Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2020 Seite 1 von 267 Inhaltsverzeichnis I. Verfassungsschutz in Sachsen 6 1. Gesetzlicher Auftrag 7 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes 7 1.2 Informationsgewinnung 9 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz 10 2. Kontrolle des Verfassungsschutzes 10 3. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 11 II. Aktuelle Entwicklungen in den 15 Extremismusbereichen 1. Übergreifende Betrachtung: 17 Härtetest für die Demokratie: Wie Extremisten die Corona-Maßnahmen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausnutzten 2. Rechtsextremismus 21 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 22 2.2 Personenpotenzial 24 2.3 Rechtsextremistische Parteien 29 2.3.1 DER DRITTE W EG 29 2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS 32 2.3.3 Der FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD) 40 2.4 Parteiungebundene Strukturen 45 2.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 45 2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN 53 2.4.3 Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ 57 2.4.4 Subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierungen 61 2.4.5 Rechtsextremistische Musik 65 2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 73 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 78 2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus 80 2.7 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen 83 2.7.1 Landkreis Bautzen 83 2.7.2 Stadt Chemnitz 88 2.7.3 Stadt Dresden 92 2.7.4 Erzgebirgskreis 95 2.7.5 Landkreis Görlitz 98 Seite 2 von 267 2.7.6 Landkreis Leipzig 102 2.7.7 Stadt Leipzig 104 2.7.8 Landkreis Meißen 109 2.7.9 Landkreis Mittelsachsen 110 2.7.10 Landkreis Nordsachsen 114 2.7.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 116 2.7.12 Vogtlandkreis 119 2.7.13 Landkreis Zwickau 121 2.8 Von Rechtsextremisten genutzte Immobilien 127 2.9 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem 129 Hintergrund 2.10 Ausblick 131 3. REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER 134 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 135 3.2 Strategie 135 3.3 Personenpotenzial 136 3.4 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen 137 3.5 Ausblick 141 4. Linksextremismus 142 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 143 4.2 Personenpotenzial 145 4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen 148 4.3.1 Aktionsfelder 148 4.3.2 Aktionsformen 151 4.4 AUTONOME 153 4.4.1 AUTONOME in Leipzig 157 4.4.2 AUTONOME in Dresden 169 4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 174 4.5 Anarchistische Gruppierungen 179 4.6 ROTE HILFE e.V. 182 4.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen 187 4.8 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem 188 Hintergrund 4.9 Ausblick 192 5. Islamismus 193 5.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 194 5.2 Personenpotenzial 195 5.3 Erscheinungsformen des Islamismus 196 Seite 3 von 267 5.4 Ausblick 210 6. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von 213 Gruppierungen mit Auslandsbezug 6.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 214 6.2 Personenpotenzial 214 6.3 Strukturen 215 6.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem bzw. 219 islamistischem Hintergrund 6.5 Ausblick 219 III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und 221 Wissenschaft 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten 222 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 222 2.1 Akteure und Schwerpunkte 222 2.1.1 Russische Förderation 223 2.1.2 Volksrepublik China 223 2.1.3 Nachrichtendienste sonstiger Staaten 224 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 225 2.2.1 Beschaffung von öffentlich zugänglichen Informationen 225 2.2.2 Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen 225 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche 227 Entwicklungen 2.2.4 Spionagerelevante Sachverhalte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie 228 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft 228 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 230 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und 231 Sabotageschutzüberprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen 231 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen 232 2. Materieller Geheimschutz 232 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder 233 Ausschlussgründen V. Anhang 235 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen 236 Glossar 240 Seite 4 von 267 Vereinsverbote bundesweit 259 Abkürzungsverzeichnis 263 Aussteigerprogramm Sachsen 266 Seite 5 von 267 I. Verfassungsschutz in Sachsen Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung Extremismus in Sachsen: Härtetest für die Demokratie: Wie Extremisten die CoronaMaßnahmen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausnutzten Rechtsextremismus REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER Linksextremismus Islamismus Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Information und Prävention Seite 6 von 267 Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geht von dem Grundgedanken einer streitbaren, wehrhaften Demokratie aus. Sie sieht vor, dass Angriffe von Extremisten auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv abgewehrt werden können. So können Parteien vom Bundesverfassungsgericht verboten oder von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden (Artikel 21 Absatz 2 bis 4 GG). Auch Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, können verboten werden (Artikel 9 Absatz 2 GG). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Staat entsprechende Bestrebungen oder Aktivitäten - sie werden als extremistisch oder verfassungsfeindlich bezeichnet - rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als "Frühwarnsystem" zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Die Informationsgewinnung zu den extremistischen, verfassungsfeindlichen Bestrebungen wird in den Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen vor allem in Form von Analysen zu extremistischen Organisationen und Gruppierungen dokumentiert. Nur diese werden in der Berichterstattung durch die Schriftart "KAPITÄLCHEN" dargestellt. 1. Gesetzlicher Auftrag 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Erkenntnisse zu extremistischen Bestrebungen sowie zu Terrorismus und Spionage schon weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu gewinnen. Ziel seiner Tätigkeit ist es, rechtzeitig auf Gefahren hinzuweisen, die dem freiheitlichen Rechtsstaat aus diesen Verfassungsschutz in Deutschland Bereichen drohen. Dazu erstellt er Lagebilder und Analysen, die es den Regierungen von Bund und Ländern ermöglichen, In der Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die gibt es Inlandsnachrichtendienste freiheitliche demokratische Grundordnung und die innere sowohl auf Bundesebene (Bundesamt Sicherheit einzuleiten. Dem Verfassungsschutz selbst stehen für Verfassungsschutz) als auch auf keine polizeilichen Befugnisse zu. Jedoch übermittelt er unter Ebene der Länder bestimmten Voraussetzungen seine Erkenntnisse an Polizei (Landesverfassungsschutzbehörden). und Staatsanwaltschaft, um deren Vollzugsmaßnahmen zu Die Behörden arbeiten jeweils unterstützen. selbständig, sind jedoch gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Die gemeinsam zu erledigenden Aufgaben von Bund und Aufgaben und Befugnisse des Ländern regelt das Bundesverfassungsschutzgesetz Verfassungsschutzes sind gesetzlich (BVerfSchG). Zudem gibt es für jedes Land ein eigenes genau festgelegt. Verfassungsschutzgesetz, das die Aufgaben und Befugnisse der jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörde regelt. Die Rechtsgrundlage des Verfassungsschutzes in Sachsen ist das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen" (SächsVSG)1. Dem LfV Sachsen obliegt demnach die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche 1 Das SächsVSG ist unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. Seite 7 von 267 Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, # Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, # fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Extremistische Phänomenbereiche Die Aufgabe der Spionageabwehr umfasst die in Sachsen: Abwehr der Spionage von Nachrichtendiensten Rechtsextremismus fremder Staaten gegen die Bundesrepublik REICHSBÜRGER und Deutschland. Wesentliche Angriffsziele sind die SELBSTVERWALTER Bereiche Politik, Militär, Forschung und Linksextremismus Wissenschaft sowie Wirtschaft. Das LfV Sachsen Islamismus beobachtet im Bereich Wirtschaftsschutz die Sicherheitsgefährdende und Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste, um extremistische Bestrebungen von deutsche Unternehmen und Einrichtungen vor Gruppierungen mit Auslandsbezug unberechtigtem Know-howund Informationsabfluss zu schützen. Daneben nimmt das LfV Sachsen auch sog. Mitwirkungsaufgaben wahr, bei denen es als Fachberater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Hierzu gehören der Geheimund der Sabotageschutz. So ist das LfV Sachsen u. a. beteiligt an: # Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, # der Durchführung von technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen. Ebenso bringt das LfV Sachsen seine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsaufgaben ein. So wird es durch andere öffentliche Stellen beteiligt bei # der Überprüfung von Personen, die sich um die Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wenn der Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, # gesetzlich vorgesehenen Überprüfungen von Personen, z. B. nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Atomgesetz, dem Sprengstoffgesetz, dem Luftsicherheitsgesetz sowie der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Bewachungsverordnung. Die Informationen, die der Verfassungsschutz aufgrund seines gesetzlichen Auftrages sammelt, werden analysiert, d. h. sie werden gesichtet, geprüft und bewertet. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen z. B. zur Einschätzung der Sicherheitslage, zur Vorbereitung von Vereinsund Parteiverboten oder zur Verhinderung bzw. Verfolgung von durch Extremisten, Terroristen und Spione begangenen Straftaten. Diese Analysen sind auch Grundlage für die Berichterstattung des LfV Sachsen gegenüber # dem Staatsministerium des Innern, # anderen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, Seite 8 von 267 # dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), der die Aufgaben des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der Bundeswehr wahrnimmt, # dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsaufklärung betreibt, # Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften und Polizei), # Behörden, welche die Informationen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung benötigen (z. B. für Versammlungsverbote) und # der Öffentlichkeit (z. B. durch eine entsprechende Presseund Öffentlichkeitsarbeit, Vortragsveranstaltungen oder die Veröffentlichung des jährlichen Verfassungsschutzberichtes sowie von Broschüren). 1.2 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz sammelt einen erheblichen Teil Dabei wird zwischen offenen Quellen seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. und nachrichtendienstlichen Mitteln So werden u. a. Parteiprogramme, Satzungen, unterschieden. Vorrang bei der Publikationen, Flugblätter, Internetseiten oder auch Reden Informationsbeschaffung hat immer von Funktionären ausgewertet. das mildeste Mittel. Extremisten, Terroristen und fremde Nachrichtendienste arbeiten jedoch häufig sehr konspirativ und legen ihre Ziele nicht offen dar. Dementsprechend ist der Verfassungsschutz gesetzlich ermächtigt, auch sog. nachrichtendienstliche Mittel bei der Informationsgewinnung einzusetzen. Dabei ist er jedoch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen u. a.: # der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen), d. h. Personen, die dem LfV Sachsen selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern ohne ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz erkennen zu geben, # das verdeckte Beobachten von Personen (Observation), # verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen, # die Nutzung von Tarnmitteln, mit denen die Tätigkeit des Verfassungsschutzes verborgen werden soll (z. B. Tarnkennzeichen), # die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs sowie # die Wohnraumüberwachung. Die Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs ist besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie ist in einem gesonderten Gesetz geregelt, das nach dem Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" 2 (G 10) genannt wird. Demnach dürfen u. a. der Telekommunikationsverkehr abgehört und aufgezeichnet sowie Briefe geöffnet und gelesen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass bestimmte schwere Straftaten geplant oder begangen werden bzw. wurden. Der Präsident des LfV Sachsen muss hierfür einen entsprechenden Antrag beim Staatsministerium des Innern stellen. Wenn die vom Sächsischen Landtag gewählte G 10Kommission Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahme bestätigt hat, wird sie vom Staatsminister des Innern angeordnet. 2 Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen sind unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. Seite 9 von 267 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz Polizei und Verfassungsschutz arbeiten beim Schutz von Staat und Verfassung eng zusammen. Sie sind jedoch getrennt voneinander organisiert und mit unterschiedlichen Befugnissen ausgestattet. Dieses Trennungsgebot ist in Artikel 83 Absatz 3 Satz 1 der Sächsischen Verfassung wie auch im SS 1 Absatz 4 SächsVSG verankert. Es besagt insbesondere, dass der Verfassungsschutz keiner Polizeibehörde angegliedert werden darf. Zudem gibt es untereinander keinen unbeschränkten Informationsaustausch. Auch stehen dem Verfassungsschutz Zwangsbefugnisse, wie sie der Polizei eingeräumt werden, nicht zu. Er darf also weder Personen festnehmen, durchsuchen, vorladen, vernehmen noch Wohnungen durchsuchen oder Gegenstände beschlagnahmen. Er ist auch nicht befugt, Verbote oder Auflagen auszusprechen. Der Verfassungsschutz hat vielmehr lediglich reine Beobachtungsbefugnisse. Hat der Verfassungsschutz jedoch ausreichende Erkenntnisse gewonnen, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er Polizei oder Staatsanwaltschaft. Dort wird dann selbstständig entschieden, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 2. Kontrolle des Verfassungsschutzes Das Staatsministerium des Innern (SMI) kontrolliert als Fachaufsichtsbehörde die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung durch das LfV Sachsen. Als Dienstaufsichtsbehörde wacht es zudem über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb. Außerdem finden Kontrollen statt durch: # die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages Sie kontrolliert die Tätigkeit des LfV Sachsen. Auch die Wahrnehmung der Aufsicht des Staatsministeriums des Innern über das LfV Sachsen unterliegt der Kontrolle der PKK. Seite 10 von 267 # die Kommission nach SS 3 des Sächsischen Artikel 10-Gesetz-Ausführungsgesetzes (SächsAG G 10) des Sächsischen Landtages (G 10-Kommission) Diese Kommission prüft die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10), d. h. von Maßnahmen der Brief-, Postund Telekommunikationsüberwachung. Auch Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsersuchen gegenüber auskunftsverpflichteten Unternehmen nach SS 11a Absatz 2 bis 5 sowie SS 11b SächsVSG unterliegen der Kontrolle der Kommission. # den Sächsischen Datenschutzbeauftragten Er kontrolliert die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz und prüft, ob personenbezogene Daten durch das LfV Sachsen rechtmäßig verarbeitet werden. Jeder Bürger kann sich an den Datenschutzbeauftragten wenden, wenn er der Ansicht ist, das LfV Sachsen habe ihn bei der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten in seinen Rechten verletzt. # den Sächsischen Rechnungshof Er kontrolliert die Verwendung der Haushaltsmittel des LfV Sachsen. # die Gerichte Jeder Bürger hat das Recht, gegen ihn belastende Maßnahmen des LfV Sachsen das Verwaltungsgericht anzurufen. Außerdem prüft ein Gericht bereits im Vorfeld die Zulässigkeit von Wohnraumüberwachungsmaßnahmen. # die Öffentlichkeit Durch die Medienberichterstattung wird die Tätigkeit des LfV Sachsen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erfährt damit auch auf diese Weise eine Kontrolle. # interne Prüfungen Im LfV Sachsen finden auch interne Kontrollen statt, so z. B. durch die Innenrevision, den behördlichen Datenschutzbeauftragten, den G 10-Aufsichtsbeamten sowie den behördlichen Beauftragten für den Haushalt. 3. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Der sächsische Verfassungsschutz ist kein "geheimer Gesamtgesellschaftliche Dienst", sondern ein Informationsdienstleister für die Sicherheitsvorsorge Öffentlichkeit. Er informiert demnach nicht nur Polizei, Justiz und Verwaltung, sondern beispielsweise auch # Nachrichtendienste Kommunen, Bundeswehrangehörige, Wissenschaftler # Polizei sowie die Medien und Bürger über Erkenntnisse zu # Militär extremistischen Bestrebungen. # nicht staatliche Akteure # Zivilgesellschaft Das Informationsangebot stellt einen wichtigen Präventionsbeitrag dar und soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus fördern. Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger können sich aktiv für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. Unsere Angebote: # Vorträge und Informationsveranstaltungen zu folgenden Themen: Extremismus allgemein Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Seite 11 von 267 Lagebilder zu Rechtsextremismus, REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN, Linksextremismus und Islamismus islamistische Radikalisierung Hassobjekte - Konstruktionen extremistischer Feindbilder Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet Gefahren der Wirtschaftsspionage und Proliferation # Beratung kommunaler Entscheidungsträger In Beratungsgesprächen informiert das LfV Sachsen kommunale Entscheidungsträger über regionale extremistische Bestrebungen und Aktivitäten, damit Gegenstrategien entwickelt werden können. # FORUM STARKE DEMOKRATIE Ziel des organisatorisch beim LfV Sachsen angesiedelten Forums ist die Unterstützung vor allem örtlicher staatlicher und kommunaler Entscheidungsträger bei der Bekämpfung des Extremismus. Sie sollen in die Lage versetzt werden, extremistische Bestrebungen frühzeitig und möglichst sicher zu erkennen und diesen mit gebotenen, rechtlich zulässigen Maßnahmen zu begegnen. Zudem fördert das Forum die engere Zusammenarbeit von staatlichen bzw. kommunalen und nichtstaatlichen Trägern der Extremismusprävention. Wirtschaftsschutz3 Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. # Information der Medienvertreter Die Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen erfolgt zudem über die Medien. Hierzu veröffentlicht das LfV Sachsen u. a. Medieninformationen, beantwortet Anfragen von Journalisten und informiert in Pressegesprächen und Pressekonferenzen über seine Arbeit bzw. seine Erkenntnisse in den jeweiligen extremistischen Phänomenbereichen. # Internetpräsentation Das Informationsangebot des LfV Sachsen unter der Adresse www.verfassungsschutz.sachsen.de stellt zum einen Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes vor. Zum anderen werden dort auch die Entwicklungen in den einzelnen extremistischen Phänomenbereichen aufgeführt. Der Internetauftritt beinhaltet darüber hinaus Informationen zu aktuellen Lageentwicklungen. Querverweise ermöglichen die Verbindung zu Homepages anderer Verfassungsschutzbehörden. Außerdem können vom LfV Sachsen herausgegebene Berichte und Broschüren heruntergeladen oder online bestellt werden. Es besteht auch die Möglichkeit, per e-Mail Kontakt mit dem LfV Sachsen aufzunehmen (verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de). # Sächsischer Verfassungsschutzbericht Der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht informiert die Öffentlichkeit über Ideologien, Personenpotenziale, Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen des Extremismus, über Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden der Spionage sowie über extremistisch motivierte Straftaten und den Auftrag des Verfassungsschutzes als 3 vgl. Abschnitt III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Seite 12 von 267 Frühwarnsystem. Der Bericht ist als Druckausgabe erhältlich und kann auch im Internet unter www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. # Herausgabe von Broschüren Die präventive Aufklärung der Öffentlichkeit über den Extremismus erfolgt auch durch die Herausgabe entsprechender Publikationen, die teilweise in Zusammenarbeit mit Verfassungsschutzbehörden anderer Länder erstellt und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Sie können als Broschüre bestellt oder im Internet unter www.verfassungsschutz.sachsen.de heruntergeladen werden. Alle Angebote sind kostenfrei. Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60 | 01129 Dresden Tel.: +49 351 8585-0 | Fax: +49 351 8585-500 verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de Seite 13 von 267 Organigramm des LfV Sachsen4 Das LfV Sachsen mit Sitz in Dresden gehört dem Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) an. 4 Stand: 1. Oktober 2021 Seite 14 von 267 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 1. Übergreifende Betrachtung: Härtetest für die Demokratie: Wie Extremisten die Corona-Maßnahmen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausnutzten Protestszene ist ein heterogenes politisches Sammelbecken Rechtsextremismus/REICHSBÜRGER: Instrumentalisierung der Skepsis an den Anti-Corona-Maßnahmen in Teilen der Bevölkerung für Verbreitung der verfassungsfeindlichen Zielsetzungen Zunehmende Versuche, an die gesellschaftliche Mitte anzudocken II. Linksextremismus: Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen Keine Entwicklung erkennbarer eigener Positionen gegen Corona-Maßnahmen Mobilisierung für Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner im Kontext der AntiCorona-Proteste Islamismus: Insgesamt eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten wegen des pandemiebedingten Wegfalls weicher Anschlagsziele Dennoch kam es zu einem tragischen Messer-Attentat. 2. Rechtsextremismus DER FLÜGEL als neues Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes Erneut starker Anstieg des Personenpotenzials aufgrund der FLÜGEL-Anhänger Im Zuge des Corona-Protestgeschehens: "Einsickern" rechtsextremistischer Ideologieelemente in nicht extremistische Milieus Weiter zunehmende Kommunikation über die sozialen Medien und hierdurch: Ausbau überregionaler Vernetzungen sowie hohe Reaktionsund Mobilisierungsgeschwindigkeit Zunehmende Bedeutung des Kampfsports für die Szene Gewaltbereite Kleingruppen oder sich radikalisierende Einzeltäter ohne Bindung an feste Strukturen fordern den Verfassungsschutz heraus 3. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER Leichter Anstieg des Personenpotenzials im Zusammenhang mit dem Corona-Protestgeschehen Anteil der Rechtsextremisten beträgt weiterhin rund sieben Prozent Anhaltender Trend zu einer deutlichen Ausdifferenzierung zwischen Mitläufern und ideologisch überzeugten Szeneangehörigen Erhöhtes Gefährdungspotenzial durch einzelne, verschwörungstheoretisch geprägte Reichsbürger Hohe Waffenaffinität dieser heterogenen Szene Anlegen von Vorräten und Schaffung von "Rückzugsräumen" in Erwartung des baldigen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung Seite 15 von 267 4. Linksextremismus Leichter Anstieg des Personenpotenzials Leipzig etabliert sich deutlich zu einer bundesweiten Schwerpunktregion der autonomen Szene und einem Brennpunkt linksextremistischer Gewalt Anhaltend hohes Niveau klandestiner Aktionen gegen Sachen und Personen in allen sächsischen Großstädten Konzentration auf die Themenfelder "Antirepression" und "Antigentrifizierung" Proteste gegen den politischen Gegner bei Anti-Corona-Versammlungen Schnelle Mobilisierung und bundesweite Unterstützungsnetzwerke 5. Islamismus Personenpotenzial insgesamt minimal gestiegen, im Bundesvergleich aber weiterhin auf niedrigem Niveau Bewusster Missbrauch der Religion für verfassungsfeindliche Zielsetzungen Schwerpunkte salafistischer Strukturen in Leipzig und Plauen "Wolf im Schafspelz"-Strategie legalistischer Islamisten Erstmals mutmaßlich islamistisch motivierter Anschlag in Sachsen Gefahr von Terroranschlägen bleibt abstrakt, jedoch hoch 6. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug In Sachsen ausschließlich Bestrebungen aus dem Bereich der kurdischen PKK feststellbar Personenpotenzial bei konstant ca. 160 Personen Hohes Mobilisierungspotenzial auch im linksextremistischen Spektrum Strukturelle Vernetzung mit Linksextremisten insbesondere in Leipzig und Dresden Aktivitäten der PKK maßgeblich vom Schicksal des inhaftierten PKK-Führers Öcalans und den Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet bestimmt Strafund Gewalttaten von marginaler Bedeutung Seite 16 von 267 1. Übergreifende Betrachtungen Protestszene ist ein heterogenes politisches Sammelbecken Rechtsextremismus/REICHSBÜRGER: Instrumentalisierung der Skepsis an den Anti-CoronaMaßnahmen in Teilen der Bevölkerung für Verbreitung der verfassungsfeindlichen Zielsetzungen Zunehmende Versuche, an die gesellschaftliche Mitte anzudocken Linksextremismus: Keine Entwicklung erkennbarer eigener Positionen gegen Corona-Maßnahmen Mobilisierung für Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner im Kontext der Anti-Corona-Proteste Islamismus: Insgesamt eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten wegen des pandemiebedingten Wegfalls weicher Anschlagsziele Dennoch kam es zu einem tragischen Messer-Attentat Seite 17 von 267 Härtetest für die Demokratie: Wie Extremisten die CoronaMaßnahmen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausnutzten 1. Allgemein Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie im Frühjahr 2020 beschäftigt unsere Gesellschaft ein neues politisches Phänomen: eine Protestbewegung, die sich aus immer wieder neuen Akteuren zusammensetzt. Zu ihnen gehören insbesondere die sog. "Querdenker", eine aus dem zivildemokratischen Spektrum stammende Bewegung mit diversen regionalen Ablegern. Die Mehrheit dieser Protestierenden setzte sich im Berichtsjahr aus nicht-extremistischen Personen der Zivilgesellschaft zusammen, die dem eher regierungskritischen, oppositionellen Milieu angehörten und sich hauptsächlich mittels sozialer Medien informierten. Dieses Teilnehmerfeld speiste sich dabei vorrangig aus Anhängern sog. Verschwörungstheorien, Impfgegnern, Esoterikern sowie aus Personen ohne jede politische Ideologie, die lediglich aus Unmut, Wut, aber vereinzelt auch aus Existenznöten gegen die Covid19-Beschlüsse der Regierungen protestierten. Somit konnte man die Protestszene im Jahr 2020 insgesamt als ein äußerst heterogenes politisches Sammelbecken bezeichnen, in welchem ideologisch vollkommen konträre Positionen vorzufinden waren. 2. Rechtsextremismus Es befanden sich im Berichtsjahr allerdings in zunehmendem Maße auch Rechtsextremisten und vor allem Personen, die zur Reichsbürgerszene zählten, unter den Protestlern. Die Corona-Pandemie spielte vor allem im rechtsextremistischen Diskurs eine ganz zentrale Rolle. Die Szene hatte über die sozialen Medien mit dem Ziel der Mobilisierung der Gesellschaft eine Vielzahl an Falschmeldungen, Verschwörungstheorien und Desinformationen verbreitet. Sie unternahm dabei den Versuch, die in Teilen der Bevölkerung vorhandene Skepsis an den Corona-Beschränkungen für sich zu instrumentalisieren. Indem sie die teilweise vorhandene Auffassung aufgriff, die getroffenen Schutzmaßnahmen seien unverhältnismäßig und dienten allein einer Einschränkung der Grundrechte, ging es der rechtsextremistischen Szene nicht um sachliche Kritik, sondern allein darum, das staatliche Handeln in seiner Gesamtheit zu delegitimieren. Sie bediente sich dabei eingängiger und leicht verständlicher Narrative, wie z. B. der Theorie, eine jüdische Elite habe das Virus künstlich geschaffen und die Pandemie bewusst hervorgerufen. Es handele sich um eine Biowaffe, die insbesondere alte Personen mit vorwiegend weißer Hautfarbe töten solle, um die Sozialsysteme zu entlasten. Auf diese Weise solle der schon lange geplante Bevölkerungsaustausch der weißen Mehrheitsbevölkerung zugunsten der muslimischen Einwanderer endlich umgesetzt werden. 3. Linksextremismus Linksextremisten hatten sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie intensiv mit dem Infektionsgeschehen, dessen sozialen Auswirkungen und den politischen Regulierungen beschäftigt. Dabei befanden sie sich in einer schwierigen Situation. Es war ihnen über das gesamte Jahr erkennbar nicht gelungen, anschlussfähige eigene Positionen gegen die Corona-Maßnahmen zu entwickeln. Sie reagierten ebenfalls kritisch auf die staatlichen Beschränkungsmaßnahmen. Mehrheitlich hielten Sie sich jedoch an die Corona-Schutzmaßnahmen, wenngleich eher aus basisdemokratischen Erwägungen und einem gesamtgesellschaftlichen Seite 18 von 267 Verantwortungsgefühl heraus und mitnichten aus Respekt vor dem Staat und seiner Verordnungen. Mit Blick auf die von Linksextremisten organisierten Proteste gegen Aktionen von "CoronaLeugnern" hatten sich deren Agitationsformen - die üblichen Handlungsfelder wie Antifaschismus, Antirepression und Antikapitalismus - sowie die Angriffsziele der linksextremistischen Szene nicht wesentlich geändert. Mit der Corona-Pandemie ergab sich lediglich ein weiterer Begründungszusammenhang, mit welchem Straftaten gerechtfertigt und Forderungen untermauert werden sollten. In diesem Kontext stand auch die Mobilisierung gewaltorientierter Linksextremisten, welche gezielt im Umfeld oder im Nachgang zu den AntiCorona-Demonstrationen die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, wie der Polizei oder tatsächlichen wie vermuteten Rechtsextremisten, suchten. Hierbei kam es dann wie beispielsweise in Leipzig und Dresden zu teilweise schwersten Strafund Gewalttaten. 4. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug / Islamismus Auch auf den islamistischen wie ausländerextremistischen Bereich blieb die Pandemie nicht ohne Auswirkungen: Die Verfügbarkeit von potenziellen Anschlagszielen verringerte sich durch die Covid-Beschränkungen. Vor allem weiche Anschlagsziele mit großen Menschenansammlungen oder normalerweise stark frequentierte Orte wie Konzerthallen, Bars, Festivals, Bahnhöfe oder Flughäfen fielen entweder weg bzw. aus, waren geschlossen oder wurden nur von wenigen Menschen aufgesucht. Dies schränkte die Handlungsmöglichkeiten potenzieller Attentäter ein, verringerte insgesamt jedoch nicht die Gefährdungssituation - wie die Messer-Attentate von Paris, Dresden und Nizza schmerzvoll zeigten. 5. Handelt es sich bei der Anti-Corona-Protestbewegung um eine neue extremistische Bestrebung? Nach den Veranstaltungen und Demonstrationen im Jahr 2020 konnte der Verfassungsschutz im Berichtsjahr einen eindeutigen oder prägenden Extremismusbezug nicht ausmachen. Tatsache war, dass zum Ende des Jahres hin eine beachtliche Zahl an Extremisten an den Anti-Corona-Protesten teilnahm. Akteuren der rechtsextremistischen Szene und auch der Reichsbürgerszene bot die Pandemie schließlich einen geeigneten Nährboden, um ihre staatskritische bzw. verfassungsfeindliche Haltung in die öffentliche Wahrnehmung zu rücken. Dabei versuchten sie, parteipolitisch neutrale bzw. unverfängliche Veranstaltungen für eigene Interessen zu instrumentalisieren und an den gesellschaftlichen Diskurs der bürgerlichen Mitte anzudocken. Hierzu bediente sich die rechtsextremistische Szene verschiedener Narrative bis hin zu gängigen Verschwörungstheorien. Vermeintliche Impfpflichten sowie eine unverhältnismäßige Beschneidung der Versammlungsund Meinungsfreiheit wurden in das extremistische Agitationsfeld integriert und sollten im heterogenen Teilnehmerfeld der Proteste auf ihre Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte ausgetestet werden. Die rechtsextremistischen Akteure waren sich der Wirkungsmacht einer mobilisierungsfähigen Gesellschaft grundsätzlich bewusst und deshalb darum bemüht, die Gesellschaft dahingehend zu aktivieren, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen und auf diese Weise eine neue Protestbewegung zu implementieren. Damit verfolgten sie im Jahr 2020 das vordergründige Ziel, die Bevölkerung für ihre Themen und Gruppierungen bzw. Parteien zu gewinnen. Um es aber klar zu sagen: Im Berichtsjahr bestanden keine gesicherten Anhaltspunkte dafür, dass rechtsextremistische Akteure eine dominante Rolle innerhalb der Anti-CoronaProtestveranstaltungen einnahmen. Diese wurden von ihnen weder umfassend beeinflusst noch strukturell unterwandert. Andererseits ist es unbestritten, dass krude Verschwörungsnarrative und extremistische Einstellungen im Jahr 2020 eine "unheilige" Seite 19 von 267 Allianz eingegangen sind. Gefährlich war vor diesem Hintergrund, dass innerhalb dieser heterogenen, zivildemokratischen Strukturen keine Abgrenzung zu den rechtsextremistischen Akteuren stattfand. Es wurde - wie beispielsweise auch bei den Protesten in Chemnitz im Jahr 2018 oder bei den wöchentlichen Pegida5-Veranstaltungen - als "normal" empfunden, neben Extremisten zu demonstrieren. Damit schien das Kalkül der Rechtsextremisten aufzugehen, dass aus einem Gegeneinander bei Versammlungen ein zumindest räumliches Nebeneinander erwachsen kann. Ob hieraus ein politisches Miteinander werden kann, blieb im Berichtsjahr allerdings die große Frage. 6. Ausblick/Prognose Vor dem Hintergrund, dass insbesondere größere Versammlungen mit mehreren tausend Teilnehmern regelmäßig auch gewaltbereite Spektren anziehen, die unabhängig von der eigentlichen Thematik auf Konfrontationssuche sind und Gewalt ausüben, vollzog sich im Berichtsjahr eine schleichende Radikalisierung des Corona-Protestgeschehens. Die zunehmende Gewaltbereitschaft und die gestiegenen politisch motivierten Straftaten waren ein beredtes Beispiel hierfür. Auch verbal verschärfte sich der Ton der Protestteilnehmer gegenüber dem politischen Gegner, vor allem gegenüber den polizeilichen Einsatzkräften und auch den Medienvertretern, die zunehmend körperlichen Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt waren. Mit steigenden Infektionszahlen und damit einhergehenden Verschärfungen der staatlich verordneten Schutzmaßnahmen intensivierte sich das Protestgeschehen. Dabei stellten eine abnehmende Akzeptanz der Maßnahmen innerhalb der Bevölkerung einerseits, aber auch zu erwartende wirtschaftliche und soziale Folgeschäden sowie reale Existenznöte andererseits nicht zu vernachlässigende Risikofaktoren dar, die eine Verschärfung mindestens der verbalen Radikalisierung begünstigten. Eine katalysierende Wirkung kam dabei auch den kruden, teilweise antisemitisch konnotierten Verschwörungstheorien zu, die in hoher Intensität nicht nur auf den Veranstaltungen, sondern vor allem in den sozialen Netzwerken geradezu reißerisch verbreitet wurden. Im Berichtsjahr blieb zunächst abzuwarten, ob sich hier nur eine temporäre neue "Misstrauensgemeinschaft" gebildet hatte, die aufgrund einer gesellschaftlichen Ausnahmesituation, wie sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr existierte, entstanden war und sich nach Beseitigung der Pandemie wieder von alleine auflösen, oder ob sie auf Dauer Bestand haben und ein in der Bevölkerung latent vorhandenes Protestpotenzial kanalisieren würde, das aufgrund seiner Heterogenität mit den tradierten verfassungsschutzrechtlichen Bestrebungsbegriffen nicht zutreffend bewertet werden könnte. Die Verfassungsschutzbehörden als "Frühwarnsystem" beobachten diesen Entwicklungsprozess auch über das Berichtsjahr hinaus. Letztlich hat es die Zivilgesellschaft selbst "in der Hand", ob derartige Proteste von der Mitte der Gesellschaft aufgefangen und dominiert werden oder ob sie zum Einfallstor für die verfassungsfeindliche Ideologie von Rechtsextremisten und REICHSBÜRGERN wird. 5 Pegida war im Berichtsjahr 2020 keine erwiesene extremistische Bestrebung. Seite 20 von 267 2. Rechtsextremismus Der FLÜGEL als neues Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes Erneut starker Anstieg des Personenpotenzials aufgrund der FLÜGEL-Anhänger Im Zuge des Corona-Protestgeschehens: "Einsickern" rechtsextremistischer Ideologieelemente in nicht-extremistische Milieus Weiter zunehmende Kommunikation über die sozialen Medien und hierdurch: Ausbau überregionaler Vernetzungen sowie hohe Reaktionsund Mobilisierungsgeschwindigkeit Zunehmende Bedeutung des Kampfsports für die Szene Gewaltbereite Kleingruppen oder sich radikalisierende Einzeltäter ohne Bindung an feste Strukturen fordern den Verfassungsschutz heraus Seite 21 von 267 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Auch wenn es innerhalb des Rechtsextremismus verschiedene ideologische Strömungen und Erscheinungsformen gibt, die nicht selten sogar zueinander in Widerspruch stehen, stimmen sie in folgenden Positionen grundsätzlich überein: # Rassisch definierte "Volksgemeinschaft" bzw. homogene "Kultur" als ein dem einzelnen übergeordnetes Kollektiv Rechtsextremisten streben einen Staat an, der entweder organisatorischer Ausdruck einer ethnisch-rassisch homogenen "Volksgemeinschaft" ist oder als Wahrer und Verteidiger einer ebenso homogen gedachten "Kultur" innerhalb des Staatsgebietes fungiert. Auf dieser Grundlage wird ein vermeintlich einheitlicher "Volkswille" angenommen, der von staatlichen "Führern" verkörpert und in reale Politik umgesetzt werden soll ("Völkischer Kollektivismus"). In einem solchen Staat würden wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie die Menschenrechte und das Rechtstaatsprinzip, und damit letztlich auch eine funktionierende demokratische Ordnung fehlen. # Rassismus und Fremdenfeindlichkeit In der rechtsextremistischen Szene bestehen zwei Grundmuster einer rassistischen Argumentation: Die eine Argumentationslinie bezieht sich auf den historischen Nationalsozialismus. Danach soll das deutsche Volk vor der Integration "rassisch minderwertiger Ausländer" (davon umfasst sind auch deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund) und vor einer "Völkervermischung" bzw. einem "Völkeraustausch" bewahrt werden. Es wird befürchtet, dass das deutsche Volk infolge einer "Durchmischung mit fremdem Blut" untergehe. Ein zweites Argumentationsmuster soll der Verschleierung der eigenen rassistischen Überzeugungen dienen. Man grenzt sich hier teilweise entschieden vom historischen Nationalsozialismus ab und äußert Ablehnung in Bezug auf fremde, angeblich rückständige Kulturen. Eine "eigene Identität" sei zu bewahren. Die historischen, rassisch definierten Begrifflichkeiten werden dabei ersetzt durch Worte wie "Identität", "Heimat", "Kultur" etc. Eine solche kulturrassistischen Zielrichtung verfolgt insbesondere der von den IDENTITÄREN vertretene "Ethnopluralismus"6. Auch dieser führt in letzter Konsequenz zu Abwertung, Ausgrenzung und Entrechtung von Menschen. Diese Auffassungen sind mit der verfassungsrechtlich verbürgten Menschenwürde unvereinbar. Sie kommt bedingungsund voraussetzungslos jedem Menschen zu. Rechtsextremisten machen sie indes von einer biologistisch-genetisch definierten Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" oder von einer bestimmten kulturellen Herkunft abhängig. # Antisemitismus und Muslimenfeindlichkeit Antisemitismus ist ein Merkmal nahezu aller rechtsextremistischen Strömungen. Seine Erscheinungsformen können religiöser, kultureller sowie rassistischer Ausprägung sein. In jüngster Zeit werden auch Verschwörungstheorien verbreitet, wonach z. B. die Umwälzungen im internationalen Finanzsektor oder auch die Einreise von Migranten von jüdischen "Strippenziehern" im Hintergrund gelenkt würden. Obwohl diese Theorien jeder 6 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN Seite 22 von 267 Faktengrundlage entbehren, tragen sie dazu bei, antisemitische Vorurteile zu schüren. Für Rechtsterroristen sind sie Anlass, jüdische Mitbürger als mit allen Mitteln zu bekämpfende Feinde zu sehen. Vielen Rechtsextremisten ist auch eine explizite Muslimenfeindlichkeit eigen. Muslime werden aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit als per se "gewalttätig" und "kriminell" diffamiert. Eine Daseinsberechtigung in Deutschland wird ihnen deswegen abgesprochen. # Revisionismus und Holocaustleugnung Unter rechtsextremistischem Geschichtsrevisionismus versteht man die Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Der Holocaust und andere NS-Verbrechen werden durch eine Gleichsetzung mit Handlungen der Kriegsgegner Deutschlands relativiert. Die Leugnung des an den Juden begangenen Völkermords erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung (SS 130 StGB). Von extremistisch motiviertem Gebietsrevisionismus spricht man, wenn Rechtsextremisten die deutschen Gebietsverluste als Folge der Weltkriege nicht anerkennen oder sogar - entgegen den vertraglichen Verpflichtungen, die Deutschland nach den Weltkriegen eingegangen ist - weitere Gebiete für Deutschland beanspruchen. Revisionistische Positionen bilden ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Bestrebungen. # Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus Rechtsextremisten nehmen zum historischen Nationalsozialismus häufig verherrlichende Positionen ein. Die Handlungen der Nationalsozialisten werden positiv hervorgehoben und deren Verbrechen verharmlost. NS-Funktionsträger, wie z. B. Rudolf Heß, der damalige Stellvertreter Adolf Hitlers, werden als Vorbilder dargestellt, Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime hingegen diffamiert. Auch in Sprache, Symbolik und Programmatik lehnen sich Rechtsextremisten zum Teil eng an die Zeit von 1933 bis 1945 an. Neuere Strömungen des Rechtsextremismus wenden sich hingegen entschieden vom historischen Nationalsozialismus ab. Hier beruft man sich auf die Vordenker des italienischen Faschismus und die Anhänger der "Konservativen Revolution" in der Weimarer Republik. Gleichzeitig relativiert man die NS-Zeit und negiert die Verantwortung, die sich hieraus auch für kommende Generationen in Deutschland ergibt. # Versuch der Delegitimierung von Verantwortungsträgern und Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates (Amtsund Mandatsträger, Medien, Wissenschaft etc.) Unter Rechtsextremisten kommt es vielfach zu herabsetzenden Verunglimpfungen des demokratischen Verfassungsstaates und seiner Repräsentanten. Sie verfolgen dabei das Ziel, den staatlichen Institutionen und deren Repräsentanten ihre Legitimität abzusprechen. Politiker werden dabei als unfähige und korrupte Handlanger ausländischer, insbesondere US-amerikanischer bzw. jüdischer Interessen, diffamiert. Rechtsextremisten stellen sich selbst als alleinige Wahrer der Interessen des deutschen Volkes dar und diskreditieren den politischen Gegner als "Verräter". Mit Begriffen wie "Lügenpresse" und "Volksverräter" werden Amtsund Mandatsträger bzw. Journalisten pauschal herabgewürdigt und diffamiert. Diese Wortwahl entlehnen Rechtsextremisten bewusst den Begrifflichkeiten des Nationalsozialismus. Ebenso werden wissenschaftliche Fakten, die ihre Auffassungen nicht stützen, von ihnen geleugnet. Seite 23 von 267 # Rechtsextremistischer Antiamerikanismus In der antiliberalen und antipluralistischen Weltsicht der Rechtsextremisten verkörpern die USA ein besonderes Feindbild. Die amerikanische Nation, die - einem "Schmelztiegel" ähnlich - viele Volksgruppen umfasst, steht für Rechtsextremisten in offenem Widerspruch zu ihrem Ideal einer homogenen, "rassisch" definierten "Volksgemeinschaft" bzw. einer homogen gedachten "Kultur". 2.2 Personenpotenzial Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Sachsen belief sich im Jahr 2020 auf insgesamt 4.800 Personen. Es stieg damit im Vergleich zum Vorjahr (2019: 3.400) erneut stark an. Hintergrund für diese Entwicklung ist die hohe Anzahl von Anhängern der Sammelbewegung DER FLÜGEL in Sachsen (2020: 1.400 Mitglieder). DER FLÜGEL ist ein extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD).7 Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen 5.000 4.800 4.500 4.000 3.400 3.500 3.000 2.700 2.700 2.800 2.500 2.600 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 bundesweit 2020: 33.3008 Das rechtsextremistische Personenpotenzial wird bundesweit nach seinem jeweiligen Organisationsgrad erfasst. Dieses Kategoriensystem untergliedert sich dementsprechend in die Bereiche: 1. parteigebundener Rechtsextremismus, 2. parteiungebundene rechtsextremistische Strukturen und 3. unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. 7 vgl. Beitrag II. 2.3.3 DER FLÜGEL - extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) 8 Die angegebenen Werte sind teilweise geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in den Zahlenangaben erfassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Die Gesamtzahl ergibt sich rechnerisch unter Abzug von hier bekannten Doppelmitgliedschaften. Seite 24 von 267 Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen nach Organisationsgrad gegliedert 2500 2.000 2.000 2000 1.850 1500 2019 1.030 970 1000 2020 500 415 0 Parteigebundener Parteiungebundene Unstrukturiertes Rechtsextremismus rechtsextr. Strukturen rechtsextr. Personenpotenzial Von den rund 4.800 Rechtsextremisten werden in Sachsen ca. 1.700 als gewaltorientiert eingestuft (2019: 2.000, 2018: 1.500). Zu den gewaltorientierten Rechtsextremisten zählen Personen, die Gewalt befürworten, die Anwendung von Gewalt unterstützen oder gewaltbereit bzw. als Gewalttäter in Erscheinung getreten sind. Hintergrund des Rückgangs ist die im langfristigen Vergleich sinkende Zahl der von Rechtsextremisten in Sachsen verübten Gewalttaten. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass das Berichtsjahr 2020 durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie wesentlich geprägt war. So fanden Großereignisse, welche regelmäßig rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten nach sich ziehen, nicht oder jedenfalls nicht im üblichen Umfang statt. Auch dieser Umstand wirkt sich auf die Gesamtzahl der von Rechtsextremisten in Sachsen verübten Gewalttaten aus, ohne dass aus ihm generell auf eine Verringerung der Gewaltbereitschaft geschlossen werden kann. Zum einen begehen Rechtsextremisten nach wie vor Gewalttaten, und es sind auch weiterhin Strukturen gewaltbereiter Rechtsextremisten festzustellen. Zum anderen muss konstatiert werden, dass viele Gewalttaten, die im Zusammenhang mit Anti-Corona Demonstrationen zu verzeichnen waren, bislang keinem Phänomenbereich zugeordnet werden konnten. Die Bedeutung dieser Veranstaltungen für die rechtsextremistische Szene und ggf. stattfindende Radikalisierungsverläufe, auch in den Rechtsextremismus hinein, werden sich erst mittelfristig zeigen. Gleichwohl ist aber auch im langfristigen Trend seit dem Jahr 2015 eine rückläufige Entwicklung der von Rechtsextremisten in Sachsen verübten Gewalttaten feststellbar, welche nicht auf pandemiebedingte Auswirkungen zurückgeführt werden kann (2020: 73; 2019: 66; 2018: 138; 2017: 95; 2016: 145; 2015: 201). Seite 25 von 267 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten in absoluten Zahlen9 9 Ohne Anhänger DER FLÜGEL; eine Zuordnung der Anhänger dieses extremistischen Personenzusammenschlusses in die einzelnen Landkreise bedarf einer fundierten Analyse ihres Personenpotenzials und kann daher im Bericht noch nicht erfolgen. Seite 26 von 267 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten je 10.000 Einwohner10 10 Ohne Anhänger DER FLÜGEL Seite 27 von 267 Rechtsextremistische Parteiungebundene Unstrukturiertes Parteien11 rechtsextremistische rechtsextremistisches Strukturen Personenpotenzial16 2020: ca. 1.83012 2020: ca. 97014 2020: ca. 2.000 2019: ca. 41513 2019: ca. 1.03015 2019: ca. 2.000 DER FLÜGEL NEONATIONALSOZIALISTEN 2020: ca.1.400 2020: ca. 600 2019: ca. 610 NATIONALDEMOKRATISCHE SUBKULTURELL GEPRÄGTE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) RECHTSEXTREMISTEN (in Strukturen) 2020: ca. 250 2019: ca. 250 2020: ca. 310 2019: ca. 320 JUNGE NATIONALISTEN (JN) IDENTITÄRE BEWEGUNG 2020: ca. 40 2020: ca. 40 2019: ca. 30 2019: ca. 40 DER DRITTE W EG PRO CHEMNITZ 2020: ca. 140 2020: ca. 20 2019: ca. 130 2019: ca. 15 11 Die Partei DIE RECHTE verfügt über keine Strukturen im Freistaat Sachsen. 12 einschließlich Mehrfachmitgliedschaften NPD /JN 13 einschließlich Mehrfachmitgliedschaften NPD / JN 14 einschließlich Mehrfachmitgliedschaften 15 einschließlich Mehrfachmitgliedschaften 16 Dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial werden Rechtsextremisten zugeordnet, die keiner Partei oder Organisation zugerechnet werden können, wie beispielsweise rechtsextremistische Strafund Gewalttäter. Seite 28 von 267 2.3 Rechtsextremistische Parteien 2.3.1 DER DRITTE WEG (III. WEG) Sitz Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Gründung 2013 Vorsitz Klaus ARMSTROFF Teil-/Nebenorganisationen In Sachsen: LANDESVERBAND SACHSEN, STÜTZPUNKTE: VOGTLAND, W ESTSACHSEN, MITTELLAND, MITTELSACHSEN Publikationen "National, Revolutionär, Sozialistisch", "Der Nationalrevolutionär" "Rebellische Herzen" Internetauftritte www.der-dritte-weg.info Personenpotenzial 2020 2019 Sachsen ca. 140 ca. 130 bundesweit ca. 600 ca. 580 Finanzierung Parteibeiträge, Spenden, Materialvertrieb Kurzportrait/Ziele neonationalsozialistische Grundausrichtung; agiert ausländerfeindlich und revisionistisch; Abschaffung der Demokratie zugunsten einer "kollektiven Volksgemeinschaft" Relevante Ereignisse und bestimmende Größe der parteigebundenen Entwicklungen 2020 rechtsextremistischen Szene in Sachsen, Gründung Landesverband Sachsen, überregionale Nutzung der Parteizentrale in Plauen, Demonstration am 3. Oktober in Berlin Ideologie Ideologisch orientiert sich die Partei am historischen Nationalsozialismus. Die Parteiprogramme der Partei DER DRITTE W EG und der NSDAP verbindet der biologistische Volksbegriff. Nach dem NSDAP-Programm konnte nur derjenige "Volksgenosse" sein, der "deutschen Blutes" war. Entsprechend fordert die Partei DER DRITTE W EG in ihrem Programm "die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" und die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Eine solche ethnisch-homogene Volksgemeinschaft ist nicht vereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Partei nimmt in ihren Äußerungen immer wieder Bezug auf den Nationalsozialismus. In ihrer Veröffentlichung "Der Nationalrevolutionär - Handbuch für Aktivisten unserer Bewegung" (2019) werden die ideologischen Grundzüge dargelegt und Handlungsanweisungen zum Umgang mit der politischen Arbeit sowie zum Engagement der jeweiligen Parteimitglieder formuliert. Betont wird in diesem Zusammenhang auch das demokratiefeindliche Selbstverständnis der Partei. So heißt es: "Daher muss unsere nationalrevolutionäre Bewegung vom ersten bis zum letzten Tag stets eine Bewegung von radikalen, politischen Revolutionären sein. Wir erkämpfen unsere Revolution nicht mit dem Bürgertum, sondern auf den Trümmern der morschen Welt und Moralvorstellungen desselben."17 Weiter heißt es: "Unsere Bewegung will Deutschland nationalrevolutionär verändern." Ziel der Partei ist der "fortschrittlich sozialistische und völkische Staat". Man wolle eine "völkisch geprägte Gegenkultur" aufbauen. Dazu soll die Partei nach und nach wachsen, um dann, 17 Schreibweise wie im Original Seite 29 von 267 "wenn die Masse für einen Moment den Glauben an das System [Anm.: d. h. die demokratische Verfasstheit des derzeitigen Staates] verliert, gewappnet zu sein für die Übernahme dieser Menge". Sich selbst gesteht die Partei eine gewisse Gewaltbereitschaft zu: "Wir streben also einen gewaltlosen politisch kulturellen Wechsel an. Allerdings lehnen wir nicht das uns als Vorwurf entgegengebrachte Attribut 'gewaltbereit' ab. Jeder Mensch ist ab einem gewissen Grade 'gewaltbereit', spätestens wenn es um die Verteidigung seiner selbst oder seiner Familie in einer Notwehrsituation geht, muss man bereit sein, Gewalt aus Gründen des Selbstschutzes anzuwenden." Die Partei arbeite auf den "Tag X" hin und will diesen nicht nur abwarten, sondern aktiv erkämpfen. In den Aussagen zum Selbstverständnis eines Parteimitgliedes finden sich folgende Aussagen: "Deshalb sind wir bewusst politische Soldaten" oder "Daher lautet das Gebot jedes Nationalrevolutionärs: Kämpfe!" Ihre geschichtsrevisionistische Orientierung belegt die Partei u. a. mit Gedenkveranstaltungen für die deutschen Bombenopfer, welche zur Verharmlosung der nationalsozialistischen Angriffskriege und Verbrechen instrumentalisiert werden. Strategie Die Partei versteht sich als "nationale Bewegung" mit "ganzheitliche(r) Organisation". Sie verfolgt die drei Tätigkeitsfelder "Politischer Kampf", "Kultureller Kampf" sowie "Gemeinschaft". Zum "politischen Kampf" gehören u. a. der Aufbau von Strukturen, die Durchführung von Demonstrationen und Kundgebungen, die Verteilung von Flyern und Informationsmaterial auch zu aktuellen Themen sowie der "Antritt als wahlpolitische Initiative". Um die formalen Voraussetzungen für eine Teilnahme an Landtagsund Bundestagswahlen zu erfüllen, gründete die Partei im Berichtsjahr einen Landesverband Sachsen. Der "kulturelle Kampf" bezieht sich auf die Brauchtumspflege. Der "Kampf um die Gemeinschaft" beinhaltet die Aspekte "gelebte Gemeinschaft", "Nachbarschaftshilfe", "gemeinsame Freizeitgestaltung" und "sportliche Zusammenkünfte". Gleichzeitig ist die Partei bestrebt, durch attraktiv erscheinende Angebote vor allem auf sozialem Gebiet auch Menschen außerhalb der rechtsextremistischen Szene zu erreichen und so in die gesellschaftliche Mitte hineinzuwirken: "Wir kommen unmittelbar an den Bürger heran und können unsere Botschaften direkt und ungefiltert transportieren. Wir machen auf uns aufmerksam (...) und nach innen verstärken wir das Gefühl der Stärke und Geschlossenheit", ist dementsprechend im Handbuch der Partei zu lesen. Demselben Ziel dient auch die Instrumentalisierung des Themas "Umweltschutz". So sieht die Partei in einer umweltfreundlichen Politik eine Notwendigkeit zur Erhaltung der "Substanz" des Volkes. Wesentlicher Teil der Strategie der Partei DER DRITTE W EG ist der Erwerb und der Ausbau von Immobilien. Mit dem "Parteiund Bürgerbüro" auf der Pausaer Str. 130 in Plauen wurde dieses Ziel umgesetzt. Seit der Eröffnung am 1. Mai 2019 fanden dort interne und öffentlichen Veranstaltungen der Partei statt. Sie baut damit ihre Aktionsmöglichkeiten im Freistaat Sachsen und auch bundesweit weiter aus.18 Struktur Es gelang der Partei nicht, ihre Strukturen weiter auszubauen; es erfolgte lediglich eine Umstrukturierung: So wurden die drei Gebietsverbände in Landesverbände (Sachsen, Bayern und West) mit insgesamt weiterhin 20 Stützpunkten überführt. Dem LANDESVERBAND SACHSEN, der am 1. Februar gegründet wurde, gehören die vier sächsischen STÜTZPUNKTE VOGTLAND, W ESTSACHSEN, MITTELLAND und MITTELSACHSEN an. 18 vgl. Beitrag II.7.12 Vogtlandkreis Seite 30 von 267 Nach eigenen Angaben vereint der STÜTZPUNKT VOGTLAND regional Gebiete Bayerns, Thüringens und Sachsens. Der STÜTZPUNKT MITTELLAND umfasst die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland. Der STÜTZPUNKT WESTSACHSEN als Aktionsraum schließt das Gebiet Erzgebirge sowie die Städte Zwickau, Chemnitz und deren Umland ein. Der STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN umfasst das Gebiet Mittelsachsen.19 Die Zahl der Mitglieder hat sich im Freistaat Sachen, aber auch bundesweit nur geringfügig erhöht. Aktivitäten Umstrukturierung Mit der Gründung des Landesverbandes Sachsen schaffte die Partei die erforderlichen strukturellen Voraussetzungen, um künftig an Landtagsund Bundestagswahlen teilnehmen zu können. Hierbei strebt die Partei nicht den Wahlerfolg, sondern den Erhalt des Parteienstatus und die bundesweite Erhöhung ihres Bekanntheitsgrades an. Im Jahr 2020 fanden von den geplanten Veranstaltungen der Partei nur wenige statt. Grund hierfür waren die Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Öffentliche Veranstaltungen Mitglieder der Partei nahmen an Versammlungen der "Querdenken"-Bewegung in Leipzig und Dresden teil. Die Partei stellt die von der Pandemie ausgehende Gefahr als Hysterie dar. Sie sieht den Staat als vermeintlichen Versager und inszeniert sich selbst als "Kümmerer von Nebenan". Mit ihrem sog. "10-Punkte Programm" bietet sie die Lösung zur Beendigung der Corona-Krise an. "Es wird Zeit für politische Alternativen, denn Fakt ist: Das System ist gefährlicher als Corona!". Die Demonstration unter dem Motto "Ein Volk will Zukunft! Heimat bewahren! Überfremdung stoppen! Kapitalismus zerschlagen!" am 3. Oktober in Berlin mit 320 Teilnehmern stellte im Berichtsjahr den Höhepunkt der Aktivitäten dar. Erstmals fand diese Demonstration in Berlin statt, nachdem die für den 1. Mai in Erfurt geplante Demonstration coronabedingt ausfallen musste. Die Partei selbst bewertete diese Demonstration in der Bundeshauptstadt als Erfolg, da "(...) die römische III nun auch in der Hauptstadt und darüber hinaus immer mehr Deutschen ein Begriff ist." Darüber hinaus fanden weitere öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, wie Kundgebungen, Informationsstände und Verteilaktionen statt.20 Sie dienten vor allem auch der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls der Mitglieder und Anhänger. Dabei legt die Partei stets Wert auf die formal korrekte Durchführung ihrer Aktionen. Andere bundesweit organisierte soziale Kampagnen (z. B. "Deutsche Winterhilfe", "Kein Applaus für Tierquälerei!" und "Tierfutter statt Böller") haben das Ziel, die Partei weiter bekannt zu machen und neue Parteimitglieder zu werben. Auch möchte sich die Partei durch solche - vorgeblich soziale - Aktivitäten ein Image als "Kümmerer" geben und von ihrer neonationalsozialistischen Grundhaltung ablenken. Das "Heldengedenken" zum Volkstrauertag ist für die Partei ein wichtiger Termin, der vor allem der Verbreitung ihres revisionistischen und kriegsverherrlichenden Verständnisses der deutschen Geschichte dient. So fand am Volkstrauertag unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden!" Aktionen der einzelnen Stützpunkte, wie Kranzniederlegungen und die Pflege von Gräbern, statt. 19 vgl. Beiträge II.2.7.12 Vogtlandkreis, II.2.7.13 Landkreis Zwickau und II.2.7.9 Landkreis Mittelsachsen 20 vgl. Beiträge II.2.7.13 Landkreis Zwickau, II.2.7.9 Landkreis Mittelsachsen, II.2.7.6 Landkreis Leipzig und II.2.7.12 Vogtlandkreis Seite 31 von 267 Nicht öffentliche Veranstaltungen Coronabedingt fand im Berichtsjahr kein Bundesoder Landesparteitag statt. Die Partei organisierte interne, gemeinschaftsbezogene Veranstaltungen. Sie dienen der Festigung der "inneren Gemeinschaft", aber auch der Propagierung der parteieigenen Ideologie. So richtete die Partei regelmäßig Mitgliederversammlungen sowie Schulungsveranstaltungen für Mitglieder und Führungspersonen aus. Weiterhin bot die schon seit 2018 bestehende Arbeitsgruppe "Körper & Geist" Selbstverteidigungskurse für Parteimitglieder, aber auch für Kinder und Frauen, an. Tendenzen und Bewertung Die Partei DER DRITTE W EG ist weiterhin die aktivste erwiesene rechtsextremistische Parteistruktur in Sachsen. Das Ziel, die Strukturen weiter auszubauen, wurde im Berichtsjahr allerdings verfehlt. Die Mitgliederzahlen stagnieren. Das Veranstaltungsniveau konnte aufgrund der Corona-Maßnahmen nicht beibehalten werden. Um den Parteienstatus aufrechtzuerhalten, verfolgt der Landesverband Sachsen das Ziel, mit einer von Tony GENTSCH angeführten Landesliste an der Bundestagswahl teilzunehmen. Die bereits für den 1. Mai 2021 angemeldete Demonstration in Zwickau dürfte deshalb u. a. als Partei-Wahlwerbeveranstaltung genutzt werden. Neben der Teilnahme an Wahlen ist davon auszugehen, dass die Partei nach dem Wegfall coronabedingter Einschränkungen auch wieder eine Vielzahl an Veranstaltungen, so beispielsweise das Kampfsportevent "Jugend im Sturm" am 3. Juli, durchführen wird. Durch die öffentlichkeitswirksamen Aktionen verfolgt die Partei eine Anschlussstrategie an die gesellschaftliche Mitte und wirbt mit Sozialaktivitäten und Jugendpflege um neue Mitglieder sowie um Akzeptanz in der Bevölkerung. Auch weil das Vorzeigeobjekt, die sog. Parteizentrale "P130" 21, in Sachsen liegt, haben die sächsischen Stützpunktmitglieder auch bundesweit ein hohes Gewicht. 2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Gründung / Sitz: 1964 / Berlin Vorsitz Bund: Frank FRANZ Vorsitz Sachsen: Peter SCHREIBER Teil-/Nebenorganisationen: JUNGE NATIONALISTEN (JN) RING NATIONALER FRAUEN (RNF) KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG DER NPD (KPV) LANDESVERBAND SACHSEN NPD-KREISVERBÄNDE - BAUTZEN-GÖRLITZ-NIEDERSCHLESIEN - CHEMNITZ-MITTELSACHSEN - DRESDEN - ERZGEBIRGE - LEIPZIG STADT UND LAND - MEISSEN - NORDSACHSEN - SÄCHSISCHE SCHWEIZ-OSTERZGEBIRGE - ZWICKAU-VOGTLAND Publikationen / Internetauftritte: * DEUTSCHE STIMME 21 "P130" steht für Pausaer Straße 130 in Plauen, die Anschrift des Parteiund Bürgerbüros. Seite 32 von 267 * Homepage des NPD-LANDESVERBANDES * YouTube-Kanäle des Landesverbandes (Blickpunkt Sachsen TV) und einzelner Kreisverbände * Facebook-Seite des Landesverbandes * Facebook-Seiten der Kreisverbände * Instagram und Twitter Accounts des Landesverbandes und einzelner Kreisverbände * Telegram-Kanal des Landesverbandes Personenpotenzial: 2020 2019 Sachsen ca. 250 ca. 250 bundesweit 3.500 ca. 3.600 Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, staatliche Parteienfinanzierung Kurzportrait/Ziele Die NPD ist die älteste aktive rechtsextremistische Partei. Sie will die Demokratie beseitigen und einen Nationalstaat errichten, in welchem von ihr so verstandene ethnisch Nichtdeutsche von der politischen Willensbildung ausgeschlossen sind. Eine solche ethnisch definierte "Volksgemeinschaft" verletzt die Menschenwürde. Auch ihre rassistische, revisionistische, antisemitische und fremdenfeindliche Grundhaltung weist eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Die Parteistrukturen erodierten weiter. 2020 Im Berichtsjahr waren folgende Entwicklungen und Ereignisse zu verzeichnen: * Verlagerung der Parteiaktivitäten aufgrund der Corona-Beschränkungen in die sozialen Medien * Landesparteitag im Januar 2020 * Veranstaltungen gegen Corona-Beschränkungen * Sommerfest der NPD in Riesa * Kampagnen "Schafft Schutzzonen" und "Migration tötet" mit Schwerpunkt im Landkreis Mittelsachsen Ideologie Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung über den Antrag eines Parteiverbots vom 17. Januar 2017 die Verfassungsfeindlichkeit der NPD fest. Danach verletzt der von der NPD vertretene Volksbegriff die Menschenwürde, indem er den sich hieraus ergebenden Achtungsanspruch der Person negiert und zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle führt, die nicht der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" in ihrem Sinne angehören. Das Politikkonzept der NPD ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Migranten, religiöse und sonstige Minderheiten) gerichtet. Auch missachtet die NPD das Demokratieprinzip. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat in ihrem Sinne ist für eine Beteiligung so verstandener ethnisch Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Die NPD tritt für die Abschaffung des bestehenden parlamentarischSeite 33 von 267 repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am ehemaligen Deutschen Reich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten orientierten Staat ein. Die Partei weist durch ihr Konzept der "Volksgemeinschaft", ihre antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Hinzu kommen ihr Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der Partei mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Vorstellung einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" - unvereinbar mit Grundrechten Drehund Angelpunkt der Ideologie der NPD ist ein ethnischer Volksbegriff, welcher auf der Herstellung der "nationalen Identität" in Form eines ethnisch homogenen Volkes - als "Volksgemeinschaft" bezeichnet - basiert. In einem in der DEUTSCHEN STIMME (November 2019) verbreiteten Positionspapier des Parteivorstandes wird dazu ausgeführt: "Daß der thematische Markenkern der NPD, also der aus unserem ethnischen Volksverständnis resultierende Kampf gegen Überfremdung und Heimatverlust, auch unter einen neuen Namen weiterzuführen ist, muß hoffentlich nicht extra betont werden." 22 Die NPD verwendet den Begriff "Volksgemeinschaft" im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Die historischen Nationalsozialisten definierten ihn als "die auf blutmäßiger Verbundenheit, auf gemeinsamem Schicksal und auf gemeinsamem politischem Glauben beruhende Lebensgemeinschaft eines Volkes, der Klassenund Standesgegensätze wesensfremd sind". Die NPD versteht diese "Volksgemeinschaft" als eine annähernd "ethnisch homogene" Gruppe von Menschen, die aufgrund "gemeinsamer Sprache, Geschichte, Kultur, Schicksal etc." entstehe. Ausgrenzender Charakter der "Volksgemeinschaft" - Missachtung des Demokratieprinzips - Die Partei fordert einen durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat. Die "Volksgemeinschaft" sei eine Voraussetzung für die "Volksherrschaft", in welcher eine Beteiligung von "Nichtdeutschen" am politischen Willensbildungsprozess ausgeschlossen ist. Der sächsische NPD-Funktionär Jürgen GANSEL bestätigte in der mündlichen Verhandlung während des Verfahrens zum Antrag auf ein Verbot der Partei, dass die "Volksherrschaft" an das ethnische Staatsvolk gebunden sei. Im Parteiprogramm der NPD heißt es dazu: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit; diese endet dort, wo die Gemeinschaft Schaden nimmt. Der Staat hat die Fürsorgepflicht für alle Deutschen." Dies bedeutet, dass nur derjenige, welcher nach dem ethischen Verständnis der NPD der "Volksgemeinschaft" zugehörig ist, in den Genuss der Grundrechte und des Schutzes des Staates kommt. Der ausschließende Charakter einer solchen "Volksgemeinschaft" führt zu einer mit Art. 20 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz unvereinbaren ethnischen Verengung des Anspruchs auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung. Ausgrenzung, Verächtlichmachung von gesellschaftlichen Gruppen - Verletzung der Menschenwürde Nach Vorstellung der NPD bestimmt sich der Wert eines Menschen nach seiner Zugehörigkeit zu einer Ethnie bzw. Rasse. Die pauschalen Diffamierungen von Flüchtlingen als "Kriminelle", 22 Schreibweise wie im Original Seite 34 von 267 "Asylbetrüger", "Sozialschmarotzer", "Scheinflüchtlinge" und "Invasoren" sowie die Darstellung eines "Volkstodes" durch "Masseneinwanderung" zeigen, dass Angehörige anderer Völker als minderwertig sowie als Bedrohung für die Existenz des deutschen Volkes eingeschätzt werden. "Für den Widerstand gegen die Massenzuwanderung gibt es viele rationale Gründe. Zu nennen sind der drohende Heimatverlust durch die Landnahme fremder Menschenmassen, die Ausnutzung des Sozialstaates [...], der massive Gewaltund Kriminalitätsimport [...]", so der sächsische NPD-Funktionär Jürgen GANSEL. Auch andere Aussagen spiegeln die in der NPD verbreitete Darstellung von Ausländern als minderwertig und der eigenen Ethnie als angebliche "Elite" wider: "Die Grundlagen unserer ethnischen Exklusivität, unseres geistig-kulturellen Erbes, aber auch unserer wissenschaftlich-technischen und damit wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sind in Gefahr [...] Die Leistungsgesellschaft braucht Leistungsträger. Leistungsträger finden sich aber vermehrt in den zentraleuropäischen Völkern, nicht bei den afrikanischen Hottentotten. Begabungen und Intelligenz sind nun einmal ungleich verteilt - und das deutsche Volk ist eines der begabtesten Völker in der Welt. Für unsere Begabungen haben wir uns auch nicht zu schämen! Im Gegenteil! Deshalb darf es keine Zuwanderung von Dummen und Primitiven in unser Land geben [...]." Auch die gesellschaftliche Rolle von Frauen wird vor diesem Hintergrund definiert: "Die Frau sieht ihre Selbstverwirklichung darin, Schicksalsgefährtin des Mannes, Hüterin des Heimes, der Sitte und der Kultur und Bewahrerin des rassischen Erbes zu sein. Das darf man heute ja da schon wieder nicht sagen mit dem rassischen Erbe, weil ja Multi-Kulti heute propagiert wird, aber deswegen ist es für uns ganz besonders wichtig, unser Blut rein zu halten." Den im Grundgesetz verankerten Grundrechten der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz setzt die Partei mit ihrem Verlangen nach "Reinhaltung der Rasse" zum Schutze der "deutschen Volkssubstanz" rassistisch geprägte Forderungen entgegen. Damit wird Bezug auf das rassistische Weltbild des historischen Nationalsozialismus genommen. Historischer Nationalsozialismus als Ideal der NPD Die NPD verharmlost und rechtfertigt Geschehnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus und sieht ein Vorbild in der NSDAP. So leugnet sie die Verantwortung Deutschlands für den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Angriff auf Polen habe "auf jeden Fall der Abwehr einer deutlich angezeigten militärischen Bedrohung gegen das Reich" gedient. Hinsichtlich des millionenfachen Massenmordes an den europäischen Juden spricht die NPD in ihrem Zentralorgan verharmlosend von "Fehlentwicklungen" im sog. "Dritten Reich". Der damalige stellvertretende Bundesvorsitzende Karl RICHTER rühmte in einem Thesenpapier zur künftigen Positionierung der NPD aus dem Jahr 2011 die NSDAP: "Im Gegensatz zu uns war die NSDAP in Stil, Auftreten und Methoden eine ultramoderne Massenpartei, die es damit konkurrenzlos erfolgreich in die Mitte des Volkes schaffte. Dort müssen wir auch hin!" Die NSDAP hat damit nicht nur in Bezug auf ihre Ideologie, sondern auch in strategischtaktischen Fragen offenkundig eine Vorbildfunktion für die NPD. So zeigen die Parallelen zur NSDAP-Programmatik, wie das Streben nach einer "Volksgemeinschaft" und die positive Bezugnahme auf die NS-Herrschaft, dass sich die NPD am sog. "Dritten Reich" orientiert. Ergänzend zu den o. a. Darlegungen des Bundesverfassungsgerichtes 23 wird somit die Orientierung am historischen Nationalsozialismus auch bei anderen Aktivitäten der NPD deutlich. 23 Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13 Seite 35 von 267 Strategie Die NPD sah sich Ende 2019 gezwungen, auf einem Bundesparteitag in Riesa eine Entscheidung über ihre weitere strategische und thematische Ausrichtung zu fällen. Der neu gewählte Bundesvorstand, welcher sich nicht wesentlich personell veränderte, wurde beauftragt, ein Konzept für die strategische Neuausrichtung der Partei zu erarbeiten. Dieses sollte neben thematischen und strategischen Neujustierungen auch die Frage nach einer Umbenennung beinhalten. Dies stieß jedoch bereits bei den Mitgliedern auf Widerstand. Bisher wurden lediglich die angekündigten Neuerungen zum medialen Erscheinungsbild der Partei umgesetzt. Die Parteizeitung DEUTSCHE STIMME (DS) wird seit April 2020 als Magazin veröffentlicht, zuvor erschien diese nur im Zeitungsformat. Ebenfalls wurde im Berichtsjahr ein Studio von DS-TV eingerichtet. Dort werden nach eigener Aussage "deutlich professioneller bestimmte Formate wie moderierte Reportagen sowie Interviewund Diskussionssendungen" produziert. Im Freistaat Sachsen kämpft die NPD seit ihrem Ausscheiden aus dem sächsischen Landtag im Jahr 2014 um ihre politische Existenz. Die Wahlergebnisse zur Kommunalund Landtagswahl in Sachsen im Jahr 2019 entsprachen nicht den Erwartungen der Parteifunktionäre. So erreichte die Partei bei der Landtagswahl 2019 gerade einmal 0,6 Prozent der Stimmen und lag damit sogar unter der Hürde der Wahlkampfkostenerstattung. Außerdem reduzierte sich ihre kommunalpolitische Präsenz im Ergebnis der Kommunalwahlen 2019 von 62 auf 16 Mandate. Aktivitäten Landesparteitag der NPD Sachsen Am 18. Januar fand "im nördlichen Sachsen" der 24. ordentliche Landesparteitag der NPD statt, auf dem der Landesvorstand gewählt wurde. Nach einer Internetmeldung der NPD Sachsen sollen die Delegierten zudem "der Einigung der Deutschen mit Gründung des zweiten Deutschen Reiches am 18. Januar 1871" gedacht und mit einem "Entschließungsantrag" ihre Solidarität mit den deutschen Bauern zum Ausdruck gebracht haben. Darin fordern sie bei der Sächsischen Staatsregierung eine "nationale Agrarund Landwirtschaftspolitik" statt "forcierten globalen Freihandel". Sowohl der kommissarische Landesvorsitzende Peter SCHREIBER als auch der ehemalige Vorsitzende Jens BAUR sollen sich für den Neustart der Partei ausgesprochen haben, der auf dem letzten Bundesparteitag in Riesa (Lkr. Meißen) beschlossen worden war. Die Delegierten wählten dem Internetbericht zufolge Peter SCHREIBER "einstimmig" zum Landesvorsitzenden der Partei. Als Stellvertreter wurden der ehemalige NPDLandesvorsitzende Mario LÖFFLER sowie der Landesvorsitzende der JUNGEN NATIONALISTEN (JN), Maik MÜLLER, gewählt. Den Vorstand komplettieren zehn Beisitzer. Im Zusammenhang mit der Vorstellungsrede von Maik MÜLLER, "Organisator und spiritus rector des alljährlich stattfindenden Dresdner Trauermarsches", habe der Pressesprecher der NPD Jürgen GANSEL die "geschichtspolitische Debatte um den von ihm geprägten Begriff des 'Bombenholocausts'" ins Gedächtnis gerufen. 2005 hatte die NPD nach eigenen Aussagen "zum 60. Jahrestag des Terrorbombardements die argumentative Auseinandersetzung mit den Landtagsparteien gesucht". Damit sorgte die NPD damals für einen Eklat im Sächsischen Landtag. Ein Signal für eine Neuausrichtung der Partei ging aus der Zusammensetzung des neuen Landesvorstandes zumindest nicht hervor. Es handelt sich, abgesehen von wenigen Ausnahmen, um jene Funktionäre, die auch bisher den Kurs der Partei in Sachsen geprägt haben. Damit blieb der Rücktritt des bisherigen Landesvorsitzenden Jens BAUR im Jahr 2019 die einzige Konsequenz, welche der NPD-Landesverband aus seiner Wahlniederlage zur Landtagswahl zog. Seite 36 von 267 Sommerfest der NPD Sachsen Das alljährliche Sommerfest der NPD fand im Berichtsjahr in Riesa auf dem Gelände der DEUTSCHEN STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT MBH statt. Der Landesvorsitzende Peter SCHREIBER rief das Fest als "unseren eigenen Tag der Sachsen" aus, nachdem der offizielle "Tag der Sachsen" aufgrund der aktuellen Corona-Beschränkungen ausgefallen war. "Wir wollen freie Deutsche sein!" war der Tenor des diesjährigen Festes. An der Veranstaltung beteiligten sich ca. 90 Personen, darunter auch tschechische Anhänger der rechtsextremistischen "Arbeiterpartei der sozialen Gerechtigkeit" (DSSS). Deren Vorsitzender Tomas VANDAS trat als Gastredner auf. Des Weiteren referierten NPD-Kreisrat Stefan HARTUNG sowie der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Mario LÖFFLER. Aktionsgeschehen gegen Corona-Beschränkungen Das Aktionsgeschehen der NPD im Berichtsjahr fokussierte sich im Wesentlichen auf Veranstaltungen gegen die Corona-Beschränkungen. Die Corona-Krise wird dabei zur offenen Agitation gegen die Maßnahmen von Politik und Verwaltung aber auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung genutzt. Gleichzeitig wurde seitens der NPD sowohl bei den eigenen Anhängern als auch in Teilen der gesellschaftlichen Mitte ein Klima der Angst vor übermäßigen staatlichen Eingriffen sowie vor den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen der Maßnahmen geschürt. Mit dieser Agitation zielte die NPD darauf ab, ihre aus der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 herrührende Annäherung bzw. Kooperation mit nicht extremistischen Milieus und Gruppierungen fortzusetzen. Gleichzeitig versuchte sie, die Maßnahmen der Exekutive zur Eindämmung der Pandemie mit ihrer rechtsextremistischen, verfassungsfeindlichen Ideologie zu verurteilen und diese damit auf subtile Art und Weise bei der protestierenden Bevölkerung zu verbreiten. So konnten zu diesem Thema namhafte Protagonisten der NPD wie Stefan HARTUNG, zahlreiche Kundgebungen mit jeweils mehreren Hundert Teilnehmern insbesondere aus der gesellschaftlichen Mitte durchführen. HARTUNG stellte sich dabei als überparteilicher Akteur im Sinne der großen Sache der "Wiederherstellung einer freiheitlichen und vernunftbasierten Gemeinschaft" dar. Daneben trat er auch als Redner bei nicht extremistischen Kundgebungen gegen die CoronaBeschränkungen auf. Damit gelang es den Protagonisten der NPD durchaus, die in Teilen der Bevölkerung vorherrschende Skepsis gegenüber den Corona-Beschränkungen für ihre verfassungsfeindlichen Zielsetzungen zu missbrauchen. Die hohen Teilnehmerzahlen zeigten deutlich, dass die Zugehörigkeit der Protagonisten zu einer bekanntermaßen rechtsextremistischen Partei für Personen außerhalb dieses Spektrums nicht abschreckend wirkt. Über die Veranstaltungen berichtete u. a. auch das NPD-Medium DEUTSCHE STIMME-TV mit Filmaufnahmen und Interviews mit Rednern und Teilnehmern. In einem dort veröffentlichten Video mit dem Titel "Freiheitsbotschaft und Frontalangriff auf das Merkel-Regime" zum Kundgebungsgeschehen in Aue im Mai und im November 2020 bezeichnete der NPDLandesvorsitzende Peter SCHREIBER die dortige Stimmung rückblickend als "fast revolutionär anmutend". Kampagnen Die NPD initiierte bereits im Jahr 2018 die bundesweite Kampagne "Schafft Schutzzonen". Dabei streifen Anhänger bzw. Mitglieder der NPD und ihrer Jugendorganisation in kleinen Gruppen und ausgestattet mit einer roten Weste durch die Städte und verteilen dabei auch Propagandamaterial. Mit diesen auch "Sicherheitsstreifen" genannten Aktionen suggerierten die Mitglieder der NPD auch im Berichtsjahr öffentlichen Aktionismus und wollten offenkundig vom gegenwärtig schwierigen Zustand der Partei und der kaum vorhandenen Mobilisierungsfähigkeit der eigenen Anhängerschaft ablenken. In Sachsen wurde die Kampagne im Berichtsjahr schwerpunktmäßig im Landkreis Mittelsachsen durchgeführt. Seite 37 von 267 Mit der Kampagne "Schafft Schutzzonen" stellt die NPD das Gewaltmonopol des Staates infrage, diffamiert das Handeln der Sicherheitsbehörden und agitiert gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Nach Lesart der NPD sind diese kriminell und damit Grund für das mangelnde Sicherheitsgefühl der Deutschen. Unter dem Deckmantel der "Selbstverteidigung" versucht die NPD, bei der Bevölkerung den Eindruck zu verbreiten, dass der Staat versagt habe und die Strafverfolgung und Gefahrenabwehr nunmehr von einzelnen Bürgern übernommen werden müsse. Mit diesen "Präsenzaktionen" an vermeintlichen Kriminalitätsbrennpunkten verfolgt die NPD das strategische Ziel, bei der Bevölkerung eine gegen Menschen mit Migrationshintergrund gerichtete "Angstkultur" zu erzeugen. Diese Aktionen können schlimmstenfalls dazu führen, dass sich gewaltbereite Rechtsextremisten animiert fühlen, den Gedanken der angeblich legitimen "Selbstverteidigung" aufzugreifen und - etwa ausgelöst durch ein öffentlichkeitsrelevantes Einzelereignis - in gewaltsame Aktionen gegen Ausländer umzumünzen. Die landesweite Kampagne der NPD "Migration tötet" wurde im Berichtsjahr lediglich in den Landkreisen Mittelsachsen und Leipzig durchgeführt. So fanden zwischen August und Oktober Mahnwachen zu diesem Thema in Döbeln, Freiberg und Trebsen statt. Die Kampagne soll auf die "fortschreitende Überfremdung" und "besorgniserregende Zunahme von Kriminalität...die nicht zuletzt auch auf das Konto von Migranten geht" hinweisen. Begleitend zur Kampagne wurden Flyerverteilaktionen durchgeführt. JUNGE NATIONALISTEN (JN) Die Jugendorganisation der NPD gliedert sich in den Bundesverband, in Landesverbände und in einigen Bundesländern in regional und lokal agierende sog. Stützpunkte. Die Bundesgeschäftsstelle der JN befindet sich seit dem Jahr 2018 wieder in Riesa (Lkr. Meißen)24. Im Freistaat Sachsen werden der JN ca. 40 Personen zugerechnet (2019: ca. 30). Der Bundesvorsitzende der JN, Paul RZEHACZEK, wurde am 7. März auf dem JNBundeskongress in seinem Amt bestätigt. RZEHACZEK war zuvor Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes der JN. Als stellvertretender Bundesvorsitzender der JN wurde der Landesvorsitzende der JN Sachsen, Maik MÜLLER, gewählt. Beide sind langjährige und sehr engagierte Szeneaktivisten, die auch außerhalb der JN über eine entsprechende Reputation verfügen. Die Wahl dieser beiden Personen hat den sächsischen Einfluss auf den Bundesverband noch einmal erhöht. Mit verschiedenen Kampagnen, wie "Schülersprecher.info" und "Jugend packt an", haben die JN im Jahr 2020 versucht, wieder mehr Jugendliche und junge Erwachsene für ihre Organisation zu gewinnen. Darüber hinaus führten die JN Spendenaktionen durch, mit denen sie auch im Berichtsjahr versuchten, sich unter dem Motto "Wir helfen, wo der Staat versagt" ein Image als "Kümmerer" zu verleihen. Dieses Konzept praktizieren die JN bereits seit geraumer Zeit. Mit diesem sozialen Engagement beispielsweise für Kinder, Familien, saubere Städte und den Tierschutz wollen sie nicht extremistische Personenkreise ansprechen, die ein derartiges Engagement für die Umwelt und die Schwächsten der Gesellschaft bei den etablierten Parteien vermissen. Auch über diese Schiene versuchen die JN, neue Mitglieder zu gewinnen. Zu den im Berichtsjahr von den JN initiierten Aktionen gehörten u. a. Verteilaktionen unter dem Motto "Nachbarschaftshilfe für Corona-Risikogruppen" im März 2020, die Eröffnung einer Tauschbörse und die Verteilung von kostenlosen Schulmaterialien im September 2020 in Döbeln. Die JN führten 2020 lediglich eine eigene Demonstration durch. Am 27. November indizierte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien den JNSampler "50 Jahre Widerstand für Deutschland". Dieser enthielt Beiträge verschiedener 24 Von Riesa war sie 2014 nach Lübtheen (Mecklenburg-Vorpommern) verlagert worden. Seite 38 von 267 rechtsextremistischer Bands und Liedermacher sowie ein achtseitiges Beiheft zu Geschichte und Ideologie der JN. Die Indizierung des Samplers nahmen die JN zum Anlass, noch am selben Tag eine Spontandemonstration in Wurzen durchzuführen. Für diese kurzfristig anberaumte Aktion konnten die JN immerhin 39 Personen mobilisieren. Die JN veröffentlichten anschließend auf ihrem Twitteraccount und ihrer Internetseite einen Bericht über diese Spontandemonstration sowie über die erfolgten "üblichen Repressionen". In ihrem Bericht drohten sie: "Auf jedes Verbot erfolgt eine Antwort! Auf jede Repression erfolgt Widerstand! Den Herrschenden muss klar sein, noch nie hat ein Richterspruch, ein Verbot oder ein Gesetz den freien Geist bekehrt. Nur die Wahrheit steht von alleine. Wir sind frei, deshalb handeln wir!". Insgesamt waren die eigenen Aktivitäten der JN im Berichtsjahr durch die Corona-Maßnahmen eingeschränkt. Deshalb beteiligten sie sich u. a. am 7. und 21. November am CoronaProtestgeschehen in Leipzig25. Weiterhin mobilisierten sie u. a. für das geplante CoronaProtestgeschehen am 12. Dezember in Dresden. Auch organisierten sie unter dem Motto "Angst schafft Gehorsam" eine sog. "Kunstaktion" zum Corona-Protest. Dabei trugen die Teilnehmer Einwegoveralls und Gesichtsmasken und trugen Schilder mit themenbezogenen Aussagen wie "Widersprich nicht". Dies fand zwar wenig Resonanz, wurde aber in verschiedenen Beiträge in den sozialen Netzwerken seitens der JN als Erfolg dargestellt. Weiterhin veranstalteten sie eine Sonnenwendfeier, einen Leistungsmarsch und Gedenkveranstaltungen anlässlich des Volkstrauertages. Damit sollten das Gemeinschaftsgefühl der Mitglieder und die Attraktivität der JN für neue Mitglieder gestärkt werden. Weiterhin beteiligten sich JN-Mitglieder an Veranstaltungen der NPD sowie an deren Kampagne "Schafft Schutzzonen". Bewertung / Tendenzen Die NPD verliert zunehmend an politischer Bedeutung. Ob die vom Bundesvorstand angekündigte strategische Neuausrichtung der Partei schlussendlich zu einer Umkehr der Entwicklung führen wird, ist völlig ungewiss. Vor allem dürften die hierfür notwendigen organisatorischen, finanziellen und personellen Ressourcen nicht ausreichend sein. Auch seitens des sächsischen NPD-Landesverbandes konnten im Berichtsjahr erneut keine neuen und nachhaltigen Impulse gesetzt werden, die diese Entwicklung hätten umkehren können. Trotz aller damit verbundenen Einschränkungen für die Ausrichtung eigener Veranstaltungen und Aktionen, verhalf die Corona-Pandemie und das damit einhergehende Protestgeschehen der Partei im Berichtsjahr zu einer gewissen öffentlichen Präsenz. Perspektivisch - insbesondere mit Abklingen der Pandemie - wird sich die NPD in Sachsen voraussichtlich weiter auf "soziale Kampagnen" sowie auf ihre "Schutzzonen"-Kampagne konzentrieren und so ihr Image als "Kümmerer" vor Ort pflegen. Wie die NPD insgesamt haben auch die JN in den vergangenen Jahren sehr unter dem Erstarken anderer rechtsextremistischer Akteure, wie z. B. der IDENTITÄREN BEWEGUNG, gelitten. Auch diese richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene, geben dabei aber nach außen ein moderneres und aktionsorientierteres Bild ab als die JN. Der Einfluss sächsischer Mitglieder der JN auf die Bundes-JN wird mit der Wahl des Eilenburgers Paul RZEHACZEK zum Bundesvorsitzenden und dem Dresdner Maik MÜLLER als stellvertretenden Bundesvorsitzenden weiter steigen. Sie werden ferner versuchen, die Jugendorganisation wieder aktiver und attraktiver für junge Menschen zu gestalten. Die Organisation der einzelnen JN-Aktivitäten obliegt im Freistaat Sachsen weiterhin nur wenigen aktiven Mitgliedern. In vielen Regionen fehlten den JN auch im Jahr 2020 geeignete Führungspersonen, die neue Aktionsbzw. Veranstaltungsformate hätten ins Leben rufen und damit neue Interessenten langfristig an die Jugendorganisation hätten binden können. 25 vgl. Beitrag II.2.7.7 Stadt Leipzig Seite 39 von 267 2.3.3 Der FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD) 26 Gründung März 2015 Vorsitz "Obmann" in Sachsen (bis ca. April 2020): Jens MAIER, MdB Personenpotenzial 2020 Sachsen 1400 bundesweit 7000 Kurzportrait/Ziele Politikkonzept zielt insbesondere auf27 Permanente Verächtlichmachung demokratischer Institutionen Abschaffung des Parlamentarismus Etablierung einer völkischen Gesellschaftsordnung mit einem ethnokulturell homogenen Staatsvolk Pauschale Ausgrenzung, Verächtlichmachung und Rechtlosstellung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden Strukturelle Verbindungen zur und systematische Zusammenarbeit mit der klassischen rechtsextremistischen und der neurechten Szene Relevante Ereignisse und Einstufung zur erwiesenen extremistischen Entwicklungen 2020 Bestrebung am 12. März durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)28 Beschluss des AfD-Bundesvorstandes, FLÜGELStrukturen bis Ende April 2020 aufzulösen, wurde formal umgesetzt Trotz formaler Auflösung ließ das dem FLÜGEL zuzurechnende Personenpotenzial keine Abkehr von rechtsextremistischen Positionen erkennen; es ist vielmehr weiterhin aktiv. Ideologie Der FLÜGEL versteht sich laut dem Gründungsdokument "Erfurter Resolution" (2015) als Sammlungsbewegung und Interessengemeinschaft innerhalb der AfD. Ziel sei es, mittels der AfD eine "grundsätzliche politische Wende in Deutschland" herbeizuführen und - in einem fundamentaloppositionellen Sinne - für eine "echte Alternative zu den bestehenden Parteien" zu stehen. Genauere politische Zielvorstellungen ergeben sich darüber hinaus aus den Reden führender Anhänger des FLÜGELS sowie bis zur formalen Auflösung des FLÜGELS im April 2020 aus den offiziellen Kommunikationskanälen. Das durch den FLÜGEL kommunizierte Politikkonzept zielt ab auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und letztlich weitgehende 26 Die AfD ist keine erwiesene extremistische Bestrebung. 27 vgl. Fachinformation des BfV zur Einstufung als gesichert extremistische Bestrebung: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2020/fachinformation-einstufungfluegel-als-extremistische-bestrebung.html 28 vgl. Pressemitteilung des BfV: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/pressemitteilung-2020-1afd.html. Seite 40 von 267 Rechtlosstellung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden (insbesondere Verstöße gegen die Menschenwürdegarantie).29 Islamkritische bis offen islamfeindliche politische Zielsetzungen bilden einen weiteren wesentlichen Bestandteil in der Agitation des FLÜGELS in Sachsen. Der Islam wird wiederholt als unvereinbar mit deutschen Werten dargestellt. Eine Aussage des Generalsekretärs der AfD in Sachsen und FLÜGEL-Anhängers Jan-Oliver ZWERG am 29. August 2019 steht beispielhaft für die wiederholten Aktivitäten des FLÜGELS gegen die im Grundgesetz normierte Religionsfreiheit (Art. 4 GG): "Die Berufspolitiker und ihre Freunde in Medien, Universitäten und Kirchen wollen nicht mehr, dass das unser Land ist. Sie prüfen uns auf Verfassungswidrigkeit, weil wir am deutschen Volk festhalten. [...] Ich will keine Minarette weder in Dresden noch sonstwo in Sachsen. Der Islam gehört in den Orient, zu Deutschland gehört er nicht." Die Umsetzung dieser politischen Ziele würde auf ein faktisches Verbot des Islam und mithin auf eine Verletzung der Religionsfreiheit hinauslaufen. Überdies ist es auch mit der Garantie der Menschenwürde unvereinbar, wenn den Angehörigen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, wie z. B. Muslimen, das Recht auf freie Religionsausübung abgesprochen wird, indem ihre vollständige Anpassung in Verhalten und Denken an den Durchschnittsdeutschen verlangt wird. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat im Juni 202030 bestätigt, dass eine solche Argumentation nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist: "Alle Aussagen belegen [...] die insgesamt verfassungsfeindliche Zielrichtung des sog. Flügels. Denn sie verstoßen mit ihrer expliziten Rechtlosstellung von Muslimen und sonstigen Minderheiten gegen die Menschenwürde (Art. 1. Abs. 1 GG) und die grundgesetzlich geschützte Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG). Zudem werden [...] offensichtlich auch deutsche Staatsangehörige mit "anderer ethnischer Herkunft" in den Blick genommen und sollen des Landes verwiesen werden. Diese bewusste "Exklusion bestimmter Bevölkerungsgruppen" und die diskriminierende rechtliche Ausgrenzung "deutscher Staatsangehöriger wegen anderer ethnischer Herkunft" sind mit der Menschenwürde unvereinbar." Neben der Islamfeindlichkeit bildet das ethnisch-homogene Staatsvolksverständnis den Drehund Angelpunkt im politischen Denken und Wirken des FLÜGELS. So führte Björn HÖCKE beim jährlichen "Kyffhäusertreffen" des FLÜGELS am 6. Juli 2019 in Leinefelde (Thüringen) aus: "Identität erzeugt Solidarität. Nur, wenn man einen Menschen als gleichgeartet identifiziert, erlebt, mit ihm im Austausch ist, mit ihm gemeinsame Verantwortungsräume gestaltet, im Ort, in den Kommunen, indem man merkt, man kann Vertrauen zu dem anderen schöpfen, man kann Vertrauen leben. Nur dann entsteht auch Solidarität. Solidarität wiederum erzeugt Stärke. [...] Der totalitäre Globalismus geht ganz anders vor. Er versucht, durch unbeschränkte Masseneinwanderung, ja durch die bewusste Erzeugung von Krisen die Gesellschaft permanent zu kochen und von allen identitären Bindungen zu befreien." Nach Auffassung von FLÜGEL-Funktionären ist das Überleben des - biologisch definierten - Volkes durch die gegenwärtige Regierung bedroht. Wiederholt findet sich in deren Reden deshalb die Warnung vor einer vermeintlich bevorstehenden "Abschaffung" oder "Auflösung" Deutschlands.31 Die politischen Zielsetzungen des FLÜGELS zielen auf den Erhalt eines ethnisch-homogenen Staatsvolkes ab. Wer aber eine Gesellschaft will, in der bestimmten 29 vgl. auch Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, 2019, Seite 83 ff. (zur ursprünglichen Einordnung des FLÜGEL als verfassungsschutzrechtlicher Verdachtsfall) 30 Beschluss vom 19. Juni 2020, Az.: OVG 1 S 56/20 31 vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Verfassungsschutzbericht 2019, S. 85 Seite 41 von 267 Gruppen von Menschen ein von vorneherein abgewerteter rechtlicher Status zugeschrieben wird und diese einer demütigenden Ungleichbehandlung aussetzen will, wendet sich gegen die Garantie der Menschenwürde. Die Grenze zum Extremismus wird überschritten, wenn der Einzelne als der Gemeinschaft unbedingt untergeordnet angesehen und seine Würde von der Zugehörigkeit zu der Gemeinschaft abhängig gemacht wird. Dies ist beim FLÜGEL der Fall, weil er in völkisch-nationalistischer Weise allein das Überleben des Volkes als Organismus zum Ziel seines politischen Handelns macht und er diese politische Zielsetzung mit einem biologisch-rassistischen bzw. ethnisch-kulturellen Volksbegriff verbindet, der bestimmte Menschen qua Geburt und ihrer Natur nach aus dem Volk ausschließt. Ferner bedient der sächsische AfD-Landesvorsitzende und FLÜGEL-Anhänger Jörg URBAN das Narrativ, dass die Regierung und die Parteien eine für das Land zerstörerische Agenda mit autokratischen Mitteln verfolgten: "Es ist dem politisch-medialen Komplex über Jahre gelungen, eine Stimmung der Angst in Deutschland zu etablieren, die an die Zustände in den kommunistischen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts erinnert. Wie damals werden Bürger zu Duckmäusern, um einer gesellschaftlichen Ächtung zu entgehen, Diese planmäßige Umerziehung soll den Machterhalt der etablierten Parteien sichern. [...] Eine der wichtigsten Aufgaben der AfD ist es - und wird es auch bleiben - echte Meinungsfreiheit wieder herzustellen und die kulturmarxistische Diskurshoheit des politisch-medialen Komplexes zu brechen." Die Unterstellung einer planvollen Umerziehung, um den Machterhalt der etablierten Parteien zu sichern, stellt ebenso wie die Gleichsetzung mit der DDR-Diktatur eine Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie der Bundesrepublik Deutschland dar. Es geht dem FLÜGEL in Sachsen nicht darum, einen harten, möglicherweise auch polemischen politischen Diskurs zu führen, sondern darum, eine grundlegende Ablehnung gegenüber dem demokratischen System zu forcieren. Der FLÜGEL in Sachsen verneint die politische Existenzberechtigung der anderen Parteien sowie des politischen Gegners. Das Vertrauen der Bevölkerung in die verfassungsmäßige Ordnung soll durch dieses, die Demokratie ablehnende und delegitimierende Narrativ in seinen Grundfesten erschüttert werden. Die genannten Beispiele für die extremistischen Bestrebungen stehen repräsentativ für eine Vielzahl extremistischer Haltungen und Verhaltensweisen des FLÜGELS. Strategie Der FLÜGEL agiert als "Netzwerker" im neurechten Spektrum zwischen rechtsextremistischen Kräften auf der einen Seite und nicht-extremistischer Klientel auf der anderen Seite. Ziel ist es, durch die eigenen verfassungsfeindlichen Aktivitäten auch nicht-extremistische Veranstaltungen zu instrumentalisieren, um die eigenen Positionen in weite Teile der Gesellschaft zu tragen und sie dort anschlussfähig zu machen. Der FLÜGEL nimmt dabei eine "Scharnierfunktion" ein, durch welche die Entgrenzung zwischen demokratischen, radikalen und extremistischen Positionen in der Gesellschaft gefördert wird. Struktur Formal ist der FLÜGEL nach SS 17 der AfD-Bundessatzung keine Parteivereinigung. Er selbst hat sich bis zu seiner Auflösung als "lose Interessengemeinschaft innerhalb der AfD... ohne feste Organisation" verstanden. In der Gesamtschau handelt es sich bei ihm um einen Personenzusammenschluss im Sinne des SS 3 Abs. 1 SächsVSG, der als Teilorganisation innerhalb der AfD besteht. Innerhalb dieses Personenzusammenschlusses haben sich mit den Rechtsextremisten Björn HÖCKE und Andreas KALBITZ zwei Führungspersonen herauskristallisiert, welche sowohl die inhaltlichen als auch die strategischen Positionen des FLÜGELS nach innen wie nach außen ganz wesentlich repräsentieren. Seite 42 von 267 Aufgrund der fehlenden formellen Vereinsund Mitgliederstruktur kann nicht konkret beziffert werden, wie viele Anhänger der FLÜGEL in Sachsen tatsächlich hat. Verschiedene Aussagen führender sächsischer AfD-Funktionäre lassen jedoch den Schluss zu, dass dem FLÜGEL mindestens 50 Prozent der sächsischen AfD-Mitglieder zugerechnet werden können. Deshalb ist in Sachsen als untere Grenze von einem Personenpotenzial von ca. 1.400 Anhängern auszugehen. Nachdem das BfV den FLÜGEL am 12. März 2020 als erwiesene extremistische Bestrebung eingestuft hatte, beschloss der AfD-Bundesvorstand dessen Auflösung zum Ende des Monats April. Daraufhin erklärten die damaligen AfD-Landesvorsitzenden von Thüringen und Brandenburg am 24. März in einem auf Facebook veröffentlichten Brief: "Wir fordern alle, die sich der Interessengemeinschaft angehörig fühlen, auf, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des Flügels einzustellen". Gleichzeitig äußerte der Obmann des FLÜGELS in Sachsen, Jens Maier: "Naja, als Haltungsgemeinschaft sind wir natürlich da [...] wir werden einen Weg finden, wie wir als Haltungsgemeinschaft noch weiterhin aktiv sind". So waren maßgebliche Anhänger des FLÜGELS in der Folgezeit weiterhin in Sachsen extremistisch aktiv und wirkten innerhalb der Partei AfD fort. Abgesehen von Obmännern in den Bundesländern (bis Ende April 2020) fehlen dem FLÜGEL vereinsrechtliche oder sonstige formelle Strukturen. Um daher eine Person dem Personenzusammenschluss FLÜGEL zurechnen zu können, müssen in der Gesamtschau hinreichende Indikatoren mit FLÜGEL-Bezügen kumulativ vorliegen. Diesbezüglich wird zum einen entweder die Unterzeichnung des Gründungsdokuments "Erfurter Resolution" aus dem Jahr 2015 oder die Unterzeichnung des Positionspapiers "Dresdner Erklärung" aus dem Jahr 2020 als ein notwendiger Indikator bewertet. Zum anderen muss jedoch für eine Zuordnung zum FLÜGEL mindestens ein weiterer der folgenden Indikatoren erfüllt sein: die Teilnahme an offiziellenoder von FLÜGEL-Anhängern dominierten Veranstaltungen, Bekenntnisse zum FLÜGEL oder Sympathieoder Solidaritätsbekundungen für die Rechtsextremisten und FLÜGEL-Funktionäre HÖCKE oder KALBITZ nach der Einstufung des FLÜGELS als erwiesene extremistische Bestrebung am 12. März. Im Rahmen der Entscheidung, ob eine Person dem FLÜGEL zugeordnet werden kann, ist in jedem Einzelfall eine Gesamtabwägung der vorliegenden Indikatoren vorzunehmen. Aktivitäten Seit der im März 2020 vom AfD-Bundesvorstand beschlossenen formalen Auflösung des FLÜGELS bis Ende April 2020 ist dieser nicht mehr als offizieller Veranstalter in Erscheinung getreten. Aktivitäten fanden im Jahr 2020 gleichwohl statt, allerdings nur noch unter dem Etikett der AfD. Zwar meldeten FLÜGEL-Anhänger die Veranstaltungen der AfD Sachsen an und nahmen daran selbst auch als Redner teil oder organisierten diese Veranstaltungen mit. Jedoch fungierte der FLÜGEL dabei nur noch als unsichtbarer "Netzwerker" innerhalb des neurechten Spektrums - einerseits, indem er Verbindungen zu rechtsextremistischen Kreisen herstellte und andererseits, indem er Kooperationen zwischen AfD und außerparlamentarischen Initiativen wie Pegida32 forcierte, um diese extremistisch unterlaufen und beeinflussen zu können. So solidarisierte sich FLÜGEL-Obmann Jens MAIER, ein Mitunterzeichner der "Dresdner Erklärung", auf der Bühne einer Pegida-Veranstaltung mit dem FLÜGEL-Funktionär Andreas KALBITZ nach dessen Ausschluss aus der AfD. "Wir stehen heute an der Seite von Andreas Kalbitz. [...] Andreas Kalbitz, wir sind an deiner Seite, ganz Pegida ist an deiner Seite und wir werden dich unterstützen. [...] Diesen Mann [Kalbitz] jetzt rauszuwerfen ist Verrat, Verrat an unserer Idee." 32 Pegida war im Berichtsjahr 2020 keine erwiesene extremistische Bestrebung. Seite 43 von 267 Dieser Auftritt MAIERS und seine Solidarisierung mit dem Rechtsextremisten Andreas KALBITZ auf der Pegida-Bühne in Dresden stehen exemplarisch für das Bestreben einer Netzwerkbildung innerhalb der "Neuen Rechten" durch Akteure wie den FLÜGEL. Nachdem der AfD-Bundesvorstand den Beschluss zur Auflösung des FLÜGELS gefasst hatte, veröffentlichten führende sächsische AfD-Politiker am 24. März eine "Erklärung zur Auflösung des 'Flügel'", die an sächsische AfD-Mitglieder versandt wurde. Dass das BfV HÖCKE und KALBITZ bereits am 12. März öffentlich als Rechtsextremisten ausgewiesen hatte, hinderte zwei führende sächsische AfD-Funktionäre und FLÜGEL-Anhänger, nämlich den sächsischen AfD-Landesvorsitzenden Jörg URBAN und den sächsischen AfD-Generalsekretär Jan-Oliver ZWERG nicht daran, einen später veröffentlichten Brief zu verfassen, der als uneingeschränkte Solidarisierung mit HÖCKE und KALBITZ verstanden werden muss. In der "Erklärung zur Auflösung des FLÜGEL hieß es: "Zu unserer AfD gehört jeder, dem die Zukunft Deutschlands am Herzen liegt und der sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennt. Björn Höcke und Andreas Kalbitz gehören selbstverständlich dazu."33 Neben solchen individuellen Solidarisierungsbekundungen für Björn HÖCKE und Andreas KALBITZ wurde mit der sog. "Dresdner Erklärung" eine schriftliche Sympathiebekundung für diese Akteure veröffentlicht, welche auch von zahlreichen sächsischen FLÜGEL-Anhängern mitgetragen wurde. Inhaltlich rufen die Unterzeichner in ihrer Stellungnahme allgemein zu mehr Geschlossenheit "unter Vereinigung aller Kräfte und Strömungen [...] innerhalb der Partei" auf, da in der derzeitigen Krise eine "Volkspartei" im wörtlichen Sinne nötig sei. Insbesondere im Schlussabsatz wird die eigentliche Zielrichtung der Stellungnahme deutlich: Man wollte sich öffentlich von innerparteilichen Kritikern am FLÜGEL distanzieren. In der Stellungnahme heißt es: "Wir erklären hiermit, dass wir vor dem Hintergrund der Verantwortung, die auf uns lastet, fürderhin in unseren Reihen nur solche Personen respektieren und fördern werden, die sich diesem Ziel verpflichtet sehen und die sich unmissverständlich und glaubhaft in Wort und Tat zur Einheit der Partei bekennen." Die Veröffentlichung der "Dresdner Erklärung" steht in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der von einem namhaften innerparteilichen FLÜGEL-Kritiker angestoßenen Diskussion über eine mögliche Abspaltung des FLÜGELS und dessen Vertretern von der AfD. Eine Reihe sächsischer Anhänger des FLÜGELS bekannte sich nach dessen formellen Auflösung Ende April und im Rahmen der Diskussion über den Umgang mit HÖCKE und KALBITZ in der AfD ausdrücklich zu dem nunmehr als erwiesene extremistische Bestrebung eingestuften FLÜGEL und dessen rechtsextremistischen Hauptprotagonisten. Anhand mehrerer Indikatoren wird deutlich, dass neben dem FLÜGEL-Obmann Jens MAIER unter anderem die weiteren AfD-Funktionäre Jörg URBAN und Jan-Oliver ZWERG, die auf Landesebene in Sachsen herausgehobene Positionen innehaben, zentrale FLÜGEL-Anhänger sind. Der FLÜGEL-Mitgründer Björn HÖCKE bekräftigte bereits beim ostdeutschen FLÜGEL-Treffen am 23. Januar 2019 bei Dresden, dass es sich bei Jörg URBAN, einem Mitunterzeichner der "Erfurter Resolution" sowie der "Dresdner Erklärung", um einen FLÜGEL-Anhänger und "wahren Patrioten" handele: "Es ist einfach nicht wahr, dass die AfD kein Ort für wahre Patrioten mehr ist. Die Erfurter Resolution ist in Kraft. Sie wird eingefordert. Der FLÜGEL ist lebendig. Und wer indirekt Jörg Urban, Andreas Kalbitz oder mir den wahren Patriotismus abspricht, der muss von Sinnen sein!" Im Landtagswahlkampf wurde Jörg URBAN unmissverständlich als Kandidat des FLÜGELS beworben. Nach der Wahl wurde ihm im Namen des FLÜGELS eine Gratulation zum Wahlerfolg ausgesprochen. 33 Schreibweise wie im Original Seite 44 von 267 Der Generalsekretär des AfD-Landesverbandes Sachsen, Jan-Oliver ZWERG, ist Unterzeichner sowohl der "Erfurter Resolution" als auch der "Dresdner Erklärung". Auch solidarisierte er sich noch im März 2020 mit KALBITZ und HÖCKE, obwohl diese zuvor vom BfV als Rechtsextremisten ausgewiesen worden waren. Nach der Abstimmung des AfDBundesvorstandes gegen KALBITZ warf der Funktionär denjenigen "Bundesvorstandsmitglieder(n), die gestern für die Beendigung der Parteimitgliedschaft von Andreas Kalbitz stimmten" ein Versagen "als Führungskraft" vor." Am 14. Juni nahm er des Weiteren als Redner an einer von FLÜGEL-Anhängern dominierten Veranstaltung in Sebnitz (Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) teil. Der Funktionär eines AfD-Kreisverbandes - ebenfalls bekennender FLÜGEL-Anhänger - teilte wenige Tage nach der Einstufung des FLÜGELS als erwiesene extremistische Bestrebung öffentlich mit: "Wir werden uns mit allen demokratischen Mitteln zur Wehr setzen" und "Der Flügel ist nur ein Name, den können sie haben. Unser patriotisches Herz bekommen sie nicht." Insbesondere die Wortwahl ("Wir"), mit der er sich offenkundig einbezieht, belegt seine selbstgewählte Zuordnung zum FLÜGEL. Des Weiteren verlinkt er einen Kommentar seines Facebook-Accounts mit der Seite der "Erfurter Resolution" auf der Internetpräsenz des FLÜGELS. Auf diese Weise unterstützt er öffentlich den FLÜGEL und verbreitet dessen Ansichten. Der Einfluss des FLÜGELS wird auch anhand konkreter AfD-Veranstaltungen im Berichtsjahr deutlich, an denen sich zentrale Funktionäre des Ende April formell aufgelösten FLÜGEL beteiligt haben und die vom LfV Sachsen als von FLÜGEL-Anhängern dominierte Veranstaltungen bewertet werden: - 13. Juni in Sebnitz (Redner: u. a. Andreas KALBITZ), - 26. Juni in Burgstädt (Lkr. Mittelsachsen, Redner: u. a. Andreas KALBITZ und Jens MAIER) sowie - 28. August in Grimma (Lkr. Leipzig, Redner: u. a. Björn HÖCKE und Jens MAIER). Diese Aktivitäten verdeutlichen noch einmal den erheblichen Einflussgewinn des FLÜGELS im Berichtsjahr. Tendenzen und Bewertung Der 12. März war eine wichtige Zäsur für den FLÜGEL. Obwohl seitdem feststeht, dass es sich bei ihm um eine erwiesene extremistische Bestrebung handelt, haben sich - neben anderen Unterzeichnern - auch führende FLÜGEL-Anhänger zu seinem Fortbestehen innerhalb der Partei AfD bekannt (vgl. "Dresdner Erklärung"). Es wurden öffentliche Soldaritätsbekundungen und damit ein politisch-ideologisches Bekenntnis zum FLÜGEL abgegeben. Die große Reichweite des FLÜGELS war im Berichtszeitraum überaus deutlich. 2.4 Parteiungebundene Strukturen 2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE ist gekennzeichnet durch eine auf dem historischen Nationalsozialismus fußende Weltanschauung und den Willen, sich organisiert in festen Strukturen politisch strategisch zu betätigen. Sie unterscheidet sich vom parteigebundenen Rechtsextremismus in der Organisationsform. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind der bei NEONATIONALSOZIALISTEN stärker ausgeprägte Seite 45 von 267 Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes der NEONATIONALSOZIALISTEN.34 Sitz sachsenweit; Schwerpunkte in den Regionen Chemnitz, Dresden und Leipzig Gründung / Bestehen seit bundesweit: 1970er Jahre Publikationen bundesweit: u. a. N.S. HEUTE, NORDISCHE ZEITUNG Sachsen: keine Internetauftritte wechselnde Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten Personenpotenzial 2020 2019 Sachsen 600 610 bundesweit k.A. k.A.35 Finanzierung Beiträge der Anhänger, Spenden, Unkostenbeiträge bei Vortragsveranstaltungen, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. ä. Kurzportrait / Ziele NEONATIONALSOZIALISTEN sind vor allem durch eine positive Bezugnahme auf das sog. "Dritte Reich" gekennzeichnet. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene sind sie am stärksten ideologisch geprägt. Organisatorisch sammeln sie sich in "Kameradschaften" oder informellen Gruppen. Die strukturelle Bindung ist jedoch in den vergangenen Jahren zugunsten digitaler Vernetzungen schwächer geworden. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Öffentlichkeitswirksame Aktionen waren durch 2020 die Corona-Beschränkungen nur eingeschränkt möglich. Die einzige Demonstration der neonationalsozialistischen Szene im Freistaat Sachsen mit einer hohen Teilnehmerzahl fand am 15. Februar in Dresden statt. NEONATIONALSOZIALISTEN beteiligten sich gemeinsam mit Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien und rechtsextremistischen Hooligans an verschiedenen Protestversammlungen gegen die Ausgangsbeschränkungen i. Z. m. der Pandemie. 34 Zu den einzelnen in Sachsen aktiven NEONATIONALSOZIALISTISCHEN GRUPPIERUNGEN wird auf die Beiträge II.2.7 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen verwiesen. 35 Für den Bund wird seit dem Jahr 2018 das Mitgliederpotenzial der neonationalsozialistischen Szene nicht mehr gesondert ausgewiesen. Seite 46 von 267 Bundesweit: Verbot COMBAT 18 DEUTSCHLAND, NORDADLER und STURM-/W OLFSBRIGADE 44 Ideologie NEONATIONALSOZIALISTEN orientieren sich ideologisch maßgeblich an der Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus und stellen den ideologisch sehr gefestigten Teil der rechtsextremistischen Szene dar. Kern neonationalsozialistischer Überzeugungen sind Geschichtsrevisionismus bis hin zur Holocaustleugnung, Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Diese Ideologieelemente stehen im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Für NEONATIONALSOZIALISTEN ist die Demokratie "die Herrschaft der Minderwertigen". Der Staat soll nach ihren Vorstellungen stattdessen autoritär nach dem "Führerprinzip" regiert werden. Die "Volksgemeinschaft" zeichne sich durch die Überlegenheit von "Weißen" - der "arischen Rasse" - aus. Zuwanderung und Integration werden von NEONATIONALSOZIALISTEN als Angriff auf die "biologische Substanz" des "deutschen Volkes" gewertet. Gewalt wird als ein legitimes und gebotenes Mittel der politischen Auseinandersetzung angesehen. NEONATIONALSOZIALISTEN stellen mit ihrer Orientierung am historischen Nationalsozialismus den ideologisch entschiedensten Teil der Szene dar und zählen damit zu den überzeugtesten Gegnern des demokratischen Rechtstaates innerhalb des Rechtsextremismus. Strategie Nach den Verboten der NATIONALEN SOZIALISTEN DÖBELN im Jahr 2013 und den NATIONALEN SOZIALISTEN CHEMNITZ (NSC) im Jahr 2014 haben neonationalsozialistische Gruppierungen aufgrund einer weiter fortschreitenden Digitalisierung ihre bestehenden Organisationsstrukturen weitgehend aufgegeben. Statt hierarchisch strukturierter Kameradschaften oder Gruppen des "Nationalen Widerstands" dominieren jetzt virtuelle Kennverhältnisse vor Ort. Nur in Einzelfällen gibt man sich nach außen hin noch ein Label - und dies häufig auch nur aus propagandistischen Gründen. Stattdessen strukturiert sich die Szene beispielsweise über Kampagnen und Szeneveranstaltungen. So kann sie die eigene Flexibilität erhöhen und sich gleichzeitig staatlichen Exekutivmaßnahmen leichter entziehen. Einzelne NEONATIONALSOZIALISTEN versuchen darüber hinaus, szeneintern neue Impulse zu setzen und bedienen sich moderner Medien, wie z. B. YouTube, Twitter, Telegram und Instagram. In den Videos und Podcasts unter Namen wie "Der Dritte Blickwinkel" oder "Avantura" wird die rechtsextremistische Ausrichtung der Beiträge - unter dem Deckmantel intellektueller Aufarbeitung - oft nur unterschwellig vermittelt. Dennoch greift die Szene weiterhin auch auf klassische Medien zurück. Die Zeitschrift N.S. HEUTE des Dortmunder Neonationalsozialisten Sascha KROLZIG präsentiert sich als weltanschaulicher Wegweiser der Szene. Im Jahr 2020 fiel die Zeitschrift insbesondere mit einem Beitrag zur "Initiative Zusammenrücken" auf. Darin wurde für "nationale Siedlungsgebiete" in den ostdeutschen Bundesländern geworben, um den demografischen Entwicklungen und der insbesondere in den westdeutschen Ländern sichtbaren Veränderung der Bevölkerungsstruktur aufgrund von Migrationsbewegungen entgegenzuwirken. Die "Initiative Zusammenrücken" nutzt wiederum vorrangig die genannten modernen Kommunikationskanäle im Internet, um in der Öffentlichkeit für ihr Projekt zu werben. So wurde im Februar 2020 ein Interview zwischen der "Initiative Zusammenrücken" und dem Podcast-Betreiber "Der Dritte Blickwinkel" bekannt. Szeneangehörige positionierten sich in der Öffentlichkeit und im Internet immer wieder in diffamierender, zum Hass aufstachelnder Weise gegen Flüchtlinge und Asylsuchende. Dazu wurden auch im Berichtsjahr in der neonationalsozialistischen Szene "kreative, öffentlichkeitswirksame Aktionen" propagiert. So entrollte eine Personengruppe In Leipzig am Seite 47 von 267 1. Februar ein Banner mit der Aufschrift "Leipzig bleibt deutsch - Junge Revolution" vom Dach eines Einkaufszentrums und warf mehrere Flyer mit gleichartigem Inhalt in den Eingangsbereich. Im Rahmen einer im Jahr 2019 begonnenen Strategiedebatte diskutierte die Szene, ob sie bei ihrem außenwirksamen Auftreten künftig mehr auf ihre ideologische Anschlussfähigkeit auch bei Nichtextremisten achten solle oder ob die "reine Gesinnung" höchster Wert bleiben müsse. Im Sinne des erstgenannten Ansatzes konzentrierte sich die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE fortan auf Aktivitäten im "vorpolitischen und nicht zwingend extremistischen Raum": "Wenn wir nicht anfangen, alle nur denkbaren Bereiche von Sportvereinen, Schützenvereinen, Boxund Kampfsportschulen, staatlichen Strukturen, gegnerischen Strukturen etc. zielgerichtet zu unterwandern, [...] werden wir auch weiterhin marginalisiert bleiben und nichts verändern können." Dementsprechend haben sich NEONATIONALSOZIALISTEN - ebenso wie andere rechtsextremistische Gruppierungen - darauf fokussiert, "Alltagssorgen" der Menschen sowie die öffentliche Diskussion bestimmende Debatten aufzugreifen und für die eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren. So sollen nicht extremistische Strukturen (z. B. Vereine) eigens für ein bestimmtes Thema von gesellschaftlicher Relevanz, wie Asyl, Drogenkonsum, innere Sicherheit oder bestimmten regionalen Themen, gegründet werden, und die extremistischen Ansichten so in die Mitte der Gesellschaft transportiert werden. Die genannten Themen sind für weite Teile der Bevölkerung von großem Interesse und bieten Rechtsextremisten eine passende Bühne für die mitunter subtile Verbreitung ihrer extremistischen Ziele. So sollen die jeweiligen rechtsextremistischen Akteure vor allem bei der örtlichen Bevölkerung Akzeptanz erlangen und durch die "Einsickerungsbemühungen" neue Kreise der Gesellschaft für ihre verfassungsfeindlichen Anliegen erschließen. Mit den genannten Strategien versuchen NEONATIONALSOZIALISTEN sowohl auf versteckte als auch auf offenkundige Art und Weise innerhalb und außerhalb der rechtsextremistischen Szene ein positives Bild über das sog. "Dritte Reich" zu vermitteln. Sie wollen damit die Geschichte umdeuten bzw. die Verbrechen des NS-Regimes relativieren oder gänzlich leugnen und auch für nicht extremistische Kreise anschlussfähig sein. Strukturen Der oben beschriebene Trend der Verringerung fester Strukturen in der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE hält weiter an. Gleichzeitig entschieden sich in den vergangenen Jahren vor allem Führungspersonen der Szene häufig für den Eintritt in eine rechtsextremistische Partei, wie in die NPD bzw. in deren Jugendorganisation JN oder in die Partei DER DRITTE WEG, um im Schutze des im Grundgesetz festgeschriebenen Parteienprivilegs (Art. 21 GG) die eigenen Aktivitäten fortzuführen. Im Zuge der aufbrechenden, festen Szenestrukturen gewinnen offene und geschlossene Gruppen und Foren in internetbasierten Messenger-Diensten und Sozialen Medien aus den oben dargestellten Gründen weiter an Bedeutung. Die virtuellen Vernetzungsmöglichkeiten der Szene ergänzen das Gemeinschaftsgefühl und die Gruppenzugehörigkeit. Weiterhin etabliert sich das Internet in der Szene zunehmend als zentrales Medium, um auch in kurzer Zeit eine große Anzahl von Anhängern zu erreichen und zu mobilisieren. In der Realwelt blieben dagegen nur wenige der in Sachsen neu gegründeten Strukturen auch öffentlich sichtbar aktiv. Beispiele dafür sind W IR FÜR LEIPZIG36 um den Leipziger NEONATIONALSOZIALISTEN Enrico BÖHM und die Mitte 2019 von einem im Landkreis Zwickau bekannten und aktiven Rechtsextremisten zunächst als Medienprojekt gestartete JUNGE REVOLUTION37. Andere Strukturen wie KOPFSTEINPFLASTER oder die "Erzlichter" traten bereits nach kurzer Zeit nicht mehr in Erscheinung. 36 vgl. Beitrag II.2.7.7 Stadt Leipzig 37 vgl. Beitrag II.2.7.13 Landkreis Zwickau Seite 48 von 267 Oftmals bestimmen persönliche Kennverhältnisse der Aktivisten untereinander die Aktionen, ohne dass diese in einen festen, dauerhaften Personenzusammenschluss münden. Teilweise konzentrieren sich Szene-Anhänger dabei auf bestimmte Plattformen in sozialen Netzwerken, wie es etwa bei "Balaclava Graphics" aus dem Landkreis Bautzen der Fall ist. Auch im Rahmen regelmäßiger Veranstaltungsreihen können sich feste Personenkreise bilden, die immer wieder in Erscheinung treten. Themenbezogen organisierte die sog. TIWAZ-GEMEINSCHAFT zum Beispiel die Kampfsportveranstaltungen "TIWAZ - Kampf der freien Männer". Rechtsextremistische Netzwerke werden zudem durch die gezielte gemeinsame Ansiedlung von Rechtsextremisten im ländlichen Raum gebildet. Die in der medialen Berichterstattung als "Völkische Siedler" bezeichneten Rechtsextremisten pflegen eine naturorientierte ländliche Lebensweise auf der Basis einer völkisch-nationalistischen Ideologie. In Sachsen ist insbesondere eine Ansiedlung von mehreren und untereinander eng verbundenen Rechtsextremisten mit ihren Familien im Landkreis Mittelsachsen bekannt. Seit Februar 2020 werben Rechtsextremisten auch unter dem Label "Initiative Zusammenrücken" für weitere Ansiedlungen im mitteldeutschen Raum.38 Innerhalb dieses völkisch-rassistischen Milieus erhebt die seit 1951 bestehende ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENSGEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßER LEBENSGESTALTUNG E.V. einen Führungsanspruch. Kennzeichnend für die ARTGEMEINSCHAFT sind die Anerkennung des Führerprinzips, die Forderung nach Unterordnung des Einzelnen unter die Gemeinschaft wie auch die Verpflichtung zur Reinheit der Rasse bzw. Art. An den in Ilfeld (Thüringen) stattfindenden "Gemeinschaftstagungen" der Organisation nehmen regelmäßig auch Personen aus Sachsen teil. Mit ihren Schriften und Veranstaltungen bietet die ARTGEMEINSCHAFT den nötigen Raum, um NEONATIONALSOZIALISTEN und deren Familien an die Szene zu binden und rassistische Überzeugungen weiterzugeben. Für die Betreuung inhaftierter Rechtsextremisten trat nach dem im Jahr 2011 vollzogenen Verbot der HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE UND POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. (HNG) ab dem Folgejahr die GEFANGENENHILFE (GH) in Erscheinung. Die GH ist ein in Schweden eingetragener Verein, dessen Hauptanliegen die finanzielle Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Familien ist ("Gemeinschaft statt Isolation"). Durch diese "Gefangenenbetreuung" sollen die Inhaftierten weiterhin an die rechtsextremistische Szene gebunden werden. In Sachsen werben Mitglieder der Organisation insbesondere bei szeneinternen Veranstaltungen um Spenden. Zudem ist die GEFANGENENHILFE auch bei größeren Szeneveranstaltungen mit Infoständen vertreten. Zu den von ihr unterstützten Personen gehörten im Berichtsjahr insbesondere die bereits mehrfach verurteilten Holocaustleugner Ursula HAVERBECK und Horst MAHLER. Mit COMBAT 18, NORDADLER und STURM-/W OLFSBRIGADE 44 wurden im Berichtsjahr drei länderübergreifend agierende neonationalsozialistische Vereinigungen durch den Bundesminister des Innern verboten und aufgelöst.39 Im Fall der Organisation NORDADLER durchsuchten Polizeibeamte am 23. Juni auch zwei Objekte in Sachsen. Die auch unter den Bezeichnungen VÖLKISCHE REVOLUTION, VÖLKISCHE JUGEND, VÖLKISCHE GEMEINSCHAFT und VÖLKISCHE RENAISSANCE handelnde Gruppierung war eine rechtsextremistische Vereinigung, die ihre nationalsozialistische und antisemitische Ideologie überwiegend im Internet propagierte. Dazu nutzte sie offene und geschlossene Chatgruppen sowie Kanäle auf diversen Plattformen, in den sozialen Medien (Telegram, Instagram und Discord) sowie eine eigene Webseite. 38 vgl. Beitrag II.2.7.9 Landkreis Mittelsachsen 39 vgl. dazu Beitrag II.2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus. COMBAT 18 DEUTSCHLAND wurde am 23. Januar 2020 verboten, NORDADLER am 23. Juni 2020 und STURM/W OLFSBRIGADE 44 am 1. Dezember 2020 Seite 49 von 267 Aktivitäten Die politische Betätigung spielt für Angehörige der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE eine wichtige Rolle. Ihr klassisches Aktionsportfolio umfasst Demonstrationen, Kundgebungen, interne Szeneveranstaltungen und Propagandaaktionen (z. B. Verteilung von Flyern und Propagandastraftaten). Diese Aktionsformen werden je nach Anlass thematisch eingesetzt und ggf. miteinander kombiniert. Aufgrund der nicht mehr - wie in früheren Jahren - vorhandenen organisatorischen Festigkeit der Szene sind diese Veranstaltungen als "Sammlungspunkte" wichtig, um über die sozialen Medien hinaus weiterhin miteinander verbunden und handlungsfähig zu bleiben. Demonstrationen Demonstrationen waren für die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE lange Zeit das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich gleichzeitig als Bewegung zu präsentieren. Sie dienen als Indikator für die thematischen Schwerpunkte und die Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen angesehen werden. Allerdings ist festzustellen, dass die Anzahl der Demonstrationen der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE in den vergangenen Jahren nachgelassen hat. Ein Beispiel dafür ist die bundesweite Kampagne zum "Tag der deutschen Zukunft", die nach elf Jahren mit einer Abschlusskundgebung am 6. Juni in Worms (Rheinland-Pfalz) aufgrund stetig sinkender Teilnehmerzahlen eingestellt wurde. Hinsichtlich ihrer Größe und Bedeutung herausragend sind die jährlichen "Trauermärsche" anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung der Stadt Dresden am 13. Februar 1945 geblieben. Die internationale Vernetzung des Versammlungsleiters Maik MÜLLER bewirkte auch in 2020 eine Teilnahme zahlreicher Rechtsextremisten aus dem Ausland.40 Die Zahl neonationalsozialistischer Demonstrationen sank im Jahr 2020 allerdings insgesamt durch die Maßnahmen im Zusammenhang mit der Eindämmung der Corona-Pandemie. NEONATIONALSOZIALISTEN beteiligten sich jedoch gemeinsam mit einzelnen Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien und rechtsextremistischen Hooligans an verschiedenen Versammlungen der "Querdenken"-Bewegung. "Groß-/ Mischveranstaltungen" Den Stellenwert ehemals teilnehmerstarker Demonstrationen haben mittlerweile Großveranstaltungen wie das "Schild & Schwert"-Festival in Ostritz (Lkr. Görlitz) eingenommen. An den dort angebotenen Kampfsportveranstaltungen, Konzerten, ideologischen Schulungen und Redebeiträgen nahmen auch NEONATIONALSOZIALISTEN teil. Im Berichtsjahr waren in Ostritz ein "Back to the Roots-Festival" im April sowie ein weiteres "Schild & Schwert-Festival" geplant. Wegen der Corona-Beschränkungen konnten diese Veranstaltungen aber letztlich nicht stattfinden. Eine von der JUNGEN REVOLUTION unter dem Titel "Revolutionärer Kongress" organisierte kombinierte Musikund Rednerveranstaltung am 14. März in Neuensalz, OT Zobes (Vogtlandkreis) wurde von der zuständigen Versammlungsbehörde nach dem Infektionsschutzgesetz verboten. "Heldengedenken" 2020 im kleineren Rahmen Oft kleiner angelegt sind traditionell die "Heldengedenken". Dabei werden die in den Weltkriegen Gefallenen als "Helden" und "Kämpfer" im Sinne der rechtsextremistischen Ideologie propagandistisch vereinnahmt. Diese Gedenkveranstaltungen finden vor allem um den "Volkstrauertag" im November statt. Im Berichtsjahr wurden sachsenweit verschiedene 40 vgl. Beitrag II.2.7.3 Stadt Dresden Seite 50 von 267 kleinere "Gedenkaktionen" von NEONATIONALSOZIALISTEN, der Partei DER DRITTE W EG und der NPD sowie deren Jugendorganisation JN ausgerichtet. Dabei handelte es sich meist um Propagandaaktionen an verschiedenen Denkmälern, an denen Personenpotenziale im einstelligen bis unteren zweistelligen Bereich teilnahmen. Größere Veranstaltungen, wie alljährlich im April in Niederkaina (Lkr. Bautzen) und im November in Göda (Lkr. Bautzen), mit in den Vorjahren bis zu 100 Teilnehmern konnten im Berichtsjahr aufgrund der CoronaBeschränkungen nicht stattfinden. "Zeitzeugenvorträge" und interne Schulungsveranstaltungen "Zeitzeugenvorträge", bei denen Personen auftreten, die in der Zeit des historischen Nationalsozialismus sozialisiert wurden und ihre Lebenserinnerungen schildern, sind ein wichtiges Instrument, um die rechtsextremistische Ideologie und Agitation historisch zu legitimieren. In Sachsen fanden auch im Berichtsjahr sog. "Zeitzeugenvorträge" in Oelsnitz (Erzgebirgskreis), Chemnitz sowie im Landkreis Leipzig statt.41 Obwohl die Vorträge weitgehend nur szeneintern beworben werden, ziehen sie Besucherzahlen im unteren dreistelligen Bereich an. Die Veranstaltungen, an denen Rechtsextremisten aus den verschiedenen Spektren teilnehmen, bieten zudem Gelegenheit, Kennverhältnisse herauszubilden oder auszubauen und damit die Vernetzung der Szene zu verbessern. Da aus der sog. "Erlebnisgeneration" der NS-Zeit heute nur noch wenige "Zeitzeugen" als Vortragende bei rechtsextremistischen Veranstaltungen aktiv sind, treten inzwischen auch deutschlandweit bekannte Rechtsextremisten aus der "ersten Generation" der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE mit teils erheblicher militanter Vergangenheit bei den Vorträgen auf. Darüber hinaus organisierte die rechtsextremistische Szene interne Veranstaltungen, wie die "Rechtsschulung für Aktivisten" am 14. Februar in Zwickau. Diese sollen die Szenezugehörigkeit ihrer Aktivisten festigen und sie zugleich schulen. Kampfsportveranstaltungen Das Interesse von NEONATIONALSOZIALISTEN am Kampfsport ist unverändert hoch. Kampfsport-Events werden immer häufiger professionell veranstaltet und führen durch die Teilnahme ausländischer Kämpfer zu einer europaweiten Szene-Vernetzung. Hinter den Veranstaltungen ("TIWAZ - Kampf der freien Männer" und "Kampf der Nibelungen") steht ein sich teilweise überschneidendes, überregionales und teils international agierendes Personengeflecht von Organisatoren aus der neonationalsozialistischen Szene, aber auch aus anderen Spektren des Rechtsextremismus.42 Kampfsport dient im Rahmen entsprechender Events jedoch nicht nur dem wettbewerbsmäßigen Kräftemessen sowie der engen Vernetzung und der Kontaktpflege innerhalb der Szene, sondern grundsätzlich insbesondere dem körperlichen Training und der Ertüchtigung für den Kampf gegen den politischen Gegner. Im Berichtsjahr konnten aufgrund der Corona-Beschränkungen keine Kampfsportveranstaltungen durchgeführt werden. So wurde der für den 14. März vorgesehene "Revolutionäre Kongress" in Neuensalz, OT Zobes (Vogtlandkreis), für den eine Kampfsportvorführung des Formats "Kampf der Nibelungen" vorgesehen war, untersagt. Die im Jahr 2020 zunächst als Livestream und später als Onlinestream angekündigte Kampfsportveranstaltung "Kampf der Nibelungen" (KdN) konnte am 10. Oktober über die Website der Veranstalter nur in deutlich reduziertem Umfang und wenig professioneller Aufmachung ins Netz gestellt werden. Statt der angekündigten 15 Kämpfe wurden in einem insgesamt zweistündigen Onlinestream lediglich sechs aktuelle und zwei Kämpfe aus Vorjahren in den Kampfsportdisziplinen Boxen, Kickboxen und Mixed Martial Arts gezeigt. Hinsichtlich der Professionalität des Streams und der Rahmenbedingungen der gezeigten Kämpfe mussten die Veranstalter deutliche Abstriche hinnehmen. Dies war vor allem die 41 vgl. Beiträge II.2.7.4 Erzgebirgskreis, II.2.7.2 Stadt Chemnitz, II.2.7.6 Landkreis Leipzig 42 Vgl. Beitrag II.2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Seite 51 von 267 Konsequenz aus dem polizeilichen Verbot des KdN und der anschließenden Auflösung der KdN-Veranstaltung am 26. September in Magdeburg. Im Rahmen dieser Veranstaltung hätten vermutlich Kämpfe für den angekündigten Online-Stream aufgezeichnet werden sollen. Als Konsequenz hieraus gab der Veranstalter an, keine neuen KdN-Veranstaltungen mehr zu planen, bis die juristischen Fragen - darunter die noch anhängige Fortsetzungsfeststellungsklage des behördlich untersagten KdN in Ostritz 2019 - endgültig geklärt seien. Vielfältige internationale Bezüge Die sächsische NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE ist international vernetzt. In der Regel laufen diese Verbindungen über einzelne Szeneangehörige wie Maik MÜLLER aus Dresden. Über seine Szenekontakte in die Tschechische Republik und in weitere Länder pflegt er ein eigenes Netzwerk, auf das er auch bei Veranstaltungen zurückgreifen kann. Die europaweite gute Vernetzung zeigt sich auch alljährlich im Februar - so auch in 2020 - in Budapest beim sog. "Tag der Ehre". Bei der maßgeblich von ungarischen Rechtsextremisten organisierten Veranstaltung wird der Angehörigen von Einheiten ungarischer Faschisten sowie der Waffen-SS "gedacht", die bei der Befreiung Budapests durch die Rote Armee 1945 gefallen sind. Insbesondere der positive Bezug zur Waffen-SS und ihre Glorifizierung spielen bei dem Aufmarsch eine bedeutende Rolle. Der "Tag der Ehre" hat sich zu einer wichtigen Veranstaltung der neonationalsozialistischen Szene mit Beteiligten aus verschiedenen europäischen Staaten - auch aus Deutschland - entwickelt. Alljährlich nehmen auch aus Sachsen Neonationalsozialisten am Aufmarsch und der anschließenden Wanderung unter der Bezeichnung "Ausbruch 60" teil. Seite 52 von 267 2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN Sitz: Salzkotten (Nordrhein-Westfalen) Gründung: Oktober 2012, seit 2014 eingetragener Verein Leitung/Vorsitz: Philip THALER (Sachsen-Anhalt) Teil-/Nebenorganisationen ORTSGRUPPEN BAUTZEN, CHEMNITZ, DRESDEN, GÖRLITZ und in Sachsen: LEIPZIG Publikationen: IB Newsletter Internetauftritte u. a.: Internetseite der IDENTITÄREN BEWEGUNG DEUTSCHLAND, wechselnde Profile in den Sozialen Medien 2020 2019 Personenpotenzial Sachsen ca. 40 ca. 40 bundesweit ca. 575 ca. 600 Über diese aktiven Mitglieder hinaus verfügt die IB über zahlreiche Unterstützer, insbesondere in den sozialen Medien. Finanzierung: Mitgliedsbeiträge, Spenden Kurzportrait/Ziele: Die IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IB) trat erstmals im Oktober 2012 virtuell in Erscheinung. Seit 2014 ist sie ein eingetragener Verein in Deutschland. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Vorstellung einer "ethnokulturellen Identität" der europäischen Völker, die durch eine Masseneinwanderung kulturfremder Einwanderer bedroht sei. Ein maßgeblicher Indikator des behaupteten "Großen Austauschs" sei die "Islamisierung Europas". Die IB ist daher bestrebt, ein Netzwerk des modernisierten Rechtsextremismus zu schaffen, um mit islamund fremdenfeindlichen Aktionen öffentliche Räume bzw. Debatten zu besetzen. Relevante Ereignisse und erneut Teilnahme von regionalen und überregionalen Entwicklungen 2020: IB-Aktivisten an Pegida43-Veranstaltungen in Dresden verschiedene Stationen der IB-Sommertour "Unser Büro ist die Straße" im August in Sachsen Gründung einer neuen ORTSGRUPPE in Chemnitz im September sachsenweite Aktionen als Reaktion auf islamistisch motivierte Terrorangriffe in Deutschland und Europa im Herbst Werbung für die Kampagne "GefährderMap" der IB im November auch durch die IB Sachsen 43 Pegida war im Berichtsjahr 2020 keine erwiesene extremistische Bestrebung. Seite 53 von 267 Ideologie Nach ihrer Satzung ist Zweck der IB, "die Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern". Das Verwaltungsgericht München stellte in seinem Beschluss vom 27. Juli 2017 44 bei der IB eine offenkundige fremdenfeindliche Tendenz und eine Nähe zur Programmatik der "Konservativen Revolution"45 fest, welche in Teilen auch völkische Thesen vertrat. Leitmotive ihrer Öffentlichkeitsarbeit sind die Schlagworte "Remigration", "Bevölkerungsaustausch stoppen" und "Reconquista"46. Auch lässt sich eine Nähe zum Volksbegriff-Konzept "altrechter" Parteien wie der NPD erkennen. So sind Menschen auch für die IB mit einer festen, unabänderlichen Prägung (Identität) ausgestattet. Sie betont jedoch das Konzept des "Ethnopluralismus". Hier ist allerdings kein ethnischer Pluralismus innerhalb eines Landes gemeint, sondern eine strikte und damit unter Verletzung zahlreicher Grundrechte autoritär durchzusetzende strikte Trennung der Ethnien in jeweils unterschiedlichen Nationalstaaten: "Unter Ethnopluralismus verstehen wir die Vielfalt der Völker, wie sie sich über Jahrtausende entwickelt hat. Wir setzen diesen Begriff bewusst als positiven Gegenentwurf zur heutigen One-World-Doktrin ein, um zu verdeutlichen, dass eine rücksichtslose globalistische Entgrenzung diese Vielfalt bedroht. Es gibt ein Recht auf Verschiedenheit. Jede Ethnie hat das Recht, ihre Kultur, ihre Bräuche und Traditionen, also ihre ethnokulturelle Identität, zu erhalten. Wir treten für diesen Erhalt ein, hierzulande und in der Welt." Der Demokratiebegriff der IB stützt sich stark auf antiliberale und "identitäre Demokratiemodelle"47. So halten die Vordenker der IB die pluralistische Demokratie, die auf Interessenausgleich und Minderheitenschutz ausgelegt ist, für ein Zerrbild "echter" Demokratie. Eine Demokratie sei nur dann legitim, wenn das Volk als Souverän eine homogene Zusammensetzung aufweise. "Wir wollen die ethnokulturelle Identität im Grundgesetz verankern. Dies sehen wir als eine der Voraussetzungen für die in unserer Verfassung festgeschriebenen staatlichen Prinzipien; denn Demokratie, Rechtsund Sozialstaat sind im Rahmen des Nationalstaates entstanden und können nur durch diesen garantiert werden. Unsere Forderung muss also nicht von außen hinzugefügt werden, sondern erklärt lediglich genauer, was eigentlich im Grundgesetz steht. Ein Staat besteht nach klassischer Lehre aus drei Bestandteilen: einem Staatsgebiet, einer Staatsführung (Regierung) und einem Staatsvolk. Zu der Zeit, als unser Grundgesetz beschlossen wurde, war vollkommen selbstverständlich, dass ein Staatsvolk - als Kultur-, Abstammungsund Solidargemeinschaft - nicht beliebig austauschbar, sondern durch eine ethnokulturelle Kontinuität bedingt ist. Im Zeitalter von Massenmigration, Globalisierung und One-World-Propaganda scheint dies nicht mehr jedem Bürger bewusst zu sein. Deshalb wollen wir, dass dies explizit in die Verfassung aufgenommen wird, um zu verdeutlichen, dass davon nichts Geringeres als der Erhalt unseres Staates abhängt." 44 Beschluss des Verwaltungsgerichts München, Az.: M 22 E 17.1861 45 Die "Konservative Revolution" bezeichnet eine intellektuelle Strömung mit antidemokratischem und insbesondere antiegalitärem Charakter in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland. 46 Als "Reconquista" (Wiedereroberung) wird in der Neuzeit die militärische Ausdehnung der christlichen Reiche in Spanien und Portugal gegen die muslimischen Herrschaften vom 8. bis 15. Jahrhundert bezeichnet. 47 "Identitäre Demokratiemodelle" behaupten eine Identität zwischen Regierenden und Regierten in Denken und Handeln. Diese Identität wird meist mit einer "Gleichartigkeit" in Herkunft oder Wesen begründet. Auf Grundlage dieser Argumentation wird dann z. B. die Notwendigkeit von Wahlen bestritten, da "der Führer bereits denke und fühle, was das Volk wolle". Eine andere Spielart dieser Modelle fordert zwingend die tatsächliche Identität von Regierenden und Regierten. Konkretes Modell dieser Überlegungen ist z. B. eine "Rätedemokratie". Seite 54 von 267 Der Demokratie und dem Parlamentarismus bundesrepublikanischer Prägung hafte dagegen der Makel an, dass lediglich Partikularinteressen verfolgt würden, statt den "wahren Volkswillen" abzubilden und umzusetzen. Zur ideologischen Begründung bezieht sich die IB vor allem auf Vordenker des Nationalsozialismus wie Carl SCHMITT oder des italienischen Faschismus wie Julius EVOLA. Wie "klassische Rassisten" unterstellen jedoch auch "Ethnopluralisten", es gebe grundsätzliche und unveränderliche Eigenschaften von Menschengruppen. Jede Gruppe sei umso besser und stärker, je ähnlicher sich ihre jeweiligen Angehörigen seien. Die IB definiert das vermeintlich "Fremde" anhand von Merkmalen wie Kultur oder Religion und zieht daraus die Konsequenz einer erforderlichen Trennung verschiedener Ethnien bzw. Religionsgemeinschaften. Ihre Idealvorstellung einer staatlichen bzw. gesellschaftlichen Ordnung besteht demzufolge aus ethnisch und kulturell homogenen Staaten. "Fremde" werden unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft als Störfaktor und als Bedrohung für die eigene Nation wahrgenommen. Ihnen sollen daher nicht die gleichen Rechte zugestanden werden wie der kulturell homogenen "Restbevölkerung". Fremdenfeindliche Themen, wie der Verlust der eigenen "ethnokulturellen Identität", die Verschwörungstheorie des "Großen Austausches" sowie Forderungen nach einer "Remigration"48 sollen die Überzeugungen der IB gesellschaftsfähig machen. Die Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer kulturellen Wurzeln ist ein bekanntes Merkmal rechtsextremistischer Ideologie, das mit der Achtung der Menschenwürde - einem wesentlichen Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - nicht vereinbar ist. Die Fokussierung auf die ethnokulturelle Identität als zentralem Zugehörigkeitsmerkmal zur Gemeinschaft steht im Widerspruch zum freiheitlichen Wesen des Grundgesetzes, das die Menschenwürde als Fixpunkt definiert. Auch der Attentäter von Christchurch/Neuseeland hatte den Begriff "Großer Austausch" (englisch: The Great Replacement) als Titel für sein in den Sozialen Medien veröffentlichtes Bekennerschreiben verwendet und sich zur Begründung seiner Handlungen wesentlich auf diese Verschwörungstheorie bezogen. Zudem hatte er sich durch seine Spende an die Führungsperson der IB Österreich, Martin SELLNER, als Unterstützer der IB entlarvt. Strategie Zur Durchsetzung ihrer Ziele beabsichtigt die IB, den Weg einer außerparlamentarischen Opposition zu beschreiten sowie die Meinungsbildung durch öffentliche und medienwirksame Aktionen zu beeinflussen. Diese Strategie bezeichnet sie als "Metapolitik"49: Man brauche "nicht die absolute Mehrheit einer Partei, es braucht die Themenführung". Der Österreicher Martin SELLNER, das bekannteste Gesicht der IB im deutschsprachigen Raum, führte dazu aus: "Alle Gesetze, die erlassen werden, müssen von der 'öffentlichen Meinung' akzeptiert werden. Die wahre Macht hat also derjenige, der diese Meinung, diesen Rahmen und mit ihnen die Marschrichtung der ganzen Gesellschaft vorgibt." Im "Identitären Jahresrückblick" der IB hieß es außerdem: "Unsere Aufgabe ist keine geringe, unsere Fähigkeiten und unser Einsatz werden gebraucht. Wir sind die Anlaufstelle für Jugendliche und junge Erwachsene ,mit Temperaturerhöhung', die in der Politik nicht eine Karrierebereicherung, sondern eine historische Aufgabe sehen. Wir halten Stand und werden Europa nicht aufgeben!"50 48 Remigration im Sinne einer Rückführung von Asylbewerbern und auch von Deutschen mit Migrationshintergrund 49 Der Begriff der "Metapolitik" bezeichnet eine politische Zielrichtung, die darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Debatten im vorpolitischen Raum zu beeinflussen. 50 Schreibweise wie im Original Seite 55 von 267 Zentrales Element dieser Aufgabe ist die Kampagnenarbeit. Mittels konkreter Aktionen will die IB bestimmte Themen in ihrem Sinne besetzen und ein entsprechendes gesellschaftliches Bewusstsein schaffen. Begriffe zu prägen und aktiv zu verändern ist ihr erklärtes Ziel: "Kampagnen sind daher erst das, was die Arbeit der Identitären Bewegung langfristig macht: Einzelne Aktionen sind metapolitische Nadelstiche gegen das Establishment, um aber über einen größeren Zeitraum hinweg eigene Begriffe zu etablieren, "feindliche" Narrative zu zerstören und einen realpolitischen Wandel zu erreichen, müssen Aktionen zu Kampagnen verbunden werden. Dementsprechend muss dann auch die Zielsetzung einer jeden Kampagne darauf ausgelegt sein, eine dieser drei Aufgaben zu erfüllen (...)." Die IB verfügt über zahlreiche eigene Webseiten und Kanäle in den Sozialen Medien. Die durchgeführten Aktionen der Regionalund Ortsgruppen der IB werden dort regelmäßig medial nachbereitet. Die IB setzt dabei auf eine Symbolik mit hohem Wiedererkennungswert wie dem Lambda-Zeichen. Die IB verfolgt auch das Ziel der Schaffung von Freiräumen durch den Erwerb von Immobilien. Letztere sollen als Rückzugsort für die Vorbereitung von Aktionen sowie die Durchführung eigener Veranstaltungen dienen. Darüber hinaus können diese Objekte langfristig durch Vermietung eine weitere Einnahmequelle für die IB bilden. So gab es über das von Musikern aus dem Umfeld der IB gestartete Projekt "Neuer Deutscher Standard" (NDS) im Berichtsjahr im Landkreis Bautzen Planungen zur Errichtung eines "Patriotendorfes" und eines "patriotisches Jugendzentrums". Die rechtsextremistischen Rapper CHRIS ARES aus Bayern sowie PROTOTYP und PRIMUS aus Nordrhein-Westfalen begannen u. a. mit dem Umbau eines ehemaligen Kinderferienheims in der Region Bischofswerda. Ende September gab ARES überraschend seinen Rückzug aus der Musikbranche und der Öffentlichkeit bekannt.51 Aktivitäten Das Auftreten der IB in der Öffentlichkeit ist insgesamt sehr vielfältig. Sie tritt u. a. mit Versammlungen, Flugblattverteilungen, Sprüh-, Klebeund Plakataktionen, dem Zeigen von Transparenten an Brücken und Häusern, Flashmobs und Störungen von Veranstaltungen des "politischen Gegners" in Erscheinung. Vorwiegend zielten diese Aktionen darauf ab, das demokratische Regierungssystem zu diffamieren und ein islamfeindliches Klima zu schaffen. Aktionen der IB GÖRLITZ und BAUTZEN unter dem Motto "Niemals auf Knien" fanden im Sommer im Zusammenhang mit einer IB-Kampagne statt und richteten sich gezielt gegen die "Black Lives Matter"-Bewegung. Im Herbst folgten Banneraktionen in Dresden und Bautzen als Reaktion auf die islamistisch motivierten Anschläge in Dresden und Europa.52 Auch "der Basisaktivismus" der neuen IB-ORTSGRUPPE CHEMNITZ, eine Aktion der IB LEIPZIG im Juli und zwei Aktionen der IB DRESDEN im März und November standen in diesem Kontext.53 Die Veröffentlichung der islamfeindlichen "GefährderMap" auf der Website der IB "schiebt-sieab.de" im November wurde ebenfalls auf den entsprechenden Kanälen in den Sozialen Medien der sächsischen IB thematisiert. Die Karte soll über islamistische "Gefährder" sowie deren Treffpunkte und Wohnorte informieren. Außerdem beteiligte sich die IB in diesem Jahr an Veranstaltungen von Pegida 54 in Dresden, wenn auch nicht im gleichen Umfang wie in den Vorjahren.55 51 vgl. Beitrag II.2.7.1 Landkreis Bautzen 52 vgl. Beiträge II.2.7.1 Landkreis Bautzen und II.2.7.5 Landkreis Görlitz 53 vgl. Beiträge II.2.7.2 Stadt Chemnitz, II.2.7.7 Stadt Leipzig und II.2.7.3 Stadt Dresden 54 Pegida war im Berichtsjahr 2020 keine erwiesene extremistische Bestrebung. 55 vgl. Beitrag II.2.7.3 Stadt Dresden Seite 56 von 267 Die Sommertour der IB unter dem Motto "Unser Büro ist die Straße" führte auch in verschiedene sächsische Städte. Jedoch konnten nicht alle Veranstaltungen wie geplant stattfinden. Aufgrund der fehlenden behördlichen Erlaubnis zur Sondernutzung musste der Veranstalter den für den 14. August in Zittau geplanten Informationsstand räumen. Auch in Bautzen konnte die IB am 16. August aufgrund einer fehlenden Genehmigung keinen Stand betreiben. Es wurden lediglich in beiden Städten Flyer verteilt. Die Folgeveranstaltungen am 21. August in Zwickau und Chemnitz und am 22. August in Hoyerswerda fanden lediglich mit bis zu fünf Personen statt. Bewertung / Tendenzen Mit ihren Aktionen und Auftritten in den sozialen Medien knüpft die IB bewusst an die Lebenswelt junger Menschen an. Da die IB nicht die herkömmlichen rechtsextremistischen Slogans und Symbole einsetzt, ist ihre verfassungsfeindliche ideologische Ausrichtung nicht immer sofort erkennbar. Demzufolge ist es möglich, dass sich von ihr auch gesellschaftliche Milieus angesprochen fühlen, die von traditionellen Rechtsextremisten bislang nicht erreicht werden konnten. Des Weiteren besteht die abstrakte Gefahr, dass gewaltbereite Personen durch die permanente Stigmatisierung von Zuwanderern als potenzielle Islamisten sowie durch die hiermit in Zusammenhang stehende "GefährderMap" zu Straftaten gegen Muslime oder deren Einrichtungen animiert werden könnten, auch wenn die IB hierzu nicht explizit aufruft. 2.4.3 Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ Sitz Chemnitz Gründung 2009 Vorsitz Martin KOHLMANN, Robert ANDRES Teil-/Nebenorganisationen Fraktion im Stadtrat von Chemnitz Sachsen Publikationen Flugblatt/Infoblatt Internetauftritte www.pro-chemnitz.de, Facebook-Seite, Telegram-Kanal Personenpotenzial 2020 2019 ca. 20 ca. 15 Finanzierung u. a. Spenden Kurzportrait/Ziele PRO CHEMNITZ ist eine Wählervereinigung, die vor allem von den bekannten Neonationalsozialisten Martin KOHLMANN und Robert ANDRES geführt wird. Ihre Akteure veranstalteten im Nachgang zu dem von einem Migranten im August 2018 begangenen Tötungsdelikt in Chemnitz zahlreiche rechtsextremistische Aktivitäten, insbesondere asylfeindliche Demonstrationen, oder beteiligten sich an solchen anderer Akteure in der Region Chemnitz-Erzgebirge. Relevante Ereignisse und Veranstaltungen mit Anti-Corona-Bezug Entwicklungen 2020 Antritt zur Oberbürgermeisterwahl in Chemnitz Ergebnis: im 1. Wahlgang 4,19 %; Verzicht im 2. Wahlgang zugunsten des AfDKandidaten Ideologie Angehörige von PRO CHEMNITZ vertreten und propagieren seit dem o. g. Tötungsdelikt in Chemnitz eine dezidiert rechtsextremistische Grundhaltung bzw. Gesinnung. Mit den von dieser Gruppierung seitdem initiierten Veranstaltungen verfolgte sie die Absicht, rechtsextremistische Propagandaund Gewaltdelikte mehr oder weniger offen zu legitimieren. Seite 57 von 267 Ihre Hauptprotagonisten KOHLMANN und ANDRES sind selbst tief in der rechtsextremistischen Szene verwurzelt und dort schon seit vielen Jahren aktiv. So unterstützten beide im Jahr 2019 die Holocaust-Leugnerin Ursula HAVERBECK bei der Organisation ihrer "Zeitzeugenvorträge"56. Reden auf neonationalsozialistischen Veranstaltungen und die Organisation von und Teilnahme an rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen zählen ebenfalls zum Aktivitätenrepertoire der Gruppierung 57. So bediente sich KOHLMANN bei einer Rede am 27. August 2018 stereotyper fremdenfeindlicher Argumentationsmuster und eines rechtsextremistischen Propagandavokabulars. Auch eine Gewaltanwendung gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund befand er für legitim: "[...] gab es gestern [Erg.: bei den rechtsextremistischen Ausschreitungen am 26. August] einen kleinen Vorgeschmack. Mehr sage ich dazu jetzt nicht." Dabei rief er seine Zuhörer unverhohlen auch zu eigenen Maßnahmen der "Selbstjustiz" auf: "Wenn es eine funktionierende Justiz gibt, brauchen wir keine Selbstjustiz. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass es die nicht gibt." Im Anschluss an den ersten Anti-Corona-Proteste von PRO CHEMNITZ am 20. April in Chemnitz gab Robert ANDRES ein Interview. Anlass dafür waren die im Zusammenhang mit dem Veranstaltungsgeschehen durchgeführten Polizeimaßnahmen. ANDRES traf dazu folgende Aussage: "[...] ich denke eher, dass der Staat tatsächlich scheitern muss. Es muss ein absolutes Ende und einen absoluten Neuanfang geben. Wie dieses Ende aussieht und wie dieser Neuanfang gestaltet wird, das ist noch ein großes Fragezeichen. Aber ich denke nicht, dass ein System, was in sich so krank ist, noch eine Chance hat, irgendwo sich zu ändern." Zwar lässt ANDRES offen, welches alternative Gesellschaftssystem letztlich angestrebt wird, aber seine Aussagen zielen eindeutig auf eine Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Einzelne Versuche der Bürgerbewegung, sich von rechtsextremistischen Tendenzen nach außen hin abzugrenzen, blieben oberflächlich und waren lediglich strategisch motiviert. Strategie Vordergründig setzt sich die Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ in ihren öffentlichen Auftritten für allgemeine kommunalpolitische Themen ein. PRO CHEMNITZ wurde durch die Ereignisse in Chemnitz im August 2018 sowie durch das Corona-Protestgeschehen im Berichtsjahr in mehrfacher Hinsicht gestärkt. Auch KOHLMANN und ANDRES selbst konnten ihre Akzeptanz in der Szene dadurch nochmals steigern. Es entstanden Wechselwirkungen, welche die Bürgerbewegung zu einem zentralen rechtsextremistischen Akteur in der Region gemacht haben, denn KOHLMANN und ANDRES konnten ihre Vernetzungen innerhalb der rechtsextremistischen Szene ausbauen und verfügen nun über vielfältige Kooperationsund Mobilisierungsmöglichkeiten, welche anlassbezogen Dimensionen wie im Jahr 2018 erreichen können. Im Berichtsjahr zeigte sich dies bei den Aktivitäten von PRO CHEMNITZ rund um das Corona-Protestgeschehen. Es gelang ihnen, auch dieses Thema für ihre verfassungsfeindlichen Aktivitäten zu nutzen und ihre Anschlussfähigkeit an nicht extremistische Kreise der Bevölkerung auszubauen. Das Agieren von PRO CHEMNITZ insgesamt, die sichtbare bundesweite Bedeutung der Gruppierung sowie ihre weitreichenden Mobilisierungserfolge stärkten schlussendlich die gesamte rechtsextremistische Szene im Großraum Chemnitz. PRO CHEMNITZ bediente sich dabei regelmäßig auch verschiedener fester rechtsextremistischer Strukturen. Dabei handelte es sich insbesondere um die NPD im Erzgebirgskreis. 56 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2018, S. 67, 163 57 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2018, S. 67 Seite 58 von 267 Die Bürgerbewegung instrumentalisierte im Berichtsjahr auch typische erfolgreiche rechtsextremistische Aktionen anderer Szene-Akteure, wie die von NEONATIONALSOZIALISTEN organisierten sog. "Trauermärsche", für ihre verfassungsfeindlichen Ziele. Organisierte man 2019 noch den Trauermarsch anlässlich der Bombardierung von Chemnitz im Zweiten Weltkrieg, in dem man eine eigene Gedenkveranstaltung mit anschließendem Aufzug und einer Kranzniederlegung durchführte, beschränkte man sich 2020 lediglich auf eine einzelne Kranzniederlegung. Strukturen PRO CHEMNITZ verfügt seit dem 1. Mai 2019 über ein eigenes Bürgerbüro in Chemnitz, welches nach Eigenangaben für die Durchführung von Lesungen und Vorträgen genutzt werden soll. Die Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ ist außerdem mit einer eigenen, fünf Mitglieder umfassenden Fraktion im Stadtrat von Chemnitz vertreten. Ihr Vorsitzender ist Martin KOHLMANN. Aktivitäten Mit Beginn der Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Alltagseinschränkungen für die Bevölkerung instrumentalisierten die Mitglieder von PRO CHEMNITZ diese Entwicklungen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele und stellten sich - so wie andere Rechtsextremisten auch - als sog. "Kümmerer" dar. So boten sie u. a. Einkaufshilfen für ältere Menschen an und berichteten darüber in den sozialen Medien. Die Ende April 2020 einsetzenden Lockerungen nutzte PRO CHEMNITZ für einen zeitnahen Protest. Dabei bezeichneten sie sich selbst als "überregionales Bündnis" und riefen dazu auf, "...ein Zeichen gegen diktatorische und bevormundende Profilierungswahnsinnige in der Landesund Bundesregierung zu setzen!" PRO CHEMNITZ meldete für den 20. April eine Versammlung mit Aufzug unter dem Motto "Wir wollen raus! Staatliche Willkür beenden!" an. Nach einer Gerichtsentscheidung wurde lediglich eine stationäre Kundgebung mit 15 Teilnehmern statt der angemeldeten 500 Teilnehmer gestattet. Trotz dieser Entscheidung forderte PRO CHEMNITZ innerhalb der sozialen Medien weiterhin dazu auf, zur Veranstaltung anzureisen. Im Umfeld der Veranstaltung hielten sich letztlich ca. 300 Personen auf. Diese Versammlung war einmal mehr Beweis für die schnelle Mobilisierungsund Reaktionsfähigkeit von PRO CHEMNITZ im Zusammenhang mit öffentlichkeitswirksamen Themen, welche weite Kreise der Bevölkerung ansprechen und beschäftigen. Ähnlich wie bei den Ereignissen im August 2018 war PRO CHEMNITZ auch im Berichtsjahr in der Lage, ein solch zündendes Thema wie "Corona" für sich zu nutzen, um eine Vielzahl von Menschen, insbesondere aus dem bürgerlichen Spektrum, anzusprechen. Durch die Instrumentalisierung von Ängsten bezüglich der Einschränkung von Freiheitsrechten gelang es PRO CHEMNITZ erneut, Teile der Bevölkerung anzusprechen und diese für ihre rechtsextremistische Agitation zu vereinnahmen. Der zusammen mit anderen bekannten Rechtsextremisten erfolgte Aufruf zur Versammlung vom 20. April sowie die Bezeichnung als "überregionales Bündnis" bewies die gute Vernetzung der rechtsextremistischen Szene in Chemnitz und Umgebung. Durch das gemeinsame Agieren im Zuge des Corona-Protestgeschehens ist von einer weiteren Vernetzung auszugehen. Ebenfalls im Zusammenhang mit der Corona-Thematik initiierte PRO CHEMNITZ sog. Protestspaziergänge oder ihre Aktivisten beteiligten sich an "Corona-Spaziergängen" anderer Akteure in der Stadt. An einer von PRO CHEMNITZ für den 30. Oktober angemeldeten Kundgebung unter dem Motto "Ja zum Weihnachtsmarkt - Nein zur Coronadiktatur" beteiligten sich ca. 50 Personen. Als Redner trat der Vorsitzende der Stadtratsfraktion von PRO CHEMNITZ, Martin KOHLMANN, auf. Auch wurde zur Teilnahme an der von einem NPD-Stadtrat Seite 59 von 267 angemeldeten Kundgebung am 1. November in Aue (Erzgebirgskreis) aufgerufen, bei der KOHLMANN wiederum als Redner auftrat. Wie bereits im Frühjahr 2020 kritisierte PRO CHEMNITZ bei diesen Kundgebungen die CoronaBeschränkungen und sprach damit erneut die gesellschaftliche Mitte an. Die Teilnehmerzahl war dabei jedoch deutlich geringer als bei den Veranstaltungen im Frühjahr. Dort war zwar aufgrund der Corona-Auflagen grundsätzlich nur eine geringe Teilnehmerzahl behördlicherseits genehmigt worden, jedoch hielt sich jeweils eine größere Anzahl von Personen im unmittelbaren Umfeld dieser Veranstaltungen auf. Der Wahlkampf für die Oberbürgermeisterwahl in Chemnitz bildete im Berichtsjahr einen weiteren Schwerpunkt der Aktivitäten. Martin KOHLMANN stellte sich als Kandidat für die Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ zur Wahl. So wurden verstärkt Flyer verteilt und Wahlplakate angebracht. Im ersten Wahlgang erreichte KOHLMANN 4,19 Prozent der Stimmen, wobei er in einzelnen Chemnitzer Stadtteilen ein Wahlergebnis von über 9 Prozent einholen konnte. In der 2. Runde verzichtete KOHLMANN zugunsten des AfD-Kandidaten auf einen neuerlichen Antritt. Auch den zweiten Jahrestag des in Chemnitz begangenen Tötungsdelikts nutzte PRO CHEMNITZ in Form eines Facebook-Eintrages für Wahlkampfzwecke. Darin heißt es: "Bis der nächste stirbt? Ändert etwas und wählt am 20.9 Martin Kohlmann zum neuen Oberbürgermeister!" Vertreter von PRO CHEMNITZ beteiligten sich auch an Pegida58-Veranstaltungen in Dresden. PRO CHEMNITZ wird konsequent das Ziel verfolgen, die durch die oben genannten Veranstaltungen angesprochenen und mobilisierten nicht extremistischen Bürger dauerhaft für das eigene Wirken zu gewinnen. Bei ähnlich gelagerten öffentlichkeitswirksamen Ereigniskonstellationen wie im August 2018 oder im Berichtsjahr kann es PRO CHEMNITZ jederzeit wieder gelingen, erneut hohe Teilnehmerzahlen für die eigenen Veranstaltungen zu mobilisieren. Der Bürgerbewegung gelingt die regionale und überregionale Vernetzung mit Rechtsextremisten ebenso wie der Ausbau der eigenen Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte durch das subtile Ausnutzen von Protesten, die von der gesellschaftlichen Mitte ausgehen und nicht per se rechtsextremistisch sind. Damit bleibt PRO CHEMNITZ ein zentraler und erfolgreich agierender Akteur in der rechtsextremistischen Szene in Sachsen. 58 Pegida war im Berichtsjahr 2020 keine erwiesene extremistische Bestrebung. Seite 60 von 267 2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN Sitz sachsenweit; Schwerpunkte in der Region Chemnitz und im Landkreis Görlitz Gründung / Bestehen Die Szene ging aus der Ende der 1960er Jahre in Großbritannien entstandenen Skinheadszene hervor und breitete sich in den 1970er Jahren bundesweit auch in Deutschland aus. Publikationen bundesweit: sog. Fanzines mit Artikeln zur überwiegend subkulturell geprägten rechtsextremistischen Musikszene sowie mit Interviews und Konzertberichten Sachsen: "Waffenbrüder" Internetauftritte Wechselnde Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten Dort u. a. Bekanntmachungen von Konzerten sowie Veröffentlichungen von Videos Personenpotenzial 2020 2019 Sachsen ca. 310 ca. 320 bundesweit k.A. k.A.59 Finanzierung Finanzielle Beiträge der Anhänger, Eintrittsgelder bei Musikveranstaltungen, Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. Ä. Kurzportrait / Ziele Eine strategisch ausgerichtete, ideologischpolitische Arbeit wird von SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN GRUPPIERUNGEN nicht betrieben. Gewaltbereitschaft, Kurzschlussreaktionen und impulsgesteuertes Handeln sind für diese Szene charakteristisch. Relevante Ereignisse und Entwicklungen Die subkulturelle Musikszene ist weiterhin ein 2020 zentrales Element des Rechtsextremismus, wie die unverändert hohe Anzahl von Bands und CD-Produktionen zeigt. Aufgrund der Corona-Beschränkungen waren die Aktivitäten SUBKULTURELL GEPRÄGTER RECHTSEXTREMISTISCHER GRUPPIERUNGEN im Vergleich zum Vorjahr jedoch rückläufig. 59 Für den Bund wird das Personenpotenzial der subkulturell geprägten Szene seit dem Jahr 2018 nicht mehr gesondert ausgewiesen. Seite 61 von 267 Ideologie SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN teilen die ideologischen Überzeugungen von NEONATIONALSOZIALISTEN.60 Sie verfügen über ein ähnliches von Chauvinismus, Antisemitismus, Fremdenhass sowie Rassismus geprägtes Weltbild. Dennoch unterscheiden sie sich von NEONATIONALSOZIALISTEN durch die Schwerpunktsetzung auf erlebnisorientierte Veranstaltungen, bei denen nicht die ideologische Propaganda oder die strategische Verfolgung politischer Ziele im Vordergrund stehen, sondern die Erfahrung von gelebter "Gemeinschaft" unter Gleichgesinnten. Eines ihrer wichtigsten Ausdrucksmittel ist die rechtsextremistische Musik.61 Strategie SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN neigen beim Aufeinandertreffen mit politischen Gegnern oder Menschen, die in der rechtsextremistischen Szene als "Feindbilder" angesehen werden, zu spontanen Gewalttaten. Sie sind trotz ihrer weltanschaulichen Ausrichtung kaum an ideologischer Vertiefung, z. B. durch entsprechende Schulungen, interessiert. Daher beteiligen sie sich weder an politischen Strategiedebatten noch an der Erarbeitung entsprechender Konzepte oder der Verbreitung ausgearbeiteter Stellungnahmen. Anders als NEONATIONALSOZIALISTEN streben sie keine Wirkung außerhalb der rechtsextremistischen Szene an. Im Vordergrund steht das tägliche, eher unreflektierte Erleben und Ausleben ihrer Gesinnung. Strukturen bilden sich in der Szene in der Regel anlassbezogen und verlieren beim Wegfall des Ereignishintergrundes auch schnell wieder an Bedeutung. Die anlassbezogene Dynamik kann dabei sehr hoch sein. Die langlebigsten Strukturen finden sich innerhalb der Musikund Vertriebsszene. Ziel ist dabei auch die Sicherung und Erhöhung finanzieller Gewinne. In Einzelfällen fließen die erwirtschafteten Einnahmen auch wieder zurück in die finanzielle Unterstützung von Szeneaktivitäten (z. B. durch Solidaritäts-CDs, Solidaritätskonzerte, Sponsoring von Veranstaltungen). Eine Sonderrolle nehmen rechtsextremistische Fußballanhänger ein, die einem diffusen Milieu entstammen, das sich zum Teil auch in Strukturen organisiert. Dies ermöglicht, über die eigenen Milieugrenzen hinaus, auch in nicht extremistische Fankreise hineinzuwirken, sodass sehr schnell Vernetzungen mit Nicht-Extremisten zustande kommen. Rechtsextremisten kann es so gelingen, sich als "normaler" und akzeptierter Teil der Fanszene zu etablieren. Aufgrund der sozialen Bedeutung des Fußballsports besitzen sie hier die Möglichkeit in großer Breite zu wirken, sofern nicht seitens der Vereine und der Fankulturen eindeutige Gegenpositionierungen erfolgen. Diese Gesamtausrichtung macht subkulturell geprägte Strukturen in ihrer weiteren Entwicklung schwer berechenbar. Ihrer impulsiven Gewaltbereitschaft wohnt ein erhebliches Gefahrenpotenzial inne. Strukturen Subkulturell geprägte Strukturen sind sehr wandelbar und können unter Umständen auch sehr schnell entstehen. Dabei kommt es nicht zwangsläufig zu festen Strukturen, wie Kameradschaften und ähnlichen Verbänden. Zumeist handelt es sich um sich verfestigende konkrete Personenkreise, die wegen der Nutzung sozialer Medien kaum ein Bedürfnis nach weiterer Organisation empfinden. Daher verlaufen die Strukturbildungsprozesse sehr unterschiedlich: Ergibt sich die Notwendigkeit, unter einem klaren "Label" aufzutreten, strukturiert sich die Szene etwas fester, besteht hierfür kein dringender Bedarf mehr, verfallen 60 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 61 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik Seite 62 von 267 die gebildeten Strukturen wieder in Inaktivität. Eine wichtige Rolle spielen neben bestehenden Kennverhältnissen das Vorhandensein geeigneten Führungspersonals, einer Treffgelegenheit sowie regelmäßig wiederkehrende Ereignisse, die die beteiligten Personen immer wieder zusammenführen. Diese Prozesse können aufgrund aktueller Entwicklungen jedoch rasant an Dynamik gewinnen. Vor dem Hintergrund der Asylthematik kam es ab 2014/15 in der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE zu tiefgreifenden Politisierungsprozessen. Diese steigerten das Niveau der Gewaltbereitschaft und trieben die Bildung fester Personenzusammenhänge voran, die dann gemeinsam und teils sehr viel zielgerichteter agierten. In den letzten Jahren hat sich die Szene wieder ihren ursprünglichen Betätigungsfeldern (Musik, erlebnisorientierte Veranstaltungen, wie Wanderungen, Sport etc.) zugewandt. Gleichwohl ist das Dynamisierungspotenzial noch vorhanden. Im Bereich der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN STRUKTUREN hat die Konzertund Vertriebsszene eine hohe - auch bundesweite - Bedeutung. Sie umfasst die zahlreichen sächsischen rechtsextremistischen Musikgruppen und Liedermacher sowie die aktiven Vertriebsunternehmen.62 Es handelt sich bei diesen Vertrieben um weitverzweigte Unternehmen, die teilweise international agieren. Sie stellen die ältesten und etabliertesten Netzwerke innerhalb der Szene dar. Mit dem erwirtschafteten Geld wurden u. a. Immobilien gekauft oder gemietet und Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene in Sachsen finanziell unterstützt. Die Vertriebe bilden ein wichtiges Rückgrat für die gesamte Szene. Sie stellen aber nicht nur Finanzmittel, sondern auch Räumlichkeiten, Logistik und erfahrene Veranstaltungsorganisatoren zur Verfügung. Mit PC-RECORDS63 (Chemnitz) agiert einer der bundesweit bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebe in Sachsen. Anders als früher wird der subkulturell geprägte Rechtsextremismus nicht mehr von rechtsextremistischen Skinheads, sondern von rechtsextremistischen Fußballanhängern dominiert. Sie sind vor allem in den Großstädten, aber auch in den Landkreisen Bautzen, Meißen, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Leipzig Land, Nordsachsen, Zwickau und im Erzgebirgskreis ansässig. Im Berichtsjahr sammelten sie sich u. a. in zwei bestehenden rechtsextremistischen Fußballanhängergruppierungen: KAOTIC CHEMNITZ64 und BLACK DEVILS (Hoyerswerda, Lkr. Bautzen)65. Sämtliche Gruppen bestehen im Kern aus einem niedrigen zweistelligen Personenpotenzial. Die Bildung und Auflösung von rechtsextremistischen Fußballanhängergruppierungen verläuft dem Grundcharakter der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE entsprechend sehr dynamisch: Zahlreiche in der Vergangenheit aktive Gruppierungen traten in den letzten Jahren nicht mehr in Erscheinung oder lösten sich aus strategischen Gründen formell auf. Zumeist blieb jedoch das hinter den Gruppierungen stehende Personenpotenzial erhalten und agierte auch weiter gemeinsam. Daneben bilden die rockerähnlichen Strukturen, die vor allem in Ostsachsen beheimatet sind, eine weitere relevante Unterart der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN. In Bruderschaften ahmen Rechtsextremisten den klassischen Rocker-Lifestyle nach. Mitglieder tragen bei Szeneveranstaltungen Lederkutten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen. Häufig werden die hierarchischen Strukturen der Rocker-Clubs übernommen. Gemeinsam ist allen rechtsextremistischen Bruderschaften, dass sie gemeinschaftliche, öffentliche Auftritte eher meiden. Kutten und sonstige Erkennungsmerkmale werden insbesondere bei internen Veranstaltungen und Konzerten getragen. Auf öffentliche 62 vgl. Beiträge II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik und II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 63 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 64 vgl. Beitrag II.2.7.2 Stadt Chemnitz 65 vgl. Beitrag II.2.7.1 Landkreis Bautzen Seite 63 von 267 Machtdemonstrationen wird für gewöhnlich verzichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass es den Gruppierungen in Sachsen schlichtweg an Masse mangelt. Zum anderen treibt die rechtsextremistischen Bruderschaften die Sorge um, durch ihre Uniformierung zu leicht als "Verein" identifiziert und damit Gegenstand vereinsrechtlicher Exekutivmaßnahmen zu werden. Herausragende Vertreter sind die BRIGADE 866 aus Mücka (Lkr. Görlitz) mit ca. 40 Personen und die ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE)67 aus Bautzen (Lkr. Bautzen) mit ca. 30 Personen, beide mit konstantem Personenpotenzial im Vergleich zum Vorjahr. Der Ableger der BRIGADE 8 in Mücka ist eines von mehreren "Chaptern" dieser bundesweit bestehenden Gruppierung. Ihre Mitglieder sind gut vernetzt und verfügen über Verbindungen in die bundesweite rechtsextremistische - vor allem NEONATIONALSOZIALISTISCHE - Szene. Insbesondere kam es bis zu deren Verbot am 23. Januar zur veranstaltungsbezogenen Kooperation mit Angehörigen der Gruppierung COMBAT 1868. Personelle Überschneidungen zwischen dem Rockermilieu und der rechtsextremistischen Szene bestehen in Sachsen hingegen nur vereinzelt. Diese gehen meist auf geschäftliche Interessen oder persönliche Beziehungen zurück. Weite Teile der rechtsextremistischen Szene lehnen Rockerclubs wegen ihres vergleichsweise hohen Anteils von Migranten ab. Aktivitäten Überregional bedeutsame Aktivitäten von rechtsextremistischen Fußballanhängern Am 7. November fand in Leipzig eine nicht extremistische Veranstaltung gegen die aktuell geltenden Corona-Beschränkungen statt, an der sich neben Angehörigen der regionalen und überregionalen rechtsextremistischen Szene auch Personen der überregionalen rechtsextremistischen Fußballfanund Kampfsportszene beteiligten. Diese verhielten sich während des Veranstaltungsverlaufes zum Teil aggressiv und traten provokant auf. Am 12. Dezember wurde in der Landeshauptstadt Dresden eine nicht-extremistische Veranstaltung gegen die Corona-Beschränkungen angemeldet, welche behördlicherseits coronabedingt im Hinblick auf die zu erwartende hohe Teilnehmerzahl und die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit in Dresden verboten wurde. Dennoch reisten auch mehrere Rechtsextremisten in die sächsische Landeshauptstadt, um eine Versammlung durchzuführen. Polizeikräfte führten während der Anreisen Fahrzeugkontrollen durch und stellten dabei der überregionalen rechtsextremistischen Fussballfanund Kampfsportszene zuzurechnende Personen fest. Eine Weiterfahrt zum ursprünglich geplanten Veranstaltungsort konnte durch die polizeilichen Maßnahmen verhindert werden. Diese Aktivitäten zeigen erneut, welchen gesellschaftlichen Einfluss rechtsextremistische Fußballanhänger entfalten können. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass sie den per se nicht extremistischen und beliebten Fußballsport als Vehikel für ihre ideologischen Überzeugungen nutzen. Zum anderen bietet ihnen der hierdurch ermöglichte Zugang zum sehr viel größeren Milieu der Fußballanhänger insgesamt die Gelegenheit, deren Netzwerke und Infrastruktur für die Entfaltung eigener Aktivitäten zu nutzen und auf diese Weise auch auf das nicht-extremistische Milieu der Fußballanhänger Einfluss zu nehmen. Hauptsächlich interne Veranstaltungen bei kameradschaftlichen und rockerähnlichen Gruppierungen Im Bereich der rockerähnlichen Gruppierungen gab es im Berichtsjahr ebenfalls pandemiebedingt ein stark gesunkenes Aktionsniveau. 66 vgl. Beitrag II.2.7.5 Landkreis Görlitz 67 vgl. Beitrag II.2.7.1 Landkreis Bautzen 68 vgl. Verfassungsschutzbericht Nordrhein-Westfalen 2018, S. 132 sowie Verfassungsschutzbericht Hessen 2018, S. 77. COMBAT 18 wurde am 23. Januar 2020 durch den Bundesinnenminister verboten. Seite 64 von 267 Bei den seitens der BRIGADE 8 in einem angemieteten Objekt in Mücka (Lkr. Görlitz) durchgeführten Aktivitäten handelte es sich um Zusammenkünfte mit oftmals rechtsextremistischer musikalischer Begleitung, die auch überregionale Rechtsextremisten anzogen. Der NATIONALE JUGENDBLOCK69 aus Zittau (Lkr. Görlitz) konnte noch 2018 für seine Veranstaltungen (vor allem Konzerte) ein Personenpotenzial im niedrigen dreistelligen Bereich mobilisieren und verdeutlichte damit, dass er als Kristallisationspunkt für ein weit größeres unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial dienen kann. Ab 2019 ließ dieses Aktionsniveau auch wegen behördlicher Auflagen jedoch wieder nach.70 Die rockerähnlichen, subkulturell geprägten Gruppierungen konzentrieren sich stattdessen vielmehr auf ihren eigenen Zusammenhalt, pflegen ihre teilweise auch überregionalen Netzwerke und sprechen durchaus auch Personen außerhalb ihres eigenen Wirkungsbereiches an. Größere Veranstaltungen zur Stärkung des Szenezusammenhaltes Seit 2018 gibt es einen Trend zu Großkonzerten und sog. Mischveranstaltungen 71, z. B. die "Schild und Schwert"-Veranstaltungen in Ostritz (Lkr. Görlitz).72 Die zunehmende Sichtbarkeit der rechtsextremistischen, subkulturellen Szene im Rahmen dieser Großveranstaltungen wurde auch durch eine offene Zurschaustellung rechtsextremistischer Überzeugungen mittels propagandistischer Kleidungsstücke untermauert. Darin zeigte sich zum einen die ideologische Festigung der Szene, zum anderen aber auch eine gestiegene Präsenzund auch Konfrontationsbereitschaft gegenüber der nicht extremistischen Bevölkerung. Im Berichtsjahr konnten derartige Veranstaltungen aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht durchgeführt werden. SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN fehlte damit ein entscheidendes Podium für die öffentliche Präsenz und Provokation. Es blieb ihnen für eine öffentliche Bühne schlussendlich nur das vereinzelte Ausweichen auf die Corona-Proteste. 2.4.5 Rechtsextremistische Musik Die Musik sowie die Szene-Konzerte sind unverändert wichtige Instrumente für die Verbreitung der rechtsextremistischen Ideologie und damit eine zentrale, identitätsstiftende Basis für die Szene. Gemeinsame Konzertbesuche stärken das Gemeinschaftsgefühl und tragen dazu bei, dass Kontakte zwischen den verschiedenen regionalen Szenen geknüpft und aufrechterhalten werden. Rechtsextremisten können ihre verfassungsfeindliche Ideologie sehr gut über Musikdarbietungen vermitteln, wobei dazu passende Melodien und Rhythmen einen wesentlich verstärkenden Faktor im emotionalen Empfinden des Empfängers auslösen. Insofern ist die Musik vor allem für Jugendliche ein Eintrittstor in die rechtsextremistische Szene. Nicht zuletzt spielen kommerzielle Gesichtspunkte bei der Veranstaltung von Konzerten und vor allem bei den Szene-Vertrieben eine nicht zu unterschätzende Rolle. Beides sind wichtige finanzielle Einnahmequellen für Rechtsextremisten. 69 vgl. Beitrag II.2.7.5 Landkreis Görlitz 70 vgl. Beitrag II.2.7.5 Landkreis Görlitz 71 Der Begriff "Mischveranstaltung" bezeichnet ein Veranstaltungsformat, bei dem verschiedene Veranstaltungsbestandteile stattfinden, die sonst nur in Einzelformaten bedient werden (z. B. Musik oder Kampfsport). 72 vgl. Beitrag II.1.7.5 Landkreis Görlitz Seite 65 von 267 Die RECHTSEXTREMISTISCHE SUBKULTURELLE SZENE bevorzugt Musikstilrichtungen wie "R.A.C."73 und "Hardcore"74 bzw. "Hatecore"75. Dieser "Rechtsrock" ist geprägt von aggressiven Texten und zumeist hämmernden Rhythmen. In den Liedern werden Rassismus und Gewalt propagiert, das NS-Regime verherrlicht und der Kampf gegen das verhasste demokratische System beschrieben. In den Texten wird zum Teil auch einem Germanenund Wikingerkult gehuldigt. Politische Inhalte werden zudem auch im Balladenstil vorgetragen. Eine in der Szene beliebte Musikstilrichtung ist der sog. "NSBM" 76. Diese von der Black-MetalMusik abgeleitete Stilrichtung bezieht sich in ihrer Ausrichtung auf den historischen Nationalsozialismus. Mit dem Umzug der beiden rechtsextremistischen Musiker PROTOTYP und PRIMUS nach Sachsen agieren seit 2020 zudem zwei Vertreter der Musikstilrichtung "Rapmusik" im Freistaat. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen im Jahr 2020 in Sachsen Die Entwicklung der rechtsextremistischen Musikszene im Freistaat Sachsen war im Berichtsjahr durch die Corona-Beschränkungen beeinflusst und geprägt. Geplante Konzerte wurden entweder abgesagt oder fanden vereinzelt unter entsprechenden Einschränkungen statt. Darüber hinaus konnten einzelne konspirativ organisierte Konzerte bzw. Liederabende festgestellt werden. So fanden im Berichtsjahr coronabedingt mit insgesamt 14 Konzerten (2019: 24), elf Liederabenden (2019: 22) und elf sonstigen Musikveranstaltungen (2019: 27) weitaus weniger rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt als im Jahr 2019. Durchgeführte rechtsextremistische Konzerte in Sachsen 45 42 40 35 30 26 24 25 24 25 20 17 15 14 14 15 14 10 5 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Die nachfolgenden Tabellen beinhalten Übersichten über rechtsextremistische Konzertveranstaltungen, Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen, welche im Berichtsjahr öffentlich genannt werden können. 73 "Rock against Communism" - Rock gegen Kommunismus 74 US-amerikanische Weiterentwicklung der "Punk"-Musik - im Stil schnell und hart 75 wie "Hardcore", jedoch mit härteren, hasserfüllten Texten. Der Begriff "Hatecore" war ursprünglich nicht rechtsexextremistisch ausgerichtet, wird aber mittlerweile in erster Linie von rechtsextremistischen Bands besetzt. 76 "NSBM" steht für NS-Black Metal und bezeichnet den Teil der Metal-Szene, der sich in seiner Musik und seiner Ausrichtung auf den historischen Nationalsozialismus bezieht. Seite 66 von 267 Konzertveranstaltungen Datum Ort Konzertbesucher (ca.) 1 18. Januar Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachen) 240 2 1. Februar Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachen) 170 3 15. Februar Zwickau (Lkr. Zwickau) 200 4 29. Februar Bad Gottleuba-Berggießhübel OT Langenhen100 nersdorf (Lkr. Sächs. Schweiz-Osterzgebirge) 5 5. September Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachen) 150 6 12. September Kleinwelka (Lkr. Bautzen) 50 7 3. Oktober Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachen) 180 8 10. Oktober Torgau OT Staupitz (Lkr. Nordsachen) 180 Liederabende und sonstige Musikveranstaltungen Datum Ort Veranstaltung 1 18. Januar Mücka (Lkr. Görlitz) Veranstaltung der BRIGADE 8 mit Musik 2 1. Februar Westsachsen Liederabend mit FREILICHFREI und seinem Projekt SPÄTLESE 3 7. März Riesa (Lkr. Meißen) Auftritt von FREILICHFREI beim Kongress der JUNGEN NATIONALISTEN 4 17. Juni Dresden Auftritt des Liedermachers BENJAMIN GRUHN bei der NPD Kundgebung zum Jahrestag des Volksaufstandes 5 20. Juni Riesa (Lkr. Meißen) Liederabend mit FREILICHFREI 6 27. oder 28. Sachsen Liederabend mit FREILICHFREI Juni 7 18. Juli Riesa (Lkr. Meißen) Liederabend mit BENJAMIN GRUHN 8 1. August Pirna (Lkr. Sächsische SchweizLiederabend mit einem Osterzgebirge) rechtsextremistischen Liedermacher 9 22. August Zwickau (Lkr. Zwickau) Liederabend mit BENJAMIN GRUHN 10 5. September Riesa (Lkr. Meißen) Auftritt von zwei rechtsextremistischen Liedermachern 11 10. Oktober Gohrisch, OT Kleinhennersdorf Liederabend mit vermutlichem (Lkr. Sächsische SchweizAuftritt eines rechtsextremistischen Osterzgebirge) Liedermachers Im wohl wichtigsten Konzertobjekt der sächsischen rechtsextremistischen Szene, dem ehemaligen Gasthof in Torgau, OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen), fanden insgesamt fünf von zehn behördlich77 genehmigten Konzertveranstaltungen statt. Die Organisatoren versuchten nach Abklingen der ersten "Corona-Welle" ab September 2020 verstärkt, das Konzertgeschehen zu reaktivieren. Unter Auflagen fanden schließlich im September und Oktober insgesamt drei Veranstaltungen mit reduzierter Teilnehmerzahl statt. Von der Durchführung weiterer Konzerte wurde abgesehen, als sich gegen Ende des Jahres wieder ein ansteigendes Infektionsgeschehen abzeichnete. Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE versuchte auch im Berichtsjahr, Großveranstaltungen mit Auftritten von rechtsextremistischen Liedermachern und Bands in Ostritz (Lkr. Görlitz) zu organisieren. In der Liegenschaft des Hotels "Neißeblick" fanden in der Vergangenheit unter dem Motto "Schild und Schwert Festival" Großveranstaltungen mit 77 Unabhängig von Corona-Beschränkungsmaßnahmen dürfen in dem Gasthof in Torgau, OT Staupitz jährlich nur zehn Konzerte stattfinden. Seite 67 von 267 Teilnehmerzahlen bis zu einer vierstelligen Höhe statt.78 Im Juni sowie im September meldete HEISE diese Veranstaltung abermals als öffentliche Versammlung an. Es war ihm jedoch aufgrund der Auflagen im Rahmen der Corona-Beschränkungen unmöglich, diese Veranstaltungen so wie ursprünglich geplant durchzuführen. Deshalb sagte er sie schließlich ab. Die Polizei löste im Berichtsjahr in den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Bautzen zwei konspirativ organisierte rechtsextremistische Musikveranstaltungen auf: Am 12. September fand in Kleinwelka (Lkr. Bautzen) eine Konzertveranstaltung mit ca. 50 Teilnehmern statt. Nach Feststellung von Musiktexten mit nationalsozialistischer Gesinnung und "Heil Hitler"-Rufen beendete die Polizei diese Veranstaltung. Rechtsextremisten organisierten eine weitere Musikveranstaltung konspirativ am 10. Oktober in Gohrisch (OT Kleinhennersdorf). Die Polizei löste diese Veranstaltung auf und stellte die Personalien von 33 Teilnehmern fest. Es stellte sich heraus, dass unter den Teilnehmern ehemalige Mitglieder der verbotenen SKINHEADS SÄCHSISCHE SCHWEIZ (SSS) waren. Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher Im Berichtsjahr konnten ungeachtet der Corona-Beschränkungen Aktivitäten von insgesamt 22 rechtsextremistischen Musikgruppen, Liedermachern bzw. Einzelinterpreten festgestellt werden. Drei Musiker verlegten ihren Wohnort nach Sachsen. Eine Band konnte nach Identifizierung ihrer Mitglieder dem Freistaat Sachsen zugeordnet werden. Vier neue Bands bzw. Interpreten wurden bekannt, und eine seit 2019 aktive Musikgruppe konnte dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden. Die Musikgruppen bzw. Einzelinterpreten gaben insgesamt neun Alben heraus, beteiligten sich an vier Samplern und einer Split-CD. Nachfolgend werden die im Freistaat Sachsen im Jahr 2020 auffälligsten Entwicklungen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Musikern und Musikgruppen beschrieben: Band FEINDNAH Seit 2019 tritt bei verschiedenen rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen die Band FEINDNAH auf. Dabei waren die Musiker stets bemüht, ihre Identität zu verschleiern. Dies führte sogar dazu, dass die Musikgruppe zum "Tag der Nationalen Bewegung" am 6. Juli 2019 in Themar (Thüringen) hinter einem Vorhang auftrat. Einem Hinweis aus dem Internet im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung folgend konnte schließlich festgestellt werden, dass Mitglieder dieser Band aus Wurzen stammen und zum Teil Mitglieder in der bis 2014 aktiven rechtsextremistischen TERROR CREW MULDENTAL waren. FEINDNAH gab bisher zwei Tonträger heraus. Im Jahr 2018 erschien eine Demo-CD, und 2019 folgte das Album "Odyssee". Das Album beinhaltet rechtsextremistische und nationalsozialistische Elemente. Die Texte stellen aggressiv-kämpferische Mittel als legitime Werkzeuge für einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel in Form eines gewaltsamen Umsturzes dar. Ein Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus wird im Booklet hergestellt. Dort ist das Symbol eines mit einem Hammer gekreuzten Schwertes abgebildet. Dieses Zeichen symbolisierte während der NS-Diktatur die Gemeinschaft von Soldaten und Arbeitern und ist in der rechtsextremistischen Szene verbreitet. Im Lied "Freund & Helfer" wird die Polizei als Institution zur Durchsetzung eines "kranken Wahns" beschrieben. Polizisten seien demnach "Sklaven des Systems" ohne Mitspracherecht, die die "Freien in den Untergang treiben". Im Lied "Dran, Drauf, Drüber" rufen die Interpreten konkret zum Kampf gegen "diese Republik" auf: "Eine Jugend schreit nach Wende - Niemand diesen Schrei erstickt. Auf die Straßen, in den Gassen gegen diese Republik. Ihr seid die Erben, seid das Bollwerk - die einz'ge 78 vgl. hierzu Ausführungen in den Verfassungsschutzberichten der Jahre 2018 und 2019 Seite 68 von 267 Möglichkeit. Dran, drauf, drüber - niemals Untergang. Kämpft wie früher - Mann für Mann. Niemals Einhalt. Es ist unsere Zeit. Im Kampf um Freiheit sind wir zu allem bereit." Die Zeile "Im Kampf um Freiheit sind wir zu allem bereit" lässt darauf schließen, dass die Interpreten dabei auch die Anwendung aggressiv-kämpferischer Mittel zur Erreichung ihrer politischen Ziele einschließen. Dies zeigt sich vor allem im Lied "Die Tat": "Eisen zur Hand. Laut die Fanfaren: Sie künden unseren Krieg. [...] Und ist der Feind die Übermacht, kämpfen wir wie Spartiaten. Schild an Schild, Speer an Speer. Während sie feige träumen werden wir immer mehr. Feindnah [...] Keinen Kampf zu scheuen." Band ULTRACOCKS Im April 2020 warb die sächsische rechtsextremistische Band TRUE AGGRESSION für das Album "Rock against Crybabies" der bisher unbekannten Band ULTRACOCKS. Bei einem Internetversand heißt es dazu: "Und so schmettern uns hier Mitglieder von True Aggression 12 Songs und ein Intro vor die Füße, welche mit ihrer direkten Art und im zackigen Tempo alle Freunde des flotten und punkigen RACs begeistern sollten." Bereits der Schriftzug des Bandnamens ULTRACOCKS verweist auf die rechtsextremistische Ausrichtung der Band. Die extra groß geschriebenen Buchstaben RAC stehen für die Abkürzung "Rock Against Communism" - eine in der rechtsextremistischen Musikszene verwendete Musikstilrichtung. Auch aus den Anfangsbuchstaben des Albumtitels sind die drei Buchstaben RAC erkennbar. Im titelgebenden Song glorifiziert die Band zudem rechtsextremistische Musikgruppen: "Skrewdriver, Brutal Attack79 und all diese Legenden, schufen eine Tradition, und wir bleiben am Ball. Die Zukunft unserer Kultur, sie liegt in unseren Händen. RAC! Back with bang! Zurück mit einem Knall!" Im Lied "Mein Traum" verdeutlicht die Band, "eine echte Wende" zu wollen, da "das System eine Scheinwelt" sei. Vom "wahren Deutschland" sei die "BRD (...) allenfalls ein schlechter Klon". Im Lied "Es ist an uns!" heißt es verschwörungstheoretisch: "Alles was geschieht, läuft hier nach Plan. Es läuft nach Plan, seit über hundert Jahren. Des Volkes Seele strebt ans Licht, doch sie darf nicht sich gänzlich offenbaren. (...) Umerzogen und belogen, fehlgeleitet und betragen, Hand in Hand mit Mammons Schergen gehen". Die Textanspielung auf einen großen Plan, der über hundert Jahren laufe und offenbar von "Mammons Schergen" ausgehe, zeigt deutliche Bezüge zum in der rechtsextremistischen Szene tief verankerten Mythos einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung auf. Band FRONT776 Auf dem Telegram-Kanal des sächsischen rechtsextremistischen Vertriebes PC-RECORDS wurde im Mai 2020 auf die neue sächsische Band FRONT776 hingewiesen. Dazu wurde ein offizielles Video zum Debüt-Album dieser Band eingestellt, welches im Sommer 2020 unter dem Titel "14.07.1976" bei PC-RECORDS erschien. Bei dem Sänger der Band soll es sich um den sächsischen Liedermacher SCHRATT handeln, der auch als RAC'N'ROLL-TEUFEL auftritt. Darüber hinaus wurde in einer Tonträgerbeschreibung angegeben, dass in dieser neuen Band Mitglieder der ehemaligen sächsischen Band BLITZKRIEG mitwirken. Das Erstlingswerk dieser Musikgruppe weist positive Bezüge zur Zeit des Nationalsozialismus auf. Außerdem beinhalten Passagen dieses Tonträgers fremdenfeindliche und staatsverunglimpfende Aussagen. Mit dem verbalen Angriff auf die höchste Repräsentantin der Regierung in einer beleidigenden Art und Weise zielt die Band auf eine Verächtlichmachung des gesamten politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland und 79 Bei SKREWDRIVER handelt es sich um eine ehemalige und bei BRUTAL ATTACK um eine noch aktive rechtsextremistische Musikgruppe aus England. Beide Bands gelten als Gründer des neonationalsozialistischen Netzwerkes BLOOD AND HONOUR und verfügen über ein renommiertes Ansehen innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Seite 69 von 267 damit auch auf eine Verächtlichmachung der parlamentarischen Demokratie ab. Der in der rechtsextremistischen Szene vorhandene Hass auf das parlamentarische, demokratisch legitimierte System soll so geschürt werden. Im Lied "Front776" beschreibt die Band ihr Selbstverständnis. Als Vorbilder sieht sie "Deutsche, noch vom alten Schlage", welche "Wehrhaft (...) und schlachtgestählt" waren. Man wolle im "Geiste alter Recken" stehen, "wie es einst ein Peiper tat, der allein im Sommer 76 dem roten Mob entgegentrat". In diesem Lied, im Bandnamen sowie im Titel "Peipers letzte Schlacht" bringt diese Musikgruppe ihre Verehrung für den ehemaligen Adjutanten Himmlers, Führer der Waffen-SS sowie Kriegsverbrecher Joachim Peiper zum Ausdruck, welcher am 14.07.1976 infolge eines Schusswechsels in Traves (Frankreich) ums Leben kam. Im Lied "Hände weg" fordert die Band "Hände weg vom Deutschen Reich". Der deutsche Staat wird als "Umvolkungsapparat" verunglimpft, welcher einen "Flüchtlingsstrom" in Marsch setzte, um "alle zu verdrängen". Um den Staat zu sichern "werde das Volk zersetzt". Ihn wolle man zu Fall bringen "für die Prostitution des deutschen Landes [...] die Unterdrückung und Umerziehung". Im Lied "Halts Maul" wird die Bundeskanzlerin beleidigt und verbal angegriffen: "Der alte Wohlstand ist verschwunden, die Rücklagen sind verprasst. Niemals wurde hier in Deutschland je ein Kanzler so gehasst. Und mit abgespreizten Fingern - aufgedunsen, fett und weich. Ein Geschlechtsorgan zu formen macht uns auch nicht wieder reich. Merkel halts Maul! Keiner will mehr deine Eide hören! Merkel halts Maul! Keine Sau braucht dich hier." Band ETHOS Im März 2020 wurde auf Facebook eine neue Band unter der Bezeichnung ETHOS bekannt und auf deren Internetseite ein erstes Album angekündigt. In einer Beschreibung des Tonträgers mit der Bezeichnung "Zeitgeist" heißt es: "Ethos bezeichnet bildungssprachlich die sittliche Gesinnung einer Person, einer Gemeinschaft oder speziellen sozialen Gruppe. Der Künstler kann auf eine lange Vita in politischer Musik zurückblicken und hat nun endlich sein Soloprojekt realisieren können." Hinter ETHOS verbirgt sich ein aus Leipzig stammender Gitarrist der Band FLAK80. Ein auf Facebook gepostetes Foto vom Probenraum lässt darauf schließen, dass dieses "Soloprojekt" aus mindestens drei Musikern besteht. Am Erstlingswerk "Zeitgeist" soll auch der Sänger der Band FLAK mitgewirkt haben. Der Tonträger bestätigt, dass es sich bei dieser Band um eine rechtsextremistische Musikgruppe handelt. So beschreibt das Lied "Eiszeit" die "BRD" als ein Land, in dem es "politisch arrangiert" sei, dass die Demokratie mit "Dehumanisierung" und "Gewalt" agiere. Mit "schwarzen Fahnen" werde das "Volk vereint zum Schwert" greifen, um "uns erneut (zu) befreien". Das Lied "Replacement Migration" thematisiert den von Rechtsextremisten propagierten verschwörungstheoretischen Ansatz der Vernichtung des deutschen Volkes durch einen "Austausch". "Replacement und Austausch" seien "die letzten Symptome ihrer Besetzung". "Mit Propaganda dein Weltbild geformt, mit Humanismus dein Hirn wird genormt. Replacement Migration Vermischung Zersetzung, die letzten Symptome ihrer Besetzung. (...) Was mit Deutschland geschieht auf Brechen und Biegen, den Austausch vollziehen. (...) Sie importieren Wähler und siedeln sich an, gelockt wird durch Frauen und Iman." 80 vgl. Beitrag II. 2.7.7 Leipzig Stadt Seite 70 von 267 Im Lied "Der Sonne entgegen" ist ein Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus erkennbar. Nicht nur die dem SS-Leitspruch "Unsere Ehre heißt Treue" ähnelnde Textzeile "Unsere Fahne heißt Treue", sondern auch die Erwähnung einer Fahne mit Sonnenzeichen 81 belegt dies. "Wir marschieren mit festem Schritt voraus, für den Glauben, der uns bewegt. Unsere Fahne heißt Treue, unser Herz für Deutschland schlägt. Bald schon wehet stolz von jedem Haus, dass die Welt es sehen kann. Unsere Fahne der Hoffnung, mit dem Sonnenzeichen daran." Band DER TOD UND DIE LANDSKNECHTE Dem Musikspektrum NS-Black Metal (NSBM) ist die Band DER TOD UND DIE LANDSKNECHTE zuzuordnen. Die Band trat bereits 2019 bei einem NSBM-Konzert in Torgau (OT Staupitz) auf. Über diese Musikveranstaltung wurde auf einer Internetseite berichtet: "Viele werden bereits wissen, als was sich der Überraschungsgast entpuppt hat, 'der Tod und die Landsknechte' gaben ihr Bühnendebüt und Wolf (ABSURD [...]) kehrte nach jahrelanger Abstinenz mit einem Donnerschlag zurück. Ausgerüstet mit Axt und Brustpanzer betrat dieser die Bühne und schrie sich die Seele aus dem Leib, während Bile an der Gitarre und die weiteren Landsknechte ihr Bestes an den Instrumenten gaben [...] Als Abschluss des leider viel zu schnell endenden Auftritts wurde sogar ein Feuerspucker eingesetzt, während als musikalische Begleitung zum Anzünden des Publikums der Klassiker 'Pesttanz' von ABSURD zum Besten gegeben wurde." Bei "Bile" handelt es sich um einen aus Sachsen stammenden Musiker der rechtsextremistischen Band LEICHENZUG. Die Band ABSURD ist eine bekannte NSBM-Band aus Thüringen. Ihr Lied "Pesttanz" ist auf mehreren Tonträgern der Musikgruppe enthalten und war indizierungsrelevant. In einer diesbezüglichen Entscheidung zum Tonträger "Der fünfzehnjährige Krieg" wurde angeführt, dass u. a. das Lied "Pesttanz" zum Rassenhass anreize. Dies belegen Textpassagen wie diese: "Widerstehend der Ärzte Kunst, nutzend jetzt der Stunde Gunst. Was da atmet muss nun sterben, auf dass die Welt gereinigt werde. Mordend Juden und Christenheit, lüstern, voller Grausamkeit. Massengräber füllen sich, holde Pest wir grüßen dich." DER TOD UND DIE LANDSKNECHTE gab bisher zwei Tonträger heraus. Im Jahr 2018 erschien das Album "Söhne des Teufels", im Berichtsjahr erschien "Allzeit bereit". Liedermacher BENJAMIN GRUHN Der Liedermacher BENJAMIN GRUHN trat im Berichtsjahr als Liedermacher und Redner bei zwei Kundgebungen der NPD in Dresden auf. Er selbst gibt auf seiner Facebook-Seite an, NPDund JN-Mitglied zu sein. GRUHN trat seit 2018 bei verschiedenen rechtsextremistischen Demonstrationen als Redner in Erscheinung. Am 18. August 2018 war er Anmelder, Leiter und Redner einer unter dem Motto "Deutsch und Stolz darauf" stehenden Demonstration in Chemnitz. GRUHN veröffentlichte bisher auf seinem YouTube-Kanal Cover-Versionen verschiedener Lieder, darunter auch einen Song der verbotenen rechtsextremistischen Musikgruppe LANDSER82. 81 Im Textzusammenhang gesehen ist anzunehmen, dass hiermit eine Hakenkreuzfahne oder eine Fahne mit Sonnenkranz gemeint ist. Die schwarze Sonne ist ein nationalsozialistisches Symbol, welches in der Mitte des ehemaligen SS-Obergruppenführersaals in der Wevelsburg (NordrheinWestfalen) zu sehen ist. Es wurde in der neonationalsozialistischen Szene nach 1945 als Ersatz für das in Deutschland verbotene Hakenkreuz verwendet. 82 Das Berliner Kammergericht verurteilte die Mitglieder der rechtsextremistischen Band LANDSER im Jahr 2003 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, der Billigung von Straftaten, der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole sowie der Beschimpfung von Bekenntnissen zu Geldund Haftstrafen. Seite 71 von 267 Liedermacherin ARIA/ARIA S Die aus dem Landkreis Bautzen stammende und seit 2014 aktive Liedermacherin ARIA / ARIA S kehrte im Berichtsjahr wieder in ihre Heimat zurück. Sie spielte bisher als Bassistin in einer rechtsextremistischen Band und beteiligte sich mit dem Titel "Endlos unmodern" am Sampler "Punikoff hört rein Vol.2". Dazu schreibt sie: "Zu meinem Samplerbeitrag 'endlos unmodern' muss ich keine großen Reden schwingen. Unsere Weltanschauung wird vom Feind als alt und unmodern dargestellt." Wessen Weltanschauung damit gemeint ist, verdeutlichen ihre Auftritte bei Veranstaltungen verschiedener rechtsextremistischer Bestrebungen wie den Parteien NPD, DER DRITTE Weg oder DIE RECHTE. Im Dezember 2019 spielte sie bei einer Veranstaltung der Partei DER DRITTE WEG in Plauen. Ihren wohl größten Auftritt hatte sie beim "Tag der Nationalen Bewegung" in Themar im Jahr 2019. Dort trat sie vor bis zu 920 Personen auf. Musiker PROTOTYP UND PRIMUS Mit dem Zuzug der beiden rechtsextremistischen Musiker PROTOTYP (Kai Alexander NAGGERT) und PRIMUS (Andre LAAF) in den Landkreis Bautzen83 sind erstmals im Freistaat Sachsen rechtsextremistische Interpreten der Stilrichtung Rapmusik vertreten. Der aus Nordrhein-Westfalen stammende Rapper PROTOTYP spielte in der Vergangenheit unter dem Label "Neuer Deutscher Standard" zusammen mit dem bayerischen Rapper Chris ARES.84 Beide sind dem Umfeld der rechtsextremistischen IDENTITÄREN BEWEGUNG (IB) zuzuordnen und veröffentlichten 2019 das Musikvideo "Neuer Deutscher Standard", welches kurzfristig vordere Plätze in Charts von Download-Portalen bei iTunes und Amazon erreichte. Im Jahr 2020 folgte das Musikvideo "Neuer Deutscher Standard 2", in dem zusätzlich der ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen stammende Rapper PRIMUS auftrat. Nach dem Umzug der beiden Musiker PROTOTYP und PRIMUS nach Sachsen erklärte Chris ARES überraschend seinen Rückzug aus der Szene und trat seitdem nicht mehr in Erscheinung. PROTOTYP gab gegen Ende des Jahres über das auch von Chris ARES genutzte Label "Arcadi-Musik" das Album "Feuer" heraus, an dem sich u. a. auch PRIMUS beteiligte. In ihrer Musik bringen diese Rapper ihren Hass gegen Rapper mit Migrationshintergrund, deren Werte und Religion sowie gegen den Staat zum Ausdruck. Im Gegensatz zu diesen verunglimpften Rappern mit Migrationshintergrund sehen sie sich selbst als "echte deutsche Rapper", die "aufrecht stehen, absolut, grade gehen" und "Deutsches Blut" haben. Im Lied "Deutschland" singt Prototyp: "Ich gehe raus und sehe das Schicksal meiner Heimat. Sehe, wie das Volk krepiert, gelenkt von diesem scheiß Staat. Ich heb die Faust und steh mit Tausenden vorm Reichstag. Auf die Straße, reiht euch ein, solange ihr noch Zeit habt." Das Lied "Neuer Deutscher Standard" verbreitet eine mit ethnischem Nationalismus gekoppelte Widerstandsrhetorik und greift deutsche Rapper an, die oft einen Migrationshintergrund haben: "Deutscher Rap besteht aus Nutten, die von Geld und Drogen reden. Wir sind NDS und uns're Welle wird jetzt losgetreten. Wir machen die Deutschen stolz, das ganze Land steht auf dem Kopf [...] Prototyp Patriot, Polizei Aufgebot, Medien eskalieren, predigen Sprechverbot. Diese zwei, unbesiegt, sind bereit, Infokrieg. Sicherheit lächerlich, sind befreit, Messerstich. Aufrecht stehen, absolut, gerade geh'n, Deutsches Blut. Patrioten die sich wehr'n, wir ham' von dem Scheiß genug. BRD hart gestört, BND abgehört. Doch wir zwei weichen nicht bis uns das Land gehört. [...] Geh mal lieber weg mit deiner Autotune Migrantenbande. Sie fordern Maulkorb, was wir machen ist für sie nur Hetze. Wir mach'n das Maul auf, nicht zu brechen wie Naturgesetze." Der Hass auf andere Rapper mit Migrationshintergrund zeigt sich auch im Lied "Neuer Deutscher Standard 2". Dort werden "Deutsche Rapper" als "Modepüppchen zugepierct, Crystal Meth und ziemlich Gay" verunglimpft. Man sei kein "Großfamilienklan" und verkaufe "keine Drogen auf dem Boden uns'rer Ahnen [...] Deutschrap hat sich jahrelang nur prostituiert 83 vgl. Beitrag II.2.7.1 Landkreis Bautzen 84 vgl. Beitrag II.2.7.1 Landkreis Bautzen Seite 72 von 267 (ja) Wir schlagen seine Zuhälter, die Fotzen verlier'n. [...] Dann endet es wie TeutoburgGermanen, wenn sie wütend sind Roll' mit deiner Drecksreligion, wir werden uns'ren Willen wahren. Ich will nach Walhalla zu den Helden meiner Kindheitstage." Auch im neuen Album "Feuer" setzen die Interpreten auf den Kontrast zwischen der eigenen heroischen Darstellung als nationale Patrioten und der verächtlichen Darstellung der erklärten Feinde: "Ich drück mich aus für unser Land ihr drückt's euch hart in Venen. [...] Die halbe Deutsche Szene macht auf Möchtegern Araber, lieber fress ich nur Dreck als eine Köfte [...] Das ist neuer deutscher Standard wir tun alle für Germania. Radikal für die Heimat bin ich wie ein Bodyguard. [...] Erst kommt der Funke, dann kommt der Brand, Rap für die Heimat, Rap für mein Land. Rap für die Freundschaft ich Rap für das Licht. Rap für mein Deutschland, das Feuer bin ich." Bewertung Es zeigte sich im Berichtsjahr sehr deutlich, dass die rechtsextremistische Musikszene in Sachsen ungeachtet der Corona-Beschränkungen betriebsam war und sich weiterentwickelt hat. Diese Entwicklung schlug sich in zahlreichen Aktivitäten rechtsextremistischer Musikgruppen, Liedermacher und Einzelinterpreten, der Neugründung von Bands und im Zuzug von Vertretern einer erstmals nun auch im Freistaat Sachsen vorzufindenden rechtsextremistischen Musikrichtung nieder. Es wurden Aktivitäten von 22 dem Freistaat Sachsen zuzuordnenden rechtsextremistischen Musikgruppen, Liedermachern bzw. Einzelinterpreten bekannt. Vier neue Bands entstanden und drei Musiker verlegten ihren Wohnsitz in den Freistaat. Damit verbunden konnte sich erstmals auch ein neuer Musikstil in dieser Szene verankern. Nur den Corona-Beschränkungen war es geschuldet, dass das rechtsextremistische Konzertgeschehen im Berichtsjahr deutlich unter dem Niveau des Vorjahres blieb. Diese Entwicklungen verdeutlichen die Bedeutung der rechtsextremistischen Szene im Freistaat Sachsen für die Vertreter der entsprechenden Musikszene. Die hiesige Szene mit ihrem hohen Personenpotenzial ist ein für rechtsextremistische Musiker attraktiver Markt, den es zu pflegen und auszubauen gilt. Auch durch Zuzüge rechtsextremistischer Rapper in den Freistaat Sachsen, die eine hier bisher noch nicht aktive Musikrichtung vertreten, scheint die Szene sich neue Verbreitungsgebiete, neue Anhänger sowie Abnehmer und somit auch neue Einnahmequellen erschließen zu wollen. Schließlich ist die Organisation von Konzertveranstaltungen für rechtsextremistische Labels ein wichtiges Mittel für kommerzielle Erfolge. Zum einen fließen den Veranstaltern bzw. vertretenen Labels Einnahmen aus dem Kartenverkauf bzw. dem Verkauf von Tonträgern und Merchandise-Artikeln zu. Zum anderen dienen die Veranstaltungen auch der Werbung für Produktionen der auftretenden Bands. Es ist deshalb nach Abklingen der Pandemie zu erwarten, dass die rechtsextremistische Musikszene ihre Aktivitäten insgesamt wieder steigern wird. 2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Die rechtsextremistische Vertriebsszene hat ihren Ursprung in der Skinheadszene, die als Jugendsubkultur in den 1980er und 1990er Jahren u. a. eine starke Nachfrage nach eigenen Musikstilen aufwies, welche damals im kommerziellen Handel nicht erhältlich waren. Die entstandenen Unternehmen richteten ihr Sortiment daher an den Bedürfnissen dieser Subkultur aus. So wurden und werden Textilien mit szenetypischen Aufdrucken (z. B. "I HTLR", "Adolf war der Beste"), Tonträger rechtsextremistischer Bands bzw. Liedermacher Seite 73 von 267 sowie andere szenerelevante Utensilien, wie z. B. Anstecker, Fahnen, Aufkleber und Plakate angeboten. Diese werden häufig mit rechtsextremistischen Symbolen gestaltet. 85 Im Jahr 2020 hat sich die Anzahl der rechtsextremistischen Vertriebsunternehmen in Sachsen durch Wegzug der Vertriebe FRONTRECORDS und FRONTMUSIK reduziert. Auch das NATIONALE VERSANDHAUS hat seine Aktivitäten in 2020 eingeschränkt. Es wurden mehrere OnlinePlattformen des Vertriebes vom Netz genommen und das Ladengeschäft geschlossen. Hinzugekommen ist allerdings das in Plauen ansässige rechtsextremistische Unternehmen FEINDKONTAKT PRODUKTION. Somit waren im Jahr 2020 neun rechtsextremistische Vertriebsunternehmen im Freistaat Sachsen aktiv. Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen im Freistaat Sachsen Die seit mehreren Jahren stattfindende Marktbereinigung innerhalb der rechtsextremistischen Vertriebsszene hat sich im Berichtszeitraum fortgesetzt. Anscheinend ist der Markt mit der aktuellen Anzahl an Firmen und dem bestehenden Angebot gesättigt. Auch hat die sächsische Vertriebsszene offenbar ihre frühere Innovationskraft verloren. Hauptgrund hierfür dürfte der mangelnde Wettbewerb sein, da PC-RECORDS den sächsischen Markt dominiert. Mit dem der NPD zuzurechnenden DEUTSCHE STIMME VERLAG86 und dem Verlag NATION UND WISSEN existieren im Freistaat Sachsen zwei rechtsextremistische Verlage. Während der DEUTSCHE STIMME VERLAG sich überwiegend mit der Erstellung des NPD-Parteiorgans DEUTSCHE STIMME befasst, produziert der Verlag NATION UND W ISSEN Bücher, die inhaltlich 85 Das LfV Sachsen hat hierzu eine Broschüre herausgegeben (Titel: "Rechtsextremistische Symbole: Augen auf! Sehen - Erkennen - Handeln"). Sie kann über die Website www.verfassungsschutz.sachsen.de bestellt oder heruntergeladen werden. 86 vgl. II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS Seite 74 von 267 einen Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges aufweisen. Diese Bücher werden über den angeschlossenen Vertrieb angeboten. Ausgewählte Versandhändler für rechtsextremistische bzw. szenetypische Produkte Nachstehend aufgeführt sind ausgewählte Versandhändler, die u. a. rechtextremistische Produkte vertreiben. Weitere Informationen zu diesen Vertrieben sind in den Abschnitten zu den entsprechenden Landkreisen 87 enthalten: Name: DRYVE BY SUIZHYDE Typ: gewerbliches Textil-Label mit Online-Versand Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 2009, seit 2013 im Freistaat Sachsen Sortiment: mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien Name: NATIONALES VERSANDHAUS (sowie weitere angegliederte Unternehmen Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit OnlineShops Sitz bzw. Herkunft: Dresden aktiv seit: 2009 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger, mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien 87 vgl. Beiträge II. 2.7.2 Chemnitz, II.2.7.3 Dresden, II.2.7.7 Leipzig, II.2.7.8 Landkreis Meißen, II. 2.7.12 Vogtlandkreis Seite 75 von 267 Name: HERMANNSLAND-VERSAND Typ: Gewerblicher Online-Versand mit Tonträger-Label Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2015 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger, mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien Name: LOKIS TRUHE Typ: Gewerblicher Online-Versand Sitz bzw. Herkunft: Leipzig aktiv seit: 2017 Sortiment: mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien Name: PC-RECORDS Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Ladengeschäft, Online-Versand und TonträgerLabel Sitz bzw. Herkunft: Chemnitz aktiv seit: 2000 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger, mit rechtsextremistischen Symbolen oder Losungen bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien Seite 76 von 267 Name: FEINDKONTAKT PRODUKTION Typ: gewerbliches Vertriebsunternehmen mit OnlineVersand und Tonträger-Label Sitz bzw. Herkunft / Inhaber:: Plauen aktiv seit: 2015 Sortiment: mit rechtsextremistischem Liedgut bespielte Tonträger eigener und fremder Produktion, Textilien mit Werbeaufdruck für rechtsextremistische Bands sowie weitere szenetypische Materialien Name: NATION UND WISSEN Typ: Verlag mit angeschlossenem Vertrieb Sitz bzw. Herkunft / Inhaber:: Riesa aktiv seit: 2011 Sortiment: umfangreiches Büchersortiment, insbesondere mit Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus; Tonträger auch von rechtsextremistischen Musikgruppen, Die Produktion und der Vertrieb von Tonträgern ist Schwerpunkt der rechtsextremistischen Vertriebsszene in Sachsen. Hier hat sich nach dem Wegzug von FRONTRECORDS und FRONTMUSIK der Chemnitzer Vertrieb PC-RECORDS als dominierende Kraft innerhalb der rechtsextremistischen Szene in Sachsen etabliert. Der in Plauen existierende Vertrieb FEINDKONTAKT PRODUKTION hat derzeit hingegen nur eine regionale Bedeutung. Das von PC-RECORDS produzierte Sortiment umfasst neben Tonträgern von Bands aus Sachsen sowie anderen Bundesländern auch Produktionen von renommierten rechtsextremistischen Musikgruppen aus dem Ausland. Der Umsatz dieses Vertriebes wird auf mehrere Hunderttausend Euro jährlich geschätzt. Nicht nur mit der Produktion neuer Tonträger trägt PC-RECORDS zum Zusammenhalt in der rechtsextremistischen Szene bei. Auch mit der Förderung und Organisation beispielsweise von Konzerten leistet dieser Vertrieb einen wesentlichen Beitrag zur Aufrechterhaltung einer aktiven Szene im Freistaat Sachsen. Um den kommerziellen Erfolg ihrer Tonträger nicht zu gefährden, sind die Produzenten in Bezug auf Liedtexte und CD-Gestaltung bestrebt, nicht gegen strafund Seite 77 von 267 jugendschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen. So lassen sie Tonträger vor der Veröffentlichung juristisch prüfen und entsprechende Gutachten erstellen. Jedoch entschied der Bundesgerichtshof in der Vergangenheit im Falle eines damals bedeutenden Produzenten rechtsextremistischer Musik, dass von szenenahen Anwälten erstellte "Gefälligkeitsgutachten" keinen Freibrief darstellten und nicht vor strafrechtlicher Verfolgung schützen würden. Über einhundert der von sächsischen Produzenten herausgebrachten Tonträger wurden bislang indiziert. Im Berichtsjahr wurden vier von PC-RECORDS produzierte und ein von FEINDKONTAKT PRODUKTION herausgegebener Tonträger indiziert. Inhalte dieser Tonträger verherrlichen das NS-Regime, propagieren dessen Rassenlehre und bagatellisieren die Gewalttaten während der Zeit des Nationalsozialismus. Zudem enthalten Tonträger mitunter gewaltverherrlichende Darstellungen, welche die Tötung von Menschen als legitimes Mittel zur Durchsetzung des eigenen Machtanspruches sehen. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Das weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial umfasste im Jahr 2020 insgesamt etwa 2.000 Personen (2019: etwa 2.000 Personen). Damit ist ein erheblicher Teil der dem LfV Sachsen bekannten Rechtsextremisten nicht in Parteien oder anderweitigen Strukturen eingebunden, sondern agiert trotz seiner rechtsextremistischen Gesinnung losgelöst von festen Szenegruppierungen. Bei diesem Spektrum handelt es sich mehrheitlich um Personen, die als rechtsextremistische Straftäter - auch mit Gewaltbezug - bekannt sind oder an rechtsextremistischen Szeneveranstaltungen, wie beispielsweise Konzerten, teilnehmen. Darüber hinaus sind sie auch Teil der rechtsextremistischen, gewaltorientierten Fußballund Kampfsportszene. Diese Personen eint eine hohe Mobilisierungskraft vor allem im Zusammenhang mit überregionalen Musik-, Kampfsportoder sonstigen für die Szene relevanten Veranstaltungen. Im Umfeld einer jeden rechtsextremistischen Gruppierung gibt es stets auch ein feststellbares unstrukturiertes Personenpotenzial. Dieses wird ideologisch von den rechtsextremistischen Gruppierungen beeinflusst und verhilft diesen regelmäßig zu entsprechenden Teilnehmerzahlen bei den genannten Veranstaltungen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial kann man somit auch als wichtigen Multiplikator bezeichnen. Nicht selten lockern sich über Jahre fest strukturiert gewesene Gruppierungen so weit auf, dass sie in den Bereich des unstrukturierten Personenkreises zurückfallen. Bisweilen sind sie nahezu unauffällig, um dann plötzlich zu bestimmten Anlässen wieder aktiv zu werden und beispielsweise über die Sozialen Medien ihre Mobilisierungskraft unter Beweis zu stellen. Die unstrukturierte rechtsextremistische Szene bildet jedoch nicht nur die "Mobilisierungsmasse" für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer, auch strukturierter Gruppierungen bzw. rechtsextremistischer Kampagnen, sondert dient vielmehr auch als Nährboden für die Bildung neuer Gruppierungen. Vor allem bei den überregional bedeutenden Ereignissen bezüglich der asylfeindlichen Ereignisse 2015 in Freital und Heidenau (beide Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge), in Bautzen 2016 sowie in Chemnitz 2018 zeigte sich das unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial in hoher Zahl. Bei diesen Veranstaltungen waren öffentlich gezeigte organisatorische Bezüge zu fest strukturierten rechtsextremistischen Gruppierungen kaum erkennbar. Stattdessen trugen die Teilnehmer aus dem unstrukturierten Spektrum Textilien mit szenetypischen Aufschriften. Insbesondere die Ereignisse in Chemnitz im Jahr 2018 verdeutlichten, wie öffentlichkeitswirksam und für die Zivilgesellschaft provokativ sich Mobilisierungsfähigkeit und Gewaltbereitschaft des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials bei einem konkreten Anlass auswirken können. Seite 78 von 267 Insbesondere dieses asylfeindliche Geschehen hat wiederholt gezeigt, dass sich - bei einem für Rechtsextremisten geeigneten Initialereignis - aus unstrukturierten Rechtsextremisten mit hoher Dynamik auch militant ausgerichtete Gruppierungen88 bilden können. So entstanden aus dieser Szene heraus in den Jahren 2014 und 2015 die OLDSCHOOL SOCIETY89 und die FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN90. Auch zur rechtsterroristischen Gruppierung REVOLUTION CHEMNITZ91 stießen 2018 Szeneangehörige hinzu, die zuvor dem unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zuzuordnen waren. Die Angehörigen des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials handeln impulsiv, situativ bedingt und spontan. Diesem Handeln liegen, anders als bei Mitgliedern rechtsextremistischer Gruppierungen, in der Regel keine ausdifferenzierten ideologischen und strategischen Überlegungen zugrunde. So gingen bei den größeren Ereignissen der letzten Jahre die Konfrontationen und Gewalttaten gegen Sicherheitskräfte und den politischen Gegner zumeist von dieser Personenkategorie aus. Die - im wahrsten Sinne des Wortes - Schlagkraft dieses Personenpotenzials hängt vor allem davon ab, ob es von einer Ereignisdynamik zusammengeführt wird, die ein einheitliches Agieren begünstigt. Darüber hinaus hängt der von einzelnen rechtsextremistischen Gruppierungen oder Einzelpersonen ausgehende Gefährdungsgrad wiederum entscheidend davon ab, ob sie große Teile des unstrukturierten Personenpotenzials für ihre Aktivitäten - beispielsweise eine Versammlung - gewinnen können bzw. ob die Gruppierung oder Einzelperson, die für die Teilnahme an einem Ereignis aufgerufen hatte, von der unstrukturierten Szene als "Führung" anerkannt wird. Feste rechtsextremistische Gruppierungen und das unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzials sind insoweit in gewisser Weise voneinander abhängig, wenn sie eine bestimmte, öffentlichkeitsrelevante Strahlkraft bei einer Aktivität entfalten wollen: Die Unstrukturierten benötigen mitunter ein Ereignis, um sich "austoben" zu können, und die Strukturierten brauchen "Mobilisierungsmasse". Innerhalb des unstrukturierten Personenpotenzials ist der Kampfsport sehr beliebt. Abseits von größeren Veranstaltungen nutzen Rechtsextremisten lokale, oft nicht der Szene zugehörige "Gyms" (Sportstudios), um sich verschiedene Kampfsporttechniken anzueignen. Kampfsportveranstaltungen und "Gyms" bieten rechtsextremistischen Parteien und vor allem NEONATIONALSOZIALISTEN auf unkomplizierte Art und Weise die Möglichkeit, Kontakt mit unstrukturierten rechtsextremistischen Personen aufzunehmen und diese für ihre eigenen extremistischen Aktivitäten zu begeistern. Unstrukturierte Rechtsextremisten leben ihre rechtsextremistische Gesinnung hauptsächlich bei alltäglichen gesellschaftlichen Aktivitäten aus. Dabei kommt ihnen eine hohe propagandistische Bedeutung zu. Ihr Reden und Handeln sowie Kleidung und Auftreten lassen in der Regel unschwer erkennen, wo sie sich ideologisch verorten. Da sie eher erlebnisorientiert agieren, tragen sie ihre Gesinnung in verschiedenste gesellschaftliche Bereiche, z. B. in Vereine oder Volksfeste. Durch ihre Präsenz kann es immer wieder zu spontanen Auseinandersetzungen mit und Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund oder politischen Gegnern sowie zu rechtsextremistischen Vorfällen auf Stadt-, Dorf-, Volksoder Vereinsfesten kommen. Darüber hinaus ist das unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinsichtlich seiner Größe und der damit verbundenen Kaufkraft ein wichtiger Abnehmer für die rechtsextremistische Konzertund Vertriebsszene. Sie bildet das Gros der Konzertteilnehmer 88 vgl. Beitrag II.2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus 89 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 146 f. 90 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2015, S. 127 ff. 91 vgl. Beitrag II.2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Seite 79 von 267 und Konsumenten rechtsextremistischer Merchandising-Artikel und lenkt durch ihr Nachfrageverhalten auch die Ausrichtung des Angebotes rechtsextremistischer Vertriebe 92. Im virtuellen Raum stammen eine Vielzahl an rechtsextremistischen Hasspostings, Diffamierungen, Verleumdungen und Beleidigungen in Foren, Chats und sozialen Medien zum Großteil aus diesem Bereich der rechtsextremistischen Szene. Auch ist dieser für die Verbreitung verschiedenster Verschwörungstheorien empfänglich. Mit der Corona-Pandemie verschärfte sich diese Problematik. Aufgrund der coronabedingten Ausgangsund Kontaktbeschränkungen fanden im Berichtsjahr deutlich weniger, für diesen Personenkreis interessante Ereignisse statt, weshalb eine Vielzahl von Aktivitäten ins Internet verlagert wurde. Die Corona-Thematik war für dieses Personenspektrum bestens geeignet, Verschwörungstheorien im Internet und den Sozialen Medien zu verbreiten und damit rechtsextremistische Ideologie-Narrative zu bedienen. Es ist damit mitverantwortlich für das vermehrte Einsickern extremistischer Ansichten in die Mitte der Gesellschaft. Die Corona-Thematik begünstigte damit die Bildung sog. "Mischszenen" aus ganz unterschiedlich motivierten und sozialisierten Menschen - vom Impfgegner über den Esoteriker bis hin zum gewaltorientierten Rechtsextremisten. Damit wurde im Berichtsjahr abermals deutlich, dass der Verfassungsschutz in Bezug auf die Beobachtung der unstrukturierten, rechtsextremistischen Szene u. a. in Verbindung mit den vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten Sozialer Medien vor gestiegene Anforderungen gestellt ist.93 2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Aktuelle Entwicklungen und Strafverfahren Die bundesweite Bedrohung durch den Rechtsterrorismus setzte sich nach dem Jahr 2019, in dem ein tödlicher Anschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten verübt wurde, auch im Berichtsjahr fort. Am 19. Februar erschoss der 43-jährige Tobias R. in Hanau/Hessen mutmaßlich aufgrund einer fremdenfeindlichen Motivation neun Menschen. Anschließend tötete er auch seine Mutter und sich selbst. Als fanatisierter Einzeltäter, der zuvor nicht in bekannten rechtsextremistischen Strukturen, stattdessen wohl überwiegend im Internet aktiv war, teilte der Täter mit Gleichgesinnten rechtsextremistische Ideologieelemente, darunter Verschwörungstheorien und Vernichtungsfantasien in Bezug auf andere Ethnien. Hierdurch fühlte er sich bestätigt; in der Anonymität des Internets radikalisierte er sich ideologisch. Solche Ideologieelemente spielen auch bei Akteuren im Freistaat eine wichtige Rolle und können unter Umständen auch hier einen Nährboden für Gewalt und Terror bilden. Rechtsextremisten finden dabei im Internet verschiedene Aspekte, die sie unreflektiert zu ihrer eigenen Agenda zusammensetzen können. Als Quintessenz steht oft das proklamierte Recht auf Widerstand und der Anspruch, stellvertretend für einen großen, ungehörten Teil der Bevölkerung zu handeln. Diese Überzeugung fand sich vereinzelt auch bei Rechtsextremisten, die - zusammen mit vielen Nichtextremisten - im von der Corona-Krise geprägten Berichtsjahr gegen die vom Staat beschlossenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie protestierten. Dabei blieben politische Erfolge der Rechtsextremisten, die einen revolutionären Umsturz anstrebten, aus. Dieses Ausbleiben kann grundsätzlich geeignet sein, Radikalisierungsprozesse innerhalb der rechtsextremistischen Szene auszulösen und der Bildung neuer konspirativ agierender Gruppierungen Vorschub zu leisten. 92 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 93 vgl. Beitrag II.2.10 Ausblick Seite 80 von 267 Ähnliche Entwicklungen waren in Sachsen bereits in den Jahren 2015 und 2018 zu beobachten. Im Jahr der sog. Flüchtlingskrise 2015 mit zahlreichen Protesten und Ausschreitungen in Sachsen, fühlten sich Mitglieder der FREIEN KAMERADSCHAFT DRESDEN (FKD) und der sog. "Gruppe Freital" legitimiert, Gewaltakte gegen Asylbewerber zu verüben. Mit dem Ziel, ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen, begingen Mitglieder der FKD Sprengstoffanschläge auch auf den politischen Gegner, darunter auch auf Angehörige der Partei "Die Linke". Teilweise waren sie auch an den gewalttätigen Ausschreitungen im Januar 2016 in Leipzig-Connewitz beteiligt, als Rechtsextremisten Jagd auf vermeintliche Linke machten. Am 17. Januar wurden sechs Mitglieder, am 24. September drei Mitglieder bzw. Unterstützer der FKD wegen Rädelsführerschaft, Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, schweren Landfriedensbruchs, Herbeiführens einer Sprengstoffexplosion und Körperverletzungsdelikten zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.94 Im Berichtsjahr wurden außerdem Strafverfahren gegen Personen fortgeführt, die an Straftaten der "Gruppe Freital" beteiligt gewesen sind. Am 4. Februar wurden vier Angehörige der Gruppe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Sachbeschädigung und der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu Freiheitsund Bewährungsstrafen verurteilt.95 Im Jahr 2018 kam es im Zusammenhang mit einem Tötungsdelikt an einem 35-jährigen Deutschen zu Protesten in Chemnitz, die mit massiven Ausschreitungen verbunden waren. Dies mündete in die Gründung der militanten rechtsextremistischen Gruppierung REVOLUTION CHEMNITZ. Sie organisierte sich in einer geschlossenen Chatgruppe und hatte das Ziel, sich Schusswaffen zu beschaffen und u. a. durch fremdenfeindliche Angriffe und Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner einen Umsturz in der Bundesrepublik Deutschland zu initiieren. Am Rande einer Demonstration der rechtsextremistischen "Bürgerbewegung" PRO CHEMNITZ am 14. September 2018 griffen ca. 15 Mitglieder von REVOLUTION CHEMNITZ, die teilweise bereits viele Jahre als Rechtsextremisten bekannt gewesen waren, Personen mit Migrationshintergrund auf der Schlossteichinsel in Chemnitz an. Am 24. März wurden deswegen schließlich acht Mitglieder der Gruppierung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und z. T. wegen schweren Landfriedensbruchs und Körperverletzung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Am 29. Juni wurden sechs weitere Mitglieder bzw. Unterstützer der Gruppierung vom Amtsgericht Chemnitz zu Haftstrafen von bis zu einem Jahr verurteilt. In zwei Fällen wurden die Strafen durch das Landgericht Chemnitz später zur Bewährung ausgesetzt. Kampfsport Mit Blick auf die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremisten in Sachsen ist auch die zunehmende Bedeutung des Kampfsports für die rechtsextremistische Szene besorgniserregend. Sie befähigt sich damit, unter Umständen schwere bis schwerste Körperverletzungen beispielsweise gegen politische Gegner oder Menschen mit Migrationshintergrund ausüben zu können. Zu diesem Zweck gründen Rechtsextremisten in Sachsen verstärkt Kampfsportgruppen und bemühen sich, professionelle Strukturen für ihr 94 Bereits im August 2017 wurden zwei Personen in einem ersten Urteil vom LG Dresden zu Haftstrafen von jeweils drei Jahren und acht Monaten verurteilt. 95 In einem ersten Verfahren gegen die Rädelsführer und andere Mitglieder der "Gruppe Freital" verurteilte das OLG Dresden im März 2018 sieben Männer und eine Frau als Hauptverantwortliche der terroristischen Vereinigung zu jeweils mehrjährigen Haftstrafen. Seite 81 von 267 Training zu schaffen. Dabei sind teilweise auch Überschneidungen zur rechtsextremistischen Fußballszene festzustellen. Die Betätigung als Kampfsportler dient dabei jedoch nicht nur der Vorbereitung von Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner. Während in der Vergangenheit vor allem Musikveranstaltungen das wichtigste Instrument zur gegenseitigen Vernetzung, zum Ausleben ideologischer Verbundenheit und zur Rekrutierung von "Szene-Nachwuchs" waren, gewinnen nunmehr auch Kampfsporttraining und eventartige Kampfsportveranstaltungen zunehmend an Bedeutung. Eine große Rolle spielen dabei öffentlichkeitswirksame Kampfsportveranstaltungen, wie der "Kampf der Nibelungen", ein seit 2013 jährlich stattfindendes Highlight der bundesweiten rechtsextremistischen Kampfsportszene. Am 26. September wurde die Veranstaltung, die für den 10. Oktober als Livestream angekündigt worden war, im Raum Magdeburg (SachsenAnhalt) von der Polizei aufgelöst. Unter den dabei festgestellten Personen waren auch Akteure aus Sachsen. Im Oktober 2020 konnte der Veranstalter infolgedessen nur in deutlich reduziertem Umfang und wenig professioneller Aufmachung bereits frühere aufgenommene Kämpfe online stellen. Eine weitere regelmäßig stattfindende Veranstaltung der rechtsextremistischen Kampfsportszene in Sachsen ist "TIWAZ - Kampf der freien Männer", welcher bislang zweimal durch die TIWAZ-GEMEINSCHAFT durchgeführt wurde. Im Juni 2018 fand die Kampfveranstaltung mit ca. 450 Teilnehmern in Grünhain-Beierfeld (Erzgebirgskreis) im Raum Chemnitz statt und beinhaltete auch einen Zeitzeugenvortrag. Im Juni 2019 diente Zwickau als Ort der Veranstaltung, zu der ca. 400 Personen auch von außerhalb Sachsens anreisten. Im Berichtsjahr konnten aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie keine Kampfsportveranstaltungen in Sachsen durchgeführt werden. So wurde auch der "Revolutionäre Kongress" am 14. März in Neuensalz, OT Zobes (Vogtlandkreis) behördlicherseits untersagt. Dessen Programm hatte auch eine Kampfsportdarbietung des Formats "Kampf der Nibelungen" vorgesehen. Staatliche Maßnahmen Mit COMBAT 18, NORDADLER und STURM-/W OLFSBRIGADE 44 wurden im Berichtsjahr drei länderübergreifend agierende neonationalsozialistische Vereinigungen durch den Bundesminister des Innern verboten und aufgelöst. Das Verbot von NORDADLER wurde am 23. Juni vollzogen. Dabei handelte es sich um eine informelle neonationalsozialistische und antisemitische Gruppierung, die eine kämpferischaggressive Haltung sowie eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus an den Tag gelegt und auch Gewaltphantasien geäußert hatte. So hatte der Anführer in einem öffentlichen Chat den Anschlag auf die Synagoge in Halle im Jahr 2019 gutgeheißen. Durchsuchungsmaßnahmen und Beschlagnahmen erfolgten bei zwei Betroffenen in Sachsen und bei Personen in drei weiteren Bundesländern. Die in Deutschland aktiv gewesene und seit 23. Januar nunmehr verbotene Gruppe COMBAT 1896 stand in der Tradition der 1992 gegründeten britischen rechtsextremistischen Saalschutztruppe "Combat 18" und war vor allem am Verkauf von rechtsextremistischen Merchandise-Artikeln und Tonträgern beteiligt. Die Gruppe wurde dem gewaltbereiten Rechtsextremismus zugeordnet. Mitglieder der Gruppe nahmen im September 2017 an einem Schießtraining in der Tschechischen Republik teil und wurden, nachdem sie unerlaubt Munition nach Deutschland gebracht hatten, wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz 96 Der Code "18" steht für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets und bedeutet "Adolf Hitler". Seite 82 von 267 verurteilt. Sachsen war von den damit in Verbindung stehenden Exekutivmaßnahmen gegen Rädelsführer und Vollmitglieder der Gruppe in mehreren Bundesländern nicht betroffen. Am 1. Dezember 2020 erfolgte das Verbot der rechtsextremistischen Vereinigung STURM-/ WOLFSBRIGADE 4497 durch den Bundesminister des Innern. Die Gruppierung hatte ihre menschenverachtende, rassistische und antisemitische Ideologie insbesondere in den sozialen Medien verbreitet und war dabei martialisch aufgetreten. Sachsen war von den Exekutivmaßnahmen im Rahmen des Verbots nicht betroffen. 2.7 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen 2.7.1 Landkreis Bautzen Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Bautzen waren im Berichtsjahr zwischen 300 und 350 Personen98 zuzurechnen (2019: 300 bis 350 Personen). Damit lag das Personenpotenzial im sachsenweiten Vergleich auch im Jahr 2020 im oberen Bereich. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN)99 Im Landkreis Bautzen ist die NPD mit dem Kreisverband Bautzen-Görlitz-Niederschlesien vertreten. Der Kreisverband hat im Berichtsjahr 2020 keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten durchgeführt. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE100 und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN101 Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE im Landkreis Bautzen verfügt über Strukturen in Bautzen und Hoyerswerda. Maßgeblich beeinflusst wird sie durch einen bekannten Rechtsextremisten aus dem Raum Bautzen, der seit mehreren Jahren Online-Plattformen u. a. für die Mobilisierung zu Aktivitäten zur Verfügung stellt. Erst unter der Bezeichnung "Stream BZ", später unter "Balaclava Graphics" wurde auch im Berichtsjahr in den sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram, YouTube) für Veranstaltungen geworben und über diese berichtet. Die Szene nutzt die Plattformen für entsprechende Kommentare. Weiterhin bietet der Rechtsextremist überregional die grafische Gestaltung von Werbe-Flyern und Covern, die u. a. durch rechtsextremistische Bands genutzt werden, an. Im Berichtsjahr rief "Balaclava Graphics" zum Beispiel über Instragram zur Teilnahme an der behördlicherseits verbotenen Versammlung der im Berichtsjahr als nicht extremistisch eingeschätzten "Querdenken"-Bewegung am 12. Dezember in Dresden auf. Diese Mobilisierungsaufrufe zeigen jedoch, dass Rechtsextremisten auch 2020 versucht haben, das nicht-extremistische Versammlungsgeschehen für die Verbreitung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele zu missbrauchen. Die NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE im Raum Bautzen führte auch im Berichtsjahr sog. "Gedenkveranstaltungen" durch, an denen regelmäßig zwischen 80 und 100 Personen 97 Der Code "44" steht für den vierten Buchstaben des Alphabets und bezieht sich auf die an Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg beteiligte "SS-Division Dirlewanger". 98 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 99 vgl. Beitrag II.2.3.3 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 100 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 101 vgl. Beitrag II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN Seite 83 von 267 teilnahmen. Diese fanden am 22. April anlässlich der im Zweiten Weltkrieg von der Roten Armee getöteten Angehörigen des "Volkssturms" in Niederkaina sowie am Volkstrauertag auf dem Soldatenfriedhof in Göda statt. Diese "Gedenkveranstaltungen" werden genutzt, um die Verbrechen der Nationalsozialisten zu verharmlosen und die damaligen Kriegsgegner zu diffamieren. Dabei werden die Verbrechen des NS-Regimes ausgeblendet und stattdessen ausschließlich die "alliierten Kriegsund Nachkriegsverbrechen" in den Mittelpunkt gerückt. Diese Aktivitäten gehören damit zu den revisionistischen Ideologieelementen der regionalen neonationalsozialistischen Szene. Sie sind für deren Zusammenhalt von besonderer Bedeutung. Aufgrund der coronabedingten Auflagen fanden diese Gedenkveranstaltungen im Berichtsjahr in einem sehr kleinen Rahmen mit wenigen Teilnehmern statt und wurden in den sozialen Medien veröffentlicht. Rechtsextremisten versuchen über die Verfügbarkeit von Immobilien eine regionale Verankerung zu finden, um eigene Strukturen aufzubauen und dauerhaft etablieren zu können. Ein Beispiel dafür zeigte sich ab Frühjahr 2020 im Landkreis Bautzen. Der aus Bayern stammende und unter dem Namen Chris ARES auftretende rechtsextremistische Musiker Christoph Aljoscha ZLOCH bewegte sich im Umfeld der IDENTITÄREN BEWEGUNG und verkündete im Mai 2020, dass er ein sog. "Chris-Ares-Dorf" bei Bautzen sowie die Einrichtung eines sog. "Patrioten-Jugendzentrums" in Bischofswerda plane. Durch die Sensibilisierung und Beratung der Behörden durch das LfV Sachsen und das Bekanntwerden dieser Pläne löste dieses Vorhaben auch mediales Interesse aus. Der Musiker rückte dadurch in den Fokus von Behörden und Öffentlichkeit. Gegen das Projekt regte sich schließlich weitreichender Protest der Zivilgesellschaft. Letztendlich gab der Musiker seine Pläne auf und gab im September 2020 seinen Rückzug aus der Musik und der Öffentlichkeit bekannt. Im Zusammenhang mit den Plänen von ARES siedelten sich darüber hinaus zwei rechtsextremistischen Rapper in Steingtwolmsdorf, OT Weifa an (vgl. Absatz zur rechtsextremistischen Musikszene). In den Landkreisen Bautzen und Görlitz ist mit den FREIEN KRÄFTEN MITTEL/OSTSACHSEN (FKMO) eine Gruppierung der neonationalsozialistischen Szene präsent. FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN (FKMO) Sitz Region Ostsachsen Gründung 2016 Personenpotenzial 2020 2019 unterer zweistelliger Bereich unterer zweistelliger Bereich Kurzportrait/Ziele Als "Auffangbecken" für nicht organisierte Rechtsextremisten in der Region gegründete Gruppierung von Neonationalsozialisten und anderen Rechtsextremisten. Nach der Durchführung einer asylfeindlichen Demonstration ("Nation statt Integration") am 3. September 2016 in Löbau sind keine eigenen vergleichbaren öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Gruppierung mehr bekannt geworden. Relevante Ereignisse 2020 Teilnahme von Mitgliedern am sog. "Gedenkmarsch" der rechtsextremistischen Szene am 15. Februar in Dresden, z. T. auch mit organisatorischer Beteiligung als Ordner, Durchführung einer sog. "Heldengedenkfeier" anlässlich des Volkstrauertages im November 2020 Seite 84 von 267 Ideologie und Strategie Ein Beleg für die rechtsextremistische Ausrichtung der Gruppierung ist die Aussage "frei, sozial, national" auf deren Facebook-Profil. Sie wurde dort schwarz-weiß-rot unterlegt. Der Slogan wird von der rechtsextremistischen Szene verwendet und bei Demonstrationen entsprechend skandiert. Die Parole wurde außerdem von der NPD u. a. auf Wahlplakaten verwendet. Personenpotenzial, Struktur und Aktivitäten Die FKMO sind eines der wenigen Beispiele für einen auch nach außen als erkennbare Struktur auftretenden rechtsextremistischen Personenzusammenschluss. Er spielt jedoch wegen seines geringen Personenpotenzials und aufgrund seiner wenigen Aktivitäten eine untergeordnete Rolle in der Szene. Im November 2020 führten die FKMO eine sog. "Heldengedenkfeier" anlässlich des Volkstrauertages durch. Zudem nahmen vereinzelte Mitglieder mehrmals an nicht-extremistischen Protesten gegen die Corona-Beschränkungen in den Landkreisen Bautzen und Görlitz teil. Die FKMO stehen in Verbindung mit der BRIGADE 8 (Lkr. Görlitz). BLACK DEVILS Sitz Hoyerswerda Gründung 2001 Internetauftritte Internetseite Personenpotenzial 2020 2019 ca. 25 ca. 25 Kurzportrait/Ziele rechtsextremistische Fußballfangruppierung des Fußballvereins "FC Lausitz Hoyerswerda" . Ideologie und Strategie Die rechtsextremistische Band THOYTONIA102 nutzte das Treffobjekt der BLACK DEVILS zum Proben. Bis 2019 fanden dort auch rechtsextremistische Konzerte statt. Zwischen den Mitgliedern der BLACK DEVILS und den Mitgliedern der rechtsextremistischen Band THOYTONIA wurden Verbindungen festgestellt. Die rechtsextremistische Gesinnung der BLACK DEVILS wurde bei einem im Jahr 2017 durchgeführten "Völkerballturnier" deutlich, zu welchem ein Video im Internet veröffentlicht wurde. Neben Filmsequenzen vom Turnier wurden dabei wiederholt Bilder eingespielt, die eindeutige Bezüge zum Rechtsextremismus aufwiesen. Eingeblendet wurden beispielsweise die Schriftzüge "Heil dir", "Heil euch" und "Übermensch". Gezeigt wurde auch der Schriftzug eines Teilnehmerteams mit der Bezeichnung "Volkssport Germania". Dabei wurden die Buchstaben "SS" im Team-Schriftzug durch Siegrunen dargestellt. Dieses verbotene Symbol wurde zwar verfremdet, um strafrechtliche Konsequenzen zu vermeiden, war aber immer noch als solches erkennbar. Im Anschluss an das Turnier fand ein Konzert mit THOYTONIA statt. An der Veranstaltung nahmen auch bekannte Rechtsextremisten teil. 2019 fand bei den BLACK DEVILS ebenfalls ein "Völkerballturnier" statt: Die im Anschluss daran geplante Musikveranstaltung, bei der auch rechtsextremistische Bands auftreten sollten, wurde im Vorfeld durch die Polizei verhindert. Aufgrund der konsequenten Maßnahmen der Polizei, die nach vorheriger Information durch das LfV Sachsen getroffen wurden, konnte die Nutzung des Objekts der BLACK DEVILS für rechtsextremistische Konzerte untersagt werden. 102 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 Seite 85 von 267 Seitdem wurden keine weiteren öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen in dem Objekt mehr bekannt. ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) Sitz Bautzen Gründung 2011 Personenpotenzial 2020 2019 ca. 30 ca. 30 Kurzportrait/Ziele rechtsextremistische, rockerähnliche Gruppierung, die ein Objekt in Bautzen nutzt Ideologie und Strategie Die ABE ist eine rechtsextremistische, rockerähnliche Gruppierung, deren Mitglieder in entsprechenden Kutten mit verschiedenen Symbolen, Insignien und Beschriftungen auftreten. Für ihre Veranstaltungen nutzt sie ein Objekt in Bautzen. Sie tritt auch unter der Bezeichnung "ABE 125" auf, wobei die Zahlen für die Anfangsbuchstaben des Namens stehen. Die ABE orientiert sich namentlich an der amerikanischen Gang "Aryan Brotherhood", einem Zusammenschluss aus äußerst rassistisch und nationalsozialistisch geprägten Gefängnisinsassen. Die ABE hat Kontakte zu NEONATIONALSOZIALISTEN im Raum Bautzen. Darüber hinaus gehörten einige Mitglieder der ehemaligen rechtsextremistischen Gruppierung "Sturm 24" an. Mitglieder der ABE nahmen in den vergangenen Jahren auch an rechtsextremistischen Veranstaltungen teil. Im Übrigen wurden infolge eines polizeilichen Großeinsatzes bei einer Feier der ABE mit ca. 130 Teilnehmern im März 2017 keine eigenen Veranstaltungen der ABE in dieser Größenordnung mehr bekannt. IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) 103 - ORTSGRUPPE "ALTSTADTREVOLTE" Die Aktivitäten der ORTSGRUPPE BAUTZEN beschränkten sich im Berichtsjahr auf wenige Aktionen, die in den entsprechenden sozialen Medien veröffentlicht wurden. Um sich "auf künstlerische Weise Gehör zu verschaffen", sprühten Aktivisten der IB am 23. März in Bautzen den Schriftzug "Liebe machen - Europa verteidigen". Am 16. Juli führte die IB in Bautzen eine Plakataktion unter dem Motto "Niemals auf Knien" durch. Diese Aktion stand im Zusammenhang mit einer Kampagne der IB Deutschland, die sich gegen die "Black Lives Matter"-Bewegung richtete. Als Reaktion auf den mutmaßlich islamistisch motivierten Messer-Angriff vom 4. Oktober in Dresden, beteiligte sich die IB-Bautzen am 27. Oktober in Dresden an einer Banneraktion unter dem Titel "Islamisten abschieben!". In einem entsprechenden Internetbeitrag hieß es dazu: "(...) Wir klagen unsere Politiker an! Wann fangt ihr endlich an zu reagieren? (...)" Am 30. November sperrten IB-Aktivisten die Friedensbrücke in Bautzen mit einem Schild mit der Aufschrift "Islamisten abschieben" und mehreren Holzkreuzen ab, "um symbolisch auf die Unverantwortlichkeit unserer Politiker aufmerksam zu machen". Dazu hieß es auf dem Telegram-Kanal der IB weiter: "Allein in einem Monat sind 9 Europäer durch die Hand von Islamisten gestorben. Für uns unverzeihlich, denn sie könnten heute noch leben, hätte man 103 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN Seite 86 von 267 Islamisten von vorn herein konsequent abgeschoben oder gar nicht erst ins Land gelassen. (...) Wir sagen - es reicht! Schluss mit importiertem Terror!" Im Rahmen der IB-Deutschland-Sommertour fanden darüber hinaus am 16. August eine Flyeraktion in Bautzen und am 22. August ein Infostand in Hoyerswerda statt. Diese Aktionen verdeutlichen, dass die Aktivitäten der IB vor allem darauf abzielen, Entscheidungen der Regierung sowie Beschlüsse der etablierten Parteien zu diffamieren. Durch ihre Aktionen will die IB erreichen, dass die Bürgerinnen und Bürger glauben, Zuwanderer seien vor allem potenzielle Terroristen, und der Staat würde sie und nicht sein eigenes Volk schützen. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Im Landkreis Bautzen ist die rechtsextremistische Musikszene mit den Bands W.U.T. (WHITE UNITED TERROR)104, TRUE AGGRESSION105, THOYTONIA und ULTRACOCKS106 vertreten. Letztere trat im Berichtsjahr erstmals mit dem Album "Rock against Crybabies" in Erscheinung und setzt sich aus Musikern der Band TRUE AGGRESSION zusammen. TRUE AGGRESSION selbst beteiligte sich am Sampler "Punikoff hört rein Vol. 2" und gab das Album "Ketzer & Barbaren" heraus. Musikalische Aktivitäten von W.U.T. und THOYTONIA wurden im Berichtsjahr nicht bekannt. Der Landkreis ist kein Schwerpunkt der rechtsextremistischen Musikszene, allerdings verdeutlicht eine von der Polizei in Kleinwelka am 12. September beendete Musikveranstaltung, dass die Szene auch in dieser Region versucht, konspirativ organisierte Veranstaltungen durchzuführen. Unter den festgestellten Personen dieser Veranstaltung befanden sich auch die zwei aus Nordrhein-Westfalen stammenden rechtsextremistischen Musiker PRIMUS107 (Andre LAAF) und PROTOTYP108 (Kay Alexander NAGGERT), welche zusammen mit dem Rapper Chris ARES (Bayern)109 das Label "Neuer Deutscher Standard" (NDS) betrieben. PRIMUS und PROTOTYP siedelten sich im Rahmen der o. g. ursprünglichen "Patriotendorf"-Pläne von ARES in Steinigtwolmsdorf, OT Weifa an. Nach dem öffentlich erklärten Rückzug von ARES agierten die beiden Musiker weiter unter diesem Label. PROTOTYP gab Ende des Jahres den Tonträger "Feuer" heraus, an dem sich PRIMUS beteiligte.110. Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen sind im Landkreis Bautzen nicht bekannt. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial111 Neben den parteigebundenen und den parteiungebundenen Strukturen gibt es auch im Landkreis Bautzen eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE. Die Verbindungen der Szeneangehörigen bestanden im Berichtsjahr meist lose. Innerhalb dieses Personenpotenzials finden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. 104 vgl. Sächsische Verfassungsschutzbericht 2019 105 vgl. Beitrag 2.4.5 Rechtsextremistische Musik 106 vgl. Beitrag 2.4.5 Rechtsextremistische Musik 107 vgl. Beitrag 2.4.5 Rechtsextremistische Musik 108 vgl. Beitrag 2.4.5 Rechtsextremistische Musik 109 vgl. Halbjahresbericht 2020 und Jahresbericht 2019 des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz 110 Zu den Bands W.U.T., T RUE AGGRESSION und THOYTONIA vgl. Verfassungsschutzbericht Sachsen 2019, zu PRIMUS, PROTOTYP und UltRACockS vgl. Beitrag II.2.4.5. Rechtsextremistische Musik. 111 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 87 von 267 Der unstrukturierten Szene angehörige Rechtsextremisten besuchten Konzerte, Liederabende und Veranstaltungen, die ihrer extremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Der entsprechende Personenkreis fiel im Landkreis Bautzen insbesondere durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich in den letzten Jahren vor allem gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Landkreis Bautzen 134 187 165 5 4 2 2.7.2 Stadt Chemnitz In der Stadt Chemnitz waren der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 250 und 300 Personen112 (2019: 250 bis 300 Personen) zuzurechnen. Das rechtsextremistische Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen damit weiterhin im oberen Bereich. Parteien DER DRITTE W EG (III. W EG)113 Die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG in Chemnitz sind im STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN organisiert. Dieser umfasst Eigenangaben zufolge neben Chemnitz auch den Landkreis Zwickau und den Erzgebirgskreis. Im Jahr 2020 wurden vom STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN u. a. folgende Aktivitäten in Chemnitz durchgeführt: Datum Aktivität 1. März Zeitzeugenvortrag "Stimmen der Bewegung" 1. Mai Flyerverteilaktion Der STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN führte im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger öffentlichkeitswirksame Aktionen in Chemnitz durch. Hervorzuheben ist ein sog. Zeitzeugenvortrag aus der Vortragsreihe "Stimmen der Bewegung". An dieser Veranstaltung nahmen ca. 50 Personen aus der näheren Umgebung teil. Als Veranstaltungsort wurde das bekannte Szeneobjekt der JN Chemnitz genutzt. 112 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 113 vgl. Beitrag II.2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) Seite 88 von 267 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) UND JUNGE NATIONALISTEN (JN)114 Der NPD-Kreisverband Chemnitz-Mittelsachsen zählt zu den kaum aktiven und eher bedeutungslosen Strukturen der NPD in Sachsen. Er trat im Berichtsjahr nicht öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Die JN Chemnitz entwickelten im Berichtsjahr im Vergleich zu anderen "Stützpunkten" der NPD-Jugendorganisation kaum eigene wahrnehmbare Aktivitäten. Die im Berichtsjahr von den JN organisierten Aktionen unter dem Motto "vergissmeinnicht" anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Chemnitz im Zweiten Weltkrieg fanden, wie im Vorjahr, kaum Zuspruch. Auch dieses Mal verzichtete man auf einen Aufzug und beschränkte sich stattdessen auf eine Gedenkaktion am 5. März auf dem Städtischen Friedhof. Das bekannte Objekt der JN in Chemnitz ist der ehemalige Szenetreff der im Jahr 2014 verbotenen NATIONALEN SOZIALISTEN CHEMNITZ (NSC) in der Markersdorfer Straße 40. Die Räumlichkeiten wurden für verschiedene rechtsextremistische Veranstaltungen genutzt. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE115 und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN116 Mitglieder der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE nahmen im Berichtsjahr an Vortragsveranstaltungen, wie den rechtsextremistischen "Zeitzeugenvorträgen"117 in Chemnitz und Umgebung teil. Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ In Chemnitz ist die BÜRGERBEWEGUNG PRO CHEMNITZ aktiv.118 REVOLUTION CHEMNITZ Sitz Region Chemnitz Gründung 2018 Personenpotenzial 2020 2019 8 8 Kurzportrait/Ziele Die Mitglieder der Gruppierung REVOLUTION CHEMNITZ wollten die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen und stattdessen gewaltsam ein rechtsextremistisch ausgerichtetes Staatsund Gesellschaftssystem etablieren. Am 3. Oktober 2018 sollte es zu einem ersten "Revolutionsversuch" kommen. Die Mitglieder der Gruppierung konnten jedoch im Nachgang dieses "Probelaufs", welcher am 14. September 2018 auf der Chemnitzer Schlossteichinsel stattfand, verhaftet werden. Relevante Ereignisse und Strafverfahren wegen Verdachts der Gründung einer Entwicklungen 2020 terroristischen Vereinigung gem. SS 129a StGB119. Rechtskräftige Verurteilung aller Mitglieder zu Haftstrafen. 114 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 115 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 116 vgl. Beitrag II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN 117 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 118 vgl. Beitrag II.2.4.3 PRO CHEMNITZ 119 vgl. Beitrag II.2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Seite 89 von 267 KAOTIC CHEMNITZ Sitz Region Chemnitz Gründung 2008 Personenpotenzial 2020 2019 ca. 20 ca. 20 Kurzportrait/Ziele Die Mitglieder dieser rechtsextremistischen Fußballfangruppierung beteiligen sich regelmäßig an verschiedenen rechtsextremistischen Veranstaltungen (szeneinterne Fußballveranstaltungen, Konzerte, Demonstrationen). Am 26. August 2018 riefen sie zu einer rechtsextremistischen, asylfeindlichen Demonstration auf, in deren Folge es zu Ausschreitungen und Übergriffen gegen Menschen mit Migrationshintergrund kam. 2019 drückten sie ihre Solidarität mit einer verstorbenen Szenegröße aus. Relevante Ereignisse und keine Entwicklungen 2020 TIWAZ-GEMEINSCHAFT Sitz Region Chemnitz Gründung 2018 Personenpotenzial 2020 2019 ca. 15 ca. 15 Kurzportrait/Ziele Die Mitglieder der TIWAZ-GEMEINSCHAFT streben über den Kampfsport eine Vernetzung der rechtsextremistischen Szene in Chemnitz und darüber hinaus an. Über entsprechende Aktivitäten werden nicht nur neue Szene-Mitglieder geworben und Kontakte gepflegt. Vielmehr geht es der Gruppierung um den Kampf gegen die ideologischen Feinde. Deshalb beteiligte sich die Gruppierung an der Organisation und Durchführung der rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen "TIWAZ - Kampf der freien Männer" am 8. Juni 2019 in Zwickau. Relevante Ereignisse und keine Entwicklungen 2020 IDENTITÄRE BEWEGUNG120 - ORTSGRUPPE "PATRIOTISCHES BOLLWERK" In Chemnitz ist seit dem Spätsommer 2020 eine neue IB-ORTSGRUPPE unter dem Namen PATRIOTISCHES BOLLWERK aktiv. Außer einem Informationsstand am 21. August im Rahmen der "IB-Deutschland-Sommertour" führte die IB von September bis Dezember 2020 wöchentlich eine Vielzahl verschiedener Sprüh-, Klebeund Plakataktionen im Chemnitzer Stadtgebiet durch. Die IB informierte über ihre Kanäle in den Sozialen Medien über diese Aktivitäten. Im September hieß es beispielsweise dazu: "Die Chemnitzer Aktivisten waren wieder im Rahmen des wöchentlichen Basisaktivismus unterwegs. (...) Die Identitäre Bewegung ist nach Chemnitz gekommen, und sie ist gekommen um zu bleiben. Chemnitz bleibt Identitär!" 120 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN Seite 90 von 267 Die verteilten Plakate mit den Aufschriften "Remigration - Illegale und Kriminelle abschieben" und "Keine-No-Go-Areas. Lebst Du wirklich in einem sicheren Land?" sollten dabei den faktenwidrigen Eindruck erzeugen, Zuwanderer seien stets illegal und kriminell. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Chemnitz ist zwar nicht als Schwerpunkt der rechtsextremistischen Musikszene anzusehen, allerdings existiert in der Stadt mit dem Vertrieb und Tonträger-Label PC-RECORDS121 ein wichtiges Standbein der rechtsextremistischen Musikszene in Sachsen. Er besteht aus einem Ladengeschäft in Chemnitz, einem Internet-Versand und einem Tonträger-Label. Er unterstützt Aktivitäten und Initiativen der rechtsextremistischen Szene und bietet entsprechendes Material an. Bei dem Label erschienen bislang mehr als 300 Tonträger, von denen 84 wegen jugendgefährdender Inhalte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert wurden. In Chemnitz gibt es noch ein weiteres Ladengeschäft, das mit seinem Sortiment die SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE bedient. Die aus Chemnitz stammende Band PIONIER122 unterstützte im Berichtsjahr mit einem Liedbeitrag den bisher jährlich erscheinenden "Soli-Sampler" zum "Tag der deutschen Zukunft". Die ebenfalls aus Chemnitz stammende Band BLITZKRIEG123 hat sich offenbar aufgelöst. Einige Musiker dieser Band spielen seit 2020 zusammen mit dem RAC'N'ROLLTEUFEL124 in einer neu gegründeten Band unter der Bezeichnung FRONT776125. Diese Musikgruppe wurde für ein Konzert in Torgau OT Staupitz, das am 10. Oktober mit ca. 180 Teilnehmern stattfand, angekündigt. Zudem gab diese Band im Berichtsjahr ihr erstes Album unter dem Titel "14.07.1976" heraus. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE126 gibt es auch in Chemnitz eine unstrukturierte, SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE127. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in der Stadt waren im Berichtsjahr meist lose. Jedoch werden auch zahlreiche rechtsextremistische Fußballanhänger diesem Personenpotenzial zugerechnet. Szeneangehörige besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Darüber hinaus mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Der entsprechende Personenkreis fiel insbesondere durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich in den vergangenen Jahren vor allem gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. 121 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 122 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 123 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2018 124 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 125 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 126 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 127 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 91 von 267 Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Stadt Chemnitz 306 171 150 43 8 6 2.7.3 Stadt Dresden In Dresden gehörten im Berichtsjahr etwa 350 bis 400 Personen128 der rechtsextremistischen Szene an (2019: 350 bis 400) . Damit stagnierte das Personenpotenzial auf hohem Niveau und lag im sachsenweiten Vergleich erneut im oberen Bereich. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN)129 Der Dresdner Kreisverband der NPD zählt zu den wenigen aktiven NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen. Im Berichtsjahr wurden folgende nennenswerten Aktivitäten des KV und der JN in Dresden durchgeführt: Datum Aktivität 20. Januar Teilnahme der JN an einer Pegida130-Demonstration zur Mobilisierung für den "Gedenkmarsch" am 15. Februar Februar Beteiligung an der Aktionswoche zum 13. Februar und dem sog. "Gedenkmarsch" Juni/Juli vereinzelte sog. "Schutzzonen"-Aktionen 17. Juni Demonstration unter dem Motto: "Damals wie heute: Widerstand wagen - Für unsere Grundrechte, Freiheit & Souveränität" 5. September Kundgebung für die Bedeutung der traditionellen Familie als Gegenkonzept zu den Aktionen anlässlich des "Christopher Street Days (CSD)" in Dresden 6. September Banneraktion gegen Seenotretter unter dem Motto "Ahoi! Klar zur Wende - Schlepperkähne auf Kurs Süd drehen!" 15. November Kranzniederlegung zum Volkstrauertag 128 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 129 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 130 Pegida war im Berichtsjahr 2020 keine erwiesene extremistische Bestrebung. Seite 92 von 267 Bei der Pegida-Veranstaltung am 20. Januar waren einige Aktivisten der JN Sachsen in Dresden mit einem Banner zu sehen. Zudem warben sie mit Flyern für die Teilnahme am sog. "Gedenkmarsch" anlässlich der Zerstörung Dresdens 1945. Weitere Auftritte der JN in Dresden beschränkten sich überwiegend auf gemeinsame Aktivitäten mit dem Kreisverband der NPD, da der Dresdner NPD-Kreisvorsitzende Maik MÜLLER auch den JN-Landesvorsitz innehat. An der traditionellen Demonstration am 17. Juni, die im Berichtsjahr nicht nur als Mahnwache zum Gedenken für die Opfer des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 organisiert wurde, sondern unter dem Motto "Damals wie heute: Widerstand wagen - Für unsere Grundrechte, Freiheit & Souveränität" stand, beteiligten sich etwa 90 Personen (im Vorjahr: 15), darunter auch Vertreter der JN Brandenburg. Zu den Rednern gehörte neben regionalen Vertretern auch der ehemalige Bundesvorsitzende der NPD, Udo VOIGT. Am Vormittag des 5. September organisierte der NPD-Kreisverband Dresden unter Leitung von Maik MÜLLER eine Kundgebung unter dem Motto "Traditionelle Familien schützen - Familienpolitik ist die beste Sozialpolitik" in der Dresdner Innenstadt. Daran beteiligten sich ca. 40 Personen, um sich für das aus Sicht der Partei "traditionelle und lebensrichtige Familienbild aus Mutter, Vater und Kindern" stark zu machen. Die Teilnehmer traten zugleich für die Aufhebung des Gesetzes zur "Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts" ein. Im Anschluss an die Kundgebung fand das Sommerfest der NPD in Riesa statt. Die Anzahl der öffentlichen Veranstaltungen und die dabei erreichten Teilnehmerzahlen spiegeln auch im Berichtsjahr die geringe politische Bedeutung der NPD in Dresden wider. Auch die sog. "Schutzzonen"-Aktionen der NPD sowie Flyerverteilungen fanden in Dresden nur vereinzelt statt. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE131 und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN132 Seit Jahren stellt der 13. Februar als Gedenktag für die Bombardierung der Stadt Dresden im Jahr 1945 landesund bundesweit das Hauptereignis "historischen Gedenkens" in der rechtsextremistischen Szene dar. Seit zwei Jahren wird dafür auch wieder verstärkt öffentlich mobilisiert. Dies hatte zur Folge, dass die Zahl der Teilnehmer an dem am 15. Februar durchgeführten "Trauermarsch" (1.300 Personen) wie schon in 2019 (1.500 Personen) deutlich die durchchschnittliche Teilnehmerzahl der Vorjahre von 600 bis 700 Personen übertraf. Den Rechtsextremisten gelang es abermals, ihre Veranstaltung auf einer für die Szene bedeutsamen Innenstadtroute durchzuführen. Nach wie vor zieht die Veranstaltung Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern und dem Ausland nach Dresden. Auf der diesjährigen Demonstration unter dem Motto "Vergesst niemals Dresden! 75 Jahre alliierter Bombenterror. Dresden-Gedenken 2020" sprachen neben dem Versammlungsleiter Maik MÜLLER insbesondere Szene-Vertreter aus Großbritannien, den USA, Ungarn und Bulgarien. Die im Vorfeld des "Trauermarsches" durchgeführte "Aktionswoche" ging - wie in den Vorjahren - ohne hohe Teilnehmerzahlen zuende. Im Rahmen der "Aktionswoche" fanden diesmal eine Mahnwache am Gedenkstein für die Bombenopfer im OT Nickern sowie vereinzelte Flugblattverteilungen, eine Banneraktion sowie ein kurzes "Straßentheater" in der Dresdner Innenstadt statt. Die jeweilige Teilnehmerzahl war sehr überschaubar. Nur durch die szeneeigene Berichterstattung in den sozialen Medien wurde eine gewisse Öffentlichkeit erreicht. 131 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 132 vgl. Beitrag II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN Seite 93 von 267 Darüber hinaus waren Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene in Dresden im Berichtsjahr kaum öffentlich wahrnehmbar. Eine Ursache hierfür dürfte neben fehlenden auslösenden Ereignissen auch die Strafverfahren gegen die FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN133 gewesen sein. Diese haben im Januar und September 2020 zu weiteren Verurteilungen von Szeneaktivisten geführt. IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB)134ORTSGRUPPE "WERRA ELBFLORENZ" Die IB-ORTSGRUPPE DRESDEN informierte in den entsprechenden sozialen Netzwerken über eine Vielzahl verschiedener Aktivitäten. Sie trat dabei wiederholt unter dem Namen W ERRA ELBFLORENZ auf. Im Mittelpunkt standen Wanderungen, Gemeinschaftsund Schulungswochenenden sowie vereinzelte politische Aktionen. Anlässlich der Diskussion um das griechische Flüchtlingslager in Moria wurde am 7. März ein Banner mit der Aufschrift "Solidarität mit dem griechischen Volk" in Dresden angebracht. Nach einer unter dem Motto "Against the modern world" stehenden Aktion am 1. November hieß es: "(...) Mach darauf aufmerksam, wie korrupt unsere Politik - wie kaputt dieses System in Wirklichkeit ist. (...)" Einzelne Mitglieder der Gruppierung verfügen über Kontakte in die rechtsextremistische Kampfsportszene und beteiligten sich in der Vergangenheit an entsprechenden Veranstaltungen dieser Szene. Überregionale IB-Aktivisten beteiligten sich erneut an Pegida135-Veranstaltungen in Dresden und erhielten dort - wenn auch nicht in dem Maße wie in den Vorjahren - mittels eigener Redebeiträge erneut ein Forum. So war der österreichische IB-Aktivist Martin SELLNER auf der 200. Pegida-Veranstaltung am 17. Februar nur als Teilnehmer vor Ort, trat aber dann auf der Veranstaltung am 20. Juli als Redner auf. Am 15. Juni nutzte u. a. der Leipziger Alexander KLEINE dieses Podium, um vor ca. 650 Teilnehmern zu sprechen. Vereinzelt mitgeführte IBFahnen auf den Pegida-Veranstaltungen zeugten von einer Teilnahme von IB-Sympathisanten an den genannten Pegida-Veranstaltungen. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Die Landeshauptstadt Dresden ist kein Schwerpunkt der rechtsextremistischen Musikszene. Konzertveranstaltungen wurden im Berichtsjahr nicht bekannt. Auch der Anteil der aktiven Bands zeigt seit Jahren einen sinkenden Trend. Mit SACHSONIA136 und BLUTZEUGEN137 waren im Berichtsjahr zwei rechtsextremistische Musikgruppen aktiv. SACHSONIA war für eine Konzertveranstaltung in Serbien angekündigt gewesen, welche aber aufgrund der Corona-Bestimmungen abgesagt wurde. Ein Teil der Bandmitglieder wirkte im Berichtsjahr am Tonträger "Alte Lieder abgestaubt" mit, der unter der Bezeichnung "60 Prozent Sachsonia" herausgegeben wurde. Die Band BLUTZEUGEN trat am 18. Januar bei einer Konzertveranstaltung in Torgau OT Staupitz auf. Gegen Ende des Jahres gab diese Musikgruppe das Album "Parsifal" heraus. Das Textil-Label DRYVE BY SUIZHYDE und das dazugehörige Design-Studio MUDHATER138 sind in Dresden ansässig. Das Sortiment des Unternehmens wird über den eigenen Versand im Internet und weitere Vertriebsfirmen verkauft. Ebenfalls in Dresden angesiedelt ist der Vertrieb 133 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2016 134 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN 135 Pegida war im Berichtsjahr 2020 keine erwiesene extremistische Bestrebung. 136 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 137 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 138 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Seite 94 von 267 NATIONALES VERSANDHAUS139. Dieses Textil-Label und der Vertrieb haben nur eine regionale Bedeutung innerhalb der rechtsextremistischen Vertriebsszene. Produkte werden über mehrere Internetseiten angeboten. Der Vertrieb, welcher bis etwa Ende 2019 im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge aktiv war, schränkte im Jahr 2020 seine Aktivitäten ein. Ein Ladengeschäft in Bad Schandau wurde geschlossen, und mehrere Online-Plattformen des Vertriebes wurden vom Netz genommen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den parteigebundenen und den ungebundenen rechtsextremistischen Strukturen gibt es in Dresden eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE140. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in der Stadt waren im Berichtsjahr meist lose. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch zahlreiche Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Die Grenzen zur NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE141 sind fließend, sodass in Dresden von einer Mischszene gesprochen werden kann. Die dieser Szene angehörenden Personen besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Der entsprechende Personenkreis fiel zudem durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich in den vergangenen Jahren vor allem gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Stadt Dresden 359 366 294 30 16 19 2.7.4 Erzgebirgskreis Im Erzgebirgskreis waren der rechtsextremistischen Szene zwischen 200 bis 250 Personen 142 zuzurechnen (2019: 200 bis 250). Im Vergleich zum Vorjahr blieb das rechtsextremistische Personenpotenzial somit konstant und lag im sachsenweiten Vergleich weiterhin im mittleren Bereich. 139 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 140 vgl. Beitrag II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN 141 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 142 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial Seite 95 von 267 Parteien DER DRITTE W EG (III. W EG)143 Im Erzgebirgskreis sind die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG im STÜTZPUNKT WESTSACHSEN organisiert. Er vereint nach Eigenangaben die Gebiete Westsachsen und das Erzgebirge sowie die Städte Zwickau und Chemnitz sowie deren Umland. 2020 wurde u. a. folgende öffentlichkeitswirksame Parteiaktivitäten durchgeführt: Datum Aktivität 11. Juni Flugblattverteilung zum Thema "Das System ist gefährlicher als Corona" NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)144 Die NPD ist im Erzgebirgskreis mit einem Kreisverband vertreten, der zu den wenigen aktiven NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen gehört. 2020 wurden u. a. folgende öffentlichkeitswirksame Aktivitäten durchgeführt: Datum Aktivität 1. Mai Kundgebung "Vernunft statt Hysterie! Freiheit verteidigen!" in AueBad Schlema, OT Aue anlässlich der Corona-Beschränkungen 22. Mai Kundgebung "Freiheit & Vernunft statt 'Neue Normalität'!" in AueBad-Schlema, OT Aue anlässlich der Corona-Beschränkungen 1. November Kundgebung "Vernunft statt Hysterie! Freiheit verteidigen!" in AueBad Schlema, OT Aue anlässlich der Corona-Beschränkungen Im Fokus der Aktivitäten standen im Berichtsjahr die Proteste gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge und NPD-Stadtund Kreisrat, Stefan HARTUNG, meldete dazu Kundgebungen im Mai und November in Aue-Bad Schlema, OT Aue an. Die Anmeldungen erfolgten in HARTUNGS Funktion als Stadtrat und nicht ausdrücklich für die NPD. Auch bei seinen Reden auf den Kundgebungen wies HARTUNG darauf hin, dass es ihm nicht um Parteipolitik gehe. Jedoch waren HARTUNG und die hinter ihm stehende NPD im Berichtsjahr bemüht, die in Teilen der Bevölkerung vorherrschende Skepsis gegenüber den seitens der Exekutive beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie für das "Einsickern" ihrer verfassungsfeindlichen Ziele in die Mitte der Gesellschaft auszunutzen. Für die Veranstaltungen wurde deshalb seitens der NPD mobilisiert, neben HARTUNG traten weitere der NPD angehörende Redner auf, und das Medienformat "DS-TV" des DEUTSCHE STIMME VERLAGES berichtete über die Veranstaltungen und veröffentlichte in deren Rahmen geführte Interviews. An der Kundgebung am 1. Mai beteiligten sich die aufgrund der Corona-Einschränkungen zulässigen 30 Teilnehmer. Allerdings hielten sich ca. 180 Personen im Umfeld der Versammlung auf und bekundeten durch Rufe und Beifall ihre Symphatie gegenüber der Kundgebung. Neben HARTUNG fungierte Mario LÖFFLER vom NPD-Kreisverband Erzgebirge als Redner. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung versuchten ca. 100 Personen eine Polizeisperre zu überwinden. Durch die Polizei erfolgten Identitätsfeststellungen wegen der Verstöße gegen die Corona-Schutzverordnung. Die Kundgebung wurde aufgrund weiterer Störungen vorzeitig beendet. 143 vgl. Beitrag II.2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) 144 Vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Seite 96 von 267 An der Kungebung am 22. Mai beteiligten sich ca. 120 Personen. Neben HARTUNG hielt Robert ANDRES von der Bürgerbewegung PRO CHEMNITZ145 eine Rede. An der Kundgebung am 1. November nahmen ca. 550 Personen teil. Als Redner traten neben HARTUNG der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Udo VOIGT (Berlin) und Martin KOHLMANN von PRO CHEMNITZ auf. Diese Kundgebung endete mit einer Demonstration durch die Innenstadt. Die steigenden Teilnehmerzahlen bei diesen Versammlungen gegen die CoronaBeschränkungen zeigten deutlich, dass auch nicht extremistische Personen bereit waren, sich trotz der Parteizugehörigkeit des Anmelders und weiterer Akteure an derartigen Demonstrationen zu beteiligen. Damit nutzt die NPD das Corona-Protestgeschehen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele und testet ihre Anschlussfähigkeit an nicht extremistische Kreise. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE146 und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMITISCHE GRUPPIERUNGEN147 Wie bereits im Vorjahr führten NEONATIONALSOZIALISTEN im Erzgebirgskreis einen "Zeitzeugenvortrag" durch. Für diese Veranstaltung wurde im Vorfeld überregional geworben. Die Veranstaltung fand in Oelsnitz/Erzgebirge mit schließlich ca. 95 Personen statt. Als Leiter der Veranstaltung fungierte der Rechtsextremist Robert ANDRES. An der Veranstaltung nahmen u. a. Personen aus dem Erzgebirgskreis, den Landkreisen Zwickau und Mittelsachsen sowie aus Chemnitz und Dresden teil. Vereinzelt kamen die Teilnehmer auch aus anderen Bundesländern, so z. B. aus Sachsen-Anhalt, Berlin, Hamburg und Brandenburg. Teilnehmerzahl und überregionale Mobilisierung verdeutlichten erneut die hohe Bedeutung dieser "Zeitzeugenvorträge" für die Vernetzung, Kontaktpflege und ideologische Festigung der rechtsextremistischen Szene. Aufgrund der Corona-Beschränkungen wurden im Berichtsjahr allerdings weniger Veranstaltungen dieser Art im Erzgebirgskreis durchgeführt. DIVISION ERZGEBIRGE Sitz Region Erzgebirge Internetauftritte Facebookseite "Division Erzgebirge" (nicht mehr existent) Personenpotenzial 2020 2019 unterer zweistelliger Bereich unterer zweistelliger Bereich Kurzportrait/Ziele Die DIVISION ERZGEBIRGE ist eine SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNG148. Ihre neonationalsozialistischen Bezüge ergeben sich aus revisionistischen Äußerungen sowie einer demonstrativen Sympathie mit einer Holocaust-Leugnerin. Relevante Ereignisse und Teilnahme an Demonstrationen gegen die CoronaBeschränkungen, so am 29. August in Berlin und am Entwicklungen 2020 7. November in Leipzig 145 vgl. Beitrag II.2.4.3 PRO CHEMNITZ 146 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 147 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 148 vgl. Beitrag II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN Seite 97 von 267 Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Der Landkreis ist kein Schwerpunkt der rechtsextremistischen Musikszene im Freistaat Sachsen. Rechtsextremistische Konzertveranstaltungen wurden im Erzgebirgskreis im Berichtsjahr nicht festgestellt. Musikalische Aktivitäten der Band PARANOID149 wurden ebenfalls nicht bekannt. Lediglich zwei Facebook-Einträge verwiesen auf das Fortbestehen dieser Musikgruppe. Im Landkreis existieren keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Innerhalb der rechtsextremistischen Szene gibt es im Erzgebirgskreis eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE150. Die Verbindungen der Szeneangehörigen waren im Berichtsjahr meist lose. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch rechtsextremistische Fußballanhänger. Diese Personen besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Hauptsächlich fiel dieses Personenpotenzial durch die Begehung von Straftaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner, Amtsund Mandatsträger sowie weitere "Feindbilder" der rechtsextremistischen Szene auf. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Erzgebirgskreis 116 120 148 0 2 2 2.7.5 Landkreis Görlitz Im Landkreis Görlitz gehörten der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 200 und 250 Personen151 (2019: 200 bis 250) an. Das rechtsextremistische Personenpotenzial liegt damit im sachsenweiten Vergleich weiterhin im mittleren Bereich. Bedingt durch die Corona-Beschränkungen konnte der stellvertretende NPDBundesvorsitzende Thorsten HEISE (Fretterode/TH) im Berichtsjahr keine seiner geplanten Großveranstaltungen in Ostritz durchführen. So war am 18. April, wie im Vorjahr, das 149 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 150 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 151 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial Seite 98 von 267 rechtsextremistische Konzert "Skinheads Back To The Roots" geplant. Im Sommer sollte das mehrtägige "Schild und Schwert Festival" stattfinden, welches dann zunächst auf Ende September verschoben und später gänzlich abgesagt wurde. Gemäß der Verlautbarungen der Organisatoren behalten alle bereits verkauften Karten ihre Gültigkeit. HEISE rechnet demzufolge damit, dass die Veranstaltungen nach einer Beruhigung der Pandemielage in 2021 durchgeführt werden können. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)152 Im Landkreis Görlitz existiert ein NPD-Kreisverband Bautzen-Görlitz-Niederschlesien, welcher die zwei ostsächsischen Landkreise umfasst. Nennenswerte Aktivitäten abseits solcher in den Sozialen Medien wurden im Berichtszeitraum nicht entwickelt. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE153 und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN154 BRIGADE 8 Sitz Mücka Gründung 2012 Internetauftritte www.facebook.com/Bruderschaft-Brigade-8 Personenpotenzial 2020 2019 ca. 40 ca. 40 Finanzierung Einnahmen aus Konzertveranstaltungen Kurzportrait/Ziele Die BRIGADE 8 ist eine bundesweit organisierte und in Chapter untergliederte Gruppierung mit neonationalsozialistischen Bezügen. Sie veranstaltete in den letzten Jahren insbesondere rechtsextremistische Konzertveranstaltungen. Die Mitglieder tragen "Kutten" im Stil von Rockerclubs. Relevante Ereignisse und Bedingt durch die Corona-Pandemie keine relevanten Ereignisse. Entwicklungen 2020 Zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im Landkreis Görlitz zählt u. a. die BRIGADE 8, die in Hierarchie und Auftreten mit einheitlichen Lederkutten Rockergruppierungen ähnelt. Sie unterhält im Landkreis das "Chapter Ostdeutschland", das sich auch "Chapter Weißwasser" bzw. "Chapter Eastside" nennt. Sie führte in der Vergangenheit regelmäßig Veranstaltungen durch, bei denen rechtsextremistische Bands und Liedermacher auftraten. Die BRIGADE 8 entwickelte sich über die Jahre in Bezug auf die Durchführung von Szeneveranstaltungen im Landkreis Görlitz zu einer festen, überregional aktiven Größe. In der Folge agierte sie zunehmend selbstbewusster. Dies zeigte sich auch in unverhohlen 152 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 153 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 154 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 99 von 267 demonstrierten Sympathien für COMBAT 18155 (bis zu deren Verbot) sowie auch im offen erkennbaren Auftreten während des "Schild und Schwert"-Festivals in Ostritz 2019. Die Anzahl der Veranstaltungen in Mücka wie auch die durchschnittlichen Teilnehmerzahlen sind im Berichtsjahr allerdings deutlich zurückgegangen. Ursächlich für diese Entwicklung dürften die Corona-Beschränkungen gewesen sein. Diesbezüglich wollte die BRIGADE 8 offenbar keinen Anlass für ein behördliches Einschreiten bieten. Dennoch konnten Aktivitäten festgestellt werden. So nahmen Mitglieder der Gruppierung am jährlichen "Trauermarsch" der rechtsextremistischen Szene im Februar in Dresden anlässlich des Gedenkens an die Bombardierung Dresdens 1945 teil und beteiligten sich vereinzelt an den nicht extremistischen Protesten entlang der B 96 gegen die Corona-Maßnahmen. Im November beteiligte sich die Gruppierung am sog. "Heldengedenken", so in Großpostwitz, anlässlich des Volkstrauertages. NATIONALER JUGENDBLOCK E.V. (NJB) Sitz Zittau Gründung 1991 Personenpotenzial 2020 2019 unterer zweistelliger Bereich unterer zweistelliger Bereich Kurzportrait/Ziele Der Verein NATIONALER JUGENDBLOCK ZITTAU (NJB) ist eine subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierung. Er dient wegen des ihm zur Verfügung stehenden Objekts als Anlaufstelle für "national gesinnte" Jugendliche aus der Region. Relevante Ereignisse und keine relevanten Ereignisse Entwicklungen 2020 Ebenfalls zur SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE im Landkreis Görlitz zählt der Verein NATIONALER JUGENDBLOCK E.V. (NJB). Der NJB verfügt seit mehreren Jahren über ein Vereinshaus in Zittau, welches für Treffen und Veranstaltungen genutzt wird. Nachdem im Vorjahr keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des Vereins zu verzeichnen waren, fand am 21. Mai im Objekt des Vereins eine Feier anlässlich des "Männertages" statt. In deren Verlauf riefen ca. 20 Personen "Sieg Heil". Anschließend kam es zu Widerstandshandlungen gegenüber der Polizei. Damit machte sich diese Gruppe wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gemäß SS 86a StGB und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß SS 113 StGB strafbar. IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB)156 - ORTSGRUPPE "GRENZSTEINIG" In einem Statement der IB Görlitz vom Juni 2020 hieß es: "(...) Multikulti ist wie ein Pulverfass (...) Aus diesem Grund fordern wir ein Deutschland, in dem die deutsche Bevölkerung die klare Majorität darstellt (...) Remigration jetzt! Unser Land, unsere Regeln!" Die wenigen öffentlichen Aktionen der IB-Aktivisten im Berichtsjahr standen in diesem Kontext und wurden in den entsprechenen sozialen Medien veröffentlicht. Am 12. Juni führte die IB eine Banneraktion unter dem Motto "Niemals auf Knien - wir entschuldigen uns nicht" in Görlitz durch. Diese Aktion stand im Zusammenhang mit einer Kampagne der IB Deutschland, die sich gegen die "Black Lives Matter"-Bewegung richtete. 155 vgl. sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, S. 132 156 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN Seite 100 von 267 Im Rahmen der IB-Deutschland-Sommertour "Unser Büro ist die Straße" fand am 14. August eine Flyeraktion in Zittau statt. Aufgrund der fehlenden behördlichen Erlaubnis für eine Sondernutzung musste der Veranstalter den geplanten Informationsstand räumen. Eine weitere für die Stadt Görlitz geplante Aktion wurde von den Organisatoren zurückgezogen. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Der Landkreis Görlitz ist für die rechtsextremistische Musikszene bedeutungsvoll, da dort mit dem Gebäude der BRIGADE 8 in Mücka und dem Areal des Hotels "Neißeblick" in Ostritz zwei Objekte für die Durchführung von Musikveranstaltungen zur Verfügung stehen. Vor allem die Liegenschaft in Ostritz bietet ausreichend Platz für Großveranstaltungen mit Teilnehmerzahlen im vierstelligen Bereich. Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE (Fretterode/TH) organisierte in Ostritz in den letzten Jahren unter der Bezeichnung "Schild und Schwert Festival" mehrere Großveranstaltungen, welche Rechtsextremisten aus dem Bundesgebiet und dem Ausland anzogen. Seit März 2020 ist die rechtsextremistische Liedermacherin ARIA S157 im Landkreis Görlitz ansässig. Sie war beteiligt am Sampler "Punikoff hört rein Vol. 2". Rechtsextremistische Vertriebe sind im Landkreis nicht bekannt. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den parteigebundenen und parteiungebundenen Strukturen existiert auch im Landkreis Görlitz eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE158. Die Verbindungen dieser Personen waren im Berichtsjahr meist lose. Diese Personen besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Hauptsächlich fiel diese Szene durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Sie richteten sich in den vergangenen Jahren insbesondere gegen Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner, Amtsund Mandatsträger sowie alle sonstigen "Feindbilder" der rechtsextremistischen Szene. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Landkreis Görlitz 168 197 165 4 2 4 157 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 158 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 101 von 267 2.7.6 Landkreis Leipzig Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Leipzig waren zwischen 200 und 250 Personen159 zuzurechnen (2019: 200 bis 250). Das Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen damit weiterhin im mittleren Bereich. Parteien DER DRITTE W EG (III. W EG)160 Seit April 2015 existiert ein länderübergreifender STÜTZPUNKT MITTELLAND der Partei. Dieser umfasst die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland.161 Im Berichtsjahr führte dieser "Stützpunkt" folgende Aktivitäten durch: Datum Aktivitäten November wiederholte Durchführung sog. "Selbstverteidigungskurse" 14./15. Gedenkveranstaltung zum "Volkstrauertag" u. a. in Wurzen November 4. Dezember sog. "Nationale Streife" in Wurzen 21. Dezember sog. Wintersonnenwende Im Vergleich zum Vorjahr war damit im Landkreis eine Zunahme der Aktivitäten des STÜTZPUNKTES MITTELLAND zu verzeichnen. Im November trafen sich Stützpunktmitglieder unter Anleitung von Mitgliedern der parteiinternen Arbeitsgruppe "Körper & Geist" zum wiederholten Male zu einem sog. "Selbstverteidigungskurs". Dieses Training besteht aus einer "(...) Mischung aus Kraftund Ausdauersport, sowie verschiedene(n) Kampfsporteinflüsse(n) (...)." Ziel sei es "(...) eine allgemeine Möglichkeit zur wirkungsvollen Wehrhaftigkeit, auch in Extremsituationen, gezielt zu fördern." Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls fand darüber hinaus für Mitglieder des STÜTZPUNKTES MITTELLAND und deren Familien im Dezember ein Treffen zur sog. "Wintersonnenwende" statt. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN)162 Aus "organisatorischen und strukturellen Gründen" schlossen sich die Mitglieder der Kreisverbände Leipzig sowie des Landkreises Leipzig am 15. Mai 2015 zu einem "Kreisverband Leipzig Stadt & Land" zusammen.163 Im Landkreis Leipzig ist die NPD im Berichtsjahr kommunalpolitisch vertreten gewesen. Eine Person hat im Stadtrat Trebsen ein Mandat für die NPD. Aktivitäten der NPD im Landkreis waren im Berichtsjahr kaum zu verzeichnen. Anfang Januar führte die NPD eigenen Angaben zufolge eine ihrer sog. "Schutzzonen-Aktionen" in Colditz durch. Eine Versammlung der Partei zum Thema "Migration tötet!" fand am 4. Oktober in Trebsen statt. Die Jugendorganisation der NPD, die JUNGEN NATIONALISTEN, organisierten am 27. November in Wurzen eine Demonstration unter dem Motto "Gegen das Schikanieren nationaler Jugendarbeit". An der nicht angemeldeten Versammlung beteiligten sich 39 Personen. Die 159 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 160 vgl. Beitrag II.2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) 161 vgl. Beitrag II.2.7.7 Stadt Leipzig 162 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 163 vgl. Beitrag II.2.7.7 Stadt Leipzig Seite 102 von 267 Teilnehmer liefen mit einem Transparent "Das System ist am Ende, wir sind die Wende #Systemexit" und den Rufen "Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Zukunft klaut" durch die Stadt. Die Veranstaltung wurde durch die Polizei gestoppt und beendet. Anlass der Aktion war die Indizierung des von den JN im September 2019 anlässlich des 50. Jahrestages ihrer Gründung herausgegebenen Samplers durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien am selben Tag. DER FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD)164 Die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie veranlassten politischen Entscheidungen und die Auswirkungen der Coronakrise auf Wirtschaft und Gesellschaft nahm auch der FLÜGEL zum Anlass für Aktivitäten. Insbesondere eine Veranstaltung am 28. August in Grimma, auf der unter anderem die Rechtsextremisten Björn HÖCKE und Jens MAIER als Redner auftraten, zeigte das Wirkpotenzial des FLÜGEL auf den AfD-Kreisverband. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE165 und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN166 Einzelne NEONATIONALSOZIALISTEN aus dem Landkreis beteiligten sich am 15. Februar in Dresden an der Demonstration anlässlich des 75. Jahrestages der Bombardierung Dresdens. Die zur NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE gehörende Gruppierung W IR FÜR LEIPZIG führte am 4. Oktober in Kitzscher OT Hainichen einen Zeitzeugenvortrag mit ca. 300 Teilnehmern durch167. Die Veranstaltung fand in einem Vereinssaal statt, welcher unter dem Vorwand einer privaten Geburtstagsfeier angemietet worden war. Diese Veranstaltung ist ein weiterer Beleg dafür, dass die rechtsextremistische Szene neben den offiziell angemeldeten Veranstaltungen insbesondere unter Umgehung der geltenden Hygienevorschriften konspirativ organisierte Konzerte, Liederabende sowie andere Vortragsveranstaltungen durchzuführen versucht und dabei Vermieter von Lokalitäten mit falschen Angaben hinsichtlich des Anlasses täuscht. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Der Landkreis Leipzig verfügt über keine ausgeprägte rechtsextremistische Musikszene. Im Berichtsjahr wurden keine Musikveranstaltungen in dieser Region bekannt. Das ursprünglich auch im Berichtsjahr geplante Sommerfest mit dem Liedermacher LUNIKOFF168, welches in den vergangenen Jahren in einem Steinbruch in Grimma OT Roda stattfand, wurde im Zusammenhang mit den Corona-Beschränkungen nicht durchgeführt. Im Landkreis Leipzig ist mit der Band FEINDNAH169 eine rechtsextremistische Musikgruppe angesiedelt. Einige Bandmitglieder - so auch der Sänger - dieser Musikgruppe stammen aus Wurzen und waren früher Mitglied der nicht mehr aktiven rechtsextremistischen T ERROR CREW MULDENTAL. Die Band trat im Rahmen einer rechtsextremistischen Konzertveranstaltung vor ca. 170 Besuchern am 1. Februar in Torgau, OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) auf. Der ehemals im Landkreis Leipzig aktive rechtsextremistische Vertrieb FRONT RECORDS170 und das eigene 164 vgl. Beitrag II.2.3.3 DER FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD) 165 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 166 vgl. Beitrag II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN 167 vgl. Beitrag II.2.7.7 Stadt Leipzig 168 Michael REGENER, ehemaliger Sänger der verbotenen rechtsextremistischen Band L ANDSER, jetzt LUNIKOFF 169 vgl. Beitrag II.2. 4.5. Rechtsextremistische Musik 170 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte Seite 103 von 267 Label FRONTMUSIK171 sind seit 2020 nicht mehr in Sachsen tätig. Damit verlor die rechtsextremistische Musikszene in Sachsen ein wichtiges Standbein von überregionaler Bedeutung. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE172 gibt es auch im Landkreis Leipzig eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE.173 Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren im Berichtsjahr meist lose. Es befinden sich auch rechtsextremistische Fußballanhänger darunter. Die Grenzen zur neonationalsozialistischen Szene sind fließend, so dass im Landkreis Leipzig von einer Mischszene gesprochen werden kann. Diese Personen besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Der entsprechende Personenkreis fiel im Landkreis Leipzig insbesondere durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich in den vergangenen Jahren vor allem gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Landkreis Leipzig 122 183 185 8 6 4 2.7.7 Stadt Leipzig In Leipzig waren der rechtsextremistischen Szene zwischen 250 bis 300 Personen174 zuzurechnen (2019: 250 bis 300). Im Vergleich zum Vorjahr blieb das rechtsextremistische Personenpotenzial somit konstant und lag im sachsenweiten Vergleich weiterhin im mittleren Bereich. 171 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 172 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 173 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 174 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial Seite 104 von 267 Parteien DER DRITTE W EG (III. W EG)175 Die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG sind im länderübergreifenden STÜTZPUNKT MITTELLAND organisiert. Dieser vereint nach eigenen Angaben die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland. Im Berichtsjahr wurden u. a. folgende Aktivitäten in Leipzig durchgeführt: Datum Aktivitäten 19. Januar Vortragsveranstaltung in Leipzig Verteilaktion "Kein Platz für Homopropaganda! - Anti-CSD Aktion" in Juli Leipzig 14./15. sog. "Heldengedenken" in Leipzig am Südfriedhof November Im Vergleich zum Vorjahr waren weniger öffentlichkeitswirksame Aktivitäten des STÜTZPUNKTES MITTELAND in der Stadt Leipzig zu verzeichnen. Der Stützpunkt setzte, wie bereits im Vorjahr, auf die Durchführung einer Vortragsveranstaltung bzw. auf das Verteilen von Flugblättern. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN)176 In Leipzig ist die NPD mit dem Kreisverband Leipzig Stadt und Land vertreten. Dieser trat jedoch wie im Vorjahr nur mit wenigen Aktivitäten öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. So wurde im Mai 2020 eine Gedenkaktion auf dem Südfriedhof in Leipzig u. a. für die Bombenopfer der Stadt Leipzig im Zweiten Weltkrieg durchgeführt. Im Berichtsjahr wurde allerdings der JN-Stützpunkt der JUNGEN NATIONALISTEN in Leipzig reaktiviert, der mit verschiedenen Aktivitäten öffentlichkeitswirksam in Erscheinung trat. Neben Banneraktionen im April zum Thema "Migration stoppen" fanden im Berichtsjahr diverse Flyerbzw. Aufkleberverteilungen zu verschiedenen Themen, u. a. im Rahmen der Kampagne "Schuelersprecher.Info", statt. In und um Leipzig führten die JN LEIPZIG im August zudem eine sog. Sommerwanderung durch. Derartige Aktivitäten sollen vor allem das Gemeinschaftsgefühl der JN-Mitglieder stärken. Am 4. Dezember gedachten JN-Mitglieder der Opfer der Bombardierung der Stadt Leipzig im Zweiten Weltkrieg. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE177 und SUBKULTURELL GEPRÄGTE GRUPPIERUNGEN178 WIR FÜR LEIPZIG Sitz Leipzig Gründung 2016 Vorsitz Enrico BÖHM Internetauftritte Facebook-Profil, Twitter-Account, Instagram-Account, YouTube-Kanal Personenpotenzial 2020 2019 175 vgl. Beitrag II.2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) 176 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 177 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN 178 vgl. Beitrag II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN Seite 105 von 267 unterer zweistelliger Bereich unterer zweistelliger Bereich Kurzporträt/Ziele WIR FÜR LEIPZIG ist ein Sammelbecken der neonationalsozialistischen und ehemals parteigebundenen rechtsextremistischen Szene in Leipzig. Schwerpunkte der Aktivitäten sind die Durchführung rechtsextremistischer Veranstaltungen, beispielsweise von revisionistischen "Zeitzeugenvorträgen" und "Liederabenden" Relevante Ereignisse und Durchführung eines "Zeitzeugenvortrags" am 4. Oktober Entwicklungen 2020 und Gedenkaktion am 4. Dezember anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Leipzigs im Zweiten Weltkrieg Die neonationalsozialistische Gruppierung W IR FÜR LEIPZIG entstand im Jahr 2016 infolge von Differenzen innerhalb der NPD, die sich auch auf die JN auswirkten179. Der Leipziger JNStützpunkt löste sich schließlich auf, und die ehemaligen JN-Mitglieder schlossen sich W IR FÜR LEIPZIG an. Diese Gruppierung wird vom Leipziger Rechtsextremisten und ehemaligen NPD-Funktionär Enrico BÖHM angeführt. Die Mitglieder dieser Gruppierung vertreten eine neonationalsozialistische Weltanschauung, die sich beispielsweise in der Durchführung revisionistischer "Heldengedenken" zeigt. Veranstaltungen wie die sog. "Zeitzeugenvorträge" dienen der Verherrlichung des sog. "Dritten Reiches" sowie der historischen Legitimation der rechtsextremistischen Ideologie und Agitation. Auf Veranstaltungen der Gruppierung treten auch rechtsextremistische Liedermacher auf. Im Jahr 2020 wurde die Vortragsreihe "Zeugen der Zeit" fortgesetzt. Eine in diesem Rahmen ursprünglich für April geplante Veranstaltung fand aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht statt. Am 4. Oktober führte die Gruppierung einen "Zeitzeugenvortrag" in Kitzscher, OT Hainichen (Landkreis Leipzig) durch, an welchem ca. 300 Personen aus dem Bundesgebiet teilnahmen. Die Polizei führte wegen des Verdachts von Verstößen gegen die CoronaSchutzverordnung einen Einsatz durch. Zudem wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung gemäß SS130 StGB eingeleitet, da es im Rahmen der Veranstaltung mehrere volksverhetzende Redebeiträge gegeben hatte. Die sehr hohe Teilnehmerzahl an diesem "Zeitzeugenvortrag" belegt einmal mehr die Bedeutung dieses Veranstaltungsformats für die strukturell ungebundene rechtsextremistischen Szene auch im Großraum Leipzig. Dort werden neue Kennverhältnisse geschaffen, bestehende Kontakte gepflegt und die rechtsextremistische Ideologie gefestigt. Die Mobilisierung für die Veranstaltungen erfolgte ausschließlich szeneintern und sollte dementsprechend auch nur die Adressaten ansprechen. Am 4. Dezember führte W IR FÜR LEIPZIG zusammen mit der JN LEIPZIG auf dem Südfriedhof eine Gedenkaktion anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Leipzig im Zweiten Weltkrieg durch. Durch diese gemeinsame Veranstaltung wurden nach der Reaktivierung des JN-Stützpunktes Leipzig wieder erste Vernetzungsbestrebungen sichtbar. Auf dem Facebook-Account der Gruppierung W IR FÜR LEIPZIG wurden ferner die Termine für die im November in Leipzig durchgeführten Demonstrationen gegen die CoronaBeschränkungen veröffentlicht. 179 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2016 Seite 106 von 267 Beteiligung von Rechtsextremisten an Versammlungen gegen die Corona-Beschränkungen in Leipzig In Leipzig fanden am 7. und 21. November Kundgebungen gegen die Corona-Maßnahmen statt, an denen sich auch zahlreiche Angehörige der regionalen und überregionalen rechtsextremistischen Szene beteiligten. Beim Versammlungsgeschehen am 7. November waren unter den Teilnehmern Mitglieder des parteigebundenen Spektrums, wie beispielsweise der NPD, der JUNGEN NATIONALISTEN (JN) und der Partei DER DRITTE W EG. So befanden sich unter den Teilnehmern neben dem stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Udo VOIGT auch weitere hochrangige Funktionäre der NPD bzw. JN aus Sachsen, wie Stefan HARTUNG, Peter SCHREIBER sowie Paul RZEHACZEK. Aus dem parteiungebundenen Spektrum nahmen Mitglieder von PRO CHEMNITZ, der FREIEN KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN und der DIVISION ERZGEBIRGE teil. Weiterhin befanden sich unter den Teilnehmern auch Personen aus der rechtsextremistischen Fußballszene sowie Personen, die als rechtsextremistische Kampfsportler bekannt sind. Aufgrund ihres zum Teil aggressiven und organisierten Auftretens gelang es diesen Rechtsextremisten - trotz ihres vergleichsweise geringen Anteils an der Gesamtheit der Demonstrationsteilnehmer - die Veranstaltung medienwirksam zu prägen. Am 21. November versammelten sich in Leipzig erneut Personen, um unter dem Motto "Das Leben nach Corona" gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zu protestieren. Wieder beteiligten sich Rechtsextremisten an der Versammlung, wenn sie auch erneut nicht die Mehrzahl der Veranstaltungsteilnehmer stellten. Unter ihnen waren abermals Angehörige der regionalen und überregionalen rechtsextremistischen Szene. Es nahmen Angehörige des parteigebundenen Spektrums, wie beispielsweise der NPD, der JN und der Parteien DER DRITTE W EG und DIE RECHTE teil. Aus dem parteiungebundenen Spektrum befanden sich Mitglieder von PRO CHEMNITZ und der JUNGEN REVOLUTION unter den Teilnehmern. Durch ihre Beteiligung an Protesten der gesellschaftlichen Mitte versuchten Rechtsextremisten, ihre Anschlussfähigkeit an eben diese auszuloten. Corona-Proteste gegen die Maßnahmen der Exekutive boten ihnen den passenden Nährboden für die Verbreitung ihrer verfassungsfeindlichen Zielsetzungen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Rechtsextremisten keinen prägenden bzw. mehrheitlichen Einfluss auf diese Veranstaltungen ausüben konnten.180 IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB)181 - ORTSGRUPPE LEIPZIG Im Berichtsjahr organisierten Leipziger IB-Angehörige lediglich einzelne Aktivitäten. So brachten sie in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli an mehreren Bauwerken in Leipzig Metallschilder mit der Aufschrift "Erbaut von weißen Männern" an, um darauf aufmerksam zu machen, dass "(...) nicht alles Übel (..) von alten weißen Männern erschaffen wurde." Anfang November verteilten IB-Aktivisten an der Universität in Leipzig Flugblätter, "(...) um Studienanfänger vor politischer Gleichschaltung zu warnen (...)." Der Leipziger IB-Aktivist Alexander KLEINE engagiert sich bundesweit für diese Gruppierung. Über verschiedene eigene Videound Audioformate im Internet verbreitet er seine verfassungsfeindlichen Überzeugungen und erreicht damit ein überregionales Publikum. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Die rechtsextremistische Musikszene ist in Leipzig mit den beiden Bands THEMATIK 25182 und VOLKSNAH183 vertreten. Beide Bands traten in der Vergangenheit mitunter auf denselben Veranstaltungen auf. Während im Berichtsjahr keine Erkenntnisse über VOLKSNAH anfielen, 180 vgl. Beitrag II.1 Härtetest für die Demokratie: Wie Extremisten die Corona-Maßnahmen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausnutzten 181 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN 182 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 183 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 Seite 107 von 267 wurde die Band THEMATIK 25 für zwei Konzertveranstaltungen angekündigt, die am 1. Februar und 10. Oktober in Torgau, OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen) stattfanden. Der in Leipzig ansässige Gitarrist der rechtsextremistischen Band FLAK (Rheinland-Pfalz) 184 trat im Berichtsjahr musikalisch unter der Bezeichnung ETHOS185 auf und gab den Tonträger "Zeitgeist" heraus. Mittlerweile soll diese Musikgruppe aus drei Bandmitgliedern bestehen. Der rechtsextremistische Vertrieb HERMANNSLAND-VERSAND186 ist weiterhin in Leipzig aktiv und wichtigster Vertreiber von Tonträgern bzw. Merchandising Produkten des rechtsextremistischen Liedermachers LUNIKOFF187. Das dazugehörige Tonträger-Label mit der Bezeichnung HITLERCHE produzierte in den vergangenen Jahren Tonträger dieses Interpreten bzw. seiner Band DIE LUNIKOFF VERSCHWÖRUNG. Der von einem ehemaligen NPD-Funktionär betriebene Online-Versand LOKIS TRUHE188 existiert weiterhin. Sein Sortiment ist ausschließlich auf die rechtsextremistische Szene ausgerichtet und beinhaltet Artikel mit Bezug zur germanischen bzw. nordischen Mythologie sowie zur Zeit des Nationalsozialismus. Im Dezember 2020 durchsuchte die Polizei vier Objekte in Leipzig und im Landkreis Leipzig, darunter auch die Geschäftsräume und Lager von LOKIS TRUHE. Die Beamten stellten versandfertige Bücher und elektronische Speichermedien sicher. In einer Lagerhalle im Landkreis Leipzig wurden 80 Euro-Paletten sichergestellt. Unter den darin sichergestellten Publikationen befanden sich zahlreiche unkommentierte Nachdrucke des Buches "Mein Kampf" von Adolf Hitler. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den rechtsextremistischen Parteien und den parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen gibt es auch in Leipzig eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE.189 Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren im Berichtsjahr meist lose. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch rechtsextremistische Fußballanhänger und Kampfsportler. Diese Personen besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Hauptsächlich fiel dieses Personenpotenzial in Leipzig durch die Begehung von Straftaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner, Amtsund Mandatsträger sowie weitere "Feindbilder" der rechtsextremistischen Szene auf. 184 vgl. Verfassungsschutzberichte Rheinland-Pfalz 2019 sowie Niedersachsen 2018 185 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 186 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 187 Michael REGENER, ehemaliger Sänger der verbotenen rechtsextremistischen Band LANDSER, jetzt Auftritte als Liedermacher LUNIKOFF 188 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 189 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II.2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 108 von 267 Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2070 138 66 73 Leipzig (Stadt) 218 251 277 9 7 18 2.7.8 Landkreis Meißen Im Landkreis Meißen waren der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2020 - wie im Jahr 2019 - zwischen 150 und 200 Personen190 zuzurechnen. Damit lag das Personenpotenzial im sachsenweiten Vergleich wie bereits in den Vorjahren im unteren Bereich. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) UND JUNGE NATIONALISTEN (JN)191 Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Meißen führten im Berichtsjahr nur wenige eigene Aktivitäten durch, im Übrigen beteiligten sie sich an Veranstaltungen der Landesbzw. Bundespartei. Des Weiteren nahmen einzelne Anhänger an den "Querdenken"Demonstrationen im November 2020 in Leipzig teil. Datum Aktivität 5. September Sommerfest des NPD-Landesverbandes 2. Oktober Erntedankfest 15. November Gedenkaktion anlässlich des Volkstrauertages Mit dem Objekt des DEUTSCHE STIMME VERLAGES in Riesa verfügt die NPD über ein Treffobjekt von bundesweiter Bedeutung, das sich in ihrem Eigentum befindet.192 Am 5. September veranstaltete sie dort ihr jährliches Sommerfest mit ca. 90 Teilnehmern. Im Landkreis existieren keine eigenen Strukturen der JUNGEN NATIONALISTEN (JN). Jedoch fand am 7. März der Bundesgkongress der JN im genannten Objekt in Riesa statt. Parteiungebundene Strukturen Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Der Landkreis ist kein Schwerpunkt der rechtsextremistischen Musikszene. Lediglich die NPD lud gelegentlich rechtsextremistische Liedermacher für die "kulturelle Umrahmung" ihrer Veranstaltungen, welche in der Liegenschaft des NPD-Verlages DEUTSCHE STIMME in Riesa stattfanden, ein. 190 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 191 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 192 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Seite 109 von 267 Die finanziellen Probleme des Verlages DEUTSCHE STIMME führten in der Vergangenheit dazu, dass seine Betreiber den Warenversand an einen NPD-Funktionär in Thüringen übergaben. Auch der Buchversand wurde ausgelagert. Dem Verlag verblieb lediglich die Herausgabe der NPD-Publikation DEUTSCHE STIMME, welche im Berichtsjahr ihr Format änderte. Die Herausgeber versprechen sich vom neuen Layout ihrer Publikation offenbar die Erweiterung des Leserkreises und damit höhere finanzielle Einnahmen. Mit NATION & W ISSEN193 ist ein weiterer rechtsextremistischer Verlag mit angeschlossenem Vertrieb in Riesa ansässig. Ein großer Teil seines Sortiments weist Bezüge auf die Zeit des Nationalsozialismus auf und ist auf die rechtsextremistische Szene ausgerichtet. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial194 Auch im Landkreis Meißen existiert eine unstrukturierte, vorwiegend SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE. Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren im Berichtsjahr meist lose. Diese Personen besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer Rechtsextremisten. Hauptsächlich fiel die Szene durch die Begehung von Straftaten auf. Im Berichtsjahr handelte es sich dabei im Landkreis neben zahlreichen Verstößen gegen SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen) vor allem um Beleidigungen, Sachbeschädigungen sowie Volksverhetzungen. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Sachsen Landkreis 63 94 89 2 0 0 Meißen 2.7.9 Landkreis Mittelsachsen Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Mittelsachsen waren zwischen 200 und 250 Personen195 zuzurechnen (2019: 200 bis 250). Das Personenpotenzial lag damit im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im mittleren Bereich. 193 vgl. Beitrag 2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 194 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 195 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial Seite 110 von 267 Parteien DER DRITTE W EG (III. W EG)196 Die Partei DER DRITTE WEG ist im Landkreis Mittelsachsen mit einem eigenen STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN vertreten. Dieser existiert seit März 2017 und umfasst die Städte Mittweida, Döbeln, Freiberg und deren Umland. Das Aktionspotenzial ist im Vergleich mit den anderen Stützpunkten in Sachsen jedoch eher gering. Im Berichtsjahr wurden vom STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN u. a. folgende Aktivitäten durchgeführt: Datum Aktivität 8.Mai Mahnwachen an Kriegsgräbern 1. Juni Wanderung Ende Juni Sommersonnenwendfeier 7. Oktober Gedenkveranstaltung "Ein Volk ist nur so viel wert, wie es seine Toten ehrt!" Ende Dezember Singen von Weihnachtsliedern vor einem Pflegeheim Im Vergleich zum Vorjahr ging das Aktionsniveau des STÜTZPUNKTES MITTELSACHSEN im Berichtsjahr spürbar zurück. Es waren weniger öffentlichkeitswirksame Aktionen zu verzeichen. Beispielsweise instrumentalisierte der STÜTZPUNKT MITTELSACHSEN abermals den 8. Mai, den Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, sowie den Jahrestag der Bombenangriffe auf die Stadt Freiberg am 7. Oktober 1944 für die Durchführung von Grabpflegeaktionen und Mahnwachen vor Kriegsgräbern in Mittelsachsen. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN)197 Im Landkreis Mittelsachsen existiert der Kreisverband Chemnitz-Mittelsachsen. Die NPD ist weder auf Kreistagsebene noch auf Stadtbzw. Gemeinderatsebene kommunalpolitisch vertreten. Folgende Aktivitäten der NPD im Landkreis waren zu verzeichnen: Datum Aktivität mehrfach Schutzzonen-Aktionen mehrfach Kundgebungen und Verteilaktionen von Flyern unter dem Motto "Migration tötet" mehrfach Aktionen im Rahmen der NPD Kampagne "Deutsche helfen Deutschen" und der JN Kampagne "Jugend packt an" 7. Oktober Gedenken der Opfer des 7. Oktober 1944 November Aktionen zum Volkstrauertag 196 vgl. Beitrag II.2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) 197 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Seite 111 von 267 Die sog. Schutzzonen-Aktionen fanden im Rahmen einer von der NPD initiierten bundesweiten Kampagne unter dem Motto "Schafft Schutzzonen" statt.198 In Sachsen wurden diese Aktionen schwerpunktmäßig im Landkreis Mittelsachsen, u. a. in Döbeln und Freiberg, durchgeführt. Seit April 2019 existiert hier eine eigens für diese Aktionen eingerichtete Facebookseite unter dem Titel "Schutzzone Mittelsachsen". Mit den auch "Sicherheitsstreifen" genannten Aktionen suggerierten die Mitglieder der NPD öffentlichen Aktionismus und wollten vom gegenwärtig schwierigen Zustand der Partei sowie von der kaum vorhandenen Mobilisierungsfähigkeit ihrer Anhängerschaft ablenken. Die Partei präsentierte sich damit als "Kümmerer" vor Ort sowie als "Wahrer von Sicherheit, Recht und Ordnung" und schürte damit gleichzeitig Vorbehalte gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Anlässlich des Volkstrauertages organisierte die NPD Mittelsachsen mehrere kleine Veranstaltungen zum sog. "Heldengedenken". Auch am 8. Mai führte sie Aktionen zur Denkmalpflege durch. Die im Landkreis ebenfalls aktive NPD-Jugendorganisation, die JUNGEN NATIONALISTEN (JN), führten im Rahmen ihrer bundesweiten Kampagne "Jugend packt an" eigene Aktionen durch. Zu Beginn des Jahres stand das Thema "Corona" im Mittelpunkt dieser Aktionen. Um sich auch bei diesem Thema ein "Kümmerer-Image" zu geben, bot man in Döbeln und Umgebung u. a. Nachbarschaftshilfe zum Einkaufen an oder verteilte an sog. Gabenzäunen Beutel mit Lebensmitteln. Seit September 2020 verfügen die JN über angemietete Räume in Döbeln. In den als "Bürgertreffpunkt und Tauschbörse D-32" im Internet beworbenen Räumen bieten die JN eine zweimal wöchentlich geöffnete Tauschbörse an, die sich vorzugsweise an Deutsche richtet und in der insbesondere Kinderkleidung sowie Schulmaterialien ausgegeben werden. DER FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD)199 Die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie veranlassten politischen Entscheidungen und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft nahm auch DER FLÜGEL zum Anlass für Aktivitäten. Insbesondere eine AfD-Veranstaltung am 26. Juni in Burgstädt, auf der unter anderem die Rechtsextremisten Andreas KALBITZ und Jens MAIER als Redner auftraten, zeigte das Wirkpotenzial des FLÜGELS auf den AfD-Kreisverband. Parteiungebundene Strukturen Parteiungebundene rechtsextremistische Netzwerke können sich insbesondere auch durch eine gezielte gemeinsame Ansiedlung von Szene-Angehörigen im ländlichen Raum bilden. In Sachsen ist insbesondere eine Ansiedlung von mehreren, untereinander eng verbundenen Rechtsextremisten mit ihren Familien im Landkreis Mittelsachsen bekannt. "Initiative Zusammenrücken" Seit Februar 2020 propagieren Rechtsextremisten auch unter dem Label "Initiative Zusammenrücken" weitere Ansiedlungen im mitteldeutschen Raum. Die "Initiative Zusammenrücken" wird seitdem von verschiedenen rechtsextremistischen Parteien, Publikationen und Personen intensiv beworben. Im Unterschied zu anderen Gruppierungen, die derartige Projekte nur theoretisch propagieren, ist die Initiative eigenen Angaben zufolge bestrebt, ein praxisorientiertes Beratungsnetzwerk zu implementieren. Die "Initiative Zusammenrücken" will Interessierte zielgenau - auch in Siedlungsgemeinschaften - nach Mitteldeutschland vermitteln. Aufgabe der heutigen Generation sei es, dafür zu sorgen, dass die Deutschen im Zuge der demografischen Entwicklung und der gleichzeitig stattfindenden Migrationsentwicklung nicht "weggemischt" 198 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 199 vgl. Beitrag II.2.3.3 DER FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD) Seite 112 von 267 würden. Ein niedriger Ausländeranteil, günstiger sowie verfügbarer Wohnraum (z. B. leerstehende Gehöfte) und eine gute Arbeitsmarktlage würden jedem Interessierten ermöglichen, sofort in Mitteldeutschland Fuß zu fassen und damit nicht nur einen Beitrag "zur Stärkung unserer Gemeinschaft vor Ort zu leisten, sondern auch einen Beitrag zum Erhalt des deutschen Volkes." Die durch die Initiative propagierten gezielten Umsiedlungen aus den westdeutschen Bundesländern u. a. nach Sachsen können zu einer Konzentration von Rechtsextremisten und ihren Familien in einzelnen kleineren Ortschaften führen. Durch deren aktives Handeln in der Dorfgemeinschaft, die täglichen Schulbesuche der Kinder usw. besteht die Gefahr, dass es ideologisch gefestigten Rechtextremisten gelingt, durch gesellschaftliche Verankerung und Akzeptanz in der örtlichen Bevölkerung rechtsextremistische Ideologieelemente auf subtile Art und Weise in die Mehrheitsgesellschaft zu tragen. In der "Initiative Zusammenrücken" arbeiten Eigenangaben zufolge Angehörige unterschiedlicher rechtsextremistischer Gruppierungen und Parteien, wie der NPD und DER DRITTE W EG, sowie einzelne Rechtsextremisten organisationsübergreifend zusammen. Auch zur ARTGEMEINSCHAFT200 habe die Initiative Kontakte. So fahren einige ihrer Mitglieder nach Angaben ihres im Landkreis Mittelsachsen wohnhaften Sprechers regelmäßig zu Treffen der ARTGEMEINSCHAFT und seien dort auch engagiert. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Im Berichtsjahr konnte im Landkreis Mittelsachsen keine rechtsextremistische Konzertveranstaltung festgestellt werden. Die aus Freiberg stammende Band SACHSENBLUT201 wurde für die Konzertveranstaltung "Winterstorm" am 18. Januar zusammen mit mehreren ausländischen Bands angekündigt, welche an einem unbekannten Ort stattfand. Am 29. Februar wurde die Band zusammen mit SACHSONIA202 (SN) und weiteren Bands aus Italien und Tschechien für das Konzert "Night of the MOVEMENT Vol. II" angekündigt. Aus Mittelsachsen stammt der Liedermacher Benjamin GRUHN 203. Er trat bisher auf verschiedenen rechtsextremistischen Veranstaltungen als Redner und Sänger auf und gab selbst an, Mitglied der NPD und JN zu sein. Im Berichtsjahr existierten im Landkreis keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Auch im Landkreis Mittelsachsen existiert eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE204. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in diesem Landkreis waren im Berichtsjahr meist lose. Diese Rechtsextremisten besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Hauptsächlich fiel die Szene durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Im Berichtsjahr handelte es sich dabei im Landkreis neben zahlreichen Verstößen gegen SS 86a 200 vgl. Beitrag II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTEN 201 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 202 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 203 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 204 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 113 von 267 StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen) insbesondere um Volksverhetzungen sowie Körperverletzungen. Diese richteten sich gegen Menschen mit tatsächlichem oder vermutetem Migrationshintergrund sowie Mitbürger jüdischen oder muslimischen Glaubens. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Landkreis 159 150 100 5 4 2 Mittelsachsen 2.7.10 Landkreis Nordsachsen Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Nordsachsen waren im Berichtsjahr zwischen 150 und 200 Personen205 zuzurechnen (2019: 150 bis 200 Personen). Im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen liegt das Personenpotenzial damit weiterhin im mittleren Bereich. Aufgrund der Corona-Pandemie war auch im Landkreis Nordsachsen ein Rückgang öffentlichkeitswirksamer rechtsextremistischer Aktivitäten zu verzeichnen. Parteien DER DRITTE W EG206 Seit April 2015 existiert ein länderübergreifender STÜTZPUNKT MITTELLAND der Partei, welcher die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland umfasst. Im Berichtszeitraum wurden seitens dieses Stützpunktes jedoch keine relevanten öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten im Landkreis durchgeführt. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN)207 Im Landkreis Nordsachsen existiert ein kleiner NPD-Kreisverband. Dieser verfügt seit den Kommunalwahlen im Mai 2019 nur noch über ein Kreistagsmandat. Damit hat die Partei im Vergleich zu den Vorjahren keinen politischen Einfluss mehr auf Ebene der Stadtund Gemeinderäte. Der "Stützpunkt" der JUNGEN NATIONALISTEN (JN) in Nordsachsen zählte bis 2016 zu den aktiven "JN-Stützpunkten" in Sachsen. Inzwischen ist im Landkreis nur noch ein vergleichsweise geringes Aktionsniveau zu verzeichnen. Diese Entwicklung ist insbesondere vor dem Hintergrund bemerkenswert, als der seit November 2019 amtierende Bundesvorsitzende der JN, Paul RZEHACZEK, seinen Wohnsitz im Landkreis Nordsachsen hat. Im Berichtsjahr wurden folgende Aktivitäten durchgeführt: 205 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 206 vgl. Beitrag II.2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) 207 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Seite 114 von 267 Datum Aktivität 14. Januar Schutzzonen-Aktion in Oschatz 1. Februar Schutzzonen-Aktion in Torgau 28. November Aktion Gewässerreinigung im Rahmen der Kampagne der JN "Jugend packt an" Mit der NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen" und der JN-Kampagne "Jugend packt an" wurden sachsenweit immer wieder vereinzelte Aktionen in verschiedenen Städten und Gemeinden durchgeführt. Diese dienten vor allem dazu, der Partei ein Image als "Kümmerer" zu verschaffen und mediale Aufmerksamkeit zu erzielen, was jedoch kaum oder gar nicht gelang. Parteiungebundene Strukturen Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Der ehemalige Gasthof Staupitz im Torgauer Ortsteil Staupitz ist für die sächsische rechtsextremistische Musikszene das bedeutendste Objekt für die Durchführung von Musikveranstaltungen.208 Jährlich dürfen dort gemäß behördlicher Auflagen bis zu zehn Konzerte stattfinden. Im Berichtsjahr war es den Organisatoren jedoch aufgrund der CoronaBeschränkungen nicht möglich, diese Anzahl zu erreichen. Nach zwei Konzerten im Januar und Februar 2020 organisierten Rechtsextremisten erst im September wieder Musikveranstaltungen. Unter Auflagen fanden bis Jahresende insgesamt noch drei weitere Konzerte mit reduzierter Teilnehmerzahl statt. Auf der unter dem Motto "Fuck Corona - Zurück zur Normalität" stehenden Veranstaltung am 5. September spielte auch die aus dem Landkreis stammende Band NEUBEGINN209. Im Landkreis existieren keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial210 Neben den parteigebundenen und den parteiungebundenen Strukturen gibt es auch im Landkreis Nordsachsen eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE. Die Verbindungen der Szeneangehörigen waren im Berichtsjahr meist lose. Innerhalb dieses Personenpotenzials finden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Der unstrukturierten Szene angehörige Rechtsextremisten besuchten im Berichtsjahr Konzerte, Liederabende und Veranstaltungen, die ihrer extremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Der entsprechende Personenkreis fiel im Landkreis Nordsachsen insbesondere durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich in den letzten Jahren vor allem gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. 208 vgl. Beitrag II. 2.4.5 Rechtsextremistische Musik 209 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 210 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 115 von 267 Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Landkreis 137 140 113 14 5 2 Nordsachsen 2.7.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gehörten im Berichtsjahr zwischen 350 und 400 Personen211 (2019: 350 bis 400 Personen) an. Das rechtsextremistische Personenpotenzial lag damit im sachsenweiten Vergleich im oberen Bereich. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) UND JUNGE NATIONALISTEN (JN)212 Der NPD-Kreisverband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge entfaltete im Berichtsjahr nur wenige eigene Aktivitäten. Vereinzelt beteiligten sich die Mitglieder an Veranstaltungen der Landesbzw. Bundespartei. In Pirna und Freital präsentierten sich einzelne Parteimitglieder bei "Streifgängen" im Rahmen der NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen" vermeintlich bürgernah" als "Beschützer" der örtlichen Bevölkerung. Das "Haus Montag" in Pirna, die Geschäftsstelle des Kreisverbandes, sowie der unmittelbar daran angrenzende "Klub 451"213 wurden im Berichtsjahr, wie schon im Vorjahr, nur selten für Veranstaltungen genutzt. Die überregionale Bedeutung beider Szeneobjekte nahm weiter ab. Angesichts eines zurückgehenden Veranstaltungsniveaus nahm die öffenliche Präsenz des Kreisverbandes weiter stark ab. Damit spiegelt die Entwicklung im Kreisverband die Situation der NPD Sachsen insgesamt wider; sie wurde im Berichtsjahr aufgrund der CoronaBeschränkungen zusätzlich beschleunigt. Die JN führten im September 2020 einen ihrer sog. Leistungsmärsche in der Sächsischen Schweiz durch. DER FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD)214 Wie auch andere rechtsextremistische Gruppierungen nutzten Vertreter des FLÜGELS ebenfalls den im Laufe des Berichtsjahres gestiegenen Unmut in Teilen der Bevölkerung in 211 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; Vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 212 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 213 Die Bezeichnungen "Haus Montag" und "Klub 451" beziehen sich auf den Roman "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury. Die NPD sieht sich mit Bezug zu diesem Roman selbst in der Rolle des Guy Montag. Dieser wendet sich von einem diktatorischen System und dessen Zensur ab und schließt sich dem Widerstand an. Aus Sicht der NPD ist das gegenwärtige politische System in Deutschland mit der Diktatur im Werk "Fahrenheit 451" vergleichbar. 214 vgl. Beitrag II.2.3.3 DER FLÜGEL - Extremistischer Personenzusammenschluss innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD) Seite 116 von 267 Bezug auf die fortdauernden Corona-Beschränkungen für die Platzierung ihrer verfassungsfeindlichen Zielsetzungen aus. DER FLÜGEL propagierte ein Szenario, nachdem die Bundesund Landesregierung unter dem Deckmantel der Pandemie-Bekämpfung eine (Impf-)Diktatur errichten wollten. Insbesondere eine sich u. a. gegen die Corona-Maßnahmen richtende Veranstaltung am 13. Juni in Sebnitz, auf der auch die Rechtsextremisten und FLÜGEL-Aktivisten Andreas KALBITZ und Jens MAIER als Redner auftraten, zeigte das Wirkpotenzial des FLÜGEL auf den AfD-Kreisverband. Im November 2020 fanden in verschiedenen Orten im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge weitere vom FLÜGEL dominierte AfD-Versammlungen unter dem Motto "Mit dem Lockdown in die Krise?" statt. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTISCHE und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN215 Parteiungebundene Rechtsextremisten nutzten im Berichtsjahr ebenfalls nicht extremistische Proteste gegen die Corona-Beschränkungen als Aktionsraum für ihr eigenes Handeln aus. So herrschte bei den etwa 200 bis 250 Teilnehmern der Veranstaltungen am 3., 6. und 13. Mai in Pirna insgesamt eine aggressive und angespannte Grundstimmung, die auch von einzelnen anwesenden, gewaltbereiten Rechtsextremisten ausging. Diese heizten die Stimmung gezielt auf und suchten explizit die Konfrontation mit der Polizei. In der Folge wurden die Einsatzkräfte sowohl verbal als auch körperlich angegriffen. Am Himmelfahrtstag veranstalteten Rechtsextremisten aus der Region eine Party auf einem Privatgrundstück in Königstein OT Pfaffendorf. Unter den 30 Teilnehmern befanden sich auch ehemalige Mitglieder der im Jahr 2001 verbotenen rechtsextremistischen Vereinigung SKINHEADS SÄCHSISCHE SCHWEIZ (SSS). Mehrfach skandierten die Partygäste "Sieg Heil"-Rufe und griffen die alarmierten Polizisten sowohl verbal als auch körperlich an. Gegen zehn der Teilnehmer erhob die Staatsanwaltschaft Dresden im Mai 2021 Anklage wegen dieses Angriffs. Obwohl die subkulturelle und neonationalsozialistische Szene der Region infolge der asylfeindlichen Ausschreitungen im Jahre 2015 und den Strafverfahren gegen die "Gruppe Freital"216 in den vergangenen Jahren bemüht gewesen war, die Aufmerksamkeit der Behörden nicht auf sich zu ziehen, so zeigte sich an diesem Abend ein gegenteiliges Bild. Die Rechtsextremisten provozierten Nachbarn und Einsatzkräfte bewusst und nahmen die daraus resultierenden strafrechtlichen Konsequenzen in Kauf. PECKERWOOD BROTHERHOOD Sitz Region Pirna Gründung 2017 Internetauftritte Facebook-Profil Personenpotenzial 2020 2019 ca. 20 ca. 20 Kurzportrait/Ziele Mitglieder der Gruppierung nehmen an rechtsextremistischen Veranstaltungen in der Region teil und tragen einheitliche, die Gruppenzugehörigkeit demonstrierende T-Shirts. Sie verwenden in den sozialen Medien offen rechtsextremistische Symbole. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierung PECKERWOOD BROTHERHOOD gehört zum Umfeld der o. g. Szeneobjekte "Haus Montag" und "Klub 451" und trat im Berichtsjahr selten öffentlich auf. Wenn es jedoch zu Auftritten in der Öffentlichkeit oder zur 215 vgl. Beiträge II.2.4.1 NEONATIONALSOZIALISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN 216 vgl. Beitrag II.2.6 Militanter Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus Seite 117 von 267 gemeinsamen Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen kam, zeigten sich ihre Mitglieder uniformiert mit einheitlichen T-Shirts. Darüber hinaus ist die Gruppierung in den sozialen Medien präsent. Dort zeigt sie ihre rechtsextremistische und fremdenfeindliche Gesinnung, indem sie NS-Symbole und - Parolen verwendet. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Am 29. Februar fand eine rechtsextremistische Konzertveranstaltung mit ca. 100 Teilnehmern im bekannten Veranstaltungsobjekt in Bad Gottleuba-Berggießhübel OT Langenhennersdorf statt. Am 1. August wurde in Pirna ein Liederabend mit einem rechtsextremistischen Liedermacherduo aus Thüringen durchgeführt. Am 10. Oktober löste die Polizei auf einem Privatgrundstück in Gohrisch OT Kleinhennersdorf eine dritte Musikveranstaltung auf, nachdem deren Besucher verfassungswidrige Parolen skandiert hatten. Es wurden 33 Personen festgestellt. Darunter befanden sich neben dem Grundstückseigentümer auch ehemalige Mitglieder der verbotenen rechtsextremistischen Gruppierung SKINHEADS SÄCHSISCHE SCHWEIZ (SSS) und einzelne Teilnehmer der oben dargestellten Veranstaltung in Königstein OT Pfaffendorf am 21. Mai. Die Band STAHLWERK217 aus Freital veröffentlichte am 17. August auf Facebook unter der Überschrift "26.4.1894 - 17.8.1987" (Geburtsund Todestag von Rudolf Heß) einen Videolink zum Musiktitel "Unsterblich". Darin wird der Stellvertreter von Adolf Hitler als "unsterbliches Vorbild" glorifiziert. Ende des Jahres erschien das Album "Idealist". Nach dem Umzug des rechtsextremistischen Vertriebs NATIONALES VERSANDHAUS218 im Jahr 2019 nach Dresden existieren im Landkreis keine Vertriebsstrukturen mehr. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial219 Neben der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE gibt es auch im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE. Dazu zählen auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren im Berichtsjahr meist lose. Diese Personen besuchten Konzerte und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Darüber hinaus mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer Rechtsextremisten. Hauptsächlich fiel das Personenpotenzial im Berichtsjahr durch die Begehung von Strafund Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, politische Gegner, Amtsund Mandatsträger sowie weitere "Feindbilder" der rechtsextremistischen Szene auf. 217 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 218 vgl. Beitrag 2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 219 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 118 von 267 Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Landkreis 127 115 131 5 5 7 Sächsische SchweizOsterzgebirge 2.7.12 Vogtlandkreis Der rechtsextremistischen Szene im Vogtlandkreis wurden, wie schon im Jahr 2019, zwischen 250 und 300 Personen220 zugerechnet. Damit lag das Personenpotenzial im sachsenweiten Vergleich erneut im mittleren Bereich. Parteien DER DRITTE WEG (III. W EG)221 Die Partei DER DRITTE WEG hat weiterhin als einzige rechtsextremistische Partei eine aktive Struktur im Vogtlandkreis, den im April 2015 gegründeten STÜTZPUNKT VOGTLAND. Sein Aktionsraum umfasst die Grenzgebiete von Bayern, Thüringen und Sachsen. Er ist im sachsenweiten Vergleich weiterhin der aktivste und mitgliederstärkste Stützpunkt. Am 1. Mai 2019 wurde das Parteiund Bürgerbüro, die sog. "Parteizentrale", auf der Pausaer Str. 130 in Plauen eröffnet. Seit der Eröffnung fanden dort verschiedene interne und öffentlich zugängliche Veranstaltungen statt. Nach eigenen Angaben handelt es sich um einen Anlaufpunkt, "an dem sich Deutsche, die es noch sein wollen, zusammenfinden, um sich auszutauschen". Die Partei baute damit ihre Verankerung vor Ort sowie ihre Aktionsmöglichkeiten im gesamten Freistaat aus. Auch interne Veranstaltungen mit bundesweiter Beteiligung fanden dort statt. Die Führungsperson Tony GENTSCH vertritt die Partei seit 2019 im Stadtrat in Plauen sowie im Kreistag. Seine Aufgabe sei es, so das Wahlprogramm der Partei, "(...) im regionalen Parlament, Stimme und Ohr für unser Volk zu sein" mit dem Ziel "Erst unser Volk, dann all die Anderen". Im Berichtsjahr wurden folgende hervorzuhebende Aktivitäten durchgeführt: Datum Aktivitäten Januar sog. "Nationale Streife" 28. Februar sog. "offener Abend P130" u. a. mit Darts, Kicker, Unterhaltung 14. März Kundgebung unter dem Motto "Gerechtigkeit für alle Deutschen!" mit ca. 100 Teilnehmern Mai Teilnahme an sog. "Spaziergängen" gegen die Corona-Maßnahmen in Plauen 220 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial 221 vgl. Beitrag II.2.3.2 DER DRITTE W EG (III. W EG) Seite 119 von 267 1. Mai 1. Mai-Kundgebung "Das System ist gefährlicher als Corona" 8. Mai Gedenkaktion "Für die Freiheit unseres Volkes - Für die Ehre unserer Toten! 8. Mai - Wir feiern nicht!" 10. Juli Aktionstag mit verschiedenen Angeboten, u. a. Frauenfrühstück, Kleiderkammer, Selbstverteidigungskurse, Nachhilfeunterricht (geplant jeden Freitag in der P130) 28. August Kostenlose Ausgabe von Schulbedarf (sog. "Zuckertütenaktion") 12. September "Wanderung der Vögte" für Parteimitglieder und deren Familien mit ca. 130 Teilnehmern 26. September Kundgebung unter dem Motto: "Gemeinschaft statt linke Hetze" mit 15 Teilnehmern 30. Oktober Kundgebung "Das System ist gefährlicher als Corona! Zwangsmaßnahmen stoppen!" mit ca. 60 Teilnehmern 21. November sog. Kleidermarkt "Hilfe für Deutsche" 28.-30. Dezember Aktion "Tierfutter statt Böller" - Sammeln von Spenden in der Bevölkerung Zudem fanden in der "Parteizentrale" auf der Pausaer Str. 130 in Plauen regelmäßige Mitgliederversammlungen, Schulungsveranstaltungen und sog. "Aktionstage" statt. Themenbezogen organisierten Parteimitglieder Kundgebungen. Bei der Kundgebung unter dem Motto "Gerechtigkeit für alle Deutschen!" am 14. März in Plauen präsentierte sich die Partei mit Hüpfburg und Kinderschminken erneut als nach außen hin familienfreundlicher Ansprechpartner in der Region. Weiterhin gab es eine kostenlose Kleiderausgabe an Deutsche im rassistischen Selbstverständnis der Partei. Tony GENTSCH agitierte in seiner Rede wie folgt: "[...] dieses System steht vor seinem Ende [...]. Die Wirtschaftskrise wird kommen. [...].Wichtig für uns muss es sein, bereits jetzt schon die Weichen zu stellen für eine Alternative, die danach kommen wird, wenn dieses kapitalistische - liberalkapitalistische System zusammenbricht. [...] Euch hat man nicht gefragt, ob ihr ein Einwanderungsland sein wollt! Euch hat man nicht gefragt, ob ihr den Euro wollt! [...] Und dafür sind wir als Partei auch hier wieder angetreten, um neue Verhältnisse zu schaffen und jenen Volksverrätern die rote Karte zu zeigen und jene ins Aus zu treiben und dahin zurückzubringen wo sie hingehören, nämlich auf den Müllhaufen der Geschichte, meine lieben Freunde. Fürs Vaterland! Fürs Volk! Für die Heimat!" Mit Kundgebungen dieser Art verfolgt die Partei das Ziel, als Schnittstelle zwischen dem bürgerlichen, nicht extremistischen und rechtsextremistischen Spektrum zu fungieren. Zugleich bleibt die Partei ihrer Außendarstellung als "Kümmerer" und vermeintlicher "Anwalt der kleinen Leute" treu. Von diesem Rollenverständnis erhofft sich die Partei, weitere Unterstützer und Mitglieder aus beiden Spektren zu werben sowie ihre Anschlussfähigkeit an die gesellschaftliche Mitte immer wieder auszutesten bzw. auszubauen. Ein weiteres Beispiel, genau diese Brücke ins nicht extremistische Spektrum zu bauen, ist der seit Juli 2020 allwöchentlich stattfindende sog. "Aktionstag" in der Parteizentrale. Die Einbeziehung von Familien ist der Partei wichtig und wird unterstützt durch Veranstaltungen, wie die "Wanderung der Vögte", Grillfeiern sowie Selbstverteidigungskurse für Frauen und Kinder. Einmal wöchentlich werden Kleiderund Sachspenden ausschließlich an Deutsche ausgegeben. Bedingt durch die seit Mitte März gültigen Corona-Maßnahmen war zeitweise das Veranstaltungsgeschehen des Stützpunktes stark eingeschränkt. Mit Inkrafttreten der ersten Lockerungen begann sich diese Situation wieder zu ändern. Seitdem nutzten die Stützpunktmitglieder die Corona-Thematik zur Durchführung von Kundgebungen und Demonstrationen. Dort verbreiteten sie rechtsextremistische Propaganda und versuchten, eine Art "bürgerliche Querfront" gegen die demokratisch legitimierten Institutionen in Deutschland zu bilden. Aus Sicht der Partei soll mit dieser Art des Protests gegen den Staat, seine Institutionen und deren demokratisch legitimierte Vertreter das Ziel verfolgt werden, die "notwendige revolutionäre Veränderung" in Deutschland herbeizuführen. Seite 120 von 267 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)222 Im Vogtlandkreis existiert kein eigener Kreisverband der NPD. Dieser fusionierte zum Kreisverband Zwickau-Vogtland. Von ihm gingen wie im Vorjahr keine öffentlichen Aktivitäten aus. Parteiungebundene Strukturen Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Im Vogtlandkreis ist die rechtsextremistische Band ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND223 ansässig. Sie beteiligte sich am 5. September an einer Konzertveranstaltung in Torgau, OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen). In Plauen hat der rechtsextremistische Online-Vertrieb FEINDKONTAKT PRODUKTION224 seinen Sitz. Der Vertrieb produzierte im Berichtsjahr sechs Tonträger. Das Onlineangebot umfasst mehrheitlich Tonträgerproduktionen von rechtsextremistischen Musikgruppen. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indizierte einen im Jahr 2019 von diesem Vertrieb herausgegebenen Tonträger. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial225 Neben den parteigebundenen und den parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen gibt es auch im Vogtlandkreis eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE. Die Verbindungen der Szeneangehörigen waren im Berichtsjahr meist lose. Diese Personen beteiligten sich an Konzerten und Veranstaltungen, die ihrer rechtsextremistischen Gesinnung entsprachen. Sie mobilisierten außerdem Teilnehmer für Veranstaltungen anderer Rechtsextremisten, wie der Partei DER DRITTE W EG. Hauptsächlich fiel die Szene durch die Begehung von Straftaten auf. Im Berichtsjahr handelte es sich dabei im Landkreis überwiegend um Verstöße gegen SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen). Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Vogtlandkreis 107 97 165 7 2 4 2.7.13 Landkreis Zwickau Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Zwickau waren zwischen 250 und 300 Personen226 zuzurechnen (2019: 250 bis 300 Personen). Damit lag das Personenpotential im sachsenweiten Vergleich konstant im mittleren Bereich. 222 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 223 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019 224 vgl. Beitrag II.2.4.6 Vertrieb rechtsextremistischer Produkte 225 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 226 Ohne Anhänger des FLÜGELS, da deren Erfassung bezogen auf Landkreise und kreisfreie Städte in Ermangelung fester FLÜGEL-Strukturen für das Jahr 2020 nicht möglich war; vgl. dazu Beitrag II.2.2 Personenpotenzial Seite 121 von 267 Parteien DER DRITTE W EG (III. W EG)227 Die Partei DER DRITTE WEG ist im Landkreis Zwickau durch den STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN aktiv vertreten. Zu den Aktivitäten des Stützpunktes zählten u. a. folgende: Datum Aktivität 18. Januar Vortragsveranstaltung eines Rechtsextremisten mit dem Thema "Erzählungen aus einem völkischen Leben" 19. März Gedenkveranstaltung anlässlich des "75. Jahrestages des alliierten Bombenterrors" 1. Mai Aufhängen von Bannern mit Aufschriften wie "Das System ist gefährlicher als Corona", "Kapitalismus zerschlagen" und "Das System ist der Virus" 8. Mai Gedenkveranstaltung anlässlich des Endes des 2. Weltkrieges und der damit verbundenen "deutschen Opfer" im Selbstverständnis der Partei 13. Juni Spontanversammlung gegen die Versammlung "United against racism" 27. Juni Infostand unter dem Motto "Das System ist gefährlicher als Corona" 26. Juli Schulung unter dem Motto "Organisierter Wille bedeutet Macht" 30. August Schulung unter dem Motto "Der Volkstod ist systemgemacht" 10. Oktober Banneraktion "Türkgücü nicht willkommen - weder in Zwickau noch in einem anderen deutschen Stadion!" 14./ 15. Gedenkveranstaltungen anlässlich des Volkstrauertages November (sog. "Heldengedenken") 29. Dezember Kampagne "Tierfutter statt Böller" Das Aktionspotenzial der Partei DER DRITTE WEG STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN sank im Berichtsjahr aufgrund der Einschränkungen durch die Corona-Maßnahmen. Dennoch waren die Parteiangehörigen bestrebt, weiterhin auf ihr bekanntes Repertoire an Aktionen zurückzugreifen. Dazu führten sie Parteischulungen durch, verteilten Flyer und Flugblätter und traten öffentlich mit Informationstischen auf. Auch wurden, wie in jedem Jahr, die typischen Gedenktage der rechtsextremistischen Szene durch Mitglieder des "Stützpunktes Westsachsen" begangen. Dazu zählte beispielsweise das Gedenken an den 8. Mai 1945, welcher im rechtsextremistischen Selbstverständnis der Partei nicht als "Tag der Befreiung" angesehen wird. Im Berichtsjahr nahm auch der STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN thematisch Bezug auf die CoronaPandemie. Unter dem Motto "Das System ist gefährlicher als Corona" führte der Stützpunkt verschiedene Aktionen, wie beispielsweise einen Informationsstand sowie Flugblattverteilund Banneraktionen durch. Auf den Bannern propagierte die Partei Aussagen wie "Das System ist 227 vgl. Beitrag II.2.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) Seite 122 von 267 gefährlicher als Corona", "Kapitalismus zerschlagen" und "Das System ist der Virus". Mitglieder der Partei beteiligten sich darüber hinaus auch an nicht extremistischen Protestveranstaltungen gegen die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Am 13. Juni führte der STÜTZPUNKT W ESTSACHSEN eine spontane Versammlung mit etwa 20 Personen in Zwickau gegen eine Versammlung des "Roter Baum e.V." durch, welche unter dem Motto "United against racism" stand und dabei die Geschehnisse um den Afroamerikaner George Floyd thematisierte. Dabei wurden von der Partei DER DRITTE W EG Transparente mit Aufschriften wie "Bei deutschen Opfern schweigt ihr - ihr Heuchler!" gezeigt, die sich direkt auf die Thematik der Gegenversammlung bezogen. Darüber hinaus veranstaltete der STÜTZPUNKT WESTSACHSEN mehrere Schulungen. So fand am 18. Januar eine Vortragsveranstaltung mit dem Rechtsextremisten und Szene-Anwalt in Zwickau statt. Dieser berichtete über sein bisheriges Leben und Wirken in der rechtsextremistischen Szene. In seinem Vortrag stellte er außerdem die Notwendigkeit einer Verinnerlichung der deutschen Tugenden und Werte und einer Lebensführung nach diesen Grundsätzen heraus. Demnach seien Kultur, Brauchtum und Gemeinschaft feste und wichtige Grundpfeiler. Laut Beitrag auf der Webseite der Partei gab er seinem Publikum mit auf den Weg "... stets nach deutschen Werten zu leben, Kultur und Brauchtum zu bewahren und im Kleinen das zu leben, was wir im Großen anstreben: eine völkische Gemeinschaft deutscher Menschen, die standhaft gegenüber negativen Einflüssen ist und wie ein Bollwerk gegen den grassierenden Kulturmarxismus und Zerfall unserer Heimat steht."228 Weitere Parteischulungen fanden zudem am 26. Juli zum Thema "Organisierter Wille bedeutet Macht", am 30. August unter dem Motto "Der Volkstod ist systemgemacht" und am 29. November unter der Überschrift "Der sozialistische Teil unserer Weltanschauung" statt. Diese inhaltliche Ausrichtung des STÜTZPUNKTES W ESTSACHSEN verdeutlicht das Bestreben der Partei, ihren Mitgliedern eine rechtsextremistische, einheitliche Grundbildung zu vermitteln. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLAND (NPD)229 Die NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLAND ist im Landkreis Zwickau mit dem Kreisverband Zwickau-Vogtland vertreten. Öffentlichkeitswirksame Aktionen konnten ausgehend von diesem Verband im Berichtsjahr nicht festgestellt werden. Parteiungebundene Strukturen JUNGE REVOLUTION Sitz Region Zwickau Gründung 2019 zunächst als Medienprojekt Personenpotenzial 2020 2019 im einstelligen Bereich im einstelligen Bereich Kurzportrait/Ziele JUNGE REVOLUTION bezeichnet sich selbst als "Zusammenschluss junger Heimattreuer, die jungen Menschen in dieser Zeit der Dekadenz Perspektiven in der nationalen Bewegung aufzeigen wollen". Sie fungiere dabei als "ergänzende[s] Bindeglied innerhalb der nationalen Bewegung". Zweck der Gruppierung ist die Vernetzung junger Menschen mit dem Ziel, diese für die rechtsextremistische Szene zu gewinnen und sie an deren 228 Schreibweise wie im Original 229 vgl. Beitrag II.2.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Seite 123 von 267 Ideologie heranzuführen. Dafür bietet die Gruppierung neben ihrer medialen Präsenz verschiedene Aktivitäten, wie bspw. Wanderungen, Schulungen und Liederabende, an. Relevante Ereignisse und Banneraktion am 1. Februar in Leipzig Entwicklungen 2020 Rechtsschulung für Aktivisten am 14. Februar in Zwickau Revolutionärer Kongress in Neuensalz Ortsteil Zobes - geplant für den 14. März (untersagt nach Infektionsschutzgesetz) "JR Sportlager" am 18. Juli durch die Polizei in Thüringen aufgelöst Im Berichtsjahr 2020 entfaltete die JUNGE REVOLUTION um den Rechtsextremisten Sanny KUJATH diverse Aktivitäten im Freistaat Sachsen, in anderen Regionen des Bundesgebiets sowie im Ausland. Dazu zählten verschiedene Wanderungen, Kameradschaftsbzw. Gemeinschaftsabende, eine Rechtsschulung in Zwickau sowie ein geplanter Kongress und ein "Sportlager". Die mediale Darstellung auf der Videoplattform YouTube, für welche das selbsternannte Medienprojekt JUNGE REVOLUTION im Jahr 2019 bekannt wurde, geriet im Berichtsjahr in den Hintergrund. Vielmehr fiel die Gruppierung durch Teilnahme an und Organisation von verschiedenen Veranstaltungen auf. Medial wurden diese Veranstaltungen dann auf Plattformen wie Instagram oder Telegram beworben, um so eine junge Zielgruppe anzusprechen und zu mobilisieren. Insofern boten die Sozialen Medien Interessenten die Möglichkeit, problemlos mit der Gruppierung JUNGE REVOLUTION in Kontakt zu treten und - "angestachelt" durch die Darbietungen auf YouTube - selbst an künftigen Veranstaltungen teilzunehmen. Insbesondere der Hauptakteur der Gruppierung, Sanny KUJATH, fungierte dabei als Bindeglied zwischen einer jungen, politisch noch nicht gefestigten Zielgruppe und der rechtsextremistischen Szene. Damit nahm KUJATH auch im Berichtsjahr eine wichtige Vernetzungsund Rekrutierungsfunktion für die rechtsextremistische Szene ein. Am 1. Februar führte die Gruppierung JUNGE REVOLUTION eine Banner-Aktion im Leipziger Stadtteil Grünau durch. Dazu entrollten Mitglieder der Gruppierung vom Dach des Einkaufzentrums "Allee-Center" ein Banner mit der Aufschrift "Leipzig bleibt deutsch! - Junge Revolution". Zeitgleich wurden Flyer mit gleichartigem Inhalt vom Dach in den Eingangsbereich des Einkaufzentrums geworfen. Im Nachgang dieser Aktion wurde ein entsprechendes Video im Internet, u. a. auf der Facebook-Seite und dem YouTube-Kanal der Gruppierung, medienwirksam verbreitet. Die JUNGE REVOLUTION führte am 14. Februar eine "Rechtsschulung für Aktivisten" mit einem Rechtsextremisten in Zwickau durch. Am darauffolgenden Tag, dem 15. Februar, nahmen der Initiator des Medienprojekts JUNGE REVOLUTION und weitere Beteiligte aus dem Umfeld der Gruppierung am sog. Gedenkmarsch der neonationalsozialistischen Szene in Dresden teil. Aktionsschwerpunkt zu Beginn des Berichtjahres war die Vorbereitung des groß angelegten "Revolutionären Kongresses", der am 14. März in Neuensalz Ortsteil Zobes stattfinden sollte. Geplant war, diverse langjährige Akteure der rechtsextremistischen Szene zu dieser Veranstaltung zusammenzubringen. Für den Kongress waren Redebeiträge von rechtsextremistischen Partei(NPD, DIE RECHTE) und Medienvertretern (NS-HEUTE, "WerkKodex" und "Der Dritte Blickwinkel") geplant. Auch eine Kampfsportvorführung des Formats "Kampf der Nibelungen" war vorgesehen. Die Redebeiträge sollten dabei von deutschlandweit bekannten Rechtsextremisten gehalten werden. Die musikalischen Beiträge dieser Veranstaltung sollten durch Liedermacher durchgeführt werden. Die Besonderheit des Seite 124 von 267 "Revolutionären Kongresses" lag vor allem in seiner Ausrichtung. Dieser richtete sich explizit an ein junges Publikum. Personen unter 18 Jahren sollten beispielsweise kostenlos an der Veranstaltung teilnehmen können. Erklärtes Ziel der Veranstaltung sollte es sein, sich an eine junge bzw. jugendliche, noch nicht politisch gefestigte Zielgruppe zu richten und diese dabei für die Interessen der rechtsextremistischen Szene zu gewinnen. Insofern zielte der "Revolutionäre Kongress" explizit auf die Rekrutierung von Nachwuchs für die rechtsextremistische Szene ab. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hatte die zuständige Versammlungsbehörde einen Auflagenund Beschränkungsbescheid erlassen. Durch diesen wurde das Vorführen oder bildhafte Darstellen von Kampfhandlungen verboten sowie der angekündigte Vortrag eines Rechtsextremisten verboten. Weiterhin war in diesem Zusammenhang ein absolutes Alkoholverbot erlassen worden sowie der Ausschluss von Personen unter 18 Jahren als Teilnehmer der Veranstaltung verfügt worden. Diese Verfügung hätte in der Folge auch den Ausschluss des Organisators KUJATH bedeutet. Zudem erging weiterhin ein baurechtlicher Bescheid gegen das Veranstaltungsobjekt. Schlussendlich konnte die Durchführung des "Revolutionären Kongresses" aufgrund des baurechtlichen Bescheids und wegen der Beschränkungen im Zusammenhang mit den Corona-Maßnahmen verhindert werden. In der zweiten Hälfte des Berichtsjahres veranstaltete die JUNGE REVOLUTION ein Zeltlager in Thüringen unter dem Titel "JR Sportlager". Zu dieser Veranstaltung reisten diverse Kampfsportler und andere Rechtsextremisten aus dem Bundesgebiet an. Im Mittelpunkt des "Sportlagers" sollten verschiedene sportliche Disziplinen wie Kampfsport, Selbstverteidigung, Bogenschießen und Speerwerfen stehen. Die Veranstaltung wurde am 18. Juli durch die örtlich zuständige Polizei in Thüringen aufgelöst. Zu den weiteren Aktionen der Gruppierung zählten im Berichtsjahr diverse Wanderungen, z. B. in Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und der Schweiz. Ziel all dieser Veranstaltungen sollte es sein, junge Teilnehmer für die Szene zu rekrutieren und an die rechtsextremistische Ideologie heranzuführen. Darüber hinaus sollen das Miteinander und die überregionale Vernetzung von Rechtsextremisten gefördert sowie aussagekräftiges Bildmaterial für die "werbemäßige" Verbreitung in den Online-Plattformen produziert werden. IDENTITÄRE BEWEGUNG230 Im Rahmen ihrer Sommertour unter dem Motto "Unser Büro ist die Straße" führte die IDENTITÄRE BEWEGUNG am 21. August einen Informationsstand in Zwickau durch. Anlass der Tour war die Sperrung der Twitter-Accounts der IDENTITÄREN BEWEGUNG. Damit brach nach Facebook und Instagram ein weiterer reichweitenstarker Kanal für die IDENTITÄRE BEWEGUNG weg und veranlasste die IB, von den Sozialen Medien weg auf die Strasse zu gehen. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Die rechtsextremistische Musikszene ist im Landkreis Zwickau mit dem Liedermacher SCHRATT, welcher auch als RAC'N'ROLL-TEUFEL auftritt und dem Liedermacher FREILICHFREI vertreten231. Letzterer trat bei verschiedenen Liederabenden in Sachsen und in umliegenden Bundesländern auf. Am 1. Februar spielte er nach eigenen Angaben mit seiner "Akkustikband Spätlese" in Westsachsen. Am 7. März trat er beim Kongress der JUNGEN NATIONALISTEN in Riesa auf. Im Jahresverlauf musste er allerdings, wie andere Interpreten und Musikgruppen auch, seine Aktivitäten aufgrund der Beschränkungen durch die Corona-Maßnahmen einschränken. 230 vgl. Beitrag II.2.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - REGIONALGRUPPE SACHSEN 231 vgl. zu beiden Verfassungsschutzbericht Sachsen 2019 Seite 125 von 267 Der RAC'N'ROLL-TEUFEL beteiligte sich an einer Split-CD mit dem Titel "Gleichgesinnte". Außerdem trat er musikalisch als Sänger in der im Berichtsjahr neu gegründeten Band FRONT776232 in Erscheinung.233 Im Februar 2020 fand in Zwickau eine von der "Black Metal Szene" organisierte Konzertveranstaltung statt, an der sich auch Rechtsextremisten beteiligten. Diesem Musikstil ist auch die im Landkreis ansässige rechtsextremistische Band LEICHENZUG234 zuzurechnen. Ein Musiker dieser Band schloss sich darüber hinaus mit einem Bandmitglied der aus Thüringen stammenden rechtsextremistischen Band ABSURD235 unter der Bezeichnung DER TOD UND DIE LANDSKNECHTE236 zusammen. Bereits im Jahr 2019 spielte diese Band bei einem NSBM-Konzert in Torgau, OT Staupitz (Landkreis Nordachsen). Im Berichtsjahr erschien ihr Tonträger "Allzeit bereit". Im August 2020 fand in Zwickau ein Liederabend mit BENJAMIN GRUHN237 statt. In der Stadt Zwickau ist außerdem ein rechtsextremistischer Szeneladen ansässig, der jedoch nur eine begrenzte regionale Bedeutung innerhalb der rechtsextremistischen Vertriebsszene hat. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial238 Neben den parteigebundenen und den parteiungebundenen Strukturen gibt es auch im Landkreis Zwickau eine unstrukturierte SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE. Die Verbindungen der Szeneangehörigen waren im Berichtsjahr meist lose. Innerhalb dieses Personenpotenzials finden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Der unstrukturierten Szene angehörige Rechtsextremisten besuchten auch im Berichtsjahr Konzerte, Liederabende und Veranstaltungen, die ihrer extremistischen Gesinnung entsprachen. Außerdem mobilisierten sie Teilnehmer für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure. Der entsprechende Personenkreis fiel im Landkreis Zwickau insbesondere durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich in den letzten Jahren vor allem gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. Straftaten rechtsextremistische davon Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Landkreis 183 127 163 6 5 6 Zwickau 232 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 233 vgl. Beitrag II.2.7.2 Stadt Chemnitz 234 vgl. Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2019, S. 81 f. 235 vgl. Verfassungsschutzbericht Thüringen 2003, S. 20 236 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 237 vgl. Beitrag II.2.4.5 Rechtsextremistische Musik 238 vgl. Beiträge II.2.4.4 SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE GRUPPIERUNGEN und II. 2.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Seite 126 von 267 2.8 Rechtsextremistisch genutzte Immobilien239 Landkreis / Anzahl240 der Sitz der Objekte Nutzung der Objekte im Kreisfreie Stadt dort Jahr 2020 vorhandenen Objekte241 Landkreis Bautzen 3 Bautzen: Clubhaus der keine Nutzung für ARYAN BROTHERHOOD Veranstaltungen in 2020 EASTSIDE (ABE) festgestellt Hoyerswerda: Objekt der dauerhafte Nutzung für BLACK DEVILS Treffen und als Probenraum Cunewalde: Privatobjekt mit Tattoostudio Landkreis Görlitz 3 Zittau: Vereinshaus des dauerhafte Nutzung NATIONALEN JUGENDBLOCKS E.V. Ostritz: anlassbezogene Nutzung durch parteigebundene und parteiungebundene Rechtsextremisten, angemeldete Großveranstaltungen konnten 2020 aufgrund der Corona-Beschränkungen nicht durchgeführt werden dauerhafte Nutzung für Mücka: Objekt der Konzerte, Liederabende, BRIGADE 8 Partys, Treffen Landkreis Meißen 1 Riesa: Sitz der dauerhafte Nutzung "DEUTSCHEN STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT MBH", Bundesgeschäftsstelle der JUNGEN NATIONALISTEN (JN) 239 Entsprechend einer bundesweit im Verfassungsschutzverbund abgestimmten verbindlichen Definition gelten diejenigen Immobilien als "rechtsextremistisch genutzte Immobilien", bei denen eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit durch Eigentumsoder Besitzverhältnis oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen besteht. Voraussetzung ist zudem eine politisch zielund zweckgerichtete wiederkehrende Nutzung. 240 Aus Gründen des Geheimschutzes dürfen nicht alle dem LfV Sachsen einschlägig bekannt gewordenen Immobilien öffentlich konkret benannt werden. Die in der entsprechenden Spalte genannte Gesamtzahl der Immobilien eines Landkreises/einer Kreisfreien Stadt kann daher von der nebenstehenden Spalte "Sitz der Objekte" abweichen. In Einzelfällen wird aus demselben Grund auf die Nennung des konkreten Ortes einer Immobilie oder der Details zur Nutzung verzichtet. 241 Darüber hinaus nutzten Rechtsextremisten anlassbezogen öffentliche Gaststätten für Treffen und Vortragsveranstaltungen. Seite 127 von 267 Landkreis / Anzahl240 der Sitz der Objekte Nutzung der Objekte im Kreisfreie Stadt dort Jahr 2020 vorhandenen Objekte241 Landkreis 1 Döbeln: Büroräume der dauerhafte Nutzung, Mittelsachsen JUNGEN NATIONALISTEN Tauschbörse (JN) Landkreis Sächsische 3 Pirna: dauerhafte Nutzung der Schweiz / NPD/JN für Treffen und Osterzgebirge Parteiveranstaltungen Pirna: NPD/JN - 2020 Veranstaltungsverbot Bad Gottleubaanlassbezogene Nutzung Berggießhübel eines Objekts durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Musikveranstaltungen Erzgebirgskreis 1 Oelsnitz: Objekt wird anlassbezogen durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Vortragsveranstaltungen genutzt Landkreis Leipzig 1 Grimma, OT Roda: Objekt wird anlassbezogen durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Musikveranstaltungen genutzt - 2020 aufgrund Corona-Beschränkungen keine Nutzung für Veranstaltungen festgestellt Landkreis 1 Torgau, OT Staupitz: Objekt wird anlassbezogen Nordsachsen durch parteiungebundene Rechtsextremisten für Musikveranstaltungen genutzt Vogtlandkreis 1 Plauen: dauerhafte Nutzung u. a. Büro der PARTEI DER für VortragsDRITTE W EG veranstaltungen Landkreis Zwickau 1 Seite 128 von 267 Landkreis / Anzahl240 der Sitz der Objekte Nutzung der Objekte im Kreisfreie Stadt dort Jahr 2020 vorhandenen Objekte241 Stadt Chemnitz 3 Landesgeschäftsstelle dauerhafte Nutzung u. a. der JN SACHSEN und Sitz für VortragsveranstalVertriebs-unternehmen tungen und Treffen mit Szeneladen Bürgerbüro von PRO CHEMNITZ dauerhafte Nutzung Wohnund Treffobjekt dauerhafte Nutzung durch parteiungebundene Rechtsextremisten Stadt Dresden 2 Wohnund anlassbezogene Nutzung Veranstaltungsobjekt durch die IDENTITÄRE BEWEGUNG Wohnund Treffobjekt dauerhafte Nutzung durch parteiungebundene Rechtsextremisten Stadt Leipzig 2 Nutzung u. a. durch parteiungebundene Rechtsextremisten 2.9 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund Rechtsextremistische Straftaten insgesamt 2500 2380 2234 2199 2198 2117 1959 2000 1500 Straftaten, davon: gegen den polit. Gegner 1000 784 692 fremdenfeindlich 571 442 464 445 500 169 168 139 214 117 124 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Die Anzahl der Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund stagnierte - wenn auch leicht rückläufig - auf dem Niveau des Vorjahres. Während die Straftaten gegen den politischen Gegner im Wahljahr 2019 im Fünfjahresvergleich einen Höchststand erreichten, sank die Zahl der entsprechenden Taten Seite 129 von 267 im Berichtszeitraum wieder auf einen ähnlichen Wert wie in den Vorjahren. Auch die Zahl der fremdenfeindlichen Straftaten sank in 2020 leicht. Der Anteil der Propagandadelikte ist nach wie vor sehr hoch und lag bei 76 % aller Straftaten. Dies ist ein gegenüber dem Vorjahr (74 %) fast unveränderter Wert. Rechtsextremistische Gewalttaten242 als Teilmenge der Straftaten 250 201 200 145 150 138 121 Gewalttaten, davon: gegen den polit. Gegner 99 95 96 100 fremdenfeindlich 70 73 66 44 49 50 29 19 23 14 11 16 0 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Wenngleich die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen ist, so entspricht sie doch dem Niveau vor Beginn der Asylthematik im Jahr 2014. Der Anteil der Gewalttaten am Gesamtaufkommen der Straftaten hat sich mit 3,5 % leicht erhöht (2019: 3 %). Zu Spitzenzeiten im Jahr 2015 hatte dieser Anteil bei 9 % gelegen. Obwohl die Asylthematik für Rechtsextremisten weiterhin eine hohe Bedeutung hat, sank der Anteil der fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten auf ca. 40 % aller Gewaltstraftaten (Vorjahre: 60 bis 75 %). Dagegen stieg der Anteil der rechtsextremistischen Gewalttaten gegen Polizisten von ca. 7,5 % (2019) auf ca. 29 % deutlich an. Sowohl der Rückgang der fremdenfeindlichen Gewalttaten als auch der massive Anstieg bei Gewalttaten gegen Polizeibeamte dürfte mit dem Corona-Protestgeschehen zusammenhängen. Unter den Gewalttaten befinden sich 48 Delikte der einfachen und gefährlichen Körperverletzung. Dieser hohe Anteil zeigt, dass sich rechtsextremistische Aggression primär durch körperliche Gewalt gegen andere Menschen entlädt. 242 Politisch motivierte Gewaltkriminalität ist die Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität (PMK), die eine besondere Gewaltbereitschaft der Straftäter erkennen lässt. Sie umfasst u. a. Tötungsdelikte, Körperverletzungen, Brandund Sprengstoffdelikte, Landfriedensbruch und Widerstandsdelikte; siehe hierzu auch unter www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/PMK/PMKrechts/PMKrechts.html (Stand: 7. Juni 2021) Seite 130 von 267 Regionale Verteilung Die regionale Verteilung der politisch motivierten Strafund Gewalttaten stellte sich im Jahr 2020 wie folgt dar: rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Leipzig (Stadt) 218 251 277 9 7 18 Dresden (Stadt) 359 366 294 30 16 19 Region Westsachsen Chemnitz-Stadt 306 171 150 43 8 6 Vogtlandkreis 107 97 90 7 2 1 Lkr. Zwickau 183 127 163 6 5 6 Erzgebirgskreis 116 120 148 0 2 2 Region Mittelsachsen Lkr. Mittelsachsen 159 150 100 5 5 2 Lkr. Meißen 63 94 89 2 0 0 Lkr. Sächs. Schweiz127 115 131 5 5 7 Osterzgebirge Region Ostsachsen Lkr. Bautzen 134 187 165 5 4 2 Lkr. Görlitz 168 197 165 4 2 4 Region Nordsachsen Lkr. Leipzig 122 183 185 8 6 4 Lkr. Nordsachsen 137 140 113 14 5 2 Freistaat Sachsen 2.199 2.198 2.070 138 66 73 Seite 131 von 267 2.10 Ausblick Vom Rechtsextremismus geht bundesweit und insbesondere auch im Freistaat Sachsen weiterhin die größte Gefahr für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung aus. Die verstärkte Nutzung sozialer Medien sowie Messenger-Diensten und die damit verbundenen überregionalen Vernetzungen führen zu einer anlassbezogenen hohen Reaktionsund Mobilisierungsgeschwindigkeit im rechtsextremistischen Spektrum. Zudem ist eine weitere Radikalisierung festzustellen. Rechtsextremisten bestärken einander zunehmend in geschlossenen Chat-Gruppen in den sozialen Medien in ihren Überzeugungen und entwickeln dort Revolutionsphantasien. Damit einhergehend ist eine immer weiter sinkende Hemmschwelle zur Gewaltanwendung zu konstatieren. Die Verfassungsschutzbehörden stehen daher vor einer veränderten Gefährdungslage. Gewaltbereite Kleingruppen oder Einzeltäter ohne Bindung an feste Strukturen bilden eine Seite der Herausforderung, eine bei Versammlungen unterbleibende bzw. unzureichende Distanzierung der gesellschaftlichen, nicht-extremistischen Mitte von Rechtsextremisten die andere Seite. Der Aufgabenschwerpunkt des Verfassungsschutzes wird sich infolgedessen noch weiter auf die Analyse von rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet verlagern. Durch die von dort ausgehende gezielte Einflussnahme auf die Meinungsbildung, auch von nicht extremistischen Personenkreisen, ist hier ein neuer und für die Verfassungsschutzbehörden insgesamt schwerer "greifbarer" bzw. analysierbarer Typus extremistischer Bestrebungen entstanden. So werden Fake News ebenso im Internet und den Sozialen Medien verbreitet wie Ressentiments und Hass gegen Andersdenkende sowie Drohungen gegen Amtsund Mandatsträger. Die Corona-Beschränkungen und das damit einhergehende ProtestGeschehen machten diese Entwicklung - insbesondere auch das "Einsickern" rechtsextremistischer Ideologieelemente, wie beispielsweise von Verschwörungstheorien, in nicht extremistische Milieus sowohl in der virtuellen wie der realen Welt - erneut deutlich. Eine ähnliche Entwicklung verzeichnete das LfV Sachsen zuletzt im Zuge der Asylthematik der Jahre 2015 und 2016. Rechtsextremisten missbrauchen also weiterhin die Sorgen und Ängste sowie Wut und Frust von Teilen der gesellschaftlichen Mitte gegenüber den von der Bundesund Landesregierung getroffenen Entscheidungen ganz gezielt für ihre verfassungsfeindlichen Zwecke. In Bezug auf die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts, die Einstiegsmöglichkeiten in die rechtsextremistische Szene und den Ausbau überregionaler bis internationaler Vernetzungen wird die rechtsextremistische Musikszene weiterhin eine bedeutende Rolle einnehmen. Im Berichtsjahr führte die rechtsextremistische Szene während der Lockerungen der Corona-Beschränkungen umgehend wieder Konzerte und Liederabende durch. Sobald die Entwicklung der Corona-Pandemie es erlaubt, mit ihr einhergehende Beschränkungen wegfallen und größere Veranstaltungen wieder erlaubt sind, werden auch wieder Musikveranstaltungen mit "Event-Charakter" stattfinden. Schließlich sind insbesondere solche, größere Teilnehmerzahlen anziehende Veranstaltungen für die Pflege rechtsextremistischer Netzwerke, die "Rekrutierung" neuer, sich für die Ideologie begeisternder Personenkreise und das gemeinsame Freizeiterleben sehr bedeutend. Voraussetzung für die Durchführung solcher Veranstaltungen ist das Vorhandensein von Immobilienobjekten, wie beispielsweise das seit dem Jahr 2008 für rechtsextremistische Konzerte genutzte Objekt in Torgau OT Staupitz sowie das für Großveranstaltungen genutzte Objekt in Ostritz. Strategie des LfV Sachsen und der Landesdirektion Sachsen ist es, durch eine aktive Prävention Kommunen, Landkreise, Vermieter und Eigentümer von Immobilien zu sensibilisieren, bevor sie - größtenteils ahnungslos - ihre Räumlichkeiten der rechtsextremistischen Szene zur Verfügung stellen. Die Landesdirektion Sachsen hat deshalb im Berichtsjahr eine aktualisierte Fassung ihrer Handreichung für die verwaltungsbehördliche Prüfung extremistischer Szeneobjekte herausgegeben. Für die Kommunen des Freistaates Sachsen steht zudem seit dem Jahr 2020 ein von der Landesdirektion Sachsen koordinierter Seite 132 von 267 Expertenpool, in welchem auch das LfV Sachsen mitwirkt, als Ansprechpartner bereit. Dort wird beispielsweise erörtert, wie mithilfe von behördlichen Auflagen (z. B. Aspekte des Brandschutzes und der baulichen Sicherheit sowie Alkoholverbote) die Nutzung von sich bereits im Eigentum von Rechtsextremisten befindlichen Immobilien für deren Veranstaltungen erschwert und so unattraktiv wie möglich gestaltet werden kann. Auf der Sicherheitskonferenz der Innenminister im Rahmen der "Sicherheitskooperation Ost" der Bundesländer Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (SiKoop) am 28. Oktober wurde zudem die Einrichtung einer länderübergreifenden Arbeitsgruppe vereinbart. Das LfV Sachsen arbeitet daran aktiv mit. Die Bedeutung des Kampfsportes ist für die rechtsextremistische Szene in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Kampfsport hat für die Akteure, neben der Musik, eine wichtige Rekrutierungsfunktion. Mittlerweile existiert ein europaweites Netzwerk unterschiedlicher Kampfsportlabels, Bekleidungsvertriebe und Veranstaltungsorganisatoren. Nach den Veranstaltungsverboten im Oktober 2019 in Ostritz (Lkr. Görlitz) und im März 2020 in Neuensalz, OT Zobes (Vogtlandkreis) sowie der Auflösung einer Veranstaltung im September 2020 in Magdeburg müssen sich die Organisatoren der Kampfsportevents neu aufstellen. Kampfsportveranstaltungen werden aber ihre große Bedeutung für die Szene beibehalten. Daher rechnet das LfV Sachsen auch künftig fest mit der Durchführung weiterer Veranstaltungen, ggfs. auch als Online-Streams. Obwohl die Aktivitäten der IDENTITÄREN BEWEGUNG (IB) deutschlandweit in den letzten beiden Jahren zurückgegangen sind, wird die IB im Freistaat Sachsen versuchen, ihr Aktionsniveau wieder zu steigern und ihre islamfeindlichen Kampagnenaktivitäten auszubauen. Insbesondere infolge der im Berichtsjahr erfolgten Gründung einer neuen Ortsgruppe in Chemnitz ist in dieser Region künftig mit zahlreichen anlassbezogenen Aktionen zu rechnen. In Wahljahren steigen die von Rechtsund Linksextremisten durchgeführten politisch motivierten Straftaten erfahrungsgemäß an. Aufgrund der im Jahr 2021 anstehenden Bundestagssowie diverser Landtagswahlen ist daher von einer Zunahme entsprechender Straftaten auszugehen. Seite 133 von 267 3. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER Leichter Anstieg des Personenpotenzials im Zusammenhang mit dem CoronaProtestgeschehen Anteil der Rechtsextremisten beträgt weiterhin rund sieben Prozent Anhaltender Trend zu einer deutlichen Ausdifferenzierung zwischen Mitläufern und ideologisch überzeugten Szeneangehörigen Erhöhtes Gefährdungspotenzial durch einzelne, verschwörungstheoretisch geprägte REICHSBÜRGER Hohe Waffenaffinität dieser heterogenen Szene Anlegen von Vorräten und Schaffung von "Rückzugsräumen" in Erwartung des baldigen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung Seite 134 von 267 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER243 lehnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Institutionen und ihres Rechtssystems ab. Folglich sprechen sie den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder negieren die geltende Rechtsordnung. Neben den sog. REICHSBÜRGERN, die sich dem "Deutschen Reich" zugehörig fühlen, gibt es auch Personen, die sich als SELBSTVERWALTER bezeichnen und aus anderen Gründen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland leugnen. Typisch für sie sind z. B. selbst erklärte "Austritte" aus der Bundesrepublik Deutschland, verbunden mit der Erklärung der administrativen und rechtlichen Autonomie. So definieren SELBSTVERWALTER z. B. ihr Grundstück oder ihr Haus als souveränes Staatsgebiet und markieren es durch eine (Grenz-) Linie. Die ausgesprochen heterogene Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER handelt aus sehr unterschiedlicher Motivation. Dementsprechend variieren auch die jeweiligen Rechtfertigungsmuster. Teile der Szene berufen sich auf das historische Deutsche Reich, andere hängen Verschwörungstheorien an oder machen ein selbst definiertes Naturrecht geltend. Wiederum andere sehen neuerdings ihre ehemalige DDR-Staatsbürgerschaft als nach wie vor gültig an. Die REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER sind seit dem 1. Dezember 2016 ein Beobachtungsobjekt auch des LfV Sachsen. Wenngleich Ähnlichkeiten mit Argumentationsmustern von Rechtsextremisten bestehen, ist bei Weitem nicht jeder REICHSBÜRGER oder SELBSTVERWALTER ein Rechtsextremist. Mit Blick auf den vorhandenen Geschichtsrevisionismus werden aber bestimmte szeneübergreifende Ideologiebestandteile sichtbar, wie Antisemitismus, Antiamerikanismus oder Nationalismus. Die Szene zeichnet sich mitunter auch durch eine hohe Waffenaffinität aus. Sie trat in den vergangenen Jahren vor allem mit (gewalttätigen) Aktionen gegen Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher in Erscheinung. 3.2 Strategie REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER suchen regelmäßig die Auseinandersetzung mit der öffentlichen Verwaltung und versuchen, das Verwaltungshandeln der Bundesrepublik, deren Existenz sie negieren, zu behindern. Dabei "fluten" sie Behörden und Gerichte mit umfangreichen Schreiben, die sie sich häufig aus dem Internet beschaffen. Im Falle der persönlichen Begegnung schrecken sie nicht vor Beleidigungen, Bedrohungen und Handgreiflichkeiten zurück. U. a. sind folgende Argumentationsmuster und strategische Vorgehensweisen erkennbar: 1. Sie gründen Fantasiestaaten und proklamieren ihre Selbstverwaltung. Mit der Abgabe des Personalausweises bringen sie zum Ausdruck, dass sie die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Vielmehr handele es sich dabei um eine "BRD-GmbH", und die Bevölkerung sei deren "Personal". 243 "Selbstverwalter" sind Personen, die sich als "staatenlos" definieren und auf dieser Grundlage die Zuständigkeit der staatlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland bestreiten. Oft gründen sie eigene Pseudo-Staaten, die sie dann als "souveräne" Subjekte des Völkerrechts darstellen, über die sie "auf Augenhöhe" mit anderen Staaten, wie der Bundesrepublik Deutschland, in politische Beziehungen treten könnten. Seite 135 von 267 2. REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER verweisen häufig auf die angeblich rein privatrechtliche Beziehung zwischen Bürger und Behörde. Daher sei eine einseitige "Kündigung" jederzeit möglich und legitim. 3. Die Beantragung des Staatsangehörigkeitsausweises ("Gelber Schein") mit Verweis auf das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) sowie auf die angebliche Abstammung aus einem ehemaligen Gliedstaat des Deutschen Reiches (Bundesstaat Sachsen, Königreich Preußen etc.) ist ein zentrales Anliegen vieler REICHSBÜRGER. Sie sind der Auffassung, dass alle Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht seit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. im Jahr 1918 keinen Bestand hätten, da von diesem Zeitpunkt an kein rechtmäßiger Staat mehr existiert habe. 4. Andere stellen eine offizielle Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Abrede. So habe es lediglich eine Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, jedoch keine offizielle des Deutschen Reiches gegeben. Außerdem werden verschiedenste internationale Dokumente angeführt, die entweder gegen ihren eigentlichen Aussagesinn gedeutet oder in einen anderen, vollkommen sachfremden Zusammenhang gestellt werden. 5. Die deutsche Wiedervereinigung habe ebenfalls keine Gültigkeit, da das Grundgesetz nicht dem deutschen Volk zur Abstimmung vorgelegt worden sei. Der "Zwei plus Vier"Vertrag sei deswegen unrechtmäßig, sodass nach wie vor Besatzungsrecht gelte. 6. Häufig werden auch Ansprüche nach Artikel 55 der Haager Landkriegsordnung (HLKO) geltend gemacht. Zwischen 1907 und 1910 seien mit der HLKO letztmalig die Regeln des Krieges und der Besatzung durch souveräne Staaten festgelegt worden. Weil daraufhin aber immer mehr Staaten vom Staatsin das Handelsrecht (im Falle Deutschlands nach 1945 angeblich vertreten durch die "BRD-GmbH") gewechselt seien und ein Frieden nur von souveränen Staaten ausgehandelt werden könne, gelte nach wie vor die HLKO. Mit dieser Begründung werden in der Regel unverhältnismäßig hohe finanzielle "Schadensersatzansprüche" geltend gemacht. 7. Gängig ist auch die Erklärung zur "Natürlichen Person", die nicht mehr Teil der "Staatskonstrukte" sei. Dies drückt sich beispielsweise in der Verwendung von Namenseinschüben, wie Gert "aus der Familie" Mustermann, aus. 3.3 Personenpotenzial Der sehr heterogenen Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER im Freistaat Sachsen wurden im Berichtsjahr rund 1.050 Personen zugerechnet (bundesweit 20.000 Personen). Das sind in etwa 50 Personen mehr als im Berichtsjahr 2019 (bundesweit 19.000 Personen). Der Anteil der Rechtsextremisten innerhalb dieses Spektrums betrug rund sieben Prozent, der Anteil der Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse 1,0 % (2019: 1,8 %). Seit dem 1. Dezember 2016 wurden REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN - auch auf Grundlage der Erkenntnisse des LfV Sachsen - insgesamt 91 waffenrechtliche Erlaubnisse durch die Behörden entzogen. Im Berichtszeitraum nahm die Zahl der Personen, die der Szene der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER zugerechnet werden, erstmals wieder leicht zu. Der Anstieg ist im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie zu sehen. Die fortdauernden CoronaBeschränkungen boten Verschwörungstheoretikern - also auch REICHSBÜRGERN - einen ergiebigen Rahmen für das Ausleben ihrer kruden Theorien sowie für deren Verbreitung insbesondere auch in den sozialen Medien. Seite 136 von 267 Die soziodemographische Struktur der Szene weist im Vergleich zu anderen extremistischen Phänomenbereichen Besonderheiten auf. So ist der Frauenanteil mit rund 30 % verhältnismäßig hoch. Wegen des deutlich höheren Altersdurchschnitts von rund 50 Jahren wird bei REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN auch von einer "Radikalisierung der zweiten Lebenshälfte" gesprochen. 3.4 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen BUNDESSTAAT SACHSEN Sitz Dresden Gründung 2016 Vorsitz Katrin ACKERMANN, Claus-Dieter CLAUßNITZER u. a. Internetauftritte Homepage des BUNDESSTAATES SACHSEN Personenpotenzial 2020 2019 ca. 67 ca. 70 Kurzportrait/Ziele Mitglieder des BUNDESSTAATES SACHSEN wenden sich mit öffentlichen Schreiben in Form von offenen Briefen, "Anordnungen", "öffentlichen Bekanntmachungen", "Amtsblättern" an die Öffentlichkeit bzw. gezielt an Behörden des Freistaates Sachsen oder an sächsische Kommunen. Darin vertreten sie die Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland als Staat Seite 137 von 267 nicht existiere und fordern die Wiederherstellung des seit 1871 existierenden Staatenbundes Deutsches Reich innerhalb der Reichsgrenzen von 1914. Das "Deutsche Reich" habe den Zusammenbruch von 1945 überdauert und sei weder durch Kapitulation noch durch die von Alliierten in Deutschland ausgeübte fremde Staatsgewalt untergegangen. Die Gliedstaaten, u. a. der BUNDESSTAAT SACHSEN, befänden sich bereits in Reorganisation, um Menschen ihre tatsächliche Staatsangehörigkeit und die damit verbundenen Bodenund Menschenrechte zurückzugeben. KÖNIGLICH SÄCHSISCHER GEMEINDEVERBUND (KSGV) Sitz Chemnitz Gründung 2017 (nach eigenen Aussagen: am 15. Oktober 2017) Vorsitz Person aus Chemnitz Teil-/Nebenorganisationen 54 Gemeinden, die dem Gemeindeverband "KS-Gemeinden" angehören Internetauftritte / Internet: Homepage der Staatlichen Wahlkommission des KÖNIGLICH SÄCHSISCHEN GEMEINDEVERBUNDES Publikationen Soziale Medien: Telegram-Kanal Personenpotenzial 2020 2019 einzelne einzelne Kurzportrait/Ziele Der KSGV stellt die sächsische Vertretung der überregionalen Gruppierung FREIE W ÄHLERVEREINIGUNG dar. Als solche stellt sie die Staatseigenschaft der Bundesrepublik Deutschland und deren völkerrechtliche Souveränität in Abrede. Relevante Ereignisse und Ausgabe der Publikation Extrablatt Nr. 1 vom 24. April: Entwicklungen 2020 "wir, die Gemeindemitglieder des Königlich Sächsischen Gemeindeverbundes, rufen hiermit zusammen mit allen Staatsangehörigen des Bundesstaates Sachsen und den hier lebenden fortschrittlichen Kräften, welche die Wohlfahrt für das sächsische Volk in ihrem Herzen tragen, nach dem uns verpflichteten König."244 Ausgabe des Extrablattes Nr. 2 vom 28. Juni: "Corona-Schaden, Anzeige wagen!" Ausgabe des Extrablattes Nr. 3 vom 19. Dezember: "Stammestisch zur gültigen sächsischen Verfassung" 245 244 Schreibweise wie im Original 245 Schreibweise wie im Original Seite 138 von 267 Nach eigener Aussage wurde am 26. Januar die erste Ortsmarkierung/das erste Ortseingangsschild für eine Gemeinde des KSGV errichtet. Es markiert seitdem die Grenze zur entsprechenden Gebietskörperschaft. Treffen am 10. Juni zum zweiten Jahrestag der Proklamation des KSGV in Dittersbach bei Dürröhrsdorf VATERLÄNDISCHER HILFSDIENST (VHD) Sitz n. b. Gründung 2020 Vorsitz Person aus Dresden Person aus Leipzig Teil-/Nebenorganisationen Armeekorpsbezirk XII Armeekorpsbezirk XIX Dresden Leipzig Internetauftritte Homepage des Vaterländischen Hilfsdienstes Personenpotenzial ca. 40 ca. 40 Kurzportrait/Ziele Der VHD ist eine überregionale Gruppierung und Teilorganisation des Ewigen Bundes246. Laut eigener Beschreibung auf der Webseite wurde der VHD "per Gesetz am 5. Dezember 1916 als zivile Institution gesetzlich eingerichtet. Mit der Hilfsdienstpflicht wurde eine zivile Ergänzung zur Wehrpflicht geschaffen. Alle deutschen Männer zwischen 17 und 59 Jahren sind für die Dauer des Krieges zum Hilfsdienst unter der Leitung des Kriegsamtes und damit unter dem Oberbefehl des deutschen Kaisers verpflichtet." Die Organisationsstruktur gliedert sich in 24 Armeekorpsbezirke des Deutschen Reiches. Im Bereich des jeweiligen Armeekorpsbezirks gibt es die Leiter von Gebieten, Regionen und Verwaltungsbezirken. Den auf der Webseite eingestellten Bildern ist zu entnehmen, dass viele der Armeekorpsbezirke tatsächlich aktiv sind und über unterschiedlich große Personenpotenziale zu verfügen scheinen. Relevante Ereignisse und Mitgliederinternes Treffen am Mitgliederinternes Treffen am 24. Oktober 18. Juli Entwicklungen 2020 Mitgliederinternes Treffen am Mitgliederinternes Treffen am 27. Dezember 8. August 246 Im August 2018 gründete sich die Gruppierung "Bismarcks Erben", die auch unter dem Namen "Ewiger Bund" oder "Preußisches Institut" firmiert. Seite 139 von 267 Mitgliederinternes Treffen am 5. September Mitgliederinternes Treffen am 26. September Mitgliederinternes Treffen am 10. Oktober Relevante Ereignisse und Verteilaktionen von aufwändig produzierten Flugblättern mit dem Aufdruck "Deutschland kommt zu sich. Kommt einfach mit !" Entwicklungen 2020 STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E.V. Sitz Berlin Gründung 2008 Personenpotenzial 2020 2019 Sachsen ca. 10 ca. 10 bundesweit ca. 90 ca. 90 Kurzportrait/Ziele STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. spricht der Bundesrepublik Deutschland die staatliche Souveränität ab, u. a. weil nach dem Zweiten Weltkrieg kein Friedensvertrag geschlossen und das nach wie vor besetzte Deutschland zwischenzeitlich privatisiert worden sei. GEEINTE DEUTSCHE VÖLKER UND STÄMME Der Bundesinnenminister hat am 19. März den Verein GEEINTE DEUTSCHE VÖLKER UND STÄMME und seine Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" verboten und aufgelöst. Erstmals wurde damit in der Bundesrepublik Deutschland eine Reichsbürgervereinigung verboten. Vom Verbot betroffen waren auch zwei Personen aus dem Freistaat Sachsen, die Mitglieder der Vereinigung waren. Aktivitäten Durch die bekannt gewordenen Aktivitäten des VATERLÄNDISCHEN HILFSDIENSTES sind die öffentlichen Aktivitäten von REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN insgesamt im Berichtsjahr erstmals wieder leicht angestiegen. Straftaten Das Straftatenniveau für den Berichtszeitraum blieb sowohl hinsichtlich der Quantität wie auch der Intensität auf gleichbleibendem Niveau. Im Berichtszeitraum begingen REICHSBÜRGER überwiegend die Straftat der Nötigung nach SS 240 StGB. Tätliche Angriffe auf und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte nach SSSS 114 Abs. 2 in Verbindung mit SS113 StGB machten hingegen den Großteil der Gewaltdelikte aus. Seite 140 von 267 Straftaten REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER 250 235 200 203 150 145 146 100 50 18 14 20 3 0 2017 2018 2019 2020 Straftaten Gewalttaten 3.5 Ausblick Da insbesondere Verschwörungstheorien und Aussagen im Zuge der Corona-Pandemie Hochkonjunktur haben, ist auch künftig mit einer weiter ansteigenden Zahl der REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER zu rechnen. In qualitativer Hinsicht ist innerhalb der Szene aufgrund behördlicher Maßnahmen jedoch eine deutliche Ausdifferenzierung zwischen Mitläufern und ideologisch überzeugten Szeneangehörigen festzustellen. Diese Entwicklung dürfte sich fortsetzen. Das Straftatenniveau wird weiterhin niedrig bleiben. Gleichwohl können die Szene aufbringende Einzelfallkonstellationen das Risiko schwerer Gewalttaten mit sich bringen. Insbesondere die bundesweit festzustellende Waffenaffinität dieses Milieus spielt für die Bewertung von Gefährdungslagen eine zentrale Rolle. Auch von einzelnen, verschwörungstheoretisch geprägten REICHSBÜRGERN kann unter Umständen ein erhöhtes Gefährdungspotenzial ausgehen. Behördenmitarbeiter, Gerichtsvollzieher und Polizeibeamte sind in besonderem Maße betroffen. Zu einem landesweit koordinierten Vorgehen von REICHSBÜRGERN und SELBSTVERWALTERN dürfte es jedoch auch künftig nicht kommen. Dazu verfolgt die sehr heterogene Szene grundsätzlich zu unterschiedliche Zielsetzungen, auch fehlen ihr eine gemeinsame Infrastruktur und charismatische Führungsfiguren. Dennoch sind auch für diesen Personenkreis weitere Vernetzungsbestrebungen nicht auszuschließen. Außerdem streben diese Personen die Anlage von Vorräten und die Schaffung von "Rückzugsräumen" (Immobilien) an. Dahinter steht die Erwartung des baldigen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung in Deutschland. Seite 141 von 267 4. Linksextremismus Leichter Anstieg des Personenpotenzials Leipzig etabliert sich deutlich zu einer bundesweiten Schwerpunktregion der AUTONOMEN SZENE und einem Brennpunkt linksextremistischer Gewalt Anhaltend hohes Niveau klandestiner Aktionen gegen Sachen und Personen in allen sächsischen Großstädten Konzentration auf die Themenfelder "Antirepression" und "Antigentrifizierung" Proteste gegen den politischen Gegner bei Anti-CoronaVersammlungen Schnelle Mobilisierung und bundesweite Unterstützungsnetzwerke Seite 142 von 267 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Linksextremisten streben die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Stattdessen wollen sie eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft etablieren. Ihr politisches Handeln richten sie dementsprechend an revolutionärmarxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Damit treten sie entweder für eine Diktatur ein, die auch mit einer Entrechtung Andersdenkender einhergeht, oder für eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung. Die von Linksextremisten häufig instrumentalisierten Begriffe "Gleichheit", "Freiheit" und "Gerechtigkeit" stellen sich bei genauer Betrachtung als Synonyme für die Abschaffung demokratischer Errungenschaften (z. B. der Gewaltenteilung) und die Einschränkung persönlicher Freiheitsrechte dar (z. B. die Beseitigung des Rechts auf Eigentum). Auch wenn das Grundziel - die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie - alle linksextremistischen Bestrebungen eint, bestehen hinsichtlich der Vorstellungen zur letztlich angestrebten Ordnung, des dorthin führenden Wegs und der anzuwendenden Mittel erhebliche Differenzen. Das Ziel AUTONOMER ist beispielsweise ein Gemeinwesen, das sich an anarchistischen und kommunistischen Ideologiefragmenten orientiert. Zu dessen Durchsetzung spielt die Anwendung von Gewalt eine zentrale Rolle. Im Gegensatz hierzu streben orthodoxe Parteien die Errichtung eines zentralistisch geleiteten kommunistischen Staatswesens an. Ein solches soll durch Klassenkampf und die Diktatur des Proletariats erreicht werden. Im Unterschied zu den Autonomen halten orthodoxe Linksextremisten die Anwendung von Gewalt erst in einer revolutionären Situation für legitim und unvermeidbar. Die verfassungsfeindlichen Zielsetzungen ergeben sich aus den folgenden ideologischen Hauptströmungen des Linksextremismus: Marxismus Die Lehren von Karl Marx (1818 - 1883) und Friedrich Engels (1820 - 1895) sind die ideologische Grundlage für das Denken und Handeln vieler Linksextremisten. Die marxistische Lehre ist sowohl wissenschaftliche Theorie als auch praktisch-politische Handlungsanleitung für die Revolution. Ihr zufolge vollzieht sich die Menschheitsgeschichte in gesetzmäßigen Entwicklungsstufen. Dem Endziel der geschichtlichen Entwicklung, der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft, geht die revolutionäre Überwindung des kapitalistischen Systems voraus. Im Kapitalismus stehen sich die ausbeutende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten - die Eigentümer an den Produktionsmitteln - und die ausgebeutete Klasse der Arbeiterschaft - die sog. Proletarier - gegenüber. Der durch die Arbeiterschaft geschaffene Mehrwert eines erstellten Produktes geht nach der marxistischen Lehre in den Besitz der Kapitalisten über und führt so zu Lohndruck, Verarmung und schließlich Verelendung des Proletariats. Die Folgen sind Klassenkämpfe, die in eine Revolution und schließlich in die Diktatur des Proletariats münden mit dem Endziel einer kommunistischen Gesellschaft. Das gesamte politische, geistige und kulturelle Leben einer Gesellschaft wird demnach durch die ökonomischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. Seite 143 von 267 Das Menschenbild des Marxismus ist ein grundsätzlich anderes als das freiheitlicher Demokratien. Im Mittelpunkt steht nicht das Individuum mit seinen garantierten Rechten, sondern die Arbeiterklasse. Nach dieser Sichtweise ist es zulässig, Grundund Menschenrechte zugunsten des sozialistischen Kollektivs und einer kommunistischen Zielsetzung zu relativieren oder gar außer Kraft zu setzen. Marxismus-Leninismus Der Marxismus-Leninismus war die offizielle Weltanschauung der früheren Sowjetunion. Er basiert auf den Lehren von Marx und Engels (Marxismus), die von Wladimir I. Lenin (1870 - 1924) zur Staatsdoktrin der Sowjetunion und für den von ihm propagierten internationalen Klassenkampf weiterentwickelt wurden. Auch nach marxistischleninistischer Auffassung muss der Kapitalismus bekämpft werden. Das höchste Stadium des Kapitalismus sah Lenin im sog. Imperialismus. Demnach trachte der Kapitalismus in ausbeuterischer Weise danach, seinen Machtund Einflussbereich auf andere Staaten auszudehnen, was zwangsläufig zu Kriegen führe. Auf den Kapitalismus müsse also eine neue Gesellschaftsordnung folgen: der Sozialismus. Den Sozialismus sah Lenin wiederum als Vorstufe des Kommunismus. Der Marxismus-Leninismus führt zwangsläufig zu einer revolutionären Umwälzung. Allerdings verfügt die Arbeiterklasse Lenin zufolge nicht über das notwendige politischrevolutionäre Bewusstsein. Dieses müsse durch eine Kaderpartei aus Berufsrevolutionären (Avantgardeanspruch der kommunistischen Partei) vermittelt werden. In dieser Partei sind gemäß dem Grundsatz des "demokratischen Zentralismus" keine abweichenden Meinungen zu Parteibeschlüssen durch Fraktionen oder innerparteiliche Strömungen erlaubt. Stalinismus Stalinismus ist Josef W. Stalins (1878 - 1953) theoretische Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus zum diktatorisch-bürokratischen Herrschaftssystem der Sowjetunion. Entgegen der marxistischen Annahme, dass zum Sieg des Proletariats über das Bürgertum ("Bourgeoisie") eine gemeinsame Revolution der Proletarier aller Länder notwendig sei, ging Stalin davon aus, dass der Sozialismus unter der Führung der Sowjetunion vorbildhaft zuerst dort realisiert werden müsse. Mit dem von Stalin betriebenen Aufund Umbau der Sowjetunion zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung wurden u. a. die "stalinistischen Säuberungen" legitimiert, denen Millionen Menschen zum Opfer fielen. Trotzkismus Trotzkismus ist eine auf den russischen Revolutionär Leo Trotzki (1879 - 1940) zurückgehende Ausprägung des Marxismus-Leninismus. Wesentlich ist die Idee einer weltweiten und "permanenten" sozialistischen Revolution unter Führung von Arbeiterräten. Die charakteristische Strategie trotzkistischer Vereinigungen ist der Entrismus, d. h. der Versuch, gezielt in andere Organisationen einzudringen und Einfluss auf politische Entscheidungen zu nehmen. So findet die Ideologie der Trotzkisten Verbreitung über die unterwanderte Organisation. Maoismus Unter der Führung von Mao Tse-tung (1893 - 1976) wurde in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 der Marxismus-Leninismus in einer von Sowjetrussland abweichenden Weise interpretiert und als kommunistische Ideologie weiterentwickelt. Der Maoismus sieht in China die ländliche Bevölkerung und nicht die städtische Arbeiterschaft Seite 144 von 267 als Träger des politischen Umsturzes. Die Weltrevolution sollte in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen ausgelöst werden. In einer Serie politischer Kampagnen ("Kulturrevolution") versuchte Mao Tse-tung, die chinesische Gesellschaft gemäß den revolutionären Zielen der Partei zu erziehen. Der ideologische Terror und die damit verbundenen "Säuberungsaktionen" forderten Millionen Tote. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der 1968er-Bewegung, vor allem der in Westeuropa entstandenen "Neuen Linken" (sog. K-Gruppen). Anarchismus Zum Anarchismus werden Ordnungsvorstellungen und Bestrebungen gerechnet, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Er gilt nach anarchistischem Verständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst und zerschlagen werden müsse. Einer der bekanntesten Vordenker des Anarchismus ist der russische Revolutionär und Anarchist Michail Bakunin (1814 - 1876). Aus den Ideen Bakunins entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts der sog. "Anarcho-Syndikalismus", ein System, in dem Gewerkschaften die Arbeiterschaft unabhängig von Staat oder Industriellen dezentral organisieren. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs, mit der kommunistischen Revolution in Russland und dem Aufstieg des Faschismus in Italien, aber auch während des Zweiten Weltkriegs verlor der Anarchismus zunehmend an Bedeutung. Einen zwischenzeitlichen Aufschwung erlebte er im Rahmen der "68er"-Studentenbewegung, die sich in ihrer Forderung nach totaler Freiheit auch auf den Anarchismus berief. 4.2 Personenpotenzial Linksextremisten im Freistaat Sachsen im Jahr 2020 1000 845 775 785 760 800 800 600 400 200 0 2016 2017 2018 2019 2020 Seite 145 von 267 Anzahl der Linksextremisten im Freistaat Sachsen insgesamt: ca. 800 (2019: ca. 760 / bundesweit 2020: ca. 34.300247) Gewaltorientierte ANARCHISTEN und sonstige Orthodoxe Linksextremisten / linksextremistische linksextremistische Parteien AUTONOME Gruppierungen und Organisationen 2020: ca. 465 2020: ca. 225248 2020: ca. 110 2019: ca. 415 2019: ca. 205249 2019: ca. 140 davon u. a. ANARCHISTEN 2020: ca. 65 2019: ca. 45 ROTE HILFE e. V. (RH) 2020: ca. 500250 2019: ca. 470251 In den Großstädten Leipzig und Dresden sind nach wie vor die weitaus meisten Linksextremisten aktiv. 247 Ohne Mehrfachmitgliedschaften. 248 Ohne Mehrfachmitgliedschaften. 249 Ohne Mehrfachmitgliedschaften. 250 Mit Mehrfachmitgliedschaften. Das bedeutet die Mitgliedschaft einer Person in mehreren extremistischen Gruppierungen/Organisationen gleichzeitig. 251 Mit Mehrfachmitgliedschaften. Seite 146 von 267 Linksextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten in absoluten Zahlen Seite 147 von 267 Linksextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten je 10.000 Einwohner 4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Die von Linksextremisten besetzten Aktionsfelder hängen von den jeweiligen politischen Rahmenbedingungen und aktuellen politischen Debatten ab. So waren im Berichtsjahr vor allem die Themenfelder "Antirepression", "Antifaschismus" und der Kampf gegen "Gentrifizierung" und damit einhergehend um "Freiräume" bestimmend. 4.3.1 Aktionsfelder "Antifaschismus" Für die linksextremistische Szene ist aufgrund der Erfahrungen mit dem historischen Nationalsozialismus in Deutschland, mit der Mordserie des rechtsterroristischen NSU sowie mit den rassistischen Übergriffen in den Jahren 2015 und 2016 der Kampf gegen alle vermeintlichen und tatsächlichen Erscheinungsformen von Rechtsextremismus von zentraler Bedeutung. Die Anschläge in Halle und Hanau sowie das Attentat auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke bestätigten die Szene in dieser Wahrnehmung. Aus Sicht der linksextremistischen Szene habe in den vergangenen Jahren ein "Rechtsruck" in der Gesellschaft stattgefunden, der rechtsextremistische und rassistische Positionen in einem "ungeahnten Ausmaß" gesellschaftsfähig gemacht habe. Demnach fänden sich derartige Einstellungen nicht mehr allein bei den Neonationalsozialisten, sondern vor allem auch bei der Neuen Rechten und sogar bei Parteien wie CDU und SPD. Politiker, die diesen Parteien angehören, hätten schließlich den zurückliegenden Asylrechtsverschärfungen zugestimmt. Seite 148 von 267 In diesem Kontext wurde insbesondere auch die Partei Alternative für Deutschland (AfD) als "faschistische" und "rassistische" Partei wahrgenommen. Linksextremisten beteiligten sich in den vergangenen Jahren regelmäßig an Protestaktionen gegen die AfD und verübten Angriffe auf Parteibüros, Geschäftsstellen, Privatfahrzeuge und Wohnhäuser. Immer wieder kam es aber auch zu unmittelbaren Angriffen auf Mitglieder oder Sympathisanten der Partei. "Antirassismus / Asyl" Der von Autonomen verwendete Begriff "Antirassismus" steht in engem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Themenfeld "Antifaschismus". Mit antirassistischen Positionen von Linksextremisten ist stets auch eine fundamentale Kritik am demokratischen Rechtsstaat und dessen Institutionen verbunden. Staatlichen Akteuren wird z. B. mit Blick auf die deutsche und europäische Asylpolitik, zu der auch Abschiebungen gehören, ein systemimmanenter "institutioneller Rassismus" unterstellt. 2020 bestimmten insbesondere Proteste gegen Lebensbedingungen von Geflüchteten im griechischen Flüchtlingslager Moria und Forderungen nach einer Aufnahme der Geflüchteten in Deutschland dieses Themenfeld. "Antirepression" Der "Kampf gegen staatliche Repression" ist ein klassisches Aktionsfeld von Linksextremisten, mit dem der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden soll. Dieser Kampf wird als ein gerechtfertigtes Mittel verstanden, um die angeblich herrschende "Gewalt des Systems" aufzubrechen. Als Repressionsorgane werden alle Institutionen betrachtet, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen und damit aus Sicht von Linksextremisten die Aufrechterhaltung des "herrschenden Systems" sicherstellen. Im Berichtsjahr wurden die zahlreichen polizeilichen Ermittlungsverfahren, Durchsuchungsmaßnahmen und Festnahmen unter anderem in der linksextremistischen Szene in Leipzig als eine sich "zuspitzende Repression" wahrgenommen, die Militanz und "antifaschistischen Selbstschutz" erfordere und rechtfertige. Vor diesem Hintergrund kam es wiederholt zu Demonstrationen, die häufig in gewaltsamen Ausschreitungen und gezielten Angriffen auf Polizisten und Polizeieinrichtungen mündeten. Dabei war insbesondere die zunehmende Enthemmtheit derartiger Angriffe besorgniserregend, bei denen Polizisten regelmäßig und gezielt mit Flaschen, Steinen und Pyrotechnik attackiert wurden. "Kampf um Freiräume" und gegen "Gentrifizierung" Im Berichtsjahr gehörte der Kampf um "selbstbestimmte Freiräume" und gegen soziale Verdrängungsprozesse in Städten zu den bestimmenden Themenfeldern der linksextremistischen Szene. In "Freiräumen", wie etwa besetzten Häusern oder Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff entzogen sind und "selbstverwaltet" werden, wollen sie ihre Vorstellungen von einem "besseren" Leben umsetzen. Dort wird die für die politische Arbeit unerlässliche Infrastruktur bereitgestellt und der Informationsaustausch innerhalb der Szene unterstützt. Solche "Freiräume" stellen für sie einen ersten Schritt zur Etablierung der von ihnen angestrebten "herrschaftsfreien" Gesellschaft dar. Insofern werten sie deren Einschränkung stets als einen Angriff gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen. Linksextremisten beanspruchen eine Hegemonie in "ihrem Viertel", welche häufig in eine Ausgrenzung von Personen mündet, deren Wertvorstellungen nicht mit ihren eigenen übereinstimmen. Auch auf behördliche Maßnahmen, die sich gegen ihre "Freiräume" richten, reagieren sie umgehend und aggressiv. Das ganze Jahr über waren Aktivitäten von Hausbesetzern in Dresden und Leipzig festzustellen. In Leipzig setzten insbesondere die dreitägigen Ausschreitungen nach dem Ende der Besetzung des Objektes Ludwigstraße 71 ("Luwi71") ein bundesweites Signal der Stärke für die autonome Szene. Aufgrund ihrer engen Vernetzung beteiligten sich sächsische Seite 149 von 267 AUTONOME darüber hinaus mehrfach an unfriedlich verlaufenen Protesten gegen die Durchsuchung oder Räumung von Szeneobjekten in Berlin. Polizeimaßnahmen gegen von Linksextremisten genutzte Objekte in Berlin führten zudem zu Solidaritätsbekundungen in Leipzig und Dresden. Corona-Pandemie Linksextremistische Gruppen befassten sich seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie intensiv mit dem Infektionsgeschehen, den sozialen Auswirkungen und den politischen Regulierungsbemühungen. Die zur Bekämpfung des Corona-Virus angeordneten Einschränkungen veranlassten Bürger zu vielfältigen Protestaktionen; mit denen man für den Schutz der Grundrechte eintreten wollte. Dieses Verhalten ordnete die linksextremistische Szene dem politischen Gegner zu und reagierte mit verschiedenen Gegenaktionen. Dabei ist es ihr über das gesamte Jahr erkennbar nicht gelungen, eigene anschlussfähige Positionen zu entwickeln und so die Deutungshoheit über das Themenfeld zu gewinnen. Recherchetätigkeit und "Outing"-Aktivitäten Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen sollen aus Sicht der Linksextremisten die vom Outing betroffenen vermeintlichen und tatsächlichen Rechtsextremisten sozial geächtet und in ihrer beruflichen Laufbahn beeinträchtigt werden. Gewaltbereiten Linksextremisten werden so mögliche Zielobjekte vorgegeben, insbesondere wenn das Outing mit eindeutigen Hinweisen oder Appellen verknüpft wird. Diese Aktionsform wird vornehmlich von der autonomen "Antifa" angewendet, um Personen, die aus autonomer Sicht "rechts" sind, in ihrem Wohnund Arbeitsumfeld zu denunzieren, bloßzustellen und zu bekämpfen. Beim "Nazi-Outing" publizieren Mitglieder der Antifa private Informationen der betroffenen Personen. Dies geschieht entweder mittels Flugblättern, die in der privaten oder beruflichen Umgebung der Betroffenen verteilt werden, oder über die Verbreitung dieser Informationen auf Internetplattformen. Den Betroffenen werden elementare Persönlichkeitsrechte bereits aufgrund der ihnen unterstellten Gesinnung abgesprochen, da nach Auffassung AUTONOMER "Faschismus" keine Meinung, sondern ein Verbrechen darstelle. Straftaten gegen die "geouteten" Personen - auch Gewalttaten - werden billigend in Kauf genommen. "Antikapitalismus" / "Antiglobalisierung" Die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung stellt für Linksextremisten ein grundlegendes Ziel dar, das inhaltlich mit allen anderen Themenfeldern verknüpft werden kann. Die fundamentale Kritik am Kapitalismus ist für sich allein jedoch nicht extremistisch. Der zentrale Unterschied zwischen einer radikalen und einer extremistischen Auffassung besteht nicht in der Ablehnung eines Wirtschaftssystems, sondern im Streben nach einer revolutionären Überwindung des demokratischen Rechtsstaates, der mit seinen "Repressionsorganen" als Garant kapitalistischer Eigentumsund Produktionsverhältnisse verstanden wird. Die Verknüpfung von kapitalistischem Wirtschaftssystem und politischer Ordnung beruht auf marxistischen Faschismustheorien. Demnach münde in ökonomischen Krisen das Zusammenspiel von Finanzkapital und Staatsapparat zwangsläufig im Faschismus, der als "radikalste Form bürgerlicher Klassenherrschaft" definiert wird. Umwelt und Klima Das Thema Klima ist für Linksextremisten strategisch wichtig, weil es eine hohe Anschlussfähigkeit an das nichtextremistische Spektrum bietet. So instrumentalisieren Linksextremisten den Protest gegen die Nutzung der Braunkohle für ihre eigenen Zwecke. Sie Seite 150 von 267 wollen als Bündnispartner wahrgenommen werden, um über die Umweltproblematik ihre eigenen extremistischen Ziele - die Überwindung von "Kapitalismus und bürgerlichem Staat" - einzubringen. 4.3.2 Aktionsformen Öffentliche Aktionen von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen Die Darstellung ihrer politischen Positionen in der 80 72 Öffentlichkeit hat für Linksextremisten große Bedeutung. Deshalb bleibt auch die Beteiligung an 60 49 bzw. die Durchführung von Demonstrationen, Kundgebungen, Aufzügen oder Gegenprotesten für 40 die linksextremistische Szene besonders wichtig. Sächsische Linksextremisten nahmen im 20 Berichtsjahr auch an überregionalen und bundesweiten Veranstaltungen teil. 0 Im Jahr 2020 wurden 121 öffentliche Aktionen von 1. Halbjahr 2020 2. Halbjahr 2020 oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen registriert. Davon umfasst sind neben Demonstrationen und Kundgebungen auch Mobilisierungs-, Informationsoder Vortragsveranstaltungen des gesamten linksextremistischen Spektrums. Infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie ging das Aktionsniveau im Vergleich zum Vorjahr insgesamt spürbar zurück (2019: 157 Aktionen). In der zweiten Jahreshälfte nahm die Zahl der öffentlichen Aktionen wieder deutlich zu. Ursächlich hierfür waren insbesondere folgende Faktoren: Der "Lockdown" von März bis Mai brachte das öffentliche Veranstaltungsgeschehen nahezu vollständig zum Erliegen. Im zweiten Halbjahr war im Themenfeld "Gentrifizierung" eine Zunahme von Aktivitäten, wie Hausbesetzungen, Ausschreitungen und Solidaritätsaktionen, festzustellen. Zahlreiche Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden im dritten und vierten Quartal veranlassten Linksextremisten zu Protestund Resonanzaktionen. Bei öffentlichen Demonstrationen ist zwischen angemeldeten und nicht angemeldeten Demonstrationen zu unterscheiden. Angemeldete Demonstrationen werden in der Regel in strategischen Bündnissen mit Nichtextremisten geplant und durchgeführt. Sie dienen zugleich der Werbung von Sympathisanten. Meist ordnen sich Linksextremisten in diesen Aufzügen weitgehend in das friedliche Demonstrationsverhalten zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Ob es im Rahmen angemeldeter Demonstrationen zu Ausschreitungen kommt, hängt vom Kräfteverhältnis zur Polizei ab, aber auch davon, inwieweit die Anwendung von Gewalt vom bürgerlichen Spektrum toleriert wird. Im Gegensatz hierzu zeigen nicht angemeldete Demonstrationen eine hohe Eigendynamik, die häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen führt. Zu einer erhöhten Zahl linksextremistischer Strafund Gewalttaten, die aus dem Demonstrationsgeschehen heraus begangen werden, kommt es vor allem dann, wenn gesellschaftlich relevante Themen, die den Kernbereich linksextremistischer Ideologie treffen, im Mittelpunkt stehen. Dies gilt auch, wenn der politische Gegner im öffentlichen Raum direkt angegriffen werden kann. Seite 151 von 267 Gewalttätige Aktionen Die Anwendung von Gewalt ist in Teilen der linksextremistischen Szene - vor allem bei den AUTONOMEN - allgemein akzeptierter Grundkonsens. Dies wird dabei im Wesentlichen zweifach legitimiert: Zum einen handele es sich um Gegengewalt, mit der man sich gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung des Staates wehre. Denn dieser übe seinerseits mittels seiner Institutionen und Machtverhältnisse eine "strukturelle" Gewalt gegenüber dem Bürger aus. Zum anderen gebe es politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt schon grundsätzlich rechtfertigten. Diese Gewalt richtet sich im Wesentlichen gegen Sachen, kann aber zunehmend auch Personen, wie tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Polizeibeamte und Repräsentanten beispielsweise von Parteien (vornehmlich der AfD), zum Ziel haben. Linksextremistisch motivierte Gewaltaktionen gehen vornehmlich von der AUTONOMEN SZENE aus. Autonome Militanz zeigte sich in Form gewalttätiger Proteste aus Demonstrationen heraus sowie in Form klandestiner252 und offen militanter Aktionen. Taktisch nutzen die Akteure bei dieser Aktionsform das Überraschungsmoment und die Anonymität. Dadurch wird für die Akteure das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Klandestine Aktionen sind mit einem hohen Sachschaden verbunden. Für Linksextremisten stellen sie deshalb eine geeignete Aktionsform dar, um dem Staat oder dem politischen Gegner erheblich zu schaden. Taterklärungen zeigen ihre Absicht, auf diese Weise politische Aufmerksamkeit zu erreichen sowie politischen Einfluss auszuüben. Die Anzahl klandestiner Aktionen ist gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen und bewegt sich damit weiterhin auf hohem Niveau. Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 100 85 78 80 66 60 40 20 0 2018 2019 2020 Klandestine Aktionen richteten sich vorrangig gegen den "Repressionsapparat", gegen den politischen Gegner sowie gegen Firmen, die mit der Sanierung von Wohnhäusern oder dem Bau von Behördengebäuden, wie Polizeirevieren oder Justizvollzugsanstalten, beauftragt sind. Umfasst sind dabei auch tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Ziele sind 252 Klandestine Aktionen: Im Schutz der Anonymität und unter Wahrung eines hohen Konspirationsgrades führen Kleingruppen Aktionen zum Schaden des politischen Gegners bzw. gegen Einrichtungen des "Repressionsapparates" durch. Seite 152 von 267 aber auch Vertreter und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates, wie Polizei, Gerichte, Justizvollzug sowie Einrichtungen politischer Parteien. Sie verkörpern für AUTONOME das staatliche Gewaltmonopol und gelten als Vertreter des ihnen verhassten Staates. Feindbilder werden dabei insgesamt sehr weit gefasst, was die breite Fächerung der Anschlagsziele zeigt. Schwerpunkt der klandestinen Aktionen war auch im Berichtsjahr eindeutig die Stadt Leipzig: 60 52 51 50 41 40 2018 30 2019 22 2020 20 14 13 12 12 12 10 0 Leipzig Dresden andere Regionen 4.4 AUTONOME Struktur und politische Zielsetzung Die AUTONOME SZENE ist eine äußerst heterogene Strömung innerhalb des Linksextremismus, der es an einer Organisation mit klaren Strukturen sowie einer einheitlichen ideologischen Basis fehlt. Zersplittert in unzählige Kleingruppen steht das Individuum und seine Selbstverwirklichung im Zentrum autonomer Politik. Weltanschaulich-politisch verfolgt diese Szene keine dogmatische Linie, sondern versteht sich als Fundamentalopposition und Basisbewegung. Ihrem Selbstverständnis entsprechend orientieren sich AUTONOME an anarchistischen Ideologiefragmenten und wenden sich von diesem Ansatz ausgehend gegen jegliche Form von Herrschaft, Organisation und Hierarchie. Demzufolge lehnen sie die Gewaltenteilung und einen Staat ab, in dem eine demokratisch legitimierte Mehrheit regiert und Minderheitenrechte geachtet werden. Angestrebt wird die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. AUTONOME bekämpfen auch die von ihnen als "kapitalistisch" bezeichnete Gesellschaftsordnung. Ihnen geht es dabei nicht um eine fundamentale Kapitalismuskritik, sondern vielmehr um eine revolutionäre Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung. Ihr Weltbild und ihre Weltanschauung sind in erster Linie von einer destruktiven Anti-Haltung (antistaatlich, antiautoritär) geprägt. Jenseits von Forderungen nach "Selbstbestimmung" und "herrschaftsfreien Verhältnissen" verbindet die AUTONOMEN ihre Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols und das Bekenntnis zu "revolutionärer Gewalt", die überwiegend in Form von Sachbeschädigungen und Brandanschlägen ausgeübt wird. Neben den "klassischen" AUTONOMEN etablierten sich sowohl bundesweit als auch in Sachsen sog. Postautonome. Diese präsentieren sich moderater und streben eine Zusammenarbeit in überregionalen Bündnissen an, denen sowohl andere linksextremistische Organisationen als auch Nichtextremisten angehören können. Bündnisse sollen eine kontinuierlichere politische Arbeit mit dem Ziel der Schaffung einer breiten Massenbasis sicherstellen. Postautonome Seite 153 von 267 Gruppen sprechen sich für die Beibehaltung militanter Konzepte aus, legen allerdings Wert auf deren Vermittelbarkeit außerhalb der eigenen Klientel. Rolle der Gewalt Für AUTONOME ist Gewaltausübung zur Durchsetzung politischer Ziele und als Symbolhandeln zentral. Gewaltbereitschaft ist ein identitätsstiftender und prägender Bestandteil der AUTONOMEN SZENE. Straftaten werden in Strategiepapieren und Diskussionen gerechtfertigt. Durch ihre Gewaltgeneigtheit unterscheiden sich die AUTONOMEN von anderen Linksextremisten. AUTONOME sehen sich zum einen als Opfer von Gewalt sowohl von staatlicher Seite als auch von Seiten des politischen Gegners. Insofern halten sie ihre eigene Gewaltausübung für legitim. Zum anderen gibt es aus ihrer Sicht bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt generell rechtfertigen. Prägend für die AUTONOME SZENE sind unterschiedliche Auffassungen über die Bestimmung der Ziele und die Angemessenheit der gewaltsamen Mittel, die in wiederkehrenden "Militanzdebatten" sichtbar werden. AUTONOME SZENEN im Freistaat Sachsen Die AUTONOME SZENE dominiert den Linksextremismus im Freistaat Sachsen deutlich. Ihr gehörten im Berichtsjahr ca. 465 Personen an. Dies entspricht einem Anteil von ca. 58 Prozent an allen linksextremistischen Bestrebungen in Sachsen. Dieser deutliche Anstieg resultiert aus einem Zuwachs des Personenpotenzials in der Stadt Leipzig. In den anderen Regionen blieb das jeweilige Personenpotenzial konstant. Entwicklung der Anzahl AUTONOMER im Freistaat Sachsen 600 465 425 415 425 415 400 200 0 2016 2017 2018 2019 2020 Deutlicher regionaler Schwerpunkt der sächsischen AUTONOMEN SZENE bleibt die Stadt Leipzig.253 Mit mittlerweile rund 300 Personen gehörten knapp zwei Drittel der sächsischen AUTONOMEN der Leipziger Szene an, sodass sich dort auch das stärkste gewaltbereite Potenzial konzentrierte. Die Dresdner Szene254 ist als zweiter Schwerpunkt wesentlich kleiner. Wie bereits in den beiden Vorjahren war hier kein personeller Zuwachs zu verzeichnen. 253 vgl. Beitrag II.4.4.1 AUTONOME in Leipzig 254 vgl. Beitrag II.4.4.2 AUTONOME in Dresden Seite 154 von 267 Die AUTONOME SZENE in Chemnitz255 ist nochmals kleiner und weniger strukturiert, aber anlassbezogen aktiv. Kleinere autonome Gruppen und Einzelpersonen waren u. a. im Landkreis Zwickau aktiv. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN im Freistaat Sachsen 250 200 150 139 106 112 100 87 90 50 0 2016 2017 2018 2019 2020 Grundlegende Entwicklungstendenzen der AUTONOMEN SZENE im Freistaat Sachsen Ähnlich wie im Vorjahr war das Berichtsjahr durch ein insgesamt hohes Aktionsniveau und eine hohe Aktionsintensität der AUTONOMEN SZENE gekennzeichnet. Nach gewalttätig verlaufenen Auseinandersetzungen in der Silvesternacht 2019/2020 sowie anlässlich einer Demonstration gegen das Verbot der Internetplattform "linksunten.indymedia" in Leipzig am 255 vgl. Beitrag II.4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden Seite 155 von 267 25. Januar hatten die Beschränkungen des öffentlichen Lebens während der ersten Welle der Corona-Pandemie einen temporären Rückgang öffentlicher Aktionen in ganz Sachsen zur Folge. Mehrheitlich wurden Abstandsregelungen und Kontaktbeschränkungen auch durch Angehörige der AUTONOMEN SZENE befolgt. Bereits seit Ende April 2020 ließ sich jedoch beobachten, dass insbesondere der Kampf um selbstbestimmte Freiräume sowie gegen den "staatlichen Repressionsapparat" verstärkt zu öffentlichkeitswirksamen und teils gewalttätigen Aktivitäten von AUTONOMEN führte. So attackierten Tätergruppierungen im Bereich der Baustelle Bornaische Straße in Leipzig mehrfach Polizisten mit Steinen und Pyrotechnik. Sie errichteten Barrikaden aus Baustellenabsperrungen und zündeten diese an, um damit vermeintlich Sanierungsmaßnahmen der Stadt sowie staatliche Repressionsmaßnahmen anzugreifen. Hinzu kamen ganzjährig Aktivitäten von Hausbesetzern in Dresden und Leipzig. In Leipzig setzten die dreitägigen Ausschreitungen nach dem Ende der Besetzung des Objektes Ludwigstraße 71 ("Luwi71") ein bundesweites Signal der Stärke für die AUTONOME SZENE. Überregional wurde durch Nutzer in den sozialen Medien, die Bezüge zur AUTONOMEN SZENE aufweisen, positiv kommentiert, dass es in Leipzig offenbar möglich sei, Momente des unkontrollierbaren Chaos durch militantes Agieren vieler Kleingruppen zu stiften. Zu betonen ist, dass dabei nicht das Niveau der Gewaltausübung oder die angewandten Aktionsformen außergewöhnlich bzw. bis dato unbekannt waren. Es muss vielmehr als Achtungszeichen dieser Nutzer der Sozialen Medien verstanden werden, dass es der AUTONOMEN SZENE gelungen ist, über drei Tage hinweg ein dreistelliges, überwiegend aus lokalen Kräften bestehendes Personenpotenzial für Ausschreitungen zu mobilisieren. Aufgrund ihrer engen Vernetzung beteiligten sich sächsische AUTONOME darüber hinaus mehrfach an unfriedlich verlaufenen Protesten gegen die Durchsuchung oder Räumung von Szeneobjekten in Berlin. Polizeimaßnahmen gegen linksextremistische Objekte oder Gruppierungen in Berlin führten zudem regelmäßig zu Solidaritätsbekundungen in Leipzig und Dresden. Erneut zeichneten anarchistisch geprägte AUTONOME für diese Entwicklung verantwortlich. Die Loslösung einzelner Personen von etablierten Strukturen der AUTONOMEN SZENE birgt weiter die Gefahr, dass sich diese an keinerlei Absprachen mehr gebunden fühlen und kaum noch für Überlegungen, wie z. B. zur Vermittelbarkeit von Positionen oder der Zielgerichtetheit von militanten Aktionen, zu erreichen sind. Als besorgniserregend muss in diesem Zusammenhang die zunehmende Enthemmtheit von Angriffen gegen Polizeibeamte gewertet werden, die sich im gesamten Berichtsjahr zeigte. Die permanente Attacke gegen "Bullenschweine" wurde in Positionspapieren mit anarchistischen Ideologiefragmenten gerechtfertigt, und entsprechende Aktionen wurden in den sozialen Netzwerken vielfach kommuniziert. Videos und Bilder von Brandanschlägen sowie von Angriffen auf Polizisten unter anderem in Chile, Griechenland oder Frankreich wurden von AUTONOMEN in Sachsen rezipiert. Das zugrundeliegende Konzept des "aufständischen Anarchismus" mit seinen Leitideen der permanenten Attacke als revolutionäre Praxis und der kompromisslosen Verweigerung von Kooperationen oder Bündnissen traf jedoch innerhalb der AUTONOMEN SZENE nicht auf ungeteilte Zustimmung. Bestehende Konflikte zwischen postautonomen und AUTONOMEN Gruppen, zwischen älteren und jüngeren Szeneangehörigen sowie zwischen eher anarchistisch und eher antifaschistisch ausgerichteten AUTONOMEN haben sich damit in Leipzig weiter verfestigt. Gewalthandeln zeigte sich im Berichtsjahr darüber hinaus auch bei Personen, die dem Bereich der autonomen Antifa zuzurechnen sind. Mehrfach waren 2020 gezielte Angriffe teils mit Schlagwaffen gegen einzelne Personen zu beobachten, bei denen die Gefahr bleibender physischer und psychischer Schäden zumindest billigend in Kauf genommen wurde. So kam es bei Protesten gegen sog. Corona-Leugner am 21. November in Leipzig durch eine Tätergruppierung zu einem mutmaßlich linksextremistisch motivierten Angriff auf zwei Veranstaltungsteilnehmer der "Querdenken"-Versammlung, der als versuchtes Tötungsdelikt eingestuft wurde. Militante Übergriffe gegen tatsächliche oder vermeintliche Seite 156 von 267 Rechtsextremisten konnten 2020 nicht nur in Leipzig, sondern darüber hinaus auch in Dresden und in Chemnitz beobachtet werden. Insgesamt scheinen im Berichtsjahr jene Kräfte innerhalb der AUTONOMEN SZENE gestärkt worden zu sein, die der Überzeugung sind, der "strukturellen Gewalt" von Staat und Kapital mit Gegengewalt begegnen zu müssen. Nur mittels Gewalt hätten aus Sicht dieser Szeneangehörigen die Themen Mietsteigerungen und Luxussanierungen auf die politische Agenda der Stadt Leipzig gebracht werden können. Der Staat sei demnach auch nicht in der Lage oder willens, rechtsextremistischer Gewalt, wie z. B. im Rahmen der "Querdenker"Demonstrationen wirksam zu begegnen. Die "Faschisierung" der Gesellschaft nehme "extreme Ausmaße" an, was sich unter anderem an "faschistischen Vernetzungen" innerhalb der Sicherheitsbehörden des Staates zeige. So habe der Staat mit zahlreichen polizeilichen Ermittlungsverfahren, Durchsuchungsmaßnahmen und Festnahmen stärker als bislang die "radikale Linke" bekämpft, hingegen im Bereich des gewalttätigen Rechtsextremismus nahezu keine Aktivitäten entfaltet. Diese sich "zuspitzende Repression" rechtfertige Militanz und "antifaschistischen Selbstschutz". Dementsprechend war daher der Aufruf anonymer Autoren für die autonome Kiezdemonstration am 13. Dezember zu verstehen: "Das heißt wir müssen auch weiterhin Alternativen zum kapitalistischen System ausarbeiten, kämpfende Kollektive aufbauen und autonome Strukturen ausweiten. Wir müssen den FaschistInnen den Nährboden entziehen, dem Staat seinen untergraben." 4.4.1 AUTONOME in Leipzig Personenpotenzial Leipzig ist nach wie vor die absolute Schwerpunktregion der sächsischen AUTONOMEN SZENE und auch der Brennpunkt linksextremistischer Gewalt. Im bundesweiten Vergleich ist Leipzig - mit quantitativem und qualitativem Abstand - nach Berlin und Hamburg zugleich ein Schwerpunkt der autonomen Szene in Deutschland. Strukturen der Leipziger autonomen Szene In der AUTONOMEN SZENE Leipzig hat sich neben dem in autonome Kleingruppen zersplitterten Personenpotenzial mit PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) eine linksextremistische Gruppe etabliert, die in einem bundesweiten Zusammenschluss organisiert ist. Die im Jahr 2011 gegründete Gruppe THE FUTURE IS UNWRITTEN (TFIU) zeigte im Jahr 2020 kaum noch Aktivitäten und löste sich Anfang 2021 auf. Als Gründe für ihre Auflösung gab sie eine hohe Fluktuation sowie die erschwerten Arbeitsund Organisationsbedingungen unter der Corona-Pandemie an. Nach dem eigenen Selbstverständnis lehnen AUTONOME jegliche Form einer dauerhaften Organisation ab. Ganz ohne Strukturen kommt aber auch die AUTONOME SZENE LEIPZIG nicht aus. Gerade bei Aktionen gegen den politischen Gegner, gegen Angehörige des "Repressionsapparates" oder Wirtschaftsunternehmen ist ein Mindestmaß an Koordinierung erforderlich. Daher entwickelten AUTONOME das sog. "dezentrale Konzept". Dessen Ziel ist es, Veranstaltungen des politischen Gegners in Kleingruppen anzugreifen bzw. deren Teilnehmer an der Anoder Abreise zu hindern. Das abgeschottete und kampfsporterprobte Milieu der Kleingruppen wird zudem bei klandestinen Aktionen aktiv. In einer Kleingruppe finden sich in der Regel etwa fünf bis zehn miteinander vertraute Personen zusammen, um gemeinsam Aktionen gegen den politischen Gegner zu planen und durchzuführen. Seite 157 von 267 PRISMA-INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) Die Gruppe PRISMA gehört der INTERVENTIONISTISCHEN LINKEN256 (IL) an. Die IL wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppen und Aktivisten gegründet. Mittlerweile gehören ihr mehr als 30 Ortsgruppen mit etwa 1.000 Mitgliedern an. Sie agiert kampagnenorientiert, um möglichst viele Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung zu mobilisieren. Dabei fungiert sie als Scharnier zwischen nicht gewaltorientierten und militanten Linksextremisten bzw. nicht-extremistischen Gruppen. Die Einstellung zur Gewalt ist bei der IL allein strategisch geprägt. Gewalt wird nicht grundsätzlich abgelehnt. Ihre Ziele formuliert die Gruppe PRISMA wie folgt: "(...) Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und dem globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates (...) orientiert. Kurz: Wir wollen eine neue, radikale gesellschaftliche Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert". Darüber hinaus stellt die Gruppe den demokratischen Rechtsstaat und das staatliche Gewaltmonopol in Frage. In einer Nachbetrachtung zu den Ausschreitungen in LeipzigConnewitz am 11. Januar 2016 hieß es: "Auf das Treiben der Staatsapparate ist kein Verlass. Gegen den rechten Straßenterror hilft nur ein gesellschaftlicher Antifaschismus - Von der Kerze über die Sitzblockade bis zum militanten Selbstschutz." Diese Aktionsformen - u. a. militanter Selbstschutz - sind auch auf einem Transparent der Gruppe aufgeführt, das sie seit Jahren im Rahmen ihrer Antifa-Arbeit verwendet. Damit macht sie deutlich, dass militantes Handeln vor dem Hintergrund möglicher Angriffe des politischen Gegners für sie ein legitimes Aktionsmittel ist. Auf ihrer Facebook-Seite führte sie zudem aus, dass der politische Gegner, hier die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), "auf allen Ebenen!" bekämpft werden solle. Ihre Strategie besteht darin, bei gesellschaftspolitischen Auseinandersetzungen zu intervenieren und Bündnisse mit dem nicht extremistischen Spektrum einzugehen. Um anschlussfähig zu sein, verzichtet sie im Gegensatz zu "klassischen" AUTONOMEN weitgehend auf eine offensive Rhetorik und einen militanten Habitus: "Wir aktivieren Menschen nicht für antifaschistische und linke Politik durch die Formulierung radikalstmöglicher Kritik, sondern über praktische Erfahrungen von Selbstorganisierung, Wirkmächtigkeit und Widerstand." Der Kampf gegen vermeintliche staatliche Repression hat für PRISMA einen hohen Stellenwert. So warb die Gruppe im Kontext ihrer politischen Aktivitäten für einen Beitritt in den ROTE HILFE E.V.257 und solidarisierte sich mit Lina E., die wegen des Verdachts der Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung inhaftiert wurde. Zudem thematisiert sie vermeintliche Missstände bei der Polizei, um diese grundsätzlich zu delegimitieren und einer Forderung nach deren Abschaffung Gewicht zu verleihen. Im Jahr 2020 protestierte die Gruppe gegen sog. "Querdenker"-Veranstaltungen in Leipzig (vgl. auch phänomenübergreifender Beitrag zu Corona). Als Alternative zu einem als unrealistisch angesehenen revolutionären Umsturz liegt der Schwerpunkt der politischen Arbeit von PRISMA darin, mit der Politik der "kleinen Schritte" in gesellschaftlichen Prozessen präsent zu sein und durch den Aufbau einer Gegenmacht 256 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, 2019, S. 151. 257 vgl. Beitrag II.4.8 ROTE HILFE e. V. Seite 158 von 267 Veränderungen herbeizuführen, die letztlich auf die Überwindung dieser Gesellschaftsordnung abzielen. AUTONOME SZENE in Leipzig Im Jahr 2020 wurde die Entwicklung in Leipzig durch folgende Faktoren geprägt: Kampf um selbstverwaltete Freiräume Aktivitäten zum Thema Repression als Reaktion auf staatliche Maßnahmen Proteste gegen die sog. "Querdenker" Öffentliche Aktionen Das öffentliche Aktionsniveau der Leipziger AUTONOMEN ist im Berichtsjahr trotz der Einschränkungen des öffentlichen Lebens deutlich angestiegen. Damit setzte sich der Trend der Vorjahre weiter fort. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN in Leipzig 80 60 60 47 40 40 40 30 20 0 2016 2017 2018 2019 2020 Die Themenfelder "Antirepression" und "Antigentrifizierung" waren für die linksextremistische Szene im Berichtsjahr von herausragender Bedeutung. Insbesondere Proteste gegen vermeintliche staatliche Repression zogen sich wie ein roter Faden durch das ganze Jahr. Reaktionen von Linksextremisten im Zusammenhang mit dem Verbotsverfahren von "linksunten.indymedia" Am 25. August 2017 sprach der Bundesminister des Innern ein vereinsrechtliches Verbot gegen die Betreiber der Internetplattform "linksunten.indymedia.org" aus. Die Website "linksunten.indymedia" galt bis dahin als die bedeutendste von Linksextremisten genutzte Internet-Plattform in Deutschland. Am 29. Januar wies das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig letztinstanzlich die Klage gegen die Verbotsverfügung ab. Aufgrund der herausgehobenen Bedeutung der Plattform wurde für den 25. Januar - den sog. "Tag (((i)))" - bundesweit zu Aktionen gegen das Verbot aufgerufen. Dazu zählte auch eine Demonstration vor dem Sitz des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig. In Leipzig beteiligten sich am 25. Januar etwa 1.600 Personen, darunter überwiegend Linksextremisten, an der Demonstration "Wir sind alle linksunten: Pressefreiheit verteidigen, den autoritären Staat angreifen!". Im Verlauf der Veranstaltung wurden u. a. Journalisten, die Seite 159 von 267 über die Demonstration berichteten, bedroht und angegriffen. Ebenso wurden Polizisten mit Steinwürfen und Pyrotechnik attackiert. Der unfriedliche Verlauf war aufgrund aggressiver Formulierungen im Demonstrationsaufruf zu erwarten gewesen. Darin hieß es: "Für den Krawall, für einen militanten Widerstand. Am Tag (((i))) den Staat angreifen, Leipzig wird brennen." Zwei weitere Versammlungen standen unter dem Motto "Gemeinsam gegen das Verbot der Plattform 'linksunten.indymedia.org'" und fanden am 29. Januar ebenfalls vor dem Bundesverwaltungsgericht statt. Die Ausschreitungen führten innerhalb der linksextremistischen Szene zu einer kontrovers geführten Debatte zum Thema Gewalt. Hervorzuheben ist hier der auf der Internetplattform "de.indymedia.org" veröffentlichte Beitrag "Einige Überlegungen zum 25. Januar in Leipzig". Bemerkenswert ist dabei die Begründung der Angriffe auf Vertreter der Presse bei einer Demonstration für die Pressefreiheit. Da bekannt gewesen sei, dass die Demonstration einen militanten Verlauf nehmen würde, sei es laut den Autoren legitim gewesen, Journalisten an ihrer Arbeit zu hindern. Auch hätten diese im Zusammenhang mit den Ermittlungen zum G-20Gipfel "Fotos und Videos für die Bullen zur Verfügung" gestellt. Außerdem könnten Presseveröffentlichungen Konsequenzen für jeden Einzelnen haben. Zum einen könne ein "Chef" personelle Konsequenzen ziehen, zum anderen müsse man sich auch "vor der Gefahr durch Nazi-Angriffe auf Linke schützen". Bei der "Bedrohung" sei es "um Selbstschutz, nicht um Einschränkung der Pressefreiheit" gegangen. Zum "linken Aktivismus" stellen die Autoren fest, dass das "Erreichen der Menschen und der militante Kampf gegen den Staat" gleichzeitig stattfinden müssen. Dabei sei "Die Vermittelbarkeit militanter Aktionen (...) eine wichtige Sache, aber nicht die erste Priorität." Man müsse sich nicht um die öffentliche Meinung kümmern, vielmehr sei es notwendig "Menschen vor Ort zu organisieren und unsere Praxis durchzusetzen". Reaktionen auf die Räumung besetzter Häuser in Leipzig Im Rahmen der Freiraum-Kampagne "Leipzig Besetzen" wurde am 21. August das Wohnhaus Ludwigstraße 71 in Leipzig besetzt. Am 2. September wurde das Haus von der Polizei geräumt. Für den einer möglichen Räumung folgenden Tag hatte die Kampagne eine Demonstration angekündigt diese am 3. September unter dem Motto "Tag X+1 Demo: Rache für die Luwi 71!" schließlich organisiert. In den Abendstunden des 3. September trafen sich die Demonstranten im Stadtpark "Rabet" und starteten zu einem unangemeldeten Aufzug stadtauswärts. Von den etwa 500 dunkel gekleideten Teilnehmern gehörten etwa 300 bis 350 der autonomen Szene an. Die Demonstranten zeigten ein Fronttransparent mit der Aufschrift "LuWi 71 bleibt" und skandierten Parolen wie "Jetzt geht es los gegen die Polizei und gegen Räumung", "ACAB" und "Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung, für mehr Staatszerlegung". Einzelgruppen griffen massiv Polizisten mit Steinen, Flaschen und Pyrotechnik an. Dabei wurde auch versucht, Polizisten gezielt in Hinterhalte zu locken und dort zu attackieren. Indem man den eingesetzten Polizeihubschrauber blendete, wurde die Gefährdung von Menschenleben billigend in Kauf genommen. Zu der Demonstration hatten u. a. die linksextremistische Gruppe PRISMA-INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) und die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA Sachsen)258 mobilisiert. 258 NIKA Sachsen ist Teil der bundesweiten Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA), die Teil des linksextremistischen "...UMSGANZE! - KOMMUNISTISCHES BÜNDNIS" ist. "...UMSGANZE! - KOMMUNISTISCHES BÜNDNIS" siehe Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2019, S. 153 f. Seite 160 von 267 Nach der Demonstration kam es zu einer Resonanzstraftat, als unbekannte Täter ein Immobilienbüro beschädigten. Im Tatbekenntnis solidarisierte man sich mit den Besetzern des Objektes Ludwigstraße 71 und den Demonstranten: "Wenn ihr unsere Aktionen nicht durchführen lasst, dann knallt es woanders." Der kurze Beitrag endete mit der Drohung: "Nehmt ihr uns die Häuser ab, machen wir die City platt!". Als Ausdruck der Solidarität mit den Besetzern der "Luwi71" kam es zu einer weiteren Resonanzaktion in Form einer weiteren Hausbesetzung am 4. September. Auf ihrem TwitterAccount verbreiteten die Akteure zunächst die Nachricht über die erfolgte Besetzung. Sie formulierten: "Nach der Räumung der #luwi71 wird nun von der #b34 gerufen: 'Die Häuser denen, die drin wohnen!'" und forderten "Fahrt nach Leipzig wenn ihr könnt. Leistet Support, Infos #le0409 und. @b34 le. Jede Räumung hat ihren Preis!". Im Umfeld des daraufhin eingeleiteten Polizeieinsatzes versammelten sich zunächst etwa 150 Personen. Im weiteren Verlauf wurde als Zeichen der Solidarität mit den Besetzern zu einer Spontanversammlung am Abend aufgerufen. Der unangemeldete Aufzug, an dem sich 200 bis 300 Vermummte beteiligten, war von Beginn an unfriedlich. Es wurden Flaschen, Steine und Pyrotechnik auf Polizisten und deren Einsatzfahrzeuge geworfen, Barrikaden errichtet und z. T. auch in Brand gesetzt. Außerdem wurden aus dem Aufzug heraus Farbbeutel und Steine auf die Polizeidienststelle in der Wiedebachstraße geworfen und private Fahrzeuge beschädigt. Mit zeitlichem Abstand kam es zu folgenden, auch überregionalen Solidaritätsaktionen mit den Hausbesetzern und Demonstranten: Am 13. September wurden an einem Gebäude in Leipzig Transparente mit den Aufschriften "ACAT - All Cops are targets - Rache für die geprügelten der Luwi 71" und "Selbst Bestimmung, Organisierung, Verwaltung. Kollektive Gegenmacht ausbauen, der Kampf um Befreiung bleibt International feministisch revolutionär" 259 angebracht. In Bremen setzten am 19. September unbekannte Täter ein Fahrzeug von "Hansestadt Bremen Immobilien" in Brand. In einem Tatbekenntnis wird Solidarität mit den Hausbesetzern in Leipzig bekundet und auf die Gentrifizierung in Bremen hingewiesen. Im Leipziger Stadtteil Connewitz zerschlugen am 27. September unbekannte Täter Scheiben des Immobilienbüros "Immobilienladen" und beschmierten die Fassade. Im Tatbekenntnis solidarisierten sich die Autoren auch mit der "Luwi 71" in Leipzig. Unter der Überschrift "Gewalt ist Teil des Problems - und das Problem hat System" veröffentlichte die Kampagne "Leipzig Besetzen" ein Statement zu den Ereignissen der vorangegangenen Tage. Darin wird ausgeführt, dass man als "direkte Aktion" das Haus in der Ludwigstraße 71 friedlich besetzt, Nutzungskonzepte vorgelegt und Verhandlungsbereitschaft signalisiert habe. Der Eigentümer hingegen sei letztlich an Verhandlungen nicht interessiert gewesen. Unter Ausblendung der Tatsache, dass die Besetzung eines Gebäudes eine Straftat darstellt und mit der erfolgten Räumung lediglich das Verfügungsrecht des Besitzers durchgesetzt wurde, wird die Polizei für die Gewalteskalation verantwortlich gemacht: "Die letztendliche Reaktion darauf war der Überfall 60 Vollvermummter mit Kettensäge und Maschinenpistolen. (...) Unter der Annahme, dass Gewalt immer zu Gegengewalt führt, muss sich gefragt werden, welche Gewalt zuerst da war. Der Pflasterstein war es nicht." Im Zusammenhang mit den Festnahmen verweist die Kampagne zudem auf die Sprechstunde des linksextremistischen ROTE HILFE E.V. und schließt ihren Tweet mit dem für Linksextremisten typischen Slogan "Feuer & Flamme der Repression!" 259 Schreibweise wie im Original Seite 161 von 267 Linksextremisten beteiligten sich an Veranstaltungsreihe "Soziale Kampfbaustelle" In zeitlicher Nähe zu den Besetzungen beteiligten sich Linksextremisten vom 4. bis 6. September in Leipzig-Connewitz an einer Veranstaltungsreihe unter dem Motto "Soziale Kampfbaustelle". Das Programm umfasste verschiedene Vortragsund Diskussionsveranstaltungen zu Themen wie Antigentrifizierung, Antifaschismus und Antirepression und diente der Vernetzung lokaler und überregionaler Akteure. Mobilisiert wurde hierfür u. a. durch die linksextremistische Gruppe PRISMA-INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) und die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA Sachsen). An der abschließenden Demonstration unter dem Motto "Kämpfe verbinden - Für eine Solidarische Nachbar*innenschaft" am 5. September beteiligten sich zeitweise bis zu 500 zum Teil vermummte Personen, darunter mehrheitlich Linksextremisten. Der Aufzug verlief von Beginn an unfriedlich. Es wurden Steine und Pyrotechnik auf Polizisten und Gebäude geworfen. Im Laufe der Nacht wurden weitere Straftaten verübt, darunter mehrere Sachbeschädigungen und eine Brandstiftung an einem Funkstreifenwagen. In einem Tatbekenntnis heißt es hierzu: "Bullen standen schon immer zwischen leeren Wohnungen und denen, die sie brauchen und sind somit äußerst legitimes Ziel von Angriffen!". In einem Rückblick zogen die Organisatoren nicht nur eine positive Bilanz des Veranstaltungswochenendes, sondern auch der vorgenommenen Hausbesetzungen: "Wir waren sehr erfreut über diese zwei Besetzungen kurz nacheinander - zum einen weil wir sie politisch befürworten und für notwendig halten, zum anderen weil wir durch unsere Veranstaltungen inhaltlich anknüpfen konnten." Kritisch betrachtet wurde hingegen die öffentliche Berichterstattung, die lediglich "Krawall" und "randalierende Chaoten", nicht aber die "politischen Motivationen und Inhalte" thematisiert habe. In einem Rückblick verharmlosten Linksextremisten die gewalttätigen Ausschreitungen vom 3. bis 5. September als "entschlossene Kämpfe" und begründeten ihre Aktionen mit der "zunehmenden Verdrängung", "Aufwertung" und "unerträglichen Bullenbelagerung in unserem Viertel". In Bezug auf die "Verdrängung" hieß es: "Zunächst halten wir es für eine sinnvolle, notwendige und legitime Form symbolischen Protests, Neubauten mit Farbe, Steinen, Feuer oder was auch immer anzugreifen. Hierdurch kann die berechtigte Wut über Verdrängungsprozesse zum Ausdruck gebracht werden." Demonstration gegen die Asylpolitik der Europäischen Union und die Menschenrechtssituation in China Vom 13. bis 15. September sollte in Leipzig ursprünglich der sog. EU-China-Gipfel stattfinden. Anlässlich des Gipfels wurden zahlreiche Protestveranstaltungen angekündigt, an denen sich zum Teil auch Linksextremisten beteiligen wollten. Mit der Absage des Gipfels mussten sich auch die Organisatoren der Gegenveranstaltungen neu orientieren. Im Rahmen von EUChina-kritischen Aktionstagen unter dem Motto "No summit but solidarity" organisierte NIKA Sachsen für den 12. September eine Demonstration unter dem Motto "Storm the Fortress, Break All Borders: Gegen die Festung Europa und das autoritäre Regime Chinas". Für die Demonstration wurde frühzeitig und intensiv mittels Aufrufen und Mobilisierungsvideos in Sozialen Medien sowie durch Plakatierungen in Leipzig geworben. Mit der ursprünglichen Ausrichtung sollte ein breiter Teilnehmerkreis von Postautonomen bis zur autonomen Antifa angesprochen werden. Wegen der vorangegangenen Ausschreitungen vom 3. bis 5. September in Leipzig sahen sich die Organisatoren jedoch unter Druck. Ihr Ziel war die Verbreitung inhaltlicher Botschaften und nicht deren Überlagerung durch mögliche gewalttätige Auseinandersetzungen. NIKA Sachsen Seite 162 von 267 kündigte daher auf ihrem Twitter-Account an, dass es ihrerseits keine Eskalation auf der Demonstration am 12. September geben werde. Wie angekündigt verlief die Demonstration weitgehend friedlich mit in der Spitze bis zu 630 Personen, von denen etwa die Hälfte der AUTONOMEN SZENE angehörte. Die Teilnehmer führten Transparente mit szenetypischen Losungen mit, skandierten lautstark gegen die Polizei gerichtete Parolen, zündeten Pyrotechnik und hielten mehrere Redebeiträge. In einer Pressemitteilung zog NIKA Sachsen ein positives Fazit, auch wenn man sich bewusst sei, dass das "Sterben im Mittelmeer und die menschenunwürdigen Camps an der Außengrenze der Festung Europa" nicht beendet seien und sich auch die Politik der Volksrepublik China ebenfalls nicht ändern werde. Neben der Kritik an der europäischen Asylpolitik zielten die Organisatoren mit dem Chinakritischen Motto auf ein Thema ab, das in der AUTONOMEN SZENE sonst eher selten Beachtung findet. So sollte den Protesten in Hongkong gegen das autoritäre Regime in China eine breitere Öffentlichkeit verschafft werden. Reaktionen auf die Festnahme einer Linksextremistin Am 5. November wurden in Leipzig Durchsuchungsmaßnahmen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB) durchgeführt. Bei drei Personen kam es zu Durchsuchungen der Wohnräume. Eine weibliche Person, Lina E., wurde festgenommen. Gegen sie besteht der dringende Tatverdacht der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung und des besonders schweren Landfriedensbruchs. Die Vereinigung wird verdächtigt, Angriffe gegen Personen durchgeführt zu haben, die der "rechten Szene" angehören. Dabei soll Lina E. eine herausgehobene Stellung innerhalb der Vereinigung eingenommen haben. Die autonome Szene reagierte mit verschiedenen Solidaritätsaktionen: Bereits während einer der Wohnungsdurchsuchungen wurden ein Polizist sowie ein Dienstfahrzeug mit Steinen beworfen. In einem Selbstbezichtigungsschreiben heißt es dazu: "Sie können nicht unbemerkt im Viertel in unsere Häuser eindringen und seelenruhig ihre Arbeit machen. Jeder ihrer Angriffe wird eine Antwort finden. Das sollte ihnen bewusst sein." Unmittelbar nach den Maßnahmen wurden im Internet und in sozialen Medien zahlreiche Solidaritätsbekundungen veröffentlicht, darunter ein Graffiti "Freiheit für LINA!" sowie Solidaritätsbeiträge u. a. von Berliner, Hamburger und Rostocker Szeneangehörigen. Für die Betroffene wurde ein Spendenkonto eingerichtet. Kontoinhaber ist der linksextremistische ROTE HILFE E.V. Am Abend des 6. November beteiligten sich etwa 200 Personen an einer unfriedlichen Solidaritätsdemonstration. Sie folgten einem Aufruf, in welchem es hieß "Unabhängig davon, ob die Vorwürfe der Klassenjustiz stimmen oder nicht: Physische Gewalt gegen Nazis ist notwendiger Teil antifaschistischer Politik". Damit werden gewalttätige Aktionen gegen den politischen Gegner legitimiert. Der Beitrag wurde auch von der linksextremistischen Gruppe PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) geteilt. Am 15. November wurde ein Fahrzeug u. a. mit den Schriftzügen "Free Lina" und "ACAB" besprüht. Am 19. November wurde ein Minibagger der Firma "Hentschke Bau GmbH" in Brand gesetzt. Das Fahrzeug brannte vollständig aus. Im Tatbekenntnis beziehen sich die anonymen Autoren mit "Nazis klatschen ist kein Verbrechen" auf den Tatvorwurf gegenüber Lina E. Dabei wurden bewusst Geräte der Fa. Hentschke Bau gewählt, da sie am Bau von Justizvollzugsanstalten beteiligt ist. Im Bekennerschreiben wurde Seite 163 von 267 gedroht: "Lasst Lina wieder frei - sonst brennt beim nächsten mal nicht nur eine Baustelle.".260 Unter dem Motto "Freiheit für Lina" folgten am 26. November etwa 80 Personen in Leipzig einem Internetaufruf zu einer weiteren Spontandemonstration für die Inhaftierte Lina E. Es wurde Pyrotechnik gezündet und vereinzelt in Richtung der Polizeibeamten geworfen. Die Reaktionen zeigen die Gewaltbereitschaft von Personen dieses Szenespektrums. Auch wurde die gegenseitige Unterstützung und Vernetzung innerhalb der Szene durch das schnelle Teilen der Durchsuchungsmaßnahme über Soziale Medien deutlich. Protestaktionen im Zusammenhang mit Exekutivmaßnahmen außerhalb von Sachsen Dass die Leipziger autonome Szene ein beachtliches Teilnehmerpotenzial für Solidaritätsaktionen mit Gesinnungsgenossen auch außerhalb Sachsens zu mobilisieren vermag, zeigte sich an Ereignissen in Berlin und in Athen. Dabei wird deutlich, dass polizeiliche Exekutivmaßnahmen, wie Hausdurchsuchungen, für die Szene einen hohen Stellenwert haben und diese zu kurzfristigen Aktionen veranlassen, auch ohne unmittelbare regionale Betroffenheit. Es unterstreicht zugleich die enorme Bedeutung des Themenfeldes Antirepression für die gesamte linksextremistische Szene. In diesem Zusammenhang kam es in Leipzig zu folgende Aktivitäten: Am 9. Juli wurden im Berliner Szeneobjekt "Rigaer94" richterliche Durchsuchungsbeschlüsse umgesetzt. In diesem Zusammenhang fanden in Leipzig zwei unangekündigte Solidaritätsdemonstrationen statt: Am Tag der Durchsuchungsmaßnahme fanden sich etwa 150 Personen, darunter auch AUTONOME, im Stadtteil Connewitz zu einer Solidaritätsdemonstration zusammen. Die Teilnehmer zeigten ein Fronttransparent mit der Aufschrift "A.C.A.B. - ALL COP'S ARE B." und skandierten u. a.: "deutsche Polizisten - Mörder und Faschisten". Außerdem zündeten sie Pyrotechnik. Eine weitere Solidaritätsdemonstration im Sachzusammenhang fand am 15. Juli statt. Etwa 150 schwarz gekleidete Personen, mehrheitlich AUTONOME, zeigten ein Banner mit der Aufschrift "Liebig 34 verteidigen / Kämpft für Liebig 34". Sie riefen u. a. "Ein Baum, ein Strick, ein Bullengenick" und zündeten Nebeltöpfe. Am 9. Oktober wurde in Berlin das Szeneobjekt "Liebig 34" geräumt. In Stellungnahmen des Personenzusammenschlusses der "Liebig 34" war in diesem Zusammenhang zu bundesweiten dezentralen Aktionen aufgerufen worden. In Leipzig kam es u. a. zu folgenden Resonanzaktionen: Am Abend des 9. Oktober beteiligten sich etwa 70 Personen, darunter auch AUTONOME, an einer unangemeldeten und unfriedlichen verlaufenen Demonstration im Leipziger Stadtteil Connewitz. Teilnehmer der Veranstaltung zündeten mehrfach Pyrotechnik und warfen diese in Richtung der Einsatzkräfte. Lautstark und kämpferisch wurden Parolen wie beispielsweise "Häuser denen die drin wohnen, Liebig 34 bleibt" gerufen. 260 Schreibweise wie im Original Seite 164 von 267 Einem Selbstbezichtigungsschreiben zufolge habe man in der Nacht des 14. Oktober an einem Vonovia-Büro "Farbe und Soligrüße für die Liebig 34" hinterlassen, da Vonovia zu den größten "Immobilienhai-Firmen" in Leipzig gehöre. Am 16. September führte die Polizei Hausdurchsuchungen in Berlin und Athen (Griechenland) wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB) durch. Innerhalb weniger Stunden reagierten AUTONOME in Leipzig. Noch am selben Tag versammelten sich etwa 120 vermummte Personen zu einer unangemeldeten Demonstration. Sie zeigten ein Fronttransparent mit der Aufschrift "Für den Aufbau einer solidarischen Nachbarschaft" und zündeten Pyrotechnik. Lautstark riefen die Demonstranten Parolen wie "Freiheit für alle politischen Gefangenen", "Ganz Leipzig hasst die Polizei" und "Bullen raus aus dem Viertel". Bereits wenige Minuten nach Beginn teilte sich der Aufzug. Etwa 60 Personen bewegten sich in der für AUTONOME typischen Form eines "schwarzen Blocks", bevor sie sich in Kleingruppen auflösten. Im Nachgang wurden zwei Brandstiftungen an Fahrzeugen des Ordnungsamtes und einer Sicherheitsfirma verübt. Antirepressionsdemonstrationen Das Aktionsfeld "Antirepression" war im gesamten Berichtsjahr eines der dominierenden Themen in der linksextremistischen Szene Leipzigs. Anlass für mehrere Versammlungen waren Maßnahmen der Polizei. Im Berichtsjahr fanden unter anderem folgende Demonstrationen im Sachzusammenhang "Antirepression" statt: Am 10. Juni führte die Soko LinX des LKA Sachsen wegen des Verdachts des besonders schweren Landfriedensbruchs, der gefährlichen Körperverletzung und der Sachbeschädigung Durchsuchungen in mehreren Wohnungen u. a. in LeipzigConnewitz durch. Als Reaktion darauf versammelten sich am Abend in der Spitze bis zu 550 Personen zu einer unangemeldeten Antirepressions-Demonstration. Während des Aufzugs riefen Teilnehmer gegen die Polizei gerichtete Parolen, zündeten Pyrotechnik und warfen Steine gegen Einsatzfahrzeuge der Polizei. Zur Demonstration war auf dem von Linksextremisten genutzten Internetportal "de.indymedia.org" sowie durch die linksextremistischen Gruppen PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) und UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) mobilisiert worden. Im Indymedia-Aufruf heißt es: "Solidarität zeigen - Feuer und Flamme der Repression! Jede Durchsuchung hat ihren Preis" und "unsere Reaktionen sollten eine Mischung aus von ihnen einkalkulierten und völlig unvorhersehbaren Aktionen sein". Am 17. Juni beteiligten sich AUTONOME an einer Demonstration unter dem Motto "Unsere Solidarität gegen eure Repression - Demonstration gegen Repression und Korruption durch Beamte der Polizei". Anlass waren nochmals die Durchsuchungsmaßnahmen in der Vorwoche und ein aktueller Korruptionsverdacht gegen Leipziger Polizisten. Teilnehmer riefen gegen die Polizei gerichtete Parolen, wie z. B. "Ganz Leipzig hasst die Polizei". Thematisiert wurde auch eine von der Szene erwartete Räumung eines Berliner Szeneobjektes. Auf einem Fronttransparent war eine brennende Mülltonne und die Aufschrift "Jede Räumung hat ihren Preis LIEBIG 34 STAYS!" abgebildet. Am 31. Oktober beteiligten sich etwa 350 Personen, darunter mehrheitlich AUTONOME, an der Demonstration "Solidarisch gegen ihre Repression". Die Demonstranten zeigten Plakate mit Aufschriften, wie "Wir scheißen auf den Staat" und "Gegen den staatlich Seite 165 von 267 verordneten Extremismus". Außerdem skandierten sie "Nazis und Bullen an die Wand!", "Nie wieder Deutschland" und "No Justice no peace fight the police!". Zu der Demonstration wurde mit mehreren Artikeln auf der von Linksextremisten genutzten Internetseite "de.indymedia.org" mobilisiert. Man wolle "Feindschaft gegen den Staat" demonstrieren und zeigen, dass man trotz Repression "für eine bessere Welt kämpfen und dabei keine anderen Maßstäbe anerkenne(n) als die eigenen". Am 13. Dezember, die Datumszahlen des Tages "13.12." stehen dabei für die polizeifeindliche Buchstabenkombination "A.C.A.B." (All Cops Are Bastards), beteiligten sich AUTONOME an zwei Kundgebungen. An der Kundgebung "Rechte AkteurInnen in Polizei, Geheimdiensten und Justiz aufdecken" beteiligten sich insgesamt ca. 300 Personen. Es wurden Redebeiträge gehalten, "ACAB"-Rufe skandiert und Pyrotechnik gezündet. Einige Teilnehmer formierten sich spontan zu einem Demonstrationszug in Richtung Connewitzer Kreuz. Ein Fronttransparent trug die Aufschrift "Das Leben beginnt wo Herrschaft aufhört"261, es wurde "Ganz Leipzig hasst die Polizei" skandiert. Etwa 200 Personen beteiligten sich an der Kundgebung "Kampf den FaschistInnen in Uniform". In Redebeiträgen wurden Polizeigewalt, vermeintliche Repression und die Kriminalisierung der "linken Szene" thematisiert. Ziel der Kundgebung war es, dem "Erstarken von rechten Netzwerken innerhalb der deutschen Polizei und auf der Straße etwas entgegenzusetzen", man wolle auf die Straße gehen und "einen Tag für uns schaffen an dem wir unsere Wut über die bestehenden Verhältnisse auf die Straße tragen können".262 Gewaltaktionen, vor allem klandestine Aktivitäten sowie Spontanaktionen Leipziger Linksextremisten setzten im Berichtsjahr wieder verstärkt auf klandestine Aktionen. Diese Aktionsform lag mit 51 Aktionen (2019: 41) um ein Viertel über dem Vorjahresniveau. Während Straftaten im Themengebiet "Gentrifizierung" gleichmäßig über das Jahr erfolgten, war im zweiten Halbjahr mit 14 Aktionen (1. Halbjahr: drei) ein deutlicher Anstieg von Straftaten im Themenfeld "Antirepression" zu verzeichnen. 261 Schreibweise wie im Original 262 Schreibweise wie im Original Seite 166 von 267 Anzahl klandestiner Aktionen in Leipzig 60 52 51 50 41 40 2018 30 2019 2020 20 10 0 Leipzig Die Angriffsziele bei den linksextremistisch motivierten Straftaten zeigen, dass die Themenfelder "Antifaschismus", "Antirepression" und "Gentrifizierung" von anhaltend großer Bedeutung für die autonome Szene Leipzig im Berichtsjahr waren. Aktionen im Themenfeld Antifaschismus Im gesamten Berichtsjahr hinweg verübten Linksextremisten Straftaten im Themenfeld "Antifaschismus". Dabei waren im zweiten Halbjahr vornehmlich auch die sog. "Querdenker" 263 Ziel von Angriffen: Am 26. Februar setzten unbekannte Täter das Fahrzeug eines Angehörigen der AfDFraktion im Leipziger Stadtrat in Brand. Dem Bekennerschreiben nach könne es nach den "rechten Mordanschlägen von Hanau" kein "Weiter-So" geben. Da die "rechten Täter" nicht mehr in "klassischen rechten Organisationsformaten" organisiert seien, sei es schwer, deren Strukturen anzugreifen. Aber man könne die "geistigen Brandstifter" angehen. Mit der Aktion habe man "einen ersten Schritt" getan. Am 14. Oktober zerstörten unbekannte Täter eine Fensterscheibe und die Eingangstür der Gaststätte "Willsons", um anschließend im Innenraum Bitumen und Buttersäure zu versprühen. Anlass für die Aktion war u. a., dass der "Mitbegründer Michael B. [Name ist genannt] Geschäfte mit Nazis macht und enge Kontakte zu Ihnen unterhält". Das Selbstbezichtigungsschreiben endet mit der eindeutigen Ansage "Verpisst euch aus Connewitz!".264 Am 7. November attackierte eine unbekannte Tätergruppe einen Reiseund einen Kleinbus mit abreisenden Teilnehmern der "Versammlung für die Freiheit". Als die Busse verkehrsbedingt hielten, wurde die Weiterfahrt verhindert, um sie mit Steinen und Flaschen zu bewerfen. 263 vgl. Beitrag II.1. Härtetest für die Demokratie: Wie Extremisten die Corona-Maßnahmen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausnutzten 264 Schreibweise wie im Original Seite 167 von 267 Am 21. November wurde eine Gruppe von "Querdenken"-Versammlungsteilnehmern von einer etwa 15bis 20-köpfigen Tätergruppe tätlich angegriffen. Dabei wurden zwei Personen derart getreten und geschlagen, dass erst der Warnschuss eines anwesenden Polizeibeamten den als versuchten Totschlag klassifizierten Angriff beendete. Aktionen im Themenfeld Antirepression Aktionen von Linksextremisten richten sich regelmäßig gegen Angehörige des sog. "Repressionsapparates". Folgende Aktionen verdeutlichen das hohe Aggressionsniveau: In der Silvesternacht 2019/2020 warf eine Gruppe von Gewalttätern Steine, Flaschen und Pyrotechnik auf Polizisten. Bei direkten tätlichen Angriffen wurden Polizisten zu Boden gebracht. Durch Schläge und Tritte verloren einzelne Beamte ihren Helm, es erfolgten weitere Tritte gegen den ungeschützten Kopf. Anlässlich der Räumung eines besetzten Hauses beteiligten sich Linksextremisten am 3. September an einer Demonstration. In deren Verlauf kam es zu massiven und gezielten Angriffen mittels Steinen, Flaschen und Pyrotechnik auf Polizisten sowie Versuche, diese gezielt in Hinterhalte zu locken. Zum Teil konnten die Angriffe nur unter Einsatz von Tränengas abgewehrt werden. Wie auch schon im Vorjahr waren Straftaten gegen Unternehmen, die Sicherheitsdienstleistungen für staatliche Institutionen anbieten, zu verzeichnen: Am 20. März setzten unbekannte Täter das Fahrzeug des Sicherheitsunternehmens PKE in Brand. Im Tatbekenntnis wird die Aktion damit begründet, dass der Konzern "Sicherheitstechnik für Knäste" herstelle. Am 25. September setzten unbekannte Täter einen auf einem umfriedeten Baustellengelände abgestellten Bagger der Firma Hentschke Bau in Brand. Das Fahrzeug brannte vollständig aus. Einem Tatbekenntnis zufolge sei die Firma am Bau der JVA Zwickau beteiligt gewesen und damit "Profiteur vom Knastsystem". Laut den Autoren dienen "Knäste" der Erhaltung der von ihnen abgelehnten gesellschaftlichen Ordnung. Sie formulierten wie folgt: "Knäste sollen Menschen gefügig machen, die gesellschaftliche Ordnung aufrecht erhalten und widerständige Momente unterdrücken. All dies widerspricht den Ideen herrschaftsfreier Gesellschaften, die sich gegen Staat, Kapitalismus und Patriarchat stellen." Außerdem habe der Firmenchef eine Spende an die AfD entrichtet. Am 31. Dezember setzten unbekannte Täter mehrere Fahrzeuge der Bundeswehr in Brand. Das Feuer erfasste auch zivile Fahrzeuge. Ein Großteil der Fahrzeuge brannte vollständig aus. Laut Tatbekenntnis "verdient" die Bundeswehr "unsere Aufmerksamkeit als Element im repressiven Instrumentenkasten des Staates". Dabei stehen die Autoren nicht nur der Bundeswehr ablehnend gegenüber. Sie formulierten wie folgt: "Es hat sich bei uns jedoch auch die Idee verfestigt, dass dem Staat - als Herrschaft des Menschen über den Menschen - unsere Feindschaft gilt. Die repressiven Organisationen wie beispielsweise Bullen, Bundeswehr, Justiz oder Jobcenter zur Durchsetzung dieser Herrschaft verdienen unsere Angriffe insbesondere." Aktionen im Themenfeld Gentrifizierung Linksextremisten sehen sich durch soziale Aufwertungsund Verdrängungsprozesse zunehmend in ihren Freiräumen bedroht. Straftaten in diesem Sachzusammenhang richten Seite 168 von 267 sich dabei gegen aus ihrer Sicht verantwortliche Immobilienunternehmen, beauftragte Baufirmen oder Polizeibeamte als Repräsentanten des Rechtsstaates. Beispiel hierfür sind folgende Ereignisse: Am 6. März bewarfen und besprühten unbekannte Täter die Fassade eines neu erbauten Gebäudes mit brauner Farbe. Laut Tatbekenntnis wolle man mit dieser Aktion zeigen, dass "Verdrängung hier auf Widerstand stößt". Am 15. Juli und am 25. September wurden Fahrzeuge der Immobiliengesellschaft "CGGruppe" in Brand gesetzt. Den Selbstbezichtigungsschreiben zufolge handelt es sich um Aktionen in den Begründungszusammenhängen "Gentrifizierung" und "Repression". Im Tatbekenntnis zur Aktion am 15. Juli heißt es: "Die CG-Gruppe ist zwar nicht selbst an den Repressionsmaßnahmen beteiligt gewesen, aber sowohl in Leipzig als auch im Friedrichshainer Nordkiez Akteur massiver Verdrängung.". Außerdem wolle man einen "Vorgeschmack für Reaktionen auf eine Räumung der Liebig 34" geben. Im Tatbekenntnis zum 25. September wird formuliert: "Wir werden den Preis der Räumung der Liebig 34 erhöhen und den 9.10. zum Desaster machen." Das Schreiben endet mit der Drohung "Liebig Bleibt sonst brennt die Stadt!"265 4.4.2 AUTONOME in Dresden Personenpotenzial Die AUTONOME SZENE DRESDEN bildet mit einem seit 2014 bei etwa 70 Personen stagnierenden Personenpotenzial zwar nach der Leipziger Szene den quantitativen zweiten Schwerpunkt in Sachsen, allerdings sind Aktionsniveau und Bedeutung der Dresdner AUTONOMEN innerhalb der sächsischen und bundesweiten Szene deutlich geringer. Strukturen der Dresdner AUTONOMEN SZENE Die UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) ist nach wie vor die aktivste linksextremistische Gruppe in Dresden. Sie bildet mit drei weiteren Gruppen, die selbst bislang nicht mit linksextremistischen Aktivitäten in Erscheinung getreten sind, die Dresdner Föderation "Critique'n'act". Diese wiederum ist Teil des bundesweiten linksextremistischen Bündnisses "... UMS GANZE!" (UG). Bei UG handelt es sich um einen Zusammenschluss eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der bundesweiten autonomen Szene, die ihre Kräfte bündeln, um überregional handlungsfähig zu sein. Lokal treten die Mitgliedsgruppen autark auf, während sie in Aktionsbündnissen und bei Großveranstaltungen unter dem Label UG fungieren. Das Bündnis umfasst bundesweit etwa 300 Personen. Es bezeichnet sich selbst als "kommunistisches Bündnis" und beschreibt damit seinen ideologischen Hintergrund: Der Kapitalismus sei nicht reformierbar, bedingungslos zu bekämpfen und mitsamt seinem Staatssystem durch eine Revolution zu überwinden.266 Dazu befürwortet UG Militanz und Straßengewalt. In diesem Sinne betreibt das Bündnis linksextremistische Kampagnenarbeit, bei der es in der Vergangenheit vielfach zu gewalttätigen Ausschreitungen kam. 265 Schreibweise wie im Original 266 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2019, S. 154 Seite 169 von 267 Außerdem ist das ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN (ART DRESDEN) in der Stadt aktiv. Das ART DRESDEN widmet sich seit jeher intensiv der "Recherchearbeit" vor allem über tatsächliche bzw. vermeintliche Rechtsextremisten und veröffentlicht in diesem Zusammenhang entsprechende Outings. Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen beteiligt sich das ART DRESDEN aktiv an einer wesentlichen Aktionsform der autonomen Szene. Outing-Aktionen dienen der linksextremistischen Szene als Mittel zur Bekämpfung politischer Gegner.267 Aktivitäten Die URA DRESDEN führte ihre intensive Öffentlichkeitsarbeit der vergangenen Jahre fort. Sie veröffentlichte im Berichtsjahr zahlreiche Meldungen und Beiträge auf ihrer Internetseite und in den sozialen Medien. Dabei verbreitete die URA DRESDEN in sozialen Medien regelmäßig Hass-Botschaften. So bezeichnete sie auf ihrem Twitter-Account Polizisten als "Dreckscops". Die URA DRESDEN delegitimiert so den demokratischen Rechtsstaat und verdeutlicht damit ihre ablehnende Haltung zum staatlichen Gewaltmonopol. Folgende Beispiele verdeutlichen zudem, dass die URA DRESDEN die Anwendung von Gewalt als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung für legitim hält: Im Juli postete die Gruppe nach einer gefährlichen Körperverletzung, bei der fünf unbekannte Täter u. a. mittels eines Hammers auf einen Rechtsextremisten in Dresden einschlugen: "Jetzt weiß der Felix, wo der Hammer hängt..." Im November outete die URA DRESDEN ein vermeintlich rechtsextremistisches Paar aus Dresden mit dem Aufruf "Schlagt die Faschist:innen wo ihr sie trefft". Mit Outings wie diesem können gewaltbereiten Linksextremisten - durchaus gewollt - mögliche Zielobjekte vorgegeben werden, insbesondere wenn das Outing mit eindeutigen Hinweisen oder Appellen verknüpft wird. Dies war bei jenem der URA DRESDEN der Fall. Am 5. November wurde die Leipziger Linksextremistin Lina E. von der Polizei festgenommen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen linksextremistischen Vereinigung (SS 129 StGB), die schwerste Strafund Gewalttaten begangen haben soll. Gegen sie und weitere Beschuldigte ermittelt der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof. Die begangenen Gewalttaten wurden von der URA DRESDEN verharmlost. Demzufolge wurde Lina E. "(...) festgenommen, da sie sich antifaschistisch engagiert hat. (...) Antifaschismus ist nicht kriminell, sondern bitter notwendig". Am 1. Dezember war die URA DRESDEN Mitorganisator einer Solidaritätsaktion für die Festgenommene in Dresden. Rund 60 Linksextremisten zeigten dabei entsprechende Plakate und brannten Bengalofackeln ab. Die URA DRESDEN veröffentlichte ein Video zu der Aktion sowie einen Textbeitrag, in dem sie die Festnahme als ungerechtfertigte Repressionsmaßnahme beschrieb. Auch beim von Linksextremisten genutzten überregionalen Internetportal "de.indymedia.org" erschien ein Textbeitrag. Im Themenfeld "Antirassismus/Asyl" prägten die Entwicklungen im griechischen Flüchtlingslager Moria die Aktivitäten der URA DRESDEN über das ganze Berichtsjahr hinweg: Im März und April hielt sich "eine kleine Delegation" von "Aktivis:tinnen der URA Dresden" mehrere Wochen auf der Insel Lesbos auf. Sie berichtete dabei intensiv in sozialen Medien über aktuelle Ereignisse im Zusammenhang mit dem dortigen Aufnahmelager Moria. Der Aufenthalt dürfte auch dem Ausbau der Kontakte sowohl zu 267 vgl. Beitrag II.4.3 Aktionsfelder und Aktionsformen Seite 170 von 267 einheimischen griechischen als auch zu dort anwesenden ausländischen Linksextremisten gedient haben. U. a. verwiesen sie in einem Post auf "unsere Genoss*innen vor Ort und aus Athen (...)". Am 20. September beteiligten sich die URA DRESDEN und weitere Dresdner AUTONOME an einer angemeldeten Demonstration zur Lage in Moria mit insgesamt etwa 250 Teilnehmern. Dabei kam es zu Blockaden von Straßenund des Straßenbahnverkehrs. Im Zuge dessen wurde der Polizeiführer durch eine etwa 25-köpfige Gruppe bedrängt. Dieser Gruppe gehörten u. a. Mitglieder der URA DRESDEN und weitere AUTONOME an, die eine Fahne der "Antifaschistischen Aktion" mitführten. Es ist nicht auszuschließen, dass die Situation von den beteiligten Linksextremisten gezielt provoziert wurde, um den Beamten unter Druck zu setzen. Die im Nachgang veröffentlichte Stellungnahme der URA DRESDEN unter dem Titel "Der Bulle lügt." skizziert und belegt die polizeifeindliche Ausrichtung der Linksextremisten, die mit der "Antirepression" ein klassisch linksextremistisches Themenfeld bedienen. Damit soll der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden, wobei dieser "Kampf" als ein gerechtfertigtes Mittel verstanden wird, um die angeblich herrschende "Gewalt des Systems" aufzubrechen. Als Repressionsorgane werden alle Institutionen betrachtet, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienen und damit aus Sicht von Linksextremisten die Aufrechterhaltung des "herrschenden Systems" sicherstellen. Auch wenn an der o. g. Aktion mutmaßlich nur Linksextremisten aus Dresden beteiligt waren, wurde das Statement der URA DRESDEN von anderen überregionalen linksextremistischen Gruppen auf deren Kanälen in den Sozialen Medien geteilt und teilweise kommentiert. Die linksextremistische Gruppe PRISMAINTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG schrieb dazu bei Twitter: "Wichtiges Statement der Genossis aus DD dazu" und verband dies mit der Forderung nach einer "Auflösung der Polizei". Auch das bundesweit organisierte kommunistische ...UMS GANZE!-Bündnis - dem die URA DRESDEN angehört - postete die Tweets der Gruppe auf seinem Kanal. Am 24. Oktober besprühte eine Gruppe von etwa zehn Vermummten eine am Bahnhof Dresden-Klotzsche haltende S-Bahn großflächig u. a. mit dem Schriftzug "EVACUATE". Dazu blockierten einige Personen die Türen und betätigten die Notbremse, während die anderen Personen die Waggons und die Lok auf einer Fläche von etwa 70 m2 besprühten. Unter der Überschrift "EVACUATE - Farbe gegen das Vergessen" bekannten sich unbekannte Verfasser zu der Aktion. Mit der Aktion fordere man "alle auf sich aktiv für eine Gesellschaft ohne Rassismus und Kapitalismus einzusetzen". Die Aktion steht im Kontext zur Flüchtlingskrise und der europäischen Aufnahmepolitik für Geflüchtete. Auf ihren Twitter-Accounts äußerten sich die linksextremistischen Gruppen PRISMA und URA DRESDEN positiv zu der Aktion. Darüber hinaus führte die URA DRESDEN zahlreiche weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. Dazu zählen unter anderem folgende: Am 13. Februar beteiligte sich die URA DRESDEN neben anderen Linksextremisten an Protestaktionen gegen eine Gedenkveranstaltung auf dem Heidefriedhof. Etwa 30 Personen störten die Gedenkveranstaltung mittels Zwischenrufen und lautem Abspielen von Musik. Transparente mit den Aufschriften "Deutsche Täter sind keine Opfer - Gegen jeden Geschichtsrevisionismus" sowie "Destroy the spirit of Dresden" wurden gezeigt. Die URA DRESDEN berichtete über ihre Teilnahme an der Aktion. Die Polizei umstellte die Störergruppe. Nach der Androhung von Platzverweisen verließ ein Großteil den Ort. Dabei kam es zu Provokationen und Beleidigungen gegen Polizeibeamte. Seite 171 von 267 Am 11. September führte die URA DRESDEN eine unangemeldete Demonstration mit insgesamt rund 200 Personen - darunter auch zahlreiche Linksextremisten - in Dresden durch. Anlass war eine im August in Dresden begangene Straftat, bei der Linksextremisten den staatlichen Stellen eine Verharmlosung bei den laufenden Strafermittlungen unterstellten. Das ART DRESDEN schrieb dem Täter einen rechtsextremistischen Hintergrund zu und veröffentlichte tatsächliche bzw. vermeintliche Hintergründe über ihn. Das Aktionsniveau des ART DRESDEN entsprach dem des Vorjahres. So berichtete die Gruppierung beispielsweise über neue Strukturen der Dresdner rechtsextremistischen Szene und über überregionale Aktivitäten von Rechtsextremisten. Dabei veröffentlichte das ART DRESDEN im Internet abermals zahlreiche Fotos, Namen und weitere Angaben von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten aus der Region Dresden. Ferner setzte das ART DRESDEN seine Recherchen und Berichterstattungen über ein vermeintlich rechtsextremistisches Hausobjekt im Dresdner Stadtteil Reick und damit verbundene personelle Verflechtungen fort. Das Projekt wurde vom ART DRESDEN als "rechte PropagandaZentrale" bezeichnet. Entwicklung des Aktionsniveaus Auch wenn die Anzahl der Aktionen im Berichtsjahr gegenüber den beiden Vorjahren etwas anstieg, war sowohl die Intensität der Aktionen als auch die Zahl der daran beteiligten Linksextremisten zumeist niedrig. Die Dresdner AUTONOMEN sind bereits seit geraumer Zeit kaum noch in der Lage, eine spürbare überregionale Mobilisierung zu initiieren. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN in Dresden 80 63 60 46 45 40 33 35 20 0 2016 2017 2018 2019 2020 Weitere öffentliche Aktionen Im Gegensatz zu ihrem grundsätzlich schwachen Aktionsniveau trat die AUTONOME SZENE DRESDEN im Zusammenhang mit der Besetzung von leerstehenden Objekten und deren Räumung mit einer für ihre Verhältnisse breiten Mobilisierung und hohen Gewaltbereitschaft in Erscheinung. Entsprechende Aktionen fanden schnell überregionale Resonanz und führten zu bundesweiten Solidaritätsbekundungen bzw. -aktionen. Unter anderem zeigen veröffentlichte Tatbekenntnisse, dass mit den Aktionen nicht nur sozialund wohnräumlich Seite 172 von 267 gewachsene Strukturen erhalten werden sollen, sondern dass es immer auch um die Schaffung bzw. den Erhalt selbstverwalteter "autonomer Freiräume" geht. So fand ab dem 17. Januar in der Dresdner Neustadt unter dem Hashtag #DDbesetzen" eine Besetzung mehrerer leerstehender Häuser auf der Königsbrücker Straße (Objekt "Putzi") statt. Zur Durchsetzung des Hausrechts wurden das Objekt am 22. Januar von der Polizei geräumt und Ermittlungen gegen 21 Personen wegen Hausfriedensbruchs aufgenommen. Die URA DRESDEN berichtete von der Besetzung und sprach in diesem Zusammenhang von "unserem Putzi". Zudem berichtete sie live von der Räumung unter Verwendung der Bezeichnungen "Bullenschweine" und "Arschloch Staat". Im Nachgang veröffentlichte sie das Statement "(...) das ist das Werk der staatlichen Schläger." Aus Solidarität mit den Betroffenen der Räumungsaktion fand am Abend des 22. Januar eine nicht angemeldete Demonstration statt. Daran beteiligten sich etwa 200 Personen, darunter mindestens 30 Linksextremisten. Hierzu hatte u. a. die URA DRESDEN aufgerufen. Einige Teilnehmer vermummten sich, zudem wurde Pyrotechnik gezündet. Gegenüber der Polizei gab sich kein Versammlungsleiter zu erkennen. Die Polizei stoppte daraufhin den Aufzug und verhinderte, dass Personen auf das geräumte Gelände vordrangen. Klandestine Aktionen Die Anzahl der klandestinen Aktionen stieg im Berichtsjahr deutlich an. Dies verdeutlicht, dass diese Protestform auch für die Dresdner AUTONOME SZENE weiter eine wichtige Rolle in der politischen Auseinandersetzung spielt. Anzahl klandestiner Aktionen in Dresden 30 22 20 2018 12 12 2019 10 2020 0 Dresden Bestimmend bei den klandestinen Aktionen war insbesondere das Themenfeld Gentrifizierung. Mehrere Angriffe richteten sich gegen Immobilienund Baufirmen. So kam es u. a. zu Brandstiftungen an KfZ sowie zu Schmierereien und Farbattacken auf Gebäude. Am 10. September setzten unbekannte Täter in Dresden einen Kleintransporter der Immobilienfirma Vonovia in Brand. Auf dem Internetportal "de.indymedia.org" wurde unter der Überschrift "[DD] Vonovia - Karre abgefackelt" ein Tatbekenntnis veröffentlicht, in dem die Vonovia als "ausbeuterischer Konzern" bezeichnet wurde und ihr ein "heuchlerisches Geschreibe" vorgeworfen wurde. Seite 173 von 267 Am 29. Oktober setzten unbekannte Täter einen Kleintransporter der Immobilienfirma Vonovia in Dresden in Brand. Das Feuer griff auf zwei danebenstehende Fahrzeuge - ebenfalls von Vonovia - über. Unter der Überschrift "[DD] Drei Vonoviakarren abgefackelt - Rache für die Liebig34 und die Schanzi" wurde ein Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht. Den Verfassern zufolge habe man sich dazu entschlossen, es "den Profiteur*innen der menschenverachtenden, profitorientierten Wohnungsmarktpolitik heimzuzahlen." Die Aktion wolle man "den kürzlich geräumten Besetzer*innen der Liebig34 und der Schanzi in Dresden" widmen. Abschließend brachten die Verfasser ihr Bedauern zum Ausdruck, da ein an einer Hauswand stehendes viertes Fahrzeug "leider verschont" werden musste und gaben die Parole aus: "Macht Räumungen so teuer wie möglich!" 4.4.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden Außerhalb der beiden Zentren der AUTONOMEN SZENE, Leipzig und Dresden, besteht in Sachsen ein nur geringes autonomes Personenpotenzial im maximal unteren zweistelligen Bereich. Dementsprechend sind dort die Strukturen und Aktivitäten weit weniger ausgeprägt. Durch die Corona-Beschränkungen kam das öffentliche Aktionsniveau fast vollständig zum Erliegen. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN außerhalb von Leipzig und Dresden 100 80 60 40 36 24 20 17 11 7 0 2016 2017 2018 2019 2020 Die Zahl der klandestinen Aktionen ging im Berichtsjahr nur leicht zurück. Dies zeigt, dass diese Aktionsform auch für die AUTONOME SZENE außerhalb von Leipzig und Dresden weiter eine wichtige Rolle in der politischen Auseinandersetzung spielt. Seite 174 von 267 Anzahl klandestiner Aktionen außerhalb von Leipzig und Dresden 20 14 13 12 2018 10 2019 2020 0 andere Regionen Region Westsachsen Die Region Westsachsen umfasst die Stadt Chemnitz, den Vogtlandkreis, den Landkreis Zwickau sowie den Erzgebirgskreis. Dort existieren im Vergleich zu Leipzig und Dresden lediglich kleine, weitgehend unstrukturierte autonome Szenen mit wenigen Personen. Diese konzentrieren sich weiterhin in den Städten Chemnitz und Plauen. Dabei agieren AUTONOME in dieser Region jeweils ohne eigene lokale Gruppenbezeichnung. Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten blieben coronabedingt quantitativ stark hinter denen der Vorjahre zurück. Lediglich in Chemnitz waren Veranstaltungen mit linksextremistischen Bezügen feststellbar. Chemnitz Linksextremistische Aktivitäten konzentrierten sich im Berichtsjahr außerhalb von Leipzig und Dresden vor allem auf die Stadt Chemnitz, wurden aber maßgeblich durch autonome Gruppierungen aus den beiden anderen Städten beeinflusst. Neben dem fest etablierten "Antifaschistischen Jugendkongress" (Juko) waren nur vereinzelte Aktivitäten mit linksextremistischer Beteiligung festzustellen. Demonstration 7. März vor der JVA in Chemnitz Am 7. März folgten Linksextremisten aus Leipzig und Dresden einem Aufruf der nichtextremistischen Gefangenen-Gewerkschaft / Bundesweite Organisation (GG/BO) nach Chemnitz. Die Demonstration anlässlich des "Internationalen Frauentages" vor der JVA Chemnitz (Frauengefängnis) diente nach Ansicht der Akteure der symbolischen Unterstützung der Inhaftierten, die schlechte Arbeitsbedingungen und mangelhafte medizinische Versorgung zu erleiden hätten. Die Demonstranten zeigten Fahnen der anarchosyndikalistischen FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU), der "Antifaschistischen Aktion" sowie themenbezogene Transparente. Mit lautstarkem Protest wurde gegen das "Knastsystem" protestiert und für die Unterstützung Inhaftierter aufgerufen. Während der Kundgebung wurde das "Strafsystem" der Bundesrepublik kritisiert, das "keine Möglichkeit der Resozialisierung" [biete]. Im Gegenteil - mit seinen strukturellen gewaltvollen Bedingungen reproduziere es die bestehenden Verhältnisse und ignoriere die gesellschaftlichen Bedingungen, die überhaupt erst dazu führten, dass Menschen kriminell würden." Am 31. Dezember hinterließen Unbekannte ein Graffiti "als Zeichen der Solidarität" an der Gefängnismauer und forderten in einem Bekennerschreiben "Freiheit für alle Gefangenen Antifaschist*innen". Seite 175 von 267 "Antifaschistischer Jugendkongress" vom 25. bis 27. September Vom 25. bis 27. September fand der fünfte "Antifaschistische Jugendkongress" (Juko) unter dem Motto "Antifa for Future - Another Future is possible" mit linksextremistischer Beteiligung im "Alternativen Jugendzentrum Chemnitz" (AJZ) in Chemnitz statt. Daran nahmen insgesamt etwa 100 Personen teil. Neben Nichtextremisten waren zum wiederholten Male linksextremistische Gruppen aus Leipzig und Dresden in die Organisation und Durchführung des Kongresses eingebunden. Sie hatten Workshops und Vorträge mit überwiegend linksextremistischer Thematik angekündigt. Dazu zählten: "Demo 1x1" (Veranstalter: ROTE HILFE Leipzig), "Klimakrise und Rechtsruck - eine Einführung" (Veranstalter: PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG und UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) sowie "Polizeiliche Datenbanken" (Veranstalter: ROTE HILFE Leipzig). Mit der Teilnahme am Kongress verfolgen linksextremistische Gruppen das Ziel, Erfahrungen zur Planung und Durchführung linksextremistischer Aktivitäten auszutauschen und die Zusammenarbeit linksextremistischer Gruppen untereinander sowie mit Nichtextremisten zu forcieren. Bereits in den Vorjahren fand die Veranstaltung mit ähnlicher thematischer Ausrichtung in Chemnitz statt. Durch regelmäßige Treffen linksextremistischer Gruppierungen, wie beim Juko in Chemnitz, werden entsprechende Kontakte auch über Sachsen hinaus geknüpft, die eine breite und mitunter bundesweite Mobilisierung autonomer Gruppierungen zu bestimmten Versammlungen, Protesten und Aktionen erst möglich machen. Diese langfristigen Ziele werden von Linksextremisten mit von ihnen durchgeführten, thematisch vielfältigen Workshops, in denen linksextremistische Inhalte vermittelt werden, verfolgt. Bereits im Einladungstext für den Juko hieß es: "Der Kongress ist offen für alle Menschen, egal ob ihr erst politisch aktiv werdet oder schon lange dabei seid. Deshalb wird es zusätzlich zu den Einstiegsvorträgenund Workshops auch ein aufbauendes und weiterführendes Angebot geben. Vieles wird neu sein, was bleibt, ist die Notwendigkeit der gemeinsamen antifaschistischen Organisation." Weiter erklären die Organisatoren, dass für "soziale Verwerfungen", die durch die Klimakrise hervorgebracht würden, das "System des Kapitalismus" ursächlich sei. Die "Krise" stehe nicht im Widerspruch zum Normalzustand, sondern sei eine logische Konsequenz des kapitalistischen Lebensstils. Erneut konnten auch Linksextremisten anderer Bundesländer für eine Teilnahme mobilisiert werden. Im Nachgang des Kongresses äußerten sich die Organisatoren deshalb zufrieden: "Der 5. Juko ist vorbei und trotz einiger Einschränkungen durch die Maßnahmen zum Infektionsschutz und die damit einhergehende geringere Teilnehmer*innenzahl war es aus unserer Sicht ein gelungener Kongress." Überfall mit anschließendem Selbstbezichtigungsschreiben In der Nacht vom 29. zum 30. November wurde ein 30-jähriger Chemnitzer unmittelbar vor seiner Haustür von mehreren unbekannten, vermummten Personen angegriffen und verletzt. Aus der Gruppe heraus erlitt er Schläge und Tritte. Weiterhin wurde ihm mit einem Gegenstand auf den Kopf geschlagen und Pfefferspray ins Gesicht gesprüht. Er kam zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus. Die Täter konnten unerkannt fliehen. Am 2. Dezember wurde auf "de.indymedia" unter der Überschrift "[KMS] Nazischwein Tim K. [Name ist genannt] besucht" ein Tatbekenntnis zum Überfall veröffentlicht. Darin schildern die Seite 176 von 267 unbekannten Verfasser Vorgehensweise und Hintergründe zur Tat. Abschließend wird betont, wie wichtig es sei, bei "massiver bundesweiter Repression gegen AntifaschistInnen sowie gleichzeitig zunehmender rechter Mobilisierung [...] weiter anzugreifen und dabei Zeitpunkt, Ziel und Mittel des Angriffs selbst zu bestimmen." Mit der Veröffentlichung wolle man zudem "andere ermutigen es uns gleich zu tun". Die Begehungsweise sowie die Veröffentlichung eines nachträglichen Bekennerschreibens auf einer einschlägigen Internetplattform sprechen für eine linksextremistisch motivierte Tat, der offenbar eine gezielte Recherche vorausging. Durch derartige Tatbekenntnisse versuchen die Täter, eine möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Zum einen soll so ihre Ideologie verbreitet werden. Zum anderen benötigen vor allem gewaltorientierte Linksextremisten eine öffentliche Plattform, um Strafund Gewalttaten in der Gesellschaft zu vermitteln und ihren verfassungsfeindlichen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Vogtlandkreis Pandemiebedingt waren im Vogtlandkreis nur vereinzelte Aktivitäten mit linksextremistischer Beteiligung festzustellen. So nahmen Linksextremisten kurzfristig Abstand von einer geplanten Protestkundgebung gegen eine Demonstration der Partei DER DRITTE WEG am 1. Mai in Plauen. Ursprünglich hatten sie am Vorabend unter dem Motto "Die Heimat zur Hölle - Den III. Weg zerschlagen!" zu Protesten aufgerufen. Damit wollten die Initiatoren auf die nach ihrer Ansicht starke öffentliche Präsenz und das hohe Aktionsniveau der Partei DER DRITTE W EG in Plauen und im Vogtlandkreis aufmerksam machen. Darüber hinaus wurden mehrere linksextremistisch motivierte Straftaten registriert. So verübten Unbekannte am 17. März in Treuen einen Brandanschlag auf sechs Baumaschinen einer Verleihfirma, die auch an den Baumaßnahmen der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Zwickau-Marienthal beteiligt ist. Dieser JVA-Neubau war bereits im Jahr 2019 durch entsprechende Sabotageaufrufe in den Fokus autonomer Anarchisten geraten. Immer wieder kam es darüber hinaus zu Anschlägen auf Privatfirmen, die aus Sicht der autonomen Szene vom Bau und der Erhaltung der Justizvollzugsanstalten profitieren. In Plauen wurde außerdem erneut ein Gebäude beschädigt, in welchem sich das Büro der Partei DER DRITTE W EG befindet. Unbekannte hatten das Haus am 2. Oktober mit Farbe besprüht und Fenster zerstört. Art und Vorgehensweise lassen auf einen linksextremistischen Hintergrund der Tat schließen. Region Mittelsachsen Zur Region Mittelsachsen gehören die Landkreise Mittelsachsen und Meißen sowie der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Der seit 2016 feststellbare Rückgang linksextremistischer Aktivitäten im Landkreis Mittelsachsen setzte sich im Berichtsjahr erneut fort. Das Aktionsniveau der autonomen Szene war dort sehr gering. Gleichwohl wurden wiederholt Sachbeschädigungen an Büros der Partei Alternative für Deutschland (AfD) verübt. In den Landkreisen Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge waren im Berichtsjahr lediglich Einzelpersonen der linksextremistischen Szene zuzurechnen. Relevante Aktivitäten wurden nicht bekannt. Region Ostsachsen Die Region Ostsachsen umfasst die Landkreise Bautzen und Görlitz. Seite 177 von 267 Im Landkreis Bautzen liegt die Anzahl der AUTONOMEN im einstelligen Bereich. Dort existieren bereits seit Jahren keine Strukturen der autonomen Szene mehr. Im Berichtsjahr sank das ohnehin schon geringe Aktivitätsniveau weiter ab. Im Landkreis Görlitz liegt die Anzahl der AUTONOMEN ebenfalls im einstelligen Bereich. Mittlerweile existieren auch dort keine linksextremistischen Strukturen mehr. Am 1. März kam es jedoch in Gablenz zu einem Brandanschlag auf das Kraftfahrzeug eines Politikers. Unbekannte - mutmaßlich linksextremistische - Täter begaben sich auf das Wohngrundstück des Geschädigten (Mitglied des Bundestages, Bundessprecher der Partei AfD) und setzten ein dort abgestelltes Fahrzeug in Brand. Es entstand ein wirtschaftlicher Totalschaden. Ein weiteres Fahrzeug konnte durch den Fahrzeughalter rechtzeitig außer Gefahr gebracht werden. Region Nordsachsen In den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen gab es im Berichtsjahr keine aktive autonome Szene. Entsprechende Aktionen gehen aufgrund der örtlichen Nähe zu Leipzig vor allem auf Aktivitäten dortiger linksextremistischer Gruppierungen und Einzelpersonen zurück. Im Berichtsjahr waren lediglich einzelne Aktivitäten in den Themenfeldern "Antirepression" und "Antifaschismus" zu verzeichnen: In der Nacht zum 18. März, dem "Internationalen Tag der politischen Gefangenen", deponierten unbekannte Täter in Bad Lausick (Landkreis Leipzig) Brandsätze an mehreren Fahrzeugen einer Elektro-Firma und entzündeten diese. Es wurden zwei Transporter und zwei LKW komplett zerstört sowie ein weiterer LKW beschädigt. Zwei weitere an Fahrzeugen deponierte Brandsätze setzten nicht um. Dem Tatbekenntnis zufolge wurde die Firma angegriffen, da sie am Bau "des neuen Knastes ZwickauMarienthal beteiligt" sei. Außerdem sollte man "Knast als ein Feld betrachten, dass von sozialen Kämpfen durchzogen ist und in das wir politisch intervenieren können. Es kann uns Möglichkeiten bieten auf noch mehr Mitstreiter*innen zu treffen". Mit Blick auf die Inhaftierten hieß es: "ermuntern wir sie an unserer Seite weiter zu kämpfen. Gegen das System, was sie zuerst arm und dann 'kriminell' gemacht hat."268 Am 28. August beteiligte sich in Grimma (Landkreis Leipzig) die linksextremistische Gruppe PRISMA-INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) an einer Protestveranstaltung anlässlich einer Versammlung der Partei Alternative für Deutschland (AfD). An einem erst im September im Landkreis Nordsachsen eröffneten Fitnessstudio zerstörten unbekannte Täter am 28. November die Fensterscheiben, verteilten Buttersäure im Raum und schmierten den Schriftzug "Gegen Nazi-Macker" an die Fassade. In einem Tatbekenntnis wurde die Aktion wie folgt begründet: "Das 'Gym' wird u. a. organisiert vom bekannten Neonazi (Name genannt) (...)'" und weiter "Die Bekämpfung von Faschismus ist kein Spiel. Wir sind gekommen, um Infrastruktur zu zerstören. Wir sind nicht bekommen, um einen "fairen Wettkampf" auszutragen. Wir kommen bei Nacht, sind hinterhältig und halten uns nicht an mackerhafte Vorstellungen von "Ehre" oder Sportlichkeit. No Handshake with Nazis. Seid sicher, dass wir euch keine Chance geben, zu gewinnen, sondern euch treffen werden, wenn ihr es nicht erwartet, und auch nochmal zutreten, wenn ihr schon am Boden liegt." 269 268 Schreibweise wie im Original 269 Schreibweise wie im Original Seite 178 von 267 4.5 ANARCHISTISCHE GRUPPIERUNGEN Die anarchistischen Gruppierungen in Sachsen vertreten Positionen des Anarchosyndikalismus. Dabei sind fließende Übergänge zu ähnlichen oder verwandten Bewegungen oder Gruppen - wie den AUTONOMEN - feststellbar. Dennoch weist der Anarchosyndikalismus einige spezielle Merkmale wie einen höheren Organisationsgrad auf, durch die sich entsprechende Gruppen auch deutlich von den AUTONOMEN unterscheiden. FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU) Berlin Sitz Gründung 1977 Hauptorganisation/übergeordnete FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU) Gruppierung Teilorganisationen in Sachsen * ALLGEMEINES SYNDIKAT DRESDEN DER FAU (FAU DRESDEN) * FAU SEKTION CHEMNITZ (FAU CHEMNITZ) * FAU SEKTION ERZGEBIRGSKREIS (FAU ERZ) * ALLGEMEINES SYNDIKAT LEIPZIG DER FAU (FAU LEIPZIG) Internetseiten sowie Profile auf Facebook, Twitter Internetauftritte und Instagram der vorgenannten sächsischen Syndikate "Direkte Aktion" (Onlinezeitung, unregelmäßig) Publikation Personenpotenzial 2020 2019 Sachsen ca. 60 ca. 45 bundesweit ca. 1.000 ca. 800 Kurzporträt/Ziele Die FAU ist die mitgliederstärkste anarchistische Gruppierung in Deutschland und in Sachsen spätestens seit Mitte der 1990er Jahre aktiv. Sie bezeichnet sich selbst als "klassenkämpferische Gewerkschaftsföderation". Ihre Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge. Die FAU ist ein föderales Netzwerk anarchosyndikalistischer Gruppen, das eine Kollektivierung der Produktionsmittel anstrebt. Der Staat soll zerschlagen werden und an seine Seite 179 von 267 Stelle eine "Föderation der Syndikate" (basisdemokratische Gewerkschaften) treten. Ihr Handeln richtet sich nach dem strategischen Grundlagentext "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der FREIEN ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU)". Im Unterschied zum Anarchismusverständnis AUTONOMER, die eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung favorisieren, verfügt die FAU über eine feste theoretische und organisatorische Basis. Ereignisse/Entwicklungen 2020 Die sächsischen Syndikate weisen steigende Mitgliederzahlen auf. Neben dem ebenfalls gestiegenen Aktionsniveau der FAU LEIPZIG kam die FAU-SEKTION ERZGEBIRGSKREIS neu hinzu. Die FAU organisierte eigene Kundgebungen und beteiligte sich an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Ideologie und Strategie Das Ziel der FAU ist die Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. In ihrer Zeitschrift "Direkte Aktion", die sich nach eigenen Angaben "auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt", heißt es dazu unmissverständlich: "Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. [...] Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der Direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab." Mit diesem Selbstverständnis, welches die Anwendung sämtlicher Mittel zur Beseitigung der parlamentarischen Demokratie propagiert, steht die FAU im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In ihrem Grundlagentext "Prinzipienerklärung" wird das Ziel der "Überwindung des Kapitalismus" manifestiert, da dieser "auf der Ausbeutung durch diejenigen beruht, die über die Produktionsmittel verfügen". In der Erklärung werden umfangreiche Reformen in Erwägung gezogen. Allerdings heißt es auch: "Wir lehnen jedoch Reformismus als eine Haltung ab, die nicht versucht, die bestehenden Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse grundlegend zu ändern, sondern sie stattdessen stabilisiert." Die Übernahme der Produktionsmittel durch Arbeiterassoziationen umfasst die Idee einer gewerkschaftlichen Berufsgenossenschaft, die eine Kollektivierung der Produktionsmittel anstrebt. Der Staat soll zerschlagen werden und an dessen Stelle eine "Föderation der Syndikate" (basisdemokratische Gewerkschaften) treten. Das "Syndikat" wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes in einer anarchistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung angesehen, die im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Besonders im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Seite 180 von 267 Potenzial, Struktur und Aktivitäten der Syndikate in Sachsen Wie bereits in den Jahren zuvor, traten anarchosyndikalistische Gruppen im Freistaat Sachsen mit eigenen Aktionen öffentlich auf oder beteiligten sich an Demonstrationen mit linksextremistischer Thematik. Dabei zeigten sich jedoch Unterschiede zwischen den in Dresden, Chemnitz, Leipzig und im Erzgebirgskreis ansässigen FAU-Akteuren, was sowohl den Umfang und die Intensität von Aktionen als auch die Wahl der Mittel betraf. Die im Jahr 2015 aus der FAU-INITIATIVE CHEMNITZ hervorgegangene FAU-SEKTION CHEMNITZ konnte weiterhin nicht die Anforderungen an die Errichtung eines eigenständigen "Syndikats" erfüllen und gehört nach wie vor dem Dresdner Syndikat an. Im Berichtsjahr neu hinzugekommen ist die FAU ERZGEBIRGSKREIS, die nach eigenen Angaben bislang nur aus einer kleinen Gruppe besteht. Organisatorisch ist diese ebenfalls dem Syndikat Dresden zugehörig. Dresden Die nach wie vor aktivste und zugleich mitgliederstärkste Gruppe ist das ALLGEMEINE SYNDIKAT DRESDEN DER FAU (FAU DRESDEN). Durch die Verteilung von Flugblättern, die Organisation eigener Demonstrationen und Seminare oder über die Beteiligung an sozialkritischen, nichtextremistischen Protestdemonstrationen unter Einsatz ihrer schwarz-roten Fahnen sowie Transparenten versuchte die FAU DRESDEN, ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Dazu zählten im Berichtsjahr u. a. folgende Aktivitäten: 17. bis 22. Januar: Beteiligung an einer Hausbesetzung ("Putzi") in Dresden und an Solidaritätsaktionen für die von Strafbefehlen wegen Hausfriedensbruchs und gemeinschaftlicher Sachbeschädigung betroffenen Personen. Beteiligung an Aktionen rund um den 8. März: Dazu zählten beispielsweise die eigene Demonstration "Feministischer Streik gegen Sexismus, für Gleichbehandlung, freie Entfaltung und Emanzipation" am 6. März in Dresden sowie die Teilnahme an der unter dem Motto "Solidarität mit den Gefangenen-Gewerkschafterinnen der JVA Chemnitz" stehenden Demonstration der nicht-extremistischen "GefangenenGewerkschaft/Bundesweite Organisation" (GG/BO) am 7. März in Chemnitz. 1. bis 8. November: Beteiligung an Aktionen in Dresden im Rahmen der Kampagne "Internationale Woche der Solidarität und Aktion - From Kobane to the world" der Plattform "#riseup4rojava". Das ALLGEMEINE SYNDIKAT DER FAU DRESDEN bot auch 2020 regelmäßige Sprechstunden in seinem Büro an. Aufgrund der Einschränkungen des öffentlichen Lebens während der ersten und zweiten Corona-Welle wurden Beratungsangebote und geplante Veranstaltungen vielfach digital durchgeführt. Für die FAU SEKTION CHEMNITZ lassen sich im Berichtsjahr keine und für die FAU SEKTION ERZGEBIRGSKREIS nur vereinzelte Aktivitäten feststellen. Die FAU SEKTION ERZGEBIRGSKREIS will sich künftig auf arbeitsund sozialrechtliche Beratungen spezialisieren. Leipzig Das ALLGEMEINE SYNDIKAT LEIPZIG der FAU (FAU LEIPZIG) konnte sich strukturell festigen und aktionsorientiert weiterentwickeln. Am 4. Oktober eröffnete das Syndikat ein Gewerkschaftslokal in Leipzig. Damit verfügt die FAU LEIPZIG erstmals über eigene Räumlichkeiten. Nach eigenen Angaben sei dieser Schritt aufgrund der steigenden Mitgliederzahlen notwendig geworden. Das Lokal soll vor allem Anlaufstelle für regelmäßige Betriebsgruppenarbeit werden. Seite 181 von 267 Mitglieder der FAU LEIPZIG beteiligten sich darüber hinaus an folgenden Veranstaltungen in Leipzig: 5. Februar: Beteiligung an der Demonstration "Haltung zeigen. Keine Zusammenarbeit mit der AfD" und 8. März: Beteiligung an einer Demonstration zum "Frauen*kampftag". Die FAU LEIPZIG spezialisierte sich auf das Thema Arbeitskampf und führte dazu regelmäßig "gewerkschaftliche Beratungen" bzw. "offene Treffen" durch. In diesem Zusammenhang organisierte sie am 3. Dezember in Leipzig eine Kundgebung mit Arbeitsrechtsbezügen vor einem Gastronomiebetrieb. Aufgrund der Einschränkungen des öffentlichen Lebens während der Corona-Pandemie wurden auch seitens der FAU LEIPZIG Beratungsangebote vielfach digital angeboten. 4.6 ROTE HILFE E.V. (RH) Sitz Göttingen (Niedersachsen) Bundesgeschäftsstelle Gründung 1975 Hauptorganisation/übergeordnete Gruppierung ROTE HILFE E.V. Teilorganisationen in Sachsen RH ORTSGRUPPE LEIPZIG RH ORTSGRUPPE DRESDEN RH REGIONALGRUPPE SÜDWESTSACHSEN Finanzierung zum Großteil Mitgliedsbeiträge und Spenden Internetauftritte Internetseiten sowie Profile auf Twitter sächsischer Ortsund Regionalgruppen und der Bundesorganisation 270 Publikation "Die Rote Hilfe" (vierteljährlich und als Onlinemagazin) Personenpotenzial 2020 2019 271 272 Sachsen ca. 500 ca. 470 270 Auflage: 12.000 Exemplare, Ausgabe 4.2020, Impressum S.71 271 Schätzung des LfV Sachsen (mit Mehrfachmitgliedschaften, also Mitgliedschaft einer Person in mehreren extremistischen Gruppierungen/Organisationen gleichzeitig) 272 Schätzung des LfV Sachsen (mit Mehrfachmitgliedschaften) Seite 182 von 267 bundesweit 11.000 ca. 273 10.500 Kurzporträt/Ziele mitgliederstärkste bundesweite Gruppierung des deutschen Linksextremismus und damit zentraler Bestandteil der linksextremistischen Szene versteht sich gemäß Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifend linke Schutzund Solidaritätsorganisation" neben Linksextremisten gehören auch Nichtextremisten zu den Vereinsmitgliedern Ziel des Vereins ist die juristische und finanzielle Unterstützung von Strafund Gewalttätern des "linken" Spektrums, z. B. bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten organisiert Informationsund Diskussionsveranstaltungen vornehmlich im Themenfeld "staatliche Repression" und ruft zu Spenden auf Ereignisse/Entwicklungen 2020 weiter steigende Mitgliederzahlen hohes Aktivitätsniveau der ORTSGRUPPE LEIPZIG gestiegenes Aktivitätsniveau der ORTSGRUPPE DRESDEN geringes Aktivitätsniveau der REGIONALGRUPPE SÜDWESTSACHSEN Die ROTE HILFE E.V. (RH) ist ein zentraler Bestandteil der linksextremistischen Szene und betätigt sich in deren Themenfeld "Antirepression". Sie besitzt eine wichtige Funktion innerhalb des Linksextremismus. Das Ziel dieser Organisation besteht darin, den inneren Zusammenhalt im Linksextremismus zu stärken und seine Strukturen aktionsfähig zu halten. Ideologie und Strategie Die RH wird von Linksextremisten unterschiedlicher ideologisch-politischer Ausrichtung getragen. Sie versteht sich laut ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die sich im "Kampf gegen die staatliche Repression" und "die politische Justiz" engagiert. 273 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2019, S. 126 Seite 183 von 267 Ihr vordergründiges Anliegen ist die finanzielle und politische Unterstützung von Strafund Gewalttätern des "linken" Spektrums, "die in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden". Die RH unterstützt sie in Strafverfahren mit Geldbeträgen und sichert ihnen Solidarität zu. Außerdem betreut sie "politische Häftlinge", um deren Bindung an die linksextremistische Szene während der Haft und darüber hinaus zu erhalten. Die RH unterstützt einen politisch motivierten Straftäter nur dann, wenn er auch weiterhin zu seiner Tat steht. Eine Zusammenarbeit mit Behörden z. B. zur Verringerung des zu erwartenden Strafmaßes wertet die RH als Preisgabe der politischen Positionen und als Verrat an der gemeinsamen Sache. So wird das Bestreiten eines Tatvorwurfes vom Bundesvorstand "[...] als Distanzierung von der politischen Aktion bewertet und die beantragte Unterstützung nicht bewilligt." Dies gilt auch für Fälle, bei denen die Tat "entpolitisiert" wird, indem diese beispielsweise verharmlosend als "Jugendsünde" dargestellt wird. Bereits bei Tätigung entsprechender Aussagen des Betroffenen vor Gericht kürzt die RH ihren Unterstützungssatz. Die RH versteht Maßnahmen der Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs als Mittel der Machthaber zur Herrschaftssicherung und zielt damit auf eine Diskreditierung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Institutionen ab. Deren Handeln sei rein politisch motiviert, willkürlich sowie grundund menschenrechtswidrig. So deutet die RH z.B. die der Bekämpfung des Terrorismus dienenden Anti-Terror-Gesetze als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr gelten" würden. Nach ihrer Auffassung dienen diese Gesetze vornehmlich dazu, jegliche "Politische Aktivität[en] gegen die herrschenden Zustände unmöglich zu machen". Die als Repression verstandenen Gesetze seien demnach nicht zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten beschlossen worden, sondern würden durch "die Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt [dazu benutzt], um Menschen gefügig zu machen". Auch mittels öffentlichkeitswirksamer Informationsveranstaltungen oder veröffentlichter Stellungnahmen versucht die RH, den Rechtsstaat zu diskreditieren, der aus ihrer Sicht vor allem daran arbeite, "linken Protest zu kriminalisieren" bzw. "Widerstand" zu "diffamieren". Personenpotenzial Die RH zählt zu den mitgliederstärksten linksextremistischen Gruppierungen in Sachsen. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Mitgliederzahl von etwa 470 auf ca. 500 Personen erneut erhöht und erreicht damit einen neuen Höchststand. Folgende Gründe sind für den Anstieg verantwortlich: Die Zunahme der Mitgliederzahl in Sachsen entspricht der bundesweiten Entwicklung, wonach sich die RH in einem seit mehreren Jahren anhaltenden Wachstumsprozess befindet. Nach dem G20-Gipfel im Juli 2017 in Hamburg sowie dem Verbot des Vereins "linksunten.indymedia" im August 2017 erlangte die "Antirepressionsarbeit" eine deutlich höhere Bedeutung in der autonomen Szene. Beratungsund Hilfsangebote der RH wurden mutmaßlich auch aufgrund des Bekanntwerdens von Strukturermittlungsverfahren sowie der hohen Zahl polizeilicher Durchsuchungsmaßnahmen und Inhaftierungen insbesondere in Leipzig 2020 verstärkt nachgefragt. Die von der RH im Jahr 2019 initiierte bundesweite Kampagne "Solidarität verbindet", um als "Solidaritätsverein für alle Linken" für Unterstützung zu werben und neue Seite 184 von 267 Mitglieder zu gewinnen, wurde im März 2020 offiziell beendet. Der Bundesvorstand berichtete über "mehrere hundert Vereinseintritte" durch die Kampagne. Seit November 2020 setzte der RH-Bundesvorstand erstmals neue Akzente mit seinem Twitter-Kanal. "Stärkere Sichtbarkeit und regelmäßige Präsenz" in der Öffentlichkeitsarbeit dienen dabei der Werbung neuer Mitglieder. Die aktivste sächsische Ortsgruppe der RH in Leipzig trug wesentlich zum Anstieg bei. Durch die bereits bestehende personelle Konzentration sächsischer Mitglieder in Leipzig sowie durch das hohe linksextremistische Personenpotenzial in der Messestadt konnte die Ortsgruppe im Berichtsjahr an das hohe Aktivitätsniveau des Vorjahres anschließen und zusätzliche Personen werben. Der Anstieg der Mitgliederzahlen der RH wirkte sich nicht auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksextremisten aus, da die Mitglieder der RH häufig zugleich Mitglied in anderen linksextremistischen Bestrebungen sind und andererseits nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen verfolgen. Strukturen Bundesweit gliedert sich die RH in einen Bundesvorstand sowie in selbstständig arbeitende Ortsbzw. Regionalgruppen. Die Bundesdelegiertenversammlung tritt alle zwei Jahre zusammen, entscheidet über grundsätzliche Vereinsangelegenheiten und wählt den Bundesvorstand. Die dabei gefassten Beschlüsse setzen die Ortsgruppen eigenverantwortlich um. Sie sind gegenüber dem Bundesvorstand rechenschaftspflichtig. Die RH finanziert sich größtenteils über Mitgliedsbeiträge, "Solibeiträge" sowie durch den Verkauf ihrer vierteljährlich erscheinenden überregionalen linksextremistischen Zeitung "Die Rote Hilfe" sowie von Broschüren und Flyern. Dazu zählen die Flyer "Rote Hilfe Info zu Strafbefehlen" und "Was tun wenn's brennt?!" oder die sog. "Aussageverweigerungsbroschüre". Ferner werden themenspezifische Spendenaktionen durchgeführt. Aktivitäten In ihren Ortsgruppen führt die RH regelmäßig Rechtsberatungen zu Themen, wie "Umgang mit Staatspost, Polizeiübergriffen und anderweitiger Repression", durch. Mit Hinweisen zum Schutz vor Strafverfolgung sowie dem Inaussichtstellen politischer und materieller Hilfe mindert sie auch die abschreckende Wirkung strafrechtlicher Sanktionen. Sie flankiert die von ihr als besonders spektakulär empfundenen Fälle von "Repression" durch Kampagnen, Presseerklärungen oder Solidaritätskundgebungen. Dazu zählte die Pressemitteilung des Bundesvorstandes im Zusammenhang mit einer Festnahme und Hausdurchsuchungen Anfang November in Leipzig: "Und wieder wird das ganze Repertoire der Repressionsbehörden ausgepackt, um gegen antifaschistische Zusammenhänge vorzugehen. Dafür muss auch der berüchtigte Gesinnungsparagraf 129 herhalten, um die Latte der Ermittlungen und Tatvorwürfe möglichst hoch zu hängen. Während rechte Corona-Leugner marodierend durch Leipzig ziehen können, werden hier mehre[re] Personen kriminalisiert, um die linke Bewegung einzuschüchtern". Die RH fordert demzufolge die "sofortige Haftentlassung" und richtete ein Spendenkonto für Prozesskosten ein. Die RH stellt für konfrontativ ausgerichtete Veranstaltungen, wie Demonstrationen des "linken" Spektrums, häufig sog. Ermittlungsausschüsse (EA) zur Verfügung. Dabei handelt es sich um während des Demonstrationsgeschehens und danach telefonisch erreichbare Ansprechpartner. Diese beraten Personen, die in Konflikt mit der Polizei geraten sind, und vermitteln bei Bedarf einen Anwalt. Seite 185 von 267 Aktivitäten der Ortsgruppe Leipzig Die RH ORTSGRUPPE LEIPZIG war auch im Berichtsjahr die aktivste und mitgliederstärkste sächsische Ortsgruppe der RH. Wie im Vorjahr fanden in Leipzig unter der Bezeichnung "Antirepressionsveranstaltungen" regelmäßig Informationsveranstaltungen statt. Die Ortsgruppe veröffentlichte zudem Stellungnahmen zu Gerichtsprozessen, rief zur solidarischen Prozessbegleitung auf, nahm an Protestveranstaltungen teil und bot regelmäßige Sprechstunden an. Exemplarisch dafür stehen folgende Aktivitäten: 15. Januar: Stellungnahme zur Demonstration gegen das Verbot der Plattform "linksunten.indymedia" in Leipzig, 25. Mai: Durchführung einer Kundgebung mit ca. 80 Teilnehmern vor dem Amtsgericht Leipzig zur Unterstützung eines von Beugehaft bedrohten Szeneangehörigen, 10. Juni: Aufruf zur Beteiligung an einer Spontandemonstration in Solidarität mit den Betroffenen der Hausdurchsuchungen am 10. Juni unter dem Motto "Solidarität zeigen - Feuer und Flamme der Repression. Jede Durchsuchung hat ihren Preis" sowie Einrichtung eines Spendenkontos der RH-Leipzig für die Betroffenen, 15. August: Teilnahme an einer Solidaritätsveranstaltung für die Betroffenen der Hausdurchsuchungen am 10. Juni in Leipzig, 12./13. September: Beteiligung mit einem eigenen Stand an der anarchistischen Buchmesse "Radical Bookfair" in Leipzig, 26./27. September: Vorträge im Rahmen des "Antifaschistischen Jugendkongress" (Juko) in Chemnitz, 23. Dezember: Durchführung einer Kundgebung vor der Polizeidirektion Leipzig für die Betroffenen polizeilicher Maßnahmen im Nachgang einer Hausbesetzung im September 2020 in Leipzig und Beteiligung am "Solidaritätskomitee 31.12." zur Unterstützung der Personen, die im Zusammenhang mit den Ausschreitungen in der Silvesternacht von staatlichen Maßnahmen betroffen sind. Im Berichtsjahr konzentrierte sich die Ortsgruppe ähnlich wie im Vorjahr auf polizeiliches Handeln in Leipzig. Sie berichtete vorrangig über durchgeführte Durchsuchungsmaßnahmen und Verhaftungen sowie Aktivitäten von Solidaritätsgruppen im Umfeld der Betroffenen. Aktivitäten der Ortsgruppe Dresden Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der RH ORTSGRUPPE DRESDEN fanden im Berichtsjahr nur vereinzelt statt: 2. Mai: Einrichtung und Veröffentlichung eines Spendenkontos anlässlich des bevorstehenden Prozesses gegen die Beteiligten einer Hausbesetzung im Januar 2020 in Dresden und 20. November: Zeigen eines Transparentes mit dem Aufdruck "Unsere Solidarität gegen Ihre Repression! Rote Hilfe Dresden" durch Teilnehmer einer nichtextremistischen "Anti-Knastdemonstration" unter dem Motto "Solidarität mit Geflüchteten & Gefangenen - Lager evakuieren, Knäste räumen" in Dresden. Ursache für die öffentliche Zurückhaltung ist eine Auseinandersetzung der Dresdner Ortsgruppe mit dem Bundesvorstand im Jahr 2016. Anlass waren damals Veröffentlichungen in der vom Bundesvorstand herausgegebenen Mitgliederzeitung "Die Rote Hilfe", deren Autoren sich aus Sicht der Dresdner Mitglieder mit dem "bevormundenden und Seite 186 von 267 unterdrückenden" System des "Kasernenhofsozialismus" in der DDR kritiklos solidarisieren würden. In dem Streit ging es um die Beiträge "Siegerjustiz - zur Verfolgung und Delegitimierung eines sozialistischen Versuchs seit 1990", der schließlich im Dezember 2016 274 zur Ausgründung der ORTSGRUPPE DRESDEN aus der Bundesorganisation der RH führte. Die regelmäßige Sprechstunde und einzelne Vortragsveranstaltungen übernahm daraufhin der "Ermittlungsausschuss Dresden" (EA, ehemals RH ORTSGRUPPE DRESDEN). Dessen Internetseite verweist auf Publikationen und Termine der RH. Aktivitäten der Ortsgruppe Südwestsachsen Die im Jahr 2015 hinzugekommene RH REGIONALGRUPPE SÜDWESTSACHSEN mit Sitz in Chemnitz entwickelte im Jahr 2020 coronabedingt nur geringe Aktivitäten. Sie setzt sich aus den Ortsgruppen Chemnitz und Plauen zusammen. Mitglieder der Regionalgruppe organisierten und beteiligten sich u. a. an folgenden Aktivitäten: Beratungsangebot "für von Repression Betroffenen" in Chemnitz und Plauen, Aufruf vom 3. März zur Unterstützung von Personen, die sich an der Besetzung des CDU-Parteibüros am 25. August 2019 in Chemnitz beteiligten sowie Unterstützung der Kampagne "CDU besetzen? Unbezahlbar" und Einrichtung eines dazugehörigen Spendenkontos der Roten Hilfe Chemnitz. 4.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen Unter diesem Oberbegriff werden jene Bestrebungen zusammengefasst, die sich zu den Theorien von Marx, Engels und Lenin, der These vom Klassenkampf sowie zur Diktatur des Proletariats bekennen. Gemeinsamer weltanschaulich-politischer Nenner dieser orthodoxkommunistischen Gruppierungen ist die Ablehnung der Grundlagen und Wertvorstellungen des demokratischen Verfassungsstaates. Ziel ist die Auflösung der Institutionen der parlamentarischen und rechtsstaatlichen Demokratie. Zu den orthodoxen Gruppierungen zählen z. B. die KOMMUNISTISCHE PLATTFORM der Partei "Die Linke" (KPF), die DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) und die MARXISTISCHLENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD). Die orthodoxen Gruppierungen weisen unter allen linksextremistischen Bestrebungen das prägnanteste weltanschauliche und theoretische Fundament auf, welches zudem mit einer 275 deutlichen Programmatik und klar konturierten Zielvorstellungen verbunden ist. Ideologie und Strategie Die Gruppierungen unterscheiden sich in ihrer ideologischen Ausrichtung. Die DKP und die KPF bekennen sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und lehnen einen reformerischen Ansatz zugunsten eines revolutionären Weges zum Sozialismus ab. So heißt es im nach wie vor aktuellen Programm der DKP: "Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tiefgreifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse erreicht werden." 274 Zur ausführlichen Erläuterung der Auseinandersetzung siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2017, S. 231. 275 vgl. Beitrag II.4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Seite 187 von 267 Die geltende Gesellschaftsordnung und die freiheitliche demokratische Grundordnung können nach dieser Sichtweise nur auf revolutionärem Wege beseitigt werden. Die Präambel der MLPD weist in dieselbe Richtung: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der Sturz der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Deutschland als Teil der internationalen sozialistischen Revolution." Im Unterschied zu anderen orthodox-kommunistischen Gruppierungen, die sich kaum noch offen auf Stalin oder Mao Tse-tung beziehen, ist bei der MLPD ein offensives Bekenntnis zu diesen Diktatoren festzustellen. Dies zeigt, dass die MLPD im Gegensatz zur DKP oder KPF nicht nur marxistisch-leninistisch, sondern auch stalinistisch und maoistisch ausgerichtet ist. Mit ihrem ausgeprägten ideologischen Dogmatismus und dem exklusiven Anspruch auf den "wahren Sozialismus" stößt die MLPD jedoch ebenso wie die eng am orthodoxen Marxismus orientierten Gruppierungen DKP und KPF selbst im orthodox-kommunistischen Spektrum auf geringe Akzeptanz. Sie ist deswegen isoliert und befördert damit dessen weitere Zersplitterung. Personenpotenzial Orthodoxe Gruppierungen verfügen im Freistaat Sachsen über ein Potenzial von ca. 110 Personen. Diese haben allerdings nur einen marginalen Einfluss auf den Linksextremismus in Sachsen. Aktivitäten Aufgrund ihres insgesamt geringen Personenpotenzials, aber auch wegen ihrer strukturellen Schwächen beschränken sich Aktionen dieser Gruppierungen überwiegend auf interne Treffen, Vortragsveranstaltungen und Veröffentlichungen im Internet. Gelegentlich treten orthodoxe linksextremistische Organisationen mit eigenen Kundgebungen oder Infoständen an die Öffentlichkeit oder beteiligen sich an nicht extremistischen Versammlungen. 4.8 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund Die Gesamtzahl der linksextremistischen Straftaten im Freistaat Sachsen ist im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen. Demgegenüber hat sich die Zahl der Gewaltdelikte nahezu verdoppelt. Ihr Anteil am gesamten linksextremistischen Straftatenaufkommen im Berichtsjahr stieg auf etwa 21 % (2019: ca. 9 %). Seite 188 von 267 Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund 1500 1286 1084 1000 linksextremistische Straftaten insgesamt 628 578 592 davon Gewalttaten 500 230 102 101 115 117 0 2016 2017 2018 2019 2020 Das hohe Niveau der linksextremistischen Straftaten beschränkte sich weitgehend auf die Großstädte. Wie schon in den Vorjahren wurden die meisten der linksextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten in den Städten Leipzig und Dresden - den Zentren der AUTONOMEN SZENE in Sachsen - verübt. In allen Landkreisen war hingegen ein deutlicher Rückgang des Straftatenaufkommens zu verzeichnen. Die linksextremistischen Straftaten lagen nur in Leipzig deutlich über dem Niveau des Vorjahres. Dort richteten sich die meisten Straftaten gegen die Polizei sowie, insbesondere im zweiten Halbjahr, gegen die sog. "Querdenker". In Dresden und Chemnitz hingegen war ein leichter Rückgang zu verzeichnen, was auf die coronabedingt rückläufige Entwicklung des öffentlichen Demonstrationsgeschehens vor Ort zurückzuführen ist. In den drei Großstädten wurden etwa 82 % aller linksextremistischen Straftaten begangen (2019: ca. 61 %). Hauptsächlich handelte es sich hierbei um Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Verantwortlich für diese Entwicklung waren vor allem die Proteste gegen die "Querdenker" sowie Reaktionen auf die Räumung besetzter Häuser. Sehen sich Linksextremisten in ihren Freiräumen, d. h. in "ihren" Stadtvierteln, bedroht, reagieren sie häufig mit Straftaten gegen die aus ihrer Sicht verantwortlichen Immobilienunternehmen oder beauftragten Baufirmen. Sowohl Räumungen in Dresden276 und Leipzig277 als auch in Berlin (Szeneobjekt "Liebig34") veranlassten Linksextremisten zu Solidaritätsaktionen in Form von Straftaten. Dazu gehörten Sachbeschädigungen ebenso wie Brandstiftungen an Fahrzeugen und Gebäuden von Immobilienfirmen in Dresden und Leipzig. Das Gewalttatenaufkommen entwickelte sich in den Großstädten unterschiedlich. In Leipzig und Dresden war jeweils ein Anstieg der Gewalttaten zu verzeichnen. In Chemnitz sank die Zahl hingegen erneut deutlich unter das Niveau des Vorjahres. Die meisten dieser Gewaltdelikte richteten sich gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole sowie gegen 276 vgl. Beitrag II.4.4.2 AUTONOME in Dresden 277 vgl. Beitrag II.4.4.1 AUTONOME in Leipzig Seite 189 von 267 den politischen Gegner. Der Begriff des "politischen Gegners" umfasst dabei auch die sog. "Querdenker".278 Der Anstieg der Gewaltdelikte ist ein Indiz dafür, dass für Linksextremisten Gewalt ein legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung ist, mit dem Ziel, den politischen Willensbildungsprozess zu beeinflussen. Hervorzuheben ist die gestiegene Aggressivität bei der Begehung von Straftaten durch Teile der AUTONOMEN SZENE. Diese Entwicklung kommt allerdings nicht überraschend, sondern zeichnete sich über mehrere Jahre hinweg ab. Maßgeblich für diese Einschätzung sind v. a. folgende mutmaßlich linksextremistisch motivierte Gewalttaten: In der Silvesternacht 2019/2020 wurden in Leipzig Polizisten von etwa 20 schwarz gekleideten vermummten Personen massiv mit Steinen und Pyrotechnik angegriffen. Man schlug und trat einen Beamten gezielt gegen den Kopf. Am 11. Juli attackierten in Dresden mindestens fünf unbekannte Personen einen Angehörigen der FREIEN KAMERADSCHAFT DRESDEN in seinem Hausflur. Der Geschädigte erlitt Verletzungen am Kopf. Seine Daten waren im Zusammenhang mit den Ereignissen am 11. Januar 2016 in Leipzig (gewalttätige Randale-Aktion von Rechtsextremisten und Hooligans in Leipzig-Connewitz) veröffentlicht worden. Im Tatbekenntnis wurde mitgeteilt, dass man sich normalerweise zu seinen Taten erkläre. Es hieß: "Wir agieren aus dem Verborgenen, unser Handeln spricht für sich und braucht keine Öffentlichkeit oder ausschweifende Erklärungen." Mit der vorliegenden Aktion wolle man auf die "bundesweit verstärkt auftretenden Angriffe auf Genossinnen und Genossen" aufmerksam machen. Eigenen Angaben zufolge schlugen die Angreifer mit einem Schlosserhammer auf ihr Opfer ein. In ihrem Tatbekenntnis verhöhnten sie es: "Am Ende half ihm weder seine zielstrebige Flucht die Kellertreppe hinunter, die 500 Meter entfernte Bullenwache noch sein panisches Geschrei, sich der Diskussion mit unserem 500g Schlosserhammer zu entziehen. Wir gehen davon aus, mit unseren durchschlagenden Argumenten bleibenden Eindruck hinterlassen zu haben." Am 21. November wurden in Leipzig zwei Teilnehmer der "Querdenker"-Proteste von etwa zehn Personen tätlich angegriffen, zu Boden gebracht und mehrfach mit Schlägen und Tritten traktiert. Einem der Opfer trat man dabei mehrfach gegen den Kopf. Erst durch die Abgabe eines Warnschusses wurde der Angriff beendet. In der Nacht vom 29. zum 30. November wurde in Chemnitz ein bekannter Rechtsextremist unmittelbar vor seiner Haustür von mehreren unbekannten vermummten Personen mit Schlägen und Tritten angegriffen und verletzt. Im Tatbekenntnis wird betont, wie wichtig es sei, bei "massiver bundesweiter Repression gegen AntifaschistInnen sowie gleichzeitig zunehmender rechter Mobilisierung und Gewalt [...] weiter anzugreifen und dabei Zeitpunkt, Ziel und Mittel des Angriffs selbst zu bestimmen." 96 % aller Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund wurden in Leipzig, Dresden und Chemnitz registriert (2019: ca. 85 %). 278 vgl. Beitrag II.1 Härtetest für die Demokratie: Wie Extremisten die Corona-Maßnahmen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele ausnutzten Seite 190 von 267 Straftaten, Aufteilung nach Regionen linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2018 2019 2020 2018 2019 2020 Leipzig (Stadt) 213 356 472 47 57 165 Dresden (Stadt) 144 348 335 26 33 53 Region Westsachsen Chemnitz-Stadt 104 86 78 25 10 2 Vogtlandkreis 6 30 12 1 2 0 Lkr. Zwickau 12 57 32 2 3 0 Erzgebirgskreis 11 24 14 0 0 0 Region Mittelsachsen Lkr. Mittelsachsen 14 74 30 0 2 1 Lkr. Meißen 19 77 16 0 2 0 Lkr. Sächs. Schweiz11 34 4 1 0 0 Osterzgebirge Region Ostsachsen Lkr. Bautzen 14 49 29 1 3 1 Lkr. Görlitz 32 65 20 4 0 1 Region Nordsachsen Lkr. Leipzig 31 52 30 6 4 6 Lkr. Nordsachsen 117 34 12 2 1 1 Freistaat Sachsen 628 1268 1084 115 117 230 Seite 191 von 267 4.9 Ausblick Die für das Berichtsjahr prägenden Entwicklungen im Bereich Linksextremismus, wie die kontinuierlich hohe Gewaltbereitschaft insbesondere in Teilen der Leipziger Szene und das anhaltend hohe Niveau klandestiner Aktionen in allen sächsischen Großstädten, werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch im Jahr 2021 bestimmend für das Handeln der linksextremistischen Szene in Sachsen sein. Dies gilt ebenfalls für die Konzentration der politischen Arbeit auf die Themenfelder "Antirepression" und "Antigentrifizierung". Die linksextremistische Szene Leipzigs wird innerhalb des Freistaates Sachsen weiter eine herausragende Bedeutung besitzen. Sie verfügt mittlerweile auch bundesweit über eine Anziehungskraft, die zu weiteren Zuzügen von auswärtigen Szeneangehörigen und entsprechenden Anreisebewegungen bei Veranstaltungen führen wird. Für 2021 sind in Leipzig jedoch bislang keine Großereignisse absehbar, die eine hohe regionale und überregionale Mobilisierungswirkung für AUTONOME entfalten könnten. Leipzig wird auch in 2021 der Schwerpunkt linksextremistischer Gewalt bleiben. Es ist davon auszugehen, dass Immobilienund Baufirmen sowie die Polizei weiterhin Ziele von Angriffen linksextremistischer Straftäter sein werden. Zum einen kann es dabei weiterhin zu Anschlägen, beispielsweise auf Baufahrzeuge, Baustelleneinrichtungen oder Objekte staatlicher Einrichtungen, kommen, die regelmäßig hohe Sachschäden verursachen. Nicht auszuschließen sind aber auch Angriffe gegen Personen des politischen Gegners, bei denen auch schwere Verletzungen des Opfers billigend in Kauf genommen werden. Zum anderen sind ebenso erneute Hausbesetzungsversuche zu erwarten, da Mietsteigerungen und soziale Verdrängungsprozesse in beliebten Innenstadtvierteln eine hohe Mobilisierungswirkung entfalten. Teile der Szene zeigten 2020 bei Auseinandersetzungen mit dem Feindbild Polizei eine hohe Aggressivität, was sich sehr wahrscheinlich bei weiteren Konfrontationen in den für sich beanspruchten "eigenen" Vierteln fortsetzen wird. Der Einsatz massiver Gewalt und die gezielte Provokation von Polizeibeamten bleiben für einige Szeneangehörige zentrale Mittel, um das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen und "aufzubrechen". Abhängig von der politischen Ereignislage wird der Kampf gegen den politischen Gegner weiterhin Szeneangehörige der autonomen Antifa inund außerhalb der Großstädte mobilisieren können. Die AUTONOME SZENE hat in der Vergangenheit gezeigt, dass sie bei Aufzügen, Übergriffen oder Anschlägen durch Rechtsextremisten schnell mit Protestaktionen reagieren und dabei auf bundesweite Unterstützungsnetzwerke zurückgreifen kann. Dementsprechend wird es von der öffentlichen Präsenz des politischen Gegners in Sachsen abhängen, wie häufig und in welcher Größenordnung AUTONOME sich an Protestveranstaltungen gegen den politischen Gegner beteiligen. Im Blickfeld der autonomen Szene bleiben aufgrund der aktuellen Lage vor allem sog. Corona-Leugner und ihre Verbindungen zu Rechtsextremisten und Reichsbürgern. Hervorzuheben sind darüber hinaus die bevorstehenden Landtagswahlkämpfe in den benachbarten Bundesländern Thüringen und Sachsen-Anhalt sowie die Bundestagswahl 2021, die zu einem erneuten Anstieg öffentlichkeitswirksamer Aktionen und Straftaten gegen Angehörige der AfD und deren Unterstützer führen werden. AUTONOME aus Sachsen werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit an Aktionen gegen die AfD in Thüringen und SachsenAnhalt beteiligen, da es Kontakte zu dortigen Strukturen der autonomen Szene gibt. Während des Bundestagswahlkampfs ist zum einen mit gewalttätigen Übergriffen auf Angehörige der AfD im Umfeld von Wahlkampfveranstaltungen, Demonstrationen bzw. Kundgebungen in den sächsischen Großstädten sowie zum anderen mit Sachbeschädigungen an Wahlplakaten, Parteibüros, Veranstaltungslokalen oder Fahrzeugen im gesamten Freistaat zu rechnen. Noch nicht absehbar ist, ob sich die seit 2019 beobachtete Tendenz fortsetzt, verstärkt auch den privaten Wohnbereich bzw. das familiäre Umfeld von AfD-Politikern zu attackieren. Seite 192 von 267 5. Islamismus Personenpotenzial insgesamt minimal gestiegen, im Bundesvergleich aber weiterhin auf niedrigem Niveau Bewusster Missbrauch der Religion für verfassungsfeindliche Zielsetzungen Schwerpunkte salafistischer Strukturen in Leipzig und Plauen "Wolf im Schafspelz"-Strategie legalistischer Islamisten Erstmals mutmaßlich islamistisch motivierter Anschlag in Sachsen Gefahr von Terroranschlägen bleibt abstrakt, jedoch hoch Seite 193 von 267 5.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine Form des religiös motivierten politischen Extremismus. Islamismus beginnt dort, wo islamische Gebote und Normen für politische Handlungsanweisungen instrumentalisiert werden. Sämtliche Strömungen des Islamismus missbrauchen die Religion bewusst für ihre politischen Zielsetzungen. Die Begriffe "Islam" und "Islamismus" sind deshalb deutlich voneinander zu unterscheiden. Der Verfassungsschutz differenziert zwischen der politischen Ideologie und der durch das Grundgesetz geschützten Ausübung der Religion des Islam. Islamisten sehen im Islam nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche - von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben jedes Einzelnen. Unter Berufung auf die Religion streben Islamisten die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland an und wollen diese durch ein ausschließlich auf Koran, Sunna279 und Scharia280 basierendes Gesellschaftssystem ersetzen bzw. umgestalten. Nach den Vorstellungen islamistischer Organisationen regelt der Islam alle gesellschaftlichen Lebensbereiche. Die von ihnen propagierte Existenz einer von Gott gewollten und demzufolge "wahren" und absoluten Ordnung steht über den von Menschen gemachten Regeln und Gesetzen. Damit stehen Islamisten insbesondere im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der Trennung von Staat und Religion, der freien Meinungsäußerung und der allgemeinen Gleichberechtigung. 279 Sunna ("gewohnte Handlung, eingeführter Brauch") bezeichnet im Islam die Tradition bzw. Handlungsweisen des Propheten Muhammad, die in der islamischen Glaubensund Pflichtenlehre die zweite Quelle religiöser Normen nach dem Koran darstellen. 280 Als Scharia wird das gesamte islamische Rechtsund Wertesystem bezeichnet. Seite 194 von 267 5.2 Personenpotenzial Anzahl der Islamisten im Freistaat Sachsen281 Wie in den Vorjahren bewegt sich das islamistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen im Bundesvergleich auf niedrigem Niveau. Verglichen mit 2019 ergab sich im Berichtsjahr eine minimale Steigerung um fünf Prozent auf etwa 525 Personen. Diese gemäßigte Steigerung erklärt sich durch ein generell erhöhtes Erkenntnisaufkommen sowie auch durch eine verstärkte Aufklärungstätigkeit in diesem Bereich. Diese wiederum geht auf eine intensivierte Vernetzung im Sicherheitsverbund zurück. Der Anstieg der letzten fünf Jahre lässt sich zudem auf Migrationsbewegungen aus dem arabischen Raum nach Sachsen zurückführen. Auch das salafistische Personenpotenzial als Teilmenge des islamistischen Personenpotenzials stagnierte im Freistaat Sachsen mit etwa 270 Personen auf vergleichsweise geringem Niveau. Es umfasst sowohl politische als auch jihadistische Salafisten. Im Berichtsjahr gingen im LfV Sachsen weiterhin zahlreiche Hinweise auf salafistische Sachverhalte ein. Die Spannweite reichte hierbei von Verleumdungen bis hin zu wertigen und relevanten Informationen. Die hohe Anzahl dieser Meldungen ist u. a. auf die stärkere Sensibilisierung deutscher Behörden wie auch der Gesellschaft im Allgemeinen zurückzuführen. 281 Das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen wird erst seit dem Jahr 2014 gesondert erhoben, sodass für die Jahre zuvor diesbezüglich keine Werte vorliegen. Seite 195 von 267 5.3 Erscheinungsformen des Islamismus Legalistischer Islamismus Definition Sog. legalistische islamistische Gruppierungen verfolgen ihre extremistischen Ziele mit politischen Mitteln innerhalb einer bestehenden Rechtsordnung. Sie bestehen auf einer strikten Auslegung des Korans, die nach ihrer Auffassung unabhängig von Zeit und Ort für alle Menschen gültig sei. Eine unmittelbare Gefährdung geht von diesen Gruppierungen nicht aus, da sie nicht gewaltorientiert sind. Ideologie Ideologische Richtschnur für legalistische islamistische Gruppierungen sind die Weisungen der Scharia. Nach ihrer Auffassung darf die Scharia als islamische Rechtsund Lebensordnung nicht relativiert werden. Ein Großteil ihrer ideologischen Grundsätze ist jedoch unvereinbar mit den im Grundgesetz verankerten Prinzipien der Demokratie, des Rechtsstaates, der Religionsfreiheit und einer auf der Menschenwürde, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und auf der Volkssouveränität basierenden politischen Ordnung. Ziel legalistischer Islamisten ist es, zunächst nur Teilbereiche der Gesellschaft zu manipulieren und zu ideologisieren, wie z. B. durch direkte Einflussnahme im Bildungswesen. Langfristig streben sie aber die Umformung des demokratischen Rechtsstaates in einen islamistischen Staat an. Strategie Legalistische Islamisten verfolgen eine Doppelstrategie ("Wolf im Schafspelz"): Sie sind bestrebt, mittels Lobbyarbeit ihre auf islamistischer Ideologie basierenden Vorstellungen zum gesellschaftlichen und individuellen Leben auf legalem Weg sowie unter Ausnutzung der Möglichkeiten des deutschen Rechtsstaates durchzusetzen. Repräsentanten dieser Organisationen geben sich in der Öffentlichkeit offen, tolerant und dialogbereit. Unter Vortäuschung demokratischer Absichten versuchen sie, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu erlangen. Nach innen bzw. in den Gemeinden sind sie jedoch bestrebt, insbesondere junge Muslime von ihren islamistischen Positionen für ein Scharia-konformes Leben zu überzeugen. Dabei werden auch solche Prinzipien und Werte vermittelt, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind und darüber hinaus die Entwicklung islamistisch geprägter Parallelgesellschaften unterstützen. In Deutschland und damit auch im Freistaat Sachsen werden legalistische Islamisten hauptsächlich in drei Bereichen aktiv: Einflussnahme auf die Politik, Mitgliedergewinnung und Bildungsarbeit. Dabei sind sie oftmals in übergeordneten muslimischen Verbänden organisiert. Mittels dieses "Sprachrohrs" versuchen sie, bestimmte gesellschaftliche Themen, wie die staatliche Imam-Ausbildung oder den islamischen Religionsunterricht, zu beeinflussen und sich dem Staat als Ansprechpartner für die Belange von Muslimen anzubieten. Zudem versuchen sie, für ihre jeweilige Organisation und im Sinne der Ideologieverbreitung neue Mitglieder zu werben. Hierzu unterhalten sie Moscheeund Kulturvereine oder organisieren Vorträge und andere Veranstaltungen. Auch die Jugendund Bildungsarbeit ist ein wichtiger Bereich, in dem sie aktiv sind. Es werden Koranund Sommerschulen sowie zielgruppenorientierte Schulungsund Freizeitaktivitäten in Deutschland organisiert. Die Jugendund Bildungsarbeit dient vor allem dem Zweck, die Seite 196 von 267 eigene Islaminterpretation zu verbreiten, um damit geeigneten Nachwuchs heranzuziehen.282 Strukturen MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) Gründung 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna Leitung Muhammad BADI Teil-/Nebenorganisationen Publikationen/Medien "Risalat al-Ikhwan" (Zeitschrift) Internetauftritte Personenpotenzial 2020 2019 Sachsen 25 25 Bundesweit 1.450 1.350 Finanzierung Kurzportrait / Ziele weltweit älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung nach eigenen Angaben in mehr als 70 Ländern in unterschiedlicher Ausprägung vertreten Ziele: - Errichtung eines islamischen Staates auf Grundlage der Scharia - Keine Trennung zwischen Staat und Religion Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Ziel der MB ist die Errichtung eines politischen und gesellschaftlichen Systems auf der Grundlage der Scharia. Eine Trennung von Religion und Staat ist nach ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie demnach nicht denkbar. Ein säkularer Staat wird gemäß dem Leitspruch "Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser Wunsch" ausdrücklich abgelehnt. Diese Ideologie sowie die von der MB angestrebte islamistische Staatsform sind nicht mit demokratischen Grundprinzipien, wie dem Recht auf freie Wahlen, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie der Meinungsund Religionsfreiheit, vereinbar. Zahlreiche islamistische, zum Teil auch terroristische Organisationen, wie die palästinensische HAMAS, sind aus der MB hervorgegangen. Seit den 1970er-Jahren spricht sich die MB für den Verzicht auf Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele aus. Davon ausgenommen ist jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter vor allem Israel verstanden wird. 282 vgl. Broschüre "Islamismus: Entstehung und Erscheinungsformen", Bundesamt für Verfassungsschutz, September 2013, S. 21-23 Seite 197 von 267 Die "Wolf im Schafspelz"-Strategie legalistischer Islamisten wurde in Ägypten während des sog. Arabischen Frühlings besonders deutlich. So stellte die MB von 2011 bis 2013 nicht nur die stärkste Fraktion im Parlament, sondern mit Mohammed Mursi von 2012 bis 2013 auch den Staatspräsidenten. In dieser Zeit zeigte sich, dass die Muslimbrüder nicht Teil eines demokratischen Systems sein, sondern dass sie demokratische Wahlen als Sprungbrett nutzen wollten, um ihre Vorstellung von einem islamistisch geprägten politischen System durchzusetzen. Das wurde zum Beispiel am ersten Entwurf für eine neue Verfassung, der ausschließlich von Muslimbrüdern und salafistischen Gruppierungen erarbeitet wurde, deutlich. Er sah neben einer massiven Beschneidung von Frauenrechten die Pflicht zur Überprüfung jedes neuen Gesetzes durch islamistische Gelehrte auf seine Islamkonformität vor.283 Nach der Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär unter Präsident Abdel Fattah alSisi im Juli 2013 wurde die MB in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft. Aktivitäten im Freistaat Sachsen In Deutschland - und damit auch im Freistaat Sachsen - tritt die MB nicht offen in Erscheinung, wird aber von Organisationen, wie der DEUTSCHEN MUSLIMISCHEN GEMEINSCHAFT (DMG), als Teil einer weltweiten "islamischen Bewegung" angesehen. Eine weitere Organisation aus dem Spektrum der MB ist die SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE (SBS). Auch in Europa ist die MB mit einer Vielzahl von Organisationen vertreten, wie z. B. - der "Föderation der Islamischen Organisationen in Europa" (FIOE) mit Sitz in Brüssel und - dem "Europäischen Fatwa-Rat" (ECFR) mit Sitz in Dublin. DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E.V. (DMG) Sitz Berlin (vormals Köln) Gründung 1960 Vorsitz Khallad SWAID (seit 2017) Mitglieder/Anhänger: s. Personenpotential zur MB Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Die DMG ist die wichtigste und zentrale Organisation der Anhänger der MB in Deutschland. Bis September 2018 nannte sie sich I SLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND. Die Umbenennung in DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT soll die Verbundenheit ihrer Mitglieder mit Deutschland suggerieren. Die DMG tritt gegenüber Politik, Behörden und zivilgesellschaftlichen Partnern als dialogbereiter Vertreter eines gemäßigten, weltoffenen Islam auf. Sie verfolgt eine gewaltfreie, an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich, vermeidet bei öffentlichen Auftritten bewusst verfassungsfeindliche Äußerungen und jedwedes Bekenntnis zur MB. Zahlreiche nach 283 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2018, S. 220 Seite 198 von 267 außen hin verschleierte Verbindungen zwischen hochrangigen DMG-Funktionären und namhaften ausländischen Muslimbrüdern verdeutlichen jedoch die Zugehörigkeit der DMG zum weltweiten MB-Netzwerk.284 Mit dieser Taktik verfolgt die DMG das Ziel, mittelbis langfristig eine führende und im Sinne islamistischer Zielvorstellungen relevante Einflussgröße zu werden. Die DMG richtet sich somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Aktivitäten Die DMG unterhält eigene Moscheen und Gemeindezentren und koordiniert darüber hinaus nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten mit über 100 weiteren islamischen Gemeinden in ganz Deutschland.285 In Sachsen ist die DMG nicht offiziell vertreten. SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT (SBS GUG) Sitz Dresden Gründung 2016 Vorsitz Dr. Saad ELGAZAR Internetauftritt www.sbs-net.de Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Vorstand, alleinvertretender Geschäftsführer und somit Entscheidungsträger der SBS ist Dr. Saad ELGAZAR. Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass er der MB zuzuordnen ist. Die SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GUG (SBS) hat ihren Hauptsitz unter der gleichen Anschrift in Dresden wie das MARWA ELSHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E.V., dessen Vorsitzender ebenfalls Dr. Saad ELGAZAR ist. Es liegen daher Anhaltspunkte für Kontakte der SBS zur MB bzw. DMG vor. Im Hinblick auf die Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit wird daher auf die zuvor getätigten Ausführungen zu MB und DMG verwiesen. Die SBS versteht sich als "multikulturelle und religionsübergreifende Einrichtung" sowie als Bindeglied zwischen sächsischer Bevölkerung und "muslimischen Einwanderern". Mit ihrer Hilfe soll diesen Migranten die Integration erleichtert werden. Durch zunächst seriös wirkende Angebote für Muslime versuchte die SBS, insbesondere im ländlichen Raum extremistischen Einfluss auf die islamische Gemeinschaft zu erlangen und die mit der Doppelstrategie der MB oder der DMG einhergehenden extremistischen Ziele umzusetzen. 284 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2018, S. 220 285 vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat 2018, S. 221 Seite 199 von 267 Aktivitäten Über einen Zeitraum von einigen Jahren hat ELGAZAR im Internet in öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken zahlreiche Beiträge veröffentlicht, mit denen er ein eindeutiges und offenes Bekenntnis zur extremistischen MB abgab, ihre Aktivitäten begrüßte und darüber hinaus auch eine antisemitische Weltanschauung erkennen ließ. So verbreitete ELGAZAR im Internet Beiträge von führenden und einflussreichen MBVertretern bzw. berichtete über diese, so auch über Yusuf AL-QARADAWI (inoffizielle Leitfigur und Chefideologe der MB), Hassan al-BANNA (Gründer der MB), und Sayyid QUTB (einstiger Hauptideologe der MB). In seinen Äußerungen und Kommentaren unterstrich er die religiösen Leistungen dieser Personen für die MB und rief die Muslime dazu auf, den wahren Kern des Islam zu leben. Gemeint ist in diesem Zusammenhang das Islamverständnis der zitierten MB-Ideologen. ELGAZAR verfasste darüber hinaus auch Artikel, z. B. unter der Überschrift "Die Lösung ist die Muslimbruderschaft", welche die MB als beste Lösung für alle aktuellen Probleme in Ägypten präsentieren. Einige seiner Äußerungen in sozialen Netzwerken spiegelten zudem eine antisemitische Grundeinstellung wider: So teilte ELGAZAR im September 2016 ein Video, in welchem eine Landkarte Palästinas ohne Israel gezeigt wird. Zudem wird im Video der Präsident der palästinensischen Autonomiegebiete, Mahmud ABBAS, als Verräter bezeichnet. ELGAZAR kommentierte das Video mit: "Es gab für uns ein Land mit dem Namen Palästina - und wird es (wieder) werden." Dieses Video steht im Einklang mit der Ideologie der MB und der H AMAS, dem palästinensischen Zweig der MB. ELGAZAR stellte sich damit sowohl durch das Teilen des Beitrages als auch mit seinem Kommentar eindeutig auf die Seite der H AMAS und der MB. Seine Nähe zur MB bzw. zur HAMAS konnte auch im Berichtsjahr beobachtet werden. Im April verfasste und veröffentlichte er auf seiner Facebook-Seite einen anti-israelischen Artikel. Anlass dafür war zum einen der Gedenktag zur - laut islamischer Überlieferung - Änderung der Gebetsrichtung bzw. der Gebetsnische von der al-Aqsa-Moschee in Jerusalem zur Kaaba in Mekka im Jahr 624. Zum anderen thematisierte ELGAZAR die durch die Corona-Pandemie bedingte vorübergehende Schließung der al-Aqsa-Moschee im März durch israelische Behörden. ELGAZAR nutzte diese Ereignisse, um unter seiner Anhängerschaft eine anti-israelische Stimmung zu erzeugen. Die Schließung der Moschee sei "eine einmalige Gelegenheit für die Regierung der zionistischen Entität, um ihren verbrecherischen Willen... durchzusetzen, während sich die ganze Welt mit den Nachrichten über die wilde Pandemie beschäftigt...". Des Weiteren leide die alAqsa..."nicht nur unter der Corona-Pandemie, sondern auch unter mehreren aufeinanderfolgenden Epidemien, wie die Epidemie der Siedler, die mit Hilfe der Besatzungsspeere nicht aufhören, sie (die Moschee) zu stürmen...". Auffällig ist, dass ELGAZAR in seinem gesamten Artikel nicht von "Israel" oder "israelischer Regierung" schreibt, sondern ausschließlich Begriffe wie "die zionistische Entität", "Regierung der zionistischen Entität mit ihrem verbrecherischen Willen" oder "Siedler" verwendet. Dieses Vokabular wird u. a. auch in der HAMAS-Gründungscharta von 1988 bzw. der HAMAS-Charta von 2017 verwendet. Es zielt darauf ab, die Existenz Israels zu leugnen sowie Hass auf Israel zu schüren. Auf der anderen Seite führte ELGAZAR auch im Jahr 2020 vielfältige Gespräche mit Vertretern des öffentlichen Lebens, um diese von der Friedfertigkeit des Islam zu überzeugen. Außerdem nutzte er Auftritte in der Öffentlichkeit zu diesem Zweck. So war er am 31. Oktober einer von rund zehn Teilnehmern einer nicht extremistischen Seite 200 von 267 Kundgebung unter dem Motto "Islam gegen Terrorismus" in Dresden. Sie fand in Reaktion auf die Tötung eines Touristen durch einen Islamisten in der Landeshauptstadt statt. In einem früheren von ihm veröffentlichten Beitrag brachte ELGAZAR u. a. auch den Gedanken einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung ins Spiel. So stand am Ende des Beitrages ein selbstkritischer Aufruf an sich selbst und den Leser, die eigene Disziplin anzupassen, da ansonsten wieder 60 Jahre Gefängnis drohten: "Wenn die neue Generation (der Muslimbrüder) nicht anders agiert und wieder 60 Jahre im Gefängnis sitzt, werden unsere Feinde keine Araber mehr in Kairo platzieren, sondern Juden, die über den Nil (Ägypten) herrschen, nachdem sie die Unterwerfung des Euphrats abgeschlossen haben." Solche Veröffentlichungen tragen zur Verbreitung der ideologischen Grundsätze der MB bei und sind als Bekenntnis ELGAZARS zur MB zu werten. Sie unterstreichen auch seine Verbundenheit mit deren Führungspersönlichkeiten. Zu Beginn des Jahres 2019 verkündete die SBS auf ihrer Website, dass sie das selbstgesteckte Ziel einer flächendeckenden Schaffung von Gebetsstätten erreicht und alle Aktivitäten eingestellt habe. Die einstigen SBS-Standorte in Leipzig, Riesa, Zittau, Meißen, Pirna und Görlitz sowie die Standorte in Brandenburg und Baden-Württemberg seien entweder geschlossen worden oder es hätten sich dort neue Vereine gebildet. Ob die MB-nahe SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GUG in Sachsen aber tatsächlich ihre Aktivitäten eingestellt hat, ist fraglich. Es ist nicht auszuschließen, dass die handelnden Personen unter anderen Strukturbezeichnungen weiter agieren, was wiederum der traditionellen Verschleierungsstrategie der MB entspräche. Solange das MARWA ELSHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. durch ELGAZAR geführt wird, ist davon auszugehen, dass seine Aktivitäten - verfassungskonform verschleiert - in Wahrheit solche der MB sind. Politischer und jihadistischer Salafismus Einleitung Die Sicherheitsbehörden unterscheiden grundsätzlich zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. Während beide Strömungen auf der gleichen ideologischen Grundlage beruhen, unterscheiden sie sich jedoch in der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre Ziele verwirklichen wollen. Dennoch besitzen beide Ausprägungen eine immanente Gewaltorientierung. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Übergang vom politischen zum jihadistischen Salafismus fließend ist und sich beide Richtungen mitunter nicht klar voneinander abgrenzen lassen. Vertreter des politischen Salafismus betonen den friedlichen Charakter des Islam und positionieren sich teilweise ausdrücklich gegen Terrorismus. Dennoch wird die Anwendung von Gewalt - ausgehend von einer subjektiv konstruierten Bedrohungslage - auch von Vertretern des politischen Salafismus in bestimmten Fällen für zulässig erklärt. Von jihadistischem Salafismus als einem Teilbereich des islamistischen Terrorismus sprechen die Sicherheitsbehörden dagegen, wenn die Anwendung terroristischer Gewalt von vornherein ideologisch legitimiert wird und der bewaffnete Kampf gegen "Ungläubige" als zentrales Mittel gesehen wird, um das eigene Islamverständnis zu "verteidigen" und zu verbreiten bzw. um politische Macht zu erlangen. Seite 201 von 267 Personenpotenzial Wie in den Vorjahren auch bewegt sich das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen, welches sowohl politische wie jihadistische Salafisten umfasst, auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Es stagnierte im Berichtsjahr bei ca. 270 Personen. Ideologie Salafisten orientieren sich am Leben der ersten drei Generationen von Muslimen, welche auch als "Altvordere" (arab. as-salaf as-salih) bezeichnet werden und im 7./8. Jahrhundert lebten. Nach Ansicht der Salafisten führten nur diese Generationen ein gottgefälliges Leben, da sie es ausschließlich am Koran und dem Leben des Propheten Mohammed (Sunna) ausrichteten. Salafisten orientieren sich nicht nur inhaltlich an den Vorstellungen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit, sondern auch an der damaligen Werteordnung. Sie streben eine Rechtsordnung an, die ausschließlich auf Koran und Sunna basiert. Die Einführung einer solchen Ordnung wird auch für westliche Länder, in denen Muslime leben, angestrebt. Insofern liegt auch eine politische Bestimmtheit vor, die über eine reine Glaubensausübung hinausgeht. Aus der buchstabengetreuen Auslegung von Koran und Sunna leitet sich das zentrale salafistische Glaubensverständnis ab. Hierzu gehört die Überzeugung, dass Gott der einzige legitime Souverän und Gesetzgeber sei. Kennzeichnende Merkmale für die salafistische Ideologie sind insbesondere die Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat, der absolute Geltungsanspruch der Scharia als allumfassende Lebensordnung, die Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau und Abgrenzungsmechanismen gegenüber anderen Religionen bzw. vermeintlich Ungläubigen. Salafisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gänze ab und sehen sich als die einzigen "wahren" Muslime. Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat Nach salafistischer Auslegung wird der Islam als allumfassender politischer Gegenentwurf zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung begriffen und öffentlich propagiert. So ist die Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung nach salafistischer Auffassung nicht die Selbstbestimmung des Volkes, sondern der Wille Gottes. Demokratische Prozesse werden als Verletzung der Souveränität Gottes und deshalb als illegitim angesehen. In Anlehnung an die islamische Frühzeit wird die Schaffung einer vermeintlich idealen islamischen Gesellschaft, in welcher Staat und Religion eine Einheit bilden (d. h. eine Theokratie), angestrebt. Sämtliche religiöse Neuerungen oder gar eine Fortentwicklung der Religion im Sinne einer Anpassung an bestehende Verhältnisse werden dagegen strikt abgelehnt. Dementsprechend greifen Salafisten auf Regeln und Rechtsnormen zurück, die mit einem modernen demokratischen Rechtsstaat unvereinbar sind. Absoluter Geltungsanspruch der salafistischen Rechtsordnung ("Scharia") Als Basis ihrer religiös begründeten rechtlichen, sozialen und politischen Ordnungsund Herrschaftsvorstellungen ziehen Salafisten die Scharia als Ausdruck des göttlichen Willens heran. Nach ihrem Verständnis bezeichnet der Begriff "Scharia" zusammengefasst sämtliche vom Koran und der Prophetenüberlieferung (Sunna) abgeleiteten religiösen und weltlichen Rechtsvorschriften. Jeder Muslim hat nach salafistischem Verständnis die Normen der Scharia als gottgewollt zu befolgen. Andere politische und rechtliche Modelle werden entweder als zweitrangig verstanden oder grundsätzlich abgelehnt. Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau Salafisten weisen der Frau ein Rollenbild zu, das sie auf ihre häuslichen Aufgaben beschränkt und ihre öffentliche Betätigung (wie z. B. ein politisches Engagement) ausschließt. Der Seite 202 von 267 Ehemann besitzt nach salafistischer Auslegung des Korans ein Züchtigungsrecht zur Erziehung und Disziplinierung seiner Ehefrau. Die von Salafisten so verstandene gottgegebene Überordnung des Mannes im Verhältnis zur Frau verstößt gegen den in Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes garantierten Grundsatz der Gleichberechtigung. Feindbilder Die salafistische Ideologie ist insbesondere durch zahlreiche Abgrenzungsmechanismen geprägt. Die Verbreitung von Bildern muslimischer wie nicht muslimischer Feinde soll zur Stärkung einer eindeutigen salafistischen Identität beitragen. Andersdenkende werden auch dann, wenn sie einer Religionsgemeinschaft angehören, mit diffamierenden Begriffen wie "Kuffar" ("Ungläubige") bezeichnet. Dementsprechend sollen Salafisten ausschließlich mit ihresgleichen verkehren und sämtliche Beziehungen zu "Ungläubigen", einschließlich nicht salafistischen Muslimen, unterlassen. Salafisten verstehen sich als Opfer in der nicht muslimischen Mehrheitsgesellschaft. Dazu werden Szenarien von Bedrohungen und Angriffen gegen den Islam und die Muslime gezeichnet, die weltpolitische Ereignisse, wie die Konflikte in Syrien, im Irak oder in Afghanistan, aber auch eine vermeintliche Diskriminierung in westlichen Ländern verarbeiten. Derartige Szenarien sind elementar für die Rekrutierung von Anhängern und haben Einfluss auf das Mobilisierungspotenzial. Die Menschen sollen auf verschiedene Weise vom so verstandenen "richtigen" Islam überzeugt werden bzw. zum Islam konvertieren. Das entsprechend verbreitete Gedankengut ist geeignet, den ideologischen Nährboden für eine islamistische Radikalisierung zu bilden und steht damit einer Integration entgegen. Strategie Politische Salafisten verbreiten ihre islamistische, fundamentalistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten, die sog. "Missionierung" (Dawa). Große Teile dieser propagandistischen Arbeit finden in den sozialen Netzwerken statt. Jedoch hat der politische Salafismus inzwischen an Dynamik verloren. Die Rekrutierung neuer Anhänger verläuft deutlich zurückhaltender als noch in den zurückliegenden Jahren. Öffentliche "Straßenmissionierungen" ("Street Dawa") finden im Bundesgebiet nur noch selten statt. In diesem Zusammenhang war die Koranverteilaktion "Lies!" besonders bedeutsam. Der Bundesinnenminister verfügte im November 2016 das Verbot der Vereinigung "Die wahre Religion", welche diese Koran-Kampagne initiiert hatte. Er begründete diesen Schritt damit, dass sie den bewaffneten Jihad befürworte bzw. propagiere und somit ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungsund Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstelle, welche aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten. Diese Begründung verdeutlicht einmal mehr die enge Verzahnung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. Nach diesem einschlägigen Verbot verlor die "Street-Dawa" immer mehr an Bedeutung. Die "Dawa"Aktivitäten verlagerten sich zunehmend in den privaten Bereich. Indoktrinierung und Radikalisierung finden daher inzwischen weniger in Moscheen, sondern vielmehr in kleinen konspirativen Zirkeln sowie im Internet statt. Die salafistische Ideologie wird im Rahmen von Vortragsveranstaltungen und "Islamseminaren" in salafistischen Moscheen verbreitet. Mit deren Übertragung ins Internet wird ein unüberschaubarer Personenkreis erreicht. Die Propagandaaktivitäten von politischen Salafisten treffen nach wie vor auf eine entsprechende Anhängerschaft, was sich in der Entwicklung des Personenpotenzials widerspiegelt. Während politische Salafisten ihre Propagandaarbeit strategisch als "Missionierung" oder "Einladung zum Islam" bezeichnen, handelt es sich tatsächlich um eine systematische Indoktrinierung, nicht selten mit dem Ziel einer Radikalisierung. Seite 203 von 267 Besonders hervorzuheben ist der radikalisierende Einfluss salafistischer Propaganda auf Jugendliche, die sich in einer Identitätsfindungsphase befinden und daher als besonders anfällig für salafistische Missionierungsund Indoktrinierungsversuche der oftmals charismatischen und redegewandten salafistischen Prediger gelten. Der jihadistische Salafismus baut in vielen Fällen auf die bereits geleistete strategische und ideologische Vorarbeit des politischen Salafismus auf. Zusätzlich wird hier jedoch die einschlägige jihadistische Ideologie über persönliche Kontakte in der Realwelt oder in Sozialen Medien und Kommunikationsplattformen verbreitet. Das Propagandamaterial wird hierbei z. B. aus den offiziellen bzw. halboffiziellen Medienportalen des ISLAMISCHEN STAATES, wie beispielsweise dem "Al-Hajat Media Center" und dem "Al-Furqan Institute for Media Production", bezogen und dann von IS-nahen Kanälen und Gruppierungen z. B. über Messenger-Dienste aufgegriffen, kommentiert und verbreitet. Ziel des jihadistischen Salafismus ist es, mit seiner Ideologie Personen zu beeinflussen und zur Unterstützung des weltweiten Jihads zu gewinnen. Politischer Salafismus Strukturen im Freistaat Sachsen Die salafistische Szene in Deutschland ist meist nur lose organisiert. Feste und formale Organisationsstrukturen sind weitgehend nicht vorhanden. Eine Ausnahme bilden örtliche salafistische Vereine, die als Träger salafistisch geprägter Moscheen tätig sind. ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E.V. Sitz Leipzig Gründung 1995 Vorsitz Hassan DABBAGH Besucherzahlen ca. 1000 (wobei die Mehrheit nicht dem salafistischen Spektrum angehört) Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Den Schwerpunkt salafistischer Strukturen im Freistaat Sachsen bildet seit Jahren der Verein ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE in Leipzig. Der Imam dieser Moschee, Hassan DABBAGH, ist ein überregional bekannter Multiplikator des politischen Salafismus in Deutschland. Trotz DABBAGHS Distanzierung von religiös motivierten Terrorakten sind seine Äußerungen geeignet, die Bildung von Parallelgesellschaften außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu fördern und mittelbar Hass und Gewalt zu schüren. So propagierte er im Berichtsjahr unter anderem, dass die "...Könige und Präsidenten..." ausschließlich nach Koran und Sunna urteilen und regieren sollen, sonst würde Allah "..die Probleme unter ihnen so stark machen, dass sie einander töten...". Eine Gesamtschau seiner Argumentationsmuster zeigt zahlreiche für die salafistische Ideologie typische Merkmale und eine ablehnende Haltung gegenüber der Demokratie. Bei DABBAGHS Zuhörern können auf diese Weise Ängste geschürt und Ressentiments gegenüber der deutschen Gesellschaft sowie der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Seite 204 von 267 hervorgerufen bzw. verstetigt werden. So werden Integrationsbemühungen unterlaufen, und einer Radikalisierung von Muslimen wird Vorschub geleistet. Aktivitäten Propagandaaktivitäten sind in Sachsen, ebenso wie im übrigen Bundesgebiet, das Hauptaktionsfeld der politischen Salafisten. So verbreitete DABBAGH in seiner Funktion als Imam und Prediger der Al-Rahman-Moschee die salafistische Ideologie u. a. in den Freitagspredigten und dem fast täglich stattfindenden Unterricht in den Moscheeräumlichkeiten. Mit Beginn der Kontaktbeschränkungen im Zuge der Corona-Krise war der Zutritt für die Gläubigen in die Al-Rahman-Moschee nicht mehr möglich. DABBAGHS Freitagspredigten wurden bis März und die religiöse Unterrichtung in den Räumen der Al-Rahman Moschee bis Mai live über verschiedene soziale Netzwerke, wie z. B. Facebook, veröffentlicht. Unter dem Titel "Der Weg zum Wissen" betreibt die Moschee ihren eigenen Facebook-Auftritt. Dieser wurde allerdings nur bis Mai aktiv genutzt. Videos werden darüber hinaus auch auf dem YouTube-Kanal "FlaggeDerSunna" veröffentlicht. An der Produktion war maßgeblich der salafistische "AS-Sunna-Verlag Berlin" beteiligt. VOGTLÄNDISCHISLAMISCHES ZENTRUM - AL MUHADJIRIN E. V. Sitz Plauen Gründung 2008 Besucherzahlen ca. 250 (wobei die Mehrheit nicht dem salafistischen Spektrum angehört, sondern ihren religiösen Pflichten nachkommt) Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit Ein weiterer salafistischer Schwerpunkt im Freistaat Sachsen ist die Al-Muhadjirin-Moschee in Plauen (Vogtlandkreis). Träger der Moschee ist der Verein Vogtländisch-Islamisches Zentrum - Al-Muhadjirin. Schon seit Mitte 2017 wurde dort auch im Rahmen von Lehrstunden die salafistische Ideologie verbreitet. Die Predigten, Lehreinheiten und Koranauslegungen wurden bis Mitte 2018 zusätzlich auf einem eigenen YouTube-Kanal veröffentlicht. In den Argumentationsmustern fanden sich zahlreiche, für die salafistische Ideologie typische Merkmale. In den Verlautbarungen wird die freiheitliche demokratische Grundordnung - insbesondere der Rechtsstaat - abgelehnt. Die Zuhörer wurden stattdessen aufgefordert, sich an die Scharia zu halten. Die Demokratie und eine säkulare Gesellschaft seien Gründe für den vermeintlichen Niedergang der islamischen Gemeinschaft (umma). Jihadistischer Salafismus286 Außerhalb Deutschlands Die wichtigste Organisation, welche zurzeit den jihadistischen Salafismus beeinflusst, ist der sog. ISLAMISCHE STAAT (IS). Ursprünglich aus der Terrororganisation AL-QAIDA hervorgegangen, gelang es dem IS, im Jahr 2014 unter seinem damaligen Anführer ALBAGHDADI ein ausgedehntes Territorium mit einer Millionenbevölkerung zu erobern, welches weite Gebiete im Irak und Syrien umfasste. Darüber hinaus wurden IS-Splittergruppen u. a. auf dem Sinai, in Pakistan und Afghanistan sowie in Libyen gegründet. Auch die nigerianische Terrororganisation BOKO HARAM schloss sich 2015 dem IS an. Mit der Rückeroberung der irakischen Großstadt Mossul durch irakische Sicherheitskräfte im Juli 2017 verlor der IS nach und nach seine wichtigsten organisatorischen Zentren und Gebiete. In der Schlacht von 286 Beim "Jihadistischen Salafismus" handelt es sich um einen Teilbereich des "Islamistischen Terrorismus". Seite 205 von 267 Baghuz im März 2019 musste der IS das letzte von ihm kontrollierte Territorium aufgeben. Das territoriale Kalifat in Syrien und im Irak wurde damit besiegt, jedoch verfügt die Terrororganisation im Irak und in Syrien weiterhin über Stützpunkte im Untergrund sowie über Kämpfer, Unterstützer und Sympathisanten. Daran änderte auch der Tod von ABU BAKR ALBAGHDADI nichts. Der berüchtigte religiös-politische Führer des IS wurde in der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober 2019 von US-amerikanischen Spezialeinheiten in Zusammenarbeit mit kurdischen Kräften in einem Versteck getötet. Bereits am 31. Oktober 2019 wurde ABU IBRAHIM AL-HASHIMI AL-QURASHI zum Nachfolger ernannt. Schnell wurde deutlich, dass es auch unter der neuen Führung keinerlei Änderung bezüglich Ideologie und Strategie geben würde. So wurden alle Muslime dazu aufgerufen, dem neuen Anführer die Treue zu schwören und den verstorbenen Anführer zu rächen. Man werde unter dem neuen Anführer noch härter gegen "Ungläubige" und "Abtrünnige" vorgehen. Im August 2020 warnte der Befehlshaber des für die Streitkräfte im Nahen Osten, Ost-Afrika und Zentral-Asien zuständigen United States Central Command (CENTCOM), General Kenneth McKenzie, dass trotz des Niedergangs des Kalifats immer noch ca. 10.000 ISKämpfer aktiv und - ohne den andauernden militärischen Druck der USA - in der Lage seien, in einer relativ kurzen Zeit wieder Territorium unter ihre Kontrolle zu bringen. Auffällig sei, dass gerade im zweiten Quartal 2020 größere jihadistische Operationen organisiert worden seien, die vergleichsweise intensiverer Vorbereitungen bedurft hätten als sonst üblich. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der IS im Jahr 2020 die Aktivitäten in seinen Rückzugsgebieten, u. a. in den Provinzen Homs und Deir al-Zawr in den syrischen Wüstengebieten, erhöhen konnte. Gründe hierfür waren u. a. der Konflikt zwischen den USA und dem Iran und daraus folgende Auswirkungen vor allem auf US-amerikanische Truppen im Irak. Dennoch ist der IS verglichen mit den Jahren 2014 bis 2016 weit davon entfernt, größere Territorien zu kontrollieren und hat - wie z. B. auch aus dem eklatanten Rückgang der Ausreisezahlen von Jihadisten nach Syrien und Irak ersichtlich ist - viel von seiner Sogwirkung und seinem Nimbus verloren. Dass der IS bzw. dessen Unterstützer und Sympathisanten weiterhin auch außerhalb Syriens bzw. des Iraks willens und in der Lage waren, Anschläge auszuführen, wurde auch 2020 deutlich. Vor allem Ableger des IS führten in einer Vielzahl von Ländern mit schwacher Staatlichkeit weiterhin Anschläge mit hohen Opferzahlen durch. Auch Europa blieb im Jahr 2020 von jihadistisch motivierten Anschlägen nicht verschont. So verletzte ein Täter am 2. Februar mehrere Personen in einer Londoner Einkaufsstraße mit einem Messer, er wurde nachfolgend erschossen. Am 25. September griff ein Pakistaner in Paris mit einem Hackmesser zwei Mitarbeiter einer Medien-Produktionsfirma an und verletzte diese schwer. Tage zuvor hatte das Satiremagazin "Charlie Hebdo" Muhammad-Karikaturen veröffentlicht. Der Täter gab an, er habe den Propheten verteidigen wollen. In ähnlichem Zusammenhang steht auch die Ermordung eines Lehrers am 16. Oktober in einem Pariser Vorort. Nachdem er zuvor im Unterricht entsprechende Karikaturen zu Lernzwecken gezeigt hatte, wurde er von einem 18-jährigen ethnischen Tschetschenen enthauptet. In einer russischsprachigen Audiobotschaft gab der Täter an, er habe ein Märtyrer sein und die Beleidigung des Propheten Muhammad durch den Lehrer rächen wollen. Dabei verwies er auch auf den IS. Im Zuge seiner Verhaftung wurde er erschossen. Im Zusammenhang mit dem Mord wurden bisher zehn Personen durch die französischen Sicherheitsbehörden verhaftet, darunter auch drei weitere Jugendliche. In den Kontext dieser Tat und der Veröffentlichung der Muhammad-Karikaturen wurde auch der Einzeltäteranschlag in der Basilika Notre-Dame-de l'Assomption in Nizza am 29. Oktober eingeordnet, wo ein 21-jähriger Tunesier mit einem Messer drei Personen tötete. Seite 206 von 267 Auch in Österreich ereignete sich am 2. November ein terroristischer Anschlag. Ein den Sicherheitsbehörden als Islamist bekannter 20-Jähriger erschoss bei einem Amoklauf in einem beliebten Wiener Szeneviertel vier Personen und verletzte 23 weitere teils schwer. Wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation war er zuvor zu einer 22-monatigen Haftstrafe verurteilt, jedoch aufgrund einer günstigen Sozialprognose Ende 2019 vorzeitig entlassen worden. In Deutschland Am 15. April wurden in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens Exekutivmaßnahmen durchgeführt. Diese waren gegen eine mutmaßliche Zelle des IS gerichtet und führten zur Festnahme vier tadschikischer Beschuldigter sowie zur Durchsuchung mehrerer Objekte. Hintergrund war ein Ermittlungsverfahren gegen sieben Tadschiken, die verdächtigt wurden, sich im Januar 2019 dem IS angeschlossen zu haben mit dem Ziel, nach Tadschikistan auszureisen und dort gemeinsam im Rahmen des bewaffneten Jihad gegen die Regierung zu kämpfen. Laut Medienberichten wurden diese Pläne jedoch aufgegeben, um stattdessen Anschläge in Deutschland durchzuführen. Um diese zu verwirklichen, standen die Mitglieder in Kontakt mit zwei hochrangigen Führungsmitgliedern des IS in Syrien und Afghanistan. Am 8. Mai konnten weitere potenziell jihadistisch motivierte Attentate verhindert werden. Bei einer Durchsuchung des Gepäcks von Muharrem D. am Bahnhof von Mühldorf am Inn (Bayern) wurden u. a. zehn funktionsfähige Rohrbomben ohne Zünder festgestellt. Muharrem D. machte außerdem Angaben zu weiteren Sprengmitteldepots. Bei deren Durchsuchung wurden weitere Rohrbomben, eine scharfe Schusswaffe mit Munition, verschiedene Chemikalien sowie 45 Kilogramm Sprengstoff sichergestellt. Im Zuge der Vernehmungen gestand Muharrem D., im Zeitraum zwischen dem 16. April und 6. Mai eine Anschlagsserie gegen türkischstämmige Inhaber von Gewerbeeinrichtungen in Waldkraiburg (Bayern) durchgeführt zu haben, die größtenteils Sachschäden verursachte. Mit den aufgefundenen Utensilien habe er noch weitere Anschläge auf Moscheen und offizielle türkische Einrichtungen geplant. Zudem habe er bei den Anschlägen auf die Moscheen die jeweiligen Imame erschießen wollen. Sein Tatmotiv sei "Hass auf Türken" gewesen; er habe sich ab dem Jahr 2017 immer weiter jihadistisch radikalisiert und hege Sympathien für den IS. Am 8. Dezember erhob die Generalbundesanwaltschaft Anklage gegen Muharrem D. u. a. wegen versuchten Mordes zum Nachteil von 31 Menschen sowie wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. In Sachsen Im Berichtsjahr 2020 ereignete sich in Sachsen erstmals ein islamistisch motivierter Anschlag. Am 4. Oktober wurde in Dresden ein Tourist aus Nordrhein-Westfalen getötet und sein Begleiter lebensgefährlich verletzt. Täter war der syrische Staatsbürger Abdullah A. H. H. Er war im Jahr 2015 nach Deutschland eingereist und wurde in Sachsen untergebracht. In Deutschland hatte er sich islamistisch radikalisiert, wurde schließlich von den sächsischen Sicherheitsbehörden ermittelt und verhaftet. Im September 2018 wurde er vom Oberlandesgericht Dresden u. a. wegen der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat und weiterer Delikte zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Das Gericht hatte festgestellt, dass er als IS-Anhänger einen Anschlag in Dresden geplant hatte. Aufgrund verschiedener Delikte während der Haft verlängerte sich der Haftzeitraum auf drei Jahre und einen Monat. Nach Verbüßung der vollständigen Haftstrafe wurde er am 29. September aus der Haft entlassen. Dies erfolgte unter verschiedenen richterlich angeordneten Auflagen. Auch wurde eine weitere Fallbearbeitung durch die Sicherheitsbehörden angeordnet. Dennoch und obwohl Abdullah A. H. H. zuvor an Deradikalisierungsmaßnahmen teilgenommen hatte, kam es fünf Tage nach seiner Haftentlassung am 4. Oktober aus einer religiösen, homophoben Motivation heraus zu dem von ihm verübten Anschlag in Dresden. Durch Spurenauswertungen der Polizei konnte er als Täter ermittelt und am 20. Oktober festgenommen werden. Die Bundesanwaltschaft erhob Anklage wegen Mordes, versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung. Am 21. Mai 2021 wurde Abdullah A.H.H. vom Oberlandesgericht Dresden wegen Mordes in Tateinheit mit Seite 207 von 267 versuchtem Mord und mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer Geldstrafe zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Wie in den Jahren zuvor erhielt das LfV Sachsen auch im Berichtsjahr eine Vielzahl von Hinweisen mit Bezug zum jihadistischen Salafismus. Die Spannweite reichte hierbei von unplausiblen Beschuldigungen bis hin zu wertigen Sachverhalten. Die Bearbeitung der Hinweise erfolgte in engem Austausch mit dem Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) sowie mit europäischen und internationalen Sicherheitsbehörden. Jihadisten im Gefängnis Deutschlandweit und somit auch im Freistaat Sachsen befinden sich jihadistisch ideologisierte Personen in Haft. Hierbei handelt es sich z. B. um jihadistisch motivierte Personen, welche in die IS-Gebiete ausgereist waren, dort aufgegriffen und nach Deutschland überstellt wurden, um hier Haftstrafen zu verbüßen. Eine weitere Gruppe sind Jihadisten, welche sich in Deutschland radikalisierten und wegen Staatschutzdelikten verurteilt wurden. In Sachsen öffentlich bekannt ist z. B. Esmail A. Im Oktober 2019 wurde der syrische Staatsangehörige zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Esmail A. konnte im Jahr 2018 dank intensiver Aufklärungsund Ermittlungsarbeit der sächsischen Sicherheitsbehörden frühzeitig festgenommen werden. Die vorausgegangenen Ermittlungen hatten ergeben, dass er mindestens seit dem Jahr 2017 umfangreiche Propaganda für den IS verbreitet und diese in von ihm selbst administrierten WhatsApp-Gruppen geteilt hatte. Hierbei handelte es sich u. a. um gewaltverherrlichende Darstellungen von Kampfhandlungen und Tötungsverbrechen. Die Inhalte der veröffentlichten Beiträge zeigten deutlich, dass es sich bei Esmail A. um eine durch IS-Doktrin stark radikalisierte Person handelte, die zu Terror und Gewalt gegen Andersdenkende sowie zum Anschluss an den IS aufrief. Wie der oben beschriebene Fall des Täters Abdullah A.H.H. deutlich macht, kann von diesen Personen auch noch nach Haftentlassung eine hohe Gefahr ausgehen. Ausreisen aus Deutschland in die Jihadgebiete nach Syrien und in den Irak Eng verbunden mit dem salafistischen Personenpotenzial sowie der Lage im Irak und in Syrien ist die Entwicklung der Ausreisezahlen in diese Regionen. Von Beginn der Erfassung im Juni 2013 bis Dezember 2020 wurden mehr als 1.070 Fälle bekannt, in denen deutsche Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland in die Region gereist sind. Im Vergleich zu den Vorjahren sind die Ausreisefälle merklich zurückgegangen bzw. beinahe gänzlich zum Erliegen gekommen. Der Anstieg um 20 Personen im Vergleich zum Vorjahr ist vor allem auf nachträglich bekannt gewordene Ausreisen zurückzuführen. Dieser starke Rückgang der Ausreisen ist unter anderem auf den vollständigen Verlust des Kerngebiets des IS zurückzuführen. Diese Entwicklung hat auch dazu geführt, dass das "Kalifat" viel von seiner Strahlkraft für ausländische Islamisten verloren hat. Neue Ausreisen in die Kampfgebiete werden deshalb nur noch in Einzelfällen registriert. Zu etwas mehr als der Hälfte der ausgereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie an Kampfhandlunge auf Seiten des IS, von AL-QAIDA bzw. diesen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Organisationen teilnehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben. Diese Personen stehen im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang kein hinreichender Tatverdacht für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden vorliegen. Seite 208 von 267 Entwicklung der Ausreisezahlen in Richtung Syrien/Irak 1100 1050 1050 1050 1070 1070 1000 960 Anzahl der ausgereisten Personen (gesamt) 1000 930 890 900 820 780 800 700 700 600 550 500 400 400 300 240 200 70 100 0 Zeitraum der Ausreisen (Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz ) Etwa ein Viertel der ausgereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. Zu mehr als 260 Personen liegen Hinweise vor, dass sie in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Aus Sachsen sind zwei Ausreisefälle bekannt. Eine weitere Person ist bereits nach Deutschland zurückgekehrt. Das Strafverfahren gegen sie wurde eingestellt. Insbesondere der Ausreisefall der aus Pulsnitz (Landkreis Bautzen) stammenden Linda W. sowie deren Aufgriff und Festnahme im Irak wurden medial thematisiert. Linda W. wurde Anfang Juli 2016 zunächst von der Mutter als vermisst gemeldet. Die damals 15-Jährige befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Istanbul, um von dort in das vom IS kontrollierte Gebiet nach Syrien bzw. in den Irak weiterzureisen. Medienberichten zufolge war Linda W. nach islamischem Recht mit einem tschetschenischen IS-Kämpfer verheiratet, der kurz nach ihrer Ankunft bei Kampfhandlungen ums Leben kam. Im Juli 2017 wurde die Minderjährige durch irakische Spezialkräfte in Mossul (Irak) aufgegriffen und verhaftet. Sie wurde anschließend nach Bagdad (Irak) überstellt. Im Februar 2018 wurde sie von der irakischen Justiz zu sechs Jahren Haft verurteilt. Zum Hintergrund der Reiseabsichten wurde bekannt, dass im Vorfeld der Reise eine Wesensveränderung des Mädchens wahrgenommen worden war. Linda W. konvertierte zum Islam, trug Kopftuch und lange Kleidung, begann die arabische Sprache zu lernen und zog sich aus ihrem bisherigen persönlichen Umfeld zurück. Ein radikalisierungsfördernder Faktor war der Konsum islamistischer Onlinepropaganda. Linda W. wurde über salafistische Internetseiten und durch ihren Kontakt mit Salafisten über soziale Netzwerke motiviert, sich in das "Kalifat" des IS zu begeben. Der Generalbundesanwalt hat ein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet u. a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (gemäß SSSS 129a Abs. 1, 129b Abs. 1 Satz 1 StGB). Seite 209 von 267 Ein weiterer prominenter Ausreisefall mit Bezug zu Sachsen ist der aus Sachsen-Anhalt stammende Martin L. Nach seiner Konversion zum Islam zog er im Januar 2013 nach Leipzig und engagierte sich dort im Verein ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE. 2014 reiste er mit seiner Familie aus, um sich in das "Kalifat" des IS zu begeben. Am 31. Januar 2019 wurden er sowie zwei seiner Ehefrauen von kurdischen Kräften der SDF (Syrian Democratic Forces) festgenommen. Rückkehrer nach Deutschland aus den Jihadgebieten in Syrien und dem Irak Etwa ein Drittel der Gesamtzahl der ausgereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu über 110 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Sie stehen unverändert im Fokus polizeilicher Ermittlungen. Die Zahl bisheriger rechtskräftiger Verurteilungen von aus Syrien bzw. dem Irak zurückgekehrten Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Nach dem Verlust des Herrschaftsgebietes des IS liegen darüber hinaus Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen vor, die sich aktuell in Syrien oder im Irak in Haft bzw. in Gewahrsam befinden. Ihre Anzahl liegt im unteren dreistelligen Bereich. Zur Mehrheit dieser Personen wurde bekannt, dass sie beabsichtigen, nach Deutschland zurückzukehren. Rückkehrer aus den jihadistischen Kampfgebieten stellen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar. Von besonderer Relevanz sind hierbei Personen, von denen bekannt ist, dass sie ideologisch indoktriniert sind, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden und/oder Kampferfahrungen sammeln konnten. Grundsätzlich könnten diese Rückkehrer als "Veteranen des Kalifats" eine neue Dynamik in der salafistischen Szene in Deutschland auslösen. Einzelfallspezifisch werden von den beteiligten Behörden in Betracht kommende Maßnahmen erörtert und abgestimmt. Diese schließen eine strafrechtliche Verfolgung ebenso ein wie Maßnahmen zur Deradikalisierung und schließlich zur gesellschaftlichen Reintegration. Ziel ist insoweit ein ganzheitlicher Ansatz. Hierbei ist die Zusammenarbeit zwischen den Ländern und der Polizei sowie beispielsweise mit den Jugend-, Sozial-, Schulund Gesundheitsbehörden von besonderer Bedeutung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die heterogene Zusammensetzung der Rückkehrer, zu denen beispielsweise auch Minderjährige und Frauen gehören. 5.4 Ausblick Legalistischer Islamismus und politischer Salafismus Der bundesweite Trend des steigenden Personenpotenzials im Bereich des legalistischen Islamismus dürfte sich auch im Freistaat Sachsen fortsetzen, wenngleich in geringerem Maße. Das gilt insbesondere für die hier bestehenden Strukturen der MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB). Dass diese sich auch im Berichtsjahr wiederum nicht verfestigen konnten, ist auch auf eine offensive Aufklärungsund Öffentlichkeitsarbeit des LfV Sachsen im Hinblick auf die "Wolf-imSchafspelz"-Strategie zurückzuführen. Ob die MB-nahe SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTATTE GUG in Sachsen tatsächlich, wie von ihr behauptet, ihre Aktivitäten eingestellt hat, bleibt weiterhin abzuwarten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die handelnden Personen unter anderen Strukturbezeichnungen weiter agieren, was wiederum der traditionellen Verschleierungsstrategie der MB entspräche. Seite 210 von 267 Im Bereich des politischen Salafismus konnte im Freistaat Sachsen keine Steigerung des Personenpotenzials verzeichnet werden. Es kann jedoch gegenwärtig noch nicht beurteilt werden, ob diese Stagnation einem geringeren Aktivitätenniveau sowie geschlossenen bzw. begrenzt geöffneten Moscheen und Gebetshäusern aufgrund der Corona-Maßnahmen allein geschuldet ist oder ob möglicherweise auch andere Faktoren hierbei eine Rolle spielten. Die Entwicklung des Personenpotenzials wird daher mit besonderem Interesse verfolgt werden. Jihadistischer Salafismus Die Aktionspotenziale im Bereich des jihadistischen Salafismus sind in Deutschland stark von globalen Aspekten beeinflusst und eng verknüpft mit der Handlungsfähigkeit des IS. Diese war auch im Berichtsjahr stark eingeschränkt, wobei der Verfolgungsdruck nicht nur im Nahen Osten, sondern auch gegenüber Splitterorganisationen in Afrika oder Afghanistan aufgrund von Truppenabzügen im Vergleich zu 2019 leicht nachgelassen hat. Gleichwohl zeigten z. B. die Anschläge in Afrika sowie die Vielzahl der Terrorangriffe durch Einzeltäter, dass trotz der Schwächung des IS und des territorialen Verlusts des "Kalifats" die Terrororganisation durch entsprechende Propagandaaktivitäten ideologisch anhaltend starken Einfluss auf Anhänger des jihadistischen Salafismus ausübt und weiterhin ausüben wird. Der IS scheint darüber hinaus bestrebt zu sein, seine globale jihadistische Agenda weiterzuführen und seine realweltliche Präsenz nach Möglichkeit logistisch und militärisch wieder auszubauen. Wie der Aufruf des inzwischen verstorbenen "Kalifen" des IS, Abu Bakr AL-BAGHDADI, im April 2019 verdeutlicht hat, stehen weiterhin alle "Feinde des Islam" im Visier des jihadistischen Terrors. Nach AL-BAGHDADIS Tod betonte auch der neue offizielle Sprecher des IS, Abu Hamza ALQURASHI in einer Audiobotschaft, dass der IS unter dem neuen Anführer Ibrahim Al-Hashimi AL-QURASHI noch härter gegen seine Feinde vorgehen werde. Zwar hat das Werben für Anschläge im Westen abgenommen, dennoch sind alte Veröffentlichungen mit gezielt gegen Deutschland gerichteten Drohungen weiterhin im Internet bzw. in den sozialen Medien auffindbar und behalten ihre Gültigkeit. Zusätzlich haben sich die Propagandaaktivitäten des IS auf die weltweite Sympathisantenszene ausgebreitet. Eine explizite Nennung Deutschlands ist nicht nötig, da Deutschland zum "Westen" gezählt wird und damit automatisch zum Feindbild zählt. Wie die Veröffentlichungen der MuhammadKarikaturen im September 2020 gezeigt haben, kann ein Land in bestimmten Fällen jedoch weiterhin auch explizit als Angriffsziel benannt werden - in diesem Fall Frankreich. Terrororganisationen wie der IS und AL-QAIDA werden daher immer noch jede sich bietende Gelegenheit nutzen, um terroristische Gewalttaten durchzuführen bzw. autonome Kleinstgruppen oder Einzelpersonen hierzu anzustiften. Wie die Anschläge in 2020 u. a auch in Dresden gezeigt haben, geht in Europa vor allem eine hohe abstrakte Gefahr durch radikalisierte Einzeltäter aus. Bei diesen Einzeltätern handelt es sich um Sympathisanten und Anhänger der jihadistischen Ideologie bzw. jihadistischer Terrororganisationen, die ohne direkte Anbindung oder entsprechenden Auftrag autonom Taten planen oder durchführen. IS und AL-QAIDA animieren durch ihre Propaganda bewusst diese Vorgehensweise als Alternative zu direkt gesteuerten Operationen. Dadurch wollen sie den militärischen, polizeilichen und nachrichtendienstlichen Verfolgungsdruck umgehen, dem sie ausgesetzt sind. Aus diesem Grund wurden über Audiobotschaften und Veröffentlichungen im Internet, in Foren sowie Messengerdiensten und in den sozialen Medien Handlungsanleitungen zur Durchführung von Gewalttaten verbreitet. Diese zirkulieren noch immer in Internet. Zukunftsängste und soziale Isolation aufgrund der Corona-Beschränkungen können unter Umständen zu einer verstärkten Beschäftigung potenzieller Sympathisanten mit jihadistischer Propaganda in der virtuellen Welt führen. Weiterhin sind aber auch hochkomplexe und professionell vorbereitete Terroroperationen jederzeit denkbar. Im Zielspektrum liegen hierbei symbolhafte bzw. "weiche" Anschlagsziele mit möglichst vielen Opfern. Seite 211 von 267 Es besteht daher auch in 2021 für das gesamte Bundesgebiet und damit auch für den Freistaat Sachsen eine anhaltend hohe abstrakte Gefährdungslage, die sich jederzeit in Form von gefährdungsrelevanten Ereignissen bis hin zu jihadistisch motivierten Anschlägen konkretisieren kann. Seite 212 von 267 6. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug In Sachsen ausschließlich Bestrebungen aus dem Bereich der kurdischen PKK feststellbar Personenpotenzial bei konstant ca. 160 Personen Hohes Mobilisierungspotenzial auch im linksextremistischen Spektrum Strukturelle Vernetzung mit Linksextremisten insbesondere in Leipzig und Dresden Aktivitäten der PKK maßgeblich vom Schicksal des inhaftierten PKK-Führers Öcalans und den Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet bestimmt Strafund Gewalttaten von marginaler Bedeutung Seite 213 von 267 6.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Die sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden zum Beispiel durch die Begehung von Straftaten und die fortwährende Bereitschaft zu aktionsorientiertem und gewaltbereitem Verhalten die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland. Dabei handelt es sich um kein einheitliches Spektrum. Politik, Strategie und Aktionen der nicht islamistischen extremistischen Organisationen in Deutschland werden ganz entscheidend von den Entwicklungen - insbesondere Veränderungen der allgemeinen politischen Lage aber auch durch bedeutsame Einzelereignisse in den jeweiligen Herkunftsländern - bestimmt. Linksextremistisch-separatistische Organisationen, wie die auch im Freistaat Sachsen aktive ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK), streben die revolutionäre Beseitigung der jeweiligen Staatsordnung in ihren Herkunftsländern und die Errichtung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems an. Einige dieser Organisationen verfolgen dabei eine ethnisch begründete Unabhängigkeit vom bekämpften Staat. 6.2 Personenpotenzial In Sachsen konnten sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug aus dem Bereich der kurdischen PKK, also dem linksextremistisch-separatistischen Bereich, festgestellt werden. Ihr Potenzial bewegt sich seit Jahren - so auch im Jahr 2020 - bei konstant ca. 160 Personen. Auch Mitglieder und Anhänger der Nachfolgeund Nebenorganisationen der PKK zählen darunter. Jedoch kann aufgrund des Mobilisierungspotenzials der PKK, das insbesondere abhängig von den politischen Entwicklungen in der Türkei ist, deren ständige Anhängerzahl deutlich überschreiten. Zu dem Kreis der Mobilisierten zählen regelmäßig auch Personen aus dem deutschen linksextremistischen Spektrum. Seite 214 von 267 6.3 Strukturen ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) Sitz Nord-Irak - Kandilgebirge Gründung 1978 Vorsitz Abdullah ÖCALAN Teil- - KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT /Nebenorganisationen KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) als PKK-Europaführung - KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E.V. (KON-MED) als Dachverband der PKKnahen Vereine - Massenorganisationen wie TEVGERA CIWANEN SORESGER als Dachverband jugendlicher PKK-Anhänger und der DACHVERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN (YXK) Publikationen SERXWEBUN (Unabhängigkeit), YENI ÖZGÜR POLITIKA (Neue Freie Politik) Personenpotenzial 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Sachsen 150 160 160 160 160 160 Finanzierung Spendensammlungen bei den Anhängern der PKK, Eintrittsgelder bei Großveranstaltungen Kurzportrait/Ziele Die PKK strebte ursprünglich einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der die Gebiete Südostanatoliens (Türkei), den Nord-Irak, Teile des westlichen Irans und Gebiete im Norden Syriens umfassen sollte. Im Jahre 1993 erließ das Bundesministerium des Innern ein Betätigungsverbot für die PKK und ihre Nebenorganisationen. Die PKK ist zudem auf der EU-Terrorliste verzeichnet. Die PKK hat Deutschland in Regionen und Gebiete eingeteilt. Für die Umsetzung zentraler Vorgaben nutzt sie überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Relevante Ereignisse Die Aktivitäten der PKK in Sachsen wurden im Jahr 2020 und Entwicklungen maßgeblich vom Schicksal des in der Türkei inhaftierten 2020 Anführers Abdullah ÖCALAN und vom militärischen Vorgehen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten bestimmt. Außerdem wurde in der Öffentlichkeit verstärkt über eine Aufhebung des PKK-Verbots diskutiert. Seite 215 von 267 Öffentlich wirksame Aktivitäten entfalteten sich in Leipzig, Dresden und Chemnitz in Form von Kundgebungen und Demonstrationen, an denen sich auch deutsche Linksextremisten beteiligten. Geschichte der PKK Die ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) wurde im Jahr 1978 gegründet. Ursprüngliches Ziel war die Schaffung eines autonomen, sozialistisch orientierten Kurdenstaates. Zu den Gründern gehörte Abdullah ÖCALAN. Er übte von Beginn an die Funktion des Generalsekretärs aus. Seine bis heute unangefochtene Führungsposition setzte er gegen interne Widerstände durch und behielt diese auch nach seiner Inhaftierung und Verurteilung im Jahr 1999. Zur Durchsetzung ihrer Ziele nahm die PKK im Jahr 1984 den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. Sie entwickelte sich seitdem zur anhängerstärksten und militantesten Kurdenorganisation. Ihr militärischer Arm, die VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HEZEN PARASTINA GEL-HPG), ist für tausende Todesopfer verantwortlich, auch unter Touristen und der Zivilbevölkerung. Seit dem Jahr 2002 sind die PKK bzw. deren Nachfolgeorganisationen von der Europäischen Union als terroristische Organisationen gelistet.287 Zwischen 2013 und 2015 schien sich bei der PKK eine neue Entwicklung abzuzeichnen. Die türkische Regierung führte Verhandlungen mit Abdullah ÖCALAN. Damit sollten Waffenniederlegung und Gewaltverzicht der PKK erreicht werden. Im Gegenzug erwartete die PKK-Führung die Erfüllung ihrer Forderungen nach Verankerung politischer und kultureller Rechte für die Kurden in einer neuen Verfassung der Türkei. Nach dem Scheitern der Verhandlungen begann Mitte 2015 eine neue Ära der terroristischen Anschläge durch militante Kräfte der PKK. Für einen Anschlag durch den I SLAMISCHEN STAAT (IS) im Juli 2015 auf eine Veranstaltung kurdischer Jugendlicher in Suruc im Südosten der Türkei schrieb die PKK der türkischen Regierung die mittelbare Schuld zu. Die daraufhin einsetzende Spirale der Gewalt ebbte 2017 wieder ab. Es wurden allerdings auch danach vereinzelte Anschläge auf türkische Polizisten und Militärangehörige sowie Zivilisten der PKK zugerechnet. Von der zunehmenden Verfolgung regimekritischer Personen in der Türkei sind nicht zuletzt auch Kurden betroffen. Jedwede Parteinahme für sie wird dort als Unterstützung einer Terrororganisation geahndet. Strukturen der PKK im Freistaat Sachsen Folgende der in Sachsen ansässigen und der PKK zugehörigen Organisationen zeigten auch im Jahr 2020 mit der Durchführung von Kundgebungen, Demonstrationen und sonstigen Veranstaltungen Präsenz: DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V., UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V., TEWGERA CIWANEN SORESGOR DRESDEN (TCS) UND JXK/YXK (STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN / VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN; TEILORGANISATIONEN DER PKK) - LEIPZIG. 287 Siehe u.a. hier: https://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32017D1426&from=DE Seite 216 von 267 Ideologie Die Geschichte der PKK ist eng mit der Person ihres Gründers Abdullah ÖCALAN verbunden. Bereits während des Studiums der Politikwissenschaften beeinflussten ihn linksextremistische Organisationen. Auf dem PKK-Gründungskongress im Jahr 1978 verabschiedeten ÖCALAN und weitere Funktionäre ein von marxistisch-leninistischen sowie nationalen Grundsätzen geprägtes Manifest. Darin präsentierte sich die PKK als revolutionäre Partei des Proletariats und der Bauern auf Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus. Bereits in diesem ersten Manifest rief die PKK dazu auf, "Kurdistan vom imperialistischen und kolonialistischen System zu befreien und in einem einheitlichen Kurdistan eine demokratische Volksdiktatur zu gründen". Damit war der sog. nationale Befreiungskampf für eine universale klassenlose Gesellschaft in einem unabhängigen, sozialistischen Kurdistan erklärtes Ziel der PKK. Hauptgegner ist der türkische Staat. Der militärische Arm der PKK begann im August 1984 im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg, um die Vision eines unabhängigen Kurdenstaates gewaltsam umzusetzen. Über zwei Jahrzehnte lang verübte die PKK terroristische Anschläge in der Türkei, auch gegen die Zivilbevölkerung und ausländische Touristen. Bis heute stellt die Verhaftung ÖCALANS am 15. Februar 1999 durch den türkischen Geheimdienst in Kenia einen gravierenden Einschnitt in der Geschichte der PKK dar. Unter dem Druck eines drohenden Todesurteils nahm ÖCALAN mit einem zweiten Manifest Abstand von der Bildung eines eigenständigen Kurdenstaates mithilfe des bewaffneten Kampfes. Im August 1999 erklärte er den bewaffneten Kampf der PKK schließlich für beendet. Daraufhin zogen sich die meisten PKK-Guerillaeinheiten nach und nach aus der Türkei zurück. Sie halten sich seitdem überwiegend in von Kurden autonom verwalteten Gebieten im benachbarten Nordirak auf. Von dort dringen sie immer wieder in türkisches Staatsgebiet ein und provozieren dadurch bewaffnete Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee, obwohl die PKK im Jahr 2000 die Grundsätze ihres zweiten Manifests bestätigt hatte. Die Beschlüsse sahen eine "Demokratisierung" innerhalb der PKK und die Wandlung hin zu einer "legalen Organisation" vor. Strategie Die PKK verfolgt bei ihren Aktivitäten weiterhin eine Doppelstrategie. Während sie auf dem Gebiet der Türkei terroristische Anschläge durchführt und Anhänger für den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat mobilisiert, nutzt sie Europa vorrangig als Rückzugs-, Finanzierungsund Rekrutierungsraum. Die PKK und ihr Unterstützerkreis in Deutschland stellen sich als in der Türkei zu Unrecht verfolgte Regimegegner dar und versuchen so, ihr Ansehen zu verbessern und ihren Einfluss zu erhöhen. Strategie und Aktionen der PKK zielen auf eine radikale Veränderung der politischen Verhältnisse im Heimatland ab und werden demzufolge entscheidend von der Situation in den kurdischen Siedlungsgebieten und den dortigen zentralen Organisationseinheiten geprägt. Aktivitäten Im Jahr 2020 bestimmten folgende Faktoren maßgeblich die Aktivitäten der PKK in Deutschland und somit auch im Freistaat Sachsen: Das Schicksal, insbesondere die Haftbedingungen des in der Türkei inhaftierten Anführers Abdullah ÖCALAN, das militärische Vorgehen des türkischen Staates in den kurdischen Siedlungsgebieten und Seite 217 von 267 die repressiven Maßnahmen der türkischen Regierung gegen die PKK und ihr nahestehende Organisationen und Parteien. Schwerpunkte der Aktivitäten in Deutschland und Europa waren dabei Demonstrationen und Kundgebungen. Daneben initiierte die Organisation Podiumsdiskussionen, Unterschriftenkampagnen, Hungerstreiks und Mahnwachen. Auf diese Weise gelang es der PKK, ihre Anhängerschaft auch im Freistaat Sachsen zu mobilisieren. Unterstützt wurden die Aktivitäten durch deutsche Linksextremisten im Rahmen der "Kurdistansolidarität" durch Hilfe bei der Mobilisierung für Veranstaltungen, der Teilnahme daran und der Berichterstattung im Internet. Besonders in den Großstädten Dresden und Leipzig kann eine strukturelle Vernetzung mit deutschen Linksextremisten festgestellt werden. Alljährliche Großveranstaltungen, wie die zentralen Newroz-Feierlichkeiten, konnten im Berichtsjahr aufgrund der Corona-Pandemie nicht durchgeführt werden. Dennoch gelang es den Dachverbänden und der PKK-Europaführung, regelmäßig für dezentrale Aktivitäten im Bundesgebiet zu mobilisieren. Am 4. Juli fand in Dresden eine Gedenkkundgebung für drei kurdische Aktivistinnen statt, die am 23. Juni unweit der nordsyrischen Stadt Kobane von einer türkischen Kampfdrohne gezielt getötet worden waren. Die Kundgebung wurde auch vom UTA FRAUENRAT E. V. organisiert und mit einem entsprechenden Redebeitrag unterstützt. Am 19. Juli fand anlässlich des achten Jahrestages des Beginns der Gefechte in Rojava eine Demonstration in Leipzig unter dem Motto "Von Chile bis nach Rojava - Freiheitskampf bleibt international!" statt. Der KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) mobilisierte für eine "massenhafte Teilnahme" an bundesweit durchgeführten Veranstaltungen. In dem Aufruf heißt es: "alle Menschen aus Kurdistan, ob jung oder alt, alle Revolutionär*innen, Demokrat*innen, Intellektuelle und Oppositionelle sollten aktiv an den Aktionen und Demonstrationen teilnehmen." Die Aufrufe wurden von JXK/YXK (STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN / VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN) unterstützt. An der Veranstaltung in Leipzig nahmen ca. 300 Personen teil. Es wurden Fahnen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG/YPJ mitgeführt. Im Rahmen eines globalen Aktionstages, der unter dem Motto "Freiheit für Öcalan! Für ein Ende von Faschismus und Besatzung" stand, wurden am 10. Oktober auch in Leipzig und Chemnitz Stände aufgestellt. Dort lag Informationsmaterial aus, das die Bedeutung von Abdullah ÖCALAN für eine Lösung der kurdischen Frage thematisierte. Für die Teilnahme an den Veranstaltungen hatte die kurdische Jugend TEWGERA CIWANEN SORESGOR DRESDEN (TCS) geworben. Die Aktionen folgten einem zentralen Aufruf der KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E.V. (KON-MED) und fanden bundesweit in 13 Städten statt. In dem Aufruf heißt es: "Die Zeit ist gekommen, um den kurdischen Repräsentanten Abdullah Öcalan, unser Volk und unser Land zu befreien. Wir erklären hiermit, dass wir als KON-MED die von der Initiative 'Freiheit für Öcalan, Frieden in Kurdistan' weltweit initiierte Kampagne unterstützen und uns mit allen in unserem Verband organisierten Kräften aktiv daran beteiligen." Außerdem wurde im Rahmen einer für das gesamte Bundesgebiet geplanten Lesereise das Buch "Soziologie der Freiheit" von Abdullah ÖCALAN vorgestellt. Neben einer Veranstaltung in Leipzig fand auch eine weitere im DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. statt. Auch der Monat November 2020 war in der gesamten Bundesrepublik Deutschland von einer Vielzahl dezentraler Aktionen geprägt, mit denen öffentlichkeitswirksam auf das Schicksal des inhaftierten PKK-Führers Abdullah ÖCALAN aufmerksam gemacht sowie dessen Freilassung und eine Aufhebung des PKK-Verbotes gefordert wurde. Mitglieder der T EWGERA CIWANEN SORESGOR DRESDEN (TCS) befestigten am 7. November Plakate mit dem Abbild des PKKFührers an der Waldschlößchenbrücke, entzündeten Pyrotechnik und präsentierten diese Aktion als Video auf Instagram. Am 29. November beteiligten sich 70 bis 100 Personen in Seite 218 von 267 Leipzig unter dem Motto "Freiheit für Öcalan" sowie "Weg mit dem PKK-Verbot" an Kundgebungen. Unter den Teilnehmern befanden sich neben jugendlichen PKK-Anhängern der TCS auch deutsche Linksextremisten. 6.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten ausländische Ideologie und religiöse Ideologie Der seit dem Jahr 2017 als "Ausländische Ideologie und religiöse Ideologie" bezeichnete Bereich der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) ist im Vergleich zu den Strafund Gewalttaten in den anderen extremistischen Phänomenbereichen im Freistaat Sachsen nur von marginaler Bedeutung. So machte dieser Bereich im Berichtsjahr lediglich etwas mehr als zwei Prozent des Gesamtaufkommens extremistischer Straftaten aus. Im Jahr 2020 stiegen die Straftaten im Bereich ausländische und religiöse Ideologie um etwa 15 Prozent an (73 Straftaten). Grund war hier eine Zunahme im Bereich der religiösen Ideologie", dazu gehört z. B. die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Zahl der Gewaltdelikte (zwölf) entsprach etwa dem Niveau des Vorjahres (2019: 10). 70 65 60 54 52 50 43 42 40 38 Straftaten ausl. Ideologie 31 Gewalttaten ausl. Ideologie 30 Straftaten relig. Ideologie Gewalttaten relig. Ideologie 20 20 15 9 8 10 7 3 4 3 4 0 2017 2018 2019 2020 6.5 Ausblick Die PKK befürwortet weiterhin Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen in der Türkei. Zudem ist auch zukünftig damit zu rechnen, dass maßgeblich von der PKK beeinflusste Organisationen eine Umbenennung anstreben, um das Betätigungsund Kennzeichnungsverbot zu umgehen. In Westeuropa ist die PKK jedoch seit langem bemüht, sich in der Öffentlichkeit als gewaltfreie Befreiungsbewegung darzustellen. Sie verspricht sich davon, das ihr anhaftende Stigma einer Terrororganisation zu verlieren und so die Unterstützung demokratischer Kräfte zu gewinnen. Da sie in den letzten Jahren hierbei durchaus erkennbare Erfolge verbuchen konnte, dürften auch künftig keine gravierenden Abweichungen im Auftreten der Organisation zu erwarten Seite 219 von 267 sein. Außerdem wird sie diese Unterstützung nutzen, um der Forderung nach einer Aufhebung des PKK-Verbots mehr Gewicht zu verleihen. Das Bestreben der PKK, sich auch in der Bundesrepublik Deutschland als friedliche Gruppierung darzustellen, zeigte sich beispielsweise in den mehrheitlich gewaltfreien Demonstrationen und Kundgebungen zur aktuellen Entwicklung in Rojava. In Abhängigkeit von den Entwicklungen im türkisch-syrischen Grenzgebiet sind weitere Aktivitäten der PKK in Deutschland zu erwarten. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Haftbedingungen für Abdullah ÖCALAN von seinen Anhängern weltweit aufmerksam beobachtet werden. Schon bei vagen Anhaltspunkten für gesundheitliche Beeinträchtigungen oder sich verschlechternde Haftbedingungen ist die PKK in der Lage, in ganz Westeuropa aus dem Stand heraus tausende Anhänger zu mobilisieren. Die hieraus resultierenden Aktivitäten werden weiterhin mit der Forderung nach Freiheit für ÖCALAN verbunden sein. Darüber hinaus ist seit einigen Jahren zu beobachten, dass sich linksextremistische Bestrebungen in Sachsen verstärkt mit Teilund Nebenorganisationen der PKK solidarisieren. Diese Aktivitäten lassen darauf schließen, dass auch künftig mit strukturellen Allianzen zwischen deutschen und kurdischen Linksextremisten zu rechnen ist. In Teilen des deutschen Linksextremismus ist die Gewaltbereitschaft ein identitätsstiftender und prägnanter Bestandteil. Hiesige Mitglieder und Anhänger der PKK, deren öffentlichkeitswirksame Aktivitäten bislang gewaltfrei verliefen, könnten sich unter Umständen daran orientieren. Seite 220 von 267 III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft Russische und chinesische Nachrichtendienste bleiben Hauptakteure im Freistaat Sachsen Nachrichtendienste aus der Türkei und dem Nahen Osten werden aktiv gegen hier lebende Oppositionelle Abwehr von Spionageund Sabotageaktivitäten fremder Mächte bleibt wichtiges Aufgabenfeld des Verfassungsschutzes LfV informiert Interessenten und Multiplikatoren aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft schnell und gezielt u. a. über elektronische Angriffskampagnen und bietet Unterstützung bei Abwehrmaßnahmen an Seite 221 von 267 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht waren auch im Jahr 2020 ein wichtiges Bearbeitungsgebiet des Verfassungsschutzes. Die gesetzliche Grundlage für das Tätigwerden des LfV Sachsen in diesem Bereich ist SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SächsVSG. Von zentraler Bedeutung war erneut die staatlich gelenkte Spionage, also die nachrichtendienstlich organisierte Beschaffung von Informationen. Die spionagerelevanten Aufklärungsinteressen gegnerischer Nachrichtendienste sind vielfältig und betreffen u. a. das politische Geschehen (Politikspionage) oder aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen in Wirtschaft und Wissenschaft (Wirtschaftsspionage). Als Spezialfall der Wirtschaftsspionage sind die nach wie vor festzustellenden Proliferationsbestrebungen fremder Mächte anzusehen. Dabei geht es neben der Aufklärung der Technologie auch um die vollständige oder teilweise Beschaffung und Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen. Neben der Spionage erfordert die staatlich gelenkte Sabotage ein besonderes Augenmerk. Gemeint sind damit vor allem elektronische Angriffe, die nicht mehr nur der Informationsgewinnung, sondern auch der Informationsbeeinträchtigung dienen, sowie Beeinflussungsversuche auf politischer Ebene. Politikspionage richtet sich in erster Linie gegen Mitarbeiter staatlicher Einrichtungen sowie gegen Mandatsträger politischer Parteien und deren unmittelbare Mitarbeiter. Darüber hinaus können auch Mitglieder von Oppositionsbewegungen aus dem Ausland, die in Deutschland leben, von den Maßnahmen des jeweiligen Herkunftslandes betroffen sein. Bei der Wirtschaftsspionage stehen vor allem Technologieunternehmen und Forschungseinrichtungen im Fokus. Staat und Verwaltung, insbesondere Universitäten und technische Hochschulen, können ebenfalls berührt sein. Die politische Bedeutung sowie die wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsund Innovationskraft Deutschlands und somit auch des Freistaates Sachsen begründen ein intensives Aufklärungsund Beeinflussungsinteresse fremder Mächte. Die aufgrund von Spionage eintretenden Schäden sind schwerwiegend. Im Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft besteht die Gefahr empfindlicher Forschungsoder Auftragsverluste. Aktuelle Untersuchungen288 gehen davon aus, dass in Deutschland innerhalb von zwei Jahren 75 Prozent der Unternehmen Opfer von Datendiebstählen, Industriespionage oder Sabotage geworden sind. Dabei wurde im Untersuchungszeitraum von einem Gesamtschaden in Höhe von über 100 Milliarden Euro pro Jahr ausgegangen. Insgesamt können Spionage und Sabotage auf Dauer spürbare Auswirkungen auf Staat und Wirtschaft haben. Ein funktionierendes Staatswesen und eine funktionierende Wirtschaft sind eine wesentliche Grundlage für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Die Abwehr von hiergegen gerichteten Spionageund Sabotageaktivitäten ist deshalb ein wichtiges Aufgabenfeld der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 2.1 Akteure und Schwerpunkte Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sind zahlreiche ausländische Nachrichtendienste mit ganz unterschiedlichen Interessen aktiv. Hoch entwickelte Staaten wollen mithilfe ihrer Nachrichtendienste vor allem im politischen und wirtschaftlichen 288 Spionage, Sabotage und Datendiebstahl - Wirtschaftsschutz in der vernetzten Welt Studienbericht 2020, www.bitkom.org Seite 222 von 267 Wettbewerb weiter Schritt halten oder sogar Wettbewerbsvorteile erzielen. Krisenländern geht es beim Einsatz ihrer Nachrichtendienste in politischer Hinsicht um die Aufklärung und Unterwanderung von Oppositionsgruppen, deren Mitglieder in Deutschland leben. In wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht entwickeln diese Länder vor allem proliferationsrelevante Aktivitäten. 2.1.1 Russische Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation waren im Jahr 2020 weiterhin von großer Bedeutung für die russische Staatsführung. Ihre Bemühungen erstreckten sich sowohl auf gesellschaftliche und politische als auch auf wirtschaftliche und wissenschaftliche Bereiche. Vor allem der russische zivile Auslandsnachrichtendienst SWR289, der militärische Auslandsnachrichtendienst GRU290 und der Inlandsnachrichtendienst SFB291 waren gegen Deutschland aktiv. Nachrichtendienstliche Aktivitäten gingen mit einer sehr offensiven russischen Außenpolitik einher, die sich in der fortgesetzt völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim, der Aufrechterhaltung des Ukraine-Konfliktes und dem nachdrücklichen politischen und militärischen Engagement im Syrien-Konflikt deutlich zeigte. Aufklärungsschwerpunkt sind dabei die deutsche Haltung zu Fragen der Außenund Sicherheitspolitik sowie der Finanzund Energiepolitik, aber auch die Rolle Deutschlands in der NATO. Im Fokus der Aufklärungsmaßnahmen stehen dabei politische Mandatsträger, Denkfabriken, Nichtregierungsorganisationen und Vereine mit Bezügen zu Russland oder anderen osteuropäischen Staaten. Die russische Wirtschaft mit neuem Know-how zu versorgen, ist ein weiteres Betätigungsfeld russischer Nachrichtendienste und dies nicht nur im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Nach Erkenntnissen des britischen National Cyber Security Centre (NCSC) und des kanadischen Communications Security Establishment (CSE) soll die mutmaßlich russischen Nachrichtendiensten zuzuordnende Angreifergruppierung APT29 (auch bekannt als "the Dukes" oder "Cozy Bear") im Laufe des Jahres 2020 verschiedene Organisationen ins Visier genommen haben, die an der COVID-19-Impfstoffentwicklung in Kanada, den USA und Großbritannien beteiligt sind. Dies geschah höchstwahrscheinlich mit der Absicht, sich Informationen und geistiges Eigentum im Zusammenhang mit der Entwicklung und Erprobung von COVID-19-Impfstoffen anzueignen.292 Sensibilisierungsmaßnahmen erbrachten keine Hinweise auf eine sächsische Betroffenheit. Das Ziel Russlands ist es, bis 2024 zu den fünf größten Volkswirtschaften der Welt zu zählen. Vor diesem Hintergrund war und ist der Freistaat Sachsen als Bestandteil der deutschen Politiklandschaft und als innovativer und leistungsstarker Forschungsund Wirtschaftsstandort in Deutschland als ein relevantes Ziel russischer Nachrichtendienste anzusehen. 2.1.2 Volksrepublik China Die Volksrepublik China setzt ihre Nachrichtendienste zur Informationsgewinnung in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft ein, um mithilfe gezielter Wirtschaftsspionage der Erreichung industriepolitischer Ziele näher zu kommen. Strategische Vorteile zu gewinnen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern, ist dabei das Ziel. Nach einer Studie des "Center for Security and Emerging Technology" (CSET)293 der Universität von Georgetown 289 Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation 290 Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation 291 Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation 292 https://www.ncsc.gov.uk/news/advisory-apt29-targets-covid-19-vaccine-development 293 https://chinatalenttracker.cset.tech Seite 223 von 267 (USA) existieren in China allein 27 staatlich geförderte Programme, die sich auf den Technologietransfer konzentrieren. Mit der Initiative "Made in China 2025" 294 will die chinesische Regierung die Volksrepublik "zur globalen Anführerin der vierten industriellen Revolution" machen. Der Know-how-Bedarf in bestimmten Bereichen ist nicht zuletzt durch die Sanktionen der USA gegenüber China gestiegen. Umso mehr stehen vor allem innovative deutsche - und somit auch sächsische - Unternehmen und Hochschuleinrichtungen mit ihren Spitzentechnologien im Blickfeld chinesischer Nachrichtendienste. China investiert weiter in den Ausbau einer flächendeckenden Kommunikationsund Internetüberwachung. Für die erforderlichen Maßnahmen verfügen die chinesischen Nachrichtendienste über eine starke Personalausstattung und umfangreiche rechtliche Befugnisse. Die verschiedenen nachrichtendienstlichen Maßnahmen werden durch das Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS) organisiert. Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste sind an den amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Legalresidenturen) präsent und oft als Diplomaten oder Journalisten getarnt. Auch der militärische Nachrichtendienst (Military Intelligence Department - MID) und das Ministerium für öffentliche Sicherheit (Ministry of Public Security - MPS) als Leitungsebene der Polizei führten Aufklärungsmaßnahmen gegen Deutschland durch. Ein weiterer nachrichtendienstlicher Schwerpunkt ist das Ausspähen und die Unterwanderung von in Deutschland lebenden oppositionellen Kräften, die von der chinesischen Regierung unter der abwertenden Bezeichnung "Fünf Gifte" zusammengefasst werden. Verstärkte innerstaatliche Konflikte mit Oppositionellen und nationalen Minderheiten in einigen Provinzen werden in chinesischen Sicherheitskreisen als wachsende Bedrohung der staatlichen Sicherheit wahrgenommen. Da sich im Freistaat Sachsen Angehörige der chinesischen Opposition aufhalten, ist davon auszugehen, dass chinesische Nachrichtendienste hier ebenfalls entsprechende Aktivitäten entfalten, wenngleich es für den Berichtszeitraum diesbezüglich keinen konkreten Hinweis gab. 2.1.3 Nachrichtendienste sonstiger Staaten Im Rahmen einer sog. "360deg-Bearbeitung" in der Spionageabwehr wird allen tatsächlichen Anhaltspunkten für sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht nachgegangen. So ist für den türkischen Inund Auslandsnachrichtendienst Milli Istihbarat Teskilati (MIT) Deutschland eines der vorrangigen Ausforschungsziele außerhalb der Türkei. Ein erhebliches nachrichtendienstliches Interesse besteht an Organisationen, die in der Türkei als extremistisch oder terroristisch eingestuft sind, sowie an Vereinigungen und Einzelpersonen (beispielsweise türkische Einwanderer oder hier lebende Flüchtlinge), die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Insoweit besteht der Verdacht, dass der türkische Nachrichtendienst auch im Freistaat Sachsen aktiv ist, 294 "English.www.gov.cn/2016special/madeinchina2025" Seite 224 von 267 wenngleich es im Berichtszeitraum keine konkreten Hinweise auf eine tatsächliche Betroffenheit gab. Ein Schwerpunkt iranischer Nachrichtendienste stellt die Beschaffung von Informationen und Produkten aus den Bereichen Wirtschaft und Wissenschaft dar. Im Rahmen der Proliferationsbekämpfung wurde entsprechenden Hinweisen nachgegangen, eine sächsische Betroffenheit bestätigte sich letztendlich im Berichtszeitraum nicht. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit der iranischen Nachrichtendienste ist die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen und Akteure im Inund Ausland. 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 2.2.1 Beschaffung von öffentlich zugänglichen Informationen Ausländische Nachrichtendienste können einen großen Teil ihrer Informationen bereits aus offen zugänglichen Quellen gewinnen, etwa beim Besuch öffentlicher Tagungen, Vortragsveranstaltungen oder Messen, aus den Sozialen Medien, bei der Lektüre von Werbebroschüren oder Tageszeitungen sowie aus Radio und Fernsehen. Selbst brisante Informationen sind oft ohne Weiteres und legal zugänglich, etwa über Fachzeitschriften und - bücher, über Bachelor-, Masteroder Diplomarbeiten sowie über Dissertationsoder Habilitationsschriften, für die im Regelfall sogar eine Veröffentlichungspflicht besteht. Nicht zuletzt erweitert die rasante technische Entwicklung im Bereich der Digitalisierung das Spektrum frei zugänglicher Informationen in einem stetig wachsenden Ausmaß. Das reguläre Informationsangebot der digitalen Medien bietet fremden Nachrichtendiensten zahlreiche Informationen, die als Grundlage und Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten von erheblicher Bedeutung sein können. 2.2.2 Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen Die Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen gehört ebenfalls zu den Zielen ausländischer Nachrichtendienste. Die konspirative Informationsbeschaffung erfolgt über den Einsatz menschlicher Quellen, durch technische Mittel oder durch eine Kombination beider Wege. Einsatz menschlicher Quellen Als menschliche Quelle kommt in Betracht, wer über nachrichtendienstlich relevante Informationen verfügt oder solche Informationen gewinnen kann. Der möglichen Bandbreite sind hierbei keine Grenzen gesetzt. Sie reicht von einflussreichen Politikern oder Wirtschaftslenkern über Wissenschaftler, Großund Kleinunternehmer, leitende Beamte und Offiziere bis hin zu Angestellten, Studenten und Praktikanten. Jede "hierarchische" Position ist geeignet, Ausgangspunkt oder Ziel einer Ausspähung zu sein. Beispiele aus der Vergangenheit belegen, dass langjährige persönliche Kontakte in relevanten Bereichen zur Gewinnung menschlicher Quellen genutzt werden. Menschliche Schwächen spielen dabei eine herausragende Rolle. Fremde Nachrichtendienste greifen dabei immer wieder gern auf die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beeinflussung zurück, um Informationen zu erhalten. Dabei werden menschliche Eigenschaften wie Dankbarkeit, Hilfsbereitschaft, Habgier, Seite 225 von 267 Autoritätshörigkeit, Geltungssucht oder Unsicherheit ausgenutzt, um Zugang zu sensiblen Daten zu erhalten. Dieses Vorgehen ist auch als "Social Engineering" bekannt. Verstärkt werden auch politische oder wissenschaftliche Denkfabriken in die nachrichtendienstliche Informationsgewinnung eingebunden. Vor allem China verfügt über eine Vielzahl solcher Einrichtungen und fördert sie gezielt. Weltweit haben nur die USA noch mehr Denkfabriken als China. Die erlangten Informationen werden auf unterschiedlichste Art und Weise weitergegeben. Nur exemplarisch sei auf die sog. Legalresidenturen ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland verwiesen. Diese sind regelmäßig in Botschaften und Konsulaten angesiedelt, wo Mitarbeiter von Nachrichtendiensten getarnt als reguläre Mitarbeiter auftreten. Einsatz technischer Mittel, insbesondere elektronischer Angriffe Die Informationsbeschaffung ausländischer Nachrichtendienste durch den Einsatz technischer Mittel, insbesondere über moderne Kommunikationsmedien, gehört zum Alltag. Dies gilt umso mehr, als auch nicht öffentlich zugängliche Informationen in Zeiten zunehmender Digitalisierung oft leicht und ohne größere Risiken erreichbar sind. Vor allem elektronische Angriffe, also gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen, sind ein probates und wichtiges Mittel der Informationsgewinnung und -beeinträchtigung. Die Möglichkeiten reichen vom Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten (z. B. von Kundenlisten oder Strategiepapieren) über den Missbrauch von Identitäten bis hin zur Übernahme und Sabotage von Produktionsund Steuerungseinrichtungen. Derartige technische Maßnahmen können zügig erfolgen, sind kostengünstig und weitgehend risikoarm, auch wenn eine Identifizierung der Urheber durchaus möglich ist. Im Rahmen solcher Cyberangriffe werden u. a. klassische Trojaner-E-Mails295 oder Wasserloch-Angriffe296 mit Drive-By-Infektionen297 eingesetzt. Ausgangspunkt ist auch hier oft ein ausgefeiltes "Social Engineering". Das Sächsische Verwaltungsnetz298 ist nachweislich seit Jahren und mit steigender Tendenz Ziel zahlreicher Cyberangriffe299, bei denen ein nachrichtendienstlicher Hintergrund nicht auszuschließen ist. Sie geben Anlass zu größter Wachsamkeit. Der Jahresbericht 2020 des Beauftragten für die Informationssicherheit des Freistaates Sachsen führt exemplarisch Angriffsmethoden und Angriffsmittel auf. Obwohl vergleichbare Erhebungen zu elektronischen Angriffen außerhalb der Verwaltung in Sachsen noch fehlen, besteht Grund zu der Annahme, dass Wirtschaft und Wissenschaft in vergleichbarem Ausmaß betroffen sein dürften. 295 Als Trojaner-E-Mails gelten hier E-Mails, die zumeist im Anhang eine Schadsoftware enthalten. Diese als nützliche Datei getarnte Schadsoftware wird beim Öffnen der Datei aktiviert, um den betroffenen Rechner dann im Hintergrund zu manipulieren. 296 Bei Wasserloch-Angriffen (Watering-Hole-Attacks) manipuliert der Angreifer bestimmte Webseiten, bei denen er mit einem Aufruf durch das Opfer rechnen darf. Die Manipulation entfaltet im Regelfall erst dann ihre Wirkung, wenn das Opfer die Seite aufruft. 297 Eine Drive-By-Infektion ist die Infektion eines Rechners mit Schadsoftware allein durch das Aufrufen einer mit Schadsoftware manipulierten Webseite. Die Manipulation kann ohne Wissen und Wollen des Betreibers geschehen sein. Drive-By-Infektionen sollen nach Meinung von Experten in den letzten Jahren weiter an Bedeutung gewonnen und die E-Mail als Hauptverbreitungsweg für Schadsoftware abgelöst haben. 298 Das Sächsische Verwaltungsnetz ist die Kommunikationsinfrastruktur des Freistaates Sachsen. Es versorgt die Behörden und Einrichtungen des Freistaates Sachsen flächendeckend mit hochleistungsfähiger und sicherer Sprachund Datenkommunikation für ein modernes Verwaltungshandeln; siehe www.egovernment.sachsen.de 299 vgl. Jahresbericht Informationssicherheit 2020 des Beauftragten für Informationssicherheit des Freistaates Sachsen, Hrsg. Sächsische Staatskanzlei, Berichtszeitraum August 2019 - Juli 2020, S. 5 ff. Seite 226 von 267 Dahin deuten u. a. Erkenntnisse aus Russland, wo die Nachrichtendienste zunehmend Möglichkeiten zur Überwachung und Beeinflussung des Internetverkehrs erhalten, etwa durch Zugriffsmöglichkeiten auf IPund E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Daten aus sozialen Netzwerken oder durch datenschutzrechtliche Restriktionen im Internet. Russische Nachrichtendienste gelten als Initiatoren verbreiteter und berüchtigter Angriffskampagnen, wie Sofacy300, Sandworm301, Snake302 und Energetic Bear303. Solche hochkomplexen und mit hoher Professionalität geführten Kampagnen können über Jahre verborgen bleiben. Von den schon seit einigen Jahren aktiven Angriffskampagnen Snake und Cozy Bear (APT 29) gab es im Jahr 2020 Hinweise auf eine mögliche Betroffenheit deutscher Unternehmen und Einrichtungen. Die Angreifer ändern immer wieder einzelne technische Komponenten, sodass sie die Kampagnen in abgewandelter Form auch weiterhin einsetzen können. Es zeigt sich deutlich, dass sich ein elektronischer Angriff keineswegs in einer einmaligen punktuellen Maßnahme erschöpfen muss, sondern zu einer länger andauernden, komplexen, herausfordernden und zu einer mit großem Aufwand betriebenen Bedrohung heranwachsen kann (sog. Advanced Persistent Threat [APT]). Chinesische Nachrichtendienste stehen gleichfalls im Verdacht, elektronische Angriffe gegen Einrichtungen in Deutschland initiiert zu haben. Im Jahr 2020 gab es Hinweise, wonach auch deutschlandweit Unternehmen betroffen sein könnten. Im Fokus standen u. a. Unternehmen mit Niederlassungen in China. Sensibilisierungsmaßnahmen erbrachten keine Hinweise auf eine tatsächliche sächsische Betroffenheit. Mit den Auslandsaktivitäten chinesischer Nachrichtendienste im Internet korrespondiert die Errichtung einer immer stärkeren elektronischen Mauer zur Abschottung des Internets in China. Weitere Spieler auf dem Feld der elektronischen Angriffe sind Angreifer aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie aus Südostasien. Die Angreifer-Gruppierung Lazarus Group, der Verbindungen nach Nordkorea nachgesagt werden, richtete ihre Angriffe weltweit gegen zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen, so auch in Deutschland. Sensibilisierungsmaßnahmen ergaben keine Betroffenheit sächsischer Einrichtungen. Besondere Brisanz erhalten elektronische Angriffe besonders dadurch, dass sie selbst bei ausgeprägtem Sicherheitsbewusstsein der Betroffenen und trotz Nutzung aktueller Schutzprogramme gegen Schadsoftware oft über längere Zeit unbemerkt bleiben können. Deshalb wendet sich das LfV Sachsen regelmäßig mit Warnmeldungen an potenzielle Opfer, um diese zu sensibilisieren. 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte galten auch im Jahr 2020 der Beeinflussung gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen in Deutschland. Das Portfolio eingesetzter Mittel ist vielfältig und kann von dem bereits aus der Vergangenheit bekannten Einsatz von Einflussagenten über den zielgerichteten Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft, über regelrechte Propagandaoffensiven und dem damit verbundenen Versuch der Instrumentalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen 300 Auch bekannt als APT 28, Sofacy, Pawn Storm, Sednit, Group 74, Tsar Team, Fancy Bear oder Strontium. 301 Auch bekannt als Sandworm Team, TEMP.Noble, Electrum oder TeleBots. 302 Auch bekannt als Uroburos, Turla Group, Turla Team, Venomous Bear, Group 88, Waterbug oder Krypton. 303 Auch bekannt als Dragonfly, Crouching Yeti, Group 24, Koala Team, Bersek Bear oder Anger Bear. Seite 227 von 267 bis hin zu Einflussnahmeaktivitäten in der Wirtschaft reichen. So erregten chinesische Versuche der Einflussnahme auf die deutsche Wirtschaft durch Direktinvestitionen besondere Aufmerksamkeit. Gezielte chinesische Firmenbeteiligungen in ausgewählten Schlüsselbranchen im Ausland sind erklärter Bestandteil der Industriestrategie "Made in China 2025" und machen auch vor dem Freistaat Sachsen keinen Halt. In die Prozesse der staatlichen Direktion von Investitionen staatlicher, halbstaatlicher und privater chinesischer Unternehmen sind auch Nachrichtendienste eingebunden. 2.2.4 Spionagerelevante Sachverhalte im Zusammenhang mit der CoronaPandemie Das LfV Sachsen hat derzeit keine Hinweise auf spionagerelevante Sachverhalte im Medizinund Gesundheitsbereich (insbesondere im Zusammenhang mit Covid 19-Erkrankungen und - Behandlungen), die auf Aktivitäten fremder Nachrichtendienste zurückzuführen sind. Der Verfassungsschutzverbund sensibilisierte proaktiv potenziell Betroffene. Analysen und Handlungsempfehlungen wurden dabei in anonymisierter Form an diese verteilt, verbunden mit dem Angebot weiterer Unterstützung. 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft Eine effektive Prävention ist die wichtigste Abwehrmaßnahme gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte. Sowohl Staat und Verwaltung als auch Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgerufen, sich und ihre Umgebung bereits im Vorfeld vor solchen Tätigkeiten hinreichend zu schützen. Prävention heißt vor diesem Hintergrund, # Sicherheit zur Chefsache zu machen, # sich regelmäßig über Angriffsmethoden und -ziele fremder Nachrichtendienste zu informieren, # die eigenen Einrichtungen und deren Umgebung auf spionagerelevante Schwachstellen systematisch zu analysieren, # passgenaue Abwehrlösungen zu entwickeln, # die Entwicklungen auf dem "Spionagemarkt" fortlaufend zu beobachten und # Verdachtsfällen nachzugehen. Zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Herausforderungen sieht sich das LfV Sachsen als Sicherheitspartner für alle sächsischen Behörden, Verbände, Vereinigungen, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Das LfV Sachsen geht zu diesem Zweck aktiv auf potenziell gefährdete Institutionen zu. Bestandteil einer Sicherheitspartnerschaft können Vorträge, Individualberatungen, Onlineangebote und Broschüren sein. Darüber hinaus unterstützt das LfV Sachsen alle Interessenten bei der Analyse ihrer Einrichtungen auf spionagerelevante Schwachstellen, bei der Entwicklung individueller Abwehrlösungen und bei der Aufklärung von Verdachtsfällen. Die vertrauliche Behandlung der jeweiligen Sicherheitspartnerschaft und ihres Inhaltes ist dabei selbstverständlich. Seite 228 von 267 Bei alldem kann das LfV Sachsen auf starke Partner zurückgreifen. Dazu gehören das BfV und die weiteren 15 Landesbehörden für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Nationale Cyber-Abwehrzentrum, die Polizei und viele andere Sicherheitsbehörden. Unabhängig davon engagiert sich das LfV Sachsen gemeinsam mit der Sächsischen Polizei und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) Sachsen e. V. in dem Präventionsangebot "Sicheres Unternehmen", einem ebenfalls kostenlosen Beratungsangebot zum Schutz der äußeren und inneren Sicherheit von Unternehmen. Unterstützt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) betreut das LfV Sachsen außerdem Unternehmen mit geheimhaltungsbedürftigen Aufträgen. Des Weiteren hat der Verfassungsschutzverbund gemeinsam mit anderen Behörden und Wirtschaftsverbänden die "Initiative Wirtschaftsschutz" 304 weiterentwickelt. Ziel ist es, die deutsche Wirtschaft und Wissenschaft mittels eines umfassenden Schutzkonzeptes noch effektiver vor Spionageaktivitäten zu bewahren. Bedingt durch die Corona-Pandemie konnte das LfV Sachsen im Jahr 2020 nur sehr wenige Vorträge und Individualberatungen durchführen. Stattdessen legte das LfV den Schwerpunkt seiner Arbeit darauf, Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden in anlassbezogenen Rundschreiben Informationen über aktuelle elektronische Angriffskampagnen zukommen zu lassen, verbunden mit konkreten Handreichungen für Abwehrmaßnahmen. Die vielfältigen Präventionsmaßnahmen zeigen Wirkung: Auch im Berichtsjahr gab es mehrfach Hinweise auf mögliche spionagerelevante Sachverhalte, denen das LfV Sachsen nachging. Darüber hinaus konnte es zahlreiche potenzielle Adressaten auf die Möglichkeit elektronischer Angriffe hinweisen und sie so beim Schließen von Sicherheitslücken unterstützen. Landesamt für Verfassungsschutz Neuländer Str. 60 01129 Dresden Telefon: 0351/85850 und 5333 (Wirtschaftsschutz) Fax: 0351/8585500 EMail: wirtschaftsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.wirtschaftsschutz.info 304www.wirtschaftsschutz.info Seite 229 von 267 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben Geheimschutz: Geheimhaltungsgrade von Verschlusssachen - STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH Die Sicherheitsüberprüfung ermittelt, ob bei betreffenden Personen ein Sicherheitsrisiko vorliegt 52.832 Mitwirkungsanfragen im Jahr 2020 (2019: 42.153 Anfragen) Seite 230 von 267 Allgemein Der Geheimschutz gewährleistet, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen in Verschlusssachen geheim bleiben und nicht an Unbefugte gelangen. Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Die Einstufung als Verschlusssache ist unabhängig von der Form, in der die geheimhaltungsbedürftige Information vorliegt. Das Spektrum der Verschlusssachen reicht vom gesprochenen Wort über Schriftstücke und Zeichnungen bis zu elektronischen Datenträgern und technischen Einrichtungen. Sie werden je nach dem erforderlichen Schutz in die Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft. Ihre Bearbeitung wird als sicherheitsempfindliche Tätigkeit bezeichnet. Der Zugang zu Verschlusssachen und der Umgang mit ihnen sowie die Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SächsSÜG) vom 19. Februar 2004 und in der Verwaltungsvorschrift der Sächsischen Staatsregierung über die Behandlung von Verschlusssachen (Verschlusssachenanweisung - VSA) vom 4. Januar 2008 geregelt. 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutz-überprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben sollen, müssen sich zuvor einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Dabei wird ermittelt, ob bei der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das dem Zugang zu Verschlusssachen bzw. der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Nach der gesetzlichen Regelung (SS 5 Abs. 1 SächsSÜG) liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste oder 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Ein derartiges Sicherheitsrisiko in Bezug auf die zu überprüfende Person kann sich auch ergeben, wenn entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte zu anderen Personen, insbesondere Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährten, vorliegen. Werden bei einer Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse - z. B. Straftaten, Hinweise auf übermäßigen Alkoholgenuss, Hinweise auf eine Ablehnung der Seite 231 von 267 freiheitlichen demokratischen Grundordnung - bekannt, wird geprüft, ob sich daraus ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. Zuständig für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung ist die Behörde, bei der die sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auch für Personen in Wirtschaftsunternehmen, die im Rahmen von staatlichen Aufträgen sächsischer Behörden mit Verschlusssachen umgehen, werden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. In diesen Fällen ist die Landesdirektion Sachsen zuständig. Die Sicherheitsüberprüfung wird erst nach schriftlicher Zustimmung des Betroffenen eingeleitet. Das LfV Sachsen wirkt im Auftrag der zuständigen Stelle bei der Sicherheitsüberprüfung mit. Es überprüft die Personen und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt. In Abhängigkeit von der auszuübenden sicherheitsempfindlichen Tätigkeit gibt es verschiedene Stufen der Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 bis Ü 3). 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen Der Sabotageschutz dient dem Schutz der für das Gemeinwesen lebenswichtigen Einrichtungen. In der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur Feststellung lebenswichtiger Einrichtungen im Freistaat Sachsen (Sächsische Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung) vom 22. September 2010 (SächsGVBl. 2010 Nr. 12, S. 271) werden lebenswichtige Einrichtungen im Sinne des Sabotageschutzes benannt. Personen, die an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer lebenswichtigen Einrichtung beschäftigt werden, üben eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach dem SächsSÜG aus und müssen sich daher einer einfachen Sicherheitsüberprüfung Ü1 unterziehen. 2. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen und gewährleistet die Einhaltung der Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung. Dazu zählen die rechtlichen Maßgaben zur Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen sowie Regelungen zu Aufbewahrung, Verwaltung, Transport und Vernichtung von Verschlusssachen. Wird ein Geheimnisverrat bekannt, ist das LfV Sachsen zu beteiligen. Das LfV Sachsen berät und unterstützt die Behörden des Freistaates Sachsen in Fragen des materiellen Geheimschutzes, damit Verschlusssachen sicher erstellt, bearbeitet und aufbewahrt werden können. Bei Wirtschaftsunternehmen, die im Auftrag sächsischer Landesbehörden tätig sind und dabei Zugriff auf Verschlusssachen haben, führt die Landesdirektion Sachsen als zuständige Stelle unter Mitwirkung des LfV Sachsen ein Geheimschutzverfahren durch. Dabei werden Sicherheitsstandards geschaffen, um die Kenntnisnahme von Verschlusssachen durch Unbefugte zu verhindern. Im Rahmen dieses Verfahrens berät das LfV Sachsen die Unternehmen. Seite 232 von 267 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder Ausschlussgründen Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr. Auf Anfrage der zuständigen Behörden wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse zu den angefragten Personen vorliegen und ob diese gemäß den gesetzlichen Regelungen mitgeteilt werden dürfen. Im Jahr 2020 wurden vom LfV Sachsen 52.832 solcher Mitwirkungsanfragen bearbeitet. Im Einzelnen unterstützte das LfV Sachsen die Behörden bei folgenden Überprüfungen: Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) für Personen, die zum sicherheitsempfindlichen Bereich des Luftverkehrs Zutritt haben sollen 8.252 Anfragen Beteiligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vor Erteilung oder bei Verlängerung von Aufenthaltstiteln 22.127 Anfragen Beteiligung nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) bei Einbürgerungen 2.580 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe - Sprengstoffgesetz (SprengG) für Personen, die gewerbsmäßig, selbstständig im Rahmen eines wirtschaftlichen Unternehmens oder eines landoder forstwirtschaftlichen Betriebes oder bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen betreiben wollen 415 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über die friedliche Verwendung von Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG) für Personen, die beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder bei der Beförderung von radioaktiven Stoffen oder bei der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen tätig sind 93 Anfragen Seite 233 von 267 Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz (WaffG) Auf der Grundlage des Dritten Waffenrechtsänderungsgesetzes sind die Waffenbehörden seit dem 20. Februar 2020 verpflichtet, im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen auch eine Auskunft der zuständigen Verfassungsschutzbehörde einzuholen (Regelanfrage). Damit soll erreicht werden, dass Extremisten von vornherein nicht in den Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis gelangen. Zudem müssen die Verfassungsschutzbehörden auch im Nachhinein bekannt gewordene Erkenntnisse übermitteln (Nachberichtspflicht). Aufgrund dieser im Berichtsjahr neu eingeführten Regelanfrage gingen beim LfV Sachsen im Jahr 2020 insgesamt 15.221 Anfragen ein. Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Verordnung über das Bewachungsgewerbe Bewachungsverordnung (BewachV) Die Gewerbebehörden sind verpflichtet, im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Wachpersonen, die mit Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei Objekten, von denen im Falle eines kriminellen Eingriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann, eine Stellungnahme der zuständigen Landesbehörde für Verfassungsschutz einzuholen (Regelabfrage). Dasselbe gilt im Falle von Wachpersonen, die mit der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende oder mit der Bewachung von zugangsgeschützten Großveranstaltungen beauftragt werden sollen. Weiterhin ist die zuständige Landesbehörde für Verfassungsschutz verpflichtet, Informationen, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Wachpersonen von Bedeutung sind und die ihr erst im Nachhinein bekannt werden, an die zuständige Behörde zu übermitteln (Nachberichtspflicht). Im Jahr 2020 gingen beim LfV Sachsen insgesamt 4.144 Anfragen ein. Seite 234 von 267 V. Anhang Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen Glossar Übersicht von Verbotsmaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern bzw. durch die Innenministerien/-senate der Länder seit 1992 Abkürzungsverzeichnis Register Aussteigerprogramm Sachsen Seite 235 von 267 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen im Jahr 2020305 Rechtsextremismus ANTI-ANTIFA-GRUPPE ARIA / ARIA S (Liedermacherin) ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) ARTGEMEINSCHAFT - GERMANISCHE GLAUBENSGEMEINSCHAFT WESENSGEMÄßE LEBENSGESTALTUNG E.V. BENJAMIN GRUHN (Liedermacher) BILDUNGSWERK FÜR HEIMAT UND NATIONALE IDENTITÄT E. V. BLACK DEVILS BLUTZEUGEN (Band) BRAINWASH (Band) BRIGADE 8 BÜRGERWEHR 360/FREITAL (bzw. Gruppe Freital) COMBAT 18 (Nachfolgebestrebungen des am 23.01.2020 vom BMI verbotenen deutschen Vereins) DER DRITTE W EG (III. W EG) DER FLÜGEL DER TOD UND DIE LANDSKNECHTE (Band) DEUTSCHE STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT MBH DIVISION ERZGEBIRGE DIE RECHTE DRYVE BY SUIZHYDE (Vertrieb) ETHOS (Band) FEINDKONTAKT PRODUKTION (Vertrieb) FEINDNAH (Band) FIRST CLASS STREETWEAR (Vertrieb, siehe NATIONALES VERSANDHAUS) FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FREIE KRÄFTE HOYERSWERDA (bzw. NATIONALE SOZIALISTEN HOYERSWERDA) FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN (FKMO) FREIGEIST E. V. (aufgelöst) FREILICHFREI (Liedermacher) FRONT776 (Band) GEFANGENENHILFE (GH) HANDSCHU (LIEDERMACHER) HAMMERSKINS HEILIGE JUGEND (Band) HEILIGER KRIEG (Band) HERMANNSLAND-VERSAND (Vertrieb) HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. (HNG) (Nachfolgebestrebungen des am 21. September 2011 verbotenen Vereins) einschließlich: GEFANGENENHILFE.INFO (GH) 305 Diese Liste führt der Vollständigkeit halber sämtliche dem LfV Sachsen bekannten erwiesenen extremistischen Bestrebungen gemäß SSSS 2 und 15 Sächsisches Verfassungsschutzgesetz auf. Sie führt damit auch solche Beobachtungsobjekte auf, die im Berichtsjahr nicht oder nur sporadisch aktiv waren, so dass eine Erwähnung im Jahresbericht 2020 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht gerechtfertigt wäre. Im Hinblick auf den originär politikberatenden Ansatz des Verfassungsschutzberichtes beschränkt sich das LfV Sachsen auf die Darstellung der für das jeweilige Berichtsjahr politisch relevanten Ereignisse und Tendenzen in den einzelnen Phänomenbereichen. Es liegt im Ermessen des LfV Sachsen, hier entsprechende Prioritäten zu setzen und den Fokus auf die Beschreibung wesentlicher Beobachtungsobjekte zu richten. Seite 236 von 267 IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) / IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IBD) JUNGE NATIONALISTEN (JN, ehem. JUNGE NATIONALDEMOKRATEN) JUNGE REVOLUTION KAOTIC CHEMNITZ KILLUMINATI (Band) KOLLEKTIV OBERLAUSITZ KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG (KPV, siehe NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS - NPD) KOPFSTEINPFLASTER LARS (LIEDERMACHER - auch SONDERKOMMANDO ELBE) LEICHENZUG (Band) LOKIS TRUHE (Vertrieb) NATION & W ISSEN (Verlag / Vertrieb) NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) NATIONALER JUGENDBLOCK ZITTAU E. V.(NJB) NATIONALES VERSANDHAUS (Vertrieb) NEONATIONALSOZIALISTISCHE SZENE NEW SOCIETY (NS-BOYS) NEUBEGINN (BAND) OLDSCHOOL SOCIETY (OSS) OTWIN (Liedermacher) PARANOID (Band) PC-RECORDS (Vertrieb) PECKERWOOD BROTHERHOOD PIATTMAR (Liedermacher) PIONIER (Band) PRIMUS (RAPPER) PRO CHEMNITZ (BÜRGERBEWEGUNG PRO CHEMNITZ) PROTOTYP (RAPPER) RAC'N'ROLL-TEUFEL (Liedermacher, auch SCHRATT) REVOLUTION CHEMNITZ RING NATIONALER FRAUEN (RNF, siehe NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS - NPD) SACHSENBLUT (Band) SACHSONIA (Band) SCHLESISCHE JUNGS NIESKY SCHRATT (Liedermacher, auch RAC'N'ROLL-TEUFEL) SELBSTSTELLER (Band) SONDERKOMMANDO ELBE (Liedermacher, auch LARS) SPÄTLESE (Band) STAHLFRONT (Band) STAHLWERK (Band) STREETFIGHT-VERSAND (Vertrieb, siehe NATIONALES VERSANDHAUS) SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTISCHE SZENE THEMATIK 25 (Band) THOYTONIA (Band) TIWAZ-GEMEINSCHAFT TRUE AGGRESSION (Band) ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND (Band) ULTRACOCKS (Band) VOLKSNAH (Band) W. U. T. (W HITE UNITED TERROR) (Band) WEIßER RABE/DER W EIßE RABE WIR FÜR LEIPZIG Seite 237 von 267 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER BUNDESSTAAT SACHSEN DIE EXILREGIERUNG DEUTSCHES REICH EXIL-REGIERUNG DEUTSCHES REICH GEEINTE DEUTSCHE VÖLKER UND STÄMME KÖNIGLICH-SÄCHSISCHER GEMEINDEVERBUND mit WAHLKOMMISSION SACHSEN (ehemals FREIE WÄHLERVEREINIGUNG EINIGES DEUTSCHLAND) STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. VATERLÄNDISCHER HILFSDIENST MIT ARMEEKORPSBEZIRK XII UND XIX Linksextremismus ANARCHISTEN ANARCHOSYNDIKALISTISCHE JUGEND LEIPZIG (ASJL) ANTIFA RECHERCHE TEAM DRESDEN (ART DRESDEN) ANTIFASCHISTISCHE AKTION GÖRLITZ AUTONOME DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION - INTERNATIONALE ARBEITER ASSOZIATION (FAU) mit Regionalgruppen ALLGEMEINES SYNDIKAT DRESDEN, FAU-SEKTION CHEMNITZ und FAU LEIPZIG INTERVENTIONISTISCHE LINKE (IL) KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (KPD) KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI "Die Linke" (KPF) MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD) PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) REVOLUTION (REVO) mit Regionalgruppen in Leipzig und Dresden REVOLUTIONÄRE JUGEND DRESDEN (RJD) ROTE HILFE e.V. (RH) mit Ortsgruppen in Dresden, Leipzig und Südwestsachsen THE FUTURE IS UNWRITTEN (TFIU) ...UMS GANZE! UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA Dresden) Islamismus / Jihadistischer Salafismus Islamistischer Terrorismus, insbesondere AL-QAIDA (AQ) und ISLAMISCHER STAAT (IS) MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) mit ihrer Deutschlandvertretung ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E. V. (IGD) bzw. DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V. (DMG), insbesondere: # SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT (SBS) # MARWA EL-SHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. (MKBD) SALAFISTISCHE BESTREBUNGEN, insbesondere: # ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E. V. in Leipzig # VOGTLÄNDISCH-ISLAMISCHES ZENTRUM AL-MUHADJIRIN E. V. in Plauen (AL-MUHADJIRINMOSCHEE) # TÜRKISCHE HIZBULLAH (TH) Seite 238 von 267 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) DEMOKRATISCHES GESELLSCHAFTSZENTRUM DER KURDINNEN IN DEUTSCHLAND E. V.(NAV-DEM) DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. JXK/YXK (STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN / VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN) JXK/YXK - LEIPZIG KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E.V. (KON-MED) KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDKE) PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION (PYD) TEVGERA CIWANEN SORESGER (JUGENDDACHORGANISATION DER PKK) TEVGERA CIWANEN SORESGER DRESDEN (TCS) UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V. VEREINIGTE GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS (KCK) VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YPG) VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN DER FRAUEN (YPJ) VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HPG) Sonstige Phänomenbereiche Scientology-Organisation Seite 239 von 267 Glossar Antifa Der "antifaschistische Kampf" ist ein Hauptagitationsfeld von AUTONOMEN. Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen "Faschisten" und "Rassisten" in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden. Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonationalsozialisten in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt und als solche auch militante Aktionsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners. Als Gegner werden dabei auch Angehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antideutsche Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden eine Besonderheit innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene und tragen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremistischen Gefüge bei. Hauptbestandteil antideutscher Ideologie ist die bedingungslose Solidarität mit der Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk. Antideutsche sprechen sich - aus Sorge vor einem neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust - für eine massive Unterstützung des Staates Israels und des Judentums aus. Sie stehen oft positiv zu den USA als Schutzmacht Israels. Antideutsche befürchten ein Erstarken des deutschen Nationalismus und ein großdeutsches "Viertes Reich", sie lehnen daher einen deutschen Nationalstaat insgesamt ab. Im linksextremistischen Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Antifaschismus Der Begriff "Antifaschismus" wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Seite 240 von 267 Antisemitismus Antisemitismus im Rechtsextremismus Antisemitismus ist ein zentrales Ideologieelement des Rechtsextremismus und in allen seinen Äußerungsformen virulent, seien sie publizistisch, parlamentarisch oder auch aktionistisch orientiert. Antisemitismus zielt auf die Diffamierung und Diskriminierung einer behaupteten Gesamtheit "der Juden" ab. Der rechtsextremistische Antisemitismus baut insbesondere auf dem rassistischen Weltbild des Nationalsozialismus auf, der das Judentum als "nichtdeutsche, fremde Rasse" definierte und diesen "Feind der eigenen Rasse" "ausmerzen" wollte. Nicht zuletzt aufgrund der strafrechtlichen Konsequenzen meiden Rechtsextremisten mittlerweile in ihrer Propaganda offenen, rassistisch motivierten Antisemitismus. Vielmehr weichen sie auf einen angedeuteten Antisemitismus aus, insbesondere durch die Behauptung eines übermäßigen politischen Einflusses von Juden (politischer Antisemitismus). Auch religiös begründeter Antisemitismus ist gelegentlich zu beobachten. Oftmals findet antisemitische Propaganda nur unterschwellig statt, u. a. durch subtil judenfeindlich gefärbte Zeitungsartikel oder Anspielungen. Rechtsextremisten nutzen die im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an der Politik Israels, um die Existenzberechtigung des Staates Israel in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels basiert auf der prinzipiellen Ablehnung des Judentums. Gleichsetzungen der israelischen Politik mit den Verbrechen an Juden im Nationalsozialismus sind ebenfalls ein gängiges Muster des antizionistischen Antisemitismus. Im Rahmen des sekundären Antisemitismus wird den Juden vorgeworfen, sie benutzten die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust als Mittel der Erpressung, um finanzielle und politische Forderungen durchzusetzen. Antisemitischen Verschwörungstheorien zufolge wird Deutschland im Rahmen einer planvollen Konspiration instrumentalisiert, um den "jüdischen Einfluss" zu vergrößern oder das Ziel der jüdischen Weltherrschaft zu erreichen. Häufig wird ein "jüdischer Einfluss" auf politische Entscheidungen der Regierungsverantwortlichen behauptet. Antisemitismus im Islamismus Zu den Feindbildern islamistischer Organisationen gehören prinzipiell der Staat Israel bzw. "die Zionisten", denen - je nach Standort im islamistischen Spektrum mehr oder weniger offen - die verschwörerische Manipulation westlicher Staaten, vor allem der USA, unterstellt wird. Die jüdische Einwanderung in Palästina, die Entstehung des Staates Israel und der seither ungelöste Nahost-Konflikt waren Auslöser für die Entstehung eines islamistischen Antizionismus. Dieser war und ist stark antijüdisch gefärbt, insofern auch auf die prinzipielle, nach Auffassung von Islamisten im Koran belegte und durch die islamistische Geschichtsauffassung gestützte ewige Feindschaft "der Juden" gegen die Muslime/den Islam Bezug genommen wird. Im Unterschied zum Antisemitismus deutscher Rechtsextremisten ist der islamistische Antisemitismus nicht rassistisch begründet. Auskunftsanspruch Jeder kann gemäß SS9 Abs.1 SächsVSG Auskunft über seine beim Landesamt für Verfassungsschutz zu seiner Person gespeicherten Daten erhalten. Der Auskunftsanspruch wird unter folgenden Voraussetzungen eingeschränkt, die in SS9 Abs.2 SächsVSG geregelt sind: Seite 241 von 267 Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung, Gefährdung von Quellen, Ausforschung des Erkenntnisstandes bzw. der Arbeitsweise des LfV, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. dem Wohl des Bundes oder eines Landes würden Nachteile bereitet, Geheimhaltungsbedürftigkeit der Daten. Ein Recht auf Akteneinsicht besteht nicht. Cyberangriff Mit dem Begriff "Cyberangriff" werden gezielt durchgeführte Maßnahmen mit und gegen Infrastrukturen der Informationstechnologie (IT) bezeichnet. Sie dienen entweder der Informationsbeschaffung oder sollen das angegriffene IT-System schädigen oder sabotieren. Datenschutz Zweck des Datenschutzes ist, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird. Der Verfassungsschutz hat daher bei seiner Aufgabenerfüllung grundsätzlich die besonderen datenschutzrechtlichen Bestimmungen der Verfassungsschutzgesetze sowie - gegebenenfalls ergänzend - der allgemeinen Datenschutzgesetze zu beachten. Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird fortlaufend vom Bundesbzw. den Landesbeauftragten für den Datenschutz unabhängig geprüft. Hierzu erhalten die Beauftragten u. a. weitgehende Akteneinsicht. Mit regelmäßig erscheinenden Tätigkeitsberichten werden die parlamentarischen Vertreter und die Öffentlichkeit über das Ergebnis ihrer Überprüfungen informiert. Extremismus / Radikalismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Radikalismus" und "Extremismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei Radikalismus handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum Extremismus sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Extremistisch beeinflusste Organisationen Extremistisch beeinflusste Organisationen sind Vereinigungen, die von Extremisten oder auf deren Initiative hin gegründet oder von Extremisten unterwandert und erheblich beeinflusst sind, wobei der Grad der Beeinflussung unterschiedlich ist. Sie verfolgen bestimmte politische Ziele, die mit denen der Kernorganisation ganz oder teilweise übereinstimmen. Seite 242 von 267 Sie unterstützen die Bestrebungen der Kernorganisation dadurch: dass sie bestimmte politische Ziele verfolgen, die mit denen der Kernorganisation ganz oder teilweise übereinstimmen, und dass sie dadurch die Bestrebungen der Kernorganisation unterstützen, dass ihre Funktionäre zu einem größeren oder kleineren Teil Mitglieder oder Anhänger der Kernorganisation sind, dass ihnen auch Personen angehören, die zwar keine Extremisten sind, aber Teilziele der Organisation verfolgen und dabei entweder den erheblichen extremistischen Einfluss nicht erkennen, oder ihn zwar erkennen, aber in Kauf nehmen, bzw. in Einzelfällen diesen Einfluss sogar zurückdrängen wollen. Extremistische Bestrebungen Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichtete Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes und Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder eines Landesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen. Fanzine Seite 243 von 267 Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet in der Regel subkulturelle Publikationen. In der rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Einzelpersonen und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres Gedankengutes. Das Medium verlor mit der Verlagerung der Kommunikation in das Internet sehr stark an Bedeutung. Zwar erscheinen weiterhin Fanzines, herausgegeben von zumeist langjährigen Szeneangehörigen, diese Publikationen haben jedoch eher traditionellen, nostalgischen Charakter, als dass sie der Information breiter Szenekreise dienen. FREIE NATIONALISTEN / FREIE KRÄFTE Das Konzept der FREIEN NATIONALISTEN (bzw. FREIEN KRÄFTE) wurde Mitte der 1990er Jahre von NEONATIONALSOZIALISTEN als Reaktion auf die zahlreichen Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, die zersplitterte neonationalsozialistische Szene unter Verzicht auf vereinsmäßige Strukturen ("Organisierung ohne Organisation") zu bündeln, ihre Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Ein Großteil der FREIEN NATIONALISTEN sammelte sich in rechtsextremistischen Kameradschaften. Ab Mitte der 2000er Jahre setzte ein erneuter Strukturwandel in der Kameradschaftsszene ein, der von einer weiteren Lockerung der Organisationsstrukturen gekennzeichnet war. Damit wurde das Ziel verfolgt, dem Staat noch weniger Angriffsfläche zu bieten. So existieren in Sachsen nur noch vereinzelt organisierte und eine Struktur aufweisende FREIE KRÄFTE. Freiheitliche demokratische Grundordnung Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. Seite 244 von 267 Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. G10-Maßnahme Nach dem "Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses" (Artikel 10-Gesetz) ist dem LfV der Eingriff in das Grundrecht nur unter folgenden engen Voraussetzungen möglich: Die Überwachung ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltpunkte für die Planung oder Begehung bestimmter, schwerwiegender Straftaten - z. B. Hochverrat, geheimdienstliche Agententätigkeit oder Bildung einer terroristischen Vereinigung - vorliegen. Ebenfalls zulässig ist eine Überwachung, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass jemand Mitglied einer Vereinigung ist, deren Zwecke oder Tätigkeiten darauf gerichtet sind, Straftaten zu begehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Zudem muss die Überwachung erforderlich sein, d. h. die Erforschung des Sachverhalts muss auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert sein. Die Überwachung wird nicht vom LfV angeordnet, sondern auf dessen Antrag durch den Staatsminister des Innern. Vor dem Vollzug der Anordnung muss die sog. G10-Kommission über die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahme entscheiden. Geheimschutz Der Geheimschutz umfasst alle personellen und materiellen (organisatorischen, baulichen und technischen) Maßnahmen zum Schutz von im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Unterlagen, Maßnahmen und Objekten. Der Geheimschutz sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Personeller Geheimschutz Die Verfassungsschutzbehörden wirken mit bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten ausüben, weil sie Zugang zu Verschlusssachen (VS) haben. Die Sicherheitsüberprüfung soll solche Personen aus sensiblen Bereichen fernhalten, die Anlass zu Zweifeln an ihrer Zuverlässigkeit oder an ihrem Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung geben oder für Ansprachen anderer Nachrichtendienste gefährdet erscheinen. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz beinhaltet organisatorische, bauliche, mechanische, elektrotechnische und informationstechnische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen (unabhängig von ihrer Darstellungsform) und von räumlichen Sicherheitsbereichen. Einer der Schwerpunkte ist die Sicherheit beim Umgang mit Informationen, die im staatlichen Interesse Unbefugten nicht zur Kenntnis gelangen dürfen. Dazu gehören insbesondere die richtige Einstufung von Dokumenten als Verschlusssachen (VS-Nur für den Dienstgebrauch, VS-Vertraulich, GEHEIM und Streng GEHEIM) sowie deren Herstellung, Aufbewahrung/Speicherung, Vervielfältigung, Weitergabe/Übermittlung und Aussonderung/Archivierung bzw. Vernichtung/Löschung. Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Seite 245 von 267 Das GETZ wurde im November 2012 zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus, der Spionage sowie der Proliferation eingerichtet. Im Rahmen des Gremiums tauschen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern Informationen zu den genannten Phänomenbereichen aus. Dabei soll die Fachexpertise der Sicherheitsbehörden gebündelt und ein möglichst lückenloser Informationsfluss gewährleitet werden. Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Im GIZ beobachten seit 2007 sprachkundige Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder das Internet hinsichtlich islamistischer und islamistisch-terroristischer Inhalte. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das im Jahr 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in BerlinTreptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird durch die dortige Zusammenarbeit erleichtert und beschleunigt. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, Seite 246 von 267 ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Unter "Homegrown"-Terrorismus sind islamistische Strukturen oder Strukturansätze zu verstehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen sind zumeist in europäischen Ländern geboren und/ oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung einer islamistischen Gesellschaftsordnung für erstrebenswert. Gemeinsames Kennzeichen dieses Personenkreises ist, dass er von der pan-islamischen AL-QAIDA-Ideologie beeinflusst wird. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen macht sich islamistisches Gedankengut zu eigen und engagiert sich für islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in islamistischen / islamistisch-terroristischen Strukturen erklärt sich u. a. aus der Motivation, sich gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sogenannter großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf / "heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. Klandestine Aktionen Diese Aktionsform findet unabhängig vom Demonstrationsgeschehen Anwendung. Es handelt sich um Aktionen, bei denen es entweder zum Einsatz von Gewalt kommt bzw. es sich um herausgehobene Zielobjekte des politischen Gegners bzw. Einrichtungen des "Repressionsapparates" handelt. Taktisch setzt man dabei auf das Überraschungsmoment und die Anonymität der Akteure. Dadurch wird für die Handelnden das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Voraussetzung dafür ist allerdings ein kleiner, aber fester Personenkreis mit hohem Konspirationsgrad. Es sollen hierdurch politische Aufmerksamkeit erreicht und politischer Einfluss ausgeübt werden. Daher werden die Aktionen in der Regel auch durch Bekennerschreiben flankiert. Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden Seite 247 von 267 Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte des Bürgers sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit der Bürger darauf vertrauen kann, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen. s.a. Parlamentarische Kontrollgremien, Datenschutz Legende "Legende" bezeichnet im Sprachgebrauch der Nachrichtendienste die Verwendung ganz oder teilweise erfundener oder geänderter biographischer Daten, um den Auftrag der Nachrichtendienste zu erfüllen und für sie tätige Personen gegenüber Dritten zu schützen. Im Rahmen einer Legende werden Tarnmittel eingesetzt, insbesondere Tarnadressen, Tarnausweise und Kfz-Tarn-Kennzeichen. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao und andere, Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, AUTONOME, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. Mujahidin Als Mujahidin (Plural für: "Kämpfer im Jihad") werden Islamisten bezeichnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich Seite 248 von 267 am "gewaltsamen Jihad" selbst beteiligen oder beteiligt haben oder für die Teilnahme am "gewaltsamen Jihad" ausbilden lassen oder bereits haben ausbilden lassen oder am "gewaltsamen Jihad" beteiligen werden, z. B. aufgrund entsprechender Äußerungen. Arabische Muslime verschiedener Nationalität stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. Nachrichtendienste Nachrichtendienste sammeln Informationen über die innere oder äußere Sicherheit eines Staates gefährdende Bestrebungen und werten sie aus. Hierbei können die Nachrichtendienste verdeckt arbeiten (vgl. nachrichtendienstliche Mittel). Die Ergebnisse der Analyse werden in Berichtsform zusammengefasst und den politischen Entscheidungsträgern sowie den Kontrollgremien zur Verfügung gestellt. Nachrichtendienste in Deutschland In der Bundesrepublik Deutschland existieren drei Nachrichtendienste: Inlandsnachrichtendienst (Verfassungsschutzbehörden: Bundesamt für Verfassungsschutz und Landesämter für Verfassungsschutz) Auslandsnachrichtendienst (BND) Militärischer Abschirmdienst (MAD) Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Sie arbeiten gemäß dem Bundesverfassungsschutzgesetz bzw. den Landesverfassungsschutzgesetzen in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammen. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder können entweder als Abteilung unmittelbar im jeweiligen Innenministerium angesiedelt oder als eigenständige Landesoberbehörde dem jeweiligen Innenministerium nachgeordnet sein. Der Bundesnachrichtendienst (BND) ist der Auslandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland. Er hat die Aufgabe, im Ausland Informationen zu sammeln, die von außenoder sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind. Er wertet diese Informationen selbst aus. Neben den Kernaufgaben der Auslandsaufklärung übernimmt der BND zunehmend auch Aufgaben in der Beobachtung der international operierenden Organisierten Kriminalität, insbesondere auf den Gebieten Waffenund Technologietransfer, Geldwäsche, Menschenhandel und Rauschgiftschmuggel. Der Militärische Abschirmdienst (MAD), eine Dienststelle des Bundesverteidigungsministeriums, ist der Nachrichtendienst der Bundeswehr. Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat er die Aufgabe, extremistische, sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Bestrebungen und Tätigkeiten innerhalb der Bundeswehr zu beobachten. Die Hauptaufgaben des MAD liegen dabei in der Abwehr von Spionageaktivitäten sowie im Aufspüren verfassungsfeindlicher Bestrebungen innerhalb der Truppe. Der MAD ist auch für die Sicherheit von Bundeswehrliegenschaften zuständig. Seite 249 von 267 Nachrichtendienste fremder Staaten In der Bundesrepublik Deutschland agieren Nachrichtendienste fremder Staaten, um Informationen aus allen Bereichen des öffentlichen Lebens zu gewinnen (politische, wirtschaftliche, militärische Entwicklungen und Entscheidungen). Hinsichtlich ihrer Organisation und ihrer Befugnisse sind diese Dienste in den verschiedenen Staaten unterschiedlich ausgestaltet Nachrichtendienstliche Mittel Mit nachrichtendienstlichen Mitteln als Oberbegriff werden technische Mittel und Arbeitsmethoden der geheimen Nachrichtenbeschaffung bezeichnet. So darf das LfV nach SS 5 Abs. 1 SächsVSG Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden. Dem LfV ist unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (nach SS 5 Abs. 2 Satz 2 SächsVSG) die Erhebung personenbezogener Daten und sonstiger Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln, insbesondere, gestattet, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Für die anderen Landesbehörden für Verfassungsschutz sind vergleichbare Bestimmungen in den Landesverfassungsschutzgesetzen geregelt. NADIS Das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS) ist ein Datenverbund des Bundesamtes und der Landesbehörden für Verfassungsschutz. NADIS ist eine Hinweisdatei, d.h. sie dient zur Identifizierung einer Person, Organisation oder eines Sachverhaltes und dem Auffinden von Aktenfundstellen. Eine Speicherung im NADIS darf nur aufgrund der in den Verfassungsschutzgesetzen definierten gesetzlichen Regelungen erfolgen. Neue Rechte Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um eine in den 1970er Jahren in Frankreich aufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemüht. Sie beruft sich u. a. auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung "Konservative Revolution" aktiv waren. Die Aktivisten der "Neuen Rechten" beabsichtigen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden kulturellen Einfluss zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern. Seite 250 von 267 Opportunitätsprinzip / Legalitätsprinzip Während die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft, Polizei) nach der Strafprozessordnung grundsätzlich verpflichtet sind, bei Verdacht einer Straftat von Amts wegen einzuschreiten (Legalitätsprinzip), gilt für die Verfassungsschutzbehörden das Opportunitätsprinzip. Hiernach steht die Entscheidung, ob wegen einer Straftat eingeschritten werden soll, im Ermessen. So kann der Verfassungsschutz wegen einer zu erwartenden relevanten Erkenntnissteigerung auf ein unmittelbares Einschreiten verzichten. Das Opportunitätsprinzip ist Grundlage für (oftmals jahrelang) wachsende Vertrauensverhältnisse. Diese ermöglichen dem Verfassungsschutz einen exklusiven Zugang zu Informationsquellen, seien es V-Leute oder auch Erkenntnisse ausländischer Nachrichtendienste. Damit dies so bleibt, müssen Nachrichtendienste einen besonderen Wert auf Quellenschutz legen. Hinweisgeber sind nicht selten Straftäter oder Opfer, die Sanktionen der Täter befürchten. Im Zweifel kann ein mögliches Strafverfolgungsinteresse dem Schutz der Quelle untergeordnet werden. Dadurch, dass der Verfassungsschutz vom Strafverfolgungszwang losgelöst ist, kann er weitergehend operieren, etwa, um eine extremistische bzw. terroristische Szene näher aufzuklären oder zur Entschärfung einer Gefahrensituation, indem er versucht, einzelne Täter aus der Szene herauszulösen und als Informanten zu gewinnen, um so ferner die Strukturen der Bestrebung zu schwächen. Ohne Strafverfolgungszwang hat der Verfassungsschutz Raum für umfassende Analysen und Methodik. Im Gegensatz zur Polizei kann er "flächendeckende" Strukturerkenntnisse sammeln. Personenbezogene Daten Hierunter versteht man alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person (im Folgenden "betroffene Person") beziehen. Als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer OnlineKennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen identifiziert werden kann, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt. Die Straftaten werden folgenden Bereichen zugeordnet: politisch motivierte Kriminalität - rechts, politisch motivierte Kriminalität - links, politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie / religiöse Ideologie306, 306 Seit 2018 werden die Strafund Gewalttaten nach ausländischer (d. h. politischer) und religiöser Ideologie unterschieden. Vorher nannte sich die Rubrik "Politisch motivierte Ausländerkriminalität - Seite 251 von 267 sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichen Knowhow. Quelle / Quellenschutz Im nachrichtendienstlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff "Quelle" die Herkunft einer Information. Quellen können Personen (z. B. V-Leute), aber auch Medien (z. B. Internet, Druckerzeugnisse) oder andere Behörden sein. Unter "Quellenschutz" versteht man alle Maßnahmen, die erforderlich und geeignet sind, eine nachrichtendienstliche Quelle vor einer Enttarnung und deren Folgen zu schützen. Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). siehe auch: Autonome Nationalisten, Fanzine, Kameradschaften, FREIE NATIONALISTEN / FREIE KRÄFTE, Neonationalsozialismus / Neonazismus, Skinheads Rechtsextremistische Kameradschaften (im Freistaat Sachsen) Bei Kameradschaften handelt sich um Gruppierungen, die einen abgegrenzten Personenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation besitzen, eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung aufweisen, eine zumindest rudimentäre Struktur besitzen und die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonationalsozialistischen Grundorientierung haben. Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund". Auch Straftaten aus dem Extremismusbereich "Islamismus" wurden hier registriert. Seite 252 von 267 Die Kameradschaften sind im Wesentlichen von zwei Formen bestimmt: # Subkulturell geprägte Kameradschaften Diese besitzen keine festen Führungsstrukturen und sind von Spontaneität und Aktionismus geprägt. Dementsprechend beschränken sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf den regionalen Bereich und oft auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Konzerten. # Neonationalsozialistische Kameradschaften Diese weisen klar erkennbare Führungsstrukturen auf und sind stark politisch ausgerichtet. In ihren weltanschaulichen Grundpositionen werden zunehmend antikapitalistische Elemente sichtbar. Gefordert werden ein Nationaler Sozialismus und die Volksgemeinschaft. Darüber hinaus bestehen auch kameradschaftsähnliche Strukturen, die in Sachsen u. a. unter wechselnden Bezeichnungen wie FREIE KRÄFTE, NATIONALE SOZIALISTEN etc. in Erscheinung treten. Dabei verwenden sie oft einen auf einen Ort oder eine Region hinweisenden Namenszusatz. Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus ist eine rechtsextremistisch motivierte Form der Gewaltkriminalität, die durch Androhung und Anwendung von Gewalt gegen staatliche oder gesellschaftliche Funktionsträger oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter im Rahmen längerfristiger Strategien das Ziel verfolgt, mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken bestehende Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern oder das Ziel einer ethnisch und politisch homogenen Gesellschaft durchzusetzen. Revisionismus, rechtsextremistischer Der das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von Erkenntnissen beschreibende Begriff "Revisionismus" wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Vergangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektive Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbildes, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen und Methoden. So beinhaltet die Leugnung des "Holocaust", das Ausmaß der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch das NS-Regime zu verharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente auf unseriöse Weise fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung der Ereignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutig belegen, dass die "Endlösung der Judenfrage" unzweifelhaft stattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert. Sabotageschutz Unter den Begriff fallen alle Maßnahmen zur Abwehr von Sabotage. Als Sabotage bezeichnet man die Beeinträchtigung, Beschädigung oder Zerstörung lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen wie z. B. Kraftwerke, Verkehrsverbindungen oder Kommunikationsanlagen. Die absichtliche Störung eines wirtschaftlichen oder militärischen Seite 253 von 267 Ablaufs dient der Erreichung eines bestimmten, oft politischen, Ziels. Vergehen werden gemäß SSSS 87, 88 des Strafgesetzbuches (StGB) geahndet. Ziel des Sabotageschutzes ist es, Einrichtungen, deren Ausfall oder Zerstörung die Gesundheit oder das Leben von großen Teilen der Bevölkerung erheblich bedrohen oder die für das Gemeinwesen unverzichtbar sind, vor möglichen Innentätern zu schützen. Unabhängig von der jeweiligen Organisationsform sollen daher besonders sicherheitsempfindliche Teile von Einrichtungen geschützt werden, die z. B. der Energieversorgung der Bevölkerung dienen oder für das Funktionieren des Gemeinwesens - z. B. Telekommunikation, Bahn, Post - notwendig sind. Das Gleiche gilt für Beeinträchtigungen von Einrichtungen, die der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte dienen. Salafismus Die salafistische Bewegung strebt eine Rückkehr zum Vorbild der "lauteren Vorfahren" (asSalaf as-salih) und damit zu einem fiktiven "Urislam" an. Zentrale Merkmale dieser Religionsinterpretation sind die strikte Konzentration auf Koran und Prophetentradition (Sunna) als handlungsweisende Texte, die Ablehnung aller Neuerungen, die als unvereinbar mit dem "wahren islamischen Geist" gelten, das unbedingte Bekenntnis zur Einheit Gottes (Tauhid), die Durchsetzung des religiösen Gesetzes (Scharia) sowie eine Vielzahl an Kleidungsund Verhaltensvorschriften. Viele der dabei vertretenen Ansichten sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Schwarzer Block Der sog. "Schwarze Block", vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleich der "Schwarze Block" überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme eines "Schwarzen Blocks" an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Dabei handelt es sich um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Seite 254 von 267 Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte ARBEITERPARTEI KURDISTANS. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie z. B. versuchen, hier eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden und sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Skinheads, rechtsextremistische Rechtsextremistische Skinheads sind immer noch ein Bestandteil des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland, auch wenn ihr Anteil und ihre Bedeutung im Vergleich zu den 1990er Jahren deutlich zurückgegangen sind. Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und häufig mehr auf Freizeitgestaltung als auf politische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen die meisten Skinheads nicht über ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Sie vertreten jedoch rechtsextremistische Anschauungen, die sich in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus zeigen. Rechtsextremistische Skinheads stellen ihre Zugehörigkeit zur "weißen Rasse" und deren angebliche Überlegenheit in den Mittelpunkt und definieren ihre Feindbilder auf diese Weise. Die rassistische Einstellung wird mit dem Schlagwort "white power" zusammengefasst. Jugendliche finden auch über die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Skinhead-Subkultur und insbesondere über die für die Szene wichtige rechtsextremistische Musik Zugang zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Gedankenwelt. Musik spielt nicht nur für die Skinhead-Bewegung eine wichtige identitätsstiftende Rolle. Texte von rechtsextremistischen Musikgruppen prägen weltanschauliche Vorstellungen, Konzerte haben eine bedeutende Rolle für den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Szene. Oft sind Musik und Konzerte Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Parteien oder Neonazis, die hierüber versuchen, Jugendliche an ihre politischen Vorstellungen heranzuführen. Weltweite Strömungen innerhalb der Skinhead-Szene mit einer gewissen szeneinternen Bedeutung sind BLOOD & HONOUR und die HAMMERSKINS, beides rassistische Bewegungen, die ein elitäres Selbstverständnis pflegen. Vor allem BLOOD & HONOUR, dessen deutscher Zweig, die BLOOD & HONOUR-DIVISION DEUTSCHLAND, im Jahr 2000 durch den Bundesinnenminister verboten wurde, trat in der Vergangenheit immer wieder durch die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten in Erscheinung. Seite 255 von 267 Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus. Hierdurch sollen Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste gewonnen werden. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 2 Abs. 1 Nr. 2 SächsVSG zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Terrorismusbekämpfungsgesetze Durch die Anschläge des 11. September 2001 wurden neue Bekämpfungsansätze erforderlich. Mit einem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz (TBG)) wurden Anfang 2002 zahlreiche Sicherheitsgesetze der neuen Bedrohungslage angepasst. So erhielt der Verfassungsschutz das Recht, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, da diese Bestrebungen ein gefährlicher Nährboden für den wachsenden Terrorismus sind. Zur Erforschung von Geldströmen und Kontobewegungen von Organisationen und Personen, die extremistischer Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten verdächtigt werden, erhielt der Verfassungsschutz die Befugnis, bei Banken und Geldinstituten Informationen über Konten einzuholen. Ferner wurden Auskunftspflichten für Postdienstleister, Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsund Teledienstleister vorgesehen. Mit der Neufassung und Ausweitung der Vereinsverbotsgründe durch Änderung des Vereinsgesetzes wurden die staatlichen Handlungsoptionen zur Bekämpfung extremistischer Vereinigungen mit Auslandsbezug ergänzt, so dass für Ausländervereine und ausländische Vereine z. B. verhindert werden kann, dass gewalttätige oder terroristische Organisationen von Ausländervereinen in Deutschland unterstützt werden. Seite 256 von 267 Mit einem Gesetz zur Ergänzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (TBEG) von Anfang 2007 wurden weitere Verbesserungen bei der Terrorismusbekämpfung geschaffen. So wurden die Auskunftsbefugnisse des Verfassungsschutzes gegenüber Banken, Geldinstituten, Postdienstleistern, Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsund Teledienstleistern praxisorientiert fortentwickelt und ergänzt. Die bewährten Befugnisse wurden erstreckt auf die Aufklärung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen im Inland, die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt fördern. Die durch den Wegfall der Binnengrenzkontrollen eingeschränkte Möglichkeit der Grenzfahndung wird nunmehr kompensiert durch eine Ausschreibungsmöglichkeit im Schengener Informationssystem und eine damit notwendig verbundene Ausschreibung im nationalen polizeilichen Informationssystem INPOL, um den besonderen Gefahren internationaler extremistischer Bestrebungen und Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste zu begegnen. Des Weiteren erhielten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND) die Möglichkeit, Auskünfte über Fahrzeugund Halterdaten aus dem Zentralen Fahrzeugregister des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) auch im automatisierten Abrufverfahren einzuholen. Trennungsgebot Durch das Trennungsgebot wird eine organisatorische und funktionelle Trennung von Verfassungsschutz und Polizei/Staatsschutz vorgegeben. Dies ist für das Landesamt für Verfassungsschutz in SS 1 Abs. 4 und SS 4 Abs. 3 SächsVSG geregelt. Eine solche Trennung verbietet jedoch nicht den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Dieser ist vielmehr notwendig, um trotz der Trennung effektiv arbeiten zu können. Nur durch eine Vernetzung von Nachrichtendiensten und Polizeien ist es möglich, die in der jeweiligen Rechtssphäre gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen und zu analysieren. Verfassungsfeindlich Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. "Verfassungsfeindlichkeit" ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der "Verfassungswidrigkeit" (siehe unten). Verfassungsschutzbehörden Das Bundesverfassungsschutzgesetz verpflichtet Bund und Länder, eigene Verfassungsschutzbehörden aufzubauen. Der Bund kam dieser Pflicht durch Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 7. November 1950 nach. Die Länder folgten alsbald. Auch in den neuen Bundesländern wurden nach der Wiedervereinigung Deutschlands schrittweise Behörden für Verfassungsschutz aufgebaut, so dass es nun 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz in Deutschland gibt. Einige Länder errichteten eigenständige Verfassungsschutzbehörden, andere wiesen die Aufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes einer Abteilung ihres Innenministeriums/-senats zu. Hierfür gelten die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder. Seite 257 von 267 Verfassungswidrig Umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktivkämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, forderte das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von einer Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen (so z. B. die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, oder die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen) oder konkrete Anhaltspunkte von Gewicht für ein deutliches Überschreiten der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes. V-Leute Vertrauensleute, sogenannte V-Leute, sind Personen, die planvoll und systematisch zur Gewinnung von Informationen über extremistische Bestrebungen eingesetzt werden. Sie sind keine Mitarbeiter des Verfassungsschutzes. Für ihre Informationen werden sie in der Regel entlohnt. Die Identität von Vertrauensleuten wird besonders geschützt (s. a. Quellenschutz). Bei dem Einsatz von V-Leuten handelt sich um ein nachrichtendienstliches Mittel/Instrument. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Knowhow-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage beinhaltet die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. Seite 258 von 267 Übersicht von Verbotsmaßnahmen durch das Bundesministerium des Innern bzw. durch die Innenministerien/-senate der Länder seit 1992 Bereich Rechtsextremismus Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Nationalistische Front" (NF) 27.11.1992 BMI "Deutsche Alternative" (DA) 10.12.1992 BMI "Deutscher Kameradschaftsbund 21.12.1992 NI Wilhelmshaven" (DKB) "Nationale Offensive" (NO) 22.12.1992 BMI "Nationaler Block" (NB) 11.06.1993 BY "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" 14.07.1993 BW (HVD) "Freundeskreis Freiheit für Deutschland" 02.09.1993 NW (FFD) "Wiking-Jugend e.V." (WJ) 10.11.1994 BMI "Nationale Liste" (NL) 24.02.1995 HH "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) 24.02.1995 BMI "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" (JF) 05.05.1995 BB "Skinheads Allgäu" 30.07.1996 BY "Kameradschaft Oberhavel" 15.08.1997 BB "Heide-Heim e.V." (Hamburg) mit "Heideheim 11.02.1998 NI e.V." (Buchholz) "Hamburger Sturm" 11.08.2000 HH "Blood & Honour Division Deutschland" mit 14.09.2000 BMI "White Youth" "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) 05.04.2001 SN "Bündnis nationaler Sozialisten für Lübeck" 07.03.2003 SH (BNS) "Fränkische Aktionsfront" (F.A.F.) 22.01.2004 BY "Berliner Alternative Süd-Ost" (BASO) 09.03.2005 BR "Kameradschaft Tor Berlin" (inkl. 09.03.2005 BR "Mädelgruppe") Kameradschaft "Hauptvolk" (inkl. "Sturm 27") 12.04.2005 BB Seite 259 von 267 Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "Alternative Nationale Strausberger Dart-, 14.07.2005 BB Piercingund Tattoo Offensive" (ANSDAPO) "Schutzbund Deutschland" 04.07.2006 BB "Sturm 34" 26.04.2007 SN "Collegium Humanum" (CH) mit "Bauernhilfe 07.05.2008 BMI e.V." "Verein zur Rehabilitierung der wegen 07.05.2008 BMI Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) "Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum 31.03.2009 BMI Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) "Mecklenburgische Aktionsfront" (MAF) 28.05.2009 MV "Frontbann 24" 05.11.2009 BR "Freie Kräfte Teltow-Fläming" (FKTF) 11.04.2011 BB "Hilfsorganisation für nationale politische 21.09.2011 BMI Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) "Kameradschaft Walter Spangenberg" 10.05.2012 NW "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" 19.06.2012 BB "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) 23.08.2012 NW "Nationaler Widerstand Dortmund" (NWDO) 23.08.2012 NW "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm) 23.08.2012 NW "Besseres Hannover" 25.09.2012 NI "Nationale Sozialisten Döbeln" 18.02.2013 SN "Nationale Sozialisten Chemnitz" (NSC) 28.03.2014 SN "Freies Netz Süd" (FNS) 23.07.2014 BY "Autonome Nationalisten Göppingen" 18.12.2014 BW (AN Göppingen) "Sturm 18 e.V." 29.10.2015 HE "Altermedia Deutschland" 27.01.2016 BMI (Internet-Plattform) "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT) 16.03.2016 BMI "Phalanx 18" 20.11.2019 HB "Combat 18 Deutschland" 23.01.2020 BMI "Nordadler" 23.06.2020 BMI "Sturm-/Wolfsbrigade 44" 01.12.2020 BMI Seite 260 von 267 Bereich Linksextremismus Organisation Verbot (Vollzug) am: Behörde "linksunten.indymedia" 14.08.2017 BMI Bereich Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) Organisation Verbot (Vollzug) Behörde am: Bereich Ausländerextremismus "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK)( und Teilorganisationen, "Förderation der patriotischen 22.11.1993 BMI Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V." (FEYKAKurdistan), "Kurdistan-Komitee e. V." "Kurdistan Informationsbüro" (KIB) alias "Kurdistan 20.02.1995 BMI Informationsbüro in Deutschland" "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" 06.08.1998 BMI (DHKP-C) "Türkische Volksbefreiungspartei/-Front" (THKP/-C) 06.08.1998 BMI "Mesopotamia Broadcast A/S", "Roj TV A/S" 13.06.2008 BMI "VIKO Fernseh Produktion GmbH" (Teilorganisation von Roj TV A/S) Bereich Islamismus "Kalifatsstaat" und 35 Teilorganisationen 08.12.2001 BMI 14.12.2001 13.05.2002 16.09.2002 "al-Aqsa e.V." 31.07.2002 BMI "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 10.01.2003 BMI "Yeni Akit GmbH" 22.02.2005 BMI Verlegerin der Europa-Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung "Anadoluda Vakit" "YATIM-Kinderhilfe e.V." 30.08.2005 BMI "al-Manar TV" 29.10.2008 BMI "Internationale Humanitäre Hilfsorganisationen 23.06.2010 BMI e. V." (IHH) Seite 261 von 267 Organisation Verbot (Vollzug) Behörde am: "Millatu Ibrahim" 29.05.2012 BMI "Dawa FFM" einschl. der Teilorganisationen 25.02.2013 BMI "Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e.V." "an-Nussrah" 25.02.2013 BMI "DawaTeam Islamische Audios" 25.02.2013 BMI "Waisenkinderprojekt Libanon e. V." (WKP) 02.04.2014 BMI (Umbenennung in "Farben für Waisenkinder e. V." am 16.10.2014) "Islamischer Staat" (IS) alias "Islamischer Staat im 12.09.2014 BMI Irak" alias "Islamischer Staat im Irak und in GroßSyrien" "Tauhid Germany" (TG) 26.02.2015 BMI "Die wahre Religion" (DWR) 25.10.2016 BMI Anmerkung: 1. "Bremer Hilfswerk e.V." - Selbstauflösung mit Wirkung vom 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005; BMI hatte am 03.12.2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen den Verein eingeleitet; Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen Seite 262 von 267 Abkürzungsverzeichnis A ABE ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE AfD Alternative für Deutschland AJZ Alternatives Jugendzentrum Chemnitz ART Dresden ANTIFA RECHERCHETEAM DRESDEN B BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BND Bundesnachrichtendienst BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz D DKP DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI DMG DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E.V. F FAU FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION FKD FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FKMO FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN G G 10 Artikel 10-Gesetz H HPG VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE I IB IDENTITÄRE BEWEGUNG IBD IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND IGD ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E.V. IL INTERVENTIONISTISCHE LINKE IS ISLAMISCHER STAAT J JN JUNGE NATIONALISTEN Juko "Antifaschistischer Jugendkongress" JXK STUDIERENDE FRAUEN AUS KURDISTAN K Seite 263 von 267 KCDK-E KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA KON-MED KONFÖDERATION DER GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS IN DEUTSCHLAND E.V. KPF KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE KPV KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG DER NPD L LfV Landesamt für Verfassungsschutz M MAD Militärischer Abschirmdienst MB MUSLIMBRUDERSCHAFT MID Military Intelligence Department MLPD MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS MPS Ministry of Public Security MSS Ministry of State Security N NIKA Nationalismus ist keine Alternative NJB NATIONALER JUGENDBLOCK E. V. NPD NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS NSC NATIONALE SOZIALISTEN CHEMNITZ NS Nationalsozialismus (hist.) NSBM NS-Black Metal NSU Nationalsozialistischer Untergrund P PKK ARBEITERPARTEI KURDISTANS PKK Parlamentarische Kontrollkommission PMK Politisch motivierte Kriminalität PRISMA PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG R REVO REVOLUTION RH ROTE HILFE E.V. RHD ROTE HILFE DEUTSCHLAND RNF RING NATIONALER FRAUEN RNJ REVOLUTIONÄRE NATIONALE JUGEND VOGTLAND S SächsVSG Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen SBS GUG SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT SSS SKINHEADS SÄCHSISCHE SCHWEIZ Seite 264 von 267 T TCS TEWGERA CIWANEN SORESGOR DRESDEN TddZ Tag der deutschen Zukunft TFIU THE FUTURE IS UNWRITTEN U URA Dresden UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN V V-Person Vertrauensperson Y YJK-E UNION DER FRAUEN AUS KURDISTAN IN DEUTSCHLAND YGP/YGJ VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN YXK VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN Seite 265 von 267 Aussteigerprogramm Sachsen Das Aussteigerprogramm Sachsen unterstützt Personen, die sich im Einflussbereich extremistischer Gruppen oder Handlungszusammenhänge befinden, sich aus diesen lösen wollen und hierfür Unterstützung benötigen. Ziel ist es, Aussteigerinnen und Aussteigern einen Neustart in der Gesellschaft zu ermöglichen. Das Aussteigerprogramm Sachsen berät und begleitet darüber hinaus beispielsweise auch Familienangehörige, Freunde und Fachkräfte im Umgang mit Krisenund Konfliktsituationen. Das Aussteigerprogramm Sachsen arbeitet dabei phänomenübergreifend. Die Leistungen sind kostenfrei, anonym und vertraulich. Weitere Informationen und Kontakt: Aussteigerprogramm Sachsen Postfach 30 11 25 04251 Leipzig Tel.: 0173-9617643 E-Mail: kontakt@steig-aus.de Internet: www.steig-aus.de Seite 266 von 267 Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium des Innern und Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Gestaltung und Satz: Druck: Redaktionsschluss: 10. September 2021 Bezug: Diese Druckschrift kann kostenfrei bezogen werden beim: Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60, 01129 Dresden Telefon: +49 351 85850 Telefax: +49 351 8585500 E-Mail: verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de Verteilerhinweis: Diese Informationsschrift wird von der Sächsischen Staatsregierung im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zur Verwendung bei der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, diese Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden. Copyright Diese Veröffentlichung ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die des Nachdruckes von Auszügen und der fotomechanischen Wiedergabe, sind dem Herausgeber vorbehalten. Seite 267 von 267