al-Hajat Media Center" und dem "Al-Furqan Institute for Media Production", bezogen und dann von IS-nahen Kanälen und Gruppierungen z. B. über Messenger-Dienste aufgegriffen, kommentiert und verbreitet. Ziel des jihadistischen Salafismus ist es, mit seiner Ideologie Personen zu beeinflussen und schließlich für die Unterstützung des weltweiten Jihads zu gewinnen. Seite 189 von 255 Politischer Salafismus Strukturen im Freistaat Sachsen Die salafistische Szene in Deutschland ist meist nur lose organisiert. Feste und formale Organisationsstrukturen sind weitgehend nicht vorhanden. Eine Ausnahme bilden örtliche salafistische Vereine, die als Träger salafistisch geprägter Moscheen tätig sind. ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E.V. Sitz Leipzig Gründung 1995 Vorsitz Hassan DABBAGH Besucherzahlen ca. 1.000 (wobei die Mehrheit nicht dem salafistischen Spektrum angehört) Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Den Schwerpunkt salafistischer Strukturen im Freistaat Sachsen bildet seit Jahren der Verein I SLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE in Leipzig. Der Imam dieser Moschee, Hassan DABBAGH, ist ein überregional bekannter Multiplikator des politischen Salafismus in Deutschland. Trotz DABBAGHS Distanzierung von religiös motivierten Terrorakten sind seine Äußerungen geeignet, die Bildung von Parallelgesellschaften außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu fördern und mittelbar Hass und Gewalt zu schüren. Eine Gesamtschau seiner Argumentationsmuster zeigt zahlreiche für die salafistische Ideologie typische Merkmale und eine ablehnende Haltung gegenüber der Demokratie. Bei DABBAGHS Zuhörern können auf diese Weise Ängste geschürt und Ressentiments gegenüber der deutschen Gesellschaft sowie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung hervorgerufen bzw. verstetigt werden. So werden Integrationsbemühungen unterlaufen und einer Radikalisierung von Muslimen wird Vorschub geleistet. Aktivitäten Propagandaaktivitäten sind in Sachsen, ebenso wie im übrigen Bundesgebiet, das Hauptaktionsfeld der politischen Salafisten. So verbreitete DABBAGH in seiner Funktion als Imam und Prediger der Al-Rahman-Moschee die salafistische Ideologie u. a. in den Freitagspredigten und dem täglich stattfindenden Koranunterricht in den Moscheeräumlichkeiten. Aufgrund der Corona-Beschränkungen war der Zutritt für die Gläubigen in die Al-Rahman-Moschee auch im Berichtsjahr nicht immer möglich. Freitagspredigten fanden schließlich nur in einem Zeitraum von wenigen Monaten statt. Gegen Ende des Jahres steigerte DABBAGH jedoch zumindest wieder seine Aktivitäten in der virtuellen Welt. So veröffentlichte er in sozialen Netzwerken und auf verschiedenen Internetportalen Freitagspredigten und Religionsunterricht aus den Räumen der Al-Rahman Moschee. Seite 190 von 255 VOGTLÄNDISCH - ISLAMISCHES ZENTRUM - AL MUHADJIRIN E. V. Sitz Plauen Gründung 2008 Besucherzahlen ca. 250 (wobei die Mehrheit nicht dem salafistischen Spektrum angehört, sondern ihren religiösen Pflichten nachkommt) Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Ein weiterer salafistischer Schwerpunkt im Freistaat Sachsen ist die Al-Muhadjirin-Moschee in Plauen (Vogtlandkreis). Träger der Moschee ist der Verein VOGTLÄNDISCH-ISLAMISCHES ZENTRUM - AL-MUHADJIRIN. Schon seit Mitte 2017 wurde dort auch im Rahmen von Lehrstunden die salafistische Ideologie verbreitet. Die Predigten, Lehreinheiten und Koranauslegungen wurden bis Mitte 2018 zusätzlich auf einem eigenen YouTube-Kanal veröffentlicht. In den Argumentationsmustern fanden sich zahlreiche, für die salafistische Ideologie typische Merkmale. In den Verlautbarungen wird die freiheitliche demokratische Grundordnung - insbesondere der Rechtsstaat - abgelehnt. Die Zuhörer wurden stattdessen aufgefordert, sich an die Scharia zu halten. Die Demokratie und eine säkulare Gesellschaft seien Gründe für den vermeintlichen Niedergang der islamischen Gemeinschaft (umma). Im Berichtsjahr 2021 entfaltete die Moschee pandemiebedingt nur sehr eingeschränkte Aktivitäten. Jihadistischer Salafismus138 Außerhalb Deutschlands Die wichtigste Organisation, welche zurzeit den jihadistischen Salafismus beeinflusst, ist der sog. ISLAMISCHE STAAT (IS). Ursprünglich aus der Terrororganisation AL-QAIDA hervorgegangen gelang es dem IS im Jahr 2014 unter seinem damaligen Anführer AL-BAGHDADI ein ausgedehntes Territorium mit einer Millionenbevölkerung zu erobern, welches weite Gebiete im Irak und Syrien umfasste. Darüber hinaus wurden IS-Splittergruppen u. a. auf dem Sinai, in Pakistan und Afghanistan sowie in Libyen gegründet. Auch die nigerianische Terrororganisation BOKO HARAM schloss sich 2015 dem IS an. Mit der Rückeroberung der irakischen Großstadt Mossul durch irakische Sicherheitskräfte im Juli 2017 verlor der IS nach und nach seine wichtigsten organisatorischen Zentren und Gebiete. In der Schlacht von Baghuz im März 2019 musste der IS das letzte von ihm kontrollierte Territorium aufgeben. Das territoriale Kalifat in Syrien und im Irak wurde damit besiegt. Jedoch verfügt die Terrororganisation im Irak und in Syrien weiterhin über Stützpunkte im Untergrund sowie über Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten. Daran änderte auch der Tod von ABU BAKR ALBAGHDADI nichts. Der berüchtigte religiös-politische Führer des IS wurde in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 von US-amerikanischen Spezialeinheiten in Zusammenarbeit mit kurdischen Kräften in einem Versteck getötet. Bereits am 31. Oktober 2019 wurde ABU IBRAHIM AL-HASHIMI AL-QURASHI zum Nachfolger ernannt. Schnell wurde deutlich, dass es auch unter der neuen Führung keinerlei Änderung bezüglich Ideologie und Strategie geben würde. So wurden alle Muslime dazu aufgerufen, dem neuen Anführer die Treue zu schwören und den verstorbenen Anführer zu rächen. Man werde unter dem neuen Anführer noch härter gegen "Ungläubige" und "Abtrünnige" vorgehen. 138 Beim "Jihadistischen Salafismus" handelt es sich um einen Teilbereich des "Islamistischen Terrorismus". Seite 191 von 255 Am 25. Juni 2021 informierte das State Department der USA in einer Pressekonferenz über die Situation im Irak und in Syrien. Hervorgehoben wurde zum einen der hohe Blutzoll der verbündeten kurdischen SDF139-Kräfte seit dem gemeinsamen Kampf gegen den IS. So seien bisher etwa 11.000 Kämpfer gestorben. Zudem wies man daraufhin, dass der IS weiter bestrebt sei, sich im Untergrund zu sammeln und Anschläge durchzuführen. Vor allem in Gebieten wie der Badia-Wüste, die nicht durch die SDF kontrolliert würden, gelinge dies effektiv. Im Irak und in Syrien konkretisierte sich die immer noch vorhandene Handlungsfähigkeit des IS beispielsweise während der sog. "Ramadan-Kampagne". Hierbei gelang es dem IS im Mai 2021, Angriffe und Anschläge auf gegnerische Streitkräfte sowie auf Zivilisten durchzuführen. Trotz ihres Agierens im Untergrund ist der IS weit davon entfernt, größere Territorien zu kontrollieren. Auch die weiterhin rückläufigen Ausreisezahlen potenzieller Unterstützer in die ehemaligen Kampfgebiete des Mittleren Ostens zeigen, dass diese Terrororganisation viel von ihrer früheren Sogwirkung verloren hat. Im Nordosten Syriens sind die zwei von Kurden kontrollierten Gefangenenlager sicherheitsrelevant, da dort 10.000 gefangene IS-Kämpfer sowie zehntausende Frauen und Kinder untergebracht sind.140 Dass der IS bzw. dessen Unterstützer und Sympathisanten jedoch auch außerhalb Syriens bzw. des Iraks willens und in der Lage waren, Anschläge auszuführen, wurde auch im Berichtsjahr deutlich. Vor allem Ableger des IS führten in einer Vielzahl von Ländern mit schwacher Staatlichkeit weiterhin Anschläge mit hohen Opferzahlen durch. Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im August 2021 sorgte z. B. der dortige IS-Ableger IS-KHORASAN mit einem öffentlichkeitswirksamen Anschlag am 26. August am Flughafen von Kabul für Schlagzeilen. Am Eingangstor sprengte sich ein Selbstmordattentäter in die Luft und riss afghanischen Angaben zufolge 170 afghanische Staatsbürger sowie 13 US-Soldaten mit in den Tod. Trotz der Rückschläge des Kern-IS in Syrien und Irak hat keiner seiner regionalen Ableger den Treueeid auf den IS widerrufen. Stattdessen werden gerade in diesen Ländern neue Generationen jihadistisch motivierter Terroristen ausgebildet. Dass weltweit die Gefahr durch jihadistisch motivierte Terroranschläge nicht gebannt ist, zeigte sich am 2. September in Auckland (Neuseeland), wo acht Personen bei einer Messerattacke in einem Supermarkt zum Teil schwer verletzt wurden. Der Attentäter war den Sicherheitsbehörden seit 2016 als IS-Sympathisant bekannt. Er war im Juli 2021 nach Verbüßung einer dreijährigen Haftstrafe u. a. infolge eines Ausreiseversuchs aus der Haft entlassen und danach von Sicherheitsbehörden engmaschig observiert worden - auch während seines Supermarktbesuchs. Trotzdem konnte diese schwere Straftat nicht verhindert werden. Auch Europa blieb im Jahr 2021 von jihadistisch motivierten Anschlägen nicht verschont. So wurde beispielsweise am 23. April in Rambouillet (Frankreich) eine Polizistin bei einem von einem 36-jährigen Tunesier durchgeführten Messerangriff am Eingang der Polizeistation tödlich verletzt. Der Angreifer wurde durch anwesende Polizisten erschossen. Laut Medienberichten war der Angreifer den Sicherheitsbehörden nicht bekannt. Seine im Nachhinein ausgewerteten Facebook-Profile beschäftigten sich jedoch intensiv mit den Themen Islamphobie und der Verteidigung der muslimischen 139 Die Demokratischen Kräfte Syriens (Syrian Democratic Forces, kurz SDF) 140 Vgl. https://www.wilsoncenter.org/article/anti-isis-campaign-2021 (aufgerufen am 7. Dezember 2021) Seite 192 von 255 Gemeinschaft. Zudem soll er vor dem Anschlag Videos angeschaut haben, die den jihadistischen Märtyrertod glorifizierten und dazu ermutigten.141 Auch England blieb 2021 nicht verschont. Der Politiker David Amess wurde bei einer öffentlichen Sprechstunde in einer Kirche am 15. Oktober in Leigh-on-Sea von einem Briten somalischer Herkunft mit einem Messer tödlich verwundet. Der Täter ließ sich nach der Tat widerstandlos festnehmen. Aufgrund seiner Äußerungen wurde die Tat von den ermittelnden Behörden als Terrorakt mit Verbindungen zum islamistischen Extremismus eingestuft.142 Deutschland In einem ICE von Regensburg nach Nürnberg ereignete sich am 6. November eine mit einem Messer verübte Gewalttat. Ein 27-jähriger syrischer Flüchtling stach hier wahllos auf vier männliche Passagiere ein und verletzte diese hierbei schwer. Der Täter wurde anschließend widerstandslos von der Polizei festgenommen. Wurde bei den Ermittlungen anfangs angenommen, der Syrer sei aufgrund seines psychischen Zustandes nicht schuldfähig gewesen, übernahm später die Bayerische Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) die Ermittlungen. Bei der Auswertung der sichergestellten Datenträger wurden Propaganda-Videos der Terrororganisation IS gefunden. Dass neben Anschlägen mit leicht zu beschaffenden Tatmitteln auch weiterhin eine Gefahr durch komplexere Vorrichtungen ausgeht, zeigte die Festnahme eines 16-jährigen Syrers in Hagen am 16. September. Laut Presseberichten hatte ein Hinweis aus dem Ausland die Sicherheitsbehörden auf den potenziellen Täter aufmerksam gemacht. Dieser sollte anlässlich des jüdischen Feiertages Jom Kippur einen Anschlag auf eine Synagoge geplant haben. Im Zuge der Ermittlungen kristallisierte sich eine mögliche Gefährdung der Synagoge in Hagen (NRW) am 15. September heraus. Als möglicher Täter wurde der 16-jährige Syrer identifiziert und nach Sicherung der Synagoge auf dem Schulweg verhaftet. Auf seinem entschlüsselten Handy wurde Propagandamaterial der Terrororganisation IS gefunden. Außerdem wurden Chatnachrichten, die der Tatverdächtige mit einem mutmaßlichen IS-Terroristen ausgetauscht haben soll, sichergestellt. Zudem soll der Syrer über WhatsApp an einem "Online-Kurs" zur Herstellung von Sprengstoff und den Bau von Bomben teilgenommen haben. Sachsen Im Berichtsjahr 2021 ereigneten sich in Sachsen keine islamistisch motivierten Anschläge. Am 21. Mai 2021 wurde Abdullah A.H.H. vom Oberlandesgericht Dresden wegen Mordes in Tateinheit mit versuchtem Mord und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Am 4. Oktober 2020 hatte der syrische Staatsbürger - nur wenige Tage nach seiner unter Auflagen erfolgten Haftentlassung - bei einer jihadistisch motivierten Gewalttat mit homophobem Hintergrund in Dresden einen Touristen aus Nordrhein-Westfalen getötet und seinen Begleiter lebensgefährlich verletzt. Nach seiner Festnahme am 20. Oktober 2020 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen Abdullah A.H.H. wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. 141 Vgl. https://www.francetvinfo.fr/faits-divers/terrorisms/fonctionnaire-de-police-tuee-a-rambouillet/fonctionnaire-de-police-tuee-a-rambouillet-ce-que-l-on-sit-de-l-assailant_4384485.html (aufgerufen am 7. Dezember 2021) 142 Vgl. https://www.spiegel.de/ausland/grossbritannien-david-amess-behoerden-stufen-toedliche-messerattacke-auf-abgeordneten-als-terrorakt-ein-a71229fa0-93a4-42fe-9689-177138c241b (aufgerufen am 7. Dezember 2021) Seite 193 von 255 Wie in den Jahren zuvor erhielt das LfV Sachsen auch im Berichtsjahr eine Vielzahl von Hinweisen mit Bezug zum jihadistischen Salafismus. Die Spannweite reichte hierbei von unplausiblen Beschuldigungen bis hin zu wertigen Sachverhalten. Die Bearbeitung der Hinweise erfolgte in engem Austausch mit dem Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie mit europäischen und internationalen Sicherheitsbehörden. Jihadisten im Gefängnis Deutschlandweit und somit auch im Freistaat Sachsen befinden sich jihadistisch ideologisierte Personen in Haft. Hierbei handelt es sich z. B. um jihadistisch motivierte Personen, die in die IS-Gebiete ausgereist waren, dort aufgegriffen und nach Deutschland überstellt wurden, um hier Haftstrafen zu verbüßen. Eine weitere Gruppe sind Jihadisten, die sich in Deutschland radikalisierten und wegen Staatsschutzdelikten verurteilt wurden. Wie die Anschläge in Dresden 2020 sowie in Auckland am 2. September 2021 zeigten, kann von diesen Personen auch nach ihrer Haftentlassung eine hohe abstrakte Gefahr für die Gesellschaft ausgehen. Ausreisen aus Deutschland in die Jihadgebiete nach Syrien und in den Irak Eng verbunden mit dem salafistischen Personenpotenzial sowie der Lage im Irak und in Syrien ist die Entwicklung der Ausreisezahlen in diese Regionen. Seit 2011 bis Dezember 2021 wurden mehr als 1.150 Fälle bekannt, in denen deutsche Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland in die Region gereist sind. Im Vergleich zu den Vorjahren sind die Ausreisefälle merklich zurückgegangen bzw. beinahe gänzlich zum Erliegen gekommen. Die meisten Ausreisen waren in den Jahren 2013 bis 2015 zu verzeichnen. Dieser starke Rückgang der Ausreisen ist unter anderem auf den vollständigen Verlust des Kerngebiets des IS zurückzuführen. Diese Entwicklung hat auch dazu geführt, dass das "Kalifat" viel von seiner Strahlkraft für ausländische Islamisten verloren hat. Neue Ausreisen in die Kampfgebiete werden deshalb nur noch in Einzelfällen registriert. Zu ca. 65% der ausgereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie an Kampfhandlunge auf Seiten des IS, von AL-QAIDA bzw. diesen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Organisationen teilnehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben. Diese Personen stehen im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang kein hinreichender Tatverdacht für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden vorliegt. Seite 194 von 255 Entwicklung der Ausreisezahlen in Richtung Syrien/Irak seit 2011 500 400 Anzahl der ausgereisten Personen 406 363 300 200 184 100 103 21 19 7 33 7 3 4 0 Zeitraum der Ausreisen (Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz) Etwa ein Viertel der ausgereisten Personen ist weiblich. Zu etwa 25 % der ausgereisten Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Aus Sachsen sind zwei Ausreisefälle bekannt. Eine weitere Person ist bereits nach Deutschland zurückgekehrt. Das Strafverfahren gegen sie wurde eingestellt. Insbesondere der Ausreisefall der aus Pulsnitz (Landkreis Bautzen) stammenden Linda W. sowie deren Aufgriff und Festnahme im Irak wurden medial thematisiert. Linda W. wurde Anfang Juli 2016 zunächst von der Mutter als vermisst gemeldet. Die damals 15-Jährige befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Istanbul, um von dort in das vom IS kontrollierte Gebiet nach Syrien bzw. in den Irak weiterzureisen. Medienberichten zufolge war Linda W. nach islamischem Recht mit einem tschetschenischen IS-Kämpfer verheiratet, der kurz nach ihrer Ankunft bei Kampfhandlungen ums Leben kam. Im Juli 2017 wurde die Minderjährige durch irakische Spezialkräfte in Mossul (Irak) aufgegriffen und verhaftet. Sie wurde anschließend nach Bagdad (Irak) überstellt. Im Februar 2018 wurde sie von der irakischen Justiz zu sechs Jahren Haft verurteilt. Zum Hintergrund der Reiseabsichten wurde bekannt, dass im Vorfeld der Reise eine Wesensveränderung des Mädchens wahrgenommen worden war. Linda W. konvertierte zum Islam, trug Kopftuch und lange Kleidung, lernte die arabische Sprache und zog sich aus ihrem bisherigen persönlichen Umfeld zurück. Ein radikalisierungsfördernder Faktor war der Konsum islamistischer Onlinepropaganda. Linda W. wurde über salafistische Internetseiten und durch ihren Kontakt mit Salafisten über soziale Netzwerke motiviert, sich in das "Kalifat" des IS zu begeben. Seite 195 von 255 Der Generalbundesanwalt leitete ein Ermittlungsverfahren gegen sie ein, u. a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (gemäß SSSS 129a Abs. 1, 129b Abs. 1 Satz 1 StGB). Ein weiterer prominenter Ausreisefall mit Bezug zu Sachsen ist der aus Sachsen-Anhalt stammende Martin L. Nach seiner Konversion zum Islam zog er im Januar 2013 nach Leipzig und engagierte sich dort im Verein ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE. 2014 reiste er mit seiner Familie aus, um sich in das "Kalifat" des IS zu begeben. Am 31. Januar 2019 wurden er sowie zwei seiner Ehefrauen von kurdischen Kräften der SDF (Syrian Democratic Forces) festgenommen. Rückkehrer nach Deutschland aus den Jihadgebieten in Syrien und dem Irak Etwa 37 % der insgesamt ausgereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu über 140 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Sie stehen unverändert im Fokus polizeilicher Ermittlungen. Gegen 268 der zurückgekehrten Personen wurde ein Ermittlungsverfahren aufgrund von Straftaten, die im Zusammenhang mit deren Ausreise in Richtung Syrien bzw. Irak stehen, eingeleitet; hiervon sind 56 weiblich. Nach dem Verlust des Herrschaftsgebietes des IS liegen darüber hinaus Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen vor, die sich aktuell in Syrien oder im Irak in Haft bzw. in Gewahrsam befinden. Zur Mehrheit dieser Personen wurde bekannt, dass sie beabsichtigen, nach Deutschland zurückzukehren. Rückkehrer aus den jihadistischen Kampfgebieten stellen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar. Von besonderer Relevanz sind hierbei Personen, von denen bekannt ist, dass sie ideologisch indoktriniert sind, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden und/oder Kampferfahrungen sammeln konnten. Grundsätzlich könnten diese Rückkehrer als "Veteranen des Kalifats" eine neue Dynamik in der salafistischen Szene in Deutschland auslösen. Einzelfallspezifisch werden von den beteiligten Behörden in Betracht kommende Maßnahmen erörtert und abgestimmt. Diese schließen eine strafrechtliche Verfolgung ebenso ein wie Maßnahmen zur Deradikalisierung und schließlich zur gesellschaftlichen Reintegration. Ziel ist insoweit ein ganzheitlicher Ansatz. Hierbei ist die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und der Polizei sowie beispielsweise mit den Jugend-, Sozial-, Schulund Gesundheitsbehörden von besonderer Bedeutung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die heterogene Zusammensetzung der Rückkehrer, zu denen beispielsweise auch Minderjährige und Frauen gehören. 6.4 Ausblick Legalistischer Islamismus und politischer Salafismus Der bundesweite Trend des steigenden Personenpotenzials im Bereich des legalistischen Islamismus dürfte sich auch im Freistaat Sachsen fortsetzen, wenngleich in geringerem Maße. Das gilt insbesondere für die hier bestehenden Strukturen der MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB). Dass diese sich auch im Berichtsjahr wiederum nicht verfestigen konnten, ist auch auf eine offensive Aufklärungsund Öffentlichkeitsarbeit des LfV Sachsen im Hinblick auf die "Wolf-im-Schafspelz"Strategie zurückzuführen. Seite 196 von 255 Ob die MB-nahe SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GUG in Sachsen tatsächlich, wie von ihr behauptet, ihre Aktivitäten eingestellt hat, bleibt weiterhin abzuwarten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die handelnden Personen unter anderen Strukturbezeichnungen weiter agieren, was wiederum der traditionellen Verschleierungsstrategie der MB entspräche. Im Bereich des politischen Salafismus konnte im Freistaat Sachsen keine Steigerung des Personenpotenzials verzeichnet werden. Es kann jedoch gegenwärtig noch nicht beurteilt werden, ob diese Stagnation einem geringeren Aktivitätenniveau sowie geschlossenen bzw. begrenzt geöffneten Moscheen und Gebetshäusern aufgrund der Corona-Maßnahmen allein geschuldet ist oder ob möglicherweise auch andere Faktoren hierbei eine Rolle spielten. Die Entwicklung des Personenpotenzials wird daher mit besonderem Interesse verfolgt werden. Jihadistischer Salafismus Die Aktionspotenziale im Bereich des jihadistischen Salafismus sind in Deutschland stark von globalen Aspekten beeinflusst und eng verknüpft mit der Handlungsfähigkeit der Terrororganisation ISLAMISCHER STAAT (IS) in ihren Kerngebieten. Diese war auch im Berichtsjahr stark eingeschränkt. Gleichwohl zeigten z. B. die Vielzahl von Anschlägen in Ländern mit schwacher Staatlichkeit sowie durch Einzeltäter unter anderem auch in Europa durchgeführte Terroranschläge, dass trotz der Schwächung des IS und des territorialen Verlusts des "Kalifats" die Terrororganisation durch entsprechende Propagandaaktivitäten ideologisch anhaltend starken Einfluss auf Anhänger des jihadistischen Salafismus ausübt und weiterhin ausüben wird. Der IS scheint darüber hinaus bestrebt zu sein, seine globale jihadistische Agenda weiterzuführen und seine realweltliche Präsenz nach Möglichkeit logistisch und militärisch wieder auszubauen. Wie der Aufruf des inzwischen verstorbenen "Kalifen" des IS, Abu Bakr AL-BAGHDADI, im April 2019 verdeutlicht hat, stehen weiterhin alle "Feinde des Islam" im Visier des jihadistischen Terrors. Nach AL-BAGHDADIS Tod betonte auch der neue offizielle Sprecher des IS, Abu Hamza AL-QURASHI in einer Audiobotschaft, dass der IS unter dem neuen Anführer Ibrahim Al-Hashimi AL-QURASHI noch härter gegen seine Feinde vorgehen werde. Diese Aufrufe setzten sich auch im Jahr 2021 fort. Im Oktober 2021 drohte z. B. die IS-nahe Medienstelle "Hadm Al-Aswar" (dt. = Niederreißen der Mauer) dem "Westen" in einem Video: Unter dem Titel "Abschreckung des Kreuzes" rief die Medienstelle zu Anschlägen auf, ausdrücklich auch in Deutschland. Begründet wurde dies mit dem Krieg der "Kreuzfahrerstaaten" gegen die Muslime sowie der in Frankreich erfolgten Beleidigung des Propheten Mohammad. Der arabische Sprecher im Hintergrund zählt dann verschiedene "Löwen des Monotheismus" auf, die sich den "Angriffen auf den Islam" entgegengestellt hätten. Unter anderem werden hier der jihadistisch motivierte Mörder des Lehrers Samuel Paty (Vorort von Paris, 16. Oktober 2020) sowie der Attentäter von Wien (2. November 2020) gepriesen. Der arabische Sprecher verwies auf Stellen in Koran und Sunna, die das Töten von "Ungläubigen" legitimieren. Am Ende des Videos erfolgt der Aufruf, alle verfügbaren Mittel wie Fahrzeuge, Messer und Schusswaffen zur Begehung eines Anschlages zu verwenden. In einer Bildeinspielung wird zudem der Einsatz von Gift als "einfachste Waffe" propagiert.143 Wie die Terroranschläge im Jahr 2021 und der beschriebene Aufruf vom Oktober zeigten, nutzen Terrororganisationen wie der IS und AL-QAIDA bzw. deren Untergruppierungen und Ableger nach wie vor jede sich bietende Gelegenheit, um terroristische Gewalttaten durchzuführen bzw. autonome Kleinstgruppen oder Einzelpersonen hierzu anzustiften. In Europa geht dabei eine hohe abstrakte Gefahr vor allem durch radikalisierte Einzeltäter aus. Bei diesen Einzeltätern handelt es sich um Sympathisanten und Anhänger der jihadistischen Ideologie bzw. jihadistischer Terrororganisationen, 143 vgl. https.//memri.org/jttm/pro-isis-video-urges-young-muslims-perpetrate-lone-wolf-attacks-against-dogscross-europe (aufgerufen am 07.12.2021) Seite 197 von 255 die ohne direkte Anbindung oder entsprechenden Auftrag autonom Taten planen oder durchführen. IS und AL-QAIDA motivieren durch ihre Propaganda bewusst zu dieser Vorgehensweise als Alternative zu direkt gesteuerten Operationen. Dadurch wollen sie den militärischen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Verfolgungsdruck umgehen, dem sie ausgesetzt sind. Aus diesem Grund wurden über Audiobotschaften und Veröffentlichungen im Internet, in Foren sowie Messengerdiensten und in den sozialen Medien Handlungsanleitungen zur Durchführung von Gewalttaten verbreitet. Diese zirkulieren noch immer im Internet. Auch künftig ist nicht auszuschließen, dass beispielsweise Zukunftsängste und soziale Isolation aufgrund von weiteren Corona-Beschränkungen unter Umständen zu einer verstärkten Beschäftigung potenzieller Sympathisanten mit jihadistischer Propaganda in der virtuellen Welt führen. Weiterhin sind aber auch hochkomplexe und professionell vorbereitete Terroroperationen jederzeit denkbar. Im Zielspektrum liegen dabei symbolhafte bzw. "weiche" Anschlagsziele mit möglichst vielen Opfern. Es besteht daher auch im Jahr 2022 für das gesamte Bundesgebiet und damit auch für den Freistaat Sachsen eine anhaltend hohe abstrakte Gefährdungslage, die sich jederzeit in Form von gefährdungsrelevanten Ereignissen bis hin zu jihadistisch motivierten Anschlägen konkretisieren kann. Seite 198 von 255 7. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug In Sachsen ausschließlich Bestrebungen aus dem Bereich der kurdischen PKK feststellbar Personenpotenzial bei konstant ca. 160 Personen Hohes Mobilisierungspotenzial auch im linksextremistischen Spektrum Strukturelle Vernetzung mit Linksextremisten insbesondere in Leipzig und Dresden Aktivitäten der PKK maßgeblich vom Schicksal des inhaftierten PKKFührers ÖCALAN und den Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet bestimmt Herausragendes Einzelereignis: Selbstverbrennung eines PKK-Anhängers in Dresden Seite 199 von 255 7.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Die sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden z. B. durch die Begehung von Straftaten und die fortwährende Bereitschaft zu aktionsorientiertem und gewaltbereitem Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Dabei handelt es sich um kein einheitliches Spektrum. Politik, Strategie und Aktionen der nicht islamistischen extremistischen Organisationen in Deutschland werden ganz entscheidend von den Entwicklungen - insbesondere Veränderungen der allgemeinen politischen Lage, aber auch durch bedeutsame Einzelereignisse in den jeweiligen Herkunftsländern - bestimmt. Linksextremistisch-separatistische Organisationen, wie die auch im Freistaat Sachsen aktive ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK), streben die revolutionäre Beseitigung der jeweiligen Staatsordnung in ihren Herkunftsländern und die Errichtung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems an. Einige dieser Organisationen verfolgen dabei eine ethnisch begründete Unabhängigkeit vom bekämpften Staat. 7.2 Personenpotenzial In Sachsen konnten sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug aus dem Bereich der kurdischen PKK, also dem linksextremistisch-separatistischen Bereich, festgestellt werden. Ihr Potenzial bewegt sich seit Jahren - so auch im Jahr 2021 - bei konstant ca. 160 Personen. Auch Mitglieder und Anhänger der Nachfolgeund Nebenorganisationen der PKK zählen darunter. Jedoch kann das Mobilisierungspotenzial der PKK, das insbesondere abhängig von den politischen Entwicklungen in der Türkei ist, die oben aufgeführte tatsächliche Anhängerzahl der PKK deutlich überschreiten. Zu dem Kreis der Mobilisierten zählen beispielsweise regelmäßig auch Personen aus dem deutschen linksextremistischen Spektrum. 7.3 Strukturen ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) Sitz Nord-Irak (Kandil-Gebirge) Gründung 1978 Vorsitz Abdullah ÖCALAN Teil- / Nebenorganisatio- - KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT nen KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) als PKK-Europaführung - KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E. V. (KON-MED) als Dachverband der PKK-nahen Vereine Seite 200 von 255 - Massenorganisationen wie TEVGERA CIWANEN SORESGER (TCS) als Dachverband jugendlicher PKK-Anhänger und der DACHVERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN (YXK) Publikationen SERXWEBUN (Unabhängigkeit), YENI ÖZGÜR POLITIKA (Neue Freie Politik) Personenpotenzial / Mitgliederentwicklung 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Sach160 160 160 160 160 160 sen Finanzierung Spendensammlungen bei den Anhängern der PKK, Eintrittsgelder bei Großveranstaltungen Kurzportrait / Ziele Die PKK strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nordirak, Teile des westlichen Irans und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Im Jahr 1993 erließ das Bundesministerium des Innern ein Betätigungsverbot für die PKK und ihre Nebenorganisationen. Die PKK ist zudem auf der EU-Terrorliste verzeichnet. Die PKK hat Deutschland in Regionen und Gebiete eingeteilt. Für die Umsetzung zentraler Vorgaben nutzt sie überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Relevante Ereignisse und Die Aktivitäten der PKK in Sachsen wurden im Jahr 2021 maßgebEntwicklungen 2021 lich vom Schicksal ihres in der Türkei inhaftierten Anführers Abdullah ÖCALAN und vom militärischen Vorgehen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten bestimmt. Außerdem wurde die Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots verstärkt in die Öffentlichkeit getragen. Öffentlich wirksame Aktivitäten entfaltete die PKK in Dresden, Leipzig und Chemnitz in Form von Kundgebungen und Demonstrationen, an denen sich auch deutsche Linksextremisten beteiligten. Herausragendes Ereignis war die Selbstverbrennung eines PKK-Anhängers in Dresden als Protest gegen die Isolationshaft von Abdullah ÖCALAN. Geschichte der PKK Die ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) wurde im Jahr 1978 gegründet. Ursprüngliches Ziel war die Schaffung eines autonomen, sozialistisch orientierten Kurdenstaates. Zu den Gründern gehörte Abdullah ÖCALAN. Er übte von Beginn an die Funktion des Generalsekretärs aus. Seine bis heute Seite 201 von 255 unangefochtene Führungsposition setzte er gegen interne Widerstände durch und behielt diese auch nach seiner Inhaftierung und Verurteilung im Jahr 1999. Zur Durchsetzung ihrer Ziele nahm die PKK im Jahr 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. Sie entwickelte sich seitdem zur anhängerstärksten und militantesten Kurdenorganisation. Ihr militärischer Arm, die VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HEZEN PARASTINA GEL-HPG), ist für tausende Todesopfer verantwortlich, auch unter Touristen und der Zivilbevölkerung. Seit dem Jahr 2002 sind die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen von der Europäischen Union als terroristische Organisationen gelistet.144 Zwischen 2013 und 2015 schien sich bei der PKK eine neue Entwicklung abzuzeichnen. Die türkische Regierung führte Verhandlungen mit Abdullah ÖCALAN. Damit sollten Waffenniederlegung und Gewaltverzicht der PKK erreicht werden. Im Gegenzug erwartete die PKK-Führung die Erfüllung ihrer Forderungen nach Verankerung politischer und kultureller Rechte für die Kurden in einer neuen Verfassung der Türkei. Nach dem Scheitern der Verhandlungen begann Mitte 2015 eine neue Ära der terroristischen Anschläge durch militante Kräfte der PKK. Für einen Anschlag durch den I SLAMISCHEN STAAT (IS) im Juli 2015 auf eine Veranstaltung kurdischer Jugendlicher in Suruc im Südosten der Türkei schrieb die PKK der türkischen Regierung die mittelbare Schuld zu. Die daraufhin einsetzende Spirale der Gewalt ebbte 2017 wieder ab. Es wurden allerdings auch danach vereinzelte Anschläge auf türkische Polizisten und Militärangehörige sowie Zivilisten der PKK zugerechnet. Von der zunehmenden Verfolgung regimekritischer Personen in der Türkei sind nicht zuletzt auch Kurden betroffen. Jedwede Parteinahme für sie wird dort als Unterstützung einer Terrororganisation geahndet. Strukturen der PKK im Freistaat Sachsen Folgende der in Sachsen ansässigen und der PKK zugehörigen Organisationen zeigten auch im Jahr 2021 mit der Durchführung von Kundgebungen, Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen Präsenz: DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V., UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V., TEVGERA CIWANEN SORESGER DRESDEN (TCS) und JXK/YXK (STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN / VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN; Teilorganisationen der PKK) - DRESDEN Ideologie Die Geschichte der PKK ist eng mit der Person ihres Gründers Abdullah ÖCALAN verbunden. Bereits während des Studiums der Politikwissenschaften beeinflussten ihn linksextremistische Organisationen. Auf dem PKK-Gründungskongress im Jahr 1978 verabschiedeten ÖCALAN und weitere Funktionäre ein von marxistisch-leninistischen sowie nationalen Grundsätzen geprägtes Manifest. Darin präsentierte sich die PKK als revolutionäre Partei des Proletariats und der Bauern auf Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus. Bereits in diesem ersten Manifest rief die PKK dazu auf, "Kurdistan 144 Siehe u. a. hier: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017D1426&from=DE Seite 202 von 255 vom imperialistischen und kolonialistischen System zu befreien und in einem einheitlichen Kurdistan eine demokratische Volksdiktatur zu gründen". Damit war der sog. nationale Befreiungskampf für eine universale klassenlose Gesellschaft in einem unabhängigen, sozialistischen Kurdistan erklärtes Ziel der PKK. Hauptgegner ist der türkische Staat. Der militärische Arm der PKK begann im August 1984 im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg, um die Vision eines unabhängigen Kurdenstaates gewaltsam umzusetzen. Über zwei Jahrzehnte lang verübte die PKK terroristische Anschläge in der Türkei, auch gegen die Zivilbevölkerung und ausländische Touristen. Bis heute stellt die Verhaftung ÖCALANS am 15. Februar 1999 durch den türkischen Geheimdienst in Kenia einen gravierenden Einschnitt in der Geschichte der PKK dar. Unter dem Druck eines drohenden Todesurteils nahm ÖCALAN mit einem zweiten Manifest Abstand von der Bildung eines eigenständigen Kurdenstaates mithilfe des bewaffneten Kampfes. Im August 1999 erklärte er den bewaffneten Kampf der PKK schließlich für beendet. Daraufhin zogen sich die meisten PKK-Guerillaeinheiten nach und nach aus der Türkei zurück. Sie halten sich seitdem überwiegend in von Kurden autonom verwalteten Gebieten im benachbarten Nordirak auf. Von dort dringen sie immer wieder in türkisches Staatsgebiet ein und provozieren dadurch bewaffnete Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee, obwohl die PKK im Jahr 2000 die Grundsätze ihres zweiten Manifests bestätigt hatte. Die Beschlüsse sahen eine "Demokratisierung" innerhalb der PKK und die Wandlung hin zu einer "legalen Organisation" vor. Strategie Die PKK verfolgt bei ihren Aktivitäten weiterhin eine Doppelstrategie. Während sie auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt und Anhänger für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat mobilisiert, nutzt sie Europa vorrangig als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Die PKK und ihr Unterstützerkreis in Deutschland stellen sich als in der Türkei zu Unrecht verfolgte Regimegegner dar und versuchen so, ihr Ansehen zu verbessern und ihren Einfluss zu erhöhen. Strategie und Aktionen der PKK zielen auf eine radikale Veränderung der politischen Verhältnisse im Heimatland ab und werden demzufolge entscheidend von der Situation in den kurdischen Siedlungsgebieten und den dortigen zentralen Organisationseinheiten geprägt. Aktivitäten Im Jahr 2021 bestimmten folgende Faktoren maßgeblich die Aktivitäten der PKK in Deutschland und somit auch im Freistaat Sachsen: das Schicksal, insbesondere die Haftbedingungen, ihres in der Türkei inhaftierten Anführers Abdullah ÖCALAN und das militärische Vorgehen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten Bei den Aktivitäten wird regelmäßig die Forderung nach Aufhebung des im Jahr 1993 für die PKK in Deutschland erlassenen Betätigungsverbots verstärkt in die Öffentlichkeit getragen. Schwerpunkte der Aktivitäten in Deutschland und Europa waren dabei Demonstrationen, Kundgebungen und Informationsstände. Der PKK gelang es regelmäßig, ihre Anhängerschaft auch im Freistaat Sachsen zu mobilisieren, die den zentralen Aufrufen des KONGRESSES DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) und der KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E. V. (KON-MED) folgten. Unterstützt wurden die Aktivitäten Seite 203 von 255 durch deutsche Linksextremisten im Rahmen der "Kurdistansolidarität" mittels Hilfe bei der Mobilisierung für Veranstaltungen, der Teilnahme daran und der Berichterstattung im Internet. Besonders in den Großstädten Dresden und Leipzig kann eine strukturelle Vernetzung der PKK mit deutschen Linksextremisten festgestellt werden. Herausragendes Einzelereignis im Berichtsjahr war die Selbstverbrennung eines 49-jährigen PKKAnhängers am 12. Februar in der Nähe des sächsischen Landtages in Dresden. Damit wollte der Mann gegen die Isolationshaft Abdullah ÖCALANs auf der Gefängnisinsel Imrali protestieren. Die Selbstverbrennung führte zu mehreren Folgeveranstaltungen: - Gedenkveranstaltung am 16. Februar in Dresden, an der etwa 150 Personen teilnahmen, - Kundgebung am 27. Februar in Dresden, die unter dem Motto "Die Zeit ist reif - Freiheit für Öcalan" stand. - Gedenkveranstaltung des DRESDNER VEREINS DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V., dem der Verstorbene viele Jahre angehörte, am 3. März mit ca. 300 Teilnehmern am Sarg des Verstorbenen. Der Sarg war u. a. mit Kränzen des KCDK-E und KON-MED geschmückt. Der Ko-Vorsitzende des KCDK-E wies in seiner Rede darauf hin, dass mit der Selbstverbrennung nicht nur gegen die Isolation ÖCALANs protestiert wurde, sondern gleichzeitig die Kurdinnen und Kurden in Europa für ihre Passivität kritisiert wurden. - 121 Plakatierungen in Dresden mit Abbildern des Verstorbenen und Abdullah ÖCALANs. Trotz der Ablehnung dieser Aktionsform machte sich die PKK die Selbstverbrennung im Nachgang propagandistisch zu eigen und betonte dabei die der Aktion zugrundeliegende politische Motivation, den Protest gegen die Isolationshaft ihres Gründers ÖCALAN. Zu weiteren Aktivitäten zählten im Jahr 2021 Veranstaltungen am 21. März in Dresden und Leipzig mit insgesamt etwa 300 Teilnehmern anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz. Mit diesen Veranstaltungen sollte Newroz auch in Sachsen mit Gesang, Tanz und politischen Reden begangen werden. Es wurden dabei aber auch zentrale Forderungen, wie jene nach der Freilassung Abdullah ÖCALANs, bekräftigt und der Selbstverbrennung vom 12. Februar gedacht. Bei der Veranstaltung in Leipzig betonte der Versammlungsleiter, dass Newroz auch als Fest des Widerstandes gefeiert werde. Das Festgelände war mit Fahnen der VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YEKINEYEN PARASTINA GEL - YPG) und der FRAUENVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YEKINEYEN PARASTINA JIN - YPJ) geschmückt. Im Zusammenhang mit dem militärischen Vorgehen der Türkei standen u. a. Protestveranstaltungen an folgenden Tagen: 11. Februar in Dresden und Leipzig, 25. April in Leipzig, 19. und 20. Juni in Dresden und Leipzig, 18. Juli in Dresden, 17. August in Leipzig, 13. November in Leipzig sowie 18. und 19. November in Dresden. So versammelten sich am 18. Juli in Dresden rund 350 Demonstranten unter dem Motto "Jahrestag der Revolution: Frieden, Selbstbestimmung, Frauenbefreiung und eine ökologische Gesellschaft - Freiheit für Öcalan". Sie folgten damit einem Aufruf des UTA FRAUENRATS DRESDEN E. V., JXK/YXK - DRESDEN, des DRESDNER VEREINS DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. sowie der linksextremistischen Gruppen UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN und SYNDIKAT DRESDEN DER FREIEN ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION sowie weiterer nicht extremistischer Organisationen. Der Aufzug war zu Beginn durch das Skandieren von "PKK"-Rufen in Verbindung mit dem Zeigen von Flaggen mit dem Abbild Abdullah ÖCALANs und einer Vielzahl weiterer Fahnen mit Bezug zur PKK geprägt, so z. B. der YPG und YPJ. Nach Einschreiten der Polizei wurden die Sprechchöre eingestellt. Seite 204 von 255 Speziell auf das Schicksal Abdullah ÖCALANs machte u. a. eine spontane Kundgebung am 16. März in Dresden aufmerksam, an der sich die PKK-Jugend TEVGERA CIWANEN SORESGER DRESDEN (TCS) mit zahlreichen ÖCALAN-Fahnen und einem Banner mit der Aufschrift "The Youth Of Today Will Be The Revolution Of Tomorrow" beteiligte. Auslöser für die Veranstaltung waren Gerüchte über den angeblichen Tod des PKK-Gründers. Weitere Veranstaltungen zu diesem Thema gab es am 27. Februar in Dresden sowie am 16. März in Leipzig. Ein Fahrradkonvoi fand am 11. Juli in Chemnitz statt. 7.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten ausländische Ideologie und religiöse Ideologie Der seit dem Jahr 2017 als "Ausländische Ideologie"145 und "religiöse Ideologie"146 bezeichnete Teilbereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) ist im Vergleich zu den Strafund Gewalttaten in den anderen extremistischen Phänomenbereichen im Freistaat Sachsen nur von marginaler Bedeutung. So machte dieser Bereich im Berichtsjahr weniger als zwei Prozent des Gesamtaufkommens extremistischer Straftaten aus. Im Jahr 2021 sanken die Straftaten im Bereich ausländische und religiöse Ideologie um etwa 37 % (46 Straftaten). Die Zahl der Gewaltdelikte (14) entsprach etwa dem Niveau des Vorjahres (2020: 12). 60 54 52 50 43 42 40 Straftaten ausl. Ideologie 31 30 Gewalttaten ausl. Ideologie 23 23 Straftaten relig. Ideologie 20 20 Gewalttaten relig. Ideologie 15 10 7 8 8 6 4 3 4 0 2018 2019 2020 2021 145 Der -Phänomenbereich PMK - ausländische Ideologie - bildet ab, inwieweit im Ausland begründete nicht-religiöse Ideologien nach Deutschland hereingetragen werden und hier den Hintergrund für Straftaten bilden. Hiervon sind aus dem Ausland stammende separatistische, rechte und linke Ideologien, also sämtliche ausländische nicht-religiöse Ideologien, umfasst. Die Staatsangehörigkeit der Täter ist hierbei unerheblich (entnommen der Internetseite des Bundeskriminalamtes: www.bka.de) 146 Der PMK - religiöse Ideologie - werden Straftaten zugerechnet, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine religiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war und die Religion zur Begründung der Tat instrumentalisiert wird (entnommen der Internetseite des Bundeskriminalamtes: www.bka.de). Seite 205 von 255 7.5 Ausblick Die PKK befürwortet weiterhin Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen in der Türkei. Zudem ist auch zukünftig damit zu rechnen, dass maßgeblich von der PKK beeinflusste Organisationen eine Umbenennung anstreben, um das Betätigungsund Kennzeichnungsverbot zu umgehen. In Westeuropa ist die PKK jedoch seit langem bemüht, sich in der Öffentlichkeit als gewaltfreie Befreiungsbewegung darzustellen und bei ihren Aktivitäten Assoziationen mit "Gewalt" und "Terror" zu vermeiden. So hatten die im Jahr 2021 durchgeführten Feierlichkeiten zum Newroz-Fest sowie das Internationale Kurdische Kulturfestival den Charakter von Volksfesten. Die PKK verspricht sich davon, das ihr anhaftende Stigma einer Terrororganisation zu verlieren und so die Unterstützung demokratischer Kräfte zu gewinnen. Damit will sie ihrer Forderung nach einer Aufhebung des PKKVerbots mehr Gewicht verleihen. Gleichzeitig wird jedoch auch im Rahmen dieser volksfestähnlichen Veranstaltungen der sog. PKK-Märtyrer gedacht und ihr gewalttätiges Agieren damit verherrlicht. Zudem wird durch das regelmäßige öffentliche Zeigen der Flagge der VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YPG) Unterstützung und Sympathie für die bewaffnete kurdische Miliz zum Ausdruck gebracht. Diese Doppelstrategie scheint sich hinsichtlich ihrer Wirkung insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene für die PKK auszuzahlen. Dies zeigt sich in der nach wie vor erfolgreichen Rekrutierung junger Menschen für ideologische Schulungen und Kampftraining sowie an einer bei öffentlichen Veranstaltungen selbstbewusst und kämpferisch auftretenden PKK-Jugend. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Haftbedingungen für Abdullah ÖCALAN von seinen Anhängern weltweit aufmerksam beobachtet werden. Schon bei vagen Anhaltspunkten für gesundheitliche Beeinträchtigungen oder sich verschlechternde Haftbedingungen ist die PKK in der Lage, in ganz Westeuropa aus dem Stand heraus tausende Anhänger zu mobilisieren. Die hieraus resultierenden Aktivitäten werden weiterhin mit der Forderung nach Freiheit für ÖCALAN verbunden sein. Darüber hinaus ist seit einigen Jahren zu beobachten, dass linksextremistische Bestrebungen in Sachsen verstärkt Teilund Nebenorganisationen der PKK im Rahmen der "Kurdistansolidarität" unterstützen. Diese Aktivitäten lassen darauf schließen, dass auch künftig mit strukturellen Allianzen zwischen deutschen und kurdischen Linksextremisten zu rechnen ist. In Teilen des deutschen Linksextremismus ist die Gewaltbereitschaft ein identitätsstiftender und prägnanter Bestandteil. Hiesige Mitglieder und Anhänger der PKK, deren öffentlichkeitswirksame Aktivitäten bislang gewaltfrei verliefen, könnten sich unter Umständen daran orientieren. Seite 206 von 255 III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Russische und chinesische Nachrichtendienste bleiben Hauptakteure im Freistaat Sachsen Im Jahr der Bundestagswahl standen insbesondere politische Mandatsträger im Fokus der Aufklärungsmaßnahmen ausländischer Nachrichtendienste Abwehr von Spionageund Sabotageaktivitäten fremder Mächte bleibt wichtiges Aufgabenfeld des Verfassungsschutzes: Mediale Informationsbeeinträchtigung/Cyberaaktivitäten gegen die Kritische Infrastruktur der westlichen Welt LfV informiert Interessenten und Multiplikatoren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schnell und gezielt u. a. über elektronische Angriffskampagnen und bietet Unterstützung bei Abwehrmaßnahmen an Seite 207 von 255 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht waren auch im Jahr 2021 ein wichtiges Bearbeitungsgebiet des Verfassungsschutzes. Die gesetzliche Grundlage für das Tätigwerden des LfV Sachsen in diesem Bereich ist SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SächsVSG. Von zentraler Bedeutung war erneut die staatlich gelenkte Spionage, also die nachrichtendienstlich organisierte Beschaffung von Informationen. Die spionagerelevanten Aufklärungsinteressen gegnerischer Nachrichtendienste sind vielfältig und betreffen u. a. das politische Geschehen (Politikspionage) oder aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen in Wirtschaft und Wissenschaft (Wirtschaftsspionage). Als Spezialfall der Wirtschaftsspionage sind die nach wie vor festzustellenden Proliferationsbestrebungen fremder Mächte anzusehen. Dabei geht es neben der Aufklärung der entsprechenden Technologie auch um die vollständige oder partielle Beschaffung und Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen. Neben der Spionage erfordert die staatlich gelenkte Sabotage ein besonderes Augenmerk. Gemeint sind damit vor allem elektronische Angriffe, die nicht mehr nur der Informationsgewinnung, sondern auch der medialen Informationsbeeinträchtigung dienen, sowie Beeinflussungsversuche auf politischer Ebene. Insoweit handelt es sich um Fälle von Cyberangriffen, wie Cyberspionage, Cybersabotage sowie cybergestützten Einflussnahmeaktionen. Ziel dieser gegnerischen Cyberaktivitäten ist insbesondere die Kritische Infrastruktur (KRITIS) der westlichen Welt. Politikspionage richtet sich in erster Linie gegen Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen sowie gegen Mandatsträger politischer Parteien und deren unmittelbare Mitarbeiter. Darüber hinaus können auch Mitglieder von Oppositionsbewegungen aus dem Ausland, die in Deutschland leben, von den Maßnahmen des jeweiligen Herkunftslandes betroffen sein. Bei der Wirtschaftsspionage stehen vor allem Technologieunternehmen und Forschungseinrichtungen im Fokus. Staat und Verwaltung, insbesondere Universitäten und technische Hochschulen, können ebenfalls berührt sein. Die politische Bedeutung sowie die wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsund Innovationskraft Deutschlands und somit auch des Freistaates Sachsen begründen ein intensives Aufklärungsund Beeinflussungsinteresse fremder Mächte. Die aufgrund von Spionage eintretenden Schäden sind schwerwiegend. Im Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft besteht die Gefahr empfindlicher Forschungsoder Auftragsverluste. Untersuchungen147 aus dem Jahr 2020 gehen davon aus, dass in Deutschland innerhalb von zwei Jahren 75 % der Unternehmen Opfer von Datendiebstählen, Industriespionage oder Sabotage geworden sind. Dabei ging man im Untersuchungszeitraum von einem jährlichen Gesamtschaden in Höhe von über 100 Milliarden Euro aus. Insgesamt können Spionage und Sabotage auf Dauer spürbare Auswirkungen auf Staat und Wirtschaft haben. Ein funktionierendes Staatswesen und eine funktionierende Wirtschaft sind eine wesentliche Grundlage für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Die Abwehr von hiergegen gerichteten Spionageund Sabotageaktivitäten ist deshalb ein wichtiges Aufgabenfeld der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. 147 Spionage, Sabotage und Datendiebstahl - Wirtschaftsschutz in der vernetzten Welt Studienbericht 2020, www.bitkom.org Seite 208 von 255 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 2.1 Akteure und Schwerpunkte Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sind zahlreiche ausländische Nachrichtendienste mit ganz unterschiedlichen Interessen aktiv. Hoch entwickelte Staaten wollen mithilfe ihrer Nachrichtendienste vor allem im politischen und wirtschaftlichen Wettbewerb weiter Schritt halten oder sogar Wettbewerbsvorteile erzielen. Krisenländern geht es beim Einsatz ihrer Nachrichtendienste in politischer Hinsicht um die Aufklärung und Unterwanderung von Oppositionsgruppen, deren Mitglieder in Deutschland leben. In wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht entwickeln diese Länder vor allem proliferationsrelevante148 Aktivitäten. 2.1.1 Russische Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation waren im Jahr 2021 weiterhin von großer Bedeutung für die russische Staatsführung. Ihre Bemühungen erstreckten sich sowohl auf gesellschaftliche und politische als auch auf wirtschaftliche und wissenschaftliche Bereiche. Vor allem der russische zivile Auslandsnachrichtendienst SWR149, der militärische Auslandsnachrichtendienst GRU150 und der Inlandsnachrichtendienst FSB151 waren gegen Deutschland aktiv. Nachrichtendienstliche Aktivitäten gingen mit einer sehr offensiven russischen Außenpolitik einher, die sich in der fortgesetzt völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim, der Aufrechterhaltung des Ukraine-Konfliktes und dem nachdrücklichen politischen und militärischen Engagement im Syrien-Konflikt deutlich zeigte. Aufklärungsschwerpunkt sind dabei die deutsche Haltung zu Fragen der Außenund Sicherheitspolitik sowie der Finanzund Energiepolitik, aber auch die Rolle Deutschlands in der NATO. Im Jahr der Bundestagswahl standen, neben sog. Denkfabriken, Nichtregierungsorganisationen und Vereinen mit Bezügen zu Russland oder anderen osteuropäischen Staaten, insbesondere politische Mandatsträger im Fokus der Aufklärungsmaßnahmen. Dies spiegelt sich in der Cyberangriffskampagne "Ghostwriter" wider, welche dem russischen Militärgeheimdienst GRU zugeschrieben wird. Die russische Wirtschaft mit neuem Know-how zu versorgen, ist ein weiteres Betätigungsfeld russischer Nachrichtendienste oder mutmaßlich in deren Auftrag handelnder Akteure. Viele in Deutschland produzierte Hochtechnologieprodukte sind militärisch wie auch zivil nutzbar. Es handelt sich dabei um sog. Dual-Use-Güter, das heißt, hier kann ein militärischer Verwendungszweck nicht ausgeschlossen werden. Im Zusammenhang mit einer mutmaßlichen Proliferation informierte der Generalbundesanwalt im Mai über die Festnahme eines sächsischen Geschäftsmannes wegen des dringenden Verdachts gewerbsmäßiger Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Er soll u. a. Waren ohne die dafür erforderliche Genehmigung nach Russland ausgeführt und dabei für den Geheimdienst einer fremden Macht gehandelt haben152. Vor diesem Hintergrund war und ist der Freistaat Sachsen als Bestandteil der deutschen Politiklandschaft und als innovativer und leistungsstarker Forschungsund Wirtschaftsstandort in Deutschland als ein relevantes Ziel russischer Nachrichtendienste anzusehen. 148 Die Weiterverbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Güter und Technologien sowie entsprechender Waffenträgersysteme (z.B. Raketen und Drohnen) einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows wird als Proliferation bezeichnet. 149 Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation 150 Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation 151 Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation 152 https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/... Seite 209 von 255 2.1.2 Volksrepublik China Die Volksrepublik China setzt ihre Nachrichtendienste zur Informationsgewinnung in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft ein, um mithilfe gezielter Wirtschaftsspionage der Erreichung industriepolitischer Ziele näher zu kommen. Dabei wird angestrebt, strategische Vorteile zu gewinnen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern. Nach einer Studie des "Centers for Security and Emerging Technology" (CSET)153 der Universität von Georgetown (USA) existieren in China allein 27 staatlich geförderte Programme, die sich auf den Technologietransfer konzentrieren. Mit der Initiative "Made in China 2025"154 will die chinesische Regierung die Volksrepublik "zur globalen Anführerin der vierten industriellen Revolution" machen. Der Know-how-Bedarf in bestimmten Bereichen ist nicht zuletzt durch die Sanktionen der USA gegenüber China gestiegen. Umso mehr stehen vor allem innovative deutsche - und somit auch sächsische - Unternehmen und Hochschuleinrichtungen mit ihren Spitzentechnologien im Blickfeld chinesischer Nachrichtendienste. China investiert weiter in den Ausbau einer flächendeckenden Kommunikationsund Internetüberwachung. Für die erforderlichen Maßnahmen verfügen die chinesischen Nachrichtendienste über eine starke Personalausstattung und umfangreiche rechtliche Befugnisse. Die verschiedenen nachrichtendienstlichen Maßnahmen werden durch das Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS) organisiert. Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste sind an den amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Legalresidenturen) präsent und oft als Diplomaten oder Journalisten getarnt. Auch der militärische Nachrichtendienst (Military Intelligence Department - MID) und das Ministerium für öffentliche Sicherheit (Ministry of Public Security - MPS) als Leitungsebene der Polizei führten Aufklärungsmaßnahmen gegen Deutschland durch. Ein weiterer nachrichtendienstlicher Schwerpunkt ist das Ausspähen und die Unterwanderung von in Deutschland lebenden oppositionellen Kräften, die von der chinesischen Regierung unter der abwertenden Bezeichnung "Fünf Gifte" zusammengefasst werden. Verstärkte innerstaatliche Konflikte mit Oppositionellen und nationalen Minderheiten in einigen Provinzen werden in chinesischen Sicherheitskreisen als wachsende Bedrohung der staatlichen Sicherheit wahrgenommen. Da sich im Freistaat Sachsen Angehörige der chinesischen Opposition aufhalten, ist davon auszugehen, dass chinesische Nachrichtendienste hier ebenfalls entsprechende Aktivitäten entfalten, wenngleich es für den Berichtszeitraum diesbezüglich keinen konkreten Hinweis gab. 153 https://chinatalenttracker.cset.tech 154 "English.www.gov.cn/2016special/madeinchina2025" Seite 210 von 255 2.1.3 Nachrichtendienste sonstiger Staaten Im Rahmen einer sog. "360deg-Bearbeitung" in der Spionageabwehr wird allen tatsächlichen Anhaltspunkten für sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht nachgegangen. So ist für den türkischen Inund Auslandsnachrichtendienst Milli Istihbarat Teskilati (MIT) Deutschland eines der vorrangigen Ausforschungsziele außerhalb der Türkei. Ein erhebliches nachrichtendienstliches Interesse besteht an Organisationen, die in der Türkei als extremistisch oder terroristisch eingestuft sind, sowie an Vereinigungen und Einzelpersonen (z. B. türkische Einwanderer oder hier lebende Flüchtlinge), die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Insoweit besteht der Verdacht, dass der türkische Nachrichtendienst auch im Freistaat Sachsen aktiv ist, wenngleich es im Berichtszeitraum keine konkreten Hinweise auf eine tatsächliche Betroffenheit gab. Ein Schwerpunkt iranischer Nachrichtendienste stellt die Beschaffung von Informationen und Produkten aus den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft dar. Im Rahmen der Proliferationsbekämpfung wurde entsprechenden Hinweisen nachgegangen, eine sächsische Betroffenheit bestätigte sich letztendlich im Berichtszeitraum nicht. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der iranischen Nachrichtendienste ist die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen und Akteure im Inund Ausland. 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 2.2.1 Beschaffung von öffentlich zugänglichen Informationen Ausländische Nachrichtendienste können einen großen Teil ihrer Informationen bereits aus offen zugänglichen Quellen gewinnen, etwa beim Besuch öffentlicher Tagungen, Vortragsveranstaltungen oder Messen, aus den Sozialen Medien, bei der Lektüre von Werbebroschüren oder Tageszeitungen sowie aus Radio und Fernsehen. Selbst brisante Informationen sind oft ohne Weiteres und legal zugänglich, etwa über Fachzeitschriften und -bücher, über Bachelor-, Masteroder Diplomarbeiten sowie über Dissertationsoder Habilitationsschriften, für die im Regelfall sogar eine Veröffentlichungspflicht besteht. Nicht zuletzt erweitert die rasante technische Entwicklung im Bereich der Digitalisierung das Spektrum frei zugänglicher Informationen in einem stetig wachsenden Ausmaß. Das reguläre Informationsangebot der digitalen Medien bietet fremden Nachrichtendiensten zahlreiche Informationen, die als Grundlage und Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten von erheblicher Bedeutung sein können. 2.2.2 Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen Die Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen gehört zu den grundlegenden Aufgaben ausländischer Nachrichtendienste. Die konspirative Informationsbeschaffung erfolgt über den Einsatz menschlicher Quellen, durch technische Mittel oder durch eine Kombination beider Wege. Seite 211 von 255 Einsatz menschlicher Quellen Als menschliche Quelle kommt in Betracht, wer über nachrichtendienstlich relevante Informationen verfügt oder solche Informationen gewinnen kann. Der möglichen Bandbreite sind hierbei keine Grenzen gesetzt. Sie reicht von einflussreichen Politikern oder Wirtschaftslenkern über Wissenschaftler, Großund Kleinunternehmer, leitende Beamte und Offiziere bis hin zu Angestellten, Studenten und Praktikanten. Jede "hierarchische" Position ist geeignet, Ausgangspunkt oder Ziel einer Ausspähung zu sein. Beispiele aus der Vergangenheit belegen, dass langjährige persönliche Kontakte in relevanten Bereichen zur Gewinnung menschlicher Quellen genutzt werden. Menschliche Schwächen spielen dabei eine herausragende Rolle. Fremde Nachrichtendienste greifen dabei immer wieder gern auf die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beeinflussung zurück, um Informationen zu erhalten. Dabei werden menschliche Eigenschaften wie Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft, Habgier, Autoritätshörigkeit, Geltungssucht oder Unsicherheit ausgenutzt, um Zugang zu sensiblen Daten zu erhalten. Dieses Vorgehen ist auch als "Social Engineering" bekannt. Die erlangten Informationen werden auf unterschiedlichste Art und Weise weitergegeben. Nur exemplarisch sei auf die sog. Legalresidenturen ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland verwiesen. Diese sind regelmäßig in Botschaften und Konsulaten angesiedelt, wo Mitarbeiter von Nachrichtendiensten getarnt als reguläre Mitarbeiter auftreten. Einsatz technischer Mittel, insbesondere elektronischer Angriffe Die Informationsbeschaffung ausländischer Nachrichtendienste durch den Einsatz technischer Mittel, insbesondere über moderne Kommunikationsmedien, gehört zum Alltag. Dies gilt umso mehr, als auch nicht öffentlich zugängliche Informationen in Zeiten zunehmender Digitalisierung oft leicht und ohne größere Risiken erreichbar sind. Vor allem elektronische Angriffe, also gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen, sind ein probates und wichtiges Mittel der Informationsgewinnung und -beeinträchtigung. Die Möglichkeiten reichen vom Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten (z. B. von Kundenlisten oder Strategiepapieren) über den Missbrauch von Identitäten bis hin zur Übernahme und Sabotage von Produktionsund Steuerungseinrichtungen. Das Risiko, von Cyberangriffen betroffen zu sein, betrifft generell neben dem wirtschaftlichen und wissenschaftlichen auch den politischen Bereich als klassischem Betätigungsfeld von Nachrichtendiensten. Derartige technische Maßnahmen können zügig erfolgen, sind kostengünstig und weitgehend risikoarm, auch wenn eine Identifizierung der Urheber durchaus möglich ist. Im Rahmen solcher Cyberangriffe werden u. a. klassische Trojaner-E-Mails155 oder Wasserloch-Angriffe156 mit Drive-By-Infektionen157 eingesetzt. Ausgangspunkt ist auch hier oft ein ausgefeiltes "Social Engineering". 155 Als Trojaner-E-Mails gelten hier E-Mails, die zumeist im Anhang eine Schadsoftware enthalten. Diese als nützliche Datei getarnte Schadsoftware wird beim Öffnen der Datei aktiviert, um den betroffenen Rechner dann im Hintergrund zu manipulieren. 156 Bei Wasserloch-Angriffen (Watering-Hole-Attacks) manipuliert der Angreifer bestimmte Webseiten, bei denen er mit einem Aufruf durch das Opfer rechnen darf. Die Manipulation entfaltet im Regelfall erst dann ihre Wirkung, wenn das Opfer die Seite aufruft. 157 Eine Drive-By-Infektion ist die Infektion eines Rechners mit Schadsoftware allein durch das Aufrufen einer mit Schadsoftware manipulierten Webseite. Die Manipulation kann ohne Wissen und Wollen des Betreibers geschehen sein. Drive-By-Infektionen sollen nach Meinung von Experten in den letzten Jahren weiter an Bedeutung gewonnen und die E-Mail als Hauptverbreitungsweg für Schadsoftware abgelöst haben. Seite 212 von 255 Das Sächsische Verwaltungsnetz158 ist nachweislich seit Jahren und mit steigender Tendenz Ziel zahlreicher Cyberangriffe159, bei denen ein nachrichtendienstlicher Hintergrund nicht auszuschließen ist. Sie geben Anlass zu größter Wachsamkeit. Die Jahresberichte des Beauftragten für die Informationssicherheit des Freistaates Sachsen (zuletzt aus dem Jahr 2020) führen exemplarisch Angriffsmethoden und Angriffsmittel auf. Obwohl vergleichbare Erhebungen zu elektronischen Angriffen außerhalb der Verwaltung in Sachsen noch fehlen, besteht Grund zu der Annahme, dass Wirtschaft und Wissenschaft in vergleichbarem Ausmaß betroffen sind. Dahin deuten u. a. Erkenntnisse aus Russland, wo die Nachrichtendienste zunehmend Möglichkeiten zur Überwachung und Beeinflussung des Internetverkehrs erhalten, etwa durch Zugriffsmöglichkeiten auf IPund E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Daten aus sozialen Netzwerken oder durch datenschutzrechtliche Restriktionen im Internet. Russische Nachrichtendienste gelten als Initiatoren verbreiteter und berüchtigter Angriffskampagnen, wie Sofacy160, Sandworm161, Snake162 und Energetic Bear163. Solche hochkomplexen und mit hoher Professionalität geführten Kampagnen können über Jahre verborgen bleiben. Auch im Jahr 2021 gab es erneut Hinweise auf eine mögliche Betroffenheit deutscher Unternehmen und Einrichtungen durch die seit einigen Jahren aktiven Angriffskampagnen Snake und Cozy Bear (APT 29). Die Angreifer ändern immer wieder einzelne technische Komponenten, sodass sie die Kampagnen in abgewandelter Form auch weiterhin einsetzen können. Es zeigt sich deutlich, dass sich ein elektronischer Angriff keineswegs in einer einmaligen punktuellen Maßnahme erschöpfen muss, sondern zu einer länger andauernden, komplexen, herausfordernden und einer mit großem Aufwand betriebenen Bedrohung heranwachsen kann (sog. Advanced Persistent Threat [APT]). Chinesische Nachrichtendienste stehen gleichfalls im Verdacht, elektronische Angriffe gegen Einrichtungen in Deutschland initiiert zu haben. Im Jahr 2021 gab es Hinweise, wonach auch deutschlandweit Unternehmen betroffen sein könnten. Im Fokus standen u. a. Unternehmen mit Niederlassungen in China. Sensibilisierungsmaßnahmen erbrachten keine Hinweise auf eine tatsächliche sächsische Betroffenheit. Mit den Auslandsaktivitäten chinesischer Nachrichtendienste im Internet korrespondiert die Errichtung einer immer stärkeren elektronischen Mauer zur Abschottung des Internets in China. Weitere Spieler auf dem Feld der elektronischen Angriffe sind Angreifer aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Südostasien. Die Angreifer-Gruppierung Lazarus Group, der Verbindungen nach Nordkorea nachgesagt werden, richtete ihre Angriffe weltweit gegen zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen, so auch in Deutschland. Sensibilisierungsmaßnahmen ergaben keine Betroffenheit sächsischer Einrichtungen. Besondere Brisanz erhalten elektronische Angriffe dadurch, dass sie selbst bei ausgeprägtem Sicherheitsbewusstsein der Betroffenen und trotz Nutzung aktueller Schutzprogramme gegen Schadsoftware oft über längere Zeit unbemerkt bleiben können. Deshalb wendet sich das LfV Sachsen regelmäßig mit Warnmeldungen an potenzielle Opfer, um diese zu sensibilisieren. 158 Das Sächsische Verwaltungsnetz ist die Kommunikationsinfrastruktur des Freistaates Sachsen. Es versorgt die Behörden und Einrichtungen des Freistaates Sachsen flächendeckend mit hochleistungsfähiger und sicherer Sprachund Datenkommunikation für ein modernes Verwaltungshandeln; siehe www.egovernment.sachsen.de 159 vgl. Jahresbericht Informationssicherheit 2020 des Beauftragten für Informationssicherheit des Freistaates Sachsen, Hrsg. Sächsische Staatskanzlei, Berichtszeitraum August 2019 - Juli 2020, S. 5 ff. 160 Auch bekannt als APT 28, Sofacy, Pawn Storm, Sednit, Group 74, Tsar Team, Fancy Bear oder Strontium. 161 Auch bekannt als Sandworm Team, TEMP.Noble, Electrum oder TeleBots. 162 Auch bekannt als Uroburos, Turla Group, Turla Team, Venomous Bear, Group 88, Waterbug oder Krypton. 163 Auch bekannt als Dragonfly, Crouching Yeti, Group 24, Koala Team, Berserk Bear oder Anger Bear. Seite 213 von 255 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte galten auch im Berichtsjahr der Beeinflussung gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen in Deutschland. Das Portfolio eingesetzter Mittel ist vielfältig und kann von dem bereits aus der Vergangenheit bekannten Einsatz von Einflussagenten über den zielgerichteten Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft, über regelrechte Propagandaoffensiven und dem damit verbundenen Versuch der Instrumentalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen bis hin zu Einflussnahmeaktivitäten in der Wirtschaft reichen. So erregten chinesische Versuche der Einflussnahme auf die deutsche Wirtschaft durch Direktinvestitionen besondere Aufmerksamkeit. Gezielte chinesische Firmenbeteiligungen in ausgewählten Schlüsselbranchen im Ausland sind erklärter Bestandteil der Industriestrategie "Made in China 2025" und machen auch vor dem Freistaat Sachsen keinen Halt. In die Prozesse der staatlichen Direktion von Investitionen staatlicher, halbstaatlicher und privater chinesischer Unternehmen sind auch Nachrichtendienste eingebunden. Darüber hinaus unternimmt insbesondere Russland mit zunehmender Intensität den Versuch, die politische und öffentliche Meinung in Deutschland u. a. durch die mediale Verbreitung von Propaganda und Desinformationen in seinem Sinne zu beeinflussen. Als Mittel zum Zweck dienen dabei neben den sozialen Medien die staatlich geförderten sowie privaten Institute ("Think Tanks") und die russischen Staatsmedien. So verbreiten weltweit sendende TV-, Radiound Internetkanäle gezielt Narrative im Sinne der russischen Führung auch in Deutschland. Staatliche Unternehmen kaschieren ihre Aktivitäten, indem sie als unabhängige Medien auftreten. Auf diese Weise gelingt es ihnen beispielsweise, sich insbesondere in Kreisen von Verschwörungstheoretikern als Alternative zu den als "Mainstream-Medien" und "Lügenpresse" diffamierten deutschen Medien zu positionieren. Die dabei seitens Russland verfolgten Ziele sind die Diskreditierung der Bundesregierung und der Landesregierungen, die polarisierende Zuspitzung des politischen Diskurses und das Untergraben des Vertrauens in staatliche Stellen. Die tendenziöse Berichterstattung dieser Medien im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie verstärkte das Narrativ, die Bundesregierung sowie die Landesregierungen würden die Pandemie systematisch zur Einschränkung der Grundrechte sowie für die Errichtung eines Überwachungsstaates ausnutzen.164 2.2.4 Spionagerelevante Sachverhalte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie Das LfV Sachsen hat derzeit keine Hinweise auf spionagerelevante Sachverhalte im Medizinund Gesundheitsbereich (insbesondere im Zusammenhang mit Covid 19-Erkrankungen und -Behandlungen), die auf Aktivitäten fremder Nachrichtendienste zurückzuführen sind. Der Verfassungsschutzverbund sensibilisierte proaktiv potenziell Betroffene. Analysen und Handlungsempfehlungen wurden dabei in anonymisierter Form an diese verteilt, verbunden mit dem Angebot weiterer Unterstützung. 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft Eine effektive Prävention ist die wichtigste Abwehrmaßnahme gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte. Sowohl Staat und Verwaltung als auch Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgerufen, sich und ihre Umgebung bereits im Vorfeld vor solchen Tätigkeiten hinreichend zu schützen. 164 vgl. Verfassungsschutzbericht 2020 des Bundes, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (Hrsg.), S. 312. Seite 214 von 255 Prävention heißt vor diesem Hintergrund, Sicherheit zur Chefsache zu machen, sich regelmäßig über Angriffsmethoden und -ziele fremder Nachrichtendienste zu informieren, die eigenen Einrichtungen und deren Umgebung auf spionagerelevante Schwachstellen systematisch zu analysieren, passgenaue Abwehrlösungen zu entwickeln, die Entwicklungen auf dem "Spionagemarkt" fortlaufend zu beobachten und Verdachtsfällen nachzugehen. Zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Herausforderungen sieht sich das LfV Sachsen als Sicherheitspartner für alle sächsischen Behörden, Verbände, Vereinigungen, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das LfV Sachsen geht zu diesem Zweck aktiv auf potenziell gefährdete Institutionen zu. Bestandteil einer Sicherheitspartnerschaft können Vorträge, Individualberatungen, Onlineangebote und Broschüren sein. Darüber hinaus unterstützt das LfV Sachsen alle Interessenten bei der Analyse ihrer Einrichtungen auf spionagerelevante Schwachstellen, bei der Entwicklung individueller Abwehrlösungen und bei der Aufklärung von Verdachtsfällen. Die vertrauliche Behandlung der jeweiligen Sicherheitspartnerschaft und ihres Inhaltes ist dabei selbstverständlich. Bei alldem kann das LfV Sachsen auf starke Partner zurückgreifen. Dazu gehören das BfV und die weiteren 15 Landesbehörden für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Nationale Cyber-Abwehrzentrum, die Polizei und viele andere Sicherheitsbehörden. Unabhängig davon engagiert sich das LfV Sachsen gemeinsam mit der Sächsischen Polizei und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) Sachsen e.V. in dem Präventionsangebot "Sicheres Unternehmen", einem ebenfalls kostenlosen Beratungsangebot zum Schutz der äußeren und inneren Sicherheit von Unternehmen. Unterstützt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWi) und vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) betreut das LfV Sachsen außerdem Unternehmen mit geheimhaltungsbedürftigen Aufträgen. Des Weiteren hat der Verfassungsschutzverbund gemeinsam mit anderen Behörden und Wirtschaftsverbänden die "Initiative Wirtschaftsschutz"165 weiterentwickelt. Ziel ist es, die deutsche Wirtschaft und Wissenschaft mittels eines umfassenden Schutzkonzeptes noch effektiver vor Spionageaktivitäten zu bewahren. Dies war auch das Thema der ersten digitalen Regionalkonferenz "Resilienz deutscher Unternehmen & Forschungseinrichtungen in einer vernetzten Welt bundesweit stärken!" im Mai 2021 unter Federführung des Bundesministeriums des Innern (BMI) und mit Beteiligung der ASW Sachsen sowie des LfV Sachsen. Resilienz beschreibt in Wirtschaft und Forschung die systemische Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen. Bedingt durch die Corona-Pandemie konnte das LfV Sachsen im Jahr 2021 nur sehr wenige Vorträge und Individualberatungen durchführen. Stattdessen legte das LfV den Schwerpunkt seiner Arbeit darauf, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden in anlassbezogenen Rundschreiben Informationen über aktuelle elektronische Angriffskampagnen zukommen zu lassen, verbunden mit konkreten Handreichungen für Abwehrmaßnahmen. Die vielfältigen Präventionsmaßnahmen zeigen Wirkung: Auch im Berichtsjahr gab es mehrfach Hinweise auf mögliche spionagerelevante Sachverhalte, denen das LfV Sachsen nachging. Darüber hinaus konnte es zahlreiche potenzielle Adressaten auf die Möglichkeit elektronischer Angriffe hinweisen und sie so beim Schließen von Sicherheitslücken unterstützen. 165www.wirtschaftsschutz.info Seite 215 von 255 Landesamt für Verfassungsschutz Neuländer Str. 60 01129 Dresden Telefon: 0351/8585-0 und -5333 (Wirtschaftsschutz) Fax: 0351/8585-500 E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.wirtschaftsschutz.info Seite 216 von 255 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben Geheimschutz: Geheimhaltungsgrade von Verschlusssachen - STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH Die Sicherheitsüberprüfung ermittelt, ob bei betreffenden Personen ein Sicherheitsrisiko vorliegt 57.324 Mitwirkungsanfragen im Jahr 2021 (2020: 52.832 Anfragen) Seite 217 von 255 Allgemein Der Geheimschutz gewährleistet, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen in Verschlusssachen geheim bleiben und nicht an Unbefugte gelangen. Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Die Einstufung als Verschlusssache ist unabhängig von der Form, in der die geheimhaltungsbedürftige Information vorliegt. Das Spektrum der Verschlusssachen reicht vom gesprochenen Wort über Schriftstücke und Zeichnungen bis zu elektronischen Datenträgern und technischen Einrichtungen. Sie werden je nach dem erforderlichen Schutz in die Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft. Ihre Bearbeitung wird als sicherheitsempfindliche Tätigkeit bezeichnet. Der Zugang zu Verschlusssachen und der Umgang mit ihnen sowie die Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SächsSÜG) vom 19. Februar 2004 und in der Verwaltungsvorschrift der Sächsischen Staatsregierung über die Behandlung von Verschlusssachen (Verschlusssachenanweisung - VSA) vom 4. Januar 2008 geregelt. 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüberprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben sollen, müssen sich zuvor einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Dabei wird ermittelt, ob bei der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das dem Zugang zu Verschlusssachen bzw. der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Nach der gesetzlichen Regelung (SS 5 Abs. 1 SächsSÜG) liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste oder 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Seite 218 von 255 Ein derartiges Sicherheitsrisiko in Bezug auf die zu überprüfende Person kann sich auch ergeben, wenn entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte zu anderen Personen, insbesondere Ehegatten, Lebenspartnern oder Lebensgefährten, vorliegen. Werden bei einer Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse - z. B. Straftaten, Hinweise auf übermäßigen Alkoholgenuss, Überschuldung oder Hinweise auf eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - bekannt, wird geprüft, ob sich daraus ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. Zuständig für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung ist die Behörde, bei der die sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auch für Personen in Wirtschaftsunternehmen, die im Rahmen von staatlichen Aufträgen sächsischer Behörden mit Verschlusssachen umgehen, werden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. In diesen Fällen ist die Landesdirektion Sachsen zuständig. Die Sicherheitsüberprüfung wird erst nach schriftlicher Zustimmung des Betroffenen eingeleitet. Das LfV Sachsen wirkt im Auftrag der zuständigen Stelle bei der Sicherheitsüberprüfung mit. Es überprüft die Personen und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt. In Abhängigkeit von der auszuübenden sicherheitsempfindlichen Tätigkeit gibt es verschiedene Stufen der Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 bis Ü 3). 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen Der Sabotageschutz dient dem Schutz der für das Gemeinwesen lebenswichtigen Einrichtungen. In der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur Feststellung lebenswichtiger Einrichtungen im Freistaat Sachsen (Sächsische Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung) vom 22. September 2010 (SächsGVBl. 2010 Nr. 12, S. 271) werden lebenswichtige Einrichtungen im Sinne des Sabotageschutzes benannt. Personen, die an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer lebenswichtigen Einrichtung beschäftigt werden, üben eine sog. sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach dem SächsSÜG aus und müssen sich daher einer einfachen Sicherheitsüberprüfung Ü1 unterziehen. 2. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen und gewährleistet die Einhaltung der Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung. Dazu zählen die rechtlichen Maßgaben zur Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen sowie Regelungen zu Aufbewahrung, Verwaltung, Transport und Vernichtung von Verschlusssachen. Wird ein Geheimnisverrat bekannt, ist das LfV Sachsen zu beteiligen. Das LfV Sachsen berät und unterstützt die Behörden des Freistaates Sachsen in Fragen des materiellen Geheimschutzes, damit Verschlusssachen sicher erstellt, bearbeitet und aufbewahrt werden können. Bei Wirtschaftsunternehmen, die im Auftrag sächsischer Landesbehörden tätig sind und dabei Zugriff auf Verschlusssachen haben, führt die Landesdirektion Sachsen als zuständige Stelle unter Mitwirkung des LfV Sachsen ein Geheimschutzverfahren durch. Dabei werden Sicherheitsstandards Seite 219 von 255 geschaffen, um die Kenntnisnahme von Verschlusssachen durch Unbefugte zu verhindern. Im Rahmen dieses Verfahrens berät das LfV Sachsen die Unternehmen. 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder Ausschlussgründen Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr. Auf Anfrage der zuständigen Behörden wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse zu den angefragten Personen vorliegen und ob diese gemäß den gesetzlichen Regelungen mitgeteilt werden dürfen. Im Jahr 2021 wurden vom LfV Sachsen 57.324 solcher Mitwirkungsanfragen bearbeitet. Im Einzelnen unterstützte das LfV Sachsen die Behörden bei folgenden Überprüfungen: Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) für Personen, die zum sicherheitsempfindlichen Bereich des Luftverkehrs Zutritt haben sollen 7.53 Anfragen Beteiligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vor Erteilung oder bei Verlängerung von Aufenthaltstiteln 25.610 Anfragen Beteiligung nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) bei Einbürgerungen 2.451 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe - Sprengstoffgesetz (SprengG) für Personen, die gewerbsmäßig, selbstständig im Rahmen eines wirtschaftlichen Unternehmens oder eines landoder forstwirtschaftlichen Betriebes oder bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen betreiben wollen 613 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über die friedliche Verwendung von Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG) für Personen, die beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder bei der Beförderung von radioaktiven Stoffen oder bei der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen tätig sind 117 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz (WaffG) Auf der Grundlage des Dritten Waffenrechtsänderungsgesetzes sind die Waffenbehörden seit dem 20. Februar 2020 verpflichtet, im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen auch eine Auskunft der zuständigen Verfassungsschutzbehörde einzuholen (Regelanfrage). Damit soll erreicht werden, dass Extremisten von vornherein nicht in den Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis gelangen. Zudem müssen die Verfassungsschutzbehörden auch Seite 220 von 255 im Nachhinein bekannt gewordene Erkenntnisse übermitteln (Nachberichtspflicht). Aufgrund dieser Regelanfrage gingen beim LfV Sachsen im Jahr 2021 insgesamt 18.423 Anfragen ein. Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Verordnung über das Bewachungsgewerbe Bewachungsverordnung (BewachV) Die Gewerbebehörden sind verpflichtet, im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Wachpersonen, die mit Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei Objekten, von denen im Falle eines kriminellen Eingriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann, eine Stellungnahme der zuständigen Landesbehörde für Verfassungsschutz einzuholen (Regelabfrage). Dasselbe gilt im Falle von Wachpersonen, die mit der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende oder mit der Bewachung von zugangsgeschützten Großveranstaltungen beauftragt werden sollen. Weiterhin ist die zuständige Landesbehörde für Verfassungsschutz verpflichtet, Informationen, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Wachpersonen von Bedeutung sind und die ihr erst im Nachhinein bekannt werden, an die zuständige Behörde zu übermitteln (Nachberichtspflicht). Im Jahr 2021 gingen beim LfV Sachsen insgesamt 3.057 Anfragen ein. Seite 221 von 255 V. Anhang Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen Glossar Übersicht von Verbotsmaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern bzw. durch die Innenministerien/-senate der Länder seit 1992 Abkürzungsverzeichnis Aussteigerprogramm Sachsen Seite 222 von 255 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen im Jahr 2021166 Rechtsextremismus ANTI-ANTIFA-GRUPPE ARIA / ARIA S (Liedermacherin) ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENSGEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßE LEBENSGESTALTUNG E.V. BENJAMIN GRUHN (Liedermacher) BILDUNGSWERK FÜR HEIMAT UND NATIONALE IDENTITÄT E. V. BLACK DEVILS BLUTZEUGEN (Band) BRIGADE 8 BÜRGERWEHR 360/FREITAL (bzw. Gruppe Freital) COMBAT 18 (Nachfolgebestrebungen des am 23.01.2020 vom BMI verbotenen deutschen Vereins) COMPACT-MAGAZIN GMBH DER DRITTE W EG (III. W EG) DER TOD UND DIE LANDSKNECHTE (Band) DEUTSCHE STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT MBH DIVISION ERZGEBIRGE DIE RECHTE EINZELKÄMPFER (Liedermacher) ETHOS (Band) FEINDKONTAKT PRODUKTION (Vertrieb) FEINDNAH (Band) FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FREIE KRÄFTE HOYERSWERDA (bzw. NATIONALE SOZIALISTEN HOYERSWERDA) FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN (FKMO) FREIE SACHSEN FREIGEIST E. V. (aufgelöst) FREILICHFREI (Liedermacher) FRONT776 (Band) FULL OF HATE (Band) GEFANGENENHILFE (GH) HANDSCHU (Liedermacher) HAMMERSKINS HEILIGE JUGEND (Band) HEILIGER KRIEG (Band) HERMANNSLAND-VERSAND (Vertrieb) 166 Diese Liste führt der Vollständigkeit halber sämtliche dem LfV Sachsen bekannten erwiesenen extremistischen Bestrebungen gemäß SSSS 2 und 15 des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes auf. Sie führt damit auch solche Beobachtungsobjekte auf, die im Berichtsjahr nicht oder nur sporadisch aktiv waren, sodass eine Erwähnung im Jahresbericht 2021 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt wäre. Im Hinblick auf den originär politikberatenden Ansatz des Verfassungsschutzberichtes beschränkt sich das LfV Sachsen auf die Darstellung der für das jeweilige Berichtsjahr politisch relevanten Ereignisse und Tendenzen in den einzelnen Phänomenbereichen. Es liegt im Ermessen des LfV Sachsen, hier entsprechende Prioritäten zu setzen und den Fokus auf die Beschreibung wesentlicher Beobachtungsobjekte zu richten. Seite 223 von 255 HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. (HNG) (Nachfolgebestrebungen des am 21. September 2011 verbotenen Vereins) einschließlich: GEFANGENENHILFE.INFO (GH) IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) / IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IBD) JUNGE NATIONALISTEN (JN, ehem. JUNGE NATIONALDEMOKRATEN) KAMERADSCHAFT TREUE EHRE (Band) KAOTIC CHEMNITZ KILLUMINATI (Band) KOLLEKTIV OBERLAUSITZ KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG (KPV, siehe NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS - NPD) KOPFSTEINPFLASTER LARS (LIEDERMACHER - auch SONDERKOMMANDO ELBE) LEICHENZUG (Band) LOKIS TRUHE (Vertrieb) NATION & W ISSEN (Verlag / Vertrieb) NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) NATIONALER JUGENDBLOCK ZITTAU E. V.(NJB) NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE NEW SOCIETY (NS-BOYS) NEUBEGINN (Band) ODESSA (Band) OLDSCHOOL SOCIETY (OSS) OTWIN (Liedermacher) PARANOID (Band) PC-RECORDS (Vertrieb) PECKERWOOD BROTHERHOOD PEGIDA PIATTMAR (Liedermacher) PIONIER (Band) PRIMUS (Rapper) PRO CHEMNITZ (BÜRGERBEWEGUNG PRO CHEMNITZ) PROTOTYP (Rapper) RAC'N'ROLL-TEUFEL (Liedermacher, auch SCHRATT) REVOLUTION CHEMNITZ RING NATIONALER FRAUEN (RNF, siehe NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS - NPD) SACHSENBLUT (Band) SACHSONIA (Band) SCHLESISCHE JUNGS NIESKY SCHRATT (Liedermacher, auch RAC'N'ROLL-TEUFEL) SCHWARZE DIVISION SACHSEN (Band) SELBSTSTELLER (Band) SONDERKOMMANDO ELBE (Liedermacher, auch LARS) SPÄTLESE (Band) STAHLFRONT (Band) STAHLWERK (Band) SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE THEMATIK 25 (Band) THOYTONIA (Band) TIWAZ-GEMEINSCHAFT TRUE AGGRESSION (Band) Seite 224 von 255 ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND (Band) ULTRACOCKS (Band) VOLKSNAH (Band) W. U. T. (W HITE UNITED TERROR) (Band) WEIßER RABE/DER W EIßE RABE WIR FÜR LEIPZIG REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER BUNDESSTAAT SACHSEN DIE EXILREGIERUNG DEUTSCHES REICH EXIL-REGIERUNG DEUTSCHES REICH GEEINTE DEUTSCHE VÖLKER UND STÄMME (Nachfolgebestrebungen) GEMEINWOHLLOBBY SACHSEN GEMEINWOHLKASSE DES KÖNIGREICHS DEUTSCHLAND KÖNIGLICH-SÄCHSISCHER GEMEINDEVERBUND mit WAHLKOMMISSION SACHSEN (ehemals FREIE W ÄHLERVEREINIGUNG EINIGES DEUTSCHLAND) REICHSVERBAND DEUTSCHER RECHT-KONSULENTEN STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. STUHLSCHNECKE E.V. VATERLÄNDISCHER HILFSDIENST MIT ARMEEKORPSBEZIRK V, XII UND XIX Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates DEMOKRATIEFEINDLICHE UND/ODER SICHERHEITSGEFÄHRDENDE DELEGITIMIERUNG DES STAATES BÜRGERBEWEGUNG LEIPZIG 2021 Linksextremismus ANARCHISTEN ANARCHOSYNDIKALISTISCHE JUGEND LEIPZIG (ASJL) ANTIFA RECHERCHE TEAM DRESDEN (ART DRESDEN) AUTONOME DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) DE.INDYMEDIA.ORG FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION - INTERNATIONALE ARBEITER ASSOZIATION (FAU) mit Regionalgruppen ALLGEMEINES SYNDIKAT DRESDEN, FAU-SEKTION CHEMNITZ, FAU LEIPZIG und FAU PLAUEN INTERVENTIONISTISCHE LINKE (IL) KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (KPD) KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI "Die Linke" (KPF) MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD) PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) REVOLUTION (REVO) mit Regionalgruppen in Leipzig und Dresden ROTE HILFE e.V. (RH) mit Ortsgruppen in Dresden, Leipzig und Südwestsachsen ...UMS GANZE! UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA Dresden) Seite 225 von 255 Islamismus / Jihadistischer Salafismus Islamistischer Terrorismus, insbesondere AL-QAIDA (AQ) und ISLAMISCHER STAAT (IS) MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) mit ihrer Deutschlandvertretung ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E. V. (IGD) bzw. DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V. (DMG), insbesondere: # SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT (SBS) # MARWA EL-SHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. (MKBD) SALAFISTISCHE BESTREBUNGEN, insbesondere: # ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E. V. in Leipzig # VOGTLÄNDISCH-ISLAMISCHES ZENTRUM AL-MUHADJIRIN E. V. in Plauen (AL-MUHADJIRIN-MOSCHEE) TÜRKISCHE HIZBULLAH (TH) HAMAS Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. JXK/YXK (STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN / VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN) JXK/YXK - DRESDEN KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E. V. (KON-MED) KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION (PYD) TEVGERA CIWANEN SORESGER (TCS) (Jugendorganisation der PKK) TEVGERA CIWANEN SORESGER DRESDEN (TCS) UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V. VEREINIGTE GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS (KCK) VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YPG) VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN DER FRAUEN (YPJ) VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HPG) Sonstige Phänomenbereiche Scientology-Organisation Seite 226 von 255 Glossar Antifa Der "antifaschistische Kampf" ist ein Hauptagitationsfeld von AUTONOMEN. Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen "Faschisten" und "Rassisten" in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden. Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonationalsozialisten in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt und als solche auch militante Aktionsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners. Als Gegner werden dabei auch Angehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antideutsche Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden eine Besonderheit innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene und tragen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremistischen Gefüge bei. Hauptbestandteil antideutscher Ideologie ist die bedingungslose Solidarität mit der Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk. Antideutsche sprechen sich - aus Sorge vor einem neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust - für eine massive Unterstützung des Staates Israels und des Judentums aus. Sie stehen oft positiv zu den USA als Schutzmacht Israels. Antideutsche befürchten ein Erstarken des deutschen Nationalismus und ein großdeutsches "Viertes Reich", sie lehnen daher einen deutschen Nationalstaat insgesamt ab. Im linksextremistischen Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Antifaschismus Der Begriff "Antifaschismus" wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Seite 227 von 255 Antisemitismus Antisemitismus im Rechtsextremismus Antisemitismus ist ein zentrales Ideologieelement des Rechtsextremismus und in allen seinen Äußerungsformen virulent, seien sie publizistisch, parlamentarisch oder auch aktionistisch orientiert. Antisemitismus zielt auf die Diffamierung und Diskriminierung einer behaupteten Gesamtheit "der Juden" ab. Der rechtsextremistische Antisemitismus baut insbesondere auf dem rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus auf, der das Judentum als "nichtdeutsche, fremde Rasse" definierte und diesen "Feind der eigenen Rasse" "ausmerzen" wollte. Nicht zuletzt aufgrund der strafrechtlichen Konsequenzen meiden Rechtsextremisten mittlerweile in ihrer Propaganda offenen, rassistisch motivierten Antisemitismus. Vielmehr weichen sie auf einen angedeuteten Antisemitismus aus, insbesondere durch die Behauptung eines übermäßigen politischen Einflusses von Juden (politischer Antisemitismus). Auch religiös begründeter Antisemitismus ist gelegentlich zu beobachten. Oftmals findet antisemitische Propaganda nur unterschwellig statt, u. a. durch subtil judenfeindlich gefärbte Zeitungsartikel oder Anspielungen. Rechtsextremisten nutzen die im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an der Politik Israels, um die Existenzberechtigung des Staates Israel in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels basiert auf der prinzipiellen Ablehnung des Judentums. Gleichsetzungen der israelischen Politik mit den Verbrechen an Juden im Nationalsozialismus sind ebenfalls ein gängiges Muster des antizionistischen Antisemitismus. Im Rahmen des sekundären Antisemitismus wird den Juden vorgeworfen, sie benutzten die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust als Mittel der Erpressung, um finanzielle und politische Forderungen durchzusetzen. Antisemitischen Verschwörungstheorien zufolge wird Deutschland im Rahmen einer planvollen Konspiration instrumentalisiert, um den "jüdischen Einfluss" zu vergrößern oder das Ziel der jüdischen Weltherrschaft zu erreichen. Häufig wird ein "jüdischer Einfluss" auf politische Entscheidungen der Regierungsverantwortlichen behauptet. Antisemitismus im Islamismus Zu den Feindbildern islamistischer Organisationen gehören prinzipiell der Staat Israel bzw. "die Zionisten", denen - je nach Standort im islamistischen Spektrum mehr oder weniger offen - die verschwörerische Manipulation westlicher Staaten, vor allem der USA, unterstellt wird. Die jüdische Einwanderung in Palästina, die Entstehung des Staates Israel und der seither ungelöste NahostKonflikt waren Auslöser für die Entstehung eines islamistischen Antizionismus. Dieser war und ist stark antijüdisch gefärbt, insofern auch auf die prinzipielle, nach Auffassung von Islamisten im Koran belegte und durch die islamistische Geschichtsauffassung gestützte ewige Feindschaft "der Juden" gegen die Muslime/den Islam Bezug genommen wird. Im Unterschied zum Antisemitismus deutscher Rechtsextremisten ist der islamistische Antisemitismus nicht rassistisch begründet. Auskunftsanspruch Jeder kann gemäß SS9 Abs.1 SächsVSG Auskunft über seine beim Landesamt für Verfassungsschutz zu seiner Person gespeicherten Daten erhalten. Der Auskunftsanspruch wird unter folgenden Voraussetzungen eingeschränkt, die in SS9 Abs.2 SächsVSG geregelt sind: Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung, Gefährdung von Quellen, Ausforschung des Erkenntnisstandes bzw. der Arbeitsweise des LfV, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. dem Wohl des Bundes oder eines Landes würden Nachteile bereitet, Geheimhaltungsbedürftigkeit der Daten. Seite 228 von 255 Ein Recht auf Akteneinsicht besteht nicht. Cyberangriff Mit dem Begriff "Cyberangriff" werden gezielt durchgeführte Maßnahmen mit und gegen Infrastrukturen der Informationstechnologie (IT) bezeichnet. Sie dienen entweder der Informationsbeschaffung oder sollen das angegriffene IT-System schädigen oder sabotieren. Datenschutz Zweck des Datenschutzes ist, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Der Verfassungsschutz hat daher bei seiner Aufgabenerfüllung grundsätzlich die besonderen datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Verfassungsschutzgesetze sowie - gegebenenfalls ergänzend - der allgemeinen Datenschutzgesetze zu beachten. Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird fortlaufend vom Bundesbzw. den Landesbeauftragten für den Datenschutz unabhängig geprüft. Hierzu erhalten die Beauftragten u. a. weitgehende Akteneinsicht. Mit regelmäßig erscheinenden Tätigkeitsberichten werden die parlamentarischen Vertreter und die Öffentlichkeit über das Ergebnis ihrer Überprüfungen informiert. Extremismus / Radikalismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Radikalismus" und "Extremismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei Radikalismus handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum Extremismus sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Seite 229 von 255 Extremistisch beeinflusste Organisationen Extremistisch beeinflusste Organisationen sind Vereinigungen, die von Extremisten oder auf deren Initiative hin gegründet oder von Extremisten unterwandert und erheblich beeinflusst sind, wobei der Grad der Beeinflussung unterschiedlich ist. Sie verfolgen bestimmte politische Ziele, die mit denen der Kernorganisation ganz oder teilweise übereinstimmen. Sie unterstützen die Bestrebungen der Kernorganisation dadurch: dass sie bestimmte politische Ziele verfolgen, die mit denen der Kernorganisation ganz o- der teilweise übereinstimmen, und dass sie dadurch die Bestrebungen der Kernorganisation unterstützen, dass ihre Funktionäre zu einem größeren oder kleineren Teil Mitglieder oder Anhänger der Kernorganisation sind, dass ihnen auch Personen angehören, die zwar keine Extremisten sind, aber Teilziele der Organisation verfolgen und dabei entweder den erheblichen extremistischen Einfluss nicht erkennen, oder ihn zwar erkennen, aber in Kauf nehmen, bzw. in Einzelfällen diesen Einfluss sogar zurückdrängen wollen. Extremistische Bestrebungen Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichtete Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes und Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes o- der eines Landesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen. Seite 230 von 255 Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet in der Regel subkulturelle Publikationen. In der rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Einzelpersonen und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres Gedankengutes. Das Medium verlor mit der Verlagerung der Kommunikation in das Internet sehr stark an Bedeutung. Zwar erscheinen weiterhin Fanzines, herausgegeben von zumeist langjährigen Szeneangehörigen, diese Publikationen haben jedoch eher traditionellen, nostalgischen Charakter, als dass sie der Information breiter Szenekreise dienen. FREIE NATIONALISTEN / FREIE KRÄFTE Das Konzept der FREIEN NATIONALISTEN (bzw. FREIEN KRÄFTE) wurde Mitte der 1990er Jahre von NEONATIONALSOZIALISTEN als Reaktion auf die zahlreichen Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, die zersplitterte neonationalsozialistische Szene unter Verzicht auf vereinsmäßige Strukturen ("Organisierung ohne Organisation") zu bündeln, ihre Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Ein Großteil der FREIEN NATIONALISTEN sammelte sich in rechtsextremistischen Kameradschaften. Ab Mitte der 2000er Jahre setzte ein erneuter Strukturwandel in der Kameradschaftsszene ein, der von einer weiteren Lockerung der Organisationsstrukturen gekennzeichnet war. Damit wurde das Ziel verfolgt, dem Staat noch weniger Angriffsfläche zu bieten. So existieren in Sachsen nur noch vereinzelt organisierte und eine Struktur aufweisende FREIE KRÄFTE. Freiheitliche demokratische Grundordnung Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. Seite 231 von 255 Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. G10-Maßnahme Nach dem "Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses" (Artikel 10Gesetz) ist dem LfV der Eingriff in das Grundrecht nur unter folgenden engen Voraussetzungen möglich: Die Überwachung ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltpunkte für die Planung oder Begehung bestimmter, schwerwiegender Straftaten - z. B. Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung - vorliegen. Ebenfalls zulässig ist eine Überwachung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand Mitglied einer Vereinigung ist, deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Zudem muss die Überwachung erforderlich sein, d. h. die Erforschung des Sachverhalts muss auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Die Überwachung wird nicht vom LfV angeordnet, sondern auf dessen Antrag durch den Staatsminister des Innern. Vor dem Vollzug der Anordnung muss die sog. G10-Kommission über die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahme entscheiden. Geheimschutz Der Geheimschutz umfasst alle personellen und materiellen (organisatorischen, baulichen und technischen) Maßnahmen zum Schutz von im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Unterlagen, Maßnahmen und Objekten. Der Geheimschutz sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Personeller Geheimschutz Die Verfassungsschutzbehörden wirken mit bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben, weil sie Zugang zu Verschlusssachen (VS) haben. Die Sicherheitsüberprüfung soll solche Personen aus sensiblen Bereichen fernhalten, die Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit oder an ihrem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geben oder für Ansprachen anderer Nachrichtendienste gefährdet erscheinen. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz beinhaltet organisatorische, bauliche, mechanische, elektrotechnische und informationstechnische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen (unabhängig von ihrer Darstellungsform) und von räumlichen Sicherheitsbereichen. Einer der Schwerpunkte ist die Sicherheit beim Umgang mit Informationen, die im staatlichen Interesse Unbefugten nicht zur Kenntnis gelangen dürfen. Dazu gehören insbesondere die richtige Einstufung von Dokumenten als Verschlusssachen (VS-Nur für den Dienstgebrauch, VS-Vertraulich, GEHEIM und Streng GEHEIM) sowie deren Herstellung, Aufbewahrung/Speicherung, Vervielfältigung, Weitergabe/Übermittlung und Aussonderung/Archivierung bzw. Vernichtung/Löschung. Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ wurde im November 2012 zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus, der Spionage sowie der Proliferation eingerichtet. Im Rahmen des Gremiums tauschen Sicherheitsbehörden von Bund und Seite 232 von 255 Ländern Informationen zu den genannten Phänomenbereichen aus. Dabei soll die Fachexpertise der Sicherheitsbehörden gebündelt und ein möglichst lückenloser Informationsfluss gewährleitet werden. Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Im GIZ beobachten seit 2007 sprachkundige Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder das Internet hinsichtlich islamistischer und islamistisch-terroristischer Inhalte. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das im Jahr 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird durch die dortige Zusammenarbeit erleichtert und beschleunigt. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Seite 233 von 255 Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Unter "Homegrown"-Terrorismus sind islamistische Strukturen oder Strukturansätze zu verstehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen sind zumeist in europäischen Ländern geboren und/ oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung einer islamistischen Gesellschaftsordnung für erstrebenswert. Gemeinsames Kennzeichen dieses Personenkreises ist, dass er von der pan-islamischen AL-QAIDA-Ideologie beeinflusst wird. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen macht sich islamistisches Gedankengut zu eigen und engagiert sich für islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in islamistischen / islamistisch-terroristischen Strukturen erklärt sich u. a. aus der Motivation, sich gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sogenannter großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf / "heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. Klandestine Aktionen Diese Aktionsform findet unabhängig vom Demonstrationsgeschehen Anwendung. Es handelt sich um Aktionen, bei denen es entweder zum Einsatz von Gewalt kommt bzw. es sich um herausgehobene Zielobjekte des politischen Gegners bzw. Einrichtungen des "Repressionsapparates" handelt. Taktisch setzt man dabei auf das Überraschungsmoment und die Anonymität der Akteure. Dadurch wird für die Handelnden das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Voraussetzung dafür ist allerdings ein kleiner, aber fester Personenkreis mit hohem Konspirationsgrad. Es sollen hierdurch politische Aufmerksamkeit erreicht und politischer Einfluss ausgeübt werden. Daher werden die Aktionen in der Regel auch durch Bekennerschreiben flankiert. Seite 234 von 255 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte des Bürgers sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit der Bürger darauf vertrauen kann, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen. s.a. Parlamentarische Kontrollgremien, Datenschutz Legende "Legende" bezeichnet im Sprachgebrauch der Nachrichtendienste die Verwendung ganz oder teilweise erfundener oder geänderter biographischer Daten, um den Auftrag der Nachrichtendienste zu erfüllen und für sie tätige Personen gegenüber Dritten zu schützen. Im Rahmen einer Legende werden Tarnmittel eingesetzt, insbesondere Tarnadressen, Tarnausweise und Kfz-TarnKennzeichen. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao und andere, Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, AUTONOME, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. Seite 235 von 255 Mujahidin Als Mujahidin (Plural für: "Kämpfer im Jihad") werden Islamisten bezeichnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich am "gewaltsamen Jihad" selbst beteiligen oder beteiligt haben oder für die Teilnahme am "gewaltsamen Jihad" ausbilden lassen oder bereits haben ausbilden lassen oder am "gewaltsamen Jihad" beteiligen werden, z. B. aufgrund entsprechender Äußerungen. Arabische Muslime verschiedener Nationalität stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. Nachrichtendienste Nachrichtendienste sammeln Informationen über die innere oder äußere Sicherheit eines Staates gefährdende Bestrebungen und werten sie aus. Hierbei können die Nachrichtendienste verdeckt arbeiten (vgl. nachrichtendienstliche Mittel). Die Ergebnisse der Analyse werden in Berichtsform zusammengefasst und den politischen Entscheidungsträgern sowie den Kontrollgremien zur Verfügung gestellt. Nachrichtendienste in Deutschland In der Bundesrepublik Deutschland existieren drei Nachrichtendienste: Inlandsnachrichtendienst (Verfassungsschutzbehörden: Bundesamt für Verfassungsschutz und Landesämter für Verfassungsschutz) Auslandsnachrichtendienst (BND) Militärischer Abschirmdienst (MAD) Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Sie arbeiten gemäß dem Bundesverfassungsschutzgesetz bzw. den Landesverfassungsschutzgesetzen in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammen. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder können entweder als Abteilung unmittelbar im jeweiligen Innenministerium angesiedelt oder als eigenständige Landesoberbehörde dem jeweiligen Innenministerium nachgeordnet sein. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist der Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland. Er hat die Aufgabe, im Ausland Informationen zu sammeln, die von außenoder sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind. Er wertet diese Informationen selbst aus. Neben den Kernaufgaben der Auslandsaufklärung übernimmt der BND zunehmend auch Aufgaben in der Beobachtung der international operierenden Organisierten Kriminalität, insbesondere auf den Gebieten Waffenund Technologietransfer, Geldwäsche, Menschenhandel und Rauschgiftschmuggel. Der Militärische Abschirmdienst (MAD), eine Dienststelle des Bundesverteidigungsministeriums, ist der Nachrichtendienst der Bundeswehr. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat er die Aufgabe, extremistische, sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Bestrebungen und Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr zu beobachten. Die Hauptaufgaben des MAD liegen dabei in der Abwehr von Spionageaktivitäten sowie im Aufspüren verfassungsfeindlicher Bestrebungen innerhalb der Truppe. Der MAD ist auch für die Sicherheit von Bundeswehrliegenschaften zuständig. Seite 236 von 255 Nachrichtendienste fremder Staaten In der Bundesrepublik Deutschland agieren Nachrichtendienste fremder Staaten, um Informationen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewinnen (politische, wirtschaftliche, militärische Entwicklungen und Entscheidungen). Hinsichtlich ihrer Organisation und ihrer Befugnisse sind diese Dienste in den verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgestaltet Nachrichtendienstliche Mittel Mit nachrichtendienstlichen Mitteln als Oberbegriff werden technische Mittel und Arbeitsmethoden der geheimen Nachrichtenbeschaffung bezeichnet. So darf das LfV nach SS 5 Abs. 1 SächsVSG Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dem LfV ist unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (nach SS 5 Abs. 2 Satz 2 SächsVSG) die Erhebung personenbezogener Daten und sonstiger Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere, gestattet, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können o- der dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Für die anderen Landesbehörden für Verfassungsschutz sind vergleichbare Bestimmungen in den Landesverfassungsschutzgesetzen geregelt. NADIS Das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS) ist ein Datenverbund des Bundesamtes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz. NADIS ist eine Hinweisdatei, d.h. sie dient zur Identifizierung einer Person, Organisation oder eines Sachverhaltes und dem Auffinden von Aktenfundstellen. Eine Speicherung im NADIS darf nur aufgrund der in den Verfassungsschutzgesetzen definierten gesetzlichen Regelungen erfolgen. Neue Rechte Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um eine in den 1970er Jahren in Frankreich aufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemüht. Sie beruft sich u. a. auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung "Konservative Revolution" aktiv waren. Die Aktivisten der "Neuen Rechten" beabsichtigen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden kulturellen Einfluss zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern. Opportunitätsprinzip / Legalitätsprinzip Während die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) nach der Strafprozessordnung grundsätzlich verpflichtet sind, bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen einzuschreiten (Legalitätsprinzip), gilt für die Verfassungsschutzbehörden das Opportunitätsprinzip. Hiernach steht die Entscheidung, ob wegen einer Straftat eingeschritten werden soll, im Ermessen. So kann der Seite 237 von 255 Verfassungsschutz wegen einer zu erwartenden relevanten Erkenntnissteigerung auf ein unmittelbares Einschreiten verzichten. Das Opportunitätsprinzip ist Grundlage für (oftmals jahrelang) wachsende Vertrauensverhältnisse. Diese ermöglichen dem Verfassungsschutz einen exklusiven Zugang zu Informationsquellen, seien es V-Leute oder auch Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste. Damit dies so bleibt, müssen Nachrichtendienste einen besonderen Wert auf Quellenschutz legen. Hinweisgeber sind nicht selten Straftäter oder Opfer, die Sanktionen der Täter befürchten. Im Zweifel kann ein mögliches Strafverfolgungsinteresse dem Schutz der Quelle untergeordnet werden. Dadurch, dass der Verfassungsschutz vom Strafverfolgungszwang losgelöst ist, kann er weitergehend operieren, etwa, um eine extremistische bzw. terroristische Szene näher aufzuklären oder zur Entschärfung einer Gefahrensituation, indem er versucht, einzelne Täter aus der Szene herauszulösen und als Informanten zu gewinnen, um so ferner die Strukturen der Bestrebung zu schwächen. Ohne Strafverfolgungszwang hat der Verfassungsschutz Raum für umfassende Analysen und Methodik. Im Gegensatz zur Polizei kann er "flächendeckende" Strukturerkenntnisse sammeln. Personenbezogene Daten Hierunter versteht man alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden "betroffene Person") beziehen. Als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt. Die Straftaten werden folgenden Bereichen zugeordnet: politisch motivierte Kriminalität - rechts, politisch motivierte Kriminalität - links, politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie / religiöse Ideologie167, sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. 167 Seit 2018 werden die Strafund Gewalttaten nach ausländischer (d. h. politischer) und religiöser Ideologie unterschieden. Vorher nannte sich die Rubrik "Politisch motivierte Ausländerkriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund". Auch Straftaten aus dem Extremismusbereich "Islamismus" wurden hier registriert. Seite 238 von 255 Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Quelle / Quellenschutz Im nachrichtendienstlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff "Quelle" die Herkunft einer Information. Quellen können Personen (z. B. V-Leute), aber auch Medien (z. B. Internet, Druckerzeugnisse) oder andere Behörden sein. Unter "Quellenschutz" versteht man alle Maßnahmen, die erforderlich und geeignet sind, eine nachrichtendienstliche Quelle vor einer Enttarnung und deren Folgen zu schützen. Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). siehe auch: Autonome Nationalisten, Fanzine, Kameradschaften, FREIE NATIONALISTEN / FREIE KRÄFTE, Neonationalsozialismus / Neonazismus, Skinheads Rechtsextremistische Kameradschaften (im Freistaat Sachsen) Bei Kameradschaften handelt sich um Gruppierungen, die einen abgegrenzten Personenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation besitzen, eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung aufweisen, eine zumindest rudimentäre Struktur besitzen und die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonationalsozialistischen Grundorientierung haben. Die Kameradschaften sind im Wesentlichen von zwei Formen bestimmt: # Subkulturell geprägte Kameradschaften Diese besitzen keine festen Führungsstrukturen und sind von Spontaneität und Aktionismus geprägt. Dementsprechend beschränken sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf den regionalen Bereich und oft auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Konzerten. # Neonationalsozialistische Kameradschaften Seite 239 von 255 Diese weisen klar erkennbare Führungsstrukturen auf und sind stark politisch ausgerichtet. In ihren weltanschaulichen Grundpositionen werden zunehmend antikapitalistische Elemente sichtbar. Gefordert werden ein Nationaler Sozialismus und die Volksgemeinschaft. Darüber hinaus bestehen auch kameradschaftsähnliche Strukturen, die in Sachsen u. a. unter wechselnden Bezeichnungen wie FREIE KRÄFTE, NATIONALE SOZIALISTEN etc. in Erscheinung treten. Dabei verwenden sie oft einen auf einen Ort oder eine Region hinweisenden Namenszusatz. Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus ist eine rechtsextremistisch motivierte Form der Gewaltkriminalität, die durch Androhung und Anwendung von Gewalt gegen staatliche oder gesellschaftliche Funktionsträger oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter im Rahmen längerfristiger Strategien das Ziel verfolgt, mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken bestehende Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern oder das Ziel einer ethnisch und politisch homogenen Gesellschaft durchzusetzen. Revisionismus, rechtsextremistischer Der das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von Erkenntnissen beschreibende Begriff "Revisionismus" wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Vergangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektive Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbildes, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen und Methoden. So beinhaltet die Leugnung des "Holocaust", das Ausmaß der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch das NS-Regime zu verharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente auf unseriöse Weise fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung der Ereignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutig belegen, dass die "Endlösung der Judenfrage" unzweifelhaft stattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert. Sabotageschutz Unter den Begriff fallen alle Maßnahmen zur Abwehr von Sabotage. Als Sabotage bezeichnet man die Beeinträchtigung, Beschädigung oder Zerstörung lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen wie z. B. Kraftwerke, Verkehrsverbindungen oder Kommunikationsanlagen. Die absichtliche Störung eines wirtschaftlichen oder militärischen Ablaufs dient der Erreichung eines bestimmten, oft politischen, Ziels. Vergehen werden gemäß SSSS 87, 88 des Strafgesetzbuches (StGB) geahndet. Ziel des Sabotageschutzes ist es, Einrichtungen, deren Ausfall oder Zerstörung die Gesundheit oder das Leben von großen Teilen der Bevölkerung erheblich bedrohen oder die für das Gemeinwesen unverzichtbar sind, vor möglichen Innentätern zu schützen. Unabhängig von der jeweiligen Organisationsform sollen daher besonders sicherheitsempfindliche Teile von Einrichtungen geschützt werden, die z. B. der Energieversorgung der Bevölkerung dienen oder für das Funktionieren des Gemeinwesens - z. B. Telekommunikation, Bahn, Post - notwendig sind. Das Gleiche gilt für Beeinträchtigungen von Einrichtungen, die der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte dienen. Seite 240 von 255 Salafismus Die salafistische Bewegung strebt eine Rückkehr zum Vorbild der "lauteren Vorfahren" (as-Salaf assalih) und damit zu einem fiktiven "Urislam" an. Zentrale Merkmale dieser Religionsinterpretation sind die strikte Konzentration auf Koran und Prophetentradition (Sunna) als handlungsweisende Texte, die Ablehnung aller Neuerungen, die als unvereinbar mit dem "wahren islamischen Geist" gelten, das unbedingte Bekenntnis zur Einheit Gottes (Tauhid), die Durchsetzung des religiösen Gesetzes (Scharia) sowie eine Vielzahl an Kleidungsund Verhaltensvorschriften. Viele der dabei vertretenen Ansichten sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Schwarzer Block Der sog. "Schwarze Block", vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleich der "Schwarze Block" überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme eines "Schwarzen Blocks" an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Dabei handelt es sich um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte ARBEITERPARTEI KURDISTANS. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie z. B. versuchen, hier eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden und Seite 241 von 255 sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Skinheads, rechtsextremistische Rechtsextremistische Skinheads sind immer noch ein Bestandteil des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland, auch wenn ihr Anteil und ihre Bedeutung im Vergleich zu den 1990er Jahren deutlich zurückgegangen sind. Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und häufig mehr auf Freizeitgestaltung als auf politische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen die meisten Skinheads nicht über ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Sie vertreten jedoch rechtsextremistische Anschauungen, die sich in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus zeigen. Rechtsextremistische Skinheads stellen ihre Zugehörigkeit zur "weißen Rasse" und deren angebliche Überlegenheit in den Mittelpunkt und definieren ihre Feindbilder auf diese Weise. Die rassistische Einstellung wird mit dem Schlagwort "white power" zusammengefasst. Jugendliche finden auch über die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Skinhead-Subkultur und insbesondere über die für die Szene wichtige rechtsextremistische Musik Zugang zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Gedankenwelt. Musik spielt nicht nur für die Skinhead-Bewegung eine wichtige identitätsstiftende Rolle. Texte von rechtsextremistischen Musikgruppen prägen weltanschauliche Vorstellungen, Konzerte haben eine bedeutende Rolle für den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Szene. Oft sind Musik und Konzerte Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Parteien oder Neonazis, die hierüber versuchen, Jugendliche an ihre politischen Vorstellungen heranzuführen. Weltweite Strömungen innerhalb der Skinhead-Szene mit einer gewissen szeneinternen Bedeutung sind BLOOD & HONOUR und die HAMMERSKINS, beides rassistische Bewegungen, die ein elitäres Selbstverständnis pflegen. Vor allem BLOOD & HONOUR, dessen deutscher Zweig, die BLOOD & HONOUR-DIVISION DEUTSCHLAND, im Jahr 2000 durch den Bundesinnenminister verboten wurde, trat in der Vergangenheit immer wieder durch die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten in Erscheinung. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus. Hierdurch sollen Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste gewonnen werden. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 2 Abs. 1 Nr. 2 SächsVSG zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Seite 242 von 255 Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Terrorismusbekämpfungsgesetze Durch die Anschläge des 11. September 2001 wurden neue Bekämpfungsansätze erforderlich. Mit einem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz (TBG)) wurden Anfang 2002 zahlreiche Sicherheitsgesetze der neuen Bedrohungslage angepasst. So erhielt der Verfassungsschutz das Recht, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, da diese Bestrebungen ein gefährlicher Nährboden für den wachsenden Terrorismus sind. Zur Erforschung von Geldströmen und Kontobewegungen von Organisationen und Personen, die extremistischer Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten verdächtigt werden, erhielt der Verfassungsschutz die Befugnis, bei Banken und Geldinstituten Informationen über Konten einzuholen. Ferner wurden Auskunftspflichten für Postdienstleister, Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsund Teledienstleister vorgesehen. Mit der Neufassung und Ausweitung der Vereinsverbotsgründe durch Änderung des Vereinsgesetzes wurden die staatlichen Handlungsoptionen zur Bekämpfung extremistischer Vereinigungen mit Auslandsbezug ergänzt, so dass für Ausländervereine und ausländische Vereine z. B. verhindert werden kann, dass gewalttätige oder terroristische Organisationen von Ausländervereinen in Deutschland unterstützt werden. Mit einem Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (TBEG) von Anfang 2007 wurden weitere Verbesserungen bei der Terrorismusbekämpfung geschaffen. So wurden die Auskunftsbefugnisse des Verfassungsschutzes gegenüber Banken, Geldinstituten, Postdienstleistern, Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsund Teledienstleistern praxisorientiert fortentwickelt und ergänzt. Die bewährten Befugnisse wurden erstreckt auf die Aufklärung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Inland, die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern. Die durch den Wegfall der Binnengrenzkontrollen eingeschränkte Möglichkeit der Grenzfahndung wird nunmehr kompensiert durch eine Ausschreibungsmöglichkeit im Schengener Informationssystem und eine damit notwendig verbundene Ausschreibung im nationalen polizeilichen Informationssystem INPOL, um den besonderen Gefahren internationaler extremistischer Bestrebungen und Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste zu begegnen. Des Weiteren erhielten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND) die Möglichkeit, Auskünfte über Fahrzeugund Halterdaten aus dem Zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) auch im automatisierten Abrufverfahren einzuholen. Trennungsgebot Durch das Trennungsgebot wird eine organisatorische und funktionelle Trennung von Verfassungsschutz und Polizei/Staatsschutz vorgegeben. Dies ist für das Landesamt für Verfassungsschutz in SS 1 Abs. 4 und SS 4 Abs. 3 SächsVSG geregelt. Eine solche Trennung verbietet jedoch nicht den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Dieser ist vielmehr notwendig, um trotz der Trennung effektiv arbeiten zu können. Nur durch eine Vernetzung von Nachrichtendiensten und Polizeien ist es möglich, die in der jeweiligen Rechtssphäre gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen und zu analysieren. Seite 243 von 255 Verfassungsfeindlich Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. "Verfassungsfeindlichkeit" ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der "Verfassungswidrigkeit" (siehe unten). Verfassungsschutzbehörden Das Bundesverfassungsschutzgesetz verpflichtet Bund und Länder, eigene Verfassungsschutzbehörden aufzubauen. Der Bund kam dieser Pflicht durch Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 7. November 1950 nach. Die Länder folgten alsbald. Auch in den neuen Bundesländern wurden nach der Wiedervereinigung Deutschlands schrittweise Behörden für Verfassungsschutz aufgebaut, so dass es nun 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz in Deutschland gibt. Einige Länder errichteten eigenständige Verfassungsschutzbehörden, andere wiesen die Aufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes einer Abteilung ihres Innenministeriums/-senats zu. Hierfür gelten die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder. Verfassungswidrig Umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, forderte das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von einer Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen (so z. B. die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, oder die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen) oder konkrete Anhaltspunkte von Gewicht für ein deutliches Überschreiten der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes. V-Leute Vertrauensleute, sogenannte V-Leute, sind Personen, die planvoll und systematisch zur Gewinnung von Informationen über extremistische Bestrebungen eingesetzt werden. Sie sind keine Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Für ihre Informationen werden sie in der Regel entlohnt. Die Identität von Vertrauensleuten wird besonders geschützt (s. a. Quellenschutz). Bei dem Einsatz von V-Leuten handelt sich um ein nachrichtendienstliches Mittel/Instrument. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss Seite 244 von 255 sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage beinhaltet die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. Seite 245 von 255 Übersicht von Verbotsmaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern bzw. durch die Innenministerien/-senate der Länder seit 1992 Bereich Rechtsextremismus Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Nationalistische Front" (NF) 27.11.1992 BMI "Deutsche Alternative" (DA) 10.12.1992 BMI "Deutscher Kameradschaftsbund Wilhelms21.12.1992 NI haven" (DKB) "Nationale Offensive" (NO) 22.12.1992 BMI "Nationaler Block" (NB) 11.06.1993 BY "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" 14.07.1993 BW (HVD) "Freundeskreis Freiheit für Deutschland" 02.09.1993 NW (FFD) "Wiking-Jugend e.V." (WJ) 10.11.1994 BMI "Nationale Liste" (NL) 24.02.1995 HH "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) 24.02.1995 BMI "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" (JF) 05.05.1995 BB "Skinheads Allgäu" 30.07.1996 BY "Kameradschaft Oberhavel" 15.08.1997 BB "Heide-Heim e.V." (Hamburg) mit "Heideheim 11.02.1998 NI e.V." (Buchholz) "Hamburger Sturm" 11.08.2000 HH "Blood & Honour Division Deutschland" mit 14.09.2000 BMI "White Youth" "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) 05.04.2001 SN "Bündnis nationaler Sozialisten für Lübeck" 07.03.2003 SH (BNS) "Fränkische Aktionsfront" (F.A.F.) 22.01.2004 BY "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) 09.03.2005 BR Seite 246 von 255 Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Kameradschaft Tor Berlin" (inkl. "Mädel09.03.2005 BR gruppe") Kameradschaft "Hauptvolk" (inkl. "Sturm 27") 12.04.2005 BB "Alternative Nationale Strausberger Dart-, 14.07.2005 BB Piercingund Tattoo Offensive" (ANSDAPO) "Schutzbund Deutschland" 04.07.2006 BB "Sturm 34" 26.04.2007 SN "Collegium Humanum" (CH) mit "Bauernhilfe 07.05.2008 BMI e.V." "Verein zur Rehabilitierung der wegen Be07.05.2008 BMI streitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) "Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum 31.03.2009 BMI Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) "Mecklenburgische Aktionsfront" (MAF) 28.05.2009 MV "Frontbann 24" 05.11.2009 BR "Freie Kräfte Teltow-Fläming" (FKTF) 11.04.2011 BB "Hilfsorganisation für nationale politische Ge21.09.2011 BMI fangene und deren Angehörige e.V." (HNG) "Kameradschaft Walter Spangenberg" 10.05.2012 NW "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" 19.06.2012 BB "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) 23.08.2012 NW "Nationaler Widerstand Dortmund" (NWDO) 23.08.2012 NW "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm) 23.08.2012 NW "Besseres Hannover" 25.09.2012 NI "Nationale Sozialisten Döbeln" 18.02.2013 SN "Nationale Sozialisten Chemnitz" (NSC) 28.03.2014 SN "Freies Netz Süd" (FNS) 23.07.2014 BY "Autonome Nationalisten Göppingen" 18.12.2014 BW (AN Göppingen) "Sturm 18 e.V." 29.10.2015 HE "Altermedia Deutschland" 27.01.2016 BMI (Internet-Plattform) "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT) 16.03.2016 BMI Seite 247 von 255 Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Phalanx 18" 20.11.2019 HB "Combat 18 Deutschland" 23.01.2020 BMI "Nordadler" 23.06.2020 BMI "STURM-/W OLFSBRIGADE 44" 01.12.2020 BMI Bereich Reichsbürger und Selbstverwalter Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Geeinte deutsche Völker und Stämme" 19.03.2020 BMI (GdVuSt) Bereich Linksextremismus Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "linksunten.indymedia" 14.08.2017 BMI Bereich Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) Organisation Verbot (Vollzug) Behörde am: "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) und Teilorganisationen, "Föderation der patriotischen Arbeiterund 22.11.1993 BMI Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V." (FEYKA-Kurdistan), "Kurdistan-Komitee e. V." "Kurdistan Informationsbüro" (KIB) alias "Kurdistan 20.02.1995 BMI Informationsbüro in Deutschland" "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" 06.08.1998 BMI (DHKP-C) "Türkische Volksbefreiungspartei/-Front" (THKP/-C) 06.08.1998 BMI "Mesopotamia Broadcast A/S", "Roj TV A/S" 13.06.2008 BMI "VIKO Fernseh Produktion GmbH" (Teilorganisation von Roj TV A/S) Seite 248 von 255 Organisation Verbot (Vollzug) Behörde am: "Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH"168 01.02.2019 BMI "MIR Multimedia GmbH"169 01.02.2019 BMI Bereich Islamismus "Kalifatsstaat" und 35 Teilorganisationen 08.12.2001 BMI 14.12.2001 13.05.2002 16.09.2002 "al-Aqsa e. V." 31.07.2002 BMI "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 10.01.2003 BMI "Yeni Akit GmbH" 22.02.2005 BMI Verlegerin der Europa-Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung "Anadolu'da Vakit" "YATIM-Kinderhilfe e.V." 30.08.2005 BMI "al-Manar TV" 29.10.2008 BMI "Internationale Humanitäre Hilfsorganisationen 23.06.2010 BMI e. V." (IHH) "Millatu Ibrahim" 29.05.2012 BMI "Dawa FFM" einschl. der Teilorganisationen "Inter25.02.2013 BMI nationaler Jugendverein - Dar al Schabab e. V." "an-Nussrah" 25.02.2013 BMI "DawaTeam Islamische Audios" 25.02.2013 BMI "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP) 02.04.2014 BMI (Umbenennung in "Farben für Waisenkinder e. V." am 16.10.2014) "Islamischer Staat" (IS) alias "Islamischer Staat im 12.09.2014 BMI Irak" alias "Islamischer Staat im Irak und in GroßSyrien" "Tauhid Germany" (TG) 26.02.2015 BMI "Die wahre Religion" (DWR) 25.10.2016 BMI 168 Die Vereinigung wurde mit Wirkung zum 12. Februar 2019 vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat verboten und aufgelöst. Gegen die Verbotsverfügung wurde Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben. Das Verbot ist daher bisher nicht bestandskräftig. 169 dito Seite 249 von 255 "Hizb Allah" 26.03.2020 BMI "Ansaar International e. V." und acht Teilorganisati05.05.2021 BMI onen "Deutsche Libanesische Familie e. V." 19.05.2021 BMI "Menschen für Menschen e. V." "Gib Frieden e. V."170 Anmerkung: 1. "Bremer Hilfswerk e.V." - Selbstauflösung mit Wirkung vom 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005. Das Bundesministerium des Innern hatte am 03.12.2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen den Verein eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 170 Die Vereine waren Ersatzorganisationen des "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP). Seite 250 von 255 Abkürzungsverzeichnis A ABE ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE AfD Alternative für Deutschland AJZ Alternatives Jugendzentrum Chemnitz ART Dresden ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN B BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BND Bundesnachrichtendienst BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz D DKP DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI DMG DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E.V. F FAU FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION FKD FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FKMO FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN G G 10 Artikel 10-Gesetz H HPG VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE I IB IDENTITÄRE BEWEGUNG IBD IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND IL INTERVENTIONISTISCHE LINKE IS ISLAMISCHER STAAT J JN JUNGE NATIONALISTEN Juko "Antifaschistischer Jugendkongress" JXK STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN Seite 251 von 255 K KCDK-E KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA KON-MED KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E.V. KPF KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE KPV KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG DER NPD L LfV Landesamt für Verfassungsschutz M MAD Militärischer Abschirmdienst MB MUSLIMBRUDERSCHAFT MID Military Intelligence Department MLPD MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS MPS Ministry of Public Security MSS Ministry of State Security N NJB NATIONALER JUGENDBLOCK E. V. NPD NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS NSC NATIONALE SOZIALISTEN CHEMNITZ NS Nationalsozialismus (hist.) NSBM NS-Black Metal NSU Nationalsozialistischer Untergrund P PKK ARBEITERPARTEI KURDISTANS PKK Parlamentarische Kontrollkommission PMK Politisch motivierte Kriminalität R R.A.C. Rock Against Communism RH ROTE HILFE E.V. RNF RING NATIONALER FRAUEN S SächsVSG Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen SBS SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT SSS SKINHEADS SÄCHSISCHE SCHWEIZ Seite 252 von 255 T TCS TEWGERA CIWANEN SORESGOR DRESDEN U URA Dresden UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN V V-Person Vertrauensperson Y YPG/YPJ VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN YXK VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN Seite 253 von 255 Aussteigerprogramm Sachsen Das Aussteigerprogramm Sachsen unterstützt Personen, die sich im Einflussbereich extremistischer Gruppen oder Handlungszusammenhänge befinden, sich aus diesen lösen wollen und hierfür Unterstützung benötigen. Ziel ist es, Aussteigerinnen und Aussteigern einen Neustart in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das Aussteigerprogramm Sachsen berät und begleitet darüber hinaus beispielsweise auch Familienangehörige, Freunde und Fachkräfte im Umgang mit Krisenund Konfliktsituationen. Das Aussteigerprogramm Sachsen arbeitet dabei phänomenübergreifend. Die Leistungen sind kostenfrei, anonym und vertraulich. Weitere Informationen und Kontakt: Aussteigerprogramm Sachsen Postfach 30 11 25 04251 Leipzig Tel.: 0173-9617643 E-Mail: kontakt@steig-aus.de Internet: www.steig-aus.de Seite 254 von 255 Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium des Innern und Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Gestaltung und Satz: Druck: Redaktionsschluss: 30. Mai 2022 ist Bezug: unantastbar Diese Druckschrift kann kostenfrei bezogen werden beim: Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60, 01129 Dresden Telefon: +49 351 85850 Telefax: +49 351 8585500 E-Mail: verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de Verteilerhinweis: Diese Informationsschrift wird von der Sächsischen Staatsregierung im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit Wehrhafte herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern im Zeitraum von sechs Demokratie Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf zum Schutz Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben der freiheitlichen parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zur Verwendung bei der Wahlwerbung. Grundordnung Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, diese Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden. Copyright Diese Veröffentlichung ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die des Nachdruckes von Auszügen und der fotomechanischen Wiedergabe, sind dem Herausgeber vorbehalten. Seite 255 von 255