Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2018 - Vorabfassung - Inhaltsverzeichnis I. Verfassungsschutz in Sachsen 4 1. Gesetzlicher Auftrag 5 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes 5 1.2 Informationsgewinnung 7 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz 8 2. Kontrolle des Verfassungsschutzes 8 3. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 9 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 13 1. Rechtsextremismus 14 1.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 15 1.2 Personenpotenzial 17 1.3 Rechtsextremistische Parteien 22 1.3.1 DER DRITTE W EG (III. W EG) 22 1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 27 1.4 Parteiungebundene Strukturen 34 1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 35 1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - Regionalgruppe Sachsen 46 1.4.3 PRO CHEMNITZ 51 1.4.4 Subkulturell geprägte Gruppierungen 52 1.4.5 Rechtsextremistische Musik 56 1.4.6 Rechtsextremistische Vertriebe und Verlage 68 1.4.7 Strategie im Fokus: Fortgesetzte überregionale Vernetzungsaktivitäten muslimenund fremdenfeindlicher Rechtsextremisten 73 1.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 76 1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus 78 1.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 81 1.7.1 Landkreis Bautzen 81 1.7.2 Stadt Chemnitz 84 1.7.3 Stadt Dresden 90 1.7.4 Erzgebirgskreis 95 1.7.5 Landkreis Görlitz 99 1.7.6 Landkreis Leipzig 104 1.7.7 Stadt Leipzig 106 1.7.8 Landkreis Meißen 109 1.7.9 Landkreis Mittelsachsen 111 1.7.10 Landkreis Nordsachsen 115 1.7.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 117 1.7.12 Vogtlandkreis 119 1.7.13 Landkreis Zwickau 123 1.8 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 127 1 1.9 Ausblick 130 2. REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER 133 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 134 2.2 Personenpotenzial 136 2.3 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen 137 3. Linksextremismus 139 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 140 3.2 Personenpotenzial 141 3.3 AUTONOME 144 3.3.1 AUTONOME in Leipzig 153 3.3.2 AUTONOME in Dresden 165 3.3.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 169 3.4 Anarchistische Gruppierungen 175 3.5 REVOLUTION (REVO), Jugendorganisation der Gruppe ARBEITERINNENMACHT (GAM) 181 3.6 ROTE HILFE E. V. (RH) 183 3.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen 188 3.8 Linksextremistische Musikszene 190 3.9 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund 198 3.10 Ausblick 202 4. Islamismus 205 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen 206 4.2 Personenpotenzial 207 4.3 Salafistische Bestrebungen 207 4.4 MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) 212 4.5 Islamistischer Terrorismus 215 4.6 Sonstige islamistische Bestrebungen 218 4.7 Ausblick 219 5. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 221 5.1 Zielsetzungen 222 5.2 Personenpotenzial 223 5.3 ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) 224 5.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem bzw. islamistischem Hintergrund 229 5.5 Ausblick 230 6. Onlineaktivitäten von Extremisten 232 2 III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft 236 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten 237 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 238 2.1 Akteure und Schwerpunkte 238 2.1.1 Russische Föderation 238 2.1.2 Volksrepublik China 239 2.1.3 Türkei und Syrien 240 2.1.4 Westliche Staaten, insbesondere Vereinigte Staaten von Amerika 240 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 241 2.2.1 Beschaffung öffentlich zugänglicher Informationen 241 2.2.2 Beschaffung nicht öffentlich zugänglicher Informationen 241 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen 244 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft 244 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben 247 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüberprüfungen 248 1.1 Sicherheitsüberprüfungen 248 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen 249 2. Materieller Geheimschutz 249 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder Ausschlussgründen 250 V. Anhang 252 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachen Glossar Abkürzungsverzeichnis Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen Register 3 I. Verfassungsschutz in Sachsen # Verfassungsschutz als Frühwarnsystem # Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung # Extremismus in Sachsen: Rechtsextremismus REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER Linksextremismus Islamismus sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug # Präventionsangebote 4 Die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland geht von dem Grundgedanken einer streitbaren, wehrhaften Demokratie aus. Sie sieht vor, dass Angriffe von Extremisten auf unsere freiheitliche demokratische Grundordnung aktiv abgewehrt werden können. So können Parteien vom Bundesverfassungsgericht verboten oder von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden (Artikel 21 Absatz 2 bis 4 GG). Auch Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, können verboten werden (Artikel 9 Absatz 2 GG). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Staat entsprechende Bestrebungen oder Aktivitäten - sie werden als extremistisch oder verfassungsfeindlich bezeichnet - rechtzeitig erkennen kann. Hier setzt die Aufgabe des Verfassungsschutzes als "Frühwarnsystem" zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. 1. Gesetzlicher Auftrag 1.1 Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Verfassungsschutz in Deutschland Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, In der Bundesrepublik Deutschland gibt es InlandsnachErkenntnisse zu extremistischen Berichtendienste sowohl auf Bundesebene (Bundesamt für strebungen sowie zu Terrorismus und Verfassungsschutz) als auch auf Ebene der Länder Spionage schon weit im Vorfeld polizei(Landesverfassungsschutzbehörden). licher Maßnahmen zu gewinnen. Ziel Die Behörden arbeiten jeweils selbständig, sind jedoch seiner Tätigkeit ist es, rechtzeitig auf gesetzlich zur Zusammenarbeit verpflichtet. Aufgaben Gefahren hinzuweisen, die dem freiheitund Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich lichen Rechtsstaat aus diesen Bereigenau festgelegt. chen drohen. Dazu erstellt er Lagebilder und Analysen, die es den Regierungen von Bund und Ländern ermöglichen, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die innere Sicherheit einzuleiten. Dem Verfassungsschutz selbst stehen keine polizeilichen Befugnisse zu. Jedoch übermittelt er unter bestimmten Voraussetzungen seine Erkenntnisse an Polizei und Staatsanwaltschaft, um deren Vollzugsmaßnahmen zu unterstützen. Die gemeinsam zu erledigenden Aufgaben von Bund und Ländern regelt das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG). Zudem gibt es für jedes Land ein eigenes Verfassungsschutzgesetz, das die Aufgaben und Befugnisse der Landesverfassungsschutzbehörde regelt. Die Rechtsgrundlage des Verfassungsschutzes in Sachsen ist das "Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen" (SächsVSG)1. Dem Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen obliegt danach die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 1 Das SächsVSG ist im Anhang dieses Verfassungsschutzberichtes zu finden und auch unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. 5 # Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind, # fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Extremistische Bestrebungen in Sachsen: Eine weitere Aufgabe des Verfassungsschutzes ist Rechtsextremismus die Spionageabwehr, d. h. die Abwehr der SpioREICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTER nage von Nachrichtendiensten fremder Staaten Linksextremismus gegen die Bundesrepublik Deutschland. WesentliIslamismus che Angriffsziele sind die Bereiche Politik, Militär, sicherheitsgefährdende und extremistische Forschung und Wissenschaft sowie Wirtschaft. Bestrebungen von Gruppierungen mit AusDas LfV Sachsen beobachtet im Bereich Wirtlandsbezug schaftsschutz die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste, um deutsche Unternehmen und Einrichtungen vor unberechtigtem Know-howund Informationsabfluss zu schützen. Daneben nimmt das LfV Sachsen auch sogenannte Mitwirkungsaufgaben wahr, bei denen es als Fachberater bei Sachentscheidungen einer anderen Behörde hinzugezogen wird. Hierzu gehören der Geheimund der Sabotageschutz. So ist das LfV Sachsen u. a. beteiligt an: # Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, # der Durchführung von technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen. Ebenso bringt das LfV Sachsen seine Erkenntnisse im Rahmen weiterer Beteiligungsaufgaben ein. So wird es durch andere öffentliche Stellen beteiligt bei # der Überprüfung von Personen, die sich um die Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie bei der Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wenn der Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, # Überprüfungen von Personen, soweit diese gesetzlich vorgesehen sind, z. B. nach dem Aufenthaltsgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz, dem Atomgesetz, dem Sprengstoffgesetz, dem Luftsicherheitsgesetz sowie der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Bewachungsverordnung. Die Informationen, die der Verfassungsschutz aufgrund seines gesetzlichen Auftrages sammelt, werden analysiert, d. h. sie werden gesichtet, geprüft und bewertet. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen z. B. zur Einschätzung der Sicherheitslage, zur Vorbereitung von Vereinsund Parteiverboten oder zur Verhinderung bzw. Verfolgung von durch Extremisten, Terroristen und Spione begangenen Straftaten. Diese Analysen sind auch Grundlage für die Berichterstattung des LfV Sachsen gegenüber # dem Staatsministerium des Innern, # anderen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, # dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), der die Aufgaben des Verfassungsschutzes auf dem Gebiet der Bundeswehr wahrnimmt, # dem Bundesnachrichtendienst (BND), der Auslandsaufklärung betreibt, # Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaften und Polizei), 6 # Behörden, die die Informationen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung benötigen (z. B. für Versammlungsverbote) und # der Öffentlichkeit (z. B. durch Vortragsveranstaltungen oder die Veröffentlichung des jährlichen Verfassungsschutzberichts und von Broschüren). 1.2 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz sammelt einen erheblichen Teil seiner Informationen aus Dabei wird zwischen offenen Quellen und nachallgemein zugänglichen Quellen. So werrichtendienstlichen Mitteln unterschieden. Vorrang bei der Informationsbeschaffung hat immer den u. a. Parteiprogramme, Satzungen, das mildeste Mittel. Publikationen, Flugblätter, Internetseiten oder auch Reden von Funktionären ausgewertet. Extremisten, Terroristen und fremde Nachrichtendienste arbeiten jedoch häufig sehr konspirativ und legen ihre Ziele nicht offen dar. Dementsprechend ist der Verfassungsschutz gesetzlich ermächtigt, auch sogenannte nachrichtendienstliche Mittel bei der Informationsgewinnung einzusetzen. Dabei ist er jedoch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen u. a.: # der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen), d. h. Personen, die dem LfV Sachsen selbst nicht angehören, aber aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Beobachtungsobjekt "Szene-Erkenntnisse" gegen Bezahlung liefern ohne ihre Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz erkennen zu geben, # das verdeckte Beobachten von Personen (Observation), # verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen, # die Nutzung von Tarnmitteln, mit denen die Tätigkeit des Verfassungsschutzes verborgen werden soll (z. B. Tarnkennzeichen), # die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs sowie # die Wohnraumüberwachung. Die Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs ist besonders strengen rechtsstaatlichen Anforderungen unterworfen. Sie ist in einem gesonderten Gesetz geregelt, das nach dem 2 Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses "Artikel 10-Gesetz" (G 10) genannt wird. Demnach dürfen u. a. der Telekommunikationsverkehr abgehört und aufgezeichnet sowie Briefe geöffnet und gelesen werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass bestimmte schwere Straftaten geplant oder begangen werden bzw. wurden. Der Präsident des LfV Sachsen muss hierfür einen entsprechenden Antrag beim Staatsministerium des Innern stellen. Wenn die vom Sächsischen Landtag gewählte G 10-Kommission Zulässigkeit und Notwendigkeit der Maßnahme bestätigt hat, wird sie vom Staatsminister des Innern angeordnet. 2 Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen sind unter www.verfassungsschutz.sachsen.de abrufbar. 7 1.3 Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz Polizei und Verfassungsschutz arbeiten beim Schutz von Staat und Verfassung eng zusammen. Sie sind jedoch getrennt voneinander organisiert und mit unterschiedlichen Befugnissen ausgestattet. Dieses Trennungsgebot ist in Artikel 83 Absatz 3 Satz 1 der Sächsischen Verfassung wie auch im SS 1 Absatz 4 SächsVSG verankert. Es besagt insbesondere, dass der Verfassungsschutz keiner Polizeibehörde angegliedert werden darf. Zudem gibt es keinen unbeschränkten Informationsaustausch untereinander. Auch stehen dem Verfassungsschutz Zwangsbefugnisse, wie sie der Polizei eingeräumt werden, nicht zu. Er darf also weder Personen festnehmen, durchsuchen, vorladen, vernehmen noch Wohnungen durchsuchen oder Gegenstände beschlagnahmen. Er ist auch nicht befugt, Verbote oder Auflagen auszusprechen. Der Verfassungsschutz hat vielmehr lediglich reine Beobachtungsbefugnisse. Hat der Verfassungsschutz jedoch ausreichende Erkenntnisse gewonnen, die ein sicherheitsrechtliches Eingreifen erforderlich machen, unterrichtet er Polizei oder Staatsanwaltschaft. Dort wird dann selbstständig entschieden, ob und welche Maßnahmen zu treffen sind. 2. Kontrolle des Verfassungsschutzes Das Staatsministerium des Innern (SMI) kontrolliert als Fachaufsichtsbehörde die Rechtund Zweckmäßigkeit der Aufgabenwahrnehmung durch das LfV Sachsen. Als Dienstaufsichtsbehörde wacht es zudem über den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb. Außerdem finden Kontrollen statt durch: # die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Sächsischen Landtages Sie kontrolliert die Tätigkeit des LfV Sachsen. Auch die Wahrnehmung der Aufsicht des Staatsministeriums des Innern über das LfV Sachsen unterliegt der Kontrolle der PKK. 8 # die Kommission nach SS 3 SächsAG G 10 (G 10-Kommission) des Sächsischen Landtages Diese Kommission prüft die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Maßnahmen nach dem Artikel 10-Gesetz (G 10), d. h. von Maßnahmen der Brief-, Postund Telekommunikationsüberwachung. Auch Zulässigkeit und Notwendigkeit der Auskunftsersuchen gegenüber auskunftsverpflichteten Unternehmen nach SS 11a Absatz 1 bis 5 sowie SS 11b SächsVSG unterliegen der Kontrolle der Kommission. # den Sächsischen Datenschutzbeauftragten Er kontrolliert die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz und prüft, ob personenbezogene Daten durch das LfV Sachsen rechtmäßig erhoben, verarbeitet und übermittelt werden. Jeder Bürger kann sich an den Datenschutzbeauftragten wenden, wenn er der Ansicht ist, das LfV Sachsen habe ihn bei der Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten in seinen Rechten verletzt. # den Sächsischen Rechnungshof Er kontrolliert die Verwendung der Haushaltsmittel des LfV Sachsen. # die Gerichte Jeder Bürger hat das Recht, gegen ihn belastende Maßnahmen des LfV Sachsen das Verwaltungsgericht anzurufen. Außerdem prüft ein Gericht bereits im Vorfeld die Zulässigkeit von Wohnraumüberwachungsmaßnahmen. # die Öffentlichkeit Durch die Medienberichterstattung wird die Tätigkeit des LfV Sachsen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und erfährt damit auch deren Kontrolle. # interne Prüfungen Im LfV Sachsen finden auch interne Kontrollen statt, so z. B. durch die Innenrevision, den behördlichen Datenschutzbeauftragten, den G 10-Aufsichtsbeamten sowie den behördlichen Beauftragten für den Haushalt. 3. Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Gesamtgesellschaftliche Der sächsische Verfassungsschutz ist kein "geheimer Dienst", Sicherheitsvorsorge sondern ein Informationsdienstleister für die Öffentlichkeit. Er informiert interessierte Bürger, Pädagogen und Mittler politischer # Nachrichtendienste Bildung, Schüler, Sozialarbeiter, Verwaltungsmitarbeiter, Bundes- # Polizei wehrangehörige oder Wissenschaftler sowie die Medien über Er- # Militär kenntnisse zu extremistischen Bestrebungen. # nicht staatliche Akteure # Zivilgesellschaft Das Informationsangebot stellt einen wichtigen Präventionsbeitrag dar und soll die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus fördern. Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger können sich aktiv für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen. 9 Unsere Angebote für Sie: # Vorträge, Workshops, Sensibilisierungsund Diskussionsveranstaltungen zu folgenden Themen: Extremismus allgemein Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes Lagebilder zu Rechtsextremismus, REICHSBÜRGER und SELBSTVERWALTERN, Linksextremismus und Islamismus islamistische Radikalisierung Hassobjekte - Konstruktionen extremistischer Feindbilder Propaganda und Agitation von Extremisten im Internet Gefahren der Wirtschaftsspionage und Proliferation Die inhaltlichen Schwerpunkte richten sich nach Ihrem Informationsbedürfnis und Ihrer Fragestellung. # Beratung kommunaler Entscheidungsträger In Beratungsgesprächen informiert das LfV Sachsen kommunale Entscheidungsträger über regionale extremistische Bestrebungen und Aktivitäten, damit Gegenstrategien entwickelt werden können. # FORUM STARKE DEMOKRATIE Ziel des organisatorisch beim LfV angesiedelten Forums ist die Unterstützung vor allem örtlicher staatlicher und kommunaler Entscheidungsträger bei der Bekämpfung des Extremismus. Sie sollen in die Lage versetzt werden, extremistische Bestrebungen frühzeitig und möglichst sicher zu erkennen und hiergegen die rechtlich und tatsächlich möglichen und gebotenen Maßnahmen zu ergreifen. Zudem fördert das Forum die engere Zusammenarbeit von staatlichen bzw. kommunalen und nichtstaatlichen Trägern der Extremismusprävention. Im Jahr 2018 fanden in diesem Rahmen mehrere Veranstaltungen zum Thema "Reichsbürger - Umgang mit einem extremistischen Phänomen" statt. Gemeinsam mit dem Sächsischen Städteund Gemeindetag, dem Sächsischen Landkreistag und dem Landespräventionsrat informierte das LfV Sachsen über die Ideologie und einen angemessenen Umgang mit REICHSBÜRGERN sowie über strafund zivilrechtliche Aspekte. Wirtschaftsschutz3 Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-howAbfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. # Teilnahme an Veranstaltungen, z. B. als Referent bei einer Podiumsdiskussion, einem Symposium oder Workshop als Mitglied von Beratungsnetzwerken 3 siehe Abschnitt III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft 10 # Sächsischer Verfassungsschutzbericht Der jährlich erscheinende Verfassungsschutzbericht informiert über Ideologien, Personenpotenziale, Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen des Extremismus; über Akteure, Aufklärungsschwerpunkte und Methoden der Spionage sowie über extremistisch motivierte Straftaten und den Auftrag des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem. Der Bericht ist als Druckausgabe erhältlich und kann auch im Internet heruntergeladen werden. # Herausgabe von Broschüren Die präventive Aufklärung der Öffentlichkeit über den Extremismus erfolgt auch durch die Herausgabe entsprechender Publikationen, die teilweise in Zusammenarbeit mit Verfassungsschutzbehörden anderer Länder erstellt und kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Sie können als Broschüre bestellt oder im Internet heruntergeladen werden. # Internetpräsentation Das Web-Angebot des LfV Sachsen unter der Adresse www.verfassungsschutz.sachsen.de beinhaltet Informationen über die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sowie Mitteilungen zu aktuellen Sachverhalten aus den jeweiligen Beobachtungsfeldern. Querverweise ermöglichen die Verbindung zu Homepages anderer Verfassungsschutzbehörden. Außerdem können vom LfV Sachsen herausgegebene Broschüren heruntergeladen oder online bestellt werden. Es besteht auch die Möglichkeit, per E-Mail Kontakt mit dem LfV Sachsen aufzunehmen (verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de). # Pressearbeit Die Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen erfolgt zudem über die Medien. # Wanderausstellung "In guter Verfassung" Die gemeinsam mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung erarbeitete interaktive Wanderausstellung richtet sich insbesondere an Jugendliche und an Lehrpersonal. Sie beantwortet u. a. folgende Fragen: Was ist unter der "freiheitlichen demokratische Grundordnung" zu verstehen? Was macht unsere Demokratie konkret aus? Welche grundlegenden Elemente beinhaltet sie und wie schützt sie sich gegenüber denjenigen, die sie beseitigen wollen? Die Ausstellung bietet Lehrenden die Möglichkeit, Gemeinschaftskunde oder Politikunterricht erlebnisorientiert außerhalb von Klassenoder Seminarräumen stattfinden zu lassen. Alle Angebote sind kostenfrei. 11 Organigramm des LfV Sachsen Stabsstelle Präsident Innenrevision Martin Döring Gordian Meyer-Plath Abteilung 3 Abteilung 1 Abteilung 2 Auswertung Beschaffung, Zentralabteilung Observation Referat 21 Referat 31 Referat 11 Auswertung VP-Führung EDV, G 10-Stelle Rechtsextremismus, politischer Extremismus -terrorismus und Terrorismus Referat 32 Referat 22 Referat 12 Forschung und Werbung Auswertung politischer Extremismus Personal, Haushalt Linksextremismus, und Terrorismus, -terrorismus Spionageabwehr Referat 23 Referat 13 Auswertung Referat 33 Recht, Geheimschutz, Islamismus, Observation, Tarnmittel, Mitwirkung, G 10-Aufsicht Ausländerextremismus, ND-Technik, Ermittlungen -terrorismus Referat 14 Referat 24 Referat 34 Organisation, Innerer Gewaltbereiter Operative Dienst Internetbearbeitung Salafismus Das LfV Sachsen mit Sitz in Dresden gehört dem Geschäftsbereich des Sächsischen Staatsministeriums des Innern (SMI) an. Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60 | 01129 Dresden Tel.: +49 351 8585-0 | Fax: +49 351 8585-500 verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de 12 II. Aktuelle Entwicklungen in den Extremismusbereichen 1. Rechtsextremismus # Anzahl der Rechtsextremisten stieg erneut an # zunehmende Gewaltbereitschaft von NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN # Rechtsextremisten versuchen weiterhin mit nichtextremistischen Gruppen und Initiativen aus der Mitte der Gesellschaft zusammenzuarbeiten 2. REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER # Personenpotenzial weiterhin im unteren vierstelligen Bereich # größtenteils allein handelnde Personen und (Klein-)Gruppen 3. Linksextremismus # Anstieg der Anzahl von Linksextremisten # Leipzig ist weiterhin Schwerpunktregion der sächsischen autonomen Szene und Brennpunkt linksextremistischer Gewalt # Grenzen zwischen Toleranz und Akzeptanz linksextremistischer Positionen verwischen zunehmend 4. Islamismus # Personenpotenzial steigt auf ca. 430 Islamisten # Schwerpunkte salafistischer Strukturen sind in Leipzig und Plauen # keine weitere Expansion der MUSLIMBRUDERSCHAFT in Sachsen # Gefahr von Terroranschlägen bleibt hoch 5. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug # Personenpotenzial bleibt mit ca. 160 Personen konstant # thematische Schwerpunkte der Aktivitäten waren die Ereignisse im Norden Syriens # verstärkte Solidarisierung mit sächsischen Linksextremisten 13 1.1 1. Rechtsextremismus # Anzahl der Rechtsextremisten stieg erneut an # zunehmende Gewaltbereitschaft von NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN # Rechtsextremisten versuchen weiterhin mit nichtextremistischen Gruppen und Initiativen aus der Mitte der Gesellschaft zusammenzuarbeiten 14 1.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Auch wenn es innerhalb des Rechtsextremismus verschiedene ideologische Strömungen und Erscheinungsformen gibt, die nicht selten sogar zueinander in Widerspruch stehen, stimmen sie in folgenden Positionen grundsätzlich überein: # Rassisch definierte "Volksgemeinschaft" als Souverän zu Lasten der Freiheitsrechte des Einzelnen Der Staat soll organisatorischer Ausdruck einer ethnisch-rassisch homogenen "Volksgemeinschaft" sein. Der vermeintlich einheitliche Wille des Volkes soll dabei von staatlichen Führern verkörpert und in reale Politik umgesetzt werden ("Völkischer Kollektivismus"). In einem durch den homogenen "Volkswillen" legitimierten Staat würden damit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt durch Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition fehlen. Einige rechtsextremistische Strukturen distanzieren sich bewusst von den rassisch definierten Begrifflichkeiten und ersetzen diese durch Wörter wie "Identität", "Heimat", "Kultur" etc. Hinter diesen Konzepten verbergen sich jedoch dieselben Vorstellungen wie im klassischen Rassismus: Menschen wird ein unveränderlicher, rein von Äußerlichkeiten geprägter Charakter zugeschrieben und nur jene, die die gleichen Merkmale aufweisen, sollen eine homogen gedachte Gemeinschaft bilden können. # Fremdenfeindlichkeit, auch in Form von Rassismus und Antisemitismus In der Vorstellungswelt von Rechtsextremisten soll das deutsche Volk vor der Integration "rassisch minderwertiger Ausländer" (umfasst sind auch deutsche Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund) und vor einer "Völkervermischung" bzw. einem "Völkeraustausch" bewahrt werden. Es wird befürchtet, dass das deutsche Volk infolge einer "Durchmischung mit fremdem Blut" untergehe. Die pauschale Ausgrenzung von Menschen, die nicht diesem völkischen "Ideal" entsprechen, widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und insbesondere auch ihrem Würdeanspruch, der elementarer Bestandteil der freiheitlichen Werteordnung des Grundgesetzes ist. Die Würde des Menschen, die bedingungsund voraussetzungslos jedem Menschen eigen ist, wäre von einer biologistisch-genetisch definierten Zugehörigkeit zur "Volksgemeinschaft" abhängig. Antisemitismus ist ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Strömungen. Er tritt in unterschiedlichen Erscheinungsformen religiöser, kultureller sowie rassistischer Ausprägung auf. In der jüngsten Vergangenheit haben sich Rechtsextremisten weiterer ausgrenzender Argumentationslinien bedient. So wird Muslimen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit die Daseinsberechtigung in für sie angeblich fremden Territorien abgesprochen. Zur Verschleierung ihrer rassistischen Argumentationsweise wird diese nach außen lediglich als Ablehnung der fremden "Kultur" oder der "Bewahrung der eigenen Identität" formuliert. Die sich daraus ergebende Entrechtung von Menschen ist ein typisches Merkmal rechtsextremistischer Ideologie. # Revisionismus und Holocaustleugnung Unter rechtsextremistischem Geschichtsrevisionismus versteht man die Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Verantwortung für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Auch wird versucht, den Holocaust und andere Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere durch eine Gleichsetzung mit Handlungen der Kriegsgegner Deutschlands im Zweiten Weltkrieg, zu relativieren. Hierzu instrumentalisieren Rechtsextremisten die im Krieg gefallenen deutschen Soldaten oder auch die damaligen zivilen Opfer für ihre Ideologie und versuchen, ihnen in Form von "Heldengedenken" einen rechtsextremisti15 schen Vorbildcharakter zu verleihen. Die Leugnung des an den europäischen Juden begangenen Völkermords erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung. Von extremistisch motiviertem Gebietsrevisionismus ist dann die Rede, wenn Rechtsextremisten die Anerkennung der deutschen Gebietsverluste als Folge der Weltkriege ablehnen oder sogar weitere Gebiete - entgegen den vertraglichen Verpflichtungen, die Deutschland seit 1918 beziehungsweise seit 1945 eingegangen ist - für Deutschland beanspruchen. Revisionistische Positionen bilden ein wichtiges Bindeglied zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Bestrebungen. # Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus Durch ihre Äußerungen nehmen Rechtsextremisten häufig mindestens eine relativierende, oft auch sogar verherrlichende Position gegenüber dem Nationalsozialismus ein. Vermeintlich positiv zu bewertende Handlungen der Nationalsozialisten werden herausgestellt und Verbrechen beschönigt. Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime werden diffamiert. Nationalsozialistische Funktionsträger werden als Vorbilder dargestellt. Dies gilt z. B. für Rudolf HESS, den damaligen Stellvertreter Adolf HITLERS. Darüber hinaus lehnen sich Rechtsextremisten zum Teil eng an Sprache und Programmatik der Zeit von 1933 bis 1945 an. # Verächtlichmachen von Verantwortungsträgern und Institutionen des demokratischen Verfassungsstaates (Amtsund Mandatsträger, Medien, Wissenschaft etc.) Unter Rechtsextremisten kommt es vielfach zu Verunglimpfungen des demokratischen Verfassungsstaates und seiner Repräsentanten. Deutsche Politiker werden dabei als unfähige und korrupte Handlanger ausländischer, insbesondere US-amerikanischer bzw. jüdischer Interessen diffamiert. Rechtsextremisten verfolgen hierdurch das Ziel, sich als alleinige Wahrer der Interessen des deutschen Volkes darzustellen und den politischen Gegner als Verräter zu diskreditieren. Aufgrund von Wandlungsprozessen innerhalb des Rechtsextremismus sind weitere Argumentationslinien festzustellen. Mit Begriffen wie "Lügenpresse" und "Volksverräter" werden Amtsund Mandatsträger bzw. Journalisten diffamiert. Diese Wortwahl ist bewusst den Begrifflichkeiten des Nationalsozialismus entnommen. Sie dienen der pauschalen Herabwürdigung dieser Gruppen. Neben der Pressefreiheit attackieren Rechtsextremisten auch immer wieder die Wissenschaftsfreiheit, um Fakten, die ihre Auffassungen nicht stützen, zu diskreditieren. # Rechtsextremistischer Antiamerikanismus In der antiliberalen und antipluralistischen Weltsicht der Rechtsextremisten verkörpern die USA in besonderem Maße ein Feindbild. Der "amerikanische Schmelztiegel", der viele Volksgruppen in einer Nation umfasst, steht für Rechtsextremisten in offenem Widerspruch zum Konzept einer homogenen, "rassisch" definierten "Volksgemeinschaft", die in ihrer Vorstellungswelt das Zusammenleben in einem Staat prägen soll. 16 1.2 Personenpotenzial Anzahl der Rechtsextremisten steigt stark an Das rechtsextremistische Personenpotenzial stieg im Jahr 2018 stark an. Insgesamt sind rund 2.800 Personen (2017: 2.600) in rechtsextremistischen Bestrebungen aktiv. Zuletzt wurde vor zehn Jahren ein vergleichbar hoher Wert in Sachsen festgestellt. Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen 3.000 2.800 2.700 2.700 2.600 2.500 2.500 2.500 2.500 2.000 1.500 1.000 500 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 4 bundesweit 2017: 24.000 Das rechtsextremistische Personenpotenzial wird bundesweit nach seinem jeweiligen Organisationsgrad erfasst. Dieses Kategoriensystem untergliedert sich dementsprechend in die Bereiche: 1. parteigebundener Rechtsextremismus, 2. parteiungebundene rechtsextremistische Strukturen und 3. unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Ein Blick auf die einzelnen Gruppierungen bzw. Bereiche des Rechtsextremismus zeigt erneut recht unterschiedliche, sogar teilweise gegeneinander verlaufende, Entwicklungen auf: In der Kategorie "parteigebundener Rechtsextremismus" ist bei der NATIONALDEMOKRATISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) im Berichtsjahr ein starker Rückgang zu verzeichnen. Hier fielen die Zahlen auf nunmehr ca. 300 Mitglieder in Sachsen (2017: 400). Die NPD hat damit in Sachsen innerhalb eines Jahres fast ein Viertel ihrer Mitglieder verloren. Die verbliebenen Mitglieder waren nur zum Teil aktiv. Mehrere Kreisverbände der NPD entfalteten kaum noch Aktivitäten. Auch kam es wieder zu Fusionen von Kreisverbänden. Ebenso verhielt es sich mit den JUNGEN NATIONALISTEN (JN)5. Nach einem Höchststand von ca. 110 Mitgliedern (2014/2015) schrumpfte das Potenzial der JN in den vergangenen zwei Jahren auf nunmehr ca. 40 Personen (2017: 50). Dies liegt zum einen am Fehlen geeigneten Führungspersonals, zum anderen an der Konkurrenz zur Partei DER DRITTE W EG und zur IDENTITÄREN BEWEGUNG. 4 Die angegebenen Werte sind teilweise geschätzt und gerundet. Den Verfassungsschutzbehörden liegen nicht zu allen in den Zahlenangaben erfassten Personen Einzelerkenntnisse vor. Die Gesamtzahl ergibt sich rechnerisch unter Abzug von hier bekannten Doppelmitgliedschaften. 5 Die JUNGEN NATIONALDEMOKRATEN haben sich im Januar 2018 in JUNGE NATIONALISTEN umbenannt. 17 Der Partei DIE RECHTE werden nur noch etwa 15 Personen (2017: 20) zugerechnet. Sie verfügt nur noch über wenige, kaum in Erscheinung tretende Akteure.6 Diametral dazu entwickelt sich die Partei DER DRITTE W EG. Diese steigerte ihr Mitgliederpotenzial im Jahr 2018 noch einmal um mehr als ein Viertel (2018: 125 Personen, 2017: 90). Sie hatte schon im Vorjahr starken Zulauf von mehr als 30 % verbuchen können. DER DRITTE W EG bleibt damit eine der expansivsten rechtsextremistischen Strukturen in Sachsen. Aufgrund der neonationalsozialistischen Ausrichtung verfügt sie neben ihrem Mitgliederpotenzial über ein signifikantes Unterstützerumfeld innerhalb des parteiungebundenen Rechtsextremismus. Die Partei genießt in der rechtsextremistischen Szene eine hohe Attraktivität. Sie verfügt über ein sehr aktives und bundesweit vernetztes Führungspersonal und konnte dadurch ihre Aktivitäten im Berichtsjahr weiter steigern. Der Kategorie "parteiungebundene rechtsextremistische Strukturen" (ca. 1.040 Personen, 2017: 900) werden sämtliche Gruppierungen zugeordnet, bei denen es sich nicht um Parteien handelt. Dies umfasst derzeit alle neonationalsozialistischen sowie subkulturell geprägten rechtsextremistischen Strukturen, Vereine wie PRO CHEMNITZ sowie die IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB). Innerhalb der parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen hat sich die Restrukturierung der NEONATIONALSOZIALISTEN - dazu gehören z. B FREIGEIST E. V. aus dem Erzgebirgskreis und die FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN - im Jahr 2018 nur verhalten fortgesetzt. Bei einem insgesamt zunehmenden Aktivitätsniveau konnten hohe Teilnehmerzahlen an Veranstaltungen festgestellt werden. Daraus ergab sich ein Zuwachs des Personenpotenzials auf nunmehr 700 Personen (2017: 650). Demgegenüber waren bei den subkulturell geprägten rechtsextremistischen Strukturen größere Verschiebungen zu verzeichnen (2018: 300 Personen, 2017: 240). Ursächlich hierfür war die Zunahme von Aktivitäten, wie von der Gruppierung SCHLESISCHE JUNGS NIESKY, aber auch von rechtsextremistischen Fußballfangruppierungen im Landkreis Bautzen und im Großraum Chemnitz ausgingen. Bei der IDENTITÄREN BEWEGUNG blieb das Personenpotenzial in Sachsen im Vergleich zum Vorjahr konstant (40 Personen). Zwar ist es der IB gelungen, ihre Strukturen auszubauen, aber aufgrund interner Streitigkeiten und der Sperrung ihrer Facebookund Twitter-Accounts konnten sie keine neuen Mitglieder gewinnen. Der Verein PRO CHEMNITZ konnte trotz seiner geringen Mitgliederzahl eine Vielzahl von Rechtsextremisten für seine Veranstaltungen mobilisieren und darüber hinaus auch nichtextremistische Kreise ansprechen. Von der Kategorie "unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial" (ca. 1.300 Personen, 2017: ca. 1.200) werden insbesondere rechtsextremistische Straftäter und die Besucher rechtsextremistischer Veranstaltungen erfasst, sofern diese Personen sich nicht eindeutig einer Struktur zuordnen lassen. In der Regel handelt es sich hierbei um Besucher von rechtsextremistischen Musikund Freizeitveranstaltungen. Innerhalb dieser Kategorie fand ein leichter Anstieg des Potenzials der rechtsextremistischen Straftäter statt. Dies ist vorrangig auf die im Jahr 2018 wieder verstärkt auftretenden Propaganda- 6 Die Partei DIE RECHTE, welche in Sachsen über einzelne Mitglieder verfügt, besitzt innerhalb der sächsischen rechtsextremistischen Szene keine Bedeutung mehr. Weder auf der Homepage der Bundespartei noch in den Unterlagen des Bundeswahlleiters wird der sächsische Landesverband als Struktur geführt. Im Berichtsjahr wurden keine Aktivitäten des sächsischen Landesverbandes festgestellt. Vertreter der Bundespartei beteiligten sich lediglich an der Durchführung des vom stellvertretenden NPDBundesvorsitzenden Torsten HEISE organisierten "Schild und Schwert Festival" im April und im November 2018 in Ostritz (Lkr. Görlitz). Eine Änderung der Lage dieser Partei im Freistaat Sachsen ist nicht erkennbar. 18 und Konfrontationsdelikte im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen zurückzuführen. Dies betraf die Landkreise Bautzen, Görlitz, Zwickau, die Stadt Chemnitz und den Vogtlandkreis. Gleichzeitig ist auch in einigen Regionen die Verfestigung eines hohen Straftäteranteils festzustellen. Hierbei sind der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, aber auch der Großraum Dresden betroffen. Gerade vor dem Hintergrund zunehmender Delikte, wie rechtsextremistischer Übergriffe auf Personen und Einrichtungen (Körperverletzungen, Sachbeschädigungen, etc.) , kam es gegenüber dem Vorjahr zu einem nochmaligen, nunmehr deutlichen Anstieg des gewaltorientierten rechtsextremistischen Personenpotenzials7 auf 1.500 Personen (2017: 1.300). Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen 1400 1.300 1.200 1200 1.040 1000 900 800 600 545 2017 460 2018 400 200 0 Parteigebundener Parteiungebundene Unstrukturiertes Rechtsextremismus rechtsextr. Strukturen rechtsextr. Personenpotenzial Bei dem Aufkommen von Rechtsextremisten in den sächsischen Landkreisen trat im Vergleich zum Vorjahr eine Reihe von Verschiebungen auf. Im Landkreis Zwickau und im Vogtlandkreis stieg das Personenpotenzial wieder an, da insbesondere die Partei DER DRITTE W EG ihr Aktionsniveau nochmals steigerte. Zuwächse gab es auch im Landkreis Bautzen und im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Hier stehen vor allem sich wieder verfestigende rechtsextremistische Aktivitäten der örtlichen Szeneangehörigen im Vordergrund. Die Ereignisse in Chemnitz seit August 2018 8 haben auch zu einer Steigerung des dortigen rechtsextremistischen Personenpotenzials geführt. Dagegen ging im Landkreis Mittelsachsen das Potenzial nach erfolgreichen behördlichen Maßnahmen gegen die dortige Szene wieder zurück. 7 Hierzu zählen Tatverdächtige rechtsextremistischer Gewaltstraftaten und Personen, bei denen Anhaltspunkte für eine Gewaltbereitschaft vorliegen. 8 siehe Abschnitt II.1.7.2 Stadt Chemnitz 19 Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten in absoluten Zahlen Rechtsextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten je 10.000 Einwohner 20 Anzahl der Rechtsextremisten im Freistaat Sachsen (insgesamt: ca. 2.800 [2017: ca. 2.600 / bundesweit 2017: ca. 24.000]) Rechtsextremistische Parteiungebundene rechtsUnstrukturiertes Parteien extremistische Strukturen rechtsextremistisches Personenpotenzial 9 11 2018: ca. 460 2018: ca. 1.050 2018: ca. 1.300 10 12 2017: ca. 545 2017: ca. 900 2017: ca. 1.200 NATIONALDEMOKRATISCHE NEONATIONALSOZIALISTEN SUBKULTURELL GEPRÄGTE 13 PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) RECHTSEXTREMISTEN 2018: ca. 300 2018: ca. 700 2018: ca. 1.300 2017: ca. 400 2017: ca. 650 2017: ca. 1.200 JUNGE NATIONALISTEN (JN) SUBKULTURELL GEPRÄGTE 14 RECHTSEXTREMISTEN 2018: ca. 40 15 (in Strukturen) 2017: ca. 50 2018: ca. 300 2017: ca. 240 DIE RECHTE IDENTITÄRE BEWEGUNG 2018: ca. 15 2018: ca. 40 2017: ca. 20 2017: ca. 40 DER DRITTE W EG PRO CHEMNITZ 16 18 2018: ca. 125 2018: ca. 15 17 2017: ca. 90 9 einschließlich ca. 25 Mehrfachmitgliedschaften 10 einschließlich ca. 15 Mehrfachmitgliedschaften 11 einschließlich ca. 25 Mehrfachmitgliedschaften 12 einschließlich ca. 30 Mehrfachmitgliedschaften 13 Hierbei handelt es sich vor allem um rechtsextremistische Straftäter und Teilnehmer an rechtsextremistischen Veranstaltungen ohne feste strukturelle Anbindung. 14 einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD 15 einschließlich Doppelmitgliedschaften in der NPD 16 Diese Zahl umfasst lediglich die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG. Die Partei verfügt jedoch darüber hinaus über ein großes Sympathisantenumfeld aus dem parteiungebundenen Rechtsextremismus. 17 Diese Zahl umfasst lediglich die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG. Die Partei verfügt jedoch darüber hinaus über ein großes Sympathisantenumfeld aus dem parteiungebundenen Rechtsextremismus. 18 einschließlich ca. 15 Doppelmitgliedschaften 21 1.3 Rechtsextremistische Parteien 1.3.1 DER DRITTE WEG (III. WEG) Gründung / Sitz: 2013 / Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Vorsitz Bund: Klaus ARMSTROFF Stellvertreter: Matthias FISCHER "Gebietsverband Mitte" Stellvertreter: Tony GENTSCH Teil-, Nebenorganisationen: "Gebietsverband Mitte", "Stützpunkt Vogtland", "Stützpunkt Mittelsachsen", "Stützpunkt Westsachsen", "Stützpunkt Mittelland" Publikation: DER III. WEG (Rundbrief) NATIONAL, REVOLUTIONÄR, SOZIALISTISCH Mitglieder 2018 in Sachsen: ca. 125 Mitglieder 2017 in Sachsen: ca. 90 Mitglieder 2017 bundesweit: ca. 500 Historie und Strukturentwicklung Die Partei DER DRITTE WEG wurde am 28. September 2013 in Heidelberg (Baden-Württemberg) gegründet. Parteivorsitzender ist Klaus ARMSTROFF, ein in Rheinland-Pfalz aktiver Rechtsextremist und langjähriger NPD-Funktionär. Zur Bundestagswahl 2017 trat die Partei nicht an. Gemäß ihrer Satzung hat die Partei bereits bundesweit mehrere "Gebietsverbände" ("Süd, West und Mitte") aufgebaut. Der erste "Gebietsverband Mitte" wurde am 9. Januar 2016 in Berlin gegründet. Dieser umfasst die Bundesländer Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Berlin mit insgesamt zehn "Stützpunkten".19 Mit der Etablierung dieses "Gebietsverbandes" wurde eine neue Strukturebene geschaffen. Im Februar 2015 wurde im Vogtlandkreis der "Stützpunkt Vogtland" gegründet. Dieser umfasst länderübergreifend die regionalen Grenzgebiete von Bayern, Thüringen und Sachsen. Im April 2015 wurde der länderübergreifende "Stützpunkt Mittelland" gegründet, zu dem die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland zählen. Am 24. März 2017 gingen aus dem 2015 gegründeten "Stützpunkt Mittelsachsen/Erzgebirge" die "Stützpunkte Westsachsen" und "Mittelsachsen" hervor. Nach eigenen Angaben vereint der "Stützpunkt Westsachsen" als Aktionsraum das Gebiet Erzgebirge sowie die Städte Zwickau, Chemnitz und deren Umland. Der "Stützpunkt Mittelsachsen" umfasst den Landkreis Mittelsachsen. Im Freistaat Sachsen ist es der Partei gelungen, von den bundesweit gegründeten 18 "Stützpunkten" vier zum Teil länderübergreifende "Stützpunkte" mit sächsischen Mitgliedern zu etablieren und zu festigen. Zahlreiche ehemals führende Mitglieder neonationalsozialistischer Strukturen sind weiterhin an exponierter Stelle in der Partei aktiv. Die Gründung der Partei DER DRITTE W EG war vor allem taktisch motiviert. Viele ihrer Funktionäre und Mitglieder waren früher in rechtsextremistischen Strukturen aktiv, die staatlichen Exekutivmaßnahmen unterlagen oder solche befürchteten. Sie nutzen das Parteienprivileg zur Verhinderung von vereinsrechtlichen Maßnahmen. 19 "Stützpunkte Vogtland, Mittelsachsen, Westsachsen, Mittelland, Thüringer Wald/ Ost, Ostthüringen, Berlin, Potsdam/Mittelmark, Uckermark, Mittelmark/Havel" 22 Ideologie / Politische Zielsetzung Parteiprogramm Quelle: www.der-dritte-weg.info (Stand: 20. November 2018) Ideologisch orientiert sich die Partei am historischen Nationalsozialismus. Das Parteiprogramm der Partei DER DRITTE W EG und das Parteiprogramm der NSDAP verbindet ein biologischer Volksbegriff (Punkt 4 des Parteiprogramms der NSDAP). Dort hieß es, dass nur derjenige "Volksgenosse" sein könne, der "deutschen Blutes" sei. Entsprechend fordert die Partei D ER DRITTE W EG in Punkt 7 ihres Programms "die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" und in Punkt 4 die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", die es vor Überfremdung zu schützen gelte. Ziel der Partei ist vorgeblich die "Schaffung eines Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuteri20 schem Kapitalismus, wie gleichmacherischem Kommunismus". Auch in der Verwendung von Symbolen wird die Nähe zum Nationalsozialismus deutlich. Schwert und Hammer wurden bereits als Symbol in der Hitlerjugend, aber auch in der NSDAP genutzt. Es soll die Verbundenheit der Soldaten und der Arbeiter im Kampf für den "Sozialismus" nationalsozialistischer Prägung verdeutlichen. Das Symbol des Zahnrads war unter den Nationalsozialisten ein Symbol der NSDAP-Organisation "Deutsche Arbeitsfront". Es wird auch im Bereich der neonationalsozialistischen Kameradschaften verwendet. Die Partei nimmt in ihren Äußerungen immer wieder Bezug auf den Nationalsozialismus. So auch in der im November 2017 herausgegebenen Broschüre mit dem Titel NATIONAL, REVOLUTIONÄR, SOZIALISTISCH. Diese Schrift stellt einen komprimierten Abriss der Grundlagen einer an die heutige Zeit angepassten nationalsozialistischen Weltanschauung dar. Ziel der Broschüre sei es "(...), jedem Deutschen die Grundlagen unserer Weltanschauung darzulegen" (S. 7). Besonders markant ist die offene Propagierung der nationalsozialistischen Blut-und-Boden-Ideologie: "Das Blut ist der Schlüssel 20 www.der-dritte-weg.info, "Zehn-Punkte-Programm" (Stand: 20. November 2018) 23 zum Verständnis der volkseigenen Kultur und der Seele des völkischen Lebens" (S. 14) und: "Die Verbindung aus Blut und Boden sorgt für die Entfaltung des größtmöglichen Verteidigungswillens" (S. 15). "Nationalismus" ist für die Partei DER DRITTE W EG "die Umsetzung der biologischen Erkenntnisse in die Politik" (S. 18).Europa wird dagegen definiert als "Heimat der weißen Rasse" (S. 26). DER DRITTE W EG sieht sich selbst als "Jugend Europas (...) ohne Migrationshintergrund (...), die aus der Illusion des Wohlstandes und der liberalen Versprechungen aufgewacht (sei)" (S. 28). Die Partei definiert sich als "Stoßtruppe(n) der völkischen Wiedergeburt" (S. 31) und "Kampfgemeinschaft" (S. 8). Martialisch heißt es in der Broschüre: "Die Nation ist das Heerlager, das geschlossene Volk die Soldaten und der Befehlshaber in diesem Kampf um die Zukunft des deutschen Volkes und mit ihm Europas die Stimme des Blutes" 21 (S. 30). Getreu der NS-Ideologie wird der Anhänger der Partei auch hier in der Funktion eines "politischen Soldaten" verstanden. Weiterhin wird zum Kampf gegen den politischen Gegner aufgerufen: "Es gibt Zustände, Entscheidungen, politische Linien, die sind falsch, die gehören nicht toleriert oder diskutiert, sie gehören bekämpft!" (S. 21). Trotz eines vordergründigen Bekenntnisses zur Gewaltlosigkeit propagierte die Partei unverhohlen: "Sofern es notwendig ist, dass einige Scheiben zerbrechen, um nicht nur das deutsche Volk in seiner ethnischen Existenz zu sichern, (...) so werden wir dies nicht als Frevel ansehen" (S. 34). Alle Aktivitäten der Partei DER DRITTE W EG ordnen sich in dieses Weltbild ein. Sie manifestieren den Anspruch der Partei, die nur äußerlich an die heutige Zeit angepasste nationalsozialistische Ideologie der historischen NSDAP zu verbreiten. Aktivitäten Die Partei DER DRITTE WEG ist für die parteigebundene rechtsextremistische Szene in Sachsen der maßgebliche Akteur. Die Mitgliederzahlen und ihre Aktivitäten steigen seit drei Jahren deutlich an. Die Partei war auch im Jahr 2018 für eine Vielzahl von Veranstaltungen verantwortlich. So führte die Partei mit überregionaler Beteiligung am 1. Mai ihre alljährliche Veranstaltung mit ca. 700 Teilnehmern, dieses Jahr erstmals in Chemnitz, durch. Offizieller Veranstalter der angemeldeten Demonstration war jedoch das NATIONALE UND SOZIALE AKTIONSBÜNDNIS 1. MAI. Als Anmelder und stellvertretender Versammlungsleiter fungierte Klaus ARMSTROFF (Bundesvorsitzender der Partei DER DRITTE W EG) und als Versammlungsleiter Rico DÖHLER ("Stützpunktleiter Vogtland" dieser Partei). Dies unterstreicht die Bedeutung der Partei DER DRITTE WEG am Zustandekommen dieser Veranstaltung. Die Teilnehmerzahl blieb unter den Erwartungen der Partei. Es gelang ihr nicht, in erwartetem Umfang nichtextremistische, bürgerliche Klientel anzusprechen. Dagegen konnte die Partei ihr Werben um bürgerliche Kräfte über das Asylthema im Verlauf des Jahres vorantreiben, insbesondere nach dem Tötungsdelikt im August 2018 in Chemnitz. So fand am 1. September 2018 in Plauen (Vogtlandkreis) unter dem Motto "Bürger schützen - Zuzugsstopp für Asylanten - Jetzt" eine Kundgebung mit bis zu 600 Teilnehmern statt. In einem Internetbeitrag der Partei hieß es hierzu: "Plauen - über 1.000 Deutsche zeigen Gesicht gegen Ausländergewalt!"22. Mit dieser Demonstration setzte die Partei erneut die Instrumentalisierung der "Asylthematik" fort. Die hohe Teilnehmerzahl stand mit den Ereignissen in Chemnitz in Verbindung. Anders als noch am 1. Mai 2018 war hier ein hoher Anteil der Teilnehmer dem bürgerlichen Spektrum zuzuordnen. Allerdings gelang es der Partei DER DRITTE W EG bei thematisch ähnlich gelagerten Veranstaltungen in Plauen seit Ende 2016 immer wieder, ein unteres dreistelliges bürgerliches Teilnehmerpotenzial für ihre Veranstaltungen zu gewinnen. Mit der Demonstration am 1. September 2018 konnten sie ihre politische Wirkung und Bedeutung auch bei nichtextremistischen Bürgern steigern. Die Partei wird bestrebt sein, dies im Verlaufe des Wahlkampfes fortzusetzen. 21 Schreibweise wie im Original 22 www.der-dritte-weg.info (Stand: 3. September 2018) 24 Die bundesweite Kampagne "Deutsche Winterhilfe" strebt ebenfalls an, nichtextremistische Klientel zu erreichen. So fand am 13. Januar in Zwickau eine Informationsveranstaltung unter dem Motto "Winterhilfe - Vom ich zum Wir" statt. Auf der Homepage der Partei war zu lesen: "Den Auswüchsen des ausbeuterischen Kapitalismus entgegnen wir den Deutschen Sozialismus, weil wir eine gerechte Gesellschaftsordnung innerhalb unseres Volkes anstreben".23 Diese Aktionen stehen in Verbindung mit der bundesweiten Kampagne "Deutsche Winterhilfe"24. Diese Bezeichnung erinnert an das 1933 von der NSDAP gegründete "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes". Adolf HITLER selbst eröffnete die erste Hilfsaktion. Die Hilfsangebote richteten sich ausschließlich an "Deutsche" im Sinne der NSDAP. Jüdische Mitbürger waren daher ausgeschlossen. Auch gegenwärtig ist die Kampagne Ausdruck der Ideologie der Partei DER DRITTE W EG. Die Winterhilfsaktionen galten lediglich "Deutschen" im parteieigenen Selbstverständnis. Darüber hinaus wurden die Aktionen genutzt, um gegen Menschen mit Migrationshintergrund zu agitieren und sie als Ursache für die angebliche Armut von "Deutschen" zu diffamieren. Bundesweit lag der Schwerpunkt der Aktivitäten in Sachsen. Die Partei DER DRITTE WEG hat das Ziel, in das Europäische Parlament einzuziehen. Der Antritt zur Europawahl wurde zum 5. Gesamtparteitag am 7. April 2018 in Aue (Erzgebirgskreis) beschlossen. In einem Beitrag auf ihrer Homepage ließen sie u. a. verlauten: "Unter einem Europa der Vaterländer versteht unsere nationalrevolutionäre Partei die Wiederherstellung selbstbestimmter Nationen (...). Im Vordergrund der jeweiligen Politik der Länder muss das Wohl und Interesse des eigenen Volkes stehen (...)". Es soll "eine Festung aus Geist und Tat zum Erhalt unserer völkischen Eigenund Lebensarten entstehen. (...) Nur durch die Festung Europa können sich unsere Völker vor dem Ansturm Millionen Fremder schützen und ihre jeweilige Identität erhalten." 25 Auf einem weiteren Gebietsparteitag am 21. Oktober 2018 in Erfurt (TH) wurde die Teilnahme der Partei an der Kommunalwahl im Mai 2019 und zur Landtagswahl am 1. September 2019 in Sachsen beschlossen.26 Ein wichtiges Betätigungsfeld der Partei ist die Stärkung des Zusammenhalts und der Motivation der eigenen Mitglieder sowie Anhänger. Um dieses Ziel zu erreichen organisierte der "Gebietsverband Mitte" zum vierten Mal den "Tag der Gemeinschaft" unter dem Motto "Jugend im Sturm" am 7. Juli 2018 in Kirchheim (TH) mit 220 Teilnehmern. Es wurden Reden und Musikbeiträge vorgetragen sowie Kampfsportvorführungen gezeigt. Mit der Veranstaltung "Jugend im Sturm" hat DER DRITTE W EG versucht, an das aus Sicht der Besucher attraktive Format des "Schild und Schwert Festivals" im April 2018 in Ostritz27 anzuknüpfen, das Politik, Musik und Kampfsport kombinierte. Dies gelang aber wegen der begrenzten Möglichkeiten des Veranstaltungsortes und des weniger ambitionierten Rahmenprogramms nicht. Für den 6. Juli 2019 ist bereits die nächste Veranstaltung "Jugend im Sturm" in Mitteldeutschland auf der Homepage der Partei angekündigt. Auch zur Unterstützung solcher Veranstaltungen mit Kampfsportlern gründete die Partei die Arbeitsgruppe "Körper & Geist". In Plauen befindet sich eine solche Gruppe im Aufbau. Es fanden bereits Selbstverteidigungskurse mit Kindern, Frauen und Jugendlichen in Plauen 28 sowie ein Fußballevent in Zwickau29 statt. Ziel ist es, Sport und Kampfsport begeisterte Personen an die Partei zu binden. Diese Arbeitsgruppe "steht für jeden Deutschen offen, der sich einbringen will." 30 23 www.der-dritte-weg.info (Stand: 22. Januar 2018) 24 Diese Aktion findet seit 2015 in der "kalten Jahreszeit" statt. 25 www.der-dritte-weg.info (Stand: 9. April 2018) 26 www.der-dritte-weg.info (Stand: 24. Oktober 2018) 27 zu den Aktivitäten der einzelnen "Stützpunkte" in den Landkreisen siehe Abschnitt II.1.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 28 ebd. 29 ebd. 30 www.der-dritte-weg.info (Stand: 31. Juli 2018) 25 Eine andere Aktionsform der Partei ist die Ausrichtung von "Zeitzeugenvorträgen" unter dem Motto "Stimmen der Bewegung". Im Oktober fanden hierzu Vorträge in Oelsnitz/Erzgebirge und Zwickau statt.31 Neu ist, dass man sich bei diesem Format von der Zeit des "Dritten Reiches" wegbewegt und "Zeitzeugen" aus der jüngeren Vergangenheit, nach 1945 Geborene, zu Wort kommen lässt. Hervorzuheben ist, dass dabei insbesondere "Zeitzeugen" auftreten, die durch militantes Verhalten im Sinne der rechtsextremistischen Ideologie aufgefallen sind. Solche Veranstaltungen reihen sich in die gemeinschaftsbezogenen Aktivitäten der Partei ein. Diese dienen der Festigung der "inneren Gemeinschaft", aber auch der Propagierung der eigenen Ideologie und der Steigerung der Gewaltbereitschaft der Parteimitglieder. Ein weiteres Themenfeld der Partei DER DRITTE W EG ist die Durchführung neonationalsozialistischer "Heldengedenkveranstaltungen". Mit der jährlichen "Gedenkveranstaltung" für Rudolf HESS führt die Partei DER DRITTE W EG eine der bedeutendsten Szeneveranstaltungen durch. Diese Veranstaltung des "Gebietsverbandes Mitte" fand am 17. November 2018 - wie schon in den Vorjahren - in Wunsiedel (Bayern) statt. Dort befand sich früher das Grab des HITLER-Stellvertreters Rudolf HESS, welcher von Rechtextremisten als "Friedensflieger" und "Märtyrer" verehrt wird. Hierbei waren Mitglieder des "Stützpunktes Vogtland" im besonderen Maße an der Organisation beteiligt. Es nahmen ca. 200 Personen teil32, darunter auch Gäste aus Griechenland, Ungarn und Schweden. Eine weitere Aktionsform, die durch die Mitglieder der sächsischen "Stützpunkte" umgesetzt wurde, sind die bundesweiten Kampagnen, wie z. B. die sogenannten Nationalen Streifen. Diese fanden seit der zweiten Jahreshälfte 2016 vereinzelt in verschiedenen Städten, auch im Freistaat Sachsen33, statt. Die Partei verfolgt mit solchen Aktionen mehrere Ziele: Indem ihre Mitglieder in Parteikleidung Patrouille laufen, zeigt die Partei Präsenz und inszeniert sich als "Kümmerer". Die "Streifen" dienen aber auch einer medial inszenierten "Revierbesetzung". Damit soll das jeweilige Gebiet symbolisch in Besitz genommen und das staatliche Gewaltmonopol infrage gestellt werden. Ausblick Die Partei DER DRITTE WEG ist die aktivste rechtsextremistische Parteistruktur in Sachsen. Aufgrund ihrer neonationalsozialistischen Ausrichtung erfreut sie sich hoher Attraktivität innerhalb der neonationalsozialistischen Szene. Mit ihrer gefestigten Ideologie gehen auch eine hohe Aktionsmotivation und damit ein hohes Niveau an Aktivitäten einher. Dies wird sich in den kommenden Monaten fortsetzen. Im Jahr 2018 war vor allem eine Steigerung der Aktionen zur Mitgliedergewinnung wie auch der die Konfrontationsund Gewaltbereitschaft der Mitglieder erhöhenden Aktivitäten festzustellen. Es ist daher damit zu rechnen, dass Angehörige der Partei DER DRITTE W EG in Zukunft verstärkt in Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner, aber auch mit Personen mit Migrationshintergrund und anderen Feindbildern der rechtsextremistischen Szene, treten werden. Gleichzeitig wird die Partei bestrebt sein, ihre Anschlussfähigkeit an das nichtextremistische bürgerliche Milieu aufrechtzuerhalten bzw. zu steigern. Weiterhin strebt die Partei im Jahr 2019 die Teilnahme an der Europawahl sowie der Kommunalund Landtagswahl in Sachsen an. Es ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl an Wahlwerbeveranstaltungen in Sachsen stattfinden wird, um sich bei den Bürgern in Sachsen weiter bekannt zu machen sowie diese für eine Mitgliedschaft in der Partei und als mögliche Wählerstimmen zu gewinnen. Auch kleinere Veranstaltungen der Partei werden zunehmen, um die eigenen Mitglieder fester an sich zu binden und in noch größerem Maße für die Aktivitäten der Partei zu mobilisieren. Die gute Vernetzung der sächsischen Akteure mit den bundesweit bedeutsamen Führungsperso31 zu den Aktivitäten der einzelnen "Stützpunkte" in den Landkreisen siehe Abschnitt II.1.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 32 2015 und 2016 je ca. 240 Teilnehmer, 2017 ca. 250 33 u. a. in Plauen, Chemnitz und Zwickau 26 nen der Partei dürfte dazu beitragen, dass die Partei für Veranstaltungen in Sachsen weiterhin konstant auf ein niedriges dreistelliges Personenpotenzial zurückgreifen kann. Die Partei wird zwar weiterhin versuchen, ihren Strukturausbau vor allem in Ostsachsen voranzutreiben, mit Erfolgen ist aber nicht zu rechnen. Dabei wird die Partei auch künftig als Auffangbecken für NEONATIONALSOZIALISTEN dienen. Inhaltlicher Schwerpunkt wird die Agitation gegen Asylsuchende bzw. gegen die Flüchtlingspolitik bleiben. Darüber hinaus werden auch herkömmliche rechtsextremistische Themenbereiche, wie u. a. "Deutscher Sozialismus" und "Deutschland ist größer als die BRD", thematisiert werden. Durch seine sächsischen Protagonisten pflegt DER DRITTE W EG aktiv internationale Beziehungen. Die bestehenden Kontakte zu Rechtsextremisten in Griechenland, Schweden, Norwegen, Ungarn, Bulgarien und der Ukraine zeigen, dass die Partei weiter eine intensive internationale Vernetzung sucht. Es ist zu erwarten, dass insbesondere die sächsischen Akteure der Partei auch außerhalb Sachsens weiterhin eine große Rolle bei künftigen Parteiaktionen spielen werden. Die Funktionäre GENTSCH und DÖHLER agieren überregional als maßgebliche Kader beim weiteren Aufbau der Partei. Die Partei DER DRITTE WEG entwickelte sich zu der bestimmenden Größe der parteigebundenen rechtsextremistischen Szene in Sachsen. Sie wird diese Stellung auch im Jahr 2019 weiter ausbauen wollen. 1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Gründung / Sitz: 1964 / Berlin Vorsitz Bund: Frank FRANZ Leiter Landesverband Sachsen: Jens BAUR 1 Teil-, Nebenorganisationen: JUNGE NATIONALISTEN (JN) , RING NATIONALER FRAUEN (RNF), KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG (KPV) Publikation: DEUTSCHE STIMME Mitglieder 2018 in Sachsen: ca. 300 Mitglieder 2017 in Sachsen: ca. 400 Mitglieder 2017 bundesweit: ca. 4.500 Historie und Strukturentwicklung - Rückgang der Mitgliederzahlen und Kreisverbände Die 1964 gegründete NPD ist aus der ehemaligen Deutschen Reichspartei hervorgegangen. Die NPD-Jugendorganisation JUNGE NATIONALISTEN (JN)34 wurde 1969 unter dem Namen JUNGE NATIONALDEMOKRATEN (JN) gegründet. Strukturentwicklung und Mitgliederzahlen der NPD im Freistaat Sachsen unterlagen seit der Gründung 1990 erheblichen Schwankungen. Den Zenit erreichte der sächsische NPD-Landesverband im Jahr 1998 mit ca. 1.400 Mitgliedern und 20 Kreisverbänden. Es gelang der Partei in den danach folgenden Jahren nicht mehr, an diese Zahlen anzuknüpfen. Trotz einiger kurzer Phasen der Erho34 Seit 2018 nennt sich die NPD Jugendorganisation nicht mehr "Junge Nationaldemokraten". 27 lung verringerte sich der Mitgliederbestand der NPD in Sachsen kontinuierlich. Auch im Jahr 2018 setzte sich diese Tendenz fort. Das Mitgliederpotenzial in Sachsen wird auf ca. 300 Mitglieder geschätzt. Die personellen Verluste führten zu Strukturveränderungen. Nach Fusionen einzelner NPD-Strukturen waren die sächsischen NPD-Mitglieder nur noch in neun Kreisverbänden organisiert. Wenige dieser Mitglieder zeigten sich im Jahr 2018 aktiv. Mitgliederzahl und Anzahl der Kreisverbände der NPD im Freistaat Sachsen 900 30 800 800 800 760 700 25 700 670 610 600 600 20 500 Mitglieder 420 400 15 400 Anzahl der 13 13 13 13 13 13 300 300 12 10 Kreisverbände 11 11 200 9 5 100 0 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen Anmerkung: DS-Verlag = DEUTSCHE STIMME-Verlag Einzelne Mitglieder der NPD waren im Berichtsjahr darüber hinaus in der NPD-Frauenorganisation RING NATIONALER FRAUEN (RNF) sowie in der KOMMUNALPOLITISCHEN VEREINIGUNG (KPV) organisiert. Aktivitäten dieser Strukturen wurden im Freistaat Sachsen nicht bekannt. Auch liegen für diesen Zeitraum keine Erkenntnisse über den NPD-nahen Verein BILDUNGSWERK FÜR HEIMAT UND NATIONALE IDENTITÄT vor. Dieser hatte im Vorjahr noch die Publikation GEGENLICHT herausgegeben. 28 Die DEUTSCHE STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT MBH mit Sitz in Riesa (Lkr. Meißen) hat nach finanziellen Problemen in der Vergangenheit zunehmend an Bedeutung verloren. Im Jahr 2015 übergaben die Betreiber des Verlages den Warenversand an den Thüringer NPD-Funktionär Thorsten HEISE. Auch der Buchversand wurde ausgelagert. Übrig blieb letztendlich die Herausgabe des NPD-Organs DEUTSCHE STIMME. Auf der Liegenschaft des Verlages weihten die Rechtsextremisten im selben Jahr einen Teil des Gebäudetraktes als "Haus Wieland" ein, welcher als "nationales Begegnungszentrum" für Seminare, Schulungen und andere Veranstaltungen genutzt werden sollte. Darüber hinaus richteten sie im Zusammenhang mit ihrer Kampagne "Deutsche helfen Deutschen" im Objekt Ende 2016 ein sogenanntes Sozialkaufhaus ein. Die Liegenschaft wird von der NPD für einzelne Veranstaltungen, z. B. für "Sommerfeste", genutzt. Ideologie / Politische Zielsetzung Das Bundesverfassungsgericht ließ in seiner Entscheidung35 über den Antrag eines Parteiverbots vom 17. Januar 2017 keinen Zweifel an der Verfassungsfeindlichkeit der Partei. Danach verletzt der von der NPD vertretene Volksbegriff die Menschenwürde, indem er den sich hieraus ergebenden Achtungsanspruch der Person negiert und zur Verweigerung elementarer Rechtsgleichheit für alle führt, die nicht der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" in ihrem Sinne angehören. Das Politikkonzept der NPD ist auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von gesellschaftlichen Gruppen (Ausländer, Migranten, religiöse und sonstige Minderheiten) gerichtet. Auch missachtet die NPD das Demokratieprinzip. In einem durch die "Einheit von Volk und Staat" geprägten Nationalstaat im Sinne der NPD ist für eine Beteiligung ethnischer Nichtdeutscher an der politischen Willensbildung grundsätzlich kein Raum. Vielmehr führt der exkludierende Charakter der "Volksgemeinschaft" zu einer mit Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 GG unvereinbaren ethnischen Verengung des Anspruchs auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung. Außerdem tritt die NPD für die Abschaffung des bestehenden parlamentarisch-repräsentativen Systems und seine Ersetzung durch einen am ehemaligen Deutschen Reich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten orientierten Staat ein. Die Partei weist eindeutig eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus auf. Das Konzept der "Volksgemeinschaft", die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen. Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der Antragsgegnerin mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Die ethnisch homogene Volksgemeinschaft - unvereinbar mit den Grundrechten Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erklärte der Bundesvorsitzende Frank FRANZ auf dem Bundesparteitag am 11./12. März 2017 in Saarbrücken, dass es keine neue ideologische Ausrichtung der NPD geben wird: "Wir werden keinen Millimeter von unserem bestehenden Parteiprogramm abweichen, weil wir unverrückbar an unserem programmatischen Dreiklang von nationaler Souveränität, nationaler Identität - wozu selbstverständlich das Abstammungsprinzip und unser ethnischer Volksbegriff gehören - und nationaler Solidarität festhalten."36 Drehund Angelpunkt der Ideologie der NPD ist ihr ethnischer Volksbegriff. Die Staatsvorstellung der NPD basiert auf der Herstellung der "nationalen Identität" in Form eines rassisch homogenen Volkes, welches die Partei als "Volksgemeinschaft" bezeichnet. Nur in dieser "Volksgemeinschaft" verwirkliche sich die Würde des Menschen und nur in ihr sei die persönliche Freiheit garantiert. 37 Die Würde des Menschen und die persönliche Freiheit garantiert die NPD somit nur Personen, welche nach ihrer Auffassung Bestandteil der "Volksgemeinschaft" sind. 35 BVerfG, Urteil vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13 36 www.npd.de, Artikel zum Bundesparteitag vom 13. März 2017 37 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 29 Die NPD und ihre Jugendorganisation verwenden den Begriff "Volksgemeinschaft" im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie: "Ein Volk ist eine organisch gewachsene Gemeinschaft gleichen Blutes, gleicher Geschichte, mit gleichem Lebensraum und gleicher Kultur".38 Rassistische fremdenfeindliche Ideologie Nach Vorstellung der NPD bestimmt sich der Wert eines Menschen nach der Zugehörigkeit zu einer Ethnie bzw. Rasse. Die pauschalen und verächtlichen Diffamierungen von Flüchtlingen als "Kriminelle", "Asylbetrüger", "Sozialschmarotzer", "Scheinflüchtlinge" und "Invasoren" sowie die Darstellung eines "Volkstodes" durch "Masseneinwanderung" belegen, dass NPD-Angehörige andere Völker als minderwertig einschätzen. Missachtung des Demokratieprinzips Die Partei fordert einen durch die "Einheit von Volk und Staat" 39 geprägten Nationalstaat. Die "Volksgemeinschaft" sei eine Voraussetzung für die "Volksherrschaft" 40, in welcher eine Beteiligung von aus Sicht der NPD "Nichtdeutschen" am politischen Willensbildungsprozess ausgeschlossen ist. Der sächsische NPD-Funktionär Jürgen GANSEL bestätigte vor dem Bundesverfassungsgericht, dass die "Volksherrschaft" an das ethnische Staatsvolk gebunden sei. 41 Der ausschließende Charakter einer "Volksgemeinschaft" führt zu einer mit Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 GG unvereinbaren ethnischen Verengung des Anspruchs auf gleichberechtigte Teilhabe an der politischen Willensbildung. Die NPD positioniert sich offen als Feind der Demokratie. Sie will den Staat weder reformieren noch an seiner Gestaltung im Rahmen des parlamentarischen Prozesses mitwirken. Ziel der Partei ist die Abschaffung der gegenwärtig existierenden Staatsform. Auch der Parlamentarismus wird rein instrumentell gesehen: "Ein Parlament ist Mittel zum Zweck, nicht mehr und nicht weniger."42 Historischer Nationalsozialismus als Ideal der NPD Ergänzend zu den o. a. Darlegungen des Bundesverfassungsgerichtes43 wird die Orientierung am historischen Nationalsozialismus auch bei anderen Aktivitäten der NPD deutlich. So zeigen die beschriebenen Parallelen in der NPDund der NSDAP-Programmatik, das Verständnis der Partei von der angestrebten "Volksgemeinschaft" sowie ihre positive Bezugnahme auf die NS-Herrschaft, dass sich die Partei am "Dritten Reich" orientiert. Die Partei sieht ein Vorbild in der NSDAP und verharmlost und rechtfertigt Geschehnisse aus der Zeit des Nationalsozialismus. So leugnet sie die Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Der Angriff auf Polen habe "auf jeden Fall der Abwehr einer deutlich angezeigten militärischen Be44 drohung gegen das Reich" gedient. Hinsichtlich des millionenfachen Massenmordes an den europäischen Juden spricht die NPD in ihrem Zentralorgan verharmlosend von "Fehlentwicklungen" 45 im "Dritten Reich" . Den im Grundgesetz verankerten Grundrechten der Unantastbarkeit der Menschenwürde (Artikel 1 GG) und der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz (Artikel 3 GG) setzen die Partei und ihre Jugendorganisation mit ihrem Verlangen nach "Reinhaltung der Rasse" zum Schutze der "deutschen Volkssubstanz" rassistisch geprägte Forderungen entgegen, die eine Anlehnung an die Zeit des Nationalsozialismus erkennen lassen. 38 Leitfaden - Politische Grundbegriffe, Teil 1, S. 4 ff. 39 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 6 40 Parteiprogramm der NPD 2010, S. 7 41 Bundesverfassungsgericht, Urt. vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13 42 www.npd-sachsen.de (Stand: 6. März 2009) 43 Bundesverfassungsgericht, Urt. vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13 44 DEUTSCHE STIMME, "Imperialistischer Raubzug oder nationaler Notwehrakt?", August 2003, S. 20 45 DEUTSCHE STIMME, "Die BRD feiert die Niederlage Deutschlands" von Jürgen GANSEL, Juli 2004, S. 4 30 Aktivitäten Nachdem die NPD bei der Bundestagswahl im September 2017 lediglich 0,38 % der Zweitstimmen errungen hatte, sah der stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten HEISE (Thüringen) die Gelegenheit gekommen, einen Kurswechsel hin zu einer fundamentalistischen "Weltanschauungspartei" einzufordern. Er wolle eine Partei, "die weniger von Eintags-Programmen lebt, als von einem festen ideologischen Fundament"46. Die nachfolgende parteiinterne Diskussion über die strategische Neuausrichtung der NPD mündete in der Forderung nach einer "aktionsorientierten Weltanschauungspartei", wohingegen die Orientierung als Wahlpartei in den Hintergrund treten solle. Der sächsische NPD-Landesverband griff dies zwar auf, sah allerdings eine Teilnahme an den im Jahr 2019 anstehenden Kommunalund Landtagswahlen primär als Ziel. Der stellvertretende Landesvorsitzende Peter SCHREIBER nahm jedoch vor allem die Anschlussfähigkeit der Partei in den Blick und empfahl eine Stärkung des Profils über die Schaffung sozialer Projekte. 47 Kampagnen der sächsischen NPD Nach dem Ausscheiden der NPD-Fraktion aus dem Sächsischen Landtag im Jahr 2014 hat der NPD-Landesverband Sachsen kontinuierlich an Bedeutung verloren. Das Engagement sank ebenso wie die Mitgliederzahl. Nur noch wenige NPD-Strukturen zeigten noch ein aktives Parteileben; vom Landesvorstand gingen ebenfalls keine neuen Impulse aus. Auch im Berichtsjahr änderte sich diese Situation nicht wesentlich. Um in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit zu gelangen, initiierte die NPD-Sachsen im Berichtsjahr verschiedene Kampagnen, in deren Mittelpunkt immer wieder fremdenfeindliche Aspekte standen. Das Echo war dennoch verhalten. Nur wenige folgten dem Aufruf zu einer fremdenfeindlichen Kundgebung am 17. Januar 2018 in Dresden. Auch ein neugeschaffenes Videoformat unter dem Namen "Klartext für Sachsen" ab Mai 2018 brachte bisher kaum Resonanz. Etwas stärkeren Widerhall fand indes die "Schutzzonenkampagne", die im Juli 2018 auch in Sachsen anlief. Seit der "Asylantenflut 2015" - so SCHREIBER in einem Video - seien in Deutschland "regelrechte Angsträume" entstanden, "gefühlte No-Go Areas, die dominiert werden von Asylforderern und von Sozialtouristen aus der ganzen Welt". Die NPD stehe mit ihren "Patrouillenfahrten" als Ansprechpartner zur Verfügung, um damit einen "Beitrag zu leisten, damit das Sicherheitsgefühl wieder gestärkt"48 werde. Dementsprechend folgten Streifengänge von "Schutzzonen-Mannschaften" in Dresden, OT Gorbitz, und Riesa im Juli/August.49. Auch im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt in Chemnitz wurde die Forderung einer Schutzzone erhoben.50 Darüber hinaus liefen NPDbzw. JN-Aktivisten auch in Döbeln "Streife" und verteilten vor Schulen ihre Flugblätter. Die JUNGEN NATIONALISTEN veröffentlichten auf ihrer Facebook-Seite "Sicherheitstipps für Kleingärtner" bei "Gartenstreifen" in Döbeln. Mit den "Sicherheitsstreifen" in Sachsen suggerierte die sächsische NPD-Führung öffentlichen Aktionismus, um über die kaum vorhandene Mobilisierungsfähigkeit der Anhängerschaft hinwegzutäuschen und wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses zu geraten. Darüber hinaus wurden solche Aktivitäten genutzt, um das Handeln staatlicher Behörden und das Gewaltmonopol des Staates infrage zu stellen. Wegen eines angeblichen "Staatsversagens" sei es nun Sache der Bürger, sich selbst zu verteidigen. Neben der Diffamierung der staatlichen Ordnung wurden Menschen mit Migrationshintergrund als grundsätzlich abzuwehrende Bedrohung darge46 www.facebook.com/Thorsten-Heise (Stand: 25. September 2017) 47 www.npd-sachsen.de (Stand: 23. November 2017) 48 www.youtube.com/watch?0xYojwfQ70Dk (Stand: 12. August 2018) 49 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 9. August 2018) 50 siehe Abschnitt II.1.7.2 Stadt Chemnitz 31 stellt, die man legitim "bekämpfen" könne und solle. Die NPD leistete damit abermals einen Beitrag zur Eskalation in Migrationsfragen. Kandidatenaufstellung für die Landtagswahl in Sachsen Am 24. November 2018 führte die NPD in Riesa einen Landesparteitag mit ca. 50 Delegierten bzw. Gästen durch, auf dem über eine 15 Personen umfassende Landesliste für die Landtagswahl abgestimmt wurde. Der "designierte Spitzenkandidat" Peter SCHREIBER errang danach Platz eins der Liste; ihm folgten der Landesvorsitzende Jens BAUR sowie der NPD-Funktionär Jürgen GANSEL. SCHREIBER habe auf der Veranstaltung "Integrationsund Einwanderungsgesetz, UN-Migrationsund Flüchtlingspakt, Grenzöffnung und Integrationsgesetz" als "Formen der modernen Kriegsführung [...] speziell gegen das deutsche Volk" bezeichnet.51 Aktivitäten des stellvertretenden Bundesvorsitzenden HEISE in Sachsen ("Schild und Schwert Festival") Während die Funktionäre des sächsischen NPD-Landesverbandes 2018 mit verschiedenen Kampagnen wenig erfolgreich sowohl um mediales Interesse, als auch um Aufmerksamkeit bei potenziellen Wählern kämpften, zeigte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten HEISE bestrebt, die Partei als "führende Kraft der gesamten Szene" zu etablieren. Er fand dabei in Sachsen eine geeignete Plattform für seine Aktivitäten, welche offenbar weitgehend ohne Einbindung der regionalen NPD-Strukturen stattfanden. Er organisierte im April und im November 2018 in der Liegenschaft des Hotels "Neißeblick" in Ostritz (Lkr. Görlitz) unter dem Motto "Schild und Schwert Festival" zwei mehrtägige Großereignisse, welche Rechtsextremisten aus der Bundesrepublik und aus dem Ausland nach Sachsen zogen.52 JUNGE NATIONALISTEN (JN) Die Jugendorganisation der NPD gliedert sich in den Bundesverband, in Landesverbände und in einigen Bundesländern in regional und lokal agierende sogenannte Stützpunkte. Seit 2012 konnten die JN ihren Mitgliederbestand durch Öffnung gegenüber der neonationalsozialistischen Szene zunächst bis 2015 auf 110 Personen verdoppeln. Seitdem ist die Mitgliederzahl durch den Rückgang aktiver Strukturen der JN, wie auch der NPD wieder stark auf zuletzt 40 Mitglieder im Jahr 2018 zurückgegangen. Um neue Impulse zu setzen, gab der JN-Landesverband Sachsen daher am 4. September 2017 die Wahl des langjährigen Aktivisten und Leiters des JN-"Stützpunktes" Dresden Maik MÜLLER zum neuen Landesvorsitzenden bekannt. Am 13. Januar 2018 wurde mit Christian HÄGER (Rheinland-Pfalz, seit Oktober 2018 wohnhaft im Freistaat Sachsen) auch ein neuer Bundesvorsitzender gewählt. Der bisherige JN"Bundesorganisationsleiter" und vormalige Landesvorsitzende der JN Sachsen Paul RZEHACZEK wurde zum stellvertretenden Bundesvorsitzenden gewählt. Gleichzeitig gaben sich die Mitglieder ein neues Statut und änderten den Namen der Jugendorganisation von J UNGE NATIONALDEMOKRATEN in JUNGE NATIONALISTEN. Seit Januar 2018 gibt die JN als Kontaktadresse auf ihrer Homepage wieder das Objekt des DEUTSCHE STIMME-VERLAGS in Riesa an. Im Dezember 2014 war die JN-Bundesgeschäftsstelle zunächst von dort nach Mecklenburg-Vorpommern verlagert worden. 51 www.npd-sachsen.de (Stand: 25. November 2018) 52 siehe Abschnitt II.1.7.5 Landkreis Görlitz 32 Um ihre wiedererlangte Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen, organisierten die JN am 11. und 12. Mai 2018 in der Liegenschaft des DEUTSCHE STIMME-VERLAGS einen sogenannten Europakongress unter dem Motto "[RE]generation.Europa". Die Zusammenkunft wurde vom sächsischen JN-Landesvorsitzenden und Leiter des JN-Bundesarbeitskreises Europa Maik MÜLLER moderiert. Musikalische Beiträge lieferten u. a. der rechtsextremistische Liedermacher FREILICHFREI sowie die Szene-Musikgruppen HOBBIT (Italien), FLAK (Deutschland), ANTHRAZIT (Deutschland) und MARDER (Finnland). Mit bis zu 350 Besuchern und 14 vertretenen ausländischen Organisationen werteten die JN den Kongress als Erfolg. Die Bedeutung der JN im internationalen Rechtsextremismus ist dennoch weiterhin als sehr gering einzuschätzen. Obwohl sich im Vergleich zu den Kongressen vergangener Jahre mehr ausländische Organisationen beteiligten, sind weiterhin keine Akteure darunter, die in den Herkunftsländern tatsächlich politische Relevanz entfalten. Die JN setzten die Zusammenarbeit mit diesen Organisationen im Berichtsjahr fort. So beteiligten sich JN-Mitglieder u. a. an einer Demonstration zu den Feierlichkeiten anlässlich des 100. Jahrestages der Unabhängigkeit Litauens am 11. März 2018 in Vilnius (Litauen) sowie an Gedenkaktionen im November 2018 anlässlich des Jahrestages des Todes zweier Aktivisten der rechtsextremistischen Organisation CHRYSI AVGI (GOLDENE MORGENRÖTE). Auch führten die JN im März und August 2018 zwei sogenannte sächsisch-böhmische Kulturtage gemeinsam mit Rechtsextremisten aus der Tschechischen Republik durch. Auf das Mitgliederpotenzial im Freistaat Sachsen hatte diese Entwicklung jedoch bislang keine positiven Auswirkungen. Mitglieder der JN im Freistaat Sachsen 120 110 110 85 80 70 50 50 50 50 50 40 40 0 Die Organisation der Aktivitäten obliegt im Freistaat Sachsen weiterhin nur wenigen aktiven Mitgliedern. Die JN verfügten im Jahr 2018" lediglich in den Städten Chemnitz und Dresden sowie in den Landkreisen Nordund Mittelsachsen, Leipziger Land und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge über "Stützpunkte.53 In vielen Regionen fehlten ihnen auch im Jahr 2018 geeignete Führungspersonen, die neue Interessenten binden konnten. Mit der Partei DER DRITTE W EG und der IDENTITÄREN BEWEGUNG gibt es rechtsextremistische Organisationen, die in Sachsen ebenfalls um junge Mitglieder werben. Der Rückgang aktiver Strukturen hatte auch auf das Aktionsniveau der JN spürbare Auswirkungen. 2015 und 2016 hatten sie noch eigene Versammlungen organisiert. Einen Tiefpunkt erreichten die 53 Die JN Sachsen posteten über Twitter im Juni 2018 zwar eine Karte mit weiteren Markierungen für "Stützpunkte" in den Regionen Zwickau und Bautzen, tatsächlich dürften jedoch nur Einzelpersonen aus diesen Regionen den JN zuzurechnen sein. Zudem erfolgten in beiden Landkreisen keinerlei von den JN initiierten Aktivitäten. Zu den Aktivitäten der einzelnen "Stützpunkte" in den Landkreisen siehe Abschnitt II.1.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen. 33 öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der JN Sachsen jedoch im Jahr 2017. Sie führten keine Demonstrationen mehr durch, sondern traten lediglich im Rahmen vereinzelter, kleinerer Aktionen, wie Kranzniederlegungen oder Transparentund Verteilaktionen, in Erscheinung. Im Jahr 2018 fanden in Riesa wegen des dort vorhandenen Objektes der "Bundeskongress" sowie der "Europakongress" statt. Darüber hinaus beteiligten sich JN-Mitglieder insbesondere an einzelnen Kundgebungen der NPD sowie an deren Kampagne "Schafft Schutzzonen". Eigene Aktivitäten der "Stützpunkte" beschränkten sich im Wesentlichen auf Kranzniederlegungen, Spendenaktionen sowie Reinigungsarbeiten auf Spielplätzen und Friedhöfen im Rahmen ihrer Kampagne "Jugend packt an". Ausblick Die Kandidatenaufstellung für die Landtagswahl verdeutlicht, dass die NPD in Sachsen im Wahljahr 2019 eine erneute landespolitische Verankerung anstrebt. Darüber hinaus ist auch zu erwarten, dass sich die Partei um die Erhaltung der kommunalpolitischen Basis, welche sich in den letzten Jahren durch Parteiaustritte immer mehr reduziert hatte, bemühen wird. Deshalb ist mit gesteigerten Aktivitäten der Partei in ihren Schwerpunktregionen zu rechnen. Dem Anspruch eines intensiven und erfolgreichen Wahlkampfs steht allerdings das verringerte Mitgliederund Mobilisierungspotenzial entgegen. Zweifelhaft ist, ob die Partei so in der Lage sein wird, im Jahr 2019 mit den teils inaktiven Strukturen einen intensiven und flächendeckenden Wahlkampf durchzuführen. Wesentliche Impulse der NPD dürften auch 2019 eher von nichtsächsischen Funktionären und Mitgliedern ausgehen. Mit einer erfolgreichen Wählerwerbung oder medialen Themensetzung durch die NPD ist nicht zu rechnen, denn der Partei fehlt ein sie auszeichnendes Alleinstellungsmerkmal. Fremdenfeindlichkeit und "Kümmererstrategie" allein dürften beim Wähler nicht mehr verfangen. Derzeit ist auch nicht abzusehen, ob die Führungsriege in naher Zukunft durch neue, unverbrauchte Persönlichkeiten abgelöst wird. Insgesamt befindet sich die NPD in Sachsen in einem Zustand der Erstarrung. Schwerpunkt der Aktivitäten der JN im Freistaat Sachsen wird daher im kommenden Jahr die Unterstützung der Mutterpartei im Landtagswahlkampf sein. Im Landtagswahlkampf in Hessen 2018 wurden dazu auch schulbezogene Aktionen ("Schülersprecher - Gib Deutschland deine Stimme"), wie auch die Verteilung sogenannter Schulhof-CDs, durchgeführt. Im Jahr 2019 jährt sich die Gründung der NPD-Jugendorganisation zum 50. Mal. Der JNBundesvorsitzende Christan HÄGER kündigte in der DEUTSCHEN STIMME bereits an, die Feierlichkeiten im Rahmen eines "Jubiläumskongresses" begehen zu wollen. 54 Darüber hinaus meldete der Vorsitzende der JN Sachsen Maik MÜLLER bereits für den 1. Juni 2019 eine Demonstration unter dem Motto "Tag der deutschen Zukunft 2019" (TddZ) bei der Stadt Chemnitz an. 55 Die JN werden damit eine wichtige Organisatorenrolle bei der Durchführung dieser neonationalsozialistischen Großkundgebung spielen. 1.4 Parteiungebundene Strukturen In diesem Kapitel geht es um einen der aktivsten und wandlungsfähigsten Teile der rechtsextremistischen Szene. Gemäß der bundeseinheitlichen Darstellung des rechtsextremistischen Personenpotenzials wird innerhalb der rechtsextremistischen Szene der Bereich "parteiungebundene Strukturen" ausgewiesen. Diesem werden rechtsextremistische Strukturen zugeordnet, die nicht zu einer Partei gehören, wie die IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) oder die Wählervereinigung PRO CHEMNITZ. Die übrigen Rechtsextremisten werden dem "unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial" zugerechnet und fallen unter das Kapitel 1.5. 54 DEUTSCHE STIMME, September 2018, S. 4 55 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 34 1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen Neonationalsozialistische Gruppierungen haben sich im Hinblick auf den Organisationsgrad in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Der Trend zum Verzicht auf nach außen erkennbare Strukturen hat sich fortgesetzt. Nachdem noch vor ein bis zwei Jahren versucht worden war, vereinzelt wieder neonationalsozialistische Strukturen zu bilden, strukturiert sich die Szene mittlerweile über Kampagnen, Themenfelder und Szeneveranstaltungen. Hinter diesen wirken nicht etwa nach außen mit festem Namen auftretende Kameradschaften oder Ähnliches, sondern Personennetzwerke. Dabei handelt es sich um feste Kennverhältnisse, die regelmäßig gemeinsame Aktivitäten durchführen und die die Ideologie der NEONATIONALSOZIALISTEN teilen. Da diese Personenzusammenhänge - trotz Verzichts auf formelle Strukturen - nicht strukturlos sind, werden sie im Bereich der parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen ausgewiesen. Ihnen allen gemeinsam ist die neonationalsozialistische Ideologie. Ideologie Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus. Kern neonationalsozialistischer Überzeugungen ist der Wunsch nach der Wiedererrichtung des "Dritten Reiches" bzw. der Einführung einer vergleichbaren Diktatur. In einer rechtsextremistischen Propagandaschrift aus dem Jahr 2017 hieß es dazu: "Der historische Nationalsozialismus als der organisierte politische Gestaltungswille des deutschen Volkes und als Träger des III. Reiches ist im Flammenmeer des II. Weltkrieges für immer untergegangen, um eben im gleichen gewaltigen Ringen zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsternis, trotz der Niederlage, wieder aufzuerstehen, diesmal als die zentrale Heilsidee der gesamten Arischen Nation und damit die Bewegung zur Wiedergeburt der Antike, des Abendlandes und des Reiches."56 NEONATIONALSOZIALISTEN beziehen sich auf bestimmte ideologische Elemente des Nationalsozialismus, wie einen übersteigerten Nationalismus, Antisemitismus, Antipluralismus, Sozialdarwinismus und Rassismus, als Teil einer völkischen Ideologie, die einen ethnisch homogenen Staat anstrebt und jeglichen Pluralismus als existenzbedrohend ansieht. NEONATIONALSOZIALISTEN definieren das deutsche Volk auf biologistischer Grundlage als höherwertige "Rassegemeinschaft", die es mit allen Mitteln zu retten gelte. Dem deutschen Volk gehöre danach an, wer zur "arischen Rasse" zähle. Es sei der "Wert des Blutes", "der uns Menschen gleicher Art und gleichen Kulturkreises" zusammenhalte.57 Die Demokratie wird von NEONATIONALSOZIALISTEN grundsätzlich abgelehnt: "Die Demokratie als Staatsentwurf ist und bleibt die Herrschaft der Minderwertigen". 58 Zur aktuellen Staatsordnung in Deutschland heißt es: "Das System hat keine Fehler, es ist der Fehler."59 Szeneangehörige glauben sich in einem existenziellen Endkampf "Gut gegen Böse": "Es geht darum, sich klarzumachen, dass wir als völkische Revolutionäre gegen ein System kämpfen, das so unvorstellbar böse und verbrecherisch ist, dass es dafür keine Worte gibt und das alle denkbaren Vorstellungen übertrifft."60 In ihren verschwörungstheoretischen Grundannahmen gehen NEONATIONALSOZIALISTEN von der Existenz eines "Plan[s] des Weltfeindes, unsere Art endgültig auszurotten" 61 aus. Diese Grund56 Der kleine Wegweiser der revolutionären Rechten, www.facebook.com/tpausch1, S. 42 (Stand: 9. September 2017) 57 N.S. HEUTE, Nr. 7, Januar/Februar 2018, S. 11f. 58 Der kleine Wegweiser der revolutionären Rechten, www.facebook.com/tpausch1, S. 12 (Stand: 9. September 2017) 59 Der kleine Wegweiser der revolutionären Rechten, www.facebook.com/tpausch1, S. 42 (Stand: 9. September 2017) 60 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 7 61 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 5 35 überzeugung manifestiert sich immer wieder in den sogenannten Volkstod-Kampagnen. Der Begriff "Volkstod", wie auch der oft verwendete Begriff der "Volksgemeinschaft", ist mit einem biologistischen Weltbild verbunden, das fremde Kulturen und damit auch Menschen mit Migrationshintergrund als minderwertig darstellt sowie von der Teilhabe an demokratischen Rechten ausschließt. NEONATIONALSOZIALISTEN verfügen über ein ausgesprochen elitäres Selbstverständnis; sie sehen sich als "höherwertige" Deutsche. Dies leiten sie aus ihren rassistischen Anschauungen und der Bezugnahme auf das "Dritte Reich" ab, dessen politisch-militärisches Hierarchieverständnis ("Führerprinzip") sie teilen. In diesem Zusammenhang grenzen sie sich auch von "neurechten", nichtextremistischen Bewegungen ab. Dazu hieß es in der Szene lapidar: "Patriot ist der, der zu feige ist, sich zum Nationalen Sozialismus zu bekennen".62 Dies und ihr rassistisches Weltbild erklären die hohe Bedeutung der Asylthematik für NEONATIONALSOZIALISTEN. Die Aufnahme von - von ihnen als rassisch minderwertig angesehenen - Menschen in Deutschland bedeutet für sie einen "Angriff" auf das von ihnen rassisch definierte deutsche Volk. Staatliche Institutionen, die dies aus ihrer Sicht zu verantworten haben, oder Menschen, die sich für Asylsuchende einsetzen, stellen für NEONATIONALSOZIALISTEN damit einen zu bekämpfenden "Feind" dar. Dieser "Feind" betreibe eine "Völkermordpolitik mittels gezielter Ansiedlung von Ausländern, die kulturell und rassebiologisch das Ende Deutschlands herbeiführen sollen."63 Aus Sicht der Szene gibt es darauf nur eine Antwort: "Die Frage, ob es für unsere Art noch eine Rettung gibt, bedarf erstmal der Erkenntnis, dass wir uns im Krieg befinden, und zwar kurz vor unserem endgültigen Niedergang. Wir müssen erkennen, wer wir sind und dass daraus die unbedingte Pflicht entsteht, für den Erhalt unserer Rasse zu kämpfen, bis zur letzten Konsequenz. Nur mit dieser Erkenntnis und dem daraus resultierenden, ewigen Willen der Natur zum Überleben, ist es uns möglich, diesen Krieg zu gewinnen."64 Die Migrationsbewegungen der jüngsten Vergangenheit und die islamistischen Anschläge bzw. Anschlagsversuche in Europa und Deutschland in den letzten Jahren erzeugten unter NEONATIONALSOZIALISTEN das Gefühl einer existenziellen Bedrohung. Der Ausbruch eines Bürgerkrieges in Deutschland ist für NEONATIONALSOZIALISTEN nur noch eine Frage der Zeit, gedanklicher Hintergrund für ihr Selbstverständnis und ihre Handlungen: "Und so wird es wohl einen Bürgerkrieg geben zwischen den Anhängern und Gegnern des Multikulturalismus/Kulturmarxismus und zwar nicht nur in Deutschland, nicht nur in Europa, sondern global".65 Szeneangehörige positionierten sich daher wiederholt in diffamierender, zum Hass aufstachelnder Weise gegen Flüchtlinge und Asylsuchende. Die Anwendung von Gewalt wurde dabei als legitim betrachtet. Die neonationalsozialistische Szenezeitschrift N.S. HEUTE bekräftigte im Jahr 2018, dass es kein Zusammenleben von Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen geben könne. Am Beispiel einer roten Waldameise, die getötet würde, wenn sie im Bau der schwarzen Waldameisen auftauche, hieß es: "Die Natur kennt hier kein Integrationsprogramm. Nur durch diese, manchen Zeitgenossen brutal vorkommende Notwendigkeit, wird der Fortbestand und die Weiterentwicklung einer Art ermöglicht".66 Die ideologische Haltung von NEONATIONALSOZIALISTEN ist grundsätzlich gewaltverherrlichend. Aus ihrer Sicht lassen sich die von ihnen verfolgten Ziele in letzter Konsequenz nur mit Gewalt umsetzen. Durch ihre sozialdarwinistische Grundüberzeugung, den Kampf um die Auslese der Besten, wird Gewalt auch nicht als notwendiges Übel, sondern als an sich gutes und der eigenen Überzeugung entsprechendes Mittel angesehen. Der Ton ist stets gewaltgeprägt: "Die revolutionäre Rechte kämpft für die von ihr gesteckten Ziele mit totalem Einsatz unter Einbeziehung aller ge62 www.facebook.com/nationalefrontbautzen (Stand: 29. April 2016) 63 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 6 64 N.S. HEUTE, Nr. 8, März/April 2018, S. 40 65 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 7; Anmerkung: Auf den Begriff des Kulturmarxismus bezog sich auch der norwegische Rechtsterrorist Anders Behring BREIVIK zur Rechtfertigung seiner Anschläge gegen Regierungseinrichtungen und ein Zeltlager der Jugendorganisation der Sozialdemokraten 2011 in Norwegen. 66 N.S. HEUTE, Nr. 7, Januar/Februar 2018, S. 34 36 botenen Mittel."67 Lediglich strategische Überlegungen - u. a. angestrebte Bündnisse mit Nichtextremisten - lassen NEONATIONALSOZIALISTEN, zumindest vorübergehend, zurückhaltender agieren. Grundsätzlich teilen sie daher auch eine positive Haltung zu Krieg und Gewalt zwischen den Völkern. So hieß es: "Zudem hat jedes Volk seine natürlichen wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen. Damit liegt es also in der Natur der Sache, dass die Völker Europas nie in völliger Harmonie und Konfliktfreiheit werden leben können - die Völker der Welt schon gar nicht."68 NEONATIONALSOZIALISTEN sehen sich als eine "Elite", die sich aktuell als verfolgte Minderheit betrachtet und daraus für sich "Notwehrrechte" ableitet. Es besteht daher häufig eine starke Affinität zu Waffen und Sprengstoffen. Bei polizeilichen Hausdurchsuchungen im Rahmen von Ermittlungsverfahren gegen Szeneangehörige wurden und werden immer wieder Waffen gefunden. In zahlreichen Einträgen in den sozialen Medien wird auch "der Kampf" als wesentlicher Bestandteil des Wirkens der neonationalsozialistischen Szene glorifiziert; entsprechend populär ist daher der Kampfsport. Eine sich hierbei in den letzten Jahren bundesweit etablierte Veranstaltungsreihe ist der "Kampf der Nibelungen" (KdN). Hierzu treffen sich jährlich Rechtsextremisten aller Bereiche der Szene, um gegeneinander zu kämpfen. Sie verbinden dies mit ihrer Ideologie und nutzen den Kampfsport verstärkt als körperliche Ertüchtigung für direkte Auseinandersetzungen, z. B. mit politischen Gegnern. Im Nachgang zur KdN-Veranstaltung des Jahres 2017 wurde von den Veranstaltern resümiert: "Die Zeiten haben sich geändert, es geht nicht mehr um Musik und Suff, sondern die deutsche Jugend steht auf. Sie geht in Fitnessstudios und Kampfsportschulen um sich auf das kommende gefasst zu machen. Denn die Zeiten werden nicht leichter, sondern härter und schlimmer." 69 Schwäche oder gar Behinderungen haben nach neonationalsozialistischer Überzeugung in der angestrebten "Volksgemeinschaft" keinen Platz. Vielmehr spielen die Förderung und Erhaltung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit eine tragende Rolle für das Ideal des "politischen Soldaten" nach dem Vorbild der Waffen-SS. NEONATIONALSOZIALISTEN vertreten überdies häufig revisionistische Ansichten und versuchen, durch eine Umdeutung der Geschichte die Verbrechen des NS-Regimes zu relativieren oder gänzlich zu leugnen. So glorifizieren sie mit alljährlichen "Heldengedenken" verstorbene Nationalsozialisten. Auch im Krieg getötete deutsche Soldaten werden ideologisch instrumentalisiert; der Zweite Weltkrieg wird dabei zum Verteidigungskrieg umgedeutet. Es werden ferner "Trauermärsche" organisiert. Dabei werden - unter Ausblendung der Rolle Deutschlands - westliche Demokratien, vor allem die der Vereinigten Staaten von Amerika (USA), wegen der Zerstörung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg als "Kriegsverbrecher" diffamiert. Herausragende Anlässe hierfür sind der 13. Februar in Dresden und der 5. März in Chemnitz. NEONATIONALSOZIALISTEN gehen strategisch vor und sind bestrebt, ihre Ideologie kontinuierlich zu verbreiten. Im Vordergrund stehen politische Aktivitäten sowie die Organisation rechtsextremistischer Veranstaltungen oder Propagandaaktionen, aber auch die interne ideologische Schulung der eigenen Mitglieder. Das strategische Verhalten der NEONATIONALSOZIALISTEN hat sich in den letzten Jahren erheblich gewandelt. Sie zielen nun auch verstärkt auf den "vorpolitischen Raum": "Wenn wir nicht anfangen, alle nur denkbaren Bereiche von Sportvereinen, Schützenvereinen, Boxund Kampfsportschulen, staatlichen Strukturen, gegnerischen Strukturen etc. zielgerichtet zu unterwandern, uns Informationen beschaffen, diese auswerten und darauf unser eigenes Verhalten ausrichten, werden wir auch weiterhin marginalisiert bleiben und nichts verändern können." 70 67 Der kleine Wegweiser der revolutionären Rechten, www.facebook.com/tpausch1, S. 18 (Stand: 9. September 2017) 68 N.S. HEUTE, Nr. 7, Januar/Februar 2018, S. 5 69 www.facebook.com/KDN2017 (Stand: 1. Dezember 2017); Schreibweise wie im Original 70 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 10 37 Dazu werden mittlerweile auch einige der früheren Kernüberzeugungen "angepasst", die einstmals prägend für das Selbstverständnis der NEONATIONALSOZIALISTEN waren: "Nationalisten waren von Anfang an skeptisch und misstrauisch, anstatt sofort und massiv die Spaziergänge71 zu unterstützen. Dogmatiker aus unseren Reihen störten sich an - im Gesamtzusammenhang gesehen - Kleinigkeiten (Stichwort: Hakenkreuz im Mülleimer, Philosemitismus, "patriotische Europäer" als ein Gegensatz, zweifelhafte Claqueure). Die große Chance, die sich hier bot, wurde erst zu spät erkannt."72 So wollen NEONATIONALSOZIALISTEN auch in Zukunft "zivilen Ungehorsam" üben und sich besonders auf Reaktionen nach islamistischen Anschlägen vorbereiten. Sie erklärten, dass es nach dem Anschlag vom 19. Dezember 2016 auf den Weihnachtsmarkt in Berlin "deutschlandweit Aktionen" hätte geben müssen. In Zukunft gelte: "Auf so etwas wie einen großen islamischen Anschlag muss der Widerstand vorbereitet sein".73 Ebenso wird empfohlen, Alltagssorgen der Menschen aufzugreifen und für die eigene Arbeit zu nutzen: "Es sind zumeist nicht die großen Themen der Politik, sondern vielmehr das Naheliegende, das, was die Menschen unmittelbar berührt und bewegt und was sich in ihrer Nachbarschaft ereignet. [...] So etwas gilt es unter der integrativen Organisationsform einer spontanen NAPO 74 zu instrumentalisieren. Es entstehen keine Vereinsstrukturen, die ansonsten vom Staat leicht zu verbieten wären".75 Auf dieser Grundlage fußen die sogenannten Einsickerungsbemühungen, bei denen sich NEONATIONALSOZIALISTEN gezielt in nichtextremistische Zusammenhänge begeben und versuchen, anschlussfähig für nichtextremistische Bevölkerungsteile zu werden. Hinsichtlich der konkreten Aktionen werden auch in der neonationalsozialistischen Szene mittlerweile "kreative, öffentlichkeitswirksame Aktionen" propagiert. Die IDENTITÄRE BEWEGUNG ist diesbezüglich trotz der ideologischen Unterschiede ein Vorbild.76 So wird etwa der Begriff der "Metapolitik"77 mittlerweile auch von NEONATIONALSOZIALISTEN aufgegriffen und als eine Strategie unter vielen angenommen.78 Personenpotenzial Wie bereits im Vorjahr ist das Personenpotenzial der NEONATIONALSOZIALISTEN auch im Jahr 2018 gestiegen. Der Anstieg erfolgte jedoch mit nachlassender Stärke. Dies begründet sich zum einen mit dem Rückgang der strukturellen Dynamik und zum anderen mit der Bindung von Personenpotenzial auf den sogenannten Mischveranstaltungen, wie dem "Schild und Schwert Festival" sowie sonstigen Musikund Kampfsportveranstaltungen. Zu diesen Veranstaltungen kommen Personen, die größtenteils der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene und dem unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zugerechnet werden können. Die Führungskräfte und Organisatoren dieser Veranstaltungen sind jedoch den NEONATIONALSOZIALISTEN bzw. den neonationalsozialistisch ausgerichteten rechtsextremistischen Parteien DER DRITTE W EG, NPD und DIE RECHTE zuzuordnen. Das Personenpotenzial ist relativ gleichmäßig über den Freistaat Sachsen verteilt. Wichtige Führungspersonen sind vor allem im Großraum Dresden, im Landkreis Bautzen und im Großraum Chemnitz ansässig. 71 Gemeint sind asylkritische Veranstaltungen in deutschen Städten seit 2014. 72 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 11 73 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 11 74 Gemeint ist wohl eine "nationale außerparlamentarische Opposition", Anm. der Herausgeber 75 N.S. HEUTE, Nr. 6, November/Dezember 2017, S. 7 76 N.S. HEUTE, Nr. 2, Mai/Juni 2017, S. 11 77 Der Begriff "Metapolitik" meint eine politische Strategie, die nicht darauf zielt, möglichst viele Mandate oder Ämter mit den eigenen Anhängern zu besetzen, sondern durch eine Beeinflussung der öffentlichen Diskussionen und Debatten das gesamtgesellschaftliche Meinungsklima im eigenen Sinne zu verändern. 78 N.S. HEUTE, Nr. 7, Januar/Februar 2018, S. 9 38 Anzahl der NEONATIONALSOZIALISTEN im Freistaat Sachsen 1200 970 1.000 1.000 980 1000 950 860 800 720 700 650 600 520 400 340 200 0 2007 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Strukturen Seit 2014 verzichten regionale neonationalsozialistische Gruppierungen in der Regel auf feste Strukturen. Damit hatte man Vereinsverboten entgehen und möglichst keine Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermittlungsverfahren bieten wollen. Im Gegenzug gewannen strukturarme Vernetzungsstrategien und ein erhöhtes Maß an Konspiration an Bedeutung. Das gemeinsame Agieren, die Vernetzung über Kennverhältnisse und insbesondere die ständige Verbindung über die sozialen Medien machten feste Organisationsstrukturen oder formale Mitgliedschaften entbehrlich. Dies erhöht außerdem die Fähigkeit der Szene, kurzfristige, anlassbezogene Aktionsformen in kürzester Zeit zu organisieren. Dieser Trend hielt auch im Jahre 2018 an. Die Strategien zum weiteren Vorgehen von NEONATIONALSOZIALISTEN in Hinsicht auf die Bildung von organisatorischen Rahmen haben sich weiter ausdifferenziert. Folgende Strategien von NEONATIONALSOZIALISTEN lassen sich feststellen: Eintritt in eine Partei oder in eine einer Partei zuzurechnenden Jugendorganisation Die einstmals besonders attraktive NPD und ihre Jugendorganisation JN spielen keine Rolle mehr. Seit Mitte des Jahres 2016 sind zahlreiche NEONATIONALSOZIALISTEN Mitglied oder Unterstützer der Partei DER DRITTE W EG. Bildung eigener, oft loser Strukturen aus Kennnetzwerken Eines der wenigen Beispiele für einen auch nach außen als erkennbare Struktur auftretenden Personenzusammenhang ist W IR FÜR LEIPZIG um den Leipziger NEONATIONALSOZIALISTEN Enrico BÖHM oder die FREIEN KRÄFTE MITTEL-/OSTSACHSEN. Diese Organisationsform ist jedoch nur noch die Ausnahme und auch die genannten Strukturen treten nur noch vereinzelt als solche mit ihnen zurechenbaren Aktivitäten in Erscheinung. Das Modell der Wahl ist eher der aus Kennverhältnissen gebildete Personenzusammenhang, der vor allem durch die sozialen Medien seine Wirkmacht entfaltet. Ein Beispiel hierfür ist die Internetseite "Balaclava Graphics" aus dem Landkreis Bautzen, auf welcher rechtsextremistische Inhalte verbreitet werden. anlassbezogene Gründung oder Reaktivierung von Organisationen Es gibt innerhalb der neonationalsozialistischen Szene einen deutlich feststellbaren Trend, anlassbezogen "Strukturen" zu gründen, teilweise auch nur zu simulieren, um unter einem Label eine Kampagne durchzuführen und Personen zu rekrutieren. Dies beruht häufig auf dem Geschick einzelner Führungspersonen und hat meistens keinen langfristigen Bestand. Dementsprechend konnte man in den vergangenen zwei Jahren diverse Personenzusam39 menschlüsse mit kurzer Dauer wahrnehmen. Beispiele hierfür sind KOPFSTEINPFLASTER, die ERZLICHTER oder das KOLLEKTIV OBERLAUSITZ. Formelle Auflösungen gab es jedoch nicht, sodass einmal etablierte Zusammenhänge auch jederzeit wieder reaktiviert und zu gegebenem Anlass teilweise große Wirkungen entfalten können. Bildung eigener strukturübergreifender Organisationen und Netzwerke Dies ist etwa beim noch Anfang 2017 aktiven ANTIKAPITALISTISCHEM KOLLEKTIV der Fall gewesen. Auch das 2016 aktive RECHTE PLENUM oder der im gleichen Jahr noch aktive WEIßE RABE gehörten in diesen Bereich. Diese Beispiele zeigen aufgrund ihrer nur sehr kurzen aktiven Zeit zugleich, wie flüchtig Strukturbildungsversuche innerhalb der neonationalsozialistischen Szene mittlerweile sind. Organisationsbildung durch Veranstaltungsreihen Aufgrund der äußeren strukturellen Schwäche der neonationalsozialistischen Szene wird diese heutzutage vor allem durch Kennverhältnisse und gemeinsames Agieren einzelner Szeneangehöriger geprägt. Entsprechend bilden sich greifbare Personenzusammenhänge vor allem im Zuge von regelmäßig wiederkehrenden Veranstaltungsformaten. Deshalb sind "Zeitzeugenvorträge", sogenannte Mischveranstaltungen, wie das "Schild und Schwert Festival", oder aber auch die Veranstaltungen von PRO CHEMNITZ ab August 2018 für die Szene von großer Bedeutung, da sie gleichzeitig eine dynamisierende Wirkung besitzen. Bei diesen "Ereignisreihen" wird die Szene gesammelt und das sonst "freischwebende" Personenpotenzial in eine gemeinsame Richtung gelenkt, die den Personenzusammenschluss ausmachen. So arbeiteten die Protagonisten von PRO CHEMNITZ mit überregional vernetzten muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten gegen Ende 2018 bei den Veranstaltungen in Chemnitz eng zusammen. Ebenso waren die Organisationsteams des TIWAZ79 zum Ende des Jahres zunehmend als Struktur wahrnehmbar; so wie diejenigen NEONATIONALSOZIALISTEN, die im Großraum Chemnitz 2018 zahlreiche "Zeitzeugenvorträge" durchführten. Engagement von NEONATIONALSOZIALISTEN in nichtextremistischen Aktivitäten ("Einsickerungsbemühungen") Der Begriff "Einsickerungsbemühungen" steht für das Phänomen, dass sich extremistische "Aktivisten" oft auch außerhalb konkreter rechtsextremistischer Strukturen in allgemeinen politischen Belangen (Asyl-, Drogen-, Sicherheitsthematik, Engagement für regionale Angelegenheiten etc.) engagieren. Nach außen ist dabei ein extremistischer Zusammenhang nicht erkennbar. Daraus kann die Gefahr erwachsen, dass nichtextremistische Vereine und Bürger dazu bewegt werden, rechtsextremistische Belange zu unterstützen. So streben Extremisten in bürgerlichen Vereinen Führungspositionen an, um diese dann ggf. zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts zu instrumentalisieren. Dieses Engagement entstammt den asylbezogenen Aktivitäten der Rechtsextremisten der vergangenen Jahre. Die Szene hat hier erkannt, welche Propagandaund Aktionsmöglichkeiten ihnen die Strategie der Verlagerung von Themenschwerpunkten auf allgemein politische Fragen wie der Integration, der politischen Unzufriedenheit oder auch der "Heimatpflege" bietet. Dazu werden entweder eigene Vereine gegründet oder rechtsextremistische Szeneangehörige engagieren sich in bereits bestehenden "Heimat-", "Traditionspflege-" oder sonstigen Vereinen. Bekannteste Beispiele hierfür sind: die Bildung des Vereines FREIGEIST durch den NPD-Kreisverbandsvorsitzenden Stefan HARTUNG, die Vorsitzfunktion des Rechtsextremisten Thomas WITTE beim nichtextremistischen Verein "Heimattreue Niederdorf" und die Aktivitäten des Rechtsextremisten Maik ARNOLD im nichtextremistischen Verein "Unsere Heimat unsere Zukunft" aus Oelsnitz (Erzgebirgskreis). Daneben existieren noch einige schon langjährig aktive neonationalsozialistische Organisationen, die sich nach wie vor ihren althergebrachten Betätigungsfeldern widmen. 79 siehe Abschnitt II.1.7.2 Stadt Chemnitz 40 Eine dieser Organisationen ist die GEFANGENENHILFE (GH). Nach dem Verbot der HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE UND POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. (HNG) im Jahr 2011 trat ab dem Folgejahr die GEFANGENENHILFE (GH) als Organisation für die Betreuung inhaftierter Rechtsextremisten in Erscheinung. Die GH ist ein in Schweden eingetragener Verein, dessen Hauptanliegen die finanzielle Unterstützung der Inhaftierten und ihrer Familien ist ("Gemeinschaft statt Isolation"). Die Gefangenenbetreuung hat für die rechtsextremistische Szene insbesondere wegen ihrer vernetzenden Wirkung eine wichtige Bedeutung. Kontakte, die im Rahmen der Betreuung entstehen und vertieft werden, bestehen oftmals auch nach der Inhaftierung fort. So dürfte die Betreuung dazu führen, dass sich die Inhaftierten weiterhin als ein Teil der "Gemeinschaft" fühlen und nach ihrer Inhaftierung meist wieder in die rechtsextremistische Szene zurückkehren. Aktivitäten Hinsichtlich ihrer Aktivitäten sind für die neonationalsozialistische Szene vor allem ihre "Einsickerungsbemühungen" und ihre Anschlusssuche an bzw. in die Zivilgesellschaft sowie ihre nach innen gerichteten "Sammlungsbemühungen" von entscheidender Bedeutung. Diese Entwicklungen werden bereits seit mehreren Jahren von der Szene vorangetrieben. Vorläufiger Höhepunkt waren die Ereignisse in Chemnitz seit August 2018. Dort gelang es der neonationalsozialistischen Szene, wie bereits 2016 in Bautzen, über einzelne Szeneakteure, wie Martin KOHLMANN und Robert ANDRES, den Verlauf der Ereignisse wesentlich zu beeinflussen. Dass es in Chemnitz der neonationalsozialistischen Szene gelang, das Tötungsdelikt für ihre Zwecke zu instrumentalisieren, hängt auch mit der strukturellen Unbestimmtheit der Szene zusammen. Auf der einen Seite kann dies als Schwäche angesehen werden, da eine klare Hierarchie in der Szene fehlt. Auf der anderen Seite ist es jedoch eine Stärke, denn es fehlen die in der Vergangenheit üblichen Vorbehalte zwischen den verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen. Gleichzeitig wurde auf durch die sozialen Medien verstärkte und beschleunigte Mobilisierungsmöglichkeiten zurückgegriffen. In der Folge kam es zu einer bundesweiten spektrenübergreifenden Zusammenarbeit der rechtsextremistischen Szene. Vor diesem Hintergrund konnte die neonationalsozialistische Szene großflächig anschlussfähige Protestveranstaltungen mit bundesweiter rechtsextremistischer Beteiligung durchführen, auf denen verschiedene Vertreter der neonationalsozialistischen Szene ihre rechtsextremistischen Positionen vor einem in großen Teilen bürgerlichen Publikum verbreiten.80 Auch die im direkten und indirekten Umfeld der Veranstaltungen sich ereignenden Straftaten gingen vielfach auf Angehörige der neonationalsozialistischen Szene zurück, die hier auch eine willkommene Gelegenheit für Gewalttaten und Ausschreitungen erblickten. Die rechtsterroristischen Bestrebungen der im Zuge dieser Ereignisse bekanntgewordenen Gruppe REVOLUTION CHEMNITZ gingen ebenfalls wesentlich von Angehörigen der neonationalsozialistischen Szene aus.81 Neben dem Demonstrationsgeschehen fanden sogenannte "Zeitzeugenvorträge" in nahezu allen Regionen des Freistaates Sachsen statt. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene spielen diese eine herausragende Rolle, um die rechtsextremistische Ideologie und Agitation historisch zu legitimieren. Mittels dieser Vorträge versichern sich Rechtsextremisten der eigenen Weltanschauung und fühlen sich in ihrem Handeln bestätigt. Dazu werden regelmäßig Personen eingeladen, die unkritisch und sämtliche Verbrechen ausblendend, vom nationalsozialistischen Deutschland als "gute, alte Zeit" berichten. Da die Szene dabei der eigenen Weltsicht angepasste Berichte aus der für sie identitätsstiftenden Zeit von 1933 bis 1945 erhält, gilt diesen Vorträgen zumeist ein hohes Interesse und eine starke - auch überregionale - Beteiligung. Im Berichtsjahr fanden solche "Zeitzeugenvorträge" u. a. in Leipzig, dem Vogtlandkreis, dem Großraum Dresden und dem Großraum 80 Für eine genauere Darstellung und Einordnung der Redeinhalte siehe Abschnitte II.1.4.7 Strategie im Fokus und II.1.7.2 Stadt Chemnitz. 81 siehe Abschnitt II.1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus 41 Chemnitz statt.82 Daran nahmen in der Regel bis zu 250 Personen teil, wobei der eigentliche Interessentenkreis diese Zahl noch überstieg. Aufgetreten sind dabei auch prominente Holocaustleugner, wie Ursula HAVERBECK (am 3. Februar in Leubsdorf, Lkr. Mittelsachsen) oder Udo WALENDY (am 10. März in Chemnitz). Bei diesen "Zeitzeugenvorträgen" war auch der Anmelder und Versammlungsleiter der Demonstrationen von PRO CHEMNITZ, Robert ANDRES, als Organisator aktiv. Dieser konnte sich dort überregional mit dem rechtsextremistischen Personenpotenzial vernetzen und sich als "Macher" von Szeneveranstaltungen behaupten. Zum Ende des Jahres 2018 begann ein neues Format der "Zeitzeugenvorträge". Nachdem bisher Personen zu Wort kamen, die das "Dritte Reich" noch aus eigener Anschauung erlebt haben, setzt die Szene seither auf "Zeitzeugen" aus der "Geschichte der Bewegung". Daher traten nun mehr Personen aus der jüngeren Vergangenheit der rechtsextremistischen Szene wie Arndt-Heinz MARX (Hessen) oder Wolfram NAHRATH (Brandenburg) auf, die seit Jahrzehnten in der rechtsextremistischen Szene aktiv sind und im Regelfall von militanten Aktivitäten in den 1970er bis 1990er Jahren berichten. Bisherige Themen waren die verbotenen Organisationen W EHRSPORT83 84 85 GRUPPE HOFFMANN , W IKING JUGEND , FREIHEITLICHE ARBEITERPARTEI (FAP) oder auch die Ereignisse um die rechtsextremistischen Szenegrößen Friedhelm BUSSE oder Michael KÜHNEN, die in den 1980er und 1990er Jahren eine herausragende Bedeutung für die rechtsextremistische Szene hatten. Letztgenannte traten auch mit rechtsterroristischen Bestrebungen in Erscheinung. KÜHNEN wird bis heute verehrt und hatte in den 1990er Jahren wesentlichen Anteil am Aufbau rechtsextremistischer Strukturen in den ostdeutschen Bundesländern. Als prominente Gäste nahmen an den "Zeitzeugenvorträgen" auch die im Rahmen des NSU-Prozesses86 verurteilten Ralf WOHLLEBEN und Andre E. teil. Offene Gewaltaufrufe wurden bei diesen Veranstaltungen bisher vermieden. Es kann aber nichtausgeschlossen werden, dass sich insbesondere jüngere Angehörige der rechtsextremistischen Szene die dargestellten Organisationen zum Vorbild nehmen könnten. Im Berichtsjahr war erneut ein großes Bedürfnis der Szene nach "Blutzeugen" und "Märtyrern" erkennbar. So wurden nicht nur die Verurteilten des NSU-Prozesses umsorgt. Für die 2018 inhaftierte Holocaust-Leugnerin Ursula HAVERBECK (Nordrhein-Westfalen) wurden zahlreiche Solidaritätskampagnen organisiert. Neben Demonstrationen vor ihrem Haftort in Nordrhein-Westfalen kam es auch im Freistaat Sachsen immer wieder zu Schmierereien ("Freiheit für Ursula HAVERBECK"). Hervorzuheben sind mehrmalige Solidaritätsaktionen von Rechtsextremisten anlässlich von Veranstaltungen der nichtextremistischen Pegida in Dresden. Auch in der Szenezeitschrift N.S. HEUTE wurden einige Ausgaben den "Blutzeugen" oder auch sonstigen "Märtyrern" der rechtsextremistischen Szene gewidmet.87 Ziel dieser Kampagnen ist die Weiterentwicklung der im Rechtsextremismus weit verbreiteten Opferhaltung in eine militante Richtung und die Uminterpretation der Bekämpfung rechtextremistischer Strukturen in eine heimtückische "Fememordkampag82 siehe Abschnitt II.1.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 83 Die W EHRSPORTGRUPPE HOFFMANN war eine militante rechtsextremistische Vereinigung die im Januar 1980 verboten wurde. Sie ist insbesondere für ihre militanten "Wehrsportübungen" bekannt. Außerdem hat eines ihrer Mitglieder am 26. September 1980 den Anschlag auf das Münchener Oktoberfest ausgeführt. Dieser war mit 13 Toten und 211 Verletzten der schwerste rechtsterroristische Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Am 19. Dezember 1980 verübte ein weiteres Mitglied der W EHRSPORTGRUPPE HOFFMANN einen Mordanschlag auf den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg sowie dessen Lebensgefährtin. 84 Die W IKING-JUGEND war eine neonationalsozialistische Jugendorganisation, die 1994 durch den Bundesminister des Innern verboten wurde. Sie orientierte sich an der HITLERJUGEND und war bei ihrem Verbot die größte neonationalsozialistische Jugendorganisation in Deutschland. 85 Die FREIHEITLICHE ARBEITERPARTEI (FAP) war ein rechtsextremistischer Verein, der im Jahr 1995 nach Absprechen der Parteieigenschaft durch das Bundesverfassungsgericht (1994) durch den Bundesminister des Innern verboten wurde. Zuvor war sie ein Auffangbecken insbesondere für militante Rechtsextremisten wie Michael KÜHNEN und Friedhelm BUSSE. 86 siehe Abschnitt II.1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus 87 N.S. HEUTE, Nr. 11, September/Oktober 2018, S. 21 ff. sowie N. S. HEUTE, Nr. 12, November/Dezember 2018, S. 20ff. 42 ne"88 gegen selbsternannte "Nationalisten". Darüber hinaus sind auch die beiden im NSU-Prozess Verurteilten Rechtsextremisten Andre E. und Ralf WOHLLEBEN wieder in der rechtsextremistischen Szene aktiv und nahmen in Sachsen an Szeneveranstaltungen teil. Weitere relevante "Sammlungspunkte" der Szene waren die sogenannten Trauermärsche89 und Heldengedenken90. Diese dienen der Zusammenführung der Szene und geben einzelnen Führungspersonen die Möglichkeit, signifikanten Einfluss auf große Teile der strukturell nicht klar verortbaren neonationalsozialistischen Szene zu gewinnen. Der in Sachsen bedeutende "Trauermarsch" findet jährlich anlässlich der Bombardierung der Stadt Dresden am 13. Februar 1945 statt. Im Jahr 2018 nahmen an der Veranstaltung der Dresdner Szenegröße Maik MÜLLER am 10. Februar 520 Personen teil (2017: 700). Eine weitere Veranstaltung des bayerischen Rechtsextremisten und Holocaustleugners Gerhard ITTNER am 17. Februar mit ca. 220 Teilnehmern wurde durch die Ordnungsbehörden aufgelöst. ITTNER war bereits im Jahr 2017 mit volksverhetzenden Redeinhalten bei dieser Veranstaltung aufgefallen. Darüber hinaus fand der jährliche "Trauermarsch" aus Anlass des Todestages von Rudolf HESS 91 am 18. August in Berlin mit ca. 700 Teilnehmern statt. Dabei kam es im Vorfeld zu Verwirrspielen mit dem politischen Gegner über den tatsächlichen Veranstaltungsort. Das "Heldengedenken" findet um den "Volkstrauertag" statt. Aus diesem Grund führt die Partei DER DRITTE W EG seit mehreren Jahren einen "Trauermarsch" in Wunsiedel (BY) durch, wo sich das ehemalige Grab von Rudolf HESS befand. Auch dort gab es bei der diesjährigen Veranstaltung am 17. November stagnierende Teilnehmerzahlen. Im Jahr 2018 wurden im November landesweit verschiedene kleine "Gedenkaktionen" von NEONATIONALSOZIALISTEN, der Partei DER DRITTE W EG oder subkulturell geprägten Rechtsextremisten wie der BRIGADE 8 oder den SCHLESISCHEN JUNGS ausgerichtet. Es handelte sich häufig um kleinere Propagandaaktionen an verschiedenen Denkmälern, an denen meistens Personenpotenziale im einstelligen bis unteren zweistelligen Bereich teilnahmen. Außer den Veranstaltungen im November gab es auch lokale "Heldengedenken", wie die jährliche Veranstaltung am 22. April in Niederkaina (Lkr. Bautzen), an der 2018 ca. 100 Personen teilnahmen. Ein weiterer Aspekt, der große Teile der neonationalsozialistischen Szene 2018 band, waren die großen "Mischveranstaltungen", wie das "Schild und Schwert Festival"92, welches im April und im November in Ostritz (Lkr. Görlitz) stattfand. Auch hier kam es zu einer "Sammlung" und - damit verbunden - zu einer Selbstbestätigung und Motivation der gesamten rechtsextremistischen Szene. 88 "Fememorde" sind politische Morde, die die Tötung von Angehörigen rechtsextremistischer Gruppierungen wegen ihrer Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden durch ebensolche Gruppenmitglieder in der Zeit der Weimarer Republik bezeichnet. Der Begriff wird auch als Synonym für "politisch motivierte Morde" verwendet. 89 Bei diesen revisionistisch geprägten "Trauermärschen" werden Ereignisse des Zweiten Weltkrieges zwecks Diffamierung der damaligen Alliierten herausgegriffen, um von den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands abzulenken. Sie dienen der Selbstbestätigung der Szene, der Propagierung ihrer rechtsextremistischen Ideologie und der faktischen Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus. 90 Beim "Heldengedenken" werden an Gedenkstätten für die während des Zweiten Weltkrieges gefallenen Soldaten einzelne rechtsextremistische Veranstaltungen durchgeführt. Dabei werden die Toten als "Helden" und "Kämpfer" im Sinne der rechtsextremistischen Szene propagandistisch vereinnahmt. Von landesweiter Bedeutung sind schließlich die Aktionen aus Anlass des "Volkstrauertages". Dieser dient eigentlich dem alle Völker vereinenden Gedenken an die Opfer von Krieg und Gewalt. Rechtsextremisten instrumentalisieren diesen Tag für sich, um Gedenkstätten (mit ausschließlich deutschen Gefallenen) zu reinigen und dort kleinere Propagandaveranstaltungen durchzuführen. Auch dies ist eine Aktivität, die die gesamte rechtsextremistische Szene verbindet. 91 Rudolf HESS spielte in dem Bestreben der rechtsextremistischen Szene, das nationalsozialistische Deutschland in ein positives Licht zu rücken, stets eine wichtige Rolle. Er wird wahrheitswidrig von der Szene dafür instrumentalisiert, das "Dritte Reich" als friedfertig darzustellen. Ebenso sind in der Szene Verschwörungstheorien um seine angebliche Ermordung im ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau verbreitet. Sie werden genutzt, um sich in HESS' Namen als "Opfer" "verbrecherischer Komplotte" darzustellen. Aus diesem Grund hat sein Todestag, der 17. August, für die rechtsextremistische Szene nach wie vor eine hohe Bedeutung. 92 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und II.1.7.5 Landkreis Görlitz 43 Gleichzeitig wurde durch ideologische Schulungen sowie Reden in Verbindung mit den (Kampf)Sportveranstaltungen die Aktionswie auch die Konfrontationsbereitschaft der Szene signifikant gesteigert. Eine weitere Aktivität der Szene ist die Organisation von Kampfsportveranstaltungen. Diese sind geeignet, die Militanzund Konfrontationsbereitschaft der Teilnehmer zu erhöhen. In Sachsen fanden 2018 zwei dementsprechende Ereignisse statt: Zunächst wurde am 9. Juni das TIWAZ (Untertitel: Kampf der freien Männer) in Grünhain-Beierfeld mit ca. 450 Teilnehmern durchgeführt.93 Dabei war sowohl die regionale als auch die überregionale Szene vertreten. Bei der Organisation waren neben anderen NEONATIONALSOZIALISTEN auch Robert ANDRES mit eingebunden, der spätere Anmelder und Versammlungsleiter der PRO CHEMNITZ-Demonstrationen. Entsprechend der neonationalsozialistischen Ausrichtung wurde innerhalb des TIWAZ ein "Zeitzeugenvortrag" veranstaltet. Des Weiteren wurde ein hoher Anteil an Anhängern der Partei DER DRITTE W EG beobachtet. Dies hängt damit zusammen, dass DER DRITTE WEG als eine Partei mit neonationalsozialistischer Ausrichtung wahrgenommen wird und über seinen eigenen Mitgliederstamm eine große Anhängerschaft in der neonationalsozialistischen Szene besitzt. An der Durchführung des TIWAZ waren auch die Macher des "Kampfes der Nibelungen" (KdN) beteiligt. Der KdN ist die renommierteste Kampfsportveranstaltungsreihe der Szene. Der KdN hat sich in den letzten Jahren zunehmend professionalisiert und seine Bekanntheit gesteigert. Er mobilisiert für seine Veranstaltungen in der Regel mittlere dreistellige Teilnehmerzahlen. Der KdN verfolgt auch das Ziel, Szeneangehörige ideologisch für körperliche Auseinandersetzungen zu trainieren. An den Veranstaltungen beteiligen sich NEONATIONALSOZIALISTEN, subkulturell geprägte Rechtsextremisten und Angehörige rechtsextremistischer Parteien, wie DIE RECHTE. Hinzu kommen international aktive Rechtsextremisten, wie der Ukrainer Dennis NIKITIN, der unter dem Label WHITE REX auftritt, oder französische Rechtsextremisten, die sich unter dem Label PRIDE FRANCE regelmäßig an Kampfsportveranstaltungen beteiligen. Darüber hinaus ist auch die enge Verbindung zu Rechtsextremisten aus der "Cottbusser Mischszene" 94 (Brandenburg) bemerkenswert. Im Jahr 2018 fand die jährliche KdN-Kampfsportveranstaltung in Sachsen statt. Sie konnte am 13. Oktober in Ostritz (Lkr. Görlitz) mit ca. 850 Personen überdurchschnittlich viele Teilnehmer mobilisieren.95Aufgrund der Attraktivität und den damit einhergehenden hohen Teilnehmerzahlen werden bei diesen Veranstaltungen regelmäßig beträchtliche Umsätze generiert. Neben "Spenden" für den Eintritt werden Umsätze durch den Vertrieb rechtsextremistischer Szeneartikel (T-Shirts, CDs, etc.) und durch den Verkauf von Essen und Getränken erzielt. Ein Teil dieses Geldes fließt in künftige Szeneaktivitäten. Auch dies erhöht die Handlungsfähigkeit der Szene. Die neonationalsozialistische Szene zeigte 2018 deutliche Anzeichen einer zunehmenden Militanzund Konfrontationsbereitschaft. Ihr gelang es gleichzeitig, ihre Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Kreise zu erhöhen und ihre Zusammenarbeit mit diesen sogar auszubauen. Die bereits 2017 dargestellten Wandlungsprozesse hinsichtlich der Vernetzungen und der "Einsickerungsbemühungen" in die nichtextremistische Zivilgesellschaft96 setzten sich fort. Ein Ausdruck dieser "Einsickerungsbemühungen" ist nach wie vor die Teilnahme an asylbezogenen Veranstaltungen. Dementsprechend waren auch sächsische Rechtsextremisten immer wieder am überregional bedeutsamen Demonstrationsgeschehen beteiligt. Dies betraf vor dem Tötungsdelikt in Chemnitz die Ereignisse in Cottbus97 (BB) und Kandel98 (RP). 93 siehe Abschnitt II.1.7.2 Stadt Chemnitz 94 Mit dem Begriff "Mischszene" wird die Verflochtenheit der verschiedenen rechtsextremistischen Akteure (Parteien, NEONATIONALSOZIALISTEN, subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene, Vertriebsszene, Kampfsportszene, Konzertszene etc.) im Cottbusser Raum bezeichnet. 95 siehe Abschnitt II.1.7.5 Landkreis Görlitz 96 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2017, S. 58 97 Seit dem Jahreswechsel hatte es in Cottbus vermehrt Auseinandersetzungen zwischen deutschen Staatsangehörigen und Menschen mit Migrationshintergrund gegeben. Dies wurde von einem regional 44 Ähnlich wie 2017 gab es auch im Berichtsjahr eine ganze Reihe nichtextremistischer Vereine und Initiativen, in denen Rechtsextremisten eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Die Ereignisse in Chemnitz haben hierbei eine neue Stufe deutlich werden lassen. Dort kam es zur teils offenen Verbindung zwischen neonationalsozialistisch-asylfeindlichem Spektrum und Teilen der asylkritischen, bürgerlichen Szene. So gelang es den in PRO CHEMNITZ99 aktiven Rechtsextremisten Martin KOHLMANN und Robert ANDRES ein breites nichtextremistisches Spektrum für ihre Veranstaltungen anzusprechen. Der Bautzener Rechtsextremist Simon RICHTER engagiert sich weiter auf einem von ihm erstellten Facebook-Profil "Gesellschaft der Rattenfänger". Dieses macht mit neonationalsozialistischen Propagandaäußerungen, wie der Verbreitung von Inhalten des oben zitierten "Kleinen Wegweisers der revolutionären Rechten" auf sich aufmerksam, erreicht derzeit aber nur eine geringe Außenwirkung. Sehr viel stärker in nichtextremistische Kreise wirkte im Berichtsjahr der rechtsextremistische Verein FREIGEIST aus dem Erzgebirgskreis. Dieser führte mehrere Veranstaltungen durch, wovon der "Freigeistige Sommerabend" am 30. Juni in Schwarzenberg (Erzgebirgskreis) mit 500 Personen die meisten Teilnehmer aufwies.100 Das gebotene Programm bestand aus NPD-Rednern, wie Mario LÖFFLER oder Stefan HARTUNG, der auch Vorsitzender des Vereins FREIGEIST ist, sowie Martin KOHLMANN von PRO CHEMNITZ. Am 20. Oktober wiederum beteiligten sich 300 Personen an einer Demonstration in Schwarzenberg (Erzgebirgskreis). Die Teilnehmerzahlen zeigen, dass es FREIGEIST gelungen ist, auch nichtextremistische Kreise für die eigenen Veranstaltungen zu mobilisieren. Diese Entwicklung ist auch Folge des langjährigen Engagements von Stefan HARTUNG, der bereits seit mehreren Jahren das Label "Freigeist" aufgebaut und unter diesem konstant die Zusammenarbeit mit der asylkritischen Szene gesucht hat. Dadurch ist es ihm gelungen, den Verein FREIGEIST als "harmlosen patriotischen" Verein darzustellen und sich in nichtextremistische Bewegungen einzufügen. Auf diese Weise kann rechtsextremistische Propaganda, wie etwa antisemitisch gefärbte Äußerungen über Verschwörungstheorien um einen amerikanischen Börsenmakler und sein zivilgesellschaftliches Engagement, direkt auf nichtextremistische Kreise einwirken. Dies ist das Ziel aller "Einsickerungsbemühungen". Die große Gefahr dieser "Erfolge" der rechtsextremistischen Szene ist, dass die Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten sowie die Verwendung rechtsextremistischer Ideologieinhalte und Begriffe "salonfähig" zu werden droht. Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, würden sich die Einflussmöglichkeiten und auch das Gefahrenpotenzial der rechtsextremistischen Szene beträchtlich erhöhen. Ausblick Die Dynamik im Veranstaltungsgeschehen hat sich gegenüber dem Vorjahr noch einmal verstärkt. Es ist deutlich erkennbar, dass die strukturell sehr flexibel gewordene neonationalsozialistische Szene ihren hauptsächlichen Halt im szeneinternen und asylbezogenen Veranstaltungsgeschehen findet. Dieser Bedarf wird auch weiterhin bestehen. Aufgrund des Aufwandes und der Angreifbarkeit von Großveranstaltungen ist nicht zu erwarten, dass sich deren Anzahl signifikant erhöhen wird. Gleichwohl werden diese weiterhin regelmäßig stattfinden. Im Jahr 2019 wird u. a. der für die Szene bundesweit bedeutsame "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) 101 in Chemnitz stattfinden. aktiven Verein genutzt, um regelmäßig asylkritische Demonstrationen durchzuführen. An diesen beteiligten sich auch zahlreiche Rechtsextremisten. 98 In Kandel kam es nach dem Mord an einer deutschen Staatsangehörigen durch einen afghanischen Asylbewerber im Dezember 2017 zu wiederholten asylkritischen Demonstrationen. An diesen beteiligten sich auch Rechtsextremisten. 99 siehe Abschnitt II.1.4.3 PRO CHEMNITZ 100 siehe II.1.7.4 Erzgebirgskreis 101 Seit 2009 veranstalten Rechtsextremisten jährlich den "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ). Dabei handelt es sich um eine bundesweit etablierte neonationalsozialistische Kampagne, in deren Rahmen Rechtsextremisten verschiedene Aktionen durchführen. Dazu zählten in der Vergangenheit u. a. Informationsveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen. Trotz aller Gegensätze und Differenzen versuchen die Organisatoren stets, die verschiedenen rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien zusammenzuführen. In den ersten fünf Jahren fanden die Versammlungen jeweils im norddeutschen 45 Außerdem dürfte zunehmend mit kleineren und auch mit Spezialveranstaltungen wie den Kampfsportveranstaltungen zu rechnen sein. Inhaltlich wird die neonationalsozialistische Szene ihren "Markenkern" weiterhin verstärkt nach außen stellen. Im Berichtsjahr war zu beobachten, dass propagandistische Äußerungen sehr viel entschiedener den Bezug zur Ideologie des Nationalsozialismus betonten. Diese inhaltliche Verschärfung dürfte sich auch 2019 fortsetzen. Im Handeln ist innerhalb der Szene eine sich teilweise verschärfende Gangart zu beobachten. Die umfängliche Befassung mit der militanten Vergangenheit der rechtsextremistischen Szene, wie auch das vereinzelt gewalttätige Vorgehen - so etwa 2018 in Chemnitz -, wird sich voraussichtlich 2019 fortsetzen; mit einem Anstieg der Gewaltbereitschaft ist demzufolge zu rechnen Die Asylthematik ist nach den Ereignissen von Chemnitz wieder deutlich in den Vordergrund getreten. Sie wird nicht allein das bestimmende Thema der Szeneaktivitäten sein, aber vor allem bei aktuellen Ereignissen als zentrales Handlungsmotiv dienen. NEONATIONALSOZIALISTEN werden in solchen Konfrontationslagen weiterhin versuchen, die Auseinandersetzungen anzuheizen und voranzutreiben. Da hierbei auch Rückgriff auf ein sachsenweit beträchtliches unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial genommen werden kann, muss mit einem hohen Eskalationspotenzial gerechnet werden. Auf dieser Basis besteht nach wie vor die Gefahr, dass sich Auseinandersetzungen, wie jene in Chemnitz, an anderen Orten in Sachsen wiederholen. Darüber hinaus wird die Szene weiter versuchen, die Vernetzung und die Anschlussfähigkeit untereinander, wie auch zu nichtextremistischen Organisationen zu festigen und zu verbessern. Ob es Rechtsextremisten gelingt, durch eine verstärkte Kooperation mit nichtextremistischen Initiativen und Kreisen die relevanten gesellschaftlichen Debatten im Kontext ihrer ideologischen Zielsetzung zu beeinflussen, hängt davon ab, inwieweit dieses Bestreben auf zivilgesellschaftliche Reaktionen trifft. Der strukturelle Neuaufbau der Szene ist vorerst zum Stillstand gekommen. Da sich bei einigen Gelegenheiten gezeigt hat, dass die bestehenden Strukturen, wie auch die Vernetzung über soziale Medien, vollkommen ausreichend für das Agieren der Szene sind, ist 2019 nicht mit einer Änderung dieser Situation zu rechnen. Damit besteht weiterhin eine hohe anlassbezogenen Reaktionsgeschwindigkeit der Szene, die mittlerweile durch die digitalen Medien von einer starken Mobilisierungsdynamik begleitet wird. 1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - Regionalgruppe Sachsen Gründung / Sitz: Oktober 2012, seit 2014 eingetragener Verein / Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) Vorsitz Bund: Daniel FIß Leiter Regionalgruppe Sachsen: Tony GERBER (bis Januar 2018) Alexander KLEINE, Martin BADER (ab Februar 2018) Publikation: IBD FÖRDERMAGAZIN Mitglieder 2018 in Sachsen: ca. 40 Mitglieder 2017 in Sachsen: ca. 40 Mitglieder 2017 bundesweit: ca. 500 Raum mit bis zu 700 Teilnehmern statt. Seit 2014 versuchten die Veranstalter, den TddZ auch in anderen Regionen zu verankern, hatten dabei aber mit sinkenden Teilnehmerzahlen zu kämpfen. Zuletzt wurden 2018 in Goslar 265 Teilnehmer gezählt. In Chemnitz ist jedoch wieder mit höheren Teilnehmerzahlen zu rechnen. 46 Historie und Strukturentwicklung Die IDENTITÄRE BEWEGUNG hat ihren Ursprung in Frankreich. Erstmals trat die IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IBD) im Oktober 2012 virtuell in Erscheinung, als sie ihre Positionen im Rahmen einer Facebook-Gruppe verbreitete. Indem sie Fremdenund Islamfeindlichkeit sowie systemkritischen Antiliberalismus thematisierte, erzielte die Facebook-Seite in kürzester Zeit eine große Unterstützung, die sich in zahlreichen Beiträgen, Kommentaren und "Gefällt mir"-Angaben (1.600 innerhalb der ersten drei Monate) widerspiegelte. Zeitgleich wurde ein Aufruf zur Bildung lokaler Untergruppen gestartet. Die Gründung dieser Gruppen sollte nach dem Motto "pro-lokal, anti-global" erfolgen. Seit 2014 ist die IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) ein eingetragener Verein in Deutschland. Vereinsvorsitzender ist der in Mecklenburg-Vorpommern wohnhafte Daniel FIß. Ebenfalls im Vereinsvorstand vertreten ist Nils ALTMIEKS aus Bayern. Symbol der IB ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets. Wahlweise wird es gelb auf schwarzem Grund oder schwarz auf gelbem Grund in einem Kreis dargestellt. Das Lambdazeichen trugen die Soldaten des antiken Sparta in einem populären amerikanischen Spielfilm zur Erkennung auf ihren Schilden. Die Auswahl des Symbols wird in einem Video der "Generation Identitaire" wie folgt begründet: "Das Lambda, das die Schilder der glorreichen Spartaner schmückte, ist unser Symbol. (...) Es bedeutet, dass wir nicht zurückweichen und nicht aufgeben! Wir sind euer Geplänkel leid und gehen keinem Kampf und keiner Herausforderung aus dem Weg!" Bundesweit ist die IB in diverse Regionalund Ortsgruppen gegliedert. Im Freistaat Sachsen verfügt sie Eigenangaben zufolge über Ortsgruppen in Leipzig, Zwickau, Dresden, Bautzen, Erzgebirgskreis und neu in Freiberg. Die angebliche Ortsgruppe Freiberg trat jedoch im Jahr 2018 nicht öffentlich in Erscheinung. Die Ortsgruppe Zwickau führte nach dem Rückzug des bisherigen Regionalleiters Tony GERBER aus der IDENTITÄREN BEWEGUNG Ende Januar 2018 ebenfalls keine öffentlichen Aktivitäten mehr durch. Im Gegensatz dazu verstärkte vor allem im 2. Halbjahr des Jahres 2018 die Ortsgruppe Bautzen ihre Aktivitäten deutlich.102 Das Personenpotenzial der IB Sachsen wird im Berichtsjahr auf etwa 40 Personen geschätzt. Über diese aktiven Mitglieder hinaus verfügt die IB über zahlreiche Unterstützer insbesondere in den sozialen Medien. Ideologie / Politische Zielsetzung Die IB ist bestrebt, ein Netzwerk des modernisierten Rechtsextremismus zu schaffen, um mit islamund fremdenfeindlichen Aktionen öffentliche Räume zu besetzen. Sie sieht sich selbst als "Europas am schnellsten wachsende patriotische Jugendbewegung". Die besondere Gefahr dieser Bewegung besteht in deren Vernetzungsund Integrationsfähigkeit. So bilden die Online-Präsenzen der IB einen zentralen Bestandteil eines sehr aktiven Netzwerkes, die sich aufeinander beziehen und einander zitieren, umso Botschaften zu verstärken und sie einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. So wird der Eindruck einer vielfältigen "alternativen Medienlandschaft" geschaffen und es ermöglicht, sich neue Nutzer zu erschließen. Mit ihrem maßgeblichen Ideologiefundament bezieht sich die IB auf eine ethnopluralistische Weltanschauung. Mit dem Begriff "Ethnopluralismus" wird ein Theoriekonzept bezeichnet, welches den für Rechtsextremisten typischen Rassismus neu und weniger angreifbar begründen soll. Wie "klassische Rassisten" behaupten auch "Ethnopluralisten", es gebe grundsätzliche und unveränderliche Eigenschaften von Menschengruppen. Jede Gruppe sei umso besser und stärker, je ähnlicher sich ihre jeweiligen Angehörigen seien. Die IB stellt daher das vermeintlich "Fremde" anhand von Merkmalen wie Kultur oder Religion in den Vordergrund und zieht daraus die Konsequenz 102 siehe Abschnitte II.1.7 Regionale Beschreibungen rechtsextremistischer Bestrebungen 47 einer erforderlichen Trennung von Ethnien und Religionsgemeinschaften. Die Idealvorstellung staatlicher bzw. gesellschaftlicher Ordnung besteht danach aus ethnisch und kulturell homogenen Staaten. Aus dieser Perspektive werden "Fremde", unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, als Störfaktor und als Bedrohung für die eigene Nation wahrgenommen. Deswegen will die IB ihnen nicht die gleichen Rechte zugestehen wie der kulturell homogen gedachten Restbevölkerung. Laut ihrer Satzung ist Zweck der IBD, "die Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern". Zur Durchsetzung beabsichtigt sie, den Weg einer außerparlamentarischen Opposition zu beschreiten sowie die Meinungsbildung durch öffentliche und medienwirksame Aktionen zu beeinflussen. Diese Strategie bezeichnet sie als "Metapolitik"103: Man brauche "nicht die absolute Mehrheit einer Partei, es braucht die Themenführung".104 "Alle Gesetze, die erlassen werden, müssen von der 'öffentlichen Meinung' akzeptiert werden. Die wahre Macht hat also derjenige, der diese Meinung, diesen Rahmen und mit ihnen die Marschrichtung der ganzen Gesellschaft vorgibt."105 Themen, wie der angebliche Verlust der eigenen "ethnokulturellen Identität", sowie Forderungen nach einer von der IB so bezeichneten "Remigration" als Rückführung von Asylbewerbern und auch Deutschen mit Migrationshintergrund sollen gesellschaftsfähig werden. Die sich daraus ergebende Ausgrenzung von Menschen - aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder kulturellen Wurzeln - ist ein bekanntes Merkmal rechtsextremistischer Ideologie, das mit der Achtung der Menschenwürde - einem wesentlichen Element der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - nicht vereinbar ist. Die Fokussierung auf die ethnokulturelle Identität als zentrales Zugehörigkeitsmerkmal zur Gemeinschaft steht im Widerspruch zum freiheitlichen Wesen des Grundgesetzes, das die Menschenwürde als Fixpunkt definiert. Das IB-Mitglied Mario MÜLLER schrieb in seinem 2017 veröffentlichten Buch "KONTRAKULTUR": "In den Medien, Schulen und Universitäten erzählt ihr uns täglich, daß Einwanderung Vielfalt, Bereicherung und Chancen mit sich bringe. (...) Tolerant sollen wir sein. Doch wenn ihr von Toleranz redet, dann meint ihr Selbstaufgabe. (...) Wir malen das Lambda, das Symbol des Widerstands, auf die Mauern unserer Stadt. Wir sind die Jugend, die sich wehrt. Weil es unser Land ist!" 106 Das Verwaltungsgericht München stellte der IBD in seinem Beschluss vom 27. Juli 2017 107 eine offenkundige fremdenfeindliche Tendenz und eine Nähe zur Programmatik der Konservativen Revolution108 fest, die in Teilen auch völkische Thesen vertrat. Zudem sind die teilweise martialisch formulierten Leitmotive ihrer Öffentlichkeitsarbeit ("Remigration", "Bevölkerungsaustausch stoppen", "Reconquista") sowie die erkennbare Nähe zum Volksbegriff-Konzept und zur Volkstumspolitik "traditioneller" Rechtsextremisten (NPD und Umfeld) in ihrer aktuellen Ausprägung wesentlich. Charakteristisch ist zudem der Demokratiebegriff der IBD, der sich stark auf antiliberale und identitäre Demokratiemodelle109 stützt. So halten die Vordenker der IB die pluralistische Demokratie, die 103 Der Begriff der "Metapolitik" bezeichnet eine politische Zielrichtung, die darauf gerichtet ist, gesellschaftliche Debatten in einem vorpolitischen Raum zu beeinflussen. 104 www.youtube.com, "Warum die AfD schon gewonnen hat.", veröffentlicht von Martin SELLNER am 19. September 2017 105 SELLNER, Martin: "IDENTITÄR!" Geschichte eines Aufbruchs!, Schnellroda 2017, S. 85, Schreibweise wie im Original 106 MÜLLER, Mario Alexander: "KONTRAKULTUR", Schnellroda 2017, S. 138f., Schreibweise wie im Original 107 Beschluss vom 27. Juli 2017, Az.: M 22 E 17.1861 108 Die "Konservative Revolution" bezeichnet eine intellektuelle Strömung mit antidemokratischem und insbesondere antiegalitärem Charakter in den 1920er und 1930er Jahren in Deutschland. 109 "Identitäre Demokratiemodelle" behaupten eine Identität zwischen Regierenden und Regierten in Denken und Handeln. Diese Identität wird meist mit einer "Gleichartigkeit" in Herkunft oder Wesen begründet. Auf Grundlage dieser Argumentation wird dann bspw. die Notwendigkeit von Wahlen bestritten, da "der Führer bereits denke und fühle, was das Volk wolle". Eine andere Spielart dieser Modelle fordert zwingend die tatsächliche Identität von Regierenden und Regierten. Konkretes Modell dieser Überlegungen ist bspw. eine "Rätedemokratie". 48 auf Interessenausgleich und Minderheitenschutz ausgelegt ist, für ein Zerrbild "echter" Demokratie, deren Legitimität gerade aus der Homogenität des Souveräns erwachse. Der Demokratie und dem Parlamentarismus bundesrepublikanischer Prägung haftet für die IBD dagegen der Makel an, dass lediglich Partikularinteressen verfolgt würden, statt den "wahren Volkswillen" abzubilden und umzusetzen. Zur ideologischen Begründung bezieht sich die IB vor allem auf Vordenker des Nationalsozialismus wie Carl SCHMITT oder des italienischen Faschismus wie Julius EVOLA. Aktivitäten Zentrales Element der IBD-Strategie neben aufsehenerregenden Einzelaktionen 110 war auch im Jahr 2018 die Kampagnenarbeit. Mittels der gezielten Besetzung bestimmter Themen und ihrer öffentlichen Darstellung mittels Aktionen sollte in der Gesellschaft ein Bewusstsein im Sinne der IB geschaffen werden. Begriffe prägen und aktiv verändern ist ein erklärtes Ziel der IB: "Kampagnen sind daher erst das, was die Arbeit der Identitären Bewegung langfristig macht: Einzelne Aktionen sind metapolitische Nadelstiche gegen das Establishment, um aber über einen größeren Zeitraum hinweg eigene Begriffe zu etablieren, "feindliche" Narrative zu zerstören und einen realpolitischen Wandel zu erreichen, müssen Aktionen zu Kampagnen verbunden werden. Dementsprechend muss dann auch die Zielsetzung einer jeden Kampagne darauf ausgelegt sein, eine dieser drei Aufgaben zu erfüllen (...)."111 Die IBD führte ihre bereits 2017 begonnene Kampagne "DEFEND EUROPE" im Jahr 2018 mit der Aktion "Mission Alpes" fort. Ziel der Aktion war es, "sowohl mit einem Flugzeug als auch mit Teams am Boden weiter das Grenzgebiet (zu überwachen), um illegale Migranten auf ihrem Weg nach Frankreich frühzeitig zu entdecken." Außerdem wurde ein übergrößes Transparent mit der Aufschrift "Closed Border...Homeland" gezeigt. Eine umfangreiche Online-Berichterstattung in Wort, Bild und Ton war, wie im Vorjahr, wichtiger Bestandteil dieser Kampagne. Weitere Kampagnen führte die IB 2018 unter den Slogans "120 Dezibel"112 und "Migrationspakt stoppen"113 durch. Sie verfügt über zahlreiche eigene Webseiten, Twitter-, YouTubeund Instagram-Accounts, Blogs sowie Profile auch in diversen anderen sozialen Netzwerken. Die Internetauftritte dienen vor allem dem Zweck, mit Texten, Videos und Fotos über Aktionen in der Realwelt sowie über die Ziele der IBD zu informieren und zur Meinungsbildung im Sinne der Organisation beizutragen. Die IB setzt dabei auf eine Symbolik mit hohem Wiedererkennungswert und betrachtet sich selbst als elitäre Avantgarde, wobei sie sich nach außen von traditionellen rechtsextremistischen Gruppierungen abgrenzt. Ende Mai 2018 nahm der Netzwerkbetreiber Facebook die Löschung einer Vielzahl von Profilen von Strukturen und Akteuren der IB auf Facebook und Instagram vor. Mit dieser Löschung sind der IBD die wichtigsten Plattformen für ihre Öffentlichkeitsarbeit genommen worden. Die beworbene Alternative v-Kontakte (vk.com), das russische Pendant zu Facebook, erhielt nicht annähernd einen vergleichbaren Zuspruch, ebenso wie die Profile auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. 114 Für die IBD als einer auf öffentliche Aufmerksamkeit ausgerichtete Organisation wogen der Wegfall ihrer Social-Media-Auftritte und die damit verbundene geringer werdende mediale Resonanz von ihren durchgeführten Aktionen schwer. Daher widmeten sie sich dem Projekt "Okzident Media", das mit Podcast, Blog und Informationsvideos diesen Rückschlag auffangen soll. Angestrebt wird zudem die Entwicklung der Nachrichten-App "Okzident News". Seit Juni 2018 versuchte die IB zudem, mit dem Konzept der sogenannten IB-Zonen, den Diskursraum unter dem Motto "Deutschland, wir müssen reden!" aus den sozialen Medien heraus mittels 110 siehe u. a. Abschnitte II.1.7.1 Landkreis Bautzen und II.1.7.7 Stadt Leipzig 111 IBD FÖRDERMAGAZIN, 01/ 2018, S. 5. 112 Die Kampagne "120 Dezibel" ging am 30. Januar 2018 online. Benannt nach der Lautstärke eines handelsüblichen Taschenalarms, ruft sie Frauen dazu auf, unter dem Hashtag #120db ihre Erfahrungen mit "Überfremdung, Gewalt und Missbrauch" zu schildern und im Internet zu verbreiten. 113 Die Kampagne der IB ist gegen die Unterzeichnung des UN-Migrationspaktes gerichtet. 114 siehe Abschnitt II.6. Onlineaktivitäten von Extremisten 49 Kundgebungen und Infoständen auf die Straße zu verlagern. In Dresden fand in diesem Zusammenhang am 7. Juli 2018 eine Kundgebung "Heimat erhalten, Zukunft gestalten" statt. Die Akteure der IB zogen anschließend mit ihren Werbematerialien weiter nach Bautzen auf den dortigen Hauptmarkt. Eine weitere Kundgebung zum Thema "Europa Nostra" führte die IB SACHSEN am 4. August 2018 zunächst auf der Prager Straße, später auf dem Dr.-Külz-Ring in Dresden durch. Neben einer Schaffung eines Nachrichtennetzwerkes im Internet strebt die IB auch eine Vernetzung von rechtsextremistischen und nichtextremistischen Akteuren vor dem Hintergrund der Asylthematik in der Realwelt an. Sie veranstaltete mit dem "patriotischen Widerstandsund Vernetzungstreffen" am 25. August 2018 in Dresden erstmalig eine Großkundgebung mit umfangreichem Rahmenprogramm. Motiv für eine derartige Veranstaltung waren zum einen die Löschungen bei Facebook und zum anderen der Ablauf der Demonstrationen in Wien 2016 und Berlin 2017. Aufgrund von Gegenprotesten, organisatorischen Mängeln und einer erkennbaren Mobilisierungsschwäche konnte die IB ihre Demonstration 2017 nicht wie geplant durchführen. Bewusst habe man daher im Jahr 2018 die sächsische Landeshauptstadt als Ort für eine Großveranstaltung gewählt. Die IB beschreibt Dresden als "Hauptstadt des Widerstandes" und begründet dies mit den montäglichen nichtextremistischen Pegida-Veranstaltungen. Anmelder der öffentlichen Versammlung unter dem Motto "Europa Nostra - Identität verteidigen - Heimat bewahren" war der Vorsitzende des IB DEUTSCHLAND e. V. Daniel FIß. Die Versammlung wurde umfangreich in den sozialen Medien und von IBFunktionären auf den montäglichen nichtextremistischen Pegida-Demonstrationen beworben. Mit 350 Personen (Polizeiangabe) nahm jedoch nur die Hälfte der erwarteten Teilnehmer teil. Die IB selbst spricht von mehr als 650 Besuchern. Die Redner stammten aus den Reihen der IB bzw. aus deren Unterstützerumfeld. Generell stellte es sich als Vernetzungstreffen der IB-Anhänger wie auch der Unterstützer der IB in anderen Organisationen dar. Insbesondere die IB Österreich war mit mehreren ihrer Führungspersonen im Programm vertreten. Auf dem Gelände befanden sich Verkaufsbzw. Informationsstände, u. a. von Kampagnen, Verlagen und Modelabels der IB bzw. aus deren Umfeld. Während der Veranstaltung wurden mehrere Pressevertreter durch Ordner und IB-Teilnehmer bedrängt und an ihrer Arbeit gehindert. Die Teilnehmerzahl und auch der Werbeerfolg der Veranstaltung blieben deutlich unter den Erwartungen. Videound Bildveröffentlichungen zufolge nahmen viele ältere Menschen teil. Das bedeutet, die IB konnte ihr eigentliches Mitgliederpotenzial nicht im größeren Umfang nach Dresden mobilisieren. Ausblick Mit ihren Aktionen und Auftritten in den sozialen Medien knüpft die IB bewusst an die Lebenswelten junger Menschen an. Wegen der Vermittlung einer entsprechenden "Corporate Identity" erscheinen dieser Zielgruppe die vermittelten politischen Ziele weniger abstrakt und theoretisch. Da sich diese Gruppierung nicht mit den üblichen rechtsextremistischen Slogans und Symbolen inszeniert, ist ihre ideologische Ausrichtung nicht immer sofort erkennbar. Daher besteht die Gefahr, dass sich auch gesellschaftliche Milieus angesprochen fühlen, die traditionelle Rechtsextremisten bislang nicht erreichen konnten. Nach der Versammlung "Europa Nostra - Identität verteidigen - Heimat bewahren" am 25. August 2018 in Dresden betonte die IB, sie wolle dieses neue "Format des Widerstands und der Gegenkultur" weiterentwickeln sowie auch im nächsten Jahr wieder veranstalten. Ein Veranstaltungsort wurde dafür bislang noch nicht bekannt gegeben. Im Freistaat Sachsen stand die IB durch den am 29. Januar 2018 verkündeten Rückzug ihres Regionalleiters Tony GERBER vor einem Führungswechsel. Die neue Regionalleitung sowie die Organisation und Durchführung der öffentlichen Versammlung am 25. August 2018 brachten jedoch keine Impulse für eine sachsenweite Etablierung der IB. Wie auch bei anderen Gruppierungen 50 hängt die Entwicklung der einzelnen Ortsgruppen derzeit stark vom jeweiligen Engagement einzelner Personen ab. 1.4.3 PRO CHEMNITZ PRO CHEMNITZ ist eine Wählervereinigung aus Chemnitz. Ihre wesentlichen Hauptakteure sind Martin KOHLMANN und Robert ANDRES. Beide sind als langjährige Rechtsextremisten bekannt. Sie unterstützten u. a. die bekannte Holocaust-Leugnerin Ursula HAVERBECK und beteiligten sich an der Organisation der rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltung TIWAZ im Juni 2018 im Erzgebirgskreis.115 Angehörige von PRO CHEMNITZ führten seit dem Tötungsdelikt in Chemnitz am 26. August 2018 zahlreiche rechtsextremistische Aktivitäten mit überwiegend bürgerlicher Beteiligung durch und verbreiteten rechtsextremistische Inhalte. Bereits für den 27. August 2018 meldete der langjährig bekannte Neonationalsozialist Robert ANDRES eine Versammlung unter dem Motto "Sicherheit für Chemnitz" an. An dieser beteiligten sich zahlreiche Rechtsextremisten aus allen Bereichen des parteigebundenen und parteiungebundenen Spektrums. Insgesamt konnten ca. 6.000 Teilnehmer, darunter ein großes bürgerliches Personenpotenzial, mobilisiert werden. Als Redner trat der Rechtsextremist Martin KOHLMANN von PRO CHEMNITZ auf. Er bediente sich stereotyper fremdenfeindlicher Argumentationsmuster und rechtsextremistischer Propagandavokabeln, die einen Gewalt legitimierenden Charakter aufwiesen.116 Seit dem 30. August 2018 führte PRO CHEMNITZ regelmäßig Veranstaltungen unter dem Motto "Sicherheit für Chemnitz" durch. Beteiligten sich im September 2018 durchschnittlich 2.500 Personen, waren es im Dezember 2018 noch 250 Personen. Die auf den Demonstrationen auftretenden Redner wiesen häufig einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. So sprachen etwa ein hauptsächlich in Sachsen-Anhalt aktiver Rechtsextremist oder auch der Vorsitzende eines NPDKreisverbandes Stefan HARTUNG. Auch bei diesen Reden wurden teilweise rechtsextremistische Inhalte verbreitet. Weitere überregional aktive Redner mit rechtsextremistischem Hintergrund aus Sachsen, Thüringen und Brandenburg belegen die Einbindung von PRO CHEMNITZ in die bundesweiten Vernetzungsaktivitäten muslimenund fremdenfeindlicher Rechtsextremisten.117 Bei den Demonstrationen wurden wiederholt rechtsextremistische Äußerungen und Symbole festgestellt. Auch kam es mehrfach zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Übergriffen. Im Zusammenhang mit Restaurants jüdischer oder nichtdeutscher Betreiber kam es zu Sachbeschädigungen und Angriffen auf Personen. Höhepunkt der Gewalttaten war hierbei ein Vorkommnis am 14. September 2018 auf der Schlossteichinsel in Chemnitz. Dort kam es nach Ende der Veranstaltung von PRO CHEMNITZ zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Tatverdächtiger und einer siebenköpfigen Personengruppe, darunter Menschen mit Migrationshintergrund. Die Ermittlungen zu diesem Sachverhalt führten zur Aufdeckung der Gruppe REVOLUTION CHEMNITZ, die verdächtigt wird, eine schwere, rechtsterroristisch motivierte Straftat zum Tag der deutschen Einheit geplant zu haben. Der Generalbundesanwalt leitete gegen sie ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB ein.118 115 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 116 Für eine genauere Darstellung und Einordnung dieser Rede und weiterer relevanter Aktivitäten im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chemnitz siehe die Abschnitte II.1.4.7 Strategie im Fokus, II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen und II.1.7.2 Stadt Chemnitz. 117 siehe die Abschnitte II.1.4.7 Strategie im Fokus 118 siehe Abschnitte II.1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus und II.1.7.2 Stadt Chemnitz 51 Künftig wird PRO CHEMNITZ voraussichtlich weiterhin versuchen, Ereignisse mit Asylbezug zur Mobilisierung für eigene Veranstaltungen zu instrumentalisieren. Daneben dürfte die Wählervereinigung bemüht sein, die mittels der Veranstaltungen des Jahres 2018 angesprochenen und mobilisierten nichtextremistischen Bürger auch dauerhaft für das eigene Wirken zu gewinnen. In diesem Sinne ist zu erwarten, dass die Bestrebungen zum Jahresende 2018, die Demonstrationen durch regelmäßige Zusammenkünfte in einem festen Treffobjekt zu ergänzen, fortgesetzt werden. Bei einer ähnlich gelagerten Ereigniskonstellation wie im August 2018 kann es PRO CHEMNITZ erneut gelingen, hohe Teilnehmerzahlen für die eigenen Veranstaltungen zu mobilisieren. Ebenso ist zu erwarten, dass PRO CHEMNITZ die Zusammenarbeit mit überregional aktiven Akteuren und Strukturen muslimund fremdenfeindlicher Rechtsextremisten fortsetzen und für neue Kampagnen auf diese zurückgreifen wird. 1.4.4 Subkulturell geprägte Gruppierungen Die Aktivitäten der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN zielen gegenüber jenen der NEONATIONALSOZIALISTEN weniger nach außen, sondern dienen dem gemeinsamen Erlebnis und der Pflege des Gemeinschaftsgefühls. Sie sind auch weniger an ideologischen Schulungen interessiert, jedoch orientieren sie sich an der Ideologie der NEONATIONALSOZIALISTEN. Sie verfügen dementsprechend über ein von Chauvinismus, Fremdenhass sowie Rassismus geprägtes Weltbild und neigen beim Aufeinandertreffen mit politischen Gegnern oder Menschen, die in der rechtsextremistischen Szene als Feindbilder angesehen werden, zu spontanen Gewalttaten. Dies leben sie aber eher unreflektiert aus und legen weniger Wert darauf, sich in einer Struktur zusammenzuschließen. Ihre extremistische Grundhaltung zeigt sich vor allem bei erlebnisorientierten Freizeitaktivitäten, wie dem Durchführen oder Besuchen rechtsextremistischer Szeneveranstaltungen, bei denen vor allem der Freizeitcharakter im Vordergrund steht. SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN - auch solche, die in Gruppierungen aktiv sind, - sind Teil einer lebendigen Subkultur und stellen einen großen Teil des rechtsextremistischen Personenpotenzials. Strategische Überlegungen sind ihnen eher fremd. Gewaltbereitschaft, Kurzschlussreaktionen und impulsgesteuertes Handeln sind für diese Szene charakteristisch. Das macht sie schwer berechenbar und verursacht ein nicht unbeträchtliches Gefahrenpotenzial. Die Bildung neonationalsozialistischer Strukturen beginnt oft innerhalb der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene, in welcher sich Personennetzwerke intensiv einer gemeinsamen Freizeitgestaltung widmen. Dabei kommt es nicht zwangsläufig zu festen Strukturen wie Kameradschaften und ähnlichen Verbänden. Eher handelt es sich um sich festigende Personenkreise, die wegen der Nutzung sozialer Medien kaum ein Bedürfnis nach weiterer Verfestigung empfinden. Solche Prozesse verlaufen wechselhaft: Ergibt sich die Notwendigkeit, unter einem klaren "Label" aufzutreten strukturiert sich die Szene etwas fester; besteht dazu jedoch kein dringender Bedarf mehr, verfallen die gebildeten Strukturen wieder in Inaktivität. Eine wichtige Rolle spielen dabei neben bestehenden Kennverhältnissen das Vorhandensein geeigneten Führungspersonals, das Vorhandensein einer Treffgelegenheit und regelmäßig wiederkehrende Ereignisse, die die beteiligten Personen immer wieder zusammenführen. Personenpotenzial Zu den in subkulturell geprägten Strukturen aktiven Rechtsextremisten werden 300 Personen gerechnet. Dies entspricht einem Anstieg um 25 % gegenüber 2017 (240 Personen). Diese Steigerung geht im Wesentlichen auf die weiter zunehmenden Aktivitäten der BRIGADE 8, der SCHLESISCHEN JUNGS NIESKY und der rechtsextremistischen Fußballfangruppierungen zurück, was die Dynamik der Szene belegt. Schwerpunkte der Szene 2018 waren Ostsachsen, der Dresdner Raum und der Großraum Chemnitz. 52 Strukturen und Aktivitäten Struktureller Schwerpunkt der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene bleiben die rockerähnlichen Strukturen, die vor allem in Ostsachsen beheimatet sind sowie die rechtsextremistischen Fußballanhängergruppierungen. Die Bildung rockerähnlicher Strukturen ist in Ostsachsen keine neue Erscheinungsform. Herausragende Vertreter sind die BRIGADE 8 aus Mücka (Lkr. Görlitz) und die ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) aus Bautzen. Die Führungsfigur nennt sich jeweils "President", die Gruppenangehörigen werden u. a. als "Member" bezeichnet. Dieses Auftreten soll jedoch darüber hinwegtäuschen, dass es sich um typische, subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppen handelt. Tatsächlich bestehen die Aktivitäten im Wesentlichen in der Durchführung rechtsextremistischer Musikund Freizeitveranstaltungen. Die seit fünf Jahren bestehende BRIGADE 8 zog zu Beginn des Jahres 2017 von Weißwasser nach Mücka (beide Lkr. Görlitz). Es handelt sich um einen bundesweit aktiven subkulturell geprägten Personenzusammenschluss mit neonationalsozialistischen Tendenzen. Die BRIGADE 8 ist eines von mehreren "Chaptern" (Ablegern) dieser bundesweit bestehenden Gruppierung. Dem "Chapter" in Weißwasser werden etwa 40 Personen (2017: 30) zugerechnet. Personen der BRIGADE 8 sind gut vernetzt, denn sie verfügen über Verbindungen in die bundesweite rechtsextremistische - vor allem neonationalsozialistische - Szene. Außerdem wurden Kontakte zwischen der BRIGADE 8 und Personen, die unter dem Label "Combat 18" (C18) auftreten, festgestellt 119. In einem angemieteten Objekt in Mücka findet ein Großteil der Aktivitäten dieser Gruppierung statt. Dabei handelt es sich um regelmäßige Zusammenkünfte mit oftmals rechtsextremistischer musikalischer Begleitung, die sich auch überregional wachsender Beliebtheit erfreuen. Auch in Brandenburg haben sich mittlerweile BRIGADE 8-Strukturen gebildet. Stark nachgelassen haben im Berichtsjahr demgegenüber die Aktivitäten von ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE). Nachdem die Gruppe während der Ereignisse in Bautzen im September 2016 noch aktiv gewesen war und im März 2017 für eine Feier rund 130 Personen hatte mobilisieren können, waren 2018 kaum noch Aktivitäten feststellbar. Nach wie vor werden der Gruppierung jedoch ca. 30 Personen zugerechnet. Eine weitere Gruppierung, die sich mittlerweile aufgelöst hat, ist die KAMERADSCHAFT STOLZ UND EHRE aus Großröhrsdorf (Lkr. Bautzen). Die ehemaligen Angehörigen dieser Gruppierung sind nun entweder bei regionalen neonationalsozialistischen Gruppierungen aktiv oder dem Bereich des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials zuzurechnen. Mit nur kleineren szenetypischen Aktivitäten trat im Berichtsjahr die Gruppierung PECKERWOOD BROTHERHOOD (Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) auf. Dieses Personenpotenzial unterstützt außerdem die Aktivitäten der NPD wie auch der lokalen neonationalsozialistischen Szene. Dynamischer entwickelten sich hingegen die Aktivitäten der SCHLESISCHEN JUNGS NIESKY wie auch des NATIONALEN JUGENDBLOCKs in Zittau (beide Lkr. Görlitz). Nach langen Jahren kaum feststellbarer Aktivitäten traten beide Gruppierungen wieder verstärkt mit der Durchführung von Freizeitund Konzertveranstaltungen in Erscheinung. Der NATIONALE JUGENDBLOCK konnte für seine Veranstaltungen ein Personenpotenzial im niedrigen dreistelligen Bereich versammeln, was verdeutlicht, dass er als Kristallisationspunkt für ein weit größeres unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial dienen kann. Einen weiteren wichtigen Bereich der Szene stellt die ANTI-ANTIFA-GRUPPE dar. Infolge einer zunehmenden Politisierung der Szene in den vergangenen Jahren suchten Anhänger ein verstärktes politisches Engagement. Zumeist geschieht dies im Umfeld anderer - nicht zwingend extremisti119 "Combat 18" war in der Vergangenheit der militante Arm der 2000 verbotenen rechtsextremistischen Gruppierung BLOOD & HONOUR. 53 scher - Organisationen, sofern es die Szene aus ideologischen oder anderen Motiven für sinnvoll erachtet, dort in Erscheinung zu treten. Der Personenkreis der ANTI-ANTIFA-GRUPPE trat so u. a. in einheitlicher Oberbekleidung mit dem Symbol eines Reichsadlers über einem Schlagring und der Aufschrift "Anti-Antifa" bei asylbezogenen Veranstaltungen verschiedener Initiativen auf und provozierte dort politische Gegner. Bei solchen konfrontativen Begegnungen kommt die hohe latente Gewaltbereitschaft der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zum Ausdruck. Die ANTI-ANTIFA-GRUPPE war im Jahr 2018 innerund außerhalb Sachsens aktiv. Die in subkulturellen Gruppierungen aktiven rechtsextremistischen Fußballanhänger sind ebenfalls stark von den Politisierungsprozessen der vergangenen Jahre geprägt. Dies gilt insbesondere für die zum Fanumfeld des Chemnitzer FC zählenden Gruppierungen NEW SOCIETY (NS-BOYS) und KAOTIC sowie BLACK DEVILS aus Hoyerswerda. Die Bildung und Auflösung von Gruppierungen verläuft dynamisch: Zahlreiche in der Vergangenheit aktive Gruppierungen traten in den letzten Jahren nicht mehr in Erscheinung. Dies betraf vor allem FAUST DES OSTENS (Dresden) und SCENARIO LOK (Leipzig). Der hohe Anteil der auch als Fußballanhänger in Erscheinung tretenden Rechtsextremisten bei den rechtsextremistischen Ausschreitungen in Heidenau und Freital 2015, in Leipzig-Connewitz im Januar 2016 wie auch die Rolle dieser bei den Ereignissen in Chemnitz seit August 2018 macht jedoch deutlich, dass es sich trotz struktureller Schwächen um ein großes, gewaltbereites und aktiv die Konfrontation suchendes Personenpotenzial handelt. Für eine Versammlung am 26. August in Chemnitz mobilisierte KAOTIC über das Internet. Daran nahmen neben Angehörigen von KAOTIC ca. 800 Personen teil, was auch die sehr kurzfristige Mobilisierungsfähigkeit der Szene unterstreicht. Dies ist insbesondere eine Folge der Verankerung dieser rechtsextremistischen Struktur in gewaltund konfrontationsbereiten Kreisen der Fußballanhängerschaft des Chemnitzer FC. Ähnliche Zusammenhänge gibt es auch im Umfeld anderer rechtsextremistischer Fußballanhänger. Sie verfügen damit über ein sehr großes Mobilisierungspotenzial, das sie dank digitaler Medien sehr schnell aktivieren können120. Die Ereignisse von Chemnitz haben die Politisierungsprozesse, wie auch die Militanzbereitschaft der in subkulturell geprägten Gruppierungen aktiven Rechtsextremisten, weiter befördert und eine motivierende Wirkung auf die Szene entfaltet. Im Umfeld der Veranstaltungen von PRO CHEMNITZ kam es immer wieder zu rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten. Des Weiteren gehören in Sachsen Einzelpersonen den sogenannten HAMMERSKINS an. Diese sind ein bundesweit bedeutender rechtsextremistischer Personenzusammenschluss, welcher ein elitäres Selbstverständnis hat und konspiratives Handeln mit offener Gewaltbereitschaft verbindet. In Sachsen kommt es nur sporadisch zu Aktivitäten; die Schwerpunkte dieser Gruppierung liegen außerhalb Sachsens. Im Bereich der parteiungebundenen subkulturell geprägten rechtsextremistischen Strukturen hat des Weiteren die Konzertund Vertriebsszene eine hohe - auch bundesweite - Bedeutung. Sie umfasst die zahlreichen sächsischen rechtsextremistischen Musikgruppen und Liedermacher sowie die aktiven Vertriebsunternehmen.121 So agiert mit PC-RECORDS (Chemnitz) einer der bundesweit bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebe in Sachsen. Die Bedeutung des ebenfalls hier ansässigen FRONT RECORDS (Lkr. Leipzig) hat demgegenüber nachgelassen. Es handelt sich bei diesen Vertrieben um weitverzweigte Unternehmen, die teilweise international agieren. Mit dem erwirtschafteten Geld wurden u. a. Immobilien gekauft oder gemietet und Aktivitäten der gesamten rechtsextremistischen Szene in Sachsen finanziell unterstützt. Wichtiges Aktionsfeld sind rechtsextremistische Musikund Konzertveranstaltungen, die für die Sammlung und Stärkung der rechtsextremistischen Szene insgesamt eine herausragende Rolle 120 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2016, S. 105 121 siehe Abschnitt II.1.4.5 Rechtsextremistische Musik und 1.4.6 Rechtsextremistische Vertriebe und Verlage 54 spielen. Hier gibt es seit 2017 einen Trend zu Großkonzerten und sogenannten Mischveranstaltungen122. Großkonzerte wie im Juli 2017 in Themar (TH) mit bis zu 6.000 Teilnehmern, aber auch regionale Veranstaltungen, wie das "Lunikoff-Sommerfest"123 am 23. Juni 2018 mit ca. 200 Teilnehmern in Grimma, OT Roda (Lkr. Leipzig), bringen rechtsextremistische Gesinnungsgenossen zusammen, stärken sie in ihrer Weltanschauung und legen Grundlagen für weitere Aktivitäten. Dieselbe Funktion erfüllen auch Veranstaltungen, wie das "3. Ostsächsische Sportund Familienfest" (60 bis 80 Teilnehmer) mit anschließendem Konzert "Triumph des Willens" (ca. 100 Teilnehmer) am 15. September 2018 in Weißenberg (Lkr. Bautzen), oder der alljährlich im September stattfindende "Muldentaler Kameradschaftslauf" mit in der Regel mehr als 150 Teilnehmern. Beide Veranstaltungen tragen zur Festigung des Szenezusammenhalts wie auch zur Entstehung neuer Kennverhältnisse bei. Die größten Szenetreffpunkte 2018 waren jedoch die beiden "Schild und Schwert Festivals" in Ostritz (Lkr. Görlitz).124 Die zunehmende Sichtbarkeit der Szene im Rahmen entsprechender Großveranstaltungen, wie in Themar oder Ostritz (Lkr. Görlitz), wird auch durch eine offene Zurschaustellung rechtsextremistischer Überzeugungen mittels propagandistischer Kleidungsstücke ergänzt. Darin zeigt sich zum einen die ideologische Festigung der Szene, zum anderen aber auch eine gestiegene Präsenzund auch Konfrontationsbereitschaft. Kampfsport war neben dem Demonstrationsgeschehen anlässlich des Tötungsdelikts im August 2018 in Chemnitz eines der prägenden Phänomene der Aktivitäten der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene125. 2018 fanden mehrere auch bundesweit bedeutsame Kampfsportveranstaltungen in Sachsen statt, zu denen hohe Teilnehmerzahlen mobilisiert werden konnten. Primär waren dies eine entsprechende Veranstaltung im Rahmen des ersten "Schild und Schwert Festivals" im April, das sogenannte TIWAZ in Grünhain-Beierfeld (Erzgebirgskreis) im Juni mit 450 Teilnehmern und der "Kampf der Nibelungen" im Oktober in Ostritz (Lkr. Görlitz) mit etwa 850 Teilnehmern. Hieran nahmen jeweils sowohl zahlreiche SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN als auch rechtsextremistische Parteien (NPD und DER DRITTE W EG) sowie NEONATIONALSOZIALISTEN teil. Dabei fördert der Kampfsport nicht nur den Zusammenhalt der Szene und ihre Vernetzung, sondern auch ihre Gewaltbereitschaft. Ergänzend dazu bieten solche Veranstaltungen anderen rechtsextremistischen Parteien und vor allem NEONATIONALSOZIALISTEN das Potenzial, das subkulturell geprägte rechtsextremistische Personenpotenzial für ihre eigenen Aktivitäten zu erschließen. Ausblick Mit ihrem Szenezusammenhalt und den darauf ausgerichteten Veranstaltungen tragen subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierungen dazu bei, die Anbindung einzelner Rechtsextremisten an die Szene zu erhöhen. Die Dynamik der Gruppenbildung hat gegenüber 2017 nachgelassen und verblieb auf einem sehr niedrigen Niveau. Während sich einzelne bestehende Strukturen belebten, lösten sich andere auf oder waren nicht mehr aktiv. Ein weiteres Streben nach festeren Strukturen ist in der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene kaum vorhanden, da das Zusammengehörigkeitsgefühl der Szene durch regelmäßige Treffen bei Veranstaltungen bereits ausreichend bedient wird. Die zunehmenden Freizeitveranstaltungen in den Bereichen Musik, Sport und Kampfsport dienen der Zusammenführung aber auch der weiteren Ideologisierung der Szene. Gerade die Kampf122 Der Begriff "Mischveranstaltung" bezeichnet ein Veranstaltungsformat, bei dem verschiedene Veranstaltungsteile vorkommen, die sonst durch einzelne Veranstaltungen bedient werden (bspw. Musik, Kampfsport, etc.). 123 Hinter LUNIKOFF der bundesweit bekannte rechtsextremistische Liedermacher Michael REGENER. 124 siehe Abschnitt II. 1.7.5 Landkreis Görlitz 125 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 55 sportereignisse förderten die Gewaltbereitschaft, was sich in künftigen Aktivitäten der Szene niederschlagen dürfte. Die hierdurch generierten Einnahmen werden weiterhin zu ihrer Handlungsfähigkeit beitragen. Insgesamt ist es durch die Vielzahl der Veranstaltungen im Jahr 2018 auch zu ersten Sättigungseffekten gekommen, sodass unsicher ist, inwieweit sich dieser Trend fortsetzen wird. Nachdem das behördliche und zivilgesellschaftliche Vorgehen gegen die Großveranstaltungen 2018 zunahm, spricht vieles für eine Entwicklung hin zu eher kleineren "privaten" Veranstaltungen. Die Angehörigen der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene werden im Jahr 2019 auch weiterhin als aktionsfähiges Personenpotenzial zur Verfügung stehen, wenn es aus der rechtsextremistischen Szene heraus zu Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern oder Menschen mit Migrationshintergrund kommt. Es ist zu erwarten, dass sie bei ähnlich gelagerten Ereignissen, wie in Chemnitz ab August 2018, wesentlich zur Mobilisierung und zur Konfrontation beitragen werden. Die Ereignisse von Chemnitz haben auch auf die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene stark motivierend und verstärkt politisierend gewirkt. Dies gilt insbesondere für den Bereich der rechtsextremistischen Fußballanhänger. Aus der gesamten subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene sind daher in Zukunft vermehrte Aktivitäten zu erwarten. 1.4.5 Rechtsextremistische Musik Rechtsextremistische Musik hat eine herausragende Bedeutung für den Zusammenhalt und die Selbstbestätigung der rechtsextremistischen Szene. Außerdem wird mit rechtsextremistischen Musikveranstaltungen die Absicht verfolgt, unpolitisches oder nur sporadisch in der Szene aktives Personenpotenzial über vermeintliche "Freizeitaktivitäten" an sich zu binden. Der sächsischen rechtsextremistischen Musikszene kommt bundesweit eine hohe Relevanz zu. Neben den konspirativ organisierten Konzertveranstaltungen im kleineren Rahmen rückten im Jahr 2018 Großveranstaltungen mit Festivalcharakter, welche durch die Beteiligung von Bands bzw. Einzelinterpreten eine hohe Beteiligung von Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland erzielten, in den Vordergrund. Trotz eines Rückgangs der Anzahl der aktiven Bands zeigte sich die rechtsextremistische Musikszene im Freistaat Sachsen 2018 sehr aktiv. Insgesamt wurden 25 Konzerte (2017: 24) in Sachsen festgestellt. Darüber hinaus beteiligte sich eine rechtsextremistische Band PROLLIGANS (BY) am 11. August 2018 in Borna, OT Neukirchen, an dem nichtextremistischen Konzert "Oi! for Saxony". Durchgeführte rechtsextremistische Konzerte in Sachsen 45 42 41 40 36 35 30 26 25 24 25 20 17 15 14 15 14 10 5 0 56 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Durchschnittliche Teilnehmerzahl je Konzert 300 265 260 250 220 230 210 190 200 150 150 140 230 150 100 50 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Die durchschnittliche Teilnehmerzahl der Konzerte lag im Jahr 2018 bei annähernd 260 Personen. Der Anstieg ist auf die Großveranstaltungen zurückzuführen. Während die Besucherzahl im Szeneobjekt in Torgau, OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen), aufgrund der Raumkapazität jeweils zwischen 200 und 230 Personen betrug, waren bei kleineren Konzertveranstaltungen meist zwischen 50 bis 100 Teilnehmer zugegen. Die höchste Teilnehmerzahl erreichten die Rechtsextremisten im Rahmen des "Schild und Schwert Festivals" am 21. April 2018 in Ostritz mit 1.269 Personen. Für die Durchführung rechtsextremistischer Konzerte spielt das Vorhandensein von Veranstaltungsobjekten eine entscheidende Rolle. Im Berichtsjahr zeigte sich deutlich, dass der Schwerpunkt der rechtsextremistischen Musikszene unmittelbar von der Existenz geeigneter Objekte abhängig ist. Wie bereits in den Vorjahren konzentrierte sich das Veranstaltungsgeschehen auch im Jahr 2018 auf das seit 2008 einschlägig genutzte Objekt in Torgau, OT Staupitz (Lkr. Nordsachsen). Dort sind aufgrund behördlicher Nutzungsbeschränkungen jährlich maximal zehn Veranstaltungen zulässig; diese Obergrenze nutzt die Szene seit Jahren aus. Im Landkreis Görlitz standen der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zudem mit dem Objekt der BRIGADE 8 in Mücka und dem Haus des NATIONALEN JUGENDBLOCKS ZITTAU E. V in Zittau zwei weitere Objekte für die Durchführung von Konzertveranstaltungen zur Verfügung. Allerdings sind dort keine Räumlichkeiten für Großveranstaltungen vorhanden. Das Konzert am 15. Juli 2017 in Themar (TH) unter dem Motto "Rock gegen Überfremdung" mit ca. 6.000 Teilnehmer verdeutlichte, dass bei Vorhandensein einer geeigneten Liegenschaft und dem Auftritt von renommierten Musikgruppen beachtliche Teilnehmerzahlen erreicht werden können. Diese Gelegenheit bot sich im Berichtsjahr in Ostritz (Lkr. Görlitz). Der Inhaber des Hotels "Neißeblick" stellte Rechtsextremisten das Gelände mit Hotel und mehreren Hallen kostenpflichtig zur Verfügung. Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE (TH) organisierte am 20./21. April 2018 sowie am 2./3. November 2018 in Ostritz zwei Großveranstaltungen unter dem Motto "Schild und Schwert Festival". Im Verlauf der jeweils als politische Kundgebung angemeldeten Veranstaltung fanden neben politischen Rednerauftritten, Tätowierund Kampfsportvorführungen auch Balladenvorträge von Einzelinterpreten und Konzerte mit Bands statt. Mit dem Konzept erreichte HEISE zwar recht hohe Teilnehmerzahlen, jedoch lagen diese deutlich unter dem Niveau der Veranstaltungen in Themar (TH) lagen. Zum Teil dürfte hier der politische und zivilgesellschaftliche Widerstand wie auch die Lage der Liegenschaft am Rande der Bundesrepublik eine Rolle gespielt haben. 57 Ein weiteres Konzert mit rund 350 Teilnehmern fand ebenfalls im Hotel "Neißeblick" am 1. Dezember 2018 mit den Bands BLUTZEUGEN (SN), BRONSON (ITA), TRUE AGGRESSION (SN) und BARRICADES (ST) statt. Nach Beschwerden über "Sieg Heil"-Rufe löste die Polizei die Veranstaltung auf. Rechtsextremistische Liedermacher oder Bands bzw. einzelne Bandmitglieder sind im Berichtsjahr auf 23 Liederabenden bzw. Veranstaltungen mit musikalischem Begleitprogramm (2017: 22) im Freistaat Sachsen aufgetreten. Parteien, wie die NPD oder DER DRITTE WEG, nutzten diese Darbietungen oft, um die Attraktivität ihrer Veranstaltungen zu erhöhen und Publikum anzuziehen. Zum 3. "Europakongress" der NPD-Jugendorganisation JUNGE NATIONALISTEN (JN) am 11. und 12. Mai 2018 in Riesa wurden Bands, wie FLAK (RP), MARDER (FIN) und HOBBIT (ITA) sowie der Liedermacher FREILICHFREI (SN) engagiert. Die Partei DER DRITTE WEG ließ im Januar den Liedermacher BRENNER (BB) und im März 2018 den Sänger der Band HERMUNDUREN (TH) auftreten. Der rechtsextremistische Liedermacher Frank RENNICKE (BY) trat bei der NPDJahresauftaktveranstaltung am 20. Januar 2018 in Nordsachsen auf und spielte zudem auf einer vom Verein FREIGEIST des NPD-Funktionärs Stefan HARTUNG organisierten öffentlichen Veranstaltung unter dem Motto "Freigeistiger Sommerabend" am 30. Juni 2018 in Schwarzenberg vor rund 500 Teilnehmern. Jährlich organisieren sächsische Rechtsextremisten ein "Sommerfest mit Lunikoff". Wie im Vorjahr fand die Veranstaltung in einem Steinbruch in Grimma, OT Roda, statt. Der Auftritt des aus Berlin stammenden Michael REGENER, der unter dem Pseudonym LUNIKOFF bekannt ist, zog erneut rund 200 Teilnehmer an. Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte und Liedermacher Im Jahr 2018 gab es im Freistaat Sachsen insgesamt 27 sächsische Musikgruppen und Bandprojekte (2017: 36) sowie drei Liedermacher (2017: sechs), welche bei Musikveranstaltungen innerund außerhalb Sachsens auftraten, eigene Tonträger veröffentlichten oder sich anderweitig aktiv zeigten. Anzahl der rechtsextremistischen Bands bzw. Bandprojekte im Freistaat Sachsen 40 36 30 30 30 29 29 30 27 22 22 19 19 20 10 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Die Bands gaben insgesamt 12 Alben bzw. Split-CDs (2017: neun) heraus und beteiligten sich an zwei Samplern (2017: drei). 58 Die Band BLUTZEUGEN (SN) nahm zusammen mit HEILIGER KRIEG (SN), CONFIDENT OF VICTORY und EXZESS (beide BB) an einer Konzertveranstaltung am 16. Juni 2018 in Tschechischen Republik teil. Auf dieser Veranstaltung veröffentlichte BLUTZEUGEN eine Mini-CD mit dem Titel "Ewige Wache" im Rahmen einer Soli-Aktion. In den Texten auf dieser CD werden mehrfach Bezüge zur Zeit des Nationalsozialismus hergestellt. So bringt die Band ihr Gedenken an jene zum Ausdruck, welche "(...) in Nürnberg aufgehangen"126 wurden und nimmt damit positiv Bezug auf die in Nürnberg verurteilten NSKriegsverbrecher. Neu in Erscheinung trat die aus Hoyerswerda stammende Band THOYTONIA. Die Mitglieder dieser Band sind aus dem Umfeld der Fußballfangruppe BLACK DEVILS, welche der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zu zurechnen ist. THOYTONIA wie auch die BLACK DEVILS nutzen dasselbe Objekt in Hoyerswerda. Die Musikgruppe trat bei Konzertveranstaltungen in Hoyerswerda, Staupitz und auch in Thüringen zusammen mit anderen rechtsextremistischen Bands auf. Im Oktober 2018 veröffentlichten sie über das Szenelabel REBELL RECORDS ihren ersten Tonträger. Ein Blick auf die Texte offenbart die rechtsextremistische Gesinnung. Im Lied "Thoytonia" wird Hoyerswerda als Stadt mit "gesunder Bräune" beschrieben, in der man zusammensteht "im Kampf fürs Reich". Dieser Kampf - so die Band - richtet sich "gegen fremde Kräfte, die das Land übernahmen". "Jede Stadt" heißt es im Lied "Steh auf" "wird von Fremden überrannt (...) jeder macht was er will [,] Überfremdung im großen Stil". Man solle sich zusammenraufen, "ob Jung ob Greis [,] unsere Stadt bleibt deutsch und weiß (...)". In offenkundig diffamierender Art und Weise heißt es weiter: "der moderne Moslem macht sich hier breit" und keiner erkenne die Gefahr "von der drohenden Asylantenschaar [,] macht am besten noch die Beine breit zweimal Blut vermischt zu einem Grit127". Weiter wird offen zur Gewaltanwendung aufgerufen: "Bürger dieser Stadt zum Kampf bereit [...] wir kämpfen mit Worten und Taten". Das dieser Kampf nach Vorstellung dieser Band auch bewaffnet sein soll, verdeutlicht der Aufruf im ersten Lied: "Männer an die Waffen [,] auf in die Schlacht"128. 126 CD "Ewige Wache" 127 "Grit" meint hier Streugut. 128 CD "Thoytonia" 59 Rechtsextremistische Musikgruppen bzw. Bandprojekte sowie Liedermacher im Freistaat Sachsen Die Bands bzw. Bandprojekte HEILIGER KRIEG, HEILIGE JUGEND, STAHLFRONT, MOSHPIT und KILLUMINATI können nicht örtlich zugeordnet werden. Oft setzen sich die Bands aus Mitgliedern zusammen, die aus mehreren Bundesländern, darunter auch aus Sachsen, stammen. Ausblick Das hohe Aktionsniveau der rechtsextremistischen Musikszene im Freistaat Sachsen wird sich voraussichtlich auch im Jahr 2019 fortsetzen. Konzertveranstaltungen sind für die maßgeblichen Propagandisten dieser Szene neben der Produktion von Tonträgern eine wichtige Einnahmequelle. Insbesondere mit Großveranstaltungen können die Organisatoren größere Gewinne erzielen. Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE hat sich mit dem Objekt in Ostritz eine Liegenschaft erschlossen, welche für derartige Veranstaltungen geeignet ist. Er will die Veranstaltungsreihe "Schild und Schwert Festival" im Juni 2019 fortführen. Darüber hinaus soll das Objekt offenbar auch für weitere, als politische Kundgebungen deklarierte Konzertveranstaltungen genutzt werden. 60 Rechtsextremistische Bands bzw. Bandprojekte und Liedermacher in Sachsen ARTAM Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Glaucha aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2016 / keine Veröffentlichung eines YouTube-Videos mit einer Aktivitäten 2018: Probeaufnahme eines Songs BLITZKRIEG Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Chemnitz aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2000 / Beteiligung an der Split-CD "Wir stehen fest" Aktivitäten 2018: Im Berichtsjahr wurde ein Flyer bekannt, wonach die Band gegen Ende des Jahres ein Abschlusskonzert plante. BLUTZEUGEN Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Dresden aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2011 / Tonträger "Ewige Wache" Aktivitäten 2018: Beteiligung an Konzerten im Inund Ausland BRAINWASH Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Dresden aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2001/ keine Aktivitäten 2018: Auftritte bei Konzerten in der Ukraine und in Serbien CAMULOS Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Landkreis Zwickau aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2002/ "GRATZUG / CAMULOS" Split-CD HEILIGE JUGEND Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Sachsen aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2017/ Beteiligung am Sampler "10. Tag der Deutschen Zukunft" 61 HEILIGER KRIEG Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Sachsen, ursprünglich BadenWürttemberg aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2000, seit 2014 in Sachsen/ keine Aktivitäten 2018: Auftritte bei Konzerten in Sachsen und Tschechischen Republik KILLUMINATI Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Sachsen, Thüringen, Baden-Württemberg aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2014 / Album "Europas Untergang" Aktivitäten 2018: Auftritt bei der Veranstaltung "Jugend im Sturm" am 7. Juli 2018 in Kirchheim (TH) Ein weiterer Auftritt wurde für ein Konzert am 17. November 2018 in Staupitz angekündigt. LEICHENZUG Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Dresden, Wilkau-Haßlau (Lkr. Zwickau) aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2004 / keine Aktivitäten 2018: Ankündigung eines Auftritts beim "Eternal hate fest" am 13. Juli 2019 in der Tschechischen Republik MOSHPIT Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Thüringen, Sachsen aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2001/ keine OVERDRESSED Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Landkreis Mittelsachsen aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2011 / keine Aktivitäten 2018: Auftritt am 7. April 2018 bei einem Konzert in Kirchheim (TH) 62 PARANOID Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Schneeberg (Erzgebirgskreis) aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2009 / Beteiligung am Sampler "Gemeinschaft leben" PIONIER Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Chemnitz aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: ca. 2009 / Beteiligung am Sampler "10. Tag der Deutschen Zukunft", Beteiligung des Sängers der Band am Tonträger "Lieder die das Leben schrob" RAC'N'ROLL-TEUFEL Typ / Sitz bzw. Herkunft: Bandprojekt/ Landkreis Zwickau aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: ca. 2009 / Beteiligung am Tonträger "Lieder die das Leben schrob" Aktivitäten 2018: Auftritt beim "Lunikoff Sommerfest" am 23. Juni 2018 in Grimma, OT Roda SACHSENBLUT Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Freiberg aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2010 / keine Aktivitäten 2018: Auftritt bei einem Konzert am 15. April 2018 in der Tschechischen Republik SACHSONIA Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Dresden aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 1999 / Album "18" Aktivitäten 2018: Auftritt bei einem Konzert am 20. Mai 2018 in Torgau, OT Staupitz SELBSTSTELLER Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Riesa aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 1999 / keine 63 STAHLFRONT Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Sachsen, Thüringen aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2011 / Album "Religion des Blutes" Aktivitäten 2018: Auftritt beim "Hot Shower Festival" am 7. April 2018 in Italien sowie Auftritt angekündigt beim "Militant Black Metal" Konzert in Kiew STAHLWERK Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Freital aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2012 / keine Aktivitäten 2018: Auftritt bei einem Konzert am 15. April 2018 in der Tschechischen Republik und am 28. Dezember 2018 in Torgau, OT Staupitz THEMATIK 25 Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Leipzig aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2008 / keine Angekündigt für einen Auftritt bei einem Konzert Aktivitäten 2018: am 8. Dezember 2018 in Torgau, OT Staupitz THOYTONIA Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Hoyerswerda aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2017/ CD "Irrenhaus" Aktivitäten 2018: Auftritt bei Konzertveranstaltungen in Sachsen und in umliegenden Bundesländern TRUE AGGRESSION Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Ostsachsen (Oberlausitz) aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2016 / Album "Jetzt gibt's Stunk" Aktivitäten 2018: Auftritte bei Konzerten in Sachsen und in Thüringen 64 ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Vogtland aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2010 / keine Aktivitäten 2018: Es wurde ein Auftritt für ein Konzert am 15. September 2018 in Nostitz (Lkr. Görlitz) angekündigt. VERBOTEN Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Erzgebirgskreis aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2011 / Beteiligung an Split-CD "Glück auf!" VOLKSNAH Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Leipzig aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2012 / keine Aktivitäten 2018: Ein Auftritt der Band bei einer Konzertveranstaltung mit ca. 230 Teilnehmern am 31. März 2018 in Torgau, OT Staupitz wurde angekündigt WHITE RESISTANCE Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Erzgebirgskreis, Landkreis Zwickau aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2000 / Album "Nicht in diesem Leben" Aktivitäten 2018: Auftritte bei Konzerten in Deutschland und der Tschechischen Republik W.U.T. (WHITE UNITED TERROR) Typ / Sitz bzw. Herkunft: Band / Großdubrau aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2009 / keine Aktivitäten 2018: Ankündigung der Herausgabe des Albums "Kleiner Ohrinfarkt" 65 FREILICHFREI Typ / Sitz bzw. Herkunft: Liedermacher / Zwickau aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2014 / Beteiligung am Sampler "Gemeinschaft leben" Aktivitäten 2018: Auftritte bei verschiedenen rechtsextremistischen Veranstaltungen in Sachsen und anderen Bundesländern OIRAM Typ / Sitz bzw. Herkunft: Liedermacher/ Weißwasser aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: in Sachsen seit 2017 / Album "Er tat nur seine Pflicht" SCHRATT Typ / Sitz bzw. Herkunft: Liedermacher / Hartenstein aktiv seit / Veröffentlichungen 2018: 2005 / keine Aktivitäten 2018: Auftritt beim "Lunikoff Sommerfest" am 23. Juni 2018 in Grimma, OT Roda Rechtsextremistische Musikveranstaltungen im Jahr 2018 in Sachsen Datum Ort Konzertaufgetretene oder geplante Musikbesucher gruppen (ca.) 1 20.1.2018 Ostsachsen u. a. RANDGRUPPE DEUTSCH 2 27.1.2018 Hinweis auf SachBARRICADES (ST) sowie weitere nicht sen bekannte Bands 3 3.2.2018 Torgau, OT Stau200 BLUTLINIE (SH), SQUADRON (UK), pitz TRUE AGGRESSION (SN) und SCHMEICHELSTADT (CZ) 4 24.2.2018 Torgau, 230 D.S.T. (BR), BRAINWASH (SN), OT Staupitz UWOCAUST (BB) 5 10.3.2018 Hoyerswerda 100 THOYTONIA (SN), STURMREBELLEN (NW), UNBEUGSAM, FYLGIEN (BB), RANDGRUPPE DEUTSCH 6 24.3.2018 Sebnitz, OT SLEIPNIR (NW), EXZESS (BB), Saupsdorf TRUE AGGRESSION (SN), NAPOLA (TH) 7 31.3.2018 Torgau, 230 FLAK (RP), VOLKSNAH (SN), OT Staupitz CONFIDENT OF VICTORY (BB), JOGOS ÖNVEDELEM (UNGARN) 8 21.4.2018 Sachsen SKÖLL DAGAZ (TH) 9 19.5.2018 Zittau 60 AGGROKNUCKLE (JPN), THE HAWKS (JPN), S.P.Q.R. (ITA), TRUE AGGRESSION (SN) 10 20.5.2018 Torgau, 220 AGGROKNUCKLE (JPN), BARRICADES OT Staupitz (ST), S.P.Q.R. (ITA), THE HAWKS (JPN), SACHSONIA (SN) 66 11 26.5.2018 vermutlich Sachsen 150 NS Black Metal-Konzert mit FLAK (RP), GOATMOON (FIN), NORDGLANZ (HE) 12 2.6.2018 Mücka 100 GERMANIUM (BW), STURMBRÜDER (BW), UNGEBETENE GÄSTE (MV), BALTIC STORM (MV) 13 30.6.2018 Mücka THOYTONIA (SN), NAPOLA (TH) 14 7.7.2018 Torgau, 230 ENDSTUFE (HB), KRIEGSBERICHTER OT Staupitz (ST), NON PLUS ULTRA (NW) 15 21.7.2018 Mücka 50 FREILICHFREI (SN) 16 24.8.2018 Torgau, 210 FORTRESS (AUS), SQUADRON (GBR), OT Staupitz HEILIGER KRIEG (SN) 17 15.9.2018 Weißenberg, 100 ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND OT Nostitz (SN), Sänger von F.I.E.L.(MV), BURNING HATE (BY), OLD FIRM (SLO) 18 29.9.2018 Zittau GREEN ARROWS (ITA), PAINFUL AWEKING (MV), FIGHTTONIGHT (ST), SAUBANDE (CZE) 19 13.10.2018 Torgau, 185 BRUTAL ATTACK (GBR), KRAFT DURCH OT Staupitz FROIDE, THOYTONIA (SN), SPN-S (BB) 20 17.11.2018 Torgau, 230 BLUTLINIE (SH), KILLUMINATI OT Staupitz (TH/SN/BW), KRAFTSCHLAG (ST), SOKYRA PERUNA (UKR) 21 1.12.2018 Ostritz 350 BLUTZEUGEN (SN), BRONSON (ITA), TRUE AGGRESSION (SN) und BARRICADES (ST) 22 1.12.2018 Mücka 150 PAINFUL AWEKENING (MV), LTW (POL) 23 8.12.2018 Torgau, CONFIDENT OF VICTORY (BB), EXZESS OT Staupitz (BB), FRONTFEUER (BB), THEMATIK 25 (SN) 24 28.12.2018 Torgau, DIE LUNIKOFF VERSCHWÖRUNG (BR), OT Staupitz KOMMANDO SKIN (BW) und STAHLWERK (SN) 25 29.12.2018 Sachsen W HITE RESISTANCE (SN), KILLUMINATI (SN, TH, BW), CONFIDENT OF VICTORY (BB), SPN-S (BB) Neben diesen Konzertveranstaltungen traten im Berichtsjahr in Sachsen Liedermacher, Bands bzw. einzelne Bandmitglieder bei Liederabenden und sonstigen Veranstaltungen rechtsextremistischer Organisationen auf. Datum Ort VeranstalMusikgruppen tungsteil(mit Auftritt oder geplantem Auftritt) nehmer (ca.) 1 7.1.2018 Johanngeorgen20 LUNIKOFF (BR) stadt 2 13.1.2018 Riesa Auftritt FLAK (RP) beim JN"Bundeskongress" 3 19.1.2018 Zwickau Auftritt BRENNER (BB) bei Veranstaltung der Partei DER DRITTE W EG 4 20.1.2018 Nordsachsen Auftritt Frank RENNICKE (BY) bei Jahresauftaktveranstaltung der NPD 5 18.2.2018 Lunzenau 65 LUNIKOFF (BR) 6 10.3.2018 Zwickau 15 Sänger der Band HERMUNDUREN (TH) 7 17.3.2018 Mittelsachsen FREILICHFREI (SN) 8 20./ Ostritz 585/1.269 Bands und Liedermacherauftritte im 21.4.2018 Rahmen des "Schild und SchwertFestivals" mit KATEGORIE C (HB), STURMWEHR (NW), NAHKAMPF SOLO (HB), GRIFFIN (BE), DIE LUNIKOFF VER67 SCHWÖRUNG (BR), OIDOXIE (NW), BATAILLON 500 (MV), SONS OF ODIN, GERMANIUM (BW), HAUSMANNKOST (BB) 9 28.4.2018 Mücka Balladenabend der BRIGADE 8 mit KATEGORIE C (HB) 10 28.4.0218 Mittelsachsen Auftritt von FREILICHFREI (SN) bei einer Geburtstagsfeier 11 5.5.2018 Regis-Breitingen Liederabend mit FREILICHFREI (SN) 12 5.5.2018 vermutlich SachAuftritt von FREILICHFREI (SN) auf einer sen Veranstaltung 13 5.5.2018 Mücka 50 Liederabend mit FYLGIEN (BB) und F.I.E.L. (MV) 14 11./ Riesa 160 Auftritt Liedermacher FREILICHFREI 12.5.2018 (SN) beim JN-"Europakongress" 15 12.5.2018 Riesa 350 Auftritt des Liedermachers FREILICHFREI (SN) und der Bands FLAK (RP), MARDER (FIN), HOBBIT (ITA) beim JN"Europakongress" 16 23.6.2018 Grimma, 200 "Sommerfest mit Lunikoff" mit Auftritt OT Roda von LUNIKOFF (BR), Liedermacherin VARGHONA (TH), SCHRATTI (Liedermacher SCHRATT aus SN) 17 30.6.2018 Schwarzenberg 500 Auftritt von Frank RENNICKE bei der Kundgebung "Freigeistiger Sommerabend 2018" 18 24.8.2018 Vogtlandkreis FREILICHFREI 19 25.8.2018 Dresden 350 Versammlung "Europa Nostra - Identität verteidigen - Heimat bewahren", Auftritt von Melanie SCHMITZ, Chris ARES und "Komplott" 20 13.10.2018 Pirna Auftritt des Sängers von FLAK (RP) bei der Feier "5 Jahre Haus Montag" 21 20.10.2018 Erzgebirge Liederabend mit FREILICHFREI 22 2./3.11.2018 Ostritz 400/800 Konzert im Rahmen des "Schild und Schwert Festivals" mit FEHER TÖRVENY (HUN), TERRORSPHÄRA (AUT/GER), PAINFUL LIFE (ST), BURNING HATE (BY), PWA (EST), FLAK (RP), GRIFFIN (BR), SLEIPNIR (NW), UWOCAUST (BB), DIE LUNIKOFF VERSCHWÖRUNG (BR) und STURMWEHR (NW) 23 16.11.2018 Zwickau Liederabend mit Auftritt des Sängers von FLAK (RP) 1.4.6 Rechtsextremistische Vertriebe und Verlage 129 Im Jahr 2018 waren zehn rechtsextremistische Vertriebsunternehmen im Freistaat Sachsen aktiv (2017: neun). Nach einem mehrjährigen Rückgang ist hier nun ein geringer Anstieg zu verzeichnen. PC-RECORDS aus Chemnitz ist das einzige rechtsextremistische Unternehmen aus Sachsen, welches eine bundesweite Szenerelevanz besitzt. Es verfügt über ein hohes Ansehen in der rechtsextremistischen Szene im Inund Ausland. Sein Umsatz wird auf mehrere 100.000 Euro jährlich geschätzt. Die Gewinne ermöglichen den Geschäftsinhabern nicht nur das Bestreiten des 129 Der Oberbegriff "Vertriebsstrukturen" umfasst Online-Versände, Läden und Labels. Solche Strukturen können einzeln oder in unterschiedlicher Kombination bestehen. 68 Lebensunterhaltes, sondern auch die Finanzierung und Förderung von Szeneaktivitäten. Kein anderes Unternehmen aus Sachsen besitzt eine vergleichbare Marktpräsenz. Das Sortiment der rechtsextremistischen Vertriebsunternehmen bedient insbesondere die Nachfrage der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene. So werden Textilien mit szenetypischen Aufdrucken, Tonträger rechtsextremistischer Bands bzw. Liedermacher sowie andere szenerelevante Utensilien, wie z. B. Anstecker, Fahnen, Aufkleber und Plakate angeboten. Rechtsextremistische Vertriebsstrukturen im Freistaat Sachsen Eine seit Ende 2017 existierende rechtsextremistische Vertriebsstrutur ist das Unternehmen LOKIS TRUHE aus Leipzig. Der Inhaber ist der bekannte Leipziger Rechtsextremist Enrico BÖHM. Das Sortiment des Online-Versandes ist ausschließlich auf die rechtsextremistische Szene ausgerichtet und wird sukzessive durch den Inhaber ausgebaut. Der Freistaat Sachsen ist im Bundesvergleich nicht mehr der Schwerpunkt der rechtsextremistischen Vertriebsszene, gleichwohl sind hier noch zahlreiche Vertriebe ansässig. Der wirtschaftliche Erfolg der Unternehmen ist erheblich von der Akzeptanz in der rechtsextremistischen Szene abhängig. Auch aus diesem Grund wird die Szene von den Unternehmen logistisch und finanziell unterstützt. PC-RECORDS war auch im Jahr 2018 an der Organisation rechtsextremistischer Konzerte bzw. Veranstaltungen beteiligt. Der HERMANNSLAND-VERSAND unterstützte ebenfalls Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene, z. B. mit eigenen Verkaufständen. Darüber hinausgehende eigene öffentliche Aktionen wurden nicht bekannt. Zwar produzieren bundesweit alle Vertriebe nach wie vor Tonträger, allerdings hat sich aufgrund der Digitalisierung ein Großteil des Angebotes ins Internet verlagert, z. B. in Form von Downloads. Ein weiterer wichtiger Vertriebsbereich ist die Herstellung und der Vertrieb szenetypischer Bekleidung. Hier lassen sich mit wenig Aufwand hohe Margen erzielen. Wie bei verschiedenen rechtsextremistischen Veranstaltungen sichtbar wurde, gibt es mittlerweile bundesweit ein sehr 69 breites Sortiment an Szenekleidung, mit der man unterhalb der Schwelle von Propagandastraftatbeständen seine rechtsextremistische Gesinnung offen zeigen kann. So waren beim "Schild und Schwert-Festival" im April in Ostritz zahlreiche Personen mit Bekleidungsaufschriften wie "HTLR SCHNTZL", "I HTLR", "Adolf war der Beste", "ADOLF 8" bzw. "EVA 8" (als Partnerlook), "Hitlerche" sowie "14:88 unsere Zeit wird kommen" zu sehen. Diese T- Shirts stammten jedoch größtenteils von nichtsächsischen Vertrieben. Daneben werden eine ganze Reihe von Devotionalien angeboten. Dazu gehören Spruchtassen oder Gegenstände wie Schwibbögen mit zum Teil verbotenen Kennzeichen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dennoch bleibt das Musikgeschäft einer der Schwerpunkte der rechtsextremistischen Vertriebsszene. Im Jahr 2018 produzierten vier sächsische Vertriebe Tonträger mit rechtsextremistischer Musik. Die derzeit aktiven sächsischen Labels haben seit ihrer Gründung über 400 Tonträger zumeist einschlägiger rechtsextremistischer Bands und Liedermacher herausgebracht. Die Auflagenhöhe der Produktionen lag im Durchschnitt bei mehreren hundert Stück. Zusätzlich wurden Sonderausgaben für Sammler herausgegeben. PC-RECORDS bot seine Produktionen auch als Download zum Erwerb an. Um den kommerziellen Erfolg ihrer Tonträger nicht zu gefährden, versuchen die Produzenten, bei den Liedtexten und der CD-Gestaltung,, nicht gegen strafund jugendschutzrechtliche Vorschriften zu verstoßen. So lassen sie Tonträger vor der Veröffentlichung von Rechtsanwälten prüfen und entsprechende Gutachten erstellen. Jedoch entschied der Bundesgerichtshof im Falle eines damals bedeutenden Produzenten rechtsextremistischer Musik, dass von szenenahen Anwälten erstellte "Gefälligkeitsgutachten" keinen Freibrief darstellen und nicht vor strafrechtlicher 130 Verfolgung schützen würden . Über einhundert der von sächsischen Produzenten herausgebrachten Tonträger wurden bislang indiziert.131 FRONT RECORDS produzierte im Jahr 2016 die CD "Der zweite Streich" der rechtsextremistischen Band AUF DEN FÜHRER (D). Diese wurde 2018 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert, da ein Titel zur Gewalttätigkeit und zum Rassenhass anreize und Menschen mit "linker politischer Gesinnung" diskriminiert würden. Gemäß SS 21 Absatz 2 und 4 des Jugendschutzgesetzes (JuSchG) können Indizierungen bei der dafür zuständigen BPjM u. a. von Behörden bzw. anderen gesetzlich benannten Stellen beantragt bzw. angeregt werden. Einzelpersonen können sich mit entsprechenden Hinweisen z. B. an Polizeibehörden, Ordnungsämter oder freie Träger der Jugendhilfe wenden, welche dann die BPjM beteiligen können (SS 21 Absatz 4 JuSchG). Im Jahr 2018 geriet ein rechtsextremistischer Vertrieb aus Sachsen in den Fokus der Strafverfolgungsbehörden: Gegen den Betreiber von PC-RECORDS wurden mehrere Ermittlungsverfahren wegen des Verdachtes der Volksverhetzung gem. SS 130 StGB und wegen des Verdachts des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. SS 86a StGB durch die zuständige Staatsanwaltschaft eingeleitet. Die Verfahren sind noch nicht abgeschlossen. 130 BGH, Urteil vom 03. April 2008, Az.: 3 StR 394/07 131 Die Indizierung einer CD erfolgt dann, wenn ihr Inhalt oder ihre Gestaltung Jugendliche in ihrer Entwicklung beeinträchtigen können. Die Entscheidung hierüber wird von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) getroffen. Eine indizierte CD darf Kindern und Jugendlichen nicht mehr verkauft oder sonst zugänglich gemacht werden. Ebenso gilt ein Werbeverbot. 70 Ausgewählte rechtsextremistische Vertriebsstrukturen im Freistaat Sachsen DRYVE BY SUIZHYDE Typ / Sitz bzw. Herkunft: Gewerbliches Textil-Label mit Online-Versand/ Dresden aktiv seit: 2009, seit 2013 im Freistaat Sachsen Sortiment: Textilien FRONT RECORDS Typ / Sitz bzw. Herkunft: Gewerbliches Vertriebsunternehmen mit OnlineVersand, Tonträger-Label, Textildruckerei/ Lossatal (Lkr. Leipzig) aktiv seit: 2001 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien FRONTMUSIK Typ / Sitz bzw. Herkunft: Gewerblicher Online-Versand mit Tonträger-Label/ Lossatal (Lkr. Leipzig) aktiv seit: 2015, seit 2016 im Freistaat Sachsen Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien HERMANNSLAND-VERSAND Typ / Sitz bzw. Herkunft: Gewerblicher Online-Versand mit Tonträger-Label/ Leipzig aktiv seit: 2015 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien 71 LOKIS TRUHE Gewerblicher Online-Versand/ Leipzig, Typ / Sitz bzw. Herkunft: Enrico BÖHM aktiv seit: 2017 Sortiment: bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien NATIONALES VERSANDHAUS (sowie weitere angegliederte Unternehmen) Gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Typ / Sitz bzw. Herkunft: Ladengeschäft und Online-Shops, Tonträger-Label / Gohrisch (Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) aktiv seit: 2009 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien PC-RECORDS Typ / Sitz bzw. Herkunft, Inhaber: Gewerbliches Vertriebsunternehmen mit Ladengeschäft, Online-Versand und TonträgerLabel/ Chemnitz, Steve GEBURTIG aktiv seit: 2000 Sortiment: Tonträger, bedruckte Textilien sowie weitere szenetypische Materialien 72 1.4.7 Strategie im Fokus: Fortgesetzte überregionale Vernetzungsaktivitäten muslimenund fremdenfeindlicher Rechtsextremisten Entwicklung und Strategie Die rechtsextremistische Szene hat erkannt, welche Propagandaund Aktionsmöglichkeiten ihr die Verlagerung von Themenschwerpunkten auf allgemein politische Fragen, wie die Integration, die politische Unzufriedenheit oder auch die "Heimatpflege", bietet. Dazu werden entweder eigene Vereine gegründet oder rechtsextremistische Szeneangehörige engagieren sich in bereits bestehenden "Heimat-", "Traditionspflege-" oder sonstigen Vereinen. Nach außen ist dabei ein extremistischer Zusammenhang nicht direkt erkennbar. Daraus erwächst aber die nicht nur abstrakte Gefahr, dass nichtextremistische Vereine und Bürger dahingehend manipuliert werden, rechtsextremistische Belange zu unterstützen. So streben Extremisten in bürgerlichen Vereinen Führungspositionen an, um diese zu unterwandern, ideologisch zu vereinnahmen und zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts zu instrumentalisieren. Aufgrund dieser Strategie haben sich in Sachsen seit 2014 zwischen der rechtsextremistischen asylfeindlichen Szene und der nichtextremistischen asylkritischen Szene in zunehmendem Maße personelle Verflechtungen und punktuelle Kooperationen entwickelt. Diese bestanden z. B. darin, dass Rechtsextremisten bei nichtextremistischen Veranstaltungen Organisationsaufgaben oder Redebeiträge übernahmen. Aufgrund der hohen Anzahl an asylbezogenen Veranstaltungen in den Jahren 2014 bis 2016 entstanden durch diese regelmäßigen Kooperationen und die gegenseitige Unterstützung persönliche Beziehungen und lose Kooperationsformen. Dies führte zu der bereits beschriebenen "Erosion der Abgrenzung" zwischen nichtextremistischen Akteuren und Rechtsextremisten132. Exemplarisch hierfür können Auftritte von Martin SELLNER (IDENTITÄRE BEWEGUNG ÖSTERREICH) bei den nichtextremistischen GIDA-Veranstaltungen, die konstante Präsenz des NEONATIONALSOZIALISTEN Simon RICHTER bei asylbezogenen nichtextremistischen Veranstaltungen im Landkreis Bautzen oder auch die organisatorische Beteiligung von Stefan HARTUNG (NPD Erzgebirge) bei den sogenannten Sternmärschen im Großraum Zwickau-Chemnitz-Erzgebirge in den Jahren 2015 und 2016, die als nichtextremistisch eingestuft werden, angeführt werden. Ebenso trat der Chemnitzer NEONATIONALSOZIALIST Robert ANDRES wiederholt als Anmelder von in ihrer Gesamtheit nichtextremistischen asylbezogenen Veranstaltungen in Erscheinung. Die rechtsextremistische Szene in Sachsen hat auf diese Entwicklung frühzeitig reagiert. Zwar beschränkten sich die rechtsextremistischen Parteien, wie die NPD, DIE RECHTE oder DER DRITTE WEG, auf die Anmeldung eigener Veranstaltungen. Dies hinderte deren Funktionäre jedoch nicht, mit jeweils eigenen Strukturen, die sie teilweise erst schufen, Anschluss an nichtextremistische asylkritische Initiativen zu suchen. Besonders aktiv in dieser Hinsicht war der NPD-Funktionär Stefan HARTUNG, der einen eigenen Verein (FREIGEIST E. V.) gründete. Mit diesem versucht er seitdem, das asylkritische Protestpotenzial in der Region Chemnitz-Erzgebirge an sich zu binden. Die steigenden Teilnehmerzahlen bei seinen Veranstaltungen - am 30. Juni 2018 stellten sich in Schwarzenberg bis zu 500 Personen ein - zeigen, dass sein Bemühen nicht fruchtlos geblieben ist. Auch der Leipziger Neonationalsozialist Alexander KURTH, der zwischenzeitlich bei der NPD und bei der Partei DIE RECHTE aktiv war, ging einen ähnlichen Weg. Gemeinsam mit dem Thüringer NPD-Funktionär David KÖCKERT, dem Begründer der FREUNDESKREISE UDO VOIGT, Frank ROHLEDER, dem langjährigen rechtsextremistischen Liedermacher Frank RENNICKE und weiteren Personen aus verschiedenen Bundesländern begründete er im Jahr 2016 erst die Bewegung, die später in den Verein THÜGIDA & W IR LIEBEN SACHSEN mündete. Die Vernetzungen dieses Vereins in Thüringen und Sachsen entwickelten sich schnell bis in andere Bundesländer, insbesondere nach Berlin. Dort waren die Funktionäre von THÜGIDA & W IR LIEBEN SACHSEN mit der rechtsextremistischen Berliner Gruppierung WIR FÜR DEUTSCHLAND maßgeblich an der Durchführung der seit März 2016 132 Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2016, S. 49 ff. 73 in Berlin stattfindenden sogenannten "Merkel muss weg"-Demonstrationen beteiligt. Zu dieser Kooperation stießen später Personen sowie Angehörige extremistischer und nichtextremistischer Gruppierungen aus Sachsen, Niedersachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und anderen Bundesländern hinzu: BÜRGERBÜNDNIS HAVELLAND E. V. (BB), HAND IN HAND (BR) sowie die jeweils nichtextremistischen Vereine "Heimattreue Niederdorf" und "Heimat & Tradition Chemnitz-Erzgebirge". Viele dieser genannten Gruppierungen wirkten auf lokaler Ebene zusammen, so bei den "Sternmärschen" der Jahre 2015 und 2016 im Großraum Zwickau-Chemnitz-Erzgebirge. Verstärkt wurde die Netzwerkbildung auch dadurch, dass # Nichtextremisten und Extremisten zunehmend dazu übergehen, ein gemeinsames Vokabular zu verwenden, mit dem sich rechtsextremistische Inhalte unverfänglich kommunizieren lassen, # die bisherigen festen Strukturen in der der neonationalsozialistischen sowie der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene aufgrund der digitalen Medien immer stärker an Einfluss verlieren und # die Politisierung des subkulturell geprägten rechtsextremistischen Personenpotenzials die Konfrontationsund Gewaltbereitschaft vorantrieb. Diese Entwicklung wurde von den in den unterschiedlichen Milieus eingesetzten Akteuren immer weiter fortentwickelt. Durch zahlreiche persönliche Querverbindungen wirken diese überregionalen Vernetzungsbestrebungen inzwischen bis in das Hooliganmilieu hinein und binden dieses in ihre Aktivitäten mit ein. Somit konnte sich in der rechtsextremistischen Szene ein hochverflochtenes "Widerstandsmilieu" herausbilden, das faktisch aus einem pseudo-bürgerlichen, einem neonationalsozialistischem und einem gewaltbereiten Bereich besteht. Aktivitäten Bei den Ereignissen infolge des Tötungsdeliktes vom 26. August 2018 in Chemnitz ließ sich das Zusammenwirken unterschiedlicher Teile der rechtsextremistischen Szene zum Teil auch mit nichtextremistischen Milieus verstärkt beobachten: Am 26. August machten die rechtsextremistischen Fußballanhänger von KAOTIC133 den Anfang und brachten kurzfristig ein vor allem lokales Mobilisierungspotenzial auf die Straße. Sie erreichten schließlich ca. 800 Teilnehmer, insbesondere auch aus der gewaltbereiten rechtsextremistischen Fußballanhängerszene, und sprachen außerdem ein hohes nichtextremistisches Personenpotenzial an. Am 27. August übernahmen mit Martin KOHLMANN und Robert ANDRES, beide NEONATIONALSOZIALISTEN, die Organisation des weiteren Demonstrationsgeschehens. Beide verfügten über gute Kontakte in das regional und überregional vernetzte rechtsextremistische Milieu. Das Zusammenwirken dieser Elemente (lokale Organisatoren, politisiertes subkulturell geprägtes rechtsextremistisches Personenpotenzial und die überregionalen Netzwerke) wurde zum "Motor" der bundesweiten Mobilisierung. So konnten durch aufeinander abgestimmte und sich gegenseitig verstärkende Mobilisierungsaktivitäten zahlreiche Personen, insbesondere auch im nichtextremistischen Bereich, in ihrem regionalen, aber auch bundesweiten Einzugsbereich nach Chemnitz mobilisiert werden. Ein Großteil dieser Personen hatte wiederum selbst Bezüge in die regionalen Szenen und Milieus und konnte so eine Vielzahl von Personen "nachziehen". In Chemnitz versammelten sich am 27. August auf einer Kundgebung von PRO CHEMNITZ 134 ca. 6.000 Menschen. Martin KOHLMANN, langjähriger Szeneangehöriger und Vertreter von PRO CHEMNITZ, wirkte auf die Teilnehmer mit einer rechtsextremistischen Propagandarede ein. Er rief zur Selbstjustiz auf, rechtfertigte Gewalt gegen Menschen mit Migrationshintergrund und verharm133 siehe Abschnitt II.1.7.2 Stadt Chemnitz 134 siehe Abschnitt II.1.4.3 PRO CHEMNITZ 74 loste rechtsextremistische Terrorgruppen.135 Mit mehrheitlich nichtextremistischen Teilnehmern im unteren vierstelligen Bereich setzte sich diese Veranstaltungsreihe von PRO CHEMNITZ wöchentlich bis Mitte Dezember fort. Die rechtsextremistische Szene vermochte es, über Monate zahlreiche nichtextremistische Bürger für ihre Veranstaltungen mobilisieren. Auf den Demonstrationen übernahmen vor allem überregional vernetzte Rechtsextremisten ihre schon aus der Vergangenheit bekannten Rollen: Sie leisteten Unterstützung sowohl bei der Organisation als auch bei der Mobilisierung und stellten Redner zur Verfügung. So unterstützte der Brandenburger Rechtsextremist Kay HÖNICKE (BB) bei mehreren Veranstaltungen den Versammlungsleiter Robert ANDRES. Eine überregional vernetzte Dresdnerin übernahm am 30. August sowohl eine Ordnerrolle als auch unterstützende Funktion in der Veranstaltungsorganisation, und auch der Leiter der Ordner entstammt dem überregional vernetzten rechtsextremistischen Milieu. Eine weitere prominente Rolle übernahm Thomas WITTE. Generell wurde mit den Veranstaltungen von PRO CHEMNITZ zahlreichen rechtsextremistischen Akteuren eine Bühne geboten, um ihre rechtsextremistischen Ansichten zu verbreiten. Mit diesen Veranstaltungen gelang es NEONATIONALSOZIALISTEN und den überregional vernetzten Akteuren, den politischen und gesellschaftlichen Gang der Ereignisse nach dem Tötungsdelikt vom 26. August in Chemnitz maßgeblich zu beeinflussen. Einen ähnlichen Einfluss hatte die neonationalsozialistische Szene zuletzt bei den Ereignissen in Bautzen im Herbst 2016. Diesmal konnte sie ihr Mobilisierungspotenzial nochmals steigern und es verzehnfachen. Infolge der KOHLMANNRede entstand in den Wochen nach dem Tötungsdelikt Chemnitz ein Klima, in dem es zu zahlreiche Übergriffen auf Menschen mit Migrationshintergrund und politische Gegner kam. 136 Eine grundlegende rechtsextremistische Strategie wurde hier beispielhaft umgesetzt: Die Gesellschaft spalten, die Teile gegeneinander ausspielen und schließlich "Sicherheit" fordern sowie sich in dem Zusammenhang selbst als vermeintlicher "Bürgeranwalt" inszenieren. Von überregional vernetzten Akteuren der rechtsextremistischen Szene wurde sofort nach den Ereignissen am 8. September in Köthen (ST)137 eine Mobilisierungskampagne gestartet und versucht, auch dieses Ereignis zu instrumentalisieren. Mit Alexander KURTH, Uta NÜRNBERGER und David KÖCKERT (TH) konnten drei der überregional vernetzten Akteure durch entsprechende Reden auch weltanschaulich die dortige Demonstration beeinflussen (KÖCKERT sprach am 9. September in Köthen vom "Rassekrieg gegen das deutsche Volk"). Bemerkenswert an diesem Vorgehen war, dass diese überregional vernetzten Akteure diesmal direkt versuchten, eine Demonstrationsreihe vollständig zu übernehmen. Dabei traten jedoch auch Schwächen zutage. So wurde durch die sehr offene Propagierung rechtsextremistischer Inhalte bürgerliche Klientel abgeschreckt. Auch die offen erkennbare rechtsextremistische Zuordnung von David KÖCKERT oder Alexander KURTH dürfte einen ähnlichen Effekt erzielt haben. Daher wurden die Demonstrationen danach unter einem anderen Label weitergeführt. Eine weitere hervorzuhebende Aktion dieser überregional vernetzten Akteure, an der auch sächsische Protagonisten mitwirkten, war die bundesweite Veranstaltung zum "Tag der Nation" am 3. Oktober 2018 in Berlin mit ca. 1.900 Teilnehmern. Dabei wurden wieder neue Organisationen aus anderen östlichen und westlichen Bundesländern in die überregionalen Vernetzungsbestrebungen integriert. Dies zeigt, dass die Zusammenhänge dieser überregionalen Netzwerke sich nach wie vor ausweiten. Die asylbezogenen Veranstaltungen im Landkreis Zwickau sind ein weiterer Beleg dafür, dass überregional vernetzte Rechtsextremisten auch dort versuchen, asylbezogene Veranstaltungen zu beeinflussen oder zu übernehmen. Dort fanden seit 2017 diverse Veranstaltungen durch die nichtextremistische "Bürgeroffensive Deutschland" statt. Diese konnten am 4. März 2018 675 Teilnehmer und am 22. September sogar 750 Teilnehmer mobilisieren. Vor allem als Redner traten dabei immer wieder die Akteure aus den überregionalen Netzwerken, wie KURTH, WITTE und andere, auf. 135 siehe Abschnitt II.1.7.2 Stadt Chemnitz 136 siehe Abschnitt II.1.7.2 Stadt Chemnitz 75 Diese Aktivität belegt erneut, wie die rechtsextremistische Szene durch die konstante Kooperation mit einer nichtextremistischen Organisation versucht, einen regionalen Akteur für ihre Sache zu gewinnen und in ihre Vernetzungen einzubinden. Auch in Chemnitz geschah dies bereits vor den Ereignissen Ende August 2018. So waren überregional vernetzte Rechtsextremisten vor dem 18. August maßgeblich an einer nichtextremistischen Veranstaltung in Chemnitz unter dem Titel "Deutsch und stolz drauf!" beteiligt. An dieser nahmen 120 Personen teil. Unter den Rednern befanden sich auch der Vorsitzende des Vereins FREIGEIST E. V., Stefan HARTUNG, sowie der "Volkslehrer", ein bundesweit bekannter Antisemit und Verschwörungstheoretiker. Ausblick Die Vernetzungsbestrebungen von Rechtsextremisten sind eines der dynamischsten und komplexesten Phänomene im derzeitigen Rechtsextremismus. Sie verkörpern zahlreiche Wandlungen der letzten Jahre und zeigen auf, wohin sich die Szene langfristig entwickeln könnte. Infolge der großflächigen Auflösung von Strukturen in der rechtsextremistischen Szene, u. a. nach mehreren Exekutivmaßnahmen nach Bekanntwerden des NSU bzw. infolge des Bedeutungsverlusts der NPD, wird hier durch schwarmartiges Zusammenwirken der verschiedenen Spektren die Handlungsfähigkeit wie auch die politische Einflussnahme der Szene gesteigert. Die vernetzten Akteure agieren dabei stark ereignisbezogen und entfalten gerade bei einem allgemein anschlussfähigen Ereignishintergrund, wie in Chemnitz, mithilfe digitaler Medien binnen kurzer Zeit eine enorme Mobilisierungskraft (sogenannte Smartmobs). Diese kommt weniger durch ein hohes Personenpotenzial zustande, sondern vor allem durch die zahlreichen Zugänge zu weiteren Personenkreisen. Daneben gibt es jedoch auch das konstante Arbeiten der einzelnen Akteure in der Fläche und vor Ort. Gerade die hier teilweise bestehenden Strukturen, wie auch die aktiven Einzelpersonen, die sich teils ganz anderer Strukturen außerhalb der rechtsextremistischen Szene bedienen, vollführen eine regelrechte rechtsextremistische "Graswurzelarbeit" und bauen kontinuierlich ihre Kontakte und Kooperationsformen auch gegenüber nichtextremistischen Strukturen auf und aus. Es ist davon auszugehen, dass bei günstigen Ereignislagen die Mobilisierungsfähigkeit dieser Netzwerke zum Tragen kommt. Außerdem dürften weitere Akteure in diese Vernetzungen miteingebunden werden. Die Kooperationen zwischen den überregional vernetzten Akteuren werden sich in Zukunft weiter festigen. Es ist nicht auszuschließen, dass dadurch und durch die Förderung einzelner Personen vor Ort auch neue Gruppierungen entstehen. Unterhalb der Schwelle bundesweit wahrnehmbarer Aktivitäten sind durch die überregional vernetzten Akteure in und außerhalb Sachsens verschiedene kleinere Veranstaltungen zu erwarten, die ihren Beitrag zur Verstetigung, zur Festigung und zur Dynamik dieser Vernetzungen leisten. 1.5 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den rechtsextremistischen Parteien und den parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen existiert ein weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Personen, die als rechtsextremistische Strafund Gewalttäter oder als Teilnehmer von rechtsextremistischen Szeneveranstaltungen vor allem bei Konzerten in Erscheinung treten, sich darüber hinaus jedoch keiner konkreten rechtsextremistischen Struktur zuordnen lassen. Darunter fallen auch subkulturell geprägte Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. 76 Die Bedeutung dieses Potenzials ist bereits an der hohen Personenanzahl ablesbar. Es stellt den mit Abstand größten Teil der rechtsextremistischen Szene in Sachsen dar. Von den derzeit 2.800 (2017: 2.600) Rechtsextremisten entfallen knapp 1.300 Personen (2017: 1.200) auf diesen Bereich. Grund für die Steigerung der Personenzahlen sind die in den letzten Jahren bekanntgewordenen rechtsextremistischen Strafund Gewalttäter, die hohe Mobilisierungskraft von überregionalen Musik-, Kampfsportoder sonstige für die Szene relevante Veranstaltungen. Dabei wurden zahlreiche neue Personen als Angehörige der rechtsextremistischen Szene bekannt. Wie auch bei den subkulturell geprägten Rechtsextremisten138 im Bereich der parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen fungiert auch dieses Szenespektrum als Nährboden für die Bildung neuer Gruppierungen und Personenzusammenschlüsse aber auch als "Mobilisierungsmasse" für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Gruppierungen bzw. rechtsextremistischer Kampagnen. Besonders bei den überregional bedeutsamen Ereignissen in Freital und Heidenau 2015 sowie Chemnitz 2018 zeigte sich das unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial in hoher Zahl. Es kann zu Ereignissen, welche die rechtsextremistische Szene besonders ansprechen, dank moderner Kommunikationsmittel schnell und effektiv mobilisiert werden, was ein hohes Gefährdungspotenzial aufweist. Im Umfeld jeder rechtsextremistischen und regelmäßig aktiven Gruppierung gibt es stets auch ein feststellbares unstrukturiertes Personenpotenzial. Dieses wird ideologisch beeinflusst und nimmt an Szeneaktivitäten teil, tritt sonst aber nicht als fester Teil des Personenkreises in Erscheinung. Zum Teil fallen über Jahre ganze Gruppierungen in den Bereich des unstrukturierten Personenkreises, um dann zu gegebenen Anlässen wieder aktiv zu werden. So war die Chemnitzer Fußballanhängergruppierung KAOTIC vor August 2018 über lange Zeit nicht mit rechtsextremistischen Aktivitäten wahrnehmbar gewesen. Ihre Anhänger waren, wenn sie nicht die rechtsextremistische Szene gänzlich verließen, daher Teil des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials. Nach dem Tötungsdelikt vom 26. August in Chemnitz rief diese Gruppierung jedoch zu einer Versammlung auf, an der sich eine hohe dreistellige Personenanzahl beteiligte. Die Angehörigen des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials sind zu großen Teilen Strafund Gewalttäter. Sie handeln impulsiv, situativ bedingt und spontan. Diesem Handeln liegen, anders als bei Mitgliedern rechtsextremistischer Gruppierungen, in der Regel keine strategischen Überlegungen zugrunde. Bei größeren Ereignissen der letzten Jahre gingen die Konfrontationen und Gewalttaten zu großen Teilen von dieser Personenkategorie aus. Die asylfeindlichen Ereignisse der letzten Jahre haben außerdem wiederholt gezeigt, dass sich - bei einem für Rechtsextremisten geeigneten Initialereignis - aus unstrukturierten Rechtsextremisten mit hoher Dynamik militant ausgerichtete Gruppierungen139 bilden können. So entstand etwa 2014/15 aus dieser Personenkategorie die OLDSCHOOL SOCIETY und die FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN. Von der Gruppe der unstrukturierten Rechtsextremisten gehen vor allem im Alltag konfrontative Handlungen aus. Die hier in Rede stehenden Personen agieren nicht überwiegend innerhalb der Szene, sondern leben ihre rechtsextremistische Gesinnung hauptsächlich bei gesellschaftlichen Aktivitäten aus. Dabei kommt dieser Personengruppe eine hohe propagandistische Bedeutung zu. Ihr Reden und Handeln sowie ihre Kleidung und ihr Auftreten lassen in der Regel sofort erkennen, wo sie sich ideologisch verorten. Da sie eher erlebnisorientiert agieren, tragen sie ihre rechtsextremistische Gesinnung in verschiedenste gesellschaftliche Bereiche von Vereinen, Volksfesten bis hin zu örtlichen Trinkerszenen. Durch ihre Präsenz kann es immer wieder zu sich plötzlich entwickelnden Auseinandersetzungen und Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund oder politischen Gegnern sowie zu rechtsextremistischen Vorfällen auf Volksoder Vereinsfesten kommen. Dieses Personenpotenzial trägt durch seine lokale Verankerung zur Verunsicherung der Zivilgesellschaft bei. 138 siehe Abschnitt II.1.4.4 Subkulturell geprägte Gruppierungen 139 siehe Abschnitt II.1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus 77 Es ist hinsichtlich seiner Größe und der damit verbundenen Kaufkraft eine wichtige Quelle für die rechtsextremistische Konzertund Vertriebsszene. Das Gros der Konzertteilnehmer und Konsumenten rechtsextremistischer Merchandising-Artikel besteht aus dem unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial. Diese Personengruppe lenkt durch ihr Nachfrageverhalten auch die Ausrichtung des Angebotes rechtsextremistischer Vertriebe. Hierbei gab es in den letzten Jahren einen verstärkten Bedarf an Szeneartikeln, mit denen eine rechtsextremistische Gesinnung auch im Alltag unterhalb der Schwelle von Propagandastraftaten zum Ausdruck gebracht werden kann. Die konsequente Verfolgung und Verurteilung der Straftäter führten zu einem starken Rückgang der durch Anhänger aus dem unstrukturierten rechtsextremistischen Personenkreis begangenen Gewalttaten und sonstigen Delikte.140 Die Ereignisse in Chemnitz sind jedoch eine Bestätigung dafür, dass die Asylthematik weiterhin einen hohen Stellenwert in der rechtsextremistischen Szene besitzt und in konkreten Konstellationen auch zu schweren Gewaltstraftaten aus dieser Szene führt. 1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus Vier Strafverfahren der vergangenen Jahre, in denen es um terroristische bzw. kriminelle Strukturen im Bereich Rechtsextremismus ging (SSSS 129, 129a StGB) wiesen einen Bezug zum Freistaat Sachsen auf. Die Verfahren betrafen die Gruppierungen OLDSCHOOL SOCIETY (OSS), die "Gruppe Freital", die FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN (FKD) und die Gruppe REVOLUTION CHEMNITZ. Außerdem fiel am 11. Juli 2018 im Verfahren zum NATIONALSOZIALISTISCHEN UNTERGRUND (NSU) vor dem Oberlandesgericht München das Urteil. Das Strafverfahren wegen des Verdachts der Gründung von und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gegen Mitglieder der OLDSCHOOL SOCIETY wurde im Jahr 2016 vor dem Oberlandesgericht München geführt. Vier führende Mitglieder der OSS, darunter zwei Angeklagte aus Sachsen, wurden nach elfmonatiger Hauptverhandlung am 15. März 2017 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt141. Nach Überzeugung des Gerichts war die OSS darauf ausgerichtet, Ausländer durch körperliche Gewalt und mit Brandanschlägen aus Deutschland zu vertreiben. 142 Am 22. Oktober 2018 wurde vor dem Oberlandesgericht Dresden Anklage gegen ein weiteres mutmaßliches Mitglied der OSS erhoben. Gegen zwei weitere mutmaßliche Mitglieder der OSS begann im Februar 2019 der Prozess. Im März 2017 begann der Prozess vor dem Oberlandesgericht Dresden gegen die "Gruppe Freital". Den Angeklagten wurde u. a. das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion am 1. November 2015 an einer dezentralen Asylunterkunft in Freital (Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) vorgeworfen. Bereits im Herbst 2015 und Frühjahr 2016 waren zahlreiche Exekutivmaßnahmen erfolgt. Nachdem im April 2016 der Generalbundesanwalt (GBA) das Verfahren übernommen und beim Oberlandesgericht Dresden im November 2016 Anklage erhoben hatte, fiel im März 2018 das Urteil: Alle Mitglieder der "Gruppe Freital" wurden wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie wegen versuchten Mordes bzw. wegen Beihilfe hierzu zu Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren verurteilt. 140 siehe Abschnitt II.1.8 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 141 Das Urteil ist rechtskräftig. 142 Die OSS hatte sich Mitte des Jahres 2014 - auch unter Beteiligung sächsischer Rechtsextremisten - zunächst bundesweit als virtuelle rechtsextremistische Gruppe im Internet gegründet. 78 Im Zusammenhang mit einem Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft Dresden wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ("Gruppe Freital") gemäß SS 129a StGB wurden am 28. März 2018 erneut umfangreiche Exekutivmaßnahmen durchgeführt. Es konnten u. a. Waffen und rechtsextremistische Devotionalien sichergestellt werden. Das Verfahren, das bis 2017 bei der Bundesanwaltschaft geführt wurde, richtet sich gegen zehn weitere Personen. Sie werden beschuldigt, an den Straftaten der "Gruppe Freital" beteiligt gewesen zu sein. Bereits am 30. November 2016 durchsuchte die Polizei Wohnobjekte von 17 mutmaßlichen Angehörigen der neonationalsozialistischen Gruppierung FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN (FKD) in Dresden und im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge im Rahmen eines seit April 2016 bei der Generalstaatsanwaltschaft Dresden anhängigen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB). Es wurden Waffen, Munition, illegale Pyrotechnik, Vermummungsgegenstände, schriftliche Unterlagen und Speichermedien sichergestellt. Gegen sechs Beschuldigte wurde Haftbefehl erlassen. Zwei Angeklagte wurden im August 2017 zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt; das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Bezüglich sechs weiterer Angeklagten steht das Urteil noch aus. Außerdem laufen nach wie vor Ermittlungen gegen weitere Personen, die im Verdacht stehen, Mitglieder oder Unterstützer der FKD gewesen zu sein. Den Angehörigen der FKD wird vorgeworfen, seit Juni 2015 in wechselnder Besetzung eine Vielzahl von Straftaten begangen zu haben, darunter die Beteiligung an der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, versuchte Brandstiftung, schwerer Landfriedensbruch, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Diverse Gewalttaten richteten sich gegen Asylbewerber und Asylbewerberunterkünfte im Raum Dresden sowie gegen den mutmaßlichen politischen Gegner. So wurden Bürger mit Migrationshintergrund auf dem Stadtfest in Dresden am 20. August 2016 gezielt angegriffen; es kam zu massiven Körperverletzungen. Außerdem beteiligten sich FKD-Mitglieder an den Ausschreitungen von Rechtsextremisten und Hooligans im "linken" Leipziger Szeneviertel Connewitz am 11. Januar 2016. Ein 2018 eingeleitetes Verfahren der Bundesanwaltschaft richtet sich gegen die Gruppe REVOLUTION CHEMNITZ: Am 1./2. Oktober 2018 wurden durch die Polizei Durchsuchungen bei acht mutmaßlichen Täter wegen der Gründung einer rechtsterroristischen Vereinigung durchgeführt. Diese acht Personen wurden auf Grundlage von Haftbefehlen festgenommen. Grund ist ein vom Generalbundesanwalt geführtes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gem. SS 129a StGB. Den Durchsuchungen vorausgegangen war ein am 14. September 2018 in Chemnitz begangener besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs. Im Nachgang zu einer von PRO CHEMNITZ mit 3.500 Teilnehmern durchgeführten Demonstration kam es in Chemnitz auf der Schlossteichinsel zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe von deutschen Staatsangehörigen und einer Gruppe von Menschen mit Migrationshintergrund. Fünf Tatverdächtige dieses Vorfalls konnten im Zuge weiterer Ermittlungen einer insgesamt mutmaßlich achtköpfigen Gruppe REVOLUTION CHEMNITZ zugeordnet werden. In Bezug auf diese Beschuldigte besteht der Verdacht der Planung von gewalttätigen Angriffen auf Ausländer und politische Gegner, darunter Repräsentanten gesellschaftlicher Gruppen und politischer Parteien. Darüber hinaus sollen Absprachen über eine bisher nicht näher bekannte gewalttätige Aktion zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2018 getroffen worden sein. Die Beschuldigten sind als teilweise langjährige Rechtsextremisten bekannt. Einer der Tatverdächtigen war Mitglied der 2007 verbotenen rechtsextremistischen Gruppierung STURM 34 in Mittweida. Einen Abschluss fand am 11. Juli 2018 der Prozess gegen Beate ZSCHÄPE und eine Reihe weiterer Beschuldigter wegen Mitgliedschaft und Unterstützung der terroristischen Vereinigung NATIONALSOZIALISTISCHER UNTERGRUND (NSU). Verhandelt wurde wegen des Verdachts des Mordes in neun Fällen, des versuchten Mordes in 32 Fällen (Nagelbombenattentat in der Keupstraße in Köln), des versuchten Mordes (Sprengstoffanschlag in der Propsteigasse in Köln), des Mordes und Mordversuchs an zwei Polizeibeamten in Heilbronn, von Raubüberfällen sowie des versuchten Mordes durch eine schwere Brandstiftung in der Frühlingsstraße in Zwickau. 79 Das Oberlandesgericht München verurteilte die Hauptangeklagte ZSCHÄPE wegen der o. g. Delikte und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Die beiden anderen, dem NSU zugehörigen Mitglieder Uwe BÖHNHARDT und Uwe MUNDLOS hatten sich durch Selbsttötung am 4. November 2011 der Verantwortung für ihre Verbrechen entzogen. ZSCHÄPE, BÖHNHARDT und MUNDLOS hatten in den Jahren 1998 bis 2011 die o. g. Strafund Gewalttaten begangen. In dieser Zeit hatten sie erst in Chemnitz und ab 2008 in Zwickau gewohnt. Bei den Taten des NSU handelte es sich um die schwerwiegendste bisher bekanntgewordene rechtsextremistisch motivierte Mordserie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Der NSU war 2011 nach einem missglückten Banküberfall öffentlich bekannt geworden. Neben ZSCHÄPE wurden auch die Rechtsextremisten Ralf WOHLLEBEN (zehn Jahre Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord in zehn Fällen) und Andre E. (2 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe für die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung) verurteilt. Beide wurde aufgrund bereits erfolgter Untersuchungshaft freigelassen. Von der rechtsextremistischen Szene werden sowohl E. als auch WOHLLEBEN als "Helden" verehrt, auch deshalb, da sie im NSU-Prozess keine Aussage gemacht haben. Nach wie vor kursieren Bürgerkriegsszenarien in der Szene, in denen dazu aufgerufen wird, Gruppen zu bilden, Waffen zu beschaffen und Vorräte anzulegen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass es bei einem Zusammentreffen von Personenpotenzial, Tatbegehungsund Beschaffungsmöglichkeiten auch in Zukunft zu entsprechenden Strukturbildungen kommen kann. Dies hängt auch davon ab, ob die rechtsextremistische Szene von einem ihre Aktivitäten gutheißenden gesellschaftlichen Umfeld ausgeht, als dessen "Vollstrecker" sie sich wähnen kann. 80 1.7 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen 1.7.1 Landkreis Bautzen Im Landkreis Bautzen kam es zu einem Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials. So wurden der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 250 und 300 Personen zugerechnet (2017: zwischen 200 und 250 Personen). Hintergrund dieses Anstieges war vor allem die Zunahme der bekanntgewordenen rechtsextremistischen Straftäter. Das Personenpotenzial lag damit im sachsenweiten Vergleich im oberen Bereich. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Im Landkreis Bautzen ist die NPD mit einem Kreisverband vertreten, welcher jedoch nach Austritten von Mitgliedern bereits seit 2015 deutlich geschwächt ist. Auch die NPD-Kreistagsfraktion musste nach Austritten von drei der fünf Kreisräte aufgelöst werden. Diese Entwicklung setzte sich fort. Im April 2018 fusionierten die bisher eigenständigen Verbände Bautzen und NiederschlesienOberlausitz zum neuen Kreisverband Bautzen-Niederschlesien unter dem neuen Vorsitzenden Andreas STORR. Nennenswerte Aktivitäten konnten nicht verzeichnet werden. Auch der Landesverband der NPD, der im Jahr 2017 noch eine Demonstration in Bautzen und Wahlkampfveranstaltungen im Landkreis Bautzen durchführte, war im Berichtsjahr im Landkreis nicht mehr aktiv. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Die neonationalsozialistische Szene im Landkreis Bautzen verfügt über Strukturen in Bautzen und in Hoyerswerda. Maßgeblich beeinflusst wurde die Szene 2018 durch einen bekannten Rechtsextremisten aus dem Raum Bautzen, der seit mehreren Jahren Plattformen u. a. für die Mobilisierung für Aktivitäten zur Verfügung stellt. Erst unter der Bezeichnung "Stream BZ", später unter "Balaclava Graphics", wurde in den sozialen Medien (Facebook, Twitter, Instagram, YouTube) für Veranstaltungen geworben, über diese berichtet und durch die Szene kommentiert. Über "Balaclava Graphics" können u. a. auch Aufkleber mit szenebezogenen Inhalten bezogen werden. Die Aufkleber und CDs rechtsextremistischer Bands werden zwecks Verbreitung der Propaganda außerdem regelmäßig bei Gewinnspielen verlost. Eine Veranstaltung, über die die Plattform berichtete, und die seit mehreren Jahren durchgeführt wird, ist die "Gedenkveranstaltung" am 22. April 2018 in Niederkaina. Bei diesem Ereignis gedenken die NEONATIONALSOZIALISTEN der an diesem Ort am 22. April 1945 getöteten deutschen Soldaten. Dabei werden die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes ausgeblendet und ausschließlich die "alliierten Kriegsund Nachkriegsverbrechen" in den Mittelpunkt gestellt. Im Vorfeld der diesjährigen Veranstaltung in Niederkaina wurde die Gedenkplatte der Stadtverwaltung Bautzen durch Unbekannte in der Nacht vom 20. zum 21. April zerstört. Auf der von Linksextremisten genutzten Plattform indymedia.org wurde ein entsprechendes Bekennerschreiben für die Zerstörung der Platte veröffentlicht. Die Aktion fand dennoch mit ca. 100 Personen statt. Die rechtsextremistische Szene sammelte Spenden für eine neue Gedenkplatte. Offensichtlich sollen solche Aktionen genutzt werden, um die eigene Ideologie durch ein vermeintliches Eintreten für öffentliche Angelegenheiten zu verbreiten. So wurde die Spendenaktion danach im Internet als soziales Engagement präsentiert. Eine öffentlichkeitswirksame Spendenübergabe sollte das öffentliche Ansehen der Szene aufbessern. Die Stadt Bautzen entschied sich, das Angebot abzulehnen. 81 Anlässlich des Volkstrauertages am 18. November 2018 fanden weitere "Gedenkveranstaltungen" der NEONATIONALSOZIALISTEN statt, so in Göda bei Bautzen mit ca. 70 Teilnehmern. Dabei wurde der Volkstrauertag im revisionistischen Sinne als "Heldengedenktag"143 instrumentalisiert. Der Verein DEUTSCHLAND MUSS LEBEN E. V. (DML) aus Mecklenburg-Vorpommern verfügt auch über Mitglieder aus Hoyerswerda. Er mobilisierte gemeinsam mit der Fußballfangruppierung BLACK DE144 VILS für ein rechtsextremistisches Konzert am 10. März 2018. Es fand im Objekt der BLACK DEVILS in Hoyerswerda mit ca. 100 Teilnehmern statt. Seit 2016 besteht in den Landkreisen Bautzen und Görlitz eine Gruppierung der neonationalsozialistischen Szene - die FREIEN KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN (FKMO). Wie bereits im Vorjahr traten die FKMO nicht mit eigenen Aktivitäten in der Öffentlichkeit auf. Mitglieder der Gruppierung nahmen lediglich bei Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene teil, so z. B. beim sogenannten Gedenkmarsch am 10. Februar 2018 in Dresden. Im Berichtsjahr trat die subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierung ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) nur wenig öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Sie tritt rockerähnlich in entsprechenden Kutten mit verschiedenen Symbolen, Insignien und Beschriftungen auf.145 Für ihre Veranstaltungen nutzt sie ein Objekt in Bautzen. IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) Die Gründung der Ortsgruppe Bautzen Ende März 2016 wurde von Dresdner Anhängern der IB unterstützt. Auch im Jahr 2018 arbeiteten beide Ortsgruppen eng zusammen und führten gemeinsame Aktionen durch. So organisierten sie am 7. Juli 2018 eine Kundgebung unter dem Motto "Heimat erhalten, Zukunft gestalten" mit etwa 30 Teilnehmern in Dresden. Die Akteure der IB zogen anschließend weiter nach Bautzen zu einem Infostand auf den dortigen Hauptmarkt. Unter dem Motto "Wir vernetzen unsere Region" warb die Ortsgruppe Bautzen ab Juni 2018 für einen Zusammenschluss unter der Bezeichnung IDENTITÄRE OBERLAUSITZ. Nach Eigendarstellung soll dieser die Landkreise Bautzen und Görlitz umfassen. Öffentlich traten die I DENTITÄREN OBERLAUSITZ anlässlich der sachsenweiten Gesprächsrunden des Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen am 15. Juni 2018 in Hoyerswerda in Erscheinung. Vor Eintreffen des Ministerpräsidenten an der Lausitzhalle Hoyerswerda entrollte eine Gruppe von sechs Personen zwei Transparente mit den Aufschriften "Heuchler!" und "Identitäre Oberlausitz". Des Weiteren rief eine Person aus der Gruppe heraus über Megaphone mehrfach das Wort "Heuchler" und verlas zudem einen Text, der später als Flugblatt in der Veranstaltungshalle verteilt wurde. Öffentliche Aufmerksamkeit erreichte die IB zudem mit Banneraktionen, wie am 26. Mai 2018 vor dem Einkaufszentrum Kornmarkt-Center in Bautzen unter dem Slogan "LEITKULTUR & IDENTITÄT ZUKUNFT FÜR EUROPA". Weitere Banneraktionen folgten in Bautzen im Juli, Oktober und November 2018. In Kamenz nahmen sie eine Regionalkonferenz der CDU zum Anlass, um mit einem Banner mit der Aufschrift "HEUCHLER!" zu protestieren. Bilder und Videos ihrer Aktionen verbreiteten sie im Anschluss über die sozialen Medien. Hierzu verfügt die Bautzener Ortsgruppe über eigene Profile u. a. bei Facebook, Twitter und Instagram. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Im Landkreis Bautzen ist die rechtsextremistische Musikszene mit den Bands T RUE AGGRESSION, W.U.T. (W HITE UNITED TERROR) und THOYTONIA vertreten. Die seit 2009 existierende Musikband W.U.T. aus Großdubrau plant die Herausgabe eines neuen Albums mit der Bezeichnung "Kleiner Ohrinfarkt". 143 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 144 Fangruppierung des Fußballvereins "FC Lausitz Hoyerswerda" 145 siehe Abschnitt II.1.4.4 Subkulturell geprägte Gruppierungen 82 Seit Mitte 2016 existiert in der Oberlausitz die Band TRUE AGGRESSION. Diese trat im Berichtsjahr bei verschiedenen rechtsextremistischen Konzerten in Sachsen sowie in Thüringen auf. Am 3. Februar 2018 stand die Band im Konzertobjekt in Torgau, OT Staupitz, auf der Bühne. Bei einem am 7. April 2018 in Kirchheim (TH) organisierten Konzert trat die Band vor etwa 250 Teilnehmern auf. In Ostritz spielte sie am 1. Dezember 2018. Im Mai 2018 veröffentlichte die Band mit dem Album "Jetzt gibt's Stunk" ihren dritten Tonträger. Mit THOYTONIA aus Hoyerswerda existiert im Landkreis eine dritte rechtsextremistische Band. Sie stammt aus dem Umfeld der BLACK DEVILS und ist vermutlich seit 2017 aktiv. THOYTONIA trat bei verschiedenen Musikveranstaltungen in Sachsen sowie umliegenden Bundesländern auf und veröffentlichte den Tonträger "Irrenhaus". In einer Rezension der rechtsextremistischen Medienplattform Frontmagazin hieß es u. a.: "Nach Jahren meldet sich eine neue Rechtsrockkapelle aus Hoyerswerda zu Wort und die Jungs lassen uns auch gleich hören, das man scharf rechts spielt. [...] Thoytonia marschieren mit systemkritischen Texten auf und lassen dabei kein gutes Haar an der herrschenden Obrigkeit."146 Im Landkreis existieren keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Innerhalb der rechtsextremistischen Szene gab es im Landkreis Bautzen im Berichtsjahr eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials finden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Der entsprechende Personenkreis fiel im Landkreis Bautzen insbesondere durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Diese richteten sich in den letzten Jahren vor allem gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie zum Teil erfolgter Verurteilungen geworden: Mehrfach kam es zu Sachbeschädigungen mit volksverhetzenden Inhalten: Am 22. Januar lief eine Gruppe Jugendlicher über den Kornmarkt der Stadt Bautzen und schrieb eine SS-Rune und ein Hakenkreuz in den Schnee. Am Tag darauf wurde an das Bautzener Büro der Partei DIE LINKE. ein Hakenkreuz gesprüht. Gleiches geschah am 3. März in Radeberg. Ende Juni/Anfang Juli wurden in einer Parkanlage in Kamenz im Zuge mehrfacher Sachbeschädigungen auch eine Vielzahl von rechtsextremistischen Symbolen (Hakenkreuze und SS-Runen) aufgebracht. Im Februar verbreiteten Personen, darunter aus Sohland an der Spree, in einer WhatsApp-Gruppe volksverhetzende Inhalte, in denen sie über Massenerschießungen von Flüchtlingen mittels Maschinengewehr bzw. deren Abwurf über dem Meer phantasierten. Außerdem müssten Juden ihrer Meinung nach vergast werden. Ein junger deutscher Staatsangehöriger libyscher Herkunft wurde von anderen Jugendlichen am 11. März in der Stadt Bautzen mit Steinen beworfen und aufgefordert "Schwarzer, geh in dein Heimatland zurück". Am 21. April wurde, ebenfalls in Bautzen, ein irakischer Staatsangehöriger mit den Worten "Kanake, verpiss dich" beleidigt. In gleicher Weise traf es eine deutsche Staatsangehörige mit ukrainischem Elternteil, die am 27. April in Wittichenau als "Scheiß Russe" bezeichnet und zur Ausreise aufgefordert wurde. 146 www.frontmagazin.de (Stand: 14. Oktober 2018), Schreibweise wie im Original 83 Ein auch als Reichsbürger bekannter Täter beleidigte im Mai in Ottendorf-Okrilla sowohl die Amtsangehörigen des Landratsamtes als auch die Angehörigen der sorbischen Minderheit im Freistaat Sachsen. Letztere wären "das Letzte", was sich hiesig "breit machen" dürfe. Am 4. August wurden bei einem Fußballspiel zwischen Bautzen und Bischofswerda in Bischofswerda die Gäste als "Sorbenschweine" bezeichnet. "Nazikiez"-Schmierereien wurden am 18. August in Hoyerswerda festgestellt. Am selben Tag wurden auch Schaufensterscheiben in einem Einkaufszentrum eingeworfen. Hinterlassen wurde rechtsextremistisches Propagandamaterial mit Bezug zu Rudolf HESS 147. Zu einem Übergriff auf politische Gegner kam es, als am 25. August mehrere Personen vermummt und mit Fackeln durch Bautzen zogen. Einige trugen weiße Ku-Klux-Klan-Masken. Sie bedrängten eine Unbeteiligte, nachdem diese geäußert hatte, dass Zugewanderte "auch nur Menschen" seien. Ebenso war der zivilgesellschaftliche Bautzener Verein "Steinhaus" am 14. bis 16. September Ziel rechtsextremistischer Schmierereien (u. a. "Sieg Heil"). Am 6. Oktober kam es in einer Diskothek in Ralbitz-Rosenthal zu mehreren Übergriffen. Dabei wurde u. a. auf einen sorbischen Jugendliche eingeprügelt. Ein weiterer sorbischer Jugendlicher wurde von einer Gruppe Personen ins Gesicht geschlagen. Die SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN standen insbesondere als Mobilisierungspotenzial für rechtsextremistische Veranstaltungen anderer Gruppierungen zur Verfügung. Sie beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Außerdem nahmen sie an asylbezogenen Veranstaltungen nichtextremistischer Akteuren teil. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Landkreis Bautzen 174 183 134 14 5 5 1.7.2 Stadt Chemnitz In der Stadt Chemnitz kam es zu einem Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials. So wurden der Szene im Berichtsjahr zwischen 200 und 250 Personen zugerechnet (2017: zwischen 150 und 200). Das Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im mittleren Bereich. Grund für den Anstieg sind die zahlreichen rechtsextremistischen Aktivitäten im Jahre 2018. Parteien DER DRITTE W EG Die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG in Chemnitz sind im "Stützpunkt Westsachsen" organisiert. Dieser umfasst neben Chemnitz auch den Landkreis Zwickau und den Erzgebirgskreis. 147 Der Todestag von Rudolf HESS, dem Stellvertreter Adolf HITLERs, am 17. August wird von Rechtsextremisten alljährlich zu Propagandaaktionen genutzt. 84 Wie bereits im vergangenen Jahr präsentierte sich die Partei DER DRITTE W EG als sogenannter Kümmerer. So führte sie in Chemnitz verschiedene Aktionen durch, u. a.: einen Infostand zum Thema "Winterhilfe - Vom Ich zum Wir" am 24. Februar 2018 sowie auch eine Flugblattverteilaktion hierzu am 9. Dezember 2018 und eine Kundgebung unter dem Motto "Deutsche helfen Deutschen - Vom Ich zum Wir" am 21. April 2018. Das Thema "Asyl" stand bei einer unter dem Motto "Multikulti tötet" durchgeführten Kundgebung im Mittelpunkt. An der Veranstaltung am 20. Oktober 2018 beteiligten sich ca. 40 Personen. Im Berichtsjahr wurde erstmals von der Partei DER DRITTE W EG in Chemnitz eine Demonstration anlässlich des 1. Mai durchgeführt. Offizieller Veranstalter der angemeldeten Demonstration war das NATIONALE UND SOZIALE AKTIONSBÜNDNIS 1. MAI. Jedoch hatte sich schon seit 2014 die maßgebliche Rolle der rechtsextremistischen Partei DER DRITTE W EG bei den 1. Mai-Veranstaltungen gezeigt. Bereits im Vorfeld wurde eine Mobilisierung durchgeführt, so durch die Ankündigungsaktion am 14. April 2018, bei der man "tausende Flugblätter (...) mit dem Aufruf zur Beteiligung an der Demonstration am 1. Mai"148 verteilt habe. Letztlich beteiligten sich ca. 700 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus Ungarn, Polen und Italien.149 Die Teilnehmer der Partei DER DRITTE WEG erschienen in einheitlicher Kleidung als Ausdruck ihres elitären Selbstverständnisses und zur Einschüchterung des politischen Gegners. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) UND JUNGE NATIONALISTEN (JN) Der NPD-Kreisverband Chemnitz-Mittelsachsen zählte zu den kaum aktiven und unbedeutenden Strukturen der NPD in Sachsen. Er trat im Berichtsjahr nur selten öffentlichkeitswirksam auf. Lediglich im Rahmen der bundesweiten Kampagne der NPD "Schafft Schutzzonen" wurde am 29. August 2018 eine sogenannte Streifenaktion durchgeführt. Anlass war ein am 26. August 2018 vorausgegangenes Tötungsdelikt während des Stadtfestes in Chemnitz. Die seit Mitte 2014 bestehende Struktur JN Chemnitz entwickelte im Berichtsjahr im Vergleich zu anderen "Stützpunkten" der NPD-Jugendorganisation kaum eigene wahrnehmbare Aktivitäten. Bis zu ihrem Verbot am 28. März 2014 haben die NATIONALEN SOZIALISTEN CHEMNITZ (NSC) alljährlich unter der Alternativbezeichnung "Interessengemeinschaft (IG) Chemnitz" Aktivitäten von Rechtsextremisten anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Chemnitz im Zweiten Weltkrieg organisiert. Die im Jahr 2018 von den JN organisierten Aktionen unter dem Motto "vergissmeinnicht" anlässlich des Jahrestages fanden, wie im Vorjahr, kaum Zuspruch. Auch diesmal verzichteten sie auf einen Aufzug und beschränkten sich stattdessen auf eine Kranzniederlegung am 4. März 2018 auf dem Städtischen Friedhof. Daneben gab es lediglich einzelne Propagandaaktionen. Die JN waren im Jahr 2018 nicht in der Lage, die Tradition der "Trauermärsche" als festen Termin im politischen Kalender sächsischer Rechtsextremisten aufrechtzuerhalten. Offensichtlich fehlte es an Personen, die willens und in der Lage waren, ein solches Großereignis zu organisieren. Das Objekt der JN in Chemnitz ist der ehemalige Szenetreff der NATIONALEN SOZIALISTEN CHEMNITZ (NSC) in der Markersdorfer Straße 40. Es fungiert seit Anfang 2015 auch als offizielle Geschäftsstelle der JN Sachsen. Die Räumlichkeiten wurden für verschiedene Veranstaltungen genutzt, so auch für die Durchführung sogenannter Zeitzeugenvorträge 150. Zur Pflege der Kameradschaft und der nationalsozialistischen Ideologie wanderten Mitglieder des "Stützpunktes" der JN Chemnitz am 31. Oktober 2018 durch das Zschopautal und hielten dabei eine Gedenkaktion für die Opfer beider Weltkriege ab. 148 www.der-dritte-weg.info (Stand: 17. April 2018) 149 siehe Abschnitt II.1.3.1 DER DRITTE W EG 150 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 85 Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Für diese Szene hatte das Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit einem am 26. August 2018 begangenen Tötungsdelikt in Chemnitz151 eine besondere Bedeutung. So kam es bereits am 26. August 2018 zu massiven Protesten. Im Vorfeld forderte die subkulturell geprägte rechtsextremistische Fußballfangruppierung KAOTIC CHEMNITZ auf ihrer Facebook-Seite "Unsere Stadt - Unsere Regeln. Wir fordern ALLE Chemnitz Fans und Sympathisanten auf sich mit uns heute (...) vorm Nischel zu treffen! Lasst uns zusammen zeigen wer in der Stadt das sagen hat!"152 Innerhalb kürzester Zeit wurde ein lokal verfügbares, hohes dreistelliges Personenpotenzial mobilisiert. Für den 27. August 2018 wurde von Robert ANDRES eine Versammlung unter dem Motto "Sicherheit für Chemnitz" angemeldet. An dieser beteiligten sich zahlreiche Rechtsextremisten aus allen Bereichen des parteigebundenen und -ungebundenen Spektrums. Insgesamt wurden ca. 6.000 Teilnehmer, darunter zahlreiche Personen aus dem bürgerlichen Spektrum festgestellt. Als Redner trat Martin KOHLMANN von PRO CHEMNITZ auf. Gleich zu Beginn seiner Rede bezeichnete KOHLMANN die Tatverdächtigen des Tötungsdeliktes an Daniel H. als "Bestien", später als "Füchse", die man nicht in einen "Hühnerstall" integrieren könne. Er sprach ohne Differenzierung von "Asyltouristen", "Mördern" und "importierten Kriminellen". Dass KOHLMANN dabei nicht nur die Tatverdächtigen des Tötungsdeliktes, sondern Menschen mit Migrationshintergrund im Allgemeinen im Blick hatte, wird anhand der späteren Verwendung des Begriffs "Araber" deutlich. Verallgemeinernd führte er weiter aus: "Diese Leute sind so. Das liegt nicht an uns, das liegt an denen!" und behauptete damit, dass diese Menschen ein unveränderliches Wesen haben, welches sie naturgemäß zu Straftätern mache. KOHLMANN bediente sich stereotyper fremdenfeindlicher Argumentationsmuster und rechtsextremistischer Propagandabegriffe, die einen Gewalt legitimierenden Charakter aufwiesen. In seinen Ausführungen wird Gewalt gegen Menschen mit Migrationshintergrund als gerechtfertigt angesehen. Zu den Ereignissen vom 26. August sagte er: "Das war keine Selbstjustiz, das war Selbstverteidigung. Und diese Selbstverteidigung, die ist erlaubt, richtig und notwendig. (...) Wenn es eine funktionierende Justiz gibt, brauchen wir keine Selbstjustiz. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass es die nicht gibt." Außerdem könne er "mittlerweile jeden gut verstehen, der angesichts des offenen Rechtsbruchs der Bundesregierung sich selber diese Zwangsjacke [Anm: die geltenden Gesetze] nicht mehr anziehen möchte". KOHLMANN deutete immer wieder seine Befürwortung und letztlich sogar Unterstützung rechtsextremistischer Gewalttaten an. So machte er sich zum "Sprecher" der "Zusammenrottungen" vom 26. August. Diese stellte er als legitimen und als sogar noch zu steigernden Auftakt von Konfrontationen gegen Menschen mit Migrationshintergrund dar: "(...) gab es gestern einen kleinen Vorgeschmack. Mehr sage ich dazu jetzt nicht." Die Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund verharmloste er hingegen: "Wenn aber, wie gestern Nachmittag, ein paar Asyltouristen die Beine in die Hand nehmen müssen, dann ist das die Möglichkeit für die gesamte Politik zu hyperventilieren." Auch Rechtsterrorismus wird von KOHLMANN gebilligt und verharmlost153. Die "Gruppe Freital" beschrieb er als "junge Leute aus Freital", die lediglich wegen eines "Böllers" zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Tatsächlich handelt es sich hier u. a. um den Tatbestand der Bildung einer terroristischen Vereinigung sowie um versuchten Mord.154 Vom 30. August 2018 an führte PRO CHEMNITZ regelmäßig Veranstaltungen unter dem Motto "Sicherheit für Chemnitz" durch. Beteiligten sich im September 2018 durchschnittlich 2.500 Personen, waren es im Dezember 2018 noch 250 Personen. 151 Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung, bei der in Folge ein 35-Jähriger verstarb. 152 Facebook-Profil KAOTIC CHEMNITZ (Stand: 27. August 2018); Schreibweise wie im Original 153 siehe Abschnitt II.1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus 154 siehe Oberlandesgericht Dresden, Medieninformation Nr. 9/2018, Urteil im Strafverfahren gegen die "Gruppe Freital", vom 7. März 2018 86 Am Rande dieser Demonstrationen kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. So kam es am 14. September 2018 auf der sogenannten Schlossteichinsel in Chemnitz nach Ende der Veranstaltung von PRO CHEMNITZ zu einer tätlichen Auseinandersetzung zwischen einer Gruppe Tatverdächtiger und einer siebenköpfigen Personengruppe, darunter Personen mit Migrationshintergrund. Das Thema "Asyl" stand zudem bei einer Kundgebung am 18. August 2018 unter dem Motto "Deutsch und stolz drauf!" im Mittelpunkt, die zwei Rechtsextremisten aus Chemnitz und Umgebung angemeldet hatten. Sie war zuvor in den sozialen Netzwerken stark beworben worden. Ziel der Veranstaltung war insbesondere die weitere Vernetzung der überregionalen rechtsextremistischen Szene.155 Dem Aufruf folgten ca. 120 Personen. Im Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen wurden in Chemnitz, im Erzgebirgskreis sowie im Landkreis Mittelsachsen durch NEONATIONALSOZIALISTEN mehrere "Zeitzeugenvorträge"156 durchgeführt. So referierte der Holocaustleugner Udo WALENDY am 10. März 2018 in Chemnitz vor ca. 170 Teilnehmern über "seine Kriegserlebnisse". Als der "Zeitzeuge" in Anwesenheit der Polizeikräfte begann, den Holocaust zu leugnen, unterbrach ihn der Veranstalter. Schließlich löste dieser die Veranstaltung auf. Weitere "Zeitzeugenvorträge" fanden am 14. April 2018 sowie am 28. September 2018 vor jeweils ca. 70 Teilnehmern statt. Für diese Vorträge wurde das bekannte rechtsextremistische Szeneobjekt in der Markersdorfer Straße 40 genutzt. Am 28. September trat als "Zeitzeuge" Arndt-Heinz MARX auf. Dieser war bereits in den 1980er Jahren in rechtsterroristischen Zusammenhängen aktiv gewesen.157 Am 1. und 2. Oktober 2018 kam es im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwaltes zu Durchsuchungen wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a Strafgesetzbuch (StGB). Alle Personen wurden auf Grundlage von Haftbefehlen des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs festgenommen. Sie sind verdächtig, die rechtsterroristische Gruppierung REVOLUTION CHEMNITZ gegründet zu haben.158 Neben der Gruppierung KAOTIC CHEMNITZ existiert auch weiterhin die Fußballfangruppierung NEW SOCIETY (NS-BOYS) aus dem Umfeld des Chemnitzer FC. Deren Mitglieder beteiligten sich an szeneinternen Fußballveranstaltungen, an rechtsextremistischen Konzerten sowie am Demonstrationsgeschehen Ende August in Chemnitz. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage In der Stadt Chemnitz existieren Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Hier sind die Bands BLITZKRIEG und PIONIER ansässig. Der bisher in Chemnitz wohnende Liedermacher BARNY ist im Jahr 2017 nach Thüringen verzogen. Die seit rund 15 Jahren aktive Musikgruppe BLITZKRIEG zählt bundesweit zu den bekanntesten Bands der rechtsextremistischen Szene, die oft an bedeutenden Konzertereignissen im Inund Ausland teilnimmt. Die Band beteiligte sich an der im Januar 2018 erschienenen Split-CD "Wir stehen fest". 155 siehe Abschnitt II.1.4.7 Strategie im Fokus 156 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 157 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 158 siehe Abschnitt II.1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus 87 Die Band PIONIER beteiligte sich am von PC-RECORDS herausgegebenen Sampler "10. Tag der deutschen Zukunft". Der Sänger der Band war darüber hinaus am vom Projekt "Musigkruppe" 159 produzierten Album "Lieder die das Leben schrob" 160 beteiligt. PC-RECORDS ist einer der bedeutendsten rechtsextremistischen Vertriebe in der Bundesrepublik Deutschland. Der Umsatz beträgt mehrere Hunderttausend Euro. Das Unternehmen verfügt über ein hohes Kundenpotenzial in Deutschland, dem europäischen Ausland sowie in Übersee. Es besteht aus einem Ladengeschäft in Chemnitz, einem Internet-Versand und einem TonträgerLabel. Das Sortiment umfasst Tonträger, Textilien sowie weiteres szenerelevantes Material, das vielfach einen Bezug zur rechtsextremistischen Musikszene aufweist. PC-RECORDS tritt als Unterstützer von Aktivitäten und Initiativen der rechtsextremistischen Szene auf und bietet entsprechendes Material an. Bei dem Label erschienen bis Ende 2018 etwa 290 Tonträger. Davon wurden bisher 75 wegen jugendgefährdender Inhalte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. In Chemnitz gibt es noch ein weiteres Ladengeschäft, welches mit seinem Sortiment die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene bedient. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den parteigebundenen und -ungebundenen rechtsextremistischen Strukturen gibt es in Chemnitz eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Diese fiel in den letzten Jahren vor allem durch die Begehung von Straftaten gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger, auf. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden. Einer russischen Staatsangehörigen wurde am 2. Januar mit der Faust ins Gesicht geschlagen, nachdem ihr versucht wurde das Kopftuch zu entwenden. Am 15. Januar wurde ein nigerianischer Staatsangehöriger in der Straßenbahn als "Scheiß Neger" beleidigt sowie geschubst und mit Bier übergossen. Eine Gruppe von deutschen Staatsangehörigen verfolgte am 20. Januar mehrere Asylbewerber im Stadtzentrum. Dabei wurde einem afghanischen Staatsangehörigen in den Rücken und den Arm gestochen. Am 11. August wurde ein somalischer Staatsangehöriger ebenfalls von vier deutschen Staatsangehörigen angegriffen. Er wurde geschlagen und getreten. Dabei erlitt er zahlreiche Verletzungen. Zudem wurde er mit den Worten "Scheiß Schwarzer" und Ähnlichem beschimpft. Zahlreiche Übergriffe ereigneten sich im Zuge des Demonstrationsgeschehens seit dem 26. August 2018. Nach den vorliegenden Anzeigen geschahen folgende Straftaten: Bereits am 26. August wurde einem afghanischem Asylbewerber von einer Gruppe deutscher Staatsangehöriger nach einer verbalen Auseinandersetzung das Mobiltelefon aus der Hand geschlagen. Anschließend erhielt er einen Schlag ins Gesicht. Am selben Tag wurde ein syrischer Staatsangehöriger aufgrund seines Aussehens grundlos ins Gesicht geschlagen. Am 27. August wurde nach den vorliegenden Anzeigen Pyrotechnik und wiederholt Bierflaschen auf Gegendemonstranten geworfen. 159 Schreibweise wie im Original 160 Schreibweise wie im Original 88 Außerdem soll eine Gruppe von Gegendemonstranten von mehreren Rechtsextremisten körperlich angegeriffen worden sein. Eine Person wurde von diesen zu Boden gestoßen. Ebenso wurde ein deutscher Staatsangehöriger von Rechtsextremisten attackiert und verletzt. Im weiteren Verlauf wurde eine Gruppe von ca. 50 Gegendemonstranten von einer Gruppe Rechtsextremisten angegriffen. Einer der Personen wurde das Nasenbein gebrochen. Auch zwischen den Demonstrationen wurde von Straftaten berichtet. So wurde am 29. August ein syrischer Staatsangehöriger mit Pfefferspray angegriffen. Die Täter riefen dabei "Ausländer raus". Am 30. August wurde einem deutschen Staatsangehörigen eine Bierflasche an die Brust geworfen und dieser als "Zecke" beschimpft. Eine Gruppe von Asylbewerbern wurde am 1. September unvermittelt von einer Gruppe von schwarz gekleideten und vermummten Rechtsextremisten angegriffen. Ein afghanischer Staatsangehöriger bekam mehrere Schläge ins Gesicht und auf den Kopf. Während des Demonstrationsgeschehens am 1. September wurden auch wieder Bierflaschen in Richtung von Gegendemonstranten geworfen. Eine Person wurde auf dem Rückweg von der Demonstration gegen die Veranstaltungen von PRO CHEMNITZ und der Partei Alternative für Deutschland (AfD) belästigt, bedroht und körperlich angegriffen. Ebenfalls im Nachgang zum Versammlungsgeschehen wurde eine Gruppe von zwölf Gegendemonstranten von einer Gruppe Rechtsextremisten attackiert und verletzt. Während der Demonstrationen vom 26. August bis zum 1. September kam es wiederholt zu Propgandadelikten. Insbesondere am 27. August konnnten zahlreiche "Hitlergrüße" und rechtsextremistische Parolen festgestellt werden. Ebenso kam es zu massiven Widerstandshandlungen gegen die eingesetzten Polizeibeamten. Auch nach dem Demonstrationsgeschehen hielt die Serie rechtsextremistischer Übergriffe und Straftaten an. Beispielsweise wurde am 3. September ein irakisches Kind von einer Gruppe vermummter Personen am Südbahnhof beleidigt und geschlagen. Einen Tag später wurden eine deutsche und ein mexikanischer Staatsangehöriger im Hauptbahnhof als "Viehzeug" beleidigt und ihnen wurde angedroht, auch noch "erstochen" zu werden. Am 28. September wurde ein deutscher Staatsangehöriger arabischer Herkunft von mehreren Personen geschlagen und mit einem Messer bedroht. Die Täter drohten ihm, dass man ihn töten werde, wenn er nicht in "sein Land" zurückkehre. Am 14. September kam es auf der sogenannten Schloßteichinsel zu einem Übergriff einer Gruppe von Rechtsextremisten auf eine Gruppe von Asylbewerbern. Ein iranischer Staatsangehöriger wurde mit einer Bierflasche am Hinterkopf verletzt. Zuvor hatte diese Gruppe bereits Jugendliche belästigt. Im Rahmen der Ermittlungen dieser Straftat wurde die Gruppe REVOLUTION CHEMNITZ161 bekannt. Eine herausragende Straftatenserie ereignete sich gegen mehrere Restaurants in Chemnitz. Bereits am 27. August wurde das jüdische Restaurant "Schalom" angegriffen. Dabei kam es auch zu antisemitischen Beschimpfungen wie "Judensau" und der Aussage "Verschwinde aus Deutschland" in Richtung des Wirtes. Am 5. und 14. September wurden jeweils Hakenkreuze am persischen Restaurant "Safran" festgestellt. Am 22. September wurden die Fensterscheiben des persischen Restaurants "Schmetterling" beschädigt. Zudem wurde am 28. September der Wirt des "Safran" körperlich angegriffen. Am 18. Oktober wurde auf das türkische Restaurant "Mangal" ein Brandanschlag verübt. Vor dem "Safran" wurde am 8. Dezember eine Schautafel beschädigt. 161 siehe Abschnitt 1.6 Bedeutende Verfahren des militanten Rechtsextremismus und des Rechtsterrorismus 89 Erneut wurde der Wirt des "Schalom" am 30. Dezember per E-Mail als "Scheiss Jude" beschimpft und mit den Worten "Wir finden dich" bedroht. Neben diesem Ereigniszusammenhang kam es noch zu weiteren Delikten: Am 22. Oktober wurde eine syrische Familie bedroht und versucht, in deren Wohnung einzudringen. Schließlich wurden Steine und eine Bierflasche gegen Fenster geworfen. Ein deutsches Kind mit persischen Wurzeln wurde am 1. November mit den Worten "Wir töten dich" bedroht und zu Boden gestoßen. Zu großflächigen Progpagandadelikten kam es wiederholt auf dem Gelände eines Sportvereins. Am 29. Oktober wurden dort mehrere hundert Hakenkreuze aufgebracht. Zwei Monate später, im Zeitraum vom 25. bis 28. Dezember, wurden abermals ca. 1.000 Hakenkreuze geschmiert. Einen ähnlichen Vorfall hatte es schon 2016 gegeben. Neben den Vorfällen in Zusammenhang mit dem o. g. jüdischen Restaurant kam es wiederholt zu antisemitischen Delikten: Eine Mitarbeiterin eines Supermarktes, die am 15. März einen Ladendieb stellte, wurde als "Judensau", die "vergast" gehöre, beschimpft und ihr wurde mit der Faust gedroht. Auch die Mitarbeiter eines "Jobcenters" wurden am 21. Juni als "Drecksjudenpack" beschimpft. Aus Anlass des Gedenktages der "Reichspogromnacht" am 9. November wurden mehrere "Stolpersteine" zum Andenken an die Opfer des Holocaust verunreinigt und beschädigt. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in der Stadt waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch zahlreiche rechtsextremistische Fußballanhänger. SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen darüber hinaus als Mobilisierungspotenzial, z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional, an asylkritischen Veranstaltungen teil. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Stadt Chemnitz 242 160 306 15 6 43 1.7.3 Stadt Dresden In Dresden gehörten im Jahr 2018 etwa 300 bis 350 Personen der rechtsextremistischen Szene an. Damit ging das Personenpotenzial im Vergleich zum Vorjahr leicht zurück, lag jedoch im sachsenweiten Vergleich nach wie vor im oberen Bereich. 90 Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Der Dresdner Kreisverband (KV) der NPD zählt, wie schon im Vorjahr, zu den noch verbliebenen aktiven NPD-Strukturen im Freistaat Sachsen. Der KV ist jedoch kaum noch öffentlich wirksam wahrnehmbar, da die Aktionsdichte und Teilnehmerzahlen vergleichsweise gering sind. Unter dem Motto "Klare Kante gegen Ausländerkriminalität und Überfremdung - Dresden gehört UNS!" führte der NPD-Kreisverband Dresden gemeinsam mit dem JN-"Stützpunkt" Dresden am 17. Januar 2018 eine Kundgebung durch. Dem Aufruf folgten knapp 100 Personen. Als Redner traten u. a. die lokalen rechtsextremistischen Funktionäre Jens BAUR und Maik MÜLLER auf. Die Teilnehmerzahl dürfte den "harten Kern" des verfügbaren Mobilisierungspotenzials der lokalen parteigebundenen Szene abbilden. Die inhaltliche Ausrichtung zeigte sich asylfeindlich: Personen mit Migrationshintergrund wurden pauschal kriminalisiert und man schürte die Angst vor "Überfremdung". Der NPD-KV Dresden instrumentalisierte auch im Jahr 2018 den Jahrestag des Arbeiteraufstandes aus dem Jahr 1953 für eigene politische Zwecke. Unter dem Motto "Damals wie heute - Staatsschergen abstrafen" organisierte die lokale NPD-Struktur zusammen mit dem JN"Stützpunkt" in Dresden vor dem Rathaus eine Kundgebung. Bewegten sich die Teilnehmerzahlen in den Vorjahren noch im niedrigen dreistelligen Bereich, scheint mit der diesjährigen Teilnehmerzahl von 20 Personen ein weiterer Tiefpunkt einer Entwicklung erreicht: Die öffentliche Wahrnehmbarkeit der NPD nimmt, selbst in ihren "Hochburgen", weiter ab. Mit dem Dresdner JN-"Stützpunktleiter" Maik MÜLLER übernahm im September 2017 ein bundesweit gut vernetzter Aktivist die Führung der JN Sachsen. Trotz der damit verbundenen Erwartungshaltung hinsichtlich einer erneuten Belebung der lokalen Struktur, war der JN"Stützpunkt" Dresden im Berichtsjahr faktisch nicht mehr wahrnehmbar. Öffentliche Auftritte beschränkten sich auf wenige gemeinsame Aktivitäten mit dem Kreisverband der NPD. Auch das eigene Facebook-Profil verschwand im Laufe des Jahres. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Wie auch in den Vorjahren führten Rechtsextremisten anlässlich des 73. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg verschiedene Aktivitäten im Rahmen der "Aktionswoche" zum 13. Februar durch. Diese fanden am 10. Februar 2018 mit dem jährlichen sogenannten Gedenkmarsch ihren Höhepunkt. An der Veranstaltung unter dem Motto "Vergesst niemals Dresden! Gedenkmarsch zu Ehren der Dresdner Luftkriegstoten des 13. Februar 1945. Dresden-Gedenken 2018" beteiligten sich ca. 520 Personen, die aus Sachsen, dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland angereist waren. Nach Szeneangaben stammten die ausländischen Teilnehmer aus Schweden, Frankreich, Zypern, Serbien, der Tschechischen Republik und Spanien. Neben den Flaggen der vorgenannten Nationen wurden zahlreiche Transparente und schwarze Fahnen mitgeführt, die auf eine sachsenund bundesweite Teilnehmerschaft schließen ließen. Zur Abschlusskundgebung traten neben dem Anmelder und Versammlungsleiter, Maik MÜLLER, u. a. ein Mitglied des Europäischen Parlaments und der thüringische Rechtsextremist und stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE auf. Die Grußworte der ausländischen Teilnehmer wurden von lokalen Szeneangehörigen übersetzt. MÜLLER benannte die "Initiative Dresden Gedenken" als Ausrichter der Veranstaltung. Die Berichterstattung sowohl zum "Trauermarsch" als auch zur "Aktionswoche" erfolgte im Wesentlichen auf dem Facebook-Profil dresden-gedenken.info. Bemerkenswert dabei ist, dass MÜLLER auf Internationalität offensichtlich großen Wert legt und sämtliche Beiträge mit entsprechender Übersetzung ins Englische 91 veröffentlichte. Die Berichterstattung wurde in diesem Jahr vergleichsweise nur wenig geteilt. Auch das bundesweite Echo in Form von Soli-Aktionen (Flugblätter, Holzkreuze etc.) war geringer als in den Vorjahren. Der NPD-Kreisverband Dresden beteiligte sich, wie schon im Vorjahr, öffentlich wahrnehmbar an den "Kern"-Aktivitäten der "Aktionswoche": Es wurden Kranzniederlegungen durchgeführt und ein Infostand angemeldet. Zum "Trauermarsch" traten NPD und JN mit einem gemeinsamen Transparent auf. Zwar wurde mit der Teilnehmerzahl von 520 Personen die angemeldete Zahl von 500 leicht überschritten, jedoch ist im Vergleich zum Vorjahr (2017: 700 Teilnehmer) ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Der "Gedenkmarsch" wird von der Szene dennoch als Erfolg gewertet, weil man ihn und die Abschlusskundgebung ohne nennenswerte Beeinträchtigung durchführen konnte. Insbesondere wurde die überregionale Beteiligung an der Veranstaltung hervorgehoben. Auch vor dem Hintergrund der zweisprachigen Berichterstattung durch MÜLLER dürfte der Fokus auf der Internationalität und bundesweiten Vernetzung gelegen haben. Aus diesem Grund hat man offenbar auch ein kleineres Teilnehmerfeld akzeptiert. Die abnehmende Aktionsdichte innerhalb der " Aktionswoche" zugunsten einer Fokussierung auf den "Trauermarsch" deutete sich bereits im vergangenen Jahr an und ist auch in Zukunft so zu erwarten. Hierfür spricht auch eine Veröffentlichung des Organisators Maik MÜLLER in der rechtsextremistischen Druckschrift N.S. HEUTE162, in der er sich von "großen Aufläufen" distanzierte. Die Entwicklung des "Gedenkmarsches" zum 13. Februar ist damit sehr eng mit der Person Maik MÜLLER verbunden, der im Sinne einer "Rückbesinnung" auf Kernanliegen und Kernthemen der rechtsextremistischen Szene den qualitativen Ansatz großen Teilnehmerzahlen vorzieht. Dies dient auch dem Ziel MÜLLERs, vor allem einen störungsfreien Ablauf der Veranstaltung sicherzustellen. Es besteht hier die Gefahr, dass mit nachlassender Beachtung der Veranstaltung auch die zivilgesellschaftliche Gegenwehr nachlässt und es MÜLLER gelingen könnte, hier einen festen Treffpunkt für den Kern der rechtsextremistischen Szene zu schaffen. Wie schon 2017 konnten eigene Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene in Dresden nicht beobachtet werden. Sie trat vielmehr nur als Teilnehmer bei anderen rechtsextremistischen Veranstaltungen in Erscheinung. Eine Ursache hierfür dürfte der auch im Berichtsjahr anhaltende Verfolgungsdruck sein, der sich aus den exekutiven Folgemaßnahmen gegen die FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN sowie ersten Verurteilungen und weiteren anhängigen Verfahren gegen eine Vielzahl von Szeneaktivisten ergab. IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) Die Ortsgruppe Dresden gehörte im Jahr 2018 zu den aktiveren Ortsgruppen der IB im Freistaat Sachsen. Ihre Mitglieder verteilten Flyer im Stadtgebiet und brachten Plakate und Banner an. So verbreiteten mehrere Akteure am 18. April 2018 auf dem Campus der Technischen Universität Dresden und am 8. Mai 2018 auf dem Campus der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden Flugblätter, um weitere Studenten für die IB zu gewinnen. Bilder der Aktionen wurden in den sozialen Medien eingestellt. Die IB beteiligte sich auch im Jahr 2018 an Veranstaltungen der nichtextremistischen Pegida. Mit Redeauftritten konnten sowohl der Leiter der IDENTITÄREN BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IBD) Daniel FIß am 6. August 2018, der Regionalleiter der IB Sachsen Alexander KLEINE am 20. August 2018 sowie der Leiter der IB Berlin-Brandenburg Robert TIMM am 21.Oktober 2018 für die Gruppierung werben. Mit dem Konzept der sogenannten IB-Zonen163 versuchten sie, ab Juni 2018, den Diskursraum aus den sozialen Medien heraus mittels Kundgebungen und Infoständen auf die Straßen zu verlagern. "Deutschland, wir müssen reden!" lautete das Motto der Aktionen, mit denen IB-Aktivisten versuchten, Präsenz zu zeigen. In Dresden fand in diesem Zusammenhang am 7. Juli 2018 eine Kundgebung im Stadtzentrum unter dem Motto "Heimat erhalten, Zukunft gestalten" statt. Dazu fanden sich etwa 30 Teilnehmer zusammen. Es kam zu verbalen Auseinandersetzungen und 162 Ausgabe Nr. 7, Januar/ Februar 2018 163 siehe Abschnitt II.1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND 92 gegenseitigen Provokationen mit Gegendemonstranten. Durch Einsatzkräfte der Polizei konnte eine Eskalation verhindert werden. Eine weitere Kundgebung zum Thema "Europa Nostra" führte die IB SACHSEN am 4. August 2018 ebenfalls im Stadtzentrum durch. Auch hier kam es nach Polizeimeldungen teilweise zu hitzigen Diskussionen zwischen Versammlungsteilnehmern und Passanten. Im Anschluss brachte die IB am 4. August 2018 an der Brühlschen Terrasse ein Banner an, um für die Veranstaltung "Europa Nostra" für den 25. August 2018 in Dresden zu mobilisieren. Sie veranstaltete mit dem "patriotischen Widerstandsund Vernetzungstreffen" am 25. August 2018 in Dresden erstmalig eine Großkundgebung mit umfangreichem Rahmenprogramm. Motiv für eine derartige Veranstaltung waren zum einen die Löschungen bei Facebook und zum anderen der Ablauf der Demonstrationen in Wien 2016 und Berlin 2017. Aufgrund von Gegenprotesten, organisatorischen Mängeln und einer erkennbaren Mobilisierungsschwäche konnte die IB ihre Demonstration 2017 nicht wie geplant durchführen. Bewusst habe man daher im Jahr 2018 die sächsische Landeshauptstadt als Ort für eine Großveranstaltung gewählt. Die IB beschreibt Dresden als "Hauptstadt des Widerstandes" und begründet dies mit den montäglichen nichtextremistischen Pegida-Veranstaltungen. Anmelder der öffentlichen Versammlung unter dem Motto "Europa Nostra - Identität verteidigen - Heimat bewahren" war der Vorsitzende des IB DEUTSCHLAND e. V. Daniel FIß. Die Versammlung wurde umfangreich in den sozialen Medien und von IB-Funktionären auf den montäglichen Pegida-Demonstrationen beworben. Mit 350 Personen (Polizeiangabe) nahm jedoch nur die Hälfte der erwarteten Teilnehmer teil. Die IB selbst spricht von mehr als 650 Besuchern. Die Redner stammten aus den Reihen der IB bzw. aus deren Unterstützerumfeld. Generell stellte es sich als Vernetzungstreffen der IB-Anhänger wie auch der Unterstützer der IB in anderen Organisationen dar. Insbesondere die IB Österreich war mit mehreren ihrer Führungspersonen im Programm vertreten. Auf dem Gelände befanden sich Verkaufsbzw. Informationsstände, u. a. von Kampagnen, Verlagen und Modelabels der IB bzw. aus deren Umfeld. Während der Veranstaltung wurden mehrere Pressevertreter durch Ordner und IB-Teilnehmer bedrängt und an ihrer Arbeit gehindert. Die Teilnehmerzahl und auch der Werbeerfolg der Veranstaltung blieben deutlich unter den Erwartungen. Videound Bildveröffentlichungen zufolge nahmen viele ältere Menschen teil. Das bedeutet, die IB konnte ihr eigentliches Mitgliederpotenzial nicht im größeren Umfang nach Dresden mobilisieren.164 Nach dieser Großveranstaltung trat die Dresdner Ortsgruppe nur noch bei Aufzügen von Pegida und mit einer Banneraktion mit wenigen Teilnehmern am 19. September 2018 unter dem Motto "Wer andere Meinungen ausgrenzt, hat Angst vor Demokratie" in Erscheinung. Auch der zu diesem Zeitpunkt als Leiter der Ortsgruppe fungierende Martin BADER, der zudem seit Februar 2018 einer der beiden Regionalleiter der IB Sachsen war, zog sich aus der öffentlichen Wahrnehmbarkeit zurück.165 Andere Akteure der Dresdner Ortsgruppe unterstützten im zweiten Halbjahr 2018 die Bautzener Ortsgruppe mehrmals bei deren Aktivitäten. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Die rechtsextremistische Musikszene ist in Dresden mit den Bands SACHSONIA, BLUTZEUGEN und BRAINWASH vertreten. Die Musikgruppen ENDLESS STRUGGLE und HOPE FOR THE W EAK zeigten sich nicht mehr aktiv. Seit 1999 sind Aktivitäten der Band SACHSONIA bekannt. Sie wurde im Berichtsjahr zusammen mit HEILIGER KRIEG (SN), CONFIDENT OF VICTORY (BB) und weiteren Bands für ein am 21. April 2018 geplantes Konzert in Polen angekündigt. Das Konzert wurde jedoch abgesagt. Im Musikobjekt in Staupitz trat die Band mit den zwei japanischen Bands T HE HAWKS und AGGROKNUGGLE sowie SQRT (ITA) und BARRICADES (ST) vor etwa 220 Teilnehmern auf. 164 siehe Abschnitt II.1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND 165 Sein Bild mit Kurzbeschreibung wurde auf der Internetseite der IB Sachsen gelöscht. 93 Im Herbst gab die Band ein neues Album mit dem Titel "18" heraus. Angeblich beziehe sich dieser Titel nicht auf das in der rechtsextremistischen Szene genutzte Synonym für "AH" (Adolf HITLER), sondern stehe im Zusammenhang mit dem 18-jährigen Wirkungszeitraum der Band. Die Gestaltung des Covers vermittelt jedoch ein anderes Bild. Die Dresdner Band BLUTZEUGEN beteiligte sich am 16. Juni 2018 an einer Musikveranstaltung in der Tschechischen Republik. Außerdem trat sie auf einem Konzert am 1. Dezember 2018 in Ostritz auf. Die Band veröffentlichte den Tonträger "Ewige Wache". Dieser Tonträger, der auch bei dem Konzert in der Tschechischen Republik verteilt wurde, weist Bezüge zum Nationalsozialismus auf. Die Band BRAINWASH, deren Mitglieder aus Sachsen und Brandenburg stammen, trat bei rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen in Deutschland, aber auch im Ausland auf. Am 29. April 2018 stand sie mit Bands aus Russland, der Ukraine sowie der Slowakischen Republik bei einem Konzert in Kiew auf der Bühne. In Serbien fand ein weiteres Konzert am 20. Oktober 2018 statt. BRAINWASH spielte neben CODE 291 aus Schweden sowie zwei Bands aus Serbien. Das Textil-Label DRYVE BY SUIZHYDE und das dazugehörige Design-Studio MUDHATER ist in Dresden ansässig. Das Sortiment des Unternehmens wird über den eigenen Versand im Internet und weiteren Vertriebsfirmen verkauft. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den parteigebundenen und den ungebundenen rechtsextremistischen Strukturen gab es in Dresden eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in der Stadt waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch zahlreiche Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Die Szene fiel vor allem durch die Begehung von Straftaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner, Amtsund Mandatsträger sowie alle sonstigen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene auf. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise bereits erfolgter Verurteilungen geworden: Es wurden wiederholt Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen: Ein afghanischer Staatsangehöriger wurde am 19. April lautstark ausländerfeindlich beleidigt. Zudem wurde ein Hund auf ihn losgelassen, vor dem er sich auf einem Auto in Sicherheit brachte. Ein mexikanischer Staatsangehöriger wurde am 11. Mai nach Verlassen der Bahn getreten, geschubst und mit einem Faustschlag niedergestreckt. Zuvor war "Scheißpack" und "verpisst euch" gerufen worden. Nach einer verbalen und tätlichen Auseinandersetzung wurden am 22. Mai drei eritreische Staatsangehörige ebenfalls mit den Worten "verpisst euch" beleidigt; ihnen wurde der Hitlergruß gezeigt. Nachdem sich am 6. Juni ein algerischer Staatsangehöriger gegen Beleidigungen verwahrt hatte, erhielt er einen Schlag ins Gesicht. Am 15. Juni versuchte eine weibliche Tatverdächtige zwei syrischen Staatsangehörigen das Kopftuch herunterzureißen. Ihr Begleiter schubste zudem einen weiteren syrischen Staatsangehörigen. Zwei Tatverdächtige verfolgten am 21. Juni mit abgebrochenen Bierflaschen einen deutschen Staatsangehörigen mit asiatischem Äußeren. Zuvor hatten sie diesen aus einer Gruppe von zehn bis 15 Personen heraus ausländerfeindlich beleidigt. Ein zu Hilfe kommender Mitbürger wurde ebenfalls verletzt. Ein tschechischer Staatsangehöriger, der mit seiner Familie am 22. Juni in eine asiatische Imbissstube hatte einkehren wollen, wurde von zwei Personen als "Scheiß Kanake" beleidigt und 94 bis in den Hauptbahnhof verfolgt. Die Angreifer wurden durch zu Hilfe eilende Mitbürger abgewehrt. Am 11. Juli wurde ein eritreischer Staatsangehöriger als "Nigger" bezeichnet, und man schlug ihn mit der Faust ins Gesicht. Eine als solche erkennbare Muslimin wurde am 10. September in der Straßenbahn getreten, beleidigt und mit einer Kehlenschnittgeste bedroht. Dabei wurde "Sieg Heil" gerufen und der Hitlergruß gezeigt. Des Weiteren kamen auch waffenähnliche Gegenstände zum Einsatz: Am 17. Februar wurde ein Pressevertreter mit einer Fahnenstange ins Gesicht geschlagen. Auf die Wohnung eines eritreischen Staatsangehörigen wurde am 31. August mit einer CO2-Waffe geschossen. Am 24. Dezember wurde mit einer Paintballwaffe auf eine Personengruppe geschossen, die sich vor einem Dönerimbiss aufhielt. SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen darüber hinaus als Mobilisierungspotenzial z. B. für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional an asylkritischen Veranstaltungen teil. Die Grenzen zur neonationalsozialistischen Szene sind fließend, sodass in Dresden von einer Mischszene gesprochen werden kann. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Stadt Dresden 376 302 359 25 21 30 1.7.4 Erzgebirgskreis Im Erzgebirgskreis waren der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2018 zwischen 150 und 200 Personen zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr blieb das rechtsextremistische Personenpotenzial konstant und lag im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. Parteien DER DRITTE W EG Die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG im Erzgebirgskreis sind im "Stützpunkt Westsachsen" organisiert. Der "Stützpunkt" vereint nach Eigenangaben die Landkreise Erzgebirge und Zwickau sowie die Stadt Chemnitz und deren Umland. Im Berichtsjahr war der "Stützpunkt Westsachsen" im Erzgebirgskreis kaum öffentlich aktiv. 95 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Im Erzgebirgskreis ist die NPD mit einem Kreisverband vertreten, der im Jahr 2007 aus der Fusion der ehemaligen NPD-Kreisverbände Annaberg, Aue-Schwarzenberg, Stollberg und Mittlerer Erzgebirgskreis hervorgegangen war. Der Kreisverband verfügt über Mandatsträger im Kreistag sowie in einzelnen Städten und Gemeinden. Öffentlichkeitswirksam trat er kaum in Erscheinung. Einzelne Parteimitglieder, u. a. der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Erzgebirge Stefan HARTUNG engagierten sich in parteifernen Strukturen, wie FREIGEIST E. V., oder beteiligten sich an Demonstrationen von PRO CHEMNITZ. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Im Erzgebirgskreis wurden im Berichtsjahr mehrere "Zeitzeugenvorträge" 166 von NEONATIONALSOZIALISTEN organisiert. Für diese wurde im Vorfeld überregional mit Flyern geworben. An einem solchen Vortrag am 12. Mai 2018 in Aue beteiligten sich ca. 170 Personen. Weitere Veranstaltungen fanden am 30. Juni 2018 in Zschopau mit ca. 200 Teilnehmern und am 21. Oktober 2018 in Oelsnitz/Erzgebirge mit ca. 100 Teilnehmern statt. Mit dem Kampfsportturnier "TIWAZ - Kampf der freien Männer" am 9. Juni fand in GrünhainBeierfeld zudem eine für die rechtsextremistische Szene bedeutsame Kampfsportveranstaltung 167 statt. In deren Organisation waren regional und überregional aktive NEONATIONALSOZIALISTEN eingebunden. Die Veranstaltung wurde von ca. 450 Teilnehmern aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus Frankreich und Russland besucht. Im Rahmen der Veranstaltung trat ein "Zeitzeuge" auf. Unter den Besuchern der Veranstaltung befanden sich auch Angehörige der Partei DER DRITTE W EG. Zudem nahmen Angehörige der Arbeitsgruppe "Körper & Geist"168 der Partei DER DRITTE W EG als Kämpfer an der Veranstaltung teil. Durch den stellvertretenden Parteivorsitzenden Matthias FISCHER wurde ferner eine Rede gehalten, in der "die Wichtigkeit körperlicher Fitness im Zusammenhang geistiger Herausforderungen in diesen, für uns alle schweren Zeiten einer konstanten Lethargie unseres Volkes"169 betont wurde. Zu den parteiungebundenen neonationalsozialistisch ausgerichteten Strukturen im Erzgebirgskreis zählt der aus der einstigen Kampagne "Freigeist" entstandene Verein FREIGEIST E.V. Gründer des Vereins ist der Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes für den Erzgebirgskreis, Stefan HARTUNG. Unter Vermeidung eines Bezugs zur NPD hatte HARTUNG einige Jahre mit der Freigeist-Kampagne Aktionen und asylfeindliche Demonstrationen in der Region organisiert. Diese richteten sich gegen die Asylpolitik im Allgemeinen, aber auch gezielt gegen einzelne Amtsund Mandatsträger sowie Angehörige der Zivilgesellschaft. Im Berichtsjahr organisierte FREIGEIST E.V. am 30. Juni eine Veranstaltung unter dem Motto "Freigeistiger Sommerabend", an welcher sich ca. 500 Personen beteiligten. Während der Veranstaltung traten die beiden NPD-Kommunalpolitiker Stefan HARTUNG und Mario LÖFFLER sowie Martin KOHLMANN von PRO CHEMNITZ als Redner auf. Zudem spielte der rechtsextremistische Liedermacher Frank RENNICKE. Am 20. Oktober 2018 führte FREIGEIST E.V. in Schwarzenberg eine Kundgebung mit Demonstration unter dem Motto "Schutzzone Erzgebirge - Sicherheit auch für Deutsche!", "aufgrund der sich verschärfenden Sicherheitslage für uns Deutsche170" mit ca. 300 Teilnehmern durch. Damit griff FREIGEIST E.V. die Thematik "Sicherheit" vor dem Hintergrund eines sexuellen 166 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 167 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 168 siehe II.1.3.1 DER DRITTE WEG 169 www.der-dritte-weg.info (Stand: 20. Juni 2018) 170 Facebook-Profil FREIGEIST E.V. (Stand: 18. Oktober 2018) 96 Übergriffes im Erzgebirge auf. Es ist zu erwarten, dass FREIGEIST E.V. entsprechende Vorfälle in Zukunft für seine rechtsextremistische Agenda instrumentalisieren wird. Besonderes Augenmerk ist auf das Zusammenwirken einzelner Rechtextremisten zu legen, welche sich zugleich auch in nichtextremistischen Vereinen, wie zum Beispiel "Heimattreue Niederdorf" und "Unsere Heimat - unsere Zukunft" (Oelsnitz), engagieren.171 Hervorzuheben ist die Tätigkeit der Rechtsextremisten Thomas WITTE und Maik ARNOLD. Auf diese Weise verfolgen sie das Ziel, ihre Inhalte und Aktivitäten in der Zivilgesellschaft zu verbreiten. 172 IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) Die Ortsgruppe Erzgebirge der IDENTITÄREN BEWEGUNG (IB) besteht nach eigenen Angaben seit Anfang November 2015. Im Berichtsjahr trat sie lediglich mit der Verteilung von Flyern und dem Anbringen von Aufklebern im März mit der Aufschrift "Verteidige mit uns Sachsen!" sowie durch eine Sprühaktion im Mai in Erscheinung. Bisher bekannte Aktivisten sind auch in der Kampfsportszene aktiv. Derzeit wirken diese in regionalen Vereinen in Lößnitz mit und treten in der Öffentlichkeit nicht mehr unter dem Label der IB in Erscheinung. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Zum Betätigungsfeld der subkulturell geprägten rechtsextremistichen Szene zählen auch die Durchführung und Teilnahme an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen. So war für den 8. Januar 2018 in Eibenstock die Durchführung eines Liederabends mit dem rechtsextremistischen Sänger Michael REGNER ("Lunikoff") geplant. Da der Mietvertrag für das Veranstaltungsobjekt am Veranstaltungstag kurzfristig gekündigt worden war, fand die Veranstaltung nicht statt. Im Erzgebirgskreis bestehen Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Hier sind die rechtsextremistischen Musikgruppen VERBOTEN, WHITE RESISTANCE und PARANOID aktiv. Aktivitäten der Band SISTA BATALJEN wurden im Berichtsjahr nicht bekannt. Die Band VERBOTEN gab Anfang des Jahres zusammen mit SMART VIOLENCE (NW) den Tonträger "Glück auf" heraus. Weitere Aktivitäten wurden nicht bekannt. Bei der Band PARANOID handelt es sich um eine "Ein Mann Band" aus dem Erzgebirge, welche sich im Jahr 2005 ursprünglich als "komplette Kapelle" gegründet hatte, jedoch nach und nach ihre Mitglieder verlor. Der Musiker gab in einem Interview im Jahr 2017 an, für seine Tonträger mit Gastsängern zusammen zu arbeiten. Der Versuch, die Band auf die Bühne zu bringen, sei bisher an der Distanz von "potenziellen Livemusikern" gescheitert173. Im Berichtsjahr beteiligte sich PARANOID am Sampler "GEMEINSCHAFT LEBEN". Die Band W HITE RESISTANCE trat dagegen bei Konzertveranstaltungen auf. Am 24. Februar beteiligte sie sich an einem Konzert in Süddeutschland. Am 29. September spielte sie in der Tschechischen Republik. Im Mai erschien bei PC-Records ein Album der Band mit dem Titel "Nicht in diesem Leben". Im Landkreis existieren keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Im Erzgebirgskreis gibt es ein unstrukturiertes subkulturell geprägtes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose 171 Die hinter dieser Thematik stehenden "Einsickerungsbemühungen" werden ausführlich im Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen beleuchtet. 172 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 173 Fanzine SPEKTAKULEER, S. 7 ff. 97 und reichten selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch rechtsextremistische Fußballanhänger. Hauptsächlich fiel dieses Personenpotenzial im Erzgebirgskreis in den letzten Jahren durch die Begehung von Straftaten gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger, auf. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise bereits erfolgter Verurteilungen geworden: Eine Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Annaberg-Buchholz wurde in der Silvesternacht mit einer Plastiktüte aus Kot und Schweinefleisch beworfen. Die Tüte wurde mittels Böllern zur Explosion gebracht und verunreinigte den Eingangsbereich. In Burkhardtsdorf wurde ein libyscher Staatsangehöriger am 22. Januar mit einem Baseballschläger und den Worten "I kill you" bedroht. Der Täter rief außerdem "Sieg Heil". Ein weiterer Libyer wurde am 11. März in Annaberg-Buchholz mit den Worten "Scheiß Ausländer" beleidigt, während der Täter gegen seine Wohnungstür schlug. In Schwarzenberg wurde am 16. März der Schriftzug "Combat 18" angebracht. Einen weiteren Bezug zu BLOOD & HONOUR gab es durch das Tragen entsprechender T-Shirts beim Burgfest in Wolkenstein am 10. Mai. Im Innenhof einer Grundschule in Bockau wurde am 20. April neben einem Hakenkreuz der Schriftzug "Scheiß Juden" aufgebracht. Eine Person aus Schwarzenberg verbreitete am 11. Juni das Bild eines Verbrennungsofens samt einer Rutsche mit dem Untertitel "Juden Rutsch" im Internet. Am Eisenbahnviadukt in Schwarzenberg hing am 29. Juni eine den Hitlergruß zeigende Puppe. Zum Nikolaustag wurde im Internet ein Räuchermännchen in Form von Adolf Hitler, einen Hitlergruß zeigend, zum Verkauf angeboten. Am 1. Juli wurde in Zschopau ein Schweinekopf gegen eine Fensterscheibe der Asylbewerberunterkunft geworfen. Der Inhaber eines Dönerimbisses wurde am 21. Juli mit den Worten "Judenschwein", "Scheiß Türke" und "wir brennen euren Laden ab" bedroht. Eine Person, die bei einem öffentlichen Ereignis am 5. August in Zwönitz einen Hitlergruß von zwei anderen Personen zurückwies, wurde von diesen beim Verlassen des Festzeltes zu Boden gebracht und geschlagen. Schließlich wurde im Jahr 2018 auch bekannt, dass eine deutsche Staatsangehörige aus Mildenau seit 2014 wiederholt öffentlich, auch im Internet, fremdenfeindlich beleidigt wurde. Der Täter äußerte u. a. "Ich vergas deine scheiß Negerfamilie" und "Hitler hats richtig gemacht. Schwarze und Juden vergast und erschossen". SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen im Übrigen als Mobilisierungspotenzial auch für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure zur Verfügung und beteiligten sich regelmäßig an asylbezogenen Veranstaltungen. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Erzgebirgskreis 176 137 116 6 7 0 98 1.7.5 Landkreis Görlitz Im Landkreis Görlitz gehörten der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 150 und 200 Personen an. Das rechtsextremistische Personenpotenzial blieb konstant und lag im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Im April 2018 fand eine Fusion der bisher eigenständigen Kreisverbände Bautzen und Niederschlesien-Oberlausitz zum neuen Kreisverband Bautzen-Niederschlesien unter dem Vorsitzenden Andreas STORR statt. Nennenswerte Aktivitäten konnten nicht festgestellt werden. An der Organisation der Großveranstaltungen in Ostritz war der lokale Verband nicht beteiligt. Der thüringische NPD-Vorsitzende Thorsten HEISE führte diese in eigener Regie durch. Großveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene in Ostritz im Hotel "Neißeblick" Im Berichtsjahr bildeten drei Großveranstaltungen, welche im Hotel "Neißeblick" in Ostritz durchgeführt wurden, besonders wichtige Ereignisse der rechtsextremistischen Szene. Dabei handelte es sich um das erste "Schild und Schwert Festival" vom 20. bis 22. April, den "Kampf der Nibelungen" am 13. Oktober sowie das zweite "Schild und Schwert Festival" vom 2. bis 3. November. "Schild und Schwert Festivals" Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE (Fretterode/TH) organisierte in der Liegenschaft des Hotels "Neißeblick" in Ostritz im April und November unter der Bezeichnung "Schild und Schwert Festival" zwei Großveranstaltungen als politische Kundgebungen. Diese sind Teil seines neonationalsozialistischen Selbstverständnisses: "Ich wollte immer ein Politikevent veranstalten, bei dem alle unsere Lebensbereiche abgedeckt werden. Ich selber bin politischer Soldat und kann meine Politik, meine Musik, meinen Sport oder mein Kunstverständnis von meiner Arbeit nicht trennen"174 Das erste Event im April stand noch unter dem Motto "Reconquista Europa - Gegenkultur schaffen". Der Untertitel der zweiten Veranstaltung lautete "Für Frieden und Freiheit". Hier wurden jedoch - im Unterschied zur April-Veranstaltung - zwei getrennte Versammlungen realisiert: "Europäischer Sport ist völkerverbindend" (2. November) und "Europäische Kunst und Kultur fördern - eigene Kunstausdrucksformen unterstützen" (3. November). Mit einem bis dahin im Freistaat Sachsen noch nicht erprobten Konzept bei rechtsextremistischen Veranstaltungen - einer Mischung aus politischem Event, Konzert, Tätowier-Show sowie Kampfsport - versuchte HEISE, das gesamte Spektrum der rechtsextremistischen Szene im Inund Ausland anzusprechen und in die Ortschaft an der deutsch-polnischen Grenze zu mobilisieren. Für den April erwartete HEISE etwa 750 Teilnehmer. Er erhoffte sich aber deutlich mehr Zuspruch, wie in einem Interview von ihm in der Publikation N.S. HEUTE zu entnehmen war. Dort warb er für den Veranstaltungsort, der bis zu 10.000 Teilnehmer erfassen kann. Letztendlich beteiligten sich ca. 1.300 Rechtsextremisten aus Deutschland sowie dem europäischen Ausland. Allerdings wurden bei weitem nicht die Teilnehmerzahlen der Pressefeste des NPD-Verlages DEUTSCHE STIMME in den Jahren 2004 und 2006 (bis zu 7.000 Teilnehmer) oder der Konzertveranstaltung im Juli 2017 im thüringischen Themar (6.000 Teilnehmer) erreicht. Die Besucherzahlen für den Novembertermin blieben vermutlich ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. So fanden am Haupttag, dem 3. November, nur knapp 800 Besucher den Weg zur Versammlung. Damit wurde die Anzahl vom April deutlich unterschritten. Ein Grund dafür könnte darin liegen, dass der Programmablauf inhaltlich weitestgehend dem im April ähnelte. Möglicherweise 174 N.S. HEUTE, Nr. 8, März/ April 2018, S. 8 99 fehlten der Szene neue Anreize. Darüber hinaus fanden in Sachsen im vergangenen Jahr eine Vielzahl von Konzerten und ähnlichen Veranstaltungen statt, sodass sich vermutlich ein gewisses "Sättigungsgefühl" bei den Teilnehmern eingestellt hat. Gerade der erste Veranstaltungstag mit nur knapp 400 Teilnehmern dürfte dabei besonders enttäuscht haben. Von Seiten der Organisatoren der "Kampf der Nibelungen"-Veranstaltung (KdN) wurde ein in Deutschland bislang noch nicht durchgeführtes Kampfsportformat - sogenannte Team Fights - beim "Schild und Schwert Festival" im November avisiert. Letztlich wurde die Veranstaltung jedoch wegen Erkrankung der Kämpfer abgesagt. Die Versammlungen und Veranstaltungen sowie die zahlreichen Gegenveranstaltungen verliefen aufgrund der hohen Polizeipräsenz ohne größere Zwischenfälle. Die Polizei setzte die jeweils gerichtlich bestätigten Auflagen zum Erwerb und Konsum von alkoholischen Getränken konsequent durch. Ein Zwischenfall fand in Bezug auf die Pressefreiheit statt. Im April gab sich HEISE noch betont offen, wonach jeder "echte Ostritzer [...] spendenfrei"175 Gast der Veranstaltung sein könne. Auch führte er eine "Pressekonferenz" durch, an der außer ihm der Hotelbesitzer, einige NPDFunktionäre sowie ein Bundesvorsitzender der Partei DIE RECHTE, Sascha KROLZIG, teilnahmen. Im November war von dieser "Offenheit" nichts mehr zu spüren. Ganz im Gegenteil wollte HEISE die Tatsache, dass der Versammlungsraum nur durch den privaten Veranstaltungsbereich betreten werden konnte, dazu nutzen, den Pressevertretern unter Hinweis auf das Hausrecht das Betreten zu verweigern. Dies gelang ihm jedoch nicht, da die Polizei die Wahrung der Pressefreiheit durchsetzte und den Pressevertretern den Zugang zum Versammlungsgeschehen ermöglichte. Die in das Internet gestellten Bilder von Festivalteilnehmern offenbaren, welches NS-affine Klientel das Veranstaltungskonzept angezogen hat. Offen zeigten sich die Rechtsextremisten in T-Shirts mit Aufdrucken wie "HTLR SCHNTZL", "I HTLR", "Adolf war der Beste", "ADOLF 8" bzw. "EVA 8", "Hitlerche" sowie "14:88 unsere Zeit wird kommen" und demonstrierten damit ihre Verbundenheit mit der Ideologie des Nationalsozialismus. Bei zahlreichen Verkaufsständen wurden den Teilnehmern diese Kleidungsstücke zum Kauf angeboten. Darüber hinaus hatten sie die Gelegenheit, mit den Veranstaltungsorganisatoren sowie diversen rechtsextremistischen Organisationen bzw. Initiativen in Kontakt zu treten. Die sächsische rechtsextremistische Szene blieb bei der Organisation der Veranstaltung weitgehend außen vor. Weder griff der Veranstalter auf die sächsischen rechtsextremistischen Bands zurück, noch wurde die NPD Sachsen in die Veranstaltung miteinbezogen, was auf Kritik des Kreisverbands Bautzen-Niederschlesien stieß.176 "Kampf der Nibelungen" Unabhängig von den o. g. Festivalveranstaltungen organisierte die rechtsextremistische Szene im Hotel "Neißeblick" am 13. Oktober eine Kampfsportveranstaltung unter dem Namen "Kampf der Nibelungen" (KdN). Mit ca. 850 Personen war es das bundesweit teilnehmerstärkste Event. Die Organisatoren zogen eine positive Bilanz: "(...) am 13. Oktober 2018 bricht der Kampf der Nibelungen nach einem jährlich stetigen Wachstum alle bisher dagewesenen Rekorde. Unter Erfüllung aller behördlichen Auflagen und Genehmigung finden sich über 800 Personen zur 6. Veranstaltung des Nibelungenrings in der ostsächsischen Gemeinde Ostritz ein. Unter ihnen befinden sich neben dem KdN-Team Helfer, Unterstützer der Kampfgemeinschaft, Kämpfer verschiedener Nationen und Zuschauer (...)."177 175 www.schildundschwertfestival.de (Stand: 28. März 2018) 176 Facebook-Profil NPD Görlitz (Stand: 19. April 2018) 177 Facebook-Profil KdN 2018 (Stand: 16. Oktober 2018) 100 Nachdem die Veranstaltung bislang stets klandestin organisiert worden war, erfolgte im Berichtsjahr eine offene Anmeldung bei der Stadt Ostritz. Sie wurde von den Veranstaltern nun auch intensiv beworben, was zu den im Vergleich zum letzten Jahr deutlich gestiegenen Teilnehmerzahlen beigetragen hat. Mittlerweile bildet der KdN eine feste Größe in der Szene. Auf dem Veranstaltungsgelände standen den Organisatoren um den Dortmunder Rechtsextremisten Alexander DEPTOLLA sowie dem russischen Hooligan, Kampfsportler und Inhaber der Marke "White Rex" Denis NIKITIN zwei 500 m 2 große Hallen zur Verfügung. Unter den Besuchern befanden sich Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus Frankreich, Italien, Österreich, der Schweiz, der Tschechischen Republik und der Ukraine. Das Kämpferfeld von etwa 40 Personen war ebenfalls international besetzt. Es kämpften Mitglieder der JN Sachsen und auch der "TIWAZ-Gemeinschaft", welche erst im Juni 2018 im sächsischen Grünhain-Beierfeld eine eigene Kampfsportveranstaltung mit ca. 450 Teilnehmern organisiert hatte. Die Gruppierung "WARDON"178 betrieb während der Veranstaltung eine "Feldküche" und bot an, dass anstatt mit Geld auch mit "Sport" bezahlt werden könne. Nach Aussage der Organisatoren des KdN sollen einige Besucher dieses Angebot auch wahrgenommen haben. Die Intention von "WARDON" wurde durch einen Facebook-Eintrag deutlich: "Wir sind entschlossen, einen neuen Menschenschlag heranzuziehen!" Hinter dieser Aussage steht ganz deutlich der direkte Bezug auf den Nationalsozialismus, der sich die rassistische Heranziehung eines "neuen Menschen", des sogenannten Herrenmenschen, auf die Fahnen geschrieben hatte. Fraglich bleibt, ob die Nutzung des Hotels "Neißeblick" einmalig war, oder ob sich dieses auch für den KdN als Austragungsort verstetigt. Mit der Durchführung sollten hier offensichtlich Synergieeffekte mit dem ersten "Schild und Schwert Festival" im April genutzt werden. Für eine Fortführung spricht auch, dass sich das Gelände gut nach außen, z. B. vor Fotografen, abschirmen lässt. Auch wenn von den bisherigen Veranstaltungen keine Gefahren bzw. Straftaten ausgingen, machten die Organisatoren aus ihrer Einstellung keinen Hehl, wie es das folgende Zitat vom KdN in Bezug auf die Absage des "Rock gegen Überfremdung 3" deutlich belegt: "Wir wissen, warum wir dieses System hassen. Wir wissen, warum wir seine Diener verachten, egal, auf welcher Ebene sie ihr Tun verrichten. Wir wissen, warum es für uns keinen Frieden mit diesen Zuständen geben kann. Sollen sie sich ihre Platzverweise und Verbote sonst wo hinstecken. Wir bleiben unbequem, wir bleiben unbändig! Heute ist nicht aller Tage179, das ist sicher!"180 Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Waren im parteiungebundenen Spektrum der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2017 noch die neonationalsozialistischen Gruppierungen KOLLEKTIV OBERLAUSITZ in Weißwasser sowie die FREIEN KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN (FKMO) aktiv, so entfalteten beide im aktuellen Berichtsjahr im Landkreis keine Aktivitäten mehr. Die Führungsperson des KOLLEKTIVS OBERLAUSITZ, der Liedermacher OIRAM bzw. Mario ALBRECHT, war jedoch weiterhin in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv.181 Die rechtsextremistische Szene des Landkreises organisierte im Jahr 2018 mehrere größere Veranstaltungen: Nach den Veranstaltungen im Hotel "Neißeblick" in Ostritz 2017 sowie am Quitzdorfer See bei Niesky im Jahr 2016 folgte am 15. September die nunmehr dritte Auflage des "Ostsächsischen 178 überregionale Kampfsportgruppierung von Rechtsextremisten 179 Schreibweise wie im Original; Die Formulierung "Heute ist nicht alle Tage" ist ein Markenzeichen der Trickfilmfigur Paulchen Panther, die vom rechtsterroristischen NSU in seiner Selbstbezichtigungs-DVD mehrfach verwendet wurde. 180 Facebook-Profil KdN 2018 (Stand: 25. August 2018) 181 siehe Abschnitt II.1.4.5 Rechtsextremistische Musik 101 Sportund Familienfests" in Weißenberg, OT Lauske, statt. Der Zulauf zur Veranstaltung fiel dabei mit rund 70 Personen geringer aus als im Vorjahr (150 Teilnehmer). Das Interesse der Szene an Veranstaltungen dieser Art ist jedoch nach wie vor vorhanden. Vordergründig sind diese sogenannten Sportfeste unpolitisch ausgerichtet; sie sollen vor allem der Rekrutierung potenziellen Nachwuchses für die Szene dienen. Im Anschluss an das "Sportfest" fand unter dem Motto "Triumph des Willens" eine Musikveranstaltung im Nachbarort Nostitz (ebenfalls Stadt Weißenberg) statt, an der etwa 100 Personen teilnahmen. Mit der gewählten Bezeichnung der Veranstaltung wird bewusst eine Parallele zum gleichnamigen Titel des NS-Propagandafilms von Leni RIEFENSTAHL aus dem Jahr 1935 gezogen und damit Bezug zum historischen Nationalsozialismus genommen. Auf dem zugehörigen Werbeflyer war das Symbol von "Balaclava Graphics" aufgedruckt. Unter diesem Pseudonym bietet ein aus dem Raum Bautzen stammender Rechtsextremist u. a. seine Dienste als Graphiker für andere Rechtsextremisten und Bands an. Hier zeigt sich, dass die Organisatoren derartiger Veranstaltungen im ostsächsischen Raum gemeinsam agieren und untereinander eng vernetzt sind. Auf "Balaclava Graphics" wurde wiederholt anlässlich des Volkstrauertages am 18. November 2018 zu einer "Gedenkveranstaltung" der NEONATIONALSOZIALISTEN im Raum Ostsachsen mobilisiert. Diese "Gedenkveranstaltung" wurde am Abend in Quitzdorf, OT Sproitz, durchgeführt. Man wählte diesen Ort, da dort u. a. deutsche Gefallene aus dem 2. Weltkrieg bestattet worden waren. Hier zeigt sich ein weiteres Mal die geschichtsklitternde Bezugnahme der Szene auf deren revisionistisches Verständnis vom "Deutschen Reich". Zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene im Landkreis Görlitz zählt u. a. die BRIGADE 8, eine Gruppierung mit neonationalsozialistischen Bezügen, die in Hierarchie und ihrem Auftreten mit einheitlichen Lederkutten Rockergruppierungen ähnelt. Die BRIGADE 8 ist bundesweit organisiert und unterhält im Landkreis das "Chapter Weißwasser", das sich auch "Chapter Ostdeutschland" bzw. "Chapter Eastside" nennt. Sie führte - wie auch im Vorjahr - regelmäßig Veranstaltungen durch, bei denen auch rechtsextremistische Bands und Liedermacher auftraten. Ein herausragendes Ereignis bestand dabei in einer Feier zum fünfjährigen Bestehen der "Bruderschaft" am 2. Juni 2018 (100 Teilnehmer). Außerdem konnten im Berichtszeitraum Personen in Bekleidung mit "C18"182-Bezügen festgestellt werden. Die BRIGADE 8 hat sich zu einer festen, überregional aktiven Größe entwickelt. Die Anzahl der Veranstaltungen bewegt sich auf relativ hohem Niveau, wie auch die durchschnittliche Zahl der Teilnehmer mit bis zu 150 Personen. Die Teilnehmerzahlen nahmen im Berichtszeitraum zu. Ebenfalls zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene im Landkreis Görlitz zählt der Verein NATIONALER JUGENDBLOCK E. V. (NJB). Der NJB verfügt seit mehreren Jahren über ein Vereinshaus in Zittau, das für Treffen und Veranstaltungen genutzt wird. Hatte seine Bedeutung für die regionale Szene in den zurückliegenden Jahren abgenommen, so war im Berichtsjahr eine Zunahme der Aktivitäten zu verzeichnen. Nachdem der NJB bereits Ende 2017 eine Feier anlässlich des 25-jährigen Bestehens durchgeführt hatte, folgten 2018 zwei weitere größere Veranstaltungen. So traten zur "Pfingstclubshow" am 19. Mai 2018 auch zwei japanische Bands auf. Darüber hinaus konnte eine aus Italien stammende Band am 29. September im Objekt des NJB die Record-Release-Party ihrer neuen CD unter dem Motto "Live.Love.Burn.Die" durchführen. Es zeigte sich, dass der NJB sein Vereinsgebäude zunehmend für rechtsextremistische Konzertveranstaltungen nutzt und auch für das kommende Jahr mit entsprechenden Veranstaltungen in diesem Objekt zu rechnen ist. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage 182 "C18" oder "Combat 18", als Zahlencode 318, war der militante Arm der internationalen BLOOD & HONOUR-Bewegung (B&H, also Zahlencode 28). B&H wurde im Jahre 2000 durch den Bundesinnenminister verboten. Beide Labels, B&H wie auch C18, erfreuen sich in der rechtsextremistischen Szene nach wie vor großer Beliebtheit, da beide der Nimbus einer einstmals international erfolgreichen rechtsextremistischen Bewegung umgibt. 102 Die rechtsextremistische Musikszene im Landkreis Görlitz war im Berichtsjahr durch den Liedermacher OIRAM und sein Bandprojekt FEUERBEFEHL vertreten. OIRAM gab im Mai 2018 ein Album mit dem Titel "Er tat nur seine Pflicht" heraus. Seitdem wurden keine Aktivitäten mehr öffentlich bekannt. Sein Facebook-Profil sowie auch die Seite seines Bandprojektes FEUERBEFEHL sind nicht mehr erreichbar. Mit dem Gebäude der BRIGADE 8 in Mücka, dem Areal des Hotels "Neißeblick" in Ostritz und dem Haus des NATIONALEN JUGENDBLOCK ZITTAU E. V. in Zittau verfügt die rechtsextremistische Szene im Landkreis Görlitz über drei Objekte, welche für Konzertveranstaltungen genutzt werden können. Von besonderer Bedeutung für die Szene ist insbesondere die Liegenschaft in Ostritz, welche Platz für Großveranstaltungen mit Teilnehmerzahlen im vierstelligen Bereich bietet. Das Hotel "Neißeblick" gehört einem rechtsextremistischen Unternehmer aus Hessen, dessen bevorzugter Geschäftspartner für die Durchführung von rechtsextremistischen Großveranstaltungen der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten HEISE aus Thüringen ist. Wegen dieser Objekte ist der Landkreis Görlitz in Bezug auf die Durchführung von Konzertveranstaltungen183 u. a. als Schwerpunkt für die rechtsextremistische Szene anzusehen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den parteigebundenen und parteiungebundenen Strukturen existiert im Landkreis Görlitz eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen dieser Personen im Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen im Übrigen als Mobilisierungspotenzial, z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional, an asylbezogenen Veranstaltungen teil. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Sie richteten sich in den letzten Jahren insbesondere gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, so gegen Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner, Amtsund Mandatsträger. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden. Mehrfach kam es zu ausländerfeindlichen Beleidigungen: So wurde jungen Syrern im Januar und Februar in einem Bus in Zittau wiederholt Sätze, wie "Ausländer raus" und "Du bist Scheiße", zugerufen. Ein polnischer Staatsangehöriger wurde am 12. Juli in Görlitz mit den Worten "Schweinepole" verhöhnt. Auch wurden Hass und Ablehnung gegen religiöse Minderheiten ausgedrückt: Einer Immobilienverwaltungsfirma eines Begegnungszentrums in Görlitz wurde Mitte Juni angedroht, das Gebäude "abzufackeln", wenn man die "Moslems" nicht aus dem Haus entferne. Im Rahmen einer Anzeigenaufnahme am 25. August in Görlitz äußerte sich eine Person antisemitisch: "Diese Juden hätte ich erschossen, jeden Einzelnen". Des Weiteren kam es zu folgenden Delikten: Am 16. Mai wurde in Zittau eine Bierflasche gegen ein Büro der Partei DIE LINKE geworfen. Am 25. November wurde ein Jugendlicher in Zittau geschlagen und getreten, nachdem er gegen einen von einer Gruppe gezeigten Hitlergruß protestiert hatte. 183 siehe Abschnitt II.1.4.5 Rechtsextremistische Musik 103 Vor allem im Zuge des "Schild und Schwert Festivals" in Ostritz kam es zu Propagandadelikten. Ebenso kam es wiederholt zu Schmierereien von "Nazikiez"-Parolen, wie etwa am 20. August in Ebersbach-Neugersdorf. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Landkreis Görlitz 131 148 168 6 1 4 1.7.6 Landkreis Leipzig Die Anzahl des rechtsextremistischen Personenpotenzials blieb im Landkreis Leipzig im Vergleich zum Vorjahr konstant. Der rechtsextremistischen Szene wurden zwischen 150 und 200 Personen zugerechnet. Das Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen damit im mittleren Bereich. Parteien DER DRITTE W EG Seit April 2015 existiert ein länderübergreifender "Stützpunkt Mittelland" dieser Partei. Er umfasst die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland.184 Parteimitglieder führten im März 2018 in Wurzen einen Infostand durch, um "unsere junge Partei bekannter zu machen und für deren revolutionäre Ziele zu werben".185. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Aus "organisatorischen und strukturellen Gründen" schlossen sich die Mitglieder der Kreisverbände Leipzig sowie des Landkreises Leipzig am 15. Mai 2015 zu einem "Kreisverband Leipzig Stadt & Land" zusammen.186 Im Landkreis Leipzig ist die NPD sowohl auf Kreisebene als auch auf Stadtbzw. Gemeinderatsebene mit einzelnen Kandidaten kommunalpolitisch vertreten. Die im Vorjahr noch bestehende aktive Struktur des JN-"Stützpunktes" Borna entfaltete im Berichtszeitraum keine öffentlichkeitswirksame Aktivität. 184 siehe Abschnitt II.1.7.7 Stadt Leipzig 185 www.der-dritte-weg.info (Stand: 11. April 2018) 186 ebd. 104 Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Zum Betätigungsfeld der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN zählten die Durchführung und Teilnahme an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen, wie dem "Sommerfest mit Lunikoff" am 23. Juni 2018 in Grimma, OT Roda. Etwa 150 bis 200 Personen nahmen daran teil. Außerdem organisierte die rechtsextremistische Szene den seit mehreren Jahren jährlich stattfindenden "Muldentaler Kameradschaftslauf". Dieser fand im September 2018 erneut in einem Steinbruch in Grimma, OT Roda, statt. Insgesamt nahmen ca. 150 Rechtsextremisten und zum Teil deren Familienangehörige teil. Es wird eingeschätzt, dass es sich hierbei weniger um eine Sportveranstaltung im engeren Sinne, als um eine Aktion zur Stärkung des Szenezusammenhalts handelt. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Erkenntnisse über rechtsextremistische Musikgruppen sind im Landkreis Leipzig im Berichtsjahr nicht bekannt geworden. Rechtsextremisten führten dort jedoch einzelne Musikveranstaltungen durch. Am 5. Mai 2018 organisierten sie in Regis-Breitingen einen "Zeitzeugenvortrag" mit anschließendem Liederabend, bei dem der sächsische Liedermacher FREILICHFREI auftrat. Im von der rechtsextremistischen Szene gelegentlich für Veranstaltungen genutzten Steinbruch in Grimma, OT Roda, wurde am 23. Juni 2018 ein sogenanntes Sommerfest durchgeführt. Auf der Veranstaltung traten vor rund 200 Teilnehmern der als LUNIKOFF bekannte ehemalige Sänger der verbotenen Band LANDSER Michael REGENER aus Berlin sowie "Schratti/RAC-Teufel'' (sächsischer Liedermacher SCHRATT, auch bekannt als RAC'N'ROLL TEUFEL) und die Liedermacherin VARGHONA (TH) auf. In Borna, OT Neukirchen, fand am 11. August 2018 ein nichtextremistisches "Oi-Konzert" statt, an dem sich die rechtsextremistische Musikgruppe PROLLIGANS (BY) beteiligte. FRONT RECORDS aus Lossatal, OT Falkenhain, ist einer der wichtigsten rechtsextremistischen Vertriebsunternehmen im Freistaat Sachsen. Es bietet insbesondere bedruckte Textilien und Tonträger sowie weitere szenetypische Materialien auch im Online-Versand an. Das zugehörige Tonträger-Label veröffentlichte bislang über 100 Tonträger einschlägiger rechtsextremistischer Bands und Liedermacher. 25 Produktionen wurden bislang wegen jugendgefährdender Inhalte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. Der Online-Versand FRONTMUSIK aus Lossatal, OT Falkenhain, besteht weiterhin. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Die Verbindungen in der unstrukturierten rechtsextremistische Szene im Landkreis Leipzig waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch rechtsextremistische Fußballanhänger. SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen darüber hinaus als Mobilisierungspotenzial, z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional, an asylkritischen Veranstaltungen teil. Die unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene im Landkreis Leipzig fiel in den letzten Jahren vor allem durch die Begehung von Straftaten gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger, auf. 105 Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden. Nach einer Beleidigung als "Terrorist" und der Aufforderung, er solle "in sein Land verschwinden", wurde ein afghanischer Staatsangehöriger am 25. April in Markkleeberg zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn zu Boden gestoßen. Außerdem erhielt er Schläge ins Gesicht. In Grimma wurde am 16. Juli neben einem Hakenkreuz die Parole "No Muslim" als Graffitti angebracht. Am 20. August wurden in Brandis Schmierereien, wie "Nazi Kiez" und "NS-Zone", festgestellt. Zu einer Vielzahl von Delikten kam es in Wurzen: Dort wurde ein eritreischer Staatsangehöriger am 15. Januar aufgefordert, nicht mit der Bahn zu fahren, da er ein "Affe" sei. Am 27. Januar wurde das Fahrzeug eines Wurzener Stadtrates der Partei DIE LINKE. beschädigt. Zwei weibliche irakische Staatsangehörige wurden des Weiteren am 8. Februar von vier Personen geschlagen, getreten und schießlich aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Am 23. Februar wurde außerdem eine schwangere eritreische Staatsangehörige attackiert. Ein Schüler zeigte im Zeitraum von Mitte bis Ende März seinen Mitschülern den Hitlergruß, verbreitete rechtsextremistische Aufkleber, bezeichnete Mitschüler als "Juden" und forderte dazu auf, die Bewohner einer Flüchtlingsunterkunft zu attackieren. Am 8. Juni kam es zu einem Übergriff auf einen afghanischen Asylbewerber, der unter Schlägen auf Kopf und Rücken aufgefordert wurde, Deutschland zu verlassen. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1959 2.199 145 95 138 Landkreis Leipzig 97 136 122 7 4 8 1.7.7 Stadt Leipzig In Leipzig waren der rechtsextremistischen Szene im Berichtsjahr zwischen 200 und 250 Personen zuzurechnen. Im Vergleich zum Vorjahr ging das rechtsextremistische Personenpotenzial zurück und lag im sachsenweiten Vergleich im mittleren Bereich. Parteien DER DRITTE W EG Die Mitglieder der Partei DER DRITTE W EG sind im länderübergreifenden "Stützpunkt Mittelland" organisiert. Nach eigenen Angaben vereint er die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und das Umland. Im Vergleich zum Vorjahr nahmen die Aktivitäten zu. Insbesondere durch Informationsstände und Verteilaktionen trat der "Stützpunkt" mit verschiedenen Themen öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. So wurden bei Verteilaktionen im April in Leipzig und Umgebung Flugblätter unter dem Motto "Kapitalismus zerschlagen! Für Familie, Heimat, Tradition" verbreitet und für die unter dem gleichlautenden Motto am 1. Mai 2018 in Chemnitz durchgeführte Demonstration der Partei mobilisiert. In einem Internetbeitrag 106 wurde im Nachgang zu einem in Wurzen durchgeführten Informationsstand im März 2018 rechtsextremistische Propaganda verbreitet: "Höchste Zeit also, gegen Multikultiterror und Asylantenflut aufzustehen und gleichzeitig für die Schaffung eines deutschen Sozialismus zu kämpfen!"187. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Auch im Jahr 2018 trat der nach parteiinternen Differenzen inaktive NPD-Kreisverband Leipzig Stadt & Land kaum mit öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in Erscheinung. Im Rahmen der bundesweiten NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen"188 führten NPD-Mitglieder in Leipzig im September einen sogenannten Streifengang durch. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN NEONATIONALSOZIALISTEN aus Leipzig beteiligten sich im Laufe des Jahres sowohl an regionalen als auch überregionalen rechtsextremistischen Veranstaltungen. Sie nahmen am 10. Februar 2018 anlässlich des 73. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg an einer rechtsextremistischen Demonstration in Dresden teil. Auch waren sie Teilnehmer an einem rechtsextremistischen Aufzug am 18. August 2018 in Berlin-Spandau anlässlich des jährlichen Gedenkens von Rechtsextremisten im Zusammenhang mit dem Todestag von Rudolf HESS.189 Die neonationalsozialistische Gruppierung W IR FÜR LEIPZIG setzte ihre Aktivitäten im Berichtsjahr fort. Die Gruppierung trat im Jahr 2016 erstmals in Erscheinung und wird vom Leipziger Rechtsextremisten und ehemaligen NPD-Funktionär Enrico BÖHM angeführt. Am 5. Mai 2018 führte diese Gruppierung in Regis-Breitingen (Lkr. Leipzig) einen "Zeitzeugenvortrag" durch, an dem sich ca. 120 Personen beteiligten.190 Im Anschluss an den Vortrag fand ein Liederabend mit dem Liedermacher FREILICHFREI statt. IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) Die in den vergangenen Jahren mehrfach neu organisierte Ortsgruppe Leipzig führte bis zum Jahr 2016 nur sehr vereinzelt Aktionen in der Messestadt durch. Im Jahr 2017 nahm die Anzahl von Banner-, Flugblattund Sprühaktionen jedoch zu. Im Berichtsjahr trat die IB innerhalb der Stadt Leipzig wiederum kaum öffentlich in Erscheinung. Neben einem Stammtisch im Januar und einer Werbeaktion an der Leipziger Universität im April nutzte sie die Leipziger Buchmesse im März 2018 für eine Protestaktion. Bekleidet mit Burkas forderten die IB-Akteure den Stopp der nach ihrer Ansicht fortschreitenden Islamisierung in Deutschland. Zudem hielt der Leiter der IB Österreich, Martin SELLNER, einen Vortrag. Im Umland der Stadt Leipzig verteilten Anhänger der IB wiederholt Plakate und Flyer. Zudem befestigten sie am 22. Oktober 2018 in Grimma sowie am 16. November 2018 in der Stadt Leipzig an einer Schule ein Transparent mit der Aufschrift "Linken Lehrern in den Kaffee spucken - Identitäre Bewegung jetzt auch an deiner Schule". Seit Februar 2018 ist der Leiter der Leipziger Ortsgruppe Alexander KLEINE auch Regionalleiter der IB Sachsen. In dieser Funktion beteiligte er sich mit anderen Mitgliedern der Ortsgruppe an Aktionen der IB außerhalb Leipzigs. Insbesondere zur IB in Halle (KONTRAKULTUR HALLE) bestehen enge Kontakte. So referierte ein Mitglied von KONTRAKULTUR HALLE bei dem o. g. Stammtisch über 187 Facebook-Profil "Unzensierte Nachrichten Leipzig und Umland" (Stand: 24. April 2018) 188 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 189 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 190 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierungen 107 das im Jahr 2017 eröffnete "Identitäre Zentrum" in Halle. Auch besuchten Mitglieder der Ortsgruppe Leipzig wiederholt das als Kulturzentrum für Veranstaltungen, Workshops und Schulungen dienende Hallenser Objekt. Der Leiter der IB Ortsgruppe Leipzig trat zudem seit Spätsommer 2016 gemeinsam mit einem Mitglied von KONTRAKULTUR HALLE im wöchentlichen Video-Blog "Laut Gedacht" auf. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage In Leipzig bestehen Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene, die jedoch im Berichtsjahr kaum Aktivitäten zeigten. Die Band THEMATIK 25 war für ein Konzert am 8. Dezember 2018 in Torgau, OT Staupitz, angekündigt. Das Konzert fand mit ca.160 Teilnehmern statt. Die Band VOLKSNAH wurde für eine Musikveranstaltung mit ca. 230 Teilnehmern am 31. März 2018 in demselben Szeneobjekt in Torgau angekündigt. In Leipzig sollte am 13. Januar 2018 eine Konzertveranstaltung mit den Bands FRONTFEUER (BB), D.S.T. (BR), LEGION OF THOR (BR) und HEILIGER KRIEG (SN) stattfinden. Diese Veranstaltung wurde durch die Polizei verhindert. Vor Ort wurden ca. 70 Personen festgestellt. Die Anwesenden erhielten Platzverweise. Der rechtsextremistische Vertrieb HERMANNSLAND-VERSAND ist weiterhin aktiv. Der Online-Versand LOKIS TRUHE ist ausschließlich auf die rechtsextremistische Szene ausgerichtet. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den Parteien und den parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen gibt es in Leipzig eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch rechtsextremistische Fußballanhänger. Das unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial beteiligte sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten sowie szeneinternen Veranstaltungen und stand als Mobilisierungspotenzial, z. B. für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, zur Verfügung. Außerdem beteiligte es sich an asylbezogenen Veranstaltungen. Hauptsächlich fiel dieses Personenpotenzial in Leipzig in den letzten Jahren vor allem durch die Begehung von Straftaten gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund und deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger, auf. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden. So attackierten am 11. März zwei Männer einen serbischen Asylbewerber mit Pfefferspray, weil sie Anstoß an dessen Hautfarbe nahmen. Einem kamerunischen Staatsangehörigen wurde am 11. Mai mit der Faust ins Gesicht geschlagen, nachdem die Täter zuvor gesagt hatten: "Du bist schwarz, und Schwarze haben hier nichts zu sagen". Am 21. Juli bedrohte ein Pärchen mehrere nichtdeutsche Staatsangehörige und deren Kinder auf einem Spielplatz. Der Mann ließ seinen Hund mehrfach von der Leine und zog außerdem eine Waffe, die er ohne Schussabgabe auf Personen richtete und abdrückte. Er rief dazu: "Ich bin deutsch", während seine Partnerin die bedrohten Personen mit den Worten "Verpiss' dich in euer Land!" beleidigte. Eine Frau palästinensischer Herkunft wurde am 5. September angerempelt und als "Ausländerschlampe" bezeichnet. 108 Auch kam es zu Delikten mit u. a. volksverhetzenden Inhalten: Am 3. März pöbelte eine männliche Person im Regionalexpress mit den Worten "Scheiß Kommunistenpack" und "Ich steck euch alle in die Gaskammer, Judenschweine, Kommunistenpack". Am 21. Juli zeigte eine männliche Person in der Straßenbahn den Hitlergruß und verhöhnte eine Gruppe muslimischer Frauen mit den Worten "Hat Auschwitz heute Freigang?". Auch ein Schüler rief am 10. September gegenüber einem Lehrer und seinen Mitschülern "Heil Hitler". Im Hinblick auf Straftaten gegenüber dem politischen Gegner wendeten Rechtsextremisten 2018 neue Strategien an: Einem Restaurantbetreiber wurde am 8. März in einem Schreiben mit dem Absender "Interventionistische Rechte" angedroht, dass Sachbeschädigungen folgen würden, wenn er weiterhin sein Gebäude "linken, grünen oder antifaschistischen" Gruppierungen zur Verfügung stelle. Gleiches wurde am 20. Februar auch einem weiteren Restaurant angedroht. Das Auto eines Abgeordneten der Partei DIE LINKE. wurde am 13. Oktober in Brand gesetzt. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Stadt Leipzig 263 214 218 16 14 9 1.7.8 Landkreis Meißen Im Landkreis Meißen waren der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2018 zwischen 100 und 150 Personen zuzurechnen. Das Personenpotenzial lag im sachsenweiten Vergleich somit weiterhin im unteren Bereich. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) UND JUNGE NATIONALISTEN (JN) Der NPD-Kreisverband Meißen zählte im Berichtsjahr zu den wenigen noch aktiven Strukturen der NPD im Freistaat Sachsen. Er verfügte über Mandatsträger im Kreistag sowie in einzelnen Städten. Der Schwerpunkt dieser NPD-Struktur liegt in Meißen und Riesa. Mit dem Objekt des DEUTSCHE STIMME VERLAGES in Riesa verfügt die NPD über ein Treffobjekt, welches sich in ihrem Eigentum befindet,191 und von bundesweiter Bedeutung ist. Am 16. Juni 2018 veranstaltete die NPD dort ihr jährliches "Sommerfest". Die Redner stimmten die ca. 150 anwesenden Gäste auf das bevorstehende Wahljahr 2019 ein. Am Abend trat der Liedermacher FREILICHFREI auf. Neben dem Parteivorsitzenden Frank FRANZ sprach auch Peter 191 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 109 SCHREIBER, Stadtrat in Strehla, Vorsitzender der NPD im Kreistag sowie Mitglied im NPDLandesvorstand. Er forderte: "Wir brauchen keine NPD light, wir brauchen eine verdammt harte NPD, denn für unser Volk geht es an's Eingemachte!"192 Im Zusammenhang mit der bundesweiten NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen" 193 führten Mitglieder des Kreisverbandes am 6. August 2018 in Riesa einen sogenannten Streifengang durch, "um auch dort ein sichtbares Zeichen für mehr Sicherheit zu setzen." 194 An dieser Aktion beteiligten sich u. a. der Vorsitzende des NPD-Landesverbandes Jens BAUR und Peter SCHREIBER. Peter SCHREIBER wurde am 24. November 2018 beim Landesparteitag der NPD in Riesa auf Platz 1 der Landesliste für die Landtagswahl 2019 gewählt. 195 Im Berichtsjahr führten die JUNGEN NATIONALISTEN (JN) mit dem "Bundeskongress" am 13. Januar 2018 sowie dem "Europakongress" unter dem Motto "[RE]generation.Europa" am 11./12. Mai 2018 zwei wichtige überregionale Veranstaltungen in Riesa durch, auf denen bekannte rechtsextremistische Liedermacher und Bands auftraten.196 Am Kongress nahmen ca. 350 Personen aus dem Bundesgebiet und dem Ausland teil. Im Landkreis Meißen existiert kein eigenständiger "Stützpunkt" der JUNGEN NATIONALISTEN (JN). Parteiungebundene Strukturen Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Aus Riesa stammt die überregional bekannte rechtsextremistische Musikband SELBSTSTELLER. Die Band postete Anfang 2018 auf Facebook den Spruch "Der Inbegriff des Bösen ist im Begriff uns aufzulösen"197. Dabei verdeutlichte die Band, dass mit "uns" nicht die Band, sondern "uns alle" gemeint war. Aktivitäten der Band wurden nicht öffentlich bekannt. Der Verlag der DEUTSCHEN STIMME hat seinen Sitz in Riesa. Die finanziellen Probleme der letzten Jahre führten dazu, dass die Betreiber des Verlages den Warenversand an den NPD-Funktionär Thorsten HEISE in Thüringen übergaben. Auch der Buchversand wurde ausgelagert. Dem Verlag verblieb lediglich die Herausgabe der NPD-Publikation DEUTSCHE STIMME.198 Mit NATION & W ISSEN ist ein weiterer rechtsextremistischer Verlag in Riesa ansässig. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Im Landkreis Meißen existierte im Berichtsjahr eine unstrukturierte vorwiegend subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene mit einem eher unterdurchschnittlichen Personenpotenzial. Die Verbindungen der Szeneangehörigen untereinander waren meist lose. Hauptsächlich fiel die Szene durch die Begehung von politisch motivierten Straftaten auf, die sich in den letzten Jahren gegen "Feindbilder" der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger, richteten. 192 www.facebook.com/npd.sachsen (Stand: 29. Juni 2018) 193 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 194 Facebook-Profil NPD Sachsen (Stand: 9. August 2018) 195 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLAND (NPD) 196 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLAND (NPD) und siehe Abschnitt II.1.4.5 Rechtsextremistische Musik 197 Facebook-Profil SELBSTSTELLER (Stand: 17. Januar 2018) 198 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLAND (NPD) 110 Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden. Am 15. Februar rief eine Gruppe in Radebeul mehrfach "Sieg Heil". Anschließend schubsten sie einen marokkanischen Staatsangehörigen und bewarfen ihn mit Flaschen. Am selben Tag kam es in Coswig zu dem Ausruf "Juden raus" durch eine weitere Gruppe von etwa drei bis vier Personen. Mit dem Ausruf "Schlagt die Juden alle tot" äußerte sich auch ein Täter in Riesa am 9. September antisemitisch. Einem venezolanischen Staatsangehörigen wurde am 19. Februar in Gröditz der Hitlergruß gezeigt. Anschließend wurde ihm gedroht: "Du wirst sterben". Neben solchen Straftaten stand das unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial als Mobilisierungspotenzial für rechtsextremistische Veranstaltungen, wie Demonstrationen oder Konzerte, zur Verfügung. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Landkreis Meißen 92 71 63 3 1 2 1.7.9 Landkreis Mittelsachsen Im Landkreis Mittelsachsen kam es im Berichtsjahr zu einem leichten Rückgang des rechtsextremistischen Personenpotenzials. So waren der Szene zwischen 150 und 200 Personen (2017: 200 - 250) zuzurechnen. Das Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im mittleren Bereich. Parteien DER DRITTE W EG Seit März 2017 existiert im Landkreis Mittelsachsen ein "Stützpunkt" der Partei DER DRITTE W EG. Er wurde am 24. März 2017 gegründet und umfasst die Städte Mittweida, Döbeln, Freiberg und deren Umland. Führende und aktive Mitglieder des "Stützpunktes Mittelsachsen" waren zuvor Teil der ehemaligen Gruppierung FREIE NATIONALISTEN FREIBERG. Die neonationalsozialistischen Bezüge dieses "Stützpunktes" fielen im Jahr 2018 bei mehreren Veranstaltungen auf. So richtete er am 14. April 2018 eine als "Frühlingsfest" bezeichnete Szeneveranstaltung aus. So unternahm er entsprechend dem selbstgewählten Motto "Die Gemeinschaft ist ein Grundstein unserer Bewegung"199" einige Gemeinschaftsausflüge, z. B. Ende des Jahres nach Westpommern (PL). Dort gedachte man u. a. der Opfer eines Flugzeugabsturzes am 5. März 1945 200, was die revisionistische Ausrichtung der Partei DER DRITTE W EG verdeutlicht. 199 www.der-dritte-weg.info (Stand: 12. Dezember 2018) 200 Am 5. März 1945 kam es im Zuge der Evakuierung von Zivilisten vor der heranrückenden Roten Armee 111 Den 8. Mai 2018, dem 73. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, instrumentalisierte der "Stützpunkt Mittelsachsen" für die Durchführung von Reinigungsaktionen und revisionistischen Mahnwachen vor Kriegsgräbern in Mittelsachsen. Auch im März 2018 hatte der "Stützpunkt Mittelsachsen" bereits eine vergleichbare Aktion durchgeführt. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) UND JUNGE NATIONALISTEN (JN) Im Landkreis Mittelsachsen existiert der Kreisverband Chemnitz-Mittelsachsen. Die NPD ist im Landkreis Mittelsachsen sowohl auf Kreistagsebene als auch auf Stadtbzw. Gemeinderatsebene mit einzelnen Kandidaten kommunalpolitisch vertreten. Am 17. Juni 2018 führten Mitglieder des Kreisverbandes eine Kranzniederlegung in Freiberg durch. Mit einer Kranzniederlegung am 7. Juli 2018 in Deutschneudorf (Erzgebirgskreis) gedachten sie der aus der Tschechoslowakei Vertriebenen. Aktionismus suggerierte die NPD mit ihren in Mittelsachsen durchgeführten Aktionen im Zusammenhang mit der bundesweiten Kampagne der NPD "Schafft Schutzzonen".201 Im Landkreis Mittelsachsen existiert seit Februar 2013 der JN-"Stützpunkt" Mittelsachsen. Er zählt zu den aktiven JN-Strukturen in Sachsen. Das Asylthema stand bei den JN Mittelsachsen im Mittelpunkt einer am 4. Februar 2018 durchgeführten Plakatierungsaktion unter dem Motto "Integration tötet". Ihr Ziel ist, "die Islamisierung als Folge der ungebremsten Masseneinwanderung ... unverzüglich (zu stoppen)".202 Weiterhin versuchten sich die JN Mittelsachsen wieder als sogenannte Kümmerer zu inszenieren. So wurden im Zusammenhang mit der JN-Kampagne "Jugend packt an" mehrmals Putzaktionen auf Spielplätzen und anderen Orten in Döbeln und Umgebung durchgeführt. Im Rahmen der landesweiten NPD-Projekte "Soziale Aktion Sachsen" sowie "Deutsche helfen Deutschen" fand am 9. Dezember 2018 unter dem Motto "Weihnachtszeit: Jeder nimmt, was er braucht - Volksgemeinschaft!" eine Veranstaltung in Döbeln statt. Mit der Verteilung von Spielzeug und Lebensmitteln, wollte man "für Landsleute natürlich alles kostenfrei (...) auch denen eine kleine Freude bereiten, die vielleicht momentan aufgrund der schwierigen Lage in unserem Land nicht viel zu lachen haben. (...) Dort wo der Staat nicht hilft, ist die unentgeltliche Solidarität der eigenen Leute das letzte Mittel."203 Ebenso veranstalteten die JN Mittelsachsen am 3. Juni 2018 ein "Kinderund Familienfest" in Döbeln. Ziel sollte sein, "(...) der Heuchelei der Politik handfeste Solidarität entgegen zu stellen. Taten statt Worte!" Grund dafür seien "(...) die Auswüchse einer bis ins Mark asozialen und verantwortungslosen Familienund Sozialpolitik (...)". Organisiert wurde diese Veranstaltung maßgeblich von dem "Stützpunktleiter" der JN Mittelsachsen, Stefan TRAUTMANN. Unterstützt wurde er dabei von weiteren bekannten Rechtsextremisten, wie Alexander KURTH als Organisator für die rechtsextremistische Kampagne "Ein Volk hilft sich selbst", welche mit einem eigenen Spendenstand vertreten war. Man wollte "Kräfte bündeln" und habe sich somit für eine gemeinsame Veranstaltung entschieden. Auffallend ist die Zusammenarbeit mit der von T HÜGIDA & W IR LIEBEN SACHSEN initiierten Kampagne "Ein Volk hilft sich selbst". Damit suchten der regionale JN-"Stützpunktleiter" und sein Umfeld Anschluss an die überregionalen agierenden muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten.204 zu einem Absturz einer vollbesetzten Maschine im Kamper See (heute Woiwodschaft Westpommern in Polen). Dabei starben ca. 76 Kinder, die nach Westen ausgeflogen werden sollten. In der Diktion von Rechtsextremisten, wie der Partei DER DRITTE W EG, handelt es sich bei den Todesopfern um Opfer eines Kriegsverbrechens. Sie vertreten dazu die These vom Abschuss des Flugzeuges, für die es bisher jedoch keine Belege gibt. 201 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 202 Facebook-Profil JN Mittelsachsen (Stand: 4. Februar 2018) 203 Facebook-Profil "Jugend packt an" (Stand 14. Dezember 2018), Schreibweise wie im Original 204 siehe Abschnitt II.1.4.7 Strategie im Fokus 112 Auch an Ereignissen außerhalb Sachsens beteiligten sich Mitglieder der JN Mittelsachsen. Dabei standen die herkömmlichen Themenfelder von NEONATIONALSOZIALISTEN im Vordergrund. So nahmen sie - gemeinsam mit Akteuren aus anderen sächsischen Regionen - u. a. an der Demonstration der NPD "Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen" in Erfurt am 1. Mai 2018 sowie am jährlichen Gedenken anlässlich des Todestages von Rudolf HESS am 18. August 2018 in Berlin teil. Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Im Rahmen der "Zeitzeugenvortragsreihe" fand am 3. Februar 2018 ein für den Großraum Chemnitz angekündigter "Zeitzeugenvortrag" mit Ursula HAVERBECK in Leubsdorf statt. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 240 Personen. Zum Teilnehmerkreis zählten neben Rechtsextremisten aus mehreren sächsischen Landkreisen auch Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern. Aufgrund polizeilicher und anderer behördlicher Maßnahmen konnte die Veranstaltung nicht wie geplant durchgeführt werden. Da HAVERBECK mit solchen Maßnahmen gerechnet hatte, trat sie nicht persönlich in Leubsdorf auf, sondern wurde per Skype zugeschaltet. Der Vortrag wurde von überregional aktiven NEONATIONALSOZIALISTEN, darunter Robert ANDRES aus Chemnitz, organisiert. IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) Laut Eigenangaben der IDENTITÄREN BEWEGUNG verfügt sie über eine Ortsgruppe in Freiberg. Diese trat jedoch im Jahr 2018 nicht öffentlich in Erscheinung. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Zum Betätigungsfeld der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zählen auch die Durchführung und Teilnahme an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen. So fand am 18. Februar 2018 in Lunzenau ein Liederabend mit LUNIKOFF statt. Etwa 65 Personen nahmen teil. Mit den Bands SACHSENBLUT (Freiberg) und OVERDRESSED (Raum Döbeln) existieren im Landkreis Mittelsachsen zwei Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Die Band SACHSENBLUT trat am 15. April 2018 bei einem Konzert in der Tschechischen Republik auf. Die seit 2017 wieder aktive Band OVERDRESSED spielte am 7. April 2018 in Kirchheim (TH) vor ca. 250 Teilnehmern. An der Veranstaltung beteiligte sich die ebenfalls in Sachsen aktive Band T RUE AGGRESSION. Im Landkreis existierten im Berichtsjahr keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. 113 Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Im Landkreis Mittelsachsen gibt es eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis sind meist lose und gehen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Darunter befinden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene stand jedoch als Mobilisierungspotenzial für Aktionen und Veranstaltungen von anderen rechtsextremistischen Gruppierungen zur Verfügung. Sie nahmen außerdem an asylbezogenen Veranstaltungen, teilweise auch nichtextremistischer Akteure teil. Hauptsächlich fielen diese Personen im Landkreis Mittelsachsen durch die Begehung von Strafund Gewalttaten auf. Dieses richteten sich in den letzten Jahren gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden. Nach einer verbalen Auseinandersetzung in einem Dönerimbiss in Freiberg wurden am 21. Januar eine Fensterscheibe, ein Schaukasten und ein Aufsteller beschädigt. Der Inhaber wurde zuvor als "Kanake" bezeichnet. Über die Haussprechanlage wurde einem irakischen Staatsangehörigen am 24. März in Döbeln gedroht, dass man ihm ein "Messer in den Bauch stecken" wolle, wenn er herauskäme. Zuvor war er mit den Worten "Scheiß Kanake" beleidigt worden. Am 10. April versuchte man in Freiberg, einen deutschen Staatsangehörigen marrokanischer Herkunft zu schlagen; dabei wurde gerufen: "Du Kanake, geh nach Hause". In Mühlau kam es am 11. Mai zu einer Reihe von Propagandadelikten, bei denen Parolen wie "Tod dem Islam" und "Juden raus" gerufen sowie z. B. Hakenkreuze gesprüht wurden. Im Juni riefen Personengruppen in einem Park und in einem Wohngebiet in Freiberg Parolen wie "White Power", "Freiberg asylantenfrei" und "Frei, sozial und national". Eine syrische Staatsangehörige wurde in Freiberg am 6. August geschubst und als "Schweinemuslime" beleidigt. Ihr wurde angedroht, dass man sie entführen, zum Schweinefleischverzehr zwingen und ihr weitere Gewalttaten antun wolle. Am 2. Oktober wurden ein afghanischer Staatsangehöriger und seine Begleiter in Burgstädt aus einem fahrenden Auto heraus mit Pfefferspray besprüht. Am selben Tag wurde dort einem deutschen Staatsangehörigen mit arabischem Namen gedroht. Auf der Straße solle er auf den "Mann mit dem Messer" Obacht geben. Darüber hinaus wolle man ihm die Leute von "Sturm 34" 205 schicken. Ein irakischer Staatsangehöriger soll am 22. Oktober in Flöha in einem Auto entführt, ausgeraubt und geschlagen sowie mit einer Pistole bedroht worden sein. Ihm wurde gesagt, er solle allen Asylbewerbern ausrichten, dass sie das Land zu verlassen hätten. Die Täter drohten dem Geschädigten, ihn umzubringen, wenn er noch einmal gesehen werde. 205 Hierbei handelt es sich um eine im Jahr 2007 verbotene rechtsextremistische Vereinigung, die zuvor im Raum Mittweida zahlreiche Gewaltstraftaten beging. 114 Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Landkreis 172 151 159 10 6 5 Mittelsachsen 1.7.10 Landkreis Nordsachsen Im Landkreis Nordsachsen wurden der rechtsextremistischen Szene wie im Vorjahr 100 und 150 Personen zugerechnet. Das Personenpotenzial lag damit im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im unteren Bereich. Parteien DER DRITTE W EG Seit April 2015 existiert ein länderübergreifender "Stützpunkt Mittelland" der Partei DER DRITTE WEG, welcher die Städte Leipzig, Halle, Merseburg und ihr Umland umfasst. Mitglieder der Partei führten im August 2018 in Delitzsch anlässlich der Europawahl 2019 einen Informationsstand mit dem Ziel durch, Unterschriften für den Wahlantritt der Partei zu sammeln. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Im Landkreis Nordsachsen existierte im Berichtsjahr ein wenig aktiver NPD-Kreisverband. Dieser verfügt über Mandatsträger im Kreistag sowie in einzelnen Stadtund Gemeinderäten. Der "Stützpunkt" der JUNGEN NATIONALISTEN (JN) in Nordsachsen zählte bis 2016 zu den aktiven JN-"Stützpunkten" in Sachsen. Nachdem im Jahr 2017 keinerlei öffentlich wirksame Aktivitäten mehr von ihm ausgegangen waren, wurden im Berichtszeitraum zwei Aktionen im Rahmen der "Schutzzonenkampagne"206 in Eilenburg und in Mockrehna bekannt. Parteiungebundene Strukturen Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Im Landkreis Nordsachsen sind keine Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene mehr ansässig. Er zählt jedoch neben dem Landkreis Görlitz zu einer Schwerpunktregion rechtsextremistischer Musikveranstaltungen im Freistaat Sachsen. Die Szene verfügt mit dem ehemaligen Gasthof Staupitz in Torgau, OT Staupitz, über das bedeutendste Konzertobjekt in Sachsen, in dem - aufgrund behördlicher Auflagen jährlich zehn - Konzertveranstaltungen stattfinden. Diese wurden von langjährigen Protagonisten der rechtsextremistischen Musikszene organisiert. Die auftretenden Bands sind in der Regel szenebekannt und stammen meist aus Deutschland. Die Veranstalter laden aber auch Bands aus anderen Ländern wie der Tschechischen Republik, Japan, Australien 206 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) 115 oder Italien ein, um die Attraktivität der Veranstaltungen zu erhöhen. Die zehn Konzerte des Jahres 2018 in Staupitz wiesen durchschnittlich jeweils ca. 220 Besucher auf. Im Berichtsjahr existierten im Landkreis keine rechtsextremistischen Vertriebsstrukturen. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Im Landkreis Nordsachsen gibt es eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb diesen Personenpotenzials befinden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Die SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN beteiligten sich überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen darüber hinaus als Mobilisierungspotenzial, z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional, an asylkritischen Veranstaltungen teil. Hauptsächlich fiel die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene im Landkreis Nordsachsen in den letzten Jahren durch die Begehung von Strafund Gewalttaten gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger, auf. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden: Ein minderjähriger afghanischer Staatsangehöriger wurde am 12. Januar in Oschatz als "Scheiß Kanake" beleidigt und geschlagen. Mit revisionistischer Intention und mit Bezug zur Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg wurde am 13. Februar in Taucha ein Denkmal für die Opfer der NS-Diktatur mit der Aufschrift "Und was ist mit unseren Opfern?" und einem "Eisernen Kreuz" versehen. Der Vater eines Schulkindes, welches sich bei einem anderen Kind nichtdeutscher Herkunft hatte entschuldigen müssen, bedrohte am 26. März in Laußig die verantwortliche Lehrkraft. Sie sollte die Maßnahme zurücknehmen, da er "sonst mit seinen Freunden erscheinen würde". Außerdem wolle er sich das betroffene Kind bei einem erneuten Vorfall "vorknöpfen" und es "aufschlitzen". In Delitzsch wurde am 3. Mai ein libanesischer Staatsangehöriger geschlagen; dabei wurde "Hitler ist gut" gerufen. In Torgau wurden am 8. Mai zwei Personen angegriffen, die sich über mutmaßlich rechtsextremistische Musik beschwert hatten. Die Täter schlugen mit der Faust zu und traten einen der Geschädigten. Am 31. Mai wurden in Delitzsch drei nichtdeutsche Staatsangehörige durch fünf Personen rassistisch beleidigt und körperlich angegriffen. Anfang August wurden in Dahlen zwei afghanische Staatsangehörige mit einem Messer und einem Stock bedroht. In der ersten Augusthälfte wurde ein irakischer Staatsangehöriger in Cavertitz von drei Personen mit einem Teleskopschlagstock geschlagen. Ein Jugendlicher afghanischer Herkunft wurde zwischen April und August in Oschatz zweimal von einer Gruppe attackiert, die ihn als "Kanake" beschimpften und in den Fluss Döllnitz warfen. In Eilenburg wurde am 8. September ein Jugendlicher als "Zecke" beschimpft sowie geschlagen, getreten und seines Handys beraubt. Auch kam es mehrfach zu Schmierereien mit rechtsextremistischen Bezügen: Zum Jahreswechsel 2017/2018 wurde in Taucha der Schriftzug "NS-Area" gesprüht. Ein Finanzamt in Oschatz wurde am 19. Januar mit einem Davidstern und der Aufschrift "Judentempel" beschmiert. Am 17. Juli und 19. September wurden in Taucha Schmierereien festgestellt ("Nazi-Kiez" bzw. "NS-Zone", aber auch "Anti-Antifa" und "Zecken jagen"). 116 Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Landkreis Nord117 117 137 5 5 14 sachsen 1.7.11 Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge Der rechtsextremistischen Szene im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gehörten im Berichtsjahr zwischen 300 und 350 Personen an (2017: 250 bis 300 Personen). Das rechtsextremistische Personenpotenzial lag damit im sachsenweiten Vergleich im oberen Bereich. Der Anstieg gegenüber dem Vorjahr ist auf die Zunahme von bekannt gewordenen rechtsextremistischen Straftätern zurückzuführen. Parteien NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) UND JUNGE NATIONALISTEN (JN) Der NPD-Kreisverband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge ist sowohl auf Kreisebene als auch auf Stadtbzw. Gemeinderatsebene kommunalpolitisch aktiv. Er zählt zu den wenigen noch aktiven NPD-Strukturen in Sachsen, obwohl seine öffentliche Präsenz stark rückläufig ist. Lediglich eine Kundgebung unter dem Motto "Merkel muss weg - und die anderen auch!" wurde am 8. November 2018 in Pirna organisiert. Es beteiligten sich etwa 60 Personen. Neben dem NPDLandesvorsitzenden Jens BAUR sprach auch der im Herbst neu gewählte Kreisverbandsvorsitzende Max SCHREIBER: "Tauschen wir die Politiker aus, bevor die Politiker das deutsche Volk austauschen"207. Die als "Haus Montag" bezeichnete Geschäftsstelle des Kreisverbandes sowie der unmittelbar angrenzende "Klub 451"208 dienten als die auch international bekannte, zentrale Anlaufstelle regionaler und überregionaler Rechtsextremisten. Dort fanden verschiedene interne Treffen und Vortragsveranstaltungen auch mit rechtsextremistischer Musik statt. Am 13. Oktober 2018 fand eine Feier zum fünfjährigen Bestehen des Objekts statt. Auf ihr hielt der überregional aktive Berliner Neonationalsozialist Sebastian SCHMIDTKE eine Rede. 209 Außerdem traten die rechtsextremistischen Bands "FLAK" (Rheinland-Pfalz) sowie ein Musiker der Bands "STURMWEHR" und "SLEIPNIR". Quelle: Facebook-Profil "Haus Montag" (Stand: 5. Oktober 2018)Der "Stützpunkt" der JUNGEN NATIONALISTEN (JN) ist eng mit dem Kreisverband Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie dem "Haus Montag" verbunden. Einzelne Mitglieder beteiligten sich an regionalen und überregionalen Parteiveranstaltungen und Demonstrationen (u. a. am 1. Mai 2018 in Erfurt). 207 www.facebook.com/Nein-zum-Heim-Sächsische-Schweiz-und-Osterzgebirge (Stand: 9. September 2018) 208 Die Bezeichnungen "Haus Montag" und "Klub 451" beziehen sich auf den Roman "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury. 209 Facebook-Profil "Haus Montag" (Stand: 23. Oktober 2018) 117 Parteiungebundene Strukturen NEONATIONALSOZIALISTEN und SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN Seit den umfangreichen Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden gegen die "Gruppe Freital" sind in der Region keine öffentlichen Aktivitäten der neonationalsozialistischen Szene bekannt geworden. Auch asylfeindliche Veranstaltungen wurden nicht organisiert. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Gruppierung PECKERWOOD BROTHERHOOD gehört zum Umfeld der o. g. Szeneobjekte "Haus Montag" und "Klub 451" in Pirna und beteiligte sich dort regelmäßig an rechtsextremistischen Veranstaltungen. Eigene öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten wurden im Berichtsjahr nicht bekannt. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Am 24. März 2018 fand in Sebnitz, OT Saupsdorf, ein rechtsextremistisches Konzert mit den Bands TRUE AGGRESSION (SN), NAPOLA (TH), EXZESS (BB) und SLEIPNIR (NW) statt. Im Landkreis war im Berichtsjahr auch die aus Freital stammende Band STAHLWERK aktiv. Sie trat am 4. Februar 2018 auf einer Konzertveranstaltung in der Tschechischen Republik zusammen mit den Bands SACHSENBLUT (SN), LEGION S (CZE), ORTEL (CZE), SCHMEICHELSTADT (CZE) sowie BGM (BB) auf. Darüber hinaus hatte die Band auf dem Konzert "White X-Mas Bash" am 28. Dezember 2018 in Torgau, OT Staupitz, einen Auftritt. Das NATIONALE VERSANDHAUS (Gohrisch, Bad Schandau) betreibt im Landkreis seit vielen Jahren ein Geschäft. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge gibt es eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen im Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. Die Szene fiel in den letzten Jahren vor allem durch die Begehung von Straftaten gegen Feindbilder der rechtsextremistischen Szene, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner und Amtsund Mandatsträger, auf: Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise bereits erfolgter Verurteilungen geworden: Am 1. Februar wurde in Pirna ein Döner-Imbiss mit einem Hakenkreuz beschmiert. Ein Jugendlicher zeigte am 10. März in einem Sebnitzer Jugendklub den Hitlergruß. Auch als Ausdruck ihres Revierbesetzungsanspruchs brachten Rechtsextremisten Mitte März im Stadtgebiet von Freital zahlreiche Aufkleber mit Slogans, wie "Good night left side" oder "NS Area", an. Aufgrund des Gesamtzusammenhangs liegt die Urheberschaft der ANTI-ANTIFA-GRUPPE nahe. Eine deutsche Staatsangehörige aus Dippoldiswalde erhielt Mitte März einen Drohbrief, in dem damit gedroht wurde, dass ihr "die Bude angezündet werde", wenn sie sich noch einmal mit ihrem "Kanaken" sehen lasse. Auch eine Mitarbeiterin der Caritas aus Heidenau erhielt im März wegen ihrer Arbeit mit Flüchtlingen einen Drohbrief. In demselben Zeitraum wurde ein deutscher Staatsangehöriger mit polnischem Namen in Dippoldiswalde in einem Brief als "Polacke" beschimpft und bedroht. Er solle "abhauen" und dies sei die "letzte Mahnung". Ein irakischer Staatsangehöriger wurde am 22. März im Hofbereich einer Schule in Pirna von drei Personen angegriffen und geschlagen, dabei wurde der Hitlergruß gezeigt. 118 Am 6. Mai wurde ein syrischer Staatsangehöriger in Heidenau aus einem fahrenden Auto heraus mit einer Bierflasche beworfen. Die Lehrkraft eines Integrationskurses wurde bei einem Ausflug mit ihren Schülern in Freital am 8. Juli als "Volksverräterin" beschimpft. Dabei wurde auch der Hitlergruß gezeigt. Ein ägyptischer Staatsangehöriger wurde zusammen mit seiner Familie am 2. September im Kurort Rathen mit den Worten "Verpisst euch" beleidigt. Anschließend wurde er mit einem Teleskopschlagstock bedroht, und man fuhr mit dem Auto auf die Familie zu. Am 5. September wurde deutscher Staatsangehöriger syrischer Herkunft in Sebnitz mit einer Eisenkette am Hinterkopf verletzt. Am Tag darauf zeigte ein Täter in Pirna gegenüber einer Gruppe von nichtdeutschen Staatsangehörigen den Hitlergruß, beschimpfte diese mehrfach und bedrohte sie. Auch nach Eintreffen der Polizei bezeichnete er die Gruppe u. a. als "Viehzeug" und "Gelumpe". Ebenfalls in Pirna wurde am 2. November eine irakische Staatsangehörige mit den Worten "Hey, du bist doch Ausländerin" bespuckt und an den Haaren gezogen. SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen darüber hinaus als Mobilisierungspotenzial, z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional, an asylkritischen Veranstaltungen teil. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Landkreis 217 91 127 17 7 5 Sächsische SchweizOsterzgebirge 1.7.12 Vogtlandkreis Im Vogtlandkreis kam es im Berichtsjahr zu einem Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials. Der Szene wurden zwischen 250 und 300 Personen zugerechnet (2017: zwischen 200 und 250 Personen). Die Zunahme des rechtsextremistischen Personenpotenzials ist auf die Vielzahl der Aktionen der Partei DER DRITTE W EG und die Ereignisse in Chemnitz seit August 2018 zurückzuführen. Im Vergleich zu anderen sächsischen Regionen liegt das Personenpotenzial im oberen Bereich. Parteien DER DRITTE W EG Die regionale neonationalsozialistische Szene wurde bis April 2014 von der ehemaligen REVOLUTIONÄREN NATIONALEN JUGEND (RNJ) Vogtland geprägt. Im Februar 2015 wurde die Gründung des "Stützpunktes Vogtland" der Partei DER DRITTE WEG bekanntgegeben. Die ehemalige Führungsperson der RNJ, Rico DÖHLER aus dem Vogtland, übernahm seine Leitung. Die Partei erwies sich seit der Gründung des "Stützpunktes" im Vogtlandkreis als Auffangbecken für die NEONATIONALSO119 ZIALISTEN der Region. Die Aktivitäten dieser Partei, deren Personenpotenzial sich im Berichtsjahr im Landkreis auf ca. 70 (2017: 40 Personen) erhöhte, sind ausschlaggebend für das dort insgesamt steigende rechtsextremistische Personenpotenzial. Das am 7. Januar 2017 vom "Stützpunkt" Vogtland eröffnete "Parteiund Bürgerbüro" in Plauen wird als Anlaufstelle von Parteimitgliedern und interessierten Bürgern angenommen. Interne und öffentliche Veranstaltungen finden dort regelmäßig statt. Das Büro stellt die logistische Basis für die Aktivitäten des "Stützpunktes" Vogtland, aber auch für die Gesamtpartei dar, für die es die bundesweit bedeutendste Immobilie ist. So führte der "Stützpunkt" Vogtland dort am 6. Januar eine Kleiderspendenaktion im Rahmen der bundesweiten Kampagne "Deutsche Winterhilfe"210 durch. Diese Bezeichnung wurde bewusst gewählt und orientiert sich an dem 1933 gegründeten "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes". Diese Hilfsangebote richteten sich ausschließlich an "Deutsche" im Sinne der NSDAP. Jüdische Mitbürger waren daher ausgeschlossen. Ähnlich verfährt gegenwärtig die Partei DER DRITTE W EG, die keine Hilfsgüter an Menschen mit Migrationshintergrund ausgibt. Das kostenlose Angebot an Bekleidung, Spielzeug etc. wurde nach Eigenangaben von zahlreichen Bürgern aus Plauen genutzt. Auf der Homepage hieß es dazu: "Es ist eine Schande für ein Land wie Deutschland und somit ein Armutszeugnis jener Verantwortlichen. Während jedes Jahr Milliarden für Asylanten aus dem Fenster geschleudert werden (...)."211 Der "Stützpunkt" Vogtland instrumentalisiert die "Asylthematik" schon seit einigen Jahren mittels seiner Aktivitäten. So fand am 2. Februar212 eine Demonstration unter dem Motto "Kriminelle Ausländer raus! - Heimat schützen!" mit 230 Teilnehmern und am 7. April eine Kundgebung ("Sozial statt katastrophal") mit 110 Teilnehmern in Plauen statt. Eine thematisch ähnliche Demonstration ("Bürger schützen - Zuzugsstopp für Asylanten - Jetzt") wurde am 1. September mit bis zu 600 Teilnehmern ebenfalls in Plauen durchgeführt. Die hohe Teilnehmerzahl steht im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chemnitz. Ein großer Teil der Teilnehmer gehörte dem bürgerlichen Spektrum an. Als Redner traten Tony GENTSCH 213, Matthias FISCHER214 und Julian BENDER215 auf. Die Inhalte richteten sich u. a. gegen die vermeintliche Zunahme der Gewaltstraftaten von Tätern mit Migrationshintergrund in Plauen und das angebliche Versagen der "etablierten Parteien". FISCHER forderte: "Der Kampf ist nicht nur mit einer Änderung der Migrationspolitik beendet, er geht gegen ein System aus kapitalistischen Interessen, volksverratende Politiker und einer Herabwürdigung unserer Nation und unseres Volkes. (...) nehmt mit uns als organisierter politischer Widerstand den Kampf gegen das System auf!"216 Eine weitere Demonstration im Zusammenhang mit der "Asylthematik" fand unter dem Motto "Lichtermarsch - Wir bringen ein Licht in das Dunkel dieser Zeit" am 29. Oktober 2018 in Plauen statt. Daran nahmen ca. 200 Personen teil. Als Redner traten GENTSCH und FISCHER auf. Letzterer ging auf die "Zustände in Plauen" ein. "Unsere Partei (...) hat (...) einen weiteren Grundstein gelegt, Plauen abermals zur Stadt der politischen Wende werden zu lassen (...). 217 Insbesondere die teilnehmerstärkeren Demonstrationen und die zahlreichen Veranstaltungen im "Parteiund Bürgerbüro" sollten dazu dienen, die Partei im Stadtbild und in der Bevölkerung zu verankern. 210 Diese Aktion findet seit 2015 in der "kalten Jahreszeit" statt. 211 www.der-dritte-weg.info (Stand: 12. Januar 2018) 212 Eine erste Demonstration fand am 2. September 2017 mit 130 Teilnehmern statt. Siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2017, S. 140 213 stellvertretender "Gebietsverbandleiter Mitte" der Partei DER DRITTE W EG 214 stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei, "Gebietsverbandleiter Mitte" der Partei D ER DRITTE W EG 215 "Gebietsverbandleiter West" 216 www.der-dritte-weg.info (Stand: 3. September 2018), Schreibweise wie im Original 217 www.der-dritte-weg.info (Stand: 30. Oktober 2018) 120 Am 23. Februar begann im "Parteiund Bürgerbüro" eine neue Veranstaltungsreihe; der sogenannte Offene Abend unter dem Motto "Raus aus der Einsamkeit und rein in die Gemeinschaft". Es hieß: "Während auch im Vogtland jedes Jahr Millionen für sogenannte "Flüchtlinge" aus dem Fenster geworfen werden, schnürt man den Gürtel bei Sport, Kultur und Jugend immer enger. (...) Wir von der Partei (...) engagieren uns in den Bereichen "Hilfe für Deutsche" (...) oder mit unseren "Offenen Abenden", an denen wir für jedes Alter einen gemütlichen und gemeinschaftlichen Abend anbieten.218 Neben diesen "Offenen Abenden" bot die Partei ihren Mitgliedern ab Oktober 2017 "Selbstverteidigungskurse" für Kinder und Frauen an. Anlass hierfür seien "erneute Gewaltdelikte" gewesen, die "das Sicherheitsgefühl der Einwohner mehr und mehr schwinden (ließen)".219 Der erste Kinderkurs fand am 3. März 2018 statt. Wegen der Nachfrage wurden im Verlauf des Jahres weitere von der "Arbeitsgruppe Körper & Geist"220 angeboten. Weiterhin führte der "Stützpunkt" Vogtland eine Frauentagsfeier sowie ein Frühlingsund Kinderfest durch. Die Partei stellte sich somit gezielt als "Kümmerer" dar. Dadurch konnte sie ihren Bekanntheitsgrad in der Region steigern und ihren strukturellen Ausbau sowie ihre Medienpräsenz, z. B. mittels Veranstaltungsberichten, vom Vogtland aus steuern. Ein weiteres Themenfeld des "Stützpunktes" Vogtland waren die bereits im Jahr 2016 bekannt gewordenen "Nationalen Streifen"221. Erklärend hieß es: "(...) den Bürgern zu zeigen, dass es vor Ort eine Partei gibt, die die Ängste und Sorgen ernst nimmt, gingen (...) mehrere Parteimitglieder erneut auf Streife". 222 So sollte suggeriert werden, dass es den angeblich überforderten oder unwilligen staatlichen Institutionen nicht gelinge, die Plauener Bürger vor Straftätern mit Migrationshintergrund zu schützen. Das Vertrauen in die staatliche Ordnung sollte untergraben und ein fremdenfeindliches Klima geschaffen werden. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Im Vogtlandkreis existiert nur noch formell ein Kreisverband der NPD. Von ihm gingen 2018 keinerlei öffentliche Aktivitäten aus. Parteiungebundene Strukturen Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Seit dem Jahr 2010 existiert im Vogtland die rechtsextremistische Musikband ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND, welche vereinzelt auf Konzerten in Sachsen und anderen Bundesländern auftrat, so am 15. September 2018 bei einem Konzert zusammen mit F.I.E.L. (MV), BURNING HATE (BY) und OLD FIRM (SLO). Die Veranstaltung fand mit ca. 100 Teilnehmern in Nostitz (Lkr. Görlitz) statt. Der Sänger beteiligte sich am vom Projekt "Musikgruppe" produzierten Album "Lieder die das Leben schrob". Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den parteigebundenen und parteiungebundenen Strukturen gibt es im Vogtlandkreis auch eine unstrukturierte, subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in dem Landkreis waren meist lose und gingen selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch Rechtsextremisten, die der Fußballfanszene angehören. 218 www.der-dritte-weg.info (Stand: 5. März 2018) 219 ebd. 220 In Plauen befindet sich eine solche Gruppe im Aufbau. Siehe Abschnitt II.1.3.1 D ER DRITTE W EG 221 siehe Abschnitt II.1.3.1 DER DRITTE W EG 222 www.der-dritte-weg.info (Stand: 13. August 2018) 121 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten beteiligten sich an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen als Mobilisierungspotenzial, z. B. für Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, wie der Partei DER DRITTE W EG, zur Verfügung. Vor allem beteiligten sie sich an asylfeindlichen und asylkritischen Veranstaltungen. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene begeht regelmäßig Strafund Gewalttaten. Insbesondere richteten sich die Straftaten in den vergangenen Jahren gegen ihre Feindbilder, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger. Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden. Bereits am 1. Januar liefen ca. 50 Personen, teilweise vermummt und die Parole "Ausländer raus" rufend durch Plauen. Im Zuge der polizeilichen Feststellungen konnte darunter eine Gruppe von zehn bis 15 Personen mit einem Megafon ermittelt werden, die in das "Parteiund Bürgerbüro" der Partei DER DRITTE W EG gingen. Eine Gerichtsvollzieherin wurde am 2. Februar in Markneukirchen in antisemitischer Weise als "verdammtes Judenschwein" beleidigt. Außerdem wurde ihr die Erschießung angedroht. Im Verlauf des Jahres kam es zu mehreren Übergriffen auf nichtdeutsche Staatsangehörige oder deren Unterstützer: In Plauen wurden am 17. Juni drei Syrer als "Scheiß Kanaken" beleidigt, darunter wurde eine Person in den "Schwitzkasten" genommen und geschlagen. Am selben Tag wurde in Rosenbach eine Person von drei Tatverdächtigen als "Zecke" bezeichnet sowie ins Gesicht geschlagen und verfolgt. Auf einen gambischen Staatsangehörigen wurde am 2. Juli in Plauen ein Hund losgelassen. Dabei wurde er als "Nigger" beleidigt. In Reichenbach wurde am 7. August ein Syrer als "Scheiß Ausländer" bezeichnet und mit einem Schlagringmesser bedroht. Ein Betreuer unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge wurde am 12. August in Reichenbach hinterrücks mit einer Bierflasche beworfen. Mehrere Personen riefen ausländerfeindliche Parolen (u. a. "Neger"). Ein deutscher Staatsangehöriger iranischer Herkunft wurde am 25. August in Plauen beleidigt, zusammengeschlagen und mehrfach gebissen. Am 1. September wurden zwei Syrer in einem Bus in Plauen ausländerfeindlich beschimpft, dabei versuchte man, nach dem Kopf eines der Syrer zu treten. Außerdem wurde am 7. August in Pausa-Mühltroff ein mit mehreren rechtsextremistischen Parolen ("SS", "Deutschland erwache", "88", "Köthen wieder so"223 etc.) beschmiertes Garagentor festgestellt. 223 Schreibweise wie im Original 122 Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Vogtlandkreis 123 113 107 8 6 7 1.7.13 Landkreis Zwickau Im Landkreis Zwickau kam es im Berichtsjahr zu einem Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials. Der rechtsextremistischen Szene waren zwischen 200 und 250 Personen zuzurechnen (2017: zwischen 150 und 200 Personen). Der Anstieg ist zum einen mit der Zunahme der Aktionen der Partei DER DRITTE W EG - verbunden mit einem gesteigerten Bekanntheitsgrad - und zum anderen mit den Ereignissen in Chemnitz seit August 2018 begründet. Das Personenpotenzial lag im Vergleich zu anderen Regionen im Freistaat Sachsen im mittleren Bereich. Parteien DER DRITTE W EG Die Partei DER DRITTE WEG ist im Landkreis Zwickau das Auffangbecken für die NEONATIONALSOZIALISTEN. Nach eigenen Angaben vereint der im März 2017 gegründete "Stützpunkt" Westsachsen den Landkreis Erzgebirge sowie die Städte Zwickau, Chemnitz und deren Umland. Der örtliche Schwerpunkt der Parteiaktivitäten dieses "Stützpunktes" war die Stadt Zwickau. Dessen Aktivitäten nahmen im Berichtsjahr zu. Ziel war es, die Partei in Zwickau weiter bekannt zu machen sowie neue Mitglieder und Unterstützer zu werben. Um dies zu erreichen führte der "Stützpunkt" mehrere öffentliche Veranstaltungen in Zwickau durch. So fand am 7. April eine Demonstration unter dem Motto "Kapitalismus zerschlagen! Für Familie, Heimat und Tradition" mit ca. 120 Personen statt. Tony GENTSCH 224 hielt eine kapitalismuskritische Rede225. Der stellvertretende Parteivorsitzende Matthias FISCHER 226 gab sich kämpferischer und betonte, "wie wichtig" es sei "in heutigen volkszerstörerischen Zeiten die Fahne in den Wind zu halten und Widerstand zu leisten - für Familie, Heimat und Tradition". 227 Auch mit der Veranstaltung "Tag der Gemeinschaft mit Fußball und Politik" am 22. September im Zwickauer Stadtteil Neuplanitz konnte die Partei auch in nichtextremistischen Kreisen erfolgreich für sich werben. Die Arbeitsgruppe "Körper & Geist" der Partei228 trat als Unterstützer der Veranstaltung auf. Auf der Homepage war zu lesen: "mehrere Anwohner (...) füllten Fördermitgliedsanträge aus".229 Die bundesweite Kampagne "Deutsche Winterhilfe" strebt ebenfalls an, nichtextremistische Klientel zu erreichen. So fand am 13. Januar in Zwickau eine Informationsveranstaltung unter dem Motto "Winterhilfe - Vom ich zum Wir" statt.230 224 "stellvertretender Gebietsverbandleiter Mitte" der Partei DER DRITTE W EG 225 www.der-dritte-weg.info (Stand: 12. April 2018) 226 "stellvertretender Parteivorsitzender" der Partei DER DRITTE W EG 227 www.der-dritte-weg.info (Stand: 12. April 2018) 228 siehe Abschnitt II.1.3.1 Partei DER DRITTE W EG 229 www.der-dritte-weg.info (Stand: 2. Oktober 2018) 230 siehe Abschnitt II.1.3.1 Partei DER DRITTE W EG 123 Gegen Asylsuchende richteten sich auch die bereits bekannten "Nationalen Streifen" in Zwickau. Auf der Homepage der Partei hieß es dazu: "Durch unsere Streifengänge (...) tragen wir unseren Teil dazu bei, dass sich die Bürger unserer Stadt wieder etwas sicherer fühlen können. (...) Bekannt ist, dass in den Abendstunden die 'Zwickauer Arcaden' zu einem Schmelztiegel zwielichtiger, oftmals ausländischer, Gestalten verkommen."231 So diffamierten Angehörige der Partei Menschen mit Migrationshintergrund unterschiedslos und stellten das staatliche Gewaltmonopol infrage. Auf dem der Partei DER DRITTE W EG nahestehenden Facebook-Profil "Junge Kameradschaft Zwickau" werden rechtsextremistische Inhalte verbreitet. Dieses wird maßgeblich von einem Parteimitglied geprägt und unterstützte die "Nationalen Streifen". Auf der Facebook-Seite wurden sporadisch Beiträge veröffentlicht, so auch zu dem Eingreifen von "Kameraden" bei einer Auseinandersetzung zwischen einem "deutschen Mädchen" und "einigen Südländischen Migranten" am 8. Juli 2018.232 Mitglieder dieser Facebook-Gruppe suchen nach Aussagen auf der Seite gezielt nach möglichen Auseinandersetzungen zwischen deutschen Bürgern und solchen mit Migrationshintergrund, um dann aus ihrer Sicht "helfend" einzugreifen. Zu Konfrontationen kam es im Berichtsjahr auch vereinzelt zwischen Angehörigen der Partei DER DRITTE W EG und von diesen als "politische Gegner" angesehenen Menschen in Zwickau. In Zwickau fanden darüber hinaus regelmäßig interne Veranstaltungen für Mitglieder und Interessenten statt. So wurde am 28. Oktober 2018 ein "Zeitzeugenvortrag"233 veranstaltet ("Stimmen der Bewegung"), organisiert von Mitgliedern des "Stützpunktes" Westsachsen. Hier handelte es sich um ein "neues Format (...), welches Zeitzeugen zu Wort kommen lässt, die nach 1945 politisch gewirkt haben und zum Teil noch aktiv sind."234 Ein ehemaliges Mitglied der verbotenen WikingJugend habe über seine "3 Jahrzehnte politische Arbeit [referiert] und gab einen Einblick in die unterschiedlichen Organisationen, in denen er mitunter federführend aktiv war." 235 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und JUNGE NATIONALISTEN (JN) Auf der Jahreshauptversammlung der Partei am 1. Juni 2018 in Meerane (Lkr. Zwickau) wurde die Vereinigung der Kreisverbände Zwickau-Westsachsen und Vogtland zum neuen Kreisverband Zwickau-Vogtland beschlossen. Das für 2019 formulierte Ziel des Kreisverbandes erläuterte der neue Vorsitzende Patrick GENTSCH: "die in der Vergangenheit errungenen Mandate (...) zu verteidigen und wenn möglich auszubauen."236 Von diesem Verband gingen im Berichtsjahr keine öffentlichen Aktivitäten aus. Die JN SACHSEN posteten über Twitter im Juni 2018 zwar eine Karte mit weiteren Markierungen für einen "Stützpunkt" in der Region Zwickau. Tatsächlich sind jedoch nur Einzelpersonen aus dieser Region der JN zuzurechnen. Zudem erfolgten keine von der JN initiierten Aktivitäten in diesem Landkreis. 231 www.der-dritte-weg.info (Stand: 5. März 2018) 232 ebd. 233 siehe Abschnitt II.1.4.1 Neonationalsozialistische Gruppierung 234 Flyer der Veranstaltung 235 Facebook-Profil GEFANGENENHILFE FREUNDESKREIS (Stand: 30. Oktober 2018) 236 npd-sachsen.de/jahreshauptversammlung-mit-fusion (Stand: 4. Juni 2018) 124 Parteiungebundene Strukturen IDENTITÄRE BEWEGUNG Die Aktivitäten der Zwickauer Ortsgruppe im öffentlichen Raum waren bereits im Jahr 2017 zurückgegangen. Nach dem Rückzug des bisherigen Regionalleiters Tony GERBER aus der IDENTI237 TÄREN BEWEGUNG Ende Januar 2018 trat die Ortsgruppe nicht mehr in Erscheinung. Rechtsextremistische Musikszene / rechtsextremistische Vertriebe und Verlage Im Landkreis Zwickau existierten im Berichtsjahr mit den Bands ARTAM, RAC'N'ROLL-TEUFEL sowie dem Liedermacher FREILICHFREI Strukturen der rechtsextremistischen Musikszene. Darüber hinaus war hier auch die lokal nicht genau zuordenbare NSBM238-Band STAHLFRONT aktiv. Auftritte der NSBM-Band ARTAM wurden 2018 nicht bekannt, jedoch veröffentlichte die Band im November 2018 auf YouTube ein Video mit der Probeaufnahme des Titels "Vom Niedergang zum Untergang". Aktiver zeigte sich dagegen die Band STAHLFRONT. Sie trat am 7. April 2018 beim "Hot Shower Festival" in Italien auf. Weiterhin gab die Band im Dezember 2018 den Tonträger "Religion des Blutes" heraus. Im Landkreis Zwickau sind zudem einzelne Musiker der Szene ansässig. Der sehr aktive Liedermacher FREILICHFREI trat häufig als musikalische Begleitung im Rahmen von Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene in Sachsen und in anderen Bundesländern auf. So spielte er am 5. Mai 2018 in Regis-Breitingen im Anschluss an einen rechtsextremistischen "Zeitzeugenvortrag", am 11. Mai 2018 zum JN-"Europakongress" in Riesa und am 21. Juli 2018 bei der BRIGADE 8 in Mücka. Darüber hinaus war er als Interpret am Sampler "Tag der deutschen Zukunft 2018" sowie am Tonträger "Gemeinschaft Leben" beteiligt. Der RAC'N'ROLL-TEUFEL (auch bekannt als Liedermacher SCHRATT) trat am 23. Juni 2018 in Grimma, OT Roda, bei dem sogenannten Lunikoff-Sommerfest vor ca. 200 Teilnehmern auf. In der Stadt Zwickau ist ein rechtsextremistischer Szeneladen ansässig. Unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Neben den parteigebundenen und den parteiungebundenen Strukturen gibt es im Landkreis Zwickau eine unstrukturierte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene. Die Verbindungen der Szeneangehörigen in der Stadt waren meist lose und reichten selten über die Wohnorte der Beteiligten hinaus. Innerhalb dieses Personenpotenzials befinden sich auch Rechtsextremisten, die dere Fußballfanszene angehören. Die Szene fiel in den letzten Jahren vor allem durch die Begehung von Straftaten gegen ihre Feindbilder, wie Menschen mit Migrationshintergrund sowie deren Helfer und Unterstützer, jüdische Mitbürger, politische Gegner sowie Amtsund Mandatsträger, auf: Nachfolgende Sachverhalte sind Gegenstand noch laufender oder bereits abgeschlossener Ermittlungsverfahren sowie teilweise schon erfolgter Verurteilungen geworden: Im Januar wurde ein den Hitlergruß zeigendes Räuchermännchen im Internet verkauft, welches im Erscheinungsbild Adolf HITLER nachempfunden war. Am 8. November wurde in Crimmitschau in einem Fenster ein Lichterbogen mit einem Hakenkreuz festgestellt. Auch kam es wiederholt zu fremdenfeindlichen Straftaten mit körperlichen Angriffen: 237 siehe Abschnitt II.1.4.2 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND - Regionalgruppe Sachsen 238 "NSBM" steht für NS-Black Metal und bezeichnet den Teil der Metal-Szene, der sich in seiner Musik und seiner Ausrichtung auf den historischen Nationalsozialismus bezieht. 125 Eine kopftuchtragende libanesische Staatsangehörige wurde in Zwickau am 1. Februar durch eine weibliche Person mit Aussagen wie "Du stinkst" und "Geh zurück, wo du herkommst" beleidigt. Schließlich ging sie die Libanesin auch tätlich an. Ebenfalls in Zwickau wurden einem afghanischer Staatsangehöriger am 26. Februar die Worte "Ausländer raus" zugerufen. In Glauchau wurde am 23. Juni eine syrische Staatsangehörige beim Ausstieg aus einem Bus von hinten gegen einen Zaun geschubst. Anschließend versuchte man, ihr das Kopftuch zu entwenden. Schließlich trat der Täter gegen den Kinderwagen der Frau und schubste ihr anderes dreijähriges Kind. Ein montenegrinischer Schüler wurde am 20. August in Fraureuth beleidigt ("Scheiß Kanaken, verpisst euch"), bedroht und geschlagen. Als ein deutscher Staatsangehöriger hinzutrat und nach dem Grund der Auseinandersetzung fragte, wurde dieser ebenfalls geschlagen. Ein dunkelhäutiger deutscher Staatsangehöriger wurde am 22. Dezember in Werdau nach einer Beleidigung ("Scheiß Neger") mit mehreren Faustschlägen verletzt. Des Weiteren kam es zu Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte: Eine Glasscheibe des derzeit unbewohnten Asylbewerberwohnheims in Meerane wurde Ende Januar/Anfang Februar mit einem Projektil beschossen. Ein Brandanschlag auf das Asylbewerberwohnheim in Werdau konnte am 27. September verhindert und der Täter festgenommen werden. Am 4. August kam es in Limbach-Oberfrohna zu einer Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner: Nachdem eine Personengruppe eine andere Gruppe als "Eh, ihr Zecken" angepöbelt hatte, kam es zu weiteren Auseinandersetzungen. Infolgedessen wurden zwei Personen verletzt. Des Weiteren kam es zu Straftaten mit Antisemitismusbezug: Ein durch seine Kippa äußerlich erkennbarer Bürger jüdischer Religionszugehörigkeit wurde am 22. Mai in Meerane mit den Worten "Raus aus Deutschland, du Jude" antisemitisch beleidigt. Am 31. Oktober wurde an die Außenwand eines vietnamesischen Imbisses in Fraureuth das Wort "Jude" gesprüht. SUBKULTURELL GEPRÄGTE RECHTSEXTREMISTEN beteiligten sich auch überregional an rechtsextremistischen Konzerten und szeneinternen Veranstaltungen. Sie standen darüber hinaus als Mobilisierungspotenzial, z. B. für die Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Akteure, zur Verfügung und nahmen außerdem regelmäßig, vereinzelt auch überregional, an asylkritischen Veranstaltungen teil. Straftaten rechtsextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 2.380 1.959 2.199 145 95 138 Landkreis Zwickau 200 136 183 13 12 6 126 1.8 Politisch motivierte Kriminalität "rechts" - Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund Im Freistaat Sachsen wurden im Jahr 2018 2.199 rechtsextremistische Straftaten registriert (2017: 1.959; 2016: 2.380; 2015: 2.234). Damit stieg die Anzahl der rechtsextremistischen Straftaten, nach einem Rückgang 2017, wieder stark an und erreichte in etwa das Niveau von 2015. Der Anstieg betrug ca. 12 % und war damit auch im langfristigen Vergleich außergewöhnlich hoch. Außer im Jahr 2015 betrugen die Anstiege der vergangenen Jahre ca. 4 bis 6 %. Dies zeigt, dass die rechtsextremistische Szene im Jahr 2018 eine hohe Dynamik auch im Straftatengeschehen entfalten konnte. Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 2.380 2.500 2.234 2.199 1.959 2.000 1.710 1.635 1.500 Straftaten gesamt darunter Gewalttaten darunter fremdenfeindlich 1.000 784 692 571 500 442 235 201 146 145 95 138 67 83 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Rechtsextremistische Gewalttaten Die rechtsextremistischen Gewaltdelikte entwickelten sich ebenfalls entgegen dem Trend der vorangegangenen Jahre. Insgesamt waren 138 Gewaltdelikte zu verzeichnen (2017: 95; 2016: 145; 2015: 201). Damit bewegen sich die Gewalttaten wieder auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2016. Damit bestätigt sich die in den Vorjahren bereits festgestellte Entwicklungslinie, nach der sich das Grundniveau rechtsextremistischer Gewaltbereitschaft seit 2012 dauerhaft erhöht hat. Das Straftatenaufkommen der letzten Jahre liegt im Mittel doppelt so hoch wie in den Jahren vor 2014. Der Anteil der Gewalttaten an den rechtsextremistischen Straftaten stieg wieder auf 6,3 %. Im Jahr zuvor war der Anteil noch auf 4,9 % gefallen. Damit liegt das Niveau immer noch unter dem Höchststand von 2015 (9 %), aber auch über dem Stand von 2016 (6 %). Die Anzahl der fremdenfeindlichen Gewaltdelikte ist im Jahr 2018 mit 96 Gewaltdelikten um 37 % gestiegen. 2017 (70 Fälle) war noch ein Rückgang um ca. 30 % vorhanden (2016: 99 Fälle; 2015: 121 Fälle). Trotz dieses Rückganges 2017 lagen die absoluten Zahlen immer noch deutlich über dem Niveau vergangener Jahre239. Mit den Zahlen von 2018 bleiben die Werte zwar unter den Höchstständen von 2015, erreichen aber wieder das Niveau von 2016. 239 2014: 63; 2013: 36; 2012: 22 127 Der Anteil fremdenfeindlicher Gewaltdelikte an sämtlichen rechtsextremistischen Gewaltdelikten betrug ca. 70 %. Damit ist er leicht gegenüber dem Vorjahr gefallen (74 %) und liegt ebenfalls im Bereich des Wertes von 2016 (68 %). Auch im Vergleich zu früheren Jahren bleibt die Fallzahl auf einem sehr hohen Niveau240. Fremdenfeindlichkeit ist damit derzeit vor allem im Hinblick auf rechtsextremistische Gewaltbereitschaft das für die Szene wichtige Themenfeld. Parallel zu den fremdenfeindlichen Gewaltstraftaten haben auch die gewalttätigen Angriffe auf den politischen Gegner wieder zugenommen. 2018 wurden 23 Fälle gezählt (2017: 14; 2016: 19; 2015: 56; 2014: 14). Das ist eine Zunahme um ca. 64 %. Nach einem mehrjährigen Rückgang ist dies der erste und dafür überaus starke Anstieg der Fallzahlen seit 2015. Ein weiteres Ziel rechtsextremistischer Gewalt ist der Staat und seine Einrichtungen. Entsprechende rechtsextremistische Angriffe wurden 2018 in 17 Fällen verübt (2017: 5; 2016: 24; 2015: 56). Dies entspricht mehr als einer Verdreifachung der Fallzahlen, bleibt aber unter den Höchstständen der vorherigen Jahre. Sämtliche Indikatoren zeigen eine zunehmende rechtsextremistische Gewaltbereitschaft, ob in absoluten oder in relativen Zahlen. Inhaltlich bleiben Menschen mit Migrationshintergrund und politische Gegner die Hauptfeindbilder von Rechtsextremisten bei ihren Gewalttaten. Der parallele Anstieg der Fallzahlen in diesen Fällen wie auch bei den Angriffen auf den Staat und seine Einrichtungen zeigen, dass rechtsextremistische Gewalt sich letztlich gegen alle Personen richtet, die rechtsextremistischen Überzeugungen nicht teilen oder sogar ablehnen. Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund 250 201 200 145 150 138 121 Gewalttaten gesamt 99 95 96 100 darunter gg. polit. 83 70 Gegner 67 63 44 darunter 50 36 fremdenfeindlich 22 19 23 14 14 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Regionale Verteilung Die Spitze der Fallzahlen teilten sich auch 2018, ähnlich wie in den Jahren zuvor, die Städte Dresden (359 Fälle, 2017: 302), Chemnitz (306 Fälle, 2017: 160) und Leipzig (218 Fälle, 2017: 214). Alle Städte sowie fünf von zehn Landkreisen hatten 2018 steigende Zahlen an rechtsextremistischen Straftaten zu verzeichnen. Das höchste Aufkommen in absoluten Zahlen hatten nach den Städten die Landkreise Zwickau (183 Fälle), Görlitz (168 Fälle) und Mittelsachsen (159 Fälle). Teilweise kam es neben den absoluten Zahlen auch zu hohen prozentualen Steigerungen. Nach 240 2014: 76 %; 2013: ca. 54 %; 2012: 41 %; 2011: 27 % 128 der Stadt Chemnitz (Zunahme um 91 %) waren hier vor allem die Landkreise Sächsische SchweizOsterzgebirge (+38 %), Zwickau (+35 %) und Nordsachsen (+17 %) betroffen. Etwas anders ist das Bild mit Blick auf die Gewalttaten. In absoluten Zahlen liegen hier die Stadt Chemnitz (43 Fälle), die Stadt Dresden (30 Fälle) und der Landkreis Nordsachsen (14 Fälle) auf den vordersten Rängen. Auch hier gab es in zwei Städten und fünf Landkreisen - damit in der Mehrzahl der Kreise - eine Steigerung der Zahlen. Besonders deutlich war der Zuwachs in Chemnitz (+617 %), aber auch in Görlitz (+300%), Nordsachsen (+180 %), Meißen (+100 %), im Landkreis Leipzig (+100 %) und in Dresden (+ 43 %). Die Steigerung in Meißen, Görlitz und im Landkreis Leipzig beruht auf einem sehr niedrigen Niveau. In Meißen bspw. stiegen die Gewalttaten von einem 2017 auf aktuell zwei Fälle. In Dresden ging der Anstieg von 21 im Jahr 2017 auf 30 Fälle 2018, in Chemnitz gar von 6 (2017) auf 43 Fälle (2018). Hinter diesen Entwicklungen stehen in Chemnitz vor allem die Ereignisse seit Ende August 2018. Daneben ist jedoch ein in seiner Gesamtheit wieder zunehmendes rechtsextremistisches Straftatenverhalten zu konstatieren, das sich über den gesamten Freistaat Sachsen erstreckt. Dieses ist teilweise, wie in Chemnitz (siehe die Ereignisse vom August 2018 in Chemnitz) und Görlitz (verschiedene Großveranstaltungen in einem Objekt in Ostritz), mit aktuellen Ereignislagen zu erklären, gleichzeitig ist jedoch in allen Landkreisen eine regelmäßige rechtsextremistische Alltagsdelinquenz zu beobachten. Hinter dieser verbergen sich alltägliche Übergriffe auf Menschen mit Migrationshintergrund, politische Gegner, Amtsund Mandatsträger, aber auch unbescholtene Bürger, die auf Volksfesten, in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf öffentlichen Wegen und Plätzen von Rechtsextremisten teils rein willkürlich als "Feinde" wahrgenommen und in der Folge beleidigt, belästigt oder körperlich angegangen werden. Der genaue Tatverlauf hängt dabei oft von den konkreten Umständen ab. Prozentuale Zuoder Abnahme des rechtsextremistischen Straftatenaufkommens nach Landkreisen 700,0 616,7 600,0 500,0 400,0 300,0 300,0 180,0 200,0 Straftaten 91,3 42,9 100,0 100,0 Gewalttaten 100,0 13,5 38,0 34,6 18,9 5,3 17,1 16,7 0,0 1,9 0,0 -15,3 -10,3 -11,3 -16,7 -5,3 -26,8 -35,7 -28,6 -100,0 -50,0 -100,0 -200,0 129 Thematische Verteilung Betrachtet man die Straftaten im Einzelnen, so ist das rechtsextremistische Straftatenaufkommen im Jahr 2018, wie in den Vorjahren, von einem hohen Anteil an Volksverhetzungsund Propagandadelikten geprägt (2018: 70 %, 2017: 66,9 %, 2016: 70,3 % aller rechtsextremistischen Straftaten). 9 % aller Propagandadelikte haben eine fremdenfeindliche Motivation. Danach folgen Aktivitäten gegen die Polizei sowie den Staat und seine Einrichtungen mit jeweils 5 %. Vor allem die fremdenfeindlichen Propagandadelikte stiegen von 82 Fällen 2017 auf nunmehr 143 Fälle 2018. Die Zuwächse verteilten sich auf alle drei Großstädte, aber auch auf die Landkreise. Während sich die Werte für Chemnitz und den Landkreis Zwickau mehr als verdoppelten, verdreifachten sich diese im Landkreis Leipzig. Im Landkreis Mittelsachsen stiegen sie sogar auf das Fünffache des Vorjahreswertes. Bei den gegen den politischen Gegner gerichteten rechtsextremistischen Straftaten war 2018 im Gegensatz zu den Gewaltdelikten ein leichter Rückgang des Aufkommens zu verzeichnen. Von einem hohen Niveau (2017: 139; 2016: 168 Fälle) gingen diese Straftaten auf 117 Fälle bzw. um 16 % zurück. Damit setzte sich hier der Trend des vergangenen Jahres fort. Besonders im Landkreis Bautzen kam es zu einem Rückgang der Fallzahlen um über 75 %. Auch in Dresden, im Erzgebirgskreis und im Landkreis Leipzig halbierten sich die Zahlen. Anstiege waren hingegen in Chemnitz (um etwa ein Drittel) und auf niedrigem einstelligen Niveau in den Landkreisen Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sowie im Landkreis Görlitz zu verzeichnen. Dort verdreifachten bzw. verdoppelten sich die Fallzahlen. Einen besonders starken Anstieg gab es bei den Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen. Hier stiegen die Zahlen von 49 Delikten in 2017 auf nunmehr 180 Delikte. Damit gab es hier mehr als eine Verdreifachung der Fallzahlen. Zwei Drittel der Fälle entfielen auf die Stadt Chemnitz und standen in Zusammenhang mit den Ereignissen seit Ende August 2018. Der bereits 2017 festzustellende starke Anstieg der antisemitischen Straftaten setzte sich 2018 fort. Insgesamt gab es 132 Fälle antisemitischer Straftaten (2017: 101; 2016: 82). Damit ist nach 23 % 2017 ein Anstieg von ca. 31 % 2018 zu verzeichnen. Schwerpunkte waren Dresden, Leipzig und mit etwas Abstand Chemnitz. In diesen drei Städten wurden etwas weniger als die Hälfte aller Delikte begangen. Die weiteren Delikte geschahen flächendeckend in allen Landkreisen. Damit zeigt sich auch bei den antisemitischen Fällen, dass die "Rückbesinnung" der rechtsextremistischen Szene weiter voranschreitet und diese den ihr eigenen "Judenhass" wieder stärker herausstellt. 1.9 Ausblick Nach den Ereignissen des Jahres 2018 verfügt die rechtsextremistische Szene in Sachsen über eine gesteigerte Konfrontationsbereitschaft, eine verbesserte ereignisbezogene Koordinationsfähigkeit und erweiterte Möglichkeiten zur Einflussnahme auf allgemeine gesellschaftliche Diskussionen und politische Prozesse. Aufgrund der mit den anstehenden Wahlen 2019 verbundenen Aufmerksamkeit ist mit zahlreichen Aktivitäten sowohl im Politischen als auch im Gewaltund Straftatenbereich zu rechnen. Die rechtsextremistische Szene in Sachsen wird weiterhin versuchen, Ereignisse mit Migrationsbezug zur Verächtlichmachung und Stigmatisierung von Menschen mit Migrationshintergrund sowie ihrer Unterstützer zu nutzen. Insbesondere Straftaten von Migranten wird die Szene fortgesetzt propagandistisch aufgreifen, um demokratischen Institutionen, wie Regierungen, Parlamenten und Behörden, die Legitimität abzusprechen. Erkennbares Ziel ist die Erzeugung eines "umsturzbereiten" Klimas gegen die aktuelle Politik und in letzter Konsequenz gegen den freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaat in Deutschland. Dazu wird die rechtsextremistische Szene weiterhin mit 130 nichtextremistischen Gruppen und Initiativen in der Mitte der Gesellschaft zusammenarbeiten. So sollen Berührungsängste und die zivilgesellschaftliche Abgrenzung gegen den Rechtsextremismus weiter geschwächt und ihre menschenfeindliche Ideologie in größeren Teilen der Gesellschaft verbreitet werden. Eine wesentliche Rolle in dieser Strategie spielen die "Einsickerungsbemühungen" und Vernetzungsbestrebungen überregional agierender muslimenund fremdenfeindlicher Rechtsextremisten. Beides wird von der rechtsextremistischen Szene weiter vorangetrieben werden. Dadurch wird auch die Mobilisierungsund Reaktionsfähigkeit der Szene weiter ansteigen. Im Ergebnis ist in Zukunft eine noch stärker ausgebaute und mit Hilfe von sozialen Medien deutlich beschleunigte Mobilisierungsund Konfrontationsfähigkeit ("Smartmobs") der rechtsextremistischen Szene möglich. Diese Entwicklungen werden innerhalb der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE stattfinden. Das größte Gewaltund Aktionspotenzial liegt daneben in der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTISCHEN SZENE. Hier sind insbesondere die rechtsextremistischen Fußballanhänger eine treibende Kraft bei Auseinandersetzungen. Deren Bedeutung für die rechtsextremistische Szene wird nach wie vor sehr hoch bleiben. Auch von Seiten der IDENTITÄREN BEWEGUNG (IB) wird eine Öffnung der Gesellschaft für Ansichten und Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene nachhaltig befördert. Aufgrund der Löschung einiger ihrer Profile in den sozialen Medien muss die IB ihre realweltlichen Aktivitäten verstärken. Das Mittel der Wahl werden "Festivals", ähnlich wie die Veranstaltung "Europa Nostra" im August in Dresden, die Durchführung sogenannter IB-Zonen (Kundgebungen und Infostände) sowie zahlreiche Banneraktionen sein. Mit aufsehenerregenden Aktionen wird die IB weiter versuchen, die Demokratie und ihre Repräsentanten zu diffamieren und Aufmerksamkeit zu erlangen, um neue Mitglieder und Spender zu erreichen sowie bei nichtextremistischen Bürgern Sympathien für rechtsextremistische Überzeugungen zu wecken. Hierbei zielt sie vor allem auf die Verbreitung neuerer rechtsextremistischer Ideologien, wie dem "Ethnopluralismus". Durch diesen können rassistische Grundüberzeugungen in einem für den außenstehenden Betrachter nicht gleich als extremistisch erkennbaren Gewand propagiert werden. Ähnlich, aber weniger um die subtilere Vermittlung ihrer rechtsextremistischen Ansichten bemüht, wird sich die Partei DER DRITTE W EG verhalten. Diese wird das dynamische Zentrum der Entwicklungen im parteigebundenen Rechtsextremismus bleiben. Vorerst ist nicht mit einem nennenswerten Strukturausbau im Großraum Dresden und in Ostsachsen zu rechnen. Gleichwohl wird das Aktionsniveau in den westsächsischen Landkreisen und dort insbesondere im Großraum Chemnitz weiter zunehmen. Für diese Partei sind die im Jahr 2019 anstehenden Wahlen von hoher Bedeutung. Jeweils ereignisabhängig ist auch eine weitere Zunahme der bürgerlichen Unterstützung für Aktivitäten der Partei DER DRITTE W EG möglich. In geschwächter Position befindet sich die NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD), wie auch ihre Jugendorganisation, die JUNGEN NATIONALISTEN (JN). Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der NPD, wie auch bei den JN, nach wie vor ein signifikantes rechtsextremistisches Personenpotenzial beheimatet ist. Dieses wird im Rahmen der anstehenden Wahlkämpfe verschiedene Aktivitäten entfalten und auch Aktivitäten anderer rechtsextremistischer Spektren, wie vor allem der NEONATIONALSOZIALISTISCHEN SZENE und der SUBKULTURELL GEPRÄGTEN RECHTSEXTREMISTEN, unterstützen. Das Wahlergebnis wird für die NPD existenziell sein. Sollte die NPD ihre Wahlziele verfehlen, sind ein weiterer Bedeutungsverlust und eine verstärkte Umorientierung der Anhänger von NPD und JN in Richtung anderer rechtsextremistischer Akteure zu erwarten. "Heldengedenken", "Trauermärsche" und "Zeitzeugenvorträge" der neonationalsozialistischen Szene werden weiterhin sachsenweit stattfinden, um das teils nur lose gebundene Personenpotenzial der rechtsextremistischen Szene zu sammeln, Kennverhältnisse auszubauen und die Aktionsfähigkeit weiter zu festigen. 131 Auch der Trend zu sogenannten Mischveranstaltungen241, wie das "Schild und Schwert-Festival", wird sich fortsetzen und seine Bedeutung behalten. Sie sind ein herausragendes Forum, in dem rechtsextremistische Protagonisten versuchen, sich als spektrenübergreifende Führungskräfte der rechtsextremistischen Szene darzustellen. Außerdem kann hier um das unstrukturierte Personenpotenzial geworben werden. Vergleichbare Veranstaltungen der Partei DER Dritte Weg verfolgen ähnliche Ziele. Daneben bleiben jedoch kleinere Veranstaltungen wie konspirative Konzerte und Liederabende weiterhin von Bedeutung. Diese erregen weniger öffentliche Aufmerksamkeit und werden in der Szene als "heimeliger" und besser abschirmbar gegen exekutive wie zivilgesellschaftliche Reaktionen wahrgenommen. Auch hier ist mit einer Fortsetzung des Trends zu rechnen. Kaum Veränderungen sind hingegen bei den rechtsextremistischen Vertrieben zu erwarten. Hier haben sich die marktbeherrschenden Unternehmen im Wesentlichen etabliert. Gelegentlich gibt es einen Wandel im Bereich von Kleinstunternehmen, die meist vor dem Hintergrund des Profitstrebens Einzelner entstehen und sich wieder auflösen. Ähnlich dynamisch wird sich das Bestreben der rechtsextremistischen Szene nach der Erschließung neuer Veranstaltungsorte gestalten. 2018 hatte die Szene immer wieder auf leerstehende Immobilien im ländlichen Raum, aber vor allem auf in ihrem Eigentum befindliche Objekte, zurückgegriffen. Da diese Immobilien die wesentliche Basis für das langfristige Agieren der Szene darstellen, wird diese insbesondere bestrebt sein, weitere Objekte zu erwerben und auszubauen. Abhängig von eskalationsträchtigen Ereignissen wie 2016 in Bautzen oder 2018 in Chemnitz ist eine Zunahme der alltäglichen Gewaltbereitschaft seitens der rechtsextremistischen Szene zu erwarten. Hintergrund ist die für die rechtsextremistische Szene nach wie vor hohe Bedeutung der Asylthematik. Mittlerweile hat sich der Schwerpunkt der Szeneaktivitäten von der Bekämpfung der Ankunft der Menschen mit Migrationshintergrund zur konfliktträchtigen Konfrontation und Diffamierung dieser Menschen verschoben. Auch das gewalttätige Vorgehen gegen vermeintliche oder tatsächliche Unterstützer dieser Menschen findet innerhalb der Szene weiterhin zunehmend Akzeptanz. In diesem Zusammenhang ist mit Übergriffen und personenbezogenen Angriffen gegen den politischen Gegner zu rechnen. Im Fokus stehen dabei Menschen mit Migrationshintergrund, Amtsund Mandatsträger sowie die weiteren Feindbilder der rechtsextremistischen Szene wie u. a. Menschen mit jüdischer oder muslimischer Religionszugehörigkeit. Allen Anzeichen, dass diese Aktivitäten militante rechtsextremistische und rechtsterroristische Straftaten erreichen können, muss daher wie bisher mit höchster Aufmerksamkeit und Konsequenz nachgegangen werden. 241 Der Begriff "Mischveranstaltung" bezeichnet ein Veranstaltungsformat, bei dem verschiedene Veranstaltungsteile vorkommen, die sonst durch einzelne Veranstaltungen bedient werden (bspw. Musik, Kampfsport, etc.). 132 2. REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER # Personenpotenzial weiterhin im unteren vierstelligen Bereich # größtenteils allein handelnde Personen und (Klein)Gruppen 133 2.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen In den Jahren 2017 und 2018 traten REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER wiederholt durch gewalttätige Aktionen vor allem gegen Polizeibeamte und Gerichtsvollzieher in Erscheinung. Bereits im August 2016 kam es im Zuge der Räumung eines von einer Reichbürgergruppierung gehaltenen Areals in Elsteraue, OT Reuden (Sachsen-Anhalt), zu Gewalttätigkeiten. Bei einem Vorfall zwei Monate darauf in Georgensmünd (Bayern) wurde ein Polizeibeamter beim Betreten eines Reichsbürgeranwesens getötet. Infolge dieser Ereignisse weiteten die Verfassungsschutzbehörden ihre Beobachtung von zunächst ausschließlich rechtsextremistischen Reichsbürgern auf die gesamte Szene der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER aus. Seit dem 1. Dezember 2016 sind REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER ein Beobachtungsobjekt des Landesamtes für Verfassungsschutzes (LfV) Sachsen. Vor diesem Hintergrund ersuchte das LfV Sachsen die öffentlichen Stellen des Freistaates um Übermittlung der ihnen vorliegenden Erkenntnisse zu diesem Extremismusbereich. Die Szene der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER242 wird bundeseinheitlich wie folgt definiert: REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - u. a. unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Unter anderem sind folgende wiederkehrenden Argumentationsmuster und Handlungsweisen bei REICHSBÜRGERN UND SELBSTVERWALTERN erkennbar: 1. Sie gründen Phantasiestaaten und proklamieren ihre Selbstverwaltung. Die Abgabe des Personalausweises soll in diesem Zusammenhang zum Ausdruck bringen, dass sie die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht anerkennen. Vielmehr handele es sich um eine "BRD-GmbH" und die Bevölkerung sei deren "Personal". 2. REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER verweisen häufig auf eine angeblich rein privatrechtliche Beziehung zwischen Bürger und Behörde. Daher sei eine einseitige "Kündigung" jederzeit möglich und legitim. 3. Die Mehrzahl der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER beantragt einen Staatsangehörigkeitsausweis ("Gelber Schein") unter Verweis auf das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 (RuStAG) sowie auf die angebliche Abstammung aus einem ehemaligen Gliedstaat des Deutschen Reiches (Bundesstaat Sachsen, Königreich Preußen etc.). Sie wollen damit zum Ausdruck bringen, dass alle Änderungen im Staatsangehörigkeitsrecht seit der Abdankung Kaiser Wilhelms II. im Jahr 1918 keinen Bestand hätten, da von diesem Zeitpunkt an kein rechtmäßiger Staat mehr gegründet worden sei. 4. REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER zweifeln zudem an, dass der Zweite Weltkrieg jemals offiziell beendet wurde, da es lediglich eine Kapitulation der Deutschen Wehrmacht, aber keine solche des Deutschen Reiches gegeben habe. Hier wird in pseudojuristischer Argumentationsweise auch auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes (z. B. auf 242 "Selbstverwalter" sind Personen, die sich als "staatenlos" definieren und auf dieser Grundlage die Zuständigkeit der staatlichen Verwaltung in der Bundesrepublik Deutschland bestreiten. Oft gründen sie eigene Pseudo-Staaten, die sie dann als "souveräne" Subjekte des Völkerrechts darstellen, über die sie "auf Augenhöhe" mit anderen Staaten, wie der Bundesrepublik Deutschland, in politische Beziehungen treten könnten. 134 den sogenannten Teso-Beschluss243) verwiesen. Außerdem werden verschiedenste internationale Dokumente angeführt, die entweder entgegen ihres eigentlichen Aussagesinns gedeutet oder in einen völlig anderen, sachfremden Zusammenhang gestellt werden. 5. Die deutsche Wiedervereinigung habe ebenfalls keine Gültigkeit, da das Grundgesetz nicht dem deutschen Volk zur Abstimmung vorgelegt worden sei. Der "Zwei plus Vier"-Vertrag sei deswegen unrechtmäßig; es herrsche nach wie vor Besatzungsrecht. 6. Häufig kommt es zum Versuch der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber Verwaltungen nach Artikel 55 der Haager Landkriegsordnung (HLKO). Zwischen 1907 und 1910 hätten souveräne Staaten letztmalig Regeln des Krieges sowie der Besatzung festgelegt. Weil daraufhin aber immer mehr Staaten vom Staatsin das Handelsrecht (im Falle Deutschlands nach 1945 angeblich vertreten durch die "BRD-GmbH") gewechselt seien und ein Frieden nur von souveränen Staaten ausgehandelt werden könne, gelte nach wie vor die HLKO. Damit verbunden sind in der Regel unverhältnismäßig hohe finanzielle "Schadensersatzansprüche". 7. Beliebt ist auch die Erklärung zur "Natürlichen Person", die nicht mehr Teil der "Staatskonstrukte" sei. Dies drückt sich z. B. in der Verwendung von Nameneinschüben wie Gert "aus der Familie" Mustermann aus. Inzwischen berufen sich einige REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER auch auf ihre ehemalige DDR-Staatsbürgerschaft, die ihrer Ansicht nach weiterhin Gültigkeit besitze. Der sehr heterogenen Szene der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER ist die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung gemein. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten die Betroffenen aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Gerichten und Behörden. Eine derart grundsätzliche Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen beinhalten, bietet hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen. Auch wenn Ähnlichkeiten mit Argumentationsmustern von Rechtsextremisten bestehen, ist nur ein sehr kleiner Teil dieser Szene dem Rechtsextremismus zuzurechnen. Szeneübergreifende Ideologiebestandteile sind ein vorhandener Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus, Antiamerikanismus und Nationalismus. Die Adaption von Ideologieelementen aus verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen macht deutlich, dass es sich bei den REICHSBÜRGERN UND SELBSTVERWALTERN um einen Extremismus eigener Art handelt. Neben waffenaffinen und verschwörungstheoretisch geprägten Personen gehören der Szene ebenso eine Reihe von in erster Linie finanziell motivierten Personen an, die sich mit den o. g. Begründungen weigern, staatlichen oder kommunalen Zahlungsforderungen nachzukommen (sogenannte Milieumanager). REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER zeichnen sich dadurch aus, dass sie vor allem die Konfrontation mit der öffentlichen Verwaltung suchen und auf Grundlage ihrer Annahmen zur angeblich fehlenden Staatlichkeit der Bundesrepublik das ordentliche Verwaltungshandeln ablehnen und zu behindern versuchen. Dabei nutzen sie vor allem aus dem Internet beschaffte umfangreiche Schreiben, mit denen sie die Behörden regelrecht "fluten". Im Falle der persönlichen Begegnung schrecken sie nicht vor Beleidigungen, Bedrohungen und Handgreiflichkeiten zurück. Von emotionalisierten und ideologisierten Einzeltätern geht das größte Gefahrenpotenzial aus. 243 BVerfG, Beschluss vom 21. Oktober 1987 - 2 BvR 373/83 135 2.2 Personenpotenzial Das LfV Sachsen rechnet der Szene der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER rund 1.400 Personen zu. Der Anteil der Rechtsextremisten innerhalb des Spektrums beträgt 102 Personen (7 %). Der Anteil der Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse bewegt sich in Folge mittlerweile vorgenommener Entziehungsmaßnahmen bei 36 Personen (2,5 %). Die soziodemographische Struktur der Szene weist Besonderheiten auf. Im Vergleich zu anderen extremistischen Phänomenbereichen ist der Anteil der Frauen (rund 25 %) verhältnismäßig hoch. Auch ist der Altersdurchschnitt mit rund 50 Jahren deutlich höher. Bei Reichsbürgern wird daher auch von einer "Radikalisierung der zweiten Lebenshälfte" gesprochen. Das registrierte Personenpotenzial der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER ist seit der Aufnahme als Beobachtungsobjekt durch das LfV Sachsen stark angestiegen. Dies lag daran, dass seitens der Polizei und anderer Stellen der öffentlichen Verwaltung sowie von Gerichten eine Vielzahl einschlägiger Daten an das LfV Sachsen übermittelt wurden. In der zweiten Hälfte des Berichtsjahres kam es nur noch zu einem leichten Anstieg des Personenpotenzials. Anzahl der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER im Freistaat Sachsen (insgesamt: ca. 1.400 [2017: 1.327 / bundesweit 2017: 16.500]) REICHSBÜRGER UND SELBSTPersonen mit waffenrechtlidavon Rechtsextremisten VERWALTER cher Erlaubnis, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie der 2018: ca. 1.400 2018: ca. 100 Reichsbürgerszene angehö2017: 1.327 2017: 79 ren 2018: 36 2017: 68 136 Regionale Verteilung der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER im Freistaat Sachsen Die regionale Verteilung der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER wird sachsenweit gleichmäßiger. Zum Ende des Jahres 2017 lagen die Schwerpunkte noch im Landkreis Zwickau und in der kreisfreien Stadt Dresden. Im Jahr 2018 sind nunmehr die Landkreise Bautzen, Mittelsachsen und der Erzgebirgskreis als weitere Schwerpunktregionen zu nennen. Der Landkreis Nordsachsen weist die niedrigste Zahl an REICHSBÜRGERN UND SELBSTVERWALTERN auf. 2.3 Reichsbürgergruppierungen in Sachsen Zum Beobachtungsobjekt REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER in Sachsen zählen neben einer Vielzahl von Einzelpersonen wenige lose Gruppierungen und Personenzusammenschlüsse. Im Freistaat Sachsen waren im Jahr 2018 folgende Personenzusammenschlüsse aktiv: 1. BUNDESSTAAT SACHSEN Mitglieder dieser Gruppierung wenden sich mit öffentlichen Schreiben in Form von "offenen Briefen", "Anordnungen", "öffentlichen Bekanntmachungen" und "Amtsblättern" an die Öffentlichkeit sowie gezielt an Dienststellen des Freistaates Sachsen und sächsischer Kommunen. Darin vertreten sie die Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland als Staat nicht existiere. Der BUNDESSTAAT SACHSEN sei daher als Gliedstaat des Deutschen Reiches "reaktiviert" worden. Die Gruppierung stellt auf ihren Homepages regelmäßig neues Informationsmaterial zur Verfügung, wobei die inhaltliche Bandbreite von der Kritik an der aktuellen Russlandpolitik über die "Flüchtlingskrise" bis hin zu den Ereignissen in Chemnitz in der zweiten Jahreshälfte 2018 reicht. 137 2. STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. Bei der Gruppierung STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. handelt es sich um einen kleinen Personenzusammenschluss mit Hauptsitz in Berlin. STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. hält auf seiner Internetseite ein breites Informationsangebot für Anhänger und Interessenten bereit. Auch meldete dieser Verein sogenannte Mahnwachen in Dresden an. Diese wurden zeitgleich mit den wöchentlichen nichtextremistischen Pegida-Demonstrationen abgehalten, allerdings an einer anderen Lokalität. Die einstelligen Teilnehmerzahlen verdeutlichen die geringe Resonanz, die diese Veranstaltungen erzeugten. Die für den Freistaat Sachsen regional verantwortliche Protagonistin ist bislang lediglich im Zusammenhang mit der Anmeldung der o. g. "Mahnwachen" von STAATENLOS.INFO - COMEDIAN E. V. verfassungsschutzrelevant in Erscheinung getreten. In der zweiten Hälfte des Berichtsjahres wurden zwei angemeldete Infostände in Chemnitz und Leipzig bekannt, die jedoch nur geringes öffentliches Interesse hervorriefen. 3. EINIGES DEUTSCHLAND FREIE WÄHLERVEREINIGUNG - LANDESVERBAND SACHSEN Die Vereinigung EINIGES DEUTSCHLAND - FREIE W ÄHLERVEREINIGUNG ist eine bundesweit organisierte Gruppierung, die sich im Januar 2017 gegründet hat.. Eine aus Sachsen stammende Person ist im sogenannten Bundesvorstand aktiv. Bei der Gruppe EINIGES DEUTSCHLAND - LANDESVERBAND SACHSEN handelt es sich um eine Untergruppe des Einigen Deutschlands - Freie Wählervereinigung. Im Dezember 2018 fiel diese Gruppierung auf mit einem Aufruf zur sogenannten Siegelwahl, an der sich rund 20 Personen beteiligten. Diese Veranstaltung wurde von der Polizei aufgelöst. Darüber hinaus wurden vereinzelt auch Mitglieder bundesweit aktiver Reichsbürgergruppierungen in Sachsen aktiv, wie etwa die EXILREGIERUNG DEUTSCHES REICH oder die Gruppe DIE EXILREGIERUNG DEUTSCHES REICH. Eigene Strukturen dieser Gruppierungen existieren jedoch in Sachsen nicht. Ausblick Nachdem die Aufhellung des Dunkelfeldes der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER deutlich vorangeschritten ist und schon zum Ende des Berichtsjahres nur noch eine leichte Steigerung des Personenpotenzials zu verzeichnen war, dürfte künftig eine Stabilisierung oder sogar ein Rückgang der Zahlen zu erwarten sein. Die Straftatenzahlen dürften weiterhin auf niedrigem Niveau verbleiben. Gleichwohl können Einzelfallkonstellationen das Risiko schwerer Gewalttaten von REICHSBÜRGERN UND SELBSTVERWALTERN mit sich bringen. Insbesondere die bundesweit festzustellende Waffenaffinität in diesem Milieu spielt für die Bewertung von Gefährdungslagen eine zentrale Rolle. Behördenmitarbeiter, Gerichtsvollzieher und Polizeibeamte sind in besonderem Maße betroffen. Mit einem landesweit koordinierten Vorgehen der REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER ist nicht zu rechnen. Dazu fehlen eine gemeinsame Infrastruktur, charismatische Führungsfiguren sowie verbindende Zielvorstellungen. Gleichwohl geht ein erhöhtes Gefährdungspotenzial von einzelnen verschwörungstheoretisch geprägten Überzeugungstätern aus. Aus diesem Personenkreis ist auch mit weiteren Vernetzungsbestrebungen der lediglich lose strukturierten Szene zu rechnen. Außerdem wird von diesen Gruppen auch die Anlage von Vorräten und die Schaffung von "Rückzugsräumen" (Immobilien) angestrebt. Dahinter steht die Erwartung des baldigen Zusammenbruchs der staatlichen Ordnung in Deutschland. Diesem Teil der Reichsbürgerszene kommt das höchste Radikalisierungspotenzial zu. 138 3. Linksextremismus # Anstieg der Anzahl von Linksextremisten # Leipzig ist weiterhin Schwerpunktregion der sächsischen autonomen Szene und Brennpunkt linksextremistischer Gewalt # Grenzen zwischen Toleranz und Akzeptanz linksextremistischer Positionen verwischen zunehmend 139 3.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Linksextremisten streben die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Stattdessen wollen sie eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft etablieren. Ihr politisches Handeln richten sie dementsprechend an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Damit treten sie entweder für eine Diktatur ein, die mit einer Entrechtung Andersdenkender einhergeht, oder für eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung. Die von Linksextremisten häufig instrumentalisierten Begriffe "Gleichheit", Linksextremisten "Freiheit" und "Gerechtigkeit" stellen sich bei genauer Betrachtung als Synonyme für die AbschafZiel: Anarchie oder Diktatur des Proletariats fung demokratischer Errungenschaften (z. B. der Ablehnung von Staat und Gesellschaft Gewaltenteilung) und die Einschränkung persönlianarchistische und kommunistische Ideolocher Freiheitsrechte dar, so z. B. die Beseitigung giefragmente des Rechts auf Eigentum. Auch wenn das GrundGewalt als mögliches Mittel ziel - die Abschaffung der parlamentarischen Demeist keine Strukturen und Hierarchien mokratie - alle linksextremistischen Bestrebungen eint, bestehen hinsichtlich der Vorstellungen zur letztlich angestrebten Ordnung, des dorthin führenden Wegs und der anzuwendenden Mittel erhebliche Differenzen. Das Ziel AUTONOMER ist ein Gemeinwesen, das sich an anarchistischen und kommunistischen Ideologiefragmenten orientiert. Zu dessen Durchsetzung spielt die Anwendung von Gewalt eine zentrale Rolle. Im Gegensatz hierzu streben orthodoxe Parteien die Errichtung eines zentralistisch geleiteten kommunistischen Staatswesens an; dies soll durch Klassenkampf und die Diktatur des Proletariats erreicht werden. Im Unterschied zu den AUTONOMEN halten orthodoxe Linksextremisten die Anwendung von Gewalt erst in einer revolutionären Situation für legitim und unvermeidbar. Im Übrigen ist die Anwendung von Gewalt jedoch ist in Teilen der linksextremistischen Szene - vor allem bei den AUTONOMEN - allgemein akzeptierter Grundkonsens. Dies wird dabei im Wesentlichen zweifach legitimiert: # Zum einen handele es sich um Gegengewalt, mit der man sich gegen die ungerechtfertigte Gewaltausübung des Staates wehre. Denn dieser übe seinerseits mittels seiner Institutionen und Machtverhältnisse eine "strukturelle" Gewalt gegenüber dem Bürger aus. # Zum anderen gebe es politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt schon grundsätzlich rechtfertigten. Diese Gewalt richtet sich im Wesentlichen gegen Sachen, kann aber auch Personen, wie tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Polizeibeamte und andere Repräsentanten staatlicher Einrichtungen sowie demokratische Parteien zum Ziel haben. 140 3.2 Personenpotenzial Anzahl der Linksextremisten steigt gegenüber dem Vorjahr wieder an Im Jahr 2018 wurden im Freistaat Sachsen ca. 785 Personen linksextremistischen Bestrebungen zugerechnet. Damit ist diese Zahl gegenüber dem Vorjahr (ca. 775 Personen) um etwa 1 % gestiegen. Linksextremistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen 1000 Das Personenpotenzial der AUTO845 780 775 785 NOMEN erhöhte sich im Berichtsjahr 770 800 geringfügig. Sie stellen mit ca. 425 Personen (2017: 415) unverändert 600 die größte Gruppe innerhalb der linksextremistischen Bestrebungen 400 im Freistaat Sachsen dar. Der Anstieg resultierte aus Zuwäch200 sen in der Region Chemnitz. In den Zentren der autonomen Szene in Leipzig und Dresden blieb das Per- 0 2014 2015 2016 2017 2018 sonenpotenzial dagegen konstant. Die den ANARCHISTEN und sonstigen linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnende Anhängerschaft nahm ebenfalls zu und lag im Berichtsjahr bei ca. 190 Personen (2017: 160). Dabei blieb die Mitgliederzahl im Bereich der anarchistischen Gruppierungen mit ca. 45 Personen konstant. Der ROTE HILFE E. V. (RH) konnte zahlreiche Anhänger hinzugewinnen und verfügte im Freistaat im Jahr 2018 über etwa 450 Mitglieder, wobei es sich hierbei nach wie vor vielfach um Mehrfachmitgliedschaften handelt. Die Gruppierung REVOLUTION behielt ihre Mitgliederzahl im Berichtsjahr bei. Die Gesamtzahl der Mitglieder orthodoxer linksextremistischer Parteien und Organisationen sank auf ca. 170 Personen (2017: ca. 200). Der Rückgang hängt zum einen mit dem hohen Altersdurchschnitt zusammen, aus dem sich im Zeitverlauf eine Abnahme des Personenpotenzials ergibt. Zum anderen gestaltet es sich für orthodoxe linksextremistische Parteien aufgrund ihrer starren Strukturen, ihrer straffen Parteidisziplin und strengen Hierarchie sehr schwierig, junge Menschen anzusprechen und dauerhaft für sich zu gewinnen. Auch die ideologisch-dogmatische Ausrichtung und die wenig dynamischen Aktionsformen bieten kaum Anknüpfungspunkte für eine Erfolg versprechende Werbung von jungen Neumitgliedern. In Verbindung mit dem altersbedingten Rückgang führt dies zu einer deutlichen Reduzierung des Personenpotenzials in diesem Bereich. 141 Anzahl der Linksextremisten im Freistaat Sachsen (insgesamt: ca. 785 [2017: ca. 775/ bundesweit 2017: ca. 29.500]) Orthodoxe Gewaltorientierte ANARCHISTEN und sonstige linksextremistische Parteien Linksextremisten/ linksextremistische und Organisationen AUTONOME Gruppierungen 244 2018: ca. 170 2018: ca. 425 2018: ca. 190 245 2017: ca. 200 2017: ca. 415 2017: ca. 160 davon u. a. ANARCHISTEN 2018: ca. 45 2017: ca. 45 ROTE HILFE e. V. (RH) 246 2018: ca. 450 247 2017: ca. 380 REVOLUTION (REVO) 2018: ca. 10 2017: ca. 10 In den Großstädten Leipzig und Dresden sind nach wie vor die weitaus meisten Linksextremisten ansässig. 244 ohne Mehrfachmitgliedschaften 245 ohne Mehrfachmitgliedschaften 246 mit Mehrfachmitgliedschaften 247 mit Mehrfachmitgliedschaften 142 Linksextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten in absoluten Zahlen Linksextremistisches Personenpotenzial in den Landkreisen und kreisfreien Städten je 10.000 Einwohner 143 Öffentliches Aktionsniveau von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen 100 Im Jahr 2018 wurden 150 öffentliche 86 Aktionen von oder mit Beteiligung von Linksextremisten im Freistaat Sachsen 80 registriert. Davon umfasst sind neben 64 Demonstrationen und Kundgebungen auch Mobilisierungs-, Informationsoder 60 Vortragsveranstaltungen des gesamten linksextremistischen Spektrums. In der 40 zweiten Jahreshälfte ging das Aktionsniveau deutlich zurück. Ursächlich hierfür waren insbesondere der Wegfall von 20 Veranstaltungen zum Themenkomplex "Afrin"248 und die rückläufige Präsenz des politischen Gegners in der Öffent- 0 lichkeit249. 1. Halbjahr 2018 2. Halbjahr 2018 3.3 AUTONOME Historie und Strukturentwicklung Die Ursprünge der AUTONOMEN gehen auf den Zerfall der 68er-Protestbewegung und den allmählichen Niedergang der daraus entstandenen kommunistischen Splittergruppen zurück. Sie gingen aus einem Teil der politischen Alternativkultur - der militanten Hausbesetzerszene -, insbesondere jedoch aus der sogenannten Sponti-Bewegung hervor. Diese stand für Unabhängigkeit, Selbstorganisation und Spontaneität bei politischen Aktionen. Sie war stark von anarchistischen, hierarchieund organisationsfeindlichen Einstellungen sowie einer Verweigerungshaltung gegenüber bürgerlichen Normen geprägt. Strukturell ist die autonome Szene im Allgemeinen stark zersplittert und in örtlichen Szenen und Kleingruppen organisiert. Den verschiedenen Versuchen der Bildung einer überregionalen Organisation oder zumindest einer dauerhaften Vernetzung untereinander standen bislang die den AUTONOMEN eigene Organisationsfeindlichkeit, ihr aktionsorientiertes Vorgehen sowie ideologische Differenzen entgegen. Allerdings zeichnete sich in den letzten Jahren sowohl bundesweit als auch in Sachsen innerhalb der autonomen Szene eine deutliche Tendenz ab. Neben den undogmatischen und militanten Linksextremisten - den "klassischen" AUTONOMEN - etablierten sich sogenannte Postautonome. Diese präsentieren sich moderater und streben eine Zusammenarbeit in überregionalen Bündnissen an, denen sowohl andere linksextremistische Organisationen als auch Nichtextremisten angehören können. Bündnisse sollen eine kontinuierlichere politische Arbeit mit dem Ziel der Schaffung einer breiten Massenbasis sicherstellen. Postautonome Gruppen sprechen sich für die Beibehaltung militanter Konzepte aus, legen allerdings Wert auf deren Vermittelbarkeit außerhalb der eigenen Klientel. 248 Gemeint ist die Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Kurden im nordsyrischen Afrin. siehe dazu Abschnitt II.3.3 AUTONOME 249 siehe dazu die Regionalbeiträge Leipzig, Dresden und außerhalb dieser Städte; Abschnitt II.3.3.1 bis 3.3.3 144 Ideologie / Politische Zielsetzung Die autonome Szene ist eine Strömung innerhalb des Linksextremismus, der es an einer Organisation mit klaren Strukturen fehlt. Sie unterscheidet sich deutlich von anderen Gruppierungen, vor allem hinsichtlich ihres Selbstverständnisses, ihres Weltbildes und ihres Organisationsgrades. Gemeinsame Grundposition aller linksextremistischen Strömungen ist die erklärte Gegnerschaft zum freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat und ein grundsätzliches Bekenntnis zu "revolutionärer Gewalt". Im Gegensatz zu anderen linksextremistischen Gruppierungen - etwa orthodoxen Kommunisten - lehnen AUTONOME aber einen zentralistischen Staat sowie Parteien kategorisch ab. Weltanschaulich-politisch verfolgen sie keine dogmatische Linie, sondern verstehen sich als Fundamentalopposition und Basisbewegung. Ihr Weltbild und ihre Weltanschauung sind in erster Linie von einer destruktiven Anti-Haltung (antistaatlich, antirepressiv, antifaschistisch) geprägt. Jenseits von Forderungen nach "Selbstbestimmung" und "herrschaftsfreien Verhältnissen" verbindet die AUTONOMEN kein einigendes ideologisches Band. Ihrem Selbstverständnis entsprechend orientieren sie sich an anarchistischen Ideologiefragmenten und wenden sich von diesem Ansatz ausgehend gegen jegliche Form von Herrschaft, Organisation und Hierarchie. Demzufolge lehnen sie die Gewaltenteilung und einen Staat, in dem eine demokratisch legitimierte Mehrheit regiert und Minderheitenrechte geachtet werden, ab. Angestrebt wird somit die Abschaffung der Demokratie. Der Weg dorthin ist jedoch nicht klar definiert. AUTONOME bekämpfen auch die von ihnen als "kapitalistisch" bezeichnete Gesellschaftsordnung. Ihnen geht es dabei nicht um eine moderate Kapitalismuskritik, sondern vielmehr um eine revolutionäre Überwindung der gegenwärtigen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung. Rolle der Gewalt AUTONOME sehen sich zum einen als Opfer sowohl staatlicher Gewalt als auch des politischen Gegners. Insofern halten sie ihre eigene Gewaltausübung für legitim. Zum anderen gibt es aus ihrer Sicht bestimmte politische Anliegen, die den Einsatz von Gewalt generell rechtfertigen. Für AUTONOME ist Gewaltausübung sowohl zur Dabei orientieren sich AUTONOME am PhilosoDurchsetzung politischer Ziele als auch als Symbolphen und Sozialwissenschaftler Herbert Marhandeln zentral. Gewaltbereitschaft ist ein identitätsstiftender und prägender Bestandteil der autonomen cuse, der mit seinen Ideen maßgeblich die Szene. Straftaten werden in Strategiepapieren und 1968er Bewegung beeinflusste. Diskussionen gerechtfertigt. Durch ihre GewaltgePrägend für die autonome Szene sind unterneigtheit unterscheiden sich die AUTONOMEN von schiedliche Auffassungen über die Bestimmung legalistischen Linksextremisten. der Ziele und die Angemessenheit der gewaltsamen Mittel. Hierzu veröffentlichte die Leipziger Gruppierung ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) am 16. Januar 2018 auf ihrer Internetpräsenz den Beitrag "Das Richtigere im Falschen tun" 250. Mit ihrer Auffassung, Militanz dürfe nicht zum Selbstzweck betrieben werden, übte sie Kritik an den etablierten Aktionsformen AUTONOMER und versuchte, eine strategische Diskussion im autonomen Linksextremismus in Leipzig anzustoßen.251 Daraufhin reagierten am 2. Februar 2018 unbekannte Autoren auf de.indymedia.org, in dem sie die militante Aktionsebene als elementaren Teil der eigenen Protestkultur verteidigten. Einig sind sich die Autoren beider Texte darin, dass Militanz, wenn sie gesellschaftliche Veränderungen bewirken soll, nicht nur innerhalb des eigenen Spektrums, sondern auch in der breiten Zivilgesellschaft vermittelbar sein muss. Dafür müssten bei Aufrufen zu Protesten wieder ein größerer Schwerpunkt auf mobilisierbares Klientel gelegt und militante Aktionskonzepte sinnvoll in eine gesamtgesellschaftliche Protestbewegung integriert werden. 250 https://antifakleinparis.noblogs.org/archives/461 (Stand: 17. Januar 2018) 251 siehe Abschnitt III 3.3.1 AUTONOME IN LEIPZIG: "ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) stößt Grundsatzdiskussion zu Aktionsformen an" 145 Grundlegende Entwicklungstendenzen der autonomen Szene im Freistaat Sachsen - geringer Anstieg des Personenpotenzials im Raum Chemnitz Die autonome Szene dominiert deutlich den Linksextremismus im Freistaat Sachsen. Ihr gehörten im Berichtsjahr ca. 425 Personen an. Dies entspricht einem Anteil von ca. 54 % an allen linksextremistischen Bestrebungen in Sachsen. Wie die zahlenmäßige Entwicklung zeigt, stieg die Anzahl der AUTONOMEN im Freistaat gegenüber dem Vorjahr um ca. 2 %. Dabei blieb das Personenpotenzial in den autonomen Zentren Leipzig und Dresden konstant. Der Anstieg ist auf leichte Zuwächse in der Region Chemnitz zurückzuführen. Entwicklung der Anzahl AUTONOMER im Freistaat Sachsen 600 425 415 425 400 360 370 200 0 2014 2015 2016 2017 2018 Deutlicher regionaler Schwerpunkt der sächsischen autonomen Szene bleibt die Stadt Leipzig. 252 Wie im Vorjahr gehörten mit ca. 250 Personen weit über die Hälfte der sächsischen AUTONOMEN der Leipziger Szene an, sodass sich dort auch das stärkste gewaltbereite Potenzial konzentrierte. Die Dresdner Szene253 ist als zweiter Schwerpunkt sächsischer AUTONOMER wesentlich kleiner. Wie im Vorjahr war hier kein personellen Zuwachs zu verzeichnen, sodass sie weiter an Bedeutung verlor. Die autonome Szene in Chemnitz254 ist nochmals kleiner und weniger strukturiert, aber anlassbezogen aktiv. Kleinere autonome Gruppen und Einzelpersonen waren im Landkreis Mittelsachsen, im Vogtlandkreis sowie im Landkreis Görlitz aktiv. 252 siehe Abschnitt II.3.3.1 AUTONOME in Leipzig 253 siehe Abschnitt II.3.3.2 AUTONOME in Dresden 254 siehe Abschnitt II.3.3.3 AUTONOME außerhalb von Leipzig und Dresden 146 Autonome Szenen im Freistaat Sachsen Uneinigkeit zur Bündnisfrage - Postautonome festigen ihre Bündnispolitik Im Jahr 2018 setzte sich in Sachsen eine Entwicklung zur Neuorientierung der Szene fort, die bereits in den Vorjahren zu beobachten war. Der Trend zur Bildung postautonomer 255 Bündnisse stand in engem Zusammenhang mit der Entwicklung auf Bundesebene, wo dieser Prozess bereits 2014/2015 eingesetzt hatte. Geprägt war er durch das Bemühen, verbindliche regionale und bundesweite Strukturen aufzubauen, um entsprechende Kontakte und die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren zu ermöglichen. Die maßgeblichen Akteure dieses Organisationsansatzes waren die linksextremistischen Bündnisse ...UMS GANZE! (UG) sowie INTERVENTIONISTISCHE LINKE (IL)256. Der IL gehört in Sachsen die Gruppe PRISMA-INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) an. Ortsgruppen des ...UMS GANZE!-Bündnisses sind in Sachsen die UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA Dresden, mittelbare Zugehörigkeit über einen lokalen Zusammenschluss extremistischer und nichtextremistischer Gruppen) ebenso wie die Leipziger Gruppe THE FUTURE IS UNWRITTEN (tfiu). Über die bündnispolitische Ausrichtung versuchten postautonome Gruppen in Leipzig Einfluss sowohl auf das lokale Kleingruppenspektrum als auch auf nicht extremistische Akteure auszuüben, um diese für ihre Positionen zu gewinnen. So beteiligten sich Postautonome an mehreren Bündnissen extremistischer und nicht extremistischer Partner und achteten verstärkt auf die Vermittelbarkeit von geplanten Aktionen. Beispielhaft dafür stehen die Bemühungen der Gruppe PRISMA am 255 zu den "Postautonomen": siehe Abschnitt III.3.3 AUTONOME "Historie und Strukturentwicklung" 256 UG ist ein Verbund eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der autonomen Szene. Lokal treten die Regionalgruppen autark, in Aktionsbündnissen und Großveranstaltungen unter der Bezeichnung ...UMS GANZE! auf. Die IL wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen Organisierung autonomer Gruppierungen und Aktivisten gegründet. Sie bemüht sich in Bündnissen und Initiativen um eine kampagnenorientierte Zusammenführung linksextremistischer Akteure zugunsten einer erhöhten Handlungsfähigkeit. Die IL fungiert dabei als Scharnier zwischen militanten Gruppierungen und nicht gewaltorientierten Linksextremisten sowie nicht extremistischen Gruppen und Initiativen. Die Einstellung zur Gewalt ist daher vor allem taktisch geprägt; sie wird nicht grundsätzlich abgelehnt. 147 21. und 22. April 2018 in Ostritz (Lkr. Görlitz), die mit regionalen Partnern Protest gegen eine Konzertveranstaltung von Rechtsextremisten organisierte. PRISMA hatte sich im Vorfeld gegen eine "klassische" Antifa-Demonstration vor Ort ausgesprochen, um lokale Akteure nicht abzuschrecken. Aus ihrer Sicht sollte die "radikale Linke" zum einen verstärkt über "Auftreten und Ästhetik" 257 und zum anderen über die Anwendung situationsangepasster Protestformen nachdenken, welche die Erfahrungen der Menschen vor Ort berücksichtigten. Im Nachgang der Protestveranstaltung schrieb PRISMA, dass es gelungen sei, "einen vielfältigen und anschlussfähigen Protest in Ostritz zu organisieren". Dies sei vor allem der Mobilisierung eines nichtextremistischen, "zivilgesellschaftlichen" Leipziger Bündnisses "bestehend aus Parteien, Gewerkschaften, Jugendverbänden, Kirchen, linksradikalen Gruppen und Einzelpersonen" zu verdanken.258 Gerade in Leipzig seien aus Sicht von PRISMA "linksradikale Gruppen (...) Teil starker Bündnisse mit relevanten Akteur*innen". PRISMA gehe es stets darum, mit diesen Bündnissen gegen die "sächsischen Verhältnisse" insgesamt auf die Straße zu gehen. Es müsse jedoch daraus ein öffentlich wahrnehmbares Projekt entwickelt werden, um dies noch expliziter als bislang ausdrücken zu können. Schließlich gehe es darum, "unsere radikalen Forderungen in den verschiedenen Bereichen von Recht auf Stadt bis Klimapolitik" einbringen zu können.259 Festzustellen ist damit eine Verstetigung der strategischen Bündnispolitik postautonomer Gruppen, die auf einer zunehmenden Akzeptanz des bürgerlichen Spektrums gegenüber Linksextremisten aufbaut und auf eine langfristige Radikalisierung der Partner abzielt. Über die Bündnispolitik herrscht jedoch nach wie vor keine Einigkeit in der autonomen Szene. Ein Verzicht auf konfrontative, militante Aktionen, um Akzeptanz in der Zivilgesellschaft zu gewinnen, ist vor allem in der Leipziger Szene nicht konsensfähig. Der Grund hierfür ist ihre Heterogenität. Bereits im Jahr 2016 hatten sich Leipziger Szeneangehörige auch kritisch über die bündnispolitische Strategie geäußert, die sie als "Anbiederung" an den politischen Feind und die zu bekämpfenden "Zustände" verstanden. Sie forderten ein kompromissloseres und radikaleres Vorgehen und unterstrichen ihren Anspruch mit einer Vielzahl an klandestinen Aktionen. Auch 2018 ließ sich diese Entwicklung als Gegenbewegung zur postautonomen Bündnispolitik beobachten. Das militante Kleingruppenspektrum setzte weiter auf gezielte Anschläge auf Gebäude, Fahrzeuge und Personen des politischen Gegners, des Staates oder privater Immobilienfirmen. Eine Fortsetzung erfuhren im Berichtsjahr die Bemühungen antirassistischer und antifaschistischer Gruppen, ländliche, kleinstädtische und großstädtische Strukturen zu vernetzen, um als Antifa überall dort präsent zu sein, wo aus ihrer Sicht "rassistische Mobilisierung" im Alltag stattfindet. Das zeigte sich insbesondere bei den Aufrufen sächsischer Gruppen, an Protestaktionen gegen Aufzüge von Rechtsextremisten Ende August und Anfang September 2018 in Chemnitz teilzunehmen.260 Deutlicher Anstieg gewalttätiger Aktionen von AUTONOMEN Autonome Militanz zeigte sich in Form von gewalttätigen Protesten aus Demonstrationen heraus sowie durch klandestine und offen militante Aktionen261. Im Jahr 2018 stieg das öffentliche Aktionsniveau sächsischer Linksextremisten um ca. 3 % (2017: 87 Aktionen; 2018: 90). Dabei erhöhte sich auch die Anzahl klandestiner Aktionen erheblich (2017: 45; 2018: 78). Da klandestine Aktionen häufig mit einem hohen Sachschaden für den politischen Gegner verbunden sind, stellen sie für Linksextremisten eine besonders geeignete Aktionsform dar. 257 http://prisma.blogsport.de, "Ostritz - Plädoyer für einen solidarischen Support" (Stand: 5. Juni 2018) 258 ebd. 259 "Was tun in Sachsen? Ein Leipziger Beitrag zum iL Debattenblog", http://prisma.blogsport.de (Stand: 12. Januar 2018) 260 siehe Abschnitt II.3.3.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 261 siehe Glossar 148 Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 90 80 78 70 60 60 50 45 40 30 20 10 0 2016 2017 2018 Klandestine Aktionen richteten sich vorrangig gegen den politischen Gegner sowie Firmen, die mit der Sanierung von Wohnhäusern beauftragt sind. Der Begriff des politischen Gegners wird dabei sehr weit gefasst, was die breite Fächerung der Anschlagsziele zeigt. Umfasst sind tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Ziele sind aber auch Vertreter und Institutionen des demokratischen Rechtsstaates, Einrichtungen politischer Parteien sowie die Polizei. Sie verkörpern für AUTONOME das staatliche Gewaltmonopol und gelten als Vertreter des ihnen verhassten Staates.262 Anstieg öffentlicher Aktionen von AUTONOMEN Die Darstellung ihrer politischen Positionen in der Öffentlichkeit hat für Linksextremisten große Bedeutung. Deshalb bleibt auch die Beteiligung an bzw. Durchführung von Demonstrationen, Aufzügen oder Gegenprotesten für die autonome Szene besonders wichtig. Im Jahr 2018 nahm ihr öffentliches Aktivitätsniveau erstmals seit 2015 wieder leicht zu (2017: 87; 2018: 90). Sächsische AUTONOME beteiligten sich im Berichtsjahr auch an zahlreichen überregionalen und bundesweiten Protestveranstaltungen. Bei dieser Aktionsform ist zwischen angemeldeten und nicht angemeldeten Demonstrationen zu unterscheiden. Angemeldete Demonstrationen werden in der Regel in strategischen Bündnissen unter Beteiligung von Nichtextremisten geplant und durchgeführt. Sie dienen zugleich der Werbung von Sympathisanten. Meist ordnen sich AUTONOME in diesen Aufzügen weitgehend in das friedliche Demonstrationsverhalten zivilgesellschaftlicher Akteure ein. Ob es im Rahmen angemeldeter Demonstrationen zu Ausschreitungen kommt, hängt einerseits vom Kräfteverhältnis zur Polizei, aber auch davon ab, inwieweit die Anwendung von Gewalt vom bürgerlichen Spektrum toleriert wird. 262 Detaillierte Beispiele zu klandestinen Aktionen befinden sich in den Regionalbeiträgen (Leipzig, Dresden und außerhalb dieser Städte, siehe Abschnitt II.3.3.1 bis 3.3.3). 149 Öffentliche Aktionen von oder mit Beteiligung von AUTONOMEN im Freistaat Sachsen 250 200 182 150 139 102 100 87 90 50 0 2014 2015 2016 2017 2018 Im Gegensatz hierzu zeigen nicht angemeldete Demonstrationen eine hohe Eigendynamik, die häufig zu gewalttätigen Ausschreitungen führen. Gewalthandeln entspricht dem Selbstverständnis AUTONOMER und wird häufig als Reaktion auf "repressiv" empfundene staatliche Maßnahmen dargestellt.263 Gesellschaftlich relevante Themen, die den Kernbereich linksextremistischer Ideologie treffen, führen dabei zu einer erhöhten Zahl linksextremistischer Strafund Gewalttaten, die aus dem Demonstrationsgeschehen heraus begangen werden. Dies gilt auch, wenn der politische Gegner im öffentlichen Raum direkt angegriffen werden kann. Aktionsfelder der AUTONOMEN Aktionsfelder der AUTONOMEN Die von AUTONOMEN besetzten Aktionsfelder hängen von den jeweiligen politiZu den aktuellen Aktionsfeldern AUTONOMER gehören neben schen Rahmenbedingungen und aktueldem "Antifaschismuskampf" Themen wie "Antirassismus/ len politischen Debatten ab. Asyl", "Antirepression", "Antikapitalismus", "Antisexismus" und der Kampf für "Freiräume". So waren im Berichtsjahr die Themenfelder "Antirepression" und "Antifaschismus" sowie der Kampf für "Freiräume" bestimmend. Ereignisbezogen erlangte zudem das Themenfeld "Kurdistan-Solidarität" im ersten Halbjahr 2018 Bedeutung für die autonome Szene. Wegen der Militäroffensive türkischer Streitkräfte im kurdisch verwalteten Kanton Afrin (Nordsyrien) nahmen sächsische AUTONOME an zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen gegen das aus ihrer Sicht "faschistische" Regime der AKP sowie die vermeintliche Unterstützung durch deutsche Rüstungsfirmen und gegen die Außenpolitik der Bundesregierung teil.264 "Antifaschismuskampf" Von zentraler Bedeutung für die autonome Szene ist der Kampf gegen alle vermeintlichen und tatsächlichen Erscheinungsformen von Faschismus aufgrund der Erfahrungen mit dem historischen Nationalsozialismus in Deutschland, wegen der Mordserie des rechtsterroristischen NSU und der fremdenfeindlichen Übergriffe in den 1990er Jahren sowie der Jahre 2015 und 2016. Eng in Zusammenhang mit dem "Antifaschismuskampf" steht die Ablehnung der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, da "kapitalistische Klasseninteressen" den Faschismus - nach Auffassung 263 siehe Abschnitte II.3.3.1 AUTONOME in Leipzig und II.3.3.2 AUTONOME in Dresden 264 siehe Abschnitt II.5.3 ARBEITERPARTEI KURDISTANS 150 marxistischer Faschismustheorien - als politische Ordnung bedingen. Nach dieser Sichtweise mündet das Zusammenspiel von Finanzkapital und Staatswesen in ökonomischen Krisen zwangsläufig im Faschismus. Die von AUTONOMEN angestrebte revolutionäre Beseitigung von Kapitalismus und bürgerlichem Nationalstaat können daher als antifaschistischer Kampf verstanden und gerechtfertigt werden. Über das Themenfeld des "Antifaschismus" gelingt es sächsischen AUTONOMEN immer wieder, Akzeptanz in der bürgerlichen Gesellschaft zu finden. Dadurch gelingt es AUTONOMEN, Bündnisse mit zivilgesellschaftlichen Kräften einzugehen, um gemeinsam gegen rechtsextremistische Aktivitäten zu demonstrieren. Aus Sicht der autonomen Szene habe in den vergangenen Jahren ein "Rechtsruck" in der Gesellschaft stattgefunden, der rechtsextremistische und rassistische Positionen in einem "ungeahnten Ausmaß" gesellschaftsfähig gemacht habe. Demnach fänden sich derartige Einstellungen nicht mehr allein bei den NEONATIONALSOZIALISTEN, sondern zeigten sich auch bei der nichtextremistischen Pegida und konservativ-religiösen "Lebensrechtlern". Zum Feindbild gehören aber auch die Parteien CDU und SPD wegen ihrer Zustimmung zu Asylrechtsverschärfungen. Im Berichtsjahr stand diesbezüglich die sogenannte "Neue Rechte" im Fokus. In diesem Kontext wurde vor allem die Partei Alternative für Deutschland (AfD) als "faschistische" und "rassistische" Partei wahrgenommen. In der Folge wurde der Kampf gegen die AfD insbesondere im Vorfeld von Wahlen zu einer vordringlichen Aufgabe erklärt, flankiert durch die bundesweite linksextremistische Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" ("NIKA").265 In Vorbereitung auf die Landtagswahl 2019 startete die autonome Szene im Mai 2018 eine militante Offensive gegen die AfD Sachsen unter dem Motto "loslegen - Fight AfD!".266 Im Aufruf der Kampagne hieß es: "Die Zeit der Diskussionen, der Aufklärung und auch des Redens muss vorbei sein. (...) Es muss praktischer und auch persönlicher werden. Machen wir es der AfD, ihren Mitgliedern, Wähler_innen und auch Sympathisant_innen in den Monaten bis zur Landtagswahl 2019 in Sachsen so unangenehm und teuer wie möglich. (...) Dabei geht es nicht nur, aber auch um offene Militanz, Outings oder vielfältige kreative Aktionen."267 "Antirassismus / Asyl" Autonomer "Antirassismus" steht in engem inhaltlichen Zusammenhang mit dem Themenfeld "Antifaschismus". Mit antirassistischen Positionen AUTONOMER verbindet sich stets auch fundamentale Kritik am demokratischen Rechtsstaat und dessen Institutionen. Staatlichen Akteuren wird z. B. mit der deutschen Asylpolitik ein systemimmanenter "institutioneller Rassismus" unterstellt. "Antirepression" Der "Kampf gegen staatliche Repression" ist ein klassisches Aktionsfeld von AUTONOMEN, mit dem der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden soll. Er wird als ein gerechtfertigtes Mittel verstanden, um die herrschende "Gewalt des Systems" aufzubrechen. Aktionen richteten sich in diesem Zusammenhang u. a. gegen die Ermittlungsarbeit der Sonderkommission "Schwarzer Block" im Kontext der G-20-Proteste 2017 sowie gegen polizeiliche Festnahmeund Hausdurchsuchungsmaßnahmen in Leipzig. Große Aufmerksamkeit erfuhr im Berichtsjahr die Novellierung des sächsischen Polizeigesetzes. Aus Sicht AUTONOMER werde damit der Weg in einen "autoritären Polizeistaat" vorbereitet, der Grundrechte massiv einschränke. AUTONOME beteiligten sich daher an der Formierung von Bündnissen zur Verhinderung des neuen Polizeigesetzes. Insbesondere die Ortsgruppe Leipzig des ROTE HILFE E. V. hat im Jahr 2018 wiederholt ihre Feindschaft zum sichtbarsten Träger des staatlichen Gewaltmonopols - der Polizei - betont: 265 Die Kampagne "NIKA" wurde auf einem bundesweiten Antifa-Treffen im Januar 2016 in Frankfurt/ Main gegründet und ist dem bundesweiten linksextremistischen Bündnis ...UMS GANZE! zuzurechnen. 266 https://loslegen.blackblogs.org/aufruf/ (Stand: 23. Oktober 2018) 267 https://loslegen.blackblogs.org/aufruf (Stand: 23. Oktober 2018) 151 "Wir fordern Linke auf, immer zu sagen was die Bullen sind - die Schlägertruppe des Kapitals!"268 "Kampf um Freiräume" und gegen "Gentrifizierung" Im Berichtsjahr gehörte der Kampf um "selbstbestimmte Freiräume" und gegen soziale Verdrängungsprozesse in Städten zu den bestimmenden Themenfeldern der autonomen Szene. In "Freiräumen", wie etwa besetzten Häusern oder in Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff entzogen sind und "selbstverwaltet" werden sollen, wollen sie ihre Vorstellungen von einem "besseren" Leben umsetzen. Dort wird die für die politische Arbeit unerlässliche Infrastruktur bereitgestellt und der Informationsaustausch innerhalb der Szene unterstützt. Solche "Freiräume" - wie z. B. der von AUTONOMEN so verstandene "Freiraum" Leipzig-Connewitz - stellen für sie einen ersten Schritt zur Etablierung der von ihnen angestrebten "herrschaftsfreien" Gesellschaft dar. Insofern werten sie dessen Einschränkung stets als einen Angriff gegen die Verwirklichung ihrer Zielsetzungen. AUTONOME beanspruchen eine kulturelle Hegemonie in "ihrem Viertel", welche häufig in eine Ausgrenzung anderer mündet. Personen, deren Wertvorstellungen nicht mit den ihren übereinstimmen, werden deshalb als "konservativ und reaktionär" abgelehnt. Auch auf behördliche Maßnahmen, die sich gegen ihre "Freiräume" richten, reagieren sie regelmäßig umgehend und aggressiv. So werden kommunale Stadtentwicklungsmaßnahmen als Angriff und somit als "staatliche Repression" gewertet. Linksextremisten besetzten auch im Jahr 2018 das Themenfeld "Gentrifizierung", um in der Öffentlichkeit zu agieren und sich politisch zu positionieren. Vor allem in Ballungsräumen und alternativ geprägten Vierteln nutzten sie dieses Thema, um die kritische Stimmung in Teilen der Bevölkerung für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Allerdings wurde deutlich, dass es den Akteuren nicht um den Erhalt oder die Umgestaltung sozialund wohnräumlich gewachsener Strukturen ging, sondern um die Schaffung selbstverwalteter "autonomer Freiräume". Besonders für die Leipziger Gruppe PRISMA entwickelte sich der "Kampf gegen Gentrifizierung" zu einem der dominierenden Aktionsfelder. "Antikapitalismuskampf" / "Antiglobalisierung" Nach der Beteiligung sächsischer AUTONOMER an den bundesweiten Protesten gegen den G20Gipfel 2017 in Hamburg gab es im Berichtsjahr kein vergleichbares Großereignis zu diesem Themenfeld. Grundsätzlich stellt aber die Überwindung der kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung für AUTONOME ein prinzipielles Ziel dar, das inhaltlich mit allen anderen Themenfeldern, z. B. der Gentrifizierung" und des "Antikapitalismus", verknüpft werden kann. So wurden z. B. klandestine Aktionen gegen Neubauprojekte damit gerechtfertigt, dass keine weiteren "Wohlfühlräume für Reiche" entstehen sollen. Die zunehmende Verdrängung aus Innenstadtvierteln durch Sanierungsund Aufwertungsmaßnahmen wurde in einem Selbstbezichtigungsschreiben als Projekt der Reichen und Investoren verstanden, als "sozialer Krieg, der gegen uns tobt".269 Umwelt und Klima Das Thema Klima ist für Linksextremisten strategisch wichtig, weil es eine hohe Anschlussfähigkeit an das nicht extremistische Spektrum aufweist. So instrumentalisieren AUTONOME den Protest gegen die Nutzung der Braunkohle für ihre eigenen Zwecke. Sie wollen als Bündnispartner wahrgenommen werden, um über die Umweltproblematik ihre eigenen extremistischen Ziele - die Überwindung von Kapitalismus und bürgerlichem Staat - einzubringen. Beispielhaft zeigte sich dies an den Protesten gegen die Rodung des Hambacher Forstes durch das Unternehmen RWE in Nordrhein-Westfalen. Hierzu wurde insbesondere von bündnisorientierte Linksextremisten im September 2018 bundesweit mobilisiert. 268 ROTE HILFE LEIPZIG, "Statement: Bullen im Conne Island", https://antirepression.noblogs.org (Stand: 24. April 2018) 269 https://chronik.blackblogs.org, "Zwei Bagger angezündet" (Stand: 15. Juni 2018) 152 Vom 28. Juli bis 5. August 2018 fand in Sachsen zudem ein sogenanntes Klimacamp im Mitteldeutschen Braunkohlerevier südlich von Leipzig statt. Die Mobilisierung von Linksextremisten beschränkte sich dabei im Wesentlichen auf die Gruppe PRISMA, die den Klimaschutz zu ihren Aktionsschwerpunkten zählt. Umfang und Intensität von Aktionen mit linksextremistischer Beteiligung blieben allerdings gering. Weitere Aktionsform: Recherchetätigkeit und Outing-Aktivität Diese Aktionsform wird von der autonomen Antifa bereits seit Jahren angewendet, um Personen, die aus autonomer Sicht "rechts" sind, in ihrem Wohnund Arbeitsumfeld zu denunzieren und zu ächten. Outing-Aktionen der linksextremistischen Szene Beim "Nazi-Outing" publizieren als Mittel zur Bekämpfung politischer Gegner Mitglieder der Antifa private Informationen der betroffenen Mit der öffentlichen Verbreitung privater Informationen sollen aus Personen. Dies geschieht entSicht der Linksextremisten die vom Outing betroffenen vermeintlichen weder mittels Flugblättern, die und tatsächlichen Rechtsextremisten bloßgestellt, sozial geächtet und in der privaten oder beruflichen ihre berufliche Laufbahn beeinträchtigt werden. Gewaltbereiten Umgebung der Betroffenen Linksextremisten werden so mögliche Zielobjekte vorgegeben, insbeverteilt werden, oder über die sondere, wenn das Outing mit eindeutigen Hinweisen oder Appellen Verbreitung auf Internetplattverknüpft wird. formen. Elementare Persönlichkeitsrechte werden diesen bereits aufgrund der ihnen unterstellten Gesinnung abgesprochen, da nach Auffassung AUTONOMER "Faschismus" keine Meinung, sondern ein Verbrechen darstelle. Dabei werden Straftaten - auch Gewalttaten - billigend in Kauf genommen. Auch AUTONOME aus Leipzig, Dresden und Chemnitz widmeten sich im Jahr 2018 erneut intensiv der Recherchetätigkeit und dem "Nazi-Outing".270 3.3.1 AUTONOME in Leipzig Leipzig ist nach wie vor die Schwerpunktregion der sächsischen autonomen Szene und auch der Brennpunkt linksextremistischer Gewalt. Mit ca. 250 Personen gehört über die Hälfte der sächsischen AUTONOMEN (AUTONOME in Sachsen gesamt: ca. 425 Personen) der Leipziger Szene an. Im bundesweiten Vergleich ist Leipzig - mit quantitativem und qualitativem Abstand - nach Berlin und Hamburg ein weiterer Schwerpunkt der autonomen Szene in Deutschland. 270 siehe Abschnitte II.3.3.1 bis 3.3.3 Regionalbeiträge der autonomen Szene 153 Entwicklungstendenz 2018 Im Jahr 2018 wurde die Entwicklung in Leipzig durch folgende Faktoren geprägt: hohe Gewaltorientierung - zwar noch keine terroristische Dimension, was Angriffe gegen Personen betrifft, aber auch Angriffe auf Infrastruktur können die Schwelle zum Terrorismus erreichen; Ziele von Gewaltaktionen: u. a. Infrastruktur der Bahn und in deren Umfeld, Parteieinrichtungen der AfD, Firmen im Bereich Wohnungsbau und -sanierung, Polizeibehörden, kontroverse Diskussion innerhalb der linksextremistischen Szene über die Rolle der Militanz und den Stellenwert öffentlicher Aktionen zur Durchsetzung politischer Ziele; verbunden mit der Bildung zweier Lager, Vernetzungsbestrebungen mit kleinstädtischen und ländlichen Strukturen, um dort die Szene zu stärken, Fortsetzung der Zusammenarbeit von Linksextremisten und linken nichtextremistischen Gruppen in aktionsbezogenen Bündnissen. Anstieg des öffentlichen Aktionsniveaus Das öffentliche Aktionsniveau der Leipziger AUTONOMEN stieg im Berichtsjahr an. Mit 40 Aktionen, an denen sich AUTONOME beteiligten, lag das Aktionsniveau höher als 2017 (30) und erreichte damit wieder das Niveau des Jahres 2016. Dabei sind nur wenige Veranstaltungen mit einem hohen Teilnehmerpotenzial im oberen dreistelligen Bereich durchgeführt worden. Der Großteil der Veranstaltung waren Kundgebungen, Informationsund Vortragsveranstaltungen. Dieser Anstieg zeigt, dass sich weder die noch immer anhaltende Orientierungsund Konsolidierungsphase nach den Ereignissen beim G-20 Gipfel in Hamburg, noch die internen Strategiediskussionen und die Befürchtung staatlicher Repressionsmaßnahmen dämpfend auf das Aktionsniveau AUTONOMER ausgewirkt haben. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von Autonomen in Leipzig 70 60 58 50 40 40 40 36 30 30 20 10 0 2014 2015 2016 2017 2018 ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) stößt Grundsatzdiskussion zu Aktionsformen an Die kontroversen Auffassungen über die Rolle der Militanz und der Stellenwert öffentlicher Aktionen zeigten sich in der Grundsatzdiskussion, die die AKP im Januar 2018 initiierte. Diese Gruppe fungiert als eine Art Scharnier zwischen den Postautonomen und der autonomen Szene. In dem Beitrag "Das Richtigere im Falschen tun" vom Januar 2018 übte sie Kritik an den etablierten Aktionsformen autonomer Strukturen und regte somit eine strategische Diskussion an. Das Diskussionspapier der AKP ist im Wesentlichen von folgenden Positionen geprägt: 154 Kritik an einer anhaltenden Mobilisierungsschwäche der autonomen Szene abseits von Großereignissen, autonome Militanz dürfe kein Selbstzweck sein Die autonome Szene habe die Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung aus den Augen verloren. militante Aktionen seien der Zivilgesellschaft zu vermitteln zielgerichtete politische Orientierung als Grundlage für einen Anstieg des Aktionsund Mobilisierungsniveaus "Anstatt immer so weiterzumachen, wollen wir wieder anfangen konkrete Utopien zu entwickeln."271 Als Reaktion veröffentlichten anonyme Autoren ein Schreiben, in dem sie sich mit den Thesen der AKP auseinandersetzten und folgende Meinung vertraten: Die im alltäglichen Szeneleben verankerte und von außen als ritualisiert wahrgenommene Militanz soll um eine deutlich offensiver artikulierte Dimension ergänzt werden. "Auch wir halten eine eventbezogene Militanz, die sich darauf beschränkt, zu bestimmten Anlässen öffentlichkeitswirksame Aktionen durchzuführen und es hin und wieder krachen zu lassen, für unzureichend. Auch wir halten nicht viel davon, alle paar Monate auf eine Demo zu fahren, ein paar Steine zu werfen, und sich den Rest des Jahres darauf auszuruhen (...). Doch genau deshalb - und darin liegt der Unterscheid unserer Vorstellung von widerständiger Praxis - halten wir es für wichtig, den 'Unterschied zwischen politischer Aktion und Silvester am Kreuz' einzuebnen. (...) Weil für uns jeder Atemzug, jeder Schritt, den wir machen, jede soziale Begegnung von einer Vorstellung des Widerstandes und Kampfes gegen die herrschenden Strukturen durchdrungen ist. Weil wir versuchen, eine militante und antagonistische Form der Widerständigkeit auf allen Ebenen in unser tägliches Leben zu integrieren."272 Die militante Aktionsebene wird als elementarer Teil der eigenen Protestkultur angesehen und vehement verteidigt. Deutlich wird dabei auch, dass klandestine Aktionen als eine unverzichtbare Aktionsform angesehen werden: "(...) das, was ihr als 'Gestus' und 'wichtigen Teil der eigenen Identität' der Autonomen versucht, herunterzuspielen, nämlich Angriffe auf die herrschende Ordnung, die sich u.a. in Gebäuden, Infrastruktur, Symbolen und Personen physisch manifestiert, ein wenig ernster zu nehmen. Denn kollektives militantes Agieren - sei es klandestin in der Dunkelheit der Nacht oder am hellichten Tag im Szenario einer Straßenschlacht - halten wir für unverzichtbar, um die Perspektiven einer befreiten Gesellschaft zu bewahren und aktiv voranzutreiben."273 Sehen sie im "(...) Hass auf das Bestehende und den Willen zur Erschaffung einer Welt ohne Herrschaft und Ausbeutung."274 den gemeinsamen Nenner; plädieren allerdings für eine Pluralität der Mittel und die Akzeptanz unterschiedliche Schwerpunktsetzung. Einig sind sich die Autoren beider Beiträge lediglich darin, dass Militanz nicht nur innerhalb des eigenen Spektrums, sondern auch der Zivilgesellschaft vermittelbar sein muss. Eine nur auf das Event bezogene Militanz wird abgelehnt, vielmehr muss hinsichtlich der Mobilisierung zu Protesten der Schwerpunkt wieder in Richtung der Zivilgesellschaft gelegt werden. Die autonome Szene nimmt das gesunkene Aktionsund Mobilisierungsniveau in Leipzig kritisch wahr. Allerdings führte die öffentlich initiierte Diskussion über die Situation der Leipziger autonomen Szene bisher nicht zu einer weiterführenden Strategiedebatte über ihre zukünftige Ausrich271 https://antifakleinparis.noblogs.org, "Das Richtigere im Falschen tun" (Stand: 17. Januar 2018) 272 https://de.indymedia.org, "[LE] Antwort auf den Text der Antifa Klein-Paris 'Das Richtigere im Falschen tun' vom 18.01.18" (Stand: 5. Februar 2018), Schreibweise wie im Original 273 https://de.indymedia.org, "[LE] Antwort auf den Text der Antifa Klein-Paris 'Das Richtigere im Falschen tun' vom 18.01.18" (Stand: 5. Februar 2018), Schreibweise wie im Original 274 https://de.indymedia.org, "[LE] Antwort auf den Text der Antifa Klein-Paris 'Das Richtigere im Falschen tun' vom 18.01.18" (Stand: 5. Februar 2018). 155 tung und Schwerpunktsetzung oder ihr Verhältnis zur Militanz. Auch dies kann als eine Ursache für die rückläufige Beteiligung AUTONOMER an öffentlichen Aktionen angesehen werden. Öffentliche Aktionen mit Beteiligung AUTONOMER Die öffentlichen Aktionen richteten sich einerseits gegen den politischen Gegner, andererseits standen sie im Zusammenhang mit den Angriffen des türkischen Militärs auf die nordsyrische Region Afrin/Rojava275. Diese Demonstrationen wurden durch Bündnisse initiiert oder durchgeführt, in denen sowohl Linksextremisten als auch Nichtextremisten involviert waren. Das weist auf eine Fortsetzung der bereits 2016 begonnenen Bündnispolitik hin. Aktionen gegen den politischen Gegner Die Aktionen gegen den politischen Gegner richteten sich im Berichtszeitraum gegen eine Trainingsstätte, die von Rechtsextremisten genutzt wird sowie gegen die Beteiligung der Verlage Antaios und Compact Magazin GmbH an der Leipziger Buchmesse im März 2018. Proteste gegen eine Trainingsstätte in der Kamenzer Straße in Leipzig-Schönefeld Die linksextremistische Gruppe THE FUTURE IS UNWRITTEN (TFIU) wirkte seit April im nichtextremistischen "Ladenschlussbündnis Leipzig" bei Protesten gegen die Nutzung eines Gebäudes auf dem Gelände des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers in der Kamenzer Straße mit. Dieses Gebäude wird auch von Rechtsextremisten als Treffund Trainingsort genutzt. Ziel war es, die Nutzung des Objektes durch tatsächliche bzw. vermeintliche Rechtsextremisten zu unterbinden. So nahmen Linksextremisten im April und Mai 2018 an einer Informationsveranstaltung (24. April 2018), einer Kundgebung vor dem Objekt (5. Mai 2018) sowie an einem "Antifaschistischen Stadtteilspaziergang" (8. August 2018) teil. Proteste auf der Leipziger Buchmesse Die Leipziger Buchmesse 2018 (15. - 18.3.2018) veranlasste Linksextremisten zu Störaktionen, da Verlage vertreten waren, die von Linksextremisten als "treibende Kräfte" einer "Neuen Rechten" benannt werden. Dazu zählten insbesondere der Verlag Antaios und die Compact Magazin GmbH. Die "Neue Rechte" wird von Linksextremisten als zentraler Gegner begriffen, der eine gefährliche "Normalisierung des Rechtsrucks" in der Bundesrepublik Deutschland vorantreibe. Die öffentliche Präsenz dieser Verlage auf der Buchmesse wird als Strategie der "rechten Raumnahme" verstanden. Dieser müsse mit "antifaschistischen Interventionen" entgegengetreten werden. Die Gruppe PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) hielt in der Nähe des Standes des Compact-Magazins mehrere kritische Redebeiträge über eine Lautsprecheranlage. Beim Auftritt des Antaios-Verlages wurde ein Transparent der Gruppe TFIU mit dem Aufdruck "Staat. Nation. Buchmesse. Scheisse. Gegen die Normalisierung des Rechtsrucks!" entrollt. Anhand der Aktionen auf der Buchmesse werden unterschiedliche strategische Ansätze linksextremistischer Akteure deutlich. Die Störer im Bereich der Leseinsel nutzten die für die autonome Szene klassischen Aktionsformen und werteten die Aktion als Erfolg. PRISMA agierte dagegen aus taktischen Erwägungen defensiver. Aus der Analyse medialer Berichte über Auftritte der "Neuen Rechten" und Gegenaktionen "linker" Gruppierungen auf der Frankfurter Buchmesse 2017 zog PRISMA den Schluss, klassische Aktionsformen der "radikalen Linken" weiterentwickeln zu müssen. Es drohe die Gefahr, immer wieder in eine "diskursive Falle" der "Neuen Rechten" zu laufen, wenn "offensive" antifaschistische Aktionsformen angewendet werden, da dies den "Rechten" die Position der "Hüter der Meinungsfreiheit" überlässt und linken Gegenprotest als antidemokratisch "brandmarke".276 PRISMA sieht daher ihren Aktionsschwerpunkt im Umfeld der Buchmesse 275 siehe II.5.3 ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) 276 http://prisma.blogsport.de, "Vom ersten Versuch, das Unerwartete zu tun - Eine Auswertung (Stand: 21. 156 eher in einer positiven Außendarstellung und der Vermittelbarkeit ihrer Inhalte als in einem offensiven Vorgehen gegen den politischen Gegner. Ihr Konzept ist in der autonomen Szene Leipzigs jedoch nicht konsensfähig, zumal es die "klassische" Intervention der Gruppe TFIU offen in Frage stellte. Aktivitäten im Zusammenhang mit der nordsyrischen Region Afrin/Rojava Aufgrund der anhaltenden türkischen Militäroffensive in der nordsyrischen Region Afrin, erlangte das Themenfeld "Solidarität für Afrin" besondere Bedeutung für die linksextremistische Szene. Linksextremisten nutzten den Militäreinsatz der Türkei gegen kurdische Milizen, um mittels Demonstrationen, für die im Vorfeld umfangreich mobilisiert worden war, und klandestiner Aktionen sowohl gegen die Bundesrepublik Deutschland als auch die türkische Regierung zu protestieren. Exemplarisch dafür sind folgende öffentliche Ereignisse: Am 24. März beteiligten sich etwa 450 Personen, darunter Linksextremisten, an einer Demonstration. Gezeigt wurde u. a. ein Transparent mit der Aufschrift "Deutsche Panzer raus aus Kurdistan". Am 2. Juni demonstrierten unter dem Motto "Rojava Calling - gesellschaftlichen Umbau wagen!" 500 Personen mit Beteiligung von Linksextremisten. Nach Ansicht der Linksextremisten werde eine Region angegriffen, in der es gelungen sei, unter schwierigen Umständen ein Gesellschaftssystem aufzubauen, in dem verschiedenen Ethnien und Religionen ein friedliches Zusammenleben ermöglicht wird. Dabei wurden u. a. folgende Forderungen formuliert: Anerkennung Rojavas als autonome Selbstverwaltung Stopp deutscher Waffenexporte, insbesondere an die Türkei Schließung aller Waffenfabriken von "Heckler & Koch"277 in der Türkei sofortige Freilassung der gefangenen kurdischen Aktivisten Ende der Inhaftierung Abdullah ÖCALANS Unangemeldete oder spontane Aktionen Unangemeldete oder spontane Aktionen zeigen die Fähigkeit der Akteure, auch kurzfristig auf Ereignisse reagieren zu können. Oft geht es bei dieser Aktionsform auch darum, die Straßen der Stadt symbolisch "in Besitz zu nehmen", um die Regularien vermeintlich repressiver kommunaler Behörden bewusst zu negieren. Außerdem nutzen sie diese, um öffentlich ihre Haltung zu verbreiten. Diese Aktionsform wurde im Berichtsjahr wie folgt sichtbar: Entfachung eines Feuers am Connewitzer Kreuz am 31. Dezember 2017 / 1. Januar 2018 ein Feuer; anschließende Gewaltanwendung gegen die Polizei mittels Steinen, Flaschen und Pyrotechnik, Beschädigung des Gebäudes der Landesdirektion und großflächige Anbringung des Logos von indymedia an der Eingangstür am 9. September 2018, Einem Tatbekenntnis zufolge handelte es sich um eine Solidaritätsaktion im Zusammenhang mit dem Verbot von linksunten.indymedia.org. Zudem wurden weitere militante Aktionen angekündigt: "Wir sind alle linksunten und werden uns weiterhin militant gegen den polizeistaatlichen Akt der Abschaffung emanzipatorischer Medienplattformen wehren. Als Teil März 2018) 277 deutsches Unternehmen für die Herstellung von Handfeuerwaffen 157 des Staatsapparates erachten wir die Landesdirektion als Ziel, weitere werden folgen (...)."278 Inbrandsetzung von Nebeltöpfen und Mülltonnen am 13. September 2018 am Connewitzer Kreuz. Um anfahrende Polizeifahrzeuge zu behindern, wurden "Krähenfüße" auf der Straße verteilt. Scheiben eines nahegelegenen Hauses wurden eingeschlagen, ein Pkw beschädigt und eine Überwachungskamera an einem Hotel besprüht. Verdoppelung klandestiner Aktionen in Leipzig Die Anwendung von Gewalt erfolgt zunehmend aus der Anonymität heraus. Taktisch setzten die Akteure auf ein Überraschungsmoment, um das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung zu minimieren. Die Entwicklung der klandestinen Aktionen in Leipzig hat sich gegenüber dem Vorjahreswert mehr als verdoppelt (2017: 25 Aktionen; 2018: 52). Leipzig bildet den Schwerpunkt dieser Aktionsform: 67 % der klandestinen Akte finden hier statt (in Sachsen insgesamt: 78). Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 2016 2017 2018 60 52 50 40 35 30 25 20 15 14 12 10 10 10 10 0 Leipzig Dresden andere Regionen 278 https://de.indymedia.org, "(le) Angriff in Solidarität mit linksunten.indymedia" (Stand: 11. September 2018) 158 Delikte Brandanschläge Sachbeschädigungen Sonstige 30 26 25 22 20 15 10 5 4 0 Mittels Brandanschlägen und Sachbeschädigungen sollte dem Gemeinwesen ein möglichst hoher Schaden zugefügt werden. Der Brandanschlag auf einen Bagger am 14. Mai 2018 mit einem Schaden in Höhe von 400.000 EUR zeigt beispielhaft die Dimension dieser Straftaten auf. Themenfelder 17 21 "Antirepression" "Politischer Gegner" "Gentrifizierung" "Afrin" 8 11 "Antirepression" Sehr häufig sind klandestine Aktionen im Themenfeld "Antirepression" verankert. Der "Kampf gegen staatliche Repression" ist ein klassisches Aktionsfeld von AUTONOMEN, mit dem der demokratische Rechtsstaat delegitimiert werden soll. Er wird als legitimes Mittel verstanden, um die herrschende "Gewalt des Systems" aufzubrechen. 159 So wurde im Januar das "Haus des Jugendrechts" u. a. mittels Brandsätzen beschädigt ("Unser Feuer gegen ihre Repression"279). Im Juli wurde auch dem Rathaus in Markkleeberg Schaden zugefügt, weil befürchtet wurde, dass das Ordnungsamt durch das neue Polizeigesetz zu einer "Art Hilfspolizei umfunktioniert" werde280. Die Tatmotivation zeigte sich deutlich in einem Tatbekenntnis unter der Überschrift "[LE] Warum wir eure Fassaden zerschmettern" vom 10. Juli 2018, mit dem eine Sachbeschädigung am Technischen Rathaus in Markkleeberg begründet wurde. Die Autoren äußerten dort abschließend: "Wir lassen uns von euren Methoden nicht einschüchtern. Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass wir in der Nacht kommen und Orte, die ihr schafft, (...) angreifen."281 "Afrin" Jedenfalls in der ersten Jahreshälfte 2018 besaß das Themenfeld "Afrin" 282 große Relevanz für die linksextremistische Szene. 40 % der Straftaten von Linksextremisten wurden in diesem Zusammenhang begangen. In Aufrufen wurden die wesentlichen Angriffsziele vorgegeben. Darunter befanden sich u. a. Büros politischer Parteien, Banken, Polizeidienststellen und Firmen. So riefen sich "Autonome Gruppen" nennende Autoren am 8. März auf:"Oder der Angriff auf DITIBGebäude, Deutsch-Türkische Unternehmensverbände, Firmen die offen die AKP-MHP-Koalition hofieren". "Zerstört ihre Büros in denen die Deals gemacht werden! Zerstört ihre Firmenwagen und Protzkarren! Greift die Firmensitze an! Greift die Institutionen der BRD an!"283 Dementsprechend wurde den Aufrufen gefolgt: Beschädigung der im Eigentum der DITIB284 stehenden türkischen Eyüp-Sultan-Moschee am 22. Januar 2018 Ein Bekennerschreiben bezog sich auf den Überfall der türkischen Armee auf die Demokratische Föderation Nordsyriens im Januar 2018. Als Vertreter der türkischen Regierung sei DITIB ein "legitimes Angriffsziel"285. Anschlagsserie im März 2018 in Leipzig und Markkleeberg Betroffen waren Filialen der Unternehmen Deutsche Bank, Commerzbank und Allianz. Dem Tatbekenntnis zufolge war beabsichtigt, "den Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der Revolution in Rojava nach Europa und Deutschland zu tragen und den Kampf für Freiheit auch hier auszufechten.286 Im Zeitraum vom 19. bis 26. März 2018 kam es in Leipzig und Markkleeberg zu einer regelrechten Anschlagsserie. Unbekannte Täter schlugen Fensterscheiben ein, beschmierten Fassaden mit Bitumenfarbe oder sprühten Parolen "For Afrin". Dem Tatbekenntnis zufolge beabsichtige man "unsere Solidarität auszudrücken, mit der YPJ, der YPG und der PKK, mit Rojava und der Revolution, mit dem ungebrochenen Widerstand der freien Menschen Rojavas gegen Erdo ans faschistische Milizen". Darüber hinaus werde beabsichtigt, "den Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der Revolution 279 https://de.indymedia.org, "[Le] Unser Feuer gegen ihre Repression" (Stand: 2. Januar 2018) 280 https://de.indymedia.org, "[LE] Warum wir eure Fassaden zerschmettern" (Stand: 10. Juli 2018); Schreibweise wie im Original 281 https://de.indymedia.org, "[LE] Warum wir eure Fassaden zerschmettern" (Stand: 10. Juli 2018); Schreibweise wie im Original 282 siehe Abschnitt II.3.3. AUTONOME (Aktionsfelder der AUTONOMEN) 283 https://de.indymedia.org; "Afrin ist überall, Überall ist Widerstand" (Stand: 2. August 2018) 284 Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion 285 https://de.indymedia.org, "(LE) Angriff gegen DITIB - Solidarität mit Afrin" (Stand: 22. Januar 2018) 286 https://de.indymedia.org, "(LE) Angriffe gegen Deutsche Bank, Commerzbank und Allianz: fight4afrin" (Stand: 26. März 2018) 160 in Rojava nach Europa und Deutschland zu tragen und den Kampf für Freiheit auch hier auszufechten.287 Beschädigung eines Bürogebäudes der Firma Siemens sowie eines Firmenfahrzeugs mittels Brandsätzen am 24. April 2018 unter Bezugnahme auf einen Vertrag zwischen Siemens und der Türkei, der abgeschlossen worden sei, obwohl die Türkei in diesem Zeitraum bereits Angriffe gegen mehrheitlich kurdisch bewohnte Städte verübt habe.288 Durch diesen Aufruf gerieten auch demokratische Parteien in den Fokus linksextremistischer Straftäter. Exemplarisch hierfür standen die Anschläge auf SPDund CDU-Büros zwischen dem 25. Januar und 2. Februar 2018. Im Bekennerschreiben kommt die Gewaltaffinität der Akteure besonders zum Ausdruck: "Wir tanzen ihnen nur auf der Nase herum, aber eigentlich wollen wir sie ihnen brechen." 289 Die Anschläge zu dieser Thematik setzten sich aufgrund des Besuches des türkischen Staatspräsidenten im September 2018 fort. "Gentrifizierung" Die Aufwertung von Stadtvierteln wird von der linksextremistischen Szene ebenfalls als staatliche Repression angesehen. Dafür stehen exemplarisch folgende Beispiele: Am 15. Juni 2018 setzten unbekannte Täter zwei Bagger in Brand. Dazu hieß es: "Es ist an der Zeit, den Träumen der Reichen und Mächtigen, die auf Ausbeutung und Unterdrückung fußen, mit Feuer zu begegnen."290 Unbekannte Täter setzten am 17. Mai 2018 den Dachstuhl an einem in Sanierung befindlichen Gebäude, den Thalysia Höfen, in Brand. Dem Bekenntnisschreiben zufolge sei Tatmotiv die voranschreitende "Aufwertung des Leipziger Südens" und das "Entstehen von weiterem Wohnraum für BesserverdienerInnen" gewesen.291 "Politischer Gegner" Die Kategorie "Politischer Gegner" umfasst hier vermeintliche und tatsächliche Rechtsextremisten. Gegen diese Feindbildgruppe wurden im Berichtszeitraum folgende Straftaten begangen: Am 27. Mai 2018 betraten zwei vermummte Täter die Fahrbahn und hinderten somit einen Reisebus an der Weiterfahrt zu einer Demonstration der AfD in Berlin. Nachdem der Bus anhielt, warf ein weiterer einen Stein und einen Farbbeutel an die Frontscheibe. In einem Selbstbezichtigungsschreiben äußerten sich die Akteure zum Ziel der Aktion. So habe man mit diesem Angriff verhindern wollen, dass "die Rechten an dem menschenfeindlichen und reaktionären Aufmarsch in Berlin teilnehmen können und ihre proto-faschistische Propaganda auf die Straße tragen".292 Angriff auf einen ehemaligen NPD-Funktionär und Stadtrat in Leipzig durch vier Vermummte am 2. Oktober 2018, Beschädigung einer Gaststätte, in welcher der AfD-Kreisparteitag stattfinden sollte, am 9. November 2018 287 https://de.indymedia.org, "(LE) Angriffe gegen Deutsche Bank, Commerzbank und Allianz: fight4afrin" 288 https://de.indymedia.org, "[Leipzig] Büro und Auto von Siemens ausgebrannt" (Stand: 27. April 2018) 289 https://de.indymedia.org, "[LE] CDU Büro besudelt" (Stand: 5. Februar 2018) 290 https://de.indymedia.org, "(Le) Bagger mich nicht an!" (Stand: 18. Juni 2018) 291 https://de.indymedia.org, "[LE] The Roof is on fire" (Stand: 23. Mai 2018) 292 https://de.indymedia.org, "[LE] AfD Bus angegriffen" (Stand: 28. Mai 2018) 161 Im Tatbekenntnis wurden die Betreiber als "Überzeugungstäter" bezeichnet. In den Kommentaren hieß es befürwortend "Wer die AfD reinlässt, holt sich Stress ins Haus293 Die klandestinen Aktionen, die sich zum Teil überlappenden Themenfelder und die Bekennerschreiben bestätigen, dass die Gewaltbereitschaft auf einem klaren Feindbild beruht, dessen Kern der demokratische Rechtsstaat ist. Die Akteure üben Gewalt nicht einfach als solche aus, sondern wenden sie an, um ihre politischen Positionen deutlich zu machen und umzusetzen. Die Täter sind von der Richtigkeit der strafbaren Handlungen überzeugt. Die große Schnittmenge der Themenfelder wurde auch in der Auseinandersetzung um das besetzte Objekt der Deutschen Bahn "Black Triangle" ersichtlich. Nach einer Brandstiftung am 3. Mai 2018 an einem Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn, wurde eine Solidaritätserklärung unter dem Titel "Black Triangle verteidigen - Den Bullenstaat bekämpfen" veröffentlicht. Die anonymen Autoren riefen dazu auf, "dem Bullenstaat und seinen Hunden zu zeigen, dass ihre Repression nichts ist gegen unsere Solidarität. Lasst uns den Kampf um das Black Triangle zum Anlass nehmen, den sich zuspitzenden Prozessen von Aufwertung und Verdrängung sowie der Bullenbesatzung den Kampf anzusagen".294 Lokale Verteilung der klandestinen Aktionen in Leipzig im Jahr 2018 8 7 7 6 5 5 4 4 4 3 3 3 2 2 2 2 1 1 0 0 0 1. Quartal 2. Quartal 3. Quartal 4. Quartal Lindenau/ Plagwitz Connewitz/ Südvorstadt Reudnitz Mit einem Anteil von 63 % konzentrierten sich die klandestinen Aktionen in den Leipziger Szenevierteln. Im eigenen "Revier" bzw. "Kiez" erheben Linksextremisten einen Besitzanspruch. Damit demonstrieren sie Macht, um so unerwünschte Meinungen, Lebensstile oder Strukturen zu vertreiben. Diese Aktionen richteten sich besonders gegen Polizeidienststellen sowie Firmen, die mit der Sanierung von Gebäuden beauftragt sind. Drastische Positionen wurden in einem Tatbekenntnis unter der Überschrift "[LE] Bullenschweine angegriffen" formuliert. Die Autoren, die sich als "Kiezmiliz" bezeichneten, schrieben sich zu, "(...) in den Abendstunden des 2. Februar 2018 den Sitz der Bullenschweine in der Biedermannstraße in Leipzig Connewitz mit Farbe und Steinen angegriffen" zu haben. Aus ihrer Sicht bestehe die Funktion des örtlichen Polizeibüros darin, "(...) durch das Stationieren von Besatzungstruppen ein widerständiges Viertel zu befrieden." Weiterhin umrissen die Autoren, wer in das Szeneviertel gehöre und wer nicht: "Wer die herrschende Ausbeutergesellschaft und das Fortbestehen kapitalistischer Verwertung sichert, wer Flüchtlinge abschiebt und AntifaschistInnen jagt, hat keinerlei Auf293 https://de.indymedia.org/, "[LE] Angriff auf Veranstaltungsort des AfD Kreisparteitages" (Stand: 13. November 2018) 294 https://de.indymedia.org/, "Black Triangle verteidigen - Den Bullenstaat bekämpfen" (Stand: 9. Mai 2018) 162 enthaltsrecht in Connewitz." Das Schreiben endet mit dem Aufruf "Verteidigt eure Viertel, gegen Aufwertung, Faschisten & Bullenschweine!".295 Die hohe Konzentration klandestiner Aktionen in den Szenevierteln steht im Zusammenhang mit dem sogenannten "Kampf um Freiräume", wie z. B. den von AUTONOMEN so verstandenen Freiraum Leipzig-Connewitz. Dort wird die Etablierung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft" angestrebt. Strukturen der Leipziger autonomen Szene Neben dem militanten Kleingruppenspektrum haben sich in der autonomen Szene Leipzig auch linksextremistische Gruppen etabliert, die deutlich ideologischer geprägt sind. Die Gruppen PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) und THE FUTURE IS UNWRITTEN (TFIU) sind auch in überregionalen Bündnissen aktiv. PRISMA-INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA) Die Gruppe PRISMA gehört der INTERVENTIONISTISCHEN LINKEN (IL) an. Die IL wurde im Jahr 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppen und Aktivisten gegründet. Mittlerweile gehören ihr mehr als 30 Ortsgruppen an. Sie agiert kampagnenorientiert mit dem Ziel, möglichst viele Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung zu mobilisieren. Dabei fungiert sie als Scharnier zwischen nicht gewaltorientierten und militanten Linksextremisten bzw. nicht extremistischen Gruppen. Die Einstellung zur Gewalt ist bei der IL taktisch geprägt Gewalt wird nicht grundsätzlich abgelehnt. Das Ziel der Gruppe PRISMA besteht in einer "(...) radikalen Linken, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und dem globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates (...) orientiert. Kurz: Wir wollen eine neue, radikale gesellschaftliche Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert." 296 Darüber hinaus stellt die Gruppe den demokratischen Rechtsstaat infrage. In einer Nachbetrachtung zu den Ausschreitungen in Leipzig-Connewitz am 11. Januar 2016 hieß es: "Auf das Treiben der Staatsapparate ist kein Verlass. Gegen den rechten Straßenterror hilft nur ein gesellschaftlicher Antifaschismus - Von der Kerze über die Sitzblockade bis zum militanten Selbstschutz."297 PRISMA will nicht auf "einen fernen Tag der Revolution" warten. Ihre Strategie zur "Überwindung dieser Gesellschaft" besteht darin, sich in sozialen und gesellschaftlichen Bewegungen zu engagieren und eine "Gegenmacht" zu organisieren. Sie plädiert für eine "strategische Bündnisorientierung" und sucht Anschluss an das nicht extremistische Spektrum. Im Gegensatz zu klassischen AUTONOMEN verzichtet sie auf eine "offensive Rhetorik" und einen "militanten Habitus": Die Schwerpunktthemen der politischen Arbeit von PRISMA sind "Antirassismus", "Antifaschismus", "Klima", "Queerfeminismus" und "Soziale Kämpfe". Diese Themen bieten eine hohe Anschlussfähigkeit an Nichtextremisten und der Einflussnahme auf diese. Die "mediale Darstellung" ihrer Aktionen und "gezielte Pressearbeit" sind für PRISMA wichtige Mittel, um in der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Auf der Leipziger Buchmesse veranstaltete PRISMA am 17. März 2018 eine Protestaktion gegen die Präsenz "rechter" Verlage. Störaktionen, bei denen sich der politische Gegner als "Opfer linker Zensur" inszenieren könne, lehnte die Gruppe aber aus strategischen Gründen ab.298 295 https://de.indymedia.org; "[LE] Bullenschweine angegriffen" (Stand: 5. Februar 2018) 296 http://prisma.blogsport.de/prisma/, Vorstellung der Gruppe/Zitat aus dem IL-Zwischenstandspapier (Stand: 17. Oktober 2017) 297 https://prisma.blogsport.de/prisma/, "Dieser Groschen muss jetzt fallen" (Stand: 2. November 2017) 298 https://blog.interventionistische-linke.org/bundestagswahl-2017/, "Vom ersten Versuch, das Unerwartete zu tun" (Stand: 16. Mai 2018) 163 Im Berichtsjahr beteiligte sich die Gruppe auch an Protesten gegen den Braunkohleabbau in Sachsen. Aus ihrer Sicht müsse die Klimabewegung nicht nur für den sofortigen Kohleausstieg, sondern auch für eine "radikale Veränderung der Gesellschaft" eintreten299. PRISMA unterstützte die Proteste gegen die Räumung des infolge des Braunkohleabbaus bedrohten Ortes Groitzsch, OT Pödelwitz (Lkr. Leipzig). THE FUTURE IS UNWRITTEN (TFIU) Die Gruppe THE FUTURE IS UNWRITTEN (TFIU) gehört seit 2012 dem bundesweiten linksextremistischen ...UMS GANZE! - Bündnis an. Dieses vereint eigenständige autonome Gruppen, um überregional handlungsfähig zu sein. Ideologisch sieht es sich als "kommunistisches Bündnis". Es engagiert sich in unterschiedlichen Kampagnen, vor allem in den Aktionsfeldern "Antifaschismus" und "Antiglobalisierung". Das Bündnis war maßgeblich an der 2016 initiierten Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative - Bundesweite Kampagne gegen die Festung Europas und ihrer Fans" (NIKA) beteiligt. Die NIKA-Kampagne mobilisiert seitdem insbesondere zu Aktionen gegen die AfD. Auch die Leipziger Mitgliedsgruppe TFIU versteht sich als "kommunistische Gruppe". Um Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben, seien "kontinuierliche Strukturen, die Staat, Patriarchat und Kapitalismus auf der Höhe ihrer Zeit kritisieren" notwendig. "Für uns bedeutet 'links-sein' kein subkulturelles Lebensgefühl, sondern an sich selbst und die Gesellschaft den politischen Anspruch anzulegen, jene Verhältnisse zu überwinden, in denen der Mensch ein 'erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist' (Marx)".300 "(...): wir stehen für Kommunismus ein. Damit ist eine Bewegung gemeint, die darauf hinstrebt alle menschlichen Verhältnisse der gesellschaftlichen Debatte und Planung zu unterwerfen. In der die Produktion, die Reproduktion, die Verwaltung und die Sicherheit radikal selbst organisiert und von der Basis kontrolliert sind. Also eine Gesellschaft ohne Kapitalverhältnis und auch ohne Nationalstaat."301 "Antifaschismus" und "Feminismus" gehören zu den wichtigsten Aktionsfeldern von TFIU. Im Jahr 2018 wirkte die Gruppe an der Kampagne des nichtextremistischen "Ladenschlussbündnisses Leipzig" mit, die sich gegen einen auch von Rechtsextremisten genutzten Treffund Trainingsort auf dem Gelände des ehemaligen Frauen-Konzentrationslagers in Leipzig-Schönefeld richtete. In einem Redebeitrag unterstrich TFIU die Absicht, gegen das Zusammenwirken "reaktionärer Strukturen aus dem vorpolitischen Raum" und "Neonazi-Kameradschaften" vorzugehen. Ihr Ziel ist die "Zerschlagung all dieser Strukturen". Es gelte, die bestehende gesellschaftliche Ordnung zu überwinden: "Wir müssen uns kritisch mit den Verhältnissen auseinandersetzen, die diese Gruppierungen hervorbringen. (...) Dazu gehört auch, eine gesellschaftliche Alternative zu benennen.(...) Ein kommunistisches, basisdemokratisches System von Räten kann eine solche Alternative sein und dafür streiten wir hier (...)".302 TFIU bietet in Leipzig, aber auch überregional Vortragsveranstaltungen und Workshops an. Seit Oktober 2018 führt sie eine Veranstaltungsreihe "Nationalismus ist keine Alternative" durch, welche bis zur Landtagswahl im Freistaat Sachsen im September 2019 fortgeführt werden soll. Auf diesen wolle man sich mit der AfD und mit einem aus ihrer Sicht "gesamtgesellschaftlichen Rechtsruck" befassen. Ziel ist es aufzuzeigen, "dass ohne die Abschaffung von Staat, Nation, Patriarchat und Kapitalismus eine Überwindung rechter Ideologien nicht möglich ist"303. 299 https://www.facebook.com/prismaleipzig/posts/1844174075666953?_tn_=K-R, Bericht über eine Veranstaltung zur Klimapolitik in Leipzig (Stand 18. Oktober 2018) 300 http://www.unwritten-future.org/, Vorstellung der Gruppe (Stand: 17. Oktober 2018) 301 http://www.unwritten-future.org/ "Meinungsfreiheit für Nazis? Theoretische Überlegungen zum praktischen Vorgehen gegen rechte Stände auf der (Leipziger) Buchmesse" (Stand: 22. Februar 2018) 302 https://www.unwritten-future.org/index.php/raete-statt-rackets/#more-2834, "Räte statt Rackets! Reaktionäre Männer-Banden zerschlagen!" vom 8. Mai 2018 (Stand: 11. Mai 2018) 303 https://www.unwritten-future.org/index.php/veranstaltungsreihe-national, "Veranstaltungsreihe: Nationalismus ist keine Alternative" (Stand: 27. September 2018) 164 ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) Seit ihrem Bestehen war die linksextremistische ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) fest in der linksextremistischen Szene Leipzig verankert. Sie bildete das Scharnier zwischen den postautonomen Gruppen und der autonomen Szene. Bisher trat sie regelmäßig mit Mobilisierungsaufrufen in Erscheinung. Im Berichtsjahr beschränkten sich diese jedoch auf das erste Halbjahr. Obwohl sich die linksextremistische Szene mit dem Beitrag der AKP 304 auseinandersetzte und sich öffentlich dazu positionierte, blieb eine weiterführende Debatte jedoch aus. Die von der AKP offenbar angestrebte Strategiedebatte muss somit als gescheitert angesehen werden. Nach der Veröffentlichung gab es nur noch drei Mobilisierungsaufrufe: zu den Protesten gegen die Leipziger Buchmesse im März 2018, zu den Protesten gegen ein "Neonazi-Festival mit Musik, Kampfsport und Reden satt" von Rechtsextremisten am 21. April 2018 in Ostritz und zu den Protesten gegen eine Demonstration der Partei DER DRITTE W EG am 1. Mai 2018 in Chemnitz. 3.3.2 AUTONOME in Dresden Das linksextremistische Personenpotenzial stagniert in Dresden seit 2014 bei etwa 70 Personen. Die autonome Szene Dresden hat hier - nach Leipzig - einen weiteren Schwerpunkt. Jedoch verliert sie seit 2017 sowohl regional als auch überregional an Bedeutung und büßte deswegen auch erheblich an szeneinterner Reputation ein. So nahmen Anzahl und Intensität der Aktionen ab. Auch die Anzahl der jeweils teilnehmenden Linksextremisten verringerte sich. Die Dresdner autonome Szene ist bereits seit geraumer Zeit nicht mehr in der Lage, eine spürbare überregionale Mobilisierung zu initiieren. Lediglich die UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN (URA DRESDEN) knüpfte an ihre im Vorjahr eingenommene aktivere Rolle innerhalb der linksextremistischen Szene an und verstärkte zudem ihre Öffentlichkeitsarbeit. So mobilisierte sie zu überregionalen Ereignissen, wie gegen das rechtsextremistische "Schild und Schwert Festival" im April und November 2018 in Ostritz (Lkr. Görlitz), oder zu Aktionen gegen den politischen Gegner anlässlich des Tötungsdelikts am 26. August 2018 in Chemnitz. Sie rief darüber hinaus zur Teilnahme am dritten "Antifaschistischen Jugendkongress"305 auf, der vom 18. bis 21. Oktober 2018 in Chemnitz stattfand. Allerdings beschränkte sich die Mobilisierungsfähigkeit ausschließlich auf die lokale Klientel. Entwicklung des Aktionsniveaus Mit 33 Aktionen bewegt sich das Aktionsniveau etwa auf dem Niveau des Jahres 2014 (35 Aktionen) und damit auf dem niedrigsten Stand der vergangenen fünf Jahre. 304 siehe oben: "ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) stößt Grundsatzdiskussion zu Aktionsformen an" 305 siehe II.3.3.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden 165 Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN in Dresden 80 63 60 44 46 40 35 33 20 0 2014 2015 2016 2017 2018 Angemeldete öffentliche Aktionen Linksextremisten thematisierten vor allem im ersten Halbjahr 2018 die anhaltenden Auseinandersetzungen zwischen der Türkei und den Kurden im nordsyrischen Afrin, welche sie als "Vernichtungsfeldzug gegen Afrin und das kurdische Volk" ansehen. In diesem Zusammenhang mobilisierte u. a. die URA DRESDEN für eine Demonstration am 20. März 2018 in Dresden, an der etwa 200 Extremisten und Nichtextremisten teilnahmen. Ebenso nutzten Linksextremisten das Thema "Asyl", um ihre Positionen zu verbreiten. Etwa 400 Personen, darunter Linksextremisten, nahmen am 3. Juni 2018 an der Demonstration eines nicht extremistischen Vereins zum Thema "Abschiebehaft". Zuvor hatte u. a. die URA DRESDEN zur Teilnahme aufgerufen. Im zweiten Halbjahr 2018 griff die Dresdner autonome Szene die Debatte über das geplante neue sächsische Polizeigesetz auf und positionierte sich deutlich hiergegen. Der Widerstand gegen das Polizeigesetz als "Kampf gegen staatliche Repression" entspricht dem klassischen Aktionsfeld von AUTONOMEN, mit dem der demokratische Rechtsstaat abgelehnt wird. So verbreiteten Linksextremisten im November 2018 den Aufruf des nichtextremistischen Bündnisses "Polizeigesetz stoppen!", der zur Teilnahme an sogenannten Aktionstagen gegen das Polizeigesetz aufforderte. An der Hauptaktion, am 17. November 2018 in Dresden, beteiligten sich ca. 1.500 Personen, darunter etwa 300 Linksextremisten. Die hohe Teilnehmerzahl und der verhältnismäßig hohe Anteil von Linksextremisten sind auf eine überregionale Mobilisierung zurückzuführen. Darüber hinaus nahmen an der Demonstration auch Kurden teil, die u. a. ein Transparent mit der Aufschrift "Freiheit für Öcalan" und weitere PKK-Symbole zeigten. Weitere öffentliche Aktionen richteten sich im Berichtsjahr gegen den politischen Gegner. So nahmen auch Linksextremisten am 17. Januar 2018 an einer Veranstaltung gegen eine Kundgebung des Kreisverbandes Dresden der NATIONALDEMOKRATISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) teil. Zu der Gegenkundgebung hatte u. a. auch die URA DRESDEN aufgerufen. Am 25. August 2018 beteiligten sich Linksextremisten an den Protesten gegen eine Versammlung der IDENTITÄREN BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IBD). 166 Aktionen im Zusammenhang mit dem 13. Februar Anlässlich des 73. Jahrestages der alliierten Luftangriffe auf Dresden im Zweiten Weltkrieg mobilisierte die URA DRESDEN zu Protesten gegen verschiedene Versammlungen u. a. von Rechtsextremisten und der AfD. Damit bestätigte sie ihre gewachsene Bedeutung für die regionale Dresdner autonome Szene. In ihrem Aufruf erklärte die URA DRESDEN die AfD - die sie als "faschistische Partei" bezeichnet - neben den Rechtsextremisten zu ihrem Hauptgegner, da es der Partei derzeit gelinge, "mit nationalistischen, geschichtsrevisionistischen und rassistischen Positionen gesellschaftlichen und politischen Einfluss zu nehmen". An den drei Tage währenden Aktivitäten beteiligten sich schließlich lediglich jeweils etwa 200 Linksextremisten, die überwiegend der lokalen Szene zuzurechnen waren. Aufgrund der geringen Beteiligung von Linksextremisten und nicht extremistischen Akteuren kam es zu keinen effektiven Störungen der Aktionen des politischen Gegners. Dies entsprach der Lage im Vorjahr und bestätigt den lokal begrenzten Aktionsradius der linksextremistischen Szene in Dresden, deren Handeln sich auf verbale Proteste und eher nur symbolische Blockadeaktionen beschränkte. Einen Akzent konnte die Szene durch die Aktion einer Kleingruppe gleichwohl setzen. So griffen am 10. Februar 2018 etwa 15 vermummte unbekannte Personen Teilnehmer von Veranstaltungen des politischen Gegners bei der Abreise vom Demonstrationsgeschehen tätlich an. Protestaktionen gegen Versammlungen der Pegida Dresdner AUTONOME betrachten die nichtextremistische Pegida nach wie vor als einen zentralen Gegner. Allerdings war ihre Beteiligung an Protesten gegen Pegida-Veranstaltungen zumeist wenig konfrontativ angelegt und von nochmals deutlich geringerer Intensität als in den Vorjahren. Auch ihre zahlenmäßige Beteiligung ging im Jahresverlauf weiter zurück. So nahm die Zahl der teilnehmenden Linksextremisten an den Gegenaktivitäten anlässlich des vierten Jahrestages von Pegida im Oktober 2018 im Vergleich zum Vorjahr auf ca. 100 zurück (2017: 150), obwohl diesem Anlass grundsätzlich eine herausgehobene Bedeutung zugemessen wird. Das ANTIFA RECHERCHE TEAM DRESDEN (ART DRESDEN) setzte seine Öffentlichkeitsarbeit fort und intensivierte diese im Berichtszeitraum. Es berichtete insbesondere über Aktivitäten von Rechtsextremisten und veröffentlichte im Internet zahlreiche Fotos und Namen von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten aus der Region Dresden. Im Jahr 2018 setzten sich anarchistische Tendenzen in der autonomen Szene Dresden fort. So positionierte sich die Gruppierung TABULA RASA Anfang des Jahres mit entsprechenden Internetveröffentlichungen. Auch auf der Internetseite Anarchistisches Netzwerk Dresden (AND) und deren Twitter-Account wurden über das gesamte Berichtsjahr hinweg zahlreiche Beiträge bzw. Bilder veröffentlicht. Klandestine Aktionen Die Anzahl der klandestinen Aktionen nahm im Jahr 2018 mit 12 Delikten gegenüber den Vorjahren leicht zu. Insofern verlagern sich auch die Aktivitäten der autonomen Szene in Dresden seit 2015 zunehmend in die Anonymität. Ein kleiner, aber fester Personenkreis ist eine hinreichende Voraussetzung für die Durchführung entsprechender Aktionen. 167 Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 2016 2017 2018 60 52 50 40 35 30 25 20 15 14 12 10 10 10 10 0 Leipzig Dresden andere Regionen Im ersten Halbjahr besaß die militärische Offensive der Türkei in Afrin große Relevanz für die linksextremistische Szene, was gewaltbereite Linksextremisten zu Straftaten veranlasste. Durch das Themenfeld "Afrin" gerieten auch demokratische Parteien in den Fokus linksextremistischer Straftäter: In der Nacht zum 19. Februar 2018 beschädigten unbekannte Täter drei Schaufensterscheiben eines SPD-Bürgerbüros in der Dresdner Neustadt, zu dem sich auf indymedia.org ein "Kommando Berfin Zilan" bekannte. Der SPD wurde vorgeworfen, dass die Revolution in Rojava mit ihrer Unterstützung angegriffen werde. Der "Freiheitskampf" der "seit Jahrzehnten verfolgt(en) und unterdrückt(en) Kurd*innen" sei "Vorbild für jeden Menschen der sich für eine befreite Gesellschaft einsetzt". Am 19. März 2018 wurde das Bürgerbüro einer SPD-Abgeordneten in Dresden beschädigt. Die Aktion wurde auf der Internetseite "Fight4Afrin" 306 dokumentiert. Daneben war auch die Firma Thyssen Krupp Aufzüge GmbH Ziel eines Anschlags. Am 13. April 2018 wurde ein Firmenfahrzeug durch unbekannte Täter in Brand gesetzt. In dem hierzu auf indymedia.org veröffentlichten Tatbekenntnis wurden zur Begründung für die Wahl des Anschlagszieles die Rüstungsexporte von Thyssen Krupp an die türkische Regierung angeführt. Weitere klandestine Aktionen gegen den politischen Gegner, den Staat oder Wirtschaftsunternehmen: Am 9. Juni 2018 wurden zwei Fahrzeuge der Bundeswehr in Brand gesetzt. Am 15. Juni 2018 wurde in einem Kabelkanal eine unkonventionelle Sprengund Brandvorrichtung aufgefunden, welche bereits teilweise ausgelöst worden war. In der Nacht zum 12. Juli 2018 warfen unbekannte Täter aus Anlass der Urteilsverkündung im NSU-Prozess in München mehrere Farbkugeln gegen die Außenfassade des Polizeire306 Der Blog "Fight4Afrin" unter https://fight4afrin.noblogs.org enthält einen Aufruf der "radikalen Linken" in Europa zu militanten Aktionen und dokumentiert seither in Europa begangene Aktionen. 168 viers Dresden-West. Auf indymedia.org wurden staatlichen Stellen mangelnder Aufklärungswille sowie eine Mitschuld an dem Fallkomplex vorgeworfen. Am 22. August 2018 wurde ein Tatbekenntnis zu verschiedenen Straftaten im Bereich Dresden-Neustadt veröffentlicht.307 Folgende Straftaten wurden diesbezüglich bekannt: Beschädigung eines Fahrzeugs eines Wohnungsunternehmens am 20. August Beschädigung eines Fahrkartenautomaten am 22. August Beschädigung einer Werbetafel am 22. August Nach dem Selbstbezichtigungsschreiben sollte damit auf die fortschreitende Gentrifizierung in den Städten und das geplante neue sächsische Polizeigesetz aufmerksam gemacht werden. Unbekannte Täter beschädigten und besprühten am 23. August 2018 die Fassade des Wohnhauses und das Fahrzeug des sächsischen AfD-Fraktionsund Landesvorsitzenden großflächig mit Farbe und brachten am Hoftor den Schriftzug "FCK AFD" an. 3.3.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden Außerhalb der beiden Zentren der autonomen Szene, Leipzig und Dresden, besteht in Sachsen ein geringes linksextremistisches Personenpotenzial im maximal unteren zweistelligen Bereich. Dementsprechend sind dort auch die Strukturen sowie das Aktivitätsniveau weit weniger ausgeprägt. Das Berichtsjahr 2018 war in den Regionen außerhalb von Leipzig und Dresden durch eine gestiegene Präsenz AUTONOMER in der Öffentlichkeit gekennzeichnet. Im Vergleich zum Vorjahr (elf Aktionen) waren 17 öffentliche Veranstaltungen von oder mit Beteiligung von AUTONOMEN zu verzeichnen. Öffentliche Aktionen von bzw. mit Beteiligung von AUTONOMEN außerhalb von Leipzig und Dresden 100 80 80 60 40 36 31 20 17 11 0 2014 2015 2016 2017 2018 307 de.indymedia.org, "[DD] Willkommen im Gefahrengebiet" (Stand 23. August 2018), Schreibweise wie im Original 169 Der im Jahr 2017 zu verzeichnende Rückgang klandestiner Aktionen setzte sich im Berichtsjahr nicht fort (2017: 10; 2018: 14 Aktionen). Damit bewegte sich diese Aktionsform weiter auf einem hohen Niveau und belegt die wichtige Rolle dieser Protestform für die Szene in der politischen Auseinandersetzung. Anzahl klandestiner Aktionen im Freistaat Sachsen 2016 2017 2018 60 52 50 40 35 30 25 20 15 14 12 10 10 10 10 0 Leipzig Dresden andere Regionen Im Zeitraum von Mai bis Oktober 2018 häuften sich insbesondere Straftaten gegen Büros der Partei Alternative für Deutschland (AfD), die der Szene als Hauptgegner gilt. Die Taten wurden vorwiegend in ländlichen Regionen begangen, obwohl diese keine bzw. nur schwach ausgeprägte linksextremistische Strukturen aufweisen. Für die Begehung genügt ein kleiner, aber fester Personenkreis mit hohem Konspirationsgrad. Region Westsachsen Die Region Westsachsen umfasst die Stadt Chemnitz, den Vogtlandkreis, den Landkreis Zwickau sowie den Erzgebirgskreis. In der Region existieren lediglich kleine, weitgehend unstrukturierte autonome Szenen, die sich nach wie vor in den Städten Chemnitz und Plauen konzentrieren. Dabei agieren AUTONOME jeweils ohne eigene lokale Gruppenbezeichnung. Anlassbezogen stand Chemnitz im Fokus auswärtiger Linksextremisten. Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten stagnierten auf Vorjahresniveau. Zusätzlich betrachtete die Szene das Outing vermeintlicher und tatsächlicher Rechtsextremisten als adäquates Mittel, das ihnen trotz geringer personeller Stärke ermöglicht, öffentlichkeitswirksam Akzente zu setzen. Chemnitz Linksextremistische Aktivitäten in der Region Westsachsen konzentrierten sich im Berichtsjahr vor allem auf die Stadt Chemnitz und wurden maßgeblich durch autonome Gruppierungen aus Leipzig und Dresden beeinflusst. Anlassbezogen agierte man auf von Nichtextremisten organisierten Protestveranstaltungen gegen Versammlungen der Parteien DER DRITTE WEG und AfD sowie der Gruppierung PRO CHEMNITZ. 170 Aktivitäten von Linksextremisten am 1. Mai 2018 in Chemnitz Zu den Protesten gegen eine Demonstration der Partei DER DRITTE W EG am 1. Mai in Chemnitz hatte die Szene frühzeitig überregional mobilisiert.308 Dabei wurde jeweils zu konfrontativ ausgerichteten Gegenaktionen aufgerufen: "Verhindern, Entgegensetzen, Blockieren!".309 310 Etwa 500 Linksextremisten beteiligten sich an der Demonstration eines nichtextremistischen Bündnisses mit insgesamt 1.200 Personen und versuchten Polizeiabsperrungen zu durchbrechen. Aufgrund starker Polizeipräsenz gelang es jedoch nicht, eine Blockade des rechtsextremistischen Aufzuges zu erreichen. Dennoch kam es zu einer Vielzahl politisch motivierter Straftaten. Neben verschiedenen Transparenten führten die Demonstranten Fahnen mit linksextremistischer Symbolik (Antifaschistische Aktion, FAU, REVOLUTION) mit sich und äußerten scharfe Kritik an der deutschen Asylpolitik: "Feuer und Flamme den Abschiebebehörden!". Da jedoch das Blockadeziel nicht hatte erreicht werden können, wurde die Strategie der Teilnahme an einer "großen" Protestdemonstration im Nachgang szeneintern infrage gestellt. 311 Aktivitäten von Linksextremisten im August / September in Chemnitz Von besonderer Bedeutung für die gesamte autonome Szene im Freistaat Sachsen waren die Proteste gegen Demonstrationen von PRO CHEMNITZ sowie der Partei AfD mit Beteiligung von Rechtsextremisten am 27. August und 1. September in Chemnitz. Seit dem Tötungsdelikt 312 vom 26. August in Chemnitz betrachteten AUTONOME, sowohl innerhalb Sachsens als auch überregional, die Stadt als Brennpunkt rechtsextremistischer Aktivitäten und damit als Schwerpunkt der "AntifaArbeit". Es galt daher, die kleine, weitgehend unstrukturierte örtliche autonome Szene durch anreisende Gruppen aus den urbanen Zentren zu unterstützen. Es gelang ihnen jedoch nicht, entscheidende Akzente gegen die Demonstrationen von PRO CHEMNITZ zu setzen. Gegenproteste am 27. August 2018 Binnen weniger Stunden gelang es der Szene, sowohl regional als auch überregional ca. 400 AUTONOME zur Teilnahme an der Kundgebung eines nichtextremistischen Veranstalters am 27. August zu mobilisieren, was die konfrontative Ausrichtung der Aktion beschreibt. Rund 200 Linksextremisten vermummten sich; es kam zu Flaschenund Steinwürfen sowie zum Einsatz von Pyrotechnik zwischen beiden politischen Lagern. Aufgrund der kurzen Vorlaufzeit der Mobilisierung war es den autonomen Gruppierungen nicht möglich, eine festgelegte gruppenübergreifende Choreografie zu entwerfen. Erst nach Ende des Versammlungsgeschehens setzten sie eine dezentrale Kleingruppentaktik ein, um Teilnehmer der Demonstration von PRO CHEMNITZ zu attackieren. Jedoch hatten sie die Teilnehmerzahl des politischen Gegners deutlich unterschätzt, sodass es ihnen nicht gelang, nachhaltig Einfluss auf den Demonstrationsverlauf zu nehmen. Vertreter der Szene forderten deswegen im Nachgang, "Selbstverteidigungsstrukturen" zu schaffen und "in Kampfsportvereine" einzutreten, um den Selbstschutz gewährleisten zu können.313 314 Gegenproteste am 1. September 2018 Aufgrund des größeren Zeitfensters war eine koordinierte bundesweite Mobilisierung insbesondere durch die INTERVENTIONISTISCHE LINKE (IL), das kommunistische ...UMS GANZE!-BÜNDNIS (UG), die Leipziger Gruppe PRISMA und Dresdner Gruppen für den 1. September möglich. Dabei wurden 308 Die ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) aus Leipzig hatte bereits im November 2017 auf Twitter im Zusammenhang mit der Absage der geplanten Demonstration der rechtsextremistischen Partei DIE RECHTE am 1. Mai 2018 in Leipzig auf die Veranstaltung der Partei D ER DRITTE W EG am gleichen Tag in Chemnitz hingewiesen. 309 https://erstermaichemnitz.noblogs.org (Stand: 10. März 2018) 310 @chemnitz1mai 311 Facebook-Profil REVOLUTION SACHSEN (Stand: 7. Mai 2018) 312 Am Rande des Chemnitzer Stadtfestes kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung, bei der in Folge ein 35-Jähriger verstarb. 313 https://de.indymedia.org (Stand: 28. August 2018) 314 http://prisma.blogsport.de (Stand: 27. August 2018) 171 taktische Hinweise und Ratschläge für den Fall von "Repressionsmaßnahmen des Staates" gegeben. Aufgrund der Mobilisierung konnte darauf geschlossen werden, dass im Gegensatz zum 27. August taktisch auf das dezentrale Konzept und die Kleingruppentaktik sich orientiert wurde. Die Anwendung von Gewalt gegen den politischen Gegner wurde von vornherein ins Kalkül gezogen. Dementsprechend wurde die dezentrale Kleingruppentaktik umgesetzt. Es kam zu Sachbeschädigungen; man durchbrach Polizeiabsperrungen und beteiligte sich an zwei Blockaden, die letztlich zum Abbruch des AfD-Aufzugs führten. Im Internet wurde später zu Outings315 von Rechtsextremisten aufgerufen, die an der Demonstration des politischen Gegners teilgenommen hatten. Konzert am 3. September 2018 Bei der Konzertveranstaltung unter dem Motto "Wir sind mehr" mit ca. 65.000 Besuchern trat auch die linksextremistische Band FEINE SAHNE FISCHFILET aus Mecklenburg-Vorpommern auf. Im Publikum wurden Fahnen der Antifaschistischen Aktion und Banner der YPG gezeigt. 316 "Antifaschistischer Jugendkongress" Wie bereits in den beiden Vorjahren fand vom 18. bis 21. Oktober 2018 der dritte "Antifaschistische Jugendkongress" (Juko) unter dem Motto: "NEVER GIVE UP - ES IST NIEMALS ZU SPÄT!" mit linksextremistischer Beteiligung im "Alternativen Jugendzentrum Chemnitz" (AJZ) 317 statt. Kongressveranstalter war nach Eigenangaben die "WASTELAND-Vernetzung antifaschistischer und antirassistischer Gruppen Ost".318 Dazu zählen auch die linksextremistischen Gruppen URA DRESDEN, THE FUTURE IS UNWRITTEN (TFIU) und ANTIFA KLEIN-PARIS (AKP) aus Leipzig. Etwa 200 Personen nahmen an verschiedenen Workshops und Vortragsveranstaltungen zu szenetypischen Themen teil. Das Ziel des Kongresses bestand darin, Erfahrungen über die Planung und Durchführung linksextremistischer Aktionen auszutauschen und die Zusammenarbeit linksextremistischer Gruppen zu forcieren. Ein "Aktionstraining" stellte die von Linksextremisten angewandten Techniken beim Aufeinandertreffen mit dem politischen Gegner bzw. Polizeibeamten vor. 319 Die Mobilisierung zum Kongress fand über nahezu alle gängigen Social-Media-Kanäle 320 statt und richtete sich auch an junge Menschen ohne linksextremistischen Hintergrund, um sie für die Szene zu gewinnen. Mittels Workshops, in denen es explizit um "zivilen Ungehorsam, Blockadetechniken mit dem Körper"321 oder Kenntnisse im Umgang mit einer Software, dem Live-Betriebssystem "TAILS"322, ging, das bei fachgerechter Anwendung "(...) ein beinahe ideales Werkzeug für jede Aktion ist, die digital unter dem Radar der Repression bleiben soll (...)"323, sollten linksextremistische Taktiken im Rahmen öffentlicher Aktionen vermittelt werden. Die linksextremistische Ausrichtung wurde sowohl in der inhaltlichen Planung als auch während des Kongresses deutlich. So kündigten die Gruppen überwiegend Workshops und Vorträge mit linksextremistischer Thematik, wie Antirepressions-Wissen für politische Praxis" und "Anarchismus im Alltag" an. Auch sollten Hilfen und Hinweise für den Umgang mit der Polizei besprochen werden ("Tipps und Tricks für einen Politalltag mit möglichst wenig Bullenstress"). 315 siehe Abschnitt II.3.3 AUTONOME 316 siehe Abschnitt II.3.8 Linksextremistische Musikszene 317 Das AJZ selbst ist kein Beobachtungsobjekt des LfV Sachsen 318 Eigenangabe im Internet: https://timetoact.noblogs.org und https://wasteland.noblogs.org 319 Workshop: "Aktionstraining-gemeinsam mehr erreichen" (Stand: 20. Oktober 2018); https://timetoact.noblogs.org (Stand: 5. September 2018) 320 Dazu zählten Facebook, Twitter und Instagram. 321 Workshop: "Aktionstraining-gemeinsam mehr erreichen", https://timetoact.noblogs.org (Stand: 5. September 2018) 322 "TAILS" ist ein Live - Betriebssystem, welches für digitale Datensicherheit konzipiert ist und auf einem USBStick an fast jedem PC verwendet werden kann. Beim JUKO werden gegen ein geringes Entgelt vorinstallierte "TAILS" - Sticks angeboten 323 Workshop: "Laptopund Smartphone-Sicherheit +Tails", https://timetoact.noblogs.org (Stand: 14. September 2018) 172 In der Ankündigung hieß es: "[...] möchten wir mit euch Möglichkeiten des Handelns bei (Massen) Aktionen, Blockaden etc. üben, damit ihr sicher und selbstbestimmt handeln könnt."324 Insgesamt zeigten sich die Initiatoren in einem kurzen Beitrag auf Facebook zufrieden über den Veranstaltungsverlauf.325 Vogtlandkreis und Landkreis Zwickau Im Vogtlandkreis fanden im Jahr 2018 keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten von Linksextremisten statt. Das Objekt "Schuldenberg" in Plauen wurde weiterhin als Treffund Veranstaltungsort für Konzerte, an denen sich Linksextremisten beteiligten, genutzt. Dort wurden auch regelmäßig Sprechzeiten der ROTEN HILFE Regionalgruppe Südwestsachsen angeboten.326 In Zwickau beteiligten sich am 22. September 2018 Linksextremisten an der von einem nichtextremistischen Veranstalter angemeldeten Demonstration, die sich vor allem gegen die Versammlung der rechtsextremistischen Partei DER DRITTE W EG richtete. Im Verlauf kam es zu versammlungstypischen Straftaten. Aufgrund des sehr gering ausgeprägten linksextremistischen Personenpotenzials in Zwickau stellten AUTONOME aus Leipzig die Mehrheit der teilnehmenden Linksextremisten dar. Erzgebirgskreis Linksextremistische Aktivitäten im Erzgebirgskreis konzentrierten sich im Jahr 2018 auf die Stadt Annaberg-Buchholz. Am 16. Juni schlossen sich dort rund 100 zugereiste Linksextremisten einer nichtextremistischen Demonstration für das Recht auf Abtreibung an. Die Gegenaktivitäten von Linksextremisten beschränkten sich auf lautstarke verbale Proteste in Sichtund Hörweite einer nichtextremistischen Demonstration von Abtreibungsgegnern. Linksextremisten bezeichneten die Initiatoren als "christliche Fundamentalist*innen"327, da diese angeblich das Recht auf "Feminismus und Selbstbestimmung" begrenzen wollen. Das Ziel, die Demonstration zu verhindern oder zumindest erheblich zu stören, wurde verfehlt. Blockadeabsichten wurden aufgrund des starken Polizeiaufgebots von Beginn an nicht weiterverfolgt. Bereits im Januar wurde ein Outing bekannt, bei dem personenbezogene Daten von elf Personen aus Annaberg-Buchholz und Umgebung im Internet veröffentlicht und diese als "gewalttätige Neonazis" bezeichnet wurden. Region Mittelsachsen Zur Region Mittelsachsen gehören die Landkreise Mittelsachsen und Meißen sowie der Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge. Der seit 2016 feststellbare Rückgang linksextremistischer Aktivitäten im Landkreis Mittelsachsen setzte sich im Berichtsjahr fort. Das Aktionsniveau der autonomen Szene ist sehr gering. Bis auf den Mobilisierungsaufruf zu einer Demonstration am 20. Januar in Wurzen (Lkr. Nordsachsen) gingen von der Gruppe ANTIFA RDL (Roßwein-Döbeln-Leisnig) keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen aus.328 Im Landkreis Mittelsachsen waren vereinzelt Sachbeschädigungen an AfD-Büros in Freiberg und Mittweida festgestellt worden, die auf einen linksextremistischen Hintergrund der Tat schließen ließen. 324 Workshop: "Aktionstraining-gemeinsam mehr erreichen" (Stand: 20. Oktober 2018); https://timetoact.noblogs.org (Stand: 5. September 2018) 325 https://www.facebook.com/juko2018 (Stand: 22. Oktober 2018) 326 https://rotehilfesws.noblogs.org/sprechzeiten (Stand: 19. März 2018) 327 https://twitter.com/FAU_Leipzig, Aufruf der FAU Leipzig (Stand: 11. Juni 2018) 328 nrdlnazifrei.blogsport.de (Stand: 19. Januar 2018) 173 In den Landkreisen Meißen und Sächsische Schweiz-Osterzgebirge waren im Jahr 2018 lediglich Einzelpersonen der linksextremistischen Szene zuzurechnen. In beiden Landkreisen fanden keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen mit linksextremistischen Bezügen statt. Region Ostsachsen Die Region Ostsachsen umfasst die Landkreise Bautzen und Görlitz. Im Landkreis Bautzen sind bereits seit Jahren keine linksextremistischen Strukturen mehr in Erscheinung getreten. Wie schon im Vorjahr waren auch im Jahr 2018 keine öffentlichen Aktivitäten von Linksextremisten zu verzeichnen. Allerdings kam es im zeitlichen Zusammenhang mit dem rechtsextremistischen "Schild und Schwert Festival" 329 im April in Ostritz (Lkr. Görlitz) zu zwei Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund, die mutmaßlich bzw. tatsächlich in Bezug zu dem Ereignis in Ostritz standen: Am 11. April 2018 wurde in Cunewalde ein geparktes Fahrzeug in Brand gesetzt und die Hausfassade des Fahrzeugbesitzers mit Farbbeuteln beworfen. Zusätzlich wurde diese mit dem Schriftzug "Nazis jagen" sowie mit einem "Antifa"-Symbol versehen. Der Geschädigte hatte in der Vergangenheit Liederabende für die "rechte" Szene veranstaltet. Am 21. April 2018 wurde in Bautzen, OT Niederkaina, ein Gedenkstein zerstört. Das auf de.indymedia.org veröffentlichte Tatbekenntnis beinhaltete einen erkennbaren Bezug zum "Schild und Schwert Festival". Das Aktionsniveau von Linksextremisten im Landkreis Görlitz war wie im Jahr 2017 abermals sehr niedrig. Lediglich die Gruppe ANTIFASCHISTISCHE AKTION GÖRLITZ entfaltete sporadische öffentlichkeitswirksame Aktivitäten durch einige Veröffentlichungen im Internet. So rief die Gruppe zu den Protesten gegen das "Schild und Schwert Festival" vom 20. bis 22. April 2018 in Ostritz auf. Am 21. April 2018 beteiligten sich an der Versammlung "Rechts rockt nicht" insgesamt ca. 700 Personen aus Deutschland, Tschechien und Polen. Darunter waren etwa 200 Linksextremisten, vor allem aus Leipzig und Dresden. Der Versuch einer Blockade der Anreisewege von Teilnehmern des rechtsextremistischen Festivals durch ca. 50 Personen des linken Spektrums misslang. Daran beteiligte Personen hatten zuvor u. a. "Nie, nie, nie wieder Deutschland!", "Alerta, alerta Antifaschista!", "BRD Bullenstaat, wir haben euch zum kotzen satt!" sowie "Staat, Nation, KapitalScheiße!" skandiert. Gemessen an der grundsätzlich hohen Bedeutung des Ereignisses fiel die Beteiligung von Linksextremisten - vor allem aus anderen Bundesländern - gering aus. Das Aktionsniveau blieb ebenso niedrig. Am 3. November 2018 fand das zweite rechtsextremistische "Schild und Schwert Festival" in Ostritz statt. Für entsprechende Gegenveranstaltungen mobilisierten allerdings nur wenige linksextremistische Gruppen; entsprechend niedrig blieb die Anzahl beteiligter von Linksextremisten. Region Nordsachsen In den Landkreisen Leipzig und Nordsachsen gab es im Berichtsjahr keine aktive linksextremistische Szene. Während es im Landkreis Nordsachsen dementsprechend zu keinen öffentlichen Aktivitäten kam, beteiligten sich am 20. Januar 2018 im Landkreis Leipzig Linksextremisten an einer Demonstration in Wurzen. Unter dem Motto "Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer und rechter Gewalt - Von rechten Strukturen keinen Millimeter zurückweichen!" demonstrierten insgesamt etwa 250 Personen friedlich. Anlass war eine tätliche Auseinandersetzung zwischen Asylbewerbern und deutschen Staatsbürgern am 12. Januar 2018 in Wurzen. Darüber hinaus beteiligten sich Linksextremisten am 31. Mai 2018 in Markkleeberg an einer störungsfrei verlaufenen nicht extremistischen Demonstration gegen eine AfD-Veranstaltung. 329 siehe Abschnitt II.1.3.2 NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) und II.1.7.5 Landkreis Görlitz 174 Linksextremisten besetzen bereits seit einiger Zeit das Thema "Klimaschutz", weil es eine hohe Anschlussfähigkeit an das nichtextremistische Spektrum bietet. Im Blickfeld stehen vor allem Proteste gegen den Braunkohleabbau. Vom 28. Juli bis 5. August 2018 fand zum ersten Mal ein "Klimacamp" im mitteldeutschen Braunkohlerevier südlich von Leipzig statt. Veranstaltungsort war das von Räumung bedrohte Dorf Pödelwitz (Lkr. Leipzig). Höhepunkte des "Klimacamps" mit insgesamt über 1.000 Teilnehmern und zahlreichen Workshops bildeten die Auftaktdemonstration am 28. Juli 2018 in Leipzig sowie der Aktionstag am 4. August 2018. Dabei beschränkte sich die Mobilisierung im Wesentlichen auf die Gruppe PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG (PRISMA), die den Klimaschutz zu ihren Aktionsschwerpunkten zählt. 3.4 Anarchistische Gruppierungen Die anarchistischen Gruppierungen in Sachsen vertreten Positionen des Anarchosyndikalismus. Dabei sind fließende Übergänge zu ähnlichen oder verwandten Bewegungen oder Gruppen - wie den AUTONOMEN - feststellbar. Dennoch weist der Anarchosyndikalismus einige spezielle Merkmale auf, durch die sich entsprechende Gruppen auch deutlich von den AUTONOMEN unterscheiden. Ideologie Der Anarchosyndikalismus ist eine Erscheinungsform des Anarchismus, der die Übernahme der Produktionsmittel durch Arbeiterassoziationen zum Ziel hat. Dies umfasst die Idee einer gewerkschaftlichen Berufsgenossenschaft, die eine Kollektivierung der Produktionsmittel anstrebt. Der Staat soll zerschlagen werden und an dessen Stelle eine "Föderation der Syndikate" (basisdemokratische Gewerkschaften) treten. Das "Syndikat" wird als tragende Organisationseinheit des revolutionären Kampfes wie auch der Zukunftsgesellschaft erachtet. Diese Form des Anarchismus weist somit eine deutlich andere Qualität auf als jene der AUTONOMEN. Zwar favorisieren auch AUTONOME ihrem Selbstverständnis entsprechend eine herrschaftsund gesetzlose Ordnung, jedoch ist es ihnen bislang nicht gelungen, eine feste theoretische Basis zu entwickeln. Organisation Die anarchosyndikalistischen Gruppen sind in ein föderales Netzwerk integriert. Die örtlichen/regionalen "Lokalföderationen" (Gesamtheit der "Syndikate" an einem Ort) bilden die bundesweite FREIE ARBEITERINNEN - UND ARBEITER - UNION (FAU), welche ihrerseits als deutsche "Sektion" Mitglied der INTERNATIONALEN ARBEITERINNEN ASSOZIATION (IAA) war330. Auch hier zeigt sich ein Unterschied zur autonomen Szene, die in verschiedene örtliche Strukturen und Kleingruppen zersplittert ist. Den Versuchen der Bildung einer überregionalen Organisation oder zumindest einer dauerhaften Vernetzung untereinander standen stets die den AUTONOMEN eigene Organisationsfeindlichkeit sowie ideologische Differenzen entgegen. 330 Ende 2016 wurde sie gemeinsam mit den "Sektionen" CNT (Spanien) und USI (Italien) aus der IAA ausgeschlossen. Dem Ausschluss gingen eigene Forderungen nach "Neuformierung der anarchosyndikalistischen Bewegung auf internationaler Ebene" voraus. So hatte die FAU u. a. der IAA vorgehalten, lediglich "abstrakte ideologische Fragen (zu diskutieren), anstatt die Klassenverhältnisse, in denen wir uns alltäglich bewegen, zu analysieren". Am 13. Mai 2018 wurde die "Internationale Arbeiter*innen Konföderation" (IAK) in Parma (Italien) von sieben Delegationen, darunter die FAU, gegründet. Ziel der Gewerkschaftsinternationale ist es, "die Kämpfe von Arbeiter*innen zu verbinden und die Zusammenarbeit von Betriebsgruppen in den gleichen Branchen und Betrieben über Grenzen hinweg zu ermöglichen". https://www.fau.org (Stand: 20. Dezember 2018) 175 Strategie Das Handeln der Anarchosyndikalisten richtet sich nach strategischen Prinzipien, die Mitte 2015 in einem neuen Grundlagentext der FAU formuliert wurden. Diese "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der FREIEN ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION (FAU)" ersetzten die bisherige "Prinzipien331 erklärung" aus dem Jahr 1990. In der bis Mitte 2015 gültigen Fassung wurde die Frage der Anwendung von Gewalt bei der Umsetzung ihrer Ziele explizit offengelassen. "In unserem Vorgehen legen wir uns weder auf Gewaltlosigkeit noch auf Gewalt fest! Die Wahl 332 unserer Mittel ergibt sich aus den konkreten Situationen und Zielen!" . Im Gegensatz zur Vorgängerfassung ist die aktuelle "Prinzipienerklärung" gemäßigter abgefasst. Das Ziel wird nach wie vor in der "Überwindung des Kapitalismus" gesehen, da er "auf der Ausbeutung durch diejenigen beruht, die über die Produktionsmittel verfügen". Das Mittel der Gewalt für die Umsetzung dieser Ziele wird nicht mehr thematisiert. Eine explizite Abgrenzung erfolgt jedoch nicht. Stattdessen werden umfangreiche Reformen in Erwägung gezogen. Allerdings hieß es auch: "Wir lehnen jedoch Reformismus als eine Haltung ab, die nicht versucht, die bestehenden Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse grundlegend zu ändern, sondern sie stattdessen stabili333 siert." Die neue "Prinzipienerklärung" hat vor allem das taktische Ziel der Gewinnung neuer Mitglieder. Erwartet wird, dass die meisten potenziellen Anhänger eher mittels Reformen zur Änderung der Gesellschaft zu gewinnen seien als auf revolutionärem Weg. In Sachsen sind es die anarchosyndikalistischen Kleingruppen FAU DRESDEN und LEIPZIG sowie die ANARCHOSYNDIKALISTISCHE JUGEND LEIPZIG (ASJL), die fest in das bundesweite föderale Netzwerk integriert sind. Gemessen an ihrer geringen personellen Stärke sind diese Gruppierungen sehr aktiv. Besonders im Rahmen öffentlicher Aktionen versuchen die Akteure ihre extremistischen Zielsetzungen zu verbreiten und so neue Anhänger zu gewinnen. Indem sich die FAU vordergründig als gewerkschaftsähnliche Organisation darstellt, wird verschleiert, dass sie die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt. Die ASJL wiederum zeigt eine Nähe zur gewaltbereiten autonomen Szene. FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION - (FAU) Gründung / Sitz: 1977 / Berlin Teil-, Nebenorganisationen: "Syndikate", "Lokalföderationen": ALLGEMEINES SYNDIKAT DRESDEN DER FAU, FAU LEIPZIG, FAU SEKTION CHEMNITZ, ANARCHOSYNDIKALISTISCHE JUGEND LEIPZIG (ASJL) Publikation: DIREKTE AKTION Mitglieder 2018 in Sachsen: ca. 45 Mitglieder 2017 in Sachsen ca. 45 Historie und Strukturentwicklung Die FAU ist die mitgliederstärkste anarchistische Gruppierung in Deutschland und ist in Sachsen spätestens seit Mitte der 1990er Jahre aktiv. Sie bezeichnet sich selbst als "Anarchistische Ge331 http://fau.org/texte/, "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der F REIEN ARBEITERINNENUND ARBEITERUNION (FAU)" (Stand: 25. Oktober 2016) 332 ebd., S. 11 333 http://fau.org/texte/, "Prinzipien und Grundlagen der Arbeit der F REIEN ARBEITERINNENUND ARBEITERUNION (FAU)" (Stand: 25. Oktober 2016) 176 werkschaft" und war bis Ende 2016 der INTERNATIONALEN ARBEITERINNEN ASSOZIATION (IAA) angeschlossen. Ihre Finanzierung erfolgt über Mitgliedsbeiträge. Seit 2014 stagniert die Mitgliederzahl im Freistaat Sachsen bei ca. 45 Personen. Neueintritte gleichen die Verluste aus. Der starke Aktionswille, der sich in der Vielzahl eigener Veranstaltungen widerspiegelt, wird von nur wenigen lokalen Akteuren getragen. Die örtlichen "Syndikate" (lokale basisdemokratische Gewerkschaften) und "Lokalföderationen" bilden die organisatorische Basis der sächsischen Mitglieder in Dresden. Die 2015 aus der FAU-INITIATIVE CHEMNITZ hervorgegangene FAU SEKTION CHEMNITZ konnte weiterhin nicht die Anforderungen für die Errichtung eines eigenständigen "Syndikats" erreichen und gehört nach wie vor dem "Dresdner Syndikat" an. Die nach dem Ausschluss der Leipziger Gruppe aus der FAU im Jahr 2017 neu gegründete Ortsgruppe in Leipzig konnte ihre Struktur festigen. Ideologie / Politische Zielsetzung Das Ziel der FAU ist die Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung. In ihrem als "revolutionäre Gewerkschaftszeitung" bezeichneten Periodikum DIREKTE AKTION, das sich nach eigenen Angaben "auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt", hieß es dazu unmissverständlich: "Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. [...] Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der Direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks 334 etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab." Mit diesem Selbstverständnis, welches die Anwendung sämtlicher Mittel zur Beseitigung der parlamentarischen Demokratie propagiert, steht die FAU in klarem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Aktivitäten Wie bereits in den Jahren zuvor traten anarchosyndikalistische Gruppen im Freistaat Sachsen mit eigenen Aktionen öffentlich auf. Dabei zeigten sich jedoch teilweise deutliche Unterschiede zwischen den in Dresden, Leipzig und Chemnitz ansässigen FAU-Akteuren, was sowohl Umfang und Intensität von Aktionen als auch die Wahl der Mittel betrifft. Dresden Die nach wie vor aktivste und zugleich mitgliederstärkste Gruppe ist das ALLGEMEINE SYNDIKAT DRESDEN DER FAU (FAU DRESDEN). Insbesondere durch die Verteilung von Flugblättern, die Organisation eigener Demonstrationen und Seminare oder über die Beteiligung an sozialkritischen, nicht extremistischen Protestdemonstrationen unter Einsatz von Transparenten und ihrer schwarzroten Fahnen versuchte die FAU DRESDEN ihren Bekanntheitsgrad und ihre Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Dazu zählten: Teilnahme an der Demonstration mit dem Motto "Solidarität mit den GefangenenGewerkschafterinnen der JVA Chemnitz!" der nichtextremistischen "GefangenenGewerkschaft" (GG/ BO) am 11. März 2018 vor der JVA Chemnitz Es kam zu Störungen und Angriffen auf Polizeibeamte. Teilnahme an der nicht extremistischen "TanzDemo - Dranbleiben! - Rebellisch, Solidarisch, Selbstorganisiert" am 23. Juni 2018 in Dresden Die FAU DRESDEN unterstützte die Veranstaltung logistisch und nutzte diese vor allem zur Eigenwerbung. 334 DIREKTE AKTION ANARCHOSYNDIKALISTISCHE ZEITUNG, Ausgabe 233 (Januar/Februar 2016), S.16 177 Organisation der Demonstration unter dem Motto "Umzug für eine schönere Gesellschaft" in Struppen (Lkr. Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) am 24. August 2018 Anlass war laut FAU der zunehmende "Rechtsruck" in der Region, zu welchem sie einen Gegenpol bilden wollten. Die Aktion fand im Rahmen der "Schwarz-Roten-Bergtage" (18. - 26. August 2018) statt. Infostand und Teilnahme am "Antifaschistischen Jugendkongress" vom 18. bis 21. Oktober 2018 in Chemnitz Regelmäßige Sprechstunden des "Syndikats" fanden im Büro der FAU DRESDEN statt. Die FAU DRESDEN engagierte sich im Jahr 2018 auch im Rahmen des Bildungsstreiks am 22. Juni in Dresden. Dazu war die "FAU-Sektion Bildung" Teil des insgesamt nichtextremistischen "Kritischen Bildungsbündnisses Dresden". In ihrer Selbstdarstellung hieß es: "In unserer Organisation soll Platz sein für alle Leute aus dem Bildungsbereich, die sich gegen die Verhältnisse wehren und sie überwinden wollen - unabhängig von ihrer Statusgruppe. [...] Wir brauchen ein Syndikat, in dem wir gemeinsam agieren."335 Dazu lud die FAU DRESDEN regelmäßig zu Treffen der "Alternativen Schüler_innenvernetzung" ein und berichtete, dass eine FAU-Schüler_innengewerkschaft "Schwarze Rose" gegründet wurde. Weitere Strukturen innerhalb der FAU DRESDEN aufzubauen, bietet die Möglichkeit, neue und junge Mitglieder rekrutieren zu können. Chemnitz Die FAU-SEKTION CHEMNITZ, die organisatorisch dem "Syndikat Dresden" angehört, zeigte im Berichtsjahr nur vereinzelte Aktivitäten mit klarer linksextremistischer Intention. Bei folgenden Veranstaltungen in Chemnitz setzte sie politische Akzente: Beteiligung an der o. g. Demonstration mit dem Motto "Solidarität mit den inhaftierten Frauen und Gewerkschafterinnen!" der nichtextremistischen "Gefangenen-Gewerkschaft" (GG/BO) am 11. März 2018 vor der JVA Chemnitz, Organisation des Festivals mit dem Motto "Syndikat statt Staat" am 6./ 7. April 2018 mit Konzert sowie Workshops zu Arbeitsrecht und Gewerkschaftsthemen336 und Durchführung der "Abenddemo für eine klassenlose Gesellschaft" am 1. Mai 2018 in Chemnitz.337 Die FAU-SEKTION CHEMNITZ kündigt regelmäßig Sprechstunden ("Schwarz-Roter Tresen") auf ihrer Internetseite an. Die Region Chemnitz ist im Vergleich zu Leipzig und Dresden durch ein deutlich niedrigeres linksextremistisches Personenpotenzial geprägt, das nur schwach strukturiert ist. So ergaben sich für die FAU CHEMNITZ kaum Anschlussmöglichkeiten. Aber auch andere örtlich ansässige Linksextremisten suchten offenbar nicht die Zusammenarbeit mit ihr. Eine eigenständige Struktur, losgelöst vom "Syndikat" Dresden, ist nicht zu erwarten. Leipzig Das ALLGEMEINE SYNDIKAT LEIPZIG der FAU konnte sich nach der Neugründung im vergangenen Jahr strukturell und aktionsorientiert weiterentwickeln. Im Jahr 2017 war die ehemalige FAU 335 https://uni.fueralle.org/buendnis/branchengruppe-bildung (Stand: 25. Juni 2018) 336 https://www.facebook.com/FauChemnitz (Stand: 26. März 2018) 337 Die Veranstaltung fand im Nachgang der Proteste gegen die Demonstration der rechtsextremistischen Partei DER DRITTE W EG am 1. Mai 2018 in Chemnitz statt. Siehe II.3.3.3 AUTONOME außerhalb der Städte Leipzig und Dresden. 178 LEIPZIG auf dem Delegiertentreffen der Regionalföderation Ost in Dresden aufgrund organisatorischer Mängel und Verstöße gegen die Grundsätze der FAU aus dem Dachverband ausgeschlossen worden. Seit der Neugründung waren deren Aktivitäten stärker wahrnehmbar. Dazu trug insbesondere die Öffentlichkeitsarbeit des "Syndikates" auf mehreren Social-Media-Kanälen bei. So wurden auf ihrer Internetseite typische anarchosyndikalistische Methoden wie "direkte Aktionen" im Sinne von "Streik oder Boykott" benannt, die zur "Umorganisierung der Produktionsmittel und Güterverteilung" führen sollen. Letztendlich bestehe das Ziel in der "Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse von unten" nach oben.338 Gemäß der auf der Vollversammlung im März 2018 beschlossenen neuen Satzung strebt das "Syndikat" "eine libertäre, klassenlose Gesellschaft an, in der alle Menschen gemäß ihren Bedürfnissen leben und ihre Fähigkeiten frei entfalten können".339 Das ALLGEMEINE SYNDIKAT LEIPZIG konzentrierte sich auf das Thema Arbeitskampf und führte dazu regelmäßig "gewerkschaftliche Beratungen" bzw. "offene Treffen" in Leipzig durch. Darüber hinaus meldete das "Syndikat" eine Protestkundgebung am 25. August 2018 vor dem schwedischen Honorarkonsulat in Leipzig an. Die friedlich verlaufene Aktion richtete sich gegen geplante gesetzliche Änderungen im Streikrecht Schwedens. Auf ihrer Internetseite hieß es im Nachgang der Versammlung dazu: "Die Einschränkung des Streikrechts ist ein Angriff auf alle Lohnabhängigen, in Schweden, in Europa und in der ganzen Welt!".340 ANARCHOSYNDIKALISTISCHE JUGEND LEIPZIG (ASJL) Historie und Strukturentwicklung Eigenen Angaben zufolge gründete sich die ASJL im November 2010. Sie gehört als Ortsverein zu der im Mai 2011 gegründeten Regionalföderation Ost der Organisation ANARCHOSYNDIKALISTISCHE JUGEND (ASJ). Ab Mitte 2007 entwickelte sich innerhalb der FAU-IAA eine Jugendvertretung, die auf dem FAUKongress 2008 eine Arbeitsgemeinschaft Jugend (AG-Jugend) konstituierte. Hieraus bildeten sich schließlich regionale ASJ-Gruppen. Die Separierung der ASJL von der FAU-LEIPZIG im Jahr 2010 markierte keine Abgrenzung im inhaltlich-weltanschaulichen Sinne, sondern war Folge einer bundesweiten strukturellen Entwicklung. Ideologie / Politische Zielsetzung Ihrem Selbstverständnis entsprechend ist die ASJL "ein bundesweit organisierter, außerparlamentarischer Jugendverband", der "den Parlamentarismus nicht für das richtige Mittel [hält], um die gesellschaftlichen Bedingungen zu verbessern." Sie strebt eine "Welt ohne Nationen und Staaten 341 [an], in der alle individuell nach ihren Bedürfnissen leben können (...)" . Eine Verwirklichung der Grundsätze ist aus Sicht der ASJL in einer Demokratie nicht umzusetzen. Mit der Formulierung, dass "(...) für die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit eine gemeinschaftliche Verwaltung der Produktionsmittel entscheidend notwendig ist", wird eine Grundforderung des Anarchosyndikalismus bedient. Darüber hinaus grenzte sich die ASJL - zumindest indirekt - deutlich vom Freiheitsbegriff der AUTONOMEN ab, da aus ihrer Sicht "Freiheit nicht das Aus342 leben egoistischer Vorstellungen auf Kosten anderer" bedeute. 338 https://leipzig.fau.org, Rubrik "Methoden" (Stand: 19. Dezember 2018) 339 https://leipzig.fau.org, Satzung des ALLGEMEINEN SYNDIKATS LEIPZIG (Stand: 19. März 2018) 340 https://leipzig.fau.org (Stand: 25. August 2018) 341 Selbstdarstellung, Flyer der ASJL, März 2016 342 http://asjl.blogsport.de, Rubrik "Grundsatz" (Stand: 17. Dezember 2018), Schreibweise wie im Original 179 Weiterhin nimmt sie zur Beseitigung jeder staatlichen und nicht staatlichen Ordnung die Anwendung von Gewalt in Kauf: "Nichts wäre wünschenswerter, als dass dieser Konflikt friedlich ausgetragen werden könnte. Die Lehren aus der Geschichte und das Gebären der aktuell Machthabenden lässt uns diesen Wunsch 343 leider als unrealistisch erscheinen." Die ASJL lehnt jede Form der Herrschaft als Synonym der Ungleichheit und Unfreiheit ab. Das gilt auch für die von Marxisten angestrebte "Diktatur des Proletariats" nach erfolgreichem Klassenkampf. Unter Klassenkampf versteht die ASJL den "unmittelbaren Kampf gegen das Bestehen von 344 Klassen, als Ausdruck von Unterdrückung". Dieser sei nur zu verwirklichen, "indem die Bereit345 schaft aller zur Überwindung des Systems durch Aufklärung und Emanzipation gefördert wird". Damit forciert die ASJL eine anarchistisch geprägte Gesellschaft, welche die Abwesenheit staatlicher Strukturen beinhaltet und die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung diametral entgegensteht. Aktivitäten Als eigenständige Organisation nahm die ASJL, wie die FAU LEIPZIG, im Jahr 2018 eine nur untergeordnete Rolle im linksextremistischen Spektrum von Leipzig ein. Im Unterschied zur Mutterorganisation FAU besteht bei deren Jugendvertretung in Leipzig jedoch - trotz partieller ideologischer Unterschiede - eine enge Verzahnung mit der örtlichen autonomen Szene. Über ihre Internetseite und ihre Publikationen lud die ASJL regelmäßig zu offenen Plena und Vortragsveranstaltungen zur Thematik des Anarchosyndikalismus ein. So war die ASJL am 20. Oktober 2018 mit ihrem Workshop "Anarchismus im Alltag!" integraler Bestandteil des "Antifaschistischen Jugendkongresses" in Chemnitz. Laut Ankündigung will sie die "Entdämonisierung des Anarchismus" forcieren, indem sie anarchistische Elemente "in den eigenen Alltag zu integrieren" [versucht], egal ob in der Bildung (...) oder auch im eigenen sozialen Umfeld".346 Mit ihrem Teilnahmeaufruf "Kommt vorbei, vernetzt euch, diskutiert, bildet euch in Theorie und Praxis!" 347 bezeichnete sie sehr treffend die Kernthemen des Kongresses. Bereits im Rahmen der "Kritischen Einführungswochen" an der Universität Leipzig hatte sie eine eigene Veranstaltung für den 15. Oktober 2018 mit dem Thema "Anarchismus in der Bildung" angekündigt.348 343 ebd., Schreibweise wie im Original 344 ebd. 345 ebd. 346 https:/timetoact.noblogs.org (Stand: 6. September 2018) 347 https://www.facebook.com/asj.leipzig (Stand: 4. Oktober 2018) 348 https://fda-ifa.org/asj-vortraege-bei-den-kritsichen-einfuehrungswochen (Stand: 3. Oktober 2018) 180 3.5 REVOLUTION (REVO), Jugendorganisation der Gruppe ARBEITERINNENMACHT (GAM) Gründung / Sitz: 1999 / Berlin Vorsitz: unbekannt Teil-, Nebenorganisationen: unbekannt Publikation: REVOLUTION (unregelmäßig) Mitglieder 2018 in Sachsen: ca. 10 Mitglieder 2017 in Sachsen: ca. 10 Mitglieder 2017 bundesweit: ca. 60 Historie und Strukturentwicklung Im Freistaat Sachsen zählen die Gruppen von REVOLUTION - wie auch REVOLUTIONSGRUPPEN in anderen Städten - zu der Jugendorganisation der trotzkistischen Gruppierung GRUPPE ARBEITERINNENMACHT (GAM). Unter dem Titel "The road to revolution" veröffentlichte REVOLUTION ihr internationales Programm. Danach ist sie eine "internationale unabhängige Jugendorganisation mit Sektionen in Deutschland, 349 Österreich und den USA, sowie Aktivist_innen in England und Pakistan" . Im Freistaat Sachsen stagniert die Mitgliederzahl der Gruppierung und liegt aktuell bei etwa zehn Personen. Regional ist die Gruppe in Leipzig und Dresden verankert. Ideologie / Politische Zielsetzung Trotzkistische Gruppierungen verfügen Trotzkismus ist eine auf den russischen Revolutionär über zentralistische und hierarchische Leo Trotzki (1879 -1940) zurückgehende Ausprägung Strukturen, die von einer strengen Parteides Marxismus-Leninismus. Wesentlich ist die Idee einer disziplin geprägt sind. Demzufolge ist weltweiten und "permanenten" sozialistischen Revolution auch das politische Programm "The road unter Führung von Arbeiterräten. to revolution" für alle REVOLUTIONSGRUPPEN maßgebend und bindend. Das politische Ziel von REVOLUTION ist die revolutionäre Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Aufbau einer Rätedemokratie mit anschließender Schaffung einer sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaftsordnung. Im internationalen Programm heißt es: "Wir wollen den Kapitalismus durch eine proletarische Revolution überwinden und ihn durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzen, [...]. Was wir brauchen, ist eine globale und demokratische 350 Planwirtschaft, die auf demokratischen Räten der Arbeiterklasse beruht." In einer Rätedemokratie wären wesentliche Elemente des demokratischen Rechtsstaates ausgehebelt. Da - nach trotzkistischer Auffassung - in einer Räterepublik alle Entscheidungen durch das Proletariat getroffen werden, läge die Souveränität nicht mehr beim gesamten Staatsvolk, sondern ausschließlich bei der Arbeiterschaft. Dies stünde Pluralismus und Mehrparteienprinzip entgegen. Die Räte wären bei allen Entscheidungen an die Basis gebunden und könnten daher ihr Mandat nicht frei ausüben. Außerdem unterstünden Exekutive, Judikative und Legislative den Räten. Eine Rätedemokratie ist daher mit elementaren Prinzipien der parlamentarischen Demokratie und der Gewaltenteilung unvereinbar. 349 www.onesolutionrevolution.de, "The road to revolution", S. 2 (Stand: 25. August 2015) 350 ebd. S. 5 181 REVOLUTION nimmt eine ausgesprochen antistaatliche Haltung ein. Diese zeigt sich in der kategorischen Ablehnung des bürgerlichen Rechtsstaates einschließlich des staatlichen Gewaltmonopols, welche auch unter Einsatz von Gewalt abgeschafft werden sollen. Im internationalen Programm heißt es dazu: "Es gibt keinen parlamentarischen Weg zum Sozialismus. [...] Gewalt wird ein Mittel sein müssen, um die Zentren der kapitalistischen Macht endgültig zu zerbrechen - die Armee, die Polizei und die 351 Geheimdienste." Die Leipziger REVOLUTIONSGRUPPE formuliert diesbezüglich wie folgt: "Unsere Gewalt muss somit ins Herz dieses Systems treffen, das Privateigentum an Produktionsmitteln. [...] Unsere Zielsetzung kann somit nur einen Slogan haben: militant, massenhaft, organi352 siert!". Zur Erreichung ihrer Ziele erachtet REVOLUTION eine "Diktatur des Proletariats" für notwendig: "[...] die Diktatur des Proletariats bedeutet die Verteidigung der Revolution und ist notwendige 353 Übergangsform zu einer klassenund staatenlosen Gesellschaft." Die Änderungen der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Errichtung von Räten soll mit militärischen Mitteln durchgesetzt werden. Neben Räten sollen auch "Arbeitermilizen" eingesetzt und "Verteidigungsstrukturen" aufgebaut werden. Dazu heißt es: "Ebenso wie Arbeiterräte, werden wir Arbeitermilizen und Verteidigungsstrukturen brauchen, um Polizei und Militär daran zu hindern die Revolution mit Gewalt [zu] überziehen, den Staat zu zerschlagen und die Kapitalisten daran zu hindern, die Macht durch einen Militärputsch zurück zu er354 langen". Aktivitäten Wie bereits im Jahr 2017 führten die sächsischen Gruppen von REVOLUTION auch im Berichtsjahr keine Aktionen durch, die auf die Gewinnung neuer Mitglieder zielten. Eine Ursache dürfte der Mangel an hierfür geeigneten Führungspersonen sein. Die Mitgliederzahlen stagnierten daher auf niedrigem Niveau. Die sächsischen Gruppen griffen mit ihrer Beteiligung am bundesweiten Bildungsstreik am 22. Juni 2018 das Kernthema einer Jugendorganisation - die Jugendarbeit - auf, jedoch ohne dies in eine gezielte Mitgliederwerbung umzusetzen. So demonstrierten in Leipzig insgesamt etwa 150 und in Dresden insgesamt etwa 60 Personen "gegen Leistungsdruck, Selektion, undemokratische Fremdbestimmung", außerdem wurde die "rassistische Abschiebepraxis der Regierung scharf kriti355 siert" . Es blieb bei Flyer-Aktionen vor Schulen und der Ankündigung eines Workshops zum Thema. Eines der Hauptthemen sächsischer Linksextremisten im ersten Halbjahr, die Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Kurden im nordsyrischen Afrin, thematisierten auch die sächsischen Gruppen von REVOLUTION. Die Leipziger Gruppe, als Teil des in seiner Gesamtheit nicht extremistischen "Rojava-Soli-Bündnisses", aber auch die Dresdner Gruppe beteiligte sich an Kundgebungen hierzu. Es wurde die Forderung erhoben: "Nieder mit Erdogan, weg mit dem PKK-Verbot, Freiheit für Afrin 356 und hoch die internationale Solidarität Biji Berxwedana Afrine!" . Darüber hinaus mobilisierte REVOLUTION zum alljährlichen "Sommercamp" der REVOLUTIONSGRUPPEN, das vom 31. Juli bis 5. August 2018 in der Nähe von Berlin stattfand. Das Thema "Naturund Umweltschutz" wurde für die politische Agitation instrumentalisiert. Die Räumungsmaßnahmen im Hambacher Forst im September 2018 veranlasste die sächsischen Gruppen von REVOLUTION zu einer Solidaritätserklärung unter dem Titel "Es gibt keinen grünen Ka351 ebd. S. 26 352 www.onesolutionrevolution.de, "Antifaschistischer Widerstand - Notwendig und legitim! Aber wie? Kritik und Perspektiven des Kampfes in Leipzig" (Stand: 25. August 2015) 353 ebd. S. 27 ff. 354 www.onesolutionrevolution.de, "The road to revolution", S. 33 (Stand: 25. August 2015) 355 https://www.facebook.com/RevoSachsen/ (Stand: 28. Juni 2018) 356 https://www.facebook.com/RevoSachsen/ (Stand: 5. Februar 2018) 182 357 pitalismus - Angriffe auf die Besetzung des Hambacher Forst" . Das Thema "Umweltschutz" wurde des Weiteren mit einer grundsätzlichen Kritik am demokratischen Rechtsstaat verbunden: "Der Kampf gegen die Umweltzerstörung muss daher immer mit dem Kampf gegen den Kapitalismus verbunden werden! Wir können uns weder bei diesem Problem noch bei der Problematik des aufsteigenden Faschismus auf den Staat und seine Institutionen verlassen. Diese Strukturen dienen den Kapitalist_innen. Dies müssen wir aufzeigen und einen Weg finden den Kapitalismus zu stürzen." Die Dresdner Mitglieder beteiligten sich darüber hinaus an Kundgebungen zur politischen Lage im Iran (10. und 30. Januar 2018 in Dresden) sowie an Aktionen gegen den politischen Gegner: Teilnahme an einer Solidaritätsdemonstration für die "inhaftierten Gewerkschafter_Innen" (Störung einer am 13. Februar 2018 angemeldeten Kundgebung der Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Dresden; Teilnahme an Protesten gegen einen Aufzug von Rechtsextremisten in Dresden am 17. Februar 2018; Beteiligung an den Protesten gegen eine Demonstration der Partei DER DRITTE W EG am 1. Mai 2018 in Chemnitz). In einem Redebeitrag im Rahmen der Gegendemonstration anlässlich des 4. Pegida-Jahrestages am 21. Oktober 2018 in Dresden wurde betont, dass die Ursache für den "Rechtsruck" im "Kapitalismus" und seinen Krisen bestehe. Diese seien der "Nährboden für rechte Parteien und ihren Nationalismus und Rassismus". Daher sei die Grundlage für einen erfolgreichen Kampf gegen die "Rechten und für Reformen" "immer mit dem Kampf gegen das kapitalistische System zu verbinden". Dazu müsse man sich "langfristig, massenhaft und militant organisieren, um die Rechten in die Schranken zu weisen!". 3.6 ROTE HILFE E. V. (RH) Gründung / Sitz: 1975 / Bundesgeschäftsstelle in Göttingen (Niedersachsen) Vorsitz: keine Angabe Teil-, Nebenorganisationen: unbekannt 358 DIE ROTE HILFE Publikation: (vierteljährlich und als Onlinemagazin) Mitglieder 2018 in Sachsen: ca. 450 359 Mitglieder 2017 in Sachsen: ca. 380 360 Mitglieder 2017 bundesweit: ca. 8.300 Historie und Strukturentwicklung Die ROTE HILFE war ursprünglich eine von der KOMMUNISTISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (KPD) im Jahr 1921 gegründete Gefangenenhilfsorganisation. Ihre Aufgabe bestand darin, Geldund Le361 bensmittelsammlungen "für die Opfer des proletarischen Befreiungskampfes zu organisieren" Sie war eine der mitgliederstärksten KPD-nahen Massenorganisationen und unterstützte deren Kampf gegen die Weimarer Republik. 357 https://www.facebook.com/RevoSachseen/, "Es gibt keinen grünen Kapitalismus - Angriffe auf die Besetzung des Hambacher Forst" (Stand: 17. September 2018) 358 Auflage: 9.300 Exemplare, Ausgabe 4/2018, Impressum S. 51 359 Die Mitgliederzahlen beruhen auf einer Schätzung basierend auf Eigenangaben der RH von 2016 in: DIE ROTE HILFE, Ausgabe 2/2016, Beilage "Mitgliederrundbrief 02/2016", S. 6 (mit Mehrfachmitgliedschaften). 360 Verfassungsschutzbericht 2016 des Bundesministeriums des Innern, S. 138 361 ROTE FAHNE, 15. April 1921; "Die Situation in Deutschland und die Gründung der Roten Hilfe"; nadir.org/nadir/archiv (Stand: 5. Dezember 2018) 183 Nachdem sich Anfang der 1970er Jahre in verschiedenen Städten der Bundesrepublik Deutschland ROTE HILFE-Gruppen gebildet hatten, wurde die ROTE HILFE DEUTSCHLANDS (RHD) unter Bezugnahme auf den gleichnamigen Vorläufer im Jahr 1975 neu gegründet. Seit 1986 ist die Organisation ein eingetragener Verein. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands ging der Aufbau erster Strukturen der RH in Sachsen nur sehr schleppend voran. Neu gegründete Ortsgruppen lösten sich häufig bald wieder auf. Starker Anstieg der Mitgliederzahlen Dennoch zählt die RH nunmehr zu den mitgliederstärksten linksextremistischen Gruppierungen in Sachsen. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Mitgliederzahl von etwa 380 auf ca. 450 Personen deutlich erhöht und erreichte damit einen neuen Höchststand. Folgende Gründe sind für diesen Anstieg verantwortlich: Die Zunahme der Mitgliederzahl in Sachsen entspricht der bundesweiten Entwicklung, wonach sich die RH in einem seit mehreren Jahren anhaltenden Wachstumsprozess befindet. Die RH sieht ihre Mitgliederentwicklung auch künftig optimistisch: "Die Rote Hilfe e.V. steht an der Seite der Betroffenen und bündelt die Solidaritätsarbeit für die Betroffenen. Das ist der Grund, warum wir Mitgliederzulauf bekommen, für den wir sehr dankbar sind." 362 Nach dem G-20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017 bekam die "Antirepressionsarbeit" in der autonomen Szene eine erkennbar zunehmende Bedeutung. Beratungsund Hilfsangebote der RH wurden nach dem Gipfel - mutmaßlich auch aufgrund befürchteter polizeilicher Maßnahmen - im Zuge der Ermittlungsarbeit verstärkt nachgefragt. Dieser Trend verstärkte sich zudem durch das Verbot von "linksunten.indymedia" 363 im August 2017. Auch eine nachhaltige "Antirepressionsarbeit" dürfte zu diesem aktuellen Mitgliederzuwachs geführt haben. Die Anzahl öffentlicher Aktionen im Freistaat Sachsen blieb im Jahr 2018 auf einem hohen Niveau. Aktivitäten von Linksextremisten oder mit linksextremistischer Beteiligung waren häufig gegen den politischen Gegner gerichtet. Dazu zählen u. a. die Demonstrationslagen am 1. Mai sowie Ende August und Anfang September in Chemnitz, bei denen es zu einer Vielzahl politisch motivierter Straften kam. Das Ziel von Gegenprotesten besteht darin, Demonstrationen des politischen Gegners zu verhindern oder zumindest zu beeinträchtigen. Eine Konfrontation mit der Polizei wird dabei einkalkuliert. Personen, welche die Auseinandersetzung mit der Polizei oder dem politischen Gegner suchen, dürften daher Kontakt zur RH geknüpft haben. Hinzu kam, dass bei Aufrufen zu Gegenprotesten häufig die Telefonnummer eines "Ermittlungsausschusses" (siehe dazu unter "Aktivitäten") der RH angegeben wurde. Die aktivste sächsische Ortsgruppe der RH in Leipzig intensivierte ihre Öffentlichkeitsarbeit. 362 https://rote-hilfe.de/rote-hilfe-news, "Rote Hilfe e.V. ist politischer Akteur*in und leistet legitime Solidaritätsarbeit" (Stand: 30. November 2018) 363 Bei linksunten.indymedia.org handelte es sich um ein von Linksextremisten genutztes Internetportal, das im August 2017 verboten wurde. 184 Entwicklung der Mitgliederzahlen der RH 10000 8300 8000 8000 7000 6000 bundesweit darunter SN 4000 2000 280 380 380 450 0 2015 2016 2017 2018 Der Anstieg der Mitgliederzahlen der RH wirkte sich zwar auch auf die Gesamtzahl der sächsischen Linksextremisten aus, allerdings nicht in gleichem Umfang. Einerseits sind zahlreiche Mitglieder der RH zugleich Mitglied in anderen linksextremistischen Strukturen. Andererseits verfolgen nicht alle Mitglieder der RH selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen. Bundesweit gliedert sie sich in einen Bundesvorstand sowie in selbstständig arbeitende Ortsbzw. Regionalgruppen. Die Bundesdelegiertenversammlung tritt alle zwei Jahre zusammen, entscheidet über grundsätzliche Vereinsangelegenheiten und wählt den Bundesvorstand. Die dabei gefassten Beschlüsse setzen die Ortsgruppen eigenverantwortlich um. Sie sind gegenüber dem Bundesvorstand rechenschaftspflichtig. Im Herbst 2018 wurde ein neuer Bundesvorstand gewählt. Die RH finanziert sich größtenteils über Mitgliedsbeiträge, aber auch aus "Solibeiträgen", durch den Verkauf ihrer vierteljährlich erscheinenden überregionalen linksextremistischen Zeitung DIE ROTE HILFE oder ihrer Broschüren und Flyern. Dazu zählen die Flyer "Rote Hilfe Info zu Strafbefehlen" und "Was tun wenn's brennt?!" oder die Aussageverweigerungsbroschüre. Ferner werden themenspezifische Spendenaktionen, wie die Kampagne "you can't break this movement - Bleiberecht für alle!", durchgeführt. Diesen entspricht der Appell: "keine Duldung staatlicher Repression - spendet für den antirassistischen Widerstand". Themenfeld "Antirepression" Ideologie / Politische Zielsetzung Unter "Repression" versteht die RH Maßnahmen der Polizei, der Justiz und des Strafvollzugs als Mittel der MachtDie RH ist ein zentraler Bestandteil der haber zur Herrschaftssicherung. Deren Handeln sei rein linksextremistischen Szene und betätigt politisch motiviert, willkürlich sowie grundund menschensich in deren Themenfeld "Antirepressirechtswidrig. Wie die gewaltbereiten AUTONOMEN lehnt die RH das staatliche Gewaltmonopol und die Aufrechterhalon". Das Ziel dieser Organisation betung von Sicherheit und Ordnung als sog. strukturelle Gesteht darin, den Szenezusammenhalt zu walt ab und zielt damit auf eine Abschaffung des demokrastärken und ihre Strukturen aktionsfähig tischen Rechtsstaats. zu halten. Die RH wird von Linksextremisten unterschiedlicher ideologisch-politischer Ausrichtung getragen. Sie versteht sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsor364 ganisation" , die sich im "Kampf gegen die staatliche Repression" und "die politische Justiz" enga365 giert. Ihr vordergründiges Anliegen ist die finanzielle und politische Unterstützung von Strafund 364 Satzung des ROTE HILFE E.V., SS 2 Abs. 1 (Stand: September 2014) 365 "Vorwärts und nicht vergessen - 70/20 Jahre ROTE HILFE", S. 58 f., Göttingen 1996 185 Gewalttätern des "linken" Spektrums, "die in der Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer politi366 schen Betätigung verfolgt werden" . Diese unterstützt sie im Strafverfahren, auch mittels finanzieller Zuwendungen. Dazu betreut sie von ihr so verstandene "politische Häftlinge", um deren Bindung an die linksextremistische Szene während der Haft und darüber hinaus zu erhalten. Die RH zeigte sich selbst mit ehemaligen, teils noch flüchtigen Mitgliedern terroristischer Vereinigungen, wie der ROTEN ARMEE FRAKTION (RAF), in ihren Publikationen solidarisch.367 Die RH unterstützt einen politisch motivierten Straftäter nur dann, wenn er sich nicht von seiner Tat distanziert. Eine Zusammenarbeit mit Behörden, z. B. zur Verringerung der Strafhöhe, betrachtet die RH als Preisgabe der politischen Positionen und als Verrat an der gemeinsamen Sache. So wird das Bestreiten eines Tatvorwurfs vom Bundesvorstand "[...] als Distanzierung von der politi368 schen Aktion bewertet und die beantragte Unterstützung nicht bewilligt." . Dies gilt auch für Fälle, bei denen die Tat "entpolitisiert" wird, indem diese z. B. verharmlosend als "Jugendsünde" dargestellt wird.369 Bereits wenn der Angeklagte vor Gericht aussagt, kürzt die ROTE HILFE ihren Unter370 stützungssatz. Die RH deutet die der Bekämpfung des Terrorismus dienenden Anti-Terror-Gesetze als "Feindstrafrecht, [...] das für Gegner*innen der bürgerlichen Ordnung geschaffen wurde, für die die Regeln einer 'normalen' Prozessführung und Ermittlung nicht mehr gelten" würden. Nach ihrer Auffassung dienen diese Gesetze vornehmlich dazu, jegliche "Politische Aktivität[en] gegen die herrschenden Zustände unmöglich zu machen". Die als Repression verstandenen Gesetze seien demnach nicht zur Verhinderung terroristischer Aktivitäten beschlossen worden, sondern würden durch "die Verbreitung von Angst und Schrecken durch ausgeübte oder angedrohte Gewalt [dazu benutzt], um 371 Menschen gefügig zu machen". Aktivitäten In ihren Ortsgruppen führt die RH regelmäßig Rechtsberatungen zu Themen wie "Umgang mit Staatspost, Polizeiübergriffen und anderweitiger Repression" durch. Mit Hinweisen zum Schutz vor Strafverfolgung sowie dem Inaussichtstellen politischer und materieller Hilfe mindert sie auch die abschreckende Wirkung strafrechtlicher Sanktionen. Sie flankiert die von ihr als besonders spektakulär empfundenen Fälle von "Repression" durch Kampagnen, Presseerklärungen oder Solidaritätskundgebungen. So führte sie die im Rahmen der Proteste gegen das G20-Gipfeltreffen 2017 in Hamburg initiierte Kampagne "United we stand!" fort. Kritisiert wurde im Berichtsjahr wiederholt die Arbeit der Sonderkommission Schwarzer Block372. So würde das von "unverminderter Härte und Hartnäckigkeit" geprägte Vorgehen der Polizei nur dazu dienen, "zahlreiche Übergriffe auf Aktivist*innen, Journalist*innen und Unbeteiligte im Nachhinein zu rechtfertigen". Insbesondere das Instrument der Öffentlichkeitsfahndung verurteilte die RH dabei "auf das Schärfste".373 Zudem vertreibt die RH eine Vielzahl verschiedener Broschüren und Flyer, so zum Thema "Tipps der ROTEN HILFE E.V. zum Umgang mit Strafbefehlen". Sie ist des Weiteren am "Hans-Litten366 Satzung des ROTE HILFE E.V., SS 2 Abs. 2 Satz 1 (Stand: September 2014) 367 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 3/2011, S. 11; Ausgabe 2/2013, S. 16-19 und S. 35-40; Ausgabe 3/2016, S. 3 368 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 3/ 2015, S. 6 369 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 4/ 2018, S. 6 370 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 2/ 2016, S. 4 371 DIE ROTE HILFE, Sonderausgabe zum "18.03.2014 Tag der politischen Gefangenen", Beilage in der Tageszeitung JUNGE WELT vom 15. März 2014, S. 1 372 Sonderkommission der Hamburger Polizei, die nach den Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel die Ermittlungen führte 373 "Erneute Festnahmen im Nachgang nach G20: Rote Hilfe e. V. verurteilt weitere Razzien zum G20-Gipfel", https://rote-hilfe.de (Stand: 18. September 2018) 186 Archiv"374 beteiligt, das sich sowohl der Archivierung von Dokumenten zur Arbeitergeschichte als auch von Dokumenten des 1975 gegründeten ROTE HILFE E. V. widmet. Die RH stellt für konfrontativ ausgerichtete Veranstaltungen, wie Demonstrationen des "linken" Spektrums, häufig sogenannte Ermittlungsausschüsse (EA)375 zur Verfügung.376 Leipzig Die RH Leipzig war im Jahr 2018 die aktivste sächsische Ortsgruppe der RH. Die RH Leipzig betreibt gemeinsam mit dem "Ermittlungsausschuss-Leipzig" (EA) eine Internetseite, auf der regelmäßig sogenannte Sprechstunden und Vortragsveranstaltungen ankündigt wurden.377 Wie im Vorjahr fanden in Leipzig unter der Bezeichnung "Antirepressionsveranstaltungen" regelmäßig Informationsveranstaltungen und Diskussionsrunden statt. Dazu zählte am 24. August 2018 ein Vortrag zum Thema "Was tun bei Hausdurchsuchungen?!". Die Ortsgruppe äußerte sich im Berichtsjahr auf ihrer Webseite wiederholt zu dieser Thematik. Aus ihrer Sicht würden dabei von der Polizei "Lappalien" genutzt, um weitergehende Erkenntnisse zu "linken Strukturen" zu sammeln378. In einer am 6. Mai 2018 unter dem Titel "SS 129 in Leipzig - Linke Politik verteidigen" auf ihrer Webseite eingestellten Broschüre379 verdeutlichte die RH ihre ablehnende Haltung gegenüber den Institutionen des Rechtsstaates: "Eines muss klar sein, es geht nicht um eine juristische Schuldfrage, die uns von Seiten des Staates aufgedrückt wird, sondern um eine antagonistische Grundhaltung gegenüber einer politischen Repression und Justiz. In diesem Zusammenhang hielt ein Vertreter der RH am 15. Juni 2018 eine Rede 380 anlässlich der Demonstration "Gegen Verdrängung und Repression" in Leipzig-Connewitz. Der Fokus des Beitrages lag auf der Verurteilung einer behaupteten Misshandlung von jugendlichen Graffitisprayern durch Polizisten und der Ablehnung des geplanten neuen Polizeigesetzes. In einer bereits am 27. Mai 2018 veröffentlichten Stellungnahme381 warf die RH der Polizei vor, dass sie nicht wie üblich versucht habe, den "Kiez" unter "konstanter Beobachtung" zu halten, sondern mit massiver Gewalt gegen "Genossen" unter 16 Jahren vorgegangen sei, die vor dem 1. Mai 2018 in Chemnitz "mobilisierende Parolen" gesprüht haben sollen. Die Ablehnung rechtsstaatlicher Institutionen durch die Leipziger Ortsgruppe kam zudem in dem Artikel "Statement: Bullen im Conne Island"382 zum Ausdruck. Darin warf die RH dem "autonomen Jugendzentrum Conne Island" vor, aufgrund eines Gesprächs mit dem Leipziger Polizeipräsidenten im Jahr 2017 grundsätzliche Prinzipien "aller Linken" ignoriert zu haben. Dazu hieß es: "Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und Gerichte sind die politischen Gegner aller Linken. Ihre Aufgabe im kapitalistischen System aus Ausbeutung und Unterdrückung ist es, die bestehenden Machtverhältnisse aufrecht zu erhalten und mit allen Mitteln zu verteidigen. Wir haben mit diesen Leuten keine gemeinsamen Ziele." Das Treffen normalisiere demnach "diesen Umgang mit den Schweinen [...] - Ziel darf jedoch nicht die Kooperation sein!". Abschließend hieß es mit linksextremistischen Duktus: "Wir fordern Linke auf, immer zu sagen was die Bullen sind - die Schlägergruppe des Kapitals." 374 Hans Litten war Jurist, der in den späten 1920er sowie in den 1930er Jahren u. a. Mandate der Roten Hilfe übernahm. Er starb 1938 im KZ Dachau nach Verfolgung und Inhaftierung durch die NS-Diktatur. 375 Während und nach dem Demonstrationsgeschehen telefonisch erreichbare Ansprechpartner, die Personen, die in Konflikt mit der Polizei geraten sind, beraten und Anwälte vermitteln. 376 Interview mit einem Mitglied des Bundesvorstandes der RH, Artikel "die ROTE HILFE - ein Interview", http://plastic-bomb.eu (Stand: 3. Juli 2014) 377 Die Internetseite www.antirepression.noblogs.org dient als Plattform des Leipziger "Ermittlungsausschusses" (EA) und der ROTEN HILFE Leipzig. Der EA befasst sich mit "staatlicher Repression gegen linke Politik" und unterstützt Betroffene. 378 "Vermehrt Hausdurchsuchungen in Leipzig", https://antirepression.noblogs.org (Stand: 15. August 2018) 379 https://antirepression.noblogs.org (Stand: 4. Juni 2018) 380 Der Redebeitrag wurde am 18. Juni 2018 auf https://antirepression.noblogs.org veröffentlicht. 381 "Bullen misshandeln und quälen Linke in Leipzig", https://antirepression.noblogs.org (Stand: 4. Juni 2018), Schreibweise wie im Original 382 "Bullen im Conne Island", https://antirepression.noblogs.org (Stand: 26. April 2018) 187 Dresden Öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der Dresdner Ortsgruppe fanden im Jahr 2018 nicht statt. Ursächlich dafür war deren heftige Kritik an den in der vom Bundesvorstand herausgegeben Mitgliederzeitung DIE ROTE HILFE veröffentlichten Beiträgen unter dem Titel "Siegerjustiz - zur Verfolgung und Delegitimierung eines sozialistischen Versuchs seit 1990"383, die im Dezember 2016 zum Rückzug der Ortsgruppe aus der Bundesorganisation der RH führte. Die regelmäßige Sprechstunde im "AZ Conni" übernahm daraufhin der "Ermittlungsausschuss Dresden" (EA; ehemals ROTE HILFE Ortsgruppe Dresden).384 Dieser verbreitete und teilte im Berichtsjahr u. a. Aufrufe zu Aktionen gegen das geplante neue Polizeigesetz, zur solidarischen Prozessbegleitung sowie für eine Vortragsveranstaltung zur Idee und Umsetzung der sozialistischen Planwirtschaft. Im Januar 2018 organisierte er zudem eine Informationsveranstaltung unter dem Titel "#Bullenschubsen - vom Sonderstrafrecht zum Schutz der Polizei" 385 zur Ausweitung des Strafrechts in Bezug auf Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte. Szenetypisch wurde in der Ankündigung behauptet, die Gesetzesänderung ziele auf die Errichtung eines Sonderstrafrechts zum Schutz von Polizeibeamten, schränke die Demonstrationsfreiheit ein und begünstige polizeiliche Willkür. Südwestsachsen Die im Jahr 2015 etablierte RH-Regionalgruppe Südwestsachsen mit Sitz in Chemnitz 386 führte im Berichtsjahr regelmäßig Sprechstunden "für von Repression Betroffene" in Chemnitz und Plauen durch. Dazu zählten Beratungstreffen, die sich insbesondere an diejenigen Mitglieder richteten, die von polizeilichen Maßnahmen im Rahmen der Proteste gegen eine Demonstration der rechtsextremistischen Partei DER DRITTE W EG am 1. Mai 2018 in Chemnitz betroffen waren.387 Am 1. Mai selbst war die Regionalgruppe in Chemnitz mit einem Infostand388 in Chemnitz präsent. Mit einem neuen Internetauftritt gewann die Regionalgruppe an öffentlicher Wahrnehmbarkeit. Es wurden regelmäßig Sprechstundentermine bei "Stress mit Polizei und Staatsanwaltschaft" in Plauen und Chemnitz angekündigt und Stellungnahmen veröffentlicht. So verurteilte die Regionalgruppe die aus ihrer Sicht "willkürliche Polizeigewalt" gegen friedliche Teilnehmer einer "Anti-KnastDemonstration" am 11. März 2018.389 Darin kam auch ein Mitglied des Bundesvorstandes der RH zu Wort, der "Polizeigewalt" als Mittel beschreibt, Beteiligte und Außenstehende abzuschrecken und solidarisches Verhalten so unattraktiv wie möglich werden zu lassen. 3.7 Orthodoxe linksextremistische Parteien und Organisationen Die orthodoxen Gruppierungen weiUnter diesem Oberbegriff werden jene Bestrebungen zusammengefasst, die sich zu den Theorien von Marx, Engels und sen unter allen linksextremistischen Lenin, der These vom Klassenkampf sowie zur Diktatur des Bestrebungen das prägnanteste Proletariats bekennen. Gemeinsamer weltanschaulichweltanschauliche und theoretische politischer Nenner dieser orthodox-kommunistischen GruppieFundament auf, welches zudem mit rungen ist die Negierung der Grundlagen und Wertvorstellungen einer deutlichen Programmatik und des demokratischen Verfassungsstaates. Ziel ist die Auflösung klar konturierten Zielvorstellungen der Institutionen der parlamentarischen und rechtsstaatlichen verbunden ist. Das Potenzial von ca. Demokratie. 383 DIE ROTE HILFE, Ausgabe 04/2016 384 https://ura-dresden.org (Stand: 18. Oktober 2017) 385 https://ea-dresden.site36.net/ (Stand: 17. Januar 2018) 386 In der Zeitschrift DIE ROTE HILFE, Ausgabe 4/ 2018 (S. 50) wird das "Kompott" in Chemnitz als Büro der Regionalgruppe Südwestsachsen benannt. 387 Beratungstreffen am 7. Juni in Chemnitz, https://rotehilfesws.noblogs.org (Stand: 8. Mai 2018) 388 https://erstermaichemnitz.noblogs.org (Stand: 28. April 2018) 389 "Rote Hilfe e. V. verurteilt Polizeigewalt nach Antirepressionsdemonstration in Chemnitz", https://rotehilfesws.noblogs.org (Stand: 14. März 2018) 188 170 Personen hat jedoch nur einen marginalen Einfluss auf den Linksextremismus in Sachsen. Zu den orthodoxen Gruppierungen zählen z. B. die KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE. (KPF), die KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (KPD), die DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) und die MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD). Ideologie / Politische Zielsetzung Die Gruppierungen unterscheiden sich in ihrer ideologischen Ausrichtung. Die DKP, die KPD und die KPF - diese als linksextremistische Strömung innerhalb der Partei DIE LINKE. - bekennen sich zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und lehnen einen reformerischen Ansatz zugunsten eines revolutionären Weges zum Sozialismus ab. So heißt es im nach wie vor aktuellen Programm der DKP: "Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tief greifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhält390 nisse erreicht werden." Die geltende Gesellschaftsordnung und die freiheitliche demokratische Grundordnung können nach dieser Sichtweise nur auf revolutionärem Wege beseitigt werden. Die Präambel der MLPD weist in dieselbe Richtung: "Die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des 391 Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft." Im Unterschied zu anderen orthodox-kommunistischen Gruppierungen, die sich kaum noch offen auf Stalin oder Mao Zedong beziehen ist bei der MLPD ein offensives Bekenntnis zu diesen Diktatoren festzustellen. Das unterstreicht, dass die MLPD im Gegensatz zu DKP oder KPF nicht nur marxistisch-leninistisch, sondern auch stalinistisch und maoistisch ausgerichtet ist. Mit ihrem ausgeprägten ideologischen Dogmatismus und dem exklusiven Anspruch auf den "wahren Sozialismus" stößt die MLPD jedoch - ebenso wie die eng am orthodoxen Marxismus orientierten Gruppierungen DKP und KPF - selbst im orthodox-kommunistischen Spektrum auf geringe Akzeptanz. Sie ist deswegen isoliert und befördert damit dessen weitere Zersplitterung. Aktivitäten Aufgrund ihres geringen Personenpotenzials aber auch wegen ihrer strukturellen Schwächen beschränken sich Aktionen dieser Gruppierungen überwiegend auf interne Treffen und Vortragsveranstaltungen. Gelegentlich treten orthodoxe linksextremistische Organisationen mit eigenen Kundgebungen oder Infoständen an die Öffentlichkeit. 390 Programm der DKP, 2006, S. 9 391 www.mlpd.de, Präambel der organisationspolitischen Grundsätze der MLPD " Partei/Grundsätze" (Stand: 14. September 2018) 189 3.9 Politisch motivierte Kriminalität "links" - Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund Die Anzahl der linksextremistischen Straftaten im Freistaat Sachsen hat sich im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr leicht erhöht; die Fallzahl stieg um etwa 6 % auf 628 Delikte an (2017: 592). Auch die Anzahl der Gewaltdelikte nahm im Berichtsjahr zu. Der Wert stieg um etwa 14 % auf 115 Delikte (2017: 101). Der Anteil der Gewalttaten am linksextremistischen Straftatenaufkommen betrug im Jahr 2018 etwa 18 % (2017: ca. 17 %). Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund 1500 977 1000 821 linksextremistische Straftaten insgesamt 628 578 592 darunter Gewalttaten 500 283 154 102 101 115 0 2014 2015 2016 2017 2018 Ein leichter Anstieg ist bei der Anzahl der Gewalttaten zu verzeichnen, die sich in konfrontativer Absicht gegen den politischen Gegner ("rechts") richteten. Die Fallzahl stieg um etwa 8 % auf 59 im Berichtsjahr (2017: 55). Auch wenn der Anteil dieser Delikte an der Gesamtzahl der linksextremistisch motivierten Gewalttaten im Berichtsjahr leicht auf 51 % zurückging (2017: ca. 54%), so ist mehr als die Hälfte der Gewaltstraftaten diesem Themenkomplex zuzuordnen. Dies verdeutlicht, dass der politische Gegner nach wie vor im Fokus der linksextremistischen Szene steht. 198 Anteil der gegen den politischen Gegner ("rechts") gerichteten Gewalttaten 250 207 200 150 100 79 62 59 55 50 0 2014 2015 2016 2017 2018 Die Entwicklung der Strafund Gewalttaten im Jahr 2018 differierte in den einzelnen Städten und Landkreisen. Wie schon in den Vorjahren wurden auch im Berichtsjahr die meisten der linksextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten in den Städten Leipzig und Dresden - den Zentren der autonomen Szene in Sachsen - verübt. Während in Leipzig die linksextremistischen Straftaten im Berichtsjahr mit 213 Delikten exakt auf dem hohen Niveau des Vorjahres lagen, war in Dresden und erstmals auch in Chemnitz eine deutliche Zunahme zu verzeichnen. In Dresden stiegen die Straftaten um etwa 21 % auf 144 (2017: 119), in Chemnitz war sogar fast eine Vervierfachung festzustellen (von 27 auf 104). Die signifikante Zunahme in Chemnitz lässt sich vor allem auf das öffentliche Demonstrationsgeschehen am 1. Mai und im August bzw. September zurückführen, in dessen Rahmen es zu einer Vielzahl politisch motivierter Straftaten kam.401 Damit wurden im Berichtsjahr in diesen drei Städten knapp drei Viertel aller linksextremistischen Straftaten begangen (2017: ca. 60 %). Mit deutlichem Abstand folgen die Landkreise Görlitz (32; 2017: 35), Leipzig (31; 2017: 30) und Meißen (19; 2017: 9) Das Gewalttatenaufkommen entwickelte sich in den Großstädten unterschiedlich. Während in Leipzig ein leichter Rückgang gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen ist (von 56 auf 47), bewegt sich die Anzahl der Gewalttaten in Dresden auf dem Niveau des Vorjahres (2018: 26; 2017: 28). In Chemnitz hingegen ist ein überaus deutlicher Anstieg der Gewalttaten (von 4 auf 25) festzustellen. Die meisten dieser Gewaltdelikte wurden im Rahmen von Protesten gegen den politischen Gegner verübt. Diese Entwicklung resultiert insbesondere aus der gestiegenen Präsenz des politischen Gegners in der Öffentlichkeit und dem damit verbundenen Demonstrationsgeschehen, an dem sich Linksextremisten regelmäßig beteiligten. In Leipzig, Dresden und Chemnitz wurden damit etwa 85 % (2017: ca. 87 %) aller Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund registriert 401 siehe dazu die Regionalbeiträge Leipzig, Dresden und außerhalb dieser Städte; Abschnitt II.3.3.1 bis 3.3.3 199 Straftaten, Aufteilung nach Regionen Leipzig linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 578 592 628 102 101 115 Leipzig (Stadt) 207 213 213 57 56 47 Dresden linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 578 592 628 102 101 115 Dresden (Stadt) 90 119 144 18 28 26 Region Westsachsen linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 578 592 628 102 101 115 Chemnitz (Stadt) 42 27 104 5 4 25 Vogtlandkreis 35 6 6 8 o 1 Landkreis Zwickau 13 33 12 1 1 2 Erzgebirgskreis 28 24 11 1 2 0 200 Region Mittelsachsen linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 578 592 628 102 101 115 Landkreis Mit24 40 14 2 2 0 telsachsen Landkreis Meißen 11 9 19 1 0 0 Landkreis Sächs. 9 7 11 0 0 1 SchweizOsterzgebirge Region Ostsachsen linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 578 592 628 102 101 115 Landkreis Bautzen 51 38 14 0 1 1 Landkreis Görlitz 27 35 32 2 1 4 Region Nordsachsen linksextremistische darunter Gewalttaten Straftaten 2016 2017 2018 2016 2017 2018 Freistaat Sachsen 578 592 628 102 101 115 Landkreis Leipzig 19 30 31 5 3 6 Landkreis Nord22 11 117 2 3 2 sachsen 201 3.10 Ausblick Das öffentliche Aktionsniveau sächsischer Linksextremisten stieg im Jahr 2018 leicht an. Dabei nahmen die klandestin verübten Strafund Gewalttaten im Vergleich zum Vorjahr signifikant zu. Dadurch haben sich die Aktionen nicht nur von der Öffentlichkeit in die Anonymität verlagert. Auch die Anwendung von Gewalt hat sich zunehmend in diese Richtung verschoben. Dabei hebt sich Leipzig als Schwerpunkt klar von den anderen Regionen ab. Deutlicher als zuvor hat sich im Berichtszeitraum ein klares Feindbild konturiert, dessen Kern der demokratische Rechtsstaat ist. Um ihn zu schädigen, stellen Brandanschläge und Sachbeschädigungen aus Sicht der Akteure taugliche Mittel dar. Es ist davon auszugehen, dass im Jahr 2019 neben der öffentlichen Verwaltung auch Unternehmen und Wirtschaftsverbände sowie die Polizei verstärkt im Fokus linksextremistischer Straftäter stehen werden. Leipzig wird dabei weiterhin der Brennpunkt klandestiner Aktionen sein. So wurde bereits am 1. Januar 2019 ein Anschlag auf den 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes in Leipzig verübt. Der Generalbundesanwalt leitete daraufhin ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (SS 129a Abs. 1 StGB) ein. Mit solchen Aktionen ist auch im Zusammenhang mit dem Prozess zum Verbot der Internetplattform "linksunten.indymedia.org" am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig zu rechnen. Darauf weist ein Positionspapier hin, in welchem aufgerufen wird, diesen Tag in einen "Tag des Widerstandes" zu verwandeln.402 Die Landtagswahl 2019 im Freistaat Sachsen ist das herausragende Thema für die linksextremistische Szene. Die Partei Alternative für Deutschland (AfD) ist dabei für die Linksextremisten der zentrale politische Gegner, so dass verstärkt mit entsprechenden Angriffen zu rechnen ist. Diese können sich gegen Einrichtungen der Partei, von ihr angemietete Objekte, ihre Wahlkampfstände und Wahlplakate sowie gegen den privaten Lebensbereich von AfD-Mitgliedern richten. Die Anschläge werden sich allerdings nicht nur auf die Großstädte Leipzig, Dresden und Chemnitz beschränken, sondern auch in kleineren Orten stattfinden, in denen die Partei Wahlkreisbüros betreibt. Der massive Anschlag vom 3. Januar 2019 auf das AfD-Parteibüro in Döbeln zeigt, welche Dimension die Angriffe erreichen können. AUTONOME Die AUTONOMEN konnten ihr Personenpotenzial 2018 leicht steigern und stellen mit ca. 425 Personen (2017: 415) unverändert die größte Gruppe innerhalb der linksextremistischen Bestrebungen im Freistaat Sachsen dar. Der Anstieg resultiert aus leichten Zuwächsen in der Region Chemnitz. In den Zentren der autonomen Szene in Leipzig und Dresden blieb das Personenpotenzial konstant. Im Berichtsjahr zeigten sich innerhalb der linksextremistischen Szene Leipzigs Differenzen, die sich in einer öffentlichen Debatte widerspiegelten. Diese Unstimmigkeiten betrafen Fragen der Strategie und Taktik bei öffentlichen Aktionen sowie die Rolle der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung. Aufgrund dieser szeneinternen Diskussion lassen sich derzeit zwei Lager identifizieren: 1. Lager mit konfrontativ-militanter Ausrichtung Die Anhänger dieser Variante sind der gewaltbereiten autonomen Szene zuzurechnen. Die Gewalt stellt für sie ein legitimes und zentrales Mittel für die Durchsetzung ihrer politischen Interessen dar. 2. Lager mit bündnispolitischer Orientierung Diesem Lager gehören hauptsächlich die postautonomen Gruppen an, die bereits seit 2016 in Bündnissen gemeinsam mit Nichtextremisten agieren und eine Mitarbeit in Bündnissen 402 de.indymedia.org, "#tag ((i)): Solidarität mit linksunten.indymedia.org" (Stand: 8. Januar 2019) 202 favorisieren. Diese Fraktion kritisierte die mangelnde Beteiligung AUTONOMER an öffentlichen Aktionen. Gewalt findet hier nur unter taktischen Gesichtspunkten Berücksichtigung. Diese Differenzen bestimmten die Lage im Jahr 2018 dahingehend, dass beide Fraktionen entsprechend ihren Positionen unabhängig voneinander agierten. Hieraus resultierte, dass die Beteiligung AUTONOMER an öffentlichen Aktionen zurückging und die Demonstrationen der Bündnisse ohne nennenswerte Zwischenfälle verliefen, die klandestinen Aktionen nicht nur signifikant gestiegen sind, sondern auch an Schärfe und Intensität zugenommen haben. Diese Lage wird sich voraussichtlich auch im Jahr 2019 fortsetzen und sich noch stärker manifestieren. Die Beteiligung AUTONOMER an Demonstrationen wird dabei weiterhin gering bleiben, zumal auch im kommenden Jahr in Leipzig keine öffentliche Präsenz des politischen Gegners zu erwarten ist. Dagegen werden sie weiterhin verstärkt mittels klandestiner Aktionen gegen den demokratischen Rechtsstaat agieren. Allerdings wird sich im Jahr 2019 auch die Stärke beider Lager zeigen, die darin besteht, mit ihren unterschiedlichen Aktionsformen und Mitteln kurzfristig auf Ereignisse zu reagieren. Das zeigte sich bereits im Dezember 2018. Als sich die politische Situation in der Region Afrin/Rojava änderte, reagierte die militante Szene mit einem Brandanschlag auf Fahrzeuge der Firma Krupp/Thyssen; das "Rojava-Soli-Bündnis" kündigte eine Demonstration an. Sollte das türkische Militär in diesen Regionen wieder aktiv werden, ist 2019 sowohl mit Anschlägen, als auch mit einer Reihe öffentlicher Aktionen zu rechnen. Die Bündnisstrategie Leipziger Linksextremisten, die im Berichtsjahr zu anlassbezogenen Kooperationen zwischen Linksextremisten und Nichtextremisten geführt hat, wird sich auch 2019 weiter fortsetzen. Themenund aktionsbezogene Bündnisse wie das "Ladenschlussbündnis", das von April bis August 2018 eine Reihe öffentlicher Aktionen bestimmte, haben sich für Linksextremisten als geeignete Plattform erwiesen, um Akzeptanz außerhalb ihrer eigenen Klientel zu erreichen. Da auch im Jahr 2019 nicht mit einer Entspannung der Lage in Afrin/Rojava zu rechnen sein dürfte, ist von einer konstanten Zusammenarbeit zwischen Linksextremisten und Nichtextremisten im "Rojava-Soli-Bündnis" auszugehen. Dadurch bietet sich dem Bündnis auch die Gelegenheit, seine führende Rolle im Themenfeld "Afrin/Rojava" weiterhin wahrzunehmen und auszubauen. Damit würde sich auch die Akzeptanz dieses Bündnisses innerhalb der Leipziger Szene weiter festigen. Perspektivisch muss damit gerechnet werden, dass die Grenzen zwischen Toleranz und Akzeptanz linksextremistischer Positionen in der Gesellschaft zunehmend verwischen. Darauf weist eine Solidaritätserklärung für den "Antifaschistischen Jugendkongress" in Chemnitz hin. Diese wurde von 30 Personen und Institutionen unterzeichnet, die vorrangig keinen Szenebezug haben.403 Indem die Unterzeichner befürworten, dass der Jugendkongress u. a. zur Bildung Jugendlicher beiträgt, tolerieren sie auch, dass linksextremistische Organisationen, wie die ROTE HILFE (RH), Jugendlichen ihre weltanschaulichen Positionen vermittelt. Da diese Veranstaltung auch 2019 fortgesetzt werden soll, ist auch künftig mit einer verstärkten Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen zu rechnen. Eine Entwicklung von der Toleranz zur Akzeptanz zeigt sich besonders anhand der linksextremistischen Themenfelder. Bildet der "Antifaschismus" den kleinsten gemeinsamen Nenner, der zu Allianzen zwischen Linksextremisten und Nichtextremisten führt, so sind im Themenfeld "Antirepression" linksextremistische Positionen viel deutlicher ausgeprägt, da das Handeln des Rechtsstaates nicht nur in Frage gestellt, sondern abgelehnt wird. Dieses Themenfeld rückte seit 2017/2018 zunehmend in den Fokus und führte zu einer anhaltenden Zusammenarbeit zwischen Linksextremisten und Nichtextremisten. Dabei wird deutlich, dass Linksextremisten den Versuch unternehmen, 403 https://timetoact.noblogs.org/solierklaerung/ (Stand: 17. Januar 2019) 203 diesem Themenfeld eine eigenständige gesamtgesellschaftliche Relevanz zu verleihen. Das wurde bereits 2017 mit dem "No IMK-Bündnis" und aktuell mit dem "Bündnis gegen das Polizeigesetz" deutlich. Dieses Bündnis - in das sowohl Linksextremisten als auch Nichtextremisten involviert sind - wird zumindest bis zur Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2019 weiterhin agieren. Inwieweit sich eine Allianz auf diesem Themenfeld dauerhaft fortsetzt, bleibt vorerst abzuwarten. Anlassbezogen muss allerdings jederzeit damit gerechnet werden. Trotz der internen Differenzen wird die Leipziger Szene in Sachsen nach wie vor dominant bleiben. Ihr gegenüber wird vor allem die Dresdner Szene weiter an Bedeutung verlieren. Sie ist allein kaum mehr in der Lage, eigenständig auf größere, aus ihrer Sicht relevante Ereignisse angemessen zu reagieren. Sie ist mittlerweile offenbar auch nicht mehr fähig, eine spürbare überregionale Mobilisierung zu erreichen. Die autonome Szene in Chemnitz ist zwar nach wie vor kleiner und weniger strukturiert, aber anlassbezogen vergleichsweise aktiv. Dennoch wird sie weiterhin in hohem Maße auf die Unterstützung durch Leipziger Linksextremisten angewiesen sein. Da für den 1. Juni 2019 Rechtsextremisten für den "Tag der deutschen Zukunft" in Chemnitz mobilisieren wollen, ist davon auszugehen, dass antirassistische und antifaschistische Gruppen aus Leipzig die Gegenproteste in Chemnitz organisieren und auch daran teilnehmen werden. Ebenso ist von überregionaler Mobilisierung und Anreisen auszugehen. Obwohl die Chemnitzer Szene vergleichsweise klein ist, fand 2018 bereits zum dritten Mal im AJZ der "Antifaschistische Jugendkongress" statt. Damit hat sich das AJZ als ein wichtiger überregionaler Treffpunkt etabliert. Diese Kontinuität wird sich auch 2019 fortsetzen, da das AJZ im Rahmen der Gegenproteste am 1. Juni 2019 eine wichtige logistische Funktion erfüllen dürfte. Insofern ist auch damit zu rechnen, dass das Objekt für die linksextremistische Szene an überregionaler Bedeutung gewinnen wird. ANARCHISTEN und sonstige linksextremistische Gruppierungen Die Anhängerschaft von Anarchisten und sonstigen linksextremistischen Gruppierungen, hat sich im Jahr 2018 vergrößert und lag im Berichtsjahr bei ca. 190 Personen (2017: 160). Die Mitgliederzahl anarchistischer Gruppierungen blieb mit etwa 45 Personen konstant. Aufgrund seines Bedeutungszuwachses konnte jedoch der ROTE HILFE E. V (RH) seine Mitgliederzahl mit ca. 450 Personen deutlich steigern. Dieser Trend wird sich voraussichtlich auch 2019 fortsetzen. Berücksichtigt man, dass sich das Themenfeld "Antirepression" als ein Schwerpunkt linksextremistischer Agitation und Aktionen weiter etabliert, so ist mit einem steigenden Einfluss und einer Akzeptanz dieser Organisation auch außerhalb linksextremistischer Klientel zu rechnen. Das Personenpotenzial linksextremistischer Parteien sank im Jahr 2018 auf ca. 170 Personen (2017: ca. 200). Im Vergleich zu anderen linksextremistischen Strömungen besitzen sie nur marginale Bedeutung. Ihre bisweilen eng am orthodoxen Marxismus orientierte Programmatik und straffe Parteidisziplin ist nicht geeignet, auf Akzeptanz in breiten Kreisen der Bevölkerung oder bei anderen Linksextremisten, wie z. B. den AUTONOMEN, zu stoßen. In Verbindung mit dem altersbedingten Rückgang führt dies zu einer deutlichen Reduzierung des Personenpotenzials in diesem Bereich. Eine Umkehr dieser Entwicklungstendenz ist nicht zu erwarten. Linksextremistische Musikszene Auch künftig werden einschlägige Interpreten und Organisationen bei Musikveranstaltungen - vor allem unter dem Deckmantel des Antifaschismus - sowohl öffentlich als auch in Szeneobjekten linksextremistische Inhalte verbreiten und sich so auch im nicht extremistischen Milieu nicht nur neue Personenpotenziale erschließen, sondern auch Anerkennung finden. 204 4. Islamismus # Personenpotenzial steigt auf ca. 430 Islamisten # Schwerpunkte salafistischer Strukturen sind in Leipzig und Plauen # keine weitere Expansion der MUSLIMBRUDERSCHAFT in Sachsen # Gefahr von Terroranschlägen bleibt hoch 205 4.1 Verfassungsfeindliche Zielsetzungen Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine Form des politischen Extremismus. Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Gebote und Normen als verbindliche politische Handlungsanweisung gedeutet werden. Alle Strömungen des Islamismus instrumentalisieren die Religion des Islam für ihre politischen Zielsetzungen. Die Begriffe "Islam" und "Islamismus" sind deutDer Islamismus strebt die teilweise oder volllich voneinander zu unterscheiden. Der Verfasständige Abschaffung der freiheitlichen demosungsschutz differenziert zwischen der politikratischen Grundordnung der Bundesrepublik schen Ideologie und der durch das Grundgesetz geschützten Ausübung der Religion des Islam. Deutschland an und will diese durch ein ausIslamisten sehen im Islam nicht nur eine Religischließlich auf Koran und Scharia404 basierenon, sondern auch ein rechtliches Rahmenprodes Gesellschaftssystem ersetzen. Nach den gramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche - Vorstellungen islamistischer Organisationen von der Staatsorganisation über die Bezieregelt der Islam alle Lebensbereiche einer Gehungen zwischen den Menschen bis ins Prisellschaft. Insofern entspringe auch alle staatlivatleben jedes Einzelnen. che Herrschaft nicht dem menschlichen Willen, sondern habe ihren Ursprung einzig in Gottes (Allahs) Willen. Aus dem Koran wird die Berechtigung und Verpflichtung gezogen, bestehende politische und soziale Systeme zu verändern. Mit ihrer Auslegung des Islams stehen Islamisten insbesondere im Widerspruch zu den Grundsätzen des Vorrangs des Grundgesetzes gegenüber religiösen Rechtssätzen, der Trennung von Staat und Religion, der freien Meinungsäußerung, der Volkssouveränität und des Gleichheitsgrundrechts. Der Islamismus stellt kein einheitliches Phänomen dar. Zur Errichtung der angestrebten "islamischen" Herrschaft werden unterschiedliche Strategien verfolgt: Dabei sind entweder Organisationen aktiv, # die terroristische Taten begehen # oder solche, die zwar Gewalttaten befürworten, jedoch aus unterschiedlichen Gründen selber keine Gewalt zur Erreichung ihres Ziels einsetzen, # und schließlich Organisationen, die sowohl Terror als auch Gewalteinsatz verurteilen. Eine besonders radikale Erscheinungsform des Islamismus stellt der Salafismus dar. Salafisten glorifizieren einen idealisierten Ur-Islam des 7./8. Jahrhunderts und versuchen dem Propheten Mohammed und den ersten drei Generationen der Muslime in ihrer Religionsausübung und Lebenspraxis nachzueifern. Die bloße Orientierung an den Gründergenerationen des Islam, die von vielen Muslimen gewürdigt werden, ist nicht extremistisch. Extremistisch wird diese Orientierung an der islamischen Urgesellschaft dann, wenn idealisierte Werte und Regeln der islamischen Frühzeit in ein ganzheitliches politisches Programm gegossen werden, das verbindlich durchgesetzt werden soll. Als legitime Rechtsquellen werden ausschließlich Koran, Sunna405 und die Auslegung der salaf406 akzeptiert. Der Salafismus lässt sich formal in eine politische und eine jihadistische Ausprägung aufschlüsseln. Politische Salafisten lehnen - zumindest in Deutschland - Gewalt als politisches Mittel ab 404 islamisches Rechtsund Wertesystem 405 Überlieferung von Aussagen und Handlungen des Propheten Mohammed, die normativen Charakter entfalten 406 Der Begriff Salafismus leitet sich vom arabischen al-salaf al-salih ("die frommen Vorfahren" oder "die rechtschaffenen Altvorderen") ab. Damit sind die ersten drei Generationen der Muslime in der islamischen Frühzeit gemeint. 206 und verbreiten ihre extremistische Ideologie meist auf dem Weg der politischen und gesellschaftlichen Einflussnahme. Jihadistische Salafisten dagegen propagieren und befürworten Gewalt zur Durchsetzung bzw. Erreichung politischer Ziele. Die Grenzen zwischen beiden Ausprägungen sind meist fließend. Zu den bedeutendsten salafistisch-jihadistischen Terrororganisationen zählen u. a. der sog. I SLAMISCHE STAAT und AL-QAIDA. Beide Organisationen haben auch lokal bzw. regional agierende Ableger. 4.2 Personenpotenzial Wie in den Vorjahren bewegt sich das islamistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen auf bundesweit vergleichsweise niedrigem Niveau. Gegenüber dem Vorjahr ergab sich allerdings eine Steigerung von rund 10 % auf ca. 430 Islamisten (2017: 390), wovon ca. 230 Personen dem salafistischen Milieu zugeordnet werden. Islamistisches Personenpotenzial im Freistaat Sachsen 500 430 390 400 350 300 300 230 Islamismus gesamt 210 200 190 190 darunter Salafismus 200 170 130 100 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Anmerkung: Das salafistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen wird erst seit dem Jahr 2014 gesondert erhoben, sodass für die Jahre zuvor diesbezüglich keine Werte vorliegen. 4.3 Salafistische Bestrebungen Seit einigen Jahren verzeichnen die Verfassungsschutzbehörden in der salafistischen Szene stetig steigende Anhängerzahlen. Wenngleich die Steigerung nicht mehr in gleichem Maße wie in den Vorjahren erfolgte, wird diese islamistische Bewegung nach wie vor als eine der dynamischsten in Deutschland bewertet. Das salafistische Personenpotenzial umfasste im Berichtsjahr ca. 230 Personen (2017: ca. 200). 407 Es ist im Vergleich zum Vorjahr um 15 % angewachsen. Damit entspricht die Entwicklung im Freistaat Sachsen dem auch bundesweit zu beobachtenden Trend. 407 siehe Abschnitt II.4.2 Personenpotenzial 207 Salafisten orientieren sich am Leben der ersten drei Generationen von Muslimen, welche auch als "Altvordere" (arab. as-salaf as-salih) bezeichnet werden und im 7. bis 9. Jahrhundert lebten. Nach Ansicht der Salafisten führten nur diese Generationen ein gottgefälliges Leben, da sie es ausschließlich nach dem Koran und dem Leben des Propheten Mohammed (Sunna) ausrichteten. Salafisten orientieren sich nicht nur inhaltlich an den Vorstellungen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit, sondern auch an der damaligen Werteordnung. Sie streben eine Rechtsordnung an, die ausschließlich auf Koran und Sunna basiert. Die Einführung einer solchen Ordnung wird auch für westliche Länder, in denen Muslime leben, angestrebt. Insofern liegt auch eine politische Bestimmtheit vor, die über eine reine Glaubensfreiheit hinausgeht. Aus der buchstabengetreuen Auslegung von Koran und Sunna leitet sich das zentrale salafistische Glaubensverständnis ab. Dessen Kern besteht in der Auffassung der Einheit und Einzigartigkeit Gottes sowie in der Überzeugung, dass Gott der einzige legitime Souverän und Gesetzgeber sei. Kernpunkte der salafistischen Ideologie sind insbesondere: die Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat, der absolute Geltungsanspruch der Scharia als allumfassende Lebensordnung, die Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau und Abgrenzungsmechanismen gegenüber anderen Religionen bzw. vermeintlich Ungläubigen # Ablehnung von Demokratie und Rechtsstaat Nach salafistischer Auslegung wird der Islam als allumfassender politischer Gegenentwurf zu einer demokratischen Gesellschaftsordnung begriffen und öffentlich propagiert. So ist die Grundlage der staatlichen Herrschaftsordnung nach salafistischer Auffassung nicht die Selbstbestimmung des Volkes, sondern der Wille Gottes. Demokratische Prozesse werden als Verletzung der Souveränität Gottes und deshalb als illegitim angesehen. In Anlehnung an die islamische Frühzeit wird die Schaffung einer vermeintlich idealen islamischen Gesellschaft, d. h. einer Theokratie, in welcher Staat und Religion eine Einheit bilden, angestrebt. Sämtliche religiöse Neuerungen oder gar eine Fortentwicklung der Religion im Sinne einer Anpassung an bestehende Verhältnisse werden dagegen strikt abgelehnt. Dementsprechend greifen Salafisten auf Regeln und Rechtsnormen zurück, die mit einem modernen demokratischen Rechtsstaat unvereinbar sind. # Absoluter Geltungsanspruch der salafistischen Rechtsordnung (Scharia) Als Basis ihrer religiös begründeten rechtlichen, sozialen und politischen Ordnungsund Herrschaftsvorstellungen ziehen Salafisten die Scharia als Ausdruck des göttlichen Willens heran. Nach ihrem Verständnis bezeichnet der Begriff "Scharia" zusammengefasst sämtliche von Koran und Prophetenüberlieferung (Sunna) abgeleiteten religiösen und weltlichen Rechtsvorschriften. Jeder Muslim hat nach salafistischem Verständnis die Normen der Scharia als gottgewollt zu befolgen. Andere politische und rechtliche Modelle werden entweder als zweitrangig verstanden oder grundsätzlich abgelehnt. # Ablehnung der Gleichberechtigung von Mann und Frau Artikel 3 Absatz 2 des Grundgesetzes: Die von Salafisten so verstandene gottgegeMänner und Frauen sind gleichberechtigt. Der bene Überordnung des Mannes im Verhältnis Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der zur Frau widerspricht dem in Artikel 3 Absatz 2 Gleichberechtigung von Frauen und Männern und des Grundgesetzes garantierten Grundsatz wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile der Gleichberechtigung. hin. Aufgrund physischer Unterschiede wird Frauen ein bestimmtes als traditionell und ehrenhaft gedeutetes Rollenbild zugewiesen, das sie auf ihre häuslichen Aufgaben beschränkt und ihre öffentliche Betätigung (wie z. B. ein politisches Engagement) ausschließt. Des Weiteren besitzt der Ehemann - nach salafistischer Auslegung des Korans - ein Züchtigungsrecht zur Erziehung und 208 Disziplinierung seiner Ehefrau. Derartige "Körperstrafen" verstoßen gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes. # Feindbilder Die salafistische Ideologie ist insbesondere durch zahlreiche Abgrenzungsmechanismen geprägt. Die Verbreitung von Bildern muslimischer wie nicht muslimischer Feinde soll zur Stärkung einer eindeutigen salafistischen Identität beitragen. Andersdenkende werden mit diffamierenden Begriffen wie Kuffar ("Ungläubige") bezeichnet. Dementsprechend sollen Muslime ausschließlich mit Muslimen verkehren und sämtliche Beziehungen zu "Ungläubigen" unterlassen. Salafismus und Radikalisierung Salafisten verstehen sich als Opfer in der nicht Eine große Gefahr besteht in dem radikalisierenmuslimischen Mehrheitsgesellschaft. Dazu den Einfluss salafistischer Propaganda auf Herwerden Szenarien von Bedrohungen und Ananwachsende. Diese befinden sich in einer Identigriffen gegen den Islam und die Muslime getätsfindungsphase und sind daher besonders anzeichnet, die weltpolitische Ereignisse, wie die fällig für salafistische Missionierungsund IndoktriKonflikte in Syrien, im Irak oder in Afghanistan, nierungsversuche der oftmals charismatischen aber auch eine vermeintliche Diskriminierung salafistischen Prediger. in westlichen Ländern, verarbeiten. Derartige Szenarien sind elementar für die Rekrutierung von Anhängern und haben Einfluss auf das Mobilisierungspotenzial. Die Menschen sollen auf verschiedene Weise vom so verstandenen richtigen Islam überzeugt werden bzw. zum Islam konvertieren. Das so verbreitete Gedankengut ist geeignet, den ideologischen Nährboden für eine islamistische Radikalisierung zu bilden und steht damit einer Integration entgegen. Die Sicherheitsbehörden unterscheiden grundsätzlich zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. Während beide Strömungen auf der gleichen ideologischen Grundlage beruhen, unterscheiden sie sich bei der Wahl der Mittel, mit denen sie ihre Ziele verwirklichen wollen. Vertreter des politischen Salafismus betonen den friedlichen Charakter des Islam und positionieren sich teilweise ausdrücklich gegen Terrorismus. Sie versuchen, ihre Ideologie mit dem Ziel, die Gesellschaft nach islamistischen Vorstellungen umzugestalten, durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten und neue Anhänger zu gewinnen. Neben der Verteilung von Broschüren des Korans im Rahmen der sogenannten Street-Dawa (Straßen-Missionierung) werden salafistische Moscheen sowie in immer stärkerem Maße soziale Netzwerke und Internetportale für Vortragsveranstaltungen und "Islamseminare" genutzt. Dennoch wird die Anwendung von Gewalt auch von Vertretern des politischen Salafismus in bestimmten Fällen für grundsätzlich zulässig erklärt. Von jihadistischem Salafismus sprechen die Sicherheitsbehörden dagegen, wenn die Anwendung terroristischer Gewalt von vornherein ideologisch legitimiert wird. Hieraus wird deutlich, dass beide Ausprägungen eine, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägte, immanente Gewaltorientierung besitzen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass der Übergang vom politischen Salafismus zum jihadistischen Salafismus fließend sein kann und sich beide Richtungen mitunter nicht klar voneinander abgrenzen lassen. Zur Lage in Sachsen Den Schwerpunkt salafistischer Strukturen bildet seit Jahren der Verein ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E. V. in Leipzig. Als weiterer Anlaufpunkt hat sich im Berichtsjahr die AL-MUHADJIRIN-MOSCHEE in Plauen entwickelt. 209 Leipzig Regelmäßig beläuft sich die Anzahl der Besucher zum Freitagsgebet in der AL-RAHMAN-MOSCHEE auf etwa 1.000 Personen, wobei die Mehrheit nicht dem salafistischen Spektrum angehört. Der Imam dieser Einrichtung, Hassan DABBAGH, ist ein überregional bekannter Multiplikator des politischen Salafismus in Deutschland. In seiner Funktion als Imam und Prediger verbreitet er die salafistische Ideologie u. a. in den Freitagspredigten und dem fast täglich stattfindenden Unterricht in den Moscheeräumlichkeiten. Auch Vortragsveranstaltungen und Seminare, bei denen DABBAGH im Jahr 2018 als Referent in salafistischen Moscheen u. a. in Berlin und München 408 auftrat, sowie Veröffentlichungen von Stellungnahmen und Vorträgen über soziale Netzwerke und auf verschiedenen Internetportalen wurden hierfür genutzt. An der Produktion und Veröffentlichung war maßgeblich der salafistische ASSUNNA-VERLAG BERLIN beteiligt. Trotz DABBAGHs Distanzierung von religiös motivierten Terrorakten sind seine Äußerungen geeignet, die Bildung von Parallelgesellschaften außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu fördern und mittelbar Hass und Gewalt zu schüren. So behauptete er u. a., dass deutsche Sicherheitsbehörden mit Terrorgruppen zusammenarbeiten würden, um Muslime nach Terroranschlägen diffamieren zu können.409 Zudem bestritt er, dass in der westlichen Welt Menschenrechte und Religionsfreiheit auch für Muslime gälten410 und verglich die gegenwärtige Situation der Muslime mit der Judenverfolgung während der NS-Herrschaft.411 Wie in den Vorjahren verbreitete DABBAGH seine verschwörungstheoretisch begründete Auffassung über die angeblich islamfeindlichen Medien, welche über Muslime ausschließlich abwertend berichten, dagegen andere Nationalitäten und Glaubensrichtungen positiv darstellen würden.412 Wiederholt warf er dem Westen vor, den Islam vernichten zu wollen.413 Zu den Feindbildern DABBAGHs zählen auch andere muslimische Glaubensrichtungen, wie z. B. die Ahmadiyya-Gemeinde und Schiiten, die er als "Ungläubige" bezeichnet. Weiteren Ausführungen ist zu entnehmen, dass er das Tragen eines Hidschab bereits im Grundschulalter als religiöse Pflicht ansieht. Eine Gesamtschau seiner Argumentationsmuster zeigt zahlreiche für die salafistische Ideologie typische Merkmale und eine ablehnende Haltung zur Demokratie. Bei DABBAGHs Zuhörern können auf diese Weise Ängste geschürt und Ressentiments verstärkt werden. So werden Integrationsbemühungen unterlaufen und einer Radikalisierung von Muslimen Vorschub geleistet. Im Jahr 2017 endete zudem ein seit Jahren andauernder Rechtstreit zwischen dem Verein ISLAMISCHE GEMEINDE IN SACHSEN - AL-RAHMAN-MOSCHEE E. V. und dem Freistaat Sachsen. Der Verein begehrte u. a. die Streichung der ihn und Imam DABBAGH betreffenden Ausführungen im Sächsischen Verfassungsschutzbericht 2014. Die Klage wurde vom Verwaltungsgericht (VG) Dresden mit Urteil vom 29. März 2017414 rechtskräftig abgewiesen und die Berichterstattung damit für rechtens erklärt. Das Gericht befand, DABBAGH selbst habe eingeräumt, vor einer Anpassung an die pluralistische demokratische Gesellschaft gewarnt zu haben. Er habe die Vielehe befürwortet und außerdem gemahnt, man dürfe von der salafistischen Lebensweise, insbesondere den Bekleidungsund Reisevorschriften, nicht abweichen. Auch sei die Feststellung, DABBAGH vertrete anhand näher bezeichneter Verschwörungstheorien die Auffassung, Muslime würden durch Medien, Politik, Polizei und Geheimdienste diskriminiert, nicht zu beanstanden. Der Verfassungsschutzbericht habe zu408 https://www.facebook.com/DerWegzumWissen (Stand: 12. Dezember 2018) 409 https://www.youtube.com/watch?v=emtxflcmaE, "Die "Amokfahrt" v. 09.04.18 in Münster, Eine Stellungnahme von Scheich Hassan Dabbagh" (Stand: 13. September 2018) 410 Freitagspredigt vom 12. Januar 2018 in der AL-RAHMAN-MOSCHEE Leipzig 411 https://www.youtube.com/watch?v=emtxflcmaE, "Die "Amokfahrt" v. 09.04.18 in Münster, Eine Stellungnahme von Scheich Hassan Dabbagh" (Stand: 13. September 2018) 412 https://www.youtube.com/watch?v=9lAmkrvC7kw, "Das schlechte Benehmen und seine Auswirkungen (Teil 20); Eine Unterrichtsreihe von Scheich Hassan Dabbagh" (Stand: 13. September 2018) 413 u. a. Freitagspredigt vom 5. Januar 2018 in der AL-RAHMAN-MOSCHEE Leipzig 414 Aktenzeichen 6 K 1370/15 210 treffend dargelegt, dass derartige Aussagen dazu beitragen könnten, Muslimen eine angebliche Opferrolle zuzuschreiben. Dies könne zu einer der deutschen Gesellschaft schadenden Radikalisierung von insbesondere jungen Muslimen führen. Auf seine Erwähnung im Sächsischen Verfassungsschutzbericht 2017 reagierte der Moscheeverein auf seiner Internetseite mit einem offenen Brief (Titel: "Weckruf"). Die sicherheitsbehördliche Analyse wurde darin als Generalangriff auf den Islam und die Muslime beschrieben. 415 Plauen Ein weiterer salafistischer Schwerpunkt ist die AL-MUHADJIRIN-MOSCHEE in Plauen (Vogtlandkreis). Träger der Moschee ist der Verein VOGTLÄNDISCH-ISLAMISCHES ZENTRUM AL-MUHADJIRIN, der im Jahr 2008 gegründet wurde. An den Freitagspredigten in der Moschee nehmen bis zu ca. 250 Personen teil. Jedenfalls seit Mitte 2017 wurde dort und auch im Rahmen von Lehrstunden die salafistische Ideologie verbreitet. Die Predigten, Lehreinheiten und Koranauslegungen wurden zusätzlich auf einem eigenen YouTube-Kanal416 veröffentlicht. In den genutzten Argumentationsmustern finden sich zahlreiche für die salafistische Ideologie typische Merkmale. Die Verlautbarungen sind von einer ablehnenden Haltung gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geprägt. So werden die Zuhörer aufgefordert, sich an die Scharia, dem von Allah offenbarten und somit als einzig legitim erachteten Gesetz, zu halten. Die Demokratie und eine säkulare Gesellschaft seien Gründe für den vermeintlichen Niedergang der islamischen Gemeinschaft (umma). Auch werden antisemitische Positionen vertreten. In einer Freitagspredigt wurden die Juden mit Verweis auf den Koran417 als diejenigen bezeichnet, die den Islam und die Muslime als Erzfeinde wahrnehmen.418 In einem Lehrvideo wurden sie weiterhin bezichtigt, die Gottesgesandten getötet zu haben und daher "das Schlimmste aller Völker" zu sein. Mittels weiterer religiös begründeter Aussagen, wie "Palästina gehört den Muslimen"419 oder die Forderung, dass der palästinensische Boden "wieder in den Bereich des Islam zurückkehren muss"420, wird schließlich auch das Existenzrecht Israels bestritten. Der "Westen" wird als Feindbild betrachtet, da er versuche, den Islam zu verändern und sogar zu bekämpfen.421 In einem Lehrvideo wird die Welt in "Länder des Islam", "Länder des Bundes" und "Länder des Krieges" bzw. des "Unglaubens" eingeteilt.422 Aus dem Kontext dieser Rede lässt sich ableiten, dass Deutschland den "Ländern des Unglaubens" zugerechnet wird. In der Moschee und auf den zugehörigen Internetpräsenzen werden überdies Aussagen verbreitet, die der Gleichstellung der Frau zuwiderlaufen, und eine salafistische Erziehung der Kinder befürworten. So wird in einer Predigt423 vor dem deutschen Sozialversicherungssystem gewarnt, da dieses die Selbstständigkeit der Frau fördere und dies wiederum die Ehescheidung seitens der Frau erleichtere. Weiterhin sei für muslimische Kinder das deutsche Schulsystem eine Gefahr, denn dies lehre 415 www.leipziger-moschee.de (Stand: 19. Oktober 2018) 416 Der erste Upload erfolgte am 23. Juni 2017. Mittlerweile wurden zahlreiche Einträge entfernt bzw. sind nicht mehr zugänglich. 417 Sure 5,82 418 Freitagspredigt vom 29. September 2017 419 www.youtube.com/watch?v=Z6jYNqLDQ44 und www.youtube.com/watch?v=QtmtlMf_RQQ, Lehrvideo vom 12. Dezember 2017 420 www.youtube.com/watch?v=cccRmEfCb_I, Lehrvideo vom 20. Juli 2017 421 www.youtube.com/watch?v=7f_0ga-t0Uc, Lehrvideo mit dem Titel "Warum zielt der Westen auf den Islam wie auf keinen anderen?" vom 28. Juli 2017 (Stand: 28. Juni 2018) 422 Lehrvideo vom 25. Juni 2018 423 Freitagspredigt vom 29. Juni 2018 211 u. a. die Selbstbestimmung und eine freie Partnerwahl. Kinder sollten jedoch im Geist der Sunna und des Korans erzogen werden. Der westliche Lebensstil wird nachdrücklich abgelehnt: "Wenn wir nicht aufpassen, dann erleben wir den Tag, an dem die Kinder das europäische Modell übernehmen und den Islam damit gefährden."424 Vereinzelt wird zudem ein Islamverständnis vertreten, das den militanten Jihad als Glaubenspflicht bzw. als notwendiges islamisches "Engagement" darstellt und somit eine Gewaltanwendung unter bestimmten Bedingungen legitimiert. So wird unter dem Titel "Kommentar zur Entscheidung - Anerkennung - Jerusalem als Hauptstadt"425 folgende Prophetenüberlieferung (hadith) zitiert: "Wenn ihr ein unerlaubtes Zinsgeschäft macht, die Schwänze vom Ochsen haltet, euch mit der Landwirtschaft begnügt, den Jihad aufgebt, wird Allah Demütigungen über euch herrschen lassen und sie nicht zurücknehmen bis ihr zu eurem Engagement zum Islam zurückkehrt". Auch in der Freitagspredigt "Faktoren des Sieges und Gründe der Niederlage" vom 16. März 2018 wird erwähnt, dass der Kampf nur erfolgreich sein kann, wenn Allahs Wort entschlossen gefolgt wird. Denn eine Ursache für die bisherige Schwäche der Muslime sei die Abkehr von den Glaubenspflichten. Folge man diesen dagegen bzw. kehre man zu diesen zurück, werde der Islam wieder siegreich sein. 426 Auf der offiziellen Facebook-Seite der Moschee427 befanden sich Aussagen bzw. Posts428, welche die salafistische Grundausrichtung unterstreichen: "Zwei Sachen machen traurig, ein Mann der erst zu seiner Beerdigung in die Moschee kommt und eine Frau, die erst im Leichentuch verschleiert ist.". 4.4 MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB) Die MUSLIMBRUDERSCHAFT, gegründet 1928 in Ägypten von Hassan al-BANNA, gilt als weltweit älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Von den Verfassungsschutzbehörden wird sie als extremistisch eingestuft. Ziel der MB ist die Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung. Für die MB ist eine Trennung von Religion und Staat nicht denkbar. Die Ablehnung eines säkularen Staats wird auch durch ihren Leitspruch klar zum Ausdruck gebracht: "Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser Wunsch." Wachsende Spannungen zwischen dem ägyptischen Regime und der MB, insbesondere aufgrund ihres Machtstrebens und eines Umsturzversuchs, führten seit Ende der 1940er Jahre zu einem jahrzehntelangen Verfolgungsdruck in Ägypten, sodass viele ihrer Anhänger ins Exil flüchteten. Dies hatte zur Folge, dass sich die Ideologie durch zahlreiche Tochterorganisationen in anderen arabischen Staaten, aber auch in der westlichen Welt verbreitete. Darüber hinaus sind aus der MB zahlreiche islamistische und islamistisch-terroristische Organisationen hervorgegangen. Beispielhaft sei hier die palästinensische HAMAS erwähnt, die das Existenzrecht des Staates Israel ablehnt und diesen aktiv bekämpft. Seit den 1970er Jahren formuliert die MB den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele. Davon ausgenommen sei jedoch der Widerstand gegen sogenannte "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. In Ägypten wurde nach der Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär unter Präsident al-Sisi im Juli 2013 die MUSLIMBRUDERSCHAFT verboten und als Terrororganisation eingestuft. Wegen der Teilnahme 424 www.youtube.com/watch?v=BN96PJvT_Dk und www.youtube.com/watch?v=6OpKZFumY3Q, Lehrvideo vom 21. Juli 2017; Titel "Fragen und Antworten zur Erziehung der Kinder in Europa" 425 www.youtube.com/watch?v=HVsFkG_d4OY vom 7. Dezember 2017 (Stand: 28. Juni 2018) 426 www.youtube.com/watch?v=zu338BIwgy8, Freitagspredigt vom 16. März 2018, Plauen 427 https://www.facebook.com/Almohajirenmoschee/, Die Internetseite ist nicht mehr abrufbar. 428 ebd. (Stand: 22. Februar 2018) 212 an einem Protestcamp im August 2013 zur Unterstützung des gestürzten Präsidenten Mursi wurden zuletzt im September 2018 in einem Massenprozess 75 Mitglieder der Organisation zum Tode verurteilt. In Deutschland tritt die MB nicht offen in Erscheinung, wird jedoch von Institutionen wie der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) als Teil einer weltweiten "islamischen Bewegung" angesehen. Mittels eines gewaltfreien Ansatzes versuchen sie Akzeptanz in der Gesellschaft zu erhalten. Nach außen verhalten sie sich offen, tolerant und dialogbereit und streben eine Zusammenarbeit mit politischen Institutionen und Entscheidungsträgern an, um so Einfluss im öffentlichen Leben zu gewinnen. ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E.V. (IGD) bzw. DEUTSCHE ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT 429 E.V. (DMG) Eine einflussreiche sunnitische OrgaIGD bzw. DMG nisation arabischer Islamisten ist die ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN Ziel der IGD ist es, sich in Deutschland als anerkannter Ansprechpartner für Muslime DEUTSCHLAND E. V. (IGD) mit ihrem und für Islamfragen zu etablieren. Sie verHauptsitz in Köln. Gleichzeitig ist sie die zentrale folgt dabei zwar eine gewaltfreie, aber an und wichtigste Organisation von Anhängern der MB der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie in Deutschland und gilt als deren inoffizielle der Einflussnahme im politischen und geDeutschlandvertretung. Die IGD ist Mitglied im sellschaftlichen Bereich, um in Deutschland Zentralrat der Muslime in Deutschland e.V. (ZMD), mittelbis langfristig auch eine ideologisch der sich selbst als "unabhängiger" Dachverband führende und im Sinne islamistischer Zielbezeichnet und somit auch die Interessen der IGD vorstellungen relevante Einflussgröße zu vertritt. Die IGD wird von den Verfassungsschutzwerden. behörden ebenfalls als extremistisch eingestuft. Nach eigenen Angaben koordiniert sie ihre Aktivitäten in mehr als 50 Moscheegemeinden. Bekenntnisse zur MUSLIMBRUDERSCHAFT und verfassungsfeindliche Äußerungen werden bei öffentlichen Auftritten aus taktischen Gründen vermieden. Dieses Vorgehen ist kennzeichnend für die Doppelstrategie der MB, da sie einerseits die organisatorische und ideologische Beeinflussung sowie Unterwanderung der betroffenen islamischen Gemeinde umfasst, andererseits jedoch offen erkennbare Bezugnahmen auf die eigene Organisation bewusst vermeidet. Die Einbeziehung hochrangiger Akteure aus dem Umfeld der MB in organisatorische Belange bei der Etablierung neuer Gebetsräume bzw. deren Auftritte als Gastimame stellen konkrete Anhaltspunkte für Einflussnahmeaktivitäten dar. Im Herbst 2018 hat sich die ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E. V. (IGD) in DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V. (DMG) umbenannt. Situation im Freistaat Sachsen SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE (SBS) / MARWA ELSHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUM DRESDEN E. V. (MKBD) Im Frühjahr 2016 wurde im Freistaat Sachsen die SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE gUG430 (SBS) gegründet. Sie wird aufgrund vorliegender Erkenntnisse als extremistische Bestrebung den Gruppierungen MB und IGD/DMG zugeordnet. Vorstand und alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer der SBS mit ihrem Hauptsitz in Dresden und damit deren maßgeblicher Entscheidungsträger ist Dr. Saad ELGAZAR 431; er 429 Die Umbenennung wurde auf der Facebook-Seite der DMG offiziell in einer Presseerklärung bestätigt. 430 Sächsische Begegnungsstätte gemeinnützige Unternehmergesellschaft (SBSgUG) 213 ist zudem Vorsitzender des MARWA ELSHERBINY KULTURUND BILDUNGSZENTRUMS DRESDEN E. V. (MKBD). Beide Einrichtungen haben dieselbe Geschäftsadresse. Im Vorfeld der Eröffnung des Objektes des SBS in Pirna am 19. August 2016 besuchte auch Khaled HANAFY - auf eine entsprechende Einladung hin - die Einrichtung432. HANAFY ist nicht nur als Berater für die IGD tätig, sondern übt darüber hinaus verschiedene leitende Funktionen in Organisationen aus, die der MB bzw. der IGD zugeordnet werden, so z. B. im RAT DER IMAME UND GELEHRTEN IN DEUTSCHLAND E. V. (RIGD) und dem EUROPÄISCHEN INSTITUT FÜR HUMANWISSENSCHAFTEN. Eine weitere Verbindung war zudem einem Werbeflyer für eine SBS-Veranstaltung am 18. und 19. November 2016 zu entnehmen; er enthielt auch die Logos der IGD und des RIGD. Über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg veröffentlichte ELGAZAR im Internet in öffentlich zugänglichen sozialen Netzwerken vielfältige Beiträge, in denen er ein eindeutiges Bekenntnis zur MB abgab, ihre Aktivitäten begrüßte und darüber hinaus auch eine antisemitische Weltanschauung erkennen ließ. Eigenen Angaben zufolge versteht sich die SBS als "multikulturelle und religionsübergreifende Einrichtung". "Wir wollen eine Verbindung zwischen der alteingesessenen Bevölkerung und den Migranten auf lokaler und regionaler Ebene herstellen".433 Muslimischen Einwanderern solle u. a. die Integration erleichtert werden. Dazu gehören zwei Ansatzpunkte: # der Erwerb und Betrieb von Immobilien und # die Nutzung als "Begegnungsstätte". Durch die Schaffung von vermeintlich seriösen Angeboten für Muslime versucht die SBS insbesondere im ländlichen Raum im extremistischen Sinne Einfluss auf die islamische Gemeinschaft zu erlangen und die mit der Doppelstrategie der MB und IGD verbundenen Ziele (s. o.) umzusetzen. Neben ihrem Hauptsitz in Dresden verfügt die SBS in Sachsen nach eigenen Angaben über Objekte in Leipzig, Riesa, Meißen, Pirna, Zittau und Görlitz sowie über Einrichtungen in Brandenburg und Baden-Württemberg, die angemietet, gepachtet oder käuflich erworben wurden. Größere Veranstaltungen, wie das sogenannte Kinderund Jugendferiencamp im SBS-Objekt in Pirna im Jahr 2017, konnten im Berichtsjahr nicht verzeichnet werden. Die ideologische Nähe zur MUSLIMBRUDERSCHAFT wurde durch zahlreiche Facebook-Beiträge ihres Geschäftsführers ELGAZAR belegt, in denen Beiträge von MB-Größen verbreitet und das Existenzrecht Israels negiert wurden.434 Obwohl diese Beiträge aufgrund diverser Pressemeldungen über die Aktivitäten der MB in Sachsen zu Beginn des Jahres 2017 entfernt worden waren bzw. nicht mehr zugänglich sind, konnten auch im Jahr 2018 Verbindungen zur MUSLIMBRUDERSCHAFT bzw. zur IGD/DMG festgestellt werden. Eine weitere Expansion der SBS im Freistaat Sachsen konnte im Berichtsjahr nicht verzeichnet werden. Auch wenn ihre Aktivitäten insgesamt rückläufig waren, wird die ideologische Ausrichtung der SBS an der MB bzw. IGD/DMG aufgrund des Alleinbestimmungsanspruchs ELGAZARs zumindest in den verbleibenden Standorten erhalten bleiben. 431 www.sbs-net.de; Handelsregister Dresden (HRB 35471) 432 Werbung auf Facebook-Profil von Dr. Saad ELGAZAR zur Moschee-Eröffnung in Pirna; Sächsische Zeitung vom 26. Mai 2017 433 Homepage SBS - www.sbs-net.de (Stand: 1. Dezember 2018) 434 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2017, S. 250-252 214 4.5 Islamistischer Terrorismus Die Terrororganisation ISLAMISCHER STAAT (IS) stellte im Jahr 2018 weiterhin die größte jihadistische Gefahr dar. Allgemeine Lage Auch im Jahr 2018 hat der IS in Syrien und Irak weiter an Territorium verloren und beherrscht aktuell nur noch vereinzelte Ortschaften im ostsyrischen Euphrattal bzw. in der östlichen syrischen Wüste. Er hat seine Pseudo-Staatlichkeit verloren und ist damit militärisch, administrativ und finanziell weit von seinem Zustand im Jahr 2015 entfernt. Der militärische Druck auf den IS hat 2018 jedoch etwas abgenommen. So endete z. B. mit der Eroberung der in Nordwestsyrien gelegenen Stadt Afrin die türkische Militäroffensive "Olivenzweig", die Anfang Januar 2018 begonnen hatte. Diese Offensive führte auf kurdischer Seite zum Truppenabzug von SDF-Kräften (Syrian Democratic Forces), die gegen den IS eingesetzt worden waren. Zudem hatte die Rückeroberung des gesamten mittleren Euphrattals vom IS im Jahr 2018 für das syrische Assad-Regime geringere Priorität, was zu einer weiteren Abnahme des militärischen Drucks auch an dieser Front führte. Der IS nutzte diese Entwicklungen, um sich zu regenerieren, die verbliebenen Kämpfer neu aufzustellen und vor allem die Rückkehr zu seinen "Wurzeln", d. h. asymmetrische Guerilla-Taktiken und Terroranschläge, weiter voranzutreiben und effektiver zu gestalten. Zusätzlich profitierte der IS auf der irakischen Seite von dem begrenzten Einfluss und der schwachen Staatlichkeit der irakischen Zentralregierung, vor allem in den sunnitisch dominierten Provinzen wie Ninawa, welche direkt an noch vom IS beherrschte Gebiete in Syrien angrenzt. Dass der IS auch aus diesen Gründen gerade in Syrien und Irak weiterhin koordiniert zuschlagen kann, zeigt z. B. der mit Schusswaffen und Suizidbombern ausgeführte Angriff auf die in Südwestsyrien gelegene Stadt Al-Suweida Ende Juli 2018. Hier wurden ca. 260 Menschen getötet. Ausreisen aus Deutschland ins Kriegsgebiet Eng verbunden mit der Entwicklung der Lage im Irak und in Syrien ist die Entwicklung der Ausreisezahlen in diese Regionen. Seit dem Beginn der Erfassung im Juni 2013 bis zum Dezember 2018 wurden 1.050 Fälle bekannt, in denen deutsche Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland in die Region gereist sind. Im Vergleich zu den Vorjahren sind die Ausreisefälle merklich zurückgegangen. So lag der Wert im Januar 2018 bei 970 bekannten Ausreisesachverhalten, d. h. im Laufe des Jahres 2018 sind 80 neue Fälle nachträglich bekannt geworden. Zu etwa der Hälfte der ausgereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS und der AL-QAIDA bzw. diesen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Organisationen an Kampfhandlungen teilnehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden vorliegen. Derzeit werden Ausreisen nur noch vereinzelt nachträglich bekannt. Neue Ausreisen in die Kampfgebiete sind aktuell nicht bekannt und auch nur noch in Einzelfällen zu erwarten. 215 Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Diagramm "Reisebewegungen von Jihadisten Syrien/Irak", (Stand: September 2018) Mehr als ein Fünftel der ausgereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Zu ca. 200 Personen liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu über 110 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger rechtskräftiger Verurteilungen von aus Syrien/Irak zurückgekehrten Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Im Zusammenhang mit den fortschreitenden Gebietsverlusten des IS liegen Erkenntnisse zu Personen vor, die derzeit aus Syrien/Irak ausreisen möchten und/oder sich gegenwärtig in Syrien/Irak in Haft befinden. Bei einem Großteil dieser Personen dürfte sich eine verstärkte Rückreisetendenz abzeichnen. In Sachsen sind bis zu zwei Ausreisefälle bekannt. Eine weitere Person ist bereits nach Deutschland zurückgekehrt. Das Strafverfahren gegen diese Person wurde mit Beschluss des Landgerichtes Dresden vom 2. August 2017 eingestellt. Insbesondere der Ausreisefall der aus Pulsnitz (Landkreis Bautzen) stammenden Linda W. sowie deren Aufgriff und Festnahme im Irak wurden medial thematisiert. Linda W. wurde Anfang Juli 2016 zunächst von der Mutter als vermisst gemeldet. Die damals 15-Jährige befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg nach Istanbul, um von dort in das vom IS kontrollierte Gebiet nach Syrien/in den Irak weiterzureisen. Medienberichten zufolge war Linda W. nach islamischem Recht mit einem tschetschenischen ISKämpfer verheiratet, der kurz nach ihrer Ankunft bei Kampfhandlungen ums Leben kam. Im Juli 2017 wurde die Minderjährige durch irakische Spezialkräfte in Mossul (Irak) aufgegriffen und verhaftet. Sie wurde anschließend nach Bagdad (Irak) überstellt. Im Februar 2018 wurde sie von der irakischen Justiz zu sechs Jahren Haft verurteilt. 216 Zum Hintergrund der Reiseabsichten wurde bekannt, dass im Vorfeld der Reise eine Wesensveränderung des Mädchens wahrgenommen worden war. Linda W. konvertierte zum Islam, trug Kopftuch und lange Kleidung, begann die arabische Sprache zu lernen und zog sich aus ihrem bisherigen persönlichen Umfeld zurück. Ein radikalisierungsfördernder Faktor war der Konsum islamistischer Onlinepropaganda. Linda W. wurde über salafistische Internetseiten und durch ihren Kontakt mit Salafisten über soziale Netzwerke animiert, sich in das "Kalifat" des IS zu begeben. Der Generalbundesanwalt führt ein Ermittlungsverfahren gegen sie u. a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (gemäß SSSS 129a Abs. 1, 129b Abs. 1 Satz 1 StGB). Anschläge Trotz der territorialen und militärischen Verluste des IS in Syrien und im Irak besteht in Europa und Deutschland noch immer eine hohe abstrakte Gefährdungslage. Vor allem jihadistisch motivierte Einzeltäter mit leicht zu beschaffenden Tatwaffen waren im Berichtsjahr für Gewalttaten verantwortlich. Der motivierende Impuls ging u. a. von jihadistischer Propaganda im Internet bzw. in sozialen Netzwerken sowie Messengerdiensten aus. Hier fanden sich neben religiös-ideologischen Rechtfertigungen für jihadistische Gewalttaten gegen "Ungläubige" auch Aufrufe und Anleitungen, um mit einfachsten Mitteln Anschläge zu verüben bzw. zu Nachahmungstaten anzuregen. Propagiert wurden z. B. Angriffe mit Feuer-, Stichund Hiebwaffen und Fahrzeugen, aber auch Geiselnahmen. Mehrere Terroranschläge fanden im Jahr 2018 vor dem Hintergrund der islamistischen Ideologie statt. Am 23. März tötete eine jihadistisch motivierte Person im französischen Trebes drei Zivilisten sowie einen Polizisten, welcher sich als Austausch für eine Geisel angeboten hatte. Am 12. Mai wurde in Paris ein Mann durch einen islamistischen Attentäter mit einem Messer getötet. Ende Mai erschlug ein Freigänger in der belgischen Stadt Lüttich zuerst einen ehemaligen Mithäftling. Am folgenden Tag stach der belgischen Staatsanwaltschaft zufolge mit einem Messer auf zwei Polizistinnen ein, erschoss sie sowie auch einen Studenten und nahm an einer Schule eine Frau als Geisel. Er wurde von der Polizei erschossen. Nach Justizangaben war der Freigänger im Jahr 2012 im Gefängnis zum Islam konvertiert und soll in den beiden Jahren vor der Tat Kontakte in die islamistische Szene gepflegt haben. Der IS reklamierte den Anschlag für sich. Der Täter sei ein "Soldat des Islamischen Staates" gewesen. Beweise hierfür gibt es bislang noch nicht. Am 31. August wurden am Amsterdamer Hauptbahnhof zwei US-Touristen durch einen Messerangriff schwer verletzt. Der aus Afghanistan stammende Angreifer wurde von Polizisten niedergeschossen. Zu weiteren Attacken kam es u. a. auch in Kanada (22. Juli, zwei tote Zivilisten) und Australien (9. November, ein Opfer). Für Erschütterung sorgte auch der Anschlag in der Nähe des Weihnachtsmarktes in Straßburg (Frankreich) am 11. Dezember. Durch eine Schusswaffe wurden fünf Personen getötet und vier weitere schwer verletzt. Ausgeführt wurde die Tat durch den in Frankreich geborenen 29-jährigen Cherif C., welcher nordafrikanische Wurzeln hat. Er wurde zwei Tage später während seiner Festnahme in Straßburg erschossen. Laut Medienberichten soll er sich in der Haft islamistisch radikalisiert haben. Der IS reklamierte den Anschlag im Nachgang für sich. In Deutschland erregte die Festnahme von Sief Allah H. am 12. Juni in Chorweiler/Köln für Aufsehen. Hierdurch konnte offenbar ein Anschlag mit toxischen Substanzen verhindert werden. Der geborene Tunesier wird verdächtigt, vorsätzlich biologische Waffen hergestellt sowie eine schwere staatsgefährdende Gewalttat nach SS 89a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 StGB vorbereitet zu haben. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, sich ab Mitte Mai 2018 Gerätschaften und Substanzen beschafft zu haben, um hochtoxisches Rizin herzustellen. 217 Dem Haftbefehl vorausgegangen war die vorläufige Festnahme des Sief Allah H. und seiner zum Islam konvertierten Ehefrau am 12. Juni 2018 in ihrer Wohnung in Chorweiler/Köln. Im Anschluss wurden verschiedene Utensilien beschlagnahmt, die zur Herstellung eines Sprengsatzes geeignet gewesen wären. Zudem wurden 84 Milligramm hochgiftiges Rizin aufgefunden, das der Beschuldigte bereits hergestellt hatte. Bislang liegen keine Anhaltspunkte für die Planung eines konkreten Anschlags oder der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Es ist bekannt, dass der IS bereits in der Vergangenheit mit Rizin experimentiert hat. So wurden im Jahr 2016 in drei Fällen Rizin im Irak und in einem Fall an der Grenze zwischen Irak und Syrien gefunden. Der IS sowie Unterstützer und Sympathisanten haben detaillierte Anleitungen zur Herstellung von Rizin im Internet publiziert. Die Festnahme von Sief Allah H. macht deutlich, dass in Deutschland weiterhin eine unverändert hohe abstrakte Gefährdungslage besteht. Im Gegensatz zum IS verfügt die Terrororganisation AL-QAIDA nicht über die logistische Stärke, um medienwirksame Anschläge in Europa durchzuführen bzw. für sich zu reklamieren zu können. Auch in Sachsen ist es den Sicherheitsbehörden im Jahr 2018 gelungen, frühzeitig und zielgerichtet gegen jihadistische Organisationen vorzugehen. Im Juli kam es zu Durchsuchungen in Plauen und Dresden. In Plauen richteten sie sich gegen einen 22-jährigen Syrer, der sich selbst als "Medienbeauftragter des IS" bezeichnete. Die vorausgegangenen Ermittlungen hatten ergeben, dass diese Person umfangreiche Propaganda in Form von Audiodateien, Schriften, eigenen Kommentaren und Äußerungen für den IS verbreitet und diese u. a. in von ihm selbst administrierten WhatsApp-Gruppen geteilt hatte. Aufgrund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse wurde am 16. Juli ein Haftbefehl beim Generalbundesanwalt (GBA) erwirkt und die Unterbringung in Untersuchungshaft angeordnet. Zeitgleich erfolgte eine polizeiliche Durchsuchung bei einer 36-jährigen Syrerin in Dresden. Ihr wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung (IS) im Ausland zu unterstützen, Propagandatätigkeiten für diese Terrororganisation zu verbreiten sowie Mitglieder werben zu wollen. Auch diese Person wurde nachträglich in Untersuchungshaft genommen. Dass der Krieg in Syrien und die Mitgliedschaft in dortigen jihadistischen Kampfgruppen bzw. Terrororganisationen auch Auswirkungen auf Sachsen hat, zeigt u. a. die Verurteilung eines Syrers zu einer Freiheitsstrafe durch das Oberlandesgericht Dresden am 5. Dezember. Wie in den Jahren zuvor, erhielt das LfV Sachsen auch im Berichtsjahr eine Vielzahl von Hinweisen mit Bezug zum gewaltbereiten Islamismus. Die Bearbeitung jeglicher Hinweise erfolgt im engen Austausch mit dem Landeskriminalamt (LKA) Sachsen, anderen betroffenen Sicherheitsbehörden bzw. im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) 435 sowie mit europäischen und internationalen Partnern. 4.6 Sonstige islamistische Bestrebungen TÜRKISCHE HIZBULLAH (TH) Die sunnitische, kurdisch dominierte TÜRKISCHE HIZBULLAH (TH) wurde 1979 in Batman (Türkei) gegründet. Ihr Hauptziel besteht darin, im Anschluss an eine Abschaffung des laizistischen Staatssystems436 in der Türkei einen islamistischen Gottesstaat zu errichten und diesen kontinuierlich global auszuweiten. Die TH sieht die Uneinigkeit der islamischen Welt und die Herrschaft nicht islamischer Regime als Ursache aller 435 siehe Glossar 436 Wichtigstes Merkmal eines laizistischen Staatssystems bildet die strenge Trennung zwischen Religion und Staat. 218 Probleme an. Sie erklären interne Abweichler, die ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) und die Republik Türkei zu ihren Feinden. Dazu zählen sie auch die "westliche Welt", insbesondere die USA und den Staat Israel. Die ideologischen Leitlinien, insbesondere antisemitische und antidemokratische Äußerungen, finden regelmäßig Eingang in Magazine, die der TH nahestehen oder dieser zuzurechnen sind. Die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele hält die TH für ein legitimes Mittel. Deutschland wird von der Organisation als Rückzugsgebiet zur Gewinnung neuer Mitglieder, für Spendensammlungen sowie zur Veranstaltung religiöser und kultureller Treffen genutzt. Die TH zählt in Deutschland aktuell ca. 400 Mitglieder. Bedeutende TH-nahe Moscheen in Deutschland gibt es in Wiesbaden, Hamburg und Leipzig. 4.7 Ausblick Das islamistische Personenpotenzial im Freistaat Sachsen ist wie im Vorjahr leicht gestiegen, aber liegt im Bundesvergleich nach wie vor auf niedrigem Niveau. Salafismus Bundesweit setzt sich innerhalb der islamistischen Szene der Trend zu salafistischen Strömungen fort. Die Anhänger dieser Ideologie sind die einzige islamistische Gruppe mit signifikant steigendem Personenpotenzial (2017: 10.700; 2016: 9.200). Die Entwicklung der Anhängerzahlen in Sachsen entspricht diesem Trend. Hier werden aktuell 230 Personen dem Salafismus (2017: 200) zugerechnet. Dieser Trend dürfte sich im Jahr 2019 fortsetzen. MUSLIMBRUDERSCHAFT Eine weitere Expansion der SÄCHSISCHEN BEGEGNUNGSSTÄTTE (SBS) im Freistaat Sachsen konnte 2018 nicht verzeichnet werden. Auch in den bestehenden Objekten haben sich die Aktivitäten rückläufig entwickelt. Zu diesem positiven Ergebnis haben auch die Aufklärungsarbeit des LfV Sachsen und die damit einhergehende öffentliche Berichterstattung beigetragen. Gleichwohl bleibt festzuhalten, dass es dem maßgeblichen Entscheidungsträger, Dr. Saad ELGAZAR, bisher gelungen ist, in Sachsen eine Vielzahl von MB-nahen Strukturen aufzubauen. Im Hinblick auf den möglichen Ausbau der Strukturen und der Verstetigung der Aktivitäten ist auch von der Möglichkeit auszugehen, dass die betreffenden Personen künftig unter anderen Strukturbezeichnungen handeln könnten. Für diese Annahme spricht der Umstand, dass die MB versucht, ihre Ziele gerade nicht offen umzusetzen. Islamistischer Terrorismus Auch im Jahr 2019 wird der ISLAMISCHE STAAT (IS) in Syrien und im Irak hauptsächlich als klandestin im Untergrund operierender Akteur agieren. Aufgrund des Verlustes finanzieller und personeller Mittel sowie des nach wie vor bestehenden Verfolgungsdrucks dürfte es für den IS weiterhin schwierig sein, gut koordinierte und geplante Operationen aus Syrien heraus in Europa zu steuern. Dies ist ein Grund, warum der IS seine Unterstützer und Sympathisanten bereits in der Vergangenheit wiederholt dazu anhielt, Terroranschläge in den jeweiligen Aufenthaltsländern durchzuführen. So wurde im Mai 2016, kurz vor Beginn des Fastenmonats Ramadan, ein Video von dem im August 2016 getöteten IS-Sprecher Abu Mohammad AL-ADNANI über Twitter verbreitet, in dem er zu Terroranschlägen aufrief und sinngemäß erklärte, dass auch jede "kleinste Aktion" das Herz des Westens intensiver und nachhaltiger treffe, als eine direkte Unterstützung des IS in Syrien. In einer Botschaft vom Juni 2017 forderte auch sein Nachfolger Abu AL-HASSAN AL-MUHAJIR Anhänger in Russland, Europa, Amerika und Australien gezielt dazu auf, Terroranschläge in ihren Heimatländern zu begehen. 219 Es muss davon ausgegangen werden, dass vergleichbare Aufrufe auch künftig erfolgen werden. Dies zeigt eine im August 2018 auf einem offiziellen IS Telegram-Kanal veröffentlichte Audiobotschaft des IS Anführers Abu Bakr AL-BAGHDADI. In einer Rede zu Beginn des muslimischen Opferfestes wandte er sich an seine Anhänger und rief dazu auf, in den "Ländern der Kreuzzügler, in Kanada, in Europa und allen anderen Orten" Anschläge zu begehen, egal ob durch Erschießen, Erstechen, Überfahren etc. Dies sei genauso wichtig wie tausend Operationen in Syrien oder Irak. Das bereits in Europa bzw. in Deutschland vorhandene islamistisch-terroristische Personenpotenzial wird voraussichtlich zunehmen, da nach wie vor mit Rückkehrern aus dem "Kalifat" zu rechnen ist. Es ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Personen, die dem IS bis zuletzt treu geblieben sind, weiterhin dessen Islamverständnis teilen und damit auch dessen Aufrufe zu Gewalt unterstützen. Die Gefahr, dass künftig Terroranschläge in Europa bzw. Deutschland und damit möglicherweise auch in Sachsen verübt werden, besteht unverändert. Wie das Jahr 2018 gezeigt hat, geht in Europa ein erhöhtes Risiko vor allem von Sympathisanten bzw. Unterstützern des IS aus, die als Einzeltäter bzw. in Kleingruppen gerade auch Terroranschläge mit leicht zu beschaffenden Tatmitteln anstreben. Zudem hat auch das AL-QAIDA-Netzwerk weiterhin ein Interesse, in Europa terroristisch aktiv zu werden. 220 5. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug # Personenpotenzial bleibt mit ca. 160 Personen konstant # thematische Schwerpunkte der Aktivitäten waren die Ereignisse im Norden Syriens # verstärkte Solidarisierung mit sächsischen Linksextremisten 221 5.1 Zielsetzungen Die sicherheitsgefährdenden und extremistischen BeLinksextremistisch-separatistische strebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug richOrganisationen ten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden somit auch die öffentliche Sicherheit, die Diese streben - häufig gewalttätig - öffentliche Ordnung sowie die auswärtigen Belange der eine radikale Veränderung der politiBundesrepublik Deutschland. schen Verhältnisse im Heimatland an. Hierdurch wird auch die innere SicherDabei handelt es sich um kein einheitliches Spektrum. heit in Deutschland gefährdet. Von diesem sicheren Rückzugsraum aus werPolitik, Strategie und Aktionen der nicht islamistischen den die gesteckten Ziele durch Agitatiextremistischen Organisationen in Deutschland werden on, Rekrutierung neuer Anhänger und ganz entscheidend von den Entwicklungen in den jeweiideologische Indoktrination verfolgt. Von ligen Herkunftsländern bestimmt. Deutschland aus werden die Heimatorganisationen propagandistisch, vor alIn Sachsen konnten sicherheitsgefährdende und extrelem aber auch materiell und finanziell mistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Ausunterstützt. landsbezug aus dem linksextremistisch-separatistischen Bereich festgestellt werden. Linksextremistisch-separatistische Organisationen streben im Anschluss an eine revolutionäre Beseitigung der jeweiligen Staatsordnung in ihren Herkunftsländern die Errichtung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems an. Einige dieser Organisationen verfolgen dabei eine ethnisch motivierte Unabhängigkeit vom bekämpften Staat. 222 5.2 Personenpotenzial Das Personenpotenzial von sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug im linksextremistisch-separatistischen Bereich blieb - wie in den beiden Vorjahren - konstant bei ca. 160 Personen. Es setzte sich ausschließlich aus Mitgliedern und Anhängern der Nachfolgeund Nebenorganisationen der ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) zusammen. Seit Mitte 2014 wurden wieder verstärkt öffentlichkeitswirksame Aktionen dieser Gruppen im Freistaat Sachsen festgestellt. Im ersten Quartal des Jahres 2018 wirkten sich die drastischen Reaktionen der türkischen Regierung auf die Autonomiebestrebungen der Kurden im Norden Syriens (Gebiet Afrin) mobilisierend aus. Ab April 2018 ging das Aktionsniveau jedoch wieder zurück. Das Mobilisierungspotenzial der PKK kann deren Anhängerzahl deutlich überschreiten. Hierzu zählen regelmäßig auch Personen aus dem linksextremistischen Spektrum in Sachsen oder aus benachbarten Bundesländern. Personenpotenzial von sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug im Freistaat Sachsen 200 180 160 160 160 160 160 160 160 160 150 150 150 150 150 140 120 gesamt 100 darunter PKK 80 darunter Sonstige 60 40 20 10 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 223 5.3 ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) Gründung / Sitz: 1978 / Nordirak - Kandilgebirge Vorsitz: Abdullah ÖCALAN u. a. KONGRESS DER KURDISCHEN Teil-, Nebenorganisationen: DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E), CIWANEN AZAD Publikation: SERXWEBUN (Unabhängigkeit), YENI ÖZGÜR POLITIKA (Neue Freie Politik) Historie und Strukturentwicklung in der Türkei Die PKK wurde im Jahr 1978 gegründet. Ziel war die Schaffung eines autonomen Kurdenstaates unter ihrer Führung. Zu den Gründern gehörte Abdullah ÖCALAN. Er übte von Beginn an die Funktion des Generalsekretärs aus. Seine bis heute unumstrittene Führungsposition setzte er gegen interne Widerstände durch und behielt diese auch nach seiner Inhaftierung und Verurteilung im Jahr 1999. Die PKK entwickelte sich sowohl in der Türkei als auch in Europa zur anhängerstärksten und militantesten Kurdenorganisation. 1984 nahm sie den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat auf. Ihr militärischer Arm firmiert heute unter der Bezeichnung VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HEZEN PARASTINA GEL - HPG). Für terroristische Anschläge, von denen auch die Zivilbevölkerung und Touristen betroffen waren, sind die FREIHEITSFALKEN KURDISTANS (TEYREBAZEN AZADIYA KUR437 DISTAN - TAK) verantwortlich. Diesen Auseinandersetzungen fielen mehr als 45.000 Menschen zum Opfer. Seit dem Jahr 2002 werden die PKK und später auch deren Nachfolgeorganisationen vom Rat der Europäischen Union als terroristische Organisationen geführt. Die PKK bezeichnet sich seit 2007 offiziell als VEREINIGTE GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS (KOMA CIVAKEN KURDISTAN - KCK). Zwischen 2013 und 2015 schien sich eine neue Entwicklung abzuzeichnen. Die türkische Regierung führte Verhandlungen mit Abdullah ÖCALAN. Das erklärte Fernziel war die Waffenniederlegung und der Gewaltverzicht der PKK. Im Gegenzug erwartete die PKK-Führung die Erfüllung ihrer Forderungen nach Verankerung politischer und kultureller Rechte für die Kurden in einer neuen Verfassung der Türkei. Nach dem Scheitern der Verhandlungen begann Mitte 2015 eine neue Ära der terroristischen Anschläge durch militante Kräfte der PKK. Für einen Anschlag im Juli 2015 auf eine Veranstaltung kurdischer Jugendlicher in Suruc im Südosten der Türkei durch den ISLAMISCHEN STAAT (IS) schrieb die PKK der türkischen Regierung die mittelbare Schuld zu. Die nun einsetzende Spirale der Gewalt ebbte 2017 wieder ab. Es wurden nur noch vereinzelt Anschläge auf türkische Polizisten und Militärangehörige bekannt. 437 www.bpb.de/internationales/weltweit/innerstaatliche-konflikte/54641/kurdenkonflikt (Stand: 29. Januar 2016); Die Zahl der Opfer hat sich seitdem erhöht. Die letzte belegbare Zahl stammt jedoch aus dem Jahr 2016. 224 Aktuelle Entwicklung in der Türkei Durch das Verfassungsreferendum 2017 sowie die Präsidentschaftsund Parlamentswahlen 2018 wurde ein neues Präsidialsystem in der Türkei etabliert. Der nach dem Putschversuch im Jahr 2016 verhängte Ausnahmezustand wurde im Juli 2018 als beendet erklärt. Inzwischen sind jedoch die Gesetze und Zuständigkeiten in der Türkei soweit angepasst worden, dass der Druck auf regimekritische Personen weiter fortgesetzt wird. Hiervon sind nicht zuletzt auch Kurden betroffen, insbesondere Angehörige und Anhänger der DEMOKRATISCHEN PARTEI DER VÖLKER (HALKLARIN DEMOKRATIK PARTISI - HDP), die bei der türkischen Regierung als PKK-Unterstützer gilt. Jedwede Parteinahme für Kurden wird als Unterstützung einer Terrororganisation geahndet. Historie und Strukturentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland und in Westeuropa Aufgrund der Kampfhandlungen in ihren Siedlungsgebieten seit den 1980er Jahren flüchteten hunderttausende Kurden. Ihr Hauptziel war Westeuropa, insbesondere die Bundesrepublik Deutschland. Mitglieder und Anhänger der PKK setzten hier ihre - auch gewalttätigen - Bestrebungen fort und gründeten 1985 die NATIONALE BEFREIUNGSFRONT KURDISTANS (ENIYA RIZGARIYA NETEWEYI YA KURDISTANE - ERNK). Sie verübten terroristische Anschläge auf türkische Einrichtungen und Gewerbe. Ohne Rücksicht auf Leib und Leben griffen sie ebenfalls deutsche Polizisten an. Dies führte im November 1993 zu einem Betätigungsverbot der PKK und der ihr angeschlossenen Nebenorganisationen in der Bundesrepublik. Das Verbot umfasst auch die daraufhin gegründeten Nachfolgeorganisationen der ERNK, nämlich die seit dem Jahr 2000 verbotene KURDISCHE DEMOKRATISCHE VOLKSUNION (YEKITIYA DEMOKRATIK A GELE KURD - YDK) und die seit 2004 verbotene KOORDINATION DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT IN EUROPA (CIVATA DEMOKRATIK A KURDISTAN - CDK). Mit Erlass vom 2. März 2017 weitete das Bundesministerium des Innern (BMI) das Betätigungsverbot für die PKK auf Kennzeichen ihrer Teilund Nebenorganisationen aus. Folgende Symbole sind der PKK zuzuordnen und daher verboten: 225 Sofern die Nutzung des Bildnisses des PKK-Führers, Abdullah ÖCALAN, und der Symbole der syrischen Schwesterpartei der PKK, der PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION (PARTIYA YEKITIYA DEMOKRAT - PYD) sowie die ihrer Guerillaeinheiten, der VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YEKINEYEN PARASTINA GEL - YPG) und der VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN DER FRAUEN (YEKINEYEN PARASTINA JIN - YPJ) im Zusammenhang mit PKK-gesteuerten Aktionen genutzt werden, unterliegen auch sie dem Betätigungsverbot für die PKK. z. B.: In der Bundesrepublik Deutschland befindet sich die größte Auslandsgruppe der Kurden. 438 Es hängt jedoch nur ein äußerst geringer Anteil dieses Personenkreises der PKK oder ihrer Nachfolgebzw. Nebenorganisationen an. Die streng hierarchisch und territorial gegliederten Organisationsstrukturen sichern der PKK den ideologischen Einfluss und bilden die Grundlage für die erfolgreiche Bewältigung der jährlichen Spendenkampagnen. Letztere sind eine unverzichtbare Grundlage für die Finanzierung des gesamten Parteiapparates und aller Aktivitäten einschließlich des bewaffneten Kampfes. Westeuropa und die Bundesrepublik Deutschland sind ein wesentliches Rekrutierungsgebiet für den Nachwuchs des Guerillakampfes in den Kurdengebieten. Der PKK ist sehr daran gelegen, möglichst alle Kurden in ihre Organisation einzugliedern. Hierzu hält sie eine Vielzahl von zielgruppenorientierten Teilorganisationen bereit, z. B. für Frauen und Jugendliche, aber auch Berufsoder religiöse Gruppen. In den jeweiligen westeuropäischen Staaten existieren darüber hinaus Föderationen "demokratischer Gesellschaftszentren". In diesen Zentren versammeln sich die Mitglieder und Anhänger der PKK. Die Föderationen sind in einer europäischen Konföderation dem KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KONGREYA CIVAKEN DEMOKRATIK A KURDISTANIYEN LI EWROPA - KCDK-E) zusammengeschlossen. Der KCDK-E ist die PKK-Fführung für den Bereich Europa, in die die CDK integriert ist. Aufgabe des KCDK-E ist der Einsatz für das soziale und kulturelle Wohl der Kurden in Europa. Außerdem wird die Anerkennung der Identität der Kurden in der jeweiligen Verfassung der Herkunftsländer Türkei, Iran, Irak und Syrien angestrebt. Die entsprechende Föderation in der Bundesrepublik Deutschland ist das DEMOKRATISCHE GESELLSCHAFTSZENTRUM DER KURDINNEN IN DEUTSCHLAND E. V. (NAVENDA CIVAKA DEMOKRATIK YA KURDEN LI ALMANYAYE - NAV-DEM). NAV-DEM ist die bedeutendste Organisation der PKK in Deutschland. Die angeschlossenen örtlichen Vereine nennen sich entsprechend DEMOKRATISCHES KURDISCHES GESELLSCHAFTSZENTRUM (DEMOKRATIK KÜRT TOPLUM MERKEZI - DKTM). Dieser Begriff wird gelegentlich auch von dem sächsischen Verein DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. verwendet. 438 Es gibt keine offizielle Statistik zu Personen kurdischer Volkszugehörigkeit. Sie werden gemäß ihrer Staatsangehörigkeit als Türken, Iraner, Iraker oder Syrer geführt. 226 Struktur der PKK Historie und aktuelle Situation im Freistaat Sachsen Das Territorium der Bundesrepublik Deutschland ist in neun "Eyalets" (i. S. v. Gebiet) untergliedert. Diese setzen sich wiederum aus "Bölge" (Gebiete/Zonen) zusammen. Aktuell gibt es um die 30 "Bölge", die aus mehreren Teilgebieten bestehen. Das "Bölge" Sachsen wird dem "Eyalet" Berlin zugerechnet. Es besteht hauptsächlich aus den "Teilgebieten" Leipzig, Dresden und Chemnitz. Darüber hinaus gehören angrenzende Teile umliegender Bundesländer und der Nachbarstaaten Polen und Tschechien zum "Bölge" Sachsen. In den "Teilgebieten" gründeten sich in den 1990er Jahren bis in die ersten Jahre des Folgejahrzehnts PKK-Vereine. Zwischen 2009 und 2015 kam das Vereinsleben jedoch vollständig zum Erliegen. Die Mitglieder und Sympathisanten beteiligten sich lediglich an PKK-initiierten überregionalen Kampagnen und Großveranstaltungen. Der Rückgang der Aktivitäten der PKK dürfte auch auf das konsequente Vorgehen der sächsischen Sicherheitsbehörden zurückzuführen sein. Den PKK-Strukturen im Freistaat Sachsen sind folgende Personenzusammenschlüsse zuzurechnen: # DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. # CIWANEN AZAD DRESDEN (FREIE JUGEND DRESDEN) # UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V. Wie schon im Jahr 2017 zeigten der DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. und der UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V. auch im Jahr 2018 kontinuierlich Präsenz durch Kundgebungen und Demonstrationen. Mit ihre Aktivitäten thematisierten die Mitglieder und Anhänger der 227 PKK schwerpunktmäßig das Schicksal Abdullah ÖCALANs und die Ereignisse im Kanton Afrin 439, im Norden Syriens440. Afrin ist das westlichste Gebiet der Demokratischen Föderation Nordsyrien. Seitens der PKK wird für diese Föderation die Bezeichnung "Rojava" verwendet. In "Rojava" versucht die PKK, die Vorstellungen Abdullah ÖCALANs von einer Autonomie der Kurden und eines Demokratischen Konföderalismus zu verwirklichen.441 Der östlichste Teil "Rojavas" grenzt an die Autonome Region Kurdistan im Irak. Seitens der türkischen Staatsführung wird ein Übergreifen dieser Entwicklung auf die kurdischen Siedlungsgebiete im Südosten der Türkei befürchtet. Daher versucht sie die Durchsetzung einer kurdischen Autonomie in Nordsyrien aufzuhalten. Bereits vor dem - allerdings absehbar gewesenen - Einmarsch der türkischen Armee in das Gebiet des Kantons Afrin hatte die ANF 442 im Internet weltweite Proteste durch den KCDK-E angekündigt.443 Ab Mitte Januar 2018 demonstrierten die Mitglieder und Anhänger der PKK europaweit gegen das militärische Eingreifen der türkischen Armee in Nordsyrien. Die YENI ÖZGÜR POLITIKA berichtete täglich über die in ganz Deutschland stattfindenden Aktionen. Die Demonstranten nutzten dabei vereinzelt Symbole, die laut Erlass des Bundesministeriums des Innern vom Betätigungsverbot für die PKK mitbetroffen sind. Im Ergebnis verliefen die Veranstaltungen vorwiegend störungsfrei. Im Freistaat Sachsen waren zwischen Mitte Januar und Ende März 2018 zahlreiche Demonstrationen und Kundgebungen festzustellen, die meist von Einzelpersonen, darunter auch nicht kurdischer Herkunft, angemeldet worden waren. Lokale Schwerpunkte der zunächst fast täglich, später an den Wochenenden stattfindenden Demonstrationen und Kundgebungen waren die Städte Leipzig und Dresden. Die Aktionen fanden unter Mottos wie "Gegen Erdogan", "Kein Krieg in Afrin - Türkei raus aus Syrien", "Krieg in Kurdistan - kriegerische Auseinandersetzung zwischen der Türkei und Kurden" oder "Stoppt die türkische Aggression gegen friedliche Kurden in Syrien" statt. Einige Akteure forderten die Freilassung Abdullah ÖCALANs und die Aufhebung des PKK-Verbots. Die Teilnehmerzahlen bewegten sich zwischen ca. 50 und etwa 200 Personen. Im Vergleich dazu gingen ab April 2018 die öffentlichkeitswirksamen Proteste gegen das Vorgehen der türkischen Armee im Gebiet Afrin zurück. Diese Entwicklung könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Kampf der PKK bzw. der PYD gegen die türkische Armee nicht den gewünschten Erfolg aufwies und dieser Rückschlag als für Propagandazwecke nicht geeignet angesehen wurde. Eine letzte große Demonstration unter dem Motto "Kein Krieg in Afrin" fand am 2. Juni 2018 in Leipzig statt. Das in seiner Gesamtheit nicht extremistische "Rojava Soli Bündnis" 444 hatte auf seiner Internetseite mit dem Aufruf "ROJAVA CALLING - GESELLSCHAFTLICHEN UMBAU WAGEN!" seit Mitte Mai für die Veranstaltung geworben. Es beteiligten sich ca. 400 Personen. Einige von ihnen trugen Fahnen mit PKK-Bezug. Auf Plakaten wurde "Nieder mit Erdogan!" und "Freiheit für Afrin!" gefordert. Der überwiegende Teil der Demonstranten war deutschen linksextremistischen Gruppierungen, wie REVOLUTION LEIPZIG, den AUTONOMEN und der MARXISTISCHLENINISTISCHEN PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD), zuzuordnen. Im Oktober 2018 thematisierten PKK-Mitglieder und -Anhänger den 20. Jahrestag des so verstandenen internationalen Komplotts gegen den Führer der Organisation, Abdullah ÖCALAN. ÖCALAN musste am 9. Oktober 1998 auf Drängen der syrischen Regierung seinen damaligen Zufluchtsort in Syrien verlassen. Er versuchte zunächst, vergeblich in Westeuropa aufgenommen zu werden. Schließlich wurde er am 15. Februar 1999 in der griechischen Botschaft in Nairobi (Kenia) 445 festgenommen. 439 kurdisch: EfrA(r)n 440 Gebiet wird von PKK als Südkurdistan bezeichnet. 441 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2010, S. 63 442 PKK-nahe Nachrichtenagentur Ajansa Nuceyan a Firate (ANF) 443 https://anfdeutsch.com/aktuelles/solidaritaetsaktionen-fuer-efrin-1654 444 siehe Abschnitt II.3.3.1 AUTONOME in Leipzig 445 siehe Sächsischer Verfassungsschutzbericht 1999, S. 80 228 Der DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. organisierte zum 9. Oktober 2018 in Dresden eine Demonstration unter dem Motto "Gegen Erdogans Kriegspolitik". Die mitgeführten Flyer widmeten sich jedoch überwiegend dem Thema "Abdullah ÖCALAN". Darüber hinaus zeigte sich das Engagement für den PKK-Führer in einer Meldung der YENI ÖZGÜR POLITIKA vom 1. August 2018446. Demnach hätten Kurden aus Sachsen-Anhalt und Sachsen für eine Woche447 die Mahnwache448 für ÖCALAN vor dem Gebäude des Europarates in Straßburg (Frankreich) übernommen. 5.4 Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem449 bzw. islamistischem Hintergrund Es ist darauf hinzuweisen, dass der im Jahr 2017 bei der sächsischen Polizei eingeführte Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologienur eingeschränkt mit dem bis Ende 2016 gültigen Phänomenbereich PMK -Ausländervergleichbar ist, da Letzterer noch den sogenannten Bereich Islamismus mit einschloss, der ab 2017 dem Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologiezugeordnet wird. Eine Vergleichbarkeit mit den Vorjahren ist im Wesentlichen durch die Straftaten der beiden neuen Phänomenbereiche PMK -ausländische Ideologieund PMK -religiöse Ideologiezum früheren Phänomenbereich PMK -Ausländermöglich. Die nun als "Politisch motivierte Kriminalität (PMK) -ausländische Ideologie-/religiöse Ideologie-" bezeichnete Kriminalität ist im Vergleich zu den anderen Phänomenbereichen seit Jahren äußerst niedrig. Der Anteil dieser Fälle betrug im Jahr 2018 weniger als 4 % des Gesamtaufkommens von extremistischen Straftaten mit politischem Hintergrund. Im Jahr 2018 stellte die Polizei in den Phänomenbereichen -ausländische Ideologie-/religiöse Ideologie106 (2017: 103) Straftaten fest. Die regionalen Schwerpunkte lagen dabei in den Städten Chemnitz, Dresden und Leipzig. Die Anzahl der Gewalttaten ist mit 19 (2017: 12) gestiegen. Die seit vier Jahren steigende Tendenz der Straftaten steht einerseits im Zusammenhang mit der Eskalation der Lage in der Türkei. Dort wurde der Friedensprozess zwischen der ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) und der türkischen Regierung beendet. Es folgten verschärfte Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Militär. Dies spiegelte sich auch in den Aktivitäten der PKK-Mitglieder und -Anhänger in Deutschland wider. Dabei kam es vornehmlich zu Propagandadelikten. Andererseits verursachten die kriegerischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten, speziell in Syrien, massive Fluchtbewegungen in Richtung Westeuropa, vorwiegend nach Deutschland. Das Aufeinandertreffen Angehöriger verschiedener Religionen sowie eine vermeintlich ungerechte Behandlung durch deutsche Behörden waren der Auslöser für Straftaten. 446 YENI ÖZGÜR POLITIKA vom 1. August 2018, S. 1 und 6 447 Gemeint ist sehr wahrscheinlich die laufende Woche. 448 Diese Mahnwache gibt es seit Juni 2012. Sie soll täglich aus fünf Personen bestehen und wird im wöchentlichen Wechsel besetzt. Ziel der Aktion sei die Freilassung Abdullah ÖCALANs. 449 Hierunter zählen Straftaten von Personen im Zusammenhang mit sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug. 229 Straftaten mit ausländerextremistischem bzw. islamistischem Hintergrund 70 65 60 54 54 52 50 Straftaten insgesamt (bis 2016) 40 38 darunter Gewalttaten (bis 2016) 32 Straftaten ausl. Ideologie 30 darunter Gewalttaten ausl. Ideologie Straftaten relig. Ideologie 20 20 darunter Gewalttaten relig. Ideologie 14 15 8 9 10 7 32 3 4 0 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Anmerkung: Hinsichtlich der Themenfelder ist zu beachten, dass die Summe der einzelnen nicht der Gesamtanzahl der Fälle entspricht, da ein Fall mit mehreren Themenfeldern belegt sein kann. 5.5 Ausblick Das Personenpotenzial von sicherheitsgefährdenden und extremistischen Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug setzt sich in Sachsen ausschließlich aus Anhängern der Nachfolgeund Nebenorganisationen der ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) zusammen. Deren Gründungsmitglied, Abdullah ÖCALAN, wird trotz seiner Inhaftierung im Jahr 1999 von den PKKMitgliedern und -Anhängern weiterhin als Führungspersönlichkeit gesehen. Es ist davon auszugehen, dass seiner strategischen Vorgabe - dem Streben nach einem eigenen Kurdenstaat auch mit Mitteln der Gewalt - in der Türkei weiterhin gefolgt wird. In Westeuropa ist die PKK jedoch seit langem bemüht, sich in der Öffentlichkeit als gewaltfreie Befreiungsbewegung darzustellen. Sie verspricht sich davon, das ihr anhaftende Stigma einer Terrororganisation zu verlieren und so die Unterstützung demokratischer Kräfte zu gewinnen. Da sie in den letzten Jahren hierbei durchaus erkennbare Erfolge verbuchen konnte, dürften auch künftig keine gravierenden Abweichungen im Auftreten der Organisation zu erwarten sein. Das Bestreben der PKK, sich auch in der Bundesrepublik Deutschland als friedliche Gruppierung darzustellen, zeigte sich bspw. in den mehrheitlich gewaltfreien Reaktionen, vorwiegend Demonstrationen und Kundgebungen, auf den Einmarsch der türkischen Armee in die Autonomiegebiete der Kurden im Norden Syriens Anfang 2018. Zu berücksichtigen ist, dass die Situation Abdullah ÖCALANs von seinen Anhängern weltweit aufmerksam beobachtet wird. Schon bei vagen Anhaltspunkten für gesundheitliche Beeinträchtigungen oder schlechte Haftbedingungen ist die Organisation in der Lage, in ganz Westeuropa ad hoc tausende Anhänger zu mobilisieren. Daraus ergibt sich auch, dass Art und Weise sowie Intensität der Reaktionen der PKKAnhängerschaft auf ein mögliches Ableben von Abdullah ÖCALAN nicht eingeschätzt werden kön230 nen. In diesem Fall wäre die Möglichkeit massiver, gewalttätiger Ausschreitungen in der Türkei oder gegen türkische Einrichtungen in Deutschland und Europa in Betracht zu ziehen. Darüber hinaus ist seit einigen Jahren zu beobachten, dass sich linksextremistischer Bestrebungen in Sachsen verstärkt mit Teilund Nebenorganisationen der PKK solidarisieren. Diese Aktivitäten lassen darauf schließen, dass auch künftig mit strukturellen Allianzen zwischen deutschen und kurdischen Linksextremisten zu rechnen ist. Dies könnte auch Auswirkungen auf das Gewaltpotenzial beider Spektren bei öffentlichen Aktionen haben. In Teilen des Linksextremismus ist die Gewaltbereitschaft ein identitätsstiftender und prägnanter Bestandteil450. Hiesige Mitglieder und Anhänger der PKK, deren öffentlichkeitswirksame Aktivitäten bislang gewaltfrei verliefen, könnten sich daran orientieren. 450 siehe Abschnitt II.3.3 AUTONOME 231 6. Onlineaktivitäten von Extremisten Das Internet stellt für Extremisten aus allen Phänomenbereichen das wichtigste Kommunikationsund Propagandamittel dar. Sie nutzen es zu Recherchen und gezielter Meinungsbeeinflussung, aber auch zur Verbreitung ihrer Propaganda, zur Mobilisierung, Nachwuchsgewinnung und Vernetzung. Im Allgemeinen nehmen Extremisten zeitnah die Möglichkeiten neuer Technologien wahr. Dies stellt eine Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Historische Entwicklung Das Maß der Beschleunigung des Informationsflusses und des Zuwachses der Informationsmenge werden in einer Langzeitbetrachtung deutlich. Bis Mitte der 1990er Jahre waren Printmedien das vorrangige Kommunikationsmedium in extremistischen Szenen. Hierbei reichte das Angebot vom Flyer über Fanzines 451 bis zu pseudoprofessionell gestalteten Zeitungen. Fanzines aus der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Skinheadszene bestanden anfänglich vielfach aus Schreibmaschinentexten und Handzeichnungen. Diesen standen Parteizeitungen, wie die DEUTSCHE STIMME oder die NATIONALZEITUNG, gegenüber. Ab Mitte der 1990er Jahre nutzten Rechtsextremisten zudem auch technische Kommunikationsmöglichkeiten. Sogenannte "Nationale Infotelefone" waren letztlich jedoch nicht mehr als ein Anrufbeantworter und hauptsächlich auf die interne Kommunikation ausgerichtet. Dieselbe Zielrichtung wies das in dieser Zeit aktive "Thule-Netz"452 auf. Die linksextremistische Szene nutzte Printmedien anfänglich ebenso für ihre Zwecke. Im Verlauf der technischen Entwicklung kamen in den Folgejahren Mailboxes und Telefonketten hinzu, die ebenfalls lediglich der internen Kommunikation dienten. Mit der Einrichtung erster eigener Homepages im Jahr 1996 durch überwiegend parteigebundene rechtsextremistische Strukturen setzte eine neue Phase der Nutzung des Internets durch Extremisten ein. Somit wurde es einfacher, auch Außenstehende mit der eigenen Propaganda zu erreichen. Bis zum Jahr 1999 verzehnfachte sich die Zahl von Homepages der rechtsextremistischen Szene auf bundesweit rund 330. Auch weniger stark strukturierte sowie regional agierende Organisationen gingen online. Die subkulturell geprägte Skinheadszene nutzte die technischen Möglichkeiten, um ihre Musik als Webangebot zur offensiven Nachwuchsgewinnung einzusetzen. Erste Vertriebsstrukturen gingen online, und neonationalsozialistische Strukturen posteten ideologisch gefärbte Beiträge. Die autonome Szene übertrug ihre bisherigen Szenepublikationen ins Netz und verstärkte so auch die Aktionsmobilisierung. Im Bereich des Ausländerextremismus und des Islamismus wurde die Kommunikation aufgrund der internationalen Reichweite enorm erleichtert. Um die Jahrtausendwende waren zahlreiche Internetpräsenzen mit extremistischem Hintergrund verfügbar. Im Jahr 2001 wurden bundesweit etwa 1.300 Webauftritte rechtsextremistischer und 1.200 Auftritte linksextremistischer Strukturen gezählt. Neu aufkommende technische Möglichkeiten, wie etwa der anonyme Versand von Kurznachrichten (SMS) über das Netz, wurden zeitnah für eigene Zwecke eingesetzt. Die relativ einfache Erstellung von Web-Präsenzen führte dazu, dass auch kleinere, lokale Strukturen über entsprechende Internetauftritte verfügten. Parallel war festzustellen, dass viele Internetseiten nur temporär existierten. Linksextremisten veröffentlichten fortan auch auf nichtextremistischen Internetpräsenzen eigene Inhalte. Eine zentrale Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Plattform "Indymedia". 451 siehe Glossar 452 Beim "Thule-Netz" handelte es sich um einen organisationsübergreifenden Mailbox-Verbund. 232 Die Einführung der sogenannten Web2.0-Technologie ab etwa Mitte des letzten Jahrzehnts veränderte auch das Kommunikationsund Nutzungsverhalten von Extremisten. Das Internet wandelte sich von einem Präsentationsund Informationsmedium zu einem "Mitmach-Netz", d. h. der Nutzer konnte nun selbst auf sehr einfache Art Inhalte ins Internet einbringen. Dies gewährleistete völlig neue Arten der Kommunikation und der Propaganda. Die mögliche Anonymität der eigenen Online-Aktivitäten stellte einen weiteren Vorteil für Extremisten dar. Es entstanden Internetforen, die teilweise mehrere Zehntausend Nutzer aufwiesen. Das in der rechtsextremistischen Szene bedeutsame "Thiazi"-Forum wurde z. B. im Oktober 2008 von rund 33.000 Usern genutzt. Hackings - zumeist einhergehend mit Outingaktionen453 durch politische Gegner - sowie Sperrungen454 setzten jedoch insbesondere rechtsextremistischen Web-Angeboten zu. Linksextremisten aus dem gewaltbereiten Spektrum nutzten in zunehmendem Maße die im Jahr 2008 entstandene Subdomain "Linksunten.Indymedia". Dort wurden neben ideologischen Beiträgen insbesondere Outings von politischen Gegnern sowie Bekennerschreiben veröffentlicht. Bis zu ihrem Verbot durch den Bundesminister des Inneren am 14. August 2017 entwickelte sich diese Plattform zum wichtigsten Informationsmedium des gewaltorientierten Linksextremismus. Schon seit Jahren ist zu beobachten, dass Extremisten immer weniger klassische Homepages oder Online-Foren nutzen. Vielmehr verlagern sich ihre Internetauftritte verstärkt in den Bereich der sozialen Medien. Das soziale Netzwerk Facebook stellt bis heute die wichtigste Plattform für Extremisten dar. Neue Tendenzen Onlineverhalten Staatliche Institutionen, aber auch die Anbieter selbst, haben sich zum Ziel gesetzt, extremistische Web-Angebote - unabhängig, ob es sich um Homepages oder Social-Media-Profile handelt - einzudämmen. Deshalb unterliegen diese immer wieder (zeitlich befristeten) Sperrungen oder Löschungen, sobald ihre Inhalte eine strafbzw. jugendschutzrechtliche Relevanz aufweisen bzw. diese gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Anbieters verstoßen. Dies betrifft insbesondere Angebote aus dem Bereich des Rechtsextremismus. Vielfach sind fremdenfeindliche Beiträge und sogenannte Hasspostings ursächlich für die Maßnahmen. Das Anfang Oktober 2017 in Kraft getretene Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken (NetzDG455) ist eine wichtige Rechtsgrundlage, um das extremistische Agieren im Internet zu verhindern bzw. einzuschränken. So wurden am 31. Mai 2018 zahlreiche Profile der IDENTITÄREN BEWEGUNG456 auf Facebook und Instagram gelöscht. Im November 2018 wurde der Facebook-Auftritt des NPD-Landesverbandes Sachsen zunächst "nichtöffentlich" gestellt, wenig später erfolgte dessen vorübergehende Löschung. Am 11. Januar 2019 entschied das Landgericht Dresden im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, dass Facebook die Seite wieder freizuschalten hat. Aufgrund der Sperrungen und Löschungen wurden zeitweise andere soziale Netzwerke genutzt, z. B. der russische Anbieter VK.com, der dem Anbieter Facebook ähnelt Seit einiger Zeit nutzen Extremisten weitere Social-Media-Angebote, wie etwa Instagram. Bei größeren szenerelevanten Veranstaltungen kommt dem Kurznachrichtendienst Twitter für die Mobilisierung der Anhängerschaft eine bedeutende Rolle zu, über den mittels allgemeiner oder vereinbarter Hashtags457 zeitnah Nachrichten austauscht werden. Infolge der Sperrungen und Löschungen gehen Extremisten zunehmend zu subtileren Methoden über, indem sie Propaganda betreiben, deren extremistischer Gehalt nicht sofort erkennbar ist. Die 453 siehe Abschnitt II.3.3 AUTONOME 454 siehe hierzu unten "Onlineverhalten" 455 Netzwerkdurchsetzungsgesetz - Dieses richtet sich vorrangig gegen Hasspostings, die vielfach Bestandteil einer feindbildgeprägten, extremistischen Argumentation sind. 456 siehe Abschnitt II.1.4.3 IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND 457 Unter "Hashtag" versteht man die Verschlagwortung und Verlinkung von Inhalten auf Social-MediaPlattformen. 233 Kommunikation geht einher mit emotionalisierenden Begriffen bis hin zur bewussten Verbreitung von Fake-News. So werden Stichworte "absolute Überfremdung" ebenso verwendet wie angebliche "Pläne zum Bevölkerungsaustausch". Mit solchen Formulierungen wird versucht, die öffentliche Diskussion zu beeinflussen. Plakative und überspitzte Beiträge sowie Kommentare sollen Zielgruppen erreichen, um sie für das eigene Gedankengut empfänglich zu machen. Kontakten im Internet kommt häufig eine gruppenbildende Wirkung zu, die parallel oder unabhängig von realweltlichen Strukturbildungen stattfindet. Aus diesen virtuellen Personenverhältnissen ergeben sich Mobilisierungskräfte, die weit über das eigene extremistische Potenzial hinausreichen können. Ein für die vorgenannten Entwicklungen prägnantes Beispiel sind die Ereignisse in Chemnitz im Spätsommer 2018. In der Folge eines mutmaßlich von Asylbewerbern begangenen Tötungsdeliktes wurden mehrfach verfälschende Inhalte gepostet, etwa zum Tathergang oder zu Statistiken zur Ausländerkriminalität. Hinzu kamen Beiträge zur vermeintlichen Gewaltbereitschaft von Asylbewerbern. Aus diesen pauschalisierenden und nicht faktenbasierten Informationen wurde ein verzerrtes Bild vermeintlich bürgerkriegsähnlicher Zustände gezeichnet.458 Behörden, staatlichen Institutionen, Regierungsverantwortlichen und Medien sollte so eine Mitschuld für das konkrete Ereignis und die allgemeine Situation gegeben werden. Statt einer sachlichen und differenzierten Auseinandersetzung mit dem Geschehen bilden sich sogenannte Echokammern, in denen die eigenen Überzeugungen bestätigt und wie Mehrheitspositionen kommuniziert werden. Im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chemnitz wurden unzählige Postings und Kommentare abgesetzt. Auf Facebook bildeten sich binnen kurzer Zeit Gruppen mit vierbis fünfstelligen Nutzerzahlen. Deren Kommunikationsverhalten war durch eine hoch emotionalisierende Wortwahl geprägt und gipfelte in der Ablehnung der politischen Verhältnisse. Auch der bewusste Einsatz von Fake-News wurde festgestellt , teilweise einhergehend mit Verweisen auf angeblich seriöse Quellen. So wurde unter der Überschrift "Auslandspresse warnt vor deutschen Medien" ein Beitrag verbreitet, in dem ein vermeintlicher internationaler Journalistenverband vor einseitiger Berichterstattung warnte. Dieser Journalistenverband existiert jedoch nicht. Nutzung von Messenger-Diensten Daneben ist auch eine verstärkte Hinwendung zu mobilen Messenger-Diensten zu beobachten. Waren diese zunächst nur für die interne Kommunikation geeignet, werden mit der technischen Verfügbarkeit von Gruppen und Kanälen innerhalb der Dienste nunmehr unkompliziert größere Empfängerkreise erreicht. Messenger-Dienste gewährleisten eine weitere Beschleunigung des Informationsflusses, da sie direkt aus der Situation heraus genutzt werden können. So können Livestreams aus Demonstrationen, Informationen und Fotos unmittelbar gepostet und einer größeren Nutzerzahl zur Verfügung gestellt werden. Nach Erkenntnissen der Verfassungsschutzbehörden nutzten Islamisten Messenger-Dienste bereits vor allen anderen Extremisten zur Verbreitung ihrer Ideologie. Insbesondere die Kanäle und Gruppen bei den Anbietern WhatsApp und Telegram bilden einen festen Bestandteil des Propagandaapparates des sogenannten ISLAMISCHEN STAATES. Auch weitere islamistische Strukturen verwenden diese Möglichkeiten. Die Nutzerzahlen bewegen sich jeweils im zweibis dreistelligen Bereich. Die Kanäle und Gruppen unterliegen aufgrund häufiger Löschungen durch die Messenger-Anbieter einer vergleichsweise hohen Fluktuation. Jedoch werden sie vielfach zeitnah erneut eingerichtet. Über regelrechte Werbekanäle verlinkt, können schnell wieder hohe Nutzerzahlen erreicht werden. Die Administratoren betreiben zum Teil mehrere Gruppen bzw. Kanäle gleichzeitig und erhöhen dadurch ihre Reichweite. Je nach Ausrichtung werden salafistische bzw. jihadistische Inhalte propagiert. Diese reichen von islamistischen Texten bis hin zu Aufrufen zur Gewalt bzw. zur Teilnahme am bewaffneten Kampf. Im Jahr 2018 wurde überdies festgestellt, dass auch Rechtsextremisten verstärkt MessengerDienste zur Verbreitung ihrer Propaganda nutzen. So wurde eine Vielzahl einschlägiger Kanäle 458 siehe Abschnitte II.1.4.7 Strategie im Fokus und II.1.7.2 Regionale Beschreibung rechtsextremistischer Bestrebungen - Stadt Chemnitz 234 speziell bei Telegram erstellt. Hierbei erreichen die Kanäle Nutzerzahlen teilweise bis weit in den vierstelligen Bereich. Besonders intensiv nutzt die IDENTITÄRE BEWEGUNG dieses Medium. Im rechtsextremistischen Parteienbereich gibt es bislang nur vereinzelt derartige Angebote. Die Inhalte der Gruppen und Kanäle reichen von der Verbreitung der Ideologie und Propaganda über Spendenaufrufe bis zur Mobilisierung zu Veranstaltungen sowie deren Dokumentation. Vielfach wird auf weitergehende Inhalte etwa bei Facebook, YouTube oder dem Kurznachrichtendienst Twitter verwiesen. Zugang zu den Gruppen und Kanälen erhält man durch Einladung, Hinweise in anderen sozialen Netzwerken und durch Verlinkungen. Applikationen Im Gegensatz zum allgemeinen Trend haben sich Applikationen (Apps) im extremistischen Bereich bisher nicht durchgesetzt. Es existieren nur wenige Angebote, die überwiegend unzureichend gepflegt werden. Der Aufwand für Programmierung und Administration ist im Vergleich zu den Messenger-Diensten ungleich höher. Daher dürften Applikationen extremistischer Strukturen auch künftig nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen. Ausblick Extremisten aller Phänomenbereiche wissen um die Vorteile des Internets und nutzen dieses Medium strategisch zur Selbstdarstellung, zu Propaganda, Mobilisierung und Vernetzung. Gerade Jugendliche befinden sich in ihrem Fokus. Um diese zu gewinnen, versucht man, sich an deren Onlineverhalten zu orientieren und entsprechende Kommunikationsangebote zu entwickeln. Es ist zu beobachten, dass zunehmend Ideologiefragmente im Onlinekontext platziert werden, ohne den extremistischen Hintergrund sofort erkennbar werden zu lassen. Durch die Verwendung emotionalisierender Beiträge, teilweise unter Hinzuziehung von Fake-News, werden die Grenzen zwischen faktenbasierten Informationen und extremistischen Narrativen immer stärker verwischt, was zu einer zunehmenden Polarisierung des innergesellschaftlichen Dialogs führt. Welche Plattformen künftig Bedeutung haben werden, hängt zum einen von dem Vorgehen der Internetanbieter gegen extremistische Einträge ab. Zum anderen ist entscheidend, welche Angebote bei der potenziellen Zielklientel - besonders bei Jugendlichen - Anklang finden. 235 III. Spionage und Sabotage in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft # Hauptakteure im Freistaat Sachsen: russische und chinesische Nachrichtendienste # elektronische Angriffe als Mittel moderner Spionage und Sabotage # verstärktes Tätigwerden fremder Mächte zur Einflussnahme erkennbar # Prävention: Verfassungsschutz als Sicherheitspartner für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft 236 1. Begriffe, Bedeutung und Adressaten Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte im Geltungsbereich des Grundgesetzes (SS 2 SächsVSG) waren auch im Jahr 2018 ein wichtiges Bearbeitungsgebiet des sächsischen Verfassungsschutzes. Von zentraler Bedeutung war erneut die staatlich gelenkte Spionage, also die nachrichtendienstlich organisierte Beschaffung von Informationen. Die spionagerelevanten Aufklärungsinteressen gegnerischer Nachrichtendienste sind vielfältig und betreffen u. a. das politische Geschehen (Politikspionage) oder aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen in Wirtschaft und Wissenschaft (Wirtschaftsspionage). Ein Spezialfall der Wirtschaftsspionage sind die nach wie vor festzustellenden Proliferationsbestrebungen fremder Mächte. Dabei geht es neben der Aufklärung der Technologie auch um die vollständige oder teilweise Beschaffung und Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und deren Trägersystemen. Neben der Spionage erfordert die staatlich gelenkte Sabotage ein besonderes Augenmerk. Gemeint sind damit vor allem elektronische Angriffe, die nicht mehr nur der Informationsgewinnung, sondern auch der Manipulation, Blockierung oder Zerstörung von Informationen dienen, sowie Beeinflussungsversuche auf politischer Ebene. Von Politikspionage können in erster Linie Mitarbeiter Da jedes Detail relevant sein kann, gilt grundsätzlich: "Keiner ist zu staatlicher Einrichtungen sowie Mandatsträger politischer klein, um Zielperson zu sein." Parteien und deren unmittelbare Mitarbeiter betroffen sein. Darüber hinaus können auch Mitglieder von Oppositionsbewegungen aus dem Ausland, die in Deutschland leben, von Spionageaktivitäten des jeweiligen Herkunftslandes betroffen sein. Im Fall der Wirtschaftsspionage stehen vor allem Technologieunternehmen und Forschungseinrichtungen im Fokus. Staat und Verwaltung, insbesondere Universitäten und technische Hochschulen, können ebenfalls berührt sein. Die politische Bedeutung sowie die wirtschaftliche und wissenschaftliche Leistungsund Innovationskraft Deutschlands begründen ein intensives Aufklärungsund Beeinflussungsinteresse fremder Mächte. Davon ist auch der Freistaat Sachsen betroffen. Die aufgrund von Spionage eintretenden Schäden sind schwerwiegend. Im Bereich von Wirtschaft und Wissenschaft besteht die Gefahr empfindlicher Forschungsoder Auftragsverluste. Jüngere Untersuchungen gehen davon aus, dass in Deutschland binnen zweier Jahre mehr als die Hälfte der Unternehmen Opfer von Wirtschaftsspionage oder Sabotage geworden sind. Unter Industrieunternehmen sollen im gleichen Zeitraum sogar mehr als zwei Drittel betroffen gewesen sein.459 Dabei wird ein jährlicher Schaden in Höhe von etwa 50 Milliarden Euro und - wegen einer hohen Dunkelziffer an Spionageund Sabotageaktivitäten - ein Schadenspotenzial von etwa 100 Milliarden Euro jährlich veranschlagt. Insgesamt können Spionage und Sabotage auf Dauer spürbare Auswirkungen auf Staat und Wirtschaft haben. Ein funktionierendes Staatswesen und eine funktionierende Wirtschaft sind wesentliche Grundlagen für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Die Abwehr von hiergegen gerichteten Spionageund Sabotageaktivitäten ist deshalb ein wichtiges Aufgabenfeld der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. 459 siehe Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), "Attacken auf deutsche Industrie verursachten 43 Milliarden Euro Schaden", www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/presse/pm-20180913-bfvbitkom-vorstellung-studie-wirtschaftsspionage-2018 vom 13. September 2018 und "Spionage, Sabotage, Datendiebstahl: Deutscher Wirtschaft entsteht jährlich ein Schaden von 55 Milliarden Euro", www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/presse/pm-20170721-bfv-bitkom-vorstellung-studiewirtschaftsspionage-sabotage-datendiebstahl vom 21. Juli 2017, jeweils mit weiteren Nachweisen. 237 2. Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste 2.1 Akteure und Schwerpunkte In Deutschland, so auch im Freistaat Sachsen, Als Hauptakteure im Freistaat Sachsen gelsind zahlreiche ausländische Nachrichtendienste ten weiterhin die Nachrichtendienste Russlands mit ganz unterschiedlichen Interessen aktiv. Hoch und Chinas. Daneben standen im Jahr 2018 entwickelte Staaten wollen mithilfe ihrer Nachrichvor allem die Türkei und Syrien im Verdacht, tendienste im politischen und wirtschaftlichen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Wettbewerb weiter Schritt halten oder sogar Aktivitäten zu entfalten. Wettbewerbsvorteile erzielen. Krisenländern geht es beim Einsatz ihrer Nachrichtendienste in politischer Hinsicht um die Aufklärung und Unterwanderung von Oppositionsgruppen, deren Mitglieder in Deutschland leben. In wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht entwickeln diese Länder proliferationsrelevante Aktivitäten. 2.1.1 Russische Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation waren im Jahr 2018 weiterhin von großer Bedeutung für die russische Staatsführung. Ihre Bemühungen erstreckten sich sowohl auf gesellschaftliche und politische als auch auf wirtschaftliche und wissenschaftliche Bereiche. Sie waren flankiert durch den weiteren Ausbau einer flächendeckenden Kommunikationsund Internetüberwachung. Die russischen Nachrichtendienste greifen dafür zunehmend auch auf ehemalige Mitarbeiter zurück, die mittlerweile in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft engagiert sind. Dadurch verschwimmt die Grenze zwischen zivilen und nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Inund Ausland. 460 Vor allem der russische zivile Auslandsnachrichtendienst , der militärische Auslandsnachrichten461 462 dienst und der Inlandsnachrichtendienst waren gegen deutsche Sicherheitsinteressen aktiv. Nachrichtendienstliche Aktivitäten gingen mit einer sehr offensiven russischen Außenpolitik einher, die sich in der fortgesetzten völkerrechtswidrigen Besetzung der Krim, der Aufrechterhaltung des Ukraine-Konfliktes sowie dem nachdrücklichen politischen und militärischen Engagement im Syrien-Konflikt deutlich zeigte. Da die internationale Staatengemeinschaft weiterhin Druck auf die russische Politik und die russische Wirtschaft ausübte, hielt die russische Seite an dem Versuch nachrichtendienstlicher Entlastungsmaßnahmen fest. Dafür boten die russischen Nachrichtendienste ein breites Spektrum an Aktivitäten auf. Für die politische Aufklärung von Interesse waren die deutsche Haltung zu Fragen der Außenund Sicherheitspolitik sowie der Finanzund Energiepolitik, aber auch die Rolle Deutschlands in der NATO. Ansatzpunkte für dahingehende Aufklärungsmaßnahmen waren politische Mandatsträger, Denkfabriken, Nichtregierungsorganisationen und Vereine mit Bezügen zu Russland oder anderen osteuropäischen Staaten. Vorrangiges Ziel der Beeinflussungsaktivitäten war es, die Politik der russischen Staatsführung zu rechtfertigen sowie den Westen für die angespannte politische Situation in Osteuropa und dem Nahen Osten verantwortlich zu machen. Dabei wurde auch der Druck auf Ausländer in Russland verstärkt. Zudem ging es darum, die angeschlagene russische Wirtschaft mit neuem Know-how zu versorgen, um das erklärte Ziel einer bahnbrechenden wissenschaftlichen, technologischen und sozioökonomischen Entwicklung der Russischen Föderation zu erreichen und bis zum Jahr 2024 zu den fünf größten Volkswirtschaften der Welt zu zählen. 460 P ( )/ Sluschba Wneschnei Raswedki Rossijskoj Federazii (SWR); Übersetzung: Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation 461 ( )/ Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije Generalnowo Staba WS (GRU); Übersetzung: Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation 462 C ( C )/ Federalnaja Sluschba Besopasnosti Rossijskoj Federazii (FSB); Übersetzung: Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation 238 Vor diesem Hintergrund war und ist der Freistaat Sachsen als Bestandteil der deutschen Politiklandschaft und als innovativer und leistungsstarker Forschungsund Wirtschaftsstandort in Deutschland ein relevantes Ziel russischer Nachrichtendienste. 2.1.2 Volksrepublik China Die Volksrepublik China hat ihre Nachrichtendienste im Jahr 2018 weiter zur Informationsgewinnung in Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft, aber auch zur Unterstützung der Einflussnahme auf die deutsche Wirtschaft eingesetzt463. Ziel war es, noch stärker strategische Vorteile zu gewinnen und die eigenen wirtschaftlichen Interessen zu fördern. Dabei ging es auch um die Umsetzung der zentralen industriepolitischen Strategie "Made in China 2025", mit der die chinesische Regierung die Volksrepublik "zur globalen Anführerin der vierten industriellen Revolution" 464 machen will. Dafür standen innovative deutsche - auch sächsische - Unternehmen und Hochschuleinrichtungen mit ihren Spitzentechnologien im Blickfeld chinesischer Nachrichtendienste. Gleichzeitig intensivierte China weiter den Ausbau einer flächendeckenden Kommunikationsund Internetüberwachung. Für die erforderlichen Maßnahmen verfügen die chinesischen Nachrichtendienste über eine starke Personalausstattung und umfangreiche rechtliche Befugnisse. Die verschiedenen nachrichtendienstlichen Maßnahmen werden durch das Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS) organisiert. Die Mitarbeiter der chinesischen Nachrichtendienste sind an den amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Legalresidenturen) präsent und oft als Diplomaten oder Journalisten getarnt. Auch der militärische Nachrichtendienst (Military Intelligence Department - MID) und das Ministerium für öffentliche Sicherheit (Ministry of Public Security - MPS) als Leitungsebene der Polizei führten Aufklärungsmaßnahmen gegen Deutschland durch. Ein weiterer nachrichtendienstlicher Schwerpunkt war das Ausspähen und die Unterwanderung von in Deutschland lebenden oppositionellen Kräften, die die chinesische Regierung unter der abwertenden Bezeichnung "Fünf Gifte" zusammenfasst. Chinesische Machthaber sehen innerstaatliche Konflikte mit Oppositionellen und nationalen Minderheiten in einigen Provinzen als wachsende Bedrohung der staatlichen Sicherheit an. Da sich im Freistaat Sachsen Angehörige der chinesischen Opposition aufhalten, ist davon auszugehen, dass chinesische Nachrichtendienste hier ebenfalls entsprechende Aktivitäten entfalten. Schaubild: "Fünf Gifte" 463 zu Einflussnahme im Bereich der Wirtschaft, siehe auch 2.2.3 464 Jungbluth, Cora, in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), "Kauft China systematisch Schlüsseltechnologien auf? - Chinesische Firmenbeteiligungen in Deutschland im Kontext von "Made in China 2025"", Gütersloh 2018, S. 5 239 2.1.3 Türkei und Syrien Vor allem die Türkei und Syrien standen im Jahr 2018 im Verdacht, in Deutschland Maßnahmen gegen hier lebende Oppositionelle aus ihren Heimatländern zu ergreifen und politischen Einfluss auszuüben. Für sie sind die in Sachsen lebenden Zuwanderer und Flüchtlinge aus diesen Ländern ein potenzielles Ziel. Die Türkei bemüht sich nach wie vor, ihre Staatsbürger - insbesondere oppositionelle Kurden - in Deutschland auszuforschen. Darüber hinaus kommt es immer wieder zum Versuch, auf die türkische Diaspora und die innenpolitische Debatte in Deutschland Einfluss auszuüben. Wegen der hier lebenden Türken ist dieser Umstand auch für den Freistaat Sachsen von Bedeutung. Auch syrische Nachrichtendienste haben ein starkes Interesse an Erkenntnissen über den Verbleib bekannter Oppositioneller und über deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann zu Repressionen gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden. Als Agenten kommen seit längerem in Deutschland lebende Landsleute in Betracht. 2.1.4 Westliche Staaten, insbesondere Vereinigte Staaten von Amerika Das Aufgabenspektrum der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erstreckt sich auch auf die Abwehr sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten westlicher Staaten gegen die Bundesrepublik Deutschland. Ein Beispiel für das breite Spektrum der Aktivitäten US-amerikanischer und anderer westlicher Nachrichtendienste ist die Veröffentlichung interner Dokumente. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben mit ihrer neuen "Nationalen Sicherheitsstrategie"465 vom Ende des Jahres 2017 ihren globalen Führungsanspruch erneut betont. Dafür sei es u. a. erforderlich, eine amerikanische Technologieführerschaft und einen Vorsprung in Wissenschaft und Technik herzustellen. Unabhängig von amerikanischen Aufklärungsinteressen in politischen Bereichen besteht also ein Aufklärungsinteresse an neuen Technologien und Innovationen in anderen Ländern. Zwar betont die "Nationale Sicherheitsstrategie", zur Abwehr von Spionage werde man mit Alliierten und Partnern zusammenarbeiten. Damit sind jedoch nachrichtendienstliche Maßnahmen gegen deutsche - auch sächsische - Unternehmen und Forschungseinrichtungen gerade nicht ausgeschlossen worden. Das gilt vor allem für die in dem Strategiepapier genannten Bereiche Data Science466, Verschlüsselung, autonome Technologien im Fahrzeug und Rüstungsbereich, Gentechnik, neue Werkstoffe, Nanotechnologie, Advanced Computing Technologies467 und künstliche Intelligenz. Wirtschaft und Wissenschaft im Freistaat Sachsen sind deshalb aufgerufen, die Ziele der "Nationalen Sicherheitsstrategie" bei Kooperationen mit amerikanischen Partnern hinreichend zu berücksichtigen und sich vor möglichem Informationsdiebstahl wirksam zu schützen. Der Verfassungsschutz geht in Erfüllung seines gesetzlichen Auftrages jedem Anfangsverdacht von Spionageaktivitäten auch westlicher Dienste nach. 465 The White House, NATIONAL SECURITY STRATEGY of the United States of America, Washington DC, 2017 466 Als Data Science gilt die wissenschaftliche Forschung zur Extraktion von Wissen aus geordneten und ungeordneten Daten. 467 Advanced Computing Technologies dienen dem Ausbau einer meist grenzüberschreitenden ("Super"-)Computer-Infrastruktur. 240 2.2 Methoden und Arbeitsweisen ausländischer Nachrichtendienste 2.2.1 Beschaffung öffentlich zugänglicher Informationen Ausländische Nachrichtendienste können einen großen Teil ihrer Informationen bereits aus offen zugänglichen Quellen gewinnen. Solche Informationen ergeben sich etwa bei dem Besuch öffentlicher Tagungen, Vortragsveranstaltungen oder Messen, bei der Lektüre von Werbebroschüren oder Tageszeitungen sowie aus Radio und Fernsehen. Selbst brisante Informationen sind oft ohne Weiteres und legal zugänglich, etwa über Fachzeitschriften und -bücher, über Bachelor-, Masteroder Diplomarbeiten oder über Dissertationsoder Habilitationsschriften, für die im Regelfall sogar eine Veröffentlichungspflicht besteht. Nicht zuletzt erweitert die rasante technische Entwicklung im Bereich der Digitalisierung das Spektrum frei zugänglicher Informationen in einem stetig wachsenden Ausmaß. Die digitalen Medien bieten fremden Nachrichtendiensten zahlreiche Informationsquellen, die als Grundlage und Ausgangspunkt für weitere Aktivitäten von erheblicher Bedeutung sein können. 2.2.2 Beschaffung nicht öffentlich zugänglicher Informationen Daneben zählt die Beschaffung von nicht öffentlich zugänglichen Informationen zu den Zielen ausländischer Nachrichtendienste. Die konspirative Informationsbeschaffung erfolgt über den Einsatz menschlicher Quellen, durch technische Mittel oder durch eine Kombination beider Wege. Einsatz menschlicher Quellen Social Engineering Geeignete menschliche Quellen sind Personen, die über nachrichtendienstlich relevante Wenn fremde Nachrichtendienste mit potenziellen Informationen verfügen oder solche InformatiInformanten Kontakt aufnehmen, greifen sie auf onen gewinnen können. In Betracht kommen die Möglichkeiten zwischenmenschlicher Beeinunter anderem einflussreiche Politiker oder flussung zurück, um Informationen zu erhalten. Wirtschaftslenker, Wissenschaftler, Großund Dabei werden oft menschliche Eigenschaften, wie Kleinunternehmer, leitende Beamten und OffiDankbarkeit, Hilfsbereitschaft, Habgier, Autoritätsziere, "einfache" Angestellten, Studenten oder hörigkeit, Geltungssucht, Unsicherheit oder BePraktikanten. Keine Position ist zu unbedeuquemlichkeit ausgenutzt, um Zugang zu sensiblen tend, um Ausgangspunkt oder Ziel einer AusDaten zu erhalten. spähung sein zu können. Die Gewinnung menschlicher Quellen ist in der Vergangenheit etwa durch den Aufbau langjähriger persönlicher Kontakte in relevante Bereiche, durch Einschleusung oder durch die Ausnutzung von Selbstanbietern erfolgt. Der in der Öffentlichkeit prominent 468 gewordene Fall "Anschlag" belegt das ebenso, wie der Fall eines ehemaligen Mitarbeiters des Bundesnachrichtendienstes, der sensible Informationen sowohl an amerikanische als auch an russische Nachrichtendienste geliefert hat469. Erst im Herbst 2018 wurden zwei weitere ähnlich gela468 Der Fall zeigt eine übliche Vorgehensweise russischer Nachrichtendienste. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte ein unter den Namen Andreas und Heidrun ANSCHLAG auftretendes Agentenpaar u. a. zu mehrjährigen Haftstrafen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland in einem besonders schweren Fall. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten für den russischen Auslandsnachrichtendienst SWR in Deutschland tätig waren (OLG Stuttgart, Urteil vom 2. Juli 2013, Az. 4b-3StE 5/12). 469 Der Fall zeigt die klassische Konstellation eines Innentäters, der als sog. Selbstanbieter fremden Nachrichtendiensten gedient hat. Das Oberlandesgericht München verurteilte den Angeklagten Markus R. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren wegen Landesverrats, der Verletzung von Dienstgeheimnissen sowie Bestechlichkeit. Darüber hinaus wurde dem Angeklagten für die Dauer von fünf Jahren das Wahlrecht aberkannt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte von sich aus den Kontakt mit der amerikanischen bzw. russischen Vertretung gesucht, über mehrere Jahre eine erhebliche Anzahl an Dokumenten in die USA übermittelt und sich hierfür finanziell entlohnen lassen hat. Dadurch hat er eine Gefahr schwerer Nachteile für die äußere Sicherheit Deutschlands herbeigeführt (OLG München, Ur241 gerte Fälle öffentlich bekannt. So soll ein Offizier des Österreichischen Bundesheeres mehr als zwei Jahrzehnte für Russland spioniert470 haben. In dem anderen Fall sollen zwei chinesische Angestellte mit deutscher Staatsbürgerschaft aus dem Chemiekonzern Lanxess in Westdeutschland Betriebsgeheimnisse über ein neues Produkt entwendet und in China verwertet haben471. Nicht immer betreiben Nachrichtendienste einen solchen Aufwand. Auch kleiner angelegte Spionageaktionen können Wirkung entfalten. So treten Mitarbeiter russischer und chinesischer Nachrichtendienste auch als Diplomaten, Journalisten oder als Mitglieder von Wirtschaftsdelegationen auf, die mögliche Informanten auf Tagungen, Fachmessen oder diplomatischen Empfängen zunächst in scheinbar unverfängliche Gespräche verwickeln. Meist chinesische Nachrichtendienste bedienen sich dabei ihrer Landsleute, die im jeweiligen Ausland als Wissenschaftler, Studenten oder Praktikanten leben und in ihren Arbeitsbereichen über ein erhebliches Wissenspotenzial verfügen. Verstärkt setzen chinesische Nachrichtendienste auch auf eine zunächst weitgehend unauffällige Kontaktaufnahme über soziale Netzwerke wie LinkedIn oder Facebook. Nach einem anfänglich rein fachlich und legitim erscheinenden Austausch, wird die Zielperson zu einer kostenlosen Reise nach China eingeladen. Erst dort kommt es zu einem unmittelbaren Kontakt mit dem handelnden Nachrichtendienst. Die Zielperson wird dann je nach Verlauf des Kontaktes zur Übermittlung zunehmend sensiblerer Informationen aus ihrem Arbeitsgebiet aufgefordert. Chinesischen Nachrichtendienste binden verstärkt politische oder wissenschaftliche Denkfabriken in ihre Informationsgewinnung ein. Nach den USA verfügt China weltweit über die meisten solcher Einrichtungen und fördert sie gezielt. Die erlangten Informationen werden auf unterschiedlichste Art und Weise weitergegeben. Nur exemplarisch sei auf die sogenannten Legalresidenturen der ausländischen Nachrichtendienste in Deutschland verwiesen. Solche Residenturen sind regelmäßig in Botschaften und Konsulaten angesiedelt, wo Mitarbeiter von Nachrichtendiensten getarnt als reguläre Mitarbeiter auftreten. Einsatz technischer Mittel, insbesondere elektronische Angriffe Die Informationsbeschaffung ausländischer Nachrichtendienste durch den Einsatz technischer Mittel, insbesondere über moderne Kommunikationsmedien, hat weiterhin große Bedeutung. Dies gilt umso mehr, als auch nicht öffentlich zugängliche Informationen in Zeiten zunehmender Digitalisierung oft leicht und ohne größere Risiken verfügbar sind. Elektronische Angriffe, also gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen, sind ein probates und wichtiges Mittel der Informationsgewinnung und -beeinträchtigung. Die Möglichkeiten reichen vom Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten (z. B. von Kundenlisten oder Strategiepapieren) über den Missbrauch von Identitäten bis hin zur Übernahme und Sabotage von Produktionsund Steuerungseinrichtungen. Derartige technische Maßnahmen können zügig erfolgen, sind kostengünstig und weitgehend risikoarm, auch wenn eine Identifizierung der Urheber durchaus möglich ist. Im Rahmen solcher Cy472 473 berangriffe werden u. a. klassische Trojaner-E-Mails und Wasserloch-Angriffe mit Drive-By474 Infektionen eingesetzt. Ausgangspunkt ist auch hier oft ein ausgefeiltes "Social Engineering". teil vom 17. März 2016, Az. 8 St 1/15 (1), und Pressemitteilung 18 des OLG München vom 17. März 2016). 470 Löwenstein, Stephan u.a., "Auf einen Walzer mit der Großmacht", www.faz-net/-gq5-9gfe9 vom 9./ 10. November 2018 471 ntv, "Chinesischer Spitzel im Konzern - Lanxess deckt Spionagefall auf", www.ntv.de/wirtschaft/Lanxessdeckt-Spionagefall-auf vom 15. November 2018 472 Als Trojaner-E-Mails gelten hier E-Mails, die zumeist im Anhang eine Schadsoftware enthalten. Diese als nützliche Datei getarnte Schadsoftware wird beim Öffnen der Datei aktiviert, um den betroffenen Rechner dann im Hintergrund zu manipulieren. 473 Bei Wasserloch-Angriffen (Watering-Hole-Attacks) manipuliert der Angreifer bestimmte Webseiten, bei denen er mit einem Aufruf durch das Opfer rechnen darf. Die Manipulation entfaltet im Regelfall erst dann ihre Wirkung, wenn das Opfer die Seite aufruft. 474 Eine Drive-By-Infektion ist die Infektion eines Rechners mit Schadsoftware allein durch das Aufrufen einer mit Schadsoftware manipulierten Webseite. Die Manipulation kann ohne Wissen und Wollen des Betreibers geschehen sein. Drive-By-Infektionen sollen nach Meinung von Experten in den letzten Jahren wei242 Das Sächsische Verwaltungsnetz475 ist nachweislich seit Jahren und mit steigender Tendenz Ziel zahlreicher Cyberangriffe476, bei denen ein nachrichtendienstlicher Hintergrund naheliegend erscheint und die Anlass zu erhöhter Wachsamkeit geben. Obwohl vergleichbare Erhebungen zu elektronischen Angriffen außerhalb der Verwaltung in Sachsen noch fehlen, besteht Grund zu der Annahme, dass Wirtschaft und Wissenschaft in vergleichbarem Ausmaß betroffen sind. Darauf deuten u. a. Erkenntnisse aus Russland hin, wo Nachrichtendienste zunehmend Möglichkeiten zur Überwachung und Beeinflussung des Internetverkehrs erhalten, etwa durch Zugriffsmöglichkeiten auf IPund E-Mail-Adressen, Telefonnummern und Daten aus sozialen Netzwerken oder durch datenschutzrechtliche Restriktionen im Internet. Russische Nachrichtendienste gelten als Initiatoren von Angriffskampagnen, wie "Sofacy"477, "Sandworm"478, "Snake"479 und "Energetic Bear"480. Solche hochkomplexen und mit hoher Professionalität geführten Kampagnen können über Jahre verborgen bleiben. Von der schon seit mehreren Jahren aktiven Angriffskampagne "Energetic Bear" gab es im Jahr 2018 mehrfach Hinweise auf eine Betroffenheit auch sächsischer Unternehmen und Einrichtungen. Die Angriffskampagne "Snake", die bereits seit 2005 aktiv sein soll, wurde erst im Jahr 2012 erkannt und war auch in jüngerer Vergangenheit erneut festzustellen. 481 Die Angreifer ändern immer wieder einzelne technische Komponenten, sodass sie die Kampagnen in abgewandelter Form auch weiterhin einsetzen können. Diese neue Qualität von elektronischen Angriffen überschreitet bereits die Schwelle zur Sabotage. Weitere Beispiele aus vergangenen Jahren sind die elektronischen Angriffe auf den Deutschen Bundestag oder auf einen französischen Fernsehsender, die russischen Nachrichtendiensten zugeschrieben werden. Elektronische Angriffe müssen sich keineswegs in einer einmaligen punktuellen Maßnahme erschöpfen, sie können zu einer länger andauernden, komplexen und herausfordernden Bedrohung heranwachsen, die vom Verursacher selbst mit großem Aufwand betrieben wird (sogenannter Advanced Persistent Threat [APT]). Auch Chinesische Nachrichtendienste stehen weiterhin im Verdacht, einen erheblichen Teil der elektronischen Angriffe gegen Einrichtungen in Deutschland initiiert zu haben. Diese Angriffe richteten sich sowohl gegen staatliche Institutionen als auch gegen Wirtschaftsunternehmen aus den Bereichen Rüstung, Satellitentechnik, Maschinenund Anlagenbau sowie Chemieund Pharmaindustrie. Bekannte Akteure sind Cybergruppierungen wie Gothic Panda 482 oder Stone Panda483, die weltweit operieren und im Verdacht stehen, in Sachsen einen Internetdienstleister angegriffen zu haben. Mit den Auslandsaktivitäten chinesischer Nachrichtendienste im Internet korrespondiert die Errichtung einer zunehmend stärkeren elektronischen Mauer zur Abschottung des Internets in China. Besondere Brisanz erhalten elektronische Angriffe letztendlich dadurch, dass sie selbst bei ausgeprägtem Sicherheitsbewusstsein der Betroffenen und trotz der Nutzung aktueller Schutzprogramme gegen Schadsoftware oft über längere Zeit unbemerkt bleiben können. ter an Bedeutung gewonnen und die E-Mail als Hauptverbreitungsweg für Schadsoftware abgelöst haben. 475 Das Sächsische Verwaltungsnetz ist die Kommunikationsinfrastruktur des Freistaates Sachsen. Es versorgt die Behörden und Einrichtungen des Freistaates Sachsen flächendeckend mit hochleistungsfähiger und sicherer Sprachund Datenkommunikation für ein modernes Verwaltungshandeln; siehe www.egovernment.sachsen.de. 476 siehe Feger, Karl Otto: "Jahresbericht des Beauftragten für die Informationssicherheit des Landes 2017", in: Sächsisches Staatsministerium des Innern (Hrsg.), Informationsund Cybersicherheit in Sachsen, 2018, S. 7 und 9 ff. 477 Auch bekannt als APT 28, Sofacy, Pawn Storm, Sednit, Group 74, Tsar Team, Fancy Bear oder Strontium. 478 Auch bekannt als Sandworm Team, TEMP.Noble, Electrum oder TeleBots. 479 Auch bekannt als Uroburos, Turla Group, Turla Team, Venomous Bear, Group 88, Waterbug oder Krypton. 480 Auch bekannt als Dragonfly, Crouching Yeti, Group 24, Koala Team, Bersek Bear oder Anger Bear. 481 Bei diesem Angriff kam der Windows-Trojaner Turla zum Einsatz. 482 Auch bekannt als APT 3, Buckeye oder Group 6. 483 Auch bekannt als APT 10, Menu Pass oder Cloud Hopper. 243 2.2.3 Einflussnahme auf gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Entwicklungen Sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte galten im Jahr 2018 der Beeinflussung gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen in Deutschland. Die eingesetzten Mittel sind vielfältig. Sie reichen von dem bereits aus der Vergangenheit bekannten Einsatz von Einflussagenten über den zielgerichteten Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft, den Einsatz von Propagandaoffensiven und dem damit verbundenen Versuch der Instrumentalisierung ganzer Bevölkerungsgruppen bis hin zu Aktivitäten der Einflussnahme in der Wirtschaft. Der aus dem Kalten Krieg bekannte Einsatz von Einflussagenten dient zum einen der Desinformation der Bevölkerung in den Heimatländern. Dafür geben diese Personen bevorzugt in Presse und Rundfunk, aber auch durch elektronische Rundschreiben Erklärungen ab, mit dem Ziel, die Politik ihrer Heimatländer zu unterstützen. Die Bevölkerung soll annehmen, dass "Experten" im Ausland die eigene Regierungspolitik befürworten. Zum anderen kann sich der Einsatz von Einflussagenten auch auf relevante Entwicklungen in Deutschland beziehen. Der zielgerichtete Aufbau und die Pflege von Kontakten zu Multiplikatoren in Politik und Wirtschaft erfolgt im Regelfall sehr langfristig. Die Zielpersonen müssen im Zeitpunkt der Anbahnung noch nicht die vom fremden Nachrichtendienst erhofften Kontakte, Beziehungen und Einflussmöglichkeiten haben. Oft genügt es, dass dafür in Zukunft eine hinreichende Aussicht besteht. Erst zu diesem Zeitpunkt kommen dann die eigentlich beabsichtigen Maßnahmen zum Tragen. Die Versuche fremder Mächte, ganze Bevölkerungsgruppen zu instrumentalisieren, können vor allem über dafür geeignete Medien, Einrichtungen und Vereinigungen erfolgen. Das verweist auf die deutschsprachige Berichterstattung in von Russland finanzierten Medien wie RT Deutsch (Russia Today) oder Sputnik. Weitere Beispiele in diesem Zusammenhang sind die Versuche der Einflussnahme durch die Türkei, die u. a. über Lobbyorganisationen, über die "Mobilisierung von Moscheegängern im Sinne der Regierungspartei AKP" und die Anweisung an Imame zur "Bespitzelung von Gemeindemitgliedern" erfolgen soll484. Besondere Aufmerksamkeit erregte in diesem Zusammenhang die Einführung von "EGM Mobil", einer kostenlosen, von der Türkei geschaffenen Smartphone-App. Damit können Nutzer weltweit Personen bei den türkischen Sicherheitsbehörden anzeigen und entsprechende personenbezogene Daten übermitteln. Von zunehmendem Interesse sind die Versuche Chinas, auf die deutsche Wirtschaft durch Direktinvestitionen Einfluss zu nehmen. Gezielte chinesische Firmenbeteiligungen in ausgewählten Schlüsselbranchen im Ausland sind erklärter Bestandteil der Industriestrategie "Made in China 2025". Das gilt auch für den Freistaat Sachsen.485 In die Prozesse der staatlichen Direktion von Investitionen staatlicher, halbstaatlicher und privater chinesischer Unternehmen sind auch die chinesischen Nachrichtendienste eingebunden. 3. Abwehrmaßnahmen und Sicherheitspartnerschaft Die wichtigste Abwehrmaßnahme gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte ist die Prävention. Sowohl Staat und Verwaltung als auch Wirtschaft und Wissenschaft sind aufgerufen, sich und ihre Umgebung bereits im Vorfeld solcher Tätigkeiten hinreichend zu schützen. 484 Topcu, Canan: "Scheu vor Veränderungen", www.zeit.de/politik/deutschland/2017-12/islamverband-ditibregierung-partner-vorstandswahlen vom 25. Dezember 2017 485 Jungbluth, China (Fn. 464), S. 5, 20 f. 244 Prävention bedeutet: # Sicherheit zur Chefsache machen, # sich über Angriffsmethoden und -ziele fremder Nachrichtendienste zu informieren, # die eigenen Einrichtungen und deren Umgebung auf spionagerelevante Schwachstellen systematisch zu analysieren, # passgenaue Abwehrlösungen zu entwickeln, # die Entwicklungen auf dem "Spionagemarkt" fortlaufend zu beobachten und # Verdachtsfällen nachzugehen. Zur Bewältigung dieser anspruchsvollen Herausforderungen bietet das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Sachsen allen sächsischen Behörden, Verbänden, Vereinigungen, Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen eine Sicherheitspartnerschaft an. Das LfV Sachsen geht zu diesem Zweck aktiv auf potenziell gefährdete Institutionen zu. Bestand486 teil einer Sicherheitspartnerschaft können Vorträge, Individualberatungen, Onlineangebote und Broschüren sein. Darüber hinaus unterstützt das LfV Sachsen alle Interessenten bei der Analyse ihrer Einrichtungen auf spionagerelevante Schwachstellen, bei der Entwicklung individueller Abwehrlösungen und bei der Aufklärung von Verdachtsfällen. Die sicherheitspartnerschaftliche Zusammenarbeit behandelt das LfV Sachsen selbstverständlich vertraulich. Bei alldem kann das LfV Sachsen auf starke Partner zurückgreifen. Dazu gehören das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die weiteren 15 Landesbehörden für Verfassungsschutz, der Bundesnachrichtendienst (BND), der Militärische Abschirmdienst (MAD), das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), das Nationale Cyber-Abwehrzentrum, die Polizei und viele andere Sicherheitsbehörden. Unabhängig davon engagiert sich das LfV Sachsen gemeinsam mit der Sächsischen Polizei und der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) Sachsen e. V. in dem Präventionsangebot "Sicheres Unternehmen", einem ebenfalls kostenlosen Beratungsangebot zum Schutz der äußeren und inneren Sicherheit von Unternehmen. Unterstützt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und vom Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) betreut das LfV Sachsen außerdem Unternehmen mit ge487 heimhaltungsbedürftigen Aufträgen. Des Weiteren hat der Verfassungsschutzverbund gemeinsam mit anderen Behörden und Wirtschaftsverbänden die "Initiative Wirtschaftsschutz" weiterentwickelt. Ziel ist es, die deutsche Wirtschaft und Wissenschaft mittels eines umfassenden Schutzkonzeptes noch effektiver vor Spionageaktivitäten zu bewahren. Im Jahr 2018 konnte das LfV Sachsen durch Presseberichte, Vorträge und Individualberatungen wieder eine erhebliche Zahl an Interessenten und Multiplikatoren erreichen. Außerdem haben ausgewählte Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden in anlassbezogenen Rundschreiben mehrfach Informationen über aktuelle elektronische Angriffskampagnen erhalten, verbunden mit konkreten Handreichungen zu Abwehrmaßnahmen. Wichtiger Bestandteil der öffentlichen Aktivitäten war der gemeinsame Wirtschaftsschutztag des LfV Sachsen und der Sächsischen Industrieund Handelskammern am 20. September 2018. Zum Thema "Ins Netz gegangen - Mittelstand 4.0 und Elektronische Angriffe" informierten sich in Chemnitz zahlreiche Teilnehmer aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung über elektronische Angriffe und deren Abwehr. Die vielfältigen Präventionsmaßnahmen zeigen Wirkung: Auch im Berichtsjahr gab es mehrfach Hinweise auf mutmaßliche spionagerelevante Sachverhalte, denen das LfV Sachsen nachging. 486 siehe u. a. www.verfassungschutz.sachsen.de 487 siehe Abschnitt IV. Geheimund Sabotageschutz 245 Darüber hinaus konnte es zahlreiche potenzielle Adressaten auf die Möglichkeit von elektronischen Angriffen hinweisen und sie so beim Schließen von Sicherheitslücken unterstützen. Kontakt zu Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz des LfV Sachsen erhalten Sie über: Landesamt für Verfassungsschutz Neuländer Str. 60 01129 Dresden Telefon: 0351/8585-0 und -5333 (Wirtschaftsschutz) Fax: 0351/8585-500 E-Mail: wirtschaftsschutz@lfv.smi.sachsen.de Ein eigens geschaffenes Internetportal bietet unter der Adresse www.wirtschaftsschutz.info erste Informationen und Einschätzungen zu aktuellen Fragen der Unternehmenssicherheit und ermöglicht eine schnelle Kontaktaufnahme mit den Sicherheitsbehörden. Der Wirtschaftsschutz des LfV Sachsen ist unter der Telefonnummer 0351/8585-5333 für Fragen erreichbar. 246 IV. Geheimund Sabotageschutz, Mitwirkungsaufgaben # Geheimschutz: Geheimhaltungsgrade von Verschlusssachen - STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH # Sicherheitsüberprüfung ermittelt, ob bei der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko vorliegt # 36.878 Mitwirkungsanfragen im Jahr 2018 247 Allgemein Der Geheimschutz gewährleistet, dass geheimhaltungsbedürftige Informationen aus Verschlusssachen geheim bleiben und nicht an Unbefugte gelangen. Verschlusssachen sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Die Einstufung als Verschlusssache ist unabhängig von der Form, in der die geheimhaltungsbedürftige Information vorliegt. Das Spektrum der Verschlusssachen reicht vom gesprochenen Wort über Schriftstücke und Zeichnungen bis zu elektronischen Datenträgern und technischen Einrichtungen. Sie werden je nach dem erforderlichen Schutz in die Geheimhaltungsgrade STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH und VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH eingestuft. Ihre Bearbeitung wird als sicherheitsempfindliche Tätigkeit bezeichnet. Der Zugang zu Verschlusssachen und der Umgang mit ihnen sowie die Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SächsSÜG) vom 19. Februar 2004 und in der Verwaltungsvorschrift der Sächsischen Staatsregierung über die Behandlung von Verschlusssachen (Verschlusssachenanweisung - VSA) vom 4. Januar 2008 geregelt. 1. Sicherheitsüberprüfungen (Personeller Geheimschutz) und Sabotageschutzüberprüfungen 1.1 Sicherheitsüberprüfungen Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben sollen, müssen sich zuvor einer Sicherheitsüberprüfung unterziehen. Im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung wird ermittelt, ob bei der betreffenden Person ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das dem Zugang zu Verschlusssachen bzw. der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Nach der gesetzlichen Regelung (SS 5 Abs. 1 SächsSÜG) liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste oder 3. Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Ein derartiges Sicherheitsrisiko in Bezug auf die zu überprüfende Person kann sich auch ergeben, wenn entsprechende tatsächliche Anhaltspunkte zu anderen Personen, insbesondere Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährten, vorliegen. Werden bei einer Sicherheitsüberprüfung sicherheitserhebliche Erkenntnisse - z. B. Straftaten, Hinweise auf übermäßigen Alkoholgenuss, Hinweise auf eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - bekannt, wird geprüft, ob sich daraus ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. Zuständig für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfung ist die Behörde, bei der die sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt wird. Auch für Personen in Wirtschaftsunternehmen, die im 248 Rahmen von staatlichen Aufträgen sächsischer Behörden mit Verschlusssachen umgehen, werden Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. In diesen Fällen ist die Landesdirektion Sachsen zuständig. Die Sicherheitsüberprüfung wird erst nach schriftlicher Zustimmung des Betroffenen eingeleitet. Das LfV Sachsen wirkt im Auftrag der zuständigen Stelle bei der Sicherheitsüberprüfung mit. Es überprüft die Personen und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko vorliegt. In Abhängigkeit von der auszuübenden sicherheitsempfindlichen Tätigkeit gibt es verschiedene Stufen der Sicherheitsüberprüfung (Ü 1 bis Ü 3). 1.2 Sabotageschutzüberprüfungen Der Sabotageschutz dient dem Schutz der für das Gemeinwesen lebenswichtigen Einrichtungen. In der Verordnung der Sächsischen Staatsregierung zur Feststellung lebenswichtiger Einrichtungen im Freistaat Sachsen (Sächsische Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung) vom 22. September 2010 (SächsGVBl. 2010 Nr. 12, S. 271) werden lebenswichtige Einrichtungen im Sinne des Sabotageschutzes benannt. Personen, die an einer sicherheitsempfindlichen Stelle in einer lebenswichtigen Einrichtung beschäftigt werden, üben eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach dem SächsSÜG aus und müssen sich daher einer einfachen Sicherheitsüberprüfung Ü1 unterziehen. 2. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen und gewährleistet die Einhaltung der Bestimmungen der Verschlusssachenanweisung. Dazu zählen die rechtlichen Maßgaben zur Herstellung, Kennzeichnung und Vervielfältigung von Verschlusssachen sowie Regelungen zu Aufbewahrung, Verwaltung, Transport und Vernichtung von Verschlusssachen. Wird ein Geheimnisverrat bekannt, ist das LfV Sachsen zu beteiligen. Das LfV Sachsen berät und unterstützt die Behörden des Freistaates Sachsen in Fragen des materiellen Geheimschutzes, damit Verschlusssachen sicher erstellt, bearbeitet und aufbewahrt werden können. Bei Wirtschaftsunternehmen, die im Auftrag sächsischer Landesbehörden tätig sind und dabei Zugriff auf Verschlusssachen haben, führt die Landesdirektion Sachsen als zuständige Stelle unter Mitwirkung des LfV Sachsen ein Geheimschutzverfahren durch. Dabei werden Sicherheitsstandards geschaffen, um die Kenntnisnahme von Verschlusssachen durch Unbefugte zu verhindern. Im Rahmen dieses Verfahrens berät das LfV Sachsen die Unternehmen. 249 3. Zuverlässigkeitsüberprüfungen sowie Prüfung von Versagungsoder Ausschlussgründen Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr. Auf Anfrage der zuständigen Behörden wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden Erkenntnisse zu den angefragten Personen vorliegen und ob diese gemäß den gesetzlichen Regelungen mitgeteilt werden dürfen. Im Einzelnen unterstützte das LfV Sachsen die Behörden im Jahr 2018 bei folgenden Überprüfungen: Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) für Personen, die zum sicherheitsempfindlichen Bereich des Luftverkehrs Zutritt haben sollen 9.769 Anfragen Beteiligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufenthG) vor der Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln 21.628 Anfragen Beteiligung nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) bei Einbürgerungen 2.429 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe - Sprengstoffgesetz (SprengG) für Personen, die gewerbsmäßig, selbstständig im Rahmen eines wirtschaftlichen Unternehmens oder eines landoder forstwirtschaftlichen Betriebes oder bei der Beschäftigung von Arbeitnehmern mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen betreiben wollen 408 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Gesetz über die friedliche Verwendung von Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (Atomgesetz - AtG) für Personen, die beim Umgang mit radioaktiven Stoffen oder bei der Beförderung von radioaktiven Stoffen oder bei der Errichtung oder dem Betrieb von Anlagen tätig sind 51 Anfragen Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz (WaffG) für Personen, die Umgang mit Waffen oder Munition haben 45 Anfragen Ein Schwerpunkt in diesem Berichtsjahr war die Mitteilung an die für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis zuständigen Behörden zu Inhabern von waffenrechtlichen Erlaubnissen, die dem LfV Sachsen als REICHSBÜRGER ODER SELBSTVERWALTER bekannt wurden. Hierbei übermittelte das LfV Sachsen in 27 Fällen Erkenntnisse an die Waffenbehörden. Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach der Gewerbeordnung in Verbindung mit der Verordnung über das Bewachungsgewerbe - Bewachungsverordnung (BewachV) für Wachpersonen, die mit Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei Objekten, von denen im Falle eines kriminellen Eingriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann sowie für Wachpersonen, die mit der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und 250 Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende oder mit der Bewachung von zugangsgeschützten Großveranstaltungen beauftragt werden sollen 2.548 Anfragen Im Jahr 2018 wurden insgesamt 36.878 solcher Mitwirkungsanfragen bearbeitet. 251 V. Anhang # Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen # Glossar # Abkürzungsverzeichnis # Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen # Register 252 Extremistische Organisationen und Gruppierungen im Freistaat Sachsen Rechtsextremismus ANTI-ANTIFA-GRUPPE ANTIKAPITALISTISCHES KOLLEKTIV (AKK) ARTAM (Band) ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE (ABE) BILDUNGSWERK FÜR HEIMAT UND NATIONALE IDENTITÄT E. V. (siehe NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)) BLACK DEVILS BLITZKRIEG (Band) BLUTZEUGEN (Band) BRAINWASH (Band) BRIGADE 8 BÜRGERWEHR FTL/360 CAMULOS (Band) DER DRITTE W EG (III. W EG) DEUTSCHE STIMME VERLAGSGESELLSCHAFT MBH DIE RECHTE DRYVE BY SUIZHYDE (Vertrieb) ENDLESS STRUGGLE (Band) ERZLICHTER FAUST DES OSTENS FEUERBEFEHL (Band) FREIE AKTIVISTEN DRESDEN FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FREIE KRÄFTE HOYERSWERDA (siehe NATIONALE SOZIALISTEN HOYERSWERDA) FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN (FKMO) FREIGEIST E. V. FREILICHFREI (Liedermacher) FRONT RECORDS (Vertrieb) FRONTMUSIK (Vertrieb) GEFANGENENHILFE (GH) HAMMERSKINS HEILIGE JUGEND (Band) HEILIGER KRIEG (Band) HEILIGES REICH (Band) HEIMATTREUE DEUTSCHE JUGEND (HDJ, verboten seit 31. Mai 2009) HEIMATTREU-VERSAND (Vertrieb, siehe NATIONALES VERSANDHAUS) HERMANNSLAND-VERSAND (Vertrieb) HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE UND POLITISCHE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E. V. (HNG, verboten seit 21. September 2011) HOPE FOR THE W EAK (Band) IDENTITÄRE BEWEGUNG (IB) / IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND (IBD) JUNGE NATIONALISTEN (JN, ehem. JUNGE NATIONALDEMOKRATEN) KAMERADSCHAFT STOLZ UND EHRE KAOTIC CHEMNITZ KILLUMINATI (Band) KOLLEKTIV OBERLAUSITZ KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG (KPV, siehe NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)) KOPFSTEINPFLASTER 253 LEICHENZUG (Band) LIBERGRAPHIX (Verlag) LOKIS TRUHE (Vertrieb) MOSHPIT (Band) MUDHATER (siehe DRYVE BY SUIZHYDE) NATION & W ISSEN (Verlag) NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) NATIONALE SOZIALISTEN CHEMNITZ (verboten seit 28. März 2014) NATIONALE SOZIALISTEN DÖBELN (verboten seit 18. Februar 2013) NATIONALE SOZIALISTEN HOYERSWERDA (NSHOY) / FREIE KRÄFTE HOYERSWERDA NATIONALER JUGENDBLOCK E. V.(NJB) NATIONALES UND SOZIALES AKTIONSBÜNDNIS 1. MAI NATIONALES VERSANDHAUS (Vertrieb) NATIONALSOZIALISTISCHER UNTERGRUND (NSU) NEUBEGINN (Band) NEW SOCIETY (NS-BOYS) NORDSACHSEN-VERSAND (Vertrieb, siehe NATIONALES VERSANDHAUS) ODIN-VERSAND (Vertrieb, siehe NATIONALES VERSANDHAUS) OIRAM (Liedermacher) OLDSCHOOL SOCIETY (OSS) OVERDRESSED (Band) PARANOID (Band) PC-RECORDS (Vertrieb) PECKERWOOD BROTHERHOOD PIONIER (Band) PRO CHEMNITZ (BÜRGERBEWEGUNG PRO CHEMNITZ) RAC'N'ROLL-TEUFEL (Band) REPRO-MEDIEN (Vertrieb) REVOLUTION CHEMNITZ REVOLUTIONÄRE NATIONALE JUGEND (RNJ) RING NATIONALER FRAUEN (RNF, siehe NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD)) SACHSENBLUT (Band) SACHSONIA (Band) SCHLESISCHE JUNGS NIESKY SCHRATT (Liedermacher) SELBSTSTELLER (Band) STAHLFRONT (Band) STAHLWERK (Band) STEREOTYP (Band) STREETFIGHT-VERSAND (Vertrieb, siehe NATIONALES VERSANDHAUS) THEMATIK 25 (Band) THOYTONIA (Band) TREUESCHWUR (Band) TRUE AGGRESSION (Band) ÜBERZEUGUNGSTÄTER VOGTLAND (Band) VERBOTEN (Band) VOLKSNAH (Band) W. U. T. (W HITE UNITED TERROR) (Band) WEISSE W ÖLFE TERRORCREW (WWT, verboten seit 16. März 2016) WEIßER RABE/DER W EIßE RABE WHITE RESISTANCE (Band) WIR FÜR LEIPZIG 254 # VOGTLÄNDISCH-ISLAMISCHES ZENTRUM AL-MUHADJIRIN E. V. in Plauen (AL-MUHADJIRINMOSCHEE) TÜRKISCHE HIZBULLAH (TH) Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) ARBEITERPARTEI KURDISTANS (PKK) CIWANEN AZAD (FREIE JUGEND) CIWANEN AZAD DRESDEN (FREIE JUGEND DRESDEN) DEMOKRATISCHES GESELLSCHAFTSZENTRUM DER KURDINNEN IN DEUTSCHLAND E. V.(NAV-DEM) DEMOKRATISCHES KURDISCHES GESELLSCHAFTSZENTRUM (DKTM) DRESDNER VEREIN DEUTSCH KURDISCHER BEGEGNUNGEN E. V. FREIHEITSFALKEN KURDISTANS (TAK) KONGRESS DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT KURDISTANS IN EUROPA (KCDK-E) KOORDINATION DER KURDISCHEN DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT IN EUROPA (CDK) KURDISCHE DEMOKRATISCHE VOLKSUNION (YDK) NATIONALE BEFREIUNGSFRONT KURDISTANS (ERNK) PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION (PYD) UTA FRAUENRAT DRESDEN E. V. VEREINIGTE GEMEINSCHAFTEN KURDISTANS (KCK) VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN (YPG) VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN DER FRAUEN (YPJ) VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE (HPG) Darüber hinaus werden die Massenorganisationen der CDK erwähnt (s. Strukturkasten zu PKK-Beitrag): YJA (Frauen) YXK (Studenten) YMK (Lehrer) YRK (Journalisten) YHK (Juristen) YNK (Schriftsteller) CIK, YEK, KAB (religiöse Gruppen) 256 Glossar der Verfassungsschutzbehörden Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonationalsozialisten in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt und als solche auch militante Aktionsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners. Als Gegner werden dabei auch Angehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antideutsche Anhänger einer antideutschen Ideologie bilden eine Besonderheit innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene und tragen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremistischen Gefüge bei. Hauptbestandteil antideutscher Ideologie ist die bedingungslose Solidarität mit der Politik des Staates Israels und dem jüdischen Volk. Antideutsche sprechen sich - aus Sorge vor einem neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust - für eine massive Unterstützung des Staates Israels und des Judentums aus. Sie stehen oft positiv zu den USA als Schutzmacht Israels. Antideutsche befürchten ein Erstarken des deutschen Nationalismus und ein großdeutsches "Viertes Reich", sie lehnen daher einen deutschen Nationalstaat insgesamt ab. Im linksextremistischen Umfeld treten Antideutsche verstärkt durch Antisemitismusvorwürfe gegen rivalisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Antifa, AUTONOME Der "antifaschistische Kampf" ist ein Hauptagitationsfeld von AUTONOMEN. Aus ihrer Sicht ist es geboten, den Kampf gegen "Faschisten" und "Rassisten" in die eigenen Hände zu nehmen. In autonomen Publikationen und Stellungnahmen wird für Gegenveranstaltungen zu rechtsextremistischen Kundgebungen geworben. Die Agitation richtet sich auch gegen bestimmte staatliche Einrichtungen oder ihre Repräsentanten. Darüber hinaus werden Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, die nicht selten mit der Aufforderung verbunden sind, diese Personen auch anzugreifen. Im Rahmen der "antifaschistischen Selbsthilfe" werden auch militante Aktionen befürwortet, die sich in erster Linie gegen den politischen Gegner, insbesondere tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, richten. Dadurch kommt es regelmäßig zu hohen Sachschäden, teilweise aber auch zu Personenschäden. Antifaschismus Der Begriff "Antifaschismus" wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. 257 Asylbezogene Veranstaltungen mit erkennbaren und relevanten rechtsextremistischen Bezügen Dabei handelt es sich um solche Veranstaltungen, die zwar nicht von Rechtsextremisten organisiert oder bestimmt wurden, auf denen Rechtsextremisten jedoch in relevantem Maße in Erscheinung traten. Dies kann etwa durch einen rechtsextremistischen Redner oder auch eine Mitwirkung von einzelnen Rechtsextremisten an der Durchführung der Veranstaltung geschehen sein. Hierbei werden auch asylkritische Veranstaltungen statistisch erfasst, sofern diese erkennbare und relevante rechtsextremistische Bezüge aufweisen. Asylfeindliche Veranstaltungen Asylfeindlich sind Veranstaltungen oder Aktivitäten mit Asylbezug, die direkt oder indirekt, ausschließlich oder mit überwiegender Beteiligung von Rechtsextremisten durchgeführt werden. Asylkritische Veranstaltungen Asylkritisch bezeichnet eine nicht extremistische, asylbezogene Veranstaltung oder sonstige Aktivität. Eine Veranstaltung bleibt auch dann asylkritisch, wenn Rechtsextremisten daran teilnehmen, aber weder die Organisation noch der Gesamtcharakter der Veranstaltung als rechtsextremistisch einzuschätzen sind. AUTONOME Kennzeichnend für die Bewegung der AUTONOMEN, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von AUTONOMEN grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. AUTONOME bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die sogenannte Massenmilitanz. Dies sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Autonome Nationalisten Mit den autonomen Nationalisten trat in den letzten Jahren eine weitere Strömung innerhalb des deutschen Neonationalsozialismus öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Angehörige der autonomen Nationalisten traten oft mit einem hohen Maß an Gewaltbereitschaft gegen Polizeibeamte und politische Gegner auf, dies insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen, wo sie sich bisweilen vermummt zu sogenannten Schwarzen Blöcken zusammenschlossen. Zudem übernahmen sie in Teilen Stilelemente anderer Jugendsubkulturen und traten ähnlich gekleidet auf wie militante Linksextremisten (AUTONOME). Innerhalb der Neonazi-Szene waren autonome Nationalisten vor allem wegen ihres öffentlichen Erscheinungsbildes und ihrer Gewaltbereitschaft umstritten. In jüngerer Vergangenheit ist ein öffentlichkeitswirksames Auftreten von autonomen Nationalisten im Freistaat Sachsen nicht mehr zu beobachten. 258 Bestrebungen, extremistische Nach allgemeinem Sprachgebrauch sind Bestrebungen alle auf ein Ziel gerichtete Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes und Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, welcher darauf gerichtet ist, einen der zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zählenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut des Bundesverfassungsschutzgesetzes oder eines Landesverfassungsschutzgesetzes erheblich zu beschädigen. Extremismus / Radikalismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Radikalismus" und "Extremismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei Radikalismus handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum Extremismus sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. 259 Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet in der Regel subkulturelle Publikationen. In der rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Einzelpersonen und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres Gedankengutes. Das Medium verlor mit der Verlagerung der Kommunikation in das Internet sehr stark an Bedeutung. Zwar erscheinen weiterhin Fanzines, herausgegeben von zumeist langjährigen Szeneangehörigen, diese Publikationen haben jedoch eher traditionellen, nostalgischen Charakter, als dass sie der Information breiter Szenekreise dienen. FREIE NATIONALISTEN / FREIE KRÄFTE Das Konzept der FREIEN NATIONALISTEN (bzw. FREIEN KRÄFTE) wurde Mitte der 1990er Jahre von NEONATIONALSOZIALISTEN als Reaktion auf die zahlreichen Vereinsverbote entwickelt. Ziel war es, die zersplitterte neonationalsozialistische Szene unter Verzicht auf vereinsmäßige Strukturen ("Organisierung ohne Organisation") zu bündeln, ihre Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Ein Großteil der FREIEN NATIONALISTEN sammelte sich in rechtsextremistischen Kameradschaften. Ab Mitte der 2000er Jahre setzte ein erneuter Strukturwandel in der Kameradschaftsszene ein, der von einer weiteren Lockerung der Organisationsstrukturen gekennzeichnet war. Damit wurde das Ziel verfolgt, dem Staat noch weniger Angriffsfläche zu bieten. So existieren in Sachsen nur noch vereinzelt organisierte und eine Struktur aufweisende FREIE KRÄFTE. Freiheitliche demokratische Grundordnung Damit ist nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft, die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. 260 Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ wurde im November 2012 zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus, der Spionage sowie der Proliferation eingerichtet. Im Rahmen des Gremiums tauschen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern Informationen zu den genannten Phänomenbereichen aus. Dabei soll die Fachexpertise der Sicherheitsbehörden gebündelt und ein möglichst lückenloser Informationsfluss gewährleitet werden. Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Im GIZ beobachten seit 2007 sprachkundige Experten der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder das Internet hinsichtlich islamistischer und islamistisch-terroristischer Inhalte. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das im Jahr 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in BerlinTreptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt, Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird durch die dortige Zusammenarbeit erleichtert und beschleunigt. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. 261 Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Unter "Homegrown"-Terrorismus sind islamistische Strukturen oder Strukturansätze zu verstehen, die sich aus radikalisierten Personen ab der zweiten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Die Personen sind zumeist in europäischen Ländern geboren und/ oder aufgewachsen, stehen jedoch aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber und erachten die Errichtung einer islamistischen Gesellschaftsordnung für erstrebenswert. Gemeinsames Kennzeichen dieses Personenkreises ist, dass er von der pan-islamischen AL-QAIDA-Ideologie beeinflusst wird. Lediglich ein sehr kleiner Teil zum Islam konvertierter Personen macht sich islamistisches Gedankengut zu eigen und engagiert sich für islamistische Ziele. Die Rolle von Konvertiten in islamistischen / islamistisch-terroristischen Strukturen erklärt sich u. a. aus der Motivation, sich gegenüber Glaubensbrüdern als besonders gute Muslime (hier: Islamisten) beweisen zu wollen. Sie weisen zudem aufgrund ihrer Kenntnis der westlichen Gegebenheiten strategische Vorteile auf. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sogenannter großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf / "heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. Kameradschaften, rechtsextremistische (im Freistaat Sachsen) Bei Kameradschaften handelt sich um Gruppierungen, die einen abgegrenzten Personenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation besitzen, eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung aufweisen, eine zumindest rudimentäre Struktur besitzen und die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonationalsozialistischen Grundorientierung haben. Die Kameradschaften sind im Wesentlichen von zwei Formen bestimmt: # Subkulturell geprägte Kameradschaften 262 Diese besitzen keine festen Führungsstrukturen und sind von Spontaneität und Aktionismus geprägt. Dementsprechend beschränken sich ihre Aktivitäten hauptsächlich auf den regionalen Bereich und oft auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Konzerten. # Neonationalsozialistische Kameradschaften Diese weisen klar erkennbare Führungsstrukturen auf und sind stark politisch ausgerichtet. In ihren weltanschaulichen Grundpositionen werden zunehmend antikapitalistische Elemente sichtbar. Gefordert werden ein Nationaler Sozialismus und die Volksgemeinschaft. Darüber hinaus bestehen auch kameradschaftsähnliche Strukturen, die in Sachsen u. a. unter wechselnden Bezeichnungen wie FREIE KRÄFTE, NATIONALE SOZIALISTEN etc. in Erscheinung treten. Dabei verwenden sie oft einen auf einen Ort oder eine Region hinweisenden Namenszusatz. Klandestine Aktionen Diese Aktionsform findet unabhängig vom Demonstrationsgeschehen Anwendung. Es handelt sich um Aktionen, bei denen es entweder zum Einsatz von Gewalt kommt bzw. es sich um herausgehobene Zielobjekte des politischen Gegners bzw. Einrichtungen des "Repressionsapparates" handelt. Taktisch setzt man dabei auf das Überraschungsmoment und die Anonymität der Akteure. Dadurch wird für die Handelnden das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung minimiert. Voraussetzung dafür ist allerdings ein kleiner, aber fester Personenkreis mit hohem Konspirationsgrad. Es sollen hierdurch politische Aufmerksamkeit erreicht und politischer Einfluss ausgeübt werden. Daher werden die Aktionen in der Regel auch durch Bekennerschreiben flankiert. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao und andere, Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, AUTONOME, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. 263 Mujahidin Als Mujahidin (Plural für: "Kämpfer im Jihad") werden Islamisten bezeichnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie sich am "gewaltsamen Jihad" selbst beteiligen oder beteiligt haben oder für die Teilnahme am "gewaltsamen Jihad" ausbilden lassen oder bereits haben ausbilden lassen oder am "gewaltsamen Jihad" beteiligen werden, z. B. aufgrund entsprechender Äußerungen. Arabische Muslime verschiedener Nationalität stellen einen überproportional großen Teil der Mujahidin. MUSLIMBRUDERSCHAFT Die MUSLIMBRUDERSCHAFT ist die weltweit älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Sie wird von den Verfassungsschutzbehörden als extremistisch kategorisiert. Angestrebt werden die Bildung einer islamischen Gesellschaft sowie die Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung. Zahlreiche islamistische und islamistisch-terroristische Organisationen, z. B. die palästinensische HAMAS, die das Existenzrecht des Staates Israels negiert und diesen aktiv bekämpft, sind aus ihr hervorgegangen. Seit den 1970er-Jahren formuliert die MB den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele. Ausgenommen davon sei jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. Neonationalsozialismus / "Neonazismus" Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Nationalismus und Rassismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung wesentlicher Elemente demokratischer Gewaltenteilung. Abgrenzungskriterien zum subkulturell geprägten Rechtsextremismus sind bei NEONATIONALSOZIALISTEN der stärker ausgeprägte Wille zur politischen Arbeit sowie eine intensivere Auseinandersetzung mit inhaltlichen Aspekten des Weltbildes der NEONATIONALSOZIALISTEN. Neue Rechte Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um eine in den 1970er Jahren in Frankreich aufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemüht. Sie beruft sich u. a. auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung "Konservative Revolution" aktiv waren. Die Aktivisten der "Neuen Rechten" beabsichtigen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des demokratischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden kulturellen Einfluss zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde zum 1. Januar 2001 eingeführt. Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische 264 Motivation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt. Die Straftaten werden folgenden Bereichen zugeordnet: politisch motivierte Kriminalität - rechts, politisch motivierte Kriminalität - links, politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie / religiöse Ideologie488, sonstige politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Quelle / Quellenschutz Im nachrichtendienstlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff "Quelle" die Herkunft einer Information. Quellen können Personen (z. B. V-Leute), aber auch Medien (z. B. Internet, Druckerzeugnisse) oder andere Behörden sein. Unter "Quellenschutz" versteht man alle Maßnahmen, die erforderlich und geeignet sind, eine nachrichtendienstliche Quelle vor einer Enttarnung und deren Folgen zu schützen. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleichheit der Menschen richten und die universelle Geltung der Menschenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Feinde des demokratischen Verfassungsstaates, sie haben ein autoritäres Staatsverständnis, das bis hin zur Forderung nach einem nach dem Führerprinzip aufgebauten Staatswesen ausgeprägt ist. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit, aus der u. a. Fremdenfeindlichkeit resultiert. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" bestimme den Wert eines Menschen. Offener oder immanenter Bestandteil aller rechtsextremistischen Bestrebungen ist zudem der Antisemitismus. Individuelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). siehe auch: Autonome Nationalisten, Fanzine, Kameradschaften, FREIE NATIONALISTEN / FREIE KRÄFTE, Neonationalsozialismus / Neonazismus, Skinheads Rechtsterrorismus 488 Seit 2018 werden die Strafund Gewalttaten nach ausländischer (d. h. politischer) und religiöser Ideologie unterschieden. Vorher nannte sich die Rubrik "Politisch motivierte Ausländerkriminalität - Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund". Auch Straftaten aus dem Extremismusbereich "Islamismus" wurden hier registriert. 265 Rechtsterrorismus ist eine rechtsextremistisch motivierte Form der Gewaltkriminalität, die durch Androhung und Anwendung von Gewalt gegen staatliche oder gesellschaftliche Funktionsträger oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter im Rahmen längerfristiger Strategien das Ziel verfolgt, mit der Verbreitung von Furcht und Schrecken bestehende Herrschaftsverhältnisse zu erschüttern oder das Ziel einer ethnisch und politisch homogenen Gesellschaft durchzusetzen. Salafismus Die salafistische Bewegung strebt eine Rückkehr zum Vorbild der "lauteren Vorfahren" (as-Salaf as-salih) und damit zu einem fiktiven "Urislam" an. Zentrale Merkmale dieser Religionsinterpretation sind die strikte Konzentration auf Koran und Prophetentradition (Sunna) als handlungsweisende Texte, die Ablehnung aller Neuerungen, die als unvereinbar mit dem "wahren islamischen Geist" gelten, das unbedingte Bekenntnis zur Einheit Gottes (Tauhid), die Durchsetzung des religiösen Gesetzes (Scharia) sowie eine Vielzahl an Kleidungsund Verhaltensvorschriften. Viele der dabei vertretenen Ansichten sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug (ohne Islamismus) Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Dabei handelt es sich um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte ARBEITERPARTEI KURDISTANS. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie z. B. versuchen, hier eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Skinheads, rechtsextremistische Rechtsextremistische Skinheads sind heute nur noch marginal Bestandteil des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland. Ihr Anteil und ihre Bedeutung sind im Vergleich zu den 1990er Jahren deutlich zurückgegangen. Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt (s. auch Subkulturell ge266 prägte Rechtsextremisten). Das Erscheinungsbild der rechtsextremistischen Skinheads entspricht heute nicht mehr dem eines typischen Skinheads in den 1980er und 1990er Jahren. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und häufig mehr auf Freizeitgestaltung als auf politische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen die meisten subkulturell geprägten Rechtsextremisten nicht über ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Sie vertreten jedoch rechtsextremistische Anschauungen, die sich durch Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus zeigen. Sie stellen ihre Zugehörigkeit zur "weißen Rasse" und deren angebliche Überlegenheit in den Mittelpunkt und definieren ihre Feindbilder auf diese Weise. Die rassistische Einstellung wird mit dem Schlagwort "white power" zusammengefasst. Die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene zeichnet sich größtenteils durch eine erhöhte Gewaltbereitschaft aus, die maßgeblich zu den rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten beiträgt. Jugendliche finden auch über die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Subkultur und insbesondere über die für die Szene wichtige rechtsextremistische Musik Zugang zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Gedankenwelt. Musik spielt nicht nur für die subkulturell geprägte rechtsextremistische Bewegung eine wichtige identitätsstiftende Rolle. Texte von rechtsextremistischen Musikgruppen prägen weltanschauliche Vorstellungen, Konzerte spielen eine bedeutende Rolle für den Zusammenhalt und das Gemeinschaftsgefühl der Szene. Oft sind Musik und Konzerte Anknüpfungspunkte für rechtsextremistische Parteien oder Neonazis, die hierüber versuchen, Jugendliche an ihre politischen Vorstellungen heranzuführen. Weltweite Strömungen innerhalb der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene mit einer szeneinternen Bedeutung sind BLOOD & HONOUR und die HAMMERSKINS, beides rassistische Bewegungen, die ein elitäres Selbstverständnis pflegen. Vor allem BLOOD & HONOUR, dessen deutscher Zweig, die BLOOD & HONOUR-Division Deutschland, im Jahr 2000 durch den Bundesinnenminister verboten wurde, trat in der Vergangenheit immer wieder durch die Organisation von rechtsextremistischen Konzerten in Erscheinung. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus. Hierdurch sollen Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste gewonnen werden. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Terrorismus 267 Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mithilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindlich Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. "Verfassungsfeindlichkeit" ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der "Verfassungswidrigkeit" (siehe unten). Verfassungsschutzbehörden Das Bundesverfassungsschutzgesetz verpflichtet Bund und Länder, eigene Verfassungsschutzbehörden aufzubauen. Der Bund kam dieser Pflicht durch Errichtung des Bundesamtes für Verfassungsschutz am 7. November 1950 nach. Die Länder folgten alsbald. Auch in den neuen Bundesländern wurden nach der Wiedervereinigung Deutschlands schrittweise Behörden für Verfassungsschutz aufgebaut, so dass es nun 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz in Deutschland gibt. Einige Länder errichteten eigenständige Verfassungsschutzbehörden, andere wiesen die Aufgabe des nachrichtendienstlichen Verfassungsschutzes einer Abteilung ihres Innenministeriums/senats zu. Hierfür gelten die jeweiligen Verfassungsschutzgesetze der Länder. Verfassungswidrig Umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Im Urteil zum NPD-Verbotsverfahren vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, forderte das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus das Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die eine Durchsetzung der von einer Partei verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele möglich erscheinen lassen (so z. B. die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen, oder die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen) oder konkrete Anhaltspunkte von Gewicht für ein deutliches Überschreiten der Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-howAbfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage 268 Wirtschaftsspionage beinhaltet die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. 269 Abkürzungsverzeichnis A ABE ARYAN BROTHERHOOD EASTSIDE AGDV AKTIONSBÜNDNIS GEGEN DAS VERGESSEN AJZ ALTERNATIVES JUGENDZENTRUM CHEMNITZ AFA GÖRLITZ ANTIFASCHISTISCHE AKTION GÖRLITZ AKK ANTIKAPITALISTISCHES KOLLEKTIV AKP ANTIFA KLEIN-PARIS ANTIFA RDL ANTIFA ROßWEIN-DÖBELN-LEISNIG ASJL ANARCHOSYNDIKALISTISCHE JUGEND LEIPZIG AQ AL-QAIDA B BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BND Bundesnachrichtendienst BNG FAU-Sektion BASISGEWERKSCHAFT NAHRUNG UND GASTRONOMIE BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik C CA CIWAN AZAD CIA Central Intelligence Agency CIMS CONVEYING ISLAMIC MESSAGE SOCIETY D DKP DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI DKTM DEMOKRATISCHES KURDISCHES GESELLSCHAFTSZENTRUM DVU DEUTSCHE VOLKSUNION F FAU-IAA FREIE ARBEITERINNENUND ARBEITER-UNION - INTERNATIONALE ARBEITER ASSOZIATION FKD FREIE KAMERADSCHAFT DRESDEN FKMO FREIE KRÄFTE MITTEL/OSTSACHSEN FNS FREIES NETZ SÜD FSB Federalnaja Sluschba Besopasnosti Rossijskoj Federazii G GAM GRUPPE ARBEITERMACHT GCHQ Government Communications Headquarters GH GEFANGENENHILFE 270 H HBDH BUND DER REVOLUTIONÄREN BEWEGUNG DER VÖLKER HNG HILFSORGANISATION FÜR NATIONALE GEFANGENE UND DEREN ANGEHÖRIGE E.V. HPG VOLKSVERTEIDIGUNGSKRÄFTE HSK KURDISCHER ROTER HALBMOND E. V. I IB IDENTITÄRE BEWEGUNG IBD IDENTITÄRE BEWEGUNG DEUTSCHLAND IG INTERESSENGEMEINSCHAFT CHEMNITZ IGD ISLAMISCHE GEMEINSCHAFT IN DEUTSCHLAND E.V. IL INTERVENTIONISTISCHE LINKE IS ISLAMISCHER STAAT J JN JUNGE NATIONALISTEN K KPD KOMMUNISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS KPF KOMMUNISTISCHE PLATTFORM DER PARTEI DIE LINKE KPV KOMMUNALPOLITISCHE VEREINIGUNG L LfV Landesamt für Verfassungsschutz M MAD Militärischer Abschirmdienst MB MUSLIMBRUDERSCHAFT MEK VOLKSMODJAHEDIN IRAN-ORGANISATION MF MARXISTISCHES FORUM MID Military Intelligence Department MLPD MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS MSS Ministry of State Security N NAO NEUE ANTIKAPITALISTISCHE ORGANISATION NAV-DEM DEMOKRATISCHES GESELLSCHAFTSZENTRUM DER KURDINNEN IN DEUTSCHLAND E. V. NJB NATIONALER JUGENDBLOCK E. V. NPD NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS NSC NATIONALE SOZIALISTEN CHEMNITZ NSD NATIONALE SOZIALISTEN DÖBELN O OfD OFFENSIVE FÜR DEUTSCHLAND OSS OLDSCHOOL SOCIETY P 271 PKK ARBEITERPARTEI KURDISTANS PKK Parlamentarische Kontrollkommission PMK Politisch motivierte Kriminalität PRISMA PRISMA - INTERVENTIONISTISCHE LINKE LEIPZIG PYD PARTEI DER DEMOKRATISCHEN UNION R REVO REVOLUTION RH ROTE HILFE E.V. RHD ROTE HILFE DEUTSCHLAND RNF RING NATIONALER FRAUEN RNJ REVOLUTIONÄRE NATIONALE JUGEND VOGTLAND S SBS SÄCHSISCHE BEGEGNUNGSSTÄTTE GEMEINNÜTZIGE UNTERNEHMERGESELLSCHAFT SWR Sluschba Wneschnei Raswedki Rossijskoj Federazii T TAK FREIHEITSFALKEN KURDISTANS TddZ TAG DER DEUTSCHEN ZUKUNFT TFIU THE FUTURE IS UNWRITTEN TH TÜRKISCHE HIZBULLAH YPG VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN U URA Dresden UNDOGMATISCHE RADIKALE ANTIFA DRESDEN W WWT WEIßE W ÖLFE TERRORCREW Y YDK KURDISCHE DEMOKRATISCHE VOLKSUNION YEK-KOM FÖDERATION KURDISCHER VEREINE IN DEUTSCHLAND E. V. YPG VOLKSVERTEIDIGUNGSEINHEITEN YXK VERBAND DER STUDIERENDEN AUS KURDISTAN 272 Gesetz über den Verfassungsschutz im Freistaat Sachsen (Sächsisches Verfassungsschutzgesetz - SächsVSG) Vom 16. Oktober 1992 Rechtsbereinigt mit Stand vom 31. Dezember 2013 Inhaltsübersicht Erster Abschnitt: Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS 1 Organisation, Zuständigkeit SS 2 Aufgaben SS 3 Begriffsbestimmungen SS 4 Allgemeine Befugnisse SS 5 Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel SS 5a Besondere Befugnisse Zweiter Abschnitt: Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS 6 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS 7 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten SS 7a Löschung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten SS 8 Errichtungsanordnung SS 9 Auskunft an Betroffene Dritter Abschnitt: Übermittlungsvorschriften SS 10 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen SS 11 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 11a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 11b Weitere Informationsübermittlungen durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen SS 12 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 12a Übermittlung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten SS 13 Übermittlungsverbote SS 14 Besondere Pflichten des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 15 Unterrichtung der Öffentlichkeit Vierter Abschnitt: Parlamentarische Kontrolle, Einschränkung von Grundrechten SS 16 Parlamentarische Kontrollkommission SS 17 Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission SS 18 Einschränkung von Grundrechten Fünfter Abschnitt: Schlussbestimmung SS 19 Inkrafttreten 273 Der Sächsische Landtag hat am 17. September 1992 das folgende Gesetz beschlossen: Erster Abschnitt Organisation, Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes SS1 Organisation, Zuständigkeit (1) Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder wird ein Landesamt für Verfassungsschutz errichtet. Es untersteht als obere Landesbehörde unmittelbar dem Staatsministerium des Innern. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist zuständig für 1. die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 und 2. die Zusammenarbeit mit den anderen Ländern und dem Bund in Angelegenheiten der Nummer 1. (3) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Freistaat Sachsen nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz und Polizeibehörden oder Polizeidienststellen dürfen einander nicht angegliedert werden. SS2 Aufgaben (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 3a. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind, 4. fortwirkende Strukturen und Tätigkeiten der Aufklärungsund Abwehrdienste der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik im Geltungsbereich dieses Gesetzes. Sammlung und Auswertung von Informationen nach Satz 1 setzen im Einzelfall voraus, dass für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Satz 1 Nrn. 1 bis 4 tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. auf Ersuchen der Einstellungsbehörden bei der Überprüfung von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, sowie auf Anforderung der Beschäftigungsbehörde bei der 274 Überprüfung von Beschäftigten im öffentlichen Dienst, wenn der auf Tatsachen beruhende Verdacht besteht, dass sie gegen die Pflicht zur Verfassungstreue verstoßen, 5. auf Ersuchen der für Einbürgerung zuständigen Behörden bei der sicherheitsmäßigen Überprüfung von Einbürgerungsbewerbern sowie 6. bei Überprüfungen, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist. Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach Satz 1 erfolgt in der Weise, dass es eigenes Wissen oder bereits vorhandenes Wissen der für die Überprüfung zuständigen Behörde oder sonstiger öffentlicher Stellen auswertet. Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach den Nummern 1 und 2 sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen im Freistaat Sachsen (Sächsisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SächsSÜG) vom 19. Februar 2004 (SächsGVBl. S. 44), in der jeweils geltenden Fassung, geregelt. (3) Die Mitwirkung des Landesamtes für Verfassungsschutz nach Absatz 2 setzt voraus, dass Betroffene und andere in die Überprüfung einbezogene Personen über Zweck und Verfahren der Überprüfung einschließlich der Verarbeitung der erhobenen Daten durch die beteiligten Dienststellen unterrichtet werden. Darüber hinaus ist im Falle der Einbeziehung anderer Personen in die Überprüfung deren Einwilligung und im Falle weitergehender Ermittlungen die Einwilligung von Betroffenen erforderlich. Die Sätze 1 und 2 gelten nur, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichtet das Staatsministerium des Innern über seine Tätigkeit. SS3 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen aktiv sowie zielund zweckgerichtet unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretungen in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen; 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht; 3. das Mehrparteienprinzip sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition; 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung; 5. die Unabhängigkeit der Gerichte; 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 275 SS4 Allgemeine Befugnisse (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten. Die Verarbeitung personenbezogener Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit keine besonderen Regelungen getroffen sind, nach den Vorschriften des Gesetzes zum Schutz der informationellen Selbstbestimmung im Freistaat Sachsen (Sächsisches Datenschutzgesetz - SächsDSG) vom 25. August 2003 (SächsGVBl. S. 330), in der jeweils geltenden Fassung. (2) Werden personenbezogene Daten bei Betroffenen mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Betroffene sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben und bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 2 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 4 auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber anderen Behörden und Dienststellen stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu. Es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt für Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die Betroffene voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS5 Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf, insbesondere unter Beachtung des SS 4 Abs. 4, Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen (nachrichtendienstliche Mittel) anwenden. Diese sind in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Staatsministeriums des Innern und der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten und sonstige Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz oder zur Abschirmung von Mitarbeitern, Einrichtungen, Gegenständen und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Auskünfte nach SSSS 11 oder 11a gewonnen werden kann. Die Anwendung eines nachrichtendienstlichen Mittels darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn der Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (3) Wird der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen oder -aufzeichnungen oder zum Abhören und Aufzeichnen des gesprochenen Wortes oder der Einsatz eines Verfassungsschutzbediensteten, der unter einer ihm verliehenen, auf Dauer angelegten, veränderten Identität ermittelt, zur Erfüllung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 länger als 72 Stunden dauern, ist dies unverzüglich der Parlamentarischen Kontrollkommission anzuzeigen. (4) Die Zulässigkeit von Maßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert durch Artikel 3 Abs. 1 des Gesetzes vom 11. Februar 2005 (BGBl. I S. 239, 241), in der jeweils geltenden Fassung, bleibt unberührt. 276 (5) aufgehoben (11) aufgehoben (12) Nachrichtendienstliche Mittel, die sich gezielt gegen einen Abgeordneten des Sächsischen Landtages richten, dürfen nur angewandt werden, wenn sie zuvor vom Präsidenten des Landtages genehmigt worden sind. SS 5a Besondere Befugnisse (1) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes und des Artikels 30 der Verfassung des Freistaates Sachsen> ist nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Abs. 1 und SS 3 Abs. 1 G 10 vorliegen und der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Abwehr einer dringenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sachoder Vermögenswerte erforderlich ist und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (2) Die Maßnahme darf sich nur gegen den Betroffenen richten und nur in Wohnungen des Betroffenen durchgeführt werden. In Wohnungen anderer Personen ist die Maßnahme nur zulässig, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sich der Betroffene dort aufhält und die Maßnahme in Wohnungen des Betroffenen allein nicht zur Erforschung des Sachverhalts führen würde. (3) Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räume und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. Gespräche oder Handlungen in Betriebsoder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen. (4) Die Maßnahme ist unverzüglich abzubrechen, wenn sich während der Überwachung erste Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Im Zweifel ist unverzüglich eine gerichtliche Entscheidung über den Abbruch der Maßnahme und eine Löschung der bisher erhobenen Daten herbeizuführen. Das anordnende Gericht ist über den Verlauf und die Ergebnisse der Maßnahme zu unterrichten. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so hat das Gericht den Abbruch der Maßnahme unverzüglich anzuordnen, sofern das Landesamt für Verfassungsschutz die Maßnahme nicht bereits abgebrochen hat. (5) Erkenntnisse über Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, dürfen nicht verwertet werden. Soweit ein Verwertungsverbot in Betracht kommt, hat das Landesamt für Verfassungsschutz unverzüglich eine Entscheidung des anordnenden Gerichts über die Verwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse herbeizuführen. (6) Die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhobenen Daten sind dergestalt zu kennzeichnen, dass jederzeit erkennbar bleibt, aus welchen Eingriffen sie stammen. Sie dürfen durch das Landesamt für Verfassungsschutz zu keinen anderen Zwecken als der Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen und Tätigkeiten, auf die Absatz 1 Anwendung findet, weiter verarbeitet werden. Eine Übermittlung darf nur unter den Voraussetzungen von SS 12a erfolgen. (7) In den Fällen des SS 53 StPO ist eine Maßnahme nach Absatz 1 unzulässig. Ergibt sich während oder nach der Durchführung einer Maßnahme nach Absatz 1, dass ein Fall des SS 53 StPO vorliegt, gelten Absatz 4 Satz 1, Absatz 5 Satz 1 und SS 7a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 entsprechend. In den Fällen der SSSS 52 und 53a StPO dürfen aus einer Maßnahme nach Absatz 1 gewonnene Erkenntnisse nur verwendet werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Bedeutung des zugrunde liegenden Vertrauensverhältnisses nicht außer Verhältnis zum Interesse an der Erforschung des Sachverhalts steht. (8) Auf Antrag des Landesamtes für Verfassungsschutz trifft die in SS 74a Abs. 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannte Kammer des Landgerichts, in dessen Bezirk das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat, die Entscheidung über die Anordnung der Maßnahme nach Absatz 1. Die Maßnahme ist auf höchs277 tens drei Monate zu befristen und kann um jeweils nicht mehr als drei Monate verlängert werden. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 315-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Artikel 4c des Gesetzes vom 22. September 2005 (BGBl. I S. 2809, 2819), in der jeweils geltenden Fassung, entsprechend. Die Entscheidung des Gerichts ergeht ohne vorherige Anhörung des Betroffenen und bedarf zu ihrer Wirksamkeit nicht der Bekanntmachung an ihn. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung auch durch den Vorsitzenden getroffen werden. Dessen Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Tagen von der Kammer bestätigt wird. (9) In der schriftlichen Anordnung sind anzugeben: 1. soweit bekannt, der Name und die Anschrift des Betroffenen, gegen den sich die Maßnahme richtet, 2. die tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1, aufgrund derer die Maßnahme nach Absatz 1 angeordnet wird, 3. die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume, 4. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme, 5. die Erwartungen an die zu erhebenden Informationen. In der Begründung der Anordnung oder Verlängerung sind deren Voraussetzungen und die wesentlichen Abwägungsgesichtspunkte darzulegen. Insbesondere sind anzugeben: 1. die tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1, 2. die wesentlichen Erwägungen zur Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, 3. die tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne des Absatzes 3 Satz 1. (10) Die Betroffenen sind von den nach Absatz 1 durchgeführten Maßnahmen zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Zwecks der Maßnahme, im Fall des Absatzes 11 ohne Gefährdung der für den Verfassungsschutz tätigen Person, geschehen kann. Die Mitteilung obliegt dem Landesamt für Verfassungsschutz. Sind Daten aus Maßnahmen nach Absatz 1 an Dritte übermittelt worden, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger. Betroffene im Sinne des Satzes 1 sind: 1. Betroffene, gegen die sich die Maßnahme nach SS 5a richtet, 2. Inhaber und Bewohner der Wohnung, in der die Maßnahmen durchgeführt worden sind, 3. sonstige überwachte Personen. Eine Unterrichtung von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange anderer Betroffener entgegenstehen oder die Identität von Betroffenen nach Satz 4 Nr. 2 und 3 nur mit unverhältnismäßigem Aufwand ermittelt werden könnte. Erfolgt die Benachrichtigung nicht binnen sechs Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der gerichtlichen Zustimmung. Die gerichtliche Entscheidung ist vorbehaltlich einer anderen gerichtlichen Anordnung jeweils nach einem Jahr erneut einzuholen. (11) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf den verdeckten Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 ausschließlich zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen für den Verfassungsschutz tätigen Person anordnen. Eine weitere Verarbeitung der hierbei erhobenen Daten, insbesondere eine Übermittlung nach SS 12a, ist nur zulässig, wenn die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nach Maßgabe von Satz 1 und Absatz 1 zuvor gerichtlich festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzug ist die gerichtliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. In diesen Fällen gelten die Absätze 5 bis 7 und 10 entsprechend. (12) Auch nach Erledigung einer in den Absätzen 1 und 11 genannten Maßnahme können Betroffene binnen vier Wochen nach ihrer Benachrichtigung die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Anordnung sowie der Art und Weise des Vollzugs beantragen. Über den Antrag entscheidet das Gericht, das über die Anordnung der Maßnahme entschieden hat. Gegen die Entscheidung ist die sofortige Beschwerde statthaft. 278 Zweiter Abschnitt Datenschutzrechtliche Bestimmungen SS6 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1 erforderlich ist oder 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 2 Abs. 2 tätig werden wird. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 2 Abs. 2 dürfen vorbehaltlich des Satzes 2 in automatisierten Dateien nur Daten über die Personen gespeichert werden, die der Sicherheitsüberprüfung unterliegen oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen werden. Zur Erledigung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 2 Nr. 4 und 5 dürfen in automatisierten Dateien nur Daten solcher Personen erfasst werden, über die bereits Erkenntnisse nach SS 2 Abs. 1 vorliegen. Bei der Speicherung in Dateien muss erkennbar sein, welcher der in SS 2 Abs. 1 und 2 genannten Personengruppe Betroffene zuzuordnen sind. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. (4) Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nicht gespeichert werden. Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person nach Vollendung des 14. und vor Vollendung des 16. Lebensjahres sind zwei Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 Nr. 1 angefallen sind. Personenbezogene Daten über das Verhalten einer Person nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind zwei Jahre nach dem Verhalten auf die Erforderlichkeit der Speicherung in Dateien zu überprüfen und spätestens fünf Jahre nach dem Verhalten zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse im Sinne des SS 2 Abs. 1 Nr. 1 über ein Verhalten nach Eintritt der Volljährigkeit angefallen sind. SS7 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Akten oder Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; in Akten ist dies zu vermerken. Wird die Richtigkeit der Daten von Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Belange der Betroffenen beeinträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der Betroffenen übermittelt werden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Nr. 1 sind spätestens 10 Jahre, über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 1 Nr. 3 und 3a spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz oder sein Vertreter stellt fest, dass die weitere Speicherung zur Aufgabenerfüllung oder aus den in Absatz 2 Satz 2 genannten Gründen erforderlich ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die nicht in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten gemäß Absatz 2 zu löschen. Die Löschung ist zu dokumentieren. Die Daten sind zu sperren, wenn die Löschung wegen der besonderen Art der Speicherung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand möglich ist. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie dürfen nicht mehr 279 genutzt oder übermittelt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. (5) Für die Archivierung gelten die Vorschriften des Archivgesetzes für den Freistaat Sachsen vom 17. Mai 1993 (SächsGVBl. S. 449), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Juni 1999 (SächsGVBl. S. 398), in der jeweils geltenden Fassung. SS 7a Löschung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat personenbezogene Daten, die durch eine Maßnahme nach SS 5a erhoben wurden, unverzüglich zu löschen, 1. wenn Äußerungen oder Handlungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst wurden, 2. wenn die Daten für die in SS 5a Abs. 6 Satz 2 genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind; soweit die Daten für eine gerichtliche Überprüfung nach SS 5a Abs. 12 von Bedeutung sein können, ist die Löschung der Daten zurückzustellen, sie sind zu sperren und dürfen nur zu diesem Zweck verwendet werden. Im Falle von Satz 1 Nr. 2 hat die Prüfung der Erforderlichkeit der Datenspeicherung unverzüglich nach ihrer Erhebung und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten zu erfolgen. Die Erhebung und Löschung der Daten ist zu dokumentieren. (2) Im Falle der Datenübermittlung nach SS 12a prüft der Empfänger unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die Daten für die Zwecke, zu deren Erfüllung sie ihm übermittelt worden sind, noch erforderlich sind. Sind die Daten für die bestimmten Zwecke nicht mehr erforderlich, gilt Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 entsprechend. Die Löschung ist zu dokumentieren. Der Empfänger unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz unverzüglich über die erfolgte Löschung. SS8 Errichtungsanordnung (1) Für jede beim Landesamt für Verfassungsschutz zur Erfüllung seiner in SS 2 genannten Aufgaben einzurichtende automatisierte Datei, in der personenbezogene Daten verarbeitet werden, sind in einer Errichtungsanordnung festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Art der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und 7. Protokollierung. Die Zugangsberechtigung nach Satz 1 Nr. 5 ist auf Personen zu beschränken, die die Daten zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz benötigen. Die Errichtungsanordnung bedarf der Zustimmung des Staatsministeriums des Innern. (2) Vor Erlass und vor wesentlichen Änderungen der Errichtungsanordnung ist der Sächsische Datenschutzbeauftragte zu hören. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat in angemessenen Abständen die Erforderlichkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. 280 SS9 Auskunft an Betroffene (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt Betroffenen über die zu ihrer Person gespeicherten Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (1a) Auskunft aus Akten, die nicht zur Person des Betroffenen geführt werden, wird erteilt, soweit der Betroffene Angaben macht, die das Auffinden der Akten ermöglichen und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zu dem vom Betroffenen geltend gemachten Informationsinteresse steht. Satz 1 findet auf personenbezogene Daten in nicht-automatisierten Dateien, die nicht zur Übermittlung an Dritte bestimmt sind, entsprechende Anwendung. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung nachrichtendienstliche Zugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheimgehalten werden müssen. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe für die Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, sind Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass sie sich an den Sächsischen Datenschutzbeauftragten wenden können. Dem Datenschutzbeauftragten ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht das Staatsministerium des Innern im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Sächsischen Datenschutzbeauftragten an Betroffene dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 10 Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz ohne Ersuchen (1) Die Behörden und Gerichte des Freistaates Sachsen, die Gemeinden, Landkreise und sonstigen der Aufsicht des Freistaates Sachsen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts übermitteln von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihnen bekannt gewordenen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Informationen zur Wahrnehmung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Nr. 2 oder zur Beobachtung von Bestrebungen erforderlich sind, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 3a genannten Schutzgüter gerichtet sind. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeidienststellen übermitteln darüber hinaus von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen personenbezogenen Daten und sonstigen Informationen über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 281 SS 11 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Die in SS 10 genannten öffentlichen Stellen haben dem Landesamt für Verfassungsschutz auf dessen Ersuchen die ihnen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben bekannt gewordenen personenbezogenen Daten und Informationen zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 oder Abs. 2 erforderlich ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Akten anderer öffentlicher Stellen und amtliche Register unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 und vorbehaltlich der in SS 13 getroffenen Regelung einsehen, soweit dies zur Erfüllung von Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 und 2 oder zum Schutz von Mitarbeitern und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen Gefahren für Leib und Leben erforderlich ist und die sonstige Übermittlung von Informationen aus den Akten oder den Registern den Zweck der Maßnahmen gefährden oder das Persönlichkeitsrecht von Betroffenen unverhältnismäßig beeinträchtigen würde. Über die Einsichtnahme nach Satz 1 hat das Landesamt für Verfassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen. Die Nachweise sind fünf Jahre gesondert aufzubewahren und gegen ungerechtfertigten Zugriff zu sichern und anschließend zu vernichten. (3) Die Übermittlung personenbezogener Daten und sonstige Informationen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächlich Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 G 10 genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Satz 1 übermittelten Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 3 G 10 entsprechende Anwendung. SS 11a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Ein Ersuchen des Landesamtes für Verfassungsschutz um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerlässlich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die dort genannten Schutzgüter vorliegen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 G 10 bei Personen und Unternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs einholen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die dort genannten Schutzgüter vorliegen. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 3a unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 G 10 bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortkennung sowie Rufnummern oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 282 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genommenen Telekommunikationsund Teledienst-Dienste, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (6) Auskünfte nach den Absätzen 2 bis 5 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Landesamtes für Verfassungsschutz, im Falle seiner Verhinderung durch seinen Vertreter, schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der Staatsminister des Innern, im Falle seiner Verhinderung sein Vertreter. (7) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes im Freistaat Sachsen (SächsAG G 10) vom 16. Oktober 1992 (SächsGVBl. S. 464), geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 15. August 2003 (SächsGVBl. S. 313, 317), über die gemäß Absatz 6 beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug darf das Staatsministerium des Innern den Vollzug der Entscheidung bereits vor Unterrichtung der Kommission anordnen. In diesen Fällen ist die Unterrichtung innerhalb von zehn Tagen nachzuholen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit der Einholung von Auskünften. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder für nicht notwendig erklärt, hat das Staatsministerium des Innern unverzüglich aufzuheben. (8) SS 2 Abs. 2 SächsAG G 10 ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Verarbeitung der nach Absatz 1 erhobenen Daten erstreckt. (9) Für die Verarbeitung der nach Absatz 1 erhobenen Daten ist SS 4 G 10 entsprechend anzuwenden. Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunftsgeber nicht mitgeteilt werden. Für die Mitteilungen an Betroffene findet SS 12 Abs. 1 und 3 G 10 entsprechende Anwendung. (10) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission (SS 16) und das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes in Abständen von höchstens sechs Monaten über die nach den Absätzen 2 bis 5 durchgeführten Maßnahmen; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. SS 11b Weitere Informationsübermittlungen durch nicht-öffentliche Stellen an das Landesamt für Verfassungsschutz auf Ersuchen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz im Einzelfall erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt (Diensteanbieter), Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 4 des Gesetzes vom 7. August 2013 (BGBl. I S. 3154, 3200) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung, erhobenen Daten verlangt werden (SS 113 Abs. 1 Satz 1 TKG). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (SS 113 Abs. 1 Satz 2 TKG), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der geschützten Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (SS 113 Abs. 1 Satz 3 TKG). Für Auskunftsverlangen nach Satz 1 und Absatz 1 Satz 2 gilt SS 11a Abs. 6 Satz 1 und 2 sowie Abs. 7 bis 9 Satz 1 entsprechend mit der Maßgabe, dass über den Antrag das Staatsministerium des Innern entscheidet. (3) Die betroffene Person ist in den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 Satz 1 durch das Landesamt für Verfassungsschutz von der Beauskunftung zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Wurden personenbezogene Daten an eine andere Stelle übermittelt, erfolgt die Benachrichtigung im Benehmen mit dieser. Die Benachrichtigung unterbleibt, sofern einer der Hinderungsgründe in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beauskunftung nicht ausgeschlossen werden kann, er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann, und die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden 283 Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. Die Benachrichtigung unterbleibt auch, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 4 oder Satz 5 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder 2 hat der Diensteanbieter die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. (5) Der Diensteanbieter erhält für Auskünfte nach den Absätzen 1 und 2 eine Entschädigung, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungsund - entschädigungsgesetz - JVEG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586, 2681), in der jeweils geltenden Fassung, bemisst; die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Abs. 1 und 4 JVEG finden entsprechende Anwendung. SS 12 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Behörden sowie andere öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigen. Soweit die Daten Verwendungsbeschränkungen unterliegen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Daten zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung ist durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. Empfänger dürfen die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat der Staatsanwaltschaft und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen die ihm bekannt gewordenen personenbezogenen Daten zu übermitteln, wenn im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung nach SS 2 zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies zur Verhinderung oder Verfolgung folgender Straftaten erforderlich ist: 1. von Staatsschutzdelikten nach SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes sowie von Straftaten, bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, der Motive der Täter oder deren Verbindungen zu einer Organisation zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchst. b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind, und 2. von Straftaten, die gegen das Leben oder in erheblichem Maße gegen die körperliche Unversehrtheit oder gegen Sachund Vermögenswerte von erheblicher Bedeutung gerichtet sind. Soweit die Daten Verwendungsbeschränkungen unterliegen, hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Daten zu kennzeichnen. Die Kennzeichnung ist durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an andere als öffentliche Stellen nicht übermitteln, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, zur Abwehr sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeit für eine fremde Macht oder zur Gewährleistung der Sicherheit einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung nach SS 1 Abs. 4 des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), zuletzt geändert durch Artikel 7 des Gesetzes vom 21. August 2002 (BGBl. I S. 3322, 3329), in der jeweils geltenden Fassung, oder nach SS 1 Abs. 3 Nr. 4 SächsSÜG in der jeweils geltenden Fassung erforderlich ist und der Staatsminister des Innern oder sein Vertreter zugestimmt hat. Die Zustimmung kann auch für eine Mehrzahl gleichartiger, sachlich zusammenhängender Fälle vorweg erteilt werden. Sie ist nicht erforderlich für den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Übermittlung aktenkundig zu machen. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden. Er ist verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz auf Verlangen Auskunft über die vorgenommene Verwendung zu geben. Der Empfänger ist auf die Verpflichtungen nach den Sätzen 5 und 6 hinzuweisen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an öffentliche Stellen außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn 284 die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland, Belange der Länder oder überwiegende schutzwürdige Interessen von Betroffenen entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Empfänger sind darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie übermittelt wurden, und das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. (5) Der Empfänger prüft, ob die übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat er die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. SS 12a Übermittlung von nach SS 5a erhobenen personenbezogenen Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 5a erhobene personenbezogene Daten den in SS 12 genannten Behörden nur zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Lebensgefahr oder einer dringenden Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, für Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für herausragende Sachoder Vermögenswerte übermitteln. Für personenbezogene Daten nach SS 5a Abs. 7 Satz 2 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass es sich um Gegenstände von bedeutendem Wert, die der Versorgung der Bevölkerung dienen, um Gegenstände von kulturell herausragendem Wert oder um die in SS 305 StGB genannten Bauwerke handeln muss. (2) Zur Verfolgung von Straftaten darf das Landesamt für Verfassungsschutz unter den Voraussetzungen des SS 5a erhobene personenbezogene Daten den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidienststellen nur übermitteln, soweit die Voraussetzungen des SS 100c StPO vorliegen und für die Straftat eine Höchststrafe von mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe angedroht wird. (3) Die Übermittlung nach den Absätzen 1 und 2 ist nur zulässig, soweit 1. sie zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich ist, 2. nach eigenen Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz ausgeschlossen werden kann, dass der Empfänger die Daten für andere Zwecke nutzt, 3. die bisherige Kennzeichnung der Daten aufrechterhalten bleibt, 4. sichergestellt ist, dass der Empfänger SS 7a Abs. 2 entsprechend anwendet, und 5. die Übermittlung an ausländische Behörden nur im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz erfolgt. SS 13 Übermittlungsverbote (1) Die Übermittlung von Informationen nach den SSSS 10, 11, 12 und 12a unterbleibt, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen von Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen oder überwiegende Belange der Strafverfolgung dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen. Die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Informationen über Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 285 SS 14 Besondere Pflichten des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft unverzüglich, ob die ihm nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat es die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. (2) Erweisen sich personenbezogene Daten, nachdem sie durch das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt worden sind, als unrichtig oder unvollständig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhalts ohne Bedeutung ist. SS 15 Unterrichtung der Öffentlichkeit Das Staatsministerium des Innern und das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichten die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 1. Dabei dürfen personenbezogene Daten bekannt gegeben werden, wenn dies für die Unterrichtung erforderlich ist und die Informationsinteressen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. Vierter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle, Einschränkung von Grundrechten SS 16 Parlamentarische Kontrollkommission (1) Die Sächsische Staatsregierung unterliegt hinsichtlich der Aufsicht des Staatsministeriums des Innern über das Landesamt für Verfassungsschutz und hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission des Sächsischen Landtages. Die Rechte des Landtages und seiner Ausschüsse bleiben unberührt. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder müssen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Parlamentarische Kontrollkommission wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie tritt mindestens zweimal jährlich zusammen. Die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission kann von mindestens zwei Mitgliedern verlangt werden. (3) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. Der Sächsische Datenschutzbeauftragte kann, soweit personenbezogene Daten Gegenstand der Beratung sind, beteiligt werden; die Sätze 2 und 3 gelten entsprechend. Satz 1 gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn die Mehrheit der Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission ihre vorherige Zustimmung erteilt hat. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird es Mitglied der Staatsregierung, endet auch seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für ein ausgeschiedenes Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission übt ihre Tätigkeit auch nach Ablauf der Wahlperiode des Landtages so lange aus, bis der nachfolgende Landtag eine neue Parlamentarische Kontrollkommission gewählt hat. SS 17 Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Staatsministerium des Innern unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über die Vorgänge von besonderer 286 Bedeutung. Hierzu gehört auch die Unterrichtung über die nach SS 5 Abs. 3 und SS 5a Abs. 1 und 10 angeordneten Maßnahmen und die nach SS 5a Abs. 9 getroffenen Entscheidungen. Ebenso umfasst die Unterrichtung auch das Tätigwerden von Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer sowie das Herstellen des Benehmens für das Tätigwerden des Bundesamtes für Verfassungsschutz nach SS 5 Abs. 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202, 3217), in der jeweils geltenden Fassung. Auf Verlangen der Parlamentarischen Kontrollkommission berichtet das Staatsministerium des Innern zu konkreten Themen aus dem Aufgabenbereich des Landesamtes für Verfassungsschutz. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission hat das Recht auf Erteilung von Auskünften. Der Staatsminister des Innern kann einem Kontrollbegehren widersprechen, wenn es im Einzelfall die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz oder den notwendigen Schutz des Nachrichtenzugangs gefährden würde; er hat dies zu begründen. Entfallen die Gründe für Satz 2, so ist die Auskunftserteilung unverzüglich nachzuholen. (3) Die Unterrichtung umfasst nicht Angelegenheiten, über die das Staatsministerium des Innern die Kommission nach Artikel 10 des Grundgesetzes zu unterrichten hat. SS 18 Einschränkung von Grundrechten Durch dieses Gesetz können im Rahmen des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung des Freistaates Sachsen das Grundrecht des Brief, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes, Artikel 27 der Verfassung des Freistaates Sachsen), das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes, Artikel 30 der Verfassung des Freistaates Sachsen) und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Artikel 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes, Artikel 33 der Verfassung des Freistaates Sachsen) eingeschränkt werden. Fünfter Abschnitt Schlussbestimmung SS 19 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Das vorstehende Gesetz wird hiermit ausgefertigt und ist zu verkünden. Dresden, den 16. Oktober 1992 287 Herausgeber: Sächsisches Staatsministerium des Innern und Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Gestaltung und Satz: Druck: Redaktionsschluss: 9. April 2019 Bezug: Diese Druckschrift kann kostenfrei bezogen werden beim: Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen Neuländer Straße 60, 01129 Dresden Telefon: +49 351 85850 Telefax: +49 351 8585500 E-Mail: verfassungsschutz@lfv.smi.sachsen.de www.verfassungsschutz.sachsen.de Verteilerhinweis: Diese Informationsschrift wird von der Sächsischen Staatsregierung im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von deren Kandidaten oder Helfern im Zeitraum von sechs Monaten vor einer Wahl zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zur Verwendung bei der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Erlaubt ist jedoch den Parteien, diese Informationsschrift zur Unterrichtung ihrer Mitglieder zu verwenden. Copyright Diese Veröffentlichung ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, auch die des Nachdruckes von Auszügen und der fotomechanischen 301 Wiedergabe, sind dem Herausgeber vorbehalten.